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Buiizeo, Google
Berufe Goſhigte
Sans Prutz
GErſter Band
Die Entfichung Brandenburg - Vreußens
(von den erſten Anfängen Bis 1655)
Stuttgart 1900
3. 6. Cottafhe Buchhandlung Nachfolger
5.8.
Buiizeo, Google
Vreußiſche Gefhichte
Sans Pruß
Erſter Band
Die Entſtehung Brandendurg- Preußens
(von den erften Anfängen bis 1655)
Stuttgart 1900
3. 6. Cottafhe Buchhandlung Nachfolger
G. m. b. G.
Alle Rechte vorbehalten.
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+ Vorwort. Kr
Den Standpunkt, von dem aus ber vorliegende Verſuch
einer überfichtlich zufanmenfaffenden Darftellung der preußiſchen
Gedichte unternommen wurde, habe ih in der Einleitung
ausführlich dargelegt und in feiner Berechtigung begründet.
Daß ich mit jeiner Vertretung mich nicht in der Richtung
bewege, die auf dieſem Gebiete dermalen vorherrſcht, deſſen
bin id) mir wohl bewußt. Wenn aber die Beichäftigung mit
der vaterländiſchen Gefchichte, nachdem fie gegen früher jo er—
freufih in Aufnahme gefommen ift, die Leitfterne jo oft aus dem
Auge läßt, denen die Geſchichtſchreibung auch da unverbrüchlich
nachſtreben ſoll, wo fie ohne gelehrtes Rüftzeug fih an möglichſt
weite Kreife zu wenden unternimmt, und wenn infolgedefien
die Differenzen zwifchen ber einmal recipierten Vulgata und den
Ergebniffen der neueren Forihung immer größer zu werden
drohen, fo erſcheint es nicht bloß als eine wiſſenſchaftliche, jondern
als eine patriotijche Pflicht, Menſchen und Dinge, die meift nur
in einer fünftlihen, d. h. auf einen beftimmten Effekt in der
Gegenwart berechneten Beleuchtung geſehen werden, einmal ohne
jede Rüdficht auf die Gegenwart allein in dem Lichte zu be—
traten, das ihre eigene Zeit auf fie fallen ließ. Man fühlt
das Bedürfnis — um ein neuerdings oft angeführtes, aber auch
oft mißdeutetes Wort des Altmeifters der Geſchichtſchreibung zu
gebrauhen — zu fagen, wie es „eigentlich geweſen ift”.
Ein Handbuch der preußiihen Geſchichte freilich fonnte und
follte auch nicht auf diefem Wege entftehen, und den Maßſtab
eines jolhen möchte ich daher am diefen Verſuch aud nicht an—
gelegt jehen. Das mir vorſchwebende Ziel und die Natur des
Stoffes machten eine gewiſſe Ungleihmäßigfeit der Behandlung
unvermeidlih, indem bas eine in breiterer Ausführung, das
andere in knapp jfizzierten Umriffen gegeben wurde. Im Mittel:
punkt des Intereſſes fteht eben durchaus der Staat: er ift und
bleibt doch das vornehmſte Objekt der Geſchichtſchreibung überall
IV Vorwort.
da, wo ſie auf weitere Kreiſe wirken, national anregen und
politiſch bilden möchte.
Andererfeits erjcheint e8 gerade in unferen Tagen, wo der
Kultus der hiſtoriſchen Perfönlichkeit, bloß weil fie hiſtoriſch ift,
jo jehr in Schwung gefommen ift, berechtigt und nützlich, das
perjönliche Moment gerade mit diefem politijchen zu verknüpfen
und an ihm zu meſſen, um fo beider Wechſelwirkung nachzu—
weifen. Es wird ihm, im Guten wie im Böfen, dod eine
größere hiſtoriſche Bedeutung zuerfannt werden müflen, als die
ſozialpſychologiſche Geſchichtſchreibung unferer Tage Wort haben
will. Der letzteren Berechtigung und Verdienftlicfeit zu ber
ftreiten bin ich weit entfernt: aber die theoretiihen Erörterungen
über das Prinzip der Geſchichtſchreibung und ihr daraus herzu⸗
leitendes wahres Wejen, die neuerdings mit ebenfoviel Heftigkeit
wie Breite geführt worden find, haben mich doch nicht davon
überzeugen fönnen, daß es für die Gedichte wie nur eine
Methode der Forſchung, fo auch nur eine, gleichſam alleinjelig-
machende Art der Darftellung gebe. Vielmehr werden entſprechend
der unendlich bunten Mannigfaltigfeit des geſchichtlichen Lebens
aud immer verſchiedene Arten der Geſchichtſchreibung als gleiche
berechtigt, aber ſich gegenfeitig ergänzend nebeneinander beftehen
tönnen und bejtehen müſſen. Je mehr dies der Fall it, um fo
fördernder und bildender, um fo erhebender und ftärfender wird
die Beihäftigung mit der Geſchichte auf die Gegenwart wirken.
Daß eine zufammenfafjende Darjtellung wie die vorliegende
nit durchweg auf eigener, von Grund aus neu bauender
Forſchung beruhen kann, braucht wohl faum bemerft zu werden.
Die umfangreihen Abſchnitte, wo das der Fall ift, werden ſich
für den kundigen Leſer auch ohne Velegitelen und Duellencitate
leicht ergeben. In anderen durften dankbar die Ergebnifje der
Forfhungen anderer aufgenommen werben, zum Teil unver:
ändert, zum Teil infolge einer Nachprüfung modifiziert.
Der dritte Band, welcher die Zeit von 17401815 ber
handelt, wird Ende bes Jahres 1900, der vierte, der die Dar—
ftellung bis 1888 fortführen wird, 1902 erjcheinen.
Königsberg i. Pr.,
Ende Ottober 1899. Hans Prutz.
Inhalt des erften Bandes.
Einfeitung
I. Die Sauptrichtungen "ber "preubifcen Seisict.
ſchreibung
1. Die teleologiſche und prattiſch potitifce Tendenz .
2. Die populär : patriotifche Aendengefäiäigreitung
Der gefhichtlihe Unterriht . . .
3. Das perfönlihe Moment in ber Geſchichte
II. Die Legende in der preußiſchen Geſchichte.
Erfies Bud. Die Elemente des meenttiäen Staates
(dis 1598) 1
I. Der Staat des Deutfcgen Ordens in Preußen.
1. Die Eroberung Preußens. 1228—1295 . . .
2. Die Blüte des Ordensſtaates in Preußen. 1295_1382
3. Der Fall des Ordensſtaates. 1382—1466 .
4. Die Reformation in Preußen. 1466—1568
DO. Die Mark Brandenburg . .
1. Die Marten unter den Anfaltinern, inuabaden
und Luremburgern (bis 1411) .
2. Die frankiſchen Hohenzollern in gimdenltz 1a
bis 1486 . ..
Friedrich I. 1411— 1438. —_ Friedrich IT. 14381470
und Albrecht Achilles 1470—1486.)
III. Brandenburg im Uebergang zur neueren Zeit und
die erjten märfifhen Hohenzollern. 1486—1535
1. Johann Cicero 1486—1499 re.
2. Joachim I. 1499—1585 . B
IV. Reformation und ftändifches Regiment. 1585_1598
1. Joachim II. 1585—1571
a) Die Reformation in der Mart Brandenburg. 1535
581568. . -
b) Das Auflommen der ſtändiſchen Mitregierung im
Innern und bie Politik der Aumartjgaften 1563
bis 1571... B
2. Johann Georg 15711598 .
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178—196
197—268
197—243
197—228
228—243
243—268
vI Inhalt.
Bweites Bund. Die erfie hohenzolleruſche Stantsgründung
und ißr Zerfall. 1598—1640 . .
I. Die ftaatlihe Neuorganifation der Marken durch
Joachim Friedrich und die Rüftung zur Erwerbung
Preußens und Jülich-Cleves. 1598—1608 .
II. Die Erwerbung Cleves und Preußens und ber
Anſchluß an die NReformierten durch Johann
Sigismund. 1608—1619 . . .
IH. Vollendung und Banferott des ftänbifchen He:
giments unter Georg Wilhelm. 1619—1629 .
IV. Die Vernichtung der ftaatlihen Eriftenz Branden-
burgs durch die deutſche Revolution und den
europäifchen Krieg. 1629—1640 .
Drittes Bud. Pie Rettung der Zuhnnft. 1640-1655 .
I. Die ftändifche Reaktion und die Anfänge Friedrich
Wilhelms. 1640-1643 . . .
I. Die Heeresfhöpfung, die bewaffnete Neutralität
und der Meftfälifche Friede. 1643—1648 .
IH. Die Friedengerefution und der Verſuch einer
deutfchen Politif. 1648—1655 . nn
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378—463
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421—444
445—463
Ginleitung.
I. Die Bauptrichtungen der preufißchen Gefchicht-
ſchreibung.
1. Die teleologiſche und praktiſch politiſche Tendenz.
(Stengel, Kanke, Dronſen, v. Treitſchae.)
eit die Jahre 1866 und 1870—1871 den deutſchen
Staat unter Preußens Führung verwirklicten, gilt
mandem als vornehmfte Aufgabe der preußifchen Ge:
ſchichtſchreibung, in der Entwidelung Preußens die zeitig ein-
jegende Vorbereitung auf die künftige Bildung dieſes deutfchen
Staates nachzuweiſen.
Hat doch von deutſchen politifchen Scöpfungen feine jo
früh, fo ausgeprägt und fo ſelbſt- und zielbewußt die Formen
entwidelt, die Kräfte bethätigt und die Beftrebungen verfolgt,
in denen wir das Weſen ftaatlihen Lebens zu fehen gewohnt
find, wie die zu Brandenburg: Preußen verwachſenen Gebiete.
Erſcheint Preußen deshalb doch vielen ala der vorzugsweife
deutſche Staat und von jeher berufen, zu der Stellung auf:
äufteigen, in der wir es heute erbliden. .
Der praktiſch politifhe und gewiſſermaßen agitatorifdhe
Wert diefes Standpunktes ift ermwiefen dur das, was von
ihm aus nah dem Scheitern der nationalen Bewegung von
1848—1849 tapfere Männer — ein Ludwig Häuffer, ein
Adolf Schmidt u. a. — für die Erwedung des deutſchen Volkes
gethan Haben. Als man dem fi ſelbſt untreu gewordenen
Staate des großen Friedrih verjtimmt, entmutigt oder gar
erbittert den Rüden fehrte, haben fie fein Verdienſt um Deutſch⸗
lands Vergangenheit und feinen Beruf für Deutſchlande Zu⸗
Brus, Dreutiſche Gejchichte I.
2 Einleitung.
funft hiſtoriſch erwieſen. So wurde die preußiihe Geſchichte
in den Mittelpunkt des neu entbrennenden Kampfes um die
fünftige Geftaltung Deutſchlands geftellt. Dadurch ftieg zwar
ihre Bedeutung für das nationale Geiftesleben, aber fie wurde
zugleich aus der Sphäre des ausſchließlich wiſſenſchaftlichen Inter-
eſſes in die der Tagespolitif verpflanzt, fo daß bei ihrer Behand-
lung die der legteren entnommenen Gefihtspunfte zuweilen mehr
einwirkten als die, welche jene allein als berechtigt anerkennt.
Wie viel dennoch auf diefem Gebiete auch wiſſenſchaftlich
geleiftet ift, braucht hier nicht in Erinnerung gebracht zu werden.
Die preußiſche Geſchichtſchreibung hat ihren reich gemefjenen
Anteil an dem Aufſchwung, den die Geſchichtswiſſenſchaft während
der legten zwei Menjchenalter bei uns genommen hat. Eine
Füle neuen Materials ift der Forſchung erfchloflen und ftrömt
ihr noch in unauögefegt wachſendem Reichtum zu, fo daß ber
Wunſch erlaubt ift, es möchte mehr für die Verarbeitung als
für die Veröffentlihung von Material gethan werden. Aus
einer faum überjehbaren Mafje von Einzelunterfuhungen wächſt
die preußiiche Gedichte ala eine durch das Feuer Fritifher
Forſchung geläuterte, wiſſenſchaftlich lebendige Einheit allmäh-
lich vor unferen Bliden empor.
Dennoch hat die preußiſche Geſchichtſchreibung den Ein-
fluß der politifhen Verhältniffe noch nicht überwunden, unter
denen fie einft begonnen. War es damals weentlih ein prafs
tiſch politifches Intereſſe, das ihr der Hiftorifer und des ge—
bildeten Publikums Teilnahme gewann, jo ift ihr von daher
eine gewiſſe Voreingenommenheit eigen geblieben, die nicht felten
zu einer beftimmten Tendenz erftarkte. Hatte durch die Beichäf-
tigung mit der preußiſchen Gedichte der Glaube an Preußen
als an ben Staat der deutſchen Zukunft neu belebt und zur Be—
thätigung geftärft werben follen, fo betrachtet man die Entwides
lung Preußens heute vorzugsmweife von dem Stanbpunft aus,
den die ſchließliche Erfüllung alter nationaler Hoffnungen durch
die preußifchen und deutſchen Siege ergibt, als ob fie von ben
erften Anfängen an auf diefen Ausgang angelegt geweſen wäre,
und fieht darin nichts als die von einer inneren Notwendigkeit
beherrſchte folgerihtige Evolution des deutſchen Staates.
I. Die Hauptrigtungen der preußifchen Geſchichtſchreibung. 3
In ben vierziger und fünfziger Jahren berechtigt als eine
Waffe nationaler Propaganda, bejteht eine ſolche Auffaffung
der preußiſchen Geſchichte nicht, an dem Prinzip der hiſtoriſchen
Wiſſenſchaft gemeſſen. Denn fie trägt immer etwas in bie
Vergangenheit hinein, was nad ber Natur der Dinge nit
darin fein fonnte, und madt fo die volle Sachlichkeit und
Unbefangenheit des Urteils unmöglih. Denn wer einen Jahr:
hunderte umfaflenden Entwidelungsgang nit aus ſich felbft
zu begreifen ftrebt, jondern darin diejenigen Momente auf:
ſucht, die das fehlieflich erreichte, der Gegenwart angehörige
Ergebnis vorbereiten halfen, der verzichtet zum voraus auf
möglichft objektive Erfaſſung der Vergangenheit und wird fie
nie in ihrem in ſich ſelbſt bedingten und auf fich ſelbſt ge:
richteten Leben verftehen lernen. Wer die Entwidelung auf
ein beftimmtes Ziel angelegt fein läßt, wird überall Hin—
meifungen auf dieſes und Momente zu feiner Erreihung ſehen
und auch andere ſehen lafjen wollen: er wird darüber bei
aller fubjektiven Wahrheit objektiv leicht unmwahr werben, in—
dem er diejem teleologifchen Prinzip zuliebe Thatſachen und
Menſchen in eine andere Beleuchtung rüdt, als ihnen zufommt,
wenn man fie allein aus den ihrer Zeit jelbft eigenen Gefichts-
punften betrachtet.
Freilich liegt die Neigung zu diefer teleologifchen Betradh-
tungsmeife tief in der menschlichen Natur begründet. Das Ver:
hältnis zwifchen der Freiheit des menſchlichen Einzelnhandelns
und ber Gejegmäßigfeit der menſchlichen Gefamtentwidelung
enthält ein Problem, das hiſtoriſche Einzelforfhung fo wenig
wie univerfalgefhichtlihe Spekulation völlig befriedigend löfen
wird. Mag der Einzelne fehen, wie er ſich mit diefem Welt-
rätfel abfindet. Und ba werden zu dem Spiel willfürlih wal—
tender Kräfte, das in der Geſchichte zu herrſchen ſcheint, die
meiften eine befriedigende Stellung gewonnen zu haben glauben,
wenn fie fi dasjelbe durch einen vorausbeftimmenden höheren
Willen georbnet, auf ein von ihm gemwolltes Ziel gerichtet und
zu feiner Erreichung geleitet denken. Wie fie ſich deſſen Walten
im einzelnen vorftellen, ift gleichgültig. Je überraſchender aber
die gefchichtlihen Wendungen find, je gewaltiger bie fie herbei-
4 : Einleitung.
führenden Ereignifje und je größer das Erreidte ift, um fo
mehr wird, wie der Einzelne, fo aud ein ganzes Volf geneigt
fein, in dem Größten, was ihm geworden, die Verwirklichung
einer längft obwaltenden höheren Abfiht und die Erreichung eines
ihm Tängft geſteckten Zieles zu erbliden. Auch das preußiſche
Volk ift gewöhnt worden, feine Vergangenheit vornehmlich von
diefem Standpunkte aus zu betrachten.
Noch ein anderes Moment hat dazu beigetragen.
Es ift fein Glüd für die preußiſche Geſchichtſchreibung ge—
wefen, daß ihre wiſſenſchaftliche Begründung in eine Zeit fiel,
wo auch innerhalb Preußens die politiichen Gegenfäge ſich zu
äußerfter Schärfe zufpigten und jede Partei aus der Vergangen-
heit Waffen zur Verfehtung ihrer Sade entnehmen wollte.
Sachlicher und nüchterner als G. H. Stenzel (1830—1837)
tonnte man bie preußifche Geſchichte wahrlich nicht auffafien.
Dem Geihihtfehreiber der fränkiſchen Kaiſer lag nichts ferner
als politifhe Tendenzmacherei irgend welder Art. Dennod hat
er fein Werk mannigfach angefochten fehen und unvollendet
laſſen müfjen, weil felbft feine maßvole Betrachtungsweiſe, die
jede Beziehung auf die politifhen Probleme der Gegenwart
vermied, ihn in unliebjame Konflikte zu verwideln und in den
Nuf des Liberalismus zu bringen drohte. Wenige Jahre fpäter
ging Leopold Ranke an die Bearbeitung der preußiſchen Ge—
ſchichte, für-die fich ihm zuerft die eigentlich amtlichen Quellen
aufthaten, mit jenem nervöfen Eifer, der ihn in jüngeren Jahren
da zu ergreifen pflegte, wo die Gegenwart fi) mit dem in
Widerſpruch fegte, was er nach feiner hiſtoriſchen Auffaſſung
allein als berechtigt anerfennen zu fönnen meinte, und er mit
feinen religiöfen und politif hen Anfichten auf prinzipielle Gegner—
ſchaft ſtieß. Man tritt dem Verdienfte von Rankes „Neun
Büchern Preußiſcher Geſchichte“ (1847) nicht zu nahe, wenn
man fie weniger als ein geſchichtliches Werk denn als eine gelehrte
hiſtoriſch-⸗politiſche Parteiſchrift bezeichnet, beftimmt, die alt=
preußiſche Staats: und Geſellſchaftsordnung mit dem abfoluten
Königtum von Gottes Gnaden an der Spige gegen ben ans
drängenden Liberalismus-zu verteidigen. Es fam darin weniger
der über den Parteien ftehende Hiftorifer zu Worte, als viel
I. Die Hauptridtungen ber preußiſchen Geſchichtſchreibung. 5
mehr der Herausgeber der hiftorifch-politifchen Blätter und der
litterarifche Vorkämpfer der preußiſchen Konfervativen.
In fpäteren ruhigeren Zeiten ift das auch Ranke nicht ent=
gangen, und er hat Hand angelegt an die Umgeftaltung eines
Werkes, das, ein Kind gärender Jahre, ſich allzufehr von dem
Boden ausſchließlich wiſſenſchaftlicher Betrachtung entfernt hatte.
Er ſchuf es um zur „Genefis des Preußifchen Staates“ (1874).
Dabei ftand er unter dem Eindrud ber Ereignifle von 1866
und 1870-1871. Auch er konnte fih dem Einfluß nicht ent—
ziehen, den die große Gegenwart auf die Beurteilung der Ver—
gangenheit ausübte, Nicht mehr ber Verteidiger des Altpreußen-
tums und der Lobredner des Abfolutismus führt hier das Wort:
mit Vorliebe geht er jet in der preußiichen Gedichte den
Momenten nad, in denen fih — unbeabfihtigt und unbewußt,
gelegentlih und andeutungsmeife — bie 1866 zum Siege ge=
langte Richtung ſchon früher offenbart hatte. Bereits in dem
werdenden Staat der Hohenzollern zeigt er den Staat der
deutſchen Zukunft, maßvoll und vorfihtig, indem er feinen auf
die Gegenwart ausmündenben Gedankengang mehr anbeutet ala
darlegt und Perfpektiven eröffnet, die jhärfer zu umreißen und
ins einzelne auszuführen er dem Lefer überläßt. Auch bier
waltet alfo eine gewiſſe Hiftorifch-politifche Tendenz, die um fo
mehr Eindrud machte, als fie derjenigen entgegengejegt war,
in deren Dienft Ranfe denfelben Stoff zuerit behandelt hatte.
Ob aber dabei nicht ſelbſt ein biftorifher Genius wie Ranke
Gefahr gelaufen fein ſollte, in der Vergangenheit mehr zu finden,
als thatfählih in ihre war, Anfhauungen und Abſichten, die
nur die Kämpfe der Gegenwart zeitigen konnten, bei Perſonen
zu ſuchen, deren Denken und Handeln in ganz anderen, nur
ihrer Zeit eigenen Momenten wurzelten? Solde Anticipationen
find nicht zu vermeiden, wo man eine geſchichtliche Entwidelung
nicht aus ſich felbft betrachtet, jondern von einem Standpunkte,
den erſt fpätere Ereigniffe ermöglichten, und den Maßftab für
fie dem entnimmt, was erft nad) Durchlaufung anderer Zwiſchen⸗
flufen aus ihr geworben ift. Unwillkürlich ſetzt man dabei das
fpäter Geworbene ala immanent in dem Früheren enthalten
voraus, und ſtatt dem Kettengange von Urſache und Wirkung
6 Ginteitung.
nachzugehen, operiert man mit einem Zmwedbegriff, der bie Ge-
ſchichte unter den Zwang eines teleologiſchen Prinzips ſtellt.
Was Ranke gelegentlich als Geſichtspunkt geltend macht,
von dem aus er lehrreiche Perſpektiven eröffnet und das hiſtoriſche
Verſtändnis fördernde Parallelen zieht, das beherrſcht von An—
fang bis Ende ala leitender Gedanke Johann Guftav Droyſens
„Geſchichte der Preußiſchen Politik“ (1855). Bon den erften
Anfängen des brandenburgiichen Staates an meint Droyien
die Fäden aufweifen zu fönnen, welche die Politik der Hohen:
zollern zu einem im fich geſchloſſenen, ftets auf basfelbe Ziel
gerichteten Syftem verknüpfen, das die Ereigniffe der jüngften
Vergangenheit nicht bloß als den natürlichen, fondern aud) als
den längft gemollten Abſchluß der vorangegangenen Entwidelung
erſcheinen läßt. Bereits in dem Brandenburg ber erſten Hohen-
zollern fieht Droyfen rüdfichtlich ihres Verhältniffes zu Deutfch-
land und ihrer Bedeutung für Deutfchland das verkleinerte
Vorbild des Preußen, das an die Spige Deutſchlands zu treten
berufen war. In Friedrich I. und Albrecht Achilles zeichnet er
Fürften, die ihren Beruf, wenn auch nicht zur Einigung, fo
doch zur Leitung Deutſchlands in ähnlihem Maße erkannt und
zu erfüllen geſucht hätten, wie das ihre legten Nachkommen
erſt wirtſchaftlich, dann militäriſch und ſchließlich politiſch ge
than haben. Dabei aber muß einmal eine Menge von Dingen
in den Kreis der Betrachtung gezogen werden, die eigentlich
hiſtoriſche Bedeutung nicht haben, gelegentlich auftauchende und
gleichſam nur hingeworfene Ideen, um nicht zu ſagen Einfälle,
Anläufe und Verſuche, die keinen Fortgang gehabt haben. Es
muß nicht bloß das Geſchehene und Gethane, ſondern auch das
Gewollte und Geplante behandelt werden, als ob es in die
Wirklichkeit getreten und ein die fernere Entwickelung beein-
fluffendes Hiftorifches Moment geworben wäre, Daher gilt es
nit bloß dem an fi ſchon recht verfchlungenen Weg nachzu=
gehen, den die preußifche Politit verfolgt hat, ſondern auch
allen ben ins Xeere führenden Ab- und Irrwegen und ben ent=
täufhenden Sadgafien, in die fie gelegentlich geraten ift.
Schwerer aber noch wiegt die bei folder Behandlung unver:
meidliche Betonung bes praftifch politifchen Interefies der Gegen:
I. Die Hauptriätungen der preußiſchen Geſchichtſchreibung. 7
wart. Sie drängt einem die Frage auf, ob hier nicht ſchon bie
Formulierung des hiſtoriſchen Problems gegen die Grundgefege
der Geſchichtſchreibung verftoßen hat, indem fie die erft gefuchte
Antwort zum Teil vorwegnahm oder doch die Richtung ſchon
genau bezeichnete, in der die Antwort liegen follte.
Die feurige Lebendigkeit bes Droyſenſchen Geiftes, der
fi in padenden Antithefen bewegende Vortrag, die Weite des
Gefihtskreifes, die patriotifche, nicht bloß preußifche, ſondern
auch deutſche Begeifterung, mit der des Geſchichtſchreibers Herz
den Gegenftand umfaßt und den Lefer zu gleih warmer An:
teilnahme mit fi fortreißt — alles das ſichert dem Lebens-
werke Droyfens einen Ehrenplag in unſerer hiſtoriſchen Lit:
teratur. Aber daß das preußifche, das deutſche Volf darin bie
preußiſche Geſchichte erhalten hätte, deren es bebarf, um feine
Vergangenheit zu verftehen und fi in Gegenwart und Zu—
kunft zurechtzufinden, wird niemand behaupten wollen. Denn
wenn Droyſen vor allem die Momente aufdedt, in denen
Preußens Beruf für Deutſchland offenbart fein fol, fo ift ſchon
damit eine völlig unbefangene Würdigung der Vorzeit er-
ſchwert, ja unmöglich gemadt. Hier liegt die Schwäde von
Droyfens Werk, das, jelbft in den wichtigſten Partien um
fritten, bereit8 manche tiefgreifende Korrektur erfahren hat.
Ihm gerecht zu werben, muß man es als eine nationale po=
litiſche That auffaſſen, weniger einem wiſſenſchaftlichen als einem
politiſchen Bedürfnis entiprungen. Bedenkt man, daß Droyfen
als Schriftführer in dem Verfaſſungsausſchuß des Frankfurter
Parlaments an deſſen Sifyphusarbeit hervorragenden Anteil
gehabt und daher aud das Scheitern folder patriotifchen
Anftrengungen befonders ſchwer zu empfinden hatte, fo darf es
als ein Beweis feltener Ueberzeugungstreue und tapferften
Mannesmutes gelten, daß er bie politiſchen Prinzipien, für die
er in Frankfurt vergeblich geftritten, nun mit den Waffen Hifto-
riſcher Wiſſenſchaft zu vertreten und als einzige Bürgſchaft für
Deutſchlands Zukunft zu erweiſen eilte. Seine Geſchichte der
preußiſchen Politik entiprang unmittelbar aus den politifchen
Kämpfen jener Zeit, weniger als ein gelehrtes Geſchichtswerk
denn als ein Programm preußiſcher deutichnationaler Politik.
8 Einleitung.
Und die mutige That trug ihren Lohn nicht bloß in ſich
ſelbſt. Wenn das Wort von dem Hiſtoriker als rückwärts ge—
wandtem Propheten je bewahrheitet wurde, ſo war das Droyſen
mit dieſem Werke beſchieden, das mehr als auf die Vergangen-
heit auf Gegenwart und Zufunft gerichtet war. Seinen Fort=
gang begleitete die fortjcreitende Erhebung Preußens: in ber
neuen Aera befann es fich auf feinen deutſchen Beruf, in heißem
inneren Kampfe ſchmiedete e8 während ber Konfliktszeit die
Waffen, deren es zu feiner Erfüllung bedurfte, und gelangte
1866 und 1870 in ſchnellem Siegeslauf an das no fo
fern ſcheinende Ziel. Demgegenüber ift e8 zu bedauern, daß
Droyjens Werk, das anfangs jo fnapp und ſachlich und daher
raſch und eindrudsvoll vorwärts ſchritt, durch die Maſſe des
zuftrömenden Materials zu Dimenfionen anwuchs, bie feine
Wirkung auf weitere Kreife beeinträdtigten, da jo der leitende
Gedanke, den es durchführen wollte, allmählich völlig in den
Hintergrund trat. So frankt die umvollendet gebliebene Ge—
ſchichte der preußifchen Politit an einem gewiſſen Widerſpruch
zwiſchen der Aftualität und praktiſch politiichen Tendenz ihres
Anfangs und ihrem breit in die Maſſe der Einzelheiten aus—
laufenden Fortgang.
Ob aber Droyfen, wäre es ihm vergönnt gemejen, fein
Werk, wenn au nur in großen Zügen anbeutend, bis auf
den Abſchluß der Jahre 1866 und 1870 zu führen, in jenen
triumphierenden Ton eingeftimmt hätte, den wir fo oft von
denen anſchlagen hören, die in al dem Großen und Herrlichen
jener Jahre nichts fehen wollen als den vom Schidjal längft
gewollten, gleihfam naturnotwendigen Ausgang einer Ent—
widelung von Jahrhunderten? Gewiß nit! Denn aud als
er es unternahm, den von ihm in fehwerer Zeit vertretenen
politiſchen Standpunkt hiſtoriſch nit bloß als berechtigt,
fondern als denjenigen zu erweifen, den die Logif der Ger
ſchichte als den für Deutſchland gebotenen ergibt, übte er doch,
dur) Fein Parteivogma befangen, an ber Vergangenheit des
Staates, der ihm zu dem Größten berufen war, und an ben
Männern, in deren Hände fie gelegt geweſen war, politiſch
und moralifh eine unnachſichtige Kritik. Denn nit bloß
1. Die Hauptriätungen der preußiſchen Geſchichtſchreibung. 9
belehren wollte er, fondern auch beſſern und durch fein freis
mütiges Aufdeden des Verfehlten und Verſchuldeten ähnliche
Sertümer für die Zukunft abwenden helfen. Das bildet bei
ihm ein ftarfes Gegengewicht gegen den teleologifhen Stand:
punkt.
Wo aber biefes fehlt, tritt die von der teleologifchen Be—
trachtungsweiſe untrennbare Tendenz noch ftärker hervor, und
aus dem Geſchichtſchreiber wird dann leicht ein eifernder Par-
teimann. Gegen feinen von ben neueren Bearbeitern ber
deutſchen und preußiſchen Geſchichte ift diefer Vorwurf lauter
erhoben worden als gegen Heinrich v. Treitſchke. Und wer
möchte behaupten, er fei ganz unbegründet! So ſchwer es ift,
fih dem Zauber der v. Treitſchkeſchen Darftellung zu ent-
ziehen, die durch Patriotismus, hohen fittlihen Eifer und Be—
redſamkeit den Lefer gefangen nimmt, fo gern man ber prak—
tiſch politifchen Weisheit laufcht, mit der das Buch durchſetzt
iſt, und fo dankbar man fi al des Neuen erfreut, das es aus
den Schätzen der Archive zu fpenden hat: — aud den gut
preußifch gefinnten Leſer wandeln gelegentlich doch Zweifel an,
ob die Entwidelung Deutſchlands und Preußens hier nicht allzu=
ehr von dem ausſchließlich preußiſchen Standpunkte aus ger
fehen und fo dargeftellt ift, als ob Preußen eben zu allem be—
rufen, zu allem befähigt und zu allem berechtigt geweſen jei.
Das zu erklären reiht die Einfeitigkfeit des vornehmlich be—
nutzten archivaliſchen Materials nicht aus, Daß ein Autor, der
die neuefte Geſchichte Deutihlands und Preußens auf Grund
preußiſcher Staatspapiere jchreibt, alles mit den Augen feiner
preußiſchen Gemährsmänner fieht, fi mit ihrem Gebanfen-
gange völlig identifiziert und fo ſchließlich unbewußt ein Par-
teigänger Preußens wird, — das wird fi) nad) der Natur ber
Menſchen und der Dinge faum ganz vermeiden laffen. Aber
v. Treitſchke geht nicht felten auch noch darüber hinaus. Auch
in der „Deutſchen Geſchichte im 19. Jahrhundert” (1879) fteht
er ganz auf dem Standpunfte, den er in den fechziger Jahren
in ben heißen Kämpfen um bie Löfung der beutfchen Frage
einnahm. Weniger als Hiftorifer denn als Politiker, weniger
um eine Klare Erkenntnis und gerechte Würdigung ber jüngften
10 Einleitung.
deutſchen Entwidelung anzubahnen, ala um die Berechtigung
und Notwendigfeit des Jahres 1866 zu erweifen, fchreibt er
die deutfche Geſchichte. Daher kommt bei ihm allzuoft ftatt
des unparteiifchen Lehrers für Mit- und Nachwelt der gewaltige
Agitator zu Wort. Durchdrungen von der Unfehlbarkeit feiner
Theſe ftürmt er in hinreißender Rede kampffroh einher, und
indem er die Gegner bald mit den fharfen Pfeilen jeines nie
fehlenden Sarkasmus, bald mit wuchtigen Keulenſchlägen nieder:
ftredt, entwirft er von der deutſchen Geſchichte in unferem Jahr:
hundert ein Bild, das fie als eine fortlaufende Offenbarung
des infallibelen Preußentums erfcheinen läßt. Schon die un:
befangene Würdigung ber politiſchen und litterarifhen Ent=
widelung des nicht preußiſchen Deutſchland ift damit kaum ver-
einbar. Mit Recht ift dagegen namentlih von Süddeutſchland
ber Einſprache erhoben. Rechten Erfolg aber kann dieſer doch
erft haben, wenn nun au von jener Seite die Archive er:
ſchloſſen und aktenmäßige Darlegungen der Eontroverfen Punkte
gegeben werben. Möchte man damit nicht zögern! Gerade bie
preußifhe Gedichte würde davon Gewinn haben. Denn je
länger v. Treitſchkes Darftellung, deren formaler Reiz und
ſachliches Verdienft zufammen mit ihrem begeifterten Preußen-
tum weite Zejerfreife feffelt, in diefen Dingen unwiderſprochen
bleibt und ihre Uebertreibungen zu Gunften Preußens nicht auf
das richtige Maß zurüdgeführt werden, um fo mehr fteht zu
befürchten, daß fie gollends die Herriehaft gewinne und das
Urteil mander aud in den Fragen der Gegenwart befange.
Ein klaſſiſches Denkmal des kühnen Aufihwungs, den das
Preußentum nad langer Erflaffung in dem erneuten Bewußt-
fein feiner Kraft genommen hat, gehört v. Treitfchfes Werk
ale Symptom und zugleih als Produft einer zeitweilig be
rechtigten Richtung heute ſchon felbft in gemiffem Sinne ber
Geihihte an. Darin liegt feine Größe, aber auch feine
Schwäche. Spätere Generationen werben ſich feiner in dank:
barem Genuß erfreuen, nicht wenn fie die deutjche und preu—
ßiſche Geſchichte unferes Jahrhunderts, von allem Zufälligen
gelöft, rein jahlih vor Augen geitellt haben wollen, fon=
dern wenn es gilt ein Bild zu gewinnen von ber Kühnheit
1. Die Hauptrichtungen der preußiſchen Geſchichtſchreibung. 11
und Kampfesfreude, womit in dem heifeften Ringen um bie
nationale Wiedergeburt, getragen von dem Glauben an bie
eigene Unfehlbarkeit das Preußentum fiegesgewiß einher:
ftürmte.
2. Die popnlär-patristifche Tendenzgeſchichtſchreibung.
Der geſchichtliche Unterricht.
Alein freilich fteht v. Treitfchfe damit nit. Nur kommt
diefe Richtung bei ihm am ftärfften zur Geltung, weil er an
Wucht der fahlihen Momente, an rhetoriſchem Schwung und
überzeugungsvollem Eifer allen ihren Vertretern weit überlegen
ift. Denn er kämpft auch hier noch den Kampf gegen die deutſche
Kleinftaaterei, defjen mutige Aufnahme ihm einen Ehrenplag
gefihert hat unter den litterariſchen Bahnbrechern der deutſchen
Einheit unter Preußens Führung. Diefer Kampf aber ift aus:
gekämpft, und die Leidenſchaften, die er entfefleln durfte und
entfelfeln mußte, wenn er anders glüdlih ausgehen jollte,
haben ihr Recht verloren und follen beruhigt fein und bleiben.
Am mwenigften der Geſchichtſchreibung fteht es an, fie wieder
wachzurufen. Dazu aber gehört vor allem, daß fie auch dem
„unterlegenen Teile gerecht werde, auch fein relatives Recht an-
erkenne, bei ihm nicht ſchlechtere Motive vorausfege ala bei
dem Sieger, und ihm namentlich nit die Befugnis abftreite,
für feine ehrliche Ueberzeugung auch feine Mittel und Kräfte
einzufegen. Nur fo werden die ehemaligen Gegner über die
Irrungen ber Vergangenheit fi in einer Weife verftändigen,
bei der fein unbeglichener Reft bleibt. Erſchwert aber wirb das,
wenn ber Teil, zu deſſen Gunften die geſchichtliche Entwidelung
ausging, darin noch nachträglich eine Art von Gottesgericht
fieht und die Vergangenheit fo beleuchtet, daß fein Sieg gleich-
jam als das Vernunftgemäße erfcheint, alles aber, was ihn
hindern folte, wie eine Auflehnung gegen den Willen des
Schickſals.
In dieſen Fehler aber verfallen die populären Darſtellungen
der preußiſchen Geſchichte nur allzu häufig. Da erſcheint dieſe
als mit einer zwingenden Logik von jeher gerichtet auf die
12 Einleitung.
Einigung Deutſchlands durch Preußen als ihr notwendiges Er-
gebnis, fo daß die preußiſche Politif nie ein anderes Biel im
Auge gehabt hätte, als die Wohlfahrt Geſamtdeutſchlands und
die Interefien Preußens immer mit denen des übrigen Deutjch-
lands zufammengefallen wären. Ja felbft die Zeiten, mo Preußen
erwiejenermaßen eine entſchieden undeutſche Politik verfolgt
bat, werden mit dieſem teleologifhen Syſtem in Einklang ge:
bracht, indem man fie zu Lehrzeiten madjt, durch die Preußen
hindurchgehen mußte, um durch Schaden Flug und feines Berufs
für Deutſchland vollends bewußt zu werden. Diefe Betrahtungs-
weiſe verfchiebt den Standpunkt der hiſtoriſch-politiſchen Be—
urteilung natürlich aud den einzelnen gefhichtlihen Momenten
gegenüber, da fie wichtige Entſcheidungen nicht aus der nüdj-
ternen Erwägung von Preußens Vorteil herzuleiten liebt, ſon—
dern aus der vermeintlihen Sorge für Deutſchlands Zukunft,
die jenen Zeiten und Perfonen fremd war. So lehrt z. B. die
Ianbläufige Darftellung der Freiheitöfriege, wie jehr dieſe teleo-
logiſche Betrachtungsweiſe durch Anwendung politifcher Geſichts-
punkte, die erft einer fpäteren Zeit angehören, bie Ueber:
lieferung mit legendaren Elementen durchſetzt. Nicht bloß die
auswärtige, namentlich die deutſche Politik Preußens, auch
feine innere Entwidelung hat man fo teleologifh behandelt,
Man fann die Bedeutung, die Preußen durch den Fonfequenten
Ausbau feines Staates für die Entwidelung des ftaatlien
Lebens in Deutſchland überhaupt erlangt hat, fehr hoch an—
ſchlagen und bie frühe Vollkommenheit dieſes Staatsweſens mit
feinem pflichttreuen Beamtentum, feiner gemiflenhaften Finanz
und feinem unübertroffenen Heere als in ihrer Art einzig be=
wundern — und wird darin doch nit Beweiſe dafür finden
wollen, daß Preußen von Anfang an einen bejonderen Beruf
gehabt und troß gelegentliher, mehr ſcheinbarer als wirklicher
Abirrung von dem dadurch vorgezeidhneten Pfade alle Zeit in
der fortſchreitenden Erfüllung desfelben begriffen geweſen fei.
Aus einem Menſchenwerk, au dem, ſich ablöfend zwar, aber
doch nicht immer fi ergänzend und planvol ineinander ars
beitend, Generationen geſchafft haben, macht man jo auch hier
die fortſchreitende Entfaltung eines gewiflermaßen durch Prä-
I Die Hauptrichtungen ber preußifhen Geſchichtſchreibung. 13
deftination feftitehenden Planes, defien ſchließliche Verwirklichung
fein menſchliches Irren und Fehlen in Frage ftellen konnte.
Nun erheben wir Deutſchen gegen andere Völker jo leicht
den Vorwurf der Selbſtüberſchätzung: verfallen wir aber nicht
in benjelben Fehler, wenn wir uns und andere glauben machen
wollen, daß ein Teil unferer Nation, und zwar ein folder, der,
urfprüngli ohne innere Einheit, im Laufe einer langen Ent:
widelung Bruchſtücke der verſchiedenſten deutſchen Stämme in
fi) vereinigte und daher viel mehr als die Verförperung eines
politifhen Begriffs denn als ein ethnologiſches Ganzes erſcheint,
vor den anderen gleihjam auserwählt, und daß aus feinen
Händen ihr Geſchick entgegenzunehmen den anderen von An-
fang an beftimmt gemejen jei? Wenn dem gegenüber befonders
bei den Stämmen bes Sübens, welche die Entwidelung Deutſch-
lands getragen haben, lange bevor aud nur die Elemente des
fpäteren preußif—hen Staates zufammengefügt waren, gelegent-
lich eine gewiſſe Empfinblichfeit laut wurde und ſich zu einer
antipreußiſchen Stimmung verdidhtete, fo war das doch nur
eine natürliche Reaktion gegen bie Art, wie jener Glaube an
den bejonderen Beruf, den Vorzug und das Vorrecht des
Preußentums von anderer Seite als ein Moment fogar ber
praktiſch politifhen Argumentation geltend gemadt murbe.
on der populären Geſchichtſchreibung in allen Tonarten variiert,
ſchlug diefer Glaube zum Teil im preußifchen Volke ſelbſt Wurzel,
wurde für mande fogar ein Dogma, das fie mit dem Gewicht
eines ſolchen in den politifhen Kontroverjen der Gegenwart
geltend machten. Daß dadurch hier und da gegen Preußen
herrſchende Antipathien nit überwunden wurden, liegt auf der
Hand: man liefert ihnen damit nur neue Waffen.
Neuerdings ift in diefer Richtung nun gar ein bedeutender
Schritt vorwärts gethan und die teleologijhe Behandlungsmweife
der preußiſchen Gedichte auf dem Wege zu allgemeiner Herr-
ſchaft, feit die Autorität des preußifhen Staates für fie ein-
tritt. Denn darauf läuft die Neugeftaltung bes hiſtoriſchen
Unterrits hinaus, welche die antihumaniſtiſche Reform bes
höheren Schulweſens von 1892 in Preußen mit fi gebracht
hat. Sie geht geradezu darauf aus, ſchon das heranwachjende
14 Einleitung.
Geſchlecht mit jener unhiſtoriſchen Auffaffung der preußiſchen
Geſchichte zu durchdringen, nad) der diefe nichts fein ſoll als
die Evolution einer dem preußifhen Staate immanenten Be—
fiimmung, und mit dem Glauben an den darin beruhenden
Vorzug Preußens zu erfüllen. Dazu wird entgegen dem Weſen
der Geſchichte und der erften Prinzipien aller geſchichtlichen Er-
kenntnis der geſchichtliche Unterricht mit der Gegenwart begonnen.
Von ihrer Herrlichkeit, deren die Jugend fich ftolz freuen fol,
wird mit der Frage, wie und dur wen denn all das Große
geworben, der neumodiſche Krebsgang ber gefchichtlichen Be—
trachtung angetreten. Muß da nicht ſchon die Faſſung der Frage
dahin führen, daß aus der Vergangenheit, die es dem kindlichen
Verftändnis zu erſchließen gilt, vorzugsweife die Thatſachen er-
wähnt, die Berfönlichkeiten geſchildert werden, die zur Schaffung
diefer herrlichen Gegenwart beigetragen haben? Und mit ber
gleihen Voreingenommenheit und Einfeitigfeit geht es dann auf
den oberen Stufen weiter: d. h. es werden vorzugsweiſe bie
Momente aus der Vergangenheit zur Geltung gebradht, die jene
konventionelle Auffaſſung der preußifchen Geſchichte als zutreffend
erweifen. Wird damit nicht der Unterricht ſowohl in feiner
wiſſenſchaftlichen Grundlage, als auch in feinem wiſſenſchaft⸗
lichen Ernſt und ſeinem wiſſenſchaftlichen Erfolge gefährdet?
Denn bei einem ſolchen Verfahren leiſtet man Verzicht auf das
höchſte wiſſenſchaftliche Prinzip, die Erkenntnis der Wahrheit.
Ja, ein derartiger hiftorifcher Eklektizismus, aus teleologiſcher
Voreingenommenheit entiprungen, ftreift hart an bemußte Schön
färberei und enthält eine Gefahr, die den fo ftarf betonten
Vorteil einer planmäßigen Stärfung des Nationalgefühls und
der Vaterlandsliebe bei der Jugend ſchließlich mehr als auf-
wiegen bürfte. Denn wenn erſt etliche Generationen dieje Art
von Geihiätsunterriht empfangen haben, wird die Mehrheit
der gebildeten Preußen von ber Vergangenheit ihres DBater-
landes eine Vorftellung haben, die fi nur wenig von ber
unterſcheidet, welche die fo viel getadelte Eitelfeit der Fran-
zofen fih ehemals von der ihrigen zurecht gemacht hatte.
Auch verzichtet eine ſolche Behandlung der vaterländifchen
Gefhihte auf die Benugung gerade der Momente aus ber
I. Die Hauptrigtungen der preußiſchen Geſchichtſchreibung. 15
Vergangenheit, bie für die fittlide Ausbildung der Jugend und
der ganzen Nation befonders wertvoll find. Wenn ein Volk zu
dem Glauben gewöhnt wird, es fei vor anderen berufen und
vom Geſchick begünftigt, To entwöhnt es fi) bald jener that-
kräftigen und pflichttreuen Auffaffung des Lebens und der von
ihm geftellten Ansprüche, die ber zu haben pflegt, der ſich be—
mußt ift, fein Leben jeben Tag erft von neuem gewinnen zu
müflen. Nur allzu leicht wird es forglos dem Genuffe bes
Erreichten leben, ftatt in ausbauernder Selbſtzucht fein Streben
auf immer höhere Ziele zu richten. Inſofern wird jene Be—
handlung der vaterländiſchen Geſchichte, wenn fie nicht mehr
eine litterarifche Erſcheinung ift, fondern ein ftaatlidh aner-
fanntes und ſtaatlich angewandtes Moment ber nationalen Er:
ziehung und Bildung wird, geradezu eine nationale Gefahr.
Die jüngeren Generationen, welche die Vergangenheit allein
unter diefem Geſichtswinkel fehen lernen, werben zu einer irrigen
Wertſchätzung berfelben verleitet, die au ihre Stellung zur
Gegenwart und ihre Erwartungen von ber Zufunft beein—
trächtigt. Entgeht ihnen damit doch einer der wirkfamften
Impulfe zu eigenem pflihtmäßigen Handeln. Es genügt auch
dafür an die Erfahrungen zu erinnern, welche die Franzofen
gemacht haben. Der entſchloſſene Brud mit dem bisherigen
Syftem der Schmeichelei gegen die nationale Eitelkeit, als deſſen
vornehmfter und unheilvollſter Vertreter Thiers mit feiner plan⸗
mäßigen Fälfhung der Geſchichte erſcheint, war zweifellos eine
der bezeichnendften und fegensreichiten Wirkungen, welche bas
nationale Unglüd des Jahres 1870—1871 auf die Franzojen
ausgeübt hat: denn fie fam unmittelbar der Volksmoral zu gute,
Treiben wir jegt nit einer ähnlichen Gefahr entgegen?
Denn man wird doch wohl annehmen dürfen, daß die für den
Geſchichtsunterricht auf den preußifchen höheren Schulen als
leitend anerkannten Geſichtspunkte diefelben find, welche in den
für den Unterricht der fünftigen Offiziere beftimmten Grund»
riſſen entwicelt worden find. Wohl hat es nit an Stimmen
gefehlt, die mit ernfter Warnung auf dieſe bedenkliche Seite
der jüngften Unterrichtsreform hinwiefen. Aud hat die hiftorifche
Wiſſenſchaft laut Einſprache erhoben gegen zine Methode, bie
16 Einfeitung.
trog aller fünftliden Wendungen mit dem oberften Geſetz aller
Geſchichte, der Wahrheit, in Konflikt geraten muß. Aber wie
man feiner Zeit jene folgenſchweren Neuerungen beſchloß, ohne
— im Gegenjag zu dem bei allen anderen Wiſſenſchaften be:
obachteten Verfahren — aud) nur einen einzigen der berufenen
Vertreter der Geſchichtswiſſenſchaft zu hören, fo find auch jene
Verwahrungen und Mahnungen ungehört verhalt.
In einem gewiſſen Grade freilih ijt die Gefahr teleo-
logiſcher Voreingenommenheit und patriotifcher Mebertreibung
mit allem Unterricht in vaterländifcher Geſchichte verbunden.
Aber durch) die offizielle Anerkennung der erfteren und die mittel-
bare Empfehlung ber legteren ift fie für die Behandlung ber
vaterlänbifhen Geſchichte auf den preußiſchen Schulen wefentlich
gefteigert. Weniger wohl als die Darftelung der Thatſachen
und Verhältniffe wird darunter zunädft bie der hiftorifchen
BVerfönlickeiten zu leiden haben, an melde die geſchichtliche
Wahrheit verhüllende oder entſtellende legendare Züge ſich ohne—
bin fo gern anheften. Gewiſſe Schranken werben der Mit:
teilung der vollen hiſtoriſchen Wahrheit im Unterricht immer
gezogen werden, einmal durch die ſchuldige Pietät, dann durch
die Rückſicht auf die Jugend ſelbſt. Jetzt aber fteht zu befürchten,
daß ftatt mit geſchichtlich möglichſt ähnlichen Porträts unfere
Vergangenheit mit lauter bealfiguren bevölfert werde. Am
meiften bürfte das natürlich) in betreff der Herricher felbft der
Fall fein, die bei folder Behandlung nur allzu leicht zu weſen—
lofen Schemen werben. Als Verkörperungen mehr oder minder
aller menſchlichen Volfommenheiten und als Träger von Ein:
lichten und Abfihten, mit denen fie ihrer Zeit weit voraus—
geeilt fein follen, werben fie von dem Boden gänzlich gelöft,
in dem fie wurzelten, ber ihr Handeln und ihre Erfolge be—
dingte und ohne den auch ihr geſchichtliches Verſtändnis nicht
möglich if. Sollten aber einer jolhen panegyriſchen Gejdichts-
behandlung gegenüber dem Knaben und Jüngling nicht allerlei
Zweifel auffteigen? Die moderne Jugend, auf die früheren
Geſchlechtern unbefannte Faktoren in Menge vorzeitig aufklärend
einwirken, ijt zu gläubiger Auf und Annahme von dergleichen
nit naiv genug. Sie wird ſich ihre bejonderen Gedanken
I. Die Hauptrichtungen ber preußiihen Geſchichtſchreibung. 17
machen, wenn fie eine Reihe von Herrſchern vorgeführt erhält,
die, von dem erften und älteften bis hin zu dem, ben fie felbft
als ihren König verehrten, alle auf das gleiche Ziel Hingeftrebt,
ale ebenfo ehr deutfche wie preußifche Patrioten und womög⸗
lich ebenfo- gute Diplomaten wie Adminiftratoren und Sol:
daten gemefen fein follen. Geht dabei nicht gerade das In—
tereffantefte verloren, das, was die Jugend am meiften padt,
der Reiz einer ſcharf ausgeprägten Perfönlichkeit mit ihren
hervorragenden Eigenſchaften jo gut wie mit ihren Schwächen?
Wenn der Geſchichtsunterricht beſondere Zwecke, die außerhalb
ſeines in der Wiſſenſchaft bedingten Weſens liegen, ſo wenig
wie irgend ein anderer richtig gegebener Unterricht verfolgen
ſoll und, thut er es dennoch, zum voraus auf den vor allem
erſtrebenswerten Erfolg verzichtet, To wird auch bie ihm auf:
gebrungene patriotifhe Tendenz, zumal fie auf ganz beftimmte
foziale und politifhe Kontroverfen der Gegenwart zugeipigt ift,
nit nur die erwartete Wirkung nicht ausüben, fondern bei
manden Schülern Strupel und Zweifel erweden, mande wohl
gar in einer Richtung anregen, bie der gewünfchten gerabe
entgegengefegt ift.
3. Das perfönlidre Moment in der Geſchichte.
Mit gutem Grunde hat man ehemals auch in Preußen
den geſchichtlichen Unterricht mit dem Altertum begonnen. Die
Einfachheit und Klarheit der politiihen und geſellſchaftlichen
Verhältniffe, um die es fi) da handelt, und der Reiz, den die
feft in ſich geſchloſſenen und ſcharf ausgeprägten Perſönlich-
feiten ber griechiſchen und römifhen Gedichte immer von
neuem auf das jugenblie Gemüt ausüben, läßt gerade dieſen
Stoff auch heute noch als vorzugsweiſe geeignet erfcheinen, um
erft Luft und Interejje, dann Sinn und Verftändnis für ges
Thichtlihe Betrachtung zu erweden. Die heute beliebte Art
verzitet dagegen darauf, eine SaiteYanzufhlagen, die bei
Knaben und ZJünglingen befonders leicht und vol wibertönt.
Und doch läge gerade darin ein befonders wirffames Gegengift
gegen den begeifterungslofen Skeptizismus und Veſſimiamus,
Beus, Preubiige Geſchicte I.
18 Einleitung.
denen ein Teil unferer Jugend nur allzufrüh verfällt und
der es unmöglid macht, bei Beginn bes hiftorifhen Unter:
richts mit der. Gegenwart zu wirklich objeftiver Betrachtung
von Menjhen und Dingen früherer Zeiten zu gelangen.
Auch heute noch wird der jugendliche Geift am leichteften
vom Altertum aus, das, in ſich abgeichlofien, auch aus
ſich ſelbſt verftändlih ift, den Menſchen als Träger der Ge—
ſchichte begreifen lernen, in feiner trog ſcheinbarer Selbftänbig-
feit vielfachen Bedingtheit, feinem Streben und Irren, jeiner
Größe und feiner Schwäde. Statt deſſen ftelt der Beginn
mit der Gegenwart und bie vorgefchriebene patriotifhe Tendenz
auch die großen Männer der preußifchen Vergangenheit unter
den Zwang der leidigen teleologiſchen Betrachtungsweiſe. Für
unbefangene Gemüter können fie dabei aber doch kaum gewinnen.
Denn ein Fürft, der mit feinem Thun und Laſſen einer ver—
meintlihen Vorherbeftimmung feines Staates dient, führt doch
nur als Werkzeug aus, was eine höhere Macht feſtgeſetzt hat.
Er ift nicht in dem Maße um den Erfolg verdient und für
das Miplingen verantwortlich wie ber, ber feiner Zeit zuerft
ein neues Ziel fledt, in ihr den Willen und die Kraft erwedt,
danach zu fireben und diefe zur glüdlichen Erreichung ftärft und
leitet. So mindert die teleologijche Betrachtungsweiſe der preus
Bilden Geſchichte gerade die DVerdienfte, die befonders hervor:
gehoben und der Jugend zu patriotifher Erbauung vor Augen
gejtellt werben follen.
Am wenigften follte man die Hohenzollern jo behandeln.
Sie bedürfen nicht eines jo flach panegyriſchen Tones: ihr
Wirken braucht nit an einem verwaſchenen Fürftenideal ge
meſſen zu werden, um vor Mit: und Nachwelt zu bejtchen.
Vielmehr können fie recht begriffen und gewürdigt werden nur
aus ihrer befonderen, menſchliche Größe und menſchliche Bes
ihränftheit eigenartig miſchenden Individualität und deren
Wechſelwirkung mit den realen Verhältniffen, die ihnen ihr
Staat mit feinen Bebürfniffen und den biefen entjpringenden
Aufgaben darbot. Gerade die größten Männer, aud wenn fie
Throne einnehmen und die Schidjale von Völkern in ihre
Hand gelegt wiſſen, find fi) der Bedingtheit ihres Willens,
1. Die Hauptrihtungen der preußiſchen Geſchichtſchreibung. 19
der Schranken ihres Könnens und der Mangelhaftigfeit ihres
Thuns am meiften bewußt. Man foll fie deshalb nicht als
Heroen auffallen und nicht alles, was unter ihnen geleitet ift,
als ihr perjönliches Werk darftellen. Im Gegenteil wird man
ihnen um fo mehr gerecht werben, ſie menſchlich um jo befler be=
greifen und dann auch den Herzen der Nachlebenden und nament⸗
li der Jugend um jo näher bringen, je mehr man fie ala
Menſchen betrachtet und fie au auf dem Throne in ihrer
menſchlichen Eigenart gelten läßt. Dann wird aud, was fie
geleiftet, recht zur Geltung fommen und nad) Urjprung und
Wert voll gewürdigt werden. Auch die Nachwelt wird dann zu
ihnen ein fozufagen perjönliches Verhältnis gewinnen. Die
Pflege des Patriotismus aber wird ſich auf diefem Wege ganz
ungeſucht ergeben, ficherer und wirkſamer als durch eine Ber
handlung der vaterländiſchen Gedichte, die der Gefahr eines
gewiſſen Byzantinismus eigentlid dauernd ausgejegt ift.
Aber auch) das entgegengejegte Extrem gilt es zu vermeiden.
Gewiß joll man jelbft den größten Herrſcher nicht gelöft wähnen
oder der Jugend darftellen als gelöft von den allem Menſch-
lihen anhaftenden Schwächen und Beſchränktheiten, nicht aus
übertriebenem Patriotismus den Glauben auffommen lafjen,
ausichließlih aus der eigenen Kraft habe ein jolder fein und
feines Volkes Schidjal geſchmiedet. Vielmehr wird man den
Schlüfiel zu jeinem vollen Verftändnis und den Maßftab zu
feiner gerechten Würdigung finden in einer Haren Einficht in
die Art, wie jeine Individualität durch die ihm geſchichtlich
gegebenen, unabhängig von ihm gewordenen Verhältniffe feiner
Zeit beeinflußt worden ift und mie fie dann wiederum von
ſich aus beſtimmend auf deren Geftaltung eingewirkt hat. Doch
ift auch eine Unterjhägung des perjönlihen Moments in der
Geſchichte möglich und heutigentags üblih. Auch das hängt zu:
ſammen mit gewiffen Erfeinungen in dem geiftigen und fitt=
lichen Leben unjerer Zeit.
Nicht ohne Sorge wird man beobachten, wie die Jugend
unferer Tage, die für das nächfte Menfchenalter zur Trägerin
der deutſchen Zufunft berufen ift, fich äußerlich und innerlich
einer gewiſſen Schablonenhaftigkeit befleißigt und alles ver-
20 Einleitung.
meidet, was in dem Einzelnen eine ſcharf ausgeprägte Perſön—
lichkeit mit einer in feiten Prinzipien wurzelnden Weberzeugung,
dem daraus entipringenden Mut der eigenen Meinung und der
diefe zu bethätigen geneigten Kraft eines eigenen Willens ver-
muten laſſen könnte. Gewiß fol die Jugend nit, wie zur
Zeit des Tranfenden nationalen Lebens, berufen zu fein glauben,
von fi aus auf ihre Zeit beftimmend einzumwirfen. Aber fie
ſoll auch nicht genug gethan zu haben wähnen, wenn fie fi unter—
ſchiedslos zu williger Aufnahme und Vertretung jeder augenblid-
lich von den maßgebenden Autoritäten gebilligten Richtung her=
gibt und dieſe als die bewegende Kraft in dem hiſtoriſchen
Leben gelten läßt. Seit zuerft Gervinus in ber von ihm ver:
fündigten demokratiſchen Geſchichtsphiloſophie behauptet hat,
im Gegenfag zu den vergangenen Jahrhunderten, in denen bie
Weltgeſchichte fih durch die Wechſelwirkung großer Perfönlich:
feiten und der allgemeinen Zuftände fortgebildet habe, werde
fie im 19. Jahrhundert ohne die Macht des Genius, allein
durch die Meinungen und Leidenſchaften der Maſſe bemegt,
hat man ſich vielfach gewöhnt, in den von den Maſſen ge:
tragenen Erſcheinungen, wie ſie ſchließlich am ſicherſten die
Statiftif fefthält und zum Ausdrud bringt, die lebendigen Mo:
mente der geſchichtlichen Entwidelung zu ſehen und geht mit
Vorliebe den wirtſchaftlichen und geſellſchaftlichen Richtungen
und Strömungen nad, in denen fie fi der hiſtoriſchen Ber
trachtung darftellen. Bon fih aus aber haben Richtungen und
Strömungen derart niemals Geſchichte gemacht: Männer be
herrſchen den Lauf der Zeiten, Männer find es, bie entweder
allmählich entitandene Strömungen vermöge ber Gewalt ihrer
ftarfen Individualität zu geſchichtlich wirkſamen Mächten erheben
oder durch die Fülle der von ihnen ausgehenden Anregungen
erſt hervorrufen und -in Fluß bringen.
Auch bei der modernen deutſchen Geſchichtſchreibung ift
diefe alte Wahrheit allzufehr in Vergefienheit geraten. Im
Einflange einerjeits mit jener Neigung, die individuelle Ber
fonderheit, welche die in ſich beruhende und ihr Recht fordernde
Perſonlichkeit zum Ausdrud bringt, möglichft zurüdtreten zu
laſſen und andererfeits unter dem Einfluß, den neuerdings die
1. Die Hauptrichtungen der preußif—en Geſchichtſchreibung. 21
wirtſchaftlichen Fragen auf das öffentliche Leben ausüben, fieht
man die vornehmfte Aufgabe der Geſchichtswiſſenſchaft vielfach
in der Erforfhung und Darftellung jener allgemeinen wirt:
ſchaftlichen Verhältnifie, An die Stelle des perfönlichen Mo—
ments, durch das große Männer für das geſchichtliche Leben
der Völker entſcheidend geworden find, ſetzt man wirtſchaftliche
Bewegungen und geiftige Strömungen, die doch, wenn fie nicht
von einer ftarfen, ihnen Geltung zu verſchaffen geeigneten Per-
fönlichkeit getragen werden, immer nur Begleiterjcheinungen,
nie jelbftändige Trägerinnen neuen geſchichtlichen Lebens fein
werden. Daraus ift dann weiterhin die Forderung erwachſen,
die Geſchichte folle fih weniger mit dem Staat und feinem
Leben als mit der wirtſchaftlichen Kultur beſchäftigen: ftatt mit
der Politik wird die Geſchichte mit der Nationalökonomie
ſchweſterlich zuſammengefügt. Niemand wird die Bedeutung in
Zweifel ziehen, die der Erkenntnis des wirtſchaftlichen Lebens
der Vergangenheit für deren volle Neubelebung gebührt. Aber
fie betrifft doch immer nur eine Seite der Entwidelung: fie
bahnt den Weg zum Verſtändnis der wirtſchaftlich bedingten
geſellſchaftlichen Verhältniffe, und auf diefer zwiefahen Grund:
lage gilt e& dann die Ergründung und Veranſchaulichung der
Wandlungen des ſtaatlichen Lebens als die eigentlich hiftorifhe
Aufgabe. Dem gegenüber verfällt die moderne wirtſchaftsgeſchicht-
liche Richtung in den Fehler, daß fie einer lange Zeit un—
gebührlich vernadjläfligten Seite nun eine allzu hohe Bedeutung
beimißt, und was für die Darftellung bes ftaatlihen Lebens
der Vergangenheit den Hintergrund abgeben foll, in breiter
Ausführung jelbft zum Gemälde ausgeftaltet. Damit verliert
fie fi) in das Gebiet der Abftraftionen und läßt den Menfchen,
der doch zuerft und zulegt ber Träger der Geſchichte if, un—
gebührlich zurüdtreten gegen die materiellen Verhältnifie. Gewiß
wirken auch dieſe auf die Geftaltung und die Schidjale der
fittliden und geiftigen Gemeinfhaften ein, aber fie geben dabei
doch für den Einzelnen jo wenig wie für die Gefamtheit den
Ausfhlag. Noch weniger aber ftellen fie das Unvergängliche
in der geſchichtlichen Entwidelung dar und find daher auch nicht
geeignet, ben ibeellen Gewinn zu vermitteln, den die Beichäf-
22 Einleitung.
tigung mit ihr den Nachlebenden gewähren jol. Im Gegenjag
zu biefer Auflöfung oder Verflüchtigung der Geſchichte in un:
perfönliche Richtungen ift es für jeden ein fo natürliches, weil
piyhologiich begründetes Bedürfnis, die Männer, in denen er
die Träger einer großen geſchichtlichen Vergangenheit, oft die
Schöpfer der ihn umgebenden Verhältnifie erblidt, in ihrer
geiftigen und fittlihen Individualität und der durch fie be—
dingten perfönlichen Eigenart ihres Handelns vor Augen geftellt
zu haben. Heute haben wir deutſche Geſchichten, mo die Helden
der Vorzeit, die, oft von Lied und Sage verherrlicht, als ſcharf
ausgeprägte Charafterföpfe in der Tradition fortleben, kaum
genannt oder doch nur wie im Vorbeigehn erwähnt werben, fo
daß fie, die ala die bemußten Vorkämpfer oder als entſchloſſene
Gegner neuer Ideen in perjönlihem Handeln den Lauf der
‚Zeiten beherrſcht Haben, nad) Art eines aufihäumenden Wellchens
ſich faum über al die Millionen und aber Millionen erheben,
die mit ihnen gemeinfam der angeblich) nur von dem Geje ber
wirtſchaftlichen Schwerkraft beherrfchte Strom des geſchichtlichen
Xebens willenlos mit fi fortführte. Diefe Art der Geſchicht⸗
ſchreibung verzichtet auf die Geltendmachung gerade derjenigen
Momente, die den Lefer am lebhafteften in die Vergangenheit
verfegen und ihm für fie einen Anteil nicht bloß des Verftandes,
fondern des Herzens abgewinnen. Nirgends aber jheint ein
ſolcher Verzicht weniger angebracht ala bei der preußifchen Ge—
ſchichte, denn ganz bejonders laut und nachdrücklich verkündet
gerade fie die große Wahrheit, daß Männer den Lauf der Zeiten
beherrſchen.
Dieſe große Wahrheit von neuem zur Geltung zu bringen,
ihrer Bethätigung, in der ſie auf jedem Blatt von neuem ver—
kündenden preußiſchen Geſchichte nachzugehen und dadurch in
etwas dazu beizutragen, daß ſie ſich auch in der Zukunft Preußens
ſiegreich bethätige, damit es Preußen niemals an den Männern
fehle, deren es bedarf, um den Lauf der Zeiten auch ferner zu
beherrſchen — das iſt eine der Aufgaben, in deren wenn auch
unvollkommener Löſung der nachfolgende Verſuch einer preu—
ßiſchen Geſchichte ſeine Berechtigung zu finden hofft.
II. Die Legende in der preußiſchen Geſchichte. 23
U. Die Tegende in der preußiſchen Gefchichte.
Wenn bemnad) daran feitzuhalten ift, daß die preußiiche
Geſchichte nicht mit einem anderen Maße gemefjen werden darf,
wie die jedes anderen Volkes, fondern unter den für bie Ent-
widelung aller Völker geltenden Geſetzen fteht, fo knüpft fi
ein bejonderes Jntereffe an die Zuthaten und Ausfhmüdungen,
welche durch die früh zur Geltung gelangte Vorftelung von
einem bejonderen Berufe Preußens in fie hineingetragen find.
So jehr die Forſchung unfere Kenntnis der Thatſachen
und Zuftände berichtigt und vertieft hat: man kann nicht jagen,
daß eine planmäßige Säuberung ber Tradition von der fie
durchſetzenden Legende bereits in Angriff genommen wäre. Ya,
die bisher gewonnenen Ergebniffe find nur zu einem Meinen
Teil Gemeingut auch nur der Gebildeten geworden. Man
fträubt ſich vielfach gegen ihre An: und Aufnahme. Das Volk
gibt ihm lieb gewordene Vorftellungen nicht leicht auf, mögen
fie auch längft als hiſtoriſch unhaltbar erwiefen fein. Won denen
aber, welche die Errungenfhaften der Forſchung zum Gemein-
gut der Gebildeten zu maden berufen find, tragen mande
Bedenken, dem Volke feine überfommenen Vorftellungen zu
nehmen, und halten fi für verpflichtet, es wenigftens auf
diefem Gebiete vor einer Zmeifel veranlafienden Kritik zu be:
wahren.
Auch befigt diefe Legende ja einen gewiſſen Wert, infofern
fie zeigt, wie ein Volk feine Vergangenheit auffaßt, beurteilt
und ſich zurecht legt. Cie enthält gewiſſermaßen jelbft ein
Stüd feiner Geſchichte, fpiegelt eine gewilje Seite feines Seelen—
Tebens wieder und zeigt in ihrer wechſelnden Geftaltung, wie
es zu verſchiedenen Zeiten dachte und fühlte. Won diefem Ge—
fihtspuntt aus kann man die Legende aud als eine Quelle
hiſtoriſcher Erkenntnis bezeichnen, freilich nicht der Thatſachen,
fondern der Stimmungen: fie hat ein ausſchließlich oder doch
überwiegend völferpfychologifches Interefie, und es verlohnt ſich
daher, fie nad) ihrer Bedeutung für die preußiſche Geſchichte
einheitlich zu behandeln und die Momente darzulegen, die für
24 Einleitung.
die Kenntnis ihres Weſens und bie Beurteilung ihres Wertes
bejonders in Betracht fommen.
Die Erfahrung lehrt, daß jedes Volk aus feiner Ver:
gangenheit mit Vorliebe die Zeiten und bie Greignifje be—
tradhtet, die ihm Glüd und Ruhm gebracht. Von den trüben
Partien feiner Geſchichte wird es meniger angezogen. Nur in
der Sorge vor drohender Heimſuchung oder auch erft nad) neuen
Schickſalsſchlägen wendet es ſich den Zeiten früheren Unglücks
zu, um aus der Erkenntnis von defien Urfahen Sicherung für
die Zukunft zu gewinnen. Erlebt doch in verfleinertem Maß:
ftabe jeder einzelne Menſch ähnliches. Auch ift e8 eine glüdliche
Mitgift, daß in der Erinnerung bie trüben Zeiten, fo ſchwer
wir unter ihnen gelitten haben mögen, uns nicht bloß fürzer,
fondern auch weniger trübe erfcheinen, die Tage bes Glüds
aber noch lichter und glänzender, als fie in Wahrheit geweſen.
Aber während der Einzelne ſich feine Vergangenheit ruhig von
einer beglüdend trügerijchen Erinnerung verflären laſſen mag,
wird ein großes Volf diefer Neigung nicht ungeftraft nachgeben.
Werden unter ihrem Einfluß dod nicht bloß einzelne Hiftorifche
Momente gefärbt oder umgebichtet, fondern große, über die
Lebensſphäre des einen Volfes hinaus wichtige Ereignisreihen
zuweilen geradezu wahrheitswidrig umgeftaltet. Was hat Franf-
reich in dieſer Art an der Geſchichte der Revolution und bes
Kaiſerreiches erlebt! Der wiſſenſchaftlichen Arbeit eines Men:
ſchenalters und der Kataftrophe von 1870 hat es beburft, um
den trügerifchen Prachtbau zu zertrümmern, den auf folhem
Grunde Thiers’ Lügenluft nationaler Eitelkeit zuliebe aufgeführt
hatte.
Nicht entfernt jo ſchlimme, aber ähnliche Erſcheinungen
weift die geſchichtliche Weberlieferung eines jeden Volkes auf,
und es ift die nicht immer banfbare Aufgabe der Geſchichts—
forfhung, fie aufzudeden und zu befeitigen. Denn nur dann
wird die Vergangenheit Lehrerin und Erzieherin der Nachwelt
fein, wenn fie von diefer gefehen wird, wie fie wirklich war,
und nit, wie dieſe fie um ihrer eigenen Intereſſen willen
hätte geftaltet haben mögen. Nicht von dem Standpunkte aus,
den wir im Zufammenhang des fortſchreitenden Biftorifchen
I. Die Legende in ber preußiihen Gefchichte. 25
Lebens einnehmen, jollen wir die Vergangenheit auffafjen:
recht verftehen wird fie nur, wer fie ohne Rüdfiht auf die
Folgezeit in ihrem in ſich jelbft bedingten und auf fich ſelbſt
gerichteten Leben zu erfaflen weiß. Hier liegt alle Zeit das
eigentliche hiftorifhe Problem, das nur in ihrem Zufammen-
wirken biftorifche Methode und Hiftoriiche Kunft zu löfen ver:
mögen.
Die volfstümlide Geſchichtsbetrachtung Hält fih damit
nit lange auf. Sie legt fi die Vergangenheit zurecht nach
den Intereſſen der Gegenwart und greift daraus mit Vorliebe
gerade diejenigen Momente heraus, mo fie, wenn aud) nur ver-
möge einer Umdichtung des geſchichtlich Gegebenen, ihre eigenen
Gefühle, Hoffnung und Furcht, Haß und Liebe, fich ſelbſt recht
verftändlih zum Ausdrud bringen kann. Die Neigung dazu
aber wird um fo ftärfer fein, je lebendiger ein Volf den Zu:
jammenhang zwifhen Vergangenheit und Gegenwart mit bem
Herzen erfaßt hat, je mehr es die Gegenwart, in der e8 lebt
und wirkt, als das natürliche und bis zu einem gewiſſen Grade
notwendige, gleihfam vom Schidjal gemollte Ergebnis der vor:
aufgegangenen Entwidelung betrachtet.
Hier liegt die Erflärung dafür, daß gerade die preußifche
Geſchichte an ſolchen Iegendaren Elementen fo reich it. Denn
legendar darf man fie nennen, weil fie, wie bie eigentliche,
fichlice Legende, auch eine erbaulihe Tendenz verfolgen, er
bauli im patriotifhen Sinn. Sie geben der landläufigen
Tradition ber preußifchen Geſchichte geradezu ihr charakteriſtiſches
Gepräge. Ihrem Urfprung nad nur ausnahmameife einmal
nachweisbar, wie die kirchlichen Legenden, wie diefe bald nur
Umdichtung hiftorifher Momente, bald freie Erfindung, zus
weilen aber auch nur auf gewiſſe Beleuchtungseffefte berechnet,
wurzeln die meiften diejer Legenden eben in ber Vorſtellung,
daß in ber Entwidelung Preußens eine gewiſſe Präbeftination
vorwalte, vermöge deren dasjelbe trog aller Hinderungen und
Irrungen das ihm vom Schidjal nun einmal geftedte Ziel
ſchließlich doch erreichen mußte.
Wohl wäre aus diefem bie preußifche Geſchichte umrahmen⸗
den und durchſetzenden legendariſchen Rankenwerk manches zur
26 Einleitung.
Pſychologie des preußiſchen Volfageiftes zu gewinnen, wenn
von jedem einzelnen Zweige Zeit und Veranlafjung der Ent—
ſtehung nachweisbar wären. In jedem Falle aber follte es
mehr ala bisher gejchehen, feinem unhiftorijchen oder doch nur
halbhiſtoriſchen Weſen nach weiteren Kreifen zum Bewußtjein
gebraht und aus dem Beſtande des als hiſtoriſch beglaubigt
zu Ueberliefernden ausgeſchieden, namentlich überall da außer
Anſatz gelafien werden, wo die preußiſche Gedichte wifjen-
ichaftlich behandelt und eine ernfte Würdigung der in ihr wir-
enden politiihen Momente verjucht wird. Damit ift freilich
nicht gefagt, daß alle legendariſchen Elemente in der preu:
ßiſchen Geſchichte gleih wertlos feien. Viele von ihnen ent=
halten fo gut wie gewiſſe kirchliche Legenden zweifellos einen
hiſtoriſchen Kern, andere wieber find ohne ſolchen für Zeit und
Menjchen fo harakteriftiih, daß fie beide beffer veranſchaulichen
und verftändlih machen als mande ausführliche hiſtoriſche
Schilderung. Hierher gehören alle jene legendariſchen Beſtand—
teile der Ueberlieferung, bie in ber fnappen Form der Anef-
dote hiftorifche Perjönlichfeiten nach ihrer individuellen Eigen:
art wie in einer Momentaufnahme hell beleuchtet uns vor Augen
ftellen. Die Regenten, die Feldherren, die Staatsmänner find
es, deren Bild auf diefem Wege am ficherften auf die Nachwelt
fommt, namentlid in Zeiten, denen eine regelmäßige öffent-
liche Behandlung diejer Gebiete noch fremd war. Es genügt
an Karl Friedrich von VBendendorffs zehn Sammlungen von
„Sharafterzügen aus dem Leben König Friedrih Wilhelms I.
nebft verſchiedenen Anekdoten von wichtigen unter feiner Re—
gierung vorgefallenen Begebenheiten” (1788) zu erinnern und
an die Weberfülle von ähnlichen Sammlungen für Friedrich den
Großen, um Umfang und Bedeutung diefer Art von Legende
in der preußiſchen Gedichte zu veranſchaulichen. Wie nach—
teilig fie aber auch gelegentlich gewirkt, wie fie die Kenntnis
verdunfelt und das Verſtändnis erſchwert hat, das lehrt die
Verwirrung, die bes Biſchofs Eylert (1770—1832) „Charakter
züge und hiftorifhe Fragmente aus dem Leben Friedrih Wil:
hemls III.“ (3 Teile, 1846) angerichtet haben, indem fie —
zum Teil unter dem Einfluß der Selbftgefälligfeit des Autors
II. Die Legende in der preußiſchen Geſchichte. 27
— ben König in eine ganz unzutrefiende Beleuchtung rüdten
und fait zu einem wandelnden Mythus machten, ein Schidijal,
dem auch die Idealgeſtalt der Königin Luife in der Folge nicht
ganz entgangen ift. Und welde Fülle von Bildungen ähnlicher
Art haben wir felbft vor unjeren Augen und Ohren erftehen,
Boden gewinnen und fi einbürgern fehen im Anſchluß an die
Heldengeftalt Kaifer Wilhelms und feines herrlichen Sohnes,
eines Moltke und nicht zulegt des Altreichslanzlers!
Beſonderes Intereffe beanfpruchen von diejen Legenden die—
jenigen, in denen die Volksſeele, von dem Eindrud einer ge:
maltigen Perfönlichkeit tief ergriffen, das von ihr gewonnene
Bild in freiem Spiel der Phantafie auf Zeiten überträgt, denen
es fo ganz fremd ift, und fi) dadurch in dem Glauben, ein
beſonders treues Bild zu geben, mit der Geſchichte vielmehr
in Widerfprud ſetzt. So hat z. B. die Generation bes preußi=
ſchen Volkes, die den großen König in den legten freublofen
Zeiten feiner Herrſchaft nur als vereinfamten Greis gekannt,
dieſes Bild bereits auf den Einundfünfzigjährigen übertragen,
wie er aus dem Siebenjährigen Kriege heim kam. Wie er
ſelbſt feine bevorftehende Nüdkehr in die feit Jahren nicht be—
tretene Hauptftabt, die ihm ebenfo fremd geworden war wie
er ihr und wo er feine müden Gebeine demnächſt zu dem legten
Schlafe zu betten hoffte, in bem befannten ſchwermütigen Briefe
an d’Argens (25. Februar 1763) fi) ausmalte, fo läßt die
Legende, indem fie diefes Stimmungsbild wörtlid nahm, ben
König wirflih unempfangen, unerfannt, in trüber Refignation
fpät abends in Berlin einfahren. Thatſächlich verlief fein
Empfang ganz anders. Am Frankfurter Thor war ein Chren-
bogen errichtet mit lateiniſchen Inſchriften von Ramler. Aber
obgleich die am frühen Nahmittag erwartete Ankunft Friedrichs
erſt am Abend des 30. März und bei üblem Wetter erfolgte,
wurde er doch von dem ganzen Magiftratsfollegium ehrerbietigit
bemwillfommnet. Den bereit gehaltenen „Prunfwagen“ freilich
beftieg er, wie Ramler klagt, nicht, jondern fuhr im Reiſe—
wagen nad dem Schloß, geleitet von den angejehenften Kauf:
leuten, die prächtig uniformiert waren und an ben Hüten große
Kofarden trugen mit der goldgefticten Inſchrift, Vivat Fridericus
28 Einleitung.
Magnus“. Beim Schein von Wacsfadeln folgten ihm, von
feſtlich geſchmückten Poftilonen und Poftbeamten begleitet, bie
Bürgercompagnien bis zum Schloß, wo fie wiederholt ein jubeln⸗
des „Bivat dem Könige” anftimmten.
So verlief Hiftorifh des fiegreihen Königs Einzug in
Berlin: die Legende wandelt fein Bild, indem fie darauf die
trübe Vereinfamung und mübe Tobesjehnfucht jpäterer Zeiten
überträgt. Derfelbe Vorgang ehrt mehrmals wieder. An-
ſchauungen und Urteile über die Tragweite eines Ereigniſſes,
die erft im Fortgang der Entwidelung gewonnen fein können,
werden nachträglich in der Geftalt zum Ausdrud gebracht, in der
fi) dasfelbe angeblich vollzogen haben fol. In diefem Sinne
läßt die Legende in der Schlacht bei Leipzig die drei verbün-
deten Monarchen angefihts ihrer ſiegreich vordringenden Heere
zu gemeinihaftlihem Dankgebet nieberfnieen, Und wie oft iſt
von dem „gebrochenen Herzen” des Grafen Brandenburg ges
ſprochen! Weil er ftarb, ehe Preußen den doch von ihm ge—
wiejenen Bußgang von Warfhau bis nad Olmüß fortjebte,
— ftarb (6, November 1850) inmitten der Erregung, melde
die im Widerfprud mit jeiner Politif und ohne fein Willen
angeorbnete Mobilmahung hervorrief, und dur den Tod ge—
bindert wurbe, bie Unterwerfung Preußens unter das vom
Zaren unterftügte Gebot Oeſterreichs felbft zu Ende zu führen —
hat man den Grafen Brandenburg völlig unhiftorifch zu einem
Gegner eben diefer Politif und zu einem das Aeußerſte zu
wagen entſchloſſenen Vorkämpfer für Preußens Recht und Ehre
gemacht. Hier ifl, was das Volk in einer erjhütternden Krifis
vergeblich erfehnte, individualifiert als Wille und Entſchluß auf
eine hervorragende Perjönlichkeit übertragen, um die Verant:
wortung für eine tief empfundene Demütigung, deren politifche
Unvermeiblichfeit uns klar ift, auf das Schidfal abzuwälzen,
das ben angeblich der Situation allein gewachſenen Mann durch
einen vorzeitigen Tod abrief.
Das Charakteriftifche diefer und verwandter Legenden liegt
weniger in dem hiftorifchen Stoff als in der Art, wie ein an
ſich ziemlich gleihgültiger Vorgang gleichſam zum Gefäß ge
macht wird, um die Stimmungen und Gefühle des Volkes
1. Die Legende in der preußifchen Geſchichte. 29
großen Zeitereignifien gegenüber aufzunehmen. Im Gegenfag
dazu ruht bei dem, was man füglid als militärifhe Legende
bezeichnen kann, aller Ton auf dem Thatfählihen. Daß diefe
in ber preußiſchen Geſchichte eine hervorragende Rolle fpielt,
wird niemand wunder nehmen. “ft bei ihr doch das vorbildliche
Moment von großer Bebeutung: der Bericht von Friegerifchen
Großthaten foll bei den Hörern die gleichen militäriichen Tugenden
zur Entfaltung bringen, die der Held ber Erzählung geübt hat.
Ferner ift jede größere militärifhe Aktion an und für ſich zu
legendenhafter Ausfhmüdung und Umgeftaltung disponiert, in=
fofern es nur felten gelingt, die Maffe der dabei ineinander:
greifenden Einzelmomente genau nad dem fie thatfächlich be
herrſchenden Raufalnerus aufzufaffen und wiederzugeben. Hat
es doch felbft im Kriege 1870—1871, wo bei uns alle Be:
dingungen zu fofortiger und genauefter Ermittelung und ſorg⸗
famfter Aufzeichnung der hiſtoriſchen Wahrheit vorhanden waren
und Sachkenner allererften Ranges dazu zufammenarbeiteten,
nicht immer gelingen wollen, den Thatbeftand in allen Einzel:
beiten ſicher zu Eonftatieren: auch da gibt es noch ein gutes
Stüd Legende mobernften Urfprungs. In viel höherem Maße
ift das natürlich der Fall, wenn wir ung von der Gegenwart
entfernen. Zur Befeitigung der noch immer üppig wuchernden
militärifehen Legende nahm bie Friegsgefhichtliche Abteilung des
Großen Generalitabes auf Grund eindringendfter Forſchung eine
neue Darftellung der Kriege Friedrichs des Großen in Angriff.
Mebler noch fteht es in dieſer Hinſicht mit den Freiheitzkriegen,
ſchon infolge der großen Rolle, die da das populäre Element
fpielte, das der Legende einen beſonders günftigen Boden bietet.
Ein lehrreiches Beiſpiel dafür haben wir in ber Ueber:
lieferung von dem Gefecht bei Hagelberg (27. Auguft 1813),
wo ber greife General Hirfchfeld das Girardihe Corps auf:
trieb. „Welch ein Anblid” — fo berichtet noch Heinrich
dv. Treitſchke (D. ©. I, 480) nad) Häuſſer — „wie die Bauern —
Turmärfifhe Landwehren — auf ein dichtgedrängtes Viereck
franzöſiſchen Fußvolks an der Dorfmauer losſchlugen, ſchweig⸗
ſam, unerbittlich, in namenloſer Wut: als das dumpfe Krachen
der Gewehrkolben endlich verſtummte, da lag ein ſcheußlicher
30 Einfeitung.
Leihenhaufen hoch aufgejchichtet bis zum Rand der Mauer, das
Hirn quoll den Toten aus-den zerſchmetterten Schädeln.” Kein
Geringerer als Moltke Hat (Militär-Wocdenblatt 1865, eis
beit 27) nachgewiejen, daß damals nur 30—35 Franzofen den
Kolbenichlägen der Landwehr erlegen find — denn eben nur
ſo viel wurden an der berühmten Mauer verſcharrt — und hat
im Anſchluß daran dargethan, auf welch beſcheidenes Maß über-
haupt die immer wiederholten Erzählungen über bie Wirkungen
von Bajonett und Kolben bejchränft werden müffen.
Aber auch an einzelne Perſonen heftet ſich die militäriſche
Legende, indem fie zur Erzielung eines größeren Eindruds ent»
weder die gefeierte Heldenthat über die Wahrheit hinaus fteigert
oder räumlich und zeitlich) getrennte Vorgänge zu einem Bilde
vereinigt. Das geichieht 3. B. in der Legende von Frobens
Opfertod bei Fehrbellin. Thatſächlich wurde diefer zur Linken
des einen Schimmel reitenden Kurfürften tödlich getroffen, dem
Leibjäger Uhle aber, der infolgedeflen jeinen Herrn zu einem
Tauſch der Pferde beftimmte, der Schimmel unter dem Leibe
getötet, während er felbft unverjehrt blieb. Ebenfalls an die
Fehrbelliner Schlaht knüpft die durch Heinrich v. Kleift poe=
tiſch verwertete Legende von dem Prinzen von Homburg an:
ein übereilter Angriff fol ihm trog des glüdlihen Ausgangs
des Kurfürften Ungnade zugezogen haben. Daß der Held die
Armee bald danad) unbelohnt verließ, ift richtig, aber abgejehen
von Umftänden, die ihn bereits früher den Rüdtritt aus dem
Dienft hatten erwägen laſſen, war der Grund vielmehr das
gänzlihe Mißlingen feiner Attade auf die gegen Ende ber
Schlacht vorbrechenden friſchen ſchwediſchen Truppen, die mit
einer gänzlichen Deroute der brandenburgiſchen Reiterei endete.
Es mag unentſchieden bleiben, ob dieſe Entſtellung des Sach—
verhalts in der Ueberlieferung vielleicht auf eine bewußte Be—
einfluſſung derſelben von einer intereſſierten Seite zurückzu—
führen iſt. An Beiſpielen dafür fehlt es anderweitig nicht, und
bis in unſere Tage verdankt mehr als eine militäriſche Legende
ihre Entſtehung dem Umſtande, daß von intereſſierter Seite,
um einen der beteiligten Führer, ſei es in helleres Licht zu
ſetzen oder aus übertriebener, je nachdem militäriſcher oder
II. Die Legende in der preußifhen Gedichte. 3
nationaler Empfinblifeit, von Vorwürfen zu entlaften, in
berechnender Abfichtlichkeit beftimmte Angaben mit autori=
tativer Zuverfihtlihkeit jo lange wiederholt wurden, bis fie
zum Nachteil der hiftorifchen Wahrheit von der Geſchichtſchreibung
als wohlbeglaubigt aufgenommen wurden. So ift 3. B. das
Bild des Siebenjährigen Krieges in wejentlihen Zügen zum
Nachteil des großen Königs verſchoben worden infolge bes
planmäßigen Einfluffes, den des Königs Brüder und ihre
Freunde mit einer gewiflen litterarifchen Betriebſamkeit auf die
Meberlieferung ausgeübt haben. Iſt doch auch die Erzählung
von des Königs Mutlofigkeit vor der Schlacht bei Lowoſitz aus
den Memoiren des Prinzen Auguft Wilhelm in die Tradition
eingeſchwärzt.
Die Legende iſt alſo nicht immer als ein ſozuſagen natur—
wüchſiges Produkt aus dem durch große Eindrücke befruchteten
Boden des Volksbewußtſeins fpontan hervorgewachſen. Wie
eine Anregung derart aufgenommen wird und meiter wirft,
bängt freilich ab von der Dispofition der Öffentlichen Meinung.
Weit entfernt von dem Zuge nach Wahrheit beherrfcht zu fein,
läßt dieje ſich vielmehr gern täufhen, wenn es gilt, das Bild
der Vergangenheit den fie erfüllenden Wünſchen und Neigungen
anzupafien. Daher kann diefe Art von Legendenbildung auch
auf die politiihe Praris der Gegenwart nadteilig einwirken.
Denn fie rüdt nicht nur einzelne Perfönlichkeiten oder einzelne
aus ihrem Zufammenhange gelöjte Ereignifle in ein unrichtiges
Licht, fondern entwirft von ganzen Ereignisreihen, ja ganzen
inhaltreihen Zeiträumen ein Bild, has deren Verhältnis zu
dem weiterhin Gejhehenen ganz anders erſcheinen läßt, ala es
in Wahrheit gemefen ift.
Gerade in der landläufigen Ueberlieferung der preußifchen
Geſchichte ift das vielfach der Fal. Denn auch das preußifche
Volk verweilt beim Rüdblid auf feine Vergangenheit mit
orliebe bei den lichten, glücklichen, fein Selbftgefühl zu heben
geeigneten Zeiten. So bietet ihm dieſe ein Bild dar, ähnlich
wie aud) das innerlich zerriffenfte und zerflüftetfte Gebirge dem
fernen Beſchauer als eine in ſchöner Einheit der Linien fried-
lich gelagerte Kette erfcheint, deren von blauem Duft um—
32 Einleitung.
wobene Höhen nichts ahnen laſſen von den Schluchten und Ab»
gründen, den Steinwüften und Wildbächen, die der Wanderer
darin zu überwinden hatte. Hierher gehört namentlih, was
man bie dynaſtiſche Legende nennen möchte. Sie bedingt weient-
li das eigentümliche Kolorit, das der Eonventionellen Dar:
ftellung ber älteren preußiſchen Geſchichte eigen iſt. Denn je
dankbarer ein Volk auf die Verbienfte feines Herrſcherhauſes
zurüdblidt und je vertrauensvoller es jeine Zukunft in deſſen
Hände legt, um fo mehr wird es geneigt fein vorauszufegen,
daß das immer fo geweſen fei und baß jenes innige Verhält-
nis von jeher und zu allen Zeiten beftanden habe. So hat
fi) auch das preußifche Volk gewöhnt, bereits die Anfänge der
Hohenzollern in einem Lichte zu fehen, in dem ſich ihre Ver:
bindung mit ihrem Volke thatſächlich doch erft ehr viel fpäter
darftellt. Auch hier überträgt eine fpätere Generation die Ge—
fühle, die fie erfüllen, auf die früheren Generationen, die fie
in dieſem Maße gar nicht hegen fonnten, und ſetzt Ueber-
zeugungen, bie für fie die Summe aus ber Erfahrung von
Jahrhunderten barftellen, bei ihren Ahnen voraus, die doch nur
die erften, ſchwer verftändlichen Anfänge diefer Entwidelung
gejehen haben, ihren Fortgang aber nicht ahnen konnten. Auch
ohne Umdichtung ber einzelnen Thatſachen erhält die ältere
brandenburgifch:preußifche Gefhichte dadurch im ganzen ein ſtark
legendarifches Gepräge.
Das mag befremblic Elingen. Heimiſch in der Mark aber
und ihr unlösbar verbunden hat fi) doch vor Johann Cicero
fein Hohenzoller gefühlt. So Großes Friedrich I. in Befrie-
dung und Ordnung des zuchtlofer Verwilderung verfallenen
Landes geleiftet: nicht eigentlih um des Landes und feiner
Einwohner willen that er es, jondern um in Brandenburg den
Stüßpunft zu geminnen für die Verwirklihung der ihn er:
fülenden ehrgeizigen Pläne zur Schaffung eines au Pommern,
Medlenburg und Sachſen umfaffenden Großſtaats. Als dieje
Häglich gefeitert, hat die Mark fein Intereſſe mehr für ihn
und er verläßt fie (1426), um fie nie mehr wieder aufzu:
ſuchen. Sein ihn als Statthalter vertretender Sohn Johann,
der Land und Leuten völlig fremd blieb, war froh, als er nad
II. Die Legende in der preußiſchen Geſchichte. 33
dem ſchönen Franken zurüdfehren konnte. Dorthin z0g ſich nad
Jahren jelbftlofen und pflichttreuen Ringens auch Friedrich IL.
enttäufht umd gebrochenen Mutes zurüd. Albrecht Achilles hat
die Mark nur betreten, wenn es Gelb daraus zu fchaffen oder
fi) mit Pommern und Medlenburgern herumzuſchlagen galt,
und wie die Märker von ihm und feinen habgierigen fränkiſchen
Begleitern dachten, lehrt das noch lange umgehende böfe Wort
von den „Hungerfranken“. Erft Johann Cicero ift notgedrungen
in der Mark geblieben. Nicht ganz fo tyranniſch wie die zeit
genöffiihe Verleumdung ihm nachſagte, aber doch mit harter
Strenge hielt Joahim I. das knirſchende Land nieder, von
dem ihn feit dem Eindringen der Reformation eine unüber-
brüdbare Kluft trennte und das er trogdem noch im Tode durch
den den Söhnen abgedrungenen Eid an die alte Kirche zu fefleln
ſich unterfing. Daß Joachim II. die Reformation eingeführt
babe, läßt fi nicht behaupten: ohne fein Zuthun war das
Land der evangelifhen Lehre zugefallen, und wenn er felbft
auch feit in der Erlöfungslehre Luthers wurzelte, jo waren es
doch nicht bloß politifche Rüdfihten, die ihn als Vertreter der
unflaren „mittleren Richtung” veranlaften, alles an bie Er-
haltung der Firhlichen Einheit zu jegen, die ihm um Bei:
behaltung der biſchöflichen Verfaſſung, der katholiſchen Kult:
formen und der päpftlihen Suprematie nicht zu teuer erfauft
ſchien. Hat er doch durch fein Eintreten für das Interim bei
feinen in ihrem Gewiſſen beunrubigten Unterthanen eine mit
gewaltfamer Entladung drohende Erbitterung heraufbeſchworen!
Was von der märfifhen Reformation, fo weit fie ben Stempel
feines Geifles getragen, zu halten ift, lehrt zur Genüge die
Thatſache, daß nod fein Enkel Joachim Friedrich, der die
Feſſeln der Konkordienformel mutig abgeftzeift, Mißbräuche
abzufhaffen hatte, wie die Elevation bes Saframents, das
Aufziehen der hölzernen Taube am Pfingftfeft, das Laufen der
Jünger am Ofterfeft, die Darftellung der Leiden Chrifti in ber
Karwoche u. a. m., die allem evangelifchen Denken Hohn
ſprachen.
Vergegenwärtigen wir uns dem gegenüber das Bild, das
von der Thätigkeit und den Erfolgen der erſten Hohenʒollern
Prud, Preubiſce Gefbihte. I.
34 Einteitung.
in den populären Darftellungen, den Handbüchern und Leitfäden
gegeben zu werben pflegt, jo werden wir feinen legendarifchen
Charakter nicht in Abrebe ftellen Fönnen. Es wäre dod wohl
an der Zeit, mit ihm zu breden und aud hier die hiſtoriſche
Wahrheit zu ihrem Rechte gelangen zu lafien. Mag darüber
auch der eine oder der andere Herrſcher von feinem trabitios
nellen Glorienſchein etwas einbüßen: ihre Gefamtheit gewinnt.
Denn was durch fie erreicht und geleiftet ift, erſcheint um jo
bedeutender, je mehr wir uns der Schwächen und Irrtümer bes
Einzelnen bewußt werden, ihnen damit menſchlich näher treten
und auch die Hindernifje recht würdigen lernen, die fie zu über:
winden hatten. Ein mutiger Verzicht auf die dynaſtiſche Legende,
die eine an ſich verftändlihe Pietät bisher gehütet, würde die
patriotifch anregende Wirkung der Beſchäftigung mit der vater:
ländiſchen Geſchichte nur noch fteigern.
Größere Erfolge gewann die hiftorifhe Wiffenfchaft gegen:
über der politifhen Legende. Schon hat im Vergleih mit der
font herrſchenden Ueberlieferung mancher Abſchnitt der preu:
Biihen Geſchichte ein wejentlih anderes Ausjehen angenommen.
Daß die politifche Legende bei uns üppig ins Kraut geſchoſſen,
ift begreiflich genug. Denn wo bie ftaatlihe Entwidelung ſich
im Kampfe feindlicher politifher Prinzipien vollzieht — und
daß ift Doch eigentlich bei allen großen Entſcheidungen der Fal —,
da benugt, wie wir aud) in unferen Tagen beobachten können,
der fiegreiche Teil feine Kraft namentlih, um den unterlegenen
Gegner auch vor der Nachwelt ins Unrecht zu fegen umd die
Ueberlieferung fo zu beeinfluffen, daß fein Triumph als das
für die Gefamtheit Wünfchenswerte und Heiljame erſcheint.
Der augenblidlihe Erfolg fol maßgebend fein für das Urteil
der Geſchichte. Und wie ſchwer ift es dann, den Bann der ein:
mal zur Herrſchaft gelangten Parteitrabition zu brechen und
der geſchichtlichen Wahrheit zur Geltung zu verhelfen !
Ob das Zerrbild der Legende zuzuweiſen ift, das ehemals
von König Friedrih Wilhelm I. entworfen wurde, mag zweifel:
baft erſcheinen. Sicher aber gehört ihr zu das zur Zeit noch
faft allgemein rezipierte Bild Georg Wilhelms und mehr noch
Adams von Schwargenberg. Als Landesverräter und Partei—
II. Die Legende in der preußiſchen Geſchichte. 35
gänger des Kaiſers und der Katholiken verſchrieen, ift letzterer
durch die neuere Forſchung als ein würdiger Zeitgenoſſe Riche—
lieus erwieſen worden. Im Kampf mit den Ständen, die ein
landesherrliches Recht nach dem anderen an ſich gebracht oder
entwertet hatten, verſuchte er für Brandenburg die erſte Be—
dingung einer ſelbſtändigen Politik zu ſchaffen, ein ſtehendes
Heer, und war dem Ziele ganz nahe, als der Tod bes ihm un—
bedingt vertrauenden Georg Wilhelm einen jähen Umſchwung
herbeiführte. Perſönlich gegen Schwargenberg erbittert, ſchlug
fi} der junge „neue Herr” auf die Seite der Stände und ver:
ſuchte es mit der von ihnen gewollten Neutralität, ohne ben
Rückhalt eines ſchlagfertigen Heeres, um ſich nad) drei Jahren
verzweifelten Ningens von ihrer Unmöglichkeit zu überzeugen
und durch die Rüdfehr zu dem Syftem des verhaßten väter-
lichen Minifters Rettung zu ſuchen und zu finden. Inzwiſchen
aber war unter eifriger Mitwirkung der Stände, die, eben
noch dem Erliegen nahe, über Schwargenberg triumphiert hatten,
und nit zuleßt durch amtliche Aeußerungen über diefen die
politifche Legende Fonftruiert und in Umlauf gebracht, die jet
erft von feinem Andenken genommen wird. Es braudt kaum
noch hervorgehoben zu werben, wie anders ſich nun auch das Bild
von dem gemeinhin ftark verzeichneten Anfängen bes Großen
Kurfürften geftaltet. Auch der Ausgang von deſſen Regierung
ift legendariſch ausgeſchmückt, wenn im Dienft einer feine Zeit
erfüllenden politiihen und konfeſſionellen Tendenz behauptet
und lange geglaubt worden ijt, brandenburgiſche Truppen
hätten Wilhelm von Dranien auf feinem die Freiheit Europas
und die Reformation rettenden Zuge nad England begleitet:
nur um eine Deckung der Niederlande in feiner Abmefenheit
gegen einen franzöſiſchen Gewaltſtreich handelte es fich bei dem
betreffenden Abkommen.
Ein Seitenftüd zu der Schwargenberglegende bietet in ges
wiſſer Hinficht die traurige Geſchichte der Jahre 1805 und 1806.
Während für die widerſpruchsvolle und unredliche Politik, die
Preußens Verhängnis befchleunigte, nach der herkömmlichen
Auffaffung die Unfähigkeit und Eigenmädhtigfeit von Haugmwig
verantwortlich gemacht wurde, deſſen Namen in den Augen ber
36 Einleitung.
Patrioten wie gebrandmarkt ſchien, hat die Erſchließung der
arhivalifhen Quellen vielmehr gelehrt, daß diefen faum eine
befondere Schuld trifft, da er in der Hauptſache nur die vom
König perfönlich gemollte und ihm vorgezeichnete Politik durch⸗
führte. Als politifche Legende ift ferner die Art zu bezeichnen,
wie man gemeinhin die Kataftrophe des Jahres 1806 in erfter
Linie und faft allein der Beſchaffenheit der preußifchen Armee
ſchuld gibt. Dem widerſprechen die zeitgenöffiihen Berichte,
widerſpricht dag Urteil der fompetenteften Männer, eines Scharn-
borft, eines Clauſewitz, eines Rüchel u. a., widerjpricht nament=
lich aud die für feine ganze Zukunft entfcheidende Bedeutung,
die Bonaparte felbft gerade dieſem Waffengange, als er ihn
antrat, beimaß. Weder die legendare Vorftellung von dem zu
hohen Alter der preußifchen Generale, noch die von dem niedrigen
geiftigen und fittlihen Stande des Offiziercorps ift aus den
Quellen erweisbar, die geringe numerifche Stärke des Heeres
aber, ſowie die zweifellos unglüdliche Zujammenfegung bes
Hauptquartier reichen felbft in Verbindung mit der altmodiſch
verfünftelten Auffaflung der Kriegführung, die ftatt auf Ver:
nichtung des Feindes zu denken, auch auf dem Schlachtfelde
nur Mandverererzitien machte, nicht aus, um die vernichtenden
Folgen einer verlorenen Schlacht für den ganzen Staat zu er
Hären. Nun erſt offenbarte fi in der Armee, woran mit ihr
die Regierung, die Beamtenſchaft, der Adel und das Bürger:
tum, mit einem Worte das Volk in feiner Gejamtheit krankte,
die durch eine ſeichte Aufklärung großgezogene faljhe Humani-
tät mit ihrer leichtfertigen Genuß: und Selbitfuht und dem
felbftbetrügerifchen Kultus der in lichtem Glorienfchein gefehenen
Vergangenheit. Es war daher ungerecht und widerſprach dem
wahren Sachverhalt, wenn damals die Armee allein für die
Rataftrophe verantwortlich gemacht wurde, die den Staat des
großen Friedrich zu vernichten drohte Weil dem Volke bie
Einfiht in die Notwendigkeit, den Nutzen und das Recht des
Heeres abhanden gefommen war, hatte auch diefes den Glauben
an ſich ſelbſt und damit trog aller Tüchtigkeit im einzelnen
die erfte und vornehmfte Bedingung des Gelingens eingebüßt.
Man fönnte geradezu fagen: am der Legende von der Unfehl-
IL. Die Legende in ber preußiſchen Geſchichte. 37
barkeit des fridericianiſchen Preußentums ift Preußen 1806 zu
ſchanden geworden, und dennoch ift diefer Vorgang ſelbſt als—
bald wieder durch eine neu emporfprießende Legende verbunfelt
und entftellt worden! Weber das furdtbare Erwachen aus dem
einen verhängnisvollen Irrtum juchte man ſich Hinwegzutäufchen,
indem man fi) alsbald in einen anderen einfpann.
Wer mit uns der heutigentags ja manchem altmodiſch er-
ſcheinenden Meinung ift, daß die Geſchichtſchreibung ihre vor-
nehmfte Einwirkung auf die Gefamtheit der Nation in politiſch
aufklärender und erziehlicher Richtung zu ſuchen hat, und dag
fie daher im Streben nad Erkenntnis der Wahrheit und un—
geihminkter Mitteilung derfelben eine von ihrem Wefen un-
trennbare moralijhe Pflicht erfüllt, der wird es mit uns im
nationalen Intereffe für geboten erachten, daß auch die preu=
Bilde Geſchichte der im Laufe der Zeit in fie hineingeflommenen
legendaren Elemente mehr als bisher und allmählich ganz ent=
kleidet werde.
Erſtes Bud.
Die Elemente des preußiſchen Staates
(bis 1598).
I. Der Sfaaf des Deuffchen Prdens in Preußen.
1. Die Eroberung Preufens. 1228—1295.
Nicht den Namen allein verdankt der Staat der Hohen-
zollern dem urfprünglid) undeutihen Preußen. Erft die Ver:
einigung mit diefem befähigte ihn, die Schranken bloß reichs—
ſtändiſchen Dafeins zu durchbrechen und ala Staat eine im
eigenen Rechte wurzelnde Zukunft zu gewinnen. Denn Preußen
brachte ihm als koſtbare Mitgift zu eine in ihrer Art einzige
Vergangenheit, die den werdenden Staat mit ben ftolzeften Er—
innerungen der deutſchen Xorzeit, ja ber abendländiſchen
Chriftenheit verknüpfte.
Faft mit Neid blidte man zur Zeit des ſinkenden Reiches
von Rhein und Donau nad dem „neuen Deutfchland” an Pregel
und Memel — einem Krieger: und Beamtenitaat, wie ihn die
Welt noch nicht gefehen. Obgleich entjprungen aus der Glaubens»
ſchwärmerei, die in ben Kreuzzügen die Romantik des Mittel-
alters zu ebenfo glänzender wie vergänglicher Entfaltung bradhte,
murde der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen das Ur:
bild militäriſch-politiſcher Organifation im Dienft allzeit ſchlag—
fertiger Wehrhaftigfeit, und weiſt jo hin auf den Staat, der
als Erbe feines Namens zugleich fein Weſen nod ausgeprägter
und noch wirkjamer wiederholen follte. Erinnern doch felbit die
preußifhen Farben an den mit dem ſchwarzen Kreuze gezeich-
neten weißen Mantel ber Deutſchordensritter, und ben ein—
föpfigen Adler, einft des Reiches Abzeichen, führte der Meifter
des Ordens im Schilde. Daher griff noch König Friedrih Wil-
1. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 39
helm III, als es galt, den Helden des Freiheitäfampfes einen
würdigen Lohn zu ftiften, zurüd auf das Kreuz der deutſchen Herren
zu St. Marien: nad) ihm bildete er das Eiferne Kreuz. So
Inüpfen hier ehrwürdige Eymbole der Gegenwart an das Mittel-
alter und laſſen fi} volle fieben Jahrhunderte rüdwärts verfolgen.
Denn fiebenhundert Jahre find verflofien, jeit während
der Belagerung von Accon (1189— 1191) zur Pflege deutfcher
Kreuzfahrer und Pilger unter Zelten, die man aus den Segeln
bremifcher und lüubiſcher Echiffe errichtete, unter Aufficht des
Johanniterordens ein Feldhofpital entftand, als Erneuerung und
Fortjegung einer ähnlichen Stiftung, die ſeit 1128 in Seru:
ſalem beftanden hatte. Glänzende Zeiten jchienen dem deutſchen
Volke aufzugehen. Des Notbart Sohn hatte das Ideal Faijer-
licher Weltherrſchaft nahezu verwirklicht und rüftete ſich, auch
im Lande der Kreuzfahrer die deutſche Vorherrſchaft zu bes
gründen. Ihm vorausziehende deutſche Fürften erweiterten 1197
jenes Hofpital zu einem geiftlihen Ritterorden, der nad) dem
Vorbilde der Templer und Johanniter mit den Pflichten des
Möndtums die des Kampfes gegen die Ungläubigen verband,
Sollte man dabei nicht vom Kaiſer gebilligte nationale Ziele
im Auge gehabt, zugleich militärifhe umd politiſche Zwecke ver-
folgt haben? Es fcheint, als ob der neue Orden beftimmt war,
als eine Art von Kolonialtruppe die deutſche Hoheit im Often
zu fügen. Aber ſolche Entwürfe durchkreuzte Heinrichs VI. Tod.
Doch hat der Orden auch fo Großes geleiflet, Größeres als
ihm jenfeits des Meeres möglich geworden wäre. Zwar wurde
er, aus der Abhängigkeit von den Johannitern gelöft, 1199
durch Papft Innocenz III. reihlic mit Rechten und Freiheiten
ausgeftattet, erwarb aud in den Bergen um Toron (Tibnin)
und um fein Haupthaus Starkenberg (Montfort), nordweſtlich
von Accon, Güter, die er gewinnbringend bewirtſchaftete: aber
es dort den beiden älteren Orden gleich zu thun, war ihm doch
nit möglid. Im Abendlande fi ähnlich zu entwideln wie
die Templer, hinderte ihn jein national deuticher Charakter.
Stand da nicht zu fürdhten, der Mangel einer feiner Beftim-
mung entipredenden Thätigfeit würde ihm nad dem nahen
erlufte Paläftinas ernfte Gefahren bereiten?
40 Erſtes Bud. Die Elemente bed preufifchen Staates (bis 1598).
7 Das erkannte weitblidend fein dritter Meifter, ver ſtaats—
Ehe Hermann von Salza (1210—1239), der Vertraute Kaifer
Friedrichs II.: er fiherte dem Orden auch für die Zufunft die
Möglichkeit des Kampfes für den Glauben, in dem bie Be:
rechtigung feines Dafeins mwurzelte. Zugleich aber bahnte er
ihm den Weg zur Gründung einer eigenen Territorialherr-
ſchaft, die ihn unabhängig machte von ber Gunft oder Ungunft
weltliher und geiftlier Gemwalthaber. Freilich führte nicht
gleich der erfte Verfuh zum Ziele; wohl aber zeigt er, wie
auch diefe ritterlih-möndiihe Genoſſenſchaft früh nad Beſitz
und Macht firebte und dabei aud vor Unrecht nicht zurüd-
ſcheute. So gewährt er uns die Mittel, um die ſtark legen-
dariſch gefärbte Erzählung von der nahmaligen Gründung
des Ordensſtaates auf ihren hiftorifhen Kern zurüdzuführen.
Denn was der Orden in Preußen erreichte, wird er wohl ähn-
lihen Mitteln zu danken gehabt haben, wie er fie bei dem
erften Unternehmen der Art im Burzenlande angewandt hatte.
Im Jahr 1211 gab König Andreas II. von Ungarn das
unbewohnte Burzenland im Südoſten von Siebenbürgen bem
Orden zu Lehen, um es als Mark gegen die wilden Kumanen
einzuriten und mit Koloniften zu bejegen. Bald erhoben ſich
ſtatt der anfänglichen hölzernen Schugwehren ftattliche Burgen,
darunter aud) eine Marienburg, und ſächſiſche und flandrifche
Einwanderer begründeten eine höhere wirtſchaftliche Kultur, bie
bei Steuer: und Handelsfreiheit bald fröhlich gebieh. Aber
der Orden fuchte ſich der Lehensabhängigkeit zu entziehen und
volle Zandeshoheit zu gewinnen. Der König wollte ihn deshalb
ausweifen, doch ftellte kirchliche Vermittelung den Frieden noch
einmal ber. Als dann aber die deutſchen Herren in Verfolgung
des gleichen Zieles das Land dem Heiligen Petrus zu eigen gaben
und fo auch den Biſchof von Siebenbürgen in feinen Rechten
bebrohten, erhoben mit diejem König Andreas und fein that:
kräftiger Sohn Bela IV. Einſprache, unterftügt von der natio—
nalen Abneigung des ungarischen Adels gegen die Fremden.
Das Abkommen von 1211 wurde widerrufen: 1225 mußten die
Nitter das Burzenland räumen, und alle Bemühungen der römi—
ſchen Kurie zu ihren Gunften blieben erfolglos. Da war es denn
1. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 4
eine glüdliche Fügung, daß eben damals dem Orden ſich die
Möglichkeit erihloß, den Verſuch zur Gründung einer eigenen
Territorialherrichaft anderwärts und unter günftigeren Um:
fänden zu erneuern: die Erfahrungen im Burzenlande ließ er
dabei nicht unbenußt.
Unfähig fi der heidniſchen Preußen zu erwehren, ging
Herzog Konrad von Mafowien Hermann von Salza um Hilfe
an. Denn dieſe für die Hriftlihe Kultur zu gewinnen, hatte
Polen fih unfähig erwiefen, und ſehr mit Unrecht ift nad:
mals Biſchof Adalbert von Prag (983—997) als Apoftel der
Preußen gefeiert worden. Yon Geburt ein Czeche, ein Genofie
jener Schwärmer, mit denen der undeutſche Otto III. die theo=
kratiſchen Ideale des Franzofen Gerbert verwirklichen wollte,
im Gebränge zwifchen der hierarchiſchen Strenge feines Ober:
birten und ber Unbändigfeit feiner Landsleute, ging er unter
dem Schug und im Intereſſe Polens zur Verkündigung des
Chriftentums nad) Preußen und fand, plan= und ziellos darauf
108 abenteuernd, von den Seinen verlafen, im Suden nad
einem rettenden Ausweg an unbefannter Stätte einen nicht
begehrten Märtyrertod. Erft fpäter ift das unüberlegte Aben-
teuer zu einer kirchlichen Großthat gemacht, welche die Legende
bis zur Unfenntlicfeit mit üppigem Rankenwerk ummuchert
bat. Der heimatlofe Biſchof, der ein verfehltes Leben ohne
Gewinn für die Kirche ruhmlos beſchloß, wurde zum Preußen:
apoftel, den das Slaventum, um jeine Anſprüche auch auf
einen kirchlichen Rechtstitel zu gründen, zu feinem National-
heiligen machte. Die Deutfhen gedachten feiner erft, als der
Orden ihn für feinen Vorläufer in Preußen ausgeben konnte.
Auf feinen Namen wurde die Kathedralkirche des Bistums
Samland in Königsberg geweiht. Das ermedte wieder den
Glauben, er fei im Samlande, bis wohin er gar nicht ger
kommen jein Tann, erſchlagen worden. Schließlich lokaliſierte
ſich die Sage in dem Maße, daß 1422—1424 der Ordens⸗
marſchall Ludwig von Lanfe auf der Höhe des ſamländiſchen
Strandes bei Tentitten, weſtlich von Fiſchhauſen, eine St. Adal-
bert gemweihte Kapelle errichtete, für deren Beſuch Papit Eugen IV.
einen bejonderen Ablaß gewährte. Später verfiel fie, wie Adal:
42 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifchen Staates (bis 1598).
bert jelbft feit der Reformation in DVergefienheit geriet. Ein
Sturm legte fie 1669 in Trümmer, und erft in neuerer Zeit
hat eine fromme Polin zu Ehren ihres Nationalheiligen dort
ein hohes eifernes Kreuz errichten laffen. Als Nachfolger Adal-
berts galt Bruno von Querfurt, ein dem Kaiferhaufe verwandter
Sachſe: aber obgleich er zur Zeit des Höheftandes Polens unter
Herzog Boleslaw III. in päpftliher Vollmacht als Erzbifchof
das Wagnis unternahm, fiel auch er 1009 unter den Streichen
der heidniſchen Preußen.
Erſt im ſiaufiſchen Zeitalter wurde die Belehrung ber
Preußen von neuem in Angriff genommen, einmal von * dem
ſüdlich benachbarten Mafowien her durch die Eiftercienfer von
Lekno, dann von Pommerellen aus, einem durch die Weichjel
von Preußen getrennten polnifhen Teilfürftentum, in das von
Pommern her die deutſche Kultur Eingang fand. Dort hatte
1178 Zürft Sambor wetlih von Danzig, am Ausgange eines
liebliden Waldthales nahe dem Meere, das Klofter Oliva ge-
gründet ; 1186 wurbe es mit Eiftercienfern aus dem ſchleswigſchen
Klofter Rye beſetzt, gedieh aber nit und erhielt 1195 einen
neuen Konvent. Auch gab Sambor dem Ritterorden von Cala-
trava die Burg Tyman bei Mewe, doch wohl um ſich feiner
gegen die Preußen zu bedienen. Auch die Komturei der Jo—
hanniter in Schöned wird einen ähnlichen Urfprung haben.
Zuerft aber jammelte ein Mönch von Dliva, Chriftian, in dem
nahen Preußen eine Kleine hriftlihe Gemeinde, die Innocenz IIL
1210 dem Erzbistum Gneſen unterftellte; 1215 aber wurde
Chriftian Bifhof von Preußen. Bald jedoch geriet die junge
Pflanzung hart ins Gedränge: zu ihrem Beſten ließ ſchon 1217
Honorius IN. in ven Nachbarländern das Kreuz predigen, mußte
aber jhon 1221 die fiegreihen Kreuzfahrer ermahnen, nicht
übermütig zu werden, fondern Biſchof Chriftian die ſchuldige
Chre zu erweifen. Diefer nämlich dachte, fo ſcheint es, in
Preußen einen ähnlichen Staat zu gründen, wie er in Livland
unter dem Bifchof von Riga entitanden war. Dazu bot Herzog
Konrad von Mafowien die Hand: zum Danke dafür, daß Chri-
ftian dem als Kreuzfahrer ins Land gefommenen Herzog Hein—
rich von Schlefien erlaubt hatte, die von den Preußen zerftörte
I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 43
Burg Kulm wieder aufzubauen, jchenkte er ihm einen Teil des
Kulmer Landes, 23 Burgen nebft den zugehörigen Dörfern, mit
allen herzoglihen Rechten und fügte dann noch 100 Dörfer und
Güter hinzu mit allem, was ihm jelbft in jenem Gebiete ge:
hörte. Auch verzichtete auf des Herzogs Bitten der Biſchof und
dag Kapitel von Plock zu gunften Chriftians auf alle Güter
und Rechte im Kulmer Lande. Chriftian gewann alfo für die
eine Burg eine umfänglihe Territorialherrihaft. Auch ſollte
von dem Ertrage der in anderem Eigentum verbleibenden Güter
dafeldft ihm in Zukunft ein Teil zufallen. Doc thaten von
den benachbarten Fürften und Großen manche Chriftian ge
fliffentlih Abbruch, indem fie die Heiden heimlich aufreizten.
Außerdem mifchte fi im März 1224 Kaifer Friedrich II. ein,
indem er die neubefehrten Preußen unter Beftätigung ihres
Befiges, ihrer Rechte und Freiheiten, von jeder anderen fürft:
lichen Hoheit erimiert, den freien Unterthanen des Reiches
gleichftellte, jo daß fie nur diefem und der römifchen Kirche
gehorchen follten. Dagegen erklärte Papft Honorius II. durch
eine Bulle vom 3. Januar 1225, fie feien allein Chriftus und
der römifhen Kirche Gehorſam ſchuldig. Gewinn aus diefem
Streit der höchſten Gemalten hatten natürlich nur die Preußen.
So ſah Biſchof Chriftian bald feine Erfolge gefährdet. Da
errichtete er, wiederum nad) dem Vorbild des Schwertbrüber-
ordens, ben der Nigaer Biſchof zur Bekämpfung der Heiden
geftiftet hatte, einen geiftlihen Nitterorden. Nah der Burg
Dobrin benannt und beftimmt, Mafowien zu fügen, wurde
diefer aud von Herzog Konrad und dem Biſchof von Plod mit
Land befhenft und erhielt wie die älteren Genoſſenſchaften der
Art das Recht, Kirchen zu bauen, Pfarrer zu ernennen und
vom Zehnten freie deutſche Koloniften anzufiedeln.
Wie es nun aber fam, daß Herzog Konrad um biefelbe
Zeit auch den Deutichen Orden herbeirief, vermögen wir nicht
zu jagen. Nach dem Mißgeſchick, das er eben im Burzenlande
erfahren hatte, ging Hermann von Salza gern auf den Antrag
ein, fobald er durch ausgefandte Ordensbrüder von ben Ber:
hältniſſen des Landes einige Kunde erhalten hatte. Mit dem
Herzog war er ſchnell einig; auch Biſchof Chriftian machte feine
44 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
Schwierigkeiten: glaubte er doch nad den ihm gewährten Ur:
kunden ber Herrihaft im Kulmer Lande und fogar eines Teils
von dem eroberten Preußen fiher zu fein. Ob aber der Orben
ebenfo dachte, ift zweifelhaft. Sein Verfahren im Burzenlande
und der von Kaifer Friedrich II. bezeugte Eifer feines Meifters
für Gewinnung einer Territorialherrfchaft laffen andere Pläne
bei ihm vermuten. Denn nur einen ſehr befeheidenen Anfang
bedeutete, was ihm bei der Uebernahme des Kampfes gegen bie
Preußen von den beteiligten Mächten zunädjft zugeftanden wurde.
Im März 1226 erlaubte ihm der Kaiſer die Annahme des ihm
von Herzog Konrad angebotenen Kulmer Landes und verlieh
ihm für die Gebiete, die er in Preußen eroberte, reichsfürſtliche
Nehte. Wenn er dabei die Erwartung ausſprach, der Orden
werde die Sache energifch angreifen und durchführen und nicht
von dem Begonnenen zurüdtreten, wie andere gethan, die Mühe
und Arbeit verſchwendet, ohne etwas zu leiften, fo ging das
wohl auf Biſchof Chriftian und die Kirche. Herzog Konrad
hatte verfprohen, dem Orden im Kulmer Lande und in der
Grenzmark zwiſchen Maſowien und Preußen Land zu überlajien.
Seine Schenkung kann nicht, wie der Orden nachmals behauptet
hat, das ganze Kulmer Land umfaßt haben, das ja zum größten
Teil bereits Biſchof Chriftian gehörte. Vielmehr erhielt der Orden
nad) Ausweis einer päpftlichen Aeußerung von 1230 nur das j on
früher hergeftellte Kulm nebft einigen anderen Grenzburgen, ſo—
wie die Anerkennung feines Eigentumsrechtes auf Die Gebiete, die
er den Preußen abnehmen würde. Ja, es ſcheint ſogar die Rüd-
gabe des Kulmer Landes an den Herzog in Ausfiht genommen
zu fein, fobald die Eroberung Preußens beendet fein würde.
Die Ueberlieferung fehildert die Anfänge des Deutihen
Ordens in Preußen freilich ganz anders. Da ericheint er for
fort ala vollberechtigter Eigentümer des Kulmer Landes — eine
Auffaſſung, die polnijcherjeits ftets beftritten ift und ber auch
die fihere hiftorifche Begründung fehlt, trog der Urkunden, die
der Orden zum Erweis feiner Rechte nahmals beizubringen
gewußt hat. Auch nationaler Eifer, wie er fpäter zwiſchen
Deutihen und Polen entbrannte, hat die geſchichtliche Wahrheit
verdunfelt. Kam doch mit der Unerweisbarkeit einer Schenkung
1. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 45
des ganzen Kulmer Landes an den Orden die rechtliche Grund-
lage für den Ordensſtaat überhaupt in Frage. Ohne im ein:
zelnen klar zu ſehen, läßt die ganz zu gunften des Ordens ge-
färbte Ueberlieferung doch erkennen, daß der Orden, eingedenk
des im Burzenlande Erfahrenen, die Gunft der Umftände ohne
Skrupeln ausnugte und die Hinderniſſe, welche feine Entwürfe
aud diesmal zu vereiteln drohten, rückſichtslos befeitigte.
Das Verhältnis, das nun im Kulmer Lande zwifchen Biſchof
Chriftian und dem Orben beftand, war unhaltbar. Behauptete
erſterer feine Stellung, fo war der Ordensſtaat unmöglich ; defien
Verwirklichung hatte den Fall der bifhöflichen Hoheit zur Vor—
ausfegung. Obenein waren beide in Bezug auf Preußen Neben:
buhler. Es geſchah wohl ſchon nicht ganz freiwillig, daß Bifchof
Chriftian auf päpftlihe Vermittelung 1230 dem Orden alles
abtrat, was er dur Konrad von Maſowien und den Biſchof
von Plod im Kulmer Lande über das eine Drittel des Landes
hinaus erhalten hatte: davon folte ihm in Zukunft jeder
deutihe Pflug zwei und jeder flavifhe ein Maß Getreide ent=
richten, während er das ihm verbleibende Land — 200 Pflüge
zu je 3 Hufen — mit Koloniften befegen oder bejegen lafjen
konnte. Seine bifhöflichen Rechte und Einkünfte blieben un-
gemindert. Won dem durch ihn in Preußen Eroberten aber
follte der Orden zwei, der Biſchof ein Drittel erhalten, beide
mit vollem landesherrlichen Recht. Erfüllte der Orden diefe Be:
dingung nicht, Jo war der Biſchof beredhtigt, die eben abgetretenen
Gebiete zurüczunehmen. Im Kulmer Lande war die biihöflie
Herrſchaft demnach ſchon arg gekürzt: es fragte ſich, ob fie in
Preußen überhaupt würde auffommen können.
Wie wenig wußte man bisher von Land und Leuten in
Preußen! Sie unbefangen kennen zu lernen, hat ber erbitterte
Kampf der nächſten Jahrzehnte den Deutſchen vollends unmöglich
gemacht. Ihr Glaubenseifer hat dem überwundenen und jhließ:
lich ausgerotteten Volt möglichft Schlechtes angebichtet. Einiger:
maßen befannt war von Preußen den Bewohnern der Oſtſee
durch ihre nörbliden Handelsfahrten bisher nur die Küfte der
Halbinfel Samland: nad) ihr nannten fie die Bevölkerung des
ganzen Hinterlandes Samen, während die Polen fie als Pruzen
46 Etrſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
oder Preußen bezeichneten. Von diefen rühmten Berichte des
11. Jahrhunderts Gleihgültigleit gegen den Reiz des Ebel:
metalls: nichts fei am ihnen auszufegen als ihr Heidentum.
Etwas genauere Runde von den Preußen vermittelten erft bie
folgenden Kämpfe. Die Refte feiner Sprache kennzeichnen das
Bolt als ein indogermanifches, das zunächſt mit Litauern und
Letten zufammengehört. Es zerfiel in Stämme, die erſt im
Kampf gegen die Fremdherrſchaft zeitweife gemeinjam handeln
lernten. Neben den Stammfürften, die wohl als Reiks bezeichnet
werden, ftand der Adel der Witinge, unter diejen und ben
Freien die Menge der Hörigen und Sklaven. Erbberechtigt
waren nur bie Söhne; die Töchter, mit Ausnahme der älteften,
durften getötet werden. Es herrſchte Vielweiberei: die Frauen
wurden gefauft und wie Mägde gehalten. Die Lebensweife
der Preußen kennzeichnete unverborbene Einfachheit: aber dem
Lob ihrer Gaftfreundfhaft ftand der Tadel der Neigung zum
Trunf gegenüber. Schrift und geordnete Zeitrechnung waren
unbefannt. Unerbittlid wurde die Blutrahe geübt. Was von
ihren Kultbräuchen berichtet wird, zeigt fie als Bekenner einer
einfahen Naturreligion: in Sonne, Mond und Sternen und
den fie fonft umgebenden Naturgebilden ſahen fie Offenbarungen
der Gottheit, die man aud in Hainen und Quellen verehrte.
Doch war ihnen auch Idolkultus nicht fremd. Das Daſein im
Jenſeits dachten fie fich dem irdischen Leben entſprechend. Daher
gab man den Toten allerlei Geräte mit: mit vornehmen Herren
wurden Waffen und Roſſe, Jagdhunde und Falken, Koſtbar—
keiten und Schmudjachen, ja ſelbſt Sklaven und Kriegsgefangene
verbrannt. So hatte der Tod für fie feine Schreden: frei
willig entzog man fi durch ihn drohendem Unheil.
{AS der Deutſche Orden die Eroberung Preußens begann,
hatte er es demnad mit einem fo gut wie unbefannten Feinde
zu thun. Um jo mehr bewährte fi) die militäriſche Technik, die
er im Morgenlande ausgebildet Hatte auf Grund der Der:
quidung von Nitter: und Möndtum. Waffnung und Marie,
Auffhlagen und Abbrechen des Lagers, Ordnung des Angriffs
und des Gefechts, alles war auf Grund der Orbdensregel auf
das genauefte beftimmt. Wie alle Kreuzfahrer waren aud die
I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 47
deutfchen Herren durch die Schule der Normannen gegangen,
deren in Unteritalien und Sizilien entwidelte Kampfweiſe ſich
in Syrien glänzend bewährt hatte. Sie juhten die Entſcheidung
nicht in offener Feldſchlacht: an ber Grenze der zunächſt zu er:
obernden Landſchaft errichteten fie unter dem Schuß eines größeren
Heeres eilig aus Holz und Erde ein ſchützendes Werk und legten
eine Befagung hinein, die nad) Abzug der Hauptmacht im Kleinen
Krieg die Umwohner immer weiter nieverfämpfte. Das fo ge
wonnene Gebiet wurde die Operationgbafis, von ber aus bie
nädjfte Landſchaft ebenfo bewältigt wurde,
Ein Heines Häuflein von Deutſchordensrittern eröffnete
den Kampf. Konrad von Landaberg, der die Verhandlungen
mit dem mafowifchen Herzog geführt hatte, Hermann Balk,
der als Landmeifter das Unternehmen leitete, der Marſchall
Dietrih von Bernheim, ein Franke, Dietrich von Inteln, einft
der Kämmerer ber heiligen Elijabeth, der Thüringer Heinrich
von dem Berge und endlich der in der Gegend von Zeig hei:
miſche Konrad von Wiltenhof mit Knappen und Knechten, er
bauten auf der Höhe des linken Weichjelufers die Burg Neffau,
nachdem Herzog Konrad ihnen Terrain und etlihe Dörfer
zum Unterhalt angemwiejen hatte. Durch polnijche und deutſche
Kreuzfahrer verftärkt, festen fie dann über den Fluß und legten
um den Fuß eines mächtigen Eichbaumes, deſſen Zweige eine
weite Umſchau erſchloſſen, einen Verhau an, der fie mit ihren
Tieren und Vorräten vor Ueberfällen notbürftig barg. Glüd-
lich behauptete fih die Heine Schar gegen den Anfturm der
Heiden. Unvergänglich lebte die romantijche Baumfefte in der
Erinnerung fort: jelbft in Gewänder webte man Daritellungen
davon ein. Als mit Hilfe eines Verräters die benahbarten
Burgmwälle der Preußen genommen waren, räumten diefe das
Kulmer Land und der Orden begann feine Befeftigung und Be—
fiedelung. In der Mitte der durch die Weichſel gebildeten Weft-
grenze wurbe 1231 die Burg Kulm aufgeführt, zunädft nur
aus Holz und Erbwerken. Dem befeftigten Eichbaum gegen:
über entftand 1232 Thorn, wohl nad) dem paläftinif hen Toron
(S. 39) genannt. Bor ihren Thoren wurden deutſche Ein:
wanberer mit Haus und Hof und Aderland verforgt. Den
48 Erſtes Bud. Die Elemente des preußif—en Staates (bis 1598).
Zuzug zu mehren erhielt Kulm bereits Weihnachten 1233
deutſches Stadtrecht mit Selbftverwaltung.
Noch aber galt es unausgefegten Kampf. Schon 1230
und 1231 machten die Preußen vermüftende Einfälle. Selbft
Majowien, Kujavien und Pommerellen gefährdeten fie. Immer
von neuem rief daher die Kirche zum Kreuze und verhieß denen
bejonderen Lohn, die dem Orden Hilfe braten. So wurde
die Krifis überwunden: der Orben behauptete das Kulmer Land
und konnte bald über deſſen Grenzen hinaus ftreben. Bon
Marienwerder aus begann er die Eroberung des nörblid) be—
nachbarten Bomefanien. Ein Sieg, den er im Herbft 1233 mit
polniſcher und pommeriſcher Hilfe an der Sorge, dem ſüdlichen
Zufluß des Draufenfees, davontrug, unterwarf diefe Landſchaft
und bahnte den Weg nad) dem öſtlich angrenzenden Pogefanien.
Bei dem Angriff auf diefes vermieden die Nitter die gefähr-
lie Sumpfnieberung im Süden des Draufenfees. Auf zwei
Schiffen, die der ald Kreuzfahrer ins Land gefommene Mark—
graf Heinrih von Meißen baute — „Pilgrim” und „Fried:
land“ hießen fie —, fuhren fie die Nogat hinab und errichteten
1237 auf einer Inſel des dem Draufenjee entfließenden Elbing
eine Burg diefes Namens, von der aus die pogefanifchen Preußen
niedergefämpft wurden. Zum Angriff auf Ermeland erftand
am Haff Balga, gegenüber der (jpäter verfandeten) Durchfahrt
durch die Nehrung. Auch in Natangen, zu beiden Seiten der
Paſſarge bis zum Pregel hin, faßte der Orden bereits feften
Fuß und unterwarf ſüdlich davon jenfeits der Alle das Bar:
tener Land teilmeife.
Zehn Jahre nach der Ankunft der erften Ritter ſchien
Preußen unterworfen. Aber dieſen militärifhen Erfolg des
Ordens übertrafen noch feine koloniſatoriſchen Leiftungen. Be—
fämpfung der Ungläubigen und friedliche Kulturarbeit gingen
Hand in Hand. Dabei offenbart die Wahl der Oertlichkeit für
die neuen Burgen und Städte fiheren Blid für die Stärke
geographiſcher Pofitionen. Im allgemeinen folgte der Orden
den Flußläufen, benußte aber gelegentlich aud preußiſche Wall-
burgen. So entftand im nördlichen Pomefanien Chriftburg,
im Ermelande Braunsberg und nahe der Grenze gegen Barten
1. Der Staat des Deutfchen Ordens in Preußen. 49
Heilsberg. Natangen wurde durch Kreuzburg, Barten durch
Bartenftein und das gegen die Wälder Galindiens vorgefchobene
Nöffel gededt. Städtifches Leben erblühte in Kulm und Thorn,
den Anotenpunften des deutſch-polniſchen Verkehrs, und in
Elbing, das die Verbindung über See vermittelte. Stärkerer
Zuzug deutſcher Bauern wird damals noch nicht erfennbar: die
herrſchende Unſicherheit erſchwerte die Anfievelung im offenen
Lande. Auch glaubte der Orden wohl noch, dafür die Preußen
jelbft gewinnen zu können. Dagegen wurden beutiche und pol⸗
niſche Edelleute, oft folde, die als Kreuzfahrer ins Land ge—
fommen waren und dann ihre Familien und zuweilen ihre ganze
Sippe nad fi zogen, mit Lehengütern auögeftattet.
Wichtige Wandlungen aber erfuhr das Verhältnis des
Drdens zu den ihm umgebenden Gewalten: die Ueberlieferung
davon ift unflar und widerſpruchsvoll, ja ſcheint geflifientlich
getrübt. Der Ritterorden von Dobrin (S. 43) war nun über:
flüjfig, er wurde 1235 mit dem Deutſchen Orden verſchmolzen.
Was ihm Konrad von Mafowien an Land gejhenkt hatte, gab
man klugerweiſe an diefen zurüd: man wünſchte ihn in gün—
fliger Stimmung zu erhalten. Folgenreiher war die Union
des Deutſchen Ordens mit dem Schwertbrüder- oder Chriftus-
orden, den Adalbert von Riga geftiftet hatte, um Livland zu
bewältigen, Ejthland gegen die Dänen zu behaupten und durch
Unterwerfung Rurlands und eines Teils von Litauen die Ver:
bindung mit Preußen und Deutfchland zu gewinnen. Schon
bald nad ber Ankunft der deutfchen Herren in Preußen war
fie ermogen worden. Aber die Beziehungen Eſthlands zu Däne—
mark und die Anſprüche der baltiſchen Biſchöfe auf die Landes—
hoheit über die den Schwertbrübern eingeräumten Gebiete ver:
zögerten den Abſchluß. Endlich verfügte Innocenz IV. die Ver:
einigung kurzweg, ala (September 1236) eine ſchwere Nieder:
lage der Schwertbrüber durch die Litauer und Semgallen dort
alles in Frage ftellte. Der Deutſche Orden ſtimmte der Ueber:
laſſung Efthlands an die Dänen zu und nahm in Livland bie
biſchöfliche Hoheit auf fih, die in Aurland nicht Platz griff.’
So waren Preußen und Livland eng verbunden und verfolgten
politifch einen Weg, mochten fie auch nur zeitweife wirklich
Prus, Preublide Gelhihte. I. 4
50 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
einen Staat bilden. Das war befonders wichtig Litauen gegen-
über, das fi wie ein Keil zwifchen fie ſchob.
Neue, große Aufgaben waren dem Deutſchen Orden nun
geftellt. Löſen aber konnte er fie nur unter beftimmten Vor:
ausfegungen. Vor allem konnte er im Kulmer Lande, auf dem
bei der Unficherheit feines preußiſchen Befiges feine ganze Stel-
fung ruhte, eine neben oder gar übergeordnete Gewalt nicht
dulden. Das Gleiche galt es dann in Preußen zu erreichen.
Beides hat er Durchgefegt, nicht ohne Verlegung der Rechte
anderer und nicht ohne Anwendung bedenklicher Mittel. Noch
bejaß Biſchof Chriftian in einem Dritteil des Kulmer Landes
landesherrliche Rechte; noch Fonnte er, kam der Orden ben
eingegangenen Pflichten nicht nach, auch das aufgegebene Gebiet
zurüdfordern (S. 44). Da wurde er, von abtrünnigen Preußen
hinterliftig gefangen, feinem Amte auf lange Zeit entrüdt.
Das benugte der Orden, um ſich zunächft des ganzen eroberten
preußiſchen Landes zu bemächtigen, ohne das dem Biſchof ge—
bührende Dritteil auszufcheiden, und Konrad von Majowien
ſchenkte ihm, wie aus einer päpſtlichen Beftätigung vom
3. Auguft 1234 erhelt, nun das ganze Kulmer Land nebit allen
den Preußen bisher entriffenen Gebieten. Sich feiner auf die
Dauer zu verfihern, gab der Orden — wie er e8 einjt mit
dem Burzenlande gewollt hatte (S. 40) — das Eigentum daran
dem heiligen Petrus, und Papft Gregor IX. nahm das an und
übertrug den Befig gegen Zahlung eines Lehenzinfes dem Orden ;
nur die Ausftattung der fpäter in Preußen zu errichtenden
Bistümer behielt er ſich vor.
So büßte Biſchof Chriftian feine Landeshoheit vollends
ein, und e8 ging fogar die Rebe, der Orden habe feine Löfung
aus der Gefangenſchaft vereitelt. Als er dann aber, nad um:
ſtändlichen Verhandlungen mit Erlaubnis der römijchen Kurie
freigefauft, Taute Klagen erhob, da mußte er erleben, daß
St. Peter es um des eigenen Vorteil willen auch hier mit
dem Stärkeren hielt. In dem angeftrengten Prozeß unterlag
‘er: brachte der Orden doch Urkunden bei, nach denen Konrad
von Mafowien ihm von Anfang an das ganze Kulmer Land ge:
ſchenkt hatte, Als Chriftian ſich dabei nicht beruhigte, ſchalt
I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 51
man ihn einen Eindringling und Störenfried. Innocenz IV.
ftellte ihm frei, eines von den drei neu abgegrenzten preußifchen
Bistümern zu wählen: er verweigerte es, um ſich nicht feiner
älteren Rechte zu begeben, und befam nun eine legte Frift ge—
ftellt, nach deren Ablauf er des biſchöflichen Amtes verluftig
gehen follte.
Auch das Verhältnis des Ordens zu den Polen war weſent⸗
lic) geändert. Konrad von Majowien hatte ihm auch die dem
Kulmer Lande öjtlich benachbarte Löbau abtreten müffen, obgleich
er fie früher felbft den Preußen entriffen hatte. Sie wurde
eine Duelle endlojen Streites zwifchen beiden. Noch ſchwerer
bedroht ſah fih Smwantopolf von Pommerellen. Denn ber
Orden mußte ji diefer Landſchaft bemächtigen, um die Ver—
bindung mit dem Reiche herzuftellen.. So war Swantopolf
ſchon 1238 ebenjo wie Kafimir von Kujavien bei Strafe des
Bannes verboten worden, ohne Erlaubnis des Ordens mit ben
Preußen Frieden zu ſchließen. Crbittert durch diefe Mediati-
fierung ftörte er die Schiffahrt der Ordensſchiffe auf der Weichfel,
und als fi 1242 die Preußen erhoben, ergriff auch er die
Waffen.
Der Aufſtand ſtellte alles in Frage. In den nördlichen oder
niederen Landſchaften hielten ſich zunächſt nur Elbing und Balga,
im Kulmer Lande nur Thorn, Kulm und Rehden. Zu Tauſenden
ſollen die deutſchen Anſiedler und die im Chriſtentum verharren⸗
den Preußen hingemordet worden ſein. Um ſich in Flanke und
Rüden frei zu machen, brachte der Orden gegen Swantopolk durch
Ueberlaſſung eines Teils der Löbau deſſen Vetter Herzog Konrad
von Krakau mit ſeinen Söhnen Boleslaw von Maſowien und
Kaſimir von Kujavien in Waffen und drang ſelbſt in Pommerellen
ein. Swantopolk bat zwar um Frieden und ftellte ſeinen Sohn
Meftwin als Geifel, erſchien aber bald wieder im Felde, brachte
dem Orden eine Niederlage bei und fam bis unter die Mauern
von Kulm, erlitt jedoch auf dem Rückzug an der Weichſel eine
arge Schlappe. Dennod fiel er in Kujavien ein, verjuchte
dem Orden die Weichfel zu jperren und fogar Elbing zu über-
rumpeln. Inzwiſchen aber erhielt der Orden auf jeinen Hilfe
ruf Zuzug aus Deutihland, der namentlich Rommerellen heim-
52 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
fuchte. Da beugte fi Smantopolf, erhob ſich aber gleich
wieder, weil man ihm die Freilafjung feines nad Deutſchland
abgeführten Sohnes Meftwin verweigerte. Mit den Preußen
vereinigt, zerftörte er das wichtige Chriftburg in Pomeſanien;
doch baute es der Orden unter dem Schug eines Kreuzfahrer:
heeres alsbald wieder auf (1247) und jchlug einen neuen An—
griff blutig zurüd. Nun endlich bequemte ſich Smantopolf 1248
zum Frieden.
Damit war das Schidjal des Aufftandes entſchieden. Unter
Vermittelung des päpftlihen Legaten Jakob von Lüttih und
des Biſchofs Heidenreich von Kulm machten die Pomefanier,
Ermeländer und Natanger am 7. Februar 1249 zu Chriftburg
mit dem Orden Frieden. Von einem vollen Siege der Nitter
kann demnach nicht geſprochen werden. Auch ift die Zahl von
Kirchen auffallend ein, zu deren Bau die Ermeländer und
Natanger die Mittel aufzubringen verſprachen, während es in
Pomejanien damit augenſcheinlich günftiger ftand. Aber bie
Preußen entjagten der Vielmeiberei und dem Kauf der Frauen
und gelobten ihr Leben der chriſtlichen Sitte anzupaſſen. Da—
für behielten fie Freiheit und Eigentum und durften innerhalb
der Schranken des Fanonifchen Rechts vollgültige Ehen fliegen,
vor Gericht zeugen, die Ritterwürde erwerben und nad polni-
ſchem Recht leben. Nur in den unzugänglichen Teilen Erme-
lands und Natangens wurde der Widerftand erſt während ber
nächſten drei Jahre bewältigt, nicht ohne gelegentlichen Verluſt
für den Orden. Ya, als eine deutſche Abteilung bei Kreuzburg
zufammengehauen war, erhob ſich Swantopolf von Pommerellen
noch einmal. Aber neue Kreuzfahrericharen eilten herbei. Da
madte 1253 Smwantopolf endgültig Frieden, deſſen Bruch er
mit 2000 Mark und der Uebergabe feiner Hauptſtadt Danzig
büßen follte.
: Der zehnjährige Aufftand hatte die Schwächen bes Ordens
offenbart. Es fehlte die Einheit der militäriſchen und der kirch—
lichen Zeitung, der erobernden und der befehrenden Thätigkeit.
Was da notthat, konnte auch die Kirche nicht leiften. Damit
verlor Biſchof Chriftian jede Ausfiht. Schon war er von Rom
ber zur Ruhe verwiejen. Vergeblich verwandte fi) das General:
1. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 53
Kapitel der Eiftercienjer für ihm bei der Kurie. Auch die Iegte
Friſt zur Wahl eines der drei preußifchen Bistümer ließ Chriftian
unbenugt: er hat an der Weiterführung der durch ihm begonnenen
Belehrung der Preußen feinen Anteil. gehabt und wird es vor-
gezogen haben, ſich im der Stille eines Klofters über die er-
littene Unbill zu tröften. Nun hatte ber Orden von der Kirche
Hinderung nicht mehr zu fürdten. Denn daß auch in den
Bistümern von Kulm, Pomefanien und Ermeland ein Dritteil
des Landes zur Ausftattung des Bifchofs diente, zwei Dritteile
dem Orden verblieben, that nichts bei der engen Verbindung
der Bistümer mit der kirchlich-ritterlichen Organijation des
Ordens. Als Innocenz IV. 1246 einer der preußiſchen Diözeſen
einen geiftlihen Bruder des Ordens jelbft vorjegen wollte, er:
hob der Erzbifhof von Niga als Metropolit Einſprache.
Wieder nahm die Kurie die Partei des Ordens und erklärte
fichlihe Zenfuren, die der Erzbifchof etwa gegen ihn verhängen
würde, zum voraus für ungültig. Bald darauf erhob ein Macht⸗
ſpruch Innocenz' IV. einen Deutſchordenskleriker Heinrich von
Stritberg zum Biſchof von Ermeland.
Die Folonifatorifhe Thätigfeit des Ordens nahm nun
rafcheren Fortgang. Der Friede mit Pommerellen und ein
vorteilhafter Handelevertrag mit Polen öffneten deutſchen Kauf:
leuten und Anfieblern den Weg nach dem Ofen.) Die Gewährung
mehrjähriger Freiheit auch von kirchlichen Abgaben zog viel
Anfiedler nah dem Kulmer Lande. Bon den Städten erhielt
Elbing 1246 lübiſches Recht. Die Verbindung mit Kur und
Livland aber vermittelte über See namentlich Lübeck: mit ihm
ermog ber Orden daher die Gründung einer Stadt an ber
ſamländiſchen Küfte. Sie unterblieb, aber in Gemeinjchaft mit
dem Biſchof von Kurland baute der Orden 1252 am Ausgange
des kuriſchen Haffs die Burg Memel, die bis 1328 zu Kurland
gerechnet und von dort aus verwaltet wurde. Doc) blieb dieſe
gefährdet, jo lange das dazwiſchen liegende Samland nicht
unterworfen war. Seine Eroberung war die nächſte militärische
Aufgabe. Wieder wurde in Deutſchland das Kreuz gepredigt,
und im Winter 1254—1255 kam ein Heer von 60 000 Mann in
das Land, Der bebeutendfte Teilnehmer war König Dttofar II.
54 Erſtes Bud. Die Elemente tes preußiihen Staates (bis 1598).
von Böhmen. Aber aud) der brandenburgifche Markgraf Otto
hatte ſich angeſchloſſen, nit minder bie Ritterſchaft Sachſens,
Meißens, Thüringens, des Nheinlandes und Oeſterreichs. Won
Balga aus brach man in das Samland ein, zerftörte etliche
preußifche Burgen und erzwang die Stellung von Geijeln.
Dann erritete man an der füdlihen Grenze auf der Höhe
über dem rechten Pregelufer aus Holz und Erde einen feiten
Platz, der nad) der gewaltigen Kreuzfahrerfefte Montroyal im
füdlihen Paläftina Königsberg genannt wurde — ein Namen,
der jpäter fäljhlih auf die Teilnahme des Böhmenkönigs an
diefem Zuge zurüdgeführt wurde. Bereits 1257 wurde ber
proviforifhe Bau in etwas veränderter Lage und beträchtlich
erweitert in Stein ausgeführt: in ihm follte dereinft die Wiege
des preußiſchen Königtums ftehen. Bis zum Ausgang ber
fünfziger Jahre bejchäftigte den Orden vornehmlihd Samland.
Wer von den einheimifhen Edlen ſich willig beugte, erhielt
Landgüter mit umfänglichen gutsherrlihen Rechten. Nur in
der Nordoftede der Halbinjel, wo Preußen und Kuren ſich be—
rührten, drang ber Orden noch nicht durch. Wohl aber unter-
warf er von Wehlau aus, am Zujammenfluß von Alle und
Pregel, das Gebiet von Nadrauen.
Nun waren aber diefe dreißig Jahre an dem Orden ſelbſt
nit fpurlos vorübergegangen. Mit jeinen urjprünglichen
Pflichten war der Beruf eines Eroberers und Landesherrn nicht
ohne weiteres vereinbar. Die Kämpfe in Preußen koſteten
größere Opfer an Menſchenleben, als er bei feiner beſchränkten
Mitgliederzahl bringen fonnte. Deshalb erlaubte Papſt Ale—
rander IV. 1256 die Aufnahme neuer Genofjen ohne vorher:
gehendes Noviziat und verhieß 1257 den als Anhänger ber
Staufer gebannten Nittern, die dem Orden beitraten, Löſung
vom Bann. Das drohte eine Loderung der ftrengen Zucht.
Dazu Fam die Entfernung Preußens von dem Sig der Ordens-
leitung in Accon, ber fie eine dauernde Einwirfung auf das
Ordensland unmöglich machte. Der preußiſche Zweig war nicht
nur wie felbftändig, fondern hatte auch die Zufunft des Ordens
in der Hand. War do 1251 in die Regel die Beftimmung
aufgenommen, zur Abhaltung eines Generalfapitels in dem
I Der Staat des Deutſchen Ordens In Preußen. 55
preußiſchen Haupthaufe zu Elbing follte die Anweſenheit von
je acht Brüdern aus Balga und Chriftburg genügen, über bie
Verhältniffe Preußens aber alljährlich nad} Accon berichtet und
alle zwei bis brei Jahre ein Bruder geſchickt werben, um
mündlich genaue Mitteilungen zu machen.
Diefer Widerſpruch zwiſchen der urfprünglichen Beftimmung
und der thatſächlichen Stellung des Ordens blieb nicht un=
bemerkt. Mit feinen Erfolgen wuchs die Zahl feiner Gegner.
Die Weltflucht der Ritter, hieß es, fei eitel Schein: der Regel
zum Trog führen fie ein weltliche Leben und fegen bie In—
terefien des Glaubens ihrem eigenen Vorteil nad, ja hindern
mohl gar jelbftfüchtig den Mebertritt der Heiden. Solde Be:
ſchuldigungen zu widerlegen, ſchildert der Guardian des Thorner
Klofters, wie eifrig der Orden durch Heranziehung von Predigern
und Lehrern, namentlid; auch der preußifchen Epradje kundigen,
die Chriftianifierung betriebe. Begründeter war wohl ber Vor-
wurf der Härte gegen bie Befiegten, mochte fie auch oft durch
deren Haltung verjchuldet fein. Hatte doch Papft Alerander IV.
dem Orden erlaubt, die Preußen, die ji des Kampfes gegen
ihre noch unbefehrten Landsleute oder der Arbeit beim Burgbau
weigerten, durch Wegnahme ihrer Kinder Dazu anzuhalten. Solcher
Zwang fteigerte natürlich das Wiberftreben und bereitete jchließ-
li) der Herrſchaft des Ordens eine furchtbare Krifis. Seit
fie die alte Freiheit und ben Glauben der Väter dem Unter:
gange verfallen jahen, jcheinen die Preußen nur auf den Augen
blick gemartet zu haben, wo fie fi mit Ausſicht auf Erfolg
zum Verzweiflungsfampfe erheben Eonnten. Er ſchien gefommen,
als der Meifter von Livland auf dem Zuge zum Entſatz der
St. Georgsburg im Memelthale am 13. Juli 1260 bei Durben
durch den litauiſchen Stamm der Samaiten eine blutige Nieder:
lage erlitt. Dielleiht um die an ihren Ketten Rüttelnden
dur Schreden zu bändigen, ließ da der Vogt von Ermeland
und Natangen in der Burg Lenzen preußifhe Edle, die als
Gäfte bei ihm weilten, einfperren und verbrennen, weil einige
ihm nad dem Leben geftanden haben follten.
Alsbald erhoben fi die Preußen in Samland, Natangen,
Barten, Ermeland und Pogejanien, aber nit mehr in ver-
56 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
einzeltem Losſchlagen, bald hier, bald da, ſondern einheitlich
nad einem vereinbarten Plane. Nicht umfonft hatten fie des
Ordens militärifhe Organifation und kriegeriſche Technik jo
lange vor Augen gehabt. Auf einem der Orbenshäufer oder in
Deutſchland erzogen war mander preußifche Edle felbit ritter-
lich geſchult, wie Heinrih Monte, der Führer der Natanger
und, wie es ſcheint, zeitweife das Haupt der ganzen nationalen
Erhebung. An demjelben Tage, den 20. September 1260, fam
der Aufruhr überall zum Ausbruch. Der Orden war völlig
überrafcht. Die Hleineren Burgen gingen faft fämtlich verloren.
Don den größeren wurden ſchließlich nur wenige behauptet.
Braunsberg und Heilsberg fielen troß verzweifelter Gegenmwehr;
Marienmwerder wurde zerftört, Chriftburg niedergebrannt. Auch
Kreuzburg in Natangen und Röffel in Barten mußten auf:
gegeben werden. Daß aber Balga trog der Niederlage des zum
Entfag eilenden Ordensheeres (Januar 1261) ſich hielt, jicherte
menigftens die Verbindung ber öftlihen und der meitlichen
Landſchaften und zugleich mit Deutſchland. Auch Elbing blieb
dem Orden. Aber bis tief in das Kulmer Land hinein ftreiften
die Empörer und vernichteten die Kulturarbeit von Jahrzehnten.
Ein DOrdensheer, das ihm den Weg fperrte, jchlug Monte im
Juli 1263 in offener Feldſchlacht. Die Entiheidung aber mußte
in Samland fallen. Auf drei Seiten von den Haffen und dem
Meere bejpült, ermöglichte es, nur von Oſten angreifbar, nad
allen Richtungen Hin den Verkehr. Erſt unlängft unterworfen,
hatte es unter ber Ordensherrſchaft wenig gelitten. Daher
fonzentrierten die Aufftändijhen monatelang alle ihre Kräfte
gegen Königsberg, beftürmten es von der Land- und Flußfeite
ber und ſuchten es duch Sperrung des Pregels auszuhungern.
Aber es hielt ji, und als er dann 1265 dur die Anlage
von Tapiau au die bisher ungeihüßte Südoftede der Land»
ſchaft zwifchen Deime und Pregel gededt Hatte, konnte der
Orden bier der Zukunft getroft entgegenjehen, zumal ihm die
livländiſche Ritterſchaft kräftig unterftüßte. Auch aus Deutjch-
land ſtrömten immer neue Kreuzfahrerſcharen zu, während die
Preußen allmählich zuſammenſchmolzen.
Seit 1264 machte der Aufſtand keine Fortſchritte mehr:
I. Der Staat des Deutfhen Ordens in Preußen. 57
bald ging es rüdmwärts mit ihm. Dann lähmte ihn vollends
* die Uneinigfeit der Führer. Nun gewann der Orden von Königs—
berg und Balga aus wieder Terrain. Jeden Schritt vorwärts
fiherte er durch Herftellung der alten und Aufführung neuer
Burgen. Die Aufftändifhen wien in die unzugänglihen Wald:
regionen des Inneren und braden von bort nur nod in ein=
zelnen Meberfällen hervor. Die gehoffte auswärtige Hilfe fam
nit. Der Litauerlönig Mindowe griff das Orbensland wider
Erwarten nit an. Auch Smwantopolf von Pommerellen blieb
ruhig, und als nad) feinem Tod (1266) feine Söhne Wratis-
lam und Meftwin dem Aufftande durch Sperrung der Weichſel
und Einfälle in das Kulmer Land Luft machen wollten, wurden
fie ſchnell zum Frieden genötigt. Seine deutſchen Lehensleute
zum Ausharren zu ermuntern, gewährte ber Orden ihnen Be:
freiung von der Landwehr jenfeits der Weichjel. Doch hatte er
fh aud vor übermächtigen Verbündeten zu hüten. Forderte
doch Dttofar II. von Böhmen ala Lohn für feine Hilfe Galindien
und das Land ber Jadzwinger. So hätte er Preußen von
Süden umfaßt und der böhmischen Herrſchaft den Weg gebahnt.
Infolge des milden Winters 1267—1268 aber fam er gar nicht
über Thorn hinaus: nur den Frieden zwifchen dem Orden und
Meftwin von Pommerellen vermittelte er.
Auch ohne von einem entjheidenden Schlage getroffen zu
fein, erlahmte der Aufftand. Nun wurde noch Heinrih Monte
1273 in den Wäldern Natangens, während feine Leute der Jagd
nachgingen, von ftreifenden Rittern überraſcht und aufgefnüpft.
Bon Königsberg, Balga und Elbing auf der einen, Rehden,
Chriftburg und Marienwerber auf der anderen Seite breitete
der Drben feine Herrichaft von neuem aus. Die im Wider:
ftand Beharrenden fahen fi immer enger umftellt, fammelten
ſich in den feenreihen Wäldern des ſüdlichen Pogefanien, ftreiften
wohl noch einmal bis Heilaberg und felbft bis Elbing, bis der
Ordensmarſchall Konrad von Thierberg 1274 fie vollends be:
wältigte. Bon einem Friedensſchluß wie 1249 war jegt nicht
die Rede. Durch den fünfzehnjährigen Widerftand hatten die
Preußen alles verwirkt: nur das Recht der Eroberung galt.
Die wenigen, die ben Fall ihrer nationalen Sache überlebten,
58 Erſtes Bug. Die Glemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
bargen ſich teils in den Sumpfwäldern des Südens, teils bei
den Litauern, um von dort aus den Kampf gegen den Erb»
feind aufzunehmen. Die im Lande blieben, verfielen in Knecht⸗
ſchaft und trugen als Hörige und Hinterſaſſen der deutſchen und
preußifhen Gutsherren ſchwere Fronden. Daher flammte ihr
Haß gegen die Sieger zuweilen noch in verzweifelten Thaten
auf, während dem Orden neue Feinde in ben benachbarten
Stämmen erftanden. So wurden die Nadrauer niedergefämpft,
indem die Ritter von Tapiau aus erft das Pregelthal und
dann einerſeits die Inſter und amdererfeits die Angerapp aufs
wärts vordrangen. Gegen die nörblid) davon figenden Schalauer
fuhr man vom Kurifhen Haff aus den Memelftrom hinauf.
Ein mühfeliger, wechſelvoller Kleiner Krieg entbrannte mit
den Sudauern, die, dur die preußiiche Seenplatte gededt,
längs der Südgrenze ſaßen. Allmählich machte von ihren Edlen
einer und der andere feinen Frieden mit dem Orden und über:
fiebelte in den von der Natur mehr begünftigten Teil Preußens.
Schließlich wurde ein großer Teil des Volks in die norbmweft-
liche Edle des Samlandes verpflanzt, die hinfort der Subauifche
Winkel hieß. Sudauen war entvölfert und ſchied mit feinen
von dunklen Wäldern umgebenen Seen ald „Wildnis“ den
Drden von feinen jüböftlihen Nachbarn.
Ganz unſicher war noch die Grenze im Norden und Often,
wo die Thäler des Memel und Pregel und ihrer Zuflüffe den
Kitauern und namentlich ihrem mweftlihen Zweige, den Sa—
maiten, bequeme Einbrudeftraßen darboten. Hier konnte ber
Orden fi nur durch einen dauernden Angriffsfrieg ſchützen.
Diefer aber verſchärfte den religiöfen und nationalen Gegen-
ſatz zu töblicher Feindſchaft. So knüpfte fih unmittelbar an
die Bewältigung Preußens der Beginn ber Litauerfämpfe, bie
ein Jahrhundert lang des Ordens Kraft üben und ftählen,
ſchließlich aber fein Verhängnis werben follten. Als Stützpunkt
für die Litauerfahrten erftand 1289 im Memelthale die Burg
Sandeshut, nahmals Ragnit genannt. Dft genug aber drangen
die leichtbeweglichen Litauer plöglid bis an die Küfte des
Meeres vor. Das ermedte bei den Neften ber altpreußifchen
Nationalpartei neue Hoffnungen. Sie hatte zur Zeit des Baues
1. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 59
von Ragnit daran gedacht, den Neffen Smwantopolfs von Pom—⸗
merellen, Witlam von Rügen, an die Spige eines neuen Ber
freiungsfampfes zu ftelen. Auch fam es 1295 in Natangen
nod einmal zum Aufftand. Im Samlande erhoben fih die
gefnechteten Hinterjaflen gegen ihre vom Orden begünftigten
preußiſchen Herren und richteten ihre Wut befonders gegen
Kirchen und Priefter — ein lettes Auffladern des Heidentums.
2. Die Blüte des Ordenskantes in Preußen. 1295—1382.
Sich des Gemwonnenen in ruhigem Genuffe zu erfreuen,
wäre mit der Beitimmung des Ordens unvereinbar geweſen.
In dem Kampf gegen die Ungläubigen wurzelte feine Kirchliche
und weltlihe Ausnahmeftellung. Obenein bereitete gerade da=
mals das klägliche Ende der Kreuzzüge den geiftlichen Nitter-
orben eine ſchwere Krifis, der die Johanniter beinahe, die
Templer völlig erlagen. Es war ein Glüd für die deutſchen
Herren, daß fie gegen die Litauer den Heidenfampf vor der
Welt Augen fortfegen konnten. Aber der Schwerpunkt ihrer
Thätigfeit lag andermärte.-! Sie waren Herren eines Landes
geworben, deflen natürliche Hilfequellen es planmäßig zu ent
wideln galt. Seine vielfahen Beziehungen, einerſeits zu den
Staaten des Nordens und Oftens und amberjeits zu dem
deutſchen Mutterlande, machten fie zu Trägern einer Politik,
die nit auf das Schwert allein gegründet fein konnte. Sie
wurden bie Vertreter ber deutſchen Interefien gegenüber dem
Slaventum und den Skandinaviern: auf ihnen beruhte in den
baltijhen Landen die Zukunft Deutfchlands.:
Dazu mußte der Orden im Inneren aus einen geſchickten
KRolonifator ein im großen Stil waltender Zandesherr werden
und Rechte und Pflichten eines folden um fo gemifienhafter,
aber au um fo fraftvoller üben, je weniger er urſprünglich
dazu berufen war, nach außen hin aber mit weit ausgreifender
Hand die Fäden der allgemeinen Politik zu leiten ſuchen. Nur
fo konnte das Ordensland zum Orbensftaat werden. So galt
es, die aus dem Geifte der Kreuzzüge geborene ritterlich-mön—
chiſche Genoſſenſchaft mit einem Inhalt zu erfüllen, der die
60 Erftes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bi 1598).
Ergebnifje der mittelalterlihen Aufklärung gleihfam vorweg:
nahm und in der militäriſchen, politiſchen, gejellihaftlihen und
wirtſchaftlichen Organijation verwertete. Erleichtert wurde ihm
das durch die Abrundung, die fein Territorialbefig gerade da-
mals erfuhr.
Auch in Livland ftrebte der Orden ſich der biſchöflichen
Hoheit zu entledigen. Daraus entiprang Streit mit dem Rigaer
Erzbiſchof; aber die Bedrohung durch die Litauer nötigte beide
wieder zufammenzugehen. Zum Bruch fam es endlich über die
Stadt Riga. Schon 1274 Hatte König Rudolf fie dem Orden
unterftellt, ohne daß diefer fein Recht zur Anerkennung bringen
Tonnte. Als er aber 1297 den abwejenden Erzbiſchof vertrat,
ſchritt der Orden gegen angebliche Uebergriffe der Bürgerſchaft
ein. Der Erzbiichof ergriff die Partei der Stadt; dafür wurde
er von ben Rittern gefangen genommen. Du riefen die Rigenfer
die Litauer zu Hilfe, die das Land weithin vermüfteten. Aber
erſt um den Preis weiterer Zugeftändniffe erlangte der Erzbiſchof
die Freiheit. Mit der Stadt Elagte er gegen den Orden am
römiſchen Hofe. Der Prozeß ſchwebte noch, als das Nigaer
Erzbistum zum zweitenmal erledigt wurde. Da erwarb ber
Orden 1305 das von den Litauern zerftörte Klofter Diinamünde
und drohte die Stadt von der See abzufchneiden. Dieje ver:
anlaßte einen neuen Litauereinfall, während der neue Erzbischof
den Orden in Avignon als Verfolger und Verächter der liv-
ländiſchen Kirche denunzierte. Da aber bald darauf Clemens V.
ftarb und der päpftlide Stuhl zwei Jahre unbeſetzt blieb, be—
hauptete der Orden feine Stellung.
Größer noch war der Erfolg, den er um dieſelbe Zeit
durch die Ermwerbung Pommerellens gewann. Diefes hatte
Swantopolf 1266 fo unter feine Söhne geteilt, daß Wratislam
die nördliche, Mejtwin bie ſüdliche Hälfte erhielt. Bald lagen
beide im Streit, und Meftwin fuchte Schuß gegen den Bruder
unter brandenburgifher Lehenshoheit. Markgraf Konrad legte
eine Befagung nad Danzig. Nach Wratislams Tode aber wollte
Meftwin fi ihm wieder entziehen, doc wurde fein Angriff auf
Danzig von den Brandenburgern abgeſchlagen. Da wandte er
fi an Herzog Boleslam von Großpolen, und dieſer nahm 1272
I. Der Staat des Deutfchen Ordens in Preußen. 6
Danzig ein. Für den weftlihen Teil feines Gebietes jedoch,
Schlawe und Stolp, blieb Meftwin brandenburgiſcher Vaſall
aus Sorge vor ſeinem ländergierigen Neffen Witzlaw von Rügen.
Dann aber ſetzte er 1282 wieder Herzog Boleslaws Nachfolger,
Przemyslaw von Großpolen, zum Erben ſeines ganzen Gebietes
ein. Dadurch ſah ſich der Orden bedroht: ihm hatte nämlich
Meſtwins Oheim Sambor, den jener allmählich aus ſeinem
Beſitz verdrängt hatte und der mit der Kirche vielfach haderte,
1276 die Landſchaft Mewe zu eigen gegeben, ſüdlich von Dirſchau,
zwiſchen Weichjel und Ferfe. Die Schenkung war aud) 1282
vom Papft beftätigt worden : aber von dem mächtigen Großpolen
befehügt, hatte Meftwin die Uebergabe bisher verweigert. Da
erloſch mit Meftwins Tod 1294 das pommereliiche Fürftenhaus.
Zugleich entbrannte in Polen neuer Thronftreit. Während in
einem Teil Wenzel II. von Böhmen, Ottofars II. Sohn, die
Herrihaft gewann, wurde Meftwins bisheriger Beſchützer
Przemyslaw im Sommer 1295 zum König von Großpolen und
Herzog von Pommerellen gekrönt, konnte aber den Wiberftand
der Kujavier unter Wladislam Lokietek nicht brechen. Wohl
aber brachte er Danzig troß des Widerftandes der deutſchen
Bürgerfhaft in feine Gewalt. Aber ſchon 1296 wurde er
ermordet, und nun gewann der Böhmenkönig die Oberhand.
Um fi Pommerellens zu verfihern, begünftigte er das dort
reich begüterte Haus des Palatin Swenza, dem er die Statt-
halterſchaft in Danzig übertrug. Ebenfo verfuhr fein jugendlicher
Nachfolger Wenzel III, der zugleich um des Ordens Gunft warb,
aus Sorge vor Wladislam Lokietek, defien Anhang wuchs.
Deshalb fuchte Wenzel III. aber auch bei den Anhaltinern von
Brandenburg Anlehnung, die ihre Anſprüche auf Oftpommern
noch nicht aufgaben. Im Auguft 1303 ſchloß er mit ben
Markgrafen Otto IV., Hermann und Waldemar einen Vertrag,
durch den er ihnen, gegen Herausgabe der von feinem Vater
verpfändeten Mark Meißen, Oftpommern überließ. Aber nad)
Wenzels III. Ermordung (Auguft 1306) fand Wladislam Lokietek
faft in ganz Polen Anerkennung, und verweigerte nicht bloß
die Auslieferung Oftpommerns, fondern verfolgte auch die
Swenza und trieb fie vollends zum Anſchluß an die Deutfchen.
62 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
Einen Teil ihres pommerelliſchen Beſitzes hatten biefe bereits
dem Orden verkauft; nun huldigten fie unter Berufung auf
Wenzels II. Vertrag im Sommer 1307 für ihre übrigen Län—
dereien, die von Tuchel und Neuenburg bis nad) Rügenwalde
reichten, den Brandenburger Markgrafen. Ganz ähnlich handelte
Wladislaw Lokietek. Als Dtto IV. von Brandenburg mit jeinem
Neffen Waldemar ſich 1308 im weftlihen Pommerellen feitjegte
und aud von den deutjch gefinnten Danzigern in ihre Stadt
aufgenommen wurde, in deren Burg des Polenfönigs Leute
bald hart belagert waren, da erbat er für dieje vom Deutſchen
Orden Hilfe. Eifrig griff diefer zu: er übernahm, die eine
Hälfte der Danziger Burg zu verteidigen gegen Erjag der Koften.
Raum aber hatten die Ordensritter die Brandenburger gemein=
ſam mit den Polen verdrängt, als fie mit diefen Händel be:
gannen. Erft occupierten fie die eine Hälfte der Burg; dann
nahmen fie einen polnifchen Anführer gefangen und nötigten
ihm die andere Hälfte als Pfand für die Zahlung der Kriegs:
koſten ab. Darauf überfielen fie in der Nacht des 14. No-
vember 1308 die Stadt jelbft, ſchlugen den Widerftand ber
Bürgerfhaft blutig nieder und zerftörten die ſchützenden Holz—
wehren, die fie gegen die Burg gebedt hatten.
Es ſcheint, als ob der Orden durch rückſichtsloſes Zugreifen
gut machen wollte, was er in Riga dur allzu peinliche Wah⸗
tung bes Scheines verfehen hatte. Als Wlatislam Yofietel
berbeieilte, war e8 zu ſpät. Nur gegen 10000 Mark Silber
wollte der Orden Danzig herausgeben. Diefe Summe fonnte
der Pole nicht aufbringen. Nun beſetzte der Orden auch Dirſchau
und Schweg: im Frühjahr 1310 war er Herr Pommerellens:
Bon den Brandenburgern hatte er nichts mehr zu fürchten:
denn ein Kampf zwiſchen ihnen beiden wäre bloß den Polen zu
gute gefommen. So fehlofien die Markgrafen den Vertrag von
Soldin (13. September 1309), nad) dem fie dem Orden bie
Gebiete von Danzig, Schwetz und Dirſchau überließen, dagegen
als Herren von Stolp, Schlawe und Rügenwalde anerkannt
wurden. Als dann auch der piaftifhe Herzog von Glogau und
Witzlaw II. von Rügen zum Verzicht beſtimmt waren, ſchloſſen
der Markgraf und die deutſchen Herren am 12. Juni 1310 einen
1. Der Staat de Deutſchen Ordens in Preußen. 63
neuen Vertrag, nach dem Waldemar zugleih im Namen jeines
Mündels, des Markgrafen Johann aus der ottonifhen Linie,
den thatjählich bereits am den Orden gefommenen Gebieten
gegen Zahlung von 10000 Mark Silber nohmals ausdrüdlich
entfagte. Erſt als diefer Pakt am 27. Juli 1310 von Hein-
rich VII. beftätigt und die Zahlung geleiftet, dem Orden aber
der neue Befig vom Kaifer verbrieft war, war bie pommerelliſche
Frage gelöft. Die Zukunft in dem bisher halb polnischen Lande
gehörte der deutfchen Kultur, für die ein Kampf zwiſchen dem
Orden und den Brandenburgern verhängnisvoll geworben wäre.
Denn Brandenburg war noch nicht ftark genug, um bie Grenz=
hut im Nordoften wahrzunefmen. Hat Waldemar doch felbft
Stolp, Schlawe und Rügenwalde 1316 gegen Geld an Herzog
Wratislaw IV. von Pommern-Wolgaft abgetreten: die Zeit war
noch nicht gefommen, wo der Brandenburger Adler ſich an der
Dftfee einniften konnte.
Die Eroberung Pommerellens ſchloß den Ordensſtaat äußer-
lich ab. Es erfhien nun vollends als unnatürlih, daß der
Meifter des Ordens nicht dort feinen Sig hatte, fondern feit
dem Verluſte Accons (1291) gemöhnlih in Venedig weilte.
Dort hatte der Doge Rainer dem Orden zum Dank für die
Hilfe, die er der Nepublif 1252—1258 gegen Genua geleiftet
hatte, die Kirche della Trinitä gebaut, neben der ein ftattliches
DOrbenshaus entftanden war. Aber wegen des Streites mit
dem Erzbifhof von Riga und der pommerelliiden Frage war
bereits Meifter Gottfried von Hohenlohe 1302 nad; Preußen
geeilt. Doch ift zweifelhaft, ob ſchon damals die Verlegung
feines Siges nad) dem Ordenslande erörtert wurde. Sicherlich
hatte Hohenlohes Rüdtritt vom Amte nichts damit zu thun,
ebenfowenig wie nachher fein Widerruf, der heftige Streitig-
feiten im Orben veranlaßte. Die Kräfte des Ordens in Preußen
zu fongentrieren, erforderte ſchon feine Sicherheit. Das Eid:
ſal der Tempelherren enthielt in jedem Fall eine eindringliche
Warnung. In Preußen fonnte der Orden jedem Gewaltſtreich
der Art zuverfichtlich begegnen.
So nahm denn etwa ein Jahr nach der Eroberung Danzigs
Siegfried von Feuchtwangen feinen Sig in Preußen, aber nicht
64 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
in dem bisherigen Haupthaufe Elbing, fondern der auf ben
rechten Ufer der Nogat gelegenen Marienburg. Eine Burg war
dort zur Sicherung der Wafferftraße wohl ſchon während des
Vordringens von Pomefanien nah Pogefanien errichtet; die
unter ihrem Schuß entſtandene Anfiedelung erhielt ben 27. April
1276 Stadtrecht. Nefidenz des Hochmeifters wurde die Marien:
burg wohl wegen ihrer Lage: fie bezeichnete ungefähr die Mitte
des Orbenslandes und hatte durch die Wafferftraßen nad allen
Seiten hin bequeme Verbindungen. Doch mußte fie ihrer neuen
Beſtimmung erft dur einen großartigen Um: und Ausbau
angepaßt werben, ber fie zu dem allgemein bewunderten Meifter-
werk der Ordensbaufunft machte.
Damit fand die Entwidelung äußerlih ihren Abſchluß,
die unter ben Zelten des deutſchen Felbhofpitals von Accon
begonnen hatte (S. 39). Der fefte Halt des Ordens war
dabei feine Negel. Nicht beredinet auf fo großartige Verhält:
niffe, vereinigte fie doch glücklich Dehnbarkeit in der vielge-
ftaltigen Praris mit Strenge in den Prinzipien. So fonnte
fie das Grundgeſetz eines eigentlich verfaſſungsloſen Staates
werden. Zufammengefegt aus Abfchnitten der Regeln der
Templer und der Dominikaner, fpiegelte fie die Doppelnatur
des geiftlihen Nitterordens wieder. Mag au die Form, in
der fie vorliegt, erft der Zeit angehören, wo die Eroberung
Preußens vollendet war: in ben leitenden Gefihtspunften ift
der urfprüngliche Beftand fiher bewahrt. Die Dehnbarkeit auf
die geänderten Verhältniffe ficherte die ergänzende „Gewohn-
heit“. Indem der Orden fo die alten Formen mit einem neuen
Geift erfüllte, erwies er feinen hiftorifhen Beruf. Die Ordens—
ämter erhielten, ohne die urfprünglich den beſchränkten Ordens—
zweden entjpredhende Bedeutung zu verlieren, einen weitum—
faffenden militärif hen und politifhen Inhalt und wurden Organe
eines Staates, der weltliche Ziele mit weltlihen Mitteln ver:
folgte. Aus dem Haupte einer möndifch:ritterlihen Genofjen-
ſchaft, deren Beruf fi) in Armen= und Krankenpflege, frommen
Uebungen und dem Kampf gegen die Ungläubigen erfchöpfte,
wurde der Meifter das Haupt einer hierarchiſch gegliebderten
Beamtenrepublif und einer Landesverwaltung, welde die ver—
I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 65
ſchiedenſten Aufgaben zu löfen hatte, und darüber hinaus ber
Träger einer verantwortungsvollen auswärtigen Politik. Der
Ordensmarſchall, urfprünglich ber Leiter des dauernden Eleinen
Krieges gegen die Ungläubigen, war nun der Kriegaminifter
eines ausgefprohenen Militärftaates und der Generalſtabschef
eines alle Zeit jhlagfertigen Heeres, das der Zuzug von Kreuz:
fahrern aus aller Herren Ländern zeitweife zu einer Glaubens:
armee ber abendländiſchen Chriftenheit verftärkte. Der Treßler
aber, einft ber Verwalter des beſcheidenen Vermögens, das dem
Orden aus milden Gaben und frommen Stiftungen zuwuchs,
konnte nun dem Finanzminifter eines großen Staates verglichen
werden. Und im Eleinen wiederholt ſich diefe Doppelnatur in
jedem Ordensbruder: zugleich Mönd und Ritter, ift er als
Mitträger des Ordensſtaates je nachdem Soldat oder Ver:
waltungsbeamter oder Diplomat.
Jedem ber zwanzig Bezirke des Landes ftand ein Kom—
tur vor. Die Brüder feines Konvents waren feine Räte und
Gehilfen in der Verwaltung, feine Offiziere im Felde. Kleinere
oder entferntere Bezirke leitete ein Ritter ohne Konvent als
Pfleger. Die Verwendung des Einzelnen hing allein ab von
feiner Tüchtigkeit. Aber felbft das größte Verdienft gab fein
Recht auf ein höheres Amt, und nicht felten finden wir be
währte Vorfteher wichtiger Komtureien, ja felbft Inhaber hoher
Ordensämter nachher in untergeordneten Stellungen. No
lebte in ben Brüdern des Deutſchen Haufes idealer Sinn und
begeifterte fie zu felbftlofer Unterordnung unter den Willen der
Oberen und zu metteifernder Hingabe an das Wohl der Ge-
famtheit. So verfügte diefer Staat über ein Beamtenperfonal
von unvergleichlicher Brauchbarkeit. Denn jeder einzelne war
bier zugleich Herr und Diener, Regent und Unterthan, Offizier
und Soldat. Daher wurde die Gejamtheit als Trägerin der
Öffentlichen Gewalt von lebendigſtem Staatsbewußtfein erfüllt.
War doch jene privatrehtlihe Auffaffung des Staates, in der
das Mittelalter befangen blieb, hier ſchon dadurch ausgeſchloſſen,
daß der einzelne Orbensritter befiglos war und perſönlich feinen
Anteil hatte an den nugbaren Rechten, in denen jene Zeit das
Weſen des Staates jah. Auch der Wille des Einzelnen bedeutete
Prutz, Preußiſche Geſchichte. J.
66 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (Bid 1598).
bier nichts: gemeinfames Ermägen und Beraten gab den Aus:
ſchlag. Gern und fleißig Rat zu ſuchen und gutem Rat willig
zu folgen, war jedem Bruder geboten; denn da ift Heil, mo
viel Rat ift. Hier entipringt die fittliche Kraft dieſes kriegeriſchen
Beamtenftaates in feiner Blütezeit, liegt aber auch die Wurzel
bes Uebels, dem er nachmals verfiel. Denn es fam eine Zeit,
wo ein geiftlicher Ritterorden auch bei ber vollfommenften Organi=
fation die dem Staate geftellten Aufgaben gerade feiner Doppel-
natur wegen nicht löſen konnte und umgeftaltet werben oder
untergehen mußte. Bis dahin aber hat ber Orden in Preußen
Großes für Deutfchland geleiftet.
[So Großes die Deutichen als fiegreihe Träger ihrer Kultur
in fremden Landen geleiftet haben, das Größte hat doch der
Deutſche Orden durch die Eroberung und Germanifierung
Preußens geleiftet. Raum jonftwo ift dabei fo zielbewußt und
planmäßig, mit jo ausdauerndem Kraftaufwand und durch—
ſchlagendem Erfolge gehandelt worden. Als eine Grenzmark
größten Stils wurde Preußen organifiert. Ein Net von feiten
Plätzen überjpannte das Land, die, nahbarlih aufeinander
angewiefen, ſich gruppenmweife zu Verteidigungsſyſtemen zu=
ſammenſchloſſen. Die Ordensburgen trugen dabei einen weſent⸗
li anderen Charakter als die Schlöffer und Feten des mitt-
leren Deutichland, die auf Höhen angelegt fi mit ihren Mauern
der Form des Bergplateaus anſchloſſen. Der Orden führte feine
Häufer im Viered auf: ihre Mauer ift die Außenmauer von
Bohn: und Wirtihaftsgebäuben, deren Anlage und Verteilung
der mönchiſchen Ordnung des ritterlihen Lebens entſprach: fie
waren und blieben befeftigte Klöfter. Außer Mauern und Gräben
ſchützten die wichtigeren auch noch eine oder mehrere Vorburgen.
Die Grenze, namentlid gegen Litauen, bedten Gräben und
Verhaue, die nur an wenigen, durch befondere Werke geiperrten
Stellen einen Zugang freiließen. Noch heute finden fid Spuren
biefer „Landwehr“, Nefte alter Schüttungen, bie ſich ehemals
meilenweit hinzogen, niedrige Wälle, auf deren Krone immer
nur ein Mann hinter dem anderen zu gehen Platz hatte, wäh:
rend den Fuß dichtes Gehölz unzugänglich machte. Weiter zurück
lagen in dem Waldrevier befeftigte Blodhäufer, Vorwerke der
I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 67
dann folgenden Burgen. In deren Nähe befanden fih zumeilen
„Fliehhäuſer“, beftimmt, beim Hereinbrechen feindliher Raub-
ſcharen die benachbarten Anfiedler mit ihrer beweglichen Habe
aufzunehmen. Der Ordensmarſchall hatte dafür zu forgen, daß
überall das nötige Kriegsgerät bereit war. Meber die Beſchaffen⸗
heit des feindlichen Landes und die Abfihten und Bewegungen
feiner Bewohner unterrichtete den Ordensmarſchall ein zahlveiches
Perſonal von Kundſchaftern und Leitsleuten. Sie lieferten auch
genaue Beihreibungen der Wege, die bei einem Zuge gegen
die Litauer benugt werben fonnten, gaben Auskunft über die
Breite der zu paffierenden Brüche, die beim Weberbrüden ober
Durchwaten der Flüffe zu beachtenden Verhältniffe, die zum
Lagern geeigneten Pläge und die Möglichkeit des Fouragiereng,
aber aud über die von den Feinden befegten oder zu Hinter:
halten benugten Punkte — furz über alles, was zu willen
wünſchenswert war, um ſowohl vor einem Handſtreich des Feindes
fiher zu fein, wie überrajchend in das feindliche Land einbrechen
und mit ber Beute ſchnell wieder hinter die ſchutzenden Grenz-
wehren eilen zu Eönnen.
Aber auch die friedlichen Aufgaben der Kultur hat diefer
Militärftaat in bemunderungsmwürdiger Weife gelöft. So Großes
Staufer, Welfen und Zähringer als Städtegründer geleiftet
haben: der Deutfche Orden übertrifft fie ale durch die Zahl der
von ihm geſchaffenen Site bürgerlicher Selbftverwaltung. Als
das Städteweſen im den deutſchen Landen alter Kultur verfiel,
wurde Preußen die Wiege neu erblühender fommunaler Freiheit.
Von den nahezu fechzig Städten, die zwiſchen 1233 und 1416
in Preußen entitanden, waren etwa zwanzig — obenan Kulm,
Thorn und Elbing — Orte älteren Urfprungs, die der Orden
mit Stadtrecht bewibmete, die übrigen find, auf das ihnen zum
voraus verliehene Stadtreht Hin von Unternehmern begründet,
allmählih herangewachſen. Davon waren, entipredhend ber
Herkunft der erften Einzügler, die Binnenftäbte meift mit magde-
burgifchem, die an und nahe der See gelegenen mit lübiſchem
Recht begabt. Was das deutſche Städtewejen bisher an Er-
gebniffen für die wirtſchaftliche und foziale Kultur gezeitigt
hatte, das wurde mit einemmal in das ftädtelofe Preußen ver:
68 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
pflanzt. In dem offenen Lande aber wurde eine zahlreiche
deutſche Bauernſchaft ſeßhaft, indem der Orden teils ſelbſt,
teild durch Unternehmer Dörfer meift nah kulmiſchem Recht
gründete. Ihre Einwohner zinften bald Naturalien, bald Geld
und leifteten Scharwerfebienfte, blieben aber vom Kriegsdienſt
frei. Die wenigen preußiſchen Bauern dagegen hatten auch
diefen zu leiften. Was es an preußifchen Edelleuten gab, waren
Nachkommen der während des großen Aufftandes treu gebliebenen,
die dafür ungefähr durch die Stellung der deutſchen Edelleute
belohnt worden waren. Auch polnische Adelige ſaßen im Ordens»
land, namentlich in den Polen benachbarten Landſchaften. Die
überwältigende Mehrheit des in Preußen angefiedelten Adels
war deutſcher Abkunft. Militäriſch galt für ihn die allgemeine
Dienftpflit, die er je nad) dem Umfang bes ihm verliehenen
Gutes in voller ſchwerer Ritterrüftung oder in leichterer Waff-
nung leiftete. Dafür hatte er auf feinen Gütern umfangreiche
grundherrliche Rechte und in Vollmacht und Vertretung bes
Landesherrn die niedere Gerichtsbarkeit über feine Hinterjaffen.
Er vornehmlich kennzeichnete Preußen als Rolonialland Ge:
ſamtdeutſchlands. Denn in ihm waren wie im Orden felbft alle
Landſchaften und ale Stänme Deutſchlands in buntefter
Miſchung vertreten: dadurch wurde Preußen gleichſam Gemein-
befig des deutſchen Volkes.
Doch hat auch der internationale Zug, der allen Kreuzs
fahrten eigen war, denen nad) Preußen nicht gefehlt. Nament:
lid) haben jeit dem Verluft Accons 1291 außer Jtalienern und
Spaniern Angehörige aller Völker des Meftens ihren Glaubens-
eifer und ihre Abenteuerluft dort zu befriedigen gefucht. Ja
in fürftlihen und ritterlihen Kreifen gehörte e8 zum guten
Ton, dort gefochten und den Ritterfhlag empfangen zu haben.
Eine Zeitlang erfhienen Engländer und Schotten faft regel:
mäßig als Kriegagäfte, und Heinrich von Derby, fpäter König
Heinrich IV., 308 zweimal nad) dem Ordenslande (1390—1391
und 1392). Auch Franzofen fanden fi ein: Baucicaut hat
unter dem Ordensbanner gefohten. Ungarn, Dänen, Böhmen,
Niederländer und Lothringer erſchienen mehrfach. Von deutſchen
Fürftenhäufern gibt es kaum eines, das nicht durch einen oder
1 Der Staat des Deutſchen Orbens in Preußen. 69
den anderen Sprofjen unter den Preußenfahrern vertreten wäre.
Das fteigerte das Interefje des deutjchen Adels an dem Kolonial-
lande, mit dem auch Bürger und Bauern Deutſchlands ähnlich
verfnüpft waren. So fand das deutſche Volk die Einheit, die
ihm daheim verloren ging, wieder in der Oftmarf an Pregel
und Memel, welhe die militärifchen Tugenden feines Adels im
Bunde mit ber Thatkraft feines Bürgertums und der Arbeits-
freudigfeit feiner Bauern mit Blut und Eifen nicht bloß, ſon—
dern auch mit Schweiß und Geiftesarbeit erfauft hatten. Hier
fehlte daher auch noch ber Gegenfag der Stände, umd Abel,
Bürger und Bauern lebten in Frieden und Eintracht unter bem
Regiment der Rittermönde. Das kam zunächſt der wirtſchaft—
lien Entwidelung zu gute. Wo wäre damals ein Rieſenwerk
durchzuführen geweſen wie die Trodenlegung der Niederung
zwiſchen Weichjel und Nogat, die vierzig Duabratmeilen frucht⸗
barften Aderlandes für ben Anbau gewann? Wo eine fo heil-
fame Reform, wie die Einführung von einheitlihem Maß und
Gewicht (1335—1336)? Mit Staunen blidte man im Neid
nad dem „neuen Deutſchland“ im fernen Nordoften, mo alles
gedieh, was man baheim vermißte. Cin waffentüchtiger, be—
güterter Adel, vol Vaterlandsliebe und Gemeinfinn, ein ges
werbthätiges, an dem wachſenden Weltverfehr lebhaft beteiligtes
Bürgertum, voll bereditigten Selbitgefühls, und ein tüchtiger,
wirtſchaftlich gedeihender Bauernftand im Befig ungeminderter
Freiheit verbanden ſich dort zu einer Gemeinjhaft des Lebens,
deren Wert und Segen ihnen um jo mehr zum Bemwußtfein
kam, je mehr fie im Gegenfag zu dem mißgünftigen Polentum
ſtolz ihr Deutſchtum betonten.
Für Polen war der Orden längft ein gefürchteter Nachbar
geworben. Zubem jah es fi, feit dem Verlufte Pommerellens
von der Oſtſee abgeſchnitten, wirtſchaftlich ſchwer geſchädigt.
Nun hatte Wladislam Lokietek das Reich in der Hauptſache
wieber geeinigt, mochten aud Mafowien und Kujavien felb-
ftändig bleiben und die fchlefiihen Piaften ſich Böhmen an—
ſchließen. Auch rechnete er auf päpftliche Hilfe, denn die Kurie
mißgönnte dem Orden feine ftolze Unabhängigkeit in firchlichen
Dingen. Seit die Bistümer Pomefanien, Kulm und Samland
70 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
mit Orbensflerifern bejegt wurden, war bie preußiſche Landes⸗
fire ganz in des Ordens Hand, zumal er auch in den bifchöf-
lichen Gebietsbritteilen als Landesherr gebot. Nun weigerte
er die Zahlung des Peterspfennigs, die früher wenigftens vom
Kulmer Lande geleiftet worden war. Den Unwillen ber geld:
bebürftigen Kurie nährten die übrigen Gegner des Ordens, und
fo erlangten die Prozeffe politiihe Bedeutung, die der Erz
bifhof von Riga wegen Dünamünde (S. 60) und Wladislam
Lofietel wegen Pommerellens in Avignon gegen den Orden
anftrengten. Aber des Ordens Sachwalter waren gewandte
Juriſten und gejhicte Diplomaten. Durch Zuwarten, Vermeiden
jeber ernftlihen Erörterung und genaue Erfüllung aller For:
malitäten, deren Mißachtung ihren Klienten ins Unrecht ver-
et hätte, ermübeten fie Gegner und Richter. Erging ſchließ—
li ein ungünftiger Sprud, jo mußten fie feine Vollftredung
aufzuhalten oder ihn wohl gar in das Gegenteil zu wandeln.
So ermirfte 1319 Hochmeifter Karl von Trier perjönlih in
Avignon dem Orden die Beftätigung des Kaufs von Düna-
münde. In betreff PBommerellens verurteilte zwar 1320 Jo—
hann XXII. den Orden zur Herausgabe an Polen und Zahlung
von 3000 Mark Koften, ließ den Spruch aber unvollftredt, als
der Orden ihm den Peterspfennig vom Kulmer Lande bewilligte.
So griff Polen jhließlih zu den Waffen im Bunde mit
Litauen, befjen König Gedimin 1325 feine Tochter Wladislams
Sohn Kafimir vermählte. In Marienburg verfannte man bie
Gefahr niht: mit Wratislam von Pommern, Georg von Ruß:
land, Semomwit von Majowien und Heinrid von Braunſchweig
wurden Bündniffe gejhloffen, während Polen die Hilfe Ungarns
gewann. Ein neues politisches Syftem tauchte damit im Often
Europas auf. Im Zentrum ftand der Ordensjtaat, um den
die übrigen Mächte freundlih und feindlich gravitierten, jegte
fi) aber zugleih dem Papfttum mutig entgegen: troß Bann
und Interdikt verweigerte er den Peterspfennig und hielt an
Ludwig dem Bayern feit.
Sühneverfude und Stillftände zögerten den Ausbruch des
Krieges bis 1327 hin. Als er erfolgte, griffen aud) die Rigenfer
wieber zu ben Waffen und riefen Gedimin zu Hilfe. Deshalb
I. Der Staat des Deutfchen Ordens in Preußen. 71
ſchloß ein Ordensheer die Stadt ein, und im Frühjahr 1330
mußte fie fih nun doch unterwerfen. Auch in Polen drang der
Orden 1332 erobernd ein, indem er durch erneute Bewilligung
des Peterspfennigs vom Kulmer Lande die Kurie von der Unter:
ſtützung Wladislams abhielt. Den Krieg gegen Litauen aber
ftellte er hinfort als einen ihm duch feine Regel gebotenen
Kampf gegen die Ungläubigen dar: bald organifierte er ihn
als eine Fortjegung der Kreugzüge. Darüber ftarb hochbetagt
König Wladislaw 1333, und fein Sohn Kafimir, von feinen
Schwägern Olgierd und Kynftut, Gedimins Söhnen, ungenügend
unterftügt, war fehließlich froh, erneuten Friedensmahnungen
mit Anftand nachgeben zu fünnen. Im Juli 1343 traf er
mit Hodmeifter Dietrih von Altenburg in Kaliſch zufammen
und trat nicht bloß das Kulmer Land und Pommerellen, jondern
aud die erfterem ſudweſtlich benachbarte Michelau ab.
Inzwifchen war in Efthland im Frühjahr 1343 ein Auf:
ftand der einheimifhen Bauern, der die deutfche Kultur und
die däniſche Herrſchaft bedrohte, mit Hilfe des Ordens nieber-
geſchlagen. Diefes mächtigen Schuges wünſchte man fi dort
aud) ferner zu verfichern, zumal 1345 das benachbarte Livland von
einem Litauereinfall heimgefucht wurde. Infolgedefien überließ
König Waldemar IV. von Dänemark Eſthland für 19 000 Mark
dem Orden, der auch die Anrechte feines Schwiegerfohnes, des
Markgrafen Ludwig von Brandenburg, um 6000 Mark erwarb.
Für den Orden galt e& den neuen Beſitz gegen die weſtwärts
ftrebenden Ruſſen zu fügen, die ihrerfeits mit Litauen zus
jammenhielten. Dort Herrfehten jeit Gedimins Tod (1. Ok—
tober 1341) in Eintraht feine Söhne Olgierd und Kynftut;
während erfterer fi gegen Preußen wandte, fuchte legterer mit
den Rufen von Pſkow Livland heim. Um jo dringender be=
durfte der Orden einer ficheren Verbindung zwifchen Kur, Liv:
und Eſthland einer: und Preußen andererfeits. Dazu mußte er
von Memel und Ragnit den Memel und feine Zuflüſſe aufwärts
dringen und durch ein Syftem von Befeftigungen den Samaiten
den Weg verlegen, um das breite und jumpfige Niederungs-
land allmählich zu bewältigen. Zwei Menfchenalter hat dieſer
Kampf ihn vorzugsweife beihäftigt: ein durchſchlagender Erfolg
72 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiihen Staates (Bid 1598).
iſt ihm nicht beſchieden geweſen, ja nit einmal ben Einfällen
der Litauer hat er ein Ende machen können. Dennod hatten
die Litauerfahrten für ihn eine hohe Bedeutung: fie galten
als Fortfegung des Kampfes für ben Glauben. Zubem führten
fie zahlreiche Kriegsgäfte in das Land, abenteuer: und beuteluftige "
Ritter aller Nationen, befonders natürlich deutfche, und erhielten
fo die Verbindung zwifchen dem Koloniallande und dem Reiche.
Auch wurden fie für den Orden und feine Unterthanen eine
trefflide Schule des Krieges, die fie zu fchlagfertiger Waffen-
bereitſchaft bildete. Freilich lag darin aud eine Gefahr, weil
fie den Charakter ernfter kriegeriſcher Aktionen allmählich ein-
büßten und zu wüften Raubfahrten entarteten.
Man unterfchied zwei Arten biefer „Reifen“, außerorbent-
lie und gewöhnliche oder große und Fleine. Nur erjtere waren
Kriegszüge: längere Zeit vorher angefagt, wurden fie vom
Hocmeifter felbft oder vom Ordensmarſchall befehligt. Auf den
Sammelplägen erſchienen dann die Komture und Ritter der
Grenzburgen, oft aud der Meifter von Livland, dann die abligen
Landſaſſen und die ftädtifhen Wehrmannſchaften mit Kriegs—
materialien und Vorräten. Daher war der Troß oft groß, und
man wählte zum Einbrud in $eindesland den fihereren und
bequemeren Waflerweg. Häufig wurde von ſolchen Zügen längere
Zeit vorher nad) Deutſchland und weiterhin Kunde gejandt und
die Ritterfchaft zur Teilnahme eingeladen. Dann wurde auch
wohl der Ehrentifch gehalten, d. h. ein Prunkmahl, zu dem
von den erfhienenen Rittern die berühmteften durch Heroldsruf
geladen wurden. Dabei ging es hoch her, wie überhaupt die
Teilnahme fremder Fürftlichfeiten an den „Reifen“ rauſchende
Feftlichleiten und üppige Gelage veranlaßte, bei denen man es
einander zuvorzuthun ſuchte an auserlejenen Speifen, köſtlichen
Getränfen und prachtvollem Geräte. In Bezug auf das eigent=
lich Militärifche, die Marſchordnung, das Gefeht u. ſ. w. hatte
fi) ein beftimmter Brauch herausgebildet, von dem nur aus
bejonderen Anläffen abgewichen wurde. Im allgemeinen aber
entſprach bei der Natur des Striegsfchauplages und der Kampf:
art des Feindes die Kleinheit oder Hinfälligfeit des Erfolges
nicht der Größe der aufgewandten Mittel.
1. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 73
Wichtiger für die Friegerifhe Schulung des Ordens waren
die kleineren „Reiſen“. Sie waren Sade allein der Komture
der Grenzburgen und follten die Litauer von des Ordens fteter
Kriegsbereitichaft überzeugen. Sie fanden gewöhnlich von den
dazu geeigneten Grenzburgen aus zweimal im Jahre ftatt: denn
nur ftarfer Froft oder Sommerbürre machte die Sumpfwälder
mit ihren Bächen und Fliegen paffierbar. Aber gerade diefe
„Reifen“ entarteten früh zu wüften Raubfahrten und felbft rohen
Menſchenjagden. Wie heute fürftlihem Beſuch zu Ehren ein
Hof Jagden veranftaltet, fo veranftaltete der Orden für vor-
nehme Fremde folhe Reifen, die fo zu einem Sport herab-
gewürdigt wurden. Die Fiktion freilich beftand, es handle ſich
um eine ritterlihe Glaubensthat. Sie ſollte auch die Grau—
famfeiten rechtfertigen, die man babei verübte. „Was in tut
we, das tut uns wol“, befennt ein zeitgenöffiicher Dichter und
erzählt, wie bie Ritter in dem litauijhen Grenzlande mit
Mord und Raub und Brand haufen, „den Chriften zum Ge—
winn, den Heiden zum Berluft”. Die Männer werden nieber=
gemacht, Weiber und Kinder gefangen und zujammengebunden
wie Koppeln von Hunden in die Knechtſchaft geführt.
Merkwürdig fontraftiert damit die Pflege, welche die geis
ftigen Interefien im Orden fanden. Freilich wirkten da per:
jönlide Momente mit. Der Hochmeifter Lothar von Braun
ſchweig (1331—1335), der zuerit in dieſer Richtung thätig
war, wird als Sohn Alberts des Großen (} 1279), deſſen
Schweiter Helene mit Hermann von Thüringen, dem Sohne
der heiligen Eliſabeth, vermäßlt war, dur jeine Beziehung
zu dem dichterfreundlichen Hof auf der Wartburg auf ähnliche
Beftrebungen bingewiejen fein. Er überfegte aus dem Lateis
niſchen ein poetijches Leben der heiligen Barbara und veran-
laßte, wohl zum Zwed der durch die Regel gebotenen Vor—
lejungen bei den gemeinjamen Mahlzeiten, Paraphrajen der
Bücher Daniel und Hiob. Auch fehlten in den Büchereien des
Ordens nit ältere Dichtwerke, deren Vorwurf der Kampf für
den Glauben war, wie Barlaam und Joſaphat, das Rolandelied
u. a. m. Noch bewahrt die Königsberger Bibliothek etliche reich
ausgeftattete Handichriften, die Lothar von Braunſchweig an-
74 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifchen Staates (bis 1598).
fertigen ließ. Damals bearbeitete Heinrich Hesler die Offen-
barung Johannis, ein Kartäufer Philipp widmete fein Leben
der Jungfrau Maria dem Orden, und Nikolaus von Jeroſchin,
der aud) das Leben des heiligen Adalbert befang, erzählte im
Anſchluß an das Werk Peters von Dusburg die Orbensgefchichte
in einer Reimchronik, zu deren Weiterführung ihn Lothars
Nachfolger, Dietrich von Altenburg (1335—1346), ermunterte.
Bald danach verdeutſchte Nikolaus, der Kuftos der preußiichen
Minoriten, auf Wunſch des Ordensmarſchalls Siegfried von
Dahenfels (1347—1359) die Heinen und großen Propheten
und die Apoftelgefchichte.
So eriheint das halbe Jahrhundert nach dem Frieden von
Kaliſch als die glüdlichfte Zeit des Ordens. Dauernd verjüngt
durch den Zuftrom tüchtiger Kräfte aus dem deutſchen Adel,
denen der weiße Mantel eine ftattlihe Verſorgung verhieß,
waltete er, jede Fähigfeit an der rechten Stelle verwendend,
feines hohen Amtes in jhönem Gleihmaß der Kräfte und über:
wand fo die Gefahren, die feine Doppelnatur mit fi brachte.
Zugleih Mönde und Ritter, Soldaten und Beamte, Kaufleute
und Diplomaten, waren die Deutf—hen Herren in ihren hervor=
ragendſten Vertretern Staatsmänner, unübertroffen an iel:
jeitigfeit der Erfahrung, Weite des Blicks und Kühnheit des
Handelns. Yndem fie alle die gleiche Schule durchmachten, im
Dienfte derfelben Jdeale und unter dem Einfluß derjelben Tra=
dition gebildet wurden und wirkten, entwidelten fie eine Poli=
tif, die, unabhängig von dem Wechſel der Perfonen, in der
Erfahrung von Generationen wurzelte und ſich doch dem Wandel
der Zeiten geſchickt anpaßte. Die Frage aber war, ob der
Orden auf diefer Höhe dauernd erhalten werben fünnte Wie
nahe Tag jedem feiner Glieder die Verſuchung, auf das Recht
der Gefamtheit hin fich felbft Vorteile zu ſchaffen und feinen
eigenen Willen für den Geſamtwillen auszugeben! Steiner wohl
von den Meiftern hat dieſe Gefahr jo klar erfannt und jo vor-
ſorglich abzuwenden gefucht, wie der edle Winrich von Knip—
rode (1351—1382), an deſſen Namen fih die herrlichften Er—
innerungen aus der Blütezeit des Ordens Enüpfen.
Wenn Winri von Kniprode nachgerühmt wurde, er habe
I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 75
die Gebietiger in Chrbarfeit und die Brüder in frommer Zucht
gehalten, über Rittern und Edelleuten gerecht gewaltet, Bürger
und Bauern löblidh regiert, Witwen und Waifen verforgt, nicht
minder aber aud) die Litauer mit Krieg heimgefucht, zerftörte
Ortſchaften wieder aufgerihtet und fefte Burgen erbaut, im
übrigen jedoch fi des Krieges nach Möglichkeit enthalten, fo
daß der Orden ſich unter ihm des beften Rufs erfreute: jo läßt
ihn diefe Fülle des Lobes als das Ideal eines Fürften er:
feinen, mag auch ein Teil davon auf Rechnung des Gegen-
fages kommen, in dem gleich die nächſtfolgenden Zeiten zu der
jeinen ftanden. Bezeichnendermeije wird des Meifters Wirken
innerhalb des Ordens vorangeftellt, gewiß weil gerade in dieſer
Hinſicht bald fo vieles fo anders wurde. Wenn Winrid die
Statuten durch Beftimmungen ergänzte, die den Ordensbeamten
ſchonende Behandlung der Unterthanen zur Pfliht machten, jo
zeigt das, daß ſchon damals über Ausfchreitungen der Art ge-
klagt wurde. Ebenſo führte er regelmäßige Vifitationen ber
DOrdenshäufer ein. Um die Brüder beffer für ihre Thätigfeit
als Beamte vorzubereiten, errichtete er in Kulm eine Afabemie,
wo namentlih die Rechte gelehrt werden follten. Sie krönt
den planmäßigen Ausbau bes preußiihen Schulweſens durch
den Orden. Schon ſeit Beginn des 14. Jahrhunderts waren
neben den elementaren Volksſchulen auch Pfarrſchulen und
ftädtifche Anftalten entftanden, auf denen Latein gelehrt wurde,
wie bie jhon 1300 erwähnte Ratsſchule zu Elbing. Der Biſchof
von Ermeland hatte in Wormbitt eine Anftalt zur Ausbildung
feiner Hofjunfer und in Heilsberg ein Seminar für junge
Geiftlihe preußiicher Abkunft errichtet. Auch auf diefem Ge—
biet hatte Preußen das Mutterland bereits eingeholt. Das
bezeugt auch das Erblühen der preußiihen Geſchichtſchreibung,
die dem ihr gebotenen großen Stoff gerecht wurde.
Eine ſolche Pflege der geiftigen Intereſſen aber war doch nur
möglich zu einer Seit, wo bes Landes Kräfte kriegeriſch weniger
in Anſpruch genommen waren. Geruht haben die Waffen frei-
lich auch unter Winrich von Kniprode nicht. Denn noch er:
füllte die eine oder die andere Grenzlandſchaft gelegentlich ein
plöglicher Litauereinfall mit den Schreden des Heidenkampfes.
76 Erſtes Bud. Die Elemente bes preußiſchen Staates (bis 1598).
Andererjeits ließ troß des Friedens von Kaliſch König Kaſimir
feine Gelegenheit unbenugt, um dem Orden zu fhaben. Denn
die Wiedergewinnung Bommerellens und des Kulmerlandes blieb
die Sehnſucht aller polniſchen Patrioten. Die Ausfiht darauf
war damals freilich gering. Sa, in harter finanzieller Bedräng⸗
nis mußte Kafimir von dem Orden 40 000 Gulden leihen gegen
Verpfändung des Landes Dobrin, des auf dem rechten Weichiel-
ufer gelegenen Teils von Kujavien. Diefer Handel, durch den
der Orden fi wie ein Keil zwiſchen Kujavien und Maſowien
einſchob, wurde die Quelle enblofen Streites zwilchen ihm und
Polen. Auch weil der Orden ihn gegen bie Litauereinfälle
nicht ficher ſtellte, klagte Kafimir gegen ihn in Rom, ala ob da
eine Bernadläffigung der Pflicht des Kampfes gegen die Heiden
vorläge. Denn gern benußte die Kurie jede Gelegenheit, um
den auf feine Unabhängigkeit fo ftogen Orden ihre Autorität
fühlen zu laſſen. So blieb auch unter Winri das Verhältnis
zu Polen unfreundlih, troß des glänzenden Empfanges, ben
der Meifter dem König bei einem Beſuch in Marienburg be—
teitete,
Wie grundlos die polnifhen Beſchuldigungen gegen ben
Drden waren, lehrt die Geſchichte der Litauerfämpfe jener
Zeit. Daß Winrich den politifchen Vorteil feines Staates über
den eitlen Ruhm des Glaubensfampfes fegte, Fonnte ihm nur
kirchlicher Mebereifer zum Vorwurf maden. Stellte doch ſchon
damals die Verſchwägerung Kaſimirs mit dem litauiſchen
Fürftenhaufe den Orden vor die Möglichkeit einer Union Polens
und Litauens. Um fo mehr ſuchte Winrih den Litauern den
Weg das Memelthal abwärts zu verlegen. Heftiger entbrannte
daher der Kampf. Zweimal fiel Kynſtut in die Gefangenſchaft
der Ritter, gewann aber durch Lift die Freiheit wieder. Im
Frühjahr 1362 drang der Meifter mit dem Marſchall Hennig
Schindekopf, der ſchon als Komtur von Ragnit der Schreden
der Litauer geworden war, bis nad) Kowno vor, eroberte und
zerftörte e8. Ja bis Wilna, Olgierds Hauptftadt, famen die
Deutſchen gelegentli. Streit im litauiſchen Fürftenhaufe er=
ſchloß ihnen noch größere Ausſichten. Waidot, ein Sohn Kyn—
ftuts, zerfiel mit dem Vater, ſuchte den Schuß des Ordens und
1. Der Staat des Deutjhen Orbens in Preußen. 77
empfing in Königsberg die Taufe, um dann am kaiſerlichen Hofe
als „Litauerfönig” Hilfe für feine ehrgeizigen Entwürfe zu
werben. Deshalb brachen Olgierd und Kynftut im Januar 1370
plöglih mit einem gewaltigen Heer in Preußen ein. Die Ab-
teilungen, die auf verſchiedenen Wegen das Land verwüftend durch⸗
flogen, vereinigten ſich am Haff, über deſſen Eis fie in ſchnellem
Ritt Samland erreichten. Aber durch den Komtur von Ragnit
und feine Kundſchafter war der Orbensmarjhall rechtzeitig ge—
warnt. Ein Nachtmarſch brachte das Ordensheer von Königsberg
am Morgen des 17. Februar 1370 nah dem Ordenshauſe
Rudau, nahe der Nordfüfte Samlands. Am Mittag entbrannte
dort eine furchtbare Schlacht: zu ſpät wurden die Litauer inne,
daß fie es nicht mit eilig zufammengerafften Haufen, fondern
der ganzen Streitmacht des Ordens zu thun hatten. Ihrem
Anfturm waren fie nicht gewachſen: zu Taufenden wurden fie
auf der Flucht zufammengehauen. Aber auch der Orden hatte
ſchwere Verlufte: auch der Ordensmarſchall war gefallen, in
übereifriger Verfolgung von einem feindlichen Geſchoß getroffen.
Dennod war die Schlaht bei Rudau nur durch die Maffen der
Streiter von früheren und fpäteren Litauerlämpfen verfchieben:
fo fehr Dichtung und Sage fie gefeiert, das Verhältnis ber
beiden Gegner war dur fie nicht geändert und ber Krieg
dauerte in ber alten Weife fort.
Günftigere Ausfichten erfchloffen fih dem Orden, ala 1377
Dlgierd ftarb und fein Sohn Jagal, beftrebt dag ganze Land
zu gewinnen, um feine Freundſchaft warb. Heimlich traf Jagal
auf einem Jagdausflug mit dem Bevollmächtigten des Hoch—
meifters zufammen: er verfpradh gegen Preußen und Livland
nit? zu unternehmen, wenn er auch Kynftut zum Schein
Heeresfolge leiftete. Zum Kampf gegen diefen gewährte er dem
Ordensheer Durchzug; ſcheinbare Feindfeligfeiten follten Kynſtut
tãuſchen. Da fiel dieſer 1381 plötzlich über den verräteriſchen
Neffen her und nötigte ihn zur Flucht nad) Witebsk. Bald aber
ftand derjelbe, von dem Orden unterftügt, in Waffen. Zugleich
brach gegen Kynftuts Sohn Witowd ein Aufruhr aus. Ein
wechſelvoller Kampf entbrannte. Da machte Jagal Vergleiche:
vorſchläge. Thöricht begab ſich der greife Kynftut mit feinem
78 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (Bid 1598).
Sohn in das Lager des Neffen: er wurde gefangen und endete
bald im Kerker.
Während feinem Verhältnis zu Polen und Litauen dauernd
ernfte Verwickelungen drohten, ftieg unter Winrich von Kniprode
der Einfluß des Ordens auf die Geftaltung der baltiſchen An:
gelegenheiten. Dazu wirkte die eigentümliche Doppelftellung der
größeren Stäbte Preußens. Seit der Mitte des 14. Jahr:
hunderts erſcheinen erft Thorn, Kulm und Elbing, dann auch
Danzig, Braunsberg und Königsberg als Glieder der Hanfa
und nahmen als jolde an der auswärtigen Politif der Hanfa
teil wie freie Städte, während fie mit ihren inneren Angelegen-
beiten von dem Landesheren abhängig blieben, fi auch wohl
darauf beriefen, um fi läftigen Anforderungen ber Hanja zu
entziehen. Dieſes Doppelverhältnis erlangte um fo größere
Bedeutung, je mehr ber Handel der preußiichen Städte erblühte
und die Hanja zur Trägerin einer eigenen See- und Hanbele-
politif emporwuchs. Die preußifchen Städte waren namentlich
an den ffandinavifhen Intereſſen der Hanfa, befonders dem
Heringsfang und Heringshandel intereffiert. Als es nad dem
Ueberfall Wisbys durd) Waldemar IV. 1361 zum Krieg der
Hanfa gegen Dänemark kam, leifteten die preußifchen Städte
troß der Neutralität des Ordens dazu wenigftens finanzielle
Beihilfe, indem fie das Pfundgeld einführten. Dann aber in
den Stillſtand nicht ausdrücklich eingeſchloſſen, fahen fie ihren
Handel durch die Dänen empfindlich gefhädigt und drangen
auf baldige Erneuerung des Krieges. Als diefelbe 1368 erfolgte,
nahmen die preußifchen Städte mit 500 Mann und fünf Schiffen
daran teil und erhielten in dem Stralfunder Frieden vom
24. Mai 1370, der den Höheftand der hanſiſchen Macht im
Norden bezeichnet, ihren Anteil an dem Heringsfang in Schonen
wieder. Wie leicht aber fonnte auch einmal die auswärtige
Rolitif des Ordens mit der der Städte in Widerſpruch geraten!
Würden die Städte die ohne fein Zuthun gewonnenen Rechte
und Reichtümer dem Orden in jedem Falle für feine Zwecke
zur Verfügung ftelen, nit vielmehr, in fo wichtigen Fragen
der Zugehörigkeit zum Ordensſtaate entwöhnt, ein foldes Ver-
langen als Eingriff in ihre Gerechtſame abweijen?
I. Der Staat des Deutſchen Drdens in Preußen. 79
Uebrigens vertrat auch der Orben ſelbſt feine Städte energifch
nad außen. Verletzungen der hanſiſchen Privilegien in Eng-
land veranlaßten Klagen der preußiſchen Städte und ſchließlich
Repreffalien gegen die engliſchen Kaufleute in Preußen, bie
dann wieder entiprehende Gegenmaßregeln in England zur
Folge hatten. Da die Hanfa unthätig blieb, wurde Winrich
von Rniprode zum Eingreifen veranlagt. Dennod wurden nad
Eduards IN. Tod (1377) in England preußiihe Schiffe und
Waren als feindliche behandelt, und erſt 1379 fam ein Ver-
glei zu flande, der den preußiſchen Städten Schadenerſatz
verhieß. Erneute Streitigkeiten aber veranlaßten einen fürm-
lichen Zol- und Handelskrieg. Da ergriff Winrich ernfte Map:
regeln gegen England. Aber erft das noch energifchere Vorgehen
feines Nachfolgers Konrad Zöllner von Rothenftein bewirkte
eine befriedigende Löfung des Konfliktes. Aehnliche Differenzen
gab es 1379 mit Franfreih, doch mies auf des Hochmeiſters
Erſuchen König Karl VI. feine Küſtenwächter alabald an, Leute
und Schiffe des Ordens und der Hanfa nicht mehr zu beläftigen.
Auch ſchenkte er dem Orden eine koſtbar gefaßte Partikel des
heiligen Kreuzes, wie einige Zeit zuvor Kaifer Karl IV., der
nicht zu feinen zuverläffigen Freunden gehörte, ihm eine Reliquie
der heiligen Katharina geſpendet hatte, von ber aus dieſem
Anlaß ein koſtbares, aus Silber getriebenes und vergoldetes
Bildnis bergeftellt wurde.
So hat Winrich von Aniprode, weithin als Haupt eines
mächtigen Staates gefeiert, länger als ein Vierteljahrhundert
feines fürftlichen Amtes gewaltet, mehr Staatsmann als Krieger,
um eine friedliche Zukunft bemüht. Das lehrt namentlich auch
jeine litauiſche Politit. Den Befig des Ordens im unteren und
mittleren Memelthal zu fihern beftrebt, wollte er doch zugleich
die alte Feindſchaft befeitigen und ein friedliches Nebeneinander
beider Völker ermöglichen. Schon wurden die Litauerfahrten,
deren Widerfinn und Roheit ihm nicht entgangen fein fann,
gelegentlich auch in weiteren Kreifen abfälig beurteilt: man
erfannte den fundamentalen Widerſpruch, an dem ber Orden und
fein Staat frankten. Hier entiprang wohl aud) des Hochmeiſters
Bemühen, mit der Kirche des Ordenslandes in gutes Einver:
80 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
nehmen zu kommen. Den alten Zwiſt mit dem Erzbifhof von
Niga beglich er, indem er der Herrſchaft über die Stadt ent-
fagte, doch behielt der Orden fein feftes Haus und durfte die
Bürger auch in Zufunft zum Kriegsbienft aufbieten. Streitig-
feiten mit ben Bifchöfen von Samland und von Ermeland
wurden beigelegt. Auch ließ die Kircenfpaltung dem Orden
unbequeme hierarchiſche Tendenzen damals nit auffommen,
und auch von feiten des Reiches ift Preußen in feiner Weife
als ihm zugehörig oder gar untergeordnet in Anſpruch ge—
nommen worden. Unabhängig von den höchſten kirchlichen und
weltlichen Gemwalten, in dem jelbftbegründeten Recht fiegreicher
Eroberung und fiegreiherer Kulturarbeit wurzelnd, gefeftigt
durch die praftifhe Bewährung feiner den Verhältniffen meifter-
haft angepaßten Organifation, ein Militär: und Beamtenftaat,
der doch feine von den Aufgaben ftaatlicher Friebensarbeit ver=
fäumte, getragen von dem einmütigen Zuſammenwirken ber eins
ander jonft überall befämpfenden Stände — fo erſchien Preußen
damals den Stammesgenofjen daheim ala das „neue Deutſch-
land“. Und doch war aud in ihm bereits ein Berfegungsprozeß
im Gange, deſſen zerftörende Wirkungen der erfte Sturm von
außen furdtbar offenbaren foltte.
3. Der Fall des Ordensfantes. 1382—1466.
Der Orden blieb nicht unberührt von der Auflöfung des
gejamten mittelalterlihen Lebens. Wurzelte fein Staat doch
in deſſen firhlichen, gefelihaftlihen und wirtſchaftlichen Ver—
hältniffen, deren fortichreitender Verfall aud ihm ergreifen
mußte. Die Emanzipation des Staates von der Kirche, die
Ausbildung nationaler Monardien und das Auffteigen des
Bürgertums zufammen mit der Wandlung bes wirtiaftlichen
Lebens entzogen ihm die bisherigen Bedingungen bes Dajeins.
Adel und Nittertum verloren die leitende Stellung mit dem
militärifehen Uebergewicht. Dem Fußvolk und den Feuerwaffen
gehörte die Zukunft. Zwar ging der Orden gerade auf diejem
Gebiet mit der Zeit und hielt fein Kriegsweſen auf der Höhe.
Neben ber ſchwergerüſteten Neiterei der Ordensritter und des
1. Der Staat bes Deutſchen Ordens in Preußen. 81
dienſtpflichtigen Lehensadels bildeten ſeine Heere die zu Fuß
fechtenden ſtädtiſchen Aufgebote, und auch durch Berufsſoldaten
hat er ſie zeitig ergänzt. Genueſiſche Schützen warb er bereits
1394, burgundiſche 1397, und zu Anfang des 15. Jahrhunderts
Schweizer. Cine „Bombarde” brauchte er ſchon 1381 gegen
eine litauiſche Feſte. Die preußifhen Flüſſe befuhren zinnen—
gekrönte Kriegsſchiffe; jpäter ftellten ihm die Seeftäbte ftattliche
Slotten. Nur hoben ſolche Fortſchritte doch den Widerſpruch
nit auf, an dem er innerlich krankte.
Zu Armut, Gehorfam und Keufchheit verpflichtet, lebten
diefe Rittermönde in Reichtum, Herrſchaft und Weppigfeit.
Hatte die Ordensregel einft für eine pflihttreue Regententhätig-
teit den Rahmen abgegeben: den erftarfenden weltlihen In:
terefien erlagen bie Gebote ritterliher Tugend und Frömmig:
feit. Und doch blieb der Rechtstitel für die ganze Stellung
des Ordens ber Kampf gegen die Ungläubigen. Durften aber
die zu greulihen Menſchenjagden entarteten Litauerreifen als
ein folder gelten? Schien nit vielmehr diefes ritterliche
Treiben nur ein Deckmantel für bie Befriedigung jeder Be—
gierde? Wenn es fpäter von ben Gebietigern hieß, fie fagten:
Was ift kulmiſch Recht? Wir find euer Net! — fie zwängen
die Schöffen zu Urteilen nad ihrem Willen, vergewaltigten
ehrbare Leute, mißachteten die verliehenen Handfeften, be—
reicherten fi widerrechtlich, vernadjläffigten ihre kirchlichen
Pflichten, Tebten in Unkeuſchheit und ließen die preußifchen
Bauern bei heidniſcher Abgötterei: fo handelt es fi do um
Webelftände, die erſt allmählich jo ſchreiend wurden, den An-
fängen nad} aber ſchon zu Ende des 14. Jahrhunderts vorhanden
waren, wie ja auch die Reformbeftrebungen Winrichs von Knip-
rode zeigen.
Auf die zunehmende Unkirchlichkeit des Ordens allein,
die er mit der ganzen Zeit teilte, wird das nicht zurüdzu:
führen fein. Doch rüdten ihn fchon feine Konflikte mit dem
Papittum gelegentlich in ein befonderes Licht, und die Kurie
trug fi mit dem Gedanken an feine „Reformation“. Welcher
Art fie fein würde, ließ fi erraten. Gewiß hätte Polen gern
die Hand dazu geboten. Unvergeſſen war dort, was man
Prus, Preußilhe Gebihte. 1. 6
82 Erſtes Bud. Die Elemente bes preußifhen Staates (bis 1598).
durch den Orden verloren hatte, und dauernd fürdhtete e8 neue
Verlufte. Aber die Erfenntnis feiner Weberlegenheit nötigte
die erfehnte Vergeltung zu vertagen. Die Art, wie er nad
Kynftuts Tod den Hader Witomds mit Jagal benugte, um
fi) eines Teild von Samaiten zu bemädtigen, mußte den
alten Haß der Litauer noch fteigern. Und nun wurde nad
dem Tode Ludwigs des Großen von Ungarn und Polen eben
diefer Jagal, getauft und Ludwigs jüngerer Tochter Hedwig
vermählt, als Wladislam II. König von Polen. Mußte er
aud feinen Vetter Witomd als Großfürften von Litauen jelb-
ftändig laſſen, fo entitand doch ſchon durch diefe Iodere Ver:
einigung beider Reihe eine Macht, in der fi die alte Feind:
{haft der Polen mit dem tödlichen Haß, welder die ftets
befämpften und nie überwundenen, jahraus jahrein wie wilde
Tiere gehegten Litauer erfüllte, zu leidenfhaftlihem Streben
nad) Vernichtung des Ordens verband, und das zu einer Zeit,
wo das Slaventum auf der ganzen Linie gegen die Deutichen
anftürmte. Zudem nahm die Bekehrung der Litauer dem Orden
mit dem Glaubensfampfe den Redtätitel, auf dem feine Aus:
nahmeftellung beruhte.
Zum Glüd konnte der Orden fi) noch rechtzeitig aus dem
Handel löfen, der ihm der Inſel Gotland wegen in einen
Kampf mit den fkandinavifchen Reihen zu verwideln drohte.
Dort hatte die Entthronung des Schwedenkönigs Albrecht von
Medlenburg durch Margarete von Dänemark und Norwegen
einen Krieg veranlaßt, in den mit der Hanſa auch Danzig,
Elbing und Thorn gezogen waren. Ihn benugten däniſche und
deutſche Seeräuber, um, angeblid als Parteigänger Albrechts,
fi auf Gotland, einft dem Knotenpunkt des norbifchen Handels,
einzuniften und thaten von da aud den preußifchen Seejtäbten
ſchweren Abbruch. Deshalb jandte der Orden im Frühjahr 1398
gemeinfam mit den preußiſchen Ständen 4000 Mann auf
84 Schiffen dorthin und nahm die Infel nad) dem Abzug ber
Seeräuber in Beſitz, die Albrecht von Medlenburg, obgleich
darüber zu verfügen nicht berechtigt, ihm um eine beträdhtliche
Summe verpfändete, Unmöglich konnte die Königin Margarete
auf ein jo anfechtbares Gejhäft Hin eine ſolche Macht fich dort
I. Der Staat des Deutfhen Ordens in Preußen. 83
feftjegen laffen. Jahrelang wurde deshalb verhandelt. Doch
kam es troß der Mäßigung des bedächtigen Meifters Konrad
von Jungingen ſchließlich zum Bruch. Die Dänen eroberten 1403
Gotland bis auf Wisby; von dort aus gewann der Orden
es 1404 zurüd, nahm dann aber die früher abgemwiejene Ver:
mittelung der Hanſa an und wich wegen bes drohenden Krieges
mit Polen und Litauen jchließlih fo weit zurüd, daß ein
Unternehmen, das ihn hätte zum Herrn der Oſtſee machen
tönnen, als gewöhnlicher Pfandhandel endete. Albrecht von
Medlenburg, der feine angeblichen Rechte auf die Inſel erft
dem Orden verkauft hatte, überließ fie dann Margarete.
Daraufhin von den drei nordiſchen Reichen bedroht, gab Konrad
von Jungingen Gotland auf, als er im Juni 1407 durch den
von Lübeck vermittelten Vertrag von Helfingborg mit 9000 No—
bein wenigftens für die dort aufgeführten Bauten entſchädigt
wurde.
Diefer Ausgang jhädigte des Ordens Anjehen auch bei
feinen Unterthanen. Verzichtete er doch auf eine Politik, die,
wie der Eifer der Stände bei dem erften Zuge nach Gotland
gezeigt, aller Beifall hatte. Bei dem Kampf mit Litauen und
Polen lag das anders. Was fonnten die Stände Preußens
da gewinnen? Die Polen benachbarten Landidaften, wie Pom-
merellen und das Kulmer Land, hatten nur Schaden davon zu
erwarten. Zudem ſcheint dort die Ordensherrſchaft bereits
läftig empfunden zu fein. Der in Preußen heimisch gewordene
Adel war von dem Orden jo gut wie ausgeſchloſſen, und die
wenigen, die Aufnahme fanden, kamen nicht in die höheren
Aemter, fondern mußten fi mit dem Dienft bei dem Hoch—
meifter, den Gebietigern und den Landesbiihöfen begnügen.
Die dadurch erzeugte Verftimmung wuchs von Geſchlecht zu
Geſchlecht. Auch blieb der heimifche Adel an politiſcher Bildung
und Regſamkeit gegen die Städte zurüd. In dem benachbarten
Volen aber jahen die Herren ihre Standesgenofjen immer größere
Rechte gewinnen. Daher richtete fi denn auch der Ritterbund
der jogenannten Eidechſengeſellſchaft, der 1397 im Kulmer Lande
entitand, nicht, wie ähnliche Verbände in Deutſchland, gegen
die Städte, fondern verfolgte von Anbeginn eine Polen freund:
84 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
liche Richtung. Dabei hatte der Adel Anteil an der Verwaltung,
infofern gewiſſe Leiftungen nur auf Grund feiner Bewilligung
gefordert werden konnten. Infolge diefer ſtändiſchen Entwidelung,
die im Kulmer Lande am meiteften gediehen war, übten bie
zu Ständetagen vereinigten Vertreter des Adels und der Städte
gewohnheitsrechtlic auf gewiſſe Zweige des Staatslebens be-
ftimmenden Einfluß, zunächſt auf das Steuerweſen und fo auch
auf bie Geſetzgebung und in bejonderen Fällen ſelbſt auf die
auswärtige Politik.
Auch das Verhältnis des Ordens zu den Städten war
almählich gewandelt. Hatten die Städte gelegentlid) ſogar eine
von der des Ordens abweichende auswärtige Politik verfolgen
dürfen, empfanden fie Einſchränkungen, die ihnen auf anderen,
minder wichtigen Gebieten auferlegt wurden, um jo ſchwerer,
am meiften die, welche ihren Handel behinderten. Nun konnte
ber Orden von ben Naturallieferungen, die ihm von den Inter:
thanen zugingen, doch nur einen Heinen Teil felbft verbrauchen;
den Ueberſchuß vertauſchte er gegen ausländiſche Produfte.
Diefes kaum anfehtbare Gefhäft aber erweiterte er allmählich,
indem er aud) anderweitig erworbene Vorräte erportierte und
fremde Artikel über den eigenen Bedarf hinaus importierte und
im Lande mit Gewinn verkaufte. So machte er ſchließlich als
ein über riefige Mittel verfügender Großfaufmann dem Handel
feiner Städte erdrüdende Konkurrenz. An der Spitze ftand
der Großfchäffer zu Marienburg, der in den preußifchen Städten
jeine Schäffer und in den Handelszentren des Auslandes feine
Kieger ala Kommiffionäre und Agenten hatte. Namentlich der
Getreidehandel nad Skandinavien und England wurde faft
Monopol des Landesheren. Die damit betrauten Beamten
umgingen, fo Elagte man, ungeftraft die Landesgejege, indem
fie von ihren Schiffen das Pfundgeld nicht zahlten, eine zuerft
1361 in den hanſiſchen Häfen erhobene Abgabe, Ausfuhrverbote
mißachteten und für ihre Forderungen zum Nachteil anderer
Gläubiger ein Vorzugsreht beanſpruchten.
Wirtſchaftliche Konflikte, foziale Gegenfäge und politifche
Differenzen hatten aljo die ſchöne Einheit bereits geftört, zu
der die Bevölkerung Preußens verbunden gemefen war, als in
1. Der Staat des Deutigen Ordens in Preußen. 85
Wladislam IT. vereinigt die Todfeindſchaft der Litauer und der
Nationalhaß der Polen endlich ihre Zeit gefommen fahen. Die
Tüchtigkeit des Ordens beftand die Probe jo wenig wie bie
Treue jeiner Unterthanen: fo führte ein unverjchuldetes Miß—
geichick im Felde zu einer folgenſchweren Kataftrophe im Innern.
Was einjt das Glüd Preußens geweſen, daß es ftatt eigen-
nügigen Dynaftien einer in ben Dienft einer großen bee
geftellten Genofjenfhaft unterthan war, mwurbe jegt fein Ver:
hängnis. Es verbitterte den Konflikt zwiſchen Herrſchern und
Unterthanen und machte aus dem Kampf um ein politifches
Prinzip ein mwüftes Ringen um materielle Interefjen. Indem
eine in überwundenen Anfhauungen mwurzelnde Genoſſenſchaft,
deren Glieder die der Gejamtheit zuftehenden Befugniſſe für fi
perſönlich nugbar machten, die ihr Recht heifchenden Stände
um jeden Preis niedertreten wollte, trieb fie fie in das Lager
des Grbfeindes und verkürzte in heillofer Werblendung den
Geſamtbeſitz der deutſchen Nation um ein koſtbares Stüd,
Lagen die Gründe für den Zufammenftoß zwiſchen Polen
und dem Orden in der Gejhidhte der legten anderthalb Jahr:
hunderte: den Anlaß gaben neue Streitigkeiten über wichtige
Grenzgebiete. Um 50 000 ungarifche Gulden hatte 1391 Herzog
Wladislaw von Oppeln einen Teil der Herrſchaft Dobrin, an
der Mündung der Drewenz in die Weichjel, dem Orden ver:
pfändet und dieſer 1392 bejegt. Wladislam II. hatte das ge—
ſchehen laffen müflen, weil er, in Streit mit Witomd, es mit
dem Orden nicht verderben mochte. Erft als Witomd und ber
König verjöhnt war, verfändigte fi der Orden 1404 mit
ihnen dahin, daß er gegen Erftattung der Pfandfumme Dobrin
herausgab und dagegen Samaiten erhielt. Schon war aber
ein ähnlicher gefährlicher Konflikt entftanden. Nach langen
Verhandlungen hatte im Sommer 1402 König Siegmund von
Ungarn als Markgraf von Brandenburg die Neumark für
63200 ungarifche Gulden dem Orden verpfändet, für den fie
wegen der Verbindung mit dem Reiche befonders wichtig war.
Dagegen erhoben nicht bloß der Adel des Landes und Polen,
ſondern aud) die Pommernherzöge und Siegmunds luxemburgiſche
Verwandte Einfprade. Insbeſondere forderte Wladislaw II. die
86 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
Herausgabe des auf einer Negeinfel gelegenen feften Hauſes
Driefen, das der von ihm Iehensabhängige Befiger ebenfalls
dem Orden überantwortet hatte. Die Verhandlungen Tiefen
erkennen, daß es Polen nur um einen Vorwand zu thun war,
um im rechten Augenblid loszuſchlagen und den Revandefrieg
zu beginnen. Das vereitelte die vorfichtige und verſöhnliche
Haltung Konrads von Jungingen. Defien Nachfolger aber,
fein Bruder Ulrich (1407—1410), zog thatenluftig dem un—
fiheren und unehrlien Frieden den Krieg vor. Al daher
Witomd, obgleich Vermittler in der Driefener Etreitfache, einen
Aufftand der Samaiten unterftügte und Wladislam II. feine
Partei nahm, erklärte er am 6. Auguft 1409 beiden ben Krieg.
Schnell eroberte der Orden das Dobriner Land: da ſchloß
der Polenkönig Anfang Oktober einen neunmonatlihen Waffen:
ftilftand auf Grund des gegenwärtigen Befigftandes. Ver:
mittelungsverfuche Wenzels von Böhmen blieben erfolglos.
Preußen war von fieberhafter friegerifcher Thätigkeit erfüllt;
aber wir hören nicht, daß man irgendwo verjucht habe, ſich
den ſchuldigen Leiftungen zu entziehen. Das polniſche Heer
verftärkten barbariſche Scharen, Samaiten und Rufen, ja jogar
Tataren — angeblih 30000 Mann, die Witomd herbeirief.
So wurde der Orden wieder der Vorfämpfer des Deutſchtums
und der Kultur gegen Heidentum und Barbarei. Sein Haupt:
heer jammelte er im ſüdweſtlichen Teil des Landes zwifchen
Schwetz und Engelöburg, wo einerjeits die Meichjel von Thorn
bis zur Mündung ber Brahe gegen Kujavien, andererjeits die
Dremenz gegen das Tobriner Land die Grenze bildete, um
fi) dahin zu wenden, wo die Feinde diefe meftöftliche Linie
überfchreiten würden. Mit dem Ablauf des um zehn Tage
verlängerten Waffenftilftandes, während defien der Ungarnkönig
Siegmund nochmals zu vermitteln verfucht hatte, ging Wladis—
law am 30. Juni mit dem Reichsheer bei dem Kloſter Gzer:
winsk nächſt Plod über die Weichfel, vereinigte fi mit dem
längs bes Narew heranziehenden Witowd, überfchritt am 9. Juli
bei Zautenburg die Grenze des öftlichen Kulmer Landes, um weſt⸗
wärts über die zur Weichjel fließende Trewenz in das Herz des
Landes einzubrehen. Sengen und Brennen bezeichnete feinen Weg.
I. Der Staat deö Deutfhen Ordens in Preußen. 87
Ulrich von Jungingen hatte den Angriff weſtlich von ber
Weichſel auf Pommerellen erwartet. Doc; dedte er bie Dremenz:
linie nod) rechtzeitig. Der König fand die Furt über die obere
Drewenz bei Kauernik geſperrt und ftarf bejegt. Da trat er
ſcheinbar den Rückzug auf Lautenburg an, ſchwenkte aber
plötzlich links, nad Norden, ab und erreichte jo am 13. Zuli
Gilgenburg, das greulich verwüftet wurde. Auf biefe Kunde
eilte das Ordensheer durch einen Nachtmarſch unter Sturm
und Regen heran und ftieß am 15. Juli früh bei Grünfeld
und Tannenberg auf die Polen, die norbwärts vorgerüdt waren
und am Laubenfee lagerten. Hätte es fie angegriffen, bevor
fie aus dem wald: und fumpfreihen Hügelland in die Ebene
kamen, wäre ihm der Sieg nicht entgangen. Aber die Ermüdung
der Truppen und ber ritterliche Brauch, dem der Angriff auf
den ungeordneten Feind nicht für ehrenhaft galt, beftimmten
die Führer zu warten. So kamen die Polen ins Freie und
ftellten fi in Schlachtordnung, auf dem reiten Flügel Witowd
mit den Litauern und barbarifchen Hilfevölfern, auf dem linken
die Polen. Aber erft auf eine förmliche Herausforderung des
Hocmeifters befahl der König um Mittag den Angriff. In
der Senkung zwifchen den von ihnen bejegten Terrainwellen
prallten die Reihen zufammen. Nach einer Stunde blutigen
Ningens wandten fih die Litauer zur Flut. Auch die Polen
wankten, und als der linke Flügel des Ordensheeres, von der
Verfolgung der Litauer zurückkehrend, ſich auch gegen fie wandte
— es war etwa drei Uhr nachmittags —, da ftimmten bie
Deutſchen fiegesfroh das „Chrift ift erftanden” an. Aber die
Polen hielten ftand. Konnten fie doch bei ihren minbeftens
35 000 Mann, den Deutihen, die etwa 19 000 Mann zählten —
14.000 Reiter und 5000 Mann zu Fuß —, immer neue Mann—
haften entgegenwerfen, während dieſe längft ihre legten Ne:
ferven eingefegt hatten. Als die Polen zum Angriff übergingen,
unterbrüdte ein Zeil ber preußiſchen Landritter, voran die
Genofien des Eidechſenbundes, ihre Banner und eilten davon.
Da fprengte der Hochmeifter felbft mit etlihen Fähnlein gegen
das feindliche Zentrum, mo Wladislam neben dem Reichsbanner
hielt: er wurde mit ihnen zufammengehauen. Nun wandten
88 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
ſich auch die übrigen zur Flucht. Die einen warfen fih auf
die Wagenburg: mit reicher Beute fiel fie in die Hände der
Sieger. Die anderen wurden, von den die Gegend bededenden
Seen und Sümpfen behindert, niedergemacht oder gefangen.
Die Blüte des Ordens bedte das Schlachtfeld. Bon den
Gebietigern lebten nur noch einzelne. Glänzend hatte die
Tapferkeit der deutſchen Herren fih bewährt, und doch fehlte
es jegt nicht am ſolchen, die, nur auf ihre eigene Rettung
bedacht, die ihnen anvertrauten Burgen feige verließen und,
Geld und Gut zufammenraffend, nad) Ablegung des Ordensfleides
ins Reich flohen. Der Landadel, voran der längit zu Polen
neigenbe des Stulmer Landes, eilte durch jchnelle Unterwerfung
des Sieger Gunſt zu gewinnen. Vor allem glaubten die
Städte die Zeit der Freiheit gefommen. „Nirgends fonft” —
fo ruft ein Chronift aus — „hat man größere Untreue und
ärgere Unzuverläffigfeit erlebt.” Mochte das zum Teil der
Eigenart entipringen, die Kolonialbevölferungen anzuhaften
pflegt: es enthielt doch eine vernichtende Kritif der Ordens:
herrſchaft. Zudem trat hier der Staat den Unterthanen nicht
in dem Sproß eines den Wandel der Zeiten überbauernden
Herrſchergeſchlechts perjönlich entgegen, fondern in einer Ger
noſſenſchaft, die mit ihnen nichts gemein hatte, da fie ſich aus
der Fremde ergänzte. Jetzt hoffte man diefe vielföpfige Fremd:
herrſchaft und die ihr entfpringenden Uebel loszuwerden, die
durch fie erlangten Vorteile aber umverfürzt zu bewahren. Der
Selbſtſucht der einen begegneten die anderen mit gleich hartem
Eigennug. Würde das auch gejchehen jein, wenn die Herrſchaft
bei einem im Lande heimifch gewordenen Fürftengejchlecht gelegen
hätte, das in dem Staat nicht, wie der Orden, bloß eine Ver—
forgung, ſondern zugleich mit feiner Vergangenheit feine Zus
funft und feine Ehre zu verteidigen hatte? Aufgaben, wie fie
der Staat damals zu löfen hatte, war ein geiftlicher Nitter-
orden nicht gewachſen. Das bewies der Fortgang. Wenn der
Ordensſtaat die Krifis, die mit der Schlacht bei Tannenberg
hereingebroden war, ſchließlich noch überdauerte, jo lag das
nur zum Teil daran, daß der Polenkönig den Sieg nicht zu
benugen verftand, hauptfächlic aber daran, daß der Zwang
I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 89
der Not alle Gewalt in die Hand eines Mannes legte. Als diejer
dann aber ben geretteten Orden auch innerlich neu geftalten, jein
Neformator werden wollte, da wurde er als Tyrann und Ver:
räter verfchrieen, entjegt und in elender Kerferhaft begraben.
Dffen lag das Land vor dem Sieger. Selbit die Marien-
burg war auf eine Verteidigung nicht eingerichtet. Mit ihr
wäre ber Punkt gefallen, um den die Elemente des Wider:
ftandes fich allein jammeln fonnten. Aber erft am 25. Juli fam
Wladislam dort an. Inzwiſchen hatte der Komtur von Schwetz,
Heinrih von Plauen, der, mit der Dedung Pommerellens
beauftragt, nit mit bei Tannenberg gefochten Hatte, alles
von Truppen Vorhandene gefamntelt, Proviant herangeführt,
die der Verteidigung hinderliche Stadt niebergebrannt und die
Einwohner in die Burg aufgenommen. Zum äußerften Wider:
ftand entſchloſſen, wußte er Ritter, Söldner und Bürger mit
dem gleihen Mut zu erfüllen. Zum Statthalter erhoben, waltete
er wie ein Diktator: fo wurde er der Retter der Marienburg
und des Orbensftaates.
Während der hohe Klerus, voran die Biſchöfe von Kulm,
Ermeland und Pomefanien, den Polen huldigte, der Landadel
ſich ihm dienftbefliffen beugte und aus den Spolien des Ordens
reich verforgen ließ und die Städte, obenan Elbing, dieſem
Beifpiel nacheiferten, die wichtigfte aber, Danzig, fi) etwas
zurüdhielt, um möglichſt große Privilegien herauszufchlagen,
hielt Plauen die Marienburg jo lange, bis Mangel, Krank:
heiten und Entmutigung bie unbisziplinierten Scharen ber
Belagerer aufzulöjen anfingen. Auch wollte Witomb den König
nicht zu mächtig werden laffen und drang auf Frieden. Am
22. September zog Wladislaw ab und kehrte in das Dobriner
Land zurück.
Und ihm auf dem Fuße folgend, gewannen bie Ordens:
ritter das Land wieder. Willig fehrten die meiften Orte zum
Gehorjam zurüd, auch die größeren Städte, Danzig, wie es
ſcheint, nicht ohne — freilich vergeblih — verſucht zu haben,
die ihm vom Polenfönig gewährten Privilegien vom Orden
beftätigt zu erhalten. Alsbald nahm man in Marienburg die
Reorganifation des Ordens in Angriff. Sein Retter wurde
90 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (Bis 1598).
zum Meifter erhoben. Ebenda aber entjprang ein Gegenjag,
der zu ernften Konflikten führen mußte. Blieb der Orden, wie
er fi) eben gezeigt Hatte, jo war an feiner Spige kein Pla
für einen Mann von fo ernft idealem Sinn, unerjchrodener
Konfequenz und rüdjichtslojer Thatkraft wie Heinrich von Plauen.
Schon an dem paffiven Widerftand der an dem alten Schlen-
drian hängenden Brüder mußte er ſcheitern. Gelang es ihm
aber den Orden emporzureißen, fo ergab das die Notwendigkeit
einer Reform, die von feiner bisherigen Geftalt nur wenig
übrig laſſen konnte. An dem Verſuche, ihn ohne radikale
Wandlung lebensfähig zu machen, ift Heinrich” von Plauen
tragifch zu Grunde gegangen. Das war ein Verhängnis auch
für das Land. Denn Plauen begriff, dab es vor allem bie
Kluft zu überbrüden galt, die ſich zwifchen Landesherrn und
Unterthanen geöffnet hatte.
Bei der Auflöfung der militärifhen Organifation des
Landes war der neue Meifter für die Fortfegung des Krieges
faft ausfchlieglih auf die aus Deutſchland zugezogenen Gäfte
angewieſen. Diefe aber nötigten ihn, nad dem erften Heinen
Mißgeſchick mit Wladislam zu unterhandeln. Den weiteren
Ruſtungen ftellten ſich fteigende finanzielle Schwierigkeiten ent=
gegen. Die unabgelohnten Söldner erwiejen fih als unzuver—
läſſig. Hilfe von auswärts war nicht zu hoffen. Dod war
aud Polen des Krieges müde. So fam am 1. Februar 1411
in Thorn der Friede zum Abſchluß. Das Dobriner Land follte
dauernd, Samaiten zunächſt für die Lebenszeit Wladislaws II.
und Witowds bei Polen bleiben, über die anderen Streitpunfte
ein Schiedsfprud ergehen. Das entiprad ja den gegebenen
Machtverhältniſſen, war aber verhängnisvol für den Orden.
In Samaiten verlor er das Gebiet, wo er im Kampfe gegen
die Ungläubigen feine Exiſtenzberechtigung noch erweifen konnte,
und die Möglichkeit der Verbindung mit Livland. Ein Geheim-
vertrag verpflichtete ihn, für die Freilafjung ber zahlreichen
Gefangenen binnen Jahresfrift in vier Terminen 100 000 Schod
böhmiſche Groſchen, etwa 4500000 Mark, zu zahlen — eine
Summe, die bei der Verarmung Preußens durch den Krieg
unerſchwinglich war.
I. Der Staat des Deutihen Ordens in Preußen. 9
An diefem Vertrage ift der Orden während bes nächſten
Menſchenalters elend zu Grunde gegangen. Denn das einzige
ſichere Rettungsmittel anzuwenden, hinderte der Nitter ver:
blendete Selbſtſucht, der fi die Unzufriedenheit mit dem neuen
Meifter unheilvoll verband. Als ftrenger Rächer der ſchnöde
verlegten Orbenspfliht trat Plauen unter die Brüder, nicht
ohne Härte und Gemaltthätigfeit. Auch die Unterthanen fühlten
feine eiferne Hand. Die Art, wie fein Bruder, der Komtur des
Ordensſchloſſes zu Danzig, die zweideutige Haltung der reichen
Stadt während bes Krieges ftrafte, indem er den fonft um ben
Orden mwohlverdienten Bürgermeifter Konrad Letzkau nebſt einigen
Ratsherren töten ließ, wurde dem Meifter zugerechnet. Dabei
zwang ihn die finanzielle Not, die jener Geheimvertrag herauf:
beſchwor, die Anfprüche an die Unterthanen unerhört zu fteigern,
Scheine auszugeben und einen allgemeinen Schoß auszuſchreiben,
der auch den Aermſten traf. Die wachſende Unzufriedenheit
fand im Eidechſenbund, defien geheime Wünjche bei Tannenberg
offenbart waren, eine organifierte Vertretung. Schon bot die
Unpünktlickeit in Zahlung bes Löfegeldes Wladislaw und
Witowd Anlaß, mit neuem Krieg zu drohen. Der Schiedefprud
Siegmunds über Driefen fiel gegen den Orden aus, und 1412
wurde die Neumark Polen als Pfand. für die rüdjtändige
Zahlung zugeſprochen. So von Deutichland abgeſchnitten, mußte
der Orden erliegen. Da appellierte Plauen an die Opferwillig⸗
feit des Landes, und die Stände gewährten ihn bie nötigen
Mittel. Sahen fie doch, wie er aud) die Ordensbrüder heran-
zog und ihre KRoftbarkeiten zum Einſchmelzen abzuliefern nötigte.
Aber immer neue Anforderungen erhob Polen: es wollte nicht
befriedigt fein, es wollte den Krieg.
Gewiß war es politiſch und militäriſch richtig, wenn Plauen
da nicht wartete, bis Wladislam angriff, ſondern losſchlug,
ehe jener diplomatifh den Orden vollends ifoliert und fertig
gerüftet Hatte. Bor allem aber galt es, den Kampf zur Sache
des Volkes zu machen und diefes mit dem Orden neu zu ver—
nüpfen. Dazu gewährte Plauen den Unterthanen über das
Herlömmliche hinaus Anteil am Landesregiment. Zwanzig
Vertreter des Adels und fiebenundzwanzig der Städte jollten
92 Erſtes Yu. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
alljährlih in Elbing als Landesrat tagen. Aber eben das
wurde ihm vom Orden als Verbrechen angerechnet: jeder Ritter
jah dadurch die Macht gekürzt, die er als Träger der Staats—
autorität zu eigenem Vorteil zu üben gewohnt war. Sie alle
waren deshalb gegen den Krieg, und Plauen konnte fein Vor—
baben durchführen nur im Gegenſatz zu dem ihn umgebenden
Rat der Gebietiger. Das verftieß gegen bie Negel und ließ fein
Regiment vollends als tyrannifch erfheinen, während man ihn
den Unterthanen gegenüber ſchwächliche Nachgiebigfeit vorwarf.
Dennod wurden drei Heere aufgeftelt. Kaum aber war das
eine unter dem Ordensmarſchall Michael Küchmeifter von Stern:
berg, einem perſönlichen Gegner des Meifters, in Majowien
eingedrungen, als die Rebellion offen ausbrach. Der Marſchall
führte das Heer nad) Marienburg zurüd, und während Plauen
in aufflammendem Zorn die Meuterer gebührend zu ftrafen
dachte, wurde er am 14. Oftober 1413 rechtswidrig feines
Amtes entjegt. Wenn zur Begründung aud) Beſchwerden des
Landes über feine Mißregierung angeführt wurden, jo waren
fie wohl nicht von deſſen Vertretern, jondern von feinen Feinden
im Orden erhoben, um den Gemaltftreih mit dem Schein der
Volfefreundlichkeit zu umgeben, wie aud) der Krieg gegen Polen
ihm durch Sterndeuter und Wahrjager gottloferweife aufgerebet
fein folte.
Mit dem Sturze feines Helden war bes Ordens Schidjal
befiegelt: er wollte nicht gerettet fein, wollte nicht in ritter-
lihem Kampf ehrenvoll untergehen, fondern, mühjelig ein un—
fiheres Dafein friftend, fi von dem durch ftete Furcht ger
ſchürten Haß der Polen gemwiffermaßen zu Tode quälen laffen.
Schon im nächſten Frühjahr mußte Plauens Nachfolger Michael
Küchmeiſter demütig um Frieden werben. Dabei jollte eine
Verſchwörung entdedt fein, durch die Plauen, nun Komtur der
Engelsburg, mit Polens Hilfe das Meiftertum hatte wieder:
gewinnen wollen. Die Gemwalthaber fürdhteten ihn aljo noch.
Daraufhin wurde er fieben Jahre in der Danziger Burg und
dann in Brandenburg am Haff in Haft gehalten — wie uns
würdig, lehrt ein Brief, worin er klagt, man habe ihm feinen
Wein und Met und Honig fortgenonimen; ihm fehlen Brot,
I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 93
Fleiſch und Fiſche, und für einen Rod und Mantel dankt.
Erft 1429 wurde er Pfleger in Lochftädt zwiſchen Pillau und
Königsberg; dort ftarb er in demfelben Jahre. Bon dem ger
planten Verrat ift nie etwas bewiefen worden.
Auch feine Gegner wurden ihres Sieges nit froh. Mit
Polen dauerte der Zuftand zwiſchen Krieg und Frieden fort,
zehrte am Mark des Landes, entwürbigte den Orden nad) außen
und untergrub fein Anſehen nad) innen.. Auch der Stillftand,
der 1420 mit Rüdfiht auf die Huffitengefahr. in Breslau ver-
einbart wurbe, befjerte nichts. Entmutigt dankte Küchmeifter
1422 ab. Auch jein Nachfolger Paul von Rußdorf konnte
weder die Zucht im Orden herftellen, noch die Unterthanen ge:
winnen, nod das Verhältnis zu Polen befiern. Als es mit
diefem doch endlich zum Kriege kam, machte er 1423 zu Melnofen
gleich wieder Frieden, als die Stände es verlangten und fernere
Hilfe verweigerten. Samaiten und Galindien wurden nun end:
gültig aufgegeben, die Beftimmung aber, daß dem Teil, ber
den Frieden bräche, feine Unterthanen nicht beizuftehen brauchten,
gab den Ständen für den Fall eines neuen Krieges das Recht
des Abfalls. Auch den Landesrat Plauens mußte Paul von
Rußdorf in geänderter Geftalt erneuern: neben ſechs Gebietigern
folten je fechs Vertreter der Prälaten, des Adels und der
Städte die Regierung in allen wichtigen Fragen beraten,
namentlid in der Ordnung bes Münzwefens, deſſen Zerrüttung
Handel und Verkehr aufs ſchwerſte ſchädigte. Dazu wurden bie
weftlihen Landſchaften durch die Huffiten Heimgefucht, die 1433
bis Danzig famen. Und eben drohte ein neuer Krieg mit Polen,
als der Tod Wladislams II. 1434 eine friebliche Wendung herbei:
führte. Sein Nachfolger Wladislam III. ſchloß mit dem Orden
1435 den fogenannten ewigen Frieden zu Brzesc, der mit dem
dermaligen Beſitzſtand aud alle Streitpunfte fortbeftehen lich.
Sofort entbrannte nun der Kader im Innern wieber
heftiger. Im Orden veranlaßten landsmannſchaftliche Verbände
Parteiungen. Paul von Rußdorf und der Deutſchmeiſter Eher:
hard von Saunsheim erhoben Öffentlich gegeneinander die ärgften
Anklagen und riefen die Unterthanen teils zu Richtern, teils
zu Zeugen auf. Um fo einmütiger hielten bieje zufammen,
94 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
wie die Städte längft geſchloſſen handelten. Namentlich traten
fie den fiskaliſchen Künften entgegen, durch die der Orden feiner
Finanznot abzuhelfen fuchte. Dabei hatten jeit 1439 Elbing,
Kulm und Thorn die Führung. Am thätigften war bie Oppo—
fition im Kulmer Lande und in Pommerellen. Dort verbanden
fi) auch zuerft Landadel und Städte zu gemeinfamem Handeln,
bei dem man ſchon damals auf Polen rechnete. Daraus erwuchs
im März 1440 der Marienwerderer Bund, der die Städte und
Adligen des Kulmer Landes, eines Teils von Pommerellen,
der Gebiete Ofterode, Chriftburg und Elbing und der Bistümer
Niefenburg und Ermeland, das heißt beinahe des ganzen weft
lihen Preußens, einigte zur Abwehr jeder von der Landes»
berricaft drohenden Gewalt. Paul von Rußdorf beftätigte ihn
wohl in der Hoffnung, darin einen Rüdhalt gegen die Oppo—
fition im Orden felbft zu gewinnen: um fo heftiger wurde er
von den Brüdern angegriffen.
So herrſchte in Preußen bereits ein latenter Bürgerkrieg,
und dem 1449 erhobenen Meifter Konrad von Erlichshauſen
huldigten die Stände erft, nachdem er die von ihnen diftierte
Wahlfapitulation angenommen hatte. Als dann aber der
meuternde Orden ihn zum Verbot des Marienwerberer Bundes
nötigte, begann der legte Aft in dem Todesfampf des Ordens»
ftaates. Dem Auflöfungsbefehl weigerte der Bund den Gehorfam,
Gewalt drohte er mit Anſchluß an Polen zu beantworten. Daß
der Orden darauf gegen ihn beim Kaiſer klagte, war ein offenes
Bekenntnis feiner Ohnmacht. Und ſchon ritt Gabriel von Baijen
an den polnifhen Hof, um im Namen des Kulmer Landes wegen
der Uebergabe zu unterhandeln. Daß der Orden die Einhebung
einer für die gemeinfame Verteidigung beftimmten Bundes:
umlage verbot, jteigerte die Erbitterung, zumal aud bie
päpftlihe Kurie mit kirchlichen Strafen drohte Dennoch
wartete der Bund den Ausgang des Prozeſſes am kaiſer—
lichen Hof ab. Dabei hat der Orden verräterijchen Ueber—
fall der zu Hofe reifenden Bundesgejandten jo wenig geſcheut
wie die Vorlegung gefälihter Urkunden. Durch Beltehung
erwirfte er jchließlih, daß der am 1. Dezember 1453 er—
gehende Spruch den Bund als widerrechtlich auflöjte, die
I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 95
Glieder zu ſchweren Geldftrafen und die Häupter zum Tode
verurteilte.
Die Antwort war die Ergebung an Polen. Durch Ver:
jagung der Orbensbefagungen gaben Thorn, Kulm und Danzig
das Zeichen zum Aufftand. Schnell war das Land für den
Orden fo gut wie verloren. Aber es lebte in diefem noch einmal
die alte kriegeriſche Tüchtigkeit auf. Dreizehn Jahre lang hat
er lich des Aufruhrs ermwehrt. Im Often, wo die polniſchen
Sympathien und die Organijation zu gemeinfamem Widerftand
fehlten, behauptete er feine Herrſchaft. Und daß er im Weiten
unterlag, bewirkte nicht die Ueberlegenheit der Gegner, fondern
die Erjhöpfung feiner finanziellen Mittel, die dem Abfall der
Unterthanen den der zu ihrer Bekämpfung gemorbenen Söldner
folgen ließ. Die Ordensburgen, die ihnen 1455 für den rüd-
ftändigen Sold verpfändet waren, verkauften biefe 1456 den
Polen. Zwar kehrte Marienburg 1457 unter dem Bürgermeifter
Bartholomäus Blume noch einmal zu dem rechtmäßigen Heren
zurüd, wurde aber von den Polen wieder genommen. Blume
endete unter den Beil des Henkers. Dennoch famen des Ordens
Gegner auch jegt nicht zum Ziel. Als 1466 ber zweite Thorner
Friede den unter beiipiellojer Verwüftung des Landes geführten
Krieg beendete, ging zwar der weftliche Teil Preußens unter
feierlicher Verbriefung feiner Freiheiten und Rechte in polnifche
Schughoheit über, die Danzig und Thorn nahezu republifanifche
Freiheit ficerte, im öſtlichen aber blieb die Herrihaft dem
Orden, jedod unter der Hoheit Polens, dem fein Meifter als
Vaſall Huldigen follte.
Wie lange konnte ein fo unnatürliher Zuftand dauern?
Woher jollte Weitpreußen, nun das gelobte Land ftändifcher
Selbftregierung, außerhalb jedes größeren ftaatlichen Verbandes
und innerlich vielgeteilt, die Kraft nehmen, um dem Drude des
nun doppelt zuverfichtlihen Polentums zu widerftehen? Schwer
bat es den Abfall vom Orden und von der deutfhen Sade
gebüßt. Mochten Danzig und Thorn dank ihrer kommerziellen
Macht ihre Freiheit behaupten: fie haben doch nicht hindern
tönnen, daß ein Jahrhundert jpäter der Lubliner Reichstag
(1564), trog der feierlichen Zufagen Kaſimirs IV., das Land zur
96 Erſtes Buch. Die Elemente des preußifchen Staates (bis 1598).
polniſchen Provinz herabdrückte. Damit verfiel es aud) der
katholiſchen Reaktion. Und mit der Katholifierung ging die
Volonifierung Hand in Hand. Beiden aber folgte echt polniſches
ſoziales und wirtfhaftliches Verfommen. Erſt nad) zwei Jahr:
Hunderten follte Friedrich der Große das Land aus dem jelbft
verjhuldeten Elend erlöfen und einer befjeren Zukunft ent-
gegenführen.
Dieſem Schickſal ift Oftpreußen entgangen, obgleich es in
troſtloſer Erſchöpfung, durch Weftpreußen von dem Mutterlande
getrennt, wie eine Inſel in das Meer des Slaventums vor=
geſchoben lag. Daß es deutſch blieb, ift des Ordens Verbienit:
bedroht, gebrüdt und mißhandelt, vettete er dennoch feine
Nationalität. Indem er fih in zähem paffiven Widerftande ein
halbes Jahrhundert allen Polonifierungsverfuchen, gütlich locken—
den fo gut wie roh mit Gewalt drehenden, widerſetzte, dedte
er gleihfam mit feinem Leibe die einft durch ihn in das Land
gekommenen deutſchen Edelleute, Bürger und Bauern, bis ihnen
die Reformation eine neue Gemeinſchaft mit dem Mutterlande
erihloß, die trog der räumlichen Entfernung ungerreißbar
werben follte.
4. Die Reformation in Preußen. 1466-1568.
Mit der Lehensabhängigkeit des Ordens war den polnijchen
Eiferern nicht genug gethan. Indem fie bei ihm auf die Er:
füllung der Zufage drangen, bis zur Hälfte feiner Mitglieder
polnifche Edelleute aufzunehmen, dachten fie auf einem Ummege
auch Oftpreußen zur polnifchen Provinz zu machen. Zum Schutz
dagegen berief der Orden 1497 Herzog Friedrih von Sachſen
zum Hocdhmeifter, um fid) wieder Teilnahme im Reiche und ein
mächtiges deutſches Fürftenhaus zur Hilfe zu gewinnen. Diejer
beftritt die Nechtsverbindlichfeit des Thorner Friedens, der
erzwungen und vom Kaiſer und Papft nicht beftätigt jei, und
verweigerte die Huldigung. Daß Polen ſchließlich auf eine Er-
örterung dieſes Standpunftes einging, war immerhin ein diplo=
matifher Erfolg. Sonft aber blieben die auf die Wahl des
fähfifhen Prinzen gefegten Hoffnungen unerfüllt, und als
I. Der Staat des Deutfhen Ordens in Preußen. 97
Friedrich in Deutſchland, wo er perſönlich um Hilfe warb, ſchwer
erkrankte, ſchwanden die Ausfichten vollends. Da Ienfte die
Blide der um fein Kranfenbett verfammelten Gebietiger Hiob
von Dobenel, der Biſchof von Pomejanien, auf einen der Söhne
des finderreihen Markgrafen Friedrich von Brandenburg-Ans:
bad, der eben um Aufnahme in den Orden warb, den Herzog
Georg von Sachſen treffend ein Hofpital für die jüngeren Söhne
deutſcher Fürften und Edellente genannt. Denfelben empfahl
namentlich feine Verwandtſchaft mit dem polnifhen Königshaufe,
das ihm als Orbenshaupt gegenüber Rüdficht nehmen zu müfjen
ſchien.
Am 17. Mai 1490 als dritter Sohn Friedrichs von Bran—
denburg⸗Ansbach, des zweiten Sohnes Albrecht Achills, aus feiner
Einderreihen Ehe mit der Jagellonin Sophie geboren, durch feine
Mutter Neffe eines Königs von Böhmen und Ungarn und dreier
Könige von Polen, drüdte Albrecht von Jugend auf der Wider:
ſpruch zwiſchen fo erlauchter Verwandtſchaft und dem wirtſchaft⸗
lichen Elend des deutſchen Kleinfürftentums jener Zeit. Ihn dur)
eine ftandesgemäße Verforgung zu löfen, verhieß am erften der
geiftlihe Stand. Man befahl den Anaben dem Kölner Erzbiſchof
Hermann IV. von Hefjen (1480—1508), der ihm eine Pfründe
gab, an weiterer Förderung aber durch den Tod gehindert wurde.
Auch eine ähnliche Anknüpfung in Würzburg ſchlug fehl. Da
verfuchte Albrecht fein Glüd als Soldat: mit dem Vater focht er
1508 und 1509 für Kaifer Marimilian vor Padua und Roverebo.
Ruhmlos und Frank heimgekehrt, warb er aud) am Hofe feines
Oheims Wladislam von Böhmen und Ungarn vergebens um
eine Stellung. So beftimmte ihn der Vater zum Eintritt in
den deutſchen Orden. Der aber ſuchte gerade Erjag für den
ſterbenden Friedrich von Sachſen und trug dem unbewährten Jüng⸗
ling, der eben erft um Aufnahme warb, das Meiftertum an in
der Hoffnung, durch die Rückſicht auf ihm den König zu ſchonen—
derer Behandlung Preußens zu beftimmen. So fam es zu einem
förmlichen Pakt zwifchen Markgraf Friedrih von Ansbach und
dem Orden, nad) dem Albrecht am 13. Februar 1510 zu Zichillen,
einer ſächſiſchen Ordenspropftei, zugleich) mit dem Ordensgewand
bie Zufage der Nachfolge in dem Meifteramte erhielt,
Brus, Preußifhe Geſchichte. I.
98 Erſtes Bud. Die Elemente des preußif—en Staates (Bis 1598).
Ohne geiftige oder fittlihe Gemeinihaft, nur um bes
äußeren Vorteils willen geeinigt, ſollten beide Teile arg ent-
täuſcht werden. Schon diefe Meifterwahl, die dem Buchſtaben
ebenjo wie dem Geifte der Regel widerſprach, erwies die Un-
haltbarkeit des Ordens und vollzog innerlich feine Säfularifation.
Bon den Schwierigkeiten der Aufgabe, die er übernahm, indem
er Preußen von der polnifchen Zehenshoheit zu befreien verſprach,
hatte Albrecht feine Ahnung. Durch wirtſchaftliche Not, Steuer:
drud und ftändifchen Hader erſchöpft, war das Land voll gärender
Unzufriedenheit; der Orden, einft der Träger fittliher Ideale
und reifer politifher Praris, ohne Begeifterung und ohne
Pflichtgefühl, unkriegerii und voll Selbſtſucht: — unabwend-
bar j&hjen der Verluft der foftbaren Kolonie, die der Adel mit
feinem Blute, die Bürger mit ihrer Arbeit, die Bauern mit
ihrem Schweiße zum Gemeinbefig Deutſchlands gewonnen hatten.
Albrecht aber nahm ſich ihrer weder ala Soldat nod) ala Ver-
walter an, fondern begnügte fih in der Ferne mit jeiner ſo—
zuſagen diplomatiſchen Bedeutung, indem er vielgeichäftig immer
neue politiihe Kombinationen verfuchte, um Polen den Wunſchen
des Ordens geneigt zu ftimmen oder flimmen zu laſſen. Man
mag es feiner Unerfahrenheit zu gute halten, wenn er bie
ſchönen Worte Kaiſer Marimilians ernft nahm und darin felbft
durch wiederholte Enttäufhungen nicht belehrt wurde. Auch
hatte an diefer diplomatijchen Aktion größeren Anteil ala er
feldft fein älterer Bruder Kafimir, der bei König Sigismund
wenigitens erreichte, daß die Aufnahme polniiher Edelleute
zunächſt nachgelaifen wurde, während die preußiſchen Stände
1513 die Regentſchaft baten, im Intereſſe des Friedens auf
jede Wenderung des Thorner Friedens zu verzichten, zumal ihn
mande von ihnen hätten bejhmwören müſſen, jo daß fie in
Gewiſſensnot zu geraten fürchteten. Stellten damit nit aud)
fie die Losfagung vom Orden in Ausfiht? Dennoch wurde
mit Kaiſer Marimilian eine nordiſche Allianz gegen Polen
geplant, die außer deutſchen Fürften und Seeftädten Dänemark
und den Großfürften von Moskau dem Orden verbinden jollte,
während nah dem Thorner Frieden Polen vom Orden Hilfe
gegen Rußland verlangte. Da er aber zur Verwirklichung
I. Der Staat des Deutfhen Ordens in Preußen. 99
feiner Abfichten auf Ungarn der Freundichaft der Jagellonen
beburfte, ließ Marimilian nicht bloß dieſen Plan fallen,
fondern gab Polen gegen Preußen freie Hand, indem er durch
den Wiener Vertrag vom 22. Juli 1515 den Orden förmlich
aus dem Verbande bes Reiches entlieh.
Eben damals aber ſchien das Schickſal dem ratlofen Meifter
in dem Sadfen Dietrid von Schönberg ben erfehnten Helfer
zuzuführen. Seine nie verfiegende Beredſamkeit, fruchtbare
Phantafie und unverbefierliher Optimismus fpiegelten Albrecht
glänzende Zufunftsbilder vor und verleiteten ihn troß feiner
Hilflofigkeit zu einer offenfiven Haltung, durch die Preußen
nit bloß der polnifchen Hoheit entzogen, fondern zu leitender
Stellung erhoben werden follte. Der Einfluß dieſes Abenteurers
trübte fein Verhältnis zu dem Orden und untergrub die Grund-
lagen feiner Stellung. Das Werben um ruffifche Hilfe fteigerte
das Mißtrauen Polens und erfhwerte die Verftändigung. Er—
reiht wurde nichte, und felbft Markgraf Kafimir verwarf dies
Treiben und erklärte, Albrecht feinem Schickſal überlaffen zu
müffen, befam aber darauf den Vorwurf zu hören, eigentlich
babe er doch den Bruder zum Eintritt in den Orden veranlaßt.
Das Verhältnis zu Polen wurde immer übler: ohne Kriegs-
erflärung befand man ſich mit ihm bereits im Krieg, während
die Oppofition der Stände wuchs. Als Albrecht Ende des Jahres
1517 von vergeblihem Hilfewerben nad Preußen fam, waren
alle Mittel erjhöpft. Das Land drohte mit Abfall, der Orden
mit Aufruhr, während der unerſchöpfliche Schönberg Albrecht
durch immer neue Projekte über die verzweifelte Lage hinmeg-
zutäuſchen, bald Rußland, bald England, bald Franfreih und
Schottland, bald den landloſen Dänenkönig Chriftian II. als
Retter verhieß und mit dem Munde oder auf dem Papier mit
Armeen und Geldfjummen operierte, von denen nit ein Mann
und nicht ein Grofchen vorhanden oder je zu bejchaffen war.
Bon Albrechts politifher Einfiht, ja von feiner moraliſchen
Feinfühligfeit gibt e& feinen hohen Begriff, daß er jahrelang
für fi und fein Land auf den von einem ſolchen Schwindler
gezeigten Wegen das Heil juchen konnte. Ging ihm doch ſelbſt
das Gefühl feiner fürftlihen Würde darüber verloren: er ließ
100 Erftes Bug. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
feinen Gefandten vor dem Moskauer Großfürften einen Fußfall
thun und war es zufrieden, daß deſſen Gejandten ihn jelbit
nur mit einem Neigen des Hauptes grüßten.
Endli aber war ſelbſt Dietrih von Schönberg mit feiner
Weisheit zu Ende, nachdem aud der Thronwechſel in Deutſch—
land den gehofften Umfchlag nicht bewirkt hatte, und nah neun
Jahren vergeblihen Ringens blieb Albrecht ſchließlich doch nichts
übrig, ala unter den denkbar ungünftigften Umftänden zu den
Waffen zu greifen. Kläglich war denn auch der Verlauf diejes
„Reiterkrieges”: unter greulicher Verwüſtung des Landes,
Brandihagungen, Ueberfall offener Pläge, Erftürmung fefter
Schloſſer ſchleppte er fih hin. Denn eine Schlacht durfte Albrecht
nicht wagen. Dazu kam drüdender Geldmangel, und was man
mit Not und Mühe durch Brandfhagen und Einſchmelzen der
Kirchengeräte erſcharrte, das wurde durch nugloje Miffionen
und vergeblihe Werbungen im Reiche verzettelt. Entfegliches
hat das arme Preußen während ber anderthalb Kriegsjahre
gelitten. Erreicht aber war nichts, als Albrecht, zur Fortjegung
des Kampfes unfähig, im April 1521 mit Polen in Thorn
einen Stilftand ſchloß.
Seine Lage war verzweifelt. Der Orden verweigerte ihm
weitere Mittel, die Unterthanen lehnten die Uebernahme jeder
neuen Laſt ab und verlangten Frieden mit Polen um jeden
Preis. Tief entmutigt, ohne Unterthanen, ohne Freunde, ohne
Geld, mit unfürftliger Not ringend, zog Albrecht wieder ins
Reich, um Hilfe zu werben. Wieder kehrte er mit leeren Händen
heim, um fich zu überzeugen, daß im Lande vollends nichts zu
haben jei. Im Frühjahr 1522 trat er eine neue Bittreife nad
Deutſchland an, indem er die Verwaltung des Landes abermals
in die Hände des Bifhofs von Samland legte, Georga von
Polentz, des Sprößlings eines im Meißenſchen heimiſchen ſäch—
ſiſchen Geſchlechts. Mehr denn zehn Jahre älter als Albrecht
(geb. 1477 oder 1478) hatte Polen in Bologna die Rechte
ftubiert, ala Sekretär am Hofe Papft Julius II. gelebt, dann
unter Marimilian 1508 und 1509 in Italien gefochten und
dort im Feldlager Albrechts Bekanntſchaft gemacht, war nad
deſſen Meifterwahl in den Orden eingetreten und Hausfomtur
I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 101
von Königsberg und 1519 Biſchof von Samland, 1521 au
Adminiftrator des Bistums Pomefanien geworden, ein Mann
von klarem Blid und ruhigem Urteil, praftifhem Sinn und
befonnener Thatkraft. Bei ihm lag die nächſten Jahre die Ver—
tretung der Landesherrſchaft den auffälligen Unterthanen gegen-
über fo gut wie dem ungebuldigen Andrängen ber römiſchen
Kurie, die eine Reformation bes Ordens im altkirchlichen Sinne
betrieb. Aus diefen Schwierigkeiten zeigte Poleng den Ausweg:
er wurde der Reformator Preußens und bahnte die Verwand-
lung des Ordensftaates in ein weltliches Herzogtum an, mag
aud gleichzeitig unabhängig davon in Albrechts religiöfem
Denken ein Wandel eingetreten fein, der ihm das, was ohne fein
Zuthun geihah, annehmbar machte und fo alle Schwierigkeiten
unverhofft glücklich Löfte.
Als Albreht 1522 Preußen von neuem verließ, hoffte er
feine Hilfe mehr für den Orden. Für fich felbft hoffte er die
ftandesgemäße Verforgung, die ihm der Orden nicht gewährte,
als Führer jei es des kaiſerlichen, fei es bes päpftlichen Heeres
gegen die Türken. Auch bei Franz I. von Frankreich hat er
fi bemüht. Dazwiſchen verſuchte dann Dietrih von Schön-
berg wieder ihn dur eine feiner großen Kombinationen zu
einer europäifchen Role zu erheben. Politifh war Albrecht zu
Ende. Auch finanziell hatte er mehr wie abgewirtſchaftet und
wußte nicht mehr, wie er jein heimatlojes Wanderleben beftreiten,
noch weniger, wie er die aufgefummten 82 000 Gulden Schulden
bezahlen jollte. In verzweifelter Stimmung weilte er 1522
auf dem Reichstage zu Nürnberg: aud fein Gedanke, den
deutſchen Adel zur Hilfe gegen Polen zu gewinnen, war mit
der Kataftrophe des zum Führer beftimmten Sidingen hinfällig
geworben. Da hörte er Andreas Dfiander das Evangelium
verfündigen und wurde tief davon ergriffen. Mächtig zog es
ihn zu den Freunden ber neuen Lehre. Sie fehien ihm beffer
begründet ala die Fatholifche, der man nad feiner Meinung
duch Verbrennen anftößiger Schriften nicht aufhelfen konnte.
Damit erhielt fein Leben erft reiten Inhalt und gründete ſich
auf den Feljen des evangeliſchen Glaubens. Mit Recht hat
Albreht nachmals Dfiander feinen geiftigen Vater genannt.
102 Erſtes Bud. Die Elemente bes preußifgen Staates (bis 1598).
Und von hier aus erſchloß fi ihm zuerft die Hoffnung, aus
dem politiſchen Wirrfal gelöft zu werden. Von dem Stand:
punfte des Evangeliums aus ging ihm der Widerfinn des geiftz
lien Rittertums um fo flarer auf, als er offenbar nie ein
überzeugter Anhänger desſelben geweſen, fondern bloß aus
irdifchen Rüdfichten ihm beigetreten war. Schon Dietrich von
Schönberg hatte empfohlen, Luthers Rat zu erbitten, während
diefer mit der genialen Sicherheit ſeines Blicks das hier geftellte
Problem bereits fühn gelöft hatte. Vom 28. März 1523 datiert
feine Schrift: „An die Ritter deutſches Ordens, daß fie falſche
Keuſchheit meiden und zu der rechten ehelichen Keufchheit greifen
ſollen“, die den Widerfinn der Negel nachwies und die Säku—
larifation des Ordens empfahl, damit „eine recht ordentliche
Herrſchaft“ entftehe. Das ſei in Preußen leicht, weil die Ritter
des neuen Staates „geborene Amtleute“ feien und jelbft ver
forgt würden, dort alſo „nit die elende Not vorhanden fei,
die manden Bettelmönd im Klofter halte, nämlich des Bauches
Sorge”. Lebhaft griff Albrecht den Gedanken auf. Bereits
im Juni 1523 ſchickte er den Magifter Deden heimlich nad)
Wittenberg, um Luther die Regel vorzulegen und feine Vor—
ſchläge zur Reformation des Ordens entgegen zu nehmen. Die
Antwort fann nicht ungünftig gewejen fein. Denn fon im
September erſchien Albrecht jelbft in Wittenberg: er möge,
fo riet ihm Luther, fih von der Negel losfagen, ein Weib
nehmen und Preußen zu einem weltlichen Fürftentum machen.
Melandthon ftinmte bei. Albrecht — jo berichtet Luther —
ſchwieg, aber lächelte. Ob es ein befriedigtes Lächeln der
Zuſtimmung war oder ein Lächeln der Reſignation — wer
weiß es?
Aus Preußen lauteten die Berichte immer troftlofer. Die
Stände verweigerten jede Hilfe. Zwang hätte den Ausbrud
gebracht. Schon date Albreht dem Lande ven Rüden zu
kehren. „Verhungerns willen,“ fo ſchrieb er an Polens, „kehre
er nit zurüd, da er als geborener Fürft zu Brandenburg ſich
ja von feinem Väterlichen erhalten und die anderen in Preußen
in der Brühe figen lajien Fönne” — Worte, deren kraſſer
Egoismus zeigt, daß ihm noch jede Gemeinjhaft mit dem feiner
I. Der Staat des Deutfhen Ordens in Preußen. 103
Obhut befohlenen Volke fehlte. Sie galt es zu ſchaffen. Und
das hat nicht Albrecht gethan, ſondern Poleng, der eine nicht
ganz ohne fein Zuthun entftandene populare Bewegung ftärkte
und leitete, den fi äußernden Volkswillen entſchloſſen vollzog
und fo eine vollendete Thatſache ſchuf, die Albreht um jo
bereitwilliger acceptierte, als fie feinen perfönlichen Interefien
entiprad. So ijt die Reformation in Preußen — und zwar
eigentlich dort allein — als Volksſache vollzogen. Und was
wollte das fagen zu einer Zeit, wo Luthers Lehre noch nirgends
wirklich fiegreid war, da bisher nur das Bürgertum fi für
fie erklärt hatte? Zuerft in Preußen ift wirklich reformiert
worden, und zwar in der dem urſprünglichen und echten Zuther-
tum entſprechenden Weife. Denn noch war der Reformator nicht
an fi felbft irre geworden und zurüdgejchredt vor den Kon—
fequenzen, die ſich aus jeiner Freiheitsthat ergaben. Beglüdt
forieb er im Frühjahr 1525 im der Vorrede zu dem Georg
von Polent gewidmeten Konımentar zum Deuteronomium:
„Welch ein Wunder ift es, wie das Evangelium, in Ober: und
Niederdeutichland, wo es zuerft verfündigt wurde, abgelehnt
oder angefeindet, gleich einem mit fehwellenden Segeln dahin-
fliegenden Schiff nach dem fernen Preußen geeilt ift, das bisher
von dem Dunkel der alten Kirche bevedt war.” Ihrem ur-
fprüngliden Weſen getreu, hat die Reformation dort genau
den Weg verfolgt, den ihr Luther, nicht ohne eine diplomatiich
feine Benugung der allgemeinen Lage und der befonderen Ver-
bhältniffe des Ordenslandes, vorgezeichnet hatte.
Seit dem Sommer 1523 wirkte in Preußen ber ehemalige
Franzisfanermönd Johannes Briesmann. Durch ihn iſt Poleng
gewonnen worden: bereit? Weihnachten 1523 bekannte er fi
in einer Predigt von der Kanzel des Königsberger Domes zu
dem Evangelium und erließ im Januar 1524 als „Biichof
allein durd Gottes Gnade” ein Mandat, das die Taufe in
deutſcher Sprache vorjehrieb und den Geiftlihen das Stubium
der Schriften Zuthers empfahl. Bald jandte Luther als „Evan-
geliften” Amandus dorthin: durch ihn dem Evangelium ges
wonnen, follten Adel und Volk vom Hochmeifter fordern, daß
er fih vermähle und den Zwitterftaat in eine rechtmäßige Herr—
104 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifgen Staates (bis 1598).
ſchaft verwandele. Allmählich — fo inftruierte Luther Bries-
mann am 4. Juli 1524 — müſſe man fie dahin bringen, zu
diefer Erkenntnis anleiten, mit biefem Verlangen erfüllen und
ſchließlich beſtimmen, den Meifter zur Erfüllung ihrer Forderung
Scheinbar zu zwingen. Poleng möge fi} vorläufig zurüdhalten
und erft ber fcheinbar ohne fein Zuthun vollendeten Thatſache
fi) fügen. Genau fo verfuhr man. Die Faftengebote wurden
aufgehoben; der deutſche Kirchengefang wurde eingeführt; das
evangelifche „Königsberger Vaterunſer“ erfhien, und in feinem
Traftat „Bon breierlei heilfamer Beichte“ widerlegte Bries-
mann die katholiſche Beichtlehre. Die Heiligenbilder wurden
bejeitigt, und am Ofterfeiertag beftieg Polentz wieder die Kanzel,
um ganz evangelifh zu predigen. Als das erregte Volt am
zweiten Oftertage das Franzisfanerklofter im Löbenicht bedrohte,
wurde es glücklich beſchwichtigt. Keinen Augenblid ſonſt wurde
der friebliche Verlauf der Reformation in Preußen gefährdet.
Der Bann, der Polen traf, blieb ohne Wirkung. Zum dritten:
mal nahm dieſer Pfingften felbit das Wort und that die Un-
verbindlichfeit ber Monchsgelübde dar.
Eben in jenen Tagen war Albrecht wieder bei Luther.
Damals wurde verabredet, die Bewegung gewähren zu laſſen.
Albrechts Unentſchloſſenheit ſagte das zu. Damals erjdhienen
in Königsberg der hitzige Poliander und der geiſtvolle Speratus.
Schon griff die Bewegung auf das flahe Land hinaus; aber
die katholiſchen Prediger wurden nicht befeitigt, fondern mußten
nur die neubeftellten neben fi dulden. Und ganz wie Luther
gemollt, baten die im Juli zu Königsberg verfammelten Stände
Albrecht, fih zu vermählen und ein mweltliches Fürftentum zu
errihten. Das ſchien die Lehensabhängigfeit von Polen zu
verbieten. Während der Sieg der Reformation zu Ende des
Jahres 1524 friedlich entſchieden war, wurde die politifche
Lage immer fehmwieriger. Ihr entiprad die, wenn nicht zwei—
deutige, jo doch äußerft unflare Haltung Albredts. Zum
Märtyrer feines Glaubens zu werben, fehlten ihm Neigung und
Fähigkeit. Daß er das Geſchehene billigte, hinderte ihn doch
nicht, päpftlichen Bedrohungen gegenüber Voleng, deifen Namen
alles dedte, gelegentlich zu verleugnen, und die Einfiht, daß
I. Der Staat des Deutfchen Ordens in Preußen. 105
er feine landesherrliche Stellung, die allein in dem Meifter-
tum beruhte, durch die Reformation verloren habe, hat ihn
nit abgehalten, um Frieden mit Polen auf Grund der alten
Ordnung zu werben. Als das unerreihbar ſchien, wollte er
das Meiftertum, das ihm nicht gehalten, was er davon erwartet
hatte, nieberlegen, Land und Leute dem Memeler Komtur Erich
von Braunſchweig überantworten und fi in den lohnenderen
Dienft der franzöfifhen Krone begeben.
Das aber wollte auch Polen nicht, zumal feine unkluge
Hartnädigfeit den Orden dod zum Krieg zu treiben brohte
und aud Danzig und Thorn rüfteten. Nun war im Laufe der
Unterhandlungen der Gebanfe aufgetaucht, die Lehensabhängig-
teit, deren der Orden fi weigerte, auf die Perſon feines
Hauptes zu beſchränken, jo daß Albrecht Preußen als weltliche
Herriaft von Polen zu Lehen nähme Ihn nahm König
Sigismund auf, als er in dieſem kritiſchen Moment durch
Achatius von Zehmen, den Hauptmann von Stargard, Albrecht
heimlich erſuchen ließ, das Meifteramt an niemand als ihn
jelbft abzugeben: er werde ihn „dafür mit Land und Leuten,
auch mit einem Dienftgeld freundlich verforgen und verjehen“.
Die Zuftimmung der preußifhen Stände war gewiß, fobald
die neue Ordnung fie nit weiter beſchwerte und ihre Rechte
und Freiheiten nicht fürzte: zog man jo doch — ganz im Sinn
Ruthers — nur die politifche Konfequenz aus der Reformation.
Mit ungewöhnlicher Entſchloſſenheit griff Albrecht zu. Aber auch
hier gaben feine perfönlichen Interefien den Ausſchlag. Doch
mindert das nicht die Bedeutung feines Schritte. Eine ab»
ſonderliche Verkettung der Umftände fügte es, daß Preußen,
deſſen Löfung von der polniſchen Hoheit Albrecht hatte erreichen
follen, jeßt, nachdem es im Ringen darum dem Evangelium
gewonnen war, biejes nicht beffer fihern fonnte als unter dem
Schuß Polens. Vom Reiche, wo eben mit dem Bauernfriege
das Verhängnis der Reformation hereinbrah und bie habs—
burgiſche Weltmacht ſich zu rüdfichtslofefter Reaktion rüftete,
hätte es nur Anfeindung und Verfolgung zu gewärtigen gehabt.
Albrecht war in Ungarn, bei König Ludwig Hilfe gegen
Polen zu werben, als in Krakau die Wendung eintrat, bie des
106 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (did 1598).
Achatius von Zehmen Miffion eingeleitet hatte. Alsbald machte
er fi dorthin auf den Weg. Nachdem für die Verftändigung,
um die man fi) jahrelang vergeblich bemüht hatte, endlich die
Formel gefunden war, wurde man jchnell handelseinig. Unter
Zuftimmung der Bevollmächtigten des Ordens und der preußi-
ſchen Stände wurde Preußen als in feinem Haufe erbliches
weltliches Herzogtum Albreht von Polen zu Lehen gegeben.
Am 10. April 1525 fand die feierliche Belehnung ftatt und
leiftete Albrecht den Vaſalleneid. Am 11. wurben den preußi-
ſchen Ständen ihre Privilegien beftätigt, welche ihre Libertät
auf Koften der Landesherrihaft befeftigten und gegen etwaige
Eingriffe des Tehensherrlihen Schuges fiherten. Am 12. ver:
ſchrieb der König Albrecht eine Jahresfubvention von 4000 Gul-
den, und am 13. ritt der neue Herzog heimwärts. Auch dort ging
nun alles nad Wunſch: zwar fträubten fi die Stände, nament=
lich die durch die Not der legten Jahre verbitterten Stäbte,
anfangs gegen die Anerkennung ber neuen Ordnung, aber ſchon
Ende Mai war fie aud von ihnen volljogen.
Dreiundvierzig Jahre (1525—1568) hat Albrecht als Herzog
gemwaltet, minder ſchwer bebrängt zwar, aber im ganzen doch
jo wenig befriedigt und glüdlih, wie in den vierzehn Jahren
feines Meiftertums. Auch am Ziele feines nicht jelbftlofen und
deshalb erſt recht forgenvollen Strebens hat er fich deſſen doch
nie recht freuen können, nie das Gefühl der Sicherheit des
Befiges gehabt. Mannigfache Gefährdung von außen, Sorge
vor den Folgen der auf ihm lajtenden Reichsacht, finanzielle
Bebrängniffe, Hader mit den Ständen, kirchliche Streitigleiten
ließen ihn des neuen Dafeins nicht froh werden und braten
jein Bemühen um Preußens Wohlfahrt um den rechten Segen
und die rechte Frucht. Seine größten Erfolge lagen in dem
Gebiete der Landeskultur. Die ſüdlichen Gebiete Preußens, die
„als Wildnis“ überfommen waren, machte er urbar und fiedelte
Bauern und Edelleute dort an. Aber der eigentlich fürſtliche
Zug geht jeinem Walten ab, dem etwas Mühjeliges und Klein—
liches anhaftet. Zudem machten Mangel an Urteil und Scheu
vor Uebernahme einer Verantwortung ihn abhängig von feiner
Umgebung, jeine liebenswürdige Menſchenfreundlichkeit aber,
I Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 107
feine gelehrten Liebhabereien und Fünftlerifchen Neigungen und
namentlich die mit den Jahren wachſende Vorliebe für theo—
logiſche Diftinftionen überlieferten den bald allzu Arglofen,
bald allzu Befangenen der Ausbeutung durch eigennügige Streber,
hartherzige religiöfe Eiferer und gemifienloje Abenteurer. Daß
ein Mann wie der Schwindler Scalihius, der dem Haufe der
Scaliger von Verona entiproffen fein wollte, eine Zeit in
ſchrankenloſer Gunft ftehen und den Landesprivilegien zum
Trotz ein Willfürregiment führen konnte, beweift jeine unfürfts
lie Urteilslofigfeit. Und dann veranlaßte im Zufammenhang
damit fein unfluger Eifer für die heftig angefochtene Lehre des
von ihm in Königsberg aufgenommenen Andreas Dfiander einen
Rampf, der kirchliche und politifche Momente unheilvoll vermiſchte
und erſt lange nad} des eigentlichen Anftifters Tod (1552) mit der
Hinrichtung des Hofpredigers Johannes Funfe und zweier Räte
(1566) ein blutiges Ende fand, zugleich aber eine tiefe Demüti-
gung des in feiner Macht heillos gefürzten Fürſtenrechts zu
Gunften der triumphierenden Stände zur Folge hatte. In der
Bevölkerung Preußens aber erwedten dieſe Vorgänge, welche
die Interefien der ftändifchen Libertät mit denen des rechten
Glaubens verhängnisvol verquidten, leidenſchaftlichen Eifer für
das reine Luthertum, der auch politifch bedeutſam wurde. AU
das bedrückte Albrechts zu trübem Grübeln geneigtes Gemüt.
Und dazu Fam ſchweres häusliches Leid. Die Kinder, die ihm
feine däniſche Gemahlin gebar, ftarben bis auf eine Tochter
vor ihm, und von dem unheilbaren Wahnfinn, in dem er den
Vater fih hatte zu Ende trafen fehen, entdedte er nad dem
furchtbaren Geſetze der Vererbung die ſchrecklichen Spuren früh
in dem einzigen Sohne wieder, den ihm jeine zweite braun-
ſchweigiſche Gemahlin ala Erben des Herzogtums geſchenkt hatte.
Schwer hat der forgenbeladene Fürft am Leben getragen.
Und da nun wurde ihm jein evangelifher Glaube der im
Sturm von Not und Trübjal bewährte Anker. Danıı brachte
in das freudlofe Einerlei nie recht gelohnten Sihabmühens
Erholung und Erhebung die Beihäftigung mit den verjchiedenften
geiftigen Interefien, wiſſenſchaftliche und künſtleriſche Be—
ftrebungen. Auf diejem Gebiet hat Albrecht wirklich Bleibendes
108 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifgen Staates (bis 1598).
geſchaffen. Auch hat feine weiche Natur, der die Fähigkeit des
energiſchen Widerftandes abging, vornehmlich da ihre liebens-
würdigen Seiten entfaltet. Der evangeliſchen Ueberzeugungs-
treue und dem wiſſenſchaftlichen Sinn Albrehts entiprang ber
große Gedanke zur Gründung einer Univerfität in Königsberg,
die wohldurchdachte planmäßige Vorbereitung erfprießliden Wir-
tens für fie buch die Pflege erft des Volksunterrichts und dann
des höheren Schulmejens. So knapp feine Finanzen waren,
immer hatte er eine offene Hand, wo es begabten Landeskindern
die Erwerbung höherer Bildung in der Fremde zu ermöglichen
oder Männer der Wiſſenſchaft für Preußen zu gewinnen galt.
Er ermöglichte die Errihtung einer Buchdruckerei, pflegte bie
Muſik durch Gründung einer Kapelle und die Veröffentlihung
von Kompofitionen und hat in einer für jene Zeit ungewöhn-
lichen Weife durch die Berufung und Belhäftigung ſüd- und
weſtdeutſcher Baumeifter und Maler den bildenden Künften im
fernen Nordoften eine Stätte bereitet. So erihloß er durch
perfönlies Eintreten fein der Verbindung mit dem Mutter-
lande entrüdtes Herzogtum bem befruchtenden Strom deutſchen
Geifteslebens, wie er e8 durch einen umfänglichen Briefwechſel
mit den Männern der Wiſſenſchaft dauernden Anteils an der
fortſchreitenden Geiftesfultur verſicherte. Dadurch hat er e&
befähigt, inmitten ber mächtig amdrängenden Gefahr der
KRatholifierung und der Polonifierung evangelifh und deutſch
zu bleiben.
So unklar, unfertig und in mander Hinfiht unerfreulich
die Zuftände in Preußen fein mochten — eine Fülle verheißungs-
voller Anfänge zu folgenreiher Entwidelung knüpfen fi an
Herzog Albrecht. Auch den Zeitgenoffen erſchien er daher als
der Träger und der Bürge für die Zufunft des Landes, nament:
lich feines evangelifhen Glaubens. Dem hat einmal Georg
von Polentz faft rührend Ausdrud gegeben, indem er eine
Mahnung an Albrecht vor polniſchen Nadjftelungen mit ben
Worten begründete: „So etwas €. F. G. Durchlaucht geſchähe,
würden wahrlich nicht elendere und betrübtere Leute in der
ganzen Chriftenheit jein als wir armen Preußen diefes Fürften-
tums,“ denn „wir würden fhwerlid bei dem Evangelium
I. Der Staat des Deutfchen Ordens in Preußen. 109
bleiben können, fondern mit Gewalt und Tyrannei davon ge:
drungen und abgehalten werden.“
Den großen Männern wird man Albrecht nicht zuzählen:
doch hat er Großes ermöglicht. Kommen body in mweltgefchicht:
lichen Krifen zuweilen gerade ſolche Naturen zu ſegensreichſtem
Wirken: ohne felbftändige, in eigener fhöpferifcher Kraft be—
ruhende Bedeutung bringen fie, mehr paſſiv als aktiv, aus—
gleihend, mildernd und vermittelnd, oft freilich unter Verzicht
auf das von härteren Naturen verfochtene Prinzip, doch das
zur Zeit Grreihbare in Sicherheit und legen jo inmitten fürs
mifher Kämpfe den Grund für die allmählich fortfehreitende
und gefundende Entmwidelung fpäterer Zeiten.
Ein müber Mann hat Herzog Albrecht ahtundfiehzigjährig
1568 jein Zeben beſchloſſen. Trüb und forgenvoll blidte er in die
Zukunft feines Haufes und Landes. Sein einziger Sohn und
Erbe, Albrecht Friedrih, ein unreifer fünfzehnjähriger Jüng-
ling, war förperlich hinfällig und geiftig ſchwach und beſchränkt.
So ſchien den Ständen die Zeit gefommen, um den Sieg, den
fie 1566 mit Polens Hilfe über den Vater gewonnen, dem
Sohne gegenüber auszunugen und zu vollenden. Die mittel:
mäßigen Gaben des jungen „blöden Herrn“ verfümmerten unter
der Tyrannei ber die Vormundſchaft führenden adligen Regi—
mentsräte. Sein Gemüt verdüfterte unter dem Drud eines
elenden Lebens in fteter Angft vor Gift und der ihn innerlich
verzehrenden Wut über den frechen Uebermut feiner Aufjeher
und Peiniger. Das ſchwache Licht feines Geiftes erloſch ſchließ⸗
lich in dem aufreibenden Wiberftreit zwiſchen feinem fürftlichen
Recht und diefem unfürſtlichen Dafein. Ein unglüdlicher Fall
machte ihn vollends elend. Dennoch hatte man ihn, um die
Selbftändigfeit des Herzogtums zu erhalten, verheiratet: aber
fein Sohn, nur Töchter entiprangen ber Che mit Marie Eleonore,
der älteften Tochter des Herzogs Wilhelm von Cleve. Durch
die Vermählung mit zweien von ihnen bereiteten die branden-
burgifchen Hohenzollern die wirkſame Geltendmadhung des Rechts
vor, das ihnen nad dem Tode Albrecht Friedrichs auf das
Herzogtum zuftand.
I. Pie Mark Brandenburg.
1. Die Marken unter den Anhaltinern, Wittelsbadyern und
Zuremburgern (bis 1411).
Aus Brandenburg ift ein deutſches Kolonialland. Ein
Jahrhundert früher als in Preußen war bort die deutſche Herr⸗
{haft begründet, doch hatte der Kampf länger gedauert, mehr
geſchwankt und daher nicht ein ähnlich feftgefügtes Staatsweſen
hervorgebracht. Die territoriale Erweiterung und ber ftaatliche
Ausbau gejhahen hier mehr ſtoßweiſe, getragen nicht von einer
halb geiftlihen, halb weltlihen Genoſſenſchaft unperſönlichen
und im Grunde ftabilen Wefens, fondern Dynaftien mit wechſeln⸗
den Richtungen, in denen wieder die Befonderheit der einzelnen
Fürften die Entwidelung wechſelnd beeinflußte. Während das
Ordensland eine Welt für fi) bildete, wurden die nahmals
zu Brandenburg vereinigten Gebiete durch die Zugehörigkeit zum
Reiche in politifche, dynaftifhe und kirchliche Rämpfe gezogen,
die fie um fo mehr der Gefahr der Zerfplitterung ausjegten,
als auch die flavifhen Nachbarſtaaten zeitweilig ftarfe An—
ziehungskraft auf fie übten. Doc) erwedte das in der Bevölkerung
früh das Bemußtfein des Deutſchtums. Das aber wurde ihre
Rettung, als fie zur Zeit ſchrankenloſer ftändifcher Libertät,
von fozialen und wirtſchaftlichen Gegenjägen zerjpalten, ebenfo
ber leitenden Autorität wie der Vertretung nad) außen entbehrte.
Jenſeits der mittleren Elbe feiten Fuß zu fallen, hatte
zuerft König Heinrich I. verjucht. Aber die Nordmark, die
er 928 durch die Eroberung Brandenburgs gründete und bie
Seinen 929 durch den Sieg bei Lenzen, den die ſächſiſche
Stammjage ftarf übertrieb, behaupteten, ging troß der fefteren
kirchlichen Organifation durch das den älteren Bistümern Bran—
denburg und Havelberg übergeordnete Erzbistum Magdeburg
I. Die Mark Brandenburg. 111
zu Ende der Regierung Ottos II. (9382—983) wieder verloren.
Nur das links von der Elbe gelegene Gebiet, die fpätere Alt:
mark, blieb deutſch und wurde aud in ben nächſten hundert
Jahren nur bis zur Havel erweitert. Erſt ald gegen bie Mitte
des 12. Jahrhunderts der Sachſe Lothar den nationalen Kampf
gegen die Wenden für die deutfhe Kultur wieder aufnahm,
begann auch für die Lande zwiſchen Elbe und Oder eine neue
Zeit. Zum Lohn für die ihm auf der Romfahrt geleifteten
Dienſte verlieh Lothar die 1133 durch den Tod des Grafen
Konrad von Plögfau erledigte Norbmark feinem Landsmann
Albrecht von Ballenftädt aus dem Haufe Anhalt, der fein
Anrecht darauf Schon früher mit Waffengewalt geltend zu machen
verfuht Hatte. Wohl hat Albrehts Sinn auf höhere Ziele
geftanden, und nicht ohne ein Gefühl der Enttäufchung verzichtete
er jhließlih darauf, die Welfen aus dem jähfifchen Herzogtum
zu verbrängen. Aber für die Nordmarf war es eine glücliche
Fügung, daß er auf diefen beſcheidenen Wirfungsfreis beſchränkt
blieb. Wohl fteht Albrecht der Bär — fo nannte man ihn
im Gegenſatz zu Heinrid) dem Löwen — an Glanz der Er:
ſcheinung zurüd gegen den erften großen Staufer und den legten
großen Welfen, aber jein Lebenswerk hat, anders als das jenes,
ihn weit überdauert und ift einer von den Pfeilern der deutſchen
Zukunft geworben.
Bon dem Fortgange der Chriftianifierung und Germani—
fierung der Mark haben wir fein jo anfhauliches Bild wie von
der Preußens. Da hier weber fo planmäßig vorgegangen, noch
dauernd jo große Kräfte eingefegt wurden wie dort, jo be—
fremdet die Schnelligkeit, mit der fie ſich vollzog. Anderthalb
Zahrhunderte nach der Ankunft der Anhaltiner ift Brandenburg
faft völlig deutſch, ohne daß eine fo ftarfe deutjhe Einwanderung
und eine jo rüdjichtslofe Germanifierung nachweisbar wären,
wie fie die Schnelligkeit diefer Wandlung eigentlich vorausfegt.
Man hat deshalb vermutet, die Deutſchen haben öftli der
Elbe zwar Wenden als herrichendes Volk vorgefunden, daneben
aber zahlreiche ihnen unterworfene Germanen, welche nun mit
den ftammverwandten Eroberern gemeinjame Sade machten.
DoH trat ja gerade zur Zeit Albrechts des Bären durch den
112 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
Tod des Abodritenkönigs Heinrich bei den Wenden eine Ber:
jplitterung ein, die ihre Widerftandsfraft minderte, ja manchen
ihrer Fürften die Freundfhaft des benachbarten Markgrafen zu
ſuchen und der Ausbreitung des Chriftentums und der deutſchen
Kultur Vorſchub zu leiften veranlaßte. Durch die Eroberung
der Priegnig faßte Albrecht im Winter 1136—1137 auf dem
rechten Ufer der Havel feften Fuß. Der zu Brandenburg
herrſchende Pribislam aber, der famt feiner Gemahlin Petruffa
Chrift geworden war, ſchenkte nicht bloß Albrechts erftgeborenem
Sohn Dtto, den er aus ber Taufe hob, die Landſchaft Zauche
(bei Belzig), fondern fegte, jelbft Einderlos, den Markgrafen
zum Erben ein. Auch fiel, als er 1150 ftarb, fein Land wir:
ih an diefen, wie es heißt, dank der Entſchloſſenheit Petruffas,
die der drohenden wendiſchen Reaktion geſchickt zuvorkam. Erft
diefe Erwerbung gab Albrehts Wirken ſowohl nah der krie⸗
geriſchen wie nad) der koloniſatoriſchen Seite eine fichere breite
Bafis. Kaum hatte er einige benachbarte Stämme unterworfen,
als er Boten nad) dem Niederrhein und Utrecht jandte und
Koloniften herbeirief, um mittels der bei ihnen alteinheimifchen
Technik die waſſer- und fumpfreihe Mark für den Aderbau zu
erobern. Sie wurden der Kern eines Bauernitandes, der, durch
Zuzug aus anderen Teilen Deutſchlands vermehrt, gegen Zins
und Dienft mit Land verjehen, dem Boden bald reihen Ertrag
abgewann. Auch die Städte, wo von den Wenden meift nur
die ärmften als Fifher zurüdgeblieben waren, wurben neu bes
völfert und bald Sige mannigfacher gewerblicher und fommer:
zieller Thätigkeit. Bereits durch Albrecht erhielten Brandenburg,
Salzwedel, Tangermünde, Werben, Angerburg und Oſterburg
Stadtreht. Auch deutſche Edelleute kamen ins Land. Bon
dem Markgrafen als alleinigem Herrn des eroberten Landes
gegen Uebernahme des üblichen Nitterbienftes mit Burgen und
Gütern verfehen, wurden fie militäriſch der wichtigſte Rüdhalt
des Deutſchtums, im Vergleih mit dem die Tempelherren und
Sohanniter, die ebenfalls Niederlafjungen errichteten, nur eine
untergeordnete Rolle fpielten, ſchon meil hier der ritterliche
Glaubenskampf gegen die Kulturarbeit zurüdtrat, und dann bie
Miffion im Rahmen einer feiten Firhlihen Organifation von
I. Die Mark Brandenburg. 113
einem gebildeten und praktiſch geſchulten Klerus fortgeführt
wurde. Die Bistümer Brandenburg und Havelberg erftanden
neu und gewannen feit der Erhebung Norberts zum Erzbiſchof
von Magdeburg (1126) in den Prämonftratenjern wertvolle
Bundesgenofien. Aeltere Kirchen und Klöfter wurden ftattlicher
ausgebaut, neue entjtanden in Menge, wobei den wendijchen
Feldfteinbau der von den niederländiſchen Einwanderern mit»
gebrachte Ziegelbau erjegte.
Nur einmal drohte Albrechts Thätigkeit eine ernfte Gefahr.
Der Hevellerfürft Jacze, der zu Köpenick ſaß, bemächtigte fi
Brandenburgs, das er als Verwandter Pribislaws beanspruchte.
Aber im Bunde mit Wichmann von Magdeburg, deſſen ebenjo:
fehr von nationalen und weltlich-fürſtlichen wie großen kirchlichen
Gefihtspunkten ausgehendes Wirken auch jenem Grenzlande zu
gute fam, gewann Albrecht die Stabt bereits im Juni 1157
mit ftürmender Hand zurüd. Auch haben die Wenden Hinfort
nicht mehr verfucht, die deutſche Herrſchaft abzufhütteln. In
der Sage war Jacze ihr letzter Vorfämpfer: von der Aus—
fihtslofigfeit ferneren Widerftandes überzeugt, fol er ſich haben
taufen laffen. Was an Wenden im Lande blieb, büßte feine
Volksart jchlieplich ein, denn auch der wendiſche Adel verfiherte
fi gern der ftändifhen und wirtſchaftlichen Vorzüge feiner
deutſchen Standesgenoffen.
Albrehts Tod (18. November 1170) änderte nichts an
diefen Verhältniffen. Doch zog der ältefte von feinen fieben
Söhnen, Otto J. (1170— 1184), zur Förderung des Kulturwerks
die Ciftercienfer ins Land, die von dem Klofter Lehnin aus die
Sumpflandigaft ſüdlich von Brandenburg urbar machten. Mit
Heinri dem Löwen befämpfte er Pommern und machte es,
wie nad) fpäteren Vorgängen angenommen werben muß, lehens=
abhängig: nur fo konnte die Marf militärifch gefiert und
durch die Verbindung mit der Oſtſee wirtſchaftlich gehoben werben.
Der Sturz des Welfen und die Zerſchlagung des ſächſiſchen
Herzogtums erhoben Brandenburg dort im Norboften zur führen-
den Macht, zumal dem Markgrafen mit der Aufficht über die
Slaven zwijchen Oder und Peene die Vertretung der deutfchen
Nechte auf die Oftfeeküfte in erfter Linie zuftand. Dem that
Pruß, Preußifhe Geſchichte. 1. 8
114 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
& auch nicht Abbruch, daß die Söhne Ottos I., die ihm nach—
einander folgten, Otto II. (1184—1205) und Albrecht IL.
(1205—1220), 1196 vom Erzbiihof Ludolf von Magdeburg
genötigt wurden, ihre reits von der Elbe gelegenen Lande von
ihm zu Lehen zu nehmen.
Einen bedeutenden Fortfehritt für Brandenburg bezeichnet
die gemeinjame Regierung der Söhne Albrechts II, Johannes I.
(1220—1266) und Ottos II. (1220—1267), die anfangs unter
Vormundſchaft des Magdeburger Erzbifhofs ftanden. Bon dem
BWendenfürften Borwin fauften fie die Gebiete Barnim und
Teltow und erweiterten die Mark jo bis zur Oder. Dort
ftiftete Johann das Ciftercienferklofter Chorin. Durch fie erhielt
Spandau und dann um 1232 Köln an ber Spree und etwas
fpäter das benachbarte Berlin Stadtreht. In wechſelvollem
Kampf ſchüttelten fie die Magdeburger Lehenshoheit ab. Bor
allem aber entwidelten fie das Verhältnis zu Pommern weiter.
Seit dem Rüdgange der Macht Dänemarks infolge der Schlacht
bei Bornhöved (1227) haben fie die von Kaiſer und Neid
vernachläffigten baltiſchen Intereſſen Deutichlands vertreten,
wofür Kaifer Friedrich II. ihnen 1231 die Lehenshoheit über
Pommern betätigte. Sie zur Anerkennung zu bringen, bedurfte
es freilich eines mehrjährigen Krieges. Erſt durch den Vertrag
von Kremmen im Juni 1236 beugte fi ihr Herzog Wratislam
von Pommern: Demmin, trat die Lande Stargard, Berent und
Wuſtrow ab, das heißt den größten Teil von Medlenburg-
Strelig, und fiherte dem Markgrafen für den Fall feines
tinderlofen Todes die Nachfolge in feinem gejamten Befige zu.
Das Herzogtum Wolgaft, das Johann als Mitgift feiner Ge—
mahlin, einer Tochter Waldemars II. von Dänemark, bean-
ſpruchte, occupierte Wratislans Vetter Barnim, und erſt 1250
Tam es zu einem Vergleich, nad) dem auch diefer die branden-
burgifche Lehenshoheit anerfannte und ftatt Wolgaft die Uder-
mark jeiner Tochter, die Johann vermählt wurde, als Mitgift
überließ.
Auch nah Dften und Süden wurde die Mark damals ber
trächtlich erweitert. Herzog Boleslaw von Liegnig wurde 1253
das Gebiet von Lebus abgefauft, wo Frankfurt an der Ober
I. Die Mark Brandenburg. 115
entftand. Die Oberlaufig, von der Otto III. einen Teil durch
die Ehe mit einer Tochter Wenzels von Böhmen erworben hatte,
brachte bereits König Ottofar II. 1255 vollends an Brandenburg.
or allem aber faßten die Markgrafen damals jenfeits der Oder
in der „neuen Mark” feften Fuß, wo fih unter dem Schuß
der in Küftrin heimijchen Tempelherren bereits deutiche Edel:
leute angefiedelt Hatten. Jet wurde das Land von Przemyslaw
von Polen, dem es die pommerelliihen Herzöge ftreitig machten,
als Mitgift feiner einem Sohne Johannes vermählten Tochter
Brandenburg überlaffen. Wie ein Keil zwiſchen Polen und
Pommern einfpringend, ftärfte es deſſen Offenjivfraft gegen
beide, da es Pommern nun aud von Often her fallen und die
Oſtſee bei Danzig erreihen fonnte. Daher wurde zu feiner
Sicherung alsbald eine große Anzahl von Städten gegründet,
wie Landsberg an der Warthe, Königsberg, Bärwalde,
Soldin u. a. m.
Auch waren die Anhaltiner in Brandenburg auf die un:
geteilte Erhaltung ihres ftattlichen Beſitzes bedacht, der für das
Neich ſchon fo viel bedeutete, daß nad) dem Tode Wilhelms von
Holland die Erhebung Dttos III. auf den Thron erwogen war.
Um aber auch ihre zahlreihen Söhne zu verforgen, vereinbarten
die Brüder 1258 die Zerlegung ihres Landes in zwei gleiche
Teile, deren jeder ald ein Ganzes an eine der von ihnen ſtam—
menden Linien fommen und ihnen die gemeinfame Verfolgung
einer Hauspolitif ermöglichen jollte, während das mit der Marf
verbundene Erzfämmereramt und die auf ihr beruhende Kur
immer von dem Gefchlechtsälteften geführt wurde. Längere -
Zeit hat fi das bewährt. Nachdem der ältefte von Johannes
fünf Söhnen, Johann IL, bereits 1281 geftorben war, regierten
feine beiden jüngeren Brüder, Otto IV. mit dem Pfeil und
Konrad, von Stendal aus ihren Anteil. Ihr jüngfter Bruder
Heinrich gewann in der Mark Landsberg zwiſchen Elbe und
Mulde und der jähfiihen Pfalzgraffhaft eine Verforgung,
während ber nächſtältere Erich 1277 von einer Partei im Dom:
fapitel zum Erzbifchof von Magdeburg gewählt wurde. Für
ihn focht Otto IV., ein fampffroher Ritter und auch ala Minne—
fänger gefeiert, wider den von den Gegnern erhobenen Grafen
116 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
Günther von Schwalenberg, wurde aber 1278 befiegt und ge—
fangen. Kaum losgefauft, griff er von neuem zu den Waffen.
Bei der Belagerung Staßfurts empfing er Die Wunde am Kopf,
die ihm den Beinamen „mit dem Pfeil” eintrug. Aber erft 1283
kam Erich zum Ziel. Heftige Kämpfe hatten Otto IV. und Kon-
rad mit Pommern zu beftehen, das ſich der Lehenshoheit zu ent-
ziehen verfuchte, nad) mehrjährigen Kämpfen aber (1280—1284)
auch noch Stargard, Pyrig und Garz in der Markgrafen Ge:
malt laffen mußte. Erſt König Rudolfs Eingreifen im Sommer
1284 ftellte den Frieden her. Doch hatte er nicht lange Beftand.
Denn nad) der Trennung Bommerns in die Herzogtümer Stettin
und Wolgaft (1295) verband fi) Bogislam von Wolgaft mit
dem den Deutſchen bitter verfeindeten Polenkönig Wladislam
Lofietef, dem auch das durch das Ausfterben feines Herzogs:
hauſes erledigte Pommerellen zufiel. Während des mehrjährigen
Krieges hatte die Mark durch wiederholte Einfälle Bogislaws
und feiner polniſchen Verbündeten zu leiden. Doch behaupteten
fih die Markgrafen nicht bloß, fondern gewannen fogar durch
ihre von den ftreitenden Parteien veranlaßte Einmifhung in
die pommerellifhen Händel diefe Landſchaft jamt dem wichtigen
Danzig und damit in ben baltiſchen Landen eine weithin ges
bietende Stellung.
Diefe Zeit bezeichnet den Höheftand der brandenburgifchen
Macht im Mittelalter. Ihm folgt jchnell ein tiefer Fall. Auch
der anhaltiniſche Beſitz wurde zerfplittert. Es entftand eine
Menge anhaltinifcher Linien mit entiprechend Heinen Territorien,
mag die Sage auch übertreiben, die von einer Zufammenkunft
von neunzehn Markgrafen von Brandenburg berichtet. Dann
ſchwand das Haus ſchnell. Von der Nachkommenſchaft Ottos III.
(r 1267), die zu Salzwedel jaß, lebten 1305 nur noch Mark:
graf Hermann und jein jugendlicher Sohn Johann V., während
die Johanns I. zu Stendal in Otto IV. mit dem Pfeil und
dem jungen Waldemar, dem Sohn des 1304 verftorbenen Kon:
rad, ihre einzigen Vertreter hatte. Diefer legte aber jchien zu
großen Dingen berufen.
Sein unſcheinbares Aeußere barg nicht bloß eine ftählerne,
in allen ritterlihen Künften geſchulte Kraft, ſondern auch einen
I. Die Mark Brandenburg. 117
kühnen, meitblidenden ftaatsmännifchen Geift. Frühreif warf
ſich Waldemar fampfluftig der Uebermacht entgegen, wußte aber
auch fi der Lage geſchickt anzupaſſen. In den Kämpfen mit
Pommern und Polen bereits bewährt, trat er an die Spike
feines Haufes, als er nad) dem Tode Hermanns von Salzwedel
für_ defien jehsjährigen Sohn Johann, defien Schweiter er
heiratete, die Regentichaft an ſich riß. Als bald danach Otto IV.
ftarb, war er Herr von ganz Brandenburg. Klug gab er das
unhaltbare Pommerellen auf, indem er e& gegen 10000 Mark
Silber dem Deutichen Orden überließ, der, von den Polen herbei-
gerufen, fi) bereits Danzigs, Dirſchaus und Schwetzs bemächtigt
hatte. Schlawe, Rügenwalde und Stolp überließ er 1313
Wratislam von Wolgaft. Denn ein jehmeres Unwetter zog ſich
gegen ihn zufammen. Als er Stralfunds Freiheit gegen Witzlaw
von Rügen fügte, verfudhte biefer im Bunde mit Dänemark,
Schweden und Polen, mit Sachſen-Lauenburg, Braunſchweig
und anderen Fürflen die Macht der Anhaltiner von Branden=
burg zu brechen. Aber obgleich er beim Angriff auf das Land
Stargard, das Heinrich von Medienburg als Mitgift der Tochter
Albrechts III. von Brandenburg erhalten, dann aber vertrags-
widrig trog des Mangels an männlicher Nachkommenſchaft nicht
herausgegeben hatte, 1316 bei Fürftenfee und dann von den
in der Priegnig eingebrocdhenen Feinden nochmals bei Granjee
geihlagen wurde, rettete er doch 1317 im Frieden zu Templin
dur den Verzicht auf jenes Gebiet den fonftigen Befigftand
feines Haufes, den er damals nad) dem finderlofen Tode feines
Schwagers Johann V. endgültig in feiner Hand vereinigte und
1319 durch die Erwerbung von Kroſſen, Zülihau und Schwiebus
vergrößerte. Bald danad) (am 14. Auguft 1319) ftarb er, erft
28 Jahre alt, zu Bärwalde in der Neumark nach kurzer Krank:
heit, ohne Kinder zu hinterlaſſen: in ber Gruft zu Chorin fand
er feine Ruheſtätte.
Für Brandenburg war das ein ſchweres Verhängnis. Cs
entfprah dem Wejen der Mark, daß auch dort bie fürftliche
Landeshoheit ſchneller und vollftändiger ausgebildet war als
anderwärts, nicht im Widerftreit mit Kaifer und Reich, fondern
auf Koſten ber bepoffebierten und unterworfenen Wenden. Nur
118 Erftes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
in ber Altmark gab es einzelne reichsunmittelbare Herren: ſonſt
waren Edelleute und Städte dem Markgrafen unterftellt, und
nur die Biſchöfe von Brandenburg und Havelberg empfingen
Land und Rechte direft vom Kaiſer. So war der Branden:
burger Markgraf in ungewöhnlidem Maße Herr in feinem
Lande, unabhängig von oben und gebietend nad unten. Das
kam auch der auswärtigen Politik zu gute und fügte die innere
Entwidelung vor dem ftörenden Einfluß des Reis. Die Mark:
grafen waren ftets oberite Richter, oberfte Kriegsherren und
oberfte Eigentümer des Grund und Bodens: dieſe Zentralis
fation förderte die Sicherheit ebenſo wie das wirtſchaftliche
Gebeihen des Landes. Das Heerweien beruhte auf der Dienft-
pflicht der bei der Anfiedelung mit Rittergütern verforgten Edel—
leute und der dem Markgrafen perfönlich verpflichteten Dienft-
mannen. Die Dorfgründungen waren gewöhnlich vertragsmäßig
Unternehmern überlafjen, die für ihre Mühemwaltung durd) das
erblihe Schulzenamt belohnt wurden, mit dem der Vorfig im
Dorfgeriht und der Bezug eines Drittels der eingehobenen
Gefälle, aber auch die Verpflichtung zum Ritterdienft verbunden
war. Die angefegten Bauern erhielten ihre Grundftüde erb-
und eigentümlich, bedurften jedoch zum Verkauf und zur Ver—
pfändung der Zuftimmung des Grundheren und entrichteten
dem Landesheren den Hufenzins, der Kirche den Zehnten und
leifteten hier und da Spannbdienfte. Ihre Lage war aljo be-
ſonders günftig. Dem entſprach das fröhliche Gedeihen der
Landwirtſchaft, welche die einft von Wald, Sumpf und Moor
bedeckte Mark in blühendes Aderland verwandelte. Auch bie
Städte waren fehnell gediehen. Teils mit dem einft Branden:
burg verliehenen, teils mit magdeburgiſchem Recht bewidmet,
von jelbft gewählten Räten regiert und wohlhabend durch Handel
und Gewerbe, zogen fie ein felbitbewußtes Bürgertum groß.
So ftanden den Markgrafen auch reiche Mittel zur Verfügung,
deren Verwendung in der älteren Zeit Fein ſtändiſcher Einſpruch
ftörte. Nocd waren die in Brandenburg vereinigten Gebiete
mehr äußerlich zufammengefügt als zu voller Lebensgemeinſchaft
verwachſen, und hielten an der alten landſchaftlichen Sonderung
feft. So fam das landjtändifche Wefen hier ſpäter und weniger
U. Die Mart Brandenburg. 119
als anderwärts zur Geltung. Zuerft Otto I. und Johann II.
mußten Gelobewilligungen der Stände durch Ueberlafjung ein:
zelner Hoheitsrechte erfaufen. Das gefhah in den folgenden
Triegerifhen Zeiten häufiger, wo namentlid die Kämpfe mit
Pommern immer neue Opfer verlangten und die Stände ber
einzelnen Landſchaften es als vorteilhaft erfannten, fürftliche
Anliegen der Art nur gemeinfam auf einem Landtage zu er:
ledigen. Wurden fie von alteröher befragt, wenn es fih um
Krieg, Verträge, Erbteilungen u. a. handelte, jo machten fie
jegt die Fürften gerade in den enticheidenften Momenten von
ihrem guten Willen abhängig, ja die der Altmark fegten es 1282
durch, daß ihnen als Pfänder für die Nefpektierung ihrer Rechte
die drei Zandesfeftungen überliefert wurden und das Recht zu
gewaffnetem Widerftand und zum Webertritt zu einem anderen
Herrn ausdrüdlich zuerfannt wurde.
Die Zeiten, die Waldemars Tod folgten, begünftigten die
Erweiterung der ftändifhen Rechte, da bie einzelne Teile an
fi reißenden Nahbarfürften die Herren, Prälaten und Städte
für fi zu gewinnen fuchten. Als letzter männlicher Sproß der
Anhaltiner war Heinrich II. übrig, der Sohn Heinrichs von
Landsberg. So ſuchte Waldemars Witwe Agnes, auf die als
Tochter des Markgrafen Hermann die Rechte der Salzwebeler
Linie übergegangen waren, die Herrichaft zu gewinnen, fand
aber nur in der Altmark und einem Teile der Mittelmark An-
erfennung. Als fie aber Herzog Otto von Braunjchweig heiratete,
erflärte fi ihr Beſchützer Rudolf von Sachſen-Wittenberg für
den jungen Landsberger Markgrafen. Gegen ihn, die Hauptftüge
Friedrichs von Defterreih, veranlafte, wie es feheint, Ludwig
ber Bayer Herzog Wladislem von Pommern-Wolgaft, der
Aufforderung etlicher Städte folgend, als Bormund Heinrichs II.
ſich der Neumark zu bemädtigen. Nun trat auch Heinrich von
Schleſien mit Anfprüchen hervor und fand gegen Ueberlaffung
der Oberlaufig und des Görliger Landes die Hilfe Johanns von
Böhmen. Der Tod Heinrichs II, mit dem die Anhaltiner er
loſchen, fteigerte die Verwirrung. Sachſen ſuchte fih in der
Zaufig und Mittelmarf einzuniften. Agnes flüchtete unter bie
Xehenshoheit des Magdeburger Erzbiſchofs, der die Laufig an
120 Grftes Bud. Die Glemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
Friedrih von Meißen gab. Die Stände der Udermarf und der
Priegnig riefen den Schug Medlenburgs an, einige udermär-
fifhe Städte den Dänemarks und Pommerns, das fih nun
mühelos der brandenburgijchen Hoheit entzog. Erſt ala er 1322
über Friedrih von Defterreich gefiegt hatte, konnte König Lud⸗
wig der Bayer, den Agnes wiederholt um Hilfe angerufen
hatte, das größte norddeutſche Reichsland für fein Haus ge-
winnen. Nur die Altmark überließ er 1323 Agnes und ihrem
zweiten Gemahl auf Lebenszeit: mit dem übrigen branden-
burgifchen Lande belehnte er 1324 feinen achtjährigen Sohn
Ludwig, für ben er die Regierung führte.
In feinem territorialen Bejtande arg gekürzt, fam Bran-
denburg an bie Wittelsbacher. Die Mark Landsberg und die
ſächſiſche Pfalzgrafſchaft fielen an Braunſchweig, das nad Agnes’
Tod auch die Altmark behauptete. Daß er von der Udermark,
die zum Teil an Medlenburg verpfändet war, wenigftens ein
Stüd zurüderhielt, verdankte Markgraf Ludwig nur dem Schuge
feines Schwiegervaters, des Dänenkönigs. Die von Wratislam
von Pommern occupierten udermärkifhen Gebiete dagegen
wurden nur zum Teil wiebergewonnen, wie benn auch die bran=
denburgifche Lehenshoheit über Pommern, die König Ludwig 1324
beftätigte, nicht zur Geltung fam. Schlimmer noch war die wüfte
Agitation, die dur König Ludwigs Kampf mit dem Papfttum
ins Land fam. Biſchof Stephan von Lebus veranlaßte den
Pommern verbündeten Polenkönig Wlabislam Lokietek 1325 zu
einem verwüftenden Einfall, während der Propft Nikolaus von
Bernau, der die Bürger von Berlin hindern wollte, dem jungen
Markgrafen zu Huldigen, von dem Volk verbrannt wurde.
Dafür traf die Stadt das Interbift, von dem fie fi} erft nad
Jahren durch hohe Geldbuße löfte. Der Krieg mit Pommern
dauerte fort. Ihn beendete, während die Mittelmarf 1328
von Rudolf von Sachſen geräumt wurde, erft 1338 ein Friede,
nad dem die Herzöge Dtto I. und Barnim die no in ihrer
Gewalt befindlichen Teile der Neumark bis auf ein Kleines
Stüd herausgaben, dagegen aus der brandenburgijchen Lehens⸗
hoheit entlafjen wurden; beim Erlöfchen ihres Geſchlechts aber
folten die Brandenburger in Pommern folgen.
I. Die Mark Brandenburg. 121
Aber auch jet war dem Lande nur furze Ruhe vergönnt.‘
Der Bruch mit den Luremburgern, den Kaifer Ludwig durch
die Vermählung der widerrechtli von ihrem Gatten getrennten
Margarete von Tirol mit dem Markgrafen Ludwig verſchuldete,
brachte neue ſchwere Stürme über die Mark. Beruhte doch auf
ihr vornehmlih die Machtſtellung der Wittelsbacher, obgleich
fie bisher kaum Anhänger gewonnen hatten, jo freigebig fie
Ianbesherrlihe Güter, Rechte und Einnahmen verjchleudert
hatten. Daß das Land, das von den Reichsangelegenheiten bis-
ber faum berührt war, jegt für die ihm fremden wittelsbachſchen
Intereſſen ſchwer belaftet wurde, erbitterte allgemein. Zum
Ausbruh kam es, als der Markgraf, zur Abwehr der Luxem⸗
burger rüftend, nicht bewilligte Steuern gewaltſam eintrieb und
die Münze reduzieren ließ. Da beichloffen 1345 Ritter und
Städte auf dem Berliner Zandtage, auf Grund des ihnen ein:
geräumten Widerfiandsredhtes fi zu gemeinfamer Verteidigung
zu erheben, und wählten je zwei Abgeorbnete, die ſich an den
Hof begeben und die Regierung beauffihtigen follten. Die Er:
hebung bes Luxemburgers Karl und feine allgemeine Anerfennung
nad) Ludwigs des Bayern Tod fteigerte die Krifis aufs äußerfte.
Die Gegner der Wittelsbacher Fannten die Mipftimmung des
Volkes, das die glüdlichen Zeiten des legten großen Anhaltiners
zurückſehnte, und bebienten ſich ihrer mit ungewöhnlicher Ver:
mwegenheit. Gerade in den Tagen, wo das wie eine wunder⸗
bare göttliche Fügung erfcheinen mußte, tauchte 1348 am Hof
des Magdeburger Erzbiſchofs ein greifer Pilger auf, der Mark—
graf Waldemar zu fein behauptete. Ueber die Ehe mit feiner
Bafe Agnes im Gewiſſen beunruhigt, wollte er das Gerücht
von feinem Tode trügerifh haben ausfprengen laffen, um als
Bußer nah dem heiligen Lande zu pilgern. Der Erzbifchof
erklärte fi durch die vorgebrachten Beweife von feiner Echt:
beit überzeugt, Rudolf von Sachſen, der alte Feind der Wittels—
bacher, und der Graf von Anhalt pflichteten bei und ergriffen
die Waffen, um den Heimgefehrten in ber Herrſchaft herzu—
ſtellen. Wie ein Lauffeuer flog die Kunde durch das Land: je
elender die Gegenwart war, um fo lieber glaubte man die
Wundermär, die Erlöfung von der Wittelsbacher Mißregierung
122 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
verhieß. Die Nahbarfürften folgten dem Beifpiel des Erzbifchofs.
Bald war um den geheimnisvollen Alten ein mächtiger Bund
gejammelt, dem Medlenburg, Pommern, Holftein und Däne-
marf beitraten. An der Spige ftand Karl IV., der nad) manchen
Anzeichen, wenn auch nicht gerade Urheber, doch Mitwiſſer des
Betruges, an feiner weiteren Infcenierung hervorragend beteiligt
war. Denn daß es id) bei der angeblichen Wiederkehr des acht⸗
undzwanzig Jahre verſchollenen Waldemar nicht um einen jener
merkwürdigen Fälle gehandelt hat, Die vereinzelt erwiefenermaßen
vorgefommen find, fondern um einen Betrug, den fein Held
wohl faum aus eigenem Antrieb unternahm, fondern auf Ver—
anlafjung und im Dienft derer, die bei der Verdrängung der
Wittelebadher gewannen, kann nad) allem, was wir mwifjen,
kaum zweifelhaft fein. Den größten Vorteil an dem Gelingen
Hätte augenfcheinlich Karl IV. gehabt. So fam er denn auch
jelbft nad) der Mark, traf in Müncheberg mit dem angeblichen
Waldemar zufammen, erkannte ihn nad) einer nur zum Schein
angeftellen Unterfuhung ala echt an und belehnte ihn mit ber
Markgrafſchaft, nicht ohne fih dafür durch Weberlaffung der
Niederlaufig belohnen zu laſſen. Ludwig geriet hart ins Ge—
dränge: nur einen Meinen Teil bes Landes behauptete er,
dank namentlih der Treue der Städte Briegen, Belit und
Mittenwalde. Auch das von Anfang an ausſichtsloſe Gegen-
tönigtum Günthers von Schwarzburg machte ihm nicht Luft.
Da erbot er fi zur Annahme des Schiedsipruds des Königs
Magnus von Schweden. Den zu vermeiden erklärte ſich Karl IV.
zum Frieden bereit. Der Anerkennung durd die Wittelsbacher
fiher, hatte er an dem angeblihen Waldemar fein Intereſſe
mehr: daher fiel eine neue Unterfuchung gegen deſſen Echtheit
aus, und im Februar 1350 beftätigte der Vertrag von Baugen
die Wittelsbaher im Befig der Mark.
Aber noch beharrten einige Gegner Ludwigs und meigerten
die Räumung ber occupierten Gebiete. Das wirtſchaftliche Elend
war noch gewachſen. Nie dort heimiſch und tief verftimmt durch
ben eben erlebten allgemeinen Abfal wandte Ludwig der Mark
den Rüden. Ende des Jahres 1351 überließ er fie feinen Stief-
brübern Zubwig dem Römer und dem unmündigen Otto gegen
U. Die Marl Brandenburg. 123
Bayern und Tirol. Erfterer eroberte in den nächſten Jahren
das Land vollends wieder und bejtimmte die Anhalter Grafen
durch Geld, den Sachſenherzog durch Abtretung Zoſſens und
die Pommernherzöge durch die eines Teils der Udermarf, den
Abenteurer endlich fallen zu laſſen. Diejer fand am Hofe zu
Deffau ein Afyl und ift dort 1357 geftorben. Aber Ruhe war
dem Lande noch nicht beſchieden. Der Streit innerhalb des
Wittelsbacher Haufe, erft um die Kurwürde, dann um bas
Erbe des 1361 verftorbenen Ludwigs des Nelteren, bahnte der
ſchleichenden Politik Karls IV. den Weg zur Ermwerbung der für
Böhmen fo lodend gelegenen Mark. Der Kaifer gemann Ludwig
den Römer zu einem Vertrag, durch ben für den Fall des
tinderlofen Todes ber beiden Brüder die Nachfolge feinem
Sohne Wenzel gefidert wurde. Obenein vermählte er nad
Ludwigs Tod den jungen Otto feiner Toter Katharina. Als
dieſer fi den eingegangenen Verpflichtungen dennoch zu ent-
ziehen ſuchte, erfehien er 1373 mit Heeresmacht im Lande und
zwang ihn zu dem Vertrag von Fürftenwalde, durch den er
gegen eine halbe Million Goldgulden die Herrſchaft ihm ſchon
jegt abtrat.
Zunächſt Fonnte das Land mit dem Taufch zufrieden fein.
Denn die Art, wie Karl IV. in Vertretung des unmündigen
Wenzel waltete, wies alle die Vorzüge auf, die fein hausväter:
lich fürforgendes Regiment in Böhmen auszeichneten. Zwar
machte er feinen Verſuch, die ſtändiſchen Nechte wieber einzu:
ſchränken, fondern acceptierte die unter den Wittelsbachern
entftandene Ordnung, jo nachteilig fie für den Landesheren war.
Nur die Bistümer Brandenburg und Havelberg beraubte er
ihrer bisherigen Reichsunmittelbarkeit. Adel und Städte aber
behielten das Vefeftigungsrecht, die Polizei, die höhere und die
niedere Gerichtsbarkeit und das Bündnisredt: fie waren dem⸗
nad ein durchaus autonomer Faktor, mit dem es wie mit einer
ſelbſtändigen Macht zu paftieren galt. Die Mark erblühte von
neuem. Bon Karls Sorge für die Ordnung der Bejigverhält-
niffe und die Abwägung von Rechten und Pflichten zeugt fein
1375 angelegtes Landbuch, das einen für jene Zeit ungemöhn:
lichen ftatiftiihen Einblid erſchließt in die wirtſchaftlichen Ver:
124 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bid 1598).
hältniffe des Adels, der Städte und der Bauern. Handel und
Verkehr gewannen durch Erleichterung ber Schiffahrt auf Elbe
und Ober und Herftelung freundfhaftliher Beziehungen zu ben
Hanfaftädten, namentlich Lübeck. Der Handelsweg von Böhmen
und deſſen Hinterländern nad} der Oftfee ging durch die Mark.
Um fo mehr mußte Karl wünſchen, dieſe dauernd eng mit
Böhmen zu verbinden. Leichten Herzens opferte er dem ihre
ftaatlihe Selbftändigkeit, indem er im Mai 1374 die Stände
beftimmte, die Union des Landes mit Böhmen gutzuheißen,
wenn auch unter Vorbehalt des Rüdtritts für den Fall, daß
die Unteilbarfeit und Unveräußerlichfeit des Kurlandes verlegt
würde. Aber auch darüber war Karl IV. ſicher leicht Hinwegzu=
kommen. Schon durch jein Teftament von 1377 gab er den
Hauptteil der Marf nebit der Kur feinem zweiten Sohn Sieg-
mund, die Neumark und die Laufig dem dritten Johann. Da—
durch ftürzte er das Land in neues Elend. Der in die Ferne
ſchweifende Sinn Siegmunds nahm fein Intereſſe an ihm: für
feine Entwürfe fam es nur jo weit in Betradt, ala es die
Mittel zu ihrer Verwirklichung lieferte. Bereits 1388 verpfändete
er die Mark, fo weit fie ihm gehörte, um mehr ala eine halbe
Million Goldgulden feinen beiden Vettern Jobft und Prokop
von Mähren: war fie binnen fünf Jahren nicht ausgelöft, ſollte
fie famt der Kur: und Erzkämmererwürde ihnen erblich ver-
bleiben. Aber obgleich die Zahlung nicht erfolgte, verweigerte
Siegmund die Meberlafjung des Landes. Erft 1397 ſetzten die
beiden Mähren bei König Wenzel ihre Belehnung damit durch;
nur ihr Kurrecht anerkannt zu fehen, gelang ihnen nit. Die
Neumark aber, wo er jeinem 1396 geftorbenen Bruder Johann
gefolgt war, verpfändete Siegmund 1402 an den Deutſchen
Orden: fie entging dem traurigen Geihid, das die Nachbar:
ande demnächſt traf. Denn au Zobft von Mähren fah in
der Mark nichts ala ein Objekt zu weiteren Geldgeſchäften.
Nachdem er 1393 einige Städte um 12000 Goldgulden an
Markgraf Wilhelm von Meißen verpfändet, diefe Summe dann
aber ebenſowenig wie jpäter aufgenommene neue Darlehen
zurüdgezahlt hatte, überließ er troß bes Proteftes der Stände
dem Markgrafen die Statthalterihaft, damit er fi daraus
I. Die Mark Brandenburg. 125
allmählich bezahlt made. Jobſt aber juhr fort, landesherrliche
Rechte und Schlöffer zu verpfänden und zu verfaufen. Der
Adel tummelte fih in wüſten Fehden und trieb Raub und
Wegelagerei. Während die Meinen Städte arge Willkür bul-
beten, entzogen fi die größeren ber Autorität der Landes-
herren. Ein Zuſtand völliger Frieblofigkeit trat ein, der das
Zand um fo ſchwerer traf, als die abligen Herren auch die
Nahbarfürften anfielen und, wenn die ihnen Einhalt thaten,
förmliche Kriege gegen fie führten. Alle aber übertrafen an
Frevelmut die Brüder Hans und Dietrid) von Duigow. Jeder
Verſuch der Statthalter, dem ein Ende zu machen, offenbarte
von neuem die Ohnmacht der Staatsautorität. Nur wer ftarf
genug war, ſich ſelbſt zu helfen und fein Recht mit gewaffneter
Hand verteidigte, genoß einiger Sicherheit. Deshalb fuchten
ſelbſt die Städte zeitweife das Bündnis der räuberifchen Burg:
herren und nahmen fie ala Feldhauptleute zur Ausfechtung ihrer
Fehden in Dienft. Darüber verfiel der Wohlitand des Landes
vollends. Ein Krieg aller gegen alle herrſchte. Das war das
Ergebnis der ins Schranfenlofe gehenden Ausbildung der ftän-
diſchen Freiheit. Der völlige Ruin des Landes ſchien unab—
wendbar. Bom Reihe war Rettung nicht zu hoffen: die Ab-
fegung Wenzeld und die Ohnmacht Ruprechts machten ihm jede
Einwirkung unmöglid. Daß endlih Siegmund und Jobſt 1409
einander auch noch ala Gegenfünige gegenübergeftelt wurden,
drohte neues Unheil. Da ftarb zum Güd für das Rei und
für die Mark Jobſt im Januar 1411: Siegmund wurde nun
nad erfolgter Verftändigung mit Wenzel allgemein als König
anerfannt und erhielt als Erbe bes Vetters die verpfändete
Mark zurüd. Einer Gefandtihaft, die infolgedefien im Früh:
jahr 1411 bei ihm in Ungarn erſchien, verhieß er endlich Her:
ftelung der Ordnung: damit beauftragte er Friedrich VI. von
Hohenzollern, den Burggrafen von Nürnberg, der jeit zwei
Jahren als vertrauter Rat in feinem Dienfte ftand. Eine neue,
befiere Zeit begann endlich für das arme Land, das, auf die
Bahn zurüdgeführt, die es unter ben Anhaltinern jo glüdlich
verfolgt hatte, aud für das zerbrödelnde Reich bald wieder
eine hohe Bedeutung erlangen follte.
126 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
2. Die fränkifden Hohenzollern in Brandenburg. 1411—1486.
Ertedridg I. 1411—1438 (1440).
So folgenreich die Berpflanzung der Hohenzollern nad) Bran=
denburg wurde, jo wenig hatten die daran Beteiligten das Be-
mußtjein davon oder die Abficht dazu. Dennoch hat die teleo-
logiſche Betrachtungsweiſe der preußiſchen Geſchichte gleich dem
erſten hohenzollernſchen Markgrafen politiſche Beſtrebungen zu:
geſchrieben, die ihn als eine politiſche Idealfigur erſcheinen
laſſen, voll deutſchnationalen Gefühls und ſelbſtloſer Hingabe
an Kaiſer und Reich, und ſelbſt auf Kaiſer Siegmund iſt ein
Abglanz davon gefallen, als hätte er durch Uebertragung der
Mark auf den Burggrafen von Nürnberg für die Zukunft des
Reichs in nationalem Sinne ſorgen wollen. Verſetzt man aber
damit den erſten Hohenzollern in Brandenburg nicht in eine
Sphäre, in die er fi gar nicht erheben konnte? Ungeldſt
von dem Boden der Zeit, in dem er mit jeinem Handeln mwur-
zelte, und gemefjen an ihren politiihen Ideen, büßt er freilich
den gleihfam prophetiihen Zug ein, der ihn als Vorläufer
für das deutſchnationale Streben feiner fpäten Nachkommen
erſcheinen läßt, gewinnt dafür aber den Ruhm eines nüchtern
erwägenden und entſchloſſen handelnden Realpolitifers, der die
Lage klar erfaßt und ihr mit möglichit geringen Opfern mög:
licht große Vorteile abzugewinnen weiß, fo fern auch jeine
Erfolge dem Ziele noch blieben, das fein Chrgeiz ſich geftedt
hatte. Nur fo wird man den mühjfeligen Anfängen ber Hohen
zollern in Brandenburg gerecht werden, ſowohl rüdfihtlich ihres
Wertes für die Tynajtie als auch ihrer Einwirkung auf die
Geftaltung der deutſchen Dinge.
Hat doch nicht einmal eine befondere fürftliche Intereffen-
gemeinſchaft Friedrich VI. von Nürnberg mit Kaijer Siegmund
zufammengeführt. Aus finanziellen Gründen trat jener in ben
Dienft des Luremburgers. Durch feines Vaters Abdankung
war im Frühjahr 1397 Friedrich VI. in Ansbach, jein älterer
Bruder Johann, der Gatte einer Echwefter Kaifer Wenzels und
Siegmunds, in Baireuth zur Herrihaft gelangt. Als Gemahl
N. Die Mark Brandenburg. 127
Elifabeths von Landshut, der „Ihönen Elfe”, mit deren Bruder
Herzog Heinrich von Bayern befreundet und durch feine Schwefter
Elifabeth der Schwager Ruprechts von der Pfalz, war Burggraf
Friedrich tief in die ſüddeutſchen Händel verwidelt und hatte
ihnen Opfer bringen müſſen, die feine Mittel überftiegen, ohne
durch das Anjehen aufgewogen zu werden, das er daraus ge-
wann. Durch eine Fehde mit der Reichsſtadt Rotenburg finan-
ziell ruiniert, löſte er jeine Hofhaltung auf und z0g zu feinem
Bruder Johann. Dort traf ihn 1409 des Ungarnfönigs Sieg:
mund Einladung, in feinen Dienft zu treten. Worurteilslos
genug, die Stellung eines von unfürftlicher Sorge bebrängten
Landesherrn gegen die eines einflußreihen Beamten im Dienft
eines mächtigen Königs zu vertaufchen, zog er nad Ungarn
und fand dort auch das gejuhte Glüd. Offenbar hat er
ſich um ungarifche Angelegenheiten verdient gemadt: denn
mit Zuftimmung der ungariſchen Magnaten wurden zum
Lohn 20.000 Gulden für ihn auf Preßburg und Komorn ein-
getragen.
Da ſtürzte bie Erneuerung des Schismas und die Erledigung
des deutſchen Thrones durch den gleichzeitigen Tod Papft Ale—
randers V. (4. Mai 1410) und König Ruprechts (18. Mai 1410)
Kirche und Reich in Verwickelungen, die dem Ehrgeize Sieg-
munds lodende Ausſichten erſchloſſen. Auch jeßt.vertraute ber-
ſelbe die Vertretung feiner Intereſſen dem Hohenzollern an.
Das Reid) und die nationale Wohlfahrt kamen dabei nicht in
Frage: nur für das Haus Luremburg galt es möglichft großen
Gewinn zu madhen. Zur Führung der brandenburgiſchen Kur—
ftimme bevollmädtigt, wählte Friedrich mit dem Pfälzer und
dem Trierer Kurfüriten im September 1410 feinen Herrn in
Frankfurt zum König und erflärte aud alsbald in feinem
Namen die Annahme der Krone. Cr war beteiligt an den
Verhandlungen, welche die Dreijpaltung des Reiches abwandten
und nad) dem Tode Jobſts von Mähren zur Verftändigung
zwiſchen Siegmund und Wenzel von Böhmen führten. Doch
handelte er dabei immer nur als Bevollmäctigter jeines Herrn
und gemäß ber ihm erteilten Inftruftionen: nicht er hat Sieg:
mund bie deutiche Krone zugewandt, Tann aljo dabei auch nicht,
128 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
wie man gemeint hat, von nationalen Gefihtspunften aus—
gegangen fein.
Wohl aber lag der Gedanke nahe, den jo Bewährten da
zu verwenden, wo es zur Wahrnehmung ber Luremburger Haus:
intereffen befonderer Umſicht und Thatkraft bedurfte. Durch
den Tod Jobſts von Mähren (18. Januar 1411) war die
Mark Brandenhurg an Siegmund zurüdgefallen, ohne wirklich
in feinen Befig zu fommen. Hatten ſchon die Anhaltiner den
Troß des Adels und das Selbftbewußtfein der Städte kaum
niedergehalten und ſich durch feindliche Nachbarn ringsum be—
droht gefehen: in den folgenden troftlofen Zeiten war das Land
zuchtloſer Verwilderung und einer Zerfplitterung verfallen, die
mit feiner ftaatlichen Organifation feinen territorialen Zufammen-
hang zu vernichten drohte. Ueppiger als irgendwo im Reiche
war das Raubrittertum dort ins Kraut geichoffen, doppelt ver=
hängnisvoll für das Land, weil e8 den benachbarten Fürften
erwünſchten Vorwand gab, ſich davon ein Stüd nah dem
anderen anzueignen. Das geihah durch den Magdeburger Erz⸗
biſchof in der Altmark, durch die Medlenburger Herzöge in der
Priegnig und durch die pommerjhen in der Udermarf, während
die Neumark fi im Pfandbefig des Deutſchen Ordens befand.
Handel und Wandel lagen danieder, und in dem Ningen um
bes Lebens Notdurft war felbft dem Bürgertum der Gemeinfinn
verloren gegangen, fo daß aud) von den Städten jede nur auf
ihren eigenen Vorteil dachte. Das Land, auf dem die Kur
ruhte, vor völigem Ruin zu retten, bedurfte es eines ganzen
Mannes. Siegmund jelbft war von anderen Sorgen vollauf
in Anfprud genommen. Schon eine dauernde Anmwefenheit in
der Mark war für ihn unmöglid. Auch hier folte ihn der
Hohenzoller vertreten. Wenn Siegmund aber bereits im Ja—
nuar 1411 Gefandten der märkiſchen Städte in Ofen den Burg-
grafen als ihren künftigen Herrn bezeichnete, fo hat er damals
doc) ſicherlich nicht daran gedacht, Friedrich zum Markgrafen
zu erheben: dem bewährten Diener ſollte nur ein neues wid)
tiges Amt aufgetragen werden. Aber die Natur diejes Amtes
und die Anſprüche, die es an die Mittel Friedrichs ftellte, er-
forderten einen reihen und gut verbürgten Lohn. Das erklärt
U. Die Mark Brandenburg. 129
die ungewöhnlichen Formen, in denen der Burggraf mit ber
Bermaltung der Mark beauftragt wurde. Am 8. Juli 1411
übertrug Siegmund, wie er am 11. den Ständen des Landes
kundthat, Friedrihd VI. die Hauptmannfhaft in den Marken
erblih und unwiderruflih, jo daß die Luremburger fie nur
gegen 100000 Gulden zurüdzunehmen berechtigt fein follten.
Dafür trug der neue Hauptmann die Koften der Regierung und
der Landesverteidigung, jo weit die Zandeseinfünfte fie nicht
dedten. Nur für die erften Aufwendungen erhielt er eine Bei—⸗
hilfe, indem Siegmund ihm die 1410 und 1411 fälligen Reichs:
fteuern, Judenſteuern und Opferpfennige überließ, was bei der
Unſicherheit ihres Einganges wenig bebeutete. Das war fein
Kauf und noch weniger ein Pfandgejhäft, das ſich beliebig
rüdgängig maden ließ. Aber in jeiner privatrechtlihen Auf-
faſſung des Staates ſchätzte das Mittelalter den Wert fürft-
licher Herrſchaft num einmal nach ihrem Ertrage und bie damit
verbundene Laſt nah dem Aufwand, den fie erforderte. In
ihrem damaligen Zuftande nun ftellte die Mark einen Geld-
wert faum bar: war bod von ben einträgli—en Stüden ber
Landeshoheit eines nad) dem anderen verloren gegangen. Ihre
Inhaber aber dachten nicht daran, fie ohne entſprechende Ent-
ſchädigung herauszugeben. Namentlih von feiten bes Adels
war auf Entgegentommen nicht zu rechnen: fein unbejchränftes
Herrenreht den Bauern gegenüber, der bequeme und einträg-
liche Brauch der Selbfthilfe gegen Standesgenofien und Städte
und die geſchickte Benugung der Verwidelungen mit den Nach⸗
barfürften gab diefen Herren eine Selbftändigfeit in finanzieller,
militärifcher und politifher Hinficht, wie faum fonft wo im
Reiche ihren Standesgenofien. Den bier drohenden Widerftand
zu breden, ſah Siegmund für fi feine Möglichkeit, zumal
feine Mittel anderwärts vollauf gebunden waren. Da trat
Friedrich für ihm ein: er ftelte ihm zur Rettung der Mark
feine Kraft zur Verfügung, war aud bereit, feine eigenen
Mittel daranzufegen unter der Bedingung, daß, was dadurch
erreicht wurde, durch die erbliche Belafiung der Hauptmann-
i&aft feinem Haufe zu gute käme. Es war ein durdaus un-
politifches Geſchäft. Weber die Interefien des Reiche noch die
Prug, Preußifhe Geſchichte. 1. 9
130 Erſtes Bug. Die Elemente des preußifgen Staates (bis 1598).
großen kirchlichen Fragen kamen dabei in Betradht, fondern
allein die Zukunft ber Marken. Auch findet fi feine Spur
von weitergehenden Plänen des Königs, namentlich nicht von
der Abficht zur Uebertragung auch der Kurwürde auf Friedrich.
Wohl aber erhielt dies Geſchäft höhere Bedeutung durd die
Stellung der Männer, die es eingingen, und durch das, was
beide zur Vertretung ihrer gemeinfamen Intereſſen in biefer
Angelegenheit weiter thun mußten. Dahin gehört bereits die
Verbindung, die Siegmund zwijchen dem neuen brandenburgi-
ſchen Hauptmann und Herzog Rudolf von Sachſen vermittelte.
Als ſich infolgedefjen Friedrichs Sohn Johann mit Barbara,
des Sachſenherzogs Tochter, verlobte, verihrieb Siegmund dem
jungen Paare auf die Marf eine Auzfteuer von 50 000 Gulden.
Das Land konnte alfo nur gegen 150 000 Gulden zurüdgeforbert
werden: hei ber fteten Gelbnot ber Quremburger durfte die
Hauptmannſchaft baher bereits ala dauernder Beſitz der Hohen-
zollern gelten. Doc blieb fie nur ein Amt und verlieh ihrem
Inhaber feine im eigenen Recht wurzelnden Befugniffe. Wenn
Siegmund um jene Zeit auch die Verlobung der einzigen Tochter
des Burggrafen mit Herzog Albrecht von Defterreich vermittelte,
fo geſchah das, weil eine fo ungewöhnliche Stellung feines erften
Minifters ihm felbft zu gute fam.
Bedenkt man, wie in der Mark die landesherrlihen Güter
und Gerechtſame an die ſchloßgeſeſſenen Herren gefommen waren,
und daß dieje nichts fo fehr anftrebten ala ihre Behauptung,
fo begreift man, daß im diefen Kreifen die Ernennung des
Nürnberger Burggrafen zum Landeshauptmann übel vermerkt
wurde. Daher fand Wend von Sleburg, den Friedrich am
21. Juli 1411 zum Unterhauptmann beſtellte und beauftragte,
für ihm die Huldigung der Stände zu empfangen, die Landes:
tegierung zu führen und die verpfändeten Schlöffer, Güter und
Renten einzulöfen, bei feinem Erjheinen nirgends Gehorjam
und mußte unverridteter Sache umkehren. Nicht beifer verlief
ein zweiter Verſuch 1412, obgleich ihm Siegmund durch eine
eindringlide Vermahnung der Stände zu Hilfe fam. Sollte
feine Autorität nicht gleich vettungslos Schiffbruch leiden, jo
mußte Friedrich ihr Anerkennung erzwingen. Daß er Sieg:
I. Die Mark Brandenburg. 131
munds Beamter blieb, wenn aud) ein befonders bevorzugter,
fteigerte die Schwierigkeiten. Dachten die märkiſchen Junker
doch nit daran, was der König ſelbſt nicht erreicht oder nicht
zu fordern gewagt hatte, feinem Untergebenen zuzugeftehen:
fie meinten ihn heimſchicken zu können, wie erſt feinen Unter:
hauptmann. Crklärte doch der einflußreiche Kaſpar Gans Edler
zu Putlig, die Hauptmannfchaft über Altmark und Priegnig
fei von Jobſt von Mähren ihm übertragen und für Iegteres
Gebiet auch von Siegmund belaffen worden. Bald genug jedoch
follten die frehen Reben verftummen, mit denen die Herren
ſich über den zu erwartenden „Nürnberger Tand“ Iuftig machten.
Im Juni 1412 erjhien Friedrih in der Marf. Gleich
zeigte fi) mancher gefügiger. Hatte ſich ihm doch ein ftattliches
Gefolge, zum Teil — wie die Herzöge Rudolf und Albert von
Sachſen — freiwillig angejchloffen. Auf den 10. Juli beſchied
er die Stände nad) Brandenburg: aber ſchon vorher nahmen
ihn Berlin und Cöln, Spandau und Nauen auf und hulbigten
ihm gegen Beftätigung ihrer Freiheiten. Auf dem Landtage
folgte die Mehrheit der übrigen Städte diefem Beifpiel. Um
fo feder trat der Adel auf. Kajpar Gans zu Putlig erklärte
erſt die Fönigliche Verleihungsurfunde prüfen und mit feinen
altmärkiſchen Genofien Rüdiprade nehmen zu müſſen. Auf
feinen Antrieb verweigerte der Adel der Altmark und Priegnig
Friedrich die Anerkennung, und wohl oder übel mußten die
Städte ein Gleiches thun. Auch ein Teil der Mittelmark ſchloß
fi) an, während der andere ſamt der Udermark zu Smwantibor
von Pommern hielt, den dort einft Jobft von Mähren zum
Hauptmann beftellt Hatte. Nur in einem Teil der Mittelmark
drang Friedrich alfo dur, und jelbft dort fehlte es nicht an
Oppofition. Ihre Häupter waren die Brüder Dietrih und
Hans von Quitzow. Vorübergehend von Jobſt von Mähren mit
der Hauptmannfchaft betraut, hatten fie allen, die nad ihnen
dazu berufen waren, burd) Widerſetzlichkeit jeder Art die Führung
des Amtes unmöglich gemacht und die fo bewirkte Löfung aller
Ordnung benugt, um ſich nicht bloß auf Koften der geiftlihen
Stifter, der Städte und Dörfer zu bereichern, fondern auch
die Nachbargebiete, namentlih das Magdeburgifche, räuberiſch
132 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (6i8 1598).
heimzuſuchen. Jetzt errichteten fie einen Adelsbund, um dem
„Nürnberger“ die Huldigung und die Herausgabe der ihnen
verpfändeten Schlöfler zu verweigern. Siegmunds erneute Mah—
nung verhallte ungehört. Denn noch rechneten die Herren auf
Hilfe von den fürftlihen Nachbarn, die fich feit Jahren auf
Brandenburgs Koſten bereicherten. Dem aber beugte Friedrich
im Herbft 1412 durch eine Neihe von Verträgen vor, bie er
zur Begleihung alter Streitigkeiten und zu gemeinfamem Ein=
ſchreiten gegen rebelliſche Unterthanen und Friedensbrecher mit
Erzbifhof Günther von Magdeburg, mit den Herzögen Bern:
hard von Braunſchweig-Lüneburg und Heinrid von Braun:
ſchweig und ſchließlich auch mit dem Grafen Albrecht von An:
halt einging, der anfangs feines Haufes Anrecht auf die Mark
geltend zu machen gedacht hatte. Dagegen brachen die Söhne
Herzog Swantibors von Pommern-Stettin, Dtto und Kafimir,
im Oftober 1412 ein, wurden aber auf dem Kremmer Damm
in blutigem Kampf zur Umkehr genötigt, und da nun auch ber
Magdeburger Erzbifhof den Einfällen der Quitzows Fraftvoll
entgegentrat, zog es bald mander von den Schloßherren vor,
Frieden zu mahen. Auch die Städte und Mannen der Priegnig
hulbigten, und Ende des Jahres war Friedrid) Herr der Mark,
fo weit fie nicht in der Gewalt der ‘Pommern oder dem
Deutſchen Orden verpfändet war. Noch aber ftanden bie Quitzows
und Kaſpar Gans zu Putlig in Waffen. Sie wurden auf ben
17. Januar 1413 vor des Burggrafen Hofgericht geladen. Zwar
erſchienen fie nicht: aber von ihren Anhängern eilten nun doch
mande fi mit dem neuen Heren zu verftändigen. Auch er=
leichterte diefer ihnen das möglichſt. Anfang Mai 1413 be:
willigte er der Mehrzahl der Herren in Berlin einen Vergleich,
nah dem fie — für fie die Hauptfahe — die verpfändeten
Schlöffer vorläufig behielten, aber jpäter auszuliefern verſprachen,
auch ſich verpflichteten, Friedrich als vollberehtigtem Vertreter
des Landesherrn zu gehorhen. Selbft die Brüder Quitzow und
Kafpar Gans zu Putlig traten dem Abkommen bei, bewilligten
ſogar die fofortige Auslöfung etlicher für den Burggrafen be:
ſonders wichtiger Pläge.
Damit war der Streit im Prinzip zu Gunften Friedrichs
U. Die Mark Brandenburg. 133
entſchieden. Nur reichten feine Mittel nicht aus, um bas Ein—
löſungsgeſchäft in größerem Maßſtabe durdzuführen. Er mußte
zur Ausftelung von Schuldfcheinen feine Zuflucht nehmen und
eben erft eingelöfte Echlöffer von neuem verpfänben, freilich
nur an zuverläjfige Leute. Daß aber dem räuberifchen Treiben
des märkiſchen Adels überhaupt ein Ende gemadht wurde, war
erft feinem Zuſammenwirken mit feinen Nachbarn zu banken,
namentli mit den jungen Herzögen von Pommern-Wolgaſt,
den Söhnen feiner Schwefter Veronika, und ihrem Vormund,
Herzog Wratisfam VIII., und mit Günther von Schwarzburg,
dem Erzbifchof von Magdeburg. Des legteren Gebiet ſuchten die
Quitzows immer wieder heim, unbefümmert um fein Bündnis
mit dem Burggrafen. Auch Putlik hatte die Hand dabei im
Spiel. Erſt als diefer im November 1413 von feinen Gegnern
gefangen und feitgefegt wurde, fonnten die verbindeten Fürften
hoffen, durch eine, fraftvolle That dem Quitzowſchen Unweſen
ein Ende zu maden. Dur eine Waffenruhe und Vermittelung
eines Stillftandes auch mit dem Erzbifchof wurden die Genoffen
der Raubritter, die von ber Schulenburg, von dem Kneſebeck,
von Jagom u. a., in Sicherheit gewiegt. Schnell traf Frieb-
ri die nötigen militärifchen, finanziellen und biplomatifchen
Vorbereitungen und vereinbarte mit Erzbifhof Günther und
Herzog Rudolf von Sachen den Operationsplan, um die Frevler
von allen Seiten zugleich zu faſſen und das Entlommen ber
Häupter zu hindern. Vergeblich erboten fi) die Quitzows jegt
zu Vergleihsverhandlungen. Dagegen erhielt Rathenow, das
bisher zu ihnen geftanden, gegen Zufage der Huldigung die
erbetene Gnade, da man fo ben Gegnern einen wichtigen Stüß-
punkt entzog. In ben erften Tagen des Februar 1414 erfolgte
dann der Angriff. Vor dem feiten Golzom, dem Raubneft des
den Quitzows verbündeten Wichard von Rochow, erichien Herzog
Rudolf von Sachſen. Der Erzbiihof von Magdeburg ſchloß
Hans von Duigow in Plaue ein. Friedrich felbit Tegte ſich
mit der Hauptmacht vor das Schloß Friefad, um Dietrich von
Quitzow zu bewältigen, und eine vierte Abteilung berannte das
von einem Quitzowſchen Hauptmann verteidigte Veuthen. Dank
dem ſchweren Geſchütz, das man gegen fie fpielen ließ, waren
134 Erſtes Bud. Die Elemente des preufifhen Staates (bis 1598).
in drei Wochen alle vier Pläge genommen, zuerit Frieſack und
dann nad) Furzer Beftürmung durch die Sachſen Golzow. Plaue
erlag dem gemeinfamen Angriff Friedrichs und der Magde—
burger: Hans von Duigom wurde auf der Flucht gefangen.
Als die fiegreihen Fürften dann vor Beuthen erfjienen, ergab
ſich auch dieſes.
Nun beugte ſich alles in Gehorſam. Zum erſtenmal konnte
Friedrich auf einem Landtage zu Tangermünde feine landes—
herrlichen Gerechtſame ohne Widerſpruch üben. Dort wurden
auch die Quitzow und ihre Mitſchuldigen abgeurteilt: ſie büßten
ihre Lehen und Eigengüter ein und verblieben, ſo weit ſie nicht,
wie Dietrich von Quitzow, entkommen waren, in ſicherem Ge—
wahrſam. Dann erließ er dort mit Zuſtimmung der Stände
am 20. März 1414 einen Landfrieden: er faßte kurz zuſammen,
was zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe und der Sicherheit von
Leib, Leben und Beſitz des Einzelnen in Deutſchland von alters
her Rechtens war, und gab jeden Friedensbruch um ſo ſicherer
ſtrenger Vergeltung preis, als er alle Einwohner zu unnach—
fihtigem Einfchreiten dagegen verpflichtete. Prälaten, Städte
und Mannen mußten Verzeichniffe der in ihrem Sold ftehenden
Bewaffneten einreichen und wurden für fie verantwortlich ge
madt. Damit griff hier ein neues Syflem bes öffentlichen
Rechtes Platz. Indem Friedrich die Erhaltung der öffentlichen
Sicherheit und die Beſtrafung aller, die fie ftörten, für bie
vornehmfte Pflicht der Herrichaft erklärte, die Pflicht, in ber
ihr Wefen und ihr Recht eigentlich wurzelte, verband er jeden
Sandftand, in feinem Machtbereich und mit feinen Machtmitteln
die gleiche Ordnung durchzuführen, wollte er ſich nicht durch
die Unterlaffung felbit eines Kapitalverbrechens ſchuldig machen.
Ohne die innere Autonomie der Stände zu Fürzen, traf er doch
ihre politiſche Macht an der Wurzel. Für ſtändiſche Einungen
blieb fein Platz: das zeigte gleich die ftrenge Beftrafung bes
Herrn Werner von Holzendorf, der dem megelagernden Dietrich
von Quitzow Vorſchub geleiftet Hatte.
Ein Friedenszuftand, wie fie ihn lange nicht gekannt,
herrſchte in der Mark, bald auch von denen gepriefen, die ihn
zunächſt als eine Schädigung ihrer Selbftherrlichkeit befämpft
I. Die Mark Brandenburg. 135
hatten. Daß der Burggraf im übrigen die Rechte der Stände
und ihren Einfluß auf die Landesangelegenheiten achtete, über-
wand manches Vorurteil. Verdankte man ihm doch auch Frieden
mit den Nachbarn: jelbit die Pommernherzöge hielten ſich jegt
vorfihtig zurüd. So konnte Friedrich nach zwei Jahren das
Land zum erftenmal verlaffen. Zur Regentin beftellte er feine
Gemahlin Elifabeth, gab ihr aber in dem gejchäftsfundigen
Johann von Waldow, dem fpäteren Biſchof von Brandenburg,
einen bewährten Gehilfen und gewann ihr Herzog Ulrich von
Medlenburg-Stargard und die Fürften Balthafar und Chriftoph,
Herren von Werla, durch befondere Dienftverträge zu Beihügern
gegen die unruhigen Stettiner Herren.
Aber nicht die Angelegenheiten von Reich und Kirche
führten Friedrich zu Siegmund und mit diefem nad) Konftanz.
Sein Anteil an ihnen ift nur gering: auch erfcheint er dabei
wieder ganz als Beamter des Kaiſers, nicht als Fürft mit eigenen
politifhen Zielen. Für ihn gingen die märkiſchen Angelegen-
beiten jetzt allen voran. Denn jeine Stellung in der Marf
blieb unnatürlih und unfiher, fo lange er ihr nur ala Ver:
treter Siegmunds gegenüberftand und fürftlih walten follte
ohne eigenes fürftliches Recht. Erklärten doch mande Schloß:
herren fophiftifh, die verpfändeten Güter und Burgen einzu=
löfen ſei der König, nicht fein Statthalter berechtigt. So mußte
Friedrich ſuchen, aus einem Beamten felbft Inhaber fürftlichen
Nehts, aus einem Hauptmann Landesherr zu werben. Auch
für Siegmund empfahl fi das. Da er die Landeshoheit über
die Mark ohnehin nicht mehr in Händen hatte, gab er mit
dem Verzicht darauf nichts auf. Wohl aber bedurfte er eines
ihm ſelbſtlos ergebenen Parteigängers unter den Reichsfürſten.
Niemand hatte bisher feines Hauſes Intereffen jo eifrig ver-
treten wie ber Burggraf: ihn galt es ſich dauernd zu verbinden.
Auch war Siegmund ihm von Herzen zugethan und liebte ihn
wie feinen leiblihen Sohn. Doc betrachtete er ihn zugleich als
„Seine Kreatur” und verlangte von ihm bebingungslofe Hin-
gabe. Selbft ohne Sohn, meinte Siegmund wohl gar für das
Reich nicht beffer ſorgen zu können, als wenn er ihm zur Nach—
folge auf den Thron verhalf.
136 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bi 1598).
Auf ſolche Erwägungen läßt das Abkommen ſchließen, das
der Kaiſer am 30. April 1415 mit Friedrich vollzog. Friedrich
erhielt das Land, dem er bisher ala Hauptmann vorgeftanden,
ſamt der Kur- und Erzfämmererwürbe, trat aljo in die Rechte
ein, die dort Siegmund bisher gehabt hatte. Doch gefhah das
nicht zum Lohne für die Verdienfte, die er fih um jeinen
faiferlihen Herrn erworben, fondern allein aus Rückſicht auf
die Wohlfahrt der Mark, melde, „wie landfundig, gedachter
Friedrich durch feine Vernunft, mit feiner Macht, Arbeit und
Wagnis ſowie aud mit großen Aufwendungen und Koften in
einen fo vortrefflihen Zuftand des Friedens gebracht” und der
dieſes Glück erhalten werben jollte. Weiter beſtimmte ein Ver-
trag vom 3. Mai 1415, falls Friebrih VI. mit Siegmunds
Geheiß und Willen römiſcher König würde, follte er die Mark
ohne Entſchädigung herausgeben, während die Luremburger fie
jederzeit um 400000 Gulden zurüdfaufen könnten. Durch
dieſen Vorbehalt entzog man Wenzel und den böhmiſchen Ständen
das Recht des Einfpruds gegen den Vertrag. Denn von
Karl IV. mit Zuftimmung der beiderfeitigen Stände Böhmen
einverleibt, konnte die Mark eigentlich nicht ohme Gutheißen
derſelben Inftanzen wieder davon getrennt werden. Praktiſche
Bedeutung aber hatte die Klaufel nicht, da die Luremburger
dem Ausfterben nahe und die Rücktaufſumme aufzubringen
außer ftande waren. Obenein blieb das Abkommen vorläufig
geheim. Dagegen ftimmten die Kurfürften durch ihre Willebriefe
der Erhebung Friedrichs zu und nahmen ihn in ihr Kollegium
auf. Der feierlide Akt der Belehnung durch den Kaifer er:
folgte aber erft bei einer fpäteren Anmefenheit Friedrichs in
KRonftanz, am 18. April 1417, mit dem üblichen pomphaften
Beremoniell.
Als Landesherr Fehrte Friedrich im Herbft 1415 in die
Mark zurüd. Ungeſtört war die Ruhe dort inzwijchen nicht
geblieben. Dietrih von Quitzow hatte jeine Räubereien erneut
und Nauen niedergebrannt. Auch die Medlenburger und bie
Pommern hatten die Grenzgebiete heimgeſucht. Aber wie bie
Verhältniffe gewandelt waren, zeigte bie energiſche Gelbft-
hilfe der Städte gegen ſolche Beläftigungen. Des Markgrafen
M. Die Mark Brandenburg. 137
Erſcheinen ftelte die Ordnung vollends her. Am 21. Oftober
empfing Friedrich in Berlin die Huldigung der Stände gegen
Beſtätigung ihrer Rechte und Freiheiten. Und fo fiher fühlte
ex fi} bereits in feiner neuen Stellung, daß er fie alsbald zur
Grundlage weiterer Entwürfe machte. Damit aber änderte ſich
jein Verhältnis zu Siegmund, auf dem doch alles beruhte, was
er biöher erreicht hatte. Wie leicht konnten die Pflichten eines
kaiſerlichen Minifters mit den fürftlichen Interefien kollidieren!
Und war von ihm zu verlangen, daß er die Zukunft feines
Haufes dem Vorteil der Luremburger opferte? Daran hinderte
ihn ſchon die ernfte Auffaffung feiner Herrfcherpflihten. Land
und Leute waren ihm von Gott anvertraut, und für fie
zu forgen mit Hintanfegung jeder perjönliden Neigung und
jeder anderen Verpflichtung war ihm ein religiöjes Gebot.
Freilih hat er nicht vergefien, was er Siegmund ſchuldete.
Aber einmal waren die Verhältnifie ftärker als er, und dann
beſchleunigte Siegmund den Konflift durch die übermäßigen
Anfprüde, die er an feine Dankbarkeit ftellte.
Wie heute in der Weberlieferung, jo wird es bamals im
Verlauf einer verwidelten diplomatiſchen Aktion nicht leicht
gewejen jein, in Friedrichs I. Anteil daran das reichsfürſtliche
Handeln von dem bes erjten Faiferlihen Rats zu fondern. In
beiden Eigenſchaften handelte er, wenn er ſich des Deutichen
Ordens annahm und jelbit nad) Marienburg ritt, um den
Meifter zur Annahme der Bedingungen zu vermögen, von denen
Siegmund die Hilfe gegen Polen abhängig machte. Doch ge:
lang ihm das jo wenig wie die Vermittelung eines Stillitandes
zwiſchen dem Orden und dem Polen verbündeten Herzog Bogis-
law von Pommern:Stolp. Seinen eigenen Streit mit ben
Herzögen von Stettin, die auf feine Klage wegen Einbehaltung
der udermärfifchen Gebiete die Reichsacht getroffen hatte, er—
lebigte ein Vergleich, der ihm bie entfremdeten Lande zurüd-
gab. Mit dem Herzog von Medienburg verftändigte er ſich über
die unklare lehensrechtliche Stellung ber Herren von Werla. Die
Bündniffe mit dem Herzog von Braunſchweig-Lüneburg und bem
Erzbifhof von Magdeburg erweiterte er. Aber ſchon jhweiften
feine Gedanken in die Ferne. Der Plan eines um die Mark
138 Erſtes Bug. Die Elemente des preußiſchen Staates (bi? 1598).
als Hauptland gruppierten nordoſtdeutſchen Großftaats ftieg in
ihm auf. Ihm diente bereits im Mai 1416 die Vermählung
feines Sohnes Johann mit Barbara von Sachſen: da fomohl
deren Vater, Herzog Rudolf, wie jein Bruder ohne Sohn war,
ſchien Sachſen in abfehbarer Zeit mit der Mark vereinigt werden
zu müflen. Pommern und Medlenburg folten unter branden-
burgiſche Lehenshoheit gebeugt werden. Dieje Angelegenheit zu
betreiben, ritt Friedrich, nadhdem er wieberum ein Jahr in ber
Mark geweilt hatte, im Herbft 1418 abermals nad Konftanz.
Er fand Siegmund in übler Lage. Bon dem Konzil war
nichts mehr zu hoffen. Die rheinifchen Kurfürften jtanden dem
König feindlich gegenüber; fein Bund mit England drohte
kriegeriſche Verwidelung mit Franfreih. Mehr denn je brauchte
Siegmund einen zuverläffigen Nüdhalt. So ging er bereit:
willig auf Friedrichs Plan zur Gründung eines großen Staates
im Norboften ein: konnte er ſich davon doch auch Vorteil gegen
Polen veripreden. Ein Erlaß vom 17. Juli 1417 hatte den
Pommernherzögen die Lehensabhängigfeit von Brandenburg in
Erinnerung gebracht. Sie antworteten mit neuen Feindfeligfeiten.
Mecklenburg, ähnlich bedroht, ſchloß fi ihnen an. Ueberall
erhob man ſich zur Abwehr des hohenzollernſchen Machtſtrebens.
Auch Erzbifhof Günther griff zu den Waffen und leiftete ſogar
neuen Raubthaten Dietrichs von Quitzow Vorſchub, während
die Herren von Werla fih als „Fürften der Wenden” unab-
Hängig machten. Alle bisherigen Erfolge Friedrichs ftanden auf
dem Spiele. So glaubte Siegmund feiner ganz fiher zu fein:
um ber eigenen Stellung willen ſchien Friedrich zu ihm halten
zu müflen. Am 2. Dftober 1418 ernannte ihn ber Kaifer,
den die Türfennot nad Ungarn rief, zum Reichsverweſer. Das
fegte vollftes Einverſtändnis beider voraus und bot Friedrich
Gelegenheit, feine eigenen Entwürfe wirfjamft zu fördern. Aber
gerade dabei offenbarte ſich die Unvereinbarfeit der Stellung
eines erften Faiferlihen Minifters mit ber eines Reichsfürften.
Denn eben in den Fragen, zu denen er als Reichsverweſer
zunächſt Stellung zu nehmen hatte, kollidierte Friedrih mit
den Mächten, auf die er mit feinen Entwürfen beſonders an—
gewieſen war. Voran ftand Polen, bei dem Siegmund ungarifche
I. Die Marl Brandenburg. 139
und böhmifche Interefien auf Koften der deutſchen Rechte zu
fördern gewohnt war. That Friedrich das aud), fo arbeitete er
ſich jelbit entgegen; wenn nicht, fo verfeindete er fi Sieg:
mund. Hätte der Kaifer den zu Hoch geftiegenen Günftling
unſchädlich machen wollen, ohne felbft zu handeln: — er hätte
kaum einen befieren Weg einſchlagen fünnen.
In dem Streit über die Ausführung des Thorner Friedens
von 1411 hatte Siegmund erft dem Orden feine Hilfe an—
geboten, fie aber an unannehmbare Bedingungen gefnüpft.
Hinterher ergriff er Polens Partei und fperrte dem Orden den
Zuzug aus Deutſchland. Für Brandenburg aber war ein übers
mädhtiges Polen eine dauernde Gefahr. Deshalb nahm ſich der
Markgraf mit dem Papfte und ben rheinifhen Kurfürften des
Ordens an, forderte aber dadurch erft recht die Feindfchaft
König Wladislams II. heraus, welcher hinfort in allen Gegnern
der Hohenzollern feine natürlichen Verbündeten jah. Und nun
ftand bereits im Frühjahr 1419 ein weit verzweigter Fürftenbund
gegen Friedrich in Waffen. Mit den Herzögen vonjMedienburg,
von Pommern-Stettin und Pommern-Wolgaft vereinigte er bie
von Braunſchweig⸗Lüneburg, Sachſen-Lauenburg und Holftein-
Stormarn und die Herren von Werla. Auch der Erzbiſchof von
Magdeburg mochte nicht müßig bleiben und ſelbſt die Hanfa-
ftäbte erhoben ſich drohend. Zum Glüd für Friedrich aber fiel
Herzog Johann von Medlenburg-Stargard in die Hände bran-
denburgiſcher Mannen: das nötigte feine Verbündeten Ruhe zu
halten und ermöglichte Rudolf von Sachſen die Vermittelung.
Da trieb des Markgrafen Parteinahme für den Orden aud
Polen in die Reihen feiner Gegner. Ihm ſchloß ſich Herzog
Erid von Pommern-Stolp an, der die nordiſche Unionskrone
trug, und aud Siegmund knüpfte mit ihm an. Durch Auf-
teilung bes Ordensſtaates dachte man bie Machtverhältniffe im
Norden umzugeftalten. Die deutichen Herren follten, nad) Cypern
verpflanzt, ihrer urjprünglihen Beltimmung wiedergegeben
werben. Auch die Tage der Hohenzollern in der Mark ſchienen
gezählt. Da führte der Tod Wenzeld von Böhmen und ber
Ausbruch des Huffitenaufftandes einen Umſchwung herbei. Denn
die Sorge vor der Unterftügung der böhmischen Aufrührer dur
140 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
Polen trieb Siegmund wieder auf die Seite deö Ordens, und
diejer konnte mit dem Schiedsfprud zufrieden fein, den der
Kaifer am 6. Januar 1420 zu Breslau in feinem Streit mit
Polen abgab. Um den Markgrafen zum Kampfe gegen die
Huffiten freizumaden, vermittelte Siegmund zwifchen ihm und
dem Herzog von Braunfchmweig-Lüneburg. Aber an dem Einfall
der Pommernherzöge in die Mark im Frühjahr 1420 nahmen
polniſche Hilfstruppen teil. Doch erfocht Friedrich, der auf die
Kunde davon nad der Mark zurüdgeeilt war, am 25. bis
27. März über beide einen entiheidenden Sieg. Alsbald zer—
fiel der große Bund: der Magdeburger Erzbiſchof ſchloß Frieden,
und für Polen trat Siegmund vermittelnd ein, um Wladis-
law Il. zur Hilfe gegen die Huffiten zu gewinnen oder doch
wenigitens von deren Unterftügung zurüdzuhalten.
Diefe Anknüpfung hatte unerwartete Folgen. Eines neuen
Kampfes mit feinen norbdeutfhen Gegnern gewärtig und in
Süddeutſchland namentli durch Herzog Ludwig von Bayern=
Ingolſtadt angefeindet, jah der Markgraf den ſicherſten Weg
zur Löfung aller Schwierigkeiten in ber Verftändigung mit
Polen. Freilich bebeutete das einen völligen Syſtemwechſel: er
wurde ein Gegner des Deutihen Ordens und Bündner Polens,
und zwar in dem Augenblid, wo Wladislaws Vetter, Witowd
von Litauen, die böhmiſche Krone annehmen und als Haupt.
der Huffitiichen Keger den Kampf gegen die Luxemburger be—
ginnen wollte. Dennoch warb der Markgraf für feinen zweiten
Sohn Friedrih um Wladislams Tochter Hedwig, damals die
Erbin der polnifchen Krone. Gewiß hatte da Siegmund, dur
die Oppofition der rheinifchen Kurfürften bebrängt, Grund, über
den Undank feines vertrauteften Rates zu klagen. In einem
Zorn und Schmerz atmenden Briefe vom 28. Februar 1421
erinnerte er diefen an alles, was er ihm ſchuldete: er appellierte
an jeine Chrenhaftigfeit, an feine Vernunft und Weisheit,
denen fein Vorhaben ebenjo wenig entjpräde wie der Treue
gegen Kaifer und Reid.
Der Appell fam zu ipät. Im Frühjahr 1421 zog der
Markgraf nad Krakau. Der Verlobung feines Sohnes Fried:
ri mit Hedwig von Polen folgte am 8. April der Abſchluß
I. Die Mark Brandenburg. 141
eines polniſch⸗brandenburgiſchen Schutz- und Trugbündniffes.
Aber obgleich ihm dieſes die Unterftügung Polens gegen ben
Orden auferlegte, bewirkte Friedrih doch zunädft die Ver-
längerung bes Stillftandes bis zum Januar 1422. Zugleich
fandte er feinen Sohn zur Erziehung an den polnifchen Hof
und fperrte dem Orden den Zuzug durch fein Land, ſchickte
jedoch Polen die ſchuldige Hilfe nicht, weil er Siegmund gegen
die Huffiten unterftügen mußte, dieſelben Huffiten, für bie
Polen⸗Litauen eben die Waffen ergreifen wollte. Noch unflarer
wurbe feine Stellung, als ihn Siegmunds nun fteigende Feind:
ſchaft im Reiche zu engem Anſchluß an die rheinifchen Kur:
fürften nötigte: drangen diefe doch auf Ausrottung ber huffi-
tifchen Ketzerei, ließen den Oberbefehl dazu dem Markgrafen
übertragen und nahmen ſich des Ordens eifrig an.
Friedrich war in heillofe Widerſprüche geraten: jeder
Partei irgendwie verpflichtet, mußte er fi von allen Unzu:
verläffigfeit und Doppelzüngigfeit vorgeworfen jehen. Er rüftete,
angeblid zum Zuge nad Böhmen: ließ fi) aber fagen, gegen
wen er die Waffen zunächft zu führen haben würde? Um im
Nüden gevedt zu fein, machte er nun auch mit den Quitzows
Frieden: Tonnte doch die kriegeriſche Erfahrung der übel bes
rufenen Herren ihm bald von Nugen fein. Dietrich von Quitzow
war 1417 geftorben: im Juli 1421 verfchrieb Friedrich feinen
beiden Söhnen und ihrem Oheim Hans als Erjag für die ihnen
abgeſprochenen Güter die Burg Lenzen, nachdem fie unter
Burgſchaft angejehener Herren fi ihm unterworfen hatten.
Augenfheinlih meinte er feinen Mann und fein Schwert ent-
behren zu fünnen. Wofür aber wollte er alles das einfegen?
Deutſche Politit war es doch nicht, wenn er auf dem Nürnberger
Reichstage gemeinfam mit Polen alle dem Orden günftigen
Beſchlüſſe Hintertrieb. Als dann aber Witomd von Litauen
den für den Orden unverhofft günftigen Frieden von Melnofen
(27. September 1422) vermittelte, war das eine Niederlage
nicht bloß Siegmunds, der in dieſer Sache Schiedsrichter fein
wollte, ſondern auch — und in noch höherem Make — Friedrichs,
mochte er den Vorgang als Bündner Polens oder als Reichs:
fürft anfehen. Ganz übel aber wurde Friedrichs Lage, als es
142 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
Siegmund gelang, den rheiniſchen Kurfürftenbund zu fprengen.
Keinem feiner Verbündeten hatte er das Schuldige geleiftet:
alle wünſchten ihm das Heimzuzahlen. Die Gelegenheit dazu
fand fi bald.
Auf Grund der Ehe feines älteften Sohnes Friedrich mit
Barbara, Herzog Rudolfs Tochter, nahm er nad) dem Finder:
loſen Tod von Rudolfs Bruder Albreht von dem Herzogtum
Sachſen Beſitz. Siegmund aber verlieh es im Januar 1425
Friedrid) von Meiben. Sollte der Hohenzoller an die Waffen
appellieren? Dann wären mit dem Wettiner von Meißen und
dem Kaifer alle feine Widerſacher im Felde erſchienen. Die
Pommern und die Medlenburger würden ſich beeilt haben, ihre
Unabhängigkeit fiher zu ftellen. Dabei konnte er aud auf
Polen nicht mehr reinen. Eilte Wladislaw II. doch das Unrecht,
das er durch Begünftigung der Huffiten begangen, durch ein
Bündnis mit Siegmund wieder gut zu machen. So ftand biefer
an der Spige einer Koalition, die alle norddeutſchen Gegner
Friedrichs mit dem Polenkönig und Eric) von Pommern einigte.
Und ſchon war der ſchlaue Luxemburger dabei, mit dem polniſchen
Verlöbnis ben legten Rüdhalt Friedrichs zu Fall zu bringen.
Da fuchte diefer einen Ausweg (Januar 1424) durch Anſchluß
an den Bingener Bund der Kurfürften, der zwar Siegmund
im Reichsregiment von fi abhängig machen, aber doch auch im
Intereſſe des Huffitenkrieges, der über alle diefe Wirren ganz
in Stillftand geraten war, zwijhen ihm und dem König ver:
mitteln wollte. Aber Siegmund verlangte Auflöfung des polz
niſch⸗ brandenburgiſchen und bes Bingener Bundniſſes und Auf:
hebung des polnifchen Verlöbnifjes, das heißt Unterwerfung auf
Gnade und Ungnade. Als Friedrich das ablehnte, ließ er ihn
wegen feines Streites mit Zubwig von Bayern-Ingolſtadt vor
das Hofgericht laden und machte — ein Akt ärgfter Perfidie! —
dem Polenfönig und feinem litauifChen Vetter die bisher ge—
heim gehaltenen Urkunden über die Belehnung Friedrichs mit
der Mark befannt, um zu beweiſen, daß der Hohenzoller gar
nit Herr, jondern nur Pfandbefiger derfelben fei und jeden
Tag wieder daraus entfernt werben fünne.
Ales ſchien fh gegen Friedrich verſchworen zu haben.
1. Die Mark Brandenburg. 143
Denn au die Hoffnungen, die er auf das polnische Verlöbnis
gefegt, wurden Hinfällig, als im Herbft 1424 dem greifen
Wladislam feine junge dritte Gemahlin einen Sohn gebar.
Obenein griffen die Pommern zu den Waffen. Bald ftanden
auch die Medlenburger im Felde. Polen leiftete ihnen Zuzug.
Mit allen verfügbaren Mannſchaften eilte da Friedrich ſelbſt
zur Rettung der Mark, mußte aber vor der Uebermacht weichen
und nad einem mißlungenen Angriff auf das fefte Vierraden
mit Zurüdlaffung von Gefhüg und Gepäd fi durch eilige
Flucht in Sicherheit bringen. Selbft der Befig der Mark ftand
nun auf dem Spiel, und die Großmachtspolitik, zu der Friedrich
die Ueberfhägung feiner Kraft verleitet hatte, drohte das Ver:
hängnis feines Haufes zu werden. Nur ein jchneller Friede
konnte e8 abwenden, Entſchloſſen fügte ſich Friedrich dieſer
Notwendigkeit und machte jo die Fehler wieder gut, die er in
übereilter Jagd nah Land: und Herrihaftsgewinn begangen
hatte. Noch im Frühjahr 1426 zog er nah Wien, um fi
Siegmund zu unterwerfen, Daß jein Befig ungemindert blieb,
wird er fürftliher Fürfprade zu banken gehabt Haben. Der
Verziht auf die polniſchen Pläne und den norboftdeutichen
Staat war felbftverftändlid.
Eben darin aber ſcheint fo jehr der Angelpunkt von Friebe
richs ganzem Denken und Streben gelegen zu haben, daß hinfort
auch die Mark ein Interefje mehr für ihn hatte. Heimiſch ge
worden war er dort nicht. Aud die Märker hatten fi zwar
feiner ftarfen Hand gebeugt, aber ein näheres Verhältnis zu
ihm hatten fie nicht gewonnen und fahen finfter auf fein frän-
fifches Gefolge. So glücklich Friedrih als Hauptmann in dem
verwilderten Lande begonnen hatte: Talent und Neigung zogen
ihn doch mehr zu den Kombinationen der großen Politif als
zu ben Heinen und wenig gelohnten Mühen bloß lanbesväter:
lichen Waltens. Auch mochte ihn der Widerſpruch zwiſchen
Wollen und Vermögen, an dem er geicheitert war, verjtimmen
und verbittern. Statt fein Haus ſchnell zu der Höhe der Macht
zu erheben, hatte er ihm beinahe eine Kataftrophe bereitet.
Man begreift, daß er mit alledem nichts mehr zu thun haben
mochte: unmutig fehrte er der Mark den Rüden. Noch vor
144 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
Antritt der Reife nad Wien übergab er feinem Sohne Johann
die Regierung. Sein Wirken galt hinfort den fränkiſchen Ge—
bieten und einer vorfihtig abmwägenden Teilnahme an den
Reichsangelegenheiten.
Nicht in der Sorge für die Mark um ihrer jelbit willen
hatte Friedrich I. fein Genügen gefunden: fie war ihm nur
Mittel zum Zwed gewefen. Aber diefe einfeitige Betonung der
auswärtigen Politik hatte einen Widerſpruch auch in die innere
getragen. Er drohte Land und Leute in Wirrfale zurüdzus
werfen, denen fie eben entrifjen ſchienen. Friedrichs Stellung
in der Mark hatte auf den Städten beruht: ihnen hatte bie
neue Ordnung Befreiung von ber Quitzowſchen Beſchwerung,
den Landfrieven und wirtſchaftliches Gebeihen gebracht. In
ihren inneren Streitigkeiten hatte Friedrich mehrfach gegen das
ariftofratifhe Ratsregiment die Partei der Bürgerſchaft ges
nommen. Da hatte er aud) Dank geerntet, indem die Städte
ihm ſowohl gegen die rebelifhen Schloßherren wie die Nach—
barn mit Mannſchaften und Geld beiftanden. Der Adel aber
hatte fih nur dem Zwange gebeugt.
Diefen Berhältniffen nun brachte Friedrichs Erfigeborener,
Johann, Fein Verftändnis entgegen. Ohne des Vaters geiftige
Beweglichkeit und Thatenluft und ein Freund behaglicher Ruhe,
Tieß er die Dinge gern gehen. Das erfannten die abligen Herren
bald und gewannen jcnell ihre alte Freiheit zurüd. Selbft-
hilfe wurde wieder üblih, und an den Grenzen erneute fich der
Fehdezuftand. Johann aber legte fih auf das Vermitteln.
Finanzielle Bebrängniffe nötigten ihm zu neuen Verpfändungen,
die ihn von den adligen Herren abhängig machten. Gemwährte
er doch den Schloßgejeilenen der Altmark jogar Befreiung von
dem Hofgeriht des Landes: nur vor dem Landesherrn felbit
folten fie zu Recht ftehen. Bald litten die Stäbte unter der
erneuten Zuchtlofigfeit des Adels und wandten fi von einem
Negimente ab, das fie nur ſchädigte. Im Gegenfag zu bem
Vater erſchien ihnen Johann als Städtefeind, zumal vielfadhe
Kriegswirren ihn nötigten, militäriih und finanziell hohe An:
ſprüche an fie zu maden.
Denn auch die Nahbarn, die Friedrich in Reſpekt gehalten,
I. Die Mark Brandenburg. 145
erneuten die Feindfeligfeiten und, vom Statthalter ohne Hilfe
gelafjen, verftändigte fi von den bedrohten Städten bald die
eine und die andere auf eigene Hand mit dem Feinde. Prenzlau
hatte 1424 die mit dem Rate ftreitende Volkspartei den Pom=
mern überliefert: daß Johann nad) der Wiebereroberung ftreng
einſchritt, brachte ihn erft recht in den Auf eines Städtefeindes,
gegen den man ben Vater anrief und zwar, wie es ſcheint, mit
Erfolg. Dabei ftelte auch diefer an die Städte immer neue
Anforderungen, indem er bald einen Ketzerſchoß, bald Mann:
ſchaften gegen die Quffiten verlangte. Dabei wirkte die geiftige
Bewegung, die von dem Huffitentum ausging, auch auf die
Bevölkerung der Mark ein. In den niederen Kreifen regten ſich
demokratifcher Freiheitsdrang und unruhige Neuerungsluft, vor
denen Johann fogar auf einige Zeit aus dem Lande wid, bis
der Biſchof von Lebus, Chriftoph von Rotenhan, ein fränkiſcher
Edelmann von gewinnender Milde und biplomatifcher Gewandt:
beit, das Unwetter beſchwor und die Städte fogar zur teilmeifen
Erfüllung der Forderungen für das Reich bewog. Dennoch
juchten die Huffiten im Herbft 1429 und fehlimmer noch im
Frühjahr 1432 das Land verwüftend heim. Johann ſcheint
nichts zur Abwehr gethan zu haben. Mit Berlin, das ſchon
als Hauptftabt galt, war er fo verfeindet, daß er nad Spandau
überfiebelte. Geradezu verhängnisvoll aber drohte ihm 1430
ein Konflitt mit Frankfurt zu werden.
Dur feine Verfude, Frankfurt unter die Jurisdiktion
des marfgräflichen Hofgerichts zu beugen, ſahen ſich alle mär-
kiſchen Städte bedroht: am 1. Februar 1431 verbanden fi
Berlin, Brandenburg und Frankfurt zu gegenfeitigem Schuß
auch gegen den Landesheren. Sie rechneten auf hanſiſche Hilfe,
ſuchten auch mit der Nitterfhaft Verftändigung. Gelang fie,
fo war das Bündnis der Unterthanen gegen den Landesheren
fertig und die Mark trieb ähnlichen Kämpfen entgegen, wie fie
damals Preußen zerriffen. Dann war auch hier die territoriale
Einheit gefährdet. Denn dem Beifpiel der drei mittelmärkifchen
Städte folgten die der Altmark und Priegnig, nicht bloß zum
Schu gegen Raub und Fehde, fondern auch zu gemeinjamem
Beſchluß über fürftliche Geldforberungen. Ueberall ftieß Jo:
Pruß, Preußiſche Geſchichte. I. 10
146 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
hann auf Widerſetzlichkeit, und feit Berlin und Köln 1432
durch eine gemeinfame Rats: und Gerihtsverfaflung fich zu einer
einheitlihen Doppelſtadt verbunden hatten, durfte er vollends
nit hoffen, ihrer Herr zu werden. So erlitt in der Mark das
monardifche Element ſchwere Einbuße: das republikaniſche ge:
wann an Geltung und das Land ſchien einer Entwidelung zu
verfallen, wie fie früher das Verhängnis Schwabens geworben
war. Für Entwürfe, wie fie Friedrich I. gehegt hatte, fehlten
jegt alle Vorausfegungen. Selbft in voller Auflöfung, konnte
die Mark auf die Nachbargebiete Feine Anziehungskraft ausüben.
Glüd genug, wenn man feinen Beligftand wahrte. So über:
ließ denn auch der Friebe, der den Grenzkrieg mit Pommern
und Medlenburg beendete, die Entiheidung über die Lehens—
hoheit dem Kaifer, und nad) dem Ausfterben der Herren von
Werla 1436 ergaben fi) die Stände des Landes unter Nicht:
achtung der brandenburgiſchen Anfprühe an Medlenburg.
Markgraf Friedrich verfolgte diefe Vorgänge mit wachſen⸗
der Sorge. Augenſcheinlich war fein Erftgeborener dem Pla,
auf den er ihm geftellt hatte, nicht gewachſen. Und doch winkte
am erften dort im Nordoften feinem Haufe eine große Zukunft.
Wie er da zu helfen fuchte, zeugt ebenfofehr von des Vaters
teifer Einfiht, wie die Fügſamkeit der Söhne den ſchönen
Familienfinn erkennen läßt, der im Gegenfag zu mandem
deutſchen Fürftenhaufe die Hohenzollern auszeichnete und eines
der wertvollſten Unterpfänder ihrer Zukunft war.
Am 7. Juni 1437 beſtimmte Friedrich I. über feine Lande.
Von feinen vier Söhnen follte der ältefte, Johann, der ſich in
der Mark fo wenig bewährt hatte, Baireuth, der dritte, Albrecht,
Ansbach erhalten. Unter ausdrücklichem Verziht Johanns auf
das ihm nach der Goldenen Bulle zuftehende Erbrecht auf die
Kur wurde diefe mit der Mark dem zweiten Sohne, Friedrich,
zugeſprochen, in dem ber Vater am meijten von feiner eigenen
Geiftesart gefunden zu haben feheint. Die Altmark aber follte
diefer nach fünfzehn Jahren dem dann erft zu männlichem
Alter gelangten jüngften Bruder, ebenfalls Friedrich ge:
heißen, überlafien. Zwiſchen den beiden brandenburgifchen Linien
der Hohenzollern jolte dann die Kurwürde nad) der Folge des
U. Die Mart Brandenburg. 147
Seniorats wechſeln, alfo jedesmal dem Geſchlechtsälteſten zu—
ftehen. Im Frühjahr 1438 verließ Johann die Mark, und dieſe
wurde durch eine von dem Vater in Gemeinfhaft mit Johann
und Albrecht abgegebene Erklärung dem jüngeren Sohne Fried:
rich zur Regierung überwiefen. Doc war deſſen Stellung, wenn
er auch zunächſt unter des Vaters Autorität waltete, gleich von
Anfang eine jo felbftändige, daß fie durch den erft am 21. Sep-
tember 1440 erfolgten Tod Friedrichs I. feine weſentliche
Aenderung erfuhr.
Eriedrich I. 1438—70 und Albrecht Achilles 1470—86.
Leicht war die Aufgabe nicht, vor die Friedrich II. ſich
geftellt jah: feine befonnene Thatkraft, die ein erftes Mißlingen
nit entmutigte, hat fie in der Hauptſache gelöft. Freilich
halfen ihm dabei die allgemeinen Verhältniffe. Die Thron:
ftreitigfeiten in Böhmen, der Verfall der ſtandinaviſchen Union
und der Zuſammenbruch der DOrbensherrihaft in Preußen
wandten Störungen ab, wie fie feines Vaters innere Politif
vielfach behindert, die auswärtige durchkreuzt hatten. So konnte
er gut machen, was fein Bruder verfehlt hatte.
Mit Medlenburg ſchloß er ſchon im Beginn des Jahres 1438
Frieden. Den Vergleih mit Pommern-Stettin befiegelte die
Zermählung Herzog Joahims mit einer Tochter Johannse. Der
Streit über die Lehenshoheit blieb fpäterem Austrag vorbehalten.
Neue Berwidelungen aber drohten mit Sachſen. Denn in Aus—
fiht auf das Thüringer Erbe erftrebte Kurfürft Friedrich der
Sanftmütige in Mitteldeutf—hland eine gebietende Stellung.
Dur die Erhebung feines jüngften Bruders Siegmund zum
Biſchof von Würzburg niftete er fi in Franken ein; auch die
Lauſitz, die feit Kaifer Siegmunds Zeit im Pfandbefig bes
edlen Geſchlechts derer von Polenz war, wollte er an fih
bringen, gewann auch wirklich Kottbus. An beiden Stellen
traten ihm die Hohenzollern entgegen, und da die Städte Magbe-
burg, Halberftadt, Quedlinburg und Aſchersleben fi Fried⸗
rich II. anſchloſſen, die Laufiger Stände feinen Schu anriefen
und Böhmen für ihn rüftete, fo nahm der Safe im Frühjahr
148 Erſtes Buch. Die Elemente bes preußifhen Staates (bis 1598).
1441 einen Vergleich an, der ihm das inzwifchen frei gewordene
Thüringen ließ, fonft aber den alten Befitftand berftellte. Seine
Toter Ratharine gab er dem Markgrafen in die Ehe: ber
Politik geopfert, hat die Fürftin neben dem ungeliebten Ge:
mahl, der die polniſche Hedwig nicht vergaß, ein freublofes
Leben geführt. Auch den Streit mit Medlenburg über das
wendiſche Fürftentum ber Werla beglich Friedrich IL, indem
er fi mit der Zufage der einftigen Erbfolge in Medlenburg
begnügte und die Huldigung empfing.
Diefe Verwidelungen waren für Friedrich II. nicht ohne
Vorteil: fie berechtigten ihn die Zügel ftraffer anzuziehen und
den Adel unter dem Zwange bes militärifhen Dienftes an Ger
horſam zu gewöhnen. Selbithilfe und Fehde duldete er nicht,
achtete aber feinerjeits die im Herkommen begründeten Rechte
des Adels. Mußte er mit feinen Anſprüchen über das Uebliche
hinausgehen, fo beftimmte er die Herren auf ben häufiger ge—
haltenen Landtagen gütlich zur Bewilligung. Auch gewann die
Art, wie er feine Herrfhaft äußerlich eindrucksvoll barftellte,
manden Edelmann dem Hof: und Heerdienfte. Zuweilen frei-
lich mußte aud er außerordentliche Bewilligungen erfaufen
dur Zugeftändniffe an den ganzen Stand.
Dazu nötigte ihn namentlich dad Bedürfnis eines ficheren
Rückhalts gegen die Städte. In drei Bündniffe gegliedert, traten
diefe ihm zuverfichtlicher entgegen, ſobald die Sorge vor neuen
feindliden Cinfällen ſchwand. Wußten fie doch des jungen
Heren Vater geneigt, ihre Partei zu nehmen. Das erklärt die
anfänglihe Zurüdhaltung des Markgrafen: fobald der Vater
die Augen geſchloſſen, gab er fie auf. Erfüllte die Zeit
doc der Kampf zwijhen dem monardifhen Prinzip, das fi
der Zukunft der deutſchen Territorien bemächtigen wollte, und
den republikaniſchen Kleinftaaten, die, in der Demokratie bes
deutichen Einungsweſens wurzelnd, zulegt vornehmlih Träger
des nationalen Lebens geweſen waren, zwiſchen Fürften und
Städten. In ihm haben Friedrich II. und fein Bruder Albrecht
als Feinde des Bürgertums eine hervorragende Rolle geſpielt.
Doch gewann erſt dadurch die hohenzollernſche Herrfhaft in
den Marken eine feite Grundlage: entbehrte fie doch des rechten
I. Die Mark Brandenburg. 149
Inhalts, ſo lange die Städte die auf Koſten der fürſtlichen
Landeshoheit erworbenen Rechte, namentlich die faſt völlige Ab⸗
gabenfreiheit, behaupteten.
Begünftigt wurde Friedrich dabei durch Parteiungen in den
Städten: fo konnte er durch Teilung herrſchen, namentlich auch
in der Doppelhauptftadt, die Johann ſcheu gemieden Hatte.
Die Union von 1432 (S. 146) befriedigte dort nicht: befonders
ſcheinen die Köllner fi benachteiligt gefühlt zu haben. Dann
ftritt die Gemeinde mit dem patrizifhen Rat, dem auch
Friedrich wegen Kürzung feiner landesherrlichen Rechte zürnte.
Zum Schiedsrichter aufgerufen, nahm er die Partei des Volkes.
Durch Auslieferung der Stadtſchlüſſel als Herr anerkannt,
entjeßte er den Rat und hob die Vereinigung ber beiden Städte
auf. Jede erhielt ihren befonderen Rat, der, aus den Gewerken
und der Gemeinde gewählt, der landesherrlihen Betätigung
unterlag. Aud durften fie hinfort feine Bünbniffe eingehen
ohne des Markgrafen Genehmigung; die beftehenden wurden
aufgelöft. Schlieglih mußten fie am 24. Auguſt 1442 durch
eine urkundliche Erklärung fih dem Markgrafen auf Gnade
und Ungnade überantworten, anerkennen, daß die höhere fo:
wohl wie die niedere Gerichtsbarkeit jamt der Ernennung der
Richter von alters her dem Landesherrn zuftehe, und ihm zum
Bau eines feften Haufes Terrain zwiſchen den beiden Städten
abtreten. Dort wurde am 31. Juli 1443 der Grundftein zu
dem Berliner Schloffe gelegt: Friedrich felbft that den erften
Hammerfhlag. Um ben Neubau fammelte fi) bald eine Schloß:
gemeinde von fürftlihen Dienftleuten, und auch von den für den
Hofdienft gewonnenen märkiſchen Edelleuten zogen mande in
die Stadt. Zu fpät erkannten die Bürger, welchen Fehler fie
begangen hatten: mit dem inneren Frieden hatte der Mark:
graf ihnen die Unfreiheit gebracht.
In dem Schidfal Berlin-Rölns aber ſchien das aller mär-
kiſchen Städte entſchieden. Daher fühlte fich felbft die Hanſa
bedroht, deren Tage die märkifhen Yundesglieder nur noch
jelten beſuchten. Zufammenfünfte, die Friedrich II. veranftaltete,
ließen ein gemeinfames Vorgehen ber norbbeutichen Fürſten be
fürdten, wie es im Süden unter Albrecht Achill im Werke
150 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifgen Staates (bid 1598).
war. So verſchärften ſich die Gegenfäge. Doppelt ſchwer trug
man nun in Berlin und Kölln an der neuen Herrſchaft, als
deren Wahrzeihen das Schloß raſch emporwuchs. Darüber ver:
gaßen Gemeinde und Geſchlechter die alte Feindſchaft: letztere
erhielten die Leitung der Stadt zurüd. Bald gab es neuen
Hader mit dem Markgrafen, befonders wegen des Schloßbaus,
gegen ben beide Städte Verteidigungsmwerfe aufführten. Schnell
erhitzten ſich die Leidenfchaften: man warb auswärts um Hilfe,
namentlich bei der Hanja. Wohl mahnten die übrigen mär-
kiſchen Städte zur Nachgiebigkeit und erboten fi zu Ver—
mittelung. Unter dem Bürgermeifter Bernd Ryke beharrten die
Berliner in ihrem Trog und brachen fehließlich, wie es feheint,
durch einen Zwiſchenfall gereizt, übereilt los. Als nämlich die
marfgräflihen Yauleute, um die Gräben des neuen Schloffes
zu füllen, die Spree ftauten, erhob fi die Bürgerſchaft und
ftürmte die alte hohenzollernſche Nefivenz, das hohe Haus (in
der Klofterftraße, wo heute das Staatsarchiv fteht), verjagte
die Beamten, erbrach das Archiv und verftreute den Anhalt.
Dann zog fie durch einen eilig aufgeführten Verhau den Schloß:
bau in die ftädtijche Befeftigungslinie. Friedrich bewies die
äußerfte Langmut: er forderte Schadenerjag und Genugthuung,
und erft als fie verweigert wurden, ergriff er Repreflalien. Da
lenkte man raſch ein, zumal felbft die zur Hilfe geneigten mär—
kiſchen Städte nichts thaten aus Furcht vor den benachbarten
Fürften. Klug ftellte Friebrih die Sache der Entſcheidung der
Stände anheim, vor denen er gegen die Rebellen Klage erhob.
So vermied er das Odium, das eine ftrenge Vergeltung ihm
eingetragen hätte, und knüpfte das Intereſſe der Stände an
das des Landesherrn. Auf einem Landtage in Spandau er-
folgte der Spruch: der widerfpenftige Rat machte einem von
Friedrih ernannten Platz, und am 19. Juni 1448 unterwarfen
ſich Berlin und Köln von neuem den Ordnungen von 1442.
Die Hauptfhuldigen, meift den Geſchlechtern angehörig, traf
Verluſt ihrer Lehen oder Geldbuße. Bernd Ryke wurde ver:
bannt: als er von Sachſen aus neue Umtriebe begann, fol er
von einem übereifrigen Diener Friedrichs getötet worden jein. In
Berlin und Köln aber Fehrten nun allmählich friedliche Zuftände
1. Die Mark Brandenburg. 151
wieder, welche die letzten Irrungen bald in Vergeſſenheit brachten
und den einftigen Gegnern ein ehrlihes Zufammenwirken im
Dienft der allgemeinen Wohlfahrt ermöglichten.
Nun beugten ſich aud die übrigen märkiſchen Städte in
willigem Gehorfam. Damit war in der Mark die Einfügung
ber republifanifh organifierten Bürgergemeinden in den wer-
denden Staat im mefentlichen vollendet, während im Weften
und Süden der Kampf darum erjt begann. Für die ftaatliche
Konſolidierung der Mark war das ein Glüd. Die Städte waren
bier nur noch fommunale Körperſchaften, die fih innerhalb der
von dem Landesgeſetz gezogenen Schranken jelbft verwalteten,
aber nit mehr Trägerinnen eines eigenen öffentlichen Rechts.
Denn auch die Gerichtsbarkeit, fo weit fie ihnen blieb, übten
fie nur als Beauftragte des Landesherrn. Die Räte wurden
in ihrer Amtsführung ftreng beauffihtigt. Ihre finanziellen und
militärifchen Kräfte aber machte Friedrih den allgemeinen
Zandeszweden in einem bisher nicht gefannten Maße dienftbar.
Die Einnahmequellen, die im 14. Jahrhundert zum Nachteil des
Landesherrn an die einzelnen Stäbte verzettelt waren, kamen
in der Hauptſache an dieſen zurüd. Was aber bebeutete in
jener Zeit eine Steigerung der Einkünfte auf das Vier- ober
Zünffahe für die fürftlihe Maht! Dafür aber hob Friedrich
den Wohlitand der Städte duch die Pflege von Handel und
Verkehr und ftärkte ihre Wehrbaftigfeit, indem er fie für ihre
Befeftigungen forgen und ihre Bürgerfchaften in Schügengilden
organifieren ließ. Diefe neue Ordnung zu befeftigen, half er
fpäter den Geſchlechtern wieder zur Herrſchaft und gewann fo
das früher oppofitionele Patriziat zu einer ber vornehmften
Stügen des erftarfenden Fürftentums.
Mochten die. märkifhen Städte den Verluft der Freiheit
fo bald verfchmerzen: die übrigen Städte des Nordens und Oftens
ſahen in Friedrich II. den glüdlichen Vertreter eines feindlichen
politifhen Prinzips. Daraus entftanden Streitigkeiten mit den
fähfifhen Städten, obenan Magdeburg, und den pommerſchen
unter Stettin. Mit Halle hatte er einen langjährigen Rechts:
handel, weil es ihm 1457 auf einer Reife den Durchzug nur
gegen ein Wegegeld geftatten wollte. Da der Erzbiſchof von
152 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
Magdeburg und Herzog Wilhelm von Sachſen fi) der Stadt
annahm, des legteren Bruder, Kurfürft Friedrich, aber auf
des Markgrafen Seite trat, wäre es darüber beinahe zum
Kriege gekommen.
Friedrich II. foht das wenig an. Er hatte für die Herr-
ſchaft feines Haufes in der Mark einen Grund gelegt, feiter
gefügt als ſonſt in irgend einem Reichslande. Hier war der
Uebergang von dem ftändifchen Staate des Mittelalters zu dem
Obrigfeitsftaat der neueren Zeit bereits im Zuge. Mochte die
Form des erfteren noch beftehen: der Inhalt war gründlich ge
wandelt. Ohne feine Standesvorrechte einzubüißen, war der
Adel an den Landesheren gefeffelt, jeit er den Heer und Hof⸗
dienft ſuchte und aud die Zandesangelegenheiten in dieſem
Sinne behandeln lernte. Die Städte hörten auf politifche
Körperfhaften zu fein und fanden in der Unterorbnung unter
das Wohl der Gefamtheit eine neue und wirfjame Gewähr des
eigenen Gebeihens. Damit löften fih hier Adel und Städte
aus dem Verbande, der fie im Gegenſatz zu dem Fürftentume
mit dem Adel und den Städten ganz Deutſchlands geeinigt
hatte. Indem fie fih auf den Boden ftellten, der ihnen mit dem
Landesherrn gemeinfam war, durchbrachen fie die Schranfen des
abftraften Standesgefühls, das, gleihfam heimatlos, ſich nicht
an eine beftimmte Landſchaft band, und faßten den Gedanken
einer territorialen Gemeinfhaft. Damit entitand zuerft etwas
wie ein Landesbemußtjein, die erfte Regung des jener Zeit noch
fremden Staatsgefühle. Sogar gegenüber ber Geiftlichfeit be-
thätigte fich diefer im Widerſpruch mit ber Univerfalität der
Kirche.
Auch diefe Hat Friedrich II. der landesherrlihen Autorität
gebeugt. Mitſchuldig an der üblen Rolle, die das Reich zur Zeit
des Bafeler Konzils fpielte, ließ er fi doch die Anerkennung
der kirchlichen Reftauration von der Kurie durch Zugeſtändniſſe
vergelten, die für die ftaatliche Konfolidierung der Mark wichtig
wurden. Bereits der Landtag von 1445 hatte ihm die Befug-
nis eingeräumt, vor das geiftliche Gericht gebrachte weltliche
Saden an ſich zu ziehen unter der Bedingung ihrer Erledigung
binnen ſechs Wochen. Al er dann, der erſte von den deutſchen
II. Die Mark Brandenburg. 153
Fürften, auf Grund des Wiener Konkordats 1447 mit dem Papft-
tum feinen Frieden machte, erlangte er von ihm in dieſem
Punkte weitere Zugeftändniffe. Sein Bevollmächtigter, Friedrich
Seffelmann, ein Rulmbader von Geburt, der in Kadolzburg,
der Refidenz ber fränfifchen Hohenzollern, Pfarrer geweſen und,
in Bologna gebildet, des Markgrafen Veichtvater geworben
war und nun als Bifchof von Lebus und Kanzler eine be=
deutende Thätigfeit entfaltete, erwirfte bei Nikolaus V. ein
Privileg, wonach fein geiftliher Richter einen Märker in welt:
lichen Dingen weiter als zwei Tagereifen von feinem Wohnort
vor Gericht ziehen durfte. Dann beitimmte 1459 Pius IL, es
ſollten die furfürftlien Unterthanen in weltlihen Dingen fi
überhaupt nur vor des Kurfürften Gericht zu verantworten
haben. Nun exit konnte deſſen oberftrichterlihe Autorität ſich
vol entfalten, und bereits 1460 verfügte Friedrich, es follte
binfort fein Weltliher einen anderen vor ein geiftlihes Gericht
ziehen; fände er aber vor dem angerufenen weltlichen binnen
ſechs Wochen nicht Recht, fo jollte er ſich an das markgräfliche
Landgericht wenden, das alle Mittwoh an der Brüde bes
Schloſſes zu Tangermünde zu urteilen bereit fei. Das bebeutete
einen großen Fortjchritt auch gegenüber der mit der landes:
herrlichen bisher konkurrierenden Gerichtsbarkeit der Schloß:
herren und der Städte. Daß er eigentlih auf päpftlihe Ver:
leihung zurüdging, war bald vergefien, zumal der märkifche
Klerus auch im übrigen in eine fonft nicht gewöhnliche Abhängig:
keit von dem Fürftentum fam. Zum weiteren Lohn nämlich
für feine Fügſamkeit gewährte Nikolaus V. Friedrich am
10. September 1447 das Recht, für die drei märkiſchen Bis-
tümer Brandenburg, Havelberg und Lebus jedesmal den ihm
genehmften Kandidaten zu benennen. Das begrüßte Friedrich
mit Recht als „eine merklihe Befreiung und Begnadung“.
Denn es ſchloß jeden Widerftreit zwifchen den Landesbiſchöfen
und dem Landesherrn aus und fteigerte feine moralifche Autoriz
tät der Geiftlichfeit gegenüber. Das aber war nichts Geringes
in einer Zeit, wo der Klerus nad) glüdlicher Abwehr der Reform
es ärger trieb als je. Ja, von ſich aus hat Friedrich eine Art
von Reformation der märkifchen Kirche durchgeführt. Die Dom—
154 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifgen Staates (bis 1598).
fapitel zu Havelberg und Brandenburg machte er wieder zu
Pflanzitätten kirchlicher und wiflenihaftlicer Bildung. Er ge:
wöhnte bie verwilderte Kloftergeiftlichfeit wieder an Zucht und
Sitte. Andererfeits aber bewirkte er auch eine ftrengere Heili-
gung des Sonntags zum Schuß aller dienenden Leute gegen
unziemlihe Anforderungen ihrer Herrichaften. Denn in feiner
ftrengen Gläubigfeit empfand er es als eine Gewiſſenspflicht,
alle zu gleich ernften Anſchauungen und zu gleichem Eifer in
ihrer VBethätigung zu gewinnen. Bon feinen Regentenpflichten
dachte er ähnlich wie fein Vater, der ſich ſchön ale „Amtmann
Gottes am Fürftentum” bezeichnet hatte. So ftiftete er 1440
den Schwanenorden, defien Glieder, Männer und Frauen, hrift:
fie Gefinnung bethätigen und ihm Land und Unterthanen in
Einung und friedlihen Stand zu bringen helfen jollten, indem
fie namentlih den Adel durch das Vorbild eines wahrhaft
adligen, Unfitte und Unrecht meidenden Lebens verebelten. So
verbanden fich bei Friedrih, der 1453 auch nad Rom und
dem Heiligen Lande gepilgert war, kirchliche und politifche,
diplomatiſche und patriotifhe Motive. Das gab feinem Walten
den Glanz eines gewiſſen heiligen Eifers, der in dem Glauben
an feinen Beruf wurzelt und der Erfüllung desfelben gewiß ift.
Manderlei Hinderung freilich bereitete ihm die Unfähigkeit
jeines jüngeren Bruders Friedrih. Noch vor Ablauf der von
dem vorforglichen Vater beftimmten Frift (S. 146) trogte ihm
diefer 1447 die Regierung der Altmark und der Priegnig ab,
zeigte fich ihr aber nicht gewachjen. Der Adel fiel dort in
das alte Raubmwejen zurüd und veranlaßte neuen Streit mit
dem benachbarten Medlenburg. Ein wüfter Fehdezuftand drohte
den eben wieder erblühenden Wohlftand der Städte zu Grunde
zu rihten, jo daß endlich Friedrich II. felbft eingreifen mußte.
Gründlihe Beſſerung aber brachte erft des jüngeren Friedrich
Tod 1463: da er feinen Sohn hatte, fiel das Land an den
älteren Bruder und die Marken wurden wieder vereinigt.
Doch wurde Friedrih II. au in die großen politifchen
und firhlihen Kämpfe der Zeit gezogen. Treu ftand er zu
feinem Bruder Albrecht, der darin eine fo hervorragende Rolle
fpielte. Zudem wurde die Mark ſchon durch ihre Lage von den
I. Die Mark Brandenburg. 155
großen nationalen Gegenfägen berührt, die im Norden und
Oſten miteinander rangen: ala Bollwerk des Deutfhtums war
fie zugleich von Nord, Süd und Oft dem erneuten Anfturm ber
Slaven ausgejegt. Und nun war ber Gegenfag zwiſchen Ger:
manen und Slaven, verquidt mit den großen Fragen ber
kirchlichen und politiſchen Reform, damals das treibende Mo:
ment in der gejichtlihen Entwidelung. Im Nordoften drang
Polen, im Südoften Böhmen fiegreih vor, jenes im Bunde
mit den rebelliihen Unterthanen des Deutſchen Ordens, dieſes
getragen von dem Huffitentum, bas in Georg von Podiebrad
die Hand nad) der deutfchen Krone ausftredte. Beider Anprall
traf zunädjft die Mark. Denn jegt entfannen fih die pom-
merſchen und mecklenburgiſchen Fürften plöglich ihres Slaven—
tums, um fi durch den Anſchluß an Polen der deutſchen und
brandenburgiſchen Hoheit zu entziehen. Wurde der Verluft
Deutſchlands nicht ganz fo groß, wie zu befürchten ftand, jo
war bas weſentlich das Verdienft Friedrichs II.
Aus Sorge vor Kurſachſen (S. 147) hatten die Stände
der Laufig ſich auf drei Jahre in den Schuß Friedrichs begeben.
Streitigkeiten in dem reihen Haufe der Polenz, das die Laufiger
Landgrafſchaft in Pfandbefig hatte, ermöglichten diefem 1445
die Erwerbung von Kottbus und 1450 den Kauf ber Polenz-
ſchen Rechte auf die Laufig famt der Stadt Lübben und der
Herrſchaft Peig. Während ihm die Stände, froh, wie e8 ſcheint,
der Löfung von Böhmen, ohne Weigern huldigten, befegte der
ſächſiſche Kurfürft auf Grund einer Verſchreibung, die ihm im
Namen des jungen Königs Ladislaus, des nachgeborenen Sohnes
Kaiſer Albrehts II. und Enkels von Siegmund, Kaifer Fried:
ri III. ausgeftellt hatte, Senftenberg und Hoyerswerda und
bedrohte Kottbus. Vergeblich proteftierten bie Stände, vergeblich
erklärte der Markgraf, jedem rechtmäßig gefrönten König von
Böhmen die Auslöfung der verpfändeten Lauſitz geftatten zu
wollen: infolge bes gleichzeitig erneuten Streites zwijchen dem
ſächſiſchen Kurfürften und feinem Bruder Herzog Wilhelm, für
den ber Markgraf Partei nahm, kam es doch zum Krieg, den erft
im Juni 1450 die Vermittelung des Erzbiſchofs von Magdeburg
beendete. Die Lauſitz behielt Brandenburg, Kurſachſen Senften-
156 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
berg und Hoyerswerda. So ließ es auch der endgültige Friede
im Januar 1451, doch erneute er die Erbverbrüderung zwiſchen
Hohenzollern und Wettinern, die gegenüber der erftarfenden
nationalen Bewegung in Böhmen zufammenhalten mußten.
Die Frage nad der Zukunft der Laufig blieb offen.
Dagegen gelang es Friedrich, durch Wiebervereinigung der
Neumark mit Brandenburg den Polen einen Damm entgegen-
zuwerfen. Dur den Handel von 1402 (S. 124) mit dem
Ordenslande vereinigt, war die Neumark der Ausbeutung durch
die Zuremburger entgangen und eines geordneten und geſetz⸗
lichen Regiments teilhaftig geworben. Hatte der Orden ſich doch
gerade dort um gutes Einvernehmen mit den Ständen bemüht,
um fih für den Fall eines Bruchs mit Pommern die Ver-
bindung mit dem Reiche zu fihern. Aber das Recht der Hohen-
zollern, als Nachfolger der Luremburger das Pfand einzulöfen,
war wiederholt anerkannt worden; dennoch verfuchte der Orden
mehrfach, das wichtige Gebiet endgültig an fich zu bringen.
Einen Antrag der Art, bei dem der Orden fi) auf feines
Vaters angebliche Geneigtheit zu diefem Geſchäft berief, hatte
Friedrich IL. abgelehnt: jener habe daran wohl denken Fünnen,
da er viele Länder gehabt, er jedoch, der nur ein Land fein
eigen nenne, bürfe fi) darauf nicht einlaffen. Nun aber mußte
der Orden mit dem drohenden Aufftande feiner Unterthanen
und dem Eingreifen Polens reinen. Konnte er da die Neu—
mark zu behaupten hoffen? Schon warb König Kaſimir dort
um Anſchluß, indem er dem Lande eine Stellung verhieß, wie
fie nachmals Weftpreußen erhielt. Diefe Gefahr beſchwor ber
Orden und ficherte fi) zugleich alle Vorteile, die ihm der
Befig der Neumark gewähren konnte, wenn er das Land vor
Ausbruch des polnischen Krieges an Brandenburg zurüdgab.
Im Februar 1454 erbot er fih dazu um die Summe von
40000 Gulden. Friedrich griff zu, und die Stände, obgleich
zum Teil Polen geneigt, leifteten ihm nad Betätigung ihrer
Privilegien im April 1454 die Huldigung.
So wurde Polen hier der Weg nach Weften verlegt. Dem
Orden Waffenhilfe zu leiften, durfte Friedrich freilich nicht
wagen: hätte er dann doch die Pommern fofort in Flanke und
U. Die Mark Brandenburg. 157
Nüden gehabt. Ein Vermittelungsverfuch blieb erfolglos. Ver—
geblih warb er im Reihe Hilfe für den Orden und mahnte
Dänemark, eine Flotte nad der Weichjel zu fenden. Er eilte
jelbft nad) Preußen, um die meuternden Söldner zu beſchwich-
tigen. Aber das Verhängnis des Ordens ließ fi nicht auf:
halten. Um fo wichtiger war es, bie Neumark endgültig von
ihm zu löſen. Am 15. September 1455 überließ er fie zu
Mewe dem Markgrafen für „bie merklichen Dienfte, Gutthaten,
viele Mühe, Zehrung, Koften und Schaden, die er zum Beten
des Ordens in ben Kriegsnöten gethan“, mit allen dazu ge:
hörigen Landen, Städten, Schlöffern und Rechten „zu rechtem
Erbe erblih”, fo daß er fie früheftens nad) Friedrichs Tod und
dann nur gegen Zahlung von 100000 Gulden follte zurüd-
fordern dürfen, und erhielt dafür — worauf es ihm vor allem
anfam — freien Durhmarfd nah Preußen.
Polen jah darin einen Aft der Feindſchaft. Nun hatte
es Friedrich aber auch durch fein Eingreifen in der Lauſitz mit
Georg von Podiebrad verborben, der nad} des jungen Ladislaus
Tod die Stellung eines Gubernators mit der eines Königs
von Böhmen vertaufcht hatte und durch feine glänzende Perjön-
lichkeit ben nationalen Afpirationen der Czechen ungeahnte
Kraft verlieh. Schon lag diefer auch mit Albrecht Achilles in
Streit. Im den Hohenzollern jah er das Haupthindernis für
die Gewinnung ber beutfchen Krone. Während er daher Albrechts
Feinde nad Kräften unterftügte, ließ er durch ben Oberftburg-
grafen von Prag, Sdenko von Sternberg, den er mit dem in
brandenburgifchem Befig befindlichen Kottbus belehnte, Friedrich
in der Zaufig bedrohen, der obenein dem von ihm verjagten Herzog
Balthafar von Sagan Zuflucht gewährte. Vergeblich beftritt der
Markgraf die Zuftändigfeit des böhmifchen Hofgerihts: Kottbus
wurde ihm abgefprohen. Ja im Oftober 1461 fiel Podiebrad
verwüftend in die Zaufig ein. Von Kurſachſen ohne Hilfe ge:
laſſen, konnte Friedrich fie nicht behaupten. Und nun ſchickte
fi Polen an, um der Neumark willen mit Böhmen gemein-
fame Sade zu machen. Im Frühjahr 1462 trafen die beiden
Könige in Glogau zufammen. Da blieb Friedrich nichts übrig,
als die Laufig gegen Zahlung der Pfandjumme an Böhmen
158 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
zurüdzugeben, das ihm die durch Kauf erworbene Laufiger
Herrihaften Kottbus, Peitz und Teupitz als Lehen belieh.
Selbft in Pommern mußte Friedrich II. vor dem Slaven-
tum weichen, zumal dort auch die Städte alles daranfegten,
den Befieger ihrer märkiſchen Schweftern dem Lande fernzu:
halten. Als nämlich 1464 das Stettiner Haus erloſch, wollte
er Pommern:Stettin als erledigtes brandenburgifches Lehen
einziehen. Der Verlauf im einzelnen ift nicht Har. Während
es ſcheint, als ob der Markgraf im Stettiner Rat eine Eleine
Partei gewonnen hatte, ſuchte doch nah manchem Anzeichen
gerade Stettin zwiſchen den ftreitenden Fürften volle Unab-
hängigkeit zu gewinnen, ähnlich wie es in Pommerellen eben
Danzig gelungen war. Der Adel war zumeift gegen die bran-
denburgifche Herrihaft: der Stamm der pommerjchen Herzöge,
bieß es da, fei gar nicht erlofchen, fo lange die Wolgafter Linie
beftehe; nur Wratislam X. und Erih II. könne man als
Herren anerkennen. Schon daß man ben brandenburgifchen
Anfprüden das flavifhe Geſamterbrecht des fürftlihen Haufes
fo entgegenftellte, zeigt, wie jehr au Pommern bereits ber
Anziehungskraft des erftarfenden Polentums folgte. Vermittelte
doch Herzog Erich II. unter eigenen pefuniären Opfern ben
Vertrag zwiihen Rafimir von Polen und den meuternden Söld-
nern des Deutichen Ordens, der diefen unbefiegt in bie Gewalt
feiner Gegner lieferte. Die deutſchen Dftfeelande ftanden zur
Verfügung Polens. Was nützte es da, daß Kaiſer und Reich im
Frühjahr 1465 Brandenburgs Reht auf Bommern-Stettin an-
erkannten? Sie gegen Polen durchzuſetzen, hatte Friedrich feine
Ausfiht. So entſchloß er fih im Einverftändnis mit feinem
Bruder Albrecht zu einem Vergleih. Im Januar 1466 über:
ließ er duch den Vertrag zu Soldin Stettin den Wolgaftern
und erhielt dafür die Lehenshoheit und das Heimfallsrecht
Brandenburgs von neuem anerkannt. Hinterher aber ver—
weigerten ihm die Wolgafter ſowohl wie bie Stände Pommerns
unter Vortritt Stettins die verſprochene Erbhuldigung: nur
ihren rechtmäßigen Herren, das heißt den Herzögen von Wol-
gaft, wollten fie dieſe ſchuldig fein, und die Roftoder Zuriften
ftimmten bem in ihren Rechtsgutachten bei. Aber nicht genug
1. Die Mart Brandenburg. 159
damit: im Oktober 1466 nahm Kaifer Friedrich das Stettiner
Erbe als Reichslehen in Anſpruch und erklärte alle darüber
bisher getroffenen Abmachungen für ungültige. Froh den
Hobenzoller los zu fein, hulbigten die Pommern den Wol-
gaftern.
Sollte Friedrich das ruhig hinnehmen? Die Gefahr einer
böhmifchpolnifhen Kooperation war befeitigt, das zweibeutige
Spiel Georgs von Podiebrad endlich enthült: ſchon hatte er
feine Krone gegen den Anfturm der von Rom wider ihn ges
besten Orthodoxen zu verteidigen. Ihn gegen ben Kegerfönig
zu gewinnen, bem fein Bruder Albrecht eng verbunden war,
bot bie Kurie jegt Friedrich die böhmifde Krone. Gewiß war
das für biefen feine geringe Verfuhung. Welche Ausfihten
erſchloſſen fi, wenn die böhmiſche Macht in den Dienft der
hohenzollernſchen Politik geftellt wurde! Zunächſt freilih wäre
eine neue Erhebung aller Feinde zu erwarten geweſen, die mit
der Mark den fränkifchen Hausbefig gefährden fonnte. Dazu ftand
der mögliche Gewinn in feinem Verhältnis. So lehnte Fried:
rich auf dringendes Anraten Albrehts die Krone ab. Wie
recht er gethan, Iehrte der Ausgang des Krieges mit Pommern.
Während feine Verbündeten Heinrich von Medlenburg und
Fürft Ulrich von Wenden Treptow eroberten, brach Friedrich
1468 mit zwei Heerhaufen in das Stettiner Gebiet, zwang
Garz zur Huldigung und Aufnahme einer Befagung, nahm
Vierraden und Löcknitz und wurde erft durch den Widerftand
von Greifenhagen aufgehalten. Als dann aber Herzog Wratis-
law X. Treptow zurüdgewann und verheerend in das Medien-
burgiſche einfiel, nahm er die Vermittelung Polens und ber
Hanfa an. Im Januar 1469 wurde zu Prenzlau der Soldiner
Vertrag erneut. Aber wiederum wurden die Pommern wort:
brüchig: ftatt die Erbhuldigung zu leiften, erneuten fie die Feind»
feligfeiten. Seine ganze Kraft wandte Friedrih nun gegen
Uedermünde, um von borther den Stettinern den Seeverkehr
zu fperren. Aber die Belagerung zog fi in die Länge; bie
Lebensmittel wurden fnapp. Auf die Kunde vom Anmarſch
eines Entjagheeres hob Friedrich die Belagerung auf und eilte
unter Zurüdlafjung fogar des Gefchüges nad) der Mark, die
160 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
von den nahdringenden Feinden mit Raub und Brand heim-
geſucht wurde. Nur um einen hohen Preis — die Unterwerfung
unter den Schiebsfpruch des Polenkönigs in betreff der branden-
burgifchen Lehenshoheit über Pommern — erhielt er Waffen:
ruhe bis Ende Auguft 1469. Sie wurde um acht Monate ver=
längert, als man ſich auf einem Tage zu Petrikau nicht einigen
konnte und ein Rechtsgutachten der Krafauer Juriſten einzu-
holen beſchloß.
Friedrich II. war des Kampfes müde. Seine ernfte, pein:
lich gewifienhafte, faft ſchwermütige Art fand fi in der Politik
mit ihren jähen Umfchlägen nicht zurecht. Sein moralifcher
Idealismus, der überall mit der rauhen Wirklichfeit kollidierte,
fühlte ſich zurüdgeftoßen von den Menjhen und Dingen, bie
ihn umgaben. Er fehnte ſich aus einem Beruf, den er mehr
aus Pflihtgefühl als aus Luft an ihm und dem gehofften Er:
folge übernommen hatte. Auch plagten ihn allerlei körperliche
Gebrechen. So erbot er ſich gegen ein Jahrgeld von 6000 Gulden
und Meberlaffung der Plefienburg in Franken feinem Bruder
Albrecht die Mark abzutreten. Deſſen thatenfroher Sinnesart
freilich entſprach das nicht: aber vergeblich riet er dem Bruder
auf dem Plag auszuharren, auf den ihn das Schidjal geftellt
hatte. Auch die märkifhen Stände ftimmten zu. So z0g
Friedrih im Frühjahr 1470 nad) Franken; aber niht einmal
ein Jahr Hat er die erjehnte Ruhe genofjen: bereits am
10. Zebruar 1471 ftarb er.
Müde und enttäufht haben die beiden erften hohen-
zollernſchen Markgrafen das ihnen befohlene Land verlaffen.
Heimiſch hatten fie ſich dort nicht gefühlt, wie fie mit ihren
fränkiſchen Räten und Dienern auch der Bevölkerung fremd
geblieben waren. Nicht bloß perjönliche und landſchaftliche, auch
politifhe Momente verſchuldeten das. Die Intereſſen des frän-
kiſchen Beſitzes gravitierten in einer ganz anderen Richtung als
die der Marken: mas dieſe förderte, war jenen beinahe ver-
hängnisvoll geworden. Weber in Franken nod in den Marken
hatten die Hohenzollern ihr Ziel erreicht, ja fie durften froh
fein, ihre Stellung notdürftig behauptet zu haben. Jetzt ſchienen
fi günftigere Ausfihten zu eröffnen. Seit dem Tode Jo—
I. Die Marf Brandenburg. 161
hanns (1464) Herr bes ganzen fränkiſchen Hausbefiges, kam
Albrecht nun auch in Brandenburg zur Regierung. Aber während
man erwartet, duch bie Einjegung einer folgen Hausmacht
inmitten ber großen kirchlichen und politifhen Wirren der Zeit
die Hohenzollern zu einer gebietenden Stellung auffteigen zu
jeden, hat die Regierung Albrechts vielmehr duch ihre Miß-
erfolge erft recht gezeigt, daß die Verbindung der Mark mit
den fränfifchen Landen unnatürlic und nachteilig fei. Der
treuefte Vorkämpfer des abiterbenden Reichsgedankens, hat
Aldredt in mühjamem, aber vergeblihem Ringen einfehen
müſſen, daß die Zukunft feines Haufes, follte fie auf höhere
Ziele gerichtet fein, vorbehaltlos auf die Mark gegründet werben
mußte. Und mit weitblidender Fürforge hat er von da aus feinen
Nachkommen ihre Bahn vorgezeichnet. Darin vor allem, ja
vielleicht darin allein liegt feine gefhichtliche Bedeutung: erft
durch ihn ift das Schickſal der Hohenzollern unlöslich mit dem
der Mark verknüpft und dadurch beider Zukunft beftimmt worden.
Nicht eben glücklich haben die Zeitgenofien nad dem Bor:
gang des ſchönredneriſchen Enea Silvio Albrecht den Beinamen
Adhilles gegeben. Bon dieſem hatte er jo wenig, wie etwa
Kaiſer Friedrich III. von einem Agamemnon. Perjönlihe Tapfer-
feit, noch dazu an das Haudegentum ftreifend, und militäriſche
Begabung machen noch lange feinen Peliden. Wohl galt
Albrecht für den ftreitbarften deutſchen Fürften feiner Zeit, wie
fein Leib mit unzähligen Narben bebedt war: im Grunde aber
war er doch mehr ein verſchlagener Diplomat und ein fürforglicher
Hausvater von ungewöhnlicher finanzieller Betriebſamkeit. Ob:
gleih er in dem großen kirchlich-politiſchen Intriguenfpiel jener
Jahre den Beinamen bes beutjchen Fuchjes erhalten hatte, er=
ſcheint er doch aud da als der Mann der niedrigen Gefichts-
punkte, der Heinen Mittel und der augenblidlihen Aushilfen.
Nur Deutſchlands Armut an ftaatsmännifchen Talenten macht
es begreifli, wie ein Fürft von fo ausgeſprochenem Sinn für
das Kleine und fo beſchränkt ritterliher Denkweife, in ben
Mittelpunkt der Reichspolitik geftellt, eine Role fpielen Fonnte,
die weit über feine Fähigkeiten hinausging. Iſt dadurch doch
das Befte, was er bejaß, die Begabung für die Bermaltung,
Pruß, Preußtide Geſqhichte. I.
152 Ernes Bug. Tie Eiemente des preusiiien S:cates Sis 1598.
an der rehten Berhätigung aebindert worden, zumal jein leicht⸗
lebiger Optimismus ihm die Tinge meiit alzu günitig jeben lieb.
Der Mark blieb aud Albrecht ein fremder. Nur drei:
mal hat er länger dort geweilt und zwar zjumeift in finan—
ziellen Geihäiten. Seine ñskaliſchen Tendenzen aber wurden
den Märfern dadurch nicht erträglider, das er für iie die
taijerlihe Autorität einjegte. Sonit trat eine Aenderung zu:
nädit nit ein: Albrecht ernannte den bewährten Senelmann
zum „Regierer an jeiner Statt”, in Gemeinſchaft mit jeinem
Sohne Johann, der ion jeinem Oheim Friedrih zur Seite
geitanden hatte, daher auch alles mit deiien Augen jah und
namentlich feine Feindihaft gegen die Städte teilte. Auch
wurde deren Ippofition die Quelle finanzieller Verlegenheiten.
Um dieſe dreht ſich eigentlich in den nädjten Jahren die Ent:
widelung der Marfen. Selbit ihr territorialer Bejtand wurde
von hieraus gefährdet, da einzelne Grenzlandigaften ih dem
fislaliſchen Trud, der die hohenzollernihe Herrihaft wie eine
Fremdherrſchaft erſcheinen ließ, durch Abfall zu den Nachbar:
fürften zu entziehen fuchten.
In Erinnerung an die Finanznot Friedrichs IL, der frei—
lich nad jeiner Meinung nit Haus zu halten veritanden,
war Albrecht bei jeinem erften Ericheinen in der Mark im
Herbft 1471 angenehm überrafcht durch die Größe und Wohl:
habenheit bes ftädtereihen Landes. Ta die Städte bereitwillig
buldigten, fo meinte er jeine leeren Kaſſen hier bequem füllen
zu fönnen. Sein fräntifches Gefolge aber, daheim knapp ge:
halten, griff bei den Gaftereien, welde die Stadträte zum
Willkommen anrichteten, mit anjtößiger Gier zu, während es
ben Adel durch feinen Hochmut beleidigte. Tamals fam das
böfe Wort von den „Hungerfranfen“ auf. Auch mußte bie
Beftätigung ber Privilegien gegen den Braud durch hohe
Ranzleigebühren erfauft werden. Auf einem Landtage zu Berlin
aber — im Januar 1472 — forderte Albrecht gar zur Dedung
der durch den pommerfchen Krieg aufgefummten Schulden von
124000 Gulden 100 000 Gulden, zu deren Aufbringung vier
Jahre von jeder Tonne Bier und Wein zwei Groſchen ent:
richtet werden follten. Doc drang er damit nicht dur und
U. Die Mark Brandenburg. 163
war es ſchließlich zufrieden, daß die Städte 50000, Prälaten
und Nitterjhaft 30000 Gulden aufbrächten, 44000 aber er
felbft trüge. Diefe zu befchaffen, legte er unter Berufung auf
ein Eaiferlihes Privileg von 1456, das jeinem Haufe nad)
Gutdünken neue Zölle zu erheben geftattete, auf alle in Tonnen
gehandelten Waren, aljo auch auf Fiſche, Heringe, Talg, Thran
und Honig, ein Tonnengeld. Ein Sturm des Unmwillens erhob
fih: Handel und Verkehr würden zu Grunde gerichtet, die un-
entbehrlichſten Xebensmittel unerträglid) verteuert werden. Na—
türlich beftritt Albrecht das, erklärte aud jede Widerrede für
unzuläffig, da es fih um einen faiferlihen Zoll handle, dem
jedermann im Reiche fih zu fügen habe. Dennoch wurde die
Zahlung vielfach verweigert, obgleich des Kaifers Recht zur
Verleihung folder Privilegien füglich nicht zu beftreiten war.
Daher erging der Spruch der übrigen Stände, den beide Teile
angerufen hatten, im März 1473 gegen die Städte Kaum
aber hatte Albrecht dem Lande den Rüden gelehrt, jo wurde
das Tonnengeld wieder vielfach verweigert, ja mande Städte
leifteten auch die fonft üblichen Zahlungen nit. Wo er durdh-
zugreifen verſuchte, ftieß Johann auf fo entjchloflenen Wider:
fand, daß er zurüdwid. Bald wußte er nicht, wie er auch
nur bie dringendften Bebürfniffe befriedigen ſollte. Die Mittel
zur Ausrichtung feiner Hodzeit mit Margarete von Sachſen
aufzubringen war unmöglid. In den Städten waren Tumulte
und lärmende Demonftrationen an ber Tagesordnung. Wußten
ſchon demgegenüber der getreue Seflelmann und der Haupt:
mann Buſſo von Alvensleben feinen Rat, fo ftieg ihre Bedräng⸗
nis noch, als die Pommern zu den Waffen griffen und die
Grenzlandſchaften verwüftend heimfuchten, die Städte aber die
Heeresfolge verweigerten.
Die pommerſche Frage hatte inzwifchen neue Wandlungen
erfahren. Kaifer Friedrich hatte die früher beftrittene (S. 159)
brandenburgifche Lehenshoheit anerkannt und 1470 zugleich mit
der Mark aud das Fürftentum Stettin, Pommern, Kafluben,
Wenden und Rügen Albrecht übertragen. Der Widerjpruch der
Herzöge Eri I. und Wratislaw wurde abgewiefen: Albrecht
follte fein Recht erzwingen dürfen. Doch hatte dieſer damals
164 Ernes Bach. Die Elemente des preufücen Staates (his 1599).
andere Sorgen. In dem Kampf um die böhmiiche Krone, der
nad) dem Tod Georgs von Podiebrad (22. März 1471) zwiſchen
dem ungariihen Rationalfönig Matthias Corvinus und des
Polenfönigs Kafimir Sohn Wladislam entbrannt war, war
ein großer Zeil von Schleien in die Hände der Ungarn ge:
fallen. Nun hatte Albrecht allen politiigen und kirchlichen
Gegenwirkungen zum Trog jeine Tochter Urjula im Jebruar 1467
dem zweiten Sohne des Königs Georg, Heinrich von Münfter:
berg, vermäßlt, und im Frühjahr 1472 verlobte er die jugend-
fihe Barbara mit Heinrid von Glogau, deſſen Herzogtum,
blieb die Ehe finderlos, an die Hohenzollern fallen ſollte. Da—
gegen erhob ſich, ungariſcher Hilfe icher, der wilde Hans von
Sagan: feinen von Brandenburg belehnten Bruder Balthajar
hatte er der Herrſchaft beraubt und getötet. Run verkaufte
er fein Land an Kurſachſen, ohne Rüdicht auf die Rechte des
Glogauer Vetters. Alsbald regten jih aud die Pommern
wieder. Wratislam forderte in den an Brandenburg gefallenen
Gebieten die Huldigung; in Garz hatte er Verbindungen an=
gefnüpft, um es bei erfter Gelegenheit zurüdzugewinnen. In
der Mark aber wuchs die Gärung: nad geheimer Verabredung
leifteten die Städte weder die geforderten Zahlungen nod) mili=
täriihen Zuzug. Daher wurde unter Vermittelung Medien:
burgs und bes Kaiſers am 31. März 1472 zu Prenzlau wieder
einmal über Pommern paftiert: Wappen und Titel nebit den
ihnen früher überlafienen Schlöffern und Städten blieben den
Hohenzollern; aud ihre Lehenshoheit wurde anerfannt, doch
ſollten die Herzöge ihnen nur dur Handſchlag Treue geloben,
die Stände aber Huldigen. Dieſes Abkommen fand 1473 die
Zuftimmung des Kaijers.
Wie wenig es nad) Albrehts Sinn war, lehrt der Eifer,
womit er nun gegen die vorging, deren Oppofition ihn am
energifhen Handeln gehindert hatte. Mit König Chriftian I.
von Dänemark, feinem Verbündeten gegen Pommern, plante
er bie Nieberwerfung der dem Fürftentum feindlichen Gemalten
im Lande. Die weltlihe Macht der Bifchöfe ſollte gebrochen,
ihr Einfommen auf einen beſcheidenen Satz reduziert, das
übrige dem Landesherrn zur Verfügung geftellt und die Selbft-
I. Die Mark Brandenburg. 165
regierung der Städte aufgehoben werden, indem die Ernennung
des Rats ſowie die Ordnung von Zoll, Steuer und Gericht
an ben Landesheren fam. Sol Streben lag im Zuge der
Zeit: ähnliches war eben durch das verjüngte nationale König-
tum in Frankreih, in Burgund durch Karl den Kühnen ges
ſchehen. Daher ftand Albreht dabei auch nicht allein: ber
Burgunderherzog, Kaifer Friedrich wollte mittfun. Auch Eng-
land und Schottland und felbft die dynaſtiſchen Verwidelungen
in Italien waren mit in die Kombination gezogen. Aber ber
Bruch des Kaifers mit Herzog Karl und das Entbrennen des
Neußer Krieges vereitelte alles. Dann führte die Kataſtrophe
des Burgunders eine Niederlage des Fürftentums überhaupt
herbei. Won teilmeifer Säfularifation der Kirchengüter und
der Beugung der Städte unter die fürftlihe Wilfür war auch
in der Mark zunächft nicht die Rede. Vielmehr gab Albrechts
erneute Bedrängnis durch auswärtige Feinde auch feinen ein=
heimischen Gegnern bald Gelegenheit, zugleih mit ihrem Haß
ihre Furt vor ihm zu bethätigen. Der Anftoß dazu fam
wieber von Pommern,
Im Einverftändnis mit jeinem Oheim Wratislam dachte
Bogislam X., der 1474 feinem Vater Erih II, in Stettin
folgte, den läftigen Prenzlauer Vertrag von 1472 zu zerteißen.
Der Augenblid ſchien gekommen, als im Februar 1476 Heinz
rich XI. von Glogau ftarb und feine jugendlihe Witwe Bar-
bara dur Hans von Sagan bes ihr zuftehenden Landes be=
raubt wurde; nur Kottbus rettete Johann von Brandenburg
für feine Schwefter. Hinter dem Saganer aber ftand auf der
einen Seite Matthias Corvinus, der von Schlefien aus jeden
Augenblid über die Mark herfallen konnte, auf der anderen ber
Deutſche Orden, der, gegen Polen rüftend, den Markgrafen
durch Rüdforderung der Neumark unliebfamft überrafhte. Im
Lande felbjt aber dauerte die Unzufriedenheit an: die Städte
weigerten Geld und Mannſchaften, des Augenblids gewärtig,
mo ein allgemeiner Zufammenbrud fie von ber fräntifchen
Herrſchaft befreien würde. In diejer Bedrängnis rief Johann
den Vater herbei.
Im Frühjahr 1476 kam Albrecht zum zweitenmal in das
166 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
Land. Die Entfheidung der Waffen zu fuchen, wagte aber
aud er nicht, Tondern nahm feine Zuflucht zu diplomatiſchen
Künften. Judem er von den Städten bie einen durch Zu:
geftänbniffe gewann, konnte er die anderen durch Zwang beugen.
Gern löften fie den ftrittigen Zoll um ein Pauſchquantum ab.
Den jungen Pommernherzog Bogislam X. trennte er von
feinem Friegsluftigen Oheim durch die Ausficht auf die Hand
feiner Nichte Margarethe. Mit Hans von Sagan vermittelten
die Stände des Herzogtums Glogau einen Stillftand. Die
Anerbietungen des Ungarnfönigs dagegen lehnte Albrecht ab,
obgleich fie die Ermerbung Glogaus verhießen. Vielmehr ſchloß
er fi noch enger an deſſen Gegner, indem er die junge Witwe
Barbara Wladislam, dem Sohne des Polenkönigs, verlobte.
Schwer mußte die Mark das büßen. Kaum war Albrecht nad
Franken zurücgefehrt, ald Hans von Sagan und ungarische
Scharen über das Land herfielen, das Johann trog der Hilfe
Bogislams X. bis Frankfurt verwüften fehen mußte. Als
gleichzeitig Matthias Corvinus in Defterreih eindrang und
Ende 1477 den Kaifer zu einem Frieden nötigte, der ihn als
König von Böhmen anerkannte, da blieb aud dem Markgrafen
feine Wahl,. ala durch ſchleunigen Abſchluß eines Stilftandes
weiteres Unheil abzuwenden.
Nun aber ſchlug Wratislam von Pommern los. m erften
Anlauf nahm er Garz, Vierraden, Königsberg in der Neumark
und Arnswalde. Bald ftreiften die Bommern bis Küftrin. Da
hielt ſich auch Bogislaw X. nicht mehr zurüd und nahm Löcknitz.
Kaum wußte Johann, wo zuerft abwehren, helfen, retten. Die
ftäbtifhen Mannſchaften erſchienen nicht und die adligen Lehens—
leute gingen davon, jobald er den Rüden kehrte. Die Zahl
der Feinde aber wuchs: Medlenburg wollte Pommern helfen,
Sachſen fi) auf Koften Brandenburgs vergrößern, ber Deutiche
Orden trat förmlich unter den Schuß des Ungarnfönige. Hans
von Sagan lehnte die Verlängerung des Stillftandes ab, und
binter den Pommernherzögen erhob ſich die Hanja, um die ftädte-
feindlichen Hohenzollern zu demütigen und die Freiheit ihrer mär-
kiſchen Genoffinnen herzuftelen. Alles ftand auf dem Spiel.
Wieder eilte da auf den Hilferuf des ratlofen Sohnes, Ende
II. Die Mark Brandenburg. 167
Juni 1478, Albrecht herbei. Glänzend hat er fi da bewährt.
Sein Verdienft war es, wenn die Mark erhalten, die Zukunft
feines Haufes gerettet wurde. Und nicht diplomatifchen Künften
dankte er diefen größten Erfolg feines Lebens, jondern plan-
vollſtem und thatkräftigjtem militärifchen Handeln. Die Friedens-
anträge der Pommernherzöge, die auf den Wegfall der bran-
denburgiſchen Lehenshoheit Hinausliefen, wies er berb zurüd:
höchſtens wenn er hinter Schloß und Niegel ſäße, meinte er
bitter, hätte man ihm fo ehrenrührige Vorſchläge zu machen
wagen dürfen. Auch die Städte befannen fi auf ihre Pflicht
und bemilligten feine Forderungen, wofür er gern einiges von
dem Verlangten nachließ. Auch der Adel, Johann gegenüber
fo lau und unzuverläffig, ſcharte ſich thatenluftig um den ge—
feierten Kriegshelden. Seit Menſchengedenken war das Land
nicht fo einmütig, noch nie jo kampfgerüſtet geweſen: 14 000 Mann
zu Fuß und 6000 Reiter rüdten ins geld. Und meifterhaft
waltete Albrecht feines Feldherrnamtes. Schnell warf er Pom-
mern nieder. Ohne fih um das vergeblich beftürmte Greifen-
hagen zu kümmern, drang er von der Neumarf aus bis Pyrig
vor und ſchloß dort Herzog Bogislaw ein. Zwar entlam diefer,
mußte fi aber bald danach, am 23. Auguft, in dem Schlofje
Daber ergeben. Gegen Anerkennung des hohenzollernſchen Erb:
rechte, Herausgabe der occupierten Orte und Freilafjung der
Gefangenen erhielt er Frieden. Aber fein Oheim Wratislaw
weigerte die Uebergabe von Garz. Dies galt es fchleunigit zu
bewältigen: denn ſchon hatte auch der Ungarnkönig den Krieg
erflärt und rüftete fih mit Hans von Sagan Pommern zu
helfen. Aber trog jorgjamfter Vorbereitung — die bis in das
Einzelne ausgearbeitete Dispofition Albrechts für diefe Aktion
it erhalten — mißlang der Angriff. Da vermittelte Ende
September Polen einen Stillftand auf neun Monate.
Inzwifchen war Hans von Sagan im Felde erfehienen: feine
ungariſchen Hilfstruppen richteten fi für den Winter in ber
Lauſitz ein und ftreiften von da weithin. Den Winter ver:
brachte Albrecht daher in wachſamer Defenfivftellung, während
Land und Leute den Frieden herbeijehnten. Aber nah dem
Tod Wratislams (13. Dezember 1478) Herr ganz Pommerns,
168 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1599).
wollte Bogislam X. von der Anerkennung der brandenburgifchen
Anſprüche vollends nichts wien. Zudem drohte König Mat:
thias loszuſchlagen, nachdem er fi) (September 1478) mit
Wladislam verftändigt und mit Mähren und Schleſien auch
die Laufig erhalten hatte. Den Kaifer hatte er bereits ge-
demütigt; von dem beutfchen Fürften warben die meiften um
feine Gunft; Sachſen war bereit mit ihm gegen Brandenburg
zu gehen; die Kirche feierte in ihm dem Feldherrn ber Chriften-
heit im Kampf gegen die Türfen: weil er ihm entgegen war,
traf Albrecht die Erfommunifation.
Wohl empfahl manches fih mit dem Ungarnkönig zu ner:
fländigen: Albrecht konnte der beiten Aufnahme bei ihm ſicher
fein. Aber er hätte fein politiſches Syſtem aufgeben, jeine
Vergangenheit verleugnen müflen und dennoch nieht volle Sicher⸗
heit gewonnen. So harrte er aus, während das Land eifrig
weiter rüftete. Zu dem geplanten Angriff auf Stettin zwar
kam es niit, aber 9000 Ungarn, die von Schlefien durch die
Mark dem Orden gegen Polen zu Hilfe ziehen wollten, wurden
gründlich zurückgewieſen. Als dann aber die Türken Ungarn
bedrohten, mußte König Matthias die im Weften verfolgten
Pläne aufgeben und Albrecht hatte von ihm nichts mehr zu
fürdten. Nun machte auch Bogislam X. am 2. Juli 1479
zu Prenzlau Frieden. Garz behielt er zwar, empfing aber
Pommern als Lchen, für das er mit Hand und Mund Vafallen-
treue gelobte. Auch verzichtete Barbara gegen 50 000 Dufaten
auf das Herzogtum Glogau. Als jedoch Matthias anderweitig
darüber verfügen wollte, griff Hans von Sagan zu den Waffen
und bemädhtigte ſich Kroſſens, nahm aber 1485 einen Vergleich
an, nad) dem ber größere Teil des Herzogtums ihm als erb-
liches böhmifches Lehen verblieb, während Krofien, Schwiebus
und Züllihau an Barbara kamen. Daß er dem zuftimmte, 308
Johann des Vaters herben Tadel zu. „Hans ift für ſolche
Fragen,” meinte Albrecht, „noch zu jung: es wäre uns lieber,
er hätte einftweilen wilde Schweine gejagt.” Auch gelang es
1482 duch einen Vertrag zu Camenz, die der Herzogin Bar:
bara um 90000 ungariſche Gulden verpfändeten Gebiete um
Sommerfeld und Bobersberg zu vermehren, freilich unter An:
1. Die Mark Brandenburg. 169
erfennung der ungarifchen Lehenshoheit und des Nechts auf
Wiebereinlöfung durch die Krone Ungarn.
Bald nad; dem Abſchluß mit Pommern und Ungarn war
Albrecht nad) Franken zurüdgeritten. Wohl durfte er ſich des
Erfolges freuen. Ueberall erlitt Deutſchland damals territoriale
Einbuße und mußte fehen, wie Polen und Böhmen, Dänen
und Ungarn, Burgunder und Franzofen fi) auf feine Koften
vergrößerten: gerade an dem gefährbetften Punkte war fein"
Befigftand durch Albrecht, der feine Märker mit ftarfer Hand
zu Pfliätbewußtfein emporriß, glüdlich gewahrt worden. Wenn
je, jo hatte Brandenburg eben damals jeine Beftimmung als
deutſche Mark erfüllt. Aber der langandauernde Kriegszuftand
hatte Zucht und Orbnung gelodert, und auch nad Herftellung
des Friedens bedurfte e8 unnadhfichtiger Strenge, um Fehde
und Raub auszurotten und bie Sicherheit der Landſtraßen
berzuftellen. Andererſeits ſchwand mit der Kriegenot aud bie
Dienitwilligfeit der Stände wieder. Etliche Städte wollten
felbft die Landbede nicht zahlen: auf Johanns Klage verurteilten
fie im Herbft 1480 die Stände zur Zahlung. Unter allerlei
Borwänden jedoch leifteten fie biefe nicht, jondern bemühten
fih erft um Erleichterung, dann um Gewährung einer mehr:
jährigen Frift. Nun meinten aud die übrigen Städte und bie
Ritterſchaft vorläufig nichts zahlen zu müſſen. Da wollte
Albrecht zur Gewalt greifen: ein neuer Stäbtefrieg wäre ent-
brannt, hätte er bei den benachbarten Fürften Hilfe gefunden.
So fam es zu einer Verftändigung, die der Verlegenheit ber
Städte Rechnung trug, aber auch dem Rechte der Landesherr:
ſchaft Genüge leiſtete.
Immerhin ſchädigte dieſer Ausgang das fürſtliche Anſehen.
Die bürgerlihen Gemeinden entzogen ſich der Aufſicht, der
Friedrich II. fie unterftelt Hatte, und Albrecht ließ das ge
ſchehen, wenn fie nur feinen finanziellen Bedürfniſſen einigers
maßen nachkamen. Damit aber ftellte er jelbft das wieder in
Frage, was für die Marken der vornehmfte moraliie Gewinn
aus der Heimfuchung bes Pommernfrieges war, das buch die
gemeinfame Not erwedte Gefühl der Zufammengehörigkeit.
Ja, indem er dem Sonderftreben ber einzelnen Teile Spiel
170 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
raum gab, erſchwerte er die Erreihung des Zieles, in deſſen
Eonjequenter Verfolgung feine Bedeutung vornehmlich beruhte,
die ſtaatliche Zuſammenfaſſung der märkiſchen Gebiete ala der
eigentlichen Bafis für die Zukunft feines Haufes.
Ihr diente das Achilleiſche Hausgefeg vom 24. Februar 1473,
das die Erbfolge im Hohenzollerngefchlecht ordnete. Indem es
gemäß den VBeftimmungen der Goldenen Bulle für die Kurz
-fürftentümer die Unteilbarfeit der märkiſchen Lande und der
an fie fallenden Gebiete ausſprach, ficherte es die Einheit
Brandenburgs, deren Erhaltung, wie die legten Verwidelungen
gezeigt, auch im Intereſſe des Reiches und der deutſchen Kul—
tur lag. Indem Albrecht ferner verfügte,, da die Mark feinem
Erfigeborenen zufallen und in deſſen Haufe ftreng nad dem
Rechte der Erfigeburt vererben follte, verknüpfte er fie unlös-
bar mit der Zukunft feines Geſchlechts, das dort den Schwer:
punkt feines Dafeins finden folte. Die Hohenzollern hörten
auf Fremblinge in der Mark zu fein und gaben ſich ihr end:
lich zu eigen: aus fränkiſchen Fürften wurden fie märkifche.
Doch auch den fränfifhen Befig ſicherte Albreht vor Zer—
fplitterung: er follte in höchſtens zwei Teile auseinanbergehen.
So brad die Dispositio Achillea mit dem privatrechtlichen
Standpunkt, der das fürftlihe Erbrecht in Deutſchland bisher
beherrſchte. Sie zuerft brachte die jener Zeit noch fremde Vor:
ftellung zur Geltung, daß die Herrſchaft über Land umd Leute
nicht behandelt werden dürfe wie ein privater Grundbefig, den
der Vater unter feine Kinder austeilt. Vielmehr offenbart fi
darin bereits die Erkenntnis, daß die öffentliche Gewalt ber
Einheit und einer gewiſſen Fülle des Beſitzes nicht entbehren
Tann, wenn fie anders ihren Beruf erfüllen fol, weil der Staat
ein lebendiger Organismus höherer Ordnung ift und nit auf
dem Wege einfacher Abfpaltung immer neue, ihm gleiche Orga—
nismen erzeugen kann. Die Möglichkeit zum Staat zu werden,
ift Brandenburg erft durch Albrecht gegeben worden.
Zugleich aber übte Albrecht Achill durch diefes Hausgeſetz
unbewußt doch auch eine Kritik an feinem eigenen fürftlichen
Streben, das, nad) entgegengejegten Richtungen auseinander
gehend, der Einheit und darum des rechten Erfolges entbehrt
I. Die Mark Brandenburg. 171
hatte. Durch feine fränkifhen Lande in alle das Reich erfüllende
Wirren gezogen, in engitem Anſchluß an den Kaifer, in dem
er noch immer ben Träger der höchſten Gewalt verehrte, und
fo tiefer als wünſchenswert in die große Politik verflochten,
Hatte er in der Mark zunächſt nur eine finanziell wertvolle
Zugabe zu dem hohenzollernſchen Hausbefig gejehen. Deshalb
Hatte er fie der Obhut feines älteften Sohnes überlaflen, von
deſſen Gaben er feldft nicht Hoch dachte und deſſen Bebräng-
niffe er als felbftverfchuldete gering achtete im Vergleich mit
den eigenen Mühen und Sorgen. Erit während der großen Krifis
der Jahre 1477—1479 Hatte er in ihr das Hauptland jehen
gelernt, auf das die Zukunft feines Haufes gegründet werben
mußte, ſollte fie anders den unberehenbaren Schwankungen
entzogen werben, bie fie während ber legten zwei Menſchenalter
bedroht hatten. Dann erſt konnten die märkiſchen Hohenzollern
ihren eigenen Weg gehen, mit dem Lande verwachſen, in dem
Albrecht ſelbſt ein Fremdling geweſen und geblieben war.
So ift Albrecht Achill denn auch der legte hohenzollernſche
Markgraf von Brandenburg, der, fern von der Mark, in Franken
feine Ruheftätte gefunden bat. Am 11. März 1486 wurde er
in Frankfurt am Main, wo er noch an der Wahl Marimilians
zum römiſchen König teilgenommen hatte, von einem fanften
Tod ereilt. Zn dem Klofter Heilborn, wo fo viele feiner Vor—
fahren ruhen, ift er beflattet worben.
III. Brandenburg im Mebergang zur neueren Zeit
und die erffen märkiſchen Bohengollern
1486—1535.
Iohann Cicero 1486—1499.
mei Menſchenalter hatten die fränkiſchen Hohenzollern in
der Mark gemwaltet. Entſprachen ihre Erfolge den Abfichten, mit
denen fie in das Land gefommen, und ben Erwartungen, die
von ihnen gehegt worden waren?
Die Frage wird im wejentlihen zu verneinen fein. An
Eifer und Hingebung, an Mühe und Sorge hatte es feiner
von ihnen fehlen laſſen. Daß nicht mehr erreicht war, hatte
namentlih der Dualismus verſchuldet, zu dem ihre Politik
durch die Zufammengehörigfeit des alten fränfifhen Haus—
befiges und der Marf verurteilt war. Berlangte diefe zu vollem
Gedeihen Löſung von der Reichspolitik, jo gewann jener Ber
deutung allein durch energifches Eingreifen in fie. Daran find
Friedrich I. und Albrecht geſcheitert. Es ift des letzteren Ver—
dienft, da Abhilfe geihaften zu Haben. Bebeutete die Trennung
der Mark von dem fränfiihen Hausbeſitz doch nichts anderes,
als daß die Hohenzollern, bisher Fremblinge in Brandenburg,
binfort zuerft diefem gehörten.
Tas änderte auch ihr Verhältnis zu Land und Leuten.
Mit Johann wurden die Hohenzollern Märker. Der Gegenjag
ſchwand, in dem fie mit ihren fränfifhen Räten und Dienern
zu den Einheimifchen ftanden. Hatte es doch zumweilen faft den
Anſchein gehabt, als wollten fie fi} bei der Knappheit der
Mittel in ihrer Heimat an dem Wohlftande der Mark erholen.
Das böje Wort von den „Hungerfranfen” hatten Albrehts
IU. Brandenburg im Uebergang zur neueren Seit. 173
fisfaliiche Maßregeln nicht widerlegt. Jetzt gründeten die Hohen:
zollern ihre Zukunft auf die Mark. Freilih wußte dort nun
die ftändifche Oppoſition, daß auch die Mittel der fränfifchen
Hohenzollern nit mehr gegen fie verwendet werden fonnten,
und ftrebte um fo mehr nah Gewinnung größerer Freiheit.
Ihre älteren Rechte hatten die Stände ohnehin im weſentlichen
behauptet: nicht bloß bie legislative Thätigfeit der Markgrafen
war an ihre Zuftimmung gebunden, ſondern aud die gefamte
Steuerverwaltung Bing von ihnen ab, da auch die Einhebung
durch ftändiihe Beamte geſchah. Und nun hatte bie Art, wie
Albrecht den auffägigen Städten gegenüber bei ihnen fein Recht
ſuchte und fand, fie als gleichberechtigten Faktor neben ben
Landesherrn geftellt. So ſah fih Markgraf Johann von inneren
Schwierigkeiten bedrängt, die auch die Geltung Brandenburgs
nach außen minderten. Anwartſchaften, die noch Albrecht glüd-
lid} verteidigt hatte, gingen verloren. Im Reich ſank das An-
fehen der Hohenzollern. Doc wurden fie auch von den Krifen,
die dasfelbe erfütterten, weniger in Mitleidenfchaft gezogen.
Albrechts größter Erfolg war die Behauptung der Lehens-
hoheit über Pommern geweſen. Johann büßte fie ein unter
dem Drud berjelben Kombination, die feinen Water fo ſchwer
bedroht hatte. Daß man ihn 1486 zur Königswahl nit hin=
zugezogen hatte, obgleih aud er — wie der Pole Wladislam
— König von Böhmen hieß, wollte ſchon Matthias von Ungarn
Brandenburg und Sachſen entgelten lafien. Während er Kaifer
Friedrich III. in Oberöfterreih bebrängte, fuchten feine Reiter-
geſchwader die Marf vermüftend heim. Johann war froh, ihn
zu begütigen. Uebler war die Rolle, die er nad) Matthias’
Tode fpielte. Recht that er, wenn er feiner ſächſiſchen Gemahlin
Margarete Erbrecht auf Ungarn nicht verfolgte: für die Hohen—
zollern war dort nichts zu gewinnen. Aber indem er das Ver:
löbnis feiner Tochter Barbara, der verwitweten Herzogin von
Glogau, mit Wladislam, dem polnifhen Böhmenfönig, daran
gab, um diefem die Ehe mit Matthias’ Witwe zu ermöglichen
und jo den Weg aud zum ungariihen Thron zu bahnen, be=
günftigte er, was er um jeden Preis zu hindern ſuchen mußte:
Ungarn und Böhmen waren in einer Hand. Trug Wladislam
174 Erſtes Bud. Die Elemente deö preußifhen Staates (bis 1598.)
dann einft noch die polniſche Krone, jo konnte das Brandenburgs
und Deutjchlands Verhängnis werden. Wohl fuchte Johann
fih mit Wladislaw gut zu fielen. Auch machte ihm dieſer
einige Zugeftändniffe. Indem er auf den Rückkauf von Kroſſen,
Zülihau und Sommerfeld verzichtete und Johann an der Er-
werbung von Zofien nicht zu hindern verſprach, wurde ein alter
Streitpunft bejeitigt und die bejorgliche Geftaltung der Dinge
im Süboften den Hohenzollern wenigſtens erträglih gemacht.
Als aber ſpäter Wladislam nah Verftoßung feiner Finderlos
gebliebenen Gemahlin Johanns Tochter ehelichen wollte, in der
Hoffnung, durd die Geburt eines Eohnes den Anfall Böhmens
an Friedrich IH. abzuwenden, da genügte. des Iegteren Ein—
ſpruch, um den Markgrafen zu einem Verzicht auf diefen Plan
zu beftimmen. Denn wie fein Vater, jo konnte auch Johann
fi vom Haufe Habsburg nicht losmachen und erfuhr wie jener
deffen Undank — zunädft in Pommern.
Dort hatte feit dem Prenzlauer Vertrage vom 2. Juli 1479
Herzog Bogislam X. die fürftlihe Autorität auf Koften der:
ſtändiſchen Selbftherrlichkeit befeftigt und erweitert. Doch wuchs
aud die alte Abneigung gegen Brandenburg, zumal bei ber
Unfruchtbarkeit von Bogislams Ehe mit Margarete, Fried:
richs II. Toter, der Heimfal des Landes an die Hohenzollern
drohte. Da ftarb Margarete 1489, und ber Herzog vermählte
fi) mit der polnifhen Königstochter Sophie: die Söhne, die
fie ihm ſchenkte, fiherten auf Generationen ben Beftand feines
Geſchlechts. Um fo mehr eritrebte Bogislam die Aufhebung der
brandenburgifhen Lehenshoheit, und nicht bloß Polen, jondern
aud König Marimilian leiftete dem Vorſchub, indem er, wie
gelegentlich jhon fein Vater (S. 159), die Reichsunmittelbar—
teit Pommerns behauptete. Diefem zwiefahen Drud mußte
Johann nachgeben. Im Februar 1492 tagten Bevollmächtigte
beider Teile zu Königsberg in ber Neumarf. Polens und des
römiſchen Königs fiher, wollten die Pommern es auf Gemalt
anfommen laſſen, zumal bei dem Reichtum ihres Landes an
natürlichen Verteidigungsmitteln und feften Städten ein Anz
griff kaum glüden fonnte. Auch hatte Johann die märkiſche
Ritterſchaft und einen Teil der ſtädtiſchen Mannſchaften Herzog
III. Brandenburg im Uebergang zur neueren Seit. 175
Heinrich dem Nelteren von Braunſchweig gegen feine Haupt:
ftadt zu Hilfe geſchickt. Für den Verzicht auf die ftrittige Lehens-
hoheit aber bot Bogislam Anerkennung des hohenzollernſchen
Nachfolgerehts beim Erlöfchen feines Haufes. Nach längerem
Zögern ging Johann darauf ein: im März 1493 erfolgte der
Abſchluß.
Gewiß minderte das die brandenburgiſche Macht. Aber
es war doch auch ein Gewinn, daß an der Nordgrenze der
Mark endlich ein zuverläſſiger Friedenszuſtand Platz griff. Zu—
dem verpflichteten ſich beide Teile einander gegen aufrühreriſche
Unterthanen Waffenhilfe zu leiſten. Gerade das war für Jo:
hann von Bedeutung: nun erit durfte er hoffen, die märkiſchen
Städte zu bewältigen. Er hatte die Demütigungen nicht ver
geflen, die fie ihm noch als Vertreter bes Vaters bereitet hatten.
Die Verfügung über ihre finanziellen und militäriſchen Mittel
zu gewinnen, that um jo mehr not, als unter Albrecht auch der
Adel wieder unabhängiger geworden war. Beanſpruchten doch
viele Schlofherren das Recht des Geleits ber ſtädtiſchen Waren—
züge durch ihr Gebiet, ja jogar das der Selbfthilfe und ber
Fehde, und gewährten landflüchtigen Verbrehern aus den Nach—
bargebieten Schuß und Hilfe. Bereits 1482 hatte Johann des—
halb namentli in der Priegnig ein ftrenges Strafgericht ge:
halten, indem er eine Anzahl von Raubburgen brad und etliche
Wegelagerer auffnüpfte. Dauernde Abhilfe aber war doch nur
in Gemeinjhaft mit den benachbarten Fürften zu ſchaffen. Wie
einft Friedrich I. ſchloß Johann deshalb nicht bloß mit dem
Erzbifhof von Magdeburg, mit Heflen und Sachſen, fondern
auch mit Lüneburg, Ungarn und Pommern Verträge, melde
die landfriedensbrecheriſchen Adligen des bequemen ausländifchen
Nüchalts beraubten. Dennoch jtanden gegen die Städte Adel
und Geiftlicfeit mit dem Landesherrn zujammen, ſchon aus
finanziellem Interefje, weil die Umlage der dem Landesherrn
bewilligten Steuern im wejentlihen von ihnen abhing und daher
meiftens zum Nachteil der Städte ausfiel.
Diefes Verhältnis offenbarte fih von neuem, ala im
Februar 1488 die Stände auf einem Landtage zu Berlin dem
Markgrafen die Bierziefe, die unter Albrecht jo heiß umftritten
176 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bi 1598).
war, auf fieben Jahre bemilligten. Bon jeder Tonne Bier
ſollten die Städte zwölf Pfennige erheben, aber nur ein Drittel
des Ertrages behalten und auf ihre Befeftigungen verwenden.
Die Städte der Altmark widerſprachen, obenan Stendal, wo
eine Erhebung der Gewerke den Widerftand der Gemäßigten
niederſchlug. Aehnliches gefhah in anderen altmärkiſchen
Städten. Als aber Johann zu gemwaffnetem Einfchreiten rüftete,
Tieß man es nirgends auf einen Kampf anfommen. Am 25. März
unterwarf fih Tangermünde, mußte die Bierziefe gleih für
vierzehn Jahre zufagen und büßte die freie Ratswahl ein. In
Stendal endeten einige von den Leitern der Bewegung unter
dem Schwert des Henfers; von der erhöhten und gleich vier=
sehn Jahre zu zahlenden Abgabe büßte die Stadt ihr Drittel
ein; Münzreht und Gerichtsbarkeit wurden ihr genommen.
Knieend mußte bie Bürgerfhaft Johann huldigen. Aehnlich er=
ging es dann den übrigen altmärkiſchen Städten. Die Adligen
wurden für die Verlufte reichlich entſchädigt, die ihmen die
Streifzüge der Aufftändijchen bereitet hatten. Dennoch erneute
fi der Widerftand, als 1495 nah Ablauf ber fieben Jahre,
für welde die Bierziefe bewilligt war, die Stände die Be:
willigung für bie gleiche Zeit wiederholten. Namentlich Frank:
furt mußte erft durch Strenge zur Fügſamkeit gezwungen werben.
Im allgemeinen waren die Gegner der Bierziefe die nie—
deren Stände, die Gewerke, gewejen, während, wie das Bei-
ſpiel Stendals zeigt, die ſtädtiſche Ariftofratie ber Geſchlechter
fi fügen wollte. Daher war der Ausgang bes Streites zu:
glei ein Sieg der legteren und hatte innerhalb der Städte
eine ariftofratifhe Reaktion zur Folge. Ihre Träger fuchten
gegen die murrenden niederen Stände einen Rüdhalt bei dem
Landesherrn. Damit ſchwand der alte Bürgerfinn, und erftaun:
lich ſchnell gewöhnte man fi daran, alles Heil von der Obrig-
feit zu erwarten. Dazu bewirkten die großen wirtſchaftlichen
Wandlungen tiefgreifende Aenderungen in der Verteilung von
Armut und Reichtum. Der Rückgang der Hanfa zog die mär—
tiſchen Städte in Mitleidenfhaft. Die ländliche Bevölkerung
fing ‘an fi wirtſchaftlich von ber ftädtifchen zu emanzipieren.
Das beförderte Johann, indem er von dem Landtage den
II. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit. 177
Bauern das Recht zuerfennen ließ, ihr Getreide in den Städten
ftatt wie bisher zu dem von dem Rate normierten, zu bem
von ihnen feftgefegten Preiſe feil zu bieten. Auch fonft er
laubte er fich jeßt manchen Eingriff in die inneren Angelegen-
heiten der Städte: die freiere Verfügung über ihre Mittel aber
madte ihn auch unabhängiger von den Ständen überhaupt.
So wurden 3. B. binfort die Steuern von fürftlihen Ein-
nehmern verwaltet und den Ständen blieb nur das Recht der
Kontrolle.
Um dieſe Anfänge ftrafferer ftaatliher Ordnung konſe—
quent weiter zu entwideln, hätte es aber einer Fraftvollen
organiſatoriſchen Jnitiative bedurft: dieſe fehlte Johann. Einen
Cicero hat man ihn genannt — zutreffend doch höchſtens in—
fofern, als er mehr ein Mann des Wortes als der That war.
Damals mußten die Marken, jolten fie gebeihen, von ihrem
Regenten etwas anderes verlangen als ben fchöngeiftigen Kul-
tus des Humanismus. Denn in einem fo armen und in feiner
Gefamtentwidelung nod jo wenig vorgeſchrittenen Lande blieb
diejer immer nur ein Firnis. Wurde doch die Univerfität zu
Frankfurt an der Oder, durd die Johann dem Humanismus
eine Stätte zu bereiten dachte, als fie unter feinem Nad-
folger ins Leben trat, vielmehr eine Hochburg der katholiſchen
Orthoborie, beftimmt, ben befreienden Geift der neuen Zeit
fern zu halten. Zu den großen originalen Geiftern gehörte
Johann nit. Ihm fehlten der weite Blid, die Gabe um:
faſſender Kombination, die geiftige Beweglichkeit und die Energie
des Handelns, die feinem Vater und Großvater eigen geweſen,
aber aud die zähe Ausdauer, mit ber fein Oheim Friedrich IL.
ähnlich ſchwierigen Verhältnifien doch noch bedeutende Erfolge
abgerungen hatte. So ging die Regierung des erften märkifchen
Hohenzollern nicht eben glänzend zu Ende. Bon den Vorteilen,
welche die Löjung von Franken verheißen hatte, war kaum
einer verwirklicht. Im Inneren war eine Zoderung eingetreten,
die eine weitere Auflöfung befürchten ließ. Eine feite Hand
that not, ſollten die miteinander in Widerftreit geratenen
Kräfte zu gemeinfamem Streben nad einem Ziel zufammen-
gefaßt werden.
Prutz, Preußifhe Geihihte I. 12
178 Erſtes Bud. Die Elemente bes preußiſchen Staates (bis 1598).
Yoahim I. 1499—1535.
Gerade das aber ſchien am menigiten zu erwarten, als
Johann am 9. Januar 1499 zu Arneburg ftarb und in dem
Klofter Lehnin beigejegt wurde, um fpäter in den von ihm
errichteten Dom zu Köln an der Spree überführt zu werben.
Denn fein Erbe Joachim I. war noch nicht fünfzehn, deſſen
jüngerer Bruder Albreht gar erit zehn Jahre alt. Die vor:
mundſchaftliche Regierung, die nötig ſchien, hätte Joachims
Oheim, Friedrich von Ansbach, gebührt. Als eifrigen Anhänger
Kaiſer Marimilians aber wollten die Reichsfürften ihm nicht
zu einer Stellung fommen laffen, in ber er ihren Reform—
beftrebungen vollends hinderlich werden konnte. So wurde ihm
nur die Führung der brandenburgifhen Kurftimme bis zu Jo—
achims achtzehntem Jahre, die Regierung diefem übertragen.
Den märkiſchen Ständen fonnte nichts Erwünſchteres geſchehen:
nun hofften fie volle Unabhängigkeit zu gewinnen.
Eine arge Enttäufhung ftand ihnen bevor. Noch nie war
in der Mark der Begriff der Herrſchaft jo weit gefaßt, noch
nie jo konſequent daraus die ftaatlihe Praris in Verwaltung
und Gefeggebung abgeleitet worden. Ein Geift ftrenger Orb:
nung und Sachlichkeit faßte den zerbrödelnden Staat durch
die überlegene Kraft eines eiſernen Willens zu neuer Gemein:
ihaft zufammen. Dabei entbehrte Joachims I. Walten nit
eines volfstümlichen Zuges. Sol ihm doch der Vater, in Er:
fenntnis ber eigenen Fehler, beſonders empfohlen haben, den
Adel kurz zu halten und an Bedrüdung der Unterthanen zu
hindern. Joachim verglich den Staat dem menſchlichen Körper:
die Bauern entſprächen den Füßen, die Bürger dem Herzen
und die Edelleute dem Kopf, das Gedeihen des Ganzen aber
hinge ab von der Gejundheit des Herzens. Sie zu ſchaffen
und zu erhalten, war er bejonders bemüht: feinem ganzen
Regiment gibt das ein ausgeſprochen bürgerliches Gepräge. Er
veradhtete den Prunf, in dem feine Mitfürften fih gefielen,
und das phantajtifhe ritterlihe Treiben, das Marimilian in
Mode gebracht hatte. Selbit den Charakter feiner auswärtigen
IN. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit, 179
Politik hat das beftimmt. Seinem hausbadenen Sinn, der bei
allem, was er unternahm, erft den Gewinn berechnete, wider:
firebte der Zug ins Abenteuerliche, den Marimilian in die
Reichspolitik brachte. Faſt demonftrativ hielt er ſich davon fern.
Ein etwas fchwerfäliger, gelehrter Herr, ein Bücherfreund und
eifriger Aftrologe, blidte er auf die geiftig minder gut Aus-
gerüfteten mit Geringihägung herab. Wenn er dennoch im
Reihe etwas galt und mehrfah den Ausſchlag gab, jo dankte
er das dem Einfluß, den fein Haus eben damals durch eine
Reihe von glüdlihen Fügungen gewann.
Sein Bruder Albrecht, der in den geiftlihen Stand trat,
wurde 1513 Erzbiſchof von Magdeburg und Biſchof von Halber-
ſtadt, 1514 Erzbifchof von Mainz und Erzfanzler. Das fteigerte
die Geltung der Hohenzollern ſowohl in ber Reichs- wie in
der allgemeinen Politik, freilich au die Feindfchaft der Wet:
tiner und ber Wittelsbacher. Denn diefe hatten um den Mainzer,
jene um den Magdeburger Stuhl geworben. Dem Markgrafen
Friedrich, Joachims fränkifhem Oheim, der dort den ganzen
Hausbefig im feiner Hand vereinigte, verdanften die Hohen-
zollern wichtige verwandtichaftliche Verbindungen. Durch feine
Gemahlin Sophie Schwager Wladislams von Ungarn und
Böhmen und Siegismunds von Polen, hatte der betriebfame
Fürft, deffen reicher Kinderfegen und kriegeriſche Neigungen
mit feinen beſchränkten Mitteln wenig ftimmten, feinen zweiten
Sehn Georg am ungarifhen Hof fein Glück verfuchen laſſen;
dur die Ehe mit Matthias Corvinus’ Schweiter bradte er
es au zu Anjehen und Einfluß. Und ein Bruder Georgs,
Albrecht, fand die geſuchte jtandesgemäße Verforgung, als ihn
der hartbedrängte Deutſche Orden um feiner jagellonifchen Ver—
wandtihaft willen zum Meifter wählte. Deshalb wünſchte auch
Marimilian ein gutes Verhältnis zu den Hohenzollern und fah
es Joachim I. Hug nad, daß er fich feinem Werben um thätige
Beihilfe verfagte.
Für die Mark war das ein Glüd: fie gewann jo Ruhe,
um fic) zu erholen, zu Eonjolidieren und zu organifieren. Hier
liegt Joahims Verdienft. Weber Diplomat noch Krieger, hatte
er troß der Verſchloſſenheit feines unfcheinbaren Weſens etwas
180 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
vom Organifator, mochte ihm auch der eigentlich ſchöpferiſche
Zug abgehen. Er war mehr zu dem beihaulichen Leben des
Gelehrten beftimmt als zu dem verantmortungsvollen Fürften:
amte. Daraus entjpringt ber ernfte und trübe, nicht felten
finftere Zug, der ihm anhaftete. Er war weniger ber Mann
friſch zugreifenden Handelns als des geſchriebenen Wortes und
liebte es, ſelbſt auf die realjten Verhältniſſe bezügliche Ver:
fügungen mit — oft wenig glüdlih gewählten — klaſſiſchen
Citaten aus allgemeinen Sägen herzuleiten und theoretifch zu
begründen. Das meinte Sabinus, wenn er ihm nachrühmte,
er habe die Philofophie aus dem Staube der Schule in die
Praxis des Staatslebens hinübergeleitet. Wie mußte auf einen
folgen Mann die Reformation wirken, welde die gläubig über-
fommenen Grundlagen jeines ganzen geiftigen und fittlichen
Dafeins in Frage ſtellte! Je mehr er fühne Entſchlüſſe und
große Wagniffe ablehnte, um fo tiefer erbitterte ihn der Abs
fall fo vieler von dem, was feinem von feinem humaniſtiſchen
Zweifel angefränfelten Denken unantaftbar heilig war. Sein
finfter verſchloſſener Ernft wurde zu rückſichtsloſer Unduldſam⸗
keit und gemwaltthätigem Fanatismus.
Im Gegenjag zu feinen Vorgängern hat man Joachim I.
wohl als Städtefreund bezeichnet: mit Unrecht, wenn Stäbte-
freundſchaft fi äußert in Begünftigung der bürgerlichen Selbft:
regierung oder gar bes Aufitrebens ber niederen Stände. Piel:
mehr brachte Joachim durch feine Städteordnung vom 18. Juli
1515 die landesherrlihen Rechte den Städten gegenüber erft recht
zur Geltung. Ihr verdanken die märkifhen Städte, daß fie
vor den Stürmen bewahrt blieben, welche die Nachbargebiete
in der Folgezeit heimſuchten. Auch hier wurde aus dem Be:
griff der Obrigkeit eine bis ins Kleinfte eindringende ftaatliche
Auffiht abgeleitet; die Gewerke blieben vom Stadtregiment
ausgefhloffen: Teugnete doch Cicero den Beruf des niederen
Volkes zur Uebung ftaatliher Autorität. Wohl aber hielt
Joachim die im Rate figenden Patrizier zu gemilienhafter
Pfichterfülung an. Den Aemtern, die zu beffeiden fie als ein
Net ihres Standes beanſpruchten, durften fie fih nun auch
nicht entziehen, wenn bamit ihnen unbequeme Laften verbunden
Ill. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit. 181
waren: fie wurden zur Nebernahme gezwungen. In den ſtädtiſchen
Finanzen mußte peinlihe Ordnung herrihen. Dazu wurde
entweder bem Rate eine Vertretung der Vürgerfchaft beigefellt
ober ber abtretende Rat mußte dem neu gewählten Rechnung
legen. Auch fteuerte Joahim der Verſchwendung, die in den
bürgerlichen Kreifen eingerifjen war und den Gegenjag zwiſchen
arm und reich gefährlich verſchärfte. Der allgemeinen Wohl-
fahrt willen wollte er auch den einzelnen Bürger zur Beſſerung
feines Vermögensftandes anhalten: deshalb wurde das Beleihen
ſtädtiſcher Grundftüde verboten, der Verkauf erſchwert und die
rechtzeitige Wieberbefegung verlafjener angeorbnet. Innerhalb
diefer Schranken aber erfreuten fi) die märkiſchen Städte voller
Sreiheit: To haben fie, ohne daß Joahim hindernd eingriff,
unvermerft der Reformation eine Stätte bereiten können.
So hat JZoahim das märfifhe Städtewejen an eine feite
Norm gebunden: die DVertreter der Bürgerfchaften wurden
Organe bes landesherrlihen Regiments. Als folhen übertrug
Joachim ihnen nicht jelten aud die Gerichtsbarkeit, mit Aus-
ſchluß natürlich des Adels, feiner Hofleute und Beamten unter
Vorbehalt feines beifernden Eingreifens, während er unnüge
Appellationen von ihrem Sprud an fein Gericht mit Strafe
bedrohte. Auch die Sorge für die Wehrhaftigkeit der Städte
vertraute er den Räten an, die dazu befondere „Mufterer“ zu
beftellen und zu bejolden hatten. Auch für die Sicherheit des
Verkehrs folten die Städte zunächſt felbft forgen, um nicht
gegen jeden wegelagernden Edelmann erft die Hilfe des Landes»
herrn anrufen zu müſſen. Sonft wollte Joachim die Privilegien
des Adels erhalten jehen. Namentlich duldete er feine Min-
derung ber gutöherrlichen Rechte durch die Bauern, ſchützte dieſe
freilich auch gegen unrechte Gewalt, Meinte er doch als Fürft
von Gott zum oberjten Hüter alles Rechts beftellt zu fein, bei
dem auch der Niedrigfte Schuß zu finden ficher fein müfle. Aber
nicht in patriarhaliihem Sinn that er das: ihn erfülte die
römifcherechtlihe Anſchauung, die in dem Herrſcher die Duelle
alles Rechts und jeden Geſetzes fah.
Hier entiprang feine bedeutendfte Schöpfung, das Kammer⸗
gericht. Handelte es fi) dabei aud) nur um die Neugeftaltung
182 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (His 1598).
und Erweiterung eines bereit beftehenden Inftituts, fo ift doch
deſſen fernere Entwidelung in den neuen Formen und unter
den neuen Bedingungen für die Ausbildung der landesherr:
lichen Gerechtſame und bie ftaatlihe Organifation der Marfen
von ber größten Bedeutung geworden. Durch die Anerfennung
des marfgräflichen Gerichts als desjenigen, an das alle Märker
fi) wenden fonnten, wenn fie bei dem für fie zunächſt zuftändigen
geiftliden, adligen ober ftädtifden Gericht ihr Recht nicht
fanden, hatte bereits Friedrich II. die einheitlichere Geftaltung
der Rechtspflege angebahnt (S. 153). Unter dem wachſenden
Einfluß des römijhen Rechts, das jeit 1515 auf Grund päpft:
licher Erlaubnis auch an der Frankfurter Univerfität gelehrt
wurde, leitete Joachim, beraten von dem gefeierten Leipziger
Juriſten Wolfgang Kettwich, der 1506 Rektor zu Bologna ge—
wejen war und nun in feine Dienfte trat, um fpäter als
Kanzler der Träger der gejamten Regierung zu werden, eine
weitere Reform des Gerihtsmejens ein. Während das alte
Kammergericht, im deutſchen Rechte wurzelnd, ein Volksgericht
mit ungelehrten Beifigern gemefen war, das unter dem Bor:
fit des Markgrafen oder des von ihm beftellten Vertreters ge-
urteilt hatte, plante er jegt im Einflange mit ber Entwidelung
des deutſchen Gerichtsweſens überhaupt ein Kollegium von ges
Iehrten, für ihren Beruf vorgebildeten Richtern, drang damit
aber nicht dur. Gegen den im März 1516 fertiggeftellten
Entwurf, der allein die Prälaten und ihre Leute dem neuen
Gericht nicht unterftellte, erhob fi gerade von diefer Seite
Widerſpruch, aus Furt, ein Gericht, von deſſen zwölf Bei:
figern acht dur die Stände und nur vier fowie der Vor-
figende durd den Markgrafen ernannt werden follten, könnte
zu einem Organe ber fürftliden Wilfür werden; der Markgraf
folte nicht daran teilnehmen dürfen und in jedem Falle an
den Spruch der Mehrheit gebunden fein, aud) die Berufung an
das Reichefammergericht freiftehen. Eine Verftändigung und eine
förmliche Publikation des Entwurfs hat wohl nicht ftattgefunden.
Doch ift das neue Kammergericht auch jo in Wirkſamkeit ge
treten, zunächſt freilich nur als ein fubfidiäres oder fakultatives,
an das fih, wenn es alle Vierteljahre in Tangermünde zu:
III. Brandenburg im Uebergang zur neueren Zeit. 183
fammentrat, diejenigen wandten, bie anderwärts fein Recht
fanden, während die einem anderen Gerichte nicht unterworfenen
Adligen überhaupt vor ihm ihren Gerihtsftand hatten. Da
fi nun ber legteren Zahl dauernd vermehrte, da der Marl:
graf immer mehr Adlige von den ordentlichen Hof: und Land»
gerihten ausnahm, von der erfteren Freiheit aber in immer
weiteren Kreifen Gebrauch gemacht wurde, jo wuchs fein Ge—
ſchäftskreis ſchnell, und in demſelben Maße fteigerte ſich feine
Autorität, obgleich es der ftändifchen Anerfennung noch ent:
behrte und auch eine Mitwirkung der Stände bei der Ernennung
der Beifiger nicht erfennbar iſt. Auch überzeugte man ſich bald
von der Meberlegenheit diefer gelehrten Richter über die fonft
urteilenden ungelehrten. Den Charakter eines in höherer oder
letzter Inftanz urteilenden Obergerichts aber hatte das Kammer:
gericht in jener Zeit noch nicht, vielmehr unterftanden ihm zu:
nächſt nur die Sachen, in denen nad) altem Herfommen ber
Landesherr als oberfter Richter perfönlich in erfter und legter
Inſtanz zu urteilen hatte. Aber eben das verlieh ihm einen
gewiſſen volfsfreundlihen Charakter, zumal neben dem die
Intereſſen des Staates wahrnehmenden Generalfisfal zur Ver:
tretung der Parteien vier Profuratoren und etliche Anwälte
beftellt waren, von denen einer aus öffentlihen Mitteln be—
foldet wurde, um die Prozefje der Armen unentgeltlich zu
führen. Erſt die Thätigfeit eines folden ſtändigen Gerichte
von gelehrten Berufsrichtern ermöglichte die Weiterbildung bes
Rechts duch Aufftellung beftimmter, für alle ähnlichen Fälle
geltender Rechtsgrundſätze. So fette hier die Entftehung
eines einheitlichen märkiſchen Landrechts ein: bereits 1527
konnte in der Joadimica das bis in unfere Tage in der Mark
geltende eheliche Erb: und Güterrecht gefeglich feftgelegt werden.
Damit that Brandenburg einen großen Schritt vorwärts
in der Entwidelung zum Staat. Namentlih dem Adel gegen:
über gewann die landesfürftlihe Gewalt. Für Selbjthilfe blieb
fein Raum: das ritterliche Fehdewejen hatte ein Ende. Das
aber bedeutete auch eine foziale Ummälzung. Daß die davon
Betroffenen diefe abzuwehren fuchten, veranlaßte einen legten
Ausbruch der alten ritterlihen Unfitte. Auch die Weberlieferung
184 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
ift davon beeinflußt: fie hat Joachim I. in dem Maße zum
Adelsfeind gemacht, daß fie ihm Graujamfeiten andidtete, die
hiſtoriſch unerwieſen find. Joachim felbft hat bereits üblen
Nachreben der Art entgegentreten müffen. Die lügnerifchen Aus:
fireuungen feiner Gegner zu widerlegen, gab er in einem aus—
führliden Schreiben vom 14. Februar 1504 feinem Oheim
Friedrich von Ansbach wahrheitägetreuen Bericht von dem Ge—
ſchehenen. Uebel habe es zu Beginn feiner Regierung um den
Sandfrieven geftanden. Auch feine wiederholten Strafan-
drohungen hätten feinen Eindrud gemadt. Dennoch habe er
etliden Herren, die außer Landes geflohen, auf Fürbitten
ihrer Verwandten die Heimkehr erlaubt, nachdem fie einen
Teil ihres Raubes herausgegeben. Bald aber habe das alte
Spiel wieder begonnen: nicht bloß die Städte feien dadurch
geſchädigt worden, ſondern auch die benachbarten Fürften ; Herzog
Georg von Sachſen und andere hätten Abhilfe verlangt. Da
babe er einige von den Schuldigen richten laſſen. Durch deren
Geftändnifje fompromittiert, feien andere geflüchtet und hätten
feine Kaufleute ausgeraubt, ja ihn jelbft frech) verhöhnt, indem
fie etlihen Gefangenen die rechte Hand abhieben und durch
einen derjelben ihm förmlich abjagten. Da habe er endlich den
Hauptfig der Raubgejellen, das fefte Buchholz, erftürmen laſſen;
auch fei ein Teil des Naubes dort vorgefunden worden, während
die Schuldigen felbft entkamen. So drüdte er denn aud ein
Auge zu, wenn die Städte, die ſich gegen jolhe Feinde felbft
helfen follten, darin gelegentlich zu weit gingen, und die Frank:
furter blieben unbehelligt, als fie einen Naubritter, Hans
Bomftorf geheißen, dingfeft machten und enthaupten ließen.
Solche Konflifte waren unvermeidlih in dem Entſcheidungs—
tampf zwifchen dem untergehenden ſtändiſchen Staat des Mittel:
alters und dem ſich allmählich geftaltenden neuen Obrigfeits=
ftaat. Daß er des letzteren nicht eben genialer, aber konſe—
quenter Vertreter war, darin liegt die Bedeutung Joachims I.
Noch eine andere Epifode aus feiner Regierung hat die
Ueberlieferung in ein faljches Licht gerüdt. Im der Sorge für
Handel und Verkehr, der die Einführung einheitlihen Maßes
und Gewichts ſowie allerlei marktpolizeiliche Verordnungen ent⸗
III. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit. 185
fprangen, nahm Joachim fi) auch der Juden an, bie unter
den noch unentwidelten Verhältnifien jener Zeit bejonderen
Nugen ftifteten. Aber nicht umfonft hatte in der erften Hälfte
des 15. Jahrhunderts die Kirche, um die durch den Huffitis-
mus erneute Anfechtung ihres reihen Befiges abzulenken, bie
Menge gegen die Juden gehegt. Auch aus der Mark waren
fie 1446 durch Friedrich II. vertrieben, der an ihnen fein In—
terefje mehr hatte, da die einft in die marfgräfliche Kaſſe fließen-
den Einnahmen aus dem Judenſchutzgeld u. a. längft an bie
Städte gelommen waren. Aber fehon 1447 hatte er reihen
Juden gegen entſprechende Zahlung wieber Aufenthalt gewährt,
und da die Erlaubnis dazu alle drei Jahre von neuem erfauft
werden mußte, fic jo eine bedeutende Einnahmequelle erichloffen.
Deshalb war es ſchon unter Johann namentlih in den alt=
märfifhen Städten zu antifemitifchen Ausſchreitungen gelommen,
hier und da gar das Verlangen nad Ausweifung der Juden
erhoben worden. Denn gern hätte mancher adlige Herr ſich
auf diefe bequeme Art feiner jüdifhen Gläubiger entledigt.
Dennoch erneute Joachim am 10. Dezember 1509 den Juden
in den Städten des Havellandes, der Altmark und der Priegnig
ihre Schugbriefe. Da kam im Februar 1510 aus der Gegend
von Nauen die Kunde von einem Monftrangdiebftahl. Bald
follte die Entweihung einer Hoftie durch jüdiſche Frevler er-
wieſen fein. Unter dem Drud der erregten öffentlichen Meinung
mußte Joachim den Brandenburger Rat mit der Unterſuchung
beauftragen. Mit Hilfe der Folter waren die Angeklagten
natürlich bald überführt, und 39 Juden wurden verbrannt,
ihre Glaubensgenoſſen aber jämtlid des Landes verwiefen.
Hier wi Joahim augenjcheinlih der vereinigten Oppofition
des Adels und der Städte. Wo er es bloß mit einem von
beiden Teilen zu thun hatte, war der Ausgang ein anderer,
zumal die Städte dankbar die mancherlei Vorteile erfannten,
bie ihnen die neue Ordnung gewährte. Selbit die Bierzieje
bat Joachim ohne Schwierigfeit weiter bewilligt erhalten gegen
das Verſprechen, fie mit allen fonftigen Zumutungen ähnlicher
Art zu verfhonen. Nur noch zur Ausftattung einer Prinzeffin,
zum Empfang ber Belehnung durch den Kaiſer, zur Landes:
186 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
verteidigung und zur Leiftung des dem Reiche ſchuldigen Dienftes
ſollten die Städte finanziell herangezogen werben dürfen.
Große Gefichtspuntte und neue Jdeen waren Joachim I.
fremd. Aber mit praftifhem Sinn und ausharrender Stetig-
keit hat er im Innern doch Bedeutendes erreicht. Uebler ge—
ftaltete fi die auswärtige Politif unter dem Einfluß feiner
am Kleinen haftenden und von augenblidlihem Gewinn an—
gezogenen Geiltesart. Was Brandenburg unter ihm an Gebiet
zuwuchs, entftammte Anfprüchen, die bereits feine Vorgänger
erworben hatten. Aus dem Erbe der Herzogin-Witwe Barbara
von Glogau erhielt er 1515 Kroffen und Züllihau, und 1524
wurde nad) dem Ausfterben der Grafen von Lindow die Graf-
ſchaft Ruppin als erledigtes Zehen eingezogen. In den großen
Fragen der Zeit aber kam Joachim bei feiner engen und främer-
haften Auffaffung nicht zur Freiheit zielbewußten Handelns.
Als fein Vetter Albrecht, 1511 zum Meifter des Deutſchen
Ordens gewählt, zur Abfchüttelung der polniſchen Lehenshoheit
rüftete, nötigte ihn Joachim 1517 auf das dem Orden ge—
wahrte Recht zum Rückkauf der Neumark zu verzichten. Aber
den jhönen Worten, mit denen er benjelben auf feine und
anderer Reichsfürſten Hilfe vertröftete, folgte feine That. Denn
daß er den deutichen Hilfsvölfern des Ordens den Weg durch die
Neumark freigab, wollte doch wenig bedeuten. Wohl aber zog
es ihm die Feindſchaft Polens zu, das ihn als geheimen Förderer
des Ordens anflagte. Thatjähli dachte Joachim nicht daran,
beruhigte ſich vielmehr allzuleicht bei der Entſcheidung, die der
Eigennug Marimiliansg auch dort im Intereſſe bes Haufes
Habsburg herbeiführte, indem er eine deutſche Kolonie, die
noch unzählige Fäden mit dem Mutterlande verknüpften, aus
ihrer natürlihen Verbindung riß und Polen überlieferte.
Dod fehlte auch Joachim I. nicht ganz die Neigung zu
weit ausgreifenden Projekten, die dem Großvater und Urgroß-
vater eigen geweſen, nur daß er, in höherem Maße noch als
jene, ftatt auf dem Wege fühnen Handelns auf dem der künſtlich
fombinierenden Intrigue fein Ziel zu erreichen dachte. Auch
fehrt bei ihm der Gedanke wieder an die Errichtung eines
norddeutſchen Staates an ben Ufern der Dftjee. Obgleich er
II. Brandenburg im Uebergang zur neueren Zeit. 187
den Erbvertrag mit Pommern von 1493 noch 1501 erneut
Hatte, forderte er 1523 nad) dem Tod Bogislams X. von defien
Söhnen, den Herzögen Georg und Barnim X., Anerkennung
der Lehenshoheit: fie follte ihm zu Größerem den Weg bahnen.
Als Gemahl Elifabeths, der Tochter König Johanns von Däne-
mark, die er 1502 als fiebzehnjähriges Mädchen heimgeführt
hatte, wurde er von ben nordiſchen Verwidelungen berührt.
Aber vergeblich hatte fein Schwiegervater bei ihm um Hilfe
‚gegen Lübeck und das aufſtändiſche Schweden geworben, indem
er ihm 1508 für den Fall, daß er jelbft oder fein Sohn Chris
flian ohne männlichen Erben fterben follte, die Nachfolge in
dem feinem Haufe gehörigen Teile von Schleswig und Holftein
zuſicherte. Als dann Kaiſer Marimilian für feinen Enkel Karl
von Spanien um bie deutſche Krone warb, erweiterte er 1517
die brandenburgiſche Anmwartihaft auf die vom Reiche zu Lehen
‚gehenden Teile Holfteins. Eifrig griff Joahim zu. Welche
Ausfihten eröffneten fih damit feinem Haufe, deſſen Nachfolge
recht in Medienburg und in Pommern bereits anerfannt war,
während es eben auch im Preußen feiten Fuß fallen wollte!
Was Friedrich I. den wibderftrebenden Verhältniffen nicht ab:
zuringen vermocht hatte, das ſchien Joachim durch eine glüd-
lie Fügung mühelos zu teil zu werden. Unter folden Um:
ftänden gewann Pommern durch jeine zentrale Lage boppelte
Bedeutung, und auch feiner fuchte Joachim ſich deshalb zu ver-
gewiſſern.
Aber die Nachfolger Bogislaws X. wieſen ſeine Anſprüche
ab, und bald danach benutzte Karl V. die Gelegenheit, durch
erneute Anerkennung der Reichsunmittelbarkeit Pommerns dem
Markgrafen die Unzuverläffigkeit zu vergelten, deren er ſich durch
fein widerſpruchsvolles und Hleinlich eigennüßiges Verhalten bei
der Kaiferwahl 1519 ſchuldig gemacht hatte. Dann durchkreuzte
die Entthronung jeines Schwagers Chriftian II. von Dänemark
auch die Hoffnungen auf Schleswig-Holftein. Das fein Vetter
Albrecht von Preußen Vajall Polens werden mußte, veränderte
die Machtverhältniſſe im Often noch weiter zu feinem Nach—
teil. Bor allem aber ſah fi Joachim durch den Fortgang des
Religiongftreites zu engitem Anſchluß an den Kaifer genötigt:
188 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
zur Ausrottung der Kegerei zu helfen war ihm heilige Ge—
wiſſenspflicht. Alles, was den Kaifer daran hindern fonnte,
ſuchte er zu vermeiden.
Im eigenen Lande die Herrſchaft der alten Kirche zu
erhalten, ſchloß er im Juli 1525, als mit dem Bauernkriege
die ſoziale Revolution drohte, in Defjau ein Bündnis mit
feinem Bruber Albrecht von Mainz und den Herzögen Georg
von Sachen und Heinrid von Braunſchweig, die feinen Haß
gegen das Luthertum teilten. Mit Erbitterung ftemmte er
fih dem Zuge der neuen Zeit entgegen und ordnete dazu die
Zukunft feines Haufes dem Syſtem kirchlicher Reaktion und
ſpaniſchen Abjolutismus unter, das ber Sieg Karla V. in
Deutſchland zur Herrihaft bringen mußte. Auch ließ es der
Kaiſer an lodenden Verſprechungen nicht fehlen. Waren die
gewünſchten Dienfte geleiftet, jo blieb der Lohn aus. So ge:
währte König Ferdinand feine der Vergünftigungen in betreff ber
böhmischen Lehen Brandenburgs, die er zur Zeit des Werbens
um die Krone verjprohen hatte, noch erlangte bes Kurfürften
jüngerer Sohn Johann (geb. 1513) die ihm lodend gezeigte reiche
Braut — eine Tochter des dem Kaiferhaufe verwandten ſpa—
niſchen Marcheſe Zenetti; die Nechtung Albrechts von Preußen
aber mußte der Kurfürft als eine perfönliche Kränkung empfin=
den. Wohl lehnte ſich fein Selbftgefühl zuweilen gegen ſolche
Behandlung auf und er verfughte, feine politische Selbftändig-
teit wieberzugewinnen: aber die unbarmherzige Logik der That—
ſachen zwang ihn immer wieder in die alte Stellung zurüd.
Kirchlich dem Kaifer aufs engfte verbündet, Fonnte er ihm auch
politiſch nicht entgegen fein. So gab er auch feine pommerſchen
Entwürfe auf, da fie nur im Widerfpruh mit dem Kaifer
hätten durchgefegt werden können.
Am 26. Auguft 1529 ſchloß er in dem kurfürftlichen Jagd:
haus Grimnig bei Joahimsthal mit den Herzögen Georg und
Barnim X. einen Vertrag, durch den er ben Verzicht auf die
Lehenshoheit über Pommern erneute und bie Fünftige Erbfolge
für fein Haus zugefichert erhielt. Auch dabei waren firdlide
Rüdfihten beftimmend. Joachim entſchloß ſich zu diefem Opfer,
weil „allenthalben im heiligen Reihe und anderswo Aufruhr
II. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit. 189
und Widerwille herrfhte und ihm Schädigung an Land und
Leuten, Gebieten und Unterthanen von umliegenden Fürften und
Herren drohten”. Vermutlich aber entiprang feine Nachgiebig⸗
keit auch dem Wunfche, die pommerſchen Verwandten nicht in
das Lager der Proteftanten zu treiben. Waren doch ihre Städte
der neuen Lehre bereit zugefallen. Aber auch hier wartete
Joachims eine Enttäufhung. Denn kaum hatte Georg, ein
eifriger Katholif und unlängft durch die Ehe mit Joachims
jüngfter Tochter Margarete (geb. 1507) vollends an bie alte
Kirche gefeflelt, 1531 die Augen gefchloffen, als jein Sohn
Philipp fih mit Barnim X., der längft für das Evangelium
gewonnen war, wegen ihres förmlichen und feierlichen Ueber-
tritts einigte und denfelben unter Beirat Bugenhagens Ende
des Jahres 1534 auf einem Landtage zu Treptow vollzog,
troß heftiger Oppofition von feiten des Klerus und eines Teils
des Adels.
So gli) Brandenburg immer mehr einer Infel des alten
Glaubens inmitten des Iutherifhen Norddeutſchland. Sie zu
erhalten war Joachims leidenſchaftliches Begehren. Selbit bie
Anwartſchaft auf einen Teil von Schleswig-Holftein fegte er
daran, und machte im Frühjahr 1529 Frieden mit Friedrich J.
von Dänemark, dem glüdlihen Gegner feines entthronten
Schwagers Chriftian II., obgleich er Tegterem bedeutende Sum⸗
men geopfert hatte. Um ſo eifriger drängte er zu fchneller
Gemwaltthat gegen die kirchlichen Neuerer. Sein Auftreten auf
dem Augsburger Reichstage (1530) war am wenigften das
eines Vermittlers.. Daß die Kirche gewiſſer Reformen bebürfe,
gab er zu; fie durchzuführen aber fei allein Sache der Kirche
ſelbſt. Die Einheit der Kirche wollte er erhalten ſehen, da
fonft Spaltungen, Aufruhr und Empörung hereinbrechen würden.
Auch für die politifche Einheit des Reichs hielt er die Einheit
der Kirche für unentbehrlih. Als die Lutheraner in ihrer ab-
lehnenden Haltung verharrten, braufte er heftig auf, und die
Neben, in denen er fih — nad) Blut dürftend und nad) Krieg
und Schwert verlangend, wie Brentz berichtet — weiterhin
erging, mißbilligte jelbft fein Bruder Albrecht. Diefer altkirch—
liche Eifer änderte nun aber allmählich nicht bloß jein Ver-
190 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
hältnis zu Land und Leuten, fondern auch die Stellung feines
Haufes zu Deutſchlands Volk und Fürften. Und da entbehrt
fein Schickſal nicht einer gemiffen Tragik. Ohne Verftändnis
für die geiftigen und fittliden Kräfte, die Luthers befreiendes
Wort in der deutſchen Nation zu forticheitender Bethätigung
gewedt hatte, jah er feinen Beruf in ihrer Bekämpfung und
Erdrüdung. Das bradte in fein Dafein einen Zmwiefpalt, der
die Hleinliden und harten Züge feines Weſens nur noch ſchärfer
bervortreten und ihn um jo mehr vereinfamen und verbittern
ließ, als ihn dabei doch nie das Gefühl verlafjen zu haben
ſcheint, er ftreite für eine verlorene Sache. Man hat nicht
das Net, an der Ehrlichkeit feiner Motive, an der Echtheit
der von ihm bethätigten Weberzeugung zu zweifeln: darum aber
fann fie doch aud dur die ihm eigene Rüdfihtnahme auf
gewiſſe materielle Interefien beeinflußt worden jein, wie er
1514 befondere Beförderung des Ablaßhandels in der Mark
zugefagt hatte, um von Papft Leo X. das Patronat über die
Domkapitel zu Havelberg und Brandenburg übertragen zu be—
tommen, das ihm in der Ernennung bes Dompropftes ein
Mittel in die Hand gab, die Oppofition der Domherren nieber-
zuhalten. Auch kam der Eifer, mit dem er fih Tetzels
annahm, mejentli den Finanzen feines Bruders, des
Mainzer Erzbiſchofs, zu gute. In der Hauptſache aber ſcheint
Joachims Haltung in diefer größten Frage feiner Zeit doch
aus einem Irrtum des politifchen Urteils erklärt werden zu
müffen, das, in engherzigem Egoismus befangen, in jeber
jelbftlos wagenden Begeifterung eine Verirrung und eine Ge—
fahr witterte.
Im Frühjahr 1506 war die Univerfität zu Frankfurt an
der Ober feftlich eröffnet worden. Bereits Johann Cicero hatte
die Einleitung dazu getroffen. Den vornehmften Anteil daran
aber hatte der zu Bologna gebildete Lübecker Kanonikus und
Biſchof von Lebus, Dietrich von Bülow, der Hofmeifter des
Kurprinzen und nachmals erjte Kanzler der neuen Hochſchule.
Nach der Stiftungsurfunde follte diefe den Kultus des gött—
lihen Namens und das Heil des rechten Glaubens ausbreiten
und im Intereſſe des Reichsfriedens die Kenntnis der kirchlichen
II. Brandenburg im Uebergang zur neueren Zeit. 191
und kaiſerlichen Gejege fördern, wie ja zur Regierung des
niederen Volles nichts nüglicher fei als möglichfte Vermehrung
der Zahl der Rechtsgelehrten. Dazu follte fie Söhnen des
Adels und des höheren Bürgerftandes auf dem Boden bes
Humanismus die Bildung geben, die fie dem Lande ala Be:
amte zu dienen befähigte. Thatſächlich aber trat dieje Beftim:
mung bald zurüd gegen den Beruf der neuen Univerfität zur
Hüterin des rechten Glaubens, den fie durch leidenſchaftliche
Parteinahme gegen die Wittenberger Bewegung bethätigte.
Bereitete fie doch Tegel im November 1517 einen pomphaften
Einzug und verlieh ihm im Januar 1518 nad dem billigen
Triumph einer fiegreihen Disputation über den Ablaß bie
theologiicge Doktorwürde. Das war wohl nicht bloß das Werk
ihres erften Rektors Konrad Wimpina, ber ala einer der erften
gegen Luther Fitterarifh in die Schranken getreten war, ſon⸗
dern wird auch der noch befangenen öffentlichen Meinung ent:
ſprochen haben. Aber während dieje ſich ſchnell wandelte, be—
harrte unter dem Einfluß feiner eifrig Fatholiihen Näte, des
Kanzlers Kettwich, des als furfürftliher Sekretär fungierenden
Brandenburger Domdechanten Thomas Krull und des Sten-
daler Dompropftes Wolfgang Rodorfer, Joachim unbeugfam
auf dem altkirchlichen Standpunkt. Feſſelte ihn doch aud das
Intereſſe feines Haufes durch die hohe kirchliche Würde feines
Bruders Albredt an das Papfitum. Hier liegt wohl aud der
Schlüffel zu der üblen Rolle, die er bei den Verhandlungen
über die Wahl eines römifchen Königs gefpielt hat, indem er
durch die Zufage großer Vorteile fi erft von Frankreich und
dann von Marimilian gewinnen ließ, um, ala der Thron er-
lebigt war, wieder für Franz I. einzutreten, vielleicht in ber
Hoffnung, zwiſchen den ftreitenden Parteien felbft die Krone zu
gewinnen. Sein Verhältnis zu Karl V. war daher zunächſt
fehr geipannt: erft der Haß gegen die Reformation hat fie zu=
fammengeführt. Joachims Schuld war es nit, wenn ber
Raifer, von auswärtigen Verwidelungen bedrängt, immer von
neuem unterhandelte, ftatt die Keger mit dem Schwert in den
Schoß der katholiſchen Kirche zurüdzuzwingen. Durch das Bünd-
nis, das er im Februar 1533 zu Halle mit feinem Bruder
192 Erſtes Bud. Die Elemente bed preußiſchen Staates (bis 1598).
Albrecht und den Herzögen Georg von Sachſen und Erich und
Heinrich von Braunfhweig einging zu gemeinfamer Defenfive
gegen die Schmalfaldener, aber aud aus Beſorgnis vor Auf:
ruhr und Ungehorfam des gemeinen Mannes, fteigerte er bie
Gefahr eines Religionskrieges.
Aber ſchon wankte ihm daheim der Boden unter ben Füßen.
In der Mark gewann die neue Lehre ſchnell Anhang, obgleich
nod 1527 die Stände mit Joahim gemeinfam feierlih er-
Härten, bei der Lehre und Verfaffung der Kirche bleiben zu
wollen. Namentlich im Bürgertum fielen ihr immer weitere
Kreife zu. Wie weit auch hier neben den kirchlichen foziale
und wirtſchaftliche Reformtendenzen mitwirkten, ift nicht recht
erſichtlich. Gefehlt jedoch hat es daran fiher nit. Zu be:
denklihen Unruhen freilid fam es, wie es ſcheint, nur in
Stendal, das unter den altmärfijhen Städten eine gemifle
führende Stellung einnahm. Im Sommer 1530 ftürmte
das Volk dort die Häufer der Geiftlihen, die den Gejang
lutheriſcher Lieder hindern wollten. Einſchreitende kurfürſtliche
Beamte wurden bedroht. Schließlich braden die Meuterer in
das Rathaus, und erſt militärifches Einfchreiten unter dem
Kurprinzen ftellte die Ordnung her. Die Stadt wurde ftreng
beftraft, den zum Tode verurteilten Anftiftern jedod das
Leben geſchenkt. Dieſes Strafgericht machte Eindrud: nirgends
mehr wagten die Anhänger ber neuen Lehre hervorzutreten,
und dem äußeren Anſchein nad blieb die Mark unberührt
von ber Iutherifchen Kegerei, während bie zunehmende Verödung
der Mefien, das Ausbleiben ber Opfergelder und die Ent»
leerung der Klöfter zeigten, daß auch hier die Tage der alten
Kirche gezählt feien. Die Frankfurter Hochſchule verfiel, wäh—
rend Wittenberg herrlich erblühte und aud von zahlreichen
Märkern aufgefudht wurde, unerachtet des von Joachim er-
lafjenen Verbots.
Wie aber fonnte Joachim hoffen, fein Volt der neuen
Lehre fernzuhalten, wenn dieſe nicht bloß bei manden feiner
Näte, wie dem trefflihen Euftah von Schlieben, dem Hof:
marſchall Adam von Trotta und Kurt von Ploto, Sympathien
fand, fondern in feinem eigenen Geſchlecht Anhang gewann?
MI. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit. 198
Daß der preußiſche, daß die fränfijchen Vettern ihr zufielen,
mochte er noch verjchmerzen: aber in leidenfhaftlihem Zorn
braufte er auf, ala er erfuhr, daß feine däniſche Gemahlin ſich
dem Zuthertum zugewandt und 1527 das Abendmahl in beider:
lei Geftalt genofien habe. Durch ihre Mutter eine Nichte Fried-
richs des Weifen und Johanns des Beftändigen, eine Schweiter
des entthronten Dänenkönigs Chriftian IL., der fein politifches
Abenteurertum durch den Schein des Martyriums für die neue
Lehre zu bdeden liebte, war Elifabeth früh dem Evangelium
gewonnen worden. Daß ihr Gemahl, dem fie fünf Kinder ge—
ſchenkt hatte, zwei Söhne und zwiſchen ihnen drei Töchter, ihr
offenfundig die ehelihe Treue brad und damit den fittlichen
Wert des von ihm fo leidenjchaftlich vertretenen Glaubens jelbft
in das übelfte Licht fegte, war wenig geeignet, dieſe Entwidelung
aufzuhalten. Um ſo ſchwerer dachte Joachim fie dafür büßen zu
laſſen. Als fie die reuige Rückkehr zu der alten Kirche ablehnte,
wollte er fie, heißt es, wegen Ketzerei prozeffieren laſſen: Elifa-
beth meinte ernftlih für ihr Leben fürchten zu müflen. Auch
ihre Verftoßung, ihre lebenslängliche Einſchließung wurde er:
mogen. Da floh fie im März 1528 nad) Sadjfen, wo Johann
der Beſtändige, ihr Oheim, fie erft in dem Nonnenklofter Prettin
bei Dommitzſch und dann in dem benachbarten Schloſſe Lichten⸗
burg unterbrachte. Joachim war außer fi: in der Flucht der
an Leib und Xeben bedrohten Gemahlin jah er eine ihm per:
ſönlich angethane Schmach, durch die feine kirchlichen und poli—
tiſchen Widerſacher ihn vor der Welt bloßſtellen wollten, und
es fehlte nicht viel, ſo hätte er gegen die Mitſchuldigen und
Beſchutzer Eliſabeths die Waffen ergriffen. Und Eliſabeth blieb
nicht die einzige Abtrünnige in feinem Haufe. Seine jüngfte
Tochter Margarete, die Witwe Georgs von Pommern, jcheint
durch den Einfluß der Mutter ebenfalls ſchon für das Luther—
tum gewonnen gemwejen zu fein: fie veranlaßte bald danach den
Uebertritt ihres zweiten Gemahle, des Fürften Johann von
Anhalt. Daß der Gatte ihrer Schweſter Elifabeth, Herzog
Erich von Braunſchweig, den Lutheranern Duldung gewährte,
ließ auch feinen Abfall befürchten. Aehnlich dachte, wie er
nachmals befannt hat, Kurprinz Joachim, mochte er das auch
Prug, Preustihe Geihicte. I. 18
194 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
vor dem Vater ängftlich verbergen. Nur feine ältefte Tochter
Anna, die Gemahlin Herzog Albrechts von Medlenburg, die
einft Philipp von Heflen verlobt und dann dem Klofter beftimmt
geweſen war, fehrte zur Freude des Vaters von ber lutheriſchen
Irrlehre, die fie eine Zeitlang befannt hatte, zur katholiſchen
Kirche zurüd. In immer weiteren Kreifen jah Joahim die ver-
haßte Neuerung um fi greifen. Selbft für das Herzogtum
Sachſen war nad dem Tode Herzog Georgs zu fürchten, da
fein zum Nachfolger berufener Bruder und defien Söhne ihr
ebenfalls zuneigten.
Troß alledem meinte Joachim Haus und Land an das
alte Kirhentum feſſeln zu fünnen. Eigenfinniges Beharren bei
der eigenen vorgefaßten Meinung, ſchroffes Abweifen ber fi
aufdrängenden befieren Einfiht und deſpotiſche Unduldfamfeit
gegen das Selbftbeftimmungsreht anderer gaben bei ihm den
Ausſchlag. Nicht genug, daß er jeinem Erftgeborenen Joachim,
ala feine Gemahlin Magdalene, die Tochter Georgs von Sachſen
(28. Dezember 1534), geftorben war, in Hebwig, des Polen:
konigs Tochter (März 1535), eine ftreng Fatholifche, undeutiche
Braut aufnötigte, während der zweite, Johann, der Schwieger:
john Heinrihs von Braunſchweig wurde: noch durch fein Tefta-
ment verpflichtete er beide Söhne „unverrüdt bei dem alten
Hriftlihen Glauben zu bleiben” und „nichts dagegen, weder
heimlich noch öffentlich, zu thun“. Nicht bloß für fi felbft
mußten fie das „an eines rechten geſchworenen Eides ftatt”
ihm geloben, fondern jollten aud) ihren Nachfommen und Erben
die gleiche feierliche Verpflihtung auferlegen. Selbft die Miß—
achtung des Achilleiſchen Hausgeſetzes, deren Joachim ſich ſchuldig
machte, wird hier entſprungen ſein. Denn indem er durch ſein
Teſtament die Mark fo teilte, daß Johann die Neumark, Stern-
berg und Kottbus, Krofien und Peig erhielt, alles übrige aber
famt der Kur dem Erftgeborenen verblieb, glaubte er wohl
ihnen im Intereſſe ihres Haujes eine Gemeinfamfeit des Han—
delns aufzundtigen, die zufammen mit dem ihnen ebenfalls ge:
botenen Verbleiben in dem Hallenfer Bündnis, ihren Ueber:
tritt zu der neuen Lehre um fo fiherer zu hindern ſchien, als
bie Teilung eines Kurlandes mit ber Goldenen Bulle in Wider:
II. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit. 195
ſpruch ftand und daher nur mit Zuftimmung bes KRaifers aufs
recht zu erhalten war: es galt für fie aljo fi feiner Gunft
und Gnade zu verfihern. Karl V. ſcheint ohne weiteres zu—
geftimmt zu haben: verhieß ihm doch des Kurfürften Teftas
ment die Behauptung einer Stellung in Norbdeutfchland, die
faft ſchon für verloren Hatte gelten fünnen. Die märkiſchen
Stände find um ihre Zuftimmung offenbar nicht befragt. Was
aber hätten fie auch gegen eine Maßregel einzumenden haben
follen, die mit der Teilung auch eine Minderung der landes-
herrlichen Gewalt, ihnen ſelbſt alſo größere Unabhängigkeit
verhieß? Was wäre aus Brandenburg, was aus den Hohen-
zollern geworden, wenn es Joahim I. gelungen wäre, ihre
Entwidelung in die von ihm gewollte Bahn zu bannen? Wird
man nicht aus der Gemwaltjamkeit, mit der er auch die Zukunft
von Haus und Land von feinem Gebote abhängig maden
wollte, vermuten dürfen, daß ihn tief innerlich bereits die
Vorahnung des nahenden Umfchlags überfam, des Umfchlags,
den nit abwenden zu können für ihn nicht bloß eine uner:
träglihe Demiltigung bedeutete, fondern der Vernichtung feiner
ganzen fürftlichen Erxiftenz gleichgefommen wäre? Längft war
Joachim I. ein Frembling in feiner Zeit, deren Zeichen er
nicht verftand, nicht verfiehen wollte. Bon feinen fürſtlichen
Genoſſen fah er einen nad) dem anderen der Kegerei verfallen,
von den Stüßen, welche die von ihm als durch Gott gejegt
verteidigte kirchliche und politifhe Ordnung getragen, eine nad
der anderen zuſammenbrechen. Sollte er wirklich geglaubt
haben, jeine willfürlihen und rechtswidrigen Beftimmungen
fönnten den Gang der Dinge aufhalten und das Verhängnis
abwenden?
Raum fünfzig Jahre alt, ift Joachim I. am 11. Juli 1535
geftorben. Der Tod war ein Glüd für ihn: er erfparte ihm
eine Enttäuſchung und überhob ihn eines ausfichtslofen Kampfes,
in dem er nicht bloß äußerlich erlegen, ſondern auch innerlich
gebrochen fein würde. Und in dieſer Hinficht möchte man feinen
Tod als ein Glück bezeichnen aud für fein Haus und fein
Land. Ihnen wurde die Selbftbeftimmung wiebergegeben, bevor
die ſchon aufs höchfte gejpannten kirchlichen und politifchen
196 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
Gegenjäge gemwaltfam zufammenftießen. Sie gewannen bie
Möglichkeit, rechtzeitig und friedlich, ohne tiefe Erfhütterung
im Innern und ohne ſchweren Konflift nad) außen, in die
neue Ordnung der Dinge hinüberzulenfen, in der auch fie end-
lich alle Bedingungen für ein rafcheres Gedeihen und eine lid:
tere Zukunft gewinnen follten.
IV. Reformafion und ſtändiſches Regiment.
1535—1598.
1. Joachim II. 1535-1571.
2) Die Reformation in der Marf Brandenburg.
1535—1563.
Wie in allen Marken waren auch in. Brandenburg Chriftiani=
fierung und Germanifierung Hand in Hand gegangen. Das
bedingte Befigftand und Einfluß der Kirche, deren Anſprüche
auch in der Folge zu den beſchränkten Mitteln des wenig be=
güterten Landes nicht in dem richtigen Verhältnis ftanden.
An diefem hatten außer den drei märfifhen Bistümern Bran-
denburg, Havelberg und Lebus Anteil noch Meißen für die
Laufig, Kammin für neu» und udermärfifche Landſtriche und
Verden und Halberitadt für die Altmark. Ihnen unterftanden
außer zahlreihen Stabtlirhen und ländlichen Pfarreien
35 Mönchs- und etwa 25 Frauenklöfter, meift askaniſche Grün-
dungen. Sie belafteten Land und Leute materiell und ent—
zogen einen großen Teil des ländlichen Befiges allen öffentlichen
Zweden, erzeugten aber auch fittlihe und geiftige Nachteile.
Den geiftliden Stand fuchten auch hier viele nur um weltlicher
Vorteile willen: fie betonten mehr als ihre geiftlihen Pflichten
die ihnen zuftehenden weltlichen Rechte. Daher gab auch der
Wandel des märkiſchen Klerus zu Klagen Anlaß. Geiftig ftand
er niedrig: theologijches Studium war unbefannt, der Vorwurf
der Unbildung offenbar berechtigt. Infolgedeſſen war das kirch-
liche Leben in der Mark mehr ala anderwärts veräußerliht und
zu unverftandenen Formeln und abergläubijchen Bräuchen ver-
flüchtigt. Das bezeugt das Weberhandnehmen der Wallfahrten,
befonders die gößendienerifche Verehrung des heiligen Blutes
198 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
zu Wilsnad, fowie die üppige Entfaltung des Marienkultus.
Das änderte au der Einfluß nicht, den die Markgrafen feit
Friedrich II. auf die Beſetzung der Bistümer ausübten. Doc
wurde die Mark von einzelnen der reformatoriſchen Richtungen
des Mittelalters tiefer berührt. Waldenfergemeinden gab es
zu Ende bes 14. Jahrhunderts in Angermünde, Königsberg,
Dramburg und Prenzlau. Obgleich auf Handwerker, Bauern
und Tagelöhner beſchränkt, überdauerten fie wieberholte Ver:
folgungen und gewannen fpäter im Anſchluß an die böh-
mifchen Brüdergemeinden neue Kraft. Die Verbrennung eines
ihrer Lehrer zu Berlin im April 1458 leitete eine neue Ver—
folgung ein, vor der viele nad Böhmen und Mähren ent:
wichen. Dennod wird fi in manden Kreifen eine Gefinnung
erhalten haben, welche. die von Wittenberg ausgehende An—
regung lebhaft aufnahm. Auch in der Geiftlichkeit fehlte fie
nit. Die Reform der Auguftiner, die in der zweiten Hälfte
bes 15. Jahrhunderts Andreas Proles angebahnt hatte, war
danf dem Eingreifen der landesherrlichen Autorität namentlich
den Klöftern der Mark zu gute gelommen. Bebeutender wirkte
Johann von Staupig ein. Auf einer märkiſchen Provinzial-
ſynode zu Biefar, die eine Beſſerung des kirchlichen Lebens
beriet, wurde am 12. Juni 1512 Luthers Traktat: Omne, quod
natum est ex Deo verlejen, der ohne prinzipiellen Gegenfag
zu Rom bereits eine Reinigung der Lehre auf Grund der
Heiligen Schrift und die Reform des Klerus forderte. So
wurde dieſe hier ſogleich in legale Bahnen gelenkt, freilich auch
ihr Ziel nur niedrig geftedt. Statt des Prinzips griff man
Nebendinge auf. Daher war die märkiſche Reformation gleich
ihrer Anlage nad allem Ertremen abgewandt, dem altkirch-
lichen Radikalismus fo gut wie dem neukirchlichen: einer ge:
wiſſen mittleren Richtung folgend, begnügt fie ſich mit Abftellung
der augenfälligften Mibftände und läßt dem Einzelnen fo viel
Freiheit, als ohne Konflift mit der noch zu Recht beftehenden
Autorität möglich ift. Auf diefem Boden ftand auch Joachim II.
Doch hatte diefe Halbheit noch andere Gründe. Unter
dem Drude materieller Sorgen war die Bevölkerung Branben-
burgs geiftig im allgemeinen zurüdgeblieben. Langfamer als
IV. Reformation und ftänbifges Regiment. 199
die des benachbarten Sachſen wurde fie von Luthers Wort er-
griffen, obgleich fie bei der Unterordnung Wittenbergs unter
das Bistum Brandenburg der Sache doch gleich nahe genug
ftand und die Univerfität Frankfurt jofort leidenschaftlich gegen
Zuther Partei nahm. Wußte diefe Doch des Landesherrn ganze
Autorität hinter fi und war dafür deſſen befonderer Gunft
und Gnade gewiß. Um fo vorfitiger mußten die anders
Denkenden handeln. Wo man dem Wittenberger Neuerungen
zufiel, fam das daher nicht in beftimmten Handlungen, ſozu⸗
jagen pofitiv, zum Ausdrud, fondern in dem ungeftraft mög-
lichen Unterlafjen bisher beobachteter kirchlicher Bräuche. Schon
1521 blieben z. 8. in Berlin der Rat, die Gilden und bie
Schulen der Fronleihnamsprozeffion fern. Es griff ein ge
wifler neutraler Zuftand Plag: das entzog Joachims I. Eifer
jeden Vorwand zum Eingreifen und ließ die neue Lehre in der
Stille gedeihen.
Dabei Inüpfte fie vielfah an verwandte ältere Anſätze.
Zuerſt ſchlug fie Wurzel, wo das Huffitentum eingewirkt hatte,
in den Kurſachſen benachbarten laufigichen Gebieten, in Rottbus,
Guben, Ludau, Kroffen und Sommerfeld, in erftgenannter Stabt
durch Johann Briesmann, der ihr nachmals in Preußen bie
Stätte bereitete. Unter dem Laufiger Adel verfuchte Nidel
von Mindwig zu Sonnenwalde eine ähnliche Role zu fpielen
wie in den rheinpfälziſchen Landen Franz von Sidingen. Er
befriegte den altkirhlihen Biihof von Lebus, Georg von
Blumenthal, und trat dem Kurfürften entgegen als Verteidiger
des Kölner Bürgers Wolf Hornung, mit deſſen ſchöner Frau —
einer Tochter des Kölner Bürgermeifters Thomas von Blanten-
feld und Schweiter des Rigaer Erzbiſchofs Johann von Blanken-
feld — Joachim in doppelt ehebrecheriſchem Verhältnis ftand.
Schließlich kam der ffandalöfe Handel auf dem Klagewege gar
vor das Reichskammergericht. Luther, der vergeblich zu Gunften
der Kurfürſtin Eliſabeth zu vermitteln verſucht hatte, gab ihm
1528—1530 noch größere Deffentlichleit. Das ließ Joachims I.
Feindſchaft gegen feine Lehre doch in einem neuen Lichte er
‘einen, die inzwiſchen in den Nachbargebieten weiter um ſich
griff und durch eine Menge unkontrollierbarer Kanäle aud in
200 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
die Mark eindrang. Im Februar 1524 erging ein Mandat
gegen Luthers Bibelüberfegung, die von Fehlern wimmeln und
beftimmt fein jolte, durch Fälſchung die chriſtliche Glaubens-
einheit zu ftören. Mit dem Bauernkrieg glaubte Joachim dann
den von den Neuerern erftrebten Umfturz der kirchlichen und
ſtaatlichen Ordnung hereinbreden zu fehen. Er war zu un:
barmherziger Strenge entſchloſſen. Indem er das Wormfer
Edikt erneute, wies er Ritterſchaft und Städte an, fid) fampf=
bereit zu halten, da „bie Zutterifhe und andere Lehre und
Predigt etwas raſch und höchlich zugenommen“. Zum Glüd
wandte die ſchnelle Bewältigung der fränkiſchen und thüringifchen
Bauern dieſe Gefahr von der Marf ab. Wie unbarmherzig
würde Joahim eine Erhebung erftidt haben, für die er bie
Wittenberger Kegerei verantwortlich machte! Als eine Gefahr
für bie kirchliche, ftaatliche und gejellfchaftliche Ordnung würde
er das Luthertum mit Stumpf und Stiel auögerottet haben.
So blieben die geheimen Wege zur Verbreitung der neuen
Lehre auch weiterhin gangbar.
Trotz des ergangenen Verbotes zogen die märkiſchen Stu:
denten zahlreih nad Wittenberg, bejonders die Altmärker.
Immer augenfälliger wurde bie kirchliche Gleichgültigkeit des
Bürgertums. Kirchliche Stiftungen und Spenden famen außer
Mebung. Von den entliehenen kirchlichen Kapitalien wurden
die Zinfen nicht gezahlt. Adlige und Bürger unterliegen die
ſchuldigen Dienfte für die geliehenen kirchlichen Güter. Sie
verweigerte zuerit offen 1524 ber Erbherr auf Altenhaufen,
Matthias von der Schulenburg, indem er gleichzeitig für feine
Güter einen lutheriſchen Geiftlihen beſtellte. Das bewirkte
eine weitere Verarmung der märkifhen Kirche. Unter deren
Drude traten alle Firhlihen Mißſtände nod mehr hervor.
Beſondere Erregung ſcheint jedoch dadurch nicht veranlagt zu
fein: die Reformation war hier weniger Sade des Gemüts
als des Verſtandes und wurde weniger von dem Standpunkt
bes opferfreudigen Glaubensmutes als bem des praftiichen
Vorteils aufgefaßt. So wenig wie für die alte Kirche ereiferte
man fi für die neue. Gern warf man bie bisher für jene
getragenen Laſten ab, hütete fi aber bei der befannten Ge—
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 201
finnung bes Landesherrn fi förmlich für die legtere zu ver—
pflihten. In einer Art von Indifferentismus oder Neutralität
wartete man ben Ausgang ab und lebte fi allmählich in bie
entfpredende neue Ordnung ein. So fam damals bereits in
der Mark jene mittlere Richtung auf, die mit Unrecht für das
perfönliche Werk Joachims II. gilt, in Wahrheit von ihm vor-
gefunden und in kirchlichen und weltlihen Dingen eingehalten
worden ift.
Ob fie möglich geworben wäre, wenn Joachim I. ben
gewaffneten Zufammenftoß der Neligionsparteien nod erlebt
und jein der alten Kirche entfremdetes Land zu zwingen ver-
fucht hätte, feine Mittel dennoch für dieſelbe einzufegen? Ein
ſchwerer Konflikt wäre unvermeidlich gemwejen. Ob darin das
Land oder der Landesherr unterlegen wäre? Daß in feinen:
Haufe, in den verſchwägerten Fürftengefchledtern die Neuerung
Anhang gewann, hat weder den katholiſchen Eifer noch bie
Siegeszuverfiht Joachims I. gemindert. Um fo größeren Ein-
drud machte es auf fein Volk, fo fehr das Strafgeriht, das
im Auguft 1530 Stendal traf, zum Verharren in der zumwar:
tenden Haltung mahnte. Damit rechnete Joachim, als er Haus
und Land für alle Zukunft an das Papfttum zu binden unter=
nahm. Blieben feine Söhne, durch die Teilung beide der freien
Bewegung beraubt, durch ihren Eid moralifh und durch bie
Zugehörigkeit zu dem Halliihen Bunde politiſch an die alte
Kirche gefeflelt, dem ihmen aufgezwungenen Syftem treu, fo
behauptete Kom im Herzen Norddeutſchlands eine wichtige
Poſition.
Aber Joachims J. Berechnungen trafen nicht zu: gerade
das von ihm ausgeklügelte Syſtem ermöglichte dem Nachfolger
die Beibehaltung jenes neutralen Mittelftandes, den jede Partei
für fid in Anſpruch nehmen und zu ihren Gunften beuten
tonnte, der aber die ſchließliche Entſcheidung dem Fürften ent=
zog und je nachdem feinen Unterthanen oder feinen Nachbarn
überließ. Und eben das entſprach der Denkweiſe des neuen
Kurfürften, dem bei allen Gaben des Herzens und des Geiftes
doch bie des Entſchluſſes und überzeugungstreuen Handelns
abging. Joachim U. war fein Mann der Jnitiative, des konſe—
202 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
quenten Beharrens. Seine weiche, finnliche, ruhigem Behagen
geneigte Natur mied die Konflikte: es wiberftritt ihr, für eine
Meinung einzutreten, bie gegnerifche zu befämpfen und fo einen
Prinzipienſtreit heraufzubef wären. Verhüllung der Gegenjäge
hinter dehn- und beutbaren Formen und Formeln, denen jeder
den ihm zufagenden Inhalt geben konnte, Umgehung der ent:
ftehenden Konflikte und das Werben um die gleiche Weitherzig-
feit und Nachſicht, um nicht zu jagen Zarheit, bei den Gegnern:
das find die Züge, die Joachims II. kirchliches Handeln kenn-
zeihnen und fein politiihes Syftem beftimmt haben. Zum
Glaubenshelden war er nicht berufen: politifcher Vorteil und
dynaſtiſcher Gewinn gingen ihm über verflärendes Bekenner—
tum. Hat er doch zwei feiner Söhne zur fatholifhen Kirche
zurüdfehren laflen, um das Erzbistum Magdeburg zu gewinnen.
Wohl fteht er mit diefem Synfretismus nicht allein: bei ben
erften fürftlihen Beichügern ber Reformation hat auch fonft
meift niit die wie durch Erleuchtung über fie gefommene Ge-
wißheit von ber Wahrheit der lutheriſchen Lehre entſchieden.
Dazu fehlte in dem Bildungsgange dieſer Herren jede Voraus:
jegung. Auch waren die Anfänge der Reformation in fi zu
widerſpruchsvoll, um einen derartigen Eindrud zu machen:
weltliche, politifche, ja felbft materielle Momente gaben den
Ausschlag zu ihren Gunften. Cine Sache des Glaubens für das
arme, von der alten Kirche fich felbft überlafiene Volt, wurde
fie von diefem erfaßt mit der Wärme eines endlich wieder kirch—
lich mächtig ergriffenen Herzens: für die Mehrzahl der deutſchen
Fürften war fie zunächſt eine Sache der Politik, bei ber fie
mehr ihrem Vorteil als religiöjer Begeifterung folgten. Yanz
delte Albreht von Preußen mejentlih anders? Gerade mit
ihm weift Joachim II. Aehnlichkeit auf, nur daß er, in feiner
heiteren Leichtlebigfeit vom Glüd begünftigt, wie jener bei
jeiner ſchwerlebigen Art vom Mißgeſchick verfolgt, ſich geſchickt
durch alle Schwierigkeiten hindurchwand. So hat er ohne
Herrichergröße, ja ohne bejondere Gaben in fait vierzigjähriger
Regierung den Grund gelegt für die Zukunft feines Haufes.
Im Gegenjag zu der Starrheit des Vaters Fennzeichnet
ihn unruhige Beweglichkeit. Ohne den nüchternen, auf gute
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 203
Wirtſchaft und forgjames Haushalten gerichteten Sinn jenes
war er von leichtlebiger Sorglofigkeit, die den Augenblid genoß
und fi in dem Glanze höfiſchen Prunfes fonnte Auch in
der Politif handelte er als Sanguinifer, mit jener naiven
Zuverfiht, die am Erfolge nicht zweifelt. Wohl machte ſolch
fürſtliches Walten auf die Zeitgenofien Eindrud. Es hatte aber
doch feine üblen Seiten. Daß die ihm angeborene „große
Kuriofität” zu thörichter Leichtgläubigkeit ausartete und ihn
verleitete, ſich mit allerlei Schwindlern einzulafjen, die bald
den Stein ber Weifen zu finden, bald Gold.zu machen, unzeitige
Erze zur Reife zu bringen oder in den märkiſchen Seen Perlen
zu fiſchen ober Salzbergwerke zu erichließen veripraden, um
nach Verwirtſchaftung des ihnen dazu anvertrauten Geldes zu
verfhmwinden, war noch nicht jo ſchlimm und findet bei manchem
Fürften der Zeit fein Seitenftüd. Wohl aber hat die finanzielle
Zerrüttung, die feine Verf wendung verſchuldete, nicht bloß
Brandenburgs Aktionsfähigkeit nad) außen beeinträchtigt, fon-
dern auch feine inneren Verhältniffe übel beeinflußt. Ihre
pekuniäre Beihilfe zu gewinnen, wurden den Ständen auf Koſten
der lanbesfürftlichen Gewalt verhängnisvolle Zugeftändnifie ge:
madt. Und das wird doch nicht dadurch entſchuldigt, daß
Joachim infolge der Teilung nur über fünf Siebentel (das
heißt 500 Duabratmeilen ftatt 700) des märkifchen Gebiets
verfügte, während die ihm als Kurfürften obliegenden Ver—
pflichtungen eine entiprehende Minderung nicht erfuhren.
Wohl eriheint im Vergleich mit ihm fein Bruder Johann
von Küftrin als eine proſaiſche, fait unfürftlihe Natur, als
ein Großgrundbefiger, der tüchtig intenfive Landwirtſchaft trieb
und fein Land bis in das Hleinfte Detail gut und rechtſchaffen
verwaltete: aber feine Sparjamleit fteigerte feinen Einfluß und
fein mwohlgefülter Schag kam aud Kurbrandenburg zu gute.
Im Innern wirkte er nad Art des Vaters als Organifator,
wie feine Polizeiverordnung für die märkiſchen Städte zeigt.
Befonders aber überragte er den Bruder in ber religidjen
Frage. Unbeirrt durch den ihm abgedrungenen Eid, ohne auf
einen Anftoß von außen zu warten, der ihn entſchuldigen konnte,
ar und mutig trifft er die Entſcheidung, die er nad) der in
204 Erftes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
ihm gereiften Weberzeugung zu treffen in feinem Gewiſſen ge—
drungen war. Obgleich gelegentlich ſchwankend — wie er
3. 3. 1551 von dem Bunde gegen den Kaifer plötzlich zurüdtrat
und Karla V. Partei nahm —, vermieb er doch die oft zwei—
deutige Halbheit und die nach allen Seiten fompromittierende
Friedensliede Joahims und vertrat erfolgreicher und würdiger
als jener die „mittlere Richtung“. In ihm war etwas von
der Härte des Vaters, während Joachims weiche Natur von
den Verhältniffen abhängig blieb. Diejer Gegenjag mag bie
Differenzen erzeugt haben, die anfangs zwiſchen den Brüdern
herrſchten, eine Folge der dur die Teilung verurjachten
Doppelregierung. Die Vermittelung der märkiſchen Stände jo
wenig wie die des Hallifhen Bundes führte zu vollem Einver-
ftändnis: aber es geſchah wohl nit nur aus Unmut darüber,
wenn Johann die Erneuerung bes legteren ablehnte, obgleich
man in Wittenberg damals von feinem der Brüder etwas für
das Evangelium hoffte. Daß Johann übrigens in feinen Ent-
ſchließungen von den aſtrologiſchen Berechnungen feines Stern:
deuters Petrus Anemiander abhängig war, ift doch ein Moment
nur von pſychologiſchem Intereſſe, das den praktiſch politiſchen
Wert der von ihm verfolgten Richtung nicht herabmindert.
Bei Joachim II. dagegen handelte es ſich auch der Refor—
mation gegenüber mehr um eine perfönliche ala um eine prin-
zipielle Entſcheidung. Früh hatte ihn wohl die Mutter auf die
neue Lehre hingewieſen. Schon der Vierzehnjährige (geb. 1505)
beſuchte, wie er fpäter erzählte, auf der Heimreife von dem
Frankfurter Wahltag (1519), zu dem er den Vater begleitet
hatte, in Wittenberg den „deutſchen Propheten“ und lernte
von ihm ben „Ufus“. Doc kann das nit den Sinn haben,
den er fpäter hineinlegte, wenn er, ohne an dem Glauben ver
Kirche irre zu werben, damals bereits begriffen haben will, daß
allein der Sohn Gottes und fonft nichts die Genugthuung vor
Gott geleiftet habe und er nur durch ihm die Vergebung der
Sünden und das ewige Leben empfangen und heilig und ge:
recht werben könne. Bon ber Wertlofigfeit der Elöfterlichen Ge:
lübde mag er überzeugt gewejen fein, als er 1521 feine Schwefter
Anna, einft die Braut Philipps von Heflen, beftimmte, der
IV. Reformation und ſtandiſches Regiment, 205
nbeillofen Kappe” zu entjagen und Albreht von Medlenburg
zu heiraten. Aber nod im Herbit 1525 bezweifelte die Mutter
feine Feſtigkeit im Glauben: auch hat er ihr mutiges Bekennt⸗
nis nicht geteilt. Doch jandte er 1532 geheime Botſchaft an
Luther, um Unterweilung in betreff bes Laienfelches, fand
auch auf dem Wege zum Türkenkrieg Gelegenheit, fih in
Wittenberg ſowohl mit dem Reformator wie mit der Mutter
zu beſprechen. Alſo war er doch wohl ſchon damals innerlich
entfhieden, ſchwieg jedoch aus Scheu vor dem Vater. Aber
er ſchwieg auch noch, als ihm diefer durch ein feierliches Ge:
löbnis an die alte Kirche band. So war er freilich nicht der
Mann, um den Weg zur Löfung der feine Zeit erſchütternden
Konflikte zu zeigen, wohl aber befähigt, in geſchmeidiger An:
pafjungsfähigfeit ſcheinbar unausgleihhare Gegenfäge zu ver=
einigen. Die entſcheidenden Anftöße empfing er ftets von
anderen, und es war ein Glüd, daß ihm Männer zur Seite
traten, die ihn überjahen, auf höhere Ziele richteten und dazu
führten.
An ihrer Spige fteht Euftah von Schlieben. In Frank:
furt a. ©. und Bologna gebildet, hatte er troß feiner evan-
gelifhen Neigungen bereits dem Rate Joahims I. angehört.
Daß er fi der bejonderen Gunft des Nachfolgers erfreute,
zeigt Die Neberweifung des reihen Amtes Zofjen im Auguft 1536.
Richtig erfaßte er Joachims II. Verhältnis zur evangelifchen
Lehre: er entwarf das Programm für feine Firchliche Politik.
Schon Philipp von Heffen hatte dem Kurfürften geraten: wolle
er fi den Evangelifhen nicht offen anſchließen, jo möge er
wenigftens die Predigt der neuen Lehre freigeben, die zu hin:
dern er fih doch nicht ausdrücklich verpflichtet habe. Auch
Schlieben empfahl, die Bewegung gewähren zu laſſen: für bas
Weitere werde der ihr geneigte Biihof von Brandenburg,
Matthias von Jagom, forgen. Doc folle er ſich Feiner der
beiden Neligionsparteien anſchließen, ſondern unabhängig
zwifchen ihnen bleiben und die Berufung eines Konzils fordern.
Eintreten für das Evangelium war das allerdings nicht: er—
ſchien es vielleicht eben deshalb mit dem dem Vater geleifteten
Eide vereinbar? Jedenfalls ftimmte folhe Halbheit zu dem
206 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifgen Staates (biß 1598).
kirchlichen Syſtem, das Joachim ſich zurecht gemacht hatte. Er
hielt eine Reform der Kirche für möglich ohne Aenderung ihres
Wefens und ohne Spaltung. Auch wer die Verdienftlichfeit der
guten Werke leugnete und fich zu Luthers Rechtfertigungslehre
befannte, konnte, fo meinte er, mit der geichichtlich gewordenen
äußeren Form der Kirhe ihre biſchöfliche Verfaſſung beibe-
halten. Seinem am Aeußeren hängenden Sinn fagte der
Pomp des fatholifhen Kultus zu. Innerlich Zutheraner, blieb
er äußerlich Katholif, vieleiht nur um nicht durch offenen
Uebertritt die katholiſchen Eiferer gegen ſich zu entfefleln. Des—
halb unterblieb auch die geplante Heimkehr feiner Mutter:
forderte fie doch Zuficherung freier Religionsübung, die mit
diefem Syitem nicht vereinbar war. Hatte doch ſchon die Mög-
lichfeit diefes Zugeftändniffes in Polen, von wo Joachim gleich im
Herbft 1535 die ihm vom Vater aufgebrungene Braut geholt
hatte, und bei König Ferdinand Iebhafte Beunruhigung und
ſelbſt Drohungen hervorgerufen.
So gebot aljo in der Mark ein Fürft, der die weſent—
lichſten Dogmen feiner Kirche verwarf, ohne weitere Konfequenzen
daraus zu ziehen, über ein Volk, das feine evangelifche Ueber—
zeugung zum Ausdrud brachte, indem es die der alten Kirche
ſchuldigen Dienfte und Leiftungen einftellte, dieje jo unvermerft
ihrer weltlihen Mittel beraubte und Kultus und Seelſorge
nad dem Vorbilde Wittenbergs umgeftaltete. Und während er
fo in Brandenburg die Reformation gewähren ließ, bemühte
fih Joahim im Reihe den Zufammenftoß hintanzuhalten und
durch ein Konzil, von dem er Zugeftändniffe hoffte, die Ein:
heit der Kirche zu retten. Daher fam die Leitung ber kirch—
lichen Neugeftaltung, wie Schlieben gewollt, an Matthias von
Jagow (geb. 1480), der infolge feiner Nominierung durch
Joachim I. jeit 1526 dem Brandenburger Bistum vorftand.
Ein Tugendfpiegel war er nicht: Albrecht von Mainz machte
ihm feines Wandels wegen ernfte Vorhaltungen, und Joachim I.
ſchritt ein, als er die Güter des von den Mönden zum Teil
verlaffenen Klofters Leitzkau für feine Tafel einziehen wollte.
Denn au hier fhmälerte das Umfichgreifen des Luthertums
die biſchöflichen Einkünfte. Die Notwendigkeit einer Neuregelung
IV. Reformation und ftändifches Regiment. 207
diejer Verhältnifje mag mit einem Wandel in des Biſchofs reli-
giöfem Denken zufammengetroffen fein. Darum durfte Luther
dem Matthias von Jagow wohl das Lob evangelijcher Gefinnung
erteilen: er ließ die neue Lehre gewähren, machte aber wie der
Kurfürft die Entſcheidung von dem Erfolge abhängig.
Joachim II. hat nur das Verdienft, dies Gehenlaſſen
durch fein Bemühen um Erhaltung des Friedens im Reiche
ermöglicht zu haben. Bei ihm überwog der Diplomat gegen
den Bekenner: unbedenklich erfaufte er einen politiſchen Vor:
teil durch ein Zugeftänbnis in firhlihen Dingen. Was wäre
da wohl aus ber Reformation in der Mark geworben, hätte
fie nit ſchon unter Joachim I. trog alles Gegendruds bie
Bevölkerung in der Hauptfache gewonnen gehabt? Dieje hatte
die Entſcheidung bereits gefällt. Ein Webriges that Markgraf
Johann. Er berief einen lutherifhen Geiftlihen, Heinrich
Frame, zum Hofprediger und gab den Bürgern von Kottbus
und Königsberg gleich bei der Huldigung im Januar 1536
den Mebertritt ausdrüdlih frei. Schon 1537 hielt Jakob
Stratner, den er von feinem fränkiſchen Vetter, Markgraf
Georg, erbeten hatte, in der Neumark eine Kirchenvifitation.
Oftern 1538 empfing Johann zu Küftrin öffentlich das Abend-
mahl unter beiberlei Geftalt. An den Biſchof von Lebus
wurden die neumärkiſchen Zinfe nicht mehr gezahlt; fie fürm-
lich abzufchaffen war unmöglich, weil ein Teil bes Lebuſer
Sprengels unter Joachim II. ftand. Das führte zu ungefunden
Verhältniffen, indem rechts von ber Ober erlaubt war, was
links verpönt ober doch nur gebuldet blieb. Joahim erlaubte
bald die Anftellung evangeliſcher Geiſtlicher, bald verbot er fie;
bier ließ er die Neuerung gewähren, dort erzwang er eine
katholiſche Reitauration: in der vom Hof als „Dom“ benugten
Dominikanerkirche aber blieb der Kultus katholiſch. Gleich
widerſpruchsvoll wählte Joahim feine Räte. Noch maltete
Wolfgang Kettwich des Kanzleramtes: das fonnte die Katho—
liken beruhigen. Die Frankfurter Univerfität aber, bisher bie
fefte Burg der Altkichlichen, erhielt 1536 in Melanchthons
Schwiegerjohn, Georg Sabinus, einen lutheriſchen Lehrer, der
die evangeliſchen Prinzipien mit der biſchöflichen Verfaſſung
208 Crftes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
und ben alten Kultformen verjöhnen und fo die Einheit der
Kirche retten zu fönnen meinte. Um fich der höchiten gelehrten
Autorität im Lande vollends zu verfihern, ließ Joachim ben
Kurprinzen Johann Georg zum Rektor der Univerfität wählen.
Dann wurde im Juni 1538 auf Empfehlung Melanchthons
der Sohn eines Treuenbriezener Notars, Johannes Weinleben,
der in Bologna und Wittenberg ftubiert hatte, ein Mann von
ungewöhnlidem Talent für die Verwaltung, als „weſentlicher
(das heißt wirklicher) Hofrat und Hofdiener” beftellt. Neben
ihn trat Matthias Thomas, des Sabinus Jugendfreund und
Studiengenofje. Größere kirchliche Bedeutung hatte die Be:
zufung des Sachſen Georg Buchholzer und des Ansbachers
Stratner. Jener wurde der erſte proteſtantiſche Propft von
Berlin, diefer eröffnet die Reihe der proteftantifchen General-
fuperintendenten der Mark.
In folher Umgebung erſchien Joachim den Altgläubigen
wie ein Abtrünniger. Daß er es nicht war, bewies er, als
er in dem Entwurf einer märkiſchen Kirchenreform, den der
Dechant des reorganiſierten Berliner Domſtifts, Rupert Elgersma,
ihm vorlegte, wohl an der ungenügenden Betonung der Recht⸗
fertigungslehre, nicht aber an ber Beibehaltung der katholiſchen
Formen Anftoß nahm. Ein perfönlicer Konflift mit Luther
war nicht ohne Einfluß darauf. Bon einem Schügling Albrechts
von Mainz angegriffen, hatte Luther derb dreingefchlagen und
auch feines Gegners Gönner nicht geſchont. Joahim erhob
vergeblich beim jächfifchen Hofe Beſchwerde. Sein Mann war
Luther überhaupt nicht. Wohl aber berief er im April 1538
Melandthon zu einer Beratung. Sie befeitigte den Fatholis
fierenden Elgersmaſchen Reformentwurf: denn Melanchthon ent⸗
ging es nicht, wie das Volk in der Mark in Sachen des Evan-
geliums feinem Herrn weit voraus war und „wunderbar nad)
der neuen Lehre bürftete”. So wollte man die firchliche Neuerung
auch ferner gewähren lafjen, ihr aber nicht ausdrücklich bei—
treten. Sole Halbheit war Joachim um fo genehmer, als
die politiihe Lage jeinem Bemühen um friedliche Verftändigung
der Religionsparteien eben Erfolg verhieß.
Unter dem Drud neuer auswärtiger Verwidelungen fonnte
IV. Reformation und ftänbifhes Regiment. 209
der Raifer an Gewalt gegen die Proteftanten noch immer nicht
venfen. Als daher Joahim im Mai 1538 in Baugen die
böhmifchen Lehen von König Ferdinand empfing, gewann er
diejen für den Verfuch zu einer Verftändigung ohne die Kurie.
Die Schmalfaldener, die Kurfürften — außer dem Mainzer
— ftimmten bei. Auch der Kaiſer war einverftanden und bereit,
neben dem Pfalzgrafen Ludwig Joachim ſelbſt als Vertreter
der Proteftanten zuzulaffen. Daß diefer noch nicht ausbrüdlich
übergetreten war, ſondern die Formen der alten Kirche feft-
hielt, empfahl ihn befonders. Bei den Evangelifchen aber er-
regte eben dies ernfte Beſorgniſſe, obgleich der Frankfurter
Anftand vom 19. April 1539 die Einftellung der vom Reiche:
Tammergericht gegen Proteftanten eingeleiteten Prozefje und
für den nädjten Reichstag die Bildung einer Kommiffion von
Theologen und Laien verfügte, die durch eine „Löbliche chriſt⸗
liche Vereinigung” ben religiöfen Frieden herzuftellen verſuchen
ſollte.
Immerhin waren die Proteſtanten zunächſt vor Gewalt
geſichert. Und nun that auch Joachim II. endlich einen Schritt
vorwärts. Ergaben ſich doch aus der Unklarheit der kirchlichen
Verhältniſſe in der Mark Mebelftände, die aud auf andere Ge:
biete ftörend einwirkten. Nicht bloß, daß „Kirche und Satra-
ment dahinfallen und die Kirche zum Deſolat“ werde, ftand
nad Joahims Worten zu befürdten: für eine ganze Reihe
von ftaatlihen und geſellſchaftlichen Inftituten war die bis-
herige Grundlage in Wegfall gefommen. Noch war an bie
Stelle der geſchwundenen kirchlichen Autorität feine neue ge:
treten als Hüterin von Sitte und Zucht, von Ehe und Fa-
milie. Wo die Bevölkerung ehemals bei Bifhöfen und Pfar-
rern nicht bloß Rat, jondern auch Recht geſucht hatte, da
wandte fie ſich nun an die weltlichen Behörden. Der Kurfürft
und feine Beamten wurden, wie e& heißt, „vielfach angelaufen”
und „um Richtung angegangen wegen allerlei Sachen, Irrungen
und Mängel, welde ber Kirhenordnung und Religion an:
hängig, auch Eheſachen, der Geijtlichen Teftamente, öffentliche
Lafter, Inquifition und andere gleihmäßige Händel, die vor—
hin vor die geiftlichen Gerichte gemwiefen“. Die Auflöfung ber
Pruß, Preubifäe Geſchichte. I 14
210 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
kirchlichen Ordnung führte auch zu der ber bürgerlichen und
der gejellfhaftlihen. Das nötigte Joahim, feine Haltung zu
ändern. Auch die Stände werden auf die fteigende Verwirrung
hingewiefen haben. Sie ſcheinen bereits auf dem Landtage zu
Berlin im Herbft 1538 von dem Kurfürft endlich eine be—
ftimmte Erklärung in Sachen der Religion verlangt zu haben.
Er wolle fih, fo lautete Joahims Antwort, fo verhalten, wie
er ed vor Gott und dem Kaifer mit gutem Gemifjen verant-
worten könne. Dem Befenntnisitande feiner Unterthanen trug
das freilich nicht Rechnung. Auch konnte man zweifeln, ob er
fi) damit von dem Gelöbnis Löfte, das er dem Vater geleiftet
hatte. War doch felbft der Landtagsrezeß von 1527, in dem
die Stände bei der alten Kirche zu bleiben verſprochen hatten,
mit biefer Erklärung nicht unvereinbar. Doc konnte man fie
auch auf die Abficht deuten, ſich dem fiegreihen Evangelium
zu beugen. Wurden die Unterthanen jo nicht aufgefordert, zu
beharren und durch eine vollendete Thatjahe alle Schwierig:
feiten zu löfen? Aehnlich wie einige Jahre zuvor in Preußen
bing in Brandenburg das Schidjal der Reformation nicht von
dem Landesherrn ab, jondern von der Bevölferung. Ihr mußte
jener folgen. Schon wankte unter dem zerjegenden Einfluß,
den die Auflöfung der alten Kirche auf Staat und Gefelihaft
ausübte, feine Autorität. Auch für fie galt es neue Grundlagen
zu ſchaffen. Der erwachende Glaubenseifer des Volkes, das
an bem unklaren Doppelwejen je länger je mehr Anftoß nahm,
und die Notwendigkeit, durch Verzicht auf die bloße Negation
der begonnenen Auflöfung Halt zu gebieten, bewirkte fo end:
li die Klärung, die in den neumärkiſchen und laufigischen
Gebieten Markgraf Johann bereits herbeigeführt hatte.
Im Februar 1539 berief der Berliner Rat die Bürger:
{haft zur Mitteilung eines Eurfürftlichen Verbots gegen den
Eintritt in fremde Kriegsdiente. Sie verlangte eine Beſprechung
auch der kirchlichen Lage. Dieje ergab den Beſchluß, der Rat
folte Joahim im Namen der Stadt um Grlaubnis bitten,
fünftige Oftern das Abendmahl unter beiberlei Geftalt zu
feiern. Schnell fam die Bewegung nun in Fluß. Im April
1539 erflärten etlihe märkiſche Edelleute vor Biſchof Mat:
IV. Reformation und ftändifges Regiment. 211
thias von Brandenburg ihren Anſchluß an die neue Lehre und
verlangten evangeliſche Pfarrer anſtellen zu dürfen, ohne darum
die katholiſchen austreiben oder nicht mehr unterhalten zu
wollen. Aehnlich ging Frankfurt vor, und das bisher zumartende
Spandau beftellte einen evangelifhen Prediger.
Vieleicht aber hätte Joachim II. die geforderte Erklärung
auch jegt noch vermieden, wäre nit am 1. April Herzog
Georg von Sachſen geftorben, der eifrigfte Vorkämpfer der
alten Kirche in Norddeutſchland und die Seele des Hallifchen
Bundes, dem er ala dem Vater feiner erften Gemahlin befondere
Rückſicht ſchuldete. Wenn er fih aber auch jegt noch zurüdhielt
und nicht zu der Zuverſicht des Handelns erhob, die einem
großen Entſchluſſe entipringt, jo that er das aus Scheu vor
Polen, da feine Gemahlin Hedwig Polin und Katholikin ge
blieben war. Auch wünſchte er die guten Beziehungen zum
Kaiſer zu erhalten. Auch feine gelehrten theologischen Neigungen
hinderten ihn, einfach Luther zu folgen. That er fi doc
gerade auf fie etwas zugute und liebte es, ſolche Probleme ein:
gehend zu erörtern. Nach alledem konnte es nicht wundernehmen,
wenn in der Kommiffion, die im Sommer 1539 eine märkiſche
Kirchenordnung beriet, neben erklärten Anhängern Luthers,
wie Jakob Stratner und dem Berliner Propft Georg Buchner,
zum Verdruſſe ſelbſt Melanchthons als eigentliher Vertrauens:
mann Joachims der Prediger Wigel aus Niemegk bei Witten-
berg jaß, der die Kirche ohne Löfung von Rom beſſern wollte.
Man ließ denn aud) nicht bloß die biihöfliche Gewalt, ſondern
das ganze katholiſche Zeremonienwefen beftehen, acceptierte aber
die Ehe der Geiftlihen, den Laienfelh und Luthers Katechis:
mus. Gegen den bisherigen Zuftand war das immerhin ein
Fortſchritt, und die Märker freuten fih ber endlichen Aner-
fennung ihres Glaubens. Joachim freilich meinte nod immer
nicht aus der katholiſchen Kirche auszufcheiden : in einem Schreiben
an feinen Schwiegervater erklärte er vielmehr von neuem feine
Unterwerfung unter den Spruch des künftigen Konzils, ver
ſprach auch jeine Gemahlin in der Uebung ihres Glaubens
nicht zu hindern. Die Rüdfiht auf diefe wird ihn wohl auch
beftimmt haben, die erfte lutheriſche Abendmahlsfeier nicht da,
212 Erſtes Bug. Die Elemente bes preußiſchen Staates (bis 1598).
wo fie Hingehörte, im „Dom“ zu Berlin, zu begehen: in Span=
dau empfing er am 1. November 1539 mit etlichen märkifchen
Edelleuten und Geiftlihen aus der Hand Matthias’ von Jagom,
des Biſchofs von Brandenburg, Kelh und Brot. Eindruds-
voller geſchah der Uebertritt der hauptſtädtiſchen Bürgerſchaft:
vermutlich in der Nikolaikirche empfingen die ſtädtiſchen Be—
hörden und die Vertreter der Korporationen das Abendmahl,
während die übrigen ſtädtiſchen Gemeinden fi dazu in ihren
Kirchen vereinigten. In der nächſten Zeit folgten, zum Teil
auf ausdrüdlihe Anweiſung Joahims, die übrigen Städte,
foweit fie den Konfeffionswechjel nicht ſchon vollzogen Hatten.
In einigen Eleineren, wo ber fatholifche Klerus noch Einfluß
befaß, fam es dabei zu allerlei unſchuldigen Tumulten.
Volle kirchliche Gemeinſchaft aber war auch fo zwiſchen
Joachim und feinen Unterthanen nicht hergeftellt. Während
dieſe froh waren, von Rom gelöft zu fein, bemühte er ſich,
num in feinem Gewiſſen beruhigt, diefe Löfung von Rom viel-
mehr abzuwenden. Wie fehr er noch in ber alten Kirche ftand,
lehrt die unter feiner perſönlichen Mitwirkung ausgearbeitete
Kirhenordnung. Mit der Lehre Luthers, deſſen Katechismus
fie ganz aufnahm, verband fie die wichtigften katholiſchen Kult:
formen — die Erhebung der Hoftie, die Prozeffionen, die
legte Delung, die lateiniſchen Gejänge, die Metten, die Fuß-
waſchung am Gründonnerstag, die Kniebeugungen vor dem
Kruzifir u. a. m. Wohl eiferten feine Räte gegen ſolchen
Gögendienft. Luther, froh, daß es in Brandenburg endlich jo
weit gelommen, empfahl Joachim gewähren zu laffen: er wußte,
daß auch hier jehließlich der Geift über die Form triumphieren
würde. Ließ ſich das aber von einer Kirchenorbnung erwarten,
mit der König Ferdinand ſich einverftanden erflärte und bie
fogar der Kaifer zu beftätigen fein Bedenken trug?
Dennoch ift fie eigentlih nie recht in Wirkjamfeit ge:
treten: die Oppofition der Prälaten nötigte den Kurfürften
weiter zu gehen. Während auf einem Landtage zu Berlin im
März 1540 Adel und Städte die Kirchenordnung trotz aller
Bedenken annahmen, lehnten die Prälaten mit Ausnahme des
Biſchofs von Brandenburg fie nicht bloß ab, fondern machten
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 213
auch durd einen geharnifchten Proteft jede Verftändigung un-
möglih. Die Zeit war für fold offene Auflehnung nicht eben
glüdlich gewählt. Bekam Joachim doch gerade damals durch die
mit dem Berliner Zandtage von 1540 vereinbarte Reform des
Kammergerihts auch gegen den auffägigen Klerus neue Waffen
in die Hand. Obgleich die Kammergerihsorbnung von 1516
nicht eigentlich Gejeg geworden war (S. 182), beftand und
fungierte das Kammergericht. Jet war von einem Anteil der
Stände an der Ernennung der Beifiger, wie er damals ge—
plant war, entſprechend der bisherigen Praris, nicht mehr die
Rede. Auch fand von feinen Sprüchen hinfort feine Appella-
tion, fondern bloß eine Supplifation an den Hof ftatt, während
der früher nur fakultative Sühneverfuh vor Einleitung des
Prozeſſes obligatorifch wurde. Weberhaupt erſcheint das Kammer:
gericht noch nicht als eine ausſchließlich für die Rechtſprechung
fonftituierte Juſtizbehörde. Die furfürftlihen Räte fungierten
nur im Bedarfsfalle nebenamtlic) darin. In ihm miſchte fi
aljo oberfte Verwaltung und oberfte Rechtſprechung, eine Roms
bination, bie, ſtets gefährlich, in ſolchen Uebergangszeiten leicht
zu gewaltfamer Brechung auch einer beredtigten Oppofition
mißbraudt werben kann. Gerade gegenüber den altkirchlichen
Biſchöfen konnte diefe Neuerung Joahim nügen. Denn ihr
Widerftand war nur mit dem Bistum ſelbſt zu befeitigen. Auch
der evangeliſche Eifer der Bevölkerung richtete ſich gegen dieſes
als den Hort anftößiger Zeremonien. Der entjheidende Schritt
geſchah mit der märkiſchen Kirchenvifitation von 1540—1542:
er bewirkte den Nüdtritt des Kanzlers Kettwich, der weniger
frankheitshalber erfolgte, als weil die von ihm vertretene Rich—
tung eine Niederlage erlitten hatte. Sein Nachfolger wurde
der Ordinarius der Juriftenfatultät und Beifiger des Schöffen:
ſtuhls zu Leipzig, der Doktor der Rechte Georg von Breit
bad. Denn den unermüblien und glänzend bewährten Wein-
leben jchlofien jeine Jugend und feine bürgerliche Herkunft von
dem Kanzleramte aus. Auch noch nad) Breitenbachs vorzeitigem
Tode (1541) mußte er fi mit dem Titel eines Vizekanzlers
begnügen, obgleich er thatſächlich ala vornehmfter Beirat des
Kurfürſten alle ftaatlichen und kirchlichen Angelegenheiten leitete.
214 Erſtes Bud. Die Clemente des preußiſchen Staates (is 1598).
Auch die beffere Organifation der Staatsverwaltung, die Jo:
adim 1542 bei dem Aufbruch) zum Türkenkrieg durchführte, wird
für fein Werk zu gelten haben. Sie fonderte vier Departes
ments: die Hof: und Hausverwaltung, die Rechtspflege, die
oberfte Regierung von Land und Leuten und die Finanzen.
Uebrigens wiederholt auch die Kirhenvifitation von 1540
bis 1542 die Eigenart der märfifhen Reformation. Sie be:
traf zunächſt nicht Lehre und Kultus, obgleih fie aud da
manden Nugen ftiftete, 3. B. mit dem Einblid in die un—
genügende Bildung des Klerus die Notwendigkeit befjerer Für-
forge in diefer Richtung ergab. Mit einem Bevollmächtigten
des Biſchofs von Brandenburg nahmen Weinleben und Stratner
unter Zuziehung immer bes furfürftlihen Amtmanns der be
treffenden Landichaft den Wermögenzftand ber Kirchen und
Klöfter auf und führten feine Verwaltung an die Landes:
behörden über. Die Stände wurden ‚nicht zugezogen: oft galt
& die von Adligen und Stäbten occupierten Kirchengüter zurüd-
zugewinnen. Dann wurden aber au vakante Pfarreien mit
evangelifhen Geiftlihen bejegt, die Klöſter aufgehoben oder
wenigftens ihre Aufhebung eingeleitet, nicht ohme Hader mit
den widerſpenſtigen Einfafien. Die Nonnenklöfter wurden Ver:
jorgungsanftalten für adlige Jungfrauen. In den Städten
fanden die Vifitationen freudige Unterftügung. So erhielt die
evangelifche Kirche der Mark eine geficherte wirtſchaftliche Grund:
lage. Die Aufhebung aller kirchlichen Lehen und Sinefuren
ermöglichte eine befjere Verforgung der Geijtlihen und Lehrer,
an deren Bildung nun höhere Anſprüche geftellt werden Fonnten.
Kam das zunächſt der Volksſchule zu gute, fo leitete es doch
aud für die Univerfität Frankfurt eine Zeit neuer Blüte ein.
Nur an zwei Stellen ftieß die irhlihe Neuordnung auf
Widerftand. Georg von Blumenthal, der Biſchof von Lebus,
war in dem neumärkiſchen Teil feines Sprengels bereits Jo—
hann von Küftrin ſchroff entgegengetreten. Auch fein Havel:
berger Amtsbruder, Buſſo von Alvensleben, hielt die neue Lehre
nieder. Da griff die Bevölkerung zur Selbfthilfe: in Perleberg
und Havelberg reformierte fie. Joachim ließ das geſchehen, ob:
glei) er, von Martin Bucer beraten, die Vermittelung zwilchen
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 215
den Religionsparteien im Reihe gerade bejonders eifrig be—
trieb: freilich faßen auf den Neligionsgeiprähen zu Worms
und Negensburg feine Bevollmächtigten nicht bei den „Pro:
teftierenden“, jondern bei den „Gehorfamen”. Das blieb nicht
unbelohnt: der Kaifer beftätigte die märkiſche Kirchenordnung,
der durch fie gefhaffene Zuftand war alſo von feiten des Reiche
legalifiert. Dafür verpflichtete fih Joahim (21. Juni 1541),
feinem aus Anlaß der Religion geſchloſſenen Bündnis beizu-
treten und fi dem Spruche des fünftigen Konzils zu fügen.
Zum Glüd für die Mark aber waren die Verhältnifie
wiederum ftärfer als Joahims Eifer für die kirchliche Einheit.
Indem fie die Vefugniffe, melde die Kirchenordnung ihnen
einräumte, nicht gebrauchten, fteigerten die Biſchöfe von Havel:
berg und Lebus gefliffentlih das Kirchliche Wirrfal. Die An:
hänger der alten Kirche erhoben fich zuverfichtliher: felbft Mat:
thias von Brandenburg jah ſich bedrängt. Das gefährdete auch
die ftaatlihe Ordnung. Um ihretwillen mußte Joahim die
Regierung der Kirche, die er den Biſchöfen Hatte überlaffen
wollen, in die eigene Hand nehmen. Die Konfiftorialordnung
von 1543 erſetzte das bifchöfliche Kirchenregiment durch das
Iandesherrlie. Aus „gottesfüchtigen Theologen und Rechts-
verftändigen” zufammengefeßt, follte das Konfiftorium zu Kölln
an der Spree nad feinem kurſächſiſchen Vorbild Lehre und
Wandel der Geiftliden beaufihtigen, in Kirchen- und Ehe—
jachen Recht ſprechen, über Beobachtung der Zeremonien wachen,
für Kirchengebäude, Kirchhöfe und Schulhäufer forgen und gegen
öffentliches Nergernis, namentlich Verfpottung der Sakramente
und Entheiligung des Sonntags, einſchreiten. Stark wurde
das monarchiſche Prinzip betont. Da, jo führt die Einleitung
aus, „Eraft jeines tragenden Amtes der Landesfürft nicht
bloß in weltlichen, fondern auch im geiltlihen Sachen Recht
und Geredtigfeit männiglich mitzuteilen habe, jo fei er auch
nit verbunden, dazu feiner Landſchaft Bewilligung zu er:
fordern, wie es ja auch alle Zeit allein bei den Bifhöfen und
ihren Offizialen gejtanden habe, in geiftlihen Händeln und
Saden männiglih auch ungehindert wider aller Unterthanen
Willen und nad Rechts Gebühr zu procedieren”. In ihrem
216 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (his 1598).
vollen Umfange nahm Joachim die bisher den Biſchöfen zu:
ftehende Gewalt in Anſpruch: als oberiter Biſchof trat er an
ihre Stelle.
Freilih wurde die Konfiftorialordnung nicht durchweg in
diefem Sinne gehandhabt, und jo weit es geihah, brachte es
der Reformation feinen Gewinn. Verſuchte Joachim doch nun
erſt recht die märkifche Kirche in feine mittlere Richtung zu
zwingen. Dadurch verdarb er es vollends mit den Anhängern
der alten Kirche, ohne die entfchloffenen Vorfämpfer der neuen
zu gewinnen. Diefe verwarfen jeine Reformation als halb
katholiſch. Auch feine Mutter Elifabet nahm daran Anſtoß
und beflagte den Einfluß, den ein Mann von der Inkonſequenz
und Larheit Agricolas bei Joachim gewann. Erſt eingehende
Darlegungen über Charakter und Ziel der Kirhenordnung ver:
mochten fie, im Januar 1545 in die Mark zurüdzufehren, nach—
dem fie ſich durch einen Vertrag volle Freiheit des Bekenntniſſes
und namentlih der Wahl ihres Hofpredigers gefichert hatte.
Doch hielt fie ih in ftiller Zurüdgezogenheit und lebte in
Spandau halb wie eine Verbannte: mit dem Zwitterzuftand,
in dem die märkiſche Kirche blieb, vermochte ihre proteftantifche
Ueberzeugungstreue fih nit zu befreunden.
Inzwiſchen nahte die Entſcheidung. Des franzöfifhen Krieges
ledig, wollte Karl V. die Proteftanten mit Waffengewalt unter
das dem Papfte abgedrungene Konzil beugen. Markgraf Johann,
der 1538 dem Schmalkaldiſchen Bunde beigetreten war, fagte
ſich, eingejhüchtert dur feinen aftrologifhen Berater, nicht
bloß von ihm los, jondern ergriff gegen ihn die Waffen, er=
bittert über Die Gefangennahme feines Schwiegervaters Hein-
tih von Braunſchweig und weil er des Kaiſers beruhigenden
Verſicherungen in betveff der Religion Glauben ſchenkte. Für
einen grundfäglihen Vermittler wie Joachim aber war bie
Zeit umfafjendfter Bethätigung gefommen. Dabei entwidelte
er einen Zug dynaſtiſchen Eigennuges, der vor gewagtem Zus
greifen zurüdichredt, aber auf Um: und Schleihwegen Bes
friedigung ſucht. Nur ging er dabei mit Morig von Sadjen
zufammen und wurde, ohne es inne zu werden, von biejem
gebraudt. Indem Morig, mit dem Kaiſer bereits einig über
IV. Reformation und ftändifges Regiment. 217
die Teilung der erneftinifhen Beute, Joahim im Herbit 1546
zu einem Schuß: und Trugbündnis gewann, fompromittierte
er ihn feinen Glaubensgenofjien gegenüber auf- das Schwerfte
und machte ihm eine Hinderung feiner ehrgeizigen Pläne ſchon
dadurch unmöglich.
Diefe galten dem Erzbistum Magdeburg. Dort war im
September 1545 auf Albrecht, der 1541 gegen Uebernahme
eines Teils feiner Schulden den Ständen des Erzſtifts ſowie
denen von Halberftadt das Evangelium freigegeben hatte, fein
bisheriger Roadjutor Johann Albrecht, aus der fränfifchen Linie
der Hohenzollern, gefolgt. Die Stadt Magdeburg jedod er⸗
ftrebte den Anſchluß an Kurſachſen, und Johann Friedrich be
ftimmte deshalb Johann Albrecht gegen ein Jahrgeld zum Ver:
sicht. Aber auch Joachim hatte fein Auge auf Magdeburg
gerichtet. Beiden fam Morig zuvor: der Regensburger Geheim-
vertrag, durch den er fi dem Kaifer zur Hilfe gegen feinen
kurfürſtlichen Vetter verband, fiherte ihm die Hoheit über das
Erzbistum Magdeburg und über das Bistum Halberftadt, wo
ebenfalls Johann Albrecht gefolgt war. Joachim gingen die
Augen erſt auf, ala jein Verbündeter plögli in das Land des
abwejenden Johann Friedrih einfiel. Aber von dem Heim
eilenden aus dem eigenen Lande gejagt, verlangte Mori auf
Grund ihres Bündniffes Joachims Hilfe, und im Februar 1547
befahl der Kaiſer auch den brandenburgifhen Ständen den
Herzog zu unterftügen. Diefen Moment benugte Joahim zur
Befriedigung alter Wünfde. Er eilte nah Auſſig. Schnell
einigte er fid mit Morig, da aud König Ferdinand, um ben
Sachſen nicht zu groß werben zu lafien, jeinen Forderungen das
Wort redete. Sein zweiter Sohn Friedrich ſollte Koadjutor in
Magdeburg und Halberftadt werben, um bereinft in beiden Stiften
zu folgen. Mit Morig wurde eine Erbvereinigung geſchloſſen,
die den brandenburgiſchen Hohenzollern den Anfall der alberti-
niſchen Lande verhieß. Wie konnte folhem Gewinn gegenüber
Joachim an Neutralität denken? Bald war Kurprinz Johann
Georg unterwegs, um Morig zur Wiedereroberung feines Landes
zu helfen. Das Magdeburger Domkapitel aber wählte gehorjam
den ſechzehnjährigen Friedrich von Brandenburg zum Koadjutor.
218 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (Bid 1598).
Weder Ueberzeugungstreue noch Ehrlichkeit war dieſer
Politik eigen. Und was dachte die Bevölkerung der Mark, als
fie, ftatt die Papifterei endlich vollends loszuwerden, ſehen
mußte, wie ihres oberften Biſchofs Sohn feines Großoheims
Erbſchaft als Würdenträger der katholiſchen Kirche antrat? Und
es fam noch ſchlimmer. Des Kaifers Sieg bei Mühlberg, nad
dem die Tage des Evangeliums gezählt fchienen, feierte in
Berlin Agricola dur einen Danfgottesdienft. Der Kurfürft
ſelbſt eilte mit Eufta von Schlieben und anderen märkiſchen
Edelleuten nah Wittenberg, um dem Sieger zu huldigen. Ja
etlide von diefen Herren kauften die von den fpanifhen Sol:
daten in Sachſen geraubten Herden billig für ihre Güter an.
War e8 zu verwundern, wenn die öffentlihe Meinung entrüftet
losbrach? Und nun gelobte Joadim im Wittenberger Lager
Unterwerfung unter das Tridentiner Konzil! Daß er dafür
in Saden des Glaubens die Erleichterungen zugefichert erhielt,
die Morig von Sachſen eingeräumt werden würden, fonnte in
den Augen ber Evangelifhen feine Schuld nur fteigern, zumal
er fih dazu hergab, zwifchen den Gebieten Moritz' und des um
Land und Leute gebraten Johann Friedrich die Grenze
feftzufegen! Wie ihm der Kaifer ſolche Dienftbarkeit lohnen
würde, ließ die troß feiner Bürgſchaft geichehene Gefangen-
nahme bes heſſiſchen Landgrafen erfennen. Und dennod ge:
hörte er mit feinem Agricola zu den eifrigften Vorfämpfern
des Interims, das feine Märker verabjheuten. Neben
Morig galt er für den Urheber al des Unheils, das über
die Evangelifchen hereingebrochen war. In Sachſen und der
Mark wurde die Erregung fo drohend, daß beide Fürften ein-
zulenken eilten.
Aber auf einer Zufammenkunft, die fie im Dezember 1547
in Juterbogk hatten, bejchlofien fie von dem Interim nur die
Herftellung der Meſſe abzulehnen: die der katholiſchen Zere—
monien, der katholiſchen Kirchenordnung und der legten Delung
geftanden fie zu, und ſchon im Januar 1548 fonnte Joahim
dank dem reaftionären Eifer Agricolas dem Kaiſer melden, daß
jein Wille erfüllt fei. Obgleich mander glaubenstreue Geiftliche
fein Amt aufgab und ins Elend zog, nahm das kirchliche Leben
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 219
in der Mark wieder ein ganz katholiſches Gepräge an: 1549
beging man in Berlin das Fronleihnamsfeft in alter Weife.
War 8 zu verwundern, daß die Herzen der Märker ſich vollends
von Joahim II. abwandten? Daß der Haß gegen Agricola ſich
in einer Flut von Satiren entlud? Um jo mehr Sympathien
gewann Johann von Küftrin. Im Schmalkaldiſchen SKriege
Hatte er zum Kaiſer geftanden, weil er den Glauben nicht ge
fährdet wähnte: das Interim lehnte er rundweg ab. Auf alles
Drängen und Mahnen hatte er — auch hierin dem Bruder
ganz entgegengefegt — nur die Erklärung, in Sachen ber
Religion fönne er ohne Zuftimmung der Stände nichts ändern.
Die verfolgten Geiftlihen nahm er auf, unbeirrt dur faile
liche Drohungen. Wenn der Reformation in Brandenburg da—
mals noch eine Hoffnung blieb, fo beruhte fie nicht auf dem
Kurfürften, fondern auf feinem Bruder. So entfrembet war
Joachim dem eigenen Volke, daß er Meuchelmord fürdtete,
und mit Recht gab Johann es ihm ſchuld, daß Brandenburg an
Reputation, Blüte, Gut, Land und Leuten jo abgenommen
habe. Meinte Joahim das zu widerlegen, wenn er den Plan
auf Magdeburg glücklich durhführte? Aber die Schifanen, dur
die er die Stadt zur Aufnahme feines Sohnes zu zwingen
ſuchte, erbitterten die Evangelifchen vollends, zumal fie hörten,
fein Gefandter in Trident, Chriftoph von der Straßen, wolle
ſelbſt die katholiſche Abendmahlslehre annehmen, fobald nur
eine hinreihend deutbare Formel gefunden wäre. Schon traten
auch in der Mark die Anhänger der alten Kirche kecker auf.
In Havelberg hatte die katholiſche Reaktion in dem greifen
Dechanten Peter Konradi einen Vorfämpfer gefunden, dem
Biſchof Buſſo von Alvensleben deshalb feinen anftößigen Wandel
nachſah. So blieb diejes Bistum eine Fatholifche Infel in der
Marf. Zwar wurde nah Buſſos Tod im Mai 1548 auf
Zoahims Empfehlung Friedrih, der Koadjutor von Magde—
durg, zum Biſchof gewählt: aber er mußte ausdrüdlich dem
Luthertum entjagen, und bei feiner Jugend und dem Ausbleiben
ber päpftli—hen Beftätigung fam die Leitung des Bistums an
ben ftreng katholiſchen Propft Johann von Walwig. Wie zwiſchen
den Konfeflionen, jo gab es dort auch zwiſchen der bifhöflichen
220 Erſtes Bud. Die Clemente bes preußiſchen Staates (bis 1598).
und landesherrlihen Autorität immer neue Konflikte, die das
Anfehen des Staates ſchädigten.
Aber während Joachim ein Stüd Proteftantismus nad)
dem anderen preisgab, traf Markgraf Johann (Februar 1550)
zu Königsberg in Preußen bei Gelegenheit ber Hochzeit Herzog
Albrechts mit Anna Maria von Braunſchweig und ber gleich:
zeitigen Verlobung feiner Tochter erſter Ehe mit Johann Albrecht
von Medlenburg die erften Verabredungen zur Rettung bes
Evangeliums. Um Joachims Anſchluß warb man vergeblich:
er dachte nur daran, feinem Sohn zur Anerkennung in Magbe:
burg zu verhelfen. Die Katholifen bejorgten nämlich, dieſer
fole an ber Elbe wiederholen, was Albrecht von Brandenburg
am Pregel gethan hatte. Als aber Karl V. feinem Sohne
Philipp aud im Reiche die Nachfolge zu verfchaffen und dieſes
jo dem ſpaniſchen Abfolutismus zu beugen ftrebte, erfannten
die fonfeifionellen Gegner die Notwendigkeit gemeinfamer Ab-
wehr: die Kriſe bereitete fi vor, die Karl V. jählings von der
Höhe der Macht ftürzen ſollte. Auch Joachim II. konnte fi
nur durch eine ſchnelle Schwenkung davor bewahren, zwiſchen
den ftreitenden Parteien zermalmt zu werden: was er bisher
im Dienft der Habsburger nicht bloß abjeiten, jondern im Gegen:
fag zu den übrigen evangelifchen Fürften erftrebt hatte, fuchte
er nun mit der entgegengefegten Strömung zu erreichen.
Aber wieder muß dahingeftelt bleiben, wie weit er das
perfönli that. Denn wie die Durdführung, jo ſcheint auch
die Konzeption des neuen politifchen Syftems dem erfindungs-
reihen Staatsmanne zujugehören, ben eine glüdliche Fügung
Joachim II. eben damals an die Seite ftellte. Ein Sohn des
anpafjungsfähigen ſächſiſchen Stammes, der mit ber Reformation
nit bloß die geiftige Führung in Deutſchland übernahm,
wurde Lampert Diftelmeyer in ben brandenburgiihen Ver:
bältniffen jo ſchnell und jo ganz heimifh, daß er fie fofort
und auf Menſchenalter hinaus entſcheidend beeinflußte. Er
zählt zu den damals nicht jeltenen Staatsmännern, die wie
die Jtaliener der Nenaiffance den Staat als Kunftwerk be:
bandelten und die Politik als Kunft betrieben. Ohne nationale
oder gar landsmannjchaftliche Voreingenommenheit machten fie
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 221
die Züge einer vielverflungenen diplomatifhen Aftion nad
Art fein Fombinierender Schadipieler, denen es weniger um
den Erfolg ala um die Durchführung eines fubtilen Entwurfes
zu thun ift. Ihre Leidenfchaftslofigkeit, die nur fachliche Ge:
fihtspunfte Kennt, ſchürzt und Löft die Knoten, wie man etwa
ein felbfigeftelltes verwickeltes Rechenerempel behandelt. Darin
berubte die Weberlegenheit diefer neuen Staatsfunft über das
alte ſtändiſche ſowohl wie das junge landesfürſtliche Beamten-
tum. Sie jhulte die Männer, die in der Reformation die
Zufunft Deutſchlands retteten, indem fie Karla V. Diplomaten
mit ihren eigenen Waffen überwanden. Das gilt aud von
Diftelmeyer: durch feine geringere Schule als die Morig’ von
Sachſen gegangen, leitete er Joahim alsbald in das politifche
Syſtem des Albertiners hinüber.
Euftahius von Schlieben verdankt Brandenburg die Ge:
winnung dieſes Mannes, den er bei feinen Miffionen an dem
Dresdener Hof kennen gelernt hatte. Zu Leipzig 1522 als
Sohn eines Handwerfers geboren, hatte ſich Lampert Diftel-
meyer, wie es heißt, auf Anraten Melanchthons der Juris:
prudenz zugewandt, die aud dem Bürgerlihen größere Aus:
fihten eröffnete. Als Studiengenoffen feines Sohnes lernte ihn
Simon Piftorius, der Kanzler Morig’, fennen und zog ihn an
fih. Obgleich durch den Schmalkaldiſchen Krieg bald unter-
brochen, gereichte die Thätigfeit in der Dresdener Kanzlei, da—
mals einem der Zentren der hohen Politik, dem jungen Juriften
überall zur Empfehlung. Als Syndikus der Stadt Baugen und
Berater des laufigifchen Adels bewährt, durch die Ehe mit einer
reichen Leipziger Batriziertochter zu Wohlitand und einflußreichen
Verbindungen gelangt und in Leipzig zum Doftor ber Rechte
promoviert, jah ſich der Ahtundzwanzigiährige von Joachim IL,
von den Erneftinern, ja von Granvella ummworben. Nach einer
durd von Schlieben vermittelten Begegnung auf dem Jagd:
ſchloſſe Grimnig nahm er des erften Anträge an. Es handelte
fi) dabei nit um einen Erfag für den alternden Vizekanzler
Weinleben und für Adam von Trotta, der gegen Heinrich von
Braunſchweig, den Verführer feiner Schwefter Eva, ein ſcharfes
Pamphlet veröffentlicht hatte, aber die ihm vom Kaifer auf:
222 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
erlegte Abbitte verweigerte und daher in Reichsangelegenheiten
nit mehr verwendbar war, fondern um einen Syſtemwechſel.
Joachim II. war mit feiner Weisheit zu Ende und fand feinen
Ausweg mehr aus der Sadgafie, in die er geraten. Auf
Grund eines von ihm entworfenen und von Joachim gebilligten
Programms übernahm Diftelmeyer namentlich die Leitung der
auswärtigen Politif. Erſt der perſönliche Vertrauensmann
Joachims, wurde er im Herbft 1551 Mitglied und 1558 als
Kanzler Leiter feines Rates. Und es war die höchſte Zeit, daß
ein Wandel eintrat. Wenn Diftelmeyer ſpäter nachgerühmt
wurde, man verbanfe ihm bie Erhaltung der Religion, der
Freiheit, des Friedens, des Fürften, des Vaterlandes und aller
Rechte, jo mag das panegyrijch übertrieben jcheinen, läßt aber
erkennen, weſſen man fi von einer weiteren Verfolgung des
zulegt eingejchlagenen Weges verfehen zu müfjen glaubte.
Vor allem mußte Brandenburg fih aus den Umftridungen
der kaiſerlichen Politik löfen und aus der Reformation endlich
die politifhen Konfequenzen ziehen, die Nachfolge Philipps be:
kämpfen und durch die Losfagung vom Tridentiner Konzil die
Evangelifhen verjöhnen. So dachte Diftelmeyer zugleich) Magde—
burg dem Evangelium zu erhalten und den Hohenzollern dort
eine Zukunft zu gewinnen. Tazu durfte man Morig dort nicht
allein handeln laffen, jondern mußte fih durch Mitthun das
Recht des Mitiprehens fihern, wenn es über die Stadt zu
beftimmen galt. Denn unbeirrt durch die Entrüftung feiner
Glaubensgenofien hatte der ſächſiſche Kurfürft inzwiſchen die
Acht gegen Magdeburg zu vollfireden übernommen. Johann
von Küftrin wollte der Stadt zu Hilfe eilen: aber auf einer
Zufammenkunft in Angermünde gelang es Joachim, ihn zu bes
ſchwichtigen, indem er ihn in feine Abfichten einmweihte. Kur:
fürftlide Mannſchaften zogen Mori zu. Co verpflichtete man
fih dem Kaifer und blieb an der Eeite des Albertiners, um
ihn zur Teilung der Beute zu nötigen. Schon wieſen Joachims
Gefandte beim Kaiſerhof auf die Koften des Buges Hin, zu
deren Deckung die Rebellen herangezogen werden müßten.
Inzwiſchen jpann Morig von Sachſen die Neke, in die
verftridt der Kaiſer zu Fal kommen jollte. Der Fürftenbund
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 223
wurde geſchloſſen und gleich wieder gelöft: die Ahfichten der
Teilnehmer gingen zu weit auseinander, um ein einheitliches
Handeln zu ermögliden. Zwar wollte Johann von Küftrin,
des Interims wegen vom Kaifer hart bedroht, alles an bie
Verteidigung fegen, von einem Angriff auf den Kaiſer aber
nichts wiſſen. Wenn aber Joachim, ohme dem Bunde anzu
gehören, auch ferner zu Morig hielt, fo geſchah das allein aus
dynaftifden und perjönlihen Gründen: Magdeburg folte dem
Evangelium zwar erhalten, aber fein beim Antritt bes Havel:
berger Bistums förmlich zur Tatholifhen Kirche zurüdgelehrter
Sohn dort Erzbifchof werden. Aber e3 gelang: Diftelmeyer
ſelbſt unterhandelte mit dem Kapitel, und am 19. März 1551
poftulierte dieſes Friedrich von Brandenburg, Biſchof von Havel:
berg und Koadjutor von Halberftabt, ala Erzbiſchof. Der Kaifer
betätigte die Wahl: war dod nad) dem Fall der Stadt eine
durchgreifende Tirhlice Reftauration gewiß. Schon aber ver:
handelten Morig und Diftelmeyer mit den Magdeburgern, und
als auch Joachim im Lager erihien, erfolgte Anfang No:
vember 1551 die Kapitulation, welche die Stadt ſcheinbar dem
Raifer unterwarf, thatſächlich aber alles beim Alten lief. Die
Bürgerſchaft erkannte Friedrih als Erzbifhof an: mit ihm
erhielt auch Joachim feinen Anteil an der Kontribution, die
ihr auferlegt wurde, nebſt etlichen Geſchützen. Herr der Stadt
aber wurde als ihr Burggraf Morig: das begründete einen
neuen Gegenjag zwiſchen Albertinern und Hohenzollern.
Aber es war nicht das allein, was Joachim gleich danach
von Morig trennte. Wie fein Bruder und der bedächtige preu=
Bifche Vetter nahm er Anſtoß an dem franzöfiichen Bündnis,
mehr noch an der Rolle, die Morig dem unbändigen fränkischen
Vetter, Albrecht von Brandenburg-Kulmbach, zugedacht hatte.
Zwar wirkte er diefem bei Herzog Albrecht finanzielle Beihilfe
aus und gewährte ihm jelbft in aller Stille folde, ritt auch
mit Dijtelmeyer nad Dresden, um die ſächſiſchen Stände zur
Hilfe bei des heſſiſchen Landgrafen Befreiung zu beftimmen,
die Morig allein im Auge haben wollte. Er war aljo durch—
aus Mitwifler des Sachſen, that aber nur jo weit mit, als es
ohne Bruch mit dem Kaifer möglid war. Die Linie, die es
224 Crftes Bug. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
dabei einzuhalten galt, beftimmte Diftelmeyer, der ganz in
Morig’ Geheimnis war. Auch auf die Teilnahme an dem
Tridentiner Konzil verzihtete Joahim nun. War body erreicht,
was er zunächſt erftrebt hatte: Friebri von Magdeburg war
das Pallium zugefagt. Zudem verlautete, daß der Kaifer den
Beihlüffen des Konzils Gehorfam erzwingen, zum Danf dafür
der Papſt dem Infanten Philipp die Kaiferfrone verfchaffen
folte. Das galt es zu hindern: nicht um das Evangelium,
um bie reichsfürftliche Libertät handelte es fih. Zu ihrer Ber:
teidigung rüftete nun auch Joachim.
Das Frühjahr 1552 brachte die Entſcheidung. Morig von
Sadjen warf den überrafchten Kaifer zu Boden. In Paſſau
mußte diefer unterhandeln, wo für Joachim Diftelmeyer und
Adam von Trotta eridhienen. Erfterem wird ein bejonderes
Verdienſt um das Zuftandelommen des Vertrages zugefchrieben,
der den Proteftanten bis zum Austrage durch einen Fünftigen
Reichstag Freiheit des Glaubens gewährte. Da erhob fid über
den Hader ber bisher gegen ihn verbündeten Fürften Karl V. noch
einmal. Noch einmal ftand alles auf dem Spiel, war aber auch
alles zu gewinnen. Da fahte Joachims II. Schwefter Elifabeth,
die Mutter des dem wilden Albrecht von Brandenburg Kulmbad
verbundenen Herzogs Erich von Braunſchweig, den Gedanken,
die vereinigten Hohenzollern follten in Anlehnung an die
Machtſtellung des jet dem Kaiſer alliierten fränkiſchen
Letters und in Gemeinjhaft mit den Erneſtinern, Lüne—
burgern und Pommern, unabhängig von dem Albertiner und
dem Kaiſer, dem Reiche Frieden und dem Evangelium
Sicherheit geben. Die Niederlage Albrechts durch Morig von
Sachſen entzog jolden Plänen den Boden. Vergeblich ſuchte
Joachim ihm vor den Folgen feines wüften Treibens zu be—
wahren: es war für ihn und für fein ganzes Haus eine
ſchwere Niederlage, daß derſelbe als landloſer Flüchtling ent:
weichen mußte.
Schroffer als zuvor ftanden die Religionsparteien einander
num aud in der Mark gegenüber. Unter dem rückſichtsloſen
Konradi bot das Havelberger Domkapitel dem jungen Biſchof
und feinem kurfürſtlichen Vater förmlich Hohn dur Verfolgung
IV. Reformation und ftändifhes Regiment. 225
der Evangeliſchen. Auch nad} diefer Seite wollten die Herren,
die nad der Mühlberger Schlaht vom Kaijer verfügte Her:
ftelung der Neichsunmittelbarfeit der märkiſchen Bistümer,
die Joachim in umſtändlichen juriftiichen und hiſtoriſchen Deduk—
tionen befämpfte, möglichſt ausnugen. Gern hätten fie den
übereifrigen proteftantifchen Geiftlihen Ellerfeld, der dem ein=
träglihen Geſchäft mit den Wilsnader Wunderhoftien durch
Verbrennung derjelben vor Zeugen hatte ein Ende machen wollen,
jelbft verbrannt: Joahim verwies ihn bloß des Landes. Daß
fie Friedrich, als er 1552 Erzbifhof von Magdeburg wurde,
zum Verziht auf das Havelberger Bistum zu drängen fuchten,
befierte ihr Verhältnis zu Joachim nicht. Dennod gab das
Kapitel, als Friedrih im Oftober 1552 ftarb, dem Drude
nad und wählte JZoahims Enkel, Joachim Friedrich, den fieben:
jährigen Sohn des Kurprinzen Johann Georg, zum Bischof, für
den der Vater die Hegierung übernahm. An dem fatholifhen
Brauch aber, der in Havelberg herrſchte, wurde damit nichts
geändert, und erit nad) bem 1561 erfolgten Tode Konradis
trat aud) dort die märkiſche Kirchenordnung in Kraft. Schneller
endete der Kampf zwiſchen dem altkirchlichen Kapitel und der
evangelifhen Bevölkerung im Bistum Lebus. Die gewaltſame
Beſeitigung eines wunderthätigen Marienbildes zu Görig durch
Markgraf Johann 1551 war nicht nad) dem Sinne Joachims;
doch hatte er auch dort im Herbit 1550 nad) dem Tode Georgs
von Blumenthal die Wahl eines feiner Prinzen betrieben, dann
den trogdem gewählten ehemaligen Berliner Dompropfi Redorfer,
einen der bedeutendften Vertreter der alten Kirche in der Mark,
zum Rüdtritt genötigt. Andere Umftände machten die Stellung
des ebenfalls gegen feinen Willen gewählten Brandenburger
Dompropſtes Horneburg unhaltbar: ohne des Landesherrn Hilfe
drohten deſſen Schulden das finanziell bebrängte Bistum vollends
zu ruinieren. So fügte fi das Kapitel endlich nad) Horne-
burgs Tod dem Verlangen Joachims und wählte im Juli 1555
feinen nun zehmjährigen Enkel JZoahim Friedrih zum Biſchof.
Die Verwaltung übernahm fein Vater, der Kurprinz. Er leitete
nit nur die Heritellung finanzieller Ordnung und die Säku—
larifierung des Bistums ein, fondern verhalf auch, nichi ohne
Prutz, Preubiige Geſchichte. I.
226 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
lebhaftes Widerftreben der Altkirchlihen, dem Evangelium end-
lich zur Anerkennung.
Inzwiſchen war endlih der Religionsfriede geſchloſſen,
fpäter, mühjeliger und weniger günftig, ala man irgend er-
wartet hatte. Denn jeit er der Proteftanten nicht mehr be:
durfte, um jein Nachfolgerecht zu behaupten, zeigte fih auch
König Ferdinand weniger nachgiebig. Da wußte der leitende
brandenburgijche Staatsmann feinen jonit jo friedfertigen Herrn
zu ungewöhnlicher Energie anzutreiben: am 6. Januar 1554
einigte ſich Joachim mit Auguft von Sachſen dahin, fih auf
dem kunftigen Reichstage auf irgend melde anderen Verhand⸗
Lungen night einzulafien, bevor der zu Paſſau verheißene ewige
NReligionsfrieden zu ftande gebracht wäre. Freudig ſchloß ſich
Friedrich von der Pfalz an. Zu weiterer Sicherheit empfahl
Diftelmeyer die Erneuerung der alten Erhverbrüderung Bran:
denburgs mit Sachſen und Heffen, die nicht mehr beftand, feit
auf dem Zeiger Tage im März 1537 ihre Erneuerung an ber
Weigerung Johann Friedrichs gefcheitert war, den Vertrag der
alten Formel gemäß „der heiligen römifchen Kirche zu Ehren”
zu ſchließen. Angefihts der Möglichkeit eines neuen Kampfes
für den Glauben gewann die Erbeinung allerdings erhöhte
Bedeutung, die am 3. März 1554 zu Naumburg zwifchen
Joachim, dem ſächſiſchen Kurfürften, dem Landgrafen von
Heſſen und den Söhnen Johann Friedrichs geſchloſſen wurde.
Indem die Fürften erflärten, an der ungeänderten Augs—
burgiſchen Konfeſſion unter allen Umftänden feithalten und
gemäß der uriprünglichen Faſſung des Paffauer Vertrages, die
freilich vom Kaifer nicht beftätigt und im Drange der Not auch
von Morig preisgegeben war, in Sahen der Religion einem
Mehrheitsbeſchluß fih niemals fügen zu wollen, erneuten fie
eigentlich wejentlid) verſtärkt ben Schmalkaldiſchen Bund. Den-
noch ging es in Augsburg nicht nad Wunſch. Auch Diftel:
meyer nahm ſchweren Anjtoß an dem leidigen geiftlihen Vor:
behalt, der den Befigftand der alten Kirhe für ale Zukunft
ſicher ftelte, dadurch den Frieden des Reichs gefährdete und
namentlich Joachim II. zu ſchädigen drohte, indem er in Frage
ftellte, was er bisher in den märfiihen Bistümern erreicht
IV. Reformation und ftändifches Regiment. 227
hatte. Obenein war nad dem Tode Friedrichs Joachims Sohn
zweiter Ehe, Sigismund (geb. 1538), an bie Spige des Magde-
burger Domkapitel berufen worden. Nicht bloß die Katholifen
meinten, daß namentlich deshalb die brandenburgiſchen Bevoll-
mächtigten fih fo hartnädig gegen den geiftlihen Vorbehalt
ftemmten. Erſt als er ſah, daß ohne dies der Friede überhaupt
nit zu ftande kam, riet Diftelmeyer feinem Herrn, die von
Kurſachſen vorgefchlagene mildere Fafjung anzunehmen, zumal
die von König Ferdinand erteilte Deklaration und Affefuration
fünftigen Mißbrauch auszufhließen ſchien. So ftimmte Joachim
zu, freilich nicht ohne ernfte Bedenken. Waren doch die Schwierig-
keiten, die ihm aus dem geiftlihen Vorbehalt zu erwachien
drohten, von ihm jelbft verſchuldet durch die Schonung, die er
aus Vorliebe für katholiſche Formen gegen die Bistümer geübt
hatte und nod übte,
Trotz der Niederlage nämlich, die das von ihm perſönlich
vertretene kirchliche Syſtem erlitten hatte, hielt Joachim nicht
bloß die lutheriiche Lehre für vereinbar mit den Formen ber
katholiſchen Kirche, fondern traute dem Papfttume den Evan:
geliſchen gegenüber eine ähnliche Weitherzigfeit zu. So dachte
er fi) vor allem die Gunft und Gnade der Haböburger zu fihern.
Daher zeigte er auch in der Folge auf neue päpſtliche Lodungen
nicht übel Luft, fih in den Dienft neuer Unionsbeftrebungen
zu ftellen. Er nahm den päpftlichen Nuntius Commendone, ber
ihn zu dem erneuten Tridentiner Konzil einlud, mit demon-
ftrativer Freundlichkeit auf. Er befannte, durch ihn zu einer
Fülle ernfter Gedanken angeregt zu fein und erbat ein Spänden
vom Kreuz Chrifti, um es einem koſtbaren Kruzifir einzufügen.
Durfte Commendone da nicht hoffen, ihn no näher an das
Papſttum heranzuziehen? Seine Gemahlin war eine eifrige
Ratholitin; Sigismund, der Magdeburger Erwählte, verſprach
nad) Trident zu kommen und befondere Ergebenheitsbeweife zu
geben, und Diftelmeyer, nad) Weinlebens Tode 1558 zum Kanzler
aufgerüdt, erörterte mit dem Nuntius die Bedingungen, unter
denen das Konzil bejchiekt werden könnte. Sogar die überlebten
Disputationen holte Joahim noch einmal hervor und wohnte
den drei Redeturnieren bei, in denen der Frankfurter Profeſſor
228 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
Abdias Prätorius fih mit dem den Nuntius begleitenden Je—
juiten Zampert Auer maß. Wohl rief er dabei zornig aus,
die Ratholifen möchten mit ihrem Konzil zur Hölle fahren, er
wolle bei feinem Chriftus bleiben, unterzeichnete aber nicht bloß
die Schrift, worin die Proteftanten die Bedingungen für bie
Anerkennung des Konzils darlegten, fondern ſchickte hinterher
fogar Vertreter nad) Trident. So ſchwer wurde es ihm, jeinen
unevangelifhen Lieblingsideen zu entjagen! Erft ber Verlauf des
Konzils überzeugte ihn, daß für fie Verwirklichung nicht zu
hoffen jei. Das war wohl der Sinn ber befonderen Refor-
mationsfeier, die er 1563 anordnete: fie bezeugte feinen Ent—
ſchluß, an dem erneuten Evangelium unmandelbar feitzuhalten
und den Verzicht auf alle Verfuche zur Herftelung der kirch—
lien Einheit.
b) Das Auflommen der ftändifhen Mitregierung
im Innern und die Politik der Anwartidaften.
1563—1571.
Eine ſtändiſche Mitwirtung hat bei der Einführung der
Reformation in Brandenburg nicht ftattgefunden. Joachim II.
hatte Adel und Städte einfach gewähren laffen. Dafür ließen
fie ihm freie Hand, als er die wirtſchaftlichen Verhältnifie der
märkiſchen Kirche zu feinem Vorteil ordnete. So hat der
Glaubenswechſel hier weder die Stärkung der fürftlihen Ge—
malt, noch die enge Verbindung zwifhen Landesherrn und
Ständen herbeigeführt wie anderwärts. Zudem wurde die Ge:
meinfhaft, auf die das religiöfe Intereffe beide Teile hin—
wies, durch leidige finanzielle Differenzen geftört. Aehnliche
Händel, wie unter Friedrich II. und Albrecht Achill, warfen die
ftaatlihe Entwidelung der Mark um ein gutes Stüd zurüd
und zogen der landesherrlihen Gewalt engere Schranken als
je. Die Schuld lag nur zum Teil in den Verhältniffen: mit
gutem Recht machten die Stände Joachim perjönlih dafür
verantwortlid. Er liebte fürftlihen Prunf. Hoffefte, Schloß:
und Kirhenbauten, Reifen zu Reiche: und Fürftentagen und die
Teilnahme am Türfenkriege in Ungarn verſchlangen ungeheure
Summen. Dazu fehlte es an Ordnung in der Verwaltung, und
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 229
jeine überreichen Zuwendungen an einzelne Begünftigte vereitelten
ale Verſuche zur Beſſerung. Wenn die Stände Elagten, unter
feinen Räten jeien etliche vor allem auf ihre eigene Bereicherung
bedacht, fo ſcheint das namentlich auf Euftah von Schlieben
gegangen zu fein, der ihnen um fo anftößiger war, als er auch
mandem jeiner Meißenfchen Landsleute zu Amt und Brot
verhalf. Dieje machte ihre eifrige monarchiſche Geſinnung nicht
beliebter, doch meinte Luther, Schlieben regiere zwar wie ein
Tyrann, lehre die Leute aber doch Mores.
Ordnung in die Finanzen zu bringen hatte aud) der treff⸗
liche Weinleben nicht vermodt. Die 80000 Gulden, die des
Nurfürften Einkommen betrug, reichten nit aus. Schnell
wuchs die Schuldenlaft, ohne daß die Stände, die nur land»
ſchaftliche Intereſſen fannten, ſich aber nicht ala Vertreter des
Landes fühlten, eingejchritten wären. So ftand man benn
nad) furzen fünf Jahren ohne Krieg oder fonjtige Heimſuchung
vor einer Schuld von einer Million Gulden. Im Frühjahr 1540
erhielten die zu Berlin verfammelten Stände davon Kenntnis.
Aber fo gern fie die endliche Anerkennung der kirchlichen
Neuerungen durch finanzielle Gegenleiftungen erfauft hätten,
fo ernite Beſorgniſſe mußte ihmen eine ſolche Wirtſchaft für
die Zukunft erweden. Nur um einen hohen Preis erfaufte
Joachim Hilfe. Nicht genug, daß die auf das Land übernommene
Schuld aud von jtändifhen Bevollmägtigten verwaltet wurde:
er mußte ſich verpflichten, „Feine wichtige Sade, daran der
Lande Gebeih und Verderb gelegen, ohne der Stände Vor:
wifien und Rat zu befhließen oder vorzunehmen”, auch fein
Bündnis ohne ihrer Vertreter Nat und Bewilligung einzugehen.
War das thatjächlich bisher ſchon fo gehalten: daß diefer Sag
als für die Zukunft maßgebendes ftaatsrechtlihes Prinzip pro:
flamiert wurde, enthielt eine unheilvolle Kürzung der landes-
herrlihen Gewalt. Nicht bloß die innere, aud die auswärtige
Politik wurde abhängig von den Ständen. Aber gleich danach
ſchloß Joachim fie von der Mitwirkung bei der Kirchenviſitation
aus. Seinen Unwillen darüber entlub ein Teil des Adels in
faft drohenden Eingaben an den mit der Schuldenverwaltung
betrauten ftändijchen Ausſchuß. Joachim und feine Näte blieben
230 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
die Antwort nicht ſchuldig. Ein äußerft gereizter Ton herrichte
in den Verhandlungen ber nächſten Jahre, die um fo uner:
quidlicher wurden, als aud die ftändifhe Schuldenverwaltung
fi) nicht bewährte und feinen Teil befriedigte. Die Türken:
fteuer zur Beftreitung von Joahims prunfvollem, aber ruhm⸗
lofem Zuge nad) Ungarn veranlaßte endlojen Streit. Der
verſchwenderiſche Hofhalt, die Befeftigung Spandaus, die zu
der von Peiß und Küftrin durch Markgraf Johann das Seiten:
ftüd bilden follte, und der Schmalfaldifche Krieg erforderten
neue Aufwendungen. Obgleich die Einziehung eines beträcht-
lichen Teils der Kirchengüter ihm neue Einnahmen verſchafft
hatte, mußte Joahim doch immer wieder zu bedenklichen Not:
behelfen greifen: bei verwandten oder befreundeten Fürften
borgte er oder nahm ihre Bürgſchaft in Anſpruch, wandte fi
wohl auch an die märkifchen Juden und gewährte ihnen dafür —
wenig nad dem Sinn des unduldfamen Volkes — allerlei
Erleiterungen und Freiheiten. Zur Dedung augenblidlicher
Bedürfniffe verpfändete er Domänen, Schlöfer, Kirhengüter
und Einkünfte: kurz, er lebte recht eigentlich von der Hand in
den Mund und hatte nah kaum zehn Jahren abermals eine
Schuld von zwei Millionen Gulden aufgehäuft.
Es war doch eine meue Demütigung, als er das 1549
den Ständen befennen mußte. Auch hatten er und feine Räte
nit den Mut, gleich die ganze Wahrheit zu jagen: erft die
angeftellte Unterfuhung ergab, daß die Schuld durch Zinfen:
rüdftände einen weit höheren Betrag erreichte. Dennod halfen
die Stände wieder und zwar planmäßiger und gründlidher, aber
nur gegen Zugeftändniffe, die dem Landesherrn nicht bloß für
die Finanzverwaltung eine ftändifhe Kuratel aufnötigten, fon:
dern eigentlich eine ftändifche Mitregierung beigaben. Denn auf
alles, was feine Vorgänger in mehr als hundert Jahren der
ftändifhen Libertät abgerungen hatten, verzichtete Joachim,
als er 1550 die Webernahme feiner Schulden durch das Land
erfaufte durch ausdrüdliche Beftätigung aller den Ständen che:
mals zuftehenden Rechte, Privilegien und Eremtionen. Darauf:
hin nötigten die Stände ihm alsbald die Weberlafjung der Ver:
waltung aller Steuern ab, auch des auf vierzehn Jahre be—
IV. Reformation und ſtandiſches Regiment. 231
willigten „neuen Biergeldes”, eines Zuſchlags zu der alten
Bierziefe, beitimmt zur Einlöfung der verpfändeten Gefälle
und Güter. Brandenburg, eben auf dem Wege zu monarchiſcher
Konzentration, ſah ſich in das beſcheidene Dafein eines ſtän—
diſchen Territorialftaates zurüdgemorfen: denn das „ftändifche
Kreditwerk“ erfegte in den wichtigſten ftaatlihen Geſchäften die-
Iandesherrlihen Beamten durch Vertrauensmänner der Stände.
Ja, die ftaatlihe Einheit Brandenburgs wurde negiert, wenn
an die Stelle ber einen Staatskaſſe die Schoßkaſſen der Prä-
Iaten und der Ritterihaft und die Städtekaſſen traten, jede
mit ihrer eigenen ſtändiſchen Beamtenfhaft, und daneben die
von Adel, Prälaten und Städten gemeinfam verwaltete „Neue
Biergeldskaſſe“. Schon das zeigte, wer das Heft ober, um
ein von den Ständen gebrauchtes Bild anzuwenden, wer „den
Strid in der Hand“ hatte.
Wie fehr er dur all das die Traditionen feines Haufes
verlegte, daran hat der leichtlebige Herr nicht gedadt. Daß
er damit auch defien Zukunft gefährdete, wurde ihm um fo
weniger klar, als er ſich vielmehr rühmte, ihr befonders glänzende
Ausfihten erfhloffen zu haben. Unermüdlich im Streben nad
vielverheißenden Anwartihaften und fo, wie er meinte, groß
in der äußeren Politik, beraubte Joahim Brandenburg dur
feine innere Politit der Mittel, um jene Anrechte erfolgreich
zu vertreten. Auch ſpricht aus feinen diplomatiſchen Aktionen,
denen die politifche Rechenkunſt Diftelmeyers zu Grunde lag,
weniger jener ftantsmännifche Geift, der einen zum Handeln
bereiten Willen hinter fi weiß, als die unruhige Betriebjam:
feit, die fih duch ihrem Wert nah fragwürdige Ausfichten
über die thatſächliche Einbuße an politiihem Anjehen hinweg-
täufchte. Während in der großen kirchlich-politiſchen Krifis, die
ein Jahrzehnt nad} dem Religionsfrieden die fpanifch-franzöfiiche
Reaktion heraufbeichwor, die Hohenzollern als Hüter der deutſchen
Oftmar einen hohen Beruf zu erfüllen hatten, erhob ſich Joachim
faum zur Erkenntnis der Gefahr, auch hier kurzſichtiger und
unentſchloſſener als jein Bruder, der doch einen Anlauf nahm,
um inmitten des drohenden allgemeinen Zufammenbruchs feines
Haufes Intereſſen zu vertreten.
232 Erſtes Bug. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
Die Anwartſchaften durchzufegen, bedurfte Joahim immer
der Gunft und Gnade des Kaijers. Und wie wenig konnte er
trog aller dienftwilligen Fügjamfeit auf fie reinen! Schon
1537 hatte er mit Herzog Friedrih von Liegnig und Brieg
die fünftige Vermählung des damals zwölfjährigen Kurprinzen
Johann Georg (geb. 11. September 1525) mit jenes Tochter
Sophie vereinbart, während feine Tochter Barbara den Sohn
des Herzogs heiraten jollte, unter Abſchluß eines Erbvertrages,
nad) dem beim Ausjterben der Brandenburger Hohenzollern
deren Beligungen in Schlefien und der Lauſitz an die Lieg—
niger, im Falle von deren Erlöſchen aber Liegnig und Brieg
an Brandenburg fallen folten. Von feiten der Krone Böhmen
war damals Widerſpruch nicht erhoben; auch hatte fie die Be—
tehtigung der Liegniger Herzöge zu jolden Abmachungen
früher wiederholt anerfannt. So fand 1545 die Doppelhochzeit
ſtatt. Aber ſchon im Februar 1546 ftarb die junge Kurprin-
zeſſin nach der Geburt eines Sohnes, Joachim Friedrich. Und
nun focht König Ferdinand den Erbvertrag plöglih an auf
Grund der 1510 allein den böhmiſchen Etänden gegebenen
Zufage, es folten die zur Erledigung kommenden ſchleſiſchen
Fürftentümer wieder mit Böhmen vereinigt werden, Demgemäß
erfannte aud ein Gerichtötag zu Breslau im Mai 1546, troß
der Protefte des Aurfürften und des Herzogs. Dennod gab
Joachim die Sade nicht verloren. Weſentlich um fi Kaiſer
und König hierin geneigt zu machen, trat er für bie faiferliche
Kirhenpolitif ein und beſchickte ſogar das Tridentiner Konzil.
Dann gaben die Wandlungen in den baltiihen Landen der
Anwartſchaft größere Bedeutung, die JZoahim I. auf Echleswig
und Holitein erworben und Karl V. beitätigt hatte. Nur hätte
es einer rüdjichtslos zugreifenden Hand bedurft, um inmitten
des däniſch-ſchwediſchen Etreites, der die Machtverhältnifje im
Norden gründlich umzugeitalten drohte, mit den Elbherzogtümern
die ausihlaggebende Stellung an Brandenburg zu bringen.
Schon hatten die fränkiſchen Hohenzollern mit Herzog Albrecht
in Preußen und mit defien 1530 zum Erzbiſchof von Niga er:
hobenen Bruder Wilhelm in Livland feiten Fuß gefaßt, wo der
Drdensitaat feinem Ende entgegenging. Aber Joachim II. hatte
IV. Reformation und ſtandiſches Regiment. 233
geihwiegen, als der Kaifer mit Chriftian III. von Dänemark
Frieden machte, ohne der hohenzollernſchen Rechte Erwähnung
zu thun. Traute er wirklich der früheren Erklärung des Kaiſers,
alles, was er gegen die brandenburgiſche Anwartſchaft verfügen
würde, folle null und nichtig jein? Als e8 1547 galt, Joachim
dem Schmaltaldiihen Bunde fernzuhalten, verſprach der Kaijer
von neuem, in Holftein nichts gegen Brandenburgs Intereilen
vorzunehmen, und belehnte 1548 den Dänenkönig damit.
Joachim hat ſich dabei beruhigt. Seine Mitwirkung bei des
Kaiſers firhlicher Unionspolitit, die Verſchärfung. des konfeſſio—
nellen Haders unter ben Evangeliſchen, die Vergrößerung Däne-
marks durch einen Teil von Livland 1561 erflären das. Vollends
beſchwichtigte ihn dann Flug Kaiſer Marimilian IL, indem er
ihm (Auguft 1564) auf Werben Diftelmeyers eine neue Anz
wartſchaft auf das zur Zeit mit Braunfchweig vereinigte Fürften-
tum Grubenhagen erteilte. Cs galt ihn von Johann von
Küftrin zu trennen, der die Anrechte, die fein Bruder preis:
gegeben, energifh aufnahm, um inmitten einer großen euro=
päiſchen Verwidelung die Elbherzogtümer zu gewinnen. Er
rechnete dabei auf Schweden, Braunſchweig und Medlenburg,
dann auf die Erneftiner, die in ihrem Drang nah Rache an
den Albertinern und Reftauration eben damals durdy den ver:
wegenen Ritter von Grumbach zu einem folgenſchweren Gemwalt-
ftreich angereizt wurden. Ihre Niederwerfung durch den von
dem Kurfürften Auguft von Sachſen unterftügten Kaifer drohte
aud Johann verhängnisvoll zu werden. Schon ging die Rebe,
er jolle geächtet, die Acht durch den Albertiner vollſtreckt werden.
Doch verftändigte man ſich ſchließlich: der Wandel der euro-
päiſchen Lage aber ſchloß jeden Erfolg des Markgrafen gegen
Dänemark aus. Von der ſchleswig-holſteiniſchen Anwartſchaft
der Hohenzollern iſt nicht mehr die Rede geweſen.
Ungeahnt große Bedeutung aber für die Zukunft erlangte
die preußiſche Anwartſchaft, obgleich ſie zunächſt ebenfalls recht
fragwürdig war. Auch hatte man dabei ſicher nicht das im
Auge, was nachmals dadurch thatſächlich erreicht wurde. Neben
der hausväterlichen Sorge für die Mehrung des Familienbeſitzes
wirkte dabei Joachims Wunſch mit, die Hohenzollern durch
234 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
engen Zufammenjchluß aller ihrer Zweige möglichft zu fichern.
Frühzeitig hatte er das erftrebt. Aber der Familientag, den
er im Oftober 1536 in Frankfurt a. O. mit Herzog Albrecht,
Georg von Ansbach und deſſen Neffen und Mündel, Albrecht
von Kulmbach, hielt, ergab keine Verſtändigung. Auch in
der Krifis ber Jahre 1552 und 1553 war man vergeblich
darauf zurüdgefonmen: die Kataftrophe des Kulmbachers hatte
das Haus der Hohenzollern ſchwer getroffen und fein Anfehen
tief herabgefegt. Die Verantwortung dafür traf zunächſt Jo:
adim. Seine Haltung ftad} freilich fehr ab von des Markgrafen
Johann Fühler und entichloffener Art und der unruhigen Be:
triebfamfeit des preußifchen Herzogs, der, noch immer in der
Reichsacht liegend, erft von dem fiegreihen Kaifer und dann
in dem Kampf der nordiſchen Mächte um die Oftfee zermalmt
zu werden fürchten mußte. In dieſe baltifhe Kombination nun
war Joahim eingetreten, nicht fomohl um etwas Pofitives
zu erreichen, als um duch freundfchaftlice Bindung einer mög-
licherweije feindlihen Macht etwa drohenden Schaden abzu—
wenden. Um dem preußijchen Vetter im Intereffe des Gefamt:
hauſes einen Rüdhalt zu geben, hatte er auf Anraten Euſtach
von Schliebens die polnifche Braut wirklich heimgeführt und
bereitö damals feine Mitbelehnung mit Preußen bei König
Sigismund I. angeregt. Schon daß die Brandenburger Hohen=
zollern da hinter den fränfifchen zurüditanden, mag er läftig
empfunden haben: feinem Vater hatte jhon fein Firdlicher
Standpunft ein ſolches Verhältnis unmöglich gemacht. Doc
geihah damals nichts. Erſt der polniſche Thronwechſel 1548
eröffnete befjere Ausfichten. Sigismund II. Auguft, der Bruder
der Kurfürjtin Hedwig, galt für einen Freund des Evangeliums;
obgleich mit den Habsburgern verfchwägert, mußte er wünſchen,
deren Macht niederzuhalten. Andererfeits wollte Herzog Albrecht
durch eine Gejamtbelchnung der Hohenzollern mit Preußen die
eigene Stellung feitigen und fi für den Notfall der Hilfe
jeiner Geſchlechtsgenoſſen verſichern. Auch die preußiſchen Stände
wieſen auf eine Anfrage die Sache nicht von der Hand, wollten
ihr aber nur näher treten, wenn ſie zur Herſtellung dauernder
Ruhe in Deutſchland und eines ewigen Friedens mit Polen diente:
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 235
fonft fei dabei jo viel zu erwägen, daß man beſſer auf einem
fünftigen Reichstage darüber verhandele. Am Tiebften war es
ihnen, wenn alles beim alten, das heißt bei dem Lehenaver-
trag von 1525 blieb. Denn wenn Albrehts und Joachims
Plan auch ihr Deutihtum vollends gegen die Polonis
fierung fierte, drohte er doch auch mit einer Kürzung ihrer
Libertät.
Auch in dieſe Angelegenheit brachte erft Diitelmeyer mehr
Energie und Konfequenz. Manchem ſchien fie allzu weit aus-
jehend. Bei den zerrütteten Finanzen erregten die Aufwendungen
Bedenken, die ihre Verfolgung erfordern würde. Befonders
der Kurprinz foll dagegen geweſen fein. Andererſeits rechnete
Joachim mit der Möglichkeit, bei der Kinderlofigfeit Sigis-
munds II. Auguſt einem feiner Söhne zum polniſchen Thron zu
verhelfen: Hedwigs Erftgeborenen Sigismund, der feit 1552
Erzbifchof von Magdeburg und Bifhof von Halberftadt war,
hatte er dazu auserforen. Aber erſt die Krifis, die mit dem
Anfturm der Rufen, dem Fall des Ordensitaates in Livland
und dem ſchwediſch-däniſchen Krieg über den Norden kam,
brachte die Sache in Fluß. Denn jest erkannten aud die
Polen ihre Bedeutung. Als die Stände Preußens dem Herzog
die Mittel zur Unterftügung Livlands verweigerten, weil ber
ruſſiſche Angriff noch nicht erfolgt war, mußte Polen dort
eingreifen, dann aber fürdten, neben Rußland auch Schweden
und die Habsburger gegen fi) zu haben. Das ließ Sigis—
mund II. ein engeres Einverftändnis mit jeinem branden-
burgiſchen Schwager wünfchen, der ſonſt durch Albrechts Bruder,
den Erzbiſchof Wilhelm von Riga, der mit dem Heermeifter
der Schwertbrüber, Gotthard Kettler, haderte, auf die ent—
gegengefegte Seite gezogen werden konnte. Im reiten Augen-
blid vegte daher Joachim 1559 die preußifche Cache durd) eine
feierlihe Gejandtihaft von neuem an. Mit Liborius von
Bredow, dem Hauptmann der Priegnig, zogen Georg Sabinus,
der ſeit 1555 als Profefjor und Eurfürftliher Rat nad) Frank:
furt zurückgekehrt war, umd fein redegewandter theologifcher
Kollege, Abdias Prätorius, nah Warſchau. Dort verlangte
man Hilfe für Livland, während die Gejandten ſolche nur
236 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen States (bis 1598).
gegen einen Angriff auf Preußen jelbjt zu bieten hatten. So
kam man auch jest nicht zum Abſchluß.
Da trat im Herbft 1561 der Heermeilter des livländiſchen
Drdens, Gotthard Kettler, als Herzog von Kurland in Lehens:
abhängigfeit von Polen, das feinen neuen Beſitz num gegen
Ruſſen und Schweden verteidigen mußte, während e8 zugleich
durd die Wirren im Weften in Anſpruch genommen war. Auch
Preußen ſchien gefährdet, die Stände aber beharrten in ihrer
ablehnenden Haltung. Da kam Polen des Kurfürjten erneuten
Anträgen freundlicher entgegen. Ende des Jahres 1562 war
man einig: auf dem Reichstage zu Petrifau jollte mit Zu:
ftimmung der Großen Polens der Abſchluß erfolgen. Dieje aber
wollten Brandenburg für die unfichere Anwartichaft außerordent⸗
liche Laften aufbürden: der Kurfürſt jollte jeden Marſch gegen
Preußen durch fein Gebiet hindern, überhaupt allen Anichlägen
auf Polen entgegentreten und dem König im Notfall mit
300 Reitern Heeresfolge leiften. Dann hieß es, die Mitbe-
lehnung ſei etwas ganz Ungewöhnliches, es gebe dafür über—
haupt feine Form. Auch überjhäge Brandenburg jeinen Wert
für Polen, das über Lehensleute genug verfüge. Dennoch
meinten die Brandenburger ſich des augenblidlich Erreihbaren
verfihern zu müfjen, und nahmen unter Vorbehalt die Urkunde
an, die ihnen Sigismund II. am 5. März 1563 überreichen ließ:
fie erteilte die Mitbelehnung, jedoh jo, dab nad) dem Er—
löfchen der Nachkommen Herzog Albrecht die fränkiſchen Hohen
zollern und erſt nad) deren Ausiterben die Brandenburger mit
der im Beſitz der Kurwürde befindlichen Linie folgen follten ;
erft wenn auch dieſe erlojhen, ſtand dem derzeitigen Erz:
bifhof von Magdeburg und jeiner Linie ein Recht auf Preußen
zu. Das war die eine Enttäufhung: denn um Sigismunds
Verſorgung war es Joachim vornehmlich zu thun. Die zweite,
fchmerzlihere, lag darin, daß der Antritt des Herzogtums in
jedem Fall von der Leiftung des Yehenseides abhängen, der Branz
denburger Kurfürſt als Herzog von Preußen polniſcher Vaſall und
jo der polniſchen Politik dienitbar fein ſollte. Gegen beides prote=
ftierten Joachims Gejandten. Das wollte freilich nichts bedeuten,
wenn die jo bedingte Mitbelehnung überhaupt angenommen,
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 237
ja bald eine Reihe von praktiſchen Konfequenzen daraus ge:
zogen wurde. Das aber that Joahim, wenn er in bem Kriege
zwifchen Dänemark und Schweden zu vermitteln fuchte, um
Polen nicht hineingezogen und ſich zu deſſen Unterftügung ge—
mötigt zu fehen. Auch ſonſt ſchien diefe preußiſche Anwartſchaft
unbequeme Verwidelungen herbeizuführen. Zwar liefen die
Haufen, die der unruhige Herzog Erid von Braunſchweig im
Herbft 1563 durch Pommern an die Weichſel führte, ſchnell
auseinander; doch follte der Deutjche Orden mit Zuftimmung
des Kaiſers und Unterftügung Spaniens den drohenden all-
gemeinen Krieg zur Wiedereroberung Preußens benugen wollen.
Dann bemühte fi in der Stille Johann Albrecht von Medlen-
burg, deſſen Schweiter dem neuen Herzog von Kurland zur
Gattin beftimmt war, bei feinem altersſchwachen Schwieger-
vater, Herzog Albrecht, feinem eigenen Haus die Nachfolge in
Preußen zu verihaffen. Als Joachim im Herbft 1565 die Erb»
huldigung wünfchte, wollten die preußiichen Stände zuvor nicht
bloß ihre dermaligen Rechte und Freiheiten, ſondern auch gleich
alle künftig zu erwerbenden verbrieft haben. Dennoch fam es
im Januar 1566 zu einer Verftändigung. Aber die unerhörte
Demütigung abzuwenden oder audy nur zu mildern, welche die
Stände eben damals unter Mitwirkung Polens dem von un—
würdigen Günftlingen irre geleiteten Herzog bereiteten (S. 107),
hat Joachim nicht einmal den Verfuh gemadt. Hinter den
preußifchen Ständen aber ftanden die polnihen Magnaten,
unverföhnlihe Feinde des Deutjchtums, die nicht gemeint
waren, dieſem durch die Verbindung Preußens mit Branden-
burg volle Sicherheit zu gewähren. Den Eid, mit dem die
preußifchen Stände bei der Erbhuldigung Brandenburgs Nach—
folgereht anerkannten, erflärte der polniſche Reichstag für
nichtig. Joachim II. hat das ruhig hingenommen. Aber je
ungeftümer fid) das Polentum gebärdete, um jo wichtiger wurde
für die preußifchen Stände die Verbindung mit Brandenburg
und mußte von ihnen um jo höher gefehägt werben, je eindring-
licher das ſich eben damals erfüllende Schickſal Weſtpreußens
zu ihnen ſprach (S. 95). Darüber ftarb am 20. März 1568
der greife Herzog. Auf dem Lubliner Reichstage, wo fein Sohn,
238 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
der jechzehmjährige Albrecht Friedrih, mit Preußen belchnt
werden follte, erſchien aud eine brandenburgifche Geſandtſchaft
wegen ber Mitbelehnung. Sie fam leicht zum Ziel: die Frei—
gebigfeit Joachims, dem feine Stände diesmal reihliche Mittel
gewährt hatten, hatte ihre Wirfung gethan. Zugleih mit
Albrecht Friedrich ergriffen daher am 19. Juli nächſt den Ger
jandten des fränfiihen Markgrafen Georg Friedrich die Jo:
achims II. die Preußen darftellende Fahne, mit der Sigismund II.
Auguft jenem das Herzogtum auftrug, nachdem fie im Namen
ihrer Herren den Lehenseid geleiftet hatten.
War damit aber wirklich jo Großes erreicht? Joachim II.
und feine Räte meinten einen auferordentlihen Erfolg ge:
mwonnen zu haben. Ihn zu feiern, wurde im September 1569
zu Berlin ein pomphaftes Dankfeft begangen. Unter Gloden-
geläute bewegte fih ein prunfender Zug nad dem Dome,
voran bie Jägerei zu Pferde, die furfürftlihen Reiter und die
Hofdieneriaft, dann im Geleit von Hofjunfern Jungfrauen
des Adels und der hohen Beamtenfamilien in weißen Gewän—
dern, der Rat der Hauptſtadt und der Landadel und dann bie
Geiſtlichkeit, Kelhe in den Händen, deren Zug der Berliner
Dompropft Schloß. Ein Mufilcorps eröffnete die nächſte Ab-
teilung: an ihrer Spige ſchritt der Hofmarihall Sparr, dann
folgte der polnifche Gejandte Oberft Staupig mit dem preu=
ßiſchen Adler, ein Herr von Putlig mit dem Kurfehwert und der
Erbmarſchall Oberft von Röbel mit der preußiſchen Lehenfahne.
Auf einem ijabellfarbenen Roß erſchien der Kurfürft felbit in
zobelbeſetztem Goldftofigewand, hinter ihm der Kurprinz Johann
Georg und jein Sohn Joachim Friebrih, der Abminiftrator
von Magdeburg, denen ſich die Großen des Hofes anſchloſſen.
Als der Zug, zu beiden Seiten von Trabanten geleitet, unter
dem Donner der Gejhüge den Dom erreicht hatte, nahm Jo—
ahim, das Kurſchwert in der Hand, beim Altar auf einem
Throne Plag. Der Kanzler Diftelmeyer bejtieg die nahe Redner—
bühne und hielt eine lateinifche Rede über die Bedeutung ber
preußiſchen Mitbelehnung: er ſchloß mit Huldigendem Glück—
wunſche an den Kurfürten, den neben Sohn und Enkel zu jehen
eine foftbare Bürgihaft für die Zukunft der Hohenzollern ge:
IV. Reformation und ftändifhes Regiment. 239
währe. Zugleid mit dem polniſchen Gejandten und dem preu=
Bilden Erbmarfhall empfing er dann den Ritterfchlag; eine gol-
dene Kette belohnte die Verdienfte, die er fih um bie preußifche
Sade erworben hatte. Das entipricht der fanguinifhen Art
Joachims, die ihn feine Erfolge leicht überjhägen ließ. Konnte
doch fein Menſch willen, ob das brandenburgifche Anrecht auf
Preußen je in Wirkſamkeit treten, ob es nicht die Duelle
läftiger Weiterungen werben würde. Zur Verjorgung einer
jüngeren Linie ſchien Preußen trogdem trefflich geeignet: und
das gab für Joachim den Ausſchlag.
Augenblidlic war der größte Gewinn, daß die preußiiche
Angelegenheit die drei Linien des Hohenzollernhaufes endlich zu
enger Gemeinſchaft verbunden hatte. Auch Johann von Küftrin,
der fi fern hielt, hatte feinen Anteil daran: feine ältere
Tochter Elifabeth war 1558 mit dem fränfifhen Markgrafen
Georg Friedrich vermählt, die jüngere, Katharina, heiratete
1570 den fünf Jahre jüngeren Sohn des Rurprinzen Joahim
Friedrich. Nicht bloß wegen der reihen Mittel des ſparſamen
Johann war diefe Ehe für das Kurhaus von Wichtigkeit: an
fie Enüpften fi noch andere Pläne. Im Herbft 1566 war
Joachims II. einziger Sohn aus feiner polniſchen Che, Sigis-
mund, ſeit 1552 Erzbifchof von Magdeburg und Bifchof von
Halberftabt, einft auch Kandidat für den polniſchen Thron, ge:
ftorben und zum drittenmal hatte Dijtelmeyer, dem man in
Magdeburg die 1551 der Stadt geleifteten Dienfte nicht ver—
gab, einen brandenburgiihen Prinzen, bes Kurprinzen Johann
Georg Sohn, den vierundzwanzigjährigen Joachim Friedrich in
den Beſitz des Erzftiftes gebradt, indem er Kurſachſen zur
Aufgabe feines Mitbefigrechtes an der Stadt bejtimmte. Eine
ausprüdliche Beftätigung der Wahl durch den Kaifer erfolgte
nit; aber man zog kaiſerlicherſeits daraus doch auch nicht die
eigentlich gebotenen Ronjequenzen. Nur mußte Joahim Fried:
rich ſich verpflichten, wenn er in Brandenburg zur Regierung
käme, die Adminiſtration des Erzftiftes dem Kapitel zu über-
geben. Nun hätte er nad dem bisherigen Brauch bei feiner
Verheiratung das Erzbistum aufgeben müffen. Daß das nötig
ſei, betritt Diftelmeyer und drang damit durch. Auch erhob,
240 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
wie er vorhergefagt, niemand gegen ben verheirateten Abmini-
ftrator Einſpruch: auf dem denkbar einfachften Wege ſchien die
Einfügung des fäfularifierten Erzbistums Magdeburg in ben
hohenzollernſchen Hausbefig geſichert.
Wäre denn aber Brandenburg damals im ſtande geweſen,
ſolche Erwerbungen in fih aufzunehmen und fih zu eigen zu
maden? Wie fih die Dinge zu Ende der Regierung Jo—
achims IT. geftalteten, wirb das zu verneinen fein. Fehlte es
ihm doch an der erften Vorausfegung dafür, einer Maren, be:
ftimmten, ihres Ziels bemußten Politi. Und wie not that
eine folde damals! Mit der Blutherrihaft Albas in ben
Niederlanden und der neuen Verfolgung ber NReformierten in
Frankreich erhob ſich drohender als je die Gefahr gewaffneter
Tatholifcher Reaktion. Wohl drang Friedrich III. von der Pfalz
auf gemeinfame Verwendung der Kurfürften für die Nieder:
lande, auf Abſchluß eines militäriſch leiftungsfähigen Füriten-
bundes, der ſich mit England und den Hugenotten verftänbigen
und den Provinzen Hilfe bringen ſollte. Joachim II. wollte
davon nichts wiſſen, noch weniger Johann, der eben gegen ein
Jahrgeld als „Rat“ in Philipps II. Dienfte trat. Auch religiöfe
Momente wirkten mit. Der Streit, der zwiſchen Abdias Prä:
torius (S. 224) und dem Frankfurter Prediger Andreas Mus-
culus über die Bedeutung der guten Werke unter Joahims
perfönliher Teilnahme mit Leidenſchaft ausgefochten war, endete
eben damals mit dem Siege des reinen Zuthertums und dem
Abgange des als Philippift verfegerten Prätorius nad Witten-
berg. Das Reformationgfeft, das Joachim am 24. Oftober 1569
im Berliner Dome pomphaft beging, indem er fich feierlich
zu ber unveränderten Augsburgifchen Konfeſſion befannte, be:
zeichnete den vollen Anſchluß der märfifhen Kirche an bie buch—
ftabengläubige lutheriſche Orthodoxie. Das jchloß jede politische
Gemeinſchaft mit dem pfälzer Kurfürften aus, dem Calviniften,
den als folden nicht der Kaifer allein außerhalb des Religions:
friedens ftellte.
Andererjeits lag Joahim fein polnifher Schwager mit
dringenden Vorjtellungen an wegen jeiner Gefährdung durch
die Rufen, die Dänemark gegen Polen und Schweden auf die
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment, 241
baltifhen Lande hetzte. Auch wünſchte er feine Hilfe, um ſich
von feiner Gemahlin, der Schwefter Kaifer Marimilians, ſcheiden
zu lafien. Zum Vermittler war Joachim in diefem Falle wenig
geeignet. Sein Bruder Johann haderte mit Polen infolge von
Grenzftreitigfeiten mit dem Pofener Woiwoden: der polnifche
Reichstag dachte auf Gewalt gegen ihn. Der Kaiſer aber ent-
308 Joahim eben damals jene Grubenhagenihe Anwartſchaft
wieder, durch die er ihn einst an fich zu feſſeln gefucht hatte,
und ſchloß Grubenhagen in die den Braunfchweiger Herzögen
erteilte Gefamtbelehnung ein. In bitterem Unmut führte Jo:
adim darüber in Wien Beſchwerde: jo würden alle „feine unter:
thänigen und mit feinen und feiner treuen Leute und Lande
Unftalten jo langher geleifteten großen Dienfte gar nichts ge-
achtet und er jelbft Hintangefegt“. Dringend bat er um irgend
welche Entſchädigung, und wenn fie au nur in der Anmwart-
ſchaft auf die Braunſchweigiſchen Lande nad) dem Ausfterben
ſämtlicher dortiger Linien beftände! Eine ſolche Politif konnte
dem Feinde feine Achtung, dem Freunde Fein Vertrauen ein:
flößen: für fie ſchien e8 das Sprichwort nit zu geben, daß
ein Sperling in der Hand mehr wert ift als eine Taube auf
dem Dade. Ihre Erfolge liefen auf Seldfttäufhung hinaus.
Aber nicht bloß ſich ſelbſt täuſchte Joachim II. mit jenen
Anwartſchaften: auch feine Unterthanen folten fi dadurch für
alle die Opfer belohnt glauben, die er ihnen auferlegte. Die
flattlihen Geſandtſchaften, die aus diefen Anläffen an fremde
Höfe gingen, wurden mit Vorliebe angeführt, wenn es galt,
die Stände zur Uebernahme der neuen Schulden zu vermögen,
die troß der mit dem ftändifchen Kreditwerf eingeführten Konz
trolle der Iandesherrlihen Finanzverwaltung angehäuft wurden.
Und dabei hatten fie ihm zur Betreibung der preußifchen Mit:
belefnung, bei der es in Polen reiche Handjalben zu geben
galt, befondere Bewilligungen gewährt. Die mehr als breiein:
halb Millionen Mark Schulden, die er hinterließ, hatten zweifel:
108 einen anderen Urfprung. Er war in Geldſachen eben un:
verbeſſerlich: der verſchwenderiſche Hofhalt, das prunkvolle Auf:
treten auf Reichstagen — war er doch 1562 zur Königswahl
nad Frankfurt mit nicht weniger ala 452 Pferden gegen! —
Prus, Preubiihe Gefhiäte. 1.
242 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
die Neigung an allerlei gewagte Experimente große Summen
zu ſetzen und bie Freigebigkeit aud gegen wenig würdige
Günftlinge erklären feine ftete Geldverlegenheit; die Scheu vor
dem Unmillen der Stände und der Wunſch, ihmen nicht noch
mehr Zugeftändniffe machen zu müſſen, die bedenklichen Not-
behelfe, mit denen er aus augenblidlicher Verlegenheit zu
tommen fuchte. Auch fonft war er von nur allzu larer Moral.
Seine erfte Gemahlin, Margarete von Sachſen, hatte ihm in
fünfzehnjähriger Ehe fieben Kinder geboren, von denen vier in
erfter Jugend farben; die polniſche Hedwig beſchenkte ihn mit
drei Töchtern und einem Eohne. Seit 1549 war fie infolge
eines unglücklichen Falles ſiech umd ſchleppte fi ſchließlich nur
mühfam an Krüden fort. Hinfort nahm es Joachim mit ber
ehelichen Treue jehr leicht. Völlig beftridt aber wurde er auf
feine alten Tage von der „ihönen Gießerin“ Anna Sydow,
der Witwe des kurfürſtlichen Zeugmeifters und Stüdgiehers
Michael Dietrih, die faum noch von feiner Seite wid, ihn
troß der anzüglichen Reben der Bauern in Mannskleidern auf
der Jagd begleitete, ja nur durch Krankheit abgehalten wurde,
ihm 1564 auch zur Krönung Marimilians II. zu folgen. Ver:
geblih wandte fih die Kurfürftin um Hilfe an Albrecht von
Preußen: über ſolche Schmach meinte fie den Verftand verlieren
zu müſſen. Eine Toter, welde die Giekerin ihm 1558 ober
1559 gebar, wurde 1564 zur Reichsgräfin von Arneburg er
hoben, ein vier Jahre jüngerer Sohn Andreas zum Reichsfrei-
herrn von Sydow. Selbſt in jenem Zeitalter, das in dieſen
Dingen ein ftarfes Stüd vertrug, nahm man daran doch
ernften Anftoß, ſchwereren freilich nod an der Gunft, deren
fih bei Joachim der aus Prag zugewanderte Jude Lippold
erfreute. Nachdem er ſich in Finanznöten wiederholt hilfreich
erwiejen, hatte er 1556 die Auflicht über die Münze und die
zur Lieferung von Silber an dieſe verpflichteten Juden erhalten;
dadurch war er eine finanzielle Madt geworden. Je mehr er
diefe Stellung wucheriſch ausbeutete und feinen Einfluß auf
Joachim auch fonft mißbraudte, um fo mehr richtete fi
der Unmwille des Volkes gegen die Juden überhaupt und den
Freibrief, den Lippold feinen Glaubensgenofien 1564 auswirkte,
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 248
& ftand aljo übel um die Mark, als der alte leichtlebige
Herr infolge einer Erkältung, die er ſich bei der Wolfsjagd zu—
gezogen hatte, am 3. Januar 1571 zu Köpenid mit Tod ab»
ging. Natürlich vermutete man ein Verbrechen: er ſollte ver-
giftet fein. Der Giftmifcher aber fonnte natürlich fein anderer
fein als „der ſchelmiſche Jude“ Lippold. So erhob fi als:
bald eine populäre Reaktion gegen die bisherige Mibwirtichaft,
und zwar um jo erfolgreicher, als fie mit der Wiedervereinigung
der Mark zufammentraf. Seit längerer Zeit fränfelte Markgraf
Johann: er lag bereits danieder, als Joachim ftarb. Zehn
Tage danach, am 13. Januar, verjhied er. Am 26. Januar
wurde der Kurfürft im Dome zu Berlin, am 1. Februar der
Markgraf in der von ihm hergerichteten Gruft zu Küftrin beis
geſetzt.
2. Zohann Georg 1571—1598.
Europa trieb einer großen Krifis entgegen: die Verſchärfung
der religiöfen Gegenfäge in Deutfchland, die Erneuerung bes
Religionskrieges in Frankreich, der niederländiſche Freiheits-
kampf, dem England nicht fremd bleiben Fonnte, und die Er—
ſchütterung des Nordoftens durch das Erlöſchen der Jagellonen
drohten einen Weltfrieg, in dem bei der Uneinigfeit und Un—
entſchloſſenheit ihrer Verfechter die Reformation erliegen zu
müffen ſchien.
War da die „mittlere Richtung” Joachims II. noch mög-
lich? Mußte fie nicht Brandenburg, das, nad allen Seiten
engagiert, doch nirgends zuverläffige Freunde hatte, fteuerlos
den ſchwerſten Stürmen ausfegen? In folden Zeiten kann
nur der mit Ausfiht auf Erfolg in den Kampf um das Da—
jein eintreten, der weiß, was er will, und an das Gewollte
feine ganze phyſiſche und fittliche Kraft zu ſetzen bereit ift. So
wenig aber wie bei Joachim II. war das zunächit bei feinem
Nachfolger der Fall. Nur dann konnte Brandenburg die nahen-
den Stürme zu beftehen hoffen, wenn im Innern die leidige
Mitregierung der Stände befeitigt, nach außen aber im An-
ſchluß an die Mächte, die an den großen Prinzipien der Refor—
244 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
mation feithielten, eine Politif verfolgt wurde, die Vertrauen
erwedte und Sicherheit gewährte, das heißt zum Handeln bereit
und befähigt war.
Auch zwiſchen Johann Georg und feinem Vorgänger fehlte
nit der Gegenfag, der faft jeden Thronwechſel Fennzeichnet:
nur lag er nicht auf politiſchem und kirchlichem, fondern auf
häuslihem und wirtichaftlihem Gebiete. Im Gegenfag zu dem
leichtfert gen Vater bot Johann Georg in einem langen Leben
das Bild eines wahrhaft patriarhalifhen Famjlienhauptes: in
drei Chen hat er nicht weniger ala 23 Kinder gezeugt und
feinem Haufe, das nur noch auf wenigen Augen geitanden,
eine vielverzweigte Nachkommenſchaft gefihert. Ein Feind aller
Ueppigkeit, ftelte er an dem loderen Hofe Zucht und Orbnung
ber. Die ſchöne Gießerin wurde in Spandau feftgefegt, eine
andere von bed Vaters Freundinnen des Landes verwiefen, die
Tochter der Gießerin, die einen Grafen Eberftein hatte hei:
raten follen, mit gräfliher Ausftattung einem ſchlichten Hof:
venteifhreiber in die Che gegeben. Die Abenteurer, die des
BVerftorbenen „übergroße Ruriofität” ausgebeutet hatten, machten
ſich fehnell davon. Aber auch die Zechbrüder mieden den Hof.
Bürgerlihe Wohlanftändigkeit wurde herrfend. Denn neben
einiger Beihäftigung mit den Wiffenfhaften Fannte Johann
Georg, ein gejunder und Eräftiger Herr und Freund körper:
licher Anftrengung, als Erholung nur die Jagd. Er war fein
Soldat, wenn er aud 1547 vor Wittenberg an der Seite
Karla V. große Unerjchrodenheit bemiefen hatte und ſelbſt
meinte, habe man ihn erft in den Sattel gebracht, würde man
Mühe haben, ihn wieder herauszubringen. Ritterliche Neigungen
kannte er nicht, aber ebenfomenig eigentlich bürgerlihe. Als
Kurprinz Adminiftrator der drei märkiſchen Bistümer, hatte er
meift auf den Bifhofshöfen zu Zehlin und Wittftod gemeilt
und fi) ganz in das beſchränkte Dafein eines märkiſchen Land»
ebelmannes hineingelebt. Auch feine fürſtlichen Ideale waren
in gutem Wirtfhaften und fparfamem Haushalten beichloffen,
und die von Gott gejeßte Ordnung jah er darin, daß wie der
Landesherr auf feinen Domänen, fo jede ländliche und ftädtifche
Obrigkeit in ihrem Gebiete nad) Gutdünfen das Regiment führe.
IV. Reformation und ftänbifdes Regiment. 245
Proſaiſcher ließ fich der Beruf des Fürften kaum faflen: nur
dem Umfange, nit dem Wejen nad unterſchied ſich feine
Autorität von der des Gutsheren. Nach der Art eines ſolchen,
meift der Hauptftadt fern, auf dem Lande und feinen Jagd-
ihlöffern, mwaltete Johann Georg in durchaus perſönlichem
Regiment. Namentlih in „Kammerſachen“ jah er ftets mit
eigenen Augen. Eo verftand er fi auch gut mit dem mär-
kiſchen Adel. In deffen Denkweiſe heimiſch, nahm er aud an
feinen Anſprüchen nicht Anftoß, jondern ließ fie als Konſe—
quenzen ber von ihm anerfannten göttlichen Orbnung gelten.
Für die märkiſchen Herren begannen die ſchönen Tage voller
Libertät: gegen Erfüllung feiner finanziellen Wünſche gab Jo—
bann Georg ihnen nicht bloß nad) unten freie Hand, fondern
gewährte auch der ftändifchen Mitregierung noch größere Rechte.
Schwer büßte nun die Mark dafür, daß Joachim II. in einer
Zeit, wo es entichloffen Partei nehmen galt, zwiſchen Altem
und Neuem ſchwankend die Vorfämpfer des einen ſich verfeinbet,
die des anderen nicht gewonnen hatte. So hielt die Reaktion
ihren Einzug: zumeiſt traf fie das Bürgertum, das wirtſchaft⸗
ih, geiftig und fittlich der Träger der von Joachim nur halb
anerfannten neuen Zeit geweſen war.
Der gärende Unmut über die bisherige Mißwirtſchaft ent—
lud fih in roher Gemwaltthat gegen die Juden, zunächſt den
„Rammerdiener und Münzmeifter” Lippold, der fich erft unred⸗
lich bereichert und dann feinen Herrn vergiftet haben ſollte.
Auf die Kunde von feiner Verhaftung erhob fi der Berliner
Vöbel gegen die verhaßten „Hamannafinder”, bemolierte die
Synagoge in ber Klofterftraße und plünderte etliche Juden—
häufer. Zwar wurde weiterer Unfug verhindert, aber Johann
Georg verfügte die Ausweifung aller Juden, „welche viel Un:
heil angerichtet und alle gute Polizei faft aufheben wollen”.
Man ftellte die Juden vor die Wahl, entweder fih taufen zu
laſſen oder nad) Verkauf ihres Eigentums und Entrihtung des
Abzugsgeldes auszumanbern. Erfteres that feiner; bie meiften
gingen nad Polen und nad; Prag. Vermutlich) brachte diefe
Judenaustreibung nicht bloß ber furfürftliden Kaffe, Sondern
auch mandem anderen Vorteil, der feine Gläubiger aus dem
246 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifgen Staates (bis 1598).
Lande fliehen ſah. Lippold blieb in Haft, obgleich in nichts
überführt. Als dann der Landtag von 1572 die Gewiſſenloſigkeit
der bisherigen Finanzwirtſchaft offenbarte, galt es, die erregte
öffentliche Meinung durch Beſtrafung eines angeblih dafür
Verantwortlichen zu beſchwichtigen: jo begann im Januar 1573
das Schlußverfahren gegen Lippold. Bedrohung mit der Folter
entrang ihm das Geftändnis, er habe feit Jahren ein Zauber:
buch befefien. In Beantwortung der ihm nun vorgelegten
langen Reihe von Fragen, beſchrieb er die Zaubereien, die er
geübt haben wollte. Auch der Vergiftung des Kurfürften bes
kannte er ſich ſchuldig: er habe jo die Unterfuhung hindern
wollen, die wegen des Verſchwindens einer goldenen Kette ein=
geleitet war. Mäßig gefoltert, befräftigte er diefe Angaben,
nahm fie dann aber zurüd. Unter den Qualen der „icharfen
Frage“ erneute er fie. Noch an demjelben Tage, 28. Januar 1573,
wurde der Unglüdliche, für deſſen Schuld auch nicht ein Schatten
von Beweis erbracht war, in Berlin auf dem Neuen Markte
grauenhaft gerichtet — „mit glühenden Zangen gezwidt, von
unten auf geräbert, gevierteilt, vor jedem Thore ein Viertel
aufgehängt, das Haupt auf das Georgthor geftedt, das Ein-
geweide ſamt jeinem Zauberbuch gen Himmel mit Feuer geſchickt“.
Aber nicht bloß eine populare Reaktion war im Zuge:
beim Tod des Vaters hatte Johann Georg in den Häufern
der einflußreichſten Beamten alles verfiegeln lafjen. Abfegungen
und Perfegungen in Menge folgten, auch gerichtliche Proze—
duren. Eine Schuld ſcheint feinem nachgewieſen zu fein: fie
büßten dafür, daß fie des verftorbenen Herrn fchlehte Wirt:
ſchaft nicht gehindert hatten. Nur Lamprecht Dijtelmeyer blieb
unangefodten: alfo hatte er fih wohl um Ordnung bemüht und
dadurch nicht bloß des Nachfolgers Vertrauen gewonnen, ſondern
auch die abligen Herren verföhnt. Doch gewann neben ihm
Johann Köppen Einfluß, bisher Profefior in Frankfurt, ein
ausgezeichneter Jurift, der Johann Georg ſchon vor feinem
Regierungsantritt als Nat zur Seite geftanden hatte.
Mit ſächſiſcher Biegſamkeit verftand es Diftelmeyer, ih
dem neuen Kurs anzupafien. Auch wird er als Träger aller
ſchwebenden diplomatiſchen Aftionen und Bertrauensmann
IV. Reformation und ftändifches Regiment. 247
Augufts von Sachſen, dem Johann Georg fi eng anſchloß,
unentbehrlich erſchienen fein, obgleih unter den Klagen des
Adels die über die Vergebung der wichtigen Aemter an Fremde
den erften Plag einnahm. Auch gehörten die neuen Beamten
faft durchweg dem märkiſchen Adel an. In dem ausſchließlichen
Recht des eingeborenen Adels auf die Einfluß und Einnahmen
gewährenden Stellungen im Lande fah man ein wejentlidhes
Stüd der Libertät. Auch Johann Georg mißbilligte es, daß in
der Verwaltung bisher die Bürgerlichen eine jo große Role
geipielt hatten: da nun aud der Abel fi „in den zum Krieg
und Frieben gehörigen Wiſſenſchaften hervorgethan“ habe, könne
er ihm fein ganzes Land anvertrauen. Danach verfuhr er bei
Belegung der Aemter, und damit es auch in Zukunft jo ge
halten werden fünne und nie einheimifcher Nachwuchs fehle,
befahl er allen auf fremden Univerfitäten fiudierenden Märkern,
wenn fie Anftellung im Lande wünſchten, zur Vollendung ihrer
Bildung nah Frankfurt zurüdzufehren. Auch hob er biefes
duch befjere Dotierung der Profefjuren und Stiftung von
Stipendien und Freitiſchen. Konfeſſionelle Geſichtspunkte wirkten
dabei mit: nicht ohne Sorge ſah er die Vermehrung der Je
ſuitenſchulen im Reiche, wollte aber doch auch die von dem
philippiſtiſchen Wittenberg her drohende Gefährdung des reinen
Zuthertums abwehren. Wie ftarr er an deſſen Buchſtaben hielt,
batte er bereits durch den Eifer gezeigt, mit dem er noch als
Kurprinz für ben zelotifhen Musculus gegen ben doch auch
nicht eben freidenfenden „großen Redner“ Abdias Prätorius
Partei nahm. Rückſichtsloſe Begünftigung des Adels und eng-
berzige lutheriſche Konfeffionalität gaben feinem Walten einen
Zug ber Unfreiheit und Befangenheit und lenkten Brandenburg
in reaktionäre Bahnen. Damit war ja die Pflege der ma-
teriellen Intereſſen auch der Städte und des VBürgertums ver:
einbar, jelbft ein gewiſſes volfsfreundliches Wefen, wie er als
„ernfthafter Herr“ es liebte, aud mit dem Geringften zu
ſprechen und auf feinen Reifen von allem perfönlih Kenntnis
zu nehmen. So geſchah es, daß Brandenburg zu berfelben Zeit
materiell im größten Flor war, wo feine geiftigen und fittlichen
Kräfte verfümmerten.
248 Crftes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
Auch jegt hing die innere Politif von Geldfragen ab.
Dur Uebernahme ungewöhnlicher finanzieller Laften erfaufte‘
der Adel eine Erweiterung feiner Rechte nach oben ſowohl wie
nad unten. Während von den aufzubringenden Summen die
Städte bisher zwei Drittel trugen, follte fie nad) dem im
Januar 1572 auf einem Landtage zu Berlin Vereinbarten dies⸗
mal nur ein Drittel (200 000 &haler) der verzinslihen Schuld
treffen. Als fie Erleichterung erbaten, wurden fie brohend zu—
rechtgewieſen: wenn fie ihr Reifen nicht laſſen wollten, jo möge
fie noch einmal die Hand des Allmächtigen rühren. Mit den
oberen Ständen dagegen wurde im Tone freundfchaftlicher
Vertraulichkeit, ja ſchmeichelnden Gunftwerbens verhanbelt.
Dafür übernahmen dieſe auch 600000 Thaler, durften aber
zur Aufbringung ihre Bauern und Unterthanen heranziehen,
alfo die Laſt auf andere abwälzen. Sie madten daher mit
der Bezeigung von fo viel „Treue, Liebe und Neigung“ fein
ſchlechtes Geſchäft. Nicht genug, daß Johann Georg ihnen alle
bisherigen Gerechtſame beftätigte, er erweiterte fie auf Koſten
feiner fürftliden Autorität, indem er auf Erweiterung feines
Iandesherrlihen Jagdrechts und Errichtung neuer Zollftätten auf
abligem Grund und Boden verzichtete, das Ausfaufen „mut=
williger und ungehorfamer” Bauern aber dem Adel ausdrücklich
erlaubte. Daß diefer gegen ein Pauſchquantum von 8000 Thalern
die nächſten fünf Jahre Getreide und Wolle überallhin zollfrei
verführen durfte, räumte ihm auf Koften des Handels ber
Städte einen Gewinn ein, der die übernommenen finanziellen
Laſten reichlich aufmog. Das Aergſte aber war doch, daß unter
Zuziehung einiger ftädtifcher Vertrauensmänner ein Adelsaus-
ſchuß die in den legten fünfzig Jahren ergangenen obrigfeitlichen
Verordnungen prüfen und nad) Befinden ändern, ergänzen oder
verbeffern follte. Das landesherrliche Recht der Geſetzgebung
wurde damit einer Kontrolle unterftelt, die feiner Webertragung
auf die Stände ziemlich gleichfam. Aehnlich ging es in der
Neumark, Obgleich diefe, dur Markgraf Johann jtraff in
Ordnung gehalten, all die Jahre ihre Laſten vollauf getragen,
mußte fie doch von den ihr völlig fremden Schulden Joachims II.
einen entſprechenden Teil übernehmen und dazu eine Bierziefe
IV. Reformation und ftändifhes Regiment. 249
für fünfzehn und einen Yufenihoß für zehn Jahre bewilligen.
Dafür durften die abligen Herren ihr Aderland durd Einziehung
deſſen vergrößern, was von ben bisher durch die Bauern be—
nugten Weiden und Wäldern entbehrlih ſchien, und ihre
Bauern in der Ernte und bei Bauten ftatt der ſonſt üblichen
zwei Tage in der Woche nah Bedarf zu Spann: und Hand»
dienften heranziehen. Wie fie das benugten, lehren die ein-
ſchränkenden Beftimmungen, durch die Johann Georg das
angerichtete Unheil gut zu machen ſich hinterher vergeblich
bemühte.
Und wie der Adel fo die Ländereien, Mittel und Arbeits:
träfte feiner Bauern zu willkürlicher Ausbeutung überlaſſen
erhielt, um jchließlich Herr auch ihrer Zeiber zu werden, wurde
er vermöge feines Patronatsrechtes eigentlich Herr ihrer Seelen:
harte geiftige Unfreiheit drohte die Reformation durch ben
Zwang engherzigen Buchitabenglaubens zu vernichten. Gegen:
über den philippiftiihen Neigungen, die der Streit zwiſchen
Musculus und Prätorius offenbart hatte, warf fi der Adel
zum Hüter des reinen Glaubens auf. Der Landtag erwirkte
vom Kurfürften die Erklärung, es folle in jeinem Lande aus—
ſchließlich „die einfältige Lehre des göttlichen Wortes, wie fie
in der Heiligen Schrift, in der wahren unveränderten Augs—
burgiſchen Konfefiion ſamt der Apologie verfaßt und durch
Dr. Martin Luther bei feinem Leben gelehrt und getrieben
worden“, verkündet und feine Abweichung davon geduldet werden.
Wie in Preußen gingen hier num ftändifche Libertät und reines
Zuthertum zufammen: ala Kirchenpatron ein eifernder Zions-
wächter, war jeder Gutsherr dem Landesheren gegenüber ein
ftreitbarer Vorkämpfer der großen Privileggenofjenichaft, die der
Adel der Mark bildete, um feine bevorzugte Stellung nad oben
wie nad) unten zu verteidigen. Das war ein verhängnisvoller
Rückſchritt. Und dazu wurde die Krifis, der Brandenburg ent⸗
gegenging, mejentlih kompliziert durch die Einwirkung ber
allgemeinen Eonfeffionelen und politiſchen Gegenfäge.
Während die katholiſche Reaktion den Religionsfrieden
durchlöcherte, um ihn bei erfter Gelegenheit zu zerreißen, ebnete
ihr Johann Georg noch den Weg, indem er als Vorfämpfer
250 Erſtes Bug. Die Clemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
bartherziger Konfeffionalität gerade die Verbindungen löſte,
die ihm hätten Schuß gewähren können, und fi die zu Feinden
machte, die er als feine natürlichen Bundesgenoſſen hätte an-
jehen müſſen. Verſtändnis der Zeit und der fie beherrfchenden
Strömungen gingen ihm völlig ab. Wie er einft auf den mär:
kiſchen Biſchofshöfen gewaltet, jo führte er jegt die Herrſchaft:
ehrbar und haushälteriſch, aber unfürftlich und unpolitiſch, ohne
Sonderung von Hof: und Landesverwaltung, in patriarchaliſchem
Neben: und Durcheinander der Behörden und Aemter. Nur
in den Finanzen herrſchte mufterhafte Ordnung. Galt es doch
einen zahlreihen Nachwuchs zu verforgen. Denn aud an Frucht:
barfeit gli Johann Georg den Patriarhen. Während jeiner
erften Ehe mit Sophie, Tochter Friedrichs von Liegnig, nur
der Kurprinz Joachim Friedrich entftammte, gebar ihm feine
zweite Gemahlin Sabine, die Tochter Georgs des Frommen
von Ansbach, elf Kinder, von denen freilich nur die drei jüngften
Töchter zu Jahren famen. Aus der dritten Ehe, die er 1577
mit der vierzehmjährigen Elifabeth von Anhalt ſchloß, gingen
in einundzwanzig Jahren elf lebende Kinder hervor, darunter
fieben Söhne. Der Wunſch, fie alle zu verforgen, war nicht
geeignet, in feiner Politif idealen Momenten zur Geltung zu
verhelfen, fondern fteigerte den Einfluß der bloßen Nüplich-
feitgerwägungen. Auch dem Volle war das recht. Denn wie
in dem ganzen Iutherifchen Deutſchland der Erregung der Refor⸗
mation eine Erfhlaffung gefolgt war, in der man fich ver-
blendet des faulen Friedens freute und nit ſah, daß das
Evangelium überhaupt auf dem Spiele ftand, fo wiegten fi
damals auch die Märker in einem unbegründeten Gefühl der
Sicherheit und brüfteten ſich ftolz mit ihrem unverfäljchten
Zuthertum. In materieller Hinfiht hatten fie kaum je fo gute
Zeiten gefehen. Gleihmäßig gediehen Land und Städte; bie
adligen Herren freuten ſich des fteigenden Wertes ihrer Güter,
dem fie troß der Klagen ber Städte durch Betrieb des ihnen
eigentlich verbotenen Handels Fräftig nachhalfen. Handel und
Gewerbe blühten und ermöglichten den Bürgern früher unge:
fanntes Wohlleben, das ihren heißen lutheriſchen Eifer freilich
nicht milberte.
IV. Reformation und ftänbifdes Regiment. 251
Set fam ber ftreitbare Musculus als Generalfuperinten:
dent an die Spige ber märkiſchen Kirche. Er war fo recht ber
Mann Johann George, der ſchon als Kurprinz eifrig feine
Partei genommen und des Prätorius Schrift eigenhändig ins
Feuer geworfen hatte. Jetzt erklärte er, ehe Musculus mit
feiner Lehre zu ſchanden werbe, möge lieber feine Univerfität
zum Teufel fahren, im Feuer ftöhnen und lichterloh brennen.
Er wollte jede abweichende Meinung unterbrüden: es folle
Ruhe werden im Lande, rief er, ober er wolle nicht mehr Herr
fein. Des milden Buchholzer Vorftellungen richteten nichts
aus, auch nicht jein Hinweis auf das Bedenkliche einer Auf⸗
bebung der Kirhenordnung von 1540, bie Luther gebilligt und
der Raifer beftätigt habe. Selbſt Kurfürft Auguft von Sachſen,
dem Johann Georg ſonſt blindlings folgte, mahnte vergeblich
ab. Als Mitarbeiter erhielt Musculus den Hofprediger und
Domdechanten Georg Cöleftin: ihn hatte Joachim II. 1566
nad Mainz geſchickt, um das angeblihe Original der Augs-
burger Konfeffion abzujchreiben. Daß er ſich dabei einer plumpen
Fälſchung ſchuldig gemacht Hatte, ahnte man noch nicht: mit
Musculus gab er in dem Corpus doctrinae Brandenburgicum
1572 eine unterſchriftloſe unbeglaubigte Ropie für das Original
der Konfeffion aus. Auch die Bibelüberfegung ließ Johann
Georg feinem konfeſſionellen Standpunkte gemäß zurechtmachen.
Den Triumph des ftrengen Zuthertums befiegelte die Kirchen:
vifitation, die Musculus mit dem Frankfurter Theologen Chriz
ftoph Cornerus vornahm: eidlich mußten fi die märkiſchen
Geiftliden 1575 auf die Abendmahlslehre der unveränderten
Augsburgifhen Konfeffion verpflichten. Entſprechend eifrig
wirkten Johann Georgs Theologen auch bei der Feſtſetzung
der Konkordienformel mit, deren unveränderte Annahme Cöleſtin
durch die Konvente der märkifchen Geiftlihen zu Lebus, Berlin,
Nauen und Tangermünde (1576, 1577 und 1578) durchſetzte.
Auch Diftelmeyer war ein engherziger Lutheraner und
überfah mit Johann Georg, daß dieſe ftarre Konfeſſionalität die
vielgepriefene Politik der Anwartſchaften um ben gehofften
Erfolg bringen mußte. Denn wer, wie bie katholiſchen Eiferer,
Vhilippiften und Calviniften außerhalb des Religionsfriedens
252 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
ftellte, fonnte doch nicht darauf reinen, deſſen Beftimmungen,
wo fie ihm ſelbſt unbequem waren, geändert zu fehen. Bon
bier aus ftellten fi) der Erwerbung bes Erzbistums Magdeburg,
die neben der preußifchen Anwartichaft Doch eigentlich im Zentrum
von des Kanzlers ganzem politifhen Syitem ftand, unüberwind-
liche Hindernifje entgegen. Deshalb war auch Johann Georg
überzeugt, nur im engften Anſchluß an das Haus Habsburg
fönne Brandenburg gedeihen und diene feinem Vorteil am
beiten, wenn es befien Macht fördere. Die verföhnlice Hal:
tung Raifer Marimilians II. aud in der kirchlichen Frage be—
ftärkte ihn darin. Auch verfehlte diefer nicht, ſich feiner durch
einen oder den anderen Gunftbeweis weiter zu verfichern.
Gleich die Geſandtſchaft, die Johann Georg im Frühjahr
1571 zum Empfang der Lehen des Reihe und ber Krone
Böhmen nah Prag ſchickte, war gut aufgenommen. Indem
er auf Wunſch des Kurfürften Albrecht Friedrich von Preußen
in die Belehnung einſchloß, hob Marimilian II. ſtillſchweigend
die Acht auf, die nod immer auf dem Herzogtume lag und
beim Deutjchen Orden Reftaurationspläne wachrief. Auch Polen
hatte Johann Georgs Recht auf Preußen ohne weiteres aner-
kannt. Gleich günftig geftaltete fi fein Verhältnis zu den
Brandenburg nächſtverbundenen Reihsftänden. Die Vereinigung
mit Heſſen und Kurfachfen wurde erneut und fein Wunſch, in
die ſächſiſch-heſſiſche Erbverbrüderung einbegriffen und zu der
durch fie erſchloſſenen eventuellen Landfolge zugelaffen zu werben,
in freundliche Erwägung genommen. Daß es ihm vor allem
auf Frieden mit den Nachbarn anfam, bewies die geänderte
Stellung zu Pommern. Seit 1568 war feine Tochter Erdmuthe
mit Herzog Johann Friedrih von Pommern verlobt. Das gab
wohl den Anlaß zur Erörterung bes ungleihen Verhältniffes,
in dem beide Fürftenhäufer ftanden, feit gegen Verzicht auf die
Lehenshoheit den Brandenburgern ein Heimfallreht auf Pom-
mern eingeräumt war, ohne daß den Pommernherzögen ein
gleiches auch nur auf einen Teil der Marken zugeftanden hätte
— eine Rehtsungleichheit, die bei jedem Thronwechſel das Er:
ſcheinen brandenburgifcher Bevollmädhtigter zum Empfang der
Eventualhuldigung den Pommern verlegend in Erinnerung
IV. Reformation und ftänbifjes Regiment. 253
brachte. Unter Zuftimmung Kurſachſens und Hefiens wurde
jegt eine Erbverbrüberung geſchloſſen, die entſprechend dem
brandenburgifchen Erbrecht auf Pommern deſſen Herzögen für
den Fall des Erlöfchens des Kurhauſes den Anfall der Neumark
und des Landes Sternberg verhieß.
Im Sommer 1572 erloſch mit König Sigismund II. von
Polen das Haus der Jagellonen. Um die Krone warb ber
Kaifer für feinen zweiten Sohn, Erzherzog Ernſt, die fatholifche
Partei für Heinrih von Anjou. Wieder trat Johann Georg
eifrig für das Haus Habsburg ein, zumal der Kaifer ihm gerade
zu einer neuen, wenn aud) weitausfehenden Anwartichaft ver-
half. Marimilian II. hatte den Widerftand überwunden, ben
fein Schwager Herzog Wilhelm von Jülich der Werbung der
preußifchen Stände um bie Hand feiner älteften Tochter Marie
Eleonore für den jungen Albrecht Friedrich entgegenjegte. Für
den Fall des Finderlofen Todes ihrer Brüder follte, jo wurde
nun vereinbart, die künftige Herzogin von Preußen gegen
Zahlung einer Abfindung an ihre Schweftern das Herzogtum
Julich erhalten. Mit Preußen zugleich konnte dieſes alfo ber:
einft an Brandenburg fallen. Um diefelbe Zeit num, wo Marie
Eleonore dem traurigen Schidfal entgegenging, das ihrer an
der Seite des in Geiſtesſchwachheit verfallenden Gemahls war:
tete, berief der polniſche Reichstag im Januar 1573 Heinrich
von Anjou, den Mitſchuldigen an der Bartholomäusnadt, auf
den Thron, nicht ohne durch Ausſchließung Albrecht Friedrichs
von ber beanfpruchten Teilnahme an der Wahl Preußen feine
Abhängigkeit in Erinnerung zu bringen und Johann George
Befliffenheit um die Zukunft Polens verlegend abzumeifen.
Beides nahm der legtere ruhig hin: mwollte er doch mit dem
neuen Polenkönig jo gut ftehen, daß feine Mitbelehnung mit
Preußen nit auf Schwierigkeiten ftieß. Gleich in Halle be:
reitete der Abminiftrator, Kurprinz Joahim Friedrih, dem⸗
felben im Januar 1574 einen glänzenden Empfang. An ber
märkiſchen Grenze wurde Heinrich von Diftelmeyer im Namen
feines Herrn mit einer wohlgeſetzten franzöſiſchen Anſprache
bewilllommnet und reichlich mit allem verforgt nad Frankfurt
geleitet, wo er fünf Tage raftete. Ihn perfönlich zu begrüßen
254 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
unterließ Johann Georg aus Rückſicht auf den Kaifer: doch
fand er ſich heimli in Frankfurt ein, ob wirklih nur, um,
wie es hieß, feine Neugier zu befriedigen und, jelbft unerkannt,
feinen fünftigen Lehensheren von Angeficht zu fehen oder um
im geheimen doch mit ihm zufammenzutreffen und fich jeines
Wohlwollens zu verfihern, muß bahingeftellt bleiben. Durch
die Neumark erreichte Heinrich dann bei Mejerig die polnifche
Grenze.
Aber ſchon im Mai 1574 durch feines Bruders Tod auf
den franzöfiihen Thron berufen, verließ er Polen wieder, und
die Gefandten Johann George, welde die preußiſche Mitbe—
lehnung hatten betreiben follen, fehrten unverrichteter Sache
heim. Während er nun um die polnifche Krone wiederum für
feinen zweiten Sohn Erzherzog Ernft warb, wollte der Kaifer
dem erftgeborenen Rubolf dur die Wahl zum römiſchen König
ſchon jegt die Nachfolge im Reiche fihern. Zu beidem braudte
er die Beihilfe namentlich Brandenburgs. Das bot der branden-
burgifchen Politit Gelegenheit, in ber ihr eigenen Art Erfolge
zu erzielen, die ftattlich ausfahen, aber wenig bebeuteten. Auf
Diftelmeyers Anjuchen erweiterte Marimilian II. die Anwart-
ſchaft, die er 1564 Joachim II. auf das Fürftentum Gruben-
hagen gewährt, dann aber dur die dem Haufe Braunfchweig
erteilte Gefamtbelehnung entwertet hatte, in „einem zierlichen
und ſchönen Briefe” auf jämtlihe braunfchweig-lüneburgifchen
Lande. Auch verhieß er die Belehnung mit den laufigichen
Herrichaften Beeskow und Storfow, die, zu Beginn des
16. Jahrhunderts an das Bistum Lebus verpfändet, an Jos
hann von Küftrin gefommen und infolge wiederholter Neu-
beleihung durch diefen fo hoch belaftet waren, daß ein Rüdfauf
durch die böhmifche Krone unmöglih war. Nah Johanns Tod
feiner Witwe Katharine zum Unterhalt angewiefen, kamen fie
bei deren Ableben (16. Mai 1574) an ihren Schwiegerjohn,
den Rurprinzen Joachim Friedrih, der fie feinem Vater zur
Einfügung in den Gefamtbefig des Haufes überließ. Es war
echte Trinfgelverpolitif, die man trieb: um fragmürdige Aus-
fihten in weiter Ferne opferte man in ben großen Fragen ber
Zeit die Intereffen Brandenburgs famt denen der Reformation.
IV. Reformation und ftänbifdes Regiment. 255
Das aber geſchah, wenn man den Habsburgern zu einer Macht:
ftellung verhalf, die ſchließlich auch Brandenburg erbrüden
mußte. Das ftand zu befürchten, wenn der Jejuitenzögling
Rudolf Raifer und König von Böhmen und Ungarn und fein
Bruder Ernft König von Polen war. Aber aus lutheriſchem
Eifer gegen die reformierten Pfälzer ftellte ſich jetzt aud die
albertinifche Politit in den Dienft der Habsburger — ein
Motiv mehr für Johann Georg, denjelben Weg zu gehen. So
traf er im April 1578 zu Dresden bei Kurfürft Auguft mit
dem Raifer und feinen vier Söhnen zufammen und jagte ihm
feine Beihilfe zur Erhebung Rudolfs zum römiſchen König zu.
Auf Wunfh Marimilians wohnte er in Prag der Krönung
Rudolfs zum böhmifchen König bei: dabei wurde er mit Beeskow
und Storkow belehnt. Weniger glatt freilich verlief der Regens—
burger Reichstag. Die evangeliſchen Kurfürſten begriffen doch,
daß fie mit der Wahl Rudolfs der katholiſchen Reaktion vollends
Vorſchub leifteten. Aber obgleich fie nicht einmal die Aufnahme
der lahmen Deklaration in die Wahlfapitulation durchſetzten,
mit der man fi vor zwanzig Jahren durch Ferdinand zu Augs-
burg hatte abipeifen lafjen, nad) der auch in geiftlihen Landen
Evangelifhe gebuldet werben ober ungehindert auswandern
ſollten, wurde Rudolf dennoch zum römifchen König gewählt
und gekrönt. Die habsburgifche Politif triumphierte,
Und auch in Polen fhien fie am Ziel. Durch Stimmen:
mehrheit beriefen Senatoren und Biſchöfe ſtatt feines zweiten
Sohnes den Kaiſer ſelbſt auf den Thron. Dagegen erhob fi
vol nationalen Eifers der Adel: für ihre Libertät fürchteten
die einen, für das Evangelium die anderen. Eine ftürmifche
Gegenbewegung begann. Dit der Hand der legten unvermählten
Jagellonin Anna, der Tochter Sigismund II, gab man die
Krone an Stephan Bathory von Siebenbürgen. Diefe Wendung
gefährdete auch Brandenburgs Stellung in Preußen, weshalb
nun Johann Georg ebenfo eifrig zwiſchen dem Kaifer und
Stephan Bathory zu vermitteln fuchte, wie er erit in Polen
für Habsburg geworben hatte. Der Tod Marimilians II.
(12. Oktober 1576) minderte die Schwierigfeiten. In Bauen
traf fih Johann Georg, kurz nachdem er zu Leglingen zum
256 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
drittenmal Hochzeit gemacht, mit Rudolf IT. und Auguft von
Sachſen, und da er Stephan Bathory bie anfangs trog harter
Belagerung verweigerte Anerkennung Danzigs auswirkte und
eine Anleihe gewährte, kam ihm diefer in der preußiſchen Frage
entgegen. Zum Gubernator für den blöden Albrecht Friedrich
wünſchte deſſen Schwiegervater Wilhelm von Jülich beftellt zu
werden, während im Einverftändnis mit Johann Georg als
nächſter Verwandter des Herzogs Georg Friedrih von Ansbach
Anſpruch auf die Stellung erhob. Gern hätten die polniſchen
Magnaten bei diefer Gelegenheit die Rechte wieder befeitigt,
die Brandenburg dur) die Mitbelehnung erworben hatte. Aber
Stephan Bathory hielt, was er als Gegendienft für die Unter-
werfung Danzigs verheißen hatte: am 27. Februar 1578 be:
lehnte er zu Warſchau den Ansbacher als Vertreter Albrecht
Friedrichs und ernannte ihn zum Gubernator. Wieder legten
dabei die brandenburgiſchen Gejandten — auch von dem Ab:
miniftrator aus Halle waren folde erſchienen, die Hand mit
an die Lehensfahne und empfingen für ihren Herrn die Mit:
belehnung. Vergeblich machte der polnische Adel dagegen gel:
tend, es handle fi) do nur um Kreierung eines Herzogs in
Preußen, nicht aber eines Herzogs von Preußen, was der
Volenkönig felbft ſei. Diefe Anwartſchaft ſchien gefichert.
Ob das aber Dauer haben würde? Mit dem nationalen
Eifer war in Polen auch der katholiſche entfacht: bisher der
Sig jhöner Toleranz, verfiel es dem wachſenden Einfluß der
Jeſuiten. König Stephan, den die Evangelifchen als den Ihrigen
angejehen hatten, nötigten politiſche Rüdfichten das zuzulaſſen.
Eine ungeheure Gefahr drohte damit dem ganzen evangelifchen
Nordoften. Im Reiche arbeiteten die ftrengen Lutheraner ber
katholiſchen Reaktion in die Hand, feit die Konkordienformel alle
vom Buchſtaben der Augsburgiſchen Konfeffion abweichenden
Evangeliſchen außerhalb des Neligionsfriedens ſtellte. Mit
Recht nahm die alte Kirche fie für fi in Anfprud, wenn einer
ihrer eifrigften Vorfämpfer, Herzog Julius von Braunfchweig,
drei feiner Söhne „mit päpſtlichen Zeremonien und geiftlihem
Habit“ in Halberftadt einreiten, weihen und tonfurieren ließ,
um fie zum Empfang geiftliher Zehen und Bistümer zu bes
IV. Reformation und ſtandiſches Regiment. 257
fähigen. Kamen dieſe Lutheraner, um troß des geiftlichen Vor:
behalts Kirchengut zu erwerben, ihnen fo weit entgegen, war:
um follten die Katholifen nicht glauben, fie bei einiger Dehn-
barkeit der Formeln doch noch für ihre Kirche zurückzugewinnen?
Um fo entfhiebener traten fie ihnen entgegen, wo fie ſich ohne
dies geiftlicher Stifter bemäditigten. Auch Johann Georg erfuhr
das, als er plöglich feines Hauſes ſcheinbar fo fihere Pofition
in dem Erzbistum Magdeburg in Frage geftellt fah. Den
unbequemen kurſächſiſchen Mitbefig hatte im Juni 1579 unter
Zuftimmung des Kaifers ein Vergleich befeitigt, der Sachſen
für die Burggrafichaft etliche Aemter überwies. Am 26. Oktober
war Joachim Friedrich im Geleit feines Vaters mit ftattlihem
Gefolge in die Stadt eingezogen und hatte die Huldigung
empfangen. An den Reichstagen von 1570 und 1576, zu
denen nicht die Abminiftratoren, fondern die Domkapitel ge:
laden waren, hatten magbeburgijche Gefandte nicht teilgenom=
men, vermutlid weil Joachim Friedrih an dem Rechte ber
perfönlichen Vertretung des Erzftifts fefthielt, für den Fall des
Streites darüber aber der Beihilfe des Vaters jo wenig wie
des Großvaters fiher war, die jeden Konflift mit dem Kaifer
vermeiden wollten. Erft 1580 erſchienen feine Bevollmächtigten
zu Augsburg, wurden aud zur Eröffnung des Reichstages zu:
gelaffen. Erſt als der päpftliche Legat das als unvereinbar
mit dem geiftlihen Vorbehalt bezeichnete und den Ausſchluß
der Magdeburger Gejandten forderte, änderte die katholiſche
Partei ihre Haltung. Als diefelben den Magdeburg gebührenden
Vorſitz auf der geiftlihen Fürftenbanf einnehmen wollten,
fanden fie ihn durch Salzburg occupiert: man fenne, hieß es,
zur Zeit feinen rechtmäßigen, vom Papſte beftätigten und vom
Kaiſer belehnten Erzbiihof von Magdeburg; das Eindringen
eines Unbefugten würde zur Einftelung der Beratung nötigen.
Ihr Proteft blieb vergeblih. Die vom Kaifer verheißene Be:
handlung der Sade auf einem neuen Reichstag befferte die
Ausfihten niht. Denn alsbald begannen die Intriguen der
Albertiner, um die wichtige Poſition an der Elbe, wenn nicht
ſelbſt zu gewinnen, fo doch wenigftens den Hohenzollern zu ent=
reißen. Und was weiter zu erwarten ftand, lehrte sale danach
Drug, Preubiiße Geigigte. I.
258 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598).
das Schickſal Gebhards von Köln, gegen den man fein Kapitel
revoltierte, um ihn dann geächtet mit jpanifcher Hilfe aus dem
Lande zu jagen. Für Kurbrandenburg ftanden dann mit Magde—
burg au Brandenburg, Havelberg und Lebus und weiterhin
die preußifche Anwartſchaft auf dem Spiel. Das bradite felbit
den Gleihmut Johann George ins Wanken: er ahnte die legten
Biele der fatholifchen Reaktion. Auch Auguft von Sachſen wurde
unruhig, zumal die Ereignifle in Franfreih, die Bildung der
heiligen Ligue zur Erhebung der Guifen auf den Thron ein
Bufammenwirfen aller katholiſchen Mächte erwarten ließen, um
die Reformation dur einen vernichtenden Gemwaltftreich zu
Boden zu werfen. Dem wirkſam zu begegnen, waren Johann
Georg und der echt albertiniſch biplomatifierende Auguft von
Sachſen freilich nicht geeignet. Sie begnügten fi damit, dem
Kaiſer die Gefahr vorzuhalten, der fein Vorgehen in der Kölner
Sade das Reich ausjegte: damit waren fie in ihrem Gewiſſen
beruhigt.
So wuchs die Firhlid-politiihe Gefahr in den nädjiten
Jahren zu wahrer Riefengröße: der Religions: und Bürgerkrieg
in Frankreich, die Bedrängnis der Niederlande und die Rüftung
Spaniens gegen England ftellten aud) die deutſchen Evangelifchen
vor den Kampf um das Dafein. Heinrich von Navarra und
Elifabeth von England wandten fih an fie. Der Bourbone
plante die Einigung aller Evangelifgen: aber wie hätte das
bartherzige Quthertum ſich dazu erheben fönnen! Auf Grund
eines Gutachtens von Martin Chemnig antwortete auch Johann
Georg ausweihend, feine Teilnahme für die franzöfifhen Pro:
teftanten beteuernd. Dennoch äußerte der Kaifer ſich ungnädigft
darüber, daß der Gejandte Navarras überhaupt empfangen
worden war: er hätte gleich feitgefegt werben müſſen. Schließ-
li) aber ging felbft Johann Georg der Ernft der Lage auf, als
die Pläne der Heiligen Ligue und ihrer deutſchen Freunde deut-
licher wurden. Während er noch unlängft gemeint hatte, man
thue am beften, wenn man fi) in diefe Dinge nicht mifche,
„Sondern das Spiel von außen anjehe und den Willen Gottes
des Allmächtigen als wahren Bejchügers feiner Kirchen auch bei
ihren Ratſchlägen fein und das Amen dazu ſprechen laſſe“,
IV. Reformation und ftänbifches Regiment. 259
wurde er zu Beginn des Jahres 1586 mit feinem kurſächſiſchen
Freunde gegen ben kaiſerlichen Erlaß vorftellig, der den evan-
geliſchen Reichsſtänden jede Unterftügung ihrer franzöfifchen
Glaubensgenofjen verbot, während die katholiſchen den ihren
Hilfe bringen durften, und beſchloß auf Anbringen bes Pfälzer
NKurfürften, mit diefem und Auguft von Sachſen König Hein-
ri III. durch Gefandte zur Bewahrung des den Hugenotten
gewährten Religionsfrievens ermahnen zu laſſen. Anderenfalls
follten die Verwandten bes Augsburger Bekenntniſſes den Huge:
notten gemeinfame Hilfe bringen; dänifche und englifche Unter:
ftügung war in Ausfiht geftellt. Obgleich Kurfürft Auguft im
Februar 1586 ftarb, wurde das Vorhaben wirklich durchgeführt
unter lebhafter Anteilnahme feines Nachfolgers Chriftian I.,
der ſeit 1582 mit des Brandenburgers jüngfter Tochter zweiter
Ehe, Sophie, verheiratet war. Im Juli 1586 trafen fie und
andere evangeliſche Fürften, darunter der Abminiftrator von
Magdeburg, in Lüneburg mit König Friedrich II. von Däne—
mark zufammen: die Beſchickung des franzöfifchen Königs wurde
beſchloſſen, ja für den Fall ihrer Erfolglofigfeit durch pfälziſche
Vermittelung ein Verftändnis mit Heinrich von Navarra an-
gebahnt und in der Mark für die Hugenotten geworben. Allem
Schwanken mußte die beleidigende Abfertigung ein Ende machen,
die Heinrich IN. der Geſandtſchaft nach wochenlangem Warten
zu teil werben ließ, indem er die Fürften leichtgläubiger Auf:
nahme gegen ihn ausgefprengter Verleumdungen beſchuldigte
und ihr zu fofortiger Heimreife die Päſſe überreichen ließ.
Johann Georg hätte auch das ruhig eingeftedt, aber der
Kurprinz drang auf gebührende Vergeltung und ſchnelle Hilfe
für die Qugenotten. Bei einem feftlihen Jagen, zu dem Jo—
Hann Georg im Herbit 1586 Chriftian von Sachſen und andere
fürftliche Gäfte bei Küftrin vereinigte, wurde Rats gepflogen.
Durch Brandenburg unterhandelte man mit Navarraa Ge:
fandten. Auch furfürftlihe Mannſchaften follten unter Fabian
von Dohna und dem Reiteroberften Johann von Buch zu dem
Heere ftoßen, das Pfalzgraf Johann Kafimir feinen franzöfifchen
Glaubensgenoffen durch Elſaß und Lothringen zuführen wollte.
Daß bei dem großen Feuerwerk, das damals in Küftrin ab-
260 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Stantes (bis 1598).
gebrannt wurde, neben den Bildern des Sultans und des
Tartarenhang au die des Papites und des Herzogs von Guife
in blauen und weißen Feuern brennend zu fehen waren, ſchien
Johann Georgs Entſchluß zu energifchem Handeln zu beftätigen.
Doch war er nur mit halbem Herzen bei der Sade: fo übel
die Lage fei, Gott könne, meinte er, plötzlich alles zum Guten
menden und der Feinde Anfchläge zu nichte machen. Gern ließ
er fih vom Kaiſer die Werbungen verbieten, die England in
der Mark vornehmen wollte: die für Franfreih hatte man
ruhig zugelaffen, und der märkiſche Adel, ftolz auf fein reines
Ruthertum, nahm um jehnöden Geldes und Iuftigen Soldaten:
lebens willen unbedenklich bei dem Helden der Bartholomäus:
nacht Dienft. Sold traurig vaterlandsloje Gefinnung war auch
eine Folge der Libertät, in der er ſich rühmte, es jo herrlich
weit gebracht zu haben. Wohl erkannten lichtere Köpfe und
wärmere Herzen bereits die Verberblichfeit des bisher verfolgten
Weges. Um fo unbehaglider fühlte fih Johann Georg: daß
fein jähfifher Schwiegerfohn mit feinem zum Kanzler erhobenen
Erzieher Nikolaus Crell zu den Reformierten neigte und nicht
nur das üblihe Schmähen auf fie verbot, fondern aud die
ärgften Eatholifierenden Auswüchſe befeitigte, war nit nad
feinem Sinn, und der unglücliche Ausgang von Johann Kaſi—
mirs Zug nad) Lothringen entfremdete ihn vollends der neuen
Politik. Sich förmlich davon loszujagen, bot ihm das Wieder:
auftauchen der polnifchen Frage erwünjchten Anlaß.
Im Dezember 1586 war König Stephan geftorben und
der Kampf um die Krone neu entbrannt. Zum drittenmal bot
Johann Georg alles auf, um den Habsburgern dazu zu helfen,
gegen den Zaren einerfeits und den ſchwediſchen Kronprinzen,
den Sohn einer Jagellonin, andererjeits. Wieder gab es eine
Doppelwahl und wieder unterlagen die Habsburger. Bon
Krakau zurüdgemwiefen, wurde Erzherzog Marimilian, als er in
Schleſien einen neuen Einfall vorbereitete, 1588 von den rafchen
Gegnern gefangen genommen und erlangte erft nach zwei Jahren
die Freiheit durch den Verzicht auf jedes Kronrecht. Johann
Georg that nichts für ihn, weniger aus Furcht vor einer polnischen
Invaſion als aus Sorge um die preußifche Mitbelehnung. Selbſt
IV. Reformation und ftänbifdes Regiment. 261
als nad) dem Siege der Guifen in Franfreih und bei dem
drohenden Angriff der Armada auf England der Triumph der
katholiſchen Reaktion fiher jchien und nur einmütige Selbft-
hilfe den evangelifchen Reichsſtänden Rettung verhieß, lehnte
er jede Beteiligung ab. Weil er die unlängft erneute und für
fein Haus günftiger geftaltete Erbverbrüderung mit Kurfachjen
und Heffen vom Kaijer beftätigt haben wollte, jollten die Evan-
geliſchen ja nicht gleich alle ihre Beſchwerden bei demſelben
vorbringen. Aber die Beftätigung wurde unter allerhand Vor-
wänden verweigert und die für 1588 bevorftehende Revifion des
Reichskammergerichts, die durch Magdeburg vorzunehmen ger
wejen wäre, vertagt, angeblich wegen der im Rheinlande brohen-
den Unruhen, in Wahrheit, weil mit ihrem Vollzuge Joachim
Friedrich als bereditigter Herr Magdeburgs anerfannt worden
wäre. Troß alledem hielt Johann Georg am Kaifer feit, ale
ob er durch ſcheues Nichtsthun Haus und Land vor den Stürmen
hätte bewahren fönnen, die nach ber Kataftrophe der ſpaniſchen
Armada mit der Erneuerung des Bürgerfrieges in Frankreich
und des nieberländifchen Aufftandes hereinzubrechen drohten.
Dennoch mußte er fi fchließlih überzeugen, daß er nie und
nimmer erreihen würde, was ihm vor allem am Herzen lag,
die Realifierung der Anwartſchaften und der territorialen Ver-
forgung feiner zahlreichen Nachkommenſchaft. Unberührt von
den ibeellen Kräften und den fittlihen Impulfen, melde die
zur Rettung ber politifchen und der religiöfen Freiheit rüftenden
Männer erfüllte, handelte er auch bei der Wendung, bie er
gegen Ausgang feiner Regierung vorbereitete, nicht ftaats-
männiſch, fondern aus brav hausväterliher Sorge um die Zu:
funft der Seinen.
Inmitten der großen europäiſchen Krifis, die aud) ihn aus
feiner Neutralität zu drängen drohte, hatte er feinen vor:
nehmften Ratgeber verloren: am 12. Dftober 1588 war Lamp⸗
recht Diftelmeyer geftorben — ein um ſo ſchwererer Verluft,
als dem Schüler der albertinifhen Diplomatie trog feiner
lutheriſchen Befangenheit eine feine Witterung für den Zug
ber Zeit eigen geweſen war. Seinen Sohn Chriftian (geb. 1552),
der, feit 1577 fein Gehilfe, nun Kanzler wurde, Fennzeihnet
262 Erſtes Bud. Die Elemente bes preußiſchen Staates (bis 1598).
in feiner kirchlichen und politifhen Beſchränktheit der Wunſch,
Gott möge die Zutheraner mit Haß gegen die Galviniften er=
füllen: für den furdtbaren Ernſt der Zeit hatte er fein Der:
ftändnis. Auch Johann Georg meinte durch Abftumpfen und
Verſtecken der Gegenfäge die Gefahren zu beſchwören, und feinem
Streben nad; Landgewinn und Anwartſchaften hielt die Sorge
die Wage, dabei in Verwidelungen zu geraten, die ihn fchließ-
ih zu handeln nötigen fünnten. Der Widerſpruch aber, der
dadurch in feine Politit fam, wurde gefährlich durch den Gegen-
fag, den er zwiſchen ihm und feinem fünftigen Nachfolger er-
zeugte. Er war nicht von jener ſozuſagen unſchuldigen Natur,
wie er mehr in der Meinung der Leute als in Wirklichkeit
beim Nahen jedes Thronwechſels zwijhen Vater und Sohn zu
beftehen pflegt, ſondern prinzipieller Natur: es handelte fich
darum, ob die Hohenzollern es überhaupt zu einer Staats-
ſchöpfung bringen würden. Johann Georg vertrat bie mittel
alterlihe privatrechtliche Auffafjung des Staates, jah in ihm
den Familienbefig des Herricherhaufes, der zu möglichft aus-
kömmlicher Verforgung feiner Glieder dienen follte, der Kur—
prinz die moderne Anſchauung, die den Staat nur feinen eigenen
Zweden dienen und zu einheitlicher Machtbethätigung beftimmt
fein läßt. Zufammen mit den großen religiöfen und politifchen
Gegenfägen der Zeit erzeugte das einen Konflikt, der nicht
bloß die Anwartſchaften, fondern auch den alten Befig der
Hohenzollern gefährdete.
Obgleich Erzherzog Marimilian, der Habsburger Kandidat
für die polnifhe Krone, als DMeifter des Deutihen Ordens
Träger von deſſen Anſprüchen auf Preußen war, hatte Johann
Georg in Polen für ihn geworben. Schon deshalb beeilte
Sigismund II. die Anerkennung feiner Anrechte auf Preußen
nit. Die Mitbelehnung zwar wurde 1589 erteilt, aber der
herzoglich preußiſche Titel durch die polniſche Kanzlei in ber
Titulatur Johann Georgs demonftrativ weggelaflen: echt pol-
niſch ſuchte man fo Präzebenzfälle zu ſchaffen, die fi nach—
ber ausnugen ließen. Um fo enger j&hloß ſich der Kurfürft dem
Kaiſer an, der ihm unlängit durch die Erneuerung des Privilegs
de non appellando eine wahrlich billige Gunft erwiejen hatte,
IV. Reformation und ftändifhes Regiment. 263
feine Unzuverläffigfeit aber bald von neuem bethätigte. Nicht
ohne Bedenken hatte er den Kurprinzen die Ehe feines Erft=
geborenen Johann Sigismund mit Anna, ber Tochter des
blöden Preußenherzogs und Marie Eleonorens von Jülich, be:
treiben laſſen: fie verhieß den brandenburgifhen Rechten auf
Preußen Stärkung und übertrug das Anreht, das Marie
Eleonore beim Fehlen männlicher Nachkommenſchaft von ihrem
Vater und ihren Brüdern auf Jülich, Cleve und Berg zuftand,
auf ihren Fünftigen Schwiegerjohn und deſſen Leibeserben.
Als aber nad) dem Tode des älteren von den beiden Söhnen
Herzog Wilhelms der jüngere, ebenfalls finderlofe, geiftesfrant
wurde und das Land, von Parteiungen zerrifien, die Beute
entweber der Spanier ober der Niederländer zu werben drohte,
da verſuchte die kaiſerliche Politik ſich dieſer wichtigen Pofition
zu bemächtigen und trat damit Brandenburg fhroff entgegen.
Nun konnte Johann Georg feine Entwürfe durchſetzen nur
im Anſchluß an die Habsburg feindliden Mächte, das heißt bie,
welche fi zu Vorfämpferinnen der Reformation aufgeworfen
hatten. Ein erfter Schritt in diefer Richtung war es, daß er
1591 Heinrid von Navarra die früher verweigerten Werbungen
in der Mark geftattete. Damit war fein ganzes politiſches Sy:
ftem bedroht: er jah ſich vor eine ſchwere Entſcheidung geftellt.
Er verfannte nit, daß Großes dabei zu gewinnen fei, wenn
das Glüd gut war, meinte aber im anderen Fall felbft den
bisher fiheren Beſitz gefährbet zu fehen. Dennoch brang ber
Kurprinz durch. Nach einem Beſuche Johann Sigismunds in
Preußen wurde im Frühjahr 1592 bei Gelegenheit der An:
wejenheit Marie Eleonorens und ihrer Tochter in Berlin die
Verlobung vollzogen. Die enticeidende Wendung dien ges
ſchehen: märkiſche Edelleute nahmen unter Chriftian von An-
halt mit dem Bourbonen an der Belagerung von Rouen teil.
Mit wachjender Sorge jah Johann Georg fih dur bie
Macht der Thatſachen aus der bisher verfolgten Bahn gedrängt:
nur im Widerftreit mit den Habsburgern und den Katholiten
jchien fein Haus auflommen zu können. Nod war die Magde-
burger Sache nicht beglichen, und ſchon ſah er feine Pläne an
einem anderen Ende durch den leidigen geiftlihen Vorbehalt
264 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiihen Staates (bis 1598).
bedroht. Des Kurprinzen zweiter Sohn Johann Georg ftu=
dierte in Straßburg: von ber proteftantifhen Mehrheit bes
Domkapitel zum Propft gewählt, dachte er dort ala Admini—
ftrator eine Verforgung zu gewinnen, Auch wurde er, als am
2. Mai 1592 Biſchof Johannes IV., Graf von Manderjceid,
ftarb, gegen den Proteft der nach Zabern entwichenen katho—
liſchen Minderheit am 20. Mai, kaum fünfzehnjährig, zum
Bischof gewählt. Als poftulierter Adminiftrator des Stiftes zu
Straßburg und Landgraf zu Elſaß nahm er die Wahl an mit
Zuſtimmung aud des Großvaters! So fanden die Hohenzollern
hier wie in Magdeburg im Brennpunkt des Kampfes um ben
geiftlichen Vorbehalt. Denn die Minorität wählte den Kardinal—
bifhof von Met, Karl, den Sohn des Herzogs von Guife.
Die Liguiften, die Spanier, die Habsburger, die gefamte ka—
tholifche Reaktion hatte diefer hinter fih, als er zur Gewinnung
des Stifts die Waffen ergriff. Der Religionskrieg entbrannte
am Oberrhein. Am Niederrhein aber drohte ein noch gemwal-
tigerer Zufammenftoß.
Johann Georg wurde angft vor den Konfequenzen ber
ihm halb aufgedrungenen Bolitil, mehr noch vor ben aus:
ſchweifenden Entwürfen, mit denen die ihm unfaßbare Ver:
wegenheit der Aftionspartei fi trug. Ohne feines Haufes An-
rechte aufzugeben, meinte er doch von ihrer Verfehtung zur
Zeit abfehen zu müſſen und fi mit dem Wenigen zu begnügen,
was dermalen erreihbar blieb. Darin beftärkte ihn Friedrich
Wilhelm von Sadhjen-Altenburg, der nach dem frühen Tode
Chriftians I. (25. September 1591) die vormundſchaftliche
Regierung in Kurſachſen übernommen hatte: nun war e& auch
dort mit der Toleranz gegen Philippiften und Calviniften vor-
bei und ihre Träger, obenan Kanzler Crell, wurden die Opfer
fanatifcher Verfolgung durch das triumphierende Luthertum.
Johann Georg und fein Chriftian Diftelmeyer waren mit ganzem
Herzen dabei. Bon einem Bündnis mit Heinrich IV., mit Elifa=
beth von England, mit den Niederlanden war feine Rede mehr.
Johann Georg aber entnahm aus alledem nur die Lehre, es
fomme vor allem darauf an, bie Reichsverfaſſung ungeändert
zu erhalten und jede Neuerung abzuwehren. Und damit fam
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. ° 265
der Zwiefpalt in dem Haufe Hohenzollern zu offenem Ausbruch.
Als im Frühjahr 1594 Friedrih IV. von der Pfalz die pro-
teftantif hen Fürften, die das Verhängnis nicht unthätig heran-
kommen laffen wollten, in Heilbronn verfammelte, um gemein=
ſame Abmehrmaßregeln zu erwägen und den Bund mit Frank:
reich einzuleiten, erfchien dort Georg Friedrich von Ansbach per:
ſönlich, der Kurprinz entfandte als Adminiftrator von Magde-
burg einen Bevollmächtigten, und jein Bruder, der Ermählte von
Straßburg, ließ in Gemeinfhaft mit feiner Stadt um Hilfe
gegen den Lothringer werben. Die jüngere Generation war
nit gemillt, ihre Zukunft kampflos preiszugeben. Johann
Georg aber nahm an jenen Verhandlungen feinen Anteil: er
verzweifelte bereits an der Möglichkeit, die Anwartſchaften
durchzuſetzen. In Jülich-Cleve wußte er den ganzen Einfluß
des Haufes Habsburg gegen fih. Dem Frieden mit ihm war
er bereit die niederrheinifhen Lande zu opfern. Für die Be—
hauptung Straßburgs Opfer zu bringen, lag ihm ganz fern:
was ber Guife bemwilligen würde, jollte man einfach annehmen.
Ob er für Preußen etwas gewagt haben würde? Sein Ber:
halten in der Magdeburger Sache läßt daran zweifeln. Um
Frieden mit dem Kaiſer um jeden Preis bemüht, wich er überall
zurüd im Einverftändnis mit dem Adminiftrator von Kurſachſen.
Selbft als 1594 auf dem Neihstage zu Regensburg, zu dem
die proteftantiiden Bistumsadminiftratoren bezeichnendermeife
gar nicht geladen waren, dem Bevollmädtigten Joahim Frieb-
richs der Pla auf der Fürftenbant neben Salzburg durd einen
alle Evangelifhen beleidigenden Skandal vorenthalten wurde,
ſuchte er mit feinem ſächſiſchen Freunde den entrüfteten Sohn
zu begütigen, fagte die vom Kaiſer gewünſchte Wahl eines
römiſchen Königs zu und gewährte Hilfe gegen die Türken.
Für ſolche Dienfte meinte er au Dank erwarten zu dürfen:
da er an der Ermwerbung Jülich-Cleves faft verzweifelte und
ſelbſt auf Preußen nicht ſicher rechnete, holte er die Anſprüche
feines Haufes auf Liegnig und Brieg hervor und warb um
ihre gnädige Anerfennung durch den Kaiſer. Und während deſſen
vermählte ber Kurprinz jeinem Erftgeborenen zu Königsberg
die Tochter Albrecht Friedrichs. Er hielt nicht bloß die preu:
266 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (His 1598).
Bifche Anwartſchaft feit, ſondern dachte aud in der Jülichſchen
nicht zu weichen. Im Frühjahr 1595 fuchte er die Niederlande
zu gemeinfamem Schuß ber jülich:clevejhen Lande gegen kai—
ferlihe Occupation zu gewinnen. Immer mehr trennten ſich
die Wege von Vater und Sohn, immer mehr fürdhtete erfterer
feinen Nachfolger in die Nege der Neformierten geraten zu
fehen. Deshalb hatte er ſchon 1593 die folgende Generation
in feinem Sinn zu binden verſucht: feine beiden Enkel Johann
Sigismund und Johann Georg mußten fi durch einen Revers
zum Verharren in der neuen Lehre, das ift dent ftrengen Luther⸗
tum verpflichten.
Nun aber beichränkte ſich der Gegenfag zwiſchen Vater
und Sohn nicht auf die großen politifchen und kirchlichen Fragen
der Zeit: er verflocht fi) mit dem inneren Angelegenheiten der
Zurfürftlihen Familie. Die Sympathien des Adels waren mit
Johann Georg, zumal des Kurprinzen Energie in Zukunft kriege⸗
riſche Verwidelungen fürchten ließ, welche die Stände finanziell
und militäriſch zu belaften drohten. Andererjeits bedrohte des
Kurfürften Abficht, durch Teilung feiner Lande aud feine
jüngeren Söhne, namentlich den älteften aus ber dritten Che,
Chriftian (geb. 1581), fürftlih zu verforgen, die Zufunft Jo—
achim Friedrichs entgegen dem Reichsrecht und dem Achilleifhen
Hausgeſetz. Juriftiih und moraliih war Joachim Friedrich
durchaus im Recht, als er gegen das Teftament Proteft ein=
legte, dur; das Johann Georg 1596 die Neumark nebſt Kroſſen
Chriftian zuwies. Vergeblich beftürmte ihn der Vater um feine
Zuftimmung: in vollem Bewußtfein ber Pflichten gegen die
Zufunft von Haus und Land blieb er bei feiner Weigerung.
Auch der Vater beharrte, trog der ſchweren Bedenken, welde
die Stände und einzelne Räte erhoben. Er fandte das Teſta—
ment zur Beitätigung nach Prag. Welde Waffe er damit der
habsburgiſchen Politif und der katholiſchen Reaktion in die
Hand gab, überjah er verblendet. Waren nad) feinem eigenen
Urteil die Ausjihten auf Jülich-Cleve jhledht, die auf Preußen
höchſt zweifelhaft, fo ermöglichte er jelbit jegt den Gegnern
die Verdrängung jeines Haufes aus dem für ſicheren Beſitz
gehaltenen Magdeburg.
IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 267
Auf dem Regensburger Reichstag von 1597 war die Frage
nad der Zulaffung der proteftantifhen Adminiftratoren geifts
licher Stifter nicht prinzipiell, wohl aber thatfächlich gegen die
Evangeliſchen entſchieden worden. Weder Joahim Friedrich
noch der Adminiftrator von Halberftadt, Heinrich Julius von
Braunſchweig, hatten auf der Fürftenbant Platz nehmen dürfen.
Des läftigen Handels ledig zu werben, drang man Faijerlicher-
jeits in beide, für den nächſten Reichstag ihre Forderung über:
haupt nicht zu erneuern. Mit Kurſachſen empfahl das auch
Johann Georg dem Sohne. Diejer weigerte fi, fein gutes
Recht aufzugeben. Nun war er aber durch die leidige Tefta-
mentsſache in die Hand des Kaiſers gegeben, mit ihm bie Zu:
kunft feines Haufes und Landes, die mit der Teilung ent-
ſchieden geweſen wäre. Sicher freilih war man der hababur:
giſchen Politik gegenüber nie: indem er, wie fi nachher heraus:
ftellte, das ihm verſchloſſen eingereichte Teftament zwar beftätigte,
aber ohne Kenntnis jeines Inhalts und mit einem ausbrüd-
lichen Vorbehalt zu Gunften der dadurch etwa geſchädigten
Rechte dritter Perfonen, nahm der Kaifer eine Stellung ein,
die er nad) Belieben gegen Joachim Friedrich oder zu feinen
Gunften, zur Durchſetzung wie zur Vereitelung der Teilung
benugen konnte. Der Kurprinz mußte alfo den Prager Hof
durch Nachgiebigfeit zu gewinnen ſuchen. So wid er ſchließ—
fi in Saden der Seffion für Magdeburg: aus Gehorfam
gegen den Kaiſer und für die Wohlfahrt der Gefamtheit gab
er ben bisher erhobenen Anjpruh auf — fiher mit Recht,
denn weit Größeres als Magdeburg ftand für ihn auf dem
Spiele.
Das Verhältnis zum Water wurde dadurch nicht gebejiert:
diefer beharrte ebenjo zäh auf dem Teilungsplan, wie der
Sohn die ihm immer wieber zugemutete Anerkennung des Teftas
ments verweigerte. In befonders ſchmerzlichen Formen hatten
beide den Konflikt durchzuringen, ohne daß e8 zu einer Ver-
ftändigung kam. Ende des Jahres 1597 erkrankte Johann
Georg. Der Kurprinz war fern: er hatte feine Tochter Anna
Katharina (geb. 1575) nad) Hadersleben geleitet, wo fie dem
jungen Dänenfönig Chriftian IV. vermählt wurde — eine Ehe,
268 Erſtes Bud, Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598).
die von neuem erkennen ließ, wie wenig er des Vaters Bahnen
zu folgen dachte. Heimeilend fand er den Water noch lebend:
aber ſelbſt in diefen ſchweren Tagen und trog des au von
anderen Seiten auf ihn anftürmenden Dringens verweigerte
er die Anerfennung des Teſtaments. Der Konflift mit dem
Sohn war unbegliden, Haus und Land ftanden vor einer über
ihre Zukunft entſcheidenden Schidjalsfrage, als Johann Georg
am 8. Januar 1598 die Augen fehloß.
Zweites Bud.
Die erfie hohengollernfce Staafs-
gründung und ihr Zerfall.
1598—1640.
I. Die ſtaatliche Beuorganifafion der Marken durch
Ivarhim Friedrich und die Rüflung zur Erwerbung
Preufene und NAülich-Cleves. 1598— 1608.
Dürer lag die Zukunft vor Deutſchland und Brandenburg,
als Johann Georg ftarb. Während das Reich dem Religions»
und Burgerkriege entgegentrieb, ohne daß die Evangeliſchen
ſich geeinigt hätten, waren die Hohenzollern ohne zuverläffige
Verbindungen und ohne fiheren Rüdhalt, durch weitausfehende
Anwartſchaften in die entgegengefegteften Intereſſen verflochten,
unfähig ihre in diplomatifcher Betriebfamkeit gewonnenen Rechte
auch wirflich zu vertreten. Im eigenen Lande waren fie in
drüdender Abhängigfeit von den Ständen. Der Mangel an
ſchnell verfügbaren finanziellen und militärifhen Mitteln machte
jede Aktion nad außen unmöglid. Und nun hatte gar bes
Verftorbenen unfürftlihe Sorge um die Ausftattung feines
Erftgeborenen aus zweiter Che gegen Reichs- und Familienrecht
eine Teilung der Marken verfügt, die das Landesfürftentum
vollends zur Ohnmacht zu verurteilen drohte.
Daß er diefe Gefahren erfannte und abmwehrte, darin liegt
Joachim Friedrichs Verdienſt. Zwar ward ihm fein voller
Erfolg; doch hat er Großes geleiftet. Seit Joahim II. war
es mit Brandenburg abwärts gegangen: Joachim Friedrich hat
dem Einhalt gethan und des Haufes und Landes Zukunft bes
270 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
dachtſam und vorfihtig, aber klar und fonfequent mit den aufs
wärts führenden Momenten der deutſchen Entwieldung ver-
tnüpft. Ungewöhnlich begabt war auch er nicht und fiher fein
Staatsmann großen Stile. Aber im Befig einer guten, auch
klaſſiſchen Bildung und ein Freund der ſchönen Wiſſenſchaften,
hatte er genug gefunden Menſchenverſtand und offenen Blick
für die gegebenen Verhältnifie, um ſich Kopf und Herz frei zu
halten von dem Eonfejfionellen Eifer, der feinen Vater befangen
hatte. In den langen Jahren, die er als reifer Mann der
verkehrten Führung der Staatsgeſchäfte unthätig hatte zufehen
müffen, waren ihm Weſen und Berechtigung der miteinander
tingenden geiftigen Strömungen aufgegangen, dank der freieren
Luft, die er in Magdeburg atmete, inmitten vielgeftaltigerer,
beweglicherer Verhältniffe, die feine Iandesväterlihen Talente
zu vollerer Entfaltung brachten. Im Verkehr und in gemein-
famer Arbeit mit Männern, die Staat und Kirche nicht von dem
beſchränkten märkiſchen Standpunfte auffaßten und ihre Aufgaben
nicht ausſchließlich nach dem hohenzollernſchen Privatvorteil bes
maßen, wie namentlich dem frühreifen, gewandten und energi=
ſchen Johann von Löben, der num auch in den märfifhen Dingen
jein vornehmfter Berater wurbe, war ihm zuerft die Ahnung auf-
gegangen, daß fein Haus eine Zufunft allein im Anſchluß an
die freier aufftrebenden, thätigeren und entſchloſſeneren Refor—
mierten gewinnen fünne. Den Uebergang in biefen neuen Kurs
vollzog er anfangs mit einer gewiſſen zweifelnden Behutfamkeit,
dann mit wachjender Entfehloffenheit, mehr auf Erhaltung des
Beftehenden als auf Erfämpfung neuen Gewinns bedadt, in=
dem er im Innern der Libertät entgegentrat, nad) außen, von
der kaiſerlichen Politik gelöft, fi) den Mächten anſchloß, die
ſich nicht ohne Kampf der katholiſchen Reaktion beugen wollten.
Er war bereits 52 Jahre alt (geb. 27. Januar 1546), als
er zur Regierung fam. Eben fiebenjährig (1553), war er auf
bes Vaters Betreiben zum Biſchof von Havelberg gemacht,
um feinem Haufe die Einfünfte des Bistums zu fihern; 1555
hatte er bamit das Bistum Lebus vereinigt; mit zwanzig
Jahren war er Abminiftrator von Magdeburg geworben. Tiefer
angelegt ala Vater und Großvater, ſcheint er das Ungefunde
I. Die ftaatlihe Neuorganifation der Marten. 271
und Widerſpruchsvolle dieſer Stellung mehr empfunden zu
haben. Während jene um weltlicher Vorteile willen das her-
vorhoben, was dem reinen Zuthertum mit ber alten Kirche
gemein war, juchte er vielmehr durch Befeitigung der Fatho-
liſchen Reminiscenzen dieſem Zmwitterzuftand ein Ende zu machen.
Den feit zwanzig Jahren geſchloſſenen Magdeburger Dom öffnete
er dem evangelifhen Gottesdienfte. Das Gleiche that er 1589
in Halle. Durd Wiederaufnahme ihrer in Stillftand geratenen
Neform führte er die Klöfter der verdienten Auflöfung ent=
gegen. Seine Vermählung mit der jüngeren Tochter Johanns
von Küftrin vernichtete den trügerifchen Schein feines angeblichen
geiftlihen Standes: es war ber erfte Fall der Art im Reiche.
Zu den Verehrern der Konkorbienformel gehörte er nicht: er
nahm fie erft an, als der Magbeburgifche Adel ihm anderen:
falls den Gehorfam aufzufündigen drohte, und galt den Luther
ranern als verfappter Calvinijt. Auch verfammelte er gleich
nad) jeinem Regierungsantritt etliche Räte und angejehene mär:
tische Geiftliche und that ihnen fund, es ſolle zwar an ber reinen
Augsburgiſchen Konfeifion und der Konkordienformel feitgehalten,
zugleich aber eine Reihe von katholiſchen Bräuchen abgeſchafft
werben, die in der märfifchen Kirche fi entweder erhalten ober
wieder eingeſchlichen hatten, wie die Elevation der Hoftie und
des Kelches beim Abendmahl, das Aufhängen einer hölzernen
Taube beim Pfingſtfeſt, die Prozeffionen auf den Kirchhöfen und
anderes mehr. Mit der Entlafjung Chriftian Diftelmeyers aus
dem Kanzleramte, die wegen jeines Anteils an dem Teftamente
Johann Georg erfolgte, verlor die ftrenglutherifche Partei ihre
Hauptftüge. Erjegt wurde er durch den eben 37jährigen Johann
von Löben: er wirkte bereits im März 1598 bei der Berliner
Kirchenviſitation neben dem noch von Johann Georg zum General:
fuperintendenten berufenen Chriftoph Pelargus (d. i. Storch,
geb. 1535 in Schweidnig), der eine verfühnliche Richtung ver—
trat. Die Vifitation von 1600 befeitigte wenigitens die übelften
Folgen der Tatholifierenden Halbheit Joachims Il. und machte
Ernft mit der Durchführung der evangelifchen Prinzipien. Auch
erklärte Joachim Friedrich, zwar bleibe die Konfordienformel
für den Befenntnisftand des Landes maßgebend, könne jedoch
272 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Stantögründung.
ihn in feiner Weberzeugung nicht binden, und als man ihm
vorhielt, er dulde Calviniften unter feinen Räten, meinte er,
das feien ruhige, friedfertige Leute, welche die ihnen über:
tragenen Dinge gut beforgten. Aber der märkiſche Adel kannte
fie auch als Gegner ber Libertät und trat dem neuen Regi—
ment deshalb bald offen entgegen. Noch war bie Frage nad
der Gültigkeit von Johann Georgs Teitament nicht entſchieden:
das erklärt die Zugeftändnifle, die Joachim Friedrich dem hart-
herzigen Luthertum und der Libertät feiner Stände machte.
Bei dem verwegenen Spiel, das die Gegner im eigenen Haufe,
namentlich die Stiefmutter, trieben, galt es jeden Anftoß auf
einem Gebiete zu vermeiden, wo religiöfer Eifer jo leicht zum
Dedmantel politifhen Frevels werden konnte.
Noch am Sterbebette des Vaters hatte Joachim Friedrich
die Anerkennung des Teftaments verweigert. Die gleiche Er-
klärung wiederholte er beim Regierungsantritt: entjchloffen
wahrte er gegenüber den eigennügigen Wünjchen der jüngeren
Linie das Recht des Staates und des Geſamthauſes. Nur die
Städte ftanden dabei zu ihm: auch fie erwarteten von ber
Teilung nur Zerrüttung und den Fal des Haufes Branden-
burg. Die oberen Stände, die fi einft auf Befragen Johann
Georgs ähnlich geäußert hatten, hielten ſich jet zurüd: Die
Dispofitionen des verftorbenen Herrn feien ihnen nicht näher
befannt. Ein Glüd, daß Joahim Friedrich durch Nachgiebig-
feit in dem Magdeburger Seffionaftreit wenigftens den Kaifer
gewonnen hatte: dieſer erklärte jeht, er habe das ihm ver—
ſchloſſen eingereichte Teftament beitätigt ohne Kenntnis des
Inhalts und unter ausdrüdliher Wahrung der dadurch etwa
gefährdeten Rechte dritter. Auch gewährte der Kurfürft, Flug
und großherzig zugleich, feinen Stiefbrüdern für das, mas
den älteren von ihnen durch die Ungültigkeit des Teftaments
in den Marken entging, reiche Entjhäbigung in Franken. Nach
dem Achilleiſchen Hausgeſetze jollten, waren ſämtliche Lande
des Haufes in der Hand eines Nurfürften mit mehreren Söhnen
vereinigt, deſſen zwei auf den Kurprinzen folgende Söhne mit
zwei in Franken zu errichtenden Sefundogenituren verjorgt
werben. Diejer Fall trat ein, wenn ber Gubernator Preußens,
I Die ftaatlihe Neuorganifation der Marken. 273
Markgraf Georg Friedrih, der zur Zeit alle fränkiſchen Lande
inne hatte, ftarb und nach Albrecht Frievrih von Preußen
Joachim Friedrih fein Erbe wurde. Dann hätte diefer bie
fränfifchen Territorien unter ben zweiten und dritten von feinen
fünf jüngeren Söhnen, Johann Georg (geb. 1577) und Auguft
(geb. 1580), zu verteilen gehabt. Auf diefes Recht verzichtete
er zu Gunften feiner beiden Stiefbrüber. Gern bot der alte
Georg Friedrih, mehr als einmal in jenen Jahren der gute
Geift des Hohenzollernhaufes, dazu die Hand. Schon im Juni
1598 vereinbarten feine Räte mit denen des Kurfürften in
Gera, es follten nad Georg Friedrihs Tod die fränkiſchen
Lande ftatt an den Herzog von Preußen und dann an Joachim
Friedrich an des letzteren Stiefbrüder Chriftian (geb. 1581)
und Joahim Ernft (geb. 1583) fommen, und zwar an erfteren
Baireuth, an legteren Ansbach. Dieſe Revifion des Achilleiſchen
Hausgeſetzes fiherte endgültig die ftaatlihe Einheit der Marken.
Demgemäß beftimmte der Vertrag, den Joachim Friedrich und
Georg Friedrih auf Grund der Geraer Vereinbarung am
29. April 1599 perfönli in Magdeburg abſchloſſen, es folle
„der Goldenen Bulle nah” „die Mark und Kurbrandenburg“,
„wie die in ihren Kreifen begriffen, ſowohl die Alt:, Mittel,
Uder: und Neumark, als auch die Priegnig, Grafſchaft Ruppin,
Lande zu Sternberg, Herrſchaften Kottbus, Peitz, Zoffen, Stor:
tow, Beeskow u. ſ. w., in gleihem die Bistümer Branden-
burg, Havelberg, Lebus mit allen ihren Landen, Leuten,
Schlöſſern, Städten u. f. w., in Sonderheit Wernigerode,
Dernburg, Schwebt und Vierraden“ nebft allen zugehörigen
Rechten und Einkünften, famt dem Herzogtum Kroffen und
allen erlangten „Anwartungen“, nämlih Pommern, Medien:
burg, Holftein, Anhalt, Braunſchweig-Lüneburg und ben ehe—
mals von Brandenburg Iehensabhängigen Gebieten alle Zeit
dem Kurfürften verbleiben und in feinem Haufe ungeteilt nad
dem Rechte der Erftgeburt vererben, wofür er die Verforgung
ber jüngeren Prinzen feines Haufes übernahm. Dagegen follte
nad des Markgrafen Georg Friedrih Tod laut deſſen un:
weigerlic zu vefpeftierendem Teftament „das Fürftentum des
Burggrafentums zu Nürnberg” mit allem Zubehör, na den
Bruß, Preußifge Geſchichte. 1.
274 Zweites Bud. Die erfte Hohenzollernfhe Stantögrünbung.
Gebieten ober: und unterhalb des Gebirges gefondert, unter
Joachim Friedrichs Stiefbrüder Chriftian und Joachim Ernft
zu erblichem Befig verloft werden, die Bergwerke aber und das
faiferlihe Landgericht zu Nürnberg gemeinſchaftlicher Befſitz
beider Linien bleiben. Dagegen follte Preußen an Joahim
Friedrih und deffen Nachfolger fommen, und Jägerndorf, das
Georg Friedrich ſchon 1596 dem Aurfürftentum vermacht hatte,
an bes Kurfürften zweiten Sohn Johann Georg, deſſen Ruck—
tritt vom Straßburger Bistum nur eine Frage der Zeit war,
mit dem Rechte des Anfalls an Brandenburg. Yon den jüngeren
Brüdern wurde einem jeden, fofern er nicht irgendwie befonders
verforgt würde, eine Apanage von 6000 Thalern jährlich zu=
gefihert, und einem von ihnen ftatt ihrer das Herrenmeifter-
tum Brandenburg, „doch mit dem ausdrüdlichen Vorbehalt der
Proteftion und Hoheit”. Auch die Häupter der fränkiſchen Linie
follten ähnlich für ihre jüngeren Söhne forgen, beim Fehlen
folder aber den Unterhalt der zahlreihen brandenburgiſchen
Prinzen übernehmen. Vor Eintritt in den Genuß diejes „Depu=
tats“ ſollte hinfort jeder Hohenzoller ſich dur einen Revers
zu widerſpruchsloſer Beobachtung des Achilleiſchen Hausgeſetzes
und bes Geraer Vertrages verpflichten. Die „geborenen Töchter
und Fräulein in der Mark“ folten von dem jebesmaligen
Kurfürften, die „im Fürftentume des Burggrafentums zu Nürn-
berg“ von ben bort regierenden Herren unterhalten und bei
ihrer Verheiratung ausgeftattet werben, nachdem fie auf jedes
Erbrecht verzichtet.
Weld anderer Geift ſprach aus diejen Abmahungen!
Statt nad neuen Anwartſchaften auszufhauen und auf Koften
der ſtaatlichen Einheit die jüngeren Söhne zu verforgen, ſicherte
Joachim Friedrich die Zukunft der Marken dur den Verzicht
auf wohl begründete Rechte und bewahrte fo die Hohenzollern
vor Gefahren, denen in der Folge mehr als ein beutiches
Fürftenhaus erlegen ift. Dagegen blieb das Erzbistum Magde-
burg fürs erfte in hohenzollernfhem Beſitz. Als der Kurfürft
gemäß feiner Zufage nad) dem Regierungsantritt die Admini—
ftration aufgab, folgte ihm fein jüngfter Sohn Chriftian Wil-
helm (geb. 1587), der auch vom Kaiſer beftätigt wurde.
I. Die ſtaatliche Neuorganifation der Marten. 275
Darin wohl darf man die erſte Wirkung von Joachim
Friedrichs entſchloſſener Haltung erbliden: der kaiſerliche Hof
erfannte Brandenburg wieder als einen Faktor, mit dem man
reinen mußte. Denn mit Entjchiebenheit ftellte es ſich in den
Dienft der evangelifhen Sade. Es war wohl nur ein Zu:
geftändnis an den reizbaren ſtändiſchen Glaubenseifer, wenn
in dem Haußvertrage für alle brandenburgijchen Lande die Aufs
rechterhaltung der evangelifchen Lehre „ohne päpftiihen, calvi—
niftifchen oder andern Irrtum“ verfproden und gar beftimmt
war, falls einer von den Markgrafen „ſich eines andern und
wibrigen unterftehe, follten die andern ihn davon abmeifen und
ſolches keineswegs verftatten”. Der blöde Galviniftenhaß Diftel-
meyers war der neuen Regierung fremd, und bie Annäherung
an jene Seite, die Johann Georg die Verhältnifje aufgezwungen
hatten, wurde jegt aus freier Ueberzeugung weitergeführt. Im
Juli 1599 nahmen Joahim Friedrichs Gejandte an den Ber:
handlungen teil, zu denen Friedrich IV. von der Pfalz zu Fried»
berg in der Wetterau etliche evangelijche Fürften vereinigte,
um angefihts der Vergewaltigung Aachens gemeinfame Abwehr
ber fih häufenden faiferlihen und katholiſchen Uebergriffe zu
erwägen. Auch an ber Rechtsverwahrung beteiligte fih Branden-
burg, die im Oftober 1600 zu Frankfurt gegen die Rompetenz-
überf&reitungen des faiferlihen Hofrats beſchloſſen wurbe.
Wenn Joahim Friedrih zunächſt nicht viel erreichte, fo
verfhuldeten das die Schwierigkeiten im eigenen Lande. In
dem richtigen Gefühl, daß dieſer Calviniftenfreund ihrer Liber—
tät feind fei, begegneten ihm bie Stände von Anfang an mit
Miptrauen. Auch jegte Joachim Friedrich gerade da ein, wo
die fteigende Kriegagefahr Abhilfe befonders erforderte, indem
er bie Kriegsdienftpflicht des Adels ftraffer anziehen wollte. Er
war zwar fein Soldat, mochte er auch 1566 in Ungarn gegen
die Türken zu Felde gelegen haben. Seine Maßnahmen waren
mehr politifcher als militärifcher Natur und richteten fi zum
Teil aud gegen ben Kaiſer. Seit Jahren nahm diejer die
finanziellen Mittel der Landeseingeſeſſenen, die dem Landes:
herrn zur Stärkung feiner Wehrkraft hätten dienen können,
unmittelbar für das Reich in Anſpruch, und die Stände ließen
276 Zweite Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
gern ihre Libertät jo mit dem Intereſſe des Kaiſers verknüpfen,
der Brandenburg militäriſch möglichſt ſchwach zu ſehen wünjchte.
Der märkiſche Adel brachte auf Grund der Lehensdienſipflicht
damals wirklich nicht mehr auf als 1000 Mann zu Pferbe;
die Städte ftellten noch Feine 4000 Mann zu Fuß. Das war
außer Verhältnis zu Einwohnerzahl und Wohlftand der Mark.
Seit Johann Georg die große Maſſe der ländlichen Bevölkerung
aus der unmittelbaren Verbindung mit dem Staate gelöft
und den adligen Gutsherren überantwortet hatte, ging auch
die Kraft des der Unfreiheit verfallenen märkiſchen Bauern der
Zandesverteidigung verloren. Da Abel und Städte nur inner=
halb der Landesgrenzen zum Waffendienft verpflichtet waren,
fehlten überhaupt die Mittel zu einem Kriege außer Landes.
Denn an Geld, um Truppen zu werben, fehlte e8 erft recht.
So hing an diefem einen Punkte alles, die Finanzen, die Wehr:
kraft, die auswärtige Politik: nirgends konnte Joahim Fried:
rich handeln, wie es das Intereſſe von Haus und Land er-
forderte, überall ſah er fih dur die Stände gehindert. Mit
ihnen galt es ſich auseinanderzufegen. So trat er aud) hier in
einen ausgefprochenen Gegenſatz zum Vater, defien Teftament
daher leicht von ganz anderer Seite gegen ihn benugt werben
Eonnte. Das alles machte feine erften fünf Jahre zu ſehr forgen-
vollen. Aber in ihnen vollzog fi aud die rettende Krifis.
Wie fie mit ihr geftiegen, fo wurde mit der Hodflut bes
Luthertums auch die fländifche Libertät in die allzu Tange über-
fpülten Dämme zurüdgebrängt.
Johann Georg hatte 600 000 Thaler Schulden hinterlaffen,
war auch mit Einlöfung der Domänen nicht weit gediehen. Es
mußten alfo außerordentliche Mittel beichafft werden. Die Wege,
die JZoahim Friedrich da einſchlug, find harakteriftifch für feine
ganze politiihe Richtung. Weder die Stände insgejamt, noch
den großen Ausſchuß berief er 1598, fondern nur aus jedem
der drei Kreife vier von ihm ernannte „Landräte“. Das galt
als Attentat auf das ftändifche Steuerbewilligungsrecht, und
es war ein offenes Anerfenntnis feiner Nieberlage, daß er 1599
den großen Ausfchuß berief. Zuverſichtlich trat diefer auf, ver-
langte Ausfunft über den „Vorrat“, den Johann Georg hinter
I. Die ftaatlihe Neuorganifation der Marken. 277
laſſen haben follte, und wollte vor jeder Bewilligung jeine im
Namen der Stände vorgetragenen Forderungen erfüllt haben.
An ihrer Spige ftand im Einklang mit dem Pharifäertum
biefer ſtändiſchen Herrlicfeit die Erhaltung der reinen Lehre,
das heißt nicht bloß erneute feierliche Anerkennung der luthe-
riſchen Kirche als der Landeskirche, fondern aud Einführung
einer ſtändiſchen Mitkontrolle Über Kirche, Schule und Univerfi-
tät, ja über die Pfarrer landesherrlihen Patronats und die
Rechtſprechung der Konfiftorien. Die fürftlihe Gerichtsbarkeit
ſollte gekürzt werben durch Schaffung eines ftändiichen Appella:
tionsrates als dritter Inftanz für die Privilegierten, zu gleichen
Teilen aus fürftlihen Räten und Vertretern ber Prälaten,
Herren und Ritterfhaft beftehend. Weiter überreichte der Aus-
ſchuß den Entwurf einer Polizeiorbnung und Landeskonftitution,
durch deſſen Annahme alles als zu Recht beftehend anerkannt
worben wäre, was über bie dem Adel 1572 gemachten Zuges
ſtändniſſe hinaus von den Grundbherren an willfürlichen Neue—
tungen zum Nachteil der Bauern und Kleinbürger eingeführt
war. Damit follten die Schranken niedergeriffen werben, die
Lamprecht Diftelmeyer ber widerrechtlichen Ermeiterung ber
Adelsmacht hatte jegen wollen, indem er duch die Sammlung
von Rechtsſprüchen den dermalen geltenden Zuftand fefthielt
und zugleid das Material zu einem einheitlihen märkiſchen
Landrecht gewann. Obgleich unvollendet und au von jeinem
Sohn als ungeeignet zur Publikation zurüdgehalten, hatte bie
Arbeit doch durch abſchriftliche Verbreitung eine Autorität ge:
wonnen, die den abligen Grundherren gelegentlich unbequem
wurde. Am Frafjeften aber offenbarten die Selbſtſucht dieſer
Herren ihre wirtfchaftliden Forderungen: für ihre Perfon
wollten fie frei fein von allen Aus: und Einfuhr: und von
allen Land: und.Waflerzöllen, und die Wirtjchaftspolitik follte
ausihlieglih ihren Interefien angepaßt werden. Dazu kam
dann jchließlih das Verlangen nad) ausdrüdliher Anerfennung
des ſtändiſchen Steuerbewilligungsrehts: nur die im Land:
tage verfammelte Gefamtheit der Stände oder ihre den großen
Ausſchuß bildenden Deputierten follten dazu befugt fein. Daß
bier der Schwerpunkt ber ganzen Aktion lag, zeigte ſchon das
278 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
Pathos, mit dem die Herren den Rurfürften „bei allem Teuerften“,
„als Vater des Vaterlandes“ beſchworen, in dieſem Punkte,
„oon dem recht eigentlich des Landes Gebeihen und Verderben
abhing“, Feine unverantwortli—hen Neuerungen, wie er 1598
verſucht Hatte, einzuführen, denn man würde fi ſolchen nit
fügen und fein ehrlicher Mann fi dazu gebrauden lafien
fönnen.
Joachim Friedrich unterließ nicht, ſolche Zumutungen ges
bührend zurüdzumweifen und bie Grundlofigfeit der erhobenen
Beſchwerden darzuthun, zeigte au, wie er zu helfen und zu
beſſern verfucht habe, aber wegen mangelnder Beihilfe oder
gar feindlichen Gegenwirkens der Stände nichts erreicht habe.
Dennod berief er den großen Ausfhuß im Oktober 1599 noch⸗
male. Set beſchwor diefer gar das Schredbild der fozialen
Revolution herauf: bei der allgemeinen Notlage fei ein Aufz
ftand der Bauern und Bürger unvermeidlich. Neue Steuern
feien ganz unmöglich; trotz Mißwachs, Pet und Teuerung habe
das Land in den legten Jahrzehnten an Abgaben mehr als
jebes andere getragen. Diejelben abligen Herren, die ſich feit
einem Menſchenalter auf Koften des gemeinen Mannes be—
reicherten, warfen fi plöglic zu defjen Anwälten auf und
konnten die Zage nicht erbärmlich genug ſchildern, während das
Land fi thatfächlich behäbigen Wohlftands erfreute. Redlich
bemühte fih der Kurfürft um einen Vergleih: er legte den
Kreiſen den Entwurf einer Polizei» und Landesfonftitution zur
Begutachtung vor, trat auch der Errichtung des gewünſchten
Appellationsrates näher. Aber weder mit dem einen noch mit
dem anderen fam er zum Ziel. Nicht bloß, daß er den Bauern-
ftand gegen den Adel zu fügen fuchte, wurde ihm bitter ver-
dat: als ein Attentat auf die Landesverfafjung ſah man es
an, baß er dabei nochmals verſuchte, die ſchwer zu behandelnde
Gejamtheit der Stände durch eine Feine Anzahl gewählter
Vertreter zu erfegen. Wie weit die Löfung der ftaatlihen Orb»
nung bereitö gebiehen, wie tief die landesherrliche Autorität
geſunken war, bewies die Thatfache, daß das Konfiftorium fi
unterftand, ſeinerſeits die Stände darauf aufmerkfam zu machen,
in ben kurfürſtlichen Propofitionen fei die Konfordienformel
1. Die ſtaatliche Reuorganifation der Marten. 279
nit ausdrüdlich erwähnt, während der Calvinismus am Hof
und im Lande Boden gewinne. Diefem Zuſammenwirken luthe-
riſchen Eifers und ftändifcher Libertät mußte Joachim Fried:
rich weichen: wollte er es nicht zu offener Rebellion kommen
laffen, mußte er fi beugen und unterſchreiben, was man ihm
vorlegte.
Denn je länger dieſer Zuftand dauerte, um jo größer
wurbe bie Gefahr. Im Reiche drohte der Krieg; in Preußen
galt es, bei dem nahen Ende des Gubernators ſchnell zu han:
deln; die Jülich-Cleveſche Sache wuchs zu ungeheuren Dimen-
fionen. Und dabei war die Teſtaments- und Teilungsfrage trotz
des Geraer und bes Magdeburger Abkommens noch nicht end»
gültig geregelt. Noch hatten Joahim Friedrichs Stiefbrüber
fi nit einverftanden erflärt, noch die älteren von ihnen nicht
auf die aus dem väterlihen Teftament erlangten Rechte ver-
zichtet, noch gab ihre ehrgeizige Mutter die Sache nicht ver-
loren. Bon Kroffen, ihrem Witwenfig, aus warb fie bei den
benachbarten Höfen und in Prag um Hilfe. In dem aufs
ſäſſigen märkiſchen Adel erftand ihr jegt ein Bundesgenoſſe;
namentlih in der Neumark, wo die Erinnerung an bie guten
Zeiten des Markgrafen Johann fortlebte, fhien man bereit
zu handeln. Alles hatte fi gegen Joachim Friedrich ver:
ſchworen. Nur ein ſchneller Entſchluß konnte die drohende
Vereinigung ſeiner Gegner hindern: es galt die einen zu ge—
winnen, um den anderen Halt zu gebieten. Das ging nicht
ohne Opfer. Joachim Friedrich brachte ſie im Gebiet der inneren
Politik, um der auswärtigen alle Möglichkeiten zu wahren: er
verzichtete auf die Einfchränfung der Stände und machte mit
ihnen feinen Frieden.
In dem ftolzen Gefühl diefes Sieges ftrömten im Februar
1602 über 1400 Prälaten, Herren, Ritter und ftäbtifhe Ab
geordnete in Berlin zufammen. Der Erfüllung ihrer For—
derungen waren fie um fo fiherer, als fie dem geſchickten und
überzeugungstreuen Vertreter der lanbesherrlichen Gerechtfame,
dem Kanzler Johann von Xöben, in ihrem Sprecher, dem Direk⸗
tor der mittelmärfifchen Landſchaft, Adam von Schlieben, einen
ebenfo gewandten und jchlagfertigen, wie politifh feinen und
280 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
beharrlichen Vorkämpfer entgegenftellten. Dod ging es nicht
ganz fo glatt, wie manche erwartet haben mochten: über zwei
Monate wurde geftritten und gehandelt. Zwar ließ der Kur-
fürft in der Eröffnungsrebe, die duch einftimmigen Beſchluß
ſämtlicher Räte feftgeftellt war, den Kanzler erklären, er ſei
bereit, die Forderungen der Stände jetzt zu bemwilligen, und
auch der Rurprinz folle fi dahin für die Zukunft verpflichten.
Das aber genügte den Ständen ſchon nicht mehr. Die Mit:
auffiht über Schule und Kirche erſchien ihnen jegt nicht als
ausreichende Sicherheit gegen das Eindringen des verhaßten
Galvinismus: „um wahrer Richtigkeit“ willen jollten ben
Konfiftorialräten etliche vom Adel zugejellt werden. Weil die
Landesherrſchaft fi) in der legten Zeit gelegentlich der Bauern
angenommen hatte, verlangten jegt biefelben Herren, die bes
gemeinen Mannes Sache erft nicht rührfam genug hatten dar—
ftellen können, daß körperliche Züchtigung die mutwillig klagenden
Bauern treffe; fie follte auch gegen die in Anwendung gebracht
werben, welche die Unterthanen zu grundlofen Klagen anftifteten.
Dabei verwahrten fie ſich von neuem gegen die Verbindlichkeit
der Diftelmeyerfchen landrehtlichen Sammlung. Wie das Lande
recht ausfallen würde, das dieſe Geſetzgeber ſchufen, ließ fi
vorausfehen. Aber nicht genug damit: eine Reihe von unter
georbneten Beſchwerden der Stände wurde einem Schiedsgericht
vorbehalten, defien Spruch der Kurfürft fi zum voraus unter:
warf. Wenn er aber dabei die Erwartung ausfprad, die
Stände würden fi weifen laffen und nicht vergefjen, daß fie
nit mit ihresgleihen, ſondern mit ihrem Landesheren ver:
handelten, jo konnte das Ergebnis bes Berliner Landtages von
1602 bei ihnen nur geringe Neigung dazu erzeugen. Denn
in diametralem Gegenfag zu dem, was er bei dem Beginn der
Verhandlungen mit den Ständen 1598 erftrebt hatte, mußte
Joachim Friedrich fih verpflichten, nit neue Schulden zu
maden, ohne Zuftimmung ber Stände weder Steuern aufzu=
legen, noch etwas von Land und Leuten zu verfaufen, zu ver-
pfänden oder fonftwie zu vergeben und fich jedes Eingriffs in
das ftändifche Kreditwerk zu enthalten. Ausdrücklich mußte
er auf jede einfeitige Aenderung biefes oder eines fonft den
1. Die ſtaatliche Neuorganifation der Marten. 281
Ständen bemwilligten Reverſes verzihten. Durch Unterzeich
nung und Unterfiegelung diefer Erklärung band ſich auch der
Kurprinz. Und die ganze Gegenleiftung beſtand in ber Ueber:
nahme der von Johann Georg hinterlaſſenen 600 000 Thaler
Schulden durch die Stände!
Schwer trafen diefe den abligen Herren gemachten wirt:
ſchaftlichen Zugeftänbnifie die Städte. Nicht genug, daß bei
der Verteilung der bewilligten Steuern ber Adel auch jegt bie
Hauptlaft auf die Städte und das übrige auf feine Bauern
und Dienftleute abwälzte: er ließ ſich auch gleich Befreiung
von allen fünftig zu bemilligenden Steuern, jowie von ben
wichtigſten indirekten Abgaben verbriefen. Den größten Uns
willen aber erregte. es bei den Städten, daß bie Herren, von
allen Land: und Waflerzöllen befreit, Getreide, Wolle, Hanf,
Flachs und alle anderen landwirtſchaftlichen Produkte auflaufen
ober auffaufen laſſen und bireft ausführen und ebenfo ihren
Bedarf an fremden Waren von im Lande umberziehenden aus-
ländiſchen Händlern kaufen durften. Das galt damals als ein
gewaltthätiger Eingriff in die ben Städten gebührende „Nah—
rung”. Noch Schlimmeres war zu erwarten, wenn bie Schließung
des Landes, das heißt das Verbot der Ausfuhr, das gelegent-
lich zum Vorteil der Städte erging, hinfort in dem Belieben
des großen Ausfhufles, das heißt des Adels lag. Die Vor—
ftelungen ber ftädtifchen Deputierten blieben vergeblich, ver-
geblih ihre Erflärung, daß die Städte nun neue Laften un-
moöglich übernehmen fünnten, vergeblich ihre Bitte, fie ihres
Auftrags zu entbinden und durch Furfürftliche Ernennung tüch⸗
tigere und qualifiziertere an ihrer Statt zu berufen. In harten
Worten verwies ihnen Joachim Friedrich ſolche Weiterungen
und befahl, fi zu gebührender Dienftwilligkeit zu bequemen.
Zur rechten Zeit machte diefer Frieden mit den murrenden
Ständen. Denn no hatte feine Stiefmutter das Teftament
Johann Georgs nicht verloren gegeben, fondern dachte mit
Hilfe des Adels an die Gewalt zu appellieren. Als etliche Mo—
nate fpäter, während der Kurprinz in Preußen weilte, Joahim
Friedrich ſchwer erkrankte, glaubte fie die Zeit zum Handeln
gelommen. Der Kurfürft, fo behauptete fie, fei tot oder von
282 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
geiftiger Schwäche befallen wie der Herzog von Preußen: fie
wollte nad Berlin gehen und bis zu des Kurprinzen Rückkehr
die Regentſchaft übernehmen, in der Neumark aber ihrem Sohn
Ehriftian huldigen laffen. Der Handftreic wäre wohl gelungen,
ehe der Streit zwiſchen Joachim Friedrih und den Ständen
begliden war: jegt vereitelte ihn bes Kurfürften Genefung
ſchnell. Daß fi die Kurfürftin-Witwe in der Mark hinfort
nicht wohl fühlte, ift begreiflih: fie verließ das Land und
nahm ihren Aufenthalt in Amberg.
Sole Zuftände im Innern hinderten ein kraftvolles Aufz
treten nad) außen: um Konflikte zu vermeiden, die man jeßt
doch nicht ausfechten. konnte, galt es zurückzuweichen. Das ge:
ſchah zunädft in der Straßburger Sade. Johann George
Verfuh, durch die Teilnahme feiner Gejandten an dem ober:
theinifchen Kreistage 1600 ein Präjudiz zu feinen Gunften zu
ſchaffen, hatte die Sprengung der Verfammlung zur Folge;
ebenſo erging es 1601. So griffen beide Teile wieder zu den
Waffen, obgleich Johann Georg nur von Württemberg und
der Stadt Straßburg Hilfe zu Hoffen hatte. Bald war faft
das ganze Stift im Befig des Meter Biihofs. Joahim Fried:
rich lehnte jedes Eingreifen ab: er fürchtete dadurch ber katho—
lichen Reaftion nur einen erwünjäten Vorwand zu geben.
Vergeblih warb aud die Heidelberger Union um feinen Bei-
tritt, obgleich Johann Georg und ber Gubernator von Preußen
ihr beigetreten waren. Die Unſicherheit der franzöfiihen Hilfe
und der Tod Elifabetha von England (24 März) mahnten zur
Vorfiht. Und nun ftarb wenige Wochen fpäter (26. April)
Markgraf Georg Friedrih. Zugleih mit dem Schidjal des
Gera:Magdeburger Vertrages ftanden jegt die Jägernborfer und
die preußiſche Frage zur Entſcheidung, die Jülichſche aber rüdte
in drohende Nähe.
Markgraf Chriftian hatte jegt zu wählen, ob er Durch Ver—
sicht auf die Anſprüche, die er nad) des Vaters Teftament auf
einen Teil der Mark zu haben behauptete, die reihe Ent:
ſchädigung gewinnen wollte, die ihm zu Gera und Magdeburg
verheißen war, oder einen ausſichtsloſen Rechtsſtreit beginnen,
der ihm felbft nichts nügte, aber den Feinden jeines Haufes und
I. Die ſtaatliche Neuorganifation der Marten. 283
der evangelifhen Sache in die Hände arbeitete. Zudem hatte
das üble Verhalten feiner Mutter, deren neue Ehepläne bald
der ganzen fürftliden Verwandtſchaft ſchweres Aergernis gaben,
feine Stellung nicht gebeflert. Daher trafen beim Begräbnis
Georg Friedrich der Kurfürft, den der Kurprinz und der Straß-
burger Prätendent begleiteten, und feine beiden Stiefbrüber
Chriſtian und Joachim Ernft zuſammen und unterzeichneten am
11. Juni 1603 zu Onolzbach den Vertrag, durch den die beiden
legtgenannten die Geraer Abmadhungen annahmen und allen
Anrechten auf die Neumark u. ſ. w. entfagten. Die drei Brüder
wollten binfort „für einen Mann ftehen“, bie jüngeren ben Kur=
fürften als das Haupt des Haufes „brüberlich refpeftieren und
ehren” und ihre beiden jüngften Brüder Johann (geb. 1597,
geft. 1628) und — den nad) des Vaters Tod geborenen — Johann
Georg (geb. 1598) nad vollendetem adtzehnten Lebensjahre
zu fi nehmen und ftandesgemäß verforgen.
Dies Abkommen ermöglichte eine befriedigende Löfung fo:
wohl der Jägerndorfer wie ber Straßburger Frage. Das
ſchleſiſche Herzogtum, das Joachim Friedrich nun in Befig nahm,
wurde zur Verforgung Johann Georgs beftimmt, fobald biefer
aus dem ausfichtslofen oberrheinifchen Abenteuer gelöft war.
Unter Vermittelung Württembergs wurde mit Karl von Guife
unterhandelt und den 12./22. November 1604 zu Hagenau
dahin abgeſchloſſen, daß der Hohenzoller gegen Zahlung von
130 000 Gulden und ein auf bie rechtsrheinifhen Stiftsämter
eingetragenes Jahrgeld von 9000 Gulden allen Anrechten auf
das Bistum entfagte. Finanziell machte er ein leidliches Geſchäft;
fonft aber bedeutete dieſer Ausgang doch nur eine neue Nieber-
lage der Evangelifhen: wie in Köln, fo hatten auch hier die
Katholiken dem geiftlihen Vorbehalt Anerkennung erzwungen.
Das fteigerte die Zuverſicht des Faiferlihen Hofes: er bean-
ſpruchte Jägerndorf als erlebigtes böhmifches Lehen und er-
Härte das Abkommen zwifchen ben beiden hohenzollernſchen
Linien für ungültig, weil es nicht beftätigt und feine Mit:
belehnung erfolgt war. Als ber Kurfürft das Land dennoch
Johann Georg übergab, wurde diefem die Faiferlihe Aner—
kennung und Belehnung verweigert, ja die Herausgabe und
284 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
Rückzahlung aller feit 1603 gezogenen Einkünfte gefordert. Weſſen
hatte man fi danach weiterhin von dieſer Seite zu verfehen?
Um jo gefährliher war der Dualismus, der feit dem
legten Siege ber ftändifchen Libertät das brandenburgiſche
Staatsweſen zerriß. Als geborene Räte des Landesherrn hatten
die Stände ſich gelegentlich auch als Vertreter von Land und
Dynaftie bewährt: feit 1602 ftanden fie dem Kurfürften ſowohl
wie den Bürgern und Bauern gegenüber als eine Partei, die
Kirche, Staat und Wirtfhaft für fi) ausbeutete. Yon Ver:
ſtändnis für die Zeichen der Zeit, von Einfiht in die Aufgaben
Brandenburgs, von gutem Willen an ihrer Löfung mitzuarbeiten
findet fi} bei ihnen nicht die Spur. Was war den Herren
Preußen und Zülih-Cleve? Die Verfechtung folder Anſprüche
drohte Störung ihres behäbigen Landjunkerdaſeins, finanzielle
Zumutungen und militärifches Aufgebot, und zwar im Dienfte
einer Politif, die bei den Calviniften Anlehnung ſuchte. Die
Engherzigfeit der Stände, ihr Mangel an Staatsbewußtjein
und Pflihtgefühl, ihre feige Scheu vor jedem Opfer erforbernden
Handeln verjuldeten den tiefen Fal Brandenburgs während
des nächften Menfchenalters. Ganz aufgegangen ijt die unheil-
volle Saat des Jahres 1602 erft 1635—1640, und mas Jo:
achim Friedrich gefehlt, hat fein Enkel ſchwer gebüßt. Aber
Joachim Friedrich erfannte die gegebenen Schwierigfeiten und,
mas mehr war, er begegnete ihnen rechtzeitig vorforgend, in=
dem er die Stellung, die als geborene Räte des Landesheren
die Stände eingenommen hatten, nun aber, wo fie Partei ge-
worden, weber einnehmen fonnten nod wollten, auf eine
Körperjhaft übertrug, die ihm und feinen Nachfolgern einfacher
und wirffamer leiftete, was in Momenten eines Aufſchwunges
jene feinen Vorgängern geleiftet hatten. Zur Vertretung des
Staatsinterefies jHuf er den Geheimen Rat: feine Entftehung
bezeichnet, wie man auch über feine urfprünglice Bedeutung
urteilen mag, einen epochemachenden Fortſchritt in ber flaat-
lihen Ausgeftaltung Brandenburgs, obgleich der Schwerpunft
feiner Wirkſamkeit zunähft weniger in der inneren ala ber
auswärtigen Politif lag und er weniger die Gegenwart ordnend
beeinflußte als die Zufunft fürſorglich ſichern jollte.
I. Die ftaatlihe Neuorganifation der Marken. 285
Die Vorverhandlungen zur Errichtung des Geheimen Rates
fennen wir nit. Wenn aber im Eingange des vom 13. De:
zember 1604 batierten Erlafjes, ber ihn ins Xeben rief, nad
dem Dank für die „mit anfehnlihen, weitleuftigen Landen”
ausgeftattete fürftlihe Stellung, zu der Gott ihn berufen, der
Kurfürft von den „ganz hoch angelegenen, beſchwerlichen Sachen“
ſpricht, die er „auf ſich liegen” habe, babei an erfter Stelle
die preußiſche und die jülihide erwähnt und als den Grund
anführt, der ihn das Bedürfnis „guten reifen Rats und ge—
treuer Leute” befonders habe empfinden laſſen, fo zeigt das,
daß e3 zunächſt jene Anwartſchaften waren, um berentwillen
er „nad dem Exempel anderer mohlbeftellter politien und
Regimenten“ „etliche Verfaſſungen“ anorbnete, „dadurch hin⸗
führo diejelben mit guter Ordnung beratſchlaget und befto
ſchleuniger expediert werden” möchten. Er hofft, bie pflicht-
treue Thätigkeit der neuen Räte werde Gott zur Ehre und
dem Kurhauſe zum Heil gereichen, insbefondere dazu beitragen,
„obengebeutete beſchwerliche Sachen, daran — jo hoch und viel
gelegen“ und „die auch faſt ale auf der Spigen ftehen”, „mit
guter diseretion in Verſchwiegenheit, ohne einigen Verzug und
intermission” zu vollführen. Nicht als eine dem Staate orga-
nif und zu dauerndem Beftande eingefügte Behörde wurde
der Geheime Rat errichtet, fondern zur Befriedigung eines der
augenblidlihen Lage entfpringenden befonderen Bedürfnifies.
Die Berufung auf das „Erempel anderer wohlbeſtellter politien
und Regimenten” wird daher nicht auf die Nahahmung eines
beftimmten Vorbildes zu deuten, fondern aufzufaflen fein nur
als Aeußerung des monarchiſchen Gedankens, wie er feit Aus-
gang des 15. Jahrhunderts in Franfreih und Burgund fo gut
mie in Oeſterreich im Gegenfag zur Feubalität in einer bloß
vom Landesheren abhängigen Zentralbehörbe dargeftellt war.
Urſprunglich nicht ala folde gedacht, wurde auch ber von Jo—
achim Friedrich gejchaffene Geheime Rat bald eine ſolche, teils
infolge ber Energie, womit er bei feiner eigenartigen Zuſammen⸗
fegung das monarchiſche Prinzip den Ständen gegenüber ver:
trat, teils duch die Erweiterung, die feine zunächſt auf die
Vertretung der Anwartſchaften befchränfte Thätigfeit dadurch
286 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
erfuhr, daß er notwendig auch die Befugnis haben mußte, die
dazu erforderlichen Mittel von fi aus zu befchaffen und daher
in die betreffenden Zweige der Verwaltung einzugreifen. Da
eine kraftvolle auswärtige Politik des Rüdhalts einer gewaffneten
Macht nicht entbehren konnte, dieſe aber ohne reichere und von
den Launen der Stände unabhängige Mittel nicht möglich
mar und deren Beichaffung am fiherften durch die Hebung aller
Art von Erwerbsthätigfeit gefördert wurde, fo ergab ſich unwill-
fürlih eine Einwirkung der neuen Zentralbehörde auf das
Heerweſen, den Staatshaushalt und die Wirtihaftspolitif: der
Geheime Rat wurde die oberfte Inftanz für alle Zweige der
Staatsverwaltung mit Ausnahme der Nechtäpflege und bes
Kirhenmwefens, für die im Rammergeriht und im Konfiftorium
Spigen bereits vorhanden waren.
Die ausgeſprochen monarchiſche, der ſtändiſchen Libertät
feindliche Tendenz in Joachim Friedrichs Schöpfung tritt gleich
darin zu Tage, daß der märkiſche Adel darin zunächſt keinen
Platz fand. Der Kurfürft berief die Männer, bie ſich bereits in
Magdeburg politiih und abminiftrativ bewährt hatten, den
Kanzler Johann von Löben, den aus dem Saalfreis gebürtigen
Hieronymus von Diesfau und den aus des Markgrafen Georg
Friedrich Dienft in den feinen übergetretenen Franken Chriftoph
von Waldenfels. Dazu fam eine Anzahl in den märkiſchen
Dingen heimiſcher Räte bürgerlicher Abkunft, die Neumärker
Doktor Chriftoph VBenedendorf, der ala Vizekanzler fungierte,
und Doktor Friedrich Prudmann und die jüngeren Joachim
Hübner, feines Lehrers Sohn, und Simon Ulrih Piftorius,
der Sprößling eines berühmten ſächſiſchen Gelehrten und Be—
amtengeſchlechts. Den Vorfig erhielt der Oberfämmerer Hierony-
mus Schlid, Graf zu Baflano, ein Geſchlechtsgenoſſe jenes im
Egerſchen heimijchen Kaſpar Schlid, der als Kanzler Kaifer
Siegmunds und feiner beiden Nachfolger einft eine Rolle ge—
jpielt hatte. Des Kurfürſten perfönliher Vertrauensmann,
wurde er vom Abel beionders angefeindet, obgleich feine un-
antaftbare Selbitlofigkeit den üblichen Verleumdungen keinen
Anhalt bot. Dem Wirkungskreife, der dem Geheimen Rat zu:
nächſt angemwiefen war, entiprady bie Berufung des Herrn Otto
I. Die ftantlige Reuorganifation ber Marken. 287
Heinrid von Bylandt, Barons von Rheidt, und fpäter die des
vielfah bewährten Fabian von Dohna. Erfterer ftammte aus
Jülich, letzterer aus Preußen: fie ericheinen als Vertreter der
Lande, deren Vereinigung mit den Marken die hohenzollernfche
Staatsgründung demnädhft vollziehen ſollte. Durch wiederholte
Miffionen mit den Höfen befannt, auf die es da zumeift an-
kam, Heidelberg, Paris und dem Haag einer und Brüffel
und Warſchau andererfeits, waren fie bejonders geeignet, der
auswärtigen Politit nüglich zu werden.
Erſt diefe Zufammenfegung verlieh dem Geheimen Rate
feine Bedeutung. Er war wirklich ein geheimer, im Gegenjag
zu dem großen Rat, vor den die Kurfürſten bisher die wich—
tigeren Angelegenheiten gebradjt hatten. Denn bei ber Natur
der Fragen, bie er zunächft bearbeiten follte, war ftrengftes Ge—
heimnis oft die erfte Bedingung des Erfolges: bei der bisherigen
Gefhäftsführung war es faum möglich geweſen und mußte doch
ſchon um der möglichen ſtändiſchen Gegenwirkung willen gefordert
werben. Darauf zielte auch die Geſchäftsordnung, die JZoahim
Friedrich vorſchrieb. Sie gebot Kollegialität der Beratung: ein
jeber follte auf des Kanzlers Vortrag frei feine Anficht entwideln
und in eingehender Debatte begründen fönnen. War Ein-
ftimmigfeit nicht zu erzielen, fo follten auch die biffentierenden
Vota mit ihrer Begründung zu Protokoll gegeben werden fünnen.
Nur ganz allgemein wird die Richtung bezeichnet, die ber neue
Rat politifch verfolgen follte. Es heißt da: „So dan unfere
geheimen Räth vornemblih dahin zu traditen, Was zu be:
förderung der Ehre Gottes und Erhaltung des Religionsfriedens
dienlich, bevor aber, weil die gefährliche Praktifen der Papiften
und Verfolgung unferer wahren Religion je länger je mehr
geipuhret und mit Gewaldt durchgetrungen werben will, Des-
wegen umb fo viell mehr von nötenn, mit gutem Rath allen
befahrenden unheil zu begegnen.” Man fieht, wie Joachim
Friedrich die Lage auffaßte und ſich zur Abwehr rüftete. Aus
Rückſicht aber auf die konfeſſionelle Empfindlichkeit feiner Unter-
thanen entzog er ale im eigenen Lande auftauchenden relis
giöfen Streitfragen der Kompetenz bes Geheimen Rates als
ausfhlieplih dem Konfiftorium zuftehend.
288 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
Ferner wurde der neuen Behörde die Sorge für bes Kur:
fürften Rammergut aufgetragen: ihre Mitglieder follten ben
Kammer: und Amtsräten „Affiftenz leiften” und nötigenfalls
mit gutem Rat beiftehen, namentlich wenn für die ihnen be-
jonders befohlenen Angelegenheiten, das ift die preußifche und
nieberrheinifhe Anwartſchaft, Geld aufzubringen oder Ver—
befjerungen im Lande einzuführen wären. Denn Joachim Friedrich
kannte den eigentlichen nervus rerum gerendarum. Wenn in
allen das Kammergut betreffenden wichtigen Angelegenheiten bie
beiden Räte zufammentreten, fi) verftändigen und das Ergebnis
an ben Kurfürften bringen follten, jo wurbe damit bie oberfte
Finanzleitung eigentlich) dem Geheimen Rat zugewieſen. Auch
follte er das wirtſchaftliche Gebeihen des Landes zu fürbern
ſuchen. Im Intereſſe der Ausfuhr von Getreide, Wolle und
anderen landwirtſchaftlichen Produkten wurde Erſchließung des
Waſſerweges nad Hamburg und Stettin empfohlen, wie Jo—
achim Friedrich bereits als Abminiftrator von Magdeburg fi
durch Schiffbarmachung der Saale verdient gemacht hatte.
Doch jollten dabei die vornehmften Städte und verftändige
Leute aus der Ritterj haft zu Nat gezogen werben. Endlich
wurde der neuen Behörde in Gemeinihaft mit des Kurfürften
„Dberften und Kriegsverftändigen“ auch eine Einwirkung auf die
militärifhen Angelegenheiten eingeräumt, insbejondere den Bau
und die Erhaltung der Feftungen, die Beſchaffung von Munition
und Proviant, die Mufterung der Lehensdienftpflichtigen und
alles jonft zur Landesverteidigung Nötige. Sie blieb aljo nicht
auf eine bloß fonfultative Tätigkeit beſchränkt, fondern er—
langte gleich eine umfänglihe Erefutive. Nur war dieſe nicht
feſt umgrenzt und nicht Mar in ihre verſchiedenen Zweige ge:
ſchieden: wie fie fih geitaltete, ausdehnte oder einſchränkte,
Bing von den Erfahrungen der Praris ab, für melde die In:
ftruftion nur gewiſſe allgemeine leitende Geſichtspunkte auf:
ftelte. Der Kurfürft war der Mitglieder eben völlig ficher:
auch bei heftigem Widerftreit der Meinungen hatte er doch nur
verfchiedene Methoden zur Erreichung eines und desfelben Ziels
vor fi, nicht aber die unverföhnbaren Sonderintereffen ftrei-
tender ftändiiher Verbände. Das Staatswohl allein fam bier
1. Die ſtaatliche Reuorganifation der Marken. 289
zur Geltung: auch für die Entfheidungen des Regenten wurde
es bie vornehmfte Richtſchnur.
Als Joachim Friedrich verſucht hatte, die ſtändiſche Mit-
wirkung bei gewifjen Staatsangelegenheiten auf zwölf von ihm
ernannte Zandräte zu übertragen (S. 276), war das als eine
rechtswidrige Neuerung verſchrieen, zu der fein ehrlicher Mann
ſich gebrauchen laſſen dürfe: die Schaffung des Geheimen
Rates kann man ala Antwort darauf bezeichnen. Hatten bie
Herren ſich geweigert, als geborene Räte des Landesherrn in
den Formen zu fungieren, welche angefihts der Lage allein
zuläffig waren, fo hatte biefer damit das Recht erlangt, die
unentbehrlichen vertrauten Räte in anderen Kreifen zu fuchen.
Blieben fie von dem Zentrum der Staatöregierung ausge:
ſchloſſen, jo hatten die Herren und Nitter das ſich felbft zuzu:
ſchreiben. Vergeblich pochten fie auf das Indigenatsrecht, das
doch nur dann Sinn hatte, wenn ber Verpflichtung des Fürften,
die Regierung mit Landesangehörigen zu führen, bei biejen bie
Bereitwilligfeit entſprach, ihm felbftlos zu dienen. Sonft trat
die Klauſel in Kraft, welche die Verwendung von Ausländern
im Notfalle geftattete. "In diefem Sinne äußerte fi Joahim
Friedrih auch, als er endlih im Frühjahr 1606 zur Auf:
bringung der ihn treffenden 100 000 Gulden Reichs- und Türken-
fteuer den großen Ausſchuß wieder berufen mußte. Yon der
Maſſe der vorgetragenen Beſchwerden wies er bie einen als
unbegründet kurzweg zurüd, von den anderen that er dar, wie
zumeift duch die Knauferei der Stände jelbft die Erfüllung
ihrer Wünfche gehindert ſei. Mit ftrengen Worten, wie fie
fie lange nicht gehört hatten, verwies er ihnen ben unziem:
lien Ton, den fie ihm gegenüber angefchlagen hatten. Das
machte Eindrud: die Herren eilten Abbitte zu leiften und be-
teuerten, daß ihnen jede böſe Abſicht fern gelegen habe,
ſchwiegen auch auf des Kurfürften Erflärung, Kreis: und Land-
tage werde er hinfort nur in den äußerſten Notfällen berufen,
fo weit es im Herkommen rechtlich begründet fei.
Diefe Stellungnahme des Kurfürften gegen das ftändifche
Weſen wurde auch für die preußifhe Sache bedeutend. Galt
das Herzogtum doch für das gelobte Land der Libertät. Abbrechts
Brub, Preubiſche Gefsige. I.
290 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
Schwäde und jeines „blöden“ Sohnes Unmündigfeit hatten
es politiſch und Firhlic den Regimentsräten überliefert, die
nur ihren und ihrer Standesgenoſſen Vorteil Fannten und um
fo mehr gegen die Brandenburger Kuratel waren, als fie die
brandenburgiſche Erbfolge einzuleiten drohte. Doch hatten fie
die Beftallung Georg Friedrichs zum Kurator nicht hindern
können. Selbft den Titel eines Herzogs in Preußen hatte
ihm König Stephan Bathory zuerkannt, weil er ſich nicht den
preußifhen Ständen zuliebe mit einem Fürſten verfeinden
wollte, der ihm mehrfach nützlich geworden, und um feine
Kräfte ungeteilt gegen Türken, Tataren und Rufen verwenden
zu können. So hatte Georg Friedrich die Zügel ftraffer an:
ziehen können, freilich unter ftetem Hader mit den Ständen,
die auf Grund des Indigenatsrechts feine fränkiſchen Räte ver-
brängen wollten. Daß es ihm dennoch gelang, die preußifchen
Bistümer aufzulöfen und die einheitliche Leitung der Landes-
kirche einem herzoglichen Ronfiftorium zu unterftellen, war von
Wichtigkeit, weil jo die politiſche und die kirchliche Oppofition
ihren bisherigen gemeinfamen Stüßpunft verloren. Um fo
mehr aber wollte man den Kurfürften trog Anwartſchaft und
Mitbelehnung dem Lande fern halten, überjah aber in bem
Eifer für die Libertät, wie viel größere Gefahren von ber
anderen Seite brohten. Bereits Stephan Bathory hatte der
Tatholifchen Reaktion in Polen freie Hand gelafjen: mit Sigis-
mund III. wurde e& zur Domäne der Jejuiten, um im Nord:
often die Rolle zu fpielen, zu der im Südweſten Philipp II.
Spanien erhoben hatte. Brandenburgs Ausſchluß von dem
ihm widerwillig eingeräumten Recht, Preußens Herabbrüdung
zur polnifhen Provinz und Zurüdführung zur katholiſchen
Kirche war das Ziel der auf den Reichstagen herrſchenden
adligen Nationalpartei. Dazu bedurfte fie der Erhaltung der
preußiſchen Libertät, die das Land zur Abwehr unfähig machte,
und die preußiſchen Herren waren thöriht genug, darin den
einzigen Zwed des Eifers zu fehen, den ihre polnifchen Be—
ſchützer entwidelten.
Hätte Sigismund III. gedacht wie feine Magnaten, jo
wäre Joahim Friedrich feinem fränkifchen Vetter in der Kuratel
I. Die ftaatlihe Neuorganifation der Marfen. 291
nicht gefolgt; auch die brandenburgifhe Succeffion hätte dann
feine Ausficht gehabt. Aber feit er zur Behauptung der ihm
abgeſprochenen ſchwediſchen Krone die Waffen ergriffen hatte,
mußte er Brandenburg vom Anſchluß an Schweden zurüdzu:
halten fuchen, durch den es jein Recht auf Preußen am wirk:
famften verfochten hätte. Gegen Geld war er bereit, die Sache
(1601) nod bei Lebzeiten Georg Friedrichs nah Joachim
Friedrichs Wunſchen zu ordnen. Wie aber hätte diefer hoffen
dürfen, die geforderten 400 000 Gulden aufzubringen! Seine
Bevollmächtigten legten fi aufs Handeln, boten ein Viertel,
dann die Hälfte, verweigerten aber die verlangte Aenderung
des Krafauer Vertrages von 1525 — größere Freiheit für
die preußifchen Katholiken, Neuorbnung der Berufungen an den
polnifhen Hof und Uebernahme eines Teils der polniſchen
Reichsſteuer. Im Frühjahr 1603 unterhandelte man wieber,
verſchob die Entjheidung aber auf den nächſten Reichstag: bis
dahin folte Brandenburgs Recht in nichts gekürzt werben;
ftarb der Gubernator inzwijchen, jo jollten einftweilen bie preu=
Bifchen Negimentsräte die Ruratel wieder übernehmen. Wenige
Boden danach ftarb Georg Friedrich. Würden bes Königs
gute Abfihten gegen den Eifer der Magnaten durchdringen?
Joachim Friedrich erwog ein Eriegerijches Eingreifen. Dagegen
machte ber fundige Fabian von Dohna geltend, ein Krieg
werde mehr koſten, als der König für Zulaffung der branden-
burgiſchen Kuratel und Succeffion forderte, obgleich die erft
verlangten 400000 Gulden inzwifhen auf fieben Tonnen
Goldes gefteigert waren; felbft wenn er wegen der in Polen
üblihen Handfalben noch mehr aufmwenden müßte, käme ber
Kurfürſt beffer fort, da er ruhig daheim bleiben und biplo-
matiſch auf Polen einwirken fünne. Danach handelte Joachim
Friedrich. Er näherte fi noch mehr der Aftionspartei unter
dem pfälzer Rurfürften, an deſſen Hof der Kurprinz 1604 viel-
verheißende Beziehungen zu den Draniern und den Vereinigten
Niederlanden knüpfte. Bald unterhandelte Geheimerat von
Bylandt jogar wegen eines Bündnijjes mit Kurpfalz und der
Republik,
Das machte in Polen Eindrud. Einen Krieg um Preußen
292 Zuweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
zu führen, war Sigismund II. nicht im ftande, da nicht bloß
der Kampf mit Schweden noch anbauerte, fondern das Auf-
treten des faljhen Demetrius ben nationalen und firhliden
Eifer der Polen zu einem Angriff auf Rußland entflammte.
Wie lodend erfhienen da die Summen, mit denen bie bran-
denburgifchen Gefandten ihre erneuten Werbungen unterftügten !
Zu Beginn des Jahres 1605 follte in Warſchau der Abſchluß
erfolgen: das übliche Reihen des Reichstags verhinderte es.
Wohl aber billigte Sigismund die vorläufige Uebernahme der
Kuratel durch den Kurfürften. Dagegen konnten auch die preu=
ßiſchen Stände nichts thun: fie tröfteten fih damit, daß von
der vorläufigen Kuratel zur Nachfolge noch ein gutes Stüd
Weges fei. Die Brandenburgs aber, die Friegerifhe Vermide:
lungen beforgt hatten, waren froh, ftatt des gefürchteten mili—
täriſchen Aufgebots im Sommer 1605 nur 300000 Thaler
gefordert zu fehen. Noch im Herbft ritt Joachim Friedrich
nad Preußen, mit ihm feine junge Gemahlin Eleonore, bie
am Berliner Hof aufgewachſene vierte Tochter des blöden Her:
3098, die Schwägerin des Kurprinzen, die er trog feiner faft
ſechzig Jahre nad breijähriger Witwenſchaft eben heimgeführt
hatte. Am 9. Oftober z0g er in Königsberg ein. Gerade er:
mutigend aber war feine Aufnahme nit. Man komplimen-
tierte ihn fozufagen fehleunigft wieder aus dem Lande. Während
die Städte ihm freundlich entgegenfamen, ftellten ihm die
Herren vom Adel, ohne durch offene Ungebühr ihre wahre Ge:
finnung zu verraten, die Lage als fo fritifh dar, daß er bei
feinem geringen Gefolge für feine Sicherheit fürdtete und
noch vor Zufammentritt des Landtages am 30. Oftober die
Stadt wieder verließ. Wenn damals die Rede ging, „daß die
Herren Regenten und die Landräte, die von Adel” ihn glauben
gemacht hätten, die Verhandlungen auf dem Landtage würden
in feiner Abweſenheit glatter verlaufen, jo entſprach das dem
Sachverhalt wohl im wejentlihen. Sicherlich hatten die Herren
den Abſchluß der Sache hinauszögern wollen.
Denn ob man die brandenburgifche Succeffion ganz würde
abwenden können, war zweifelhaft: um fo mehr follten die
Befugniſſe des künftigen Landesherrn verfürzt und die Libertät
1. Die ſtaatliche Reuorganifation der Marten. 293
nad) polnifhem Vorbilde erweitert werden. An der Spige einer
Deputation des preußifchen Adels ritt im Frühjahr 1606 der
Hauptmann von Schafen, Dtto von der Gröben, nah War-
ſchau: die Mittel dazu entnahm man eigenmädtig den „Zand-
käſten“ zu Bartenftein und Ofterode. Mit dem Adel im pol:
nifhen Preußen hatte man ſich verftändigt: einer feiner Ab:
geordneten beantragte zwar die Belehnung Brandenburgs mit
dem Herzogtum, verlangte. aber für ben dortigen Adel die
Freiheiten, die dem Polens zuftanden, insbeſondere das Recht
der Appellation an das polnifche Tribunal und einen Ausfhuß
zur Unterfuhung der abligen Beſchwerden. Dem zuftimmen
hätte für Sigismund III. auf alle Vorteile verzichten geheißen,
die er aus dem Handel mit Brandenburg gewinnen fonnte,
die materiellen ſowohl wie die politifhen. Aber auch nach der
anderen Seite gejhah nichts, da bald danach die Oppofition
des polniſchen Adels gegen Sigismund II. fi offen erhob.
Zwei Jahre dauerte der Bürgerkrieg: der Sieg des Königs
aber war zugleich ein Sieg der katholiſchen Reaktion, die nun
auch Preußen, das polnifhe fo gut wie das Herzogtum, ber
alten Kirche beugen wollte. So erftand der brandenburgifchen
Succeffion ein neues Hindernis. In den nächſten Jahren fam
die Sache feinen Schritt vorwärts: damit wuchs die Gefahr
für die brandenburgifhen Rechte. Denn außer der Herzogin
Marie Eleonore gab es am Königsberger Hof, ja in ganz
Preußen niemanden, der für fie eingetreten wäre. Der Adel
„polenzte”, das Heißt warb nicht bloß um die Gunft ber
polniſchen Magnaten, fondern ahmte ihr Vorbild nad, ohne
zu merfen, wie er fo auch feinen evangelifhen Glauben und
feine beutjche Art dem Polentum preisgab. Joachim Friedrich
und die Seinen erfannten die Gefahr: aber ihr energiſch zu
begegnen, hinderte die allgemeine Lage. Eine Uebereilung in
Preußen konnte der Funken werden, der den in Europa auf-
gehäuften Zündftoff in Brand ſetzte. So hieß es auch dort
an fi halten und zumarten, um das augenblidlich Unerreich⸗
bare wenigftens für die Zukunft erreichbar zu erhalten.
Mebler noch ftand es um Jülich⸗Cleve. Denn heftiger als
in Preußen ftießen dort die politifhen und kirchlichen Gegen:
294 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
fäte zufammen. Das Schidfal der Reformation mußte fi
dort entfcheiden: in Fatholifhen Händen wurde das Land, das
bisher troß aller Bemühungen bes alten Herzogs treu zum
Evangelium geftanden, das legte Glied in der Kette, bie in
planvollem Zufammenmirken zwiſchen Prag und Madrid, Brüffel
und Rom Deutichland und Europa angelegt war; in evans
gelifchen blieb es ein Bollwerk für die kirchliche und politiſche
Freiheit des Reis und Europas. Das jah auch Joachim
Friedrich; aber ebenfo, daß hier allein die Mittel der Diplo:
matie eingefegt werden fonnten. Auch ſchien er e& dabei zu:
nädjft bloß mit der habsburgifch-Fatholifhen Gegnerfhaft zu
thun zu haben. Entgegen aber der überwiegenden Anfiht, daß
gemäß den Ehepaften nad dem Tode der Söhne, die Marie
Eleonore von Jülich-Cleve Albrecht Friedrid von Preußen ge-
boren hatte, ihre ältefte Tochter, die Kurfürftin von Branden-
burg, Erbin bes Landes jei, machten die Gatten ihrer beiden
jüngeren Schweftern Anna und Magdalene, Pfalzgraf Philipp
Ludwig von Neuburg und Johann von Zweibrüden, den
Wortlaut der Urkunde Karla V. von 1546 geltend, der nur
den männlichen Nachkommen der ala erbberedhtigt anerkannten
Töchter Herzog Wilhelms ein Nachfolgereht zufprad. Da nun
Herzog Wilhelms (f 1592) Sohn, Johann Wilhelm, der auch
in feiner zweiten Ehe mit Antoinette von Lothringen ohne
Kinder geblieben war, unheilbarer Geiſteskrankheit verfiel, plante
man eine gemeinſchaftliche Adminiftration des Landes dur
die verſchwägerten Fürften bis zu gütlicher Verftändigung, die
jebenfalls das evangeliiche Intereſſe wahrnahm und auf die
Unterftügung der Niederlande und Frankreichs rechnen durfte.
Dagegen ernannte der Raijer 1600 des Herzogs Gemahlin zur
Mitregentin, jo daß für eine Abminiftration oder Kuratel for=
mel fein Anlaß vorlag, offenbarte aber bald feine weiteren
Abfihten. Als Johann Wilhelms jüngite Schwefter, die Witwe
des Markgrafen Philipp von Baden, Sibylle, fih 1601 in
zweiter Che mit feinem Vetter, Markgraf Karl von Burgau,
verheiratete, weigerte fie den nach des Vaters Teftament zu
leiftenden Verzicht zu Gunften Marie Eleonorens, und ber
Kaiſer entjchied ſchließlich dahin, daß fie nur zu Gunften etwa
1. Die ftaatliche Neuorganifation der Marken. 295
noch zu hoffender Söhne ihres unglüdlihen Bruders verzichten
ſollte. Alſo nicht bloß als Lehensherr dachte Rudolf fih der
Sade anzunehmen. Um fo mehr mußten bie Prätendenten
einig zu bleiben ſuchen, und bes Kurfürften Drängen auf Zu:
jammentritt aller Evangelifhen zu gemeinfamer Verteidigung
erſchien vollends als berechtigt.
Wieder aber gingen die Albertiner ohne Rüdfiht auf das
evangeliſche ntereffe ihren eigenen Weg. Zu Beginn des
Jahres 1604 brachte Rurfürft Chriftian IL, Joachim Friedrichs
Neffe, feines Haufes Anrechte auf das niederrheiniſche Herzog:
tum zur Sprade und erbot fi), fie gegen einen „Rekompens“
an Land oder Geld dem Kaifer zu überlaffen, obgleich das
albertiniſche Reht nur Julich und Berg betroffen hatte und
durd) die Union mit Cleve bereit8 1516 erlofchen war. Aber
auch auf die Rechte der Erneftiner berief er fih: da er in
Weimar und in Altenburg als Vormund regierte, wollte er
der Vertreter des ſächſiſchen Gefamthaufes fein. Eigentlich
aber gab es erneftinifche Rechte überhaupt nit, da Sibylle,
der Tochter Herzog Johannes III., bei der Vermählung mit Jo—
hann Friedrich (1526) ein Erbanfprud nur für den Fall zu—
erfannt war, daß Johann oder fein Sohn ohne Nachkommen⸗
ſchaft ftürbe, auf Wilhelm aber jein Sohn Johann Wilhelm
gefolgt war. Augenfheinlic wollte die albertinifche Betrieb»
ſamkeit fih nur ein Anrecht auf des Kaifers befonderen Dank
erwerben, Brandenburgs Auffommen erſchweren und dem ver-
baten Pfälzer Hinderniffe bereiten. In Prag mußte man,
was dieſe Liebedienerei follte, und benugte fie gern, um bie
wichtige nieberrheinifche Pofition den Evangelifchen vorzuent-
halten.
Und ſchon fpielte diefe Frage über die Grenzen des Reichs
hinaus. Während die Niederlande etliche Grenzpläge als nur
an Julich⸗Cleve verpfändet auslöfen wollten, beanſpruchte Herzog
Karl von Nevers, ein Sohn jenes Ludovico Gonzaga von
Mantua, der durch feine Heirat mit Henriette, der Erbtochter
des Herzogs von Nevers, diefe franzöfiihe Pairie gewonnen
hatte, auf Grund der Herkunft feiner Mutter von Engelbert,
dem jüngften Sohne des Herzogs Johann I. von Eleve, biefes
296 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
und die Grafihaft Mark, auf welche letztere außerbem ber
Graf von der Mark und der Herzog von Bouillon Rechte gel:
tend machten. Wohl mahnte die einfihtige Marie Eleonore zu
ſchnellem Vergleich der Nächjftbeteiligten: aber der Kurprinz
fcheint dagegen gewejen zu jein. Inzwiſchen wuchs mit dem
Einfluß Ferdinands von Steiermark die Zuverfiht der Aftions-
partei. Ein Gutachten des Neichshofrats that die Anfechtbar-
feit aller erhobenen Anfprüche dar: die brandenburgifchen feien
hinfällig, weil Herzog Albrecht in Acht und Bann geftorben ,
als Oberlchensherr fönne der Kaifer das fireitige Land einft=
weilen in Verwahrung nehmen. Auch ging es auf ben von
Kurſachſen angeregten Gedanken ein, nad) dem Erlöfchen des
herzoglichen Haufes trete das Haus Burgund wieder in feine
Rechte, Habe alſo Erzherzog Albrecht, der Statthalter der fpa-
niſchen Niederlande, als Inhaber des ehemaligen burgundifchen
Gebietes nachzufolgen. Einen gefeglihen Weg, um bas Land
glei an Defterreich zu bringen, fand freilich auch der Reichs—
hofrat nicht, zeigte aber do, wie auf einem Ummeg zum
Biel zu kommen fei: den Kampf zwiſchen den Prätendenten
abzumenden, follten noch bei Lebzeiten des unglüdfichen Her—
3098 kaiſerliche Kommiſſare die Verwaltung übernehmen, bis
zum rechtlichen Austrag der Sache führen und durch Befegung
aller Aemter mit Katholifen für die Zukunft forgen.
Was jollte Joahim Friebrih dem gegenüber thun? Im
Reiche hatte er Feinen zuverläffigen Rückhalt. Auch die Union,
die im Mai 1608 endlich ins Leben getreten war, bot ihn
nicht ; zubem bejorgte er, fie werbe den Katholiken den Vorwand
geben, ſich ebenfalls gewaffnet zu einen. Mehr verhießen aus—
wärtige Bündniffe. Mit den Niederlanden war eben ein folhes
vereinbart und den märkiſchen Ständen zur Begutachtung vor=
gelegt. Demnächſt fam dafür Frankreich in Betracht. Trieb
man aber damit nicht erft recht dem allgemeinen Krieg ents
gegen? War Brandenburg einem folhen gewahjen? Würde
nicht der Beginn des Kampfes im Weften im Norboften für
den preußifhen Adel und die polniſche Nationalpartei das
Signal zur Erhebung fein? War dort doch eben (23. Mai) die
einzige zuverläffige Vertreterin ber hohenzollernihen Erbfolge,
I. Die ſtaatliche Reuorganifation der Marten. 297
Herzogin Marie Eleonore, mit Tod abgegangen. Ihr Schwieger-
john, der Kurprinz, hielt es für nötig, dort felbft nach dem
Rechten zu ſehen: unterwegs ereilte ihn die Nachricht von dem
plöglihen Tode des Vaters.
Am 17. Zuli war Joahim Friedrich zu Storkow heftiger
als je von aſthmatiſchen Beſchwerden befallen: im Gefühl des
nahen Todes trat er am 18. die eilige Heimreife nad Berlin
an, aber nod vor der Einfahrt in Köpenid machte ein Schlag:
fluß feinem Leben ein Ende.
U. Die Grwerbung Cleves und Preußens und der
Anſchluß an die Reformierfen durch Johann
Sigismund. 1608 — 1619.
Al⸗ Joachim Friedrich ſtarb, war ſein Erbe unterwegs nach
Preußen. Bei der Größe der Intereſſen, die dort auf dem
Spiel ftanden, ſetzte er die Reife fort. Am 8. Auguft traf er
in Königsberg ein. Die Marken befahl er Adam Hans Edlem
zu Putlig als Statthalter. Daß eben in jenen Tagen fein
jüngfter Bruder Chriftian Wilhelm (geb. 18. September 1587)
mit vollendetem einundzwanzigiten Jahr die bisher von dem
Domkapitel geführte Regierung des Magdeburger Erzftiftes
felbft in die Hand nahm, war bei der zweideutigen Haltung
Kurſachſens eine glüdlihe Fügung.
Auch in Preußen war die Lage kritiſch. Da für Johann
Sigismund als Gemahl Annas von Preußen die Kuratel erft
recht als Vorftufe zur Nachfolge galt, ftieß er bei dem Werben
darum aud auf jtärferen Widerftand. Die Städte freilich
hatten nachgerade erfannt, was ihrer wartete, wenn bas mon=
arhifche Element, das durch Markgraf Georg Frievrih und
Johann Sigismund elbft endlich wieder würdig vertreten war,
aus der eben gewonnenen Stellung verdrängt wurde und bie
preußif—hen Herren ihren Wunſch nad} getreuer Nahbildung der
polnischen Libertät erfüllt ſahen: während diefe Preußen ber
polniſchen Republik inforporieren wollten, wünfchten fie durch
Anerkennung des Erbrechts Johann Sigismunds die deutiche
Zukunft des Landes gefihert zu jehen. König Sigismund war
dem nicht abgeneigt: denn noch beftand die Gefahr des An-
ſchluſſes von Brandenburg an Schweden. Auch lodte ihn der
finanzielle Gewinn, der ſich dabei machen ließ. Schwierig blieb
es, den polnijchen Glaubenseifer zu beſchwichtigen, größere Frei-
U. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 299
beit für die preußifchen Katholiken zu erringen, was bem ftarren
Zuthertum der preußiihen Stände nicht leicht abzugewinnen
war. So verſchob der König die Entſcheidung auf den zu Beginn
des Jahres 1609 angefagten Warſchauer Reichstag und gab
dadurch der preußifchen Oppofition Zeit zu planmäßigem Gegen=
wirfen. Ihre Bevollmächtigten erbaten von den weſtpreußiſchen
Ständen Hilfe zur Verteidigung der durch die Ruratel bedrohten
Freiheit: trog des Widerſpruchs von Danzig und Elbing wurde
fie zugefagt. Noch feder traten die Gejandten des preußiichen
Adels in Warſchau auf: nicht genug, daß fie die Inkorporierung
des Herzogtums als durch das Intereſſe Polens geboten for:
derten, fie ergingen fi vor dem Senate in Schmähreben gegen
Joachim Friedrih, der fie in Knechtſchaft zu ftürzen gefucht
habe. Noch voller nahmen fie den Mund vor den Landboten,
freilich auch da ohne den gewünſchten Eindrud. Daneben ließen
fie die Künfte der Beſtechung fpielen: auch den König meinten
fie faufen zu fünnen. Dagegen kamen bie ſtädtiſchen Geſandten
nit auf, wenn fie maßvoll und fachlich darlegten, wie man
am beften thue, die Nachfolge gleih im Sinn Brandenburgs
zu ordnen. Johann Sigismund wurde zunädft nur die Ruratel
zugeſprochen: polnifhe Kommiſſare follten fie ihm in Königs:
berg übertragen.
Der Anfang war nicht eben ermutigend, zumal ſich bei
der bekannten polnifchen Art mit Sicherheit erwarten ließ, daß
die Erfüllung ber Zufage hinterher von allerlei Nachforderungen
abhängig gemacht werden würde. Die Zeit bis zur Ankunft
der polnifhen Kommiſſare benugte der Kurfürft, in den Marken
nad dem Rechten zu jehen. Die ftändifchen Freiheiten hatte
er bereits von Königsberg aus beftätigt. Dennoch machte fi
bald ein Gegenfag zwiſchen feiner landesherrlihen Praris und
dem theoretifchen Recht der Stände geltend. Da kam die Nach—
richt, daß am 25. März der wahnfinnige Johann Wilhelm von
Jüulich⸗Cleve geftorben jei. Nun follte Johann Sigismund, noch
nicht recht Herr Preußens, im Weften einen ſchweren Kampf
auf fi nehmen. Der fhon von Joahim Friebrih gewonnene
Vertrauensmann, der clevefhe Edle Stephan von Hartefelb,
proffamierte in den Hauptorten fofort den Regierungsantritt
300 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
des NKurfürften und ließ das brandenburgifhe Wappen an-
ſchlagen. Am liebften wäre der Kurfürft dorthin geeilt: doch
hätte er jo in Preußen alles aufs Spiel gejegt. So entfandte
er feinen Bruder, den jechsundzwanzigjährigen Markgrafen
Ernſt, nad) Cleve und eilte jelbft nach Königsberg zurüd. Vor
verfammeltem Landtag übertrugen ihm die polnifhen Kom—
mifjare Ende Mai die Kuratel, nachdem der Adel auf bes
Königs Befehl für fein unziemliches Auftreten und bie zu
Warſchau geführten Reden Abbitte geleiftet hatte. Die Be:
lehnung unterblieb: daß fie durch weitere Zugeftänbnifje werde
erfauft werben müſſen, zeigten bie Forderungen, bie König
Sigismund zu Gunften der preußifhen Katholifen erhob, deren
Bewilligung aber die preußiſchen Herren ala ein Attentat an
dem Heiligften brandmarlten.
Ernft genug war die Lage. Aber Johann Sigismund
blieb gutes Muts: Gottes Sache ſei es bo, fo ſchrieb er
feiner Gemahlin, um die es fi) handele, Gottes Ehre und
feine Kirche gehe es an, daher werde Er auch ſchon raten und
thaten; ihm felbft bleibe nichts als fleißig zu beten, da er fi
Gottes Willen beuge und nur als ein lieber und getreuer
Knecht erfunden werden wolle. Diefe Worte offenbaren ven
fataliſtiſchen Grundzug in feinem Denken. Mit naiver Zuver:
fit meinte er des von Gott gewollten Ausganges fiher fein
zu können und ließ die Dinge gehen, fo weit fein Gewiſſen
dabei ruhig blieb. Wo aber diefes ſich regte, wurde er unbeug-
ſam. Und eben das macht den leichtlebigen und bequemen
Heren zu einer bedeutenden und ſympathiſchen Erſcheinung.
Dank diefer Gabe Hat er durch alle politifhen und kirchlichen
Wirrſale, man möchte fagen inftinktiv, den richtigen Weg ge—
funden. Sie verlieh feiner weichlichen und finnlihen Natur,
mo e8 große Fragen galt, eine überrajhende Feftigkeit. Empfäng⸗
lih und bildfam Hatte er eine eindrudreihe Jugend hinter ſich,
ala er (geb. 8. November 1572) in der Blüte der Jahre zur
Regierung fam. Ihn dem Einfluß der calviniftifhen Neigungen
des Vaters zu entziehen, hatte Johann Georg ihn früh an
feinen Hof genommen, auch dur einen Revers ſich auf das
reine Luthertum verpflichten laflen, ehe er bie Univerfität
1. Die Ermerbung Cleves und Preußens. 301
Straßburg beziehen durfte. Dort war dem gut vorgebildeten
Jüngling eine neue Welt aufgegangen. Menſchen und Dinge,
Staat und Kirche erſchienen ihm in einem ganz anderen Lichte,
als er fie in den engen märkijchen Verhältniffen gefehen hatte.
Das freiere, politifcere, thatfräftigere reformierte Wefen wirkte
Härend und ftählend auf ihn ein. In Anna von Preußen, ber
er im Herbft 1594 vermählt wurde, gewann er eine Gattin,
die fi) der in ihr beruhenden Rechte ihres Haufes voll bewußt
war und troß ihres Zuthertums Religion und Politik in Eluger
Vorausfiht und befonnener Thatkraft zu verknüpfen mußte:
ihr klarer, fefter und gläubiger Sinn wurde ihm Halt und
Stüge. In Preußen, mo er von 1599—1602 wie ber Statt-
halter des Kurators Georg Friedrich waltete, hatte er die poli-
tiſche DVerkehrtheit des orthodoren Luthertums kennen gelernt
und ſich unmerflih von ihm emanzipiert. In langſamem
Wandel feines Denkens näherte er jih den Reformierten. Ihre
ftrenge Selbſtzucht freilich blieb ihm fremd: unruhig, gern
unterwegs, ein tücdhtiger Zecher, auffahrend bis zum Jähzorn,
dann wieder nachgiebig, zerbrad er fi nicht gern den Kopf
und ſchob bei ſchwierigen und unangenehmen Dingen mit ber
Entſcheidung auch gern die Verantwortung auf andere ab.
Wo fein Gewiſſen in Frage fam, fein felbft unbedingt ficher,
war er in allen anderen Dingen mehr ein Mann des Ge:
fühle als des Verftandes, des gläubigen Zumartens als des
gewagten Handelns, mehr ein Beter als ein Kämpfer.
Noch während er in Königsberg weilte, erwies es ſich als
unmögli, die ganze jülihihe Erbſchaft allein zu behaupten.
Gleich nad der brandenburgiſchen Befigergreifung erſchien bes
Neuburger Pfalzgrafen Sohn Wolfgang Wilhelm im Lande.
Am Düffelvorfer Hof aufgewachſen, galt er mandem für den
fünftigen Herrn. Im Namen feines Vaters ergriff auch er
Befis: man ſah fein Wappen neben dem brandenburgifchen,
während ein heftiger publiziftifher Streit entbrannte. Die
Stände wollten vor allem einen Kampf abwenden. Mit den
berzogliden Räten beſchloſſen fie daher, zunächſt feinen von
beiden Prätendenten anzuerkennen, jondern in Erwartung einer
rihterliden Entſcheidung das Regiment wie bisher fortführen
302 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
zu laffen. Gegen einen Einbruch des Herzogs von Nevers ver:
fiderten fie fi in der Stile der Hilfe ſowohl des Erzherzogs
Albrecht als auch der Niederlande. Aber ein kaiſerliches Man-
dat vom 24. Mai erklärte das Geſchehene für null und nichtig,
befahl die Belaffung des beim Tode bes Herzogs gegebenen
Buftandes und lud alle Prätendenten binnen vier Monaten zur
Entgegennahme des Urteils an den Hof. Daß aber dies wichtige
Grenzgebiet in die Gewalt der ſpaniſch-habsburgiſchen Macht
gebracht würde, konnte weder Frankreich noch die Niederlande
zulaffen. Welches Schickſal wartete dann der evangelifchen Be:
völferung! Nicht bloß um ihretwillen, im Intereffe aller Evan:
geliſchen und des europäijchen Friedens mußte dem Kaifer jeder
Vorwand zur Einmifhung und Verhängung des Sequefters
entzogen werden. Er war vorhanden, wenn Krieg oder Kriegs:
geichrei befürchten ließ, dem rechtmäßigen Poſſeſſor könne fein
Recht entriffen werben: es galt, ein den Frieden zwiſchen Bran—
denburg und Pfalz.Neuburg fiherndes Proviforium zu ſchaffen.
Dazu vermittelte namentlich Landgraf Morit von Heffen, und
Markgraf Ernft, obgleich er wußte, daß feine Schwägerin fein
Titelhen ihres Rechts aufgeben und das Erbe ungeteilt be—
haupten wollte, ging in richtiger Erwägung der Umftände
darauf ein. Gleichzeitig ließen die unter Kurpfalz geeinigten
Fürften durch Chriftian von Anhalt dem Kaifer die furchtbaren
Folgen vorhalten, welche die fi} fteigernden Uebergriffe ber ihn
gängelnden Jefuiten für das Reich und für ihn felbft Haben
mußten, zumal nad) der fiegreihen Rebellion feiner Brüder und
Vettern — natürlich vergeblih. So drang Morig von Heflen
durch. Am 22. Mai trafen fih Markgraf Ernſt und Molf-
gang Wilhelm in Homburg vor der Höhe, ein zweites Mal in
Dortmund. Am 20.10. Zuni 1609 ſchloſſen fie dort einen Ver:
trag, wonach fämtliher Prätendenten Anſprüche einem Schieds—
ſpruch unterliegen, bis dahin aber die Verwaltung und Ver—
tretung bes Landes unter Anerkennung feiner Rechte und Freie
heiten von ihnen beiden gemeinfam geführt werden follten.
Jubelnd begrüßte das Land diefe Wendung und bereitete ben
beiden Statthaltern einen feitlihen Empfang, als fie zur Bes
figergreifung erſchienen. Gemeinfam beftätigten fie Die Landes—
I. Die Erwerbung Cleved und Preußens. 303
privilegien und empfingen ein vorläufige Treugelöbnis. Nur
der Befehlshaber des Schloffes zu Jülich verweigerte ohne Be:
fehl des Kaifers bie Uebergabe.
Gegen feine Inftruftion hatte Markgraf Ernft den Ver:
trag geſchloſſen. Aber man hatte Grund, feine Eigenmadt zu
fegnen. Denn je mehr der Kaifer durch den Aufftand in Böhmen
und Schlefien bedrängt war, um jo mehr wollte die Aktions—
partei das dort Verlorene anderwärts wiedergewinnen. Nament⸗
lich erftrebte Erzherzog Leopold, Bifhof von Paſſau und Straß-
burg, die ſchönen niederrheiniſchen Lande. Mitte Juli erichien
er als faiferliher Prinzipallommiffar und ſetzte fih in Jülich
feft. Kaiferlihe Mandate Lafjierten den Dortmunder Vertrag,
verboten die Rüftungen und wieſen die Stände zum Gehorfam
gegen den faijerlihen Bevollmächtigten an. Aber über die
Mauern von Jülich hinaus reichte deffen Autorität nicht. Doch
blieb feine Anmwefenheit im Lande gefährlih. Bald jprah man
von feinen Beziehungen zu dem Pfalz-Neuburger, der im Lande
Anhang warb, auch über reiche Geldmittel verfügte, während
es dem Markgrafen am Nötigften fehlte.
Nur lag die Entſcheidung nicht im Lande felbft, und nicht
feine Intereffen waren dafür maßgebend. Es hieß, Wolfgang
Wilhelm wolle katholiſch werden: dann hatte er die eben
(10. Zuli 1609) errichtete Ligue für ih. In Prag freute man
fi der Verſchärfung der Gegenfäge: fürchtete man doch, Bran-
denburg werde das Verhängnis des Haufes Habsburg und des
Katholizismus in Deutjchland werben. Das wurde die treibende
Kraft der deutihen Politik Defterreihe. Man war entichloflen
an die Gewalt zu appellieren, die Bebrohten rüfteten zur Gegen-
mehr. Im Auftrage Brandenburgs und PfalzNeuburgs ging
Chriftian von Anhalt nah Frankreih und den Niederlanden.
Beide verhiegen Hilfe gegen fremde Gewalt. Dann beftellten
die beiden Statthalter ihn zum Führer ihrer Truppen. Da—
gegen wuchs die Sorge vor Kurſachſen, das Johann Sigis-
mund, während er am Niederrhein focht, in Rüden und Flanke
bedrohte. Die polternden Reden Chriftians II. bei einem
Beſuche der Kurfürftin Anna in Dresden offenbarten ein Ein-
verftänbnis zwiſchen dem dortigen und dem Prager Hofe. Diefer
30% Zweites Bud. Die erite hohenzollerniche Staatsgründung.
wollte gegen Brandenburg die Acht verhängen, jener fie voll-
ftreden. So mußte Johann Sigismund vor allem die Mark
Adern. Wie aber wäre damals dazu die Mitwirtung der
Stände zu gewinnen geweien! Bei ihnen berrichte bedenkliche
Nikitimmung. Man beargwöhnte des Kurfürften konfeſſionelle
Zuwerläjfigfeit und fürchtete jeine calviniſtiſchen Reigungen.
Zwar hatte er von jeines Vaters Näten die den Ständen un—
bequemften, Schlid und Loeben, entlafjen, aber den reformierten
Prudmann beibehalten. Die Oppofition zu beſchwichtigen, zog
er jegt Chriftion Diftelmeyer wieder in den Dienft, was fait
wie ein Preisgeben des Geheimen Rats erſchien. Aber jelbft
ihm begegneten die Herren des großen Ausſchuſſes mit Fühler
Ablehnung: was wegen Jülichs zu thun jei, meinten fie, fönne
nur der Landtag entſcheiden. Diejen berief der Kurfürft nun
freilich nicht, ließ aber doch in den einzelnen Kreifen Konvente
halten, deren Delegierte ale Generalausfhuß zufammentraten.
Mit ihm kam man leidlich zurecht: hätte dod die Verweigerung
der geforderten Beihilfe die Neußerung des Grafen Schlid be—
ftätigt, welde die Herren als ſchwere Kränkung beflagten, keine
zwei zuverläffigen Leute habe der Kurfürft unter ihnen. So
bemilligten fie 400 000 Thaler, gewährten aud für die Er-
lebigung ihrer Bejchwerden eine Frift und jahen felbft von der
feierlichen Anerkennung der Konkordienformel für jegt ab.
So ftand man vor dem Ausbruch eines Krieges, der zu
ungeheuren Dimenfionen zu wachſen drohte. Wohl ftellte die
Kaiferlihe Diplomatie die Sache als eine rein deutſche dar:
Heinri IV. fo wenig wie die Niederlande konnte das täufchen.
In Berlin aber meinten manche, man folle ſich getroft dem
Raifer als oberftem Nichter fügen. So kam es erit Ende 1609
zum Schlagen: namentlih um Düren im Jülichſchen wurde ge:
fohten. Adam von Schwargenberg, obgleich Katholik ein An:
bänger Brandenburgs, verteidigte es gegen Erzherzog Albrecht.
Nun meinte man in Prag, jeder Rückſicht überhoben zu fein,
wollte Brandenburg ächten, Sachſen mit Jülich belehnen. Dabei
erregte Wolfgang Wilhelms Haltung immer ernftere Zweifel
an ber Reblichkeit feiner Abfihten. Doc einigten fi unter
Vermittelung der Union die Prätendenten am 17. Januar 1610
U. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 305
dahin, gemeinfam die Belehnung nachzuſuchen, im übrigen aber
fi dem Spruche der Herzöge Johann Friedrih von Württem—
berg und Friedrich von Holftein und des Markgrafen Georg
Friedrih von Baden zu fügen. Auch trat Johann Sigismund
der Union bei, die ihn und feinen Mitbefiger ihres Schutzes
verfiherte und ihrerjeits fih mit Franfreih und den Nieder
landen verbündete.
Aber es fehlte doch an der rechten Entjchloffenheit. Auch
ftand die jülichſche Frage trog ihrer europäiſchen Verknüpfungen
doch nit für alle deutſchen Fürjten jo im Brennpunkt bes
Interefies wie für Johann Sigismund. Aud die Union war
doch nur zu gemeinfamer Behauptung bes Befigftandes der Ge-
nofjen zufammengetreten, nicht um dem Einzelnen gewaltfam
zu neuen Erwerbungen zu verhelfen. Wie ein halbes Jahr:
hundert früher, war daher aud) diesmal die deutſche Freiheit
und das Evangelium ohne Hilfe Frankreichs nicht zu retten:
daß diefes daher auch wieder mit einem Stüd deutſchen Landes
werde belohnt werden müſſen, ließ fi vorausfehen. Dazu
drohte das Eingreifen Spaniens und der Niederlande So
erhoben ſich noch im legten Augenblid zahlreiche Stimmen, bie
Johann Sigismund zum Nachgeben, zu erneuten Verſuchen zu
friedlicher Verftändigung mahnten. In feiner Hand, jo ſchien
es, lag der Friede der Welt. Selbit Chriftian Wilhelm, der
Adminiftrator von Magdeburg, riet dem Bruder bazu: durch
Beſchwichtigung Kurſachſens, von dem er ſelbſt im Falle bes
Bruches ſchwer bedroht war, empfahl er die Acht abzuwenden.
Wirffih bot man Sachſen gar den Mitbefig Jülich-Cleves
neben Brandenburg und Pfalz-Neuburg, wenn es die Ein:
ftellung bes in Prag eingeleiteten Verfahrens bemirkte, natür—
lich erfolglos. Aber nicht bloß in Dresden befing der Eifer
für das reine Quthertum das politiſche Urteil: auch fonft waren
feiner Vertreter Sympathien mehr bei dem Kaiſer und ben
Katholiken als dem zum Galvinismus neigenden und ben reforz
mierten Pfäßern und Nieberländern verbundenen Brandenburg.
So rubte deſſen Hoffnung allein auf Frankreich und der Repu:
bit, Heinrichs IV. Eingreifen, das 1610 bevorftand, mußte
allem Schwanken ein Ende mahen. Erſchien er mit dem in
Prutz, Preußiſche Geſchichte I. 20
306 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernfhe Staatsgründung.
Lothringen gefanımelten Heer im Elſaß, wo Herzog Leopold,
der Biſchof von Straßburg, Truppen bereit hielt, jo hatte die
Union dort das Uebergewiht. Tazu fam neuer Hader im habö-
burgiſchen Haufe: Rudolf II. wollte gewaltfam die demütigende
Abhängigkeit abjhütteln, die ihm der ſchleichende Matthias aufs
gelegt hatte. Die Gegner waren aljo geteilt, die Ausfichten
günftig: da durchkreuzte Ravaillacs Dolch alle Entwürfe (14. Mai
1610), und die große Kombination fiel in ſich zufammen.
Statt des europäifchen Krieges gab es einen lofalen am
Niederrhein. Durch franzöfifchen Zuzug und Niederländer unter
Friedrich Heinrich von Oranien verftärkt, focht Chriftian von
Anhalt gegen Erzherzog Leopold, deſſen Mannſchaften dur
ihre Zuchtlofigkeit die Bevölkerung vollends erbittert hatten.
Köln, dem man nicht traute, wurde zur Entlafjung feiner
Söldner genötigt. Mitte Juli ging Anhalt bei Düſſeldorf über
den Rhein, vereinigte ſich bei Nees mit dem Heer, das Morig
von Dranien felbft herbeiführte, und begann die Belagerung
von Jülich, das am 4. September fiel. Pie Erzherzoglichen
mußten durch Luxemburg nad) dem Eljaß abziehen, wo ein
inzwifchen dort erſchienenes Heer der Union fie vollends un
ſchädlich machte. Des Kaifers Aufforderung, dort einzufchreiten,
lehnte die Ligue ab, ſchloß vielmehr mit der Union einen
Stillfftand, der beiden Teilen die Vertretung ihrer Interefjen
in ber julichſchen Sache jo weit freigab, als es ohne Ver—
legung der Reichsgeſetze möglih war. Damit befanden fi
Brandenburg ‚und Pfalz-Neuburg thatfählih im Beſitz des
Landes: ihre Einigkeit war belohnt.
Mehr als in Jülich war Johann Sigismund augenblicklich
in der Mark bedroht. Am 7. Zuli 1610 war Sachſen zu Prag
mit Julich belehnt gegen Erftattung der vom Kaifer aufgewen-
beten Gelbmittel, Ueberlafjung der kirchlichen Einkünfte an
den Biſchof von Pafjau und Straßburg und Herausgabe der
verpfändeten Reichslehen ohne Erjag: dafür griff es Branden-
burg an. Es abzumehren war geringe Ausfiht: eine Mufterung
im Frühjahr hatte den gänzlichen Verfall der märkiſchen Kriegs-
verfafjung erwiejen. Und ftatt der geforderten 3000 Mann
wollten Adel und Prälaten 1000 Bauern ausüften! Das
U. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 307
Fehlende aufzubringen waren die Städte weder geneigt noch
fähig: verſuchten Zwang beantworteten etliche mit offener Meu—
terei. Dennoch ging die Krifis vorüber. Ein Fürftenausfhuß,
den der Kaifer in der Sache nad Prag berief, fam nicht zum
Schluß wegen des neuen Streites zwiſchen Rudolf und Matthias.
Zudem lähmte der Bruch zwifchen Pfalz: Zweibrüden und Pfalz
Neuburg wegen der Vormundſchaft über den jungen pfäher
NKurfürften die Union. Endlich veranlaßte die gemeinfame
Adminiftration endlofen Hader: fo ſchlug Pfalz-Neuburg eine
Teilung vor. Auch der Kaifer ließ fih nun verſöhnlicher an,
wenn Brandenburg die Kurſachſen auferlegten Pflichten auf
fi) nehmen wollte. Aber vergeblih unterhandelte Markgraf
Ernft in Köln mit feinen Bevolmädtigten. So ſuchte man
nochmals ſich mit Sachſen zu verftändigen. Dazu riet aud) der
trefflihe Chriftian von Anhalt; Frankreich, England und die
Niederlande empfahlen diefen Ausweg. Auch entiprad er ben
perjönlichen Gefühlen Johann Sigismunds für die albertinifchen
Verwandten, deren Haltung ihm tief ſchmerzte. Dazu fam die
Rüdfiht auf Preußen: denn fiher entſchied der nächſte pol—
niſche Reichstag gegen den Kurfürften, wenn er ihn ander—
wärts bedroht wußte. So ließ dieſer, obgleich nicht bloß feine
Gemahlin, fondern aud) ber Neuburger widerſprach, im Februar
und März zu Züterbogf mit Sachſen unterhandeln. Doch ift
der Vertrag vom 21. März, der Kurſachſen unter allerlei Vor—
behalten zum Mitbefig zuließ, nie vollzogen. Die Thronrevo-
Iution in Böhmen und der Tod Chriftians II. ſchufen eine
neue Lage.
Dadurch gewann Johann Sigismund Zeit, die preußiſche
Sache endlih zu erledigen, König Sigismund II. wunſchte
ſelbſt die brandenburgiihe Nachfolge zu fihern. So waren
eigentlich nur noch finanzielle Schwierigkeiten zu überwinden.
Für die Stände kam neben ber Libertät namentlid die Kon—
feffionalität in Betracht. Vom Kurfürften um Unterftügung
feines Werbens um die Belehnung erſucht, verlangten die
Volnifh-Preußens, es folle im Herzogtum den Katholiken Reli:
gionsfreiheit, in Königsberg ein Grundftüd zum Bau einer
Kirche und für diefe 1000 Gulden jährlih gemährt werben.
308 Zweite Buch. Die erſte Hohenzollernfhe Staatögründung.
Im Herbft z0g der Kurfürft abermals nad Preußen; auf die
Meldung, daß ein Einverftändnis erzielt fei, ritt er von da mit
300 Gemwaffneten, welche die drei Städte Königsberg ftellten,
nad Warfhau. Am 6. November empfing er die Belehnung:
heimfehrend zog er am 26. in Königsberg feitlih ein. Im
April 1611 erſchienen dort polniſche Kommiflare, um die Anz
weiſung des Plages für die katholiſche Kirche zu überwachen
und die Eventualguldigung der Stände entgegenzunehmen, da
beim Erlöſchen der Hohenzollern Preußen an Polen fallen
ſollte. Auch die ftipulierte Einführung des Gregorianifchen Ka—
lenders im Herzogtum fand damals ftatt. Worin aber troß
der Zugeftändniffe an die Katholiken die Bedeutung des Vor—
ganges lag, lehrte der Proteſt des Papftes gegen die Belehnung:
es war endlich einmal ein Fortſchritt der evangelifden Sache
zu größerer Sicherheit. Es war zubem Fein Kleines, daß in
Preußen zuerft ein friedliches Nebeneinander der Konfeflionen
durchgeſetzt und das traurige Prinzip des „cujus regio, ejus
religio* durchbrochen wurde. Auch nahmen die Stände daran
weniger Anftoß als an des neuen Kurator Freundſchaft mit
den calviniftifhen Pfälzern und Oraniern. Ausdrüdlich ließen
fie fi) von Polen verbriefen, es jollten weder Calviniften noch
Wiedertäufer je im Lande geduldet werden. Selbſt die Kur:
fürftin Anna mißbilligte es offen, als Kurprinz Georg Wil:
helm nad) Heidelberg ging, die Ehe mit einer Pfälzerin an—
bahnte und in Cleve ſich eng mit Markgraf Ernſt verband,
der als der erfte feines Haufes zum reformierten Bekenntnis
übergetreten war, und rief im geheimen bes Kaifers Hilfe an.
Mußte diefes Luthertum Johann Sigismund nicht wie eine
Gefahr für die Zukunft feines Haufes erſcheinen? Und bald
follte ein anderer Vorgang die Unvereinbarfeit diefer Art von
Belenntnistreue mit einer zielbemußten Politik erweifen.
Die jülihihe Sache verſchlang fih immer mehr. Seit
Rudolf II. auch als Kaifer durch Matthias erfegt war, fuchte
man auf einem anderen Wege in Brag den beiden pofjedierenden
Fürften, die trog aller Differenzen noch zufammenbielten, bei-
zufommen und unter gejhidter Verſchiebung des Streitpunftes
der Fatholifchen Reaktion eine Handhabe zu bieten. Als viele
II. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 309
Evangeliihe aus Köln nah dem nahen Mühlheim im Ber-
gifchen überfiebelten und dies ſchnell hoben, erging auf Be:
ſchwerde der Kölner ein Faijerliches Gebot dagegen. Als die
beiden Fürften es ignorierten, wurde Erefution gedroht, die
mit Köln und Bayern Kurfachjen vollftreden jollte. Nun ver:
langte dieſes auf Grund bes Jüterbogker Vergleihs Zulaſſung
zum Mitbefig. Manche rieten Johann Sigismund nachzugeben.
Auswärtige Hilfe war weniger denn je zu hoffen. Der Aus—
bruch des nordifchen Krieges hatte die Parteiftellung völlig ver-
ſchoben. Dazu kamen innere Schwierigkeiten. In den Marken
ſowohl wie in Preußen fah man in der Steigerung feiner
Macht, welche die niederrheiniihe Erwerbung verhieß, eine
Gefahr für die Libertät, und die Stände Jülich-Cleves freuten
fi) des Proviforiums, während deffen fie ſich eigentlich ſelbſt
tegierten. Auch betonte man in allen drei Gebieten gerade
jegt das Indigenatsrecht, um die Angehörigen ber beiden anderen
von den Aemtern auszufchliegen. Eben das, was ein gemein-
james Eintreten für ihres Herrn Recht befördern mußte, das
Verwachſen der Marken, Preußens und der nieberrheinijchen
Lande zu einem einheitlichen Staatsweſen, wünjhten die Stände
zu verhindern. In diefer Bedrängnis rief der Kurfürft feinen
Bruder Johann Georg von Fägerndorf zu feiner Unterftügung
berbei.
Inzwiſchen trat Ende 1612, Anfang 1613 in Erfurt die
Kommiſſion zufammen, welche die At gegen Brandenburg
verhängen jollte, fam aber, weil dieſes ſelbſt fern blieb, nicht
zum Schluß: der nächſte Reichstag ſollte die Entſcheidung
bringen. Um jo dringender war für Brandenburg und Pfalze
Neuburg die Erneuerung guten Einvernehmens durch Begleihung
ihrer Differenzen geboten. Immer übler hatte ſich das Ver—
bältnis zwifhen Markgraf Ernft und Wolfgang Wilhelm ge:
ftaltet. Diefer klagte bitter über „beichwerliche Attentate”, mit
denen ‘ihm „zum Schimpf und zum Präjudiz” fortgefahren
würde. So plante man, wie es heißt, eine Ehe Wolfgang
Wilhelms mit Johann Sigiemunds Toter Anna Sophie,
ſchuf damit aber nur neuen erbitterten Streit. Der Neuburger
verlangte, daß ihm dazu alles Recht Brandenburgs auf Jülich:
310 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Stantögründung.
Gleve überlafien werde. Das erſchien dem Kurfürften zu viel.
Eine higige Diskuffion über Wert und Bedeutung der beider-
feitigen Anrechte entbrannte. Dabei fam wohl auch bes jungen
Pfalzgrafen zmweideutiges Spiel, fein Werben um die Hand
einer bayrifhen Prinzeffin zur Sprade: er mag dem Kurfürften
berausfordernd begegnet fein. Die Einzelheiten bleiben natür-
li dunkel, mögen aud nachträglich ausgefhmüdt und dra=
matifch zugefpist fein, um die jähe Wendung zu erklären, bie
nun folgte: aufbraufend jol Johann Sigismund dem jungen
Pfalzgrafen einen Backenſtreich verfegt haben.
Ob Sühneverfuhe gemadt find, willen wir nicht. Man-
chem konnte der Zwifchenfall fait wie ein abgefartetes Spiel
zwiſchen Pfalz-Neuburg und feinen neuen Freunden erſcheinen:
bald danad heiratete Wolfgang Wilhelm des Bayernherzogs
Toter und trat heimlich zum Katholizismus über. Hinfort
bereitete er Brandenburg auf Schritt und Tritt Schwierig:
feiten. Daß nad) des Markgrafen Ernft Tod ohne weiteres
der Kurprinz zum Statthalter ernannt war und einfeitig Er:
laſſe veröffentlicht hatte, follte ein Eingriff in feine Rechte
fein. Offenbar wollte er den Bruch. War er doch der Ligue
fier, und die Spanier Spinolas jtanden bereit zum Ein-
marſch. Was konnte man dem entgegenftellen? Zwar hatte
Johann Sigismund nad einer Beiprehung, die er in Halle
mit feinen Brüdern von Magdeburg und Jägerndorf, Mark:
graf Joachim Ernft von Ansbach und Landgraf Morig von
Helfen hatte, die Hilfe der Niederlande erbeten: aber die Zu—
ftände der Republif machten fie nicht wahrſcheinlich. Und nun
erneute des Kurfürften Chriftian II. Nachfolger, fein ver-
ſchlagener Bruder Johann Georg, die ſächſiſchen Anſprüche.
Zu ihm neigte der Magdeburger Adminiſtrator. Wie konnte
man da auch nur die Marken zu decken hoffen! Vergeblich
erbot ſich Johann Sigismund dem Dresdener Vetter zu neuen
Verhandlungen. Ohne Bürgſchaft eines befriedigenden Aus—
ganges wollte dieſer ſich auf nichts einlaſſen: hindere der Dort-
munder Vertrag feine Aufnahme in den Mitbeſitz, fo könne
Brandenburg ihm fein Recht auf Jülich ja durch anderweitige
Abtretungen abfaufen! Da half freilich fein verwandtſchaftliches
II. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 311
Werben. Kurſachſen wurde vom Kaiſer mit Jülich belehnt, und
Ende 1613 ſetzte dieſer einen legten Termin auf Oſtern 1614
an, um die Sahe endlich in eigener Perfon nad) jeinem Willen
zum Austrag zu bringen.
Von den Feinden umftellt, von den Freunden teils ver:
raten, teils im Stich gelafjen, ohne die Mittel zur Abwehr,
ſchien Brandenburg alles über fih ergehen laſſen zu müſſen.
In diefem Zeitpunfte, wo es ſich für fein Haus um Sein und
Nichtfein handelte, vollzog Johann Sigismund in Ausführung
eines längft in ihm auffeimenden, allmählich erftarkten und
im Moment der höchften Gefahr endlich gereiften Entfchluffes
den Uebertritt zum reformierten Belenntnis. Es war bie tapfere
That eines in ſchwerer Heimfuhung feinen Frieden ſuchenden
Gewiſſens, und wurde zugleich eine politifche That von größter
Tragweite, die den Wendepunkt bezeichnete in der Entwidelung
der hohenzollernſchen Staatsgründung.
So wenig allein politiſche Motive den Konfeſſionswechſel
Johann Sigismunds veranlaßten, und barunter namentlich nicht
die Abfiht, die reformierten Clever zu gewinnen, fo fier war
ihm dod die Politif überhaupt nicht fremd. Die Seelenftim=
mung, ber er entjprang, war mitbedingt durd die politiſchen
Verhältniſſe. Eine Entwidelung, die in der Stille längft im
Gange war, wurde zum Abſchluß getrieben durch die ſchwerer
denn je laftenden politiiden Sorgen. Es mag fein, daß bei
Wolfgang Wilhelms Konverfion die Abfiht mitwirkte, bie
großen katholiſchen Mächte zu gewinnen: Johann Sigismund
mußte, daß er durch ben Uebertritt zum reformierten Belennt-
nis nicht bloß die Zahl, fondern auch den Eifer feiner Gegner
vermehrte. Um fo fiherer trifft feine Angabe die Wahrheit,
er habe nur mit fich jelbft zum Frieden fommen und angejihts
ſchwerer Prüfungen im Gewiſſen Ruhe haben wollen. Die
Zweifel an der Heilsfraft des reinen Luthertums, die ihn feit
Jahren bewegten, mußten um fo quälender werden, je mehr
er ſah, wie feine Belenner auch der großen Zukunftsfrage
gegenüber, um bie ein Weltkrieg drohte, immer mehr in eine
Richtung gerieten, die mit dem wahren Geijte und Weſen ber
Reformation nichts gemein hatte, vielmehr den Einzelnen wie
312 ymeites Buch. Tie erite hohenzollerniche Staatsgrüntung.
die Gejamtheit nur das Natürliche und Notwendige zu thun
hinderte. Was feinem grübelnden Tenfen allmählich zur Ge—
wißheit geworben, das trat ihm nun in der Politif als ge—
ihichtlihe Thatſache überwältigend entgegen: das reine Luther-
tum, in deſſen Namen und zu deiien Ehre Kurſachſen ihn zu
Fall bringen wollte, war der geiftige Nährboden für alle Ten:
denzen des Stillftandes und des Rückſchrittes. Wie er als
Chriſt in der reformierten Lehre die Heilsgewißheit fand, die
er jegt weniger denn je miſſen mochte, io jand er als Staats-
mann und Fürſt bei den Reformierten die Eigenihaften ver—
einigt, die Rettung aus den anbrängenden Gefahren verhießen
— Einſicht, Thatkraft, entfchlofienes Vorwärts: und Aufwärts:
itreben, eine Fülle ſittlicher Araft, deren Mangel das Ber-
hängnis des Luthertums zu werden drohte, ſeit e8 im Buch—
itabenglauben erftarrt das Verftändnis für die Zeit umd ihre
Anforderungen verloren hatte. Mutig ftellte er für ih und
fein Haus und von da aus auch für jein Volf die Verbindung
zwiſchen Glauben und Leben, zwiſchen Religion und Politik
wieder her.
Entſcheidend dafür wurde, wie er ſelbſt bezeugt, der Auf
enthalt am Heidelberger Hof 1605, wenn auch erit Durch die Krifis,
die vorangegangen war. Von Jugend auf hatte feine feinfühlige
Natur die Art verlegt, wie die Vorkämpfer der Konkordien—
formel die Andersdenfenden verfegerten. Einer ber beftigften,
Simon Gedide, Hofprediger erft in Magdeburg und dann
Dompropft zu Berlin, war fein Religionslehrer. Johann Sigis-
mund hat nadmals geflagt, für jeine wiſſenſchaftliche Bil—
dung fei zu wenig gethan: in theologiſchen Dingen hat er das
nachzuholen geſucht. Mißtrauiſch gegen Gebides ſchmähende
Berichte über Glauben und Leben der Reformierten, ſtudierte
er ihre Werle und verglich ſie mit der Heiligen Schrift. Da
„gingen ihm die Augen auf“ und er „lernte die Wahrheit von
der Unwahrheit unterſcheiden“. Und nun traf er 1605 in
Heidelberg etliche von den Häuptern der Reformierten, fromme,
ernfte, tüchtige Männer, deren Leben ihrem Glauben entſprach,
voll Einfiht in die Weltlage und entfchloffen, ihr Dafein an
ihre Pflicht zu ſetzen. Innerlich traf er damals die Entſcheidung;
I. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 313
aber nicht bloß der Revers, durd den er fi auf des Groß—
vaters Verlangen dem Luthertum gelobt hatte (S. 300), und
feine eifrig lutheriſche Gemahlin hielten ihn ab alsbald über-
zutreten: auch die Scheu vor den politifhen Verwidelungen,
die daraus zu erwachſen drohten, zumal mit den eigenen Unter:
thanen. Unbemerkt freilich blieb feine Sinnesänderung nit:
mehr noch als der Vater wurde er calviniftiicher Neigungen
verdächtigt. Auch lehnte er die Entfernung ber Reformierten
aus feinen Rate ab; ja einer, Doktor Prudmann, genoß als
Kanzler fein höchſtes Vertrauen. Der eifrige Gedide machte
fein Hehl aus den Zweifeln an der Rechtgläubigkeit jeines ches
maligen Schülers, jo peinlich diefer fein Geheimnis wahrte und
feine Weberzeugung allein „aus dem Brunnen Israels ohne
einiger Menſchen Zuthun und Perſuaſionen“ ſchöpfte. Da nahm
fein Bruder Markgraf Ernft, der in Cleve jo trefflich Bewährte,
Pfingiten 1610 in Düffeldorf das Abendmahl nad; reformiertem
Braude und wiederholte das im Sommer 1613 zu Berlin in
der Stille mit zahlreihen Genoſſen, befannte fi aud bald
danach (18. Septeniber) auf dem Sterbebette zur reformierten
Lehre. Ueber jene Berliner Abendmahlafeier beſchwerte ſich
Gebide bei Johann Georg von Jägerndorf: fie fei gegen bie
den Ständen zugefagte Erhaltung der reinen Lehre.. Es feheint
faft, als ob das bei Johann Georg die Entfheidung beſchleunigt
habe: er trat am 2. September 1613 zum reformierten Bes
Tenntnis über. Und ſchon ergriff die Bewegung den Abel der
Mark und Preußens: hier ging der tapfere Fabian von Dohna
voran, dort der Statthalter der Altmark, Thomas von dem
Knejebed. Die Glaubenswächter fehlugen Lärm. Als Verführer
zum Abfall verſchrie man bie Hofprebiger Salomon Finf und
Martin Füßlin. Am 17. Oktober wurde Fink nad) der Predigt
von der Menge mit Steinen bedroht. Andere verfegerten den
Generalfuperintendenten Pelargus, weil er nicht rechtzeitig auf
Verteidigung bes Glaubens gedacht habe. Anfang Dezember 1613
richteten gar die Stände eine Vorftellung an den Kurfürften
und appellierten an feine Gemahlin Anna. Doch blieb nun
auch die Gegenpartei nicht unthätig, namentlich als 1613 Morig
von Heſſen, in ber jülichſchen Sache als Berater und Ver—
314 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
mittler bewährt, nad) Berlin fam. Zudem ließ die Verſchärfung
der politifchen Lage Johann Sigismund dringender ala je
wünſchen, endlich) des inneren Friedens teilhaftig zu werden,
Nube in feinem Gemiffen zu haben. Was ihn fonft treffen
modte: er hatte dann einen unverrüdbaren Grund in fi
jelber. So wurde beſchloſſen zu handeln — fein geringes Wag-
nis in jenem Augenblick.
Am Morgen des 18. Dezember 1613 verfammelte der
Kurfürft in Anmefenheit des Geheimen Rates jämtliche Prediger
der Hauptftadt im Schloß. Auf feinen Befehl eröffnete ihnen
der Kanzler Prudmann, was bevorftehe. Von der verheißenen
Erhaltung der lutheriſchen Lehre denke er nicht zu weichen, aber
nun möge man aud) ihm nicht vorſchreiben, was er ſich predigen
laſſen jolle. Das unzeitige Schreien auf den Kanzeln wurde
verboten, die Geiftlihen folten gute Beſcheidenheit gebrauchen,
alles zur Rebellion Dienliche vermeiden und alles zur Erbauung
Geeignete anftellen. Nach kurzer Beratung erwiderten die Geift-
lien durch Gedide, des Kurfürften Erklärung, er wolle bei
ber älteren Religion bleiben und Feine neue Lehre einführen,
beziehe fich ihres Wiffens doch eben auf die Konfordienformel.
Sie wollte der Kurfürft nie als verpflichtend anerkannt haben:
überhaupt gelten in Gottes Sache Feine Reverfe, wie auch Jo—
achims II. und Johann von Küftrins Beiipiel Iehre. Eine Ver:
ftändigung war nicht möglich: zwei Weltalter und zwei Welt:
anſchauungen ftanden einander gegenüber. Am erften Weih-
nachtsfeiertag (25. Dezember 1613) empfing er mit feinem
Bruder Johann Georg, Graf Ernft Kafimir von Naffau und
etlihen Geheimeräten und Ebdelleuten — im ganzen etwa
fünfzig — das Abendmahl nah reformiertem Ritus.
Mädtig war der Eindrud dieſes Vorgangs, tief die Er:
regung, die er weit über die Grenzen ber Mark hinaus ver-
anlaßte. Nach dem unheilvollen „eujus regio, ejus religio*, das in
Steiermark fo gut wie in der Pfalz angewandt war, erwartete
man nichts anderes, als daß aud der Marf alsbald der refor-
mierte Kultus aufgezwungen werden würde: eine Toleranz, wie
Johann Sigismund glei bei der erſten Mitteilung an bie
Berliner Prediger verheigen hatte, lag dem Denken ber Zeit
U. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 315
fo fern, daß fie in ihr nur den Ausfluß verwerflicher Lauheit
ſah und überzeugt war, mit dem Uebertritt jeien nur äußere
Vorteile erftrebt. Wilder denn je entbrannte der Eifer der
lutheriſchen Zionswächter: gegen die reformierten Geiftlichen,
gegen Johann Sigismund jelbft ergingen fie fi in Shmähungen,
welche die Menge zu unbefonnenen Thaten fortreißen mußten.
Dazu machte die Kurfürftin Anna aus dem Kummer über des
Gatten Abfall Fein Hehl. Gebuldig fah Johann Sigismund
dem wüften Treiben zu. Als aber Gedide einer erften bebenf:
lien Streitſchrift eine noch heftigere folgen ließ und in ber
Vorrede die frommen Herrfhaften beklagte, „die von den ges
heimften und vertrauten Dienern, die das Werk treiben und
das Spiel in Fäuften haben, ſchändlich Hinter das Licht geführt
und jämmerlich betrogen werben“, da riß ihm doch die Ge:
duld: er ließ den Heger am 23. Februar vor den Geheimen
Rat fordern und verbot am 24. Februar das Schmähen, Läftern
und Verdammen auf den Kanzeln; wer es nicht lafjen könne,
folle dahin gehen, wo es erlaubt jei.
Der Erfolg war zunächſt gering, benn die Eiferer, bie
dem heiligen Geifte nicht das Maul verbinden lafjen wollten,
waren ausmwärtiger Sympathien fiher: Gedide fand in dem
Abminiftrator von Magdeburg einen Fürfpreher und dachte
nicht an Abbitte oder Einlenfen, ſondern entwich nad Witten:
berg, wo man ihn ala Glaubenshelden feierte. Hatte doch
Kurfürſt Johann Georg, als ob er das Geſchehene nicht Fännte
oder nicht glaubte, noch am 1. Februar 1614 den Branden-
burger Vetter brieflich ermahnt, ſich dod ja nicht von der im
Römifhen Reiche „nachgelaffenen Religion” abzuwenden. Die
Abfertigung, die ihm darauf wurde, verftimmte ihn um jo
mehr, ala Johann Sigismund für das Verbot des Schmähens
von den Kanzeln fih auf feine Vorgänger Auguft und Chri:
ftian I. berufen hatte. Auch wurde Ende März 1614 auf einer
Bufammenkunft der Fürften zu Naumburg die Erbverbrüderung
der Häufer Sachſen, Brandenburg und Heflen feierlich erneut.
In den Marken aber ftieg die Erregung, da tendenziöfe
Entftellung das Urteil immer weiterer Kreife verwirrte. Dem
beſchloß Johann Sigismund endlich durch eine Darlegung feines
316 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Stantsgründung.
Glaubens Einhalt zu thun, das am 10. Mai 1614 erjchienene
„Belenntnis von jegigen unter den Evangelien ſchwebenden
und in Streit gezogenen Punkten“. Es war wohl jhon während
der Krifis als Rechenſchaftslegung vor dem eigenen Gewiſſen
entftanden und wurde jet veröffentlicht, um durch ruhige, ſach⸗
liche Darlegung die Differenzen zwiſchen Lutheranern und Refor-
mierten gegenüber der Menge bes Gemeinjamen in das rechte
Licht zu fegen. In der Lehre von der Perſon Chrifti, der Taufe,
dem Abendmahl und der Präbdeftination befannte er fi aus:
drüdlich zu der „evangelifdhereformierten” Kirche, „als welde
fi auf Gottes Wort allein gründe und alle menſchlichen Tra-
ditionen, jo viel möglich, abgeſchafft“ Habe. Aber fo feft er
von ihrer Wahrheit überzeugt ſei und diefe auch von feinen
Unterthanen erkannt zu fehen wünſche, fo wiſſe er doch zu gut,
daß der Glaube ein Werk und Geſchenk Gottes und niemand
über Gewiſſen herrſchen und Herr über den Glauben fein könne,
und wolle daher „zu diefem Bekenntnis feinen Unterthan öffent
lich oder heimlich wider feinen Willen zwingen, fondern den
Kurs und Lauf der Wahrheit Gott allein befehlen, weil es
nit am Rennen und Laufen, jondern an Gottes Erbarmen
gelegen fei”. Das war die feierlichfte Losfagung von dem „cujus
regio, ejus religio*. Nur daß die Gegner wenigſtens Frieden
hielten, verlangte er: die Unterthanen follten ſich des Läfterns,
Schmähens und Diffamierens enthalten und trog etlicher dog-
matijcher Differenzen in Frieden Ieben lernen. Damit die
Theologen ihren Standpunft einander in fachlicher Diskuffion
nochmals darlegten, jollte in feiner Gegenwart in deutſcher
Sprade ein Kolloquium gehalten werden. Die Berliner Geift:
lichen lehnten das jhließlih ab, und aud der neuen Behörde,
in der Weltlihe und Geiftlihe, Reformierte und Lutheriſche
gemeinfam die Landesfirhe nah dem Prinzip der Toleranz
und der Pietät leiten follten, verfagten fie fi. So wurde
der 1614 errichtete Kirchenrat gegen des Kurfürften Abficht
eine Vertretung allein der Reformierten, während er die Auf-
ſicht nicht bloß, fondern aud die Zurisdiftion über lutheriſche
Geiftlide üben follte. Die Folge war ein heftiger Kampf
zroifhen ihm und dem Konfiftorium, über den der Kirchenrat
U. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 317
ſchon nad wenigen Jahren (1618) wieder außer Wirkſam—
feit trat.
Klein genug blieb die reformierte Gemeinde im Dom.
Außer dem Kurfürften gehörten zu ihr etliche Geheimräte, wie der
Kanzler Prudmann, der Vizekanzler Daniel Matthias, Simon
Piftorius und der tapfere Thomas von dem Kneſebeck, der auch
fitterarifh in den Streit eingriff und die Märker an bie
Pflichten gegen ihren Heren erinnerte. Aber die Ruhe blieb
gewahrt. Neue Aufregung aber brachte im Januar 1615 ber
Zuſammentritt des Landtags zu Berlin. Er überreichte (20. Ja—
nuar) eine Beſchwerde über die firhliche Neuerung und ver:
langte Beftätigung der die reine Lehre verbriefenden Reverſe
auch durd den Kurprinzen, widrigenfalls er die geforderte
Kontribution zu verweigern drohte. Wieberholte beruhigende
Erklärungen blieben ohne Eindrud, und das Ergebnis der er:
regten Verhandlungen war ein neuer Sieg ber Libertät: in
einem Revers vom 15. Februar 1615 mußte der Kurfürft ge—
loben, nicht bloß niemand in dem Felthalten an der unver-
änderten Augsburgifchen Konfeffion und der Konkordienformel
zu flören, ſondern auch nirgends einen „verdächtigen und unan=
nehmlichen Prediger aufbringen”, das heißt jein Batronatsrecht
nit im Intereſſe feines Bekenntniſſes zu üben.
Gleich danach wurde er nach Preußen gerufen. Als Statt-
halter ließ jein Bruder Johann Georg am 30. März 1615
Kruzifize, Bilder und Altäre aus dem Dom entfernen. Das
gegen proteftierte am nächften Sonntag (3. April) Peter Stuler,
der Kaplan zu St. Petri, unter dem Beifall der Menge und,
wie es ſcheint, nicht ohme Billigung der Kurfürftin, und jprengte
hinterher aus, er jolle dafür gefaßt werden, während er un=
gehindert die Stadt verließ. Da erhob fi am Montag abend
(4. April) die Maſſe, die Häufer der reformierten Hofprediger
Füßlin und Fink zu ftürmen. Der Statthalter eilte herbei,
aber die Menge wich nit; als einer von bes Statthalters
Leuten irrtümlich feuerte, ftürmte fie an. Schwer bedroht,
mußte der Marfgraf weichen, Füßlins Haus wurde geplündert,
und faft wäre am nächſten Tage dem Kanzler und den übrigen
Hofpredigern ein Gleiches gejchehen. Aber Prudmanns Energie
318 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
und die Drohung mit der Verlegung der Refidenz, die Berlin
freilih ruiniert haben würde, rüttelte den Rat aus feiner
zweibeutigen Untbätigkeit und zur Herftellung der Ordnung
auf. Nun beeilten fih auch die Stände, das Gejchehene zu
bedauern. In einer jhriftliden Erklärung mußten Räte und
Bürger von Berlin und Kölln dasfelbe thun. Stuler wurde
des Landes verwiejen.
Der Kurfürft war währenddeſſen in Preußen. Bebrohlicher
noch als in der Mark geftalteten ſich dort zunächſt die Folgen
des Konfeffionswechfele. Der Hauptagitator war ebenfalls ein
Hofprebiger, der Profefjor der Theologie Johann Behm. Er
hatte an feine lieben Landsleute „die treuherzige Warnung“
gerichtet, „fih vor der verdammlichen Zwingliihen und Cal:
viniftifhen Sekte” zu hüten. Dazu kamen ſtaatsrechtliche Be:
denken: 1612 war beftimmt, fein Galvinift bürfe im Herzogs
tum ein Öffentliches Amt befleiden. Konnte danad) die Herr:
ſchaft an einen jolden fommen? Der Sturmlauf, der alsbald
gegen die zu Aemtern gelangten Reformierten, namentlich bie
Brüder Friedrih und Fabian, Grafen zu Dohna, begann, von
denen erfterer Landhofmeifter, legterer Landeshauptmann war,
galt eigentlich dem Kurfürften. Seine Erklärung, er halte
wie feine Glaubensgenoffen an der Augsburgiſchen Konfeffion
feft, machte ebenſowenig Eindrud wie das Verſprechen unver:
kürzter Glaubensfreiheit auch für die Lutheraner. Das Ver—
bot des Streitens und Schmähens galt als Eingriff in die
Landesrechte. Man redinete dabei auf Polen: dort geboten die
Jeſuiten, und König Sigismund war der Schwager bes Erz
berzogs Leopold, der Jülich-Cleve erftrebte. Deshalb eilte der
Kurfürft im Frühjahr 1615 felbft herbei. Sofort trat bie
Oppofition leifer auf: fogar einen Teil des geforderten Geldes
bewilligten die Stände gegen das Verſprechen, in geiftlichen
Dingen feine Neuerungen weiter -vorzunehmen. Die Berufung
des Landtags aber lehnte Johann Eigismund ab: er mußte,
weſſen er fi von -ihm zu verfehen hatte. So wandten fi)
die Stände damit an den polnischen Zehensherrn, und im No:
vember trat der Landtag zujammen. Auf feine Beſchwerde
annullierte im Sommer 1616 ein föniglihes Mandat das Ver:
U. Die Erwerbung Cleved und Preußens. 319
bot des Läfterns und Scheltens von der Kanzel und ſchloß von
den öffentlichen Aemtern alle aus, die nicht entweder Katho—
lifen oder Bekenner der unveränderten Augsburgiſchen Kon:
feifion wären.
Während jo in Brandenburg und Preußen der konfeſ—
fionelle Kampf tobte, dort die Landesherrſchaft gebemütigt,
hier überhaupt in Frage geftellt wurde, war der Arieg in
Yülih-Cleve ausgebrochen. Seit jeines Vaters Philipp Ludwig
Tod (Auguft 1614) Haupt feines Haufes, ſchlug Wolfgang
Wilhelm gegen den Mitbefiger einen Ton an, der die Abſicht
des Bruches verriet. Seinen Rat beherrichten zweibeutige Fatho-
liche Heger: Kurprinz Georg Wilhelm follte zu jung jein, um
neben ihm zu ftehen Beide waren voreinander auf der Hut.
Da nad dem Dortmunder Vertrag die gemeinfam bejegten
Plätze auch von den Fürften nur gemeinfam betreten werben
follten, verweigerte der Kommandant von Zülih dem Pfalz:
grafen den Einlaß. Diefer rüftete. Der Kurprinz verftärkte
feine Leibwahe und erbat die Hilfe der Niederlande. Die
Ausmweifung feiner Truppen aus Jülich beantwortete Wolfgang
Wilhelm mit der der brandenburgifhen aus Düffeldorf. Nun
rüftete der Kurprinz. Da bejegten die Niederlande Jülich und
baten Franfreih, England, Köln und Pfalz, mit für die Er:
haltung des Friedens einzutreten. Ein Kongreß in Wefel ver-
mittelte: die Niederländer wollten Jülich räumen, ſobald der
gemeinſame Beſitz hergeftellt oder das Land einer neutralen
Macht übergeben werde. Aber jchon hatte bie katholiſche
Partei auf einen anderen Rechtstitel hin die Aktion begonnen
Die Acht gegen Mühlheim und- Aachen zu vollitreden, eilte
Mitte Auguft Spinola als „kaiſerlicher ſubdelegierter Kom:
mifjarius” ins Land. Aachen, wohin der Kurprinz 400 Mann
geworfen, ergab fi am 26. Auguft. Dann wurde Düren be
fest, bei Köln der Rhein überjhritten und Mühlheim ent:
feftigt. Dort ftieß der Pfalzgraf mit 5000 Mann zu den Spa-
niern. Aber ftatt ſich mit ber Volftredung der Faiferlichen
Mandate zu begnügen, rüdte Spinola auf Wefel: am 6. Sep-
tember wurde er ohne Schwertfireich Herr des Platzes, der den
Niederrhein beherrichte.
320 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
Dem Eonnten die Niederlande nicht unthätig zujehen. Im
September bejegte Morig von Dranien Emmerich und Rees,
von Nimmwegen aus rüdten Truppen ber Republif in Goch,
Gennep und Ravenftein ein. Nochmals tagte im Oftober in
Xanten ein Friedenskongreg: neben Brandenburg und Pfalz:
Neuburg waren Spanien und die Niederlande, Frankreich, Eng:
land und Köln vertreten. Die in dem gemeinfamen Befig
liegende Gefahr immer neuen Haders zu befeitigen, teilte er
das Land am 10. November 1614 fo, daß Gleve, Mark,
Navensberg und Ravenftein an Brandenburg, Jülich und Berg
an Pfalz:Neuburg kommen follten. Gebeſſert wurde damit
nichts: nad) wie vor beanſpruchte der Kaifer die oberftrichter:
liche Entſcheidung, und die Spanier behaupteten die bejegten
Plätze. Mit ihrer Hilfe wollte die fatholifche Partei jegt den
entſcheidenden Schlag führen, die Evangelien aber blieben
uneinig und unthätig. Johann Sigismund begriff den Ernft
der Lage: mit dem evangelifhen Glauben ftand die deutſche
Freiheit auf dem Spiele, „die beiden höchften und köſtlichſten
Kleinodien“. Ales wollte er an ihre Verteidigung jegen. Wer
aber half ihm? Die Union fürchtete, griff fie zu den Waffen,
die Gefahr nur zu fteigern, namentli für Kurpfalz. England
hatte nur Worte, Dänemark empfahl die Hilfe des Kaifers
anzurufen, Kurfachien leugnete jede böfe Abficht der katholiſchen
Partei und lehnte die erbetene Zuſammenkunft als nutzlos ab,
folange man fi nicht vorbehaltlos dem Kaifer beuge. Die
Stände der Marf erneuten ihre Beſchwerden und jahen in der
hereinbrechenden Bedrängnis die Strafe des Himmels für den
Abfall vom rechten Glauben. In Preußen aber wühlte die
lutheriſche Hegerei alle Leidenſchaften auf: wenn Polen zugriff,
war die Nachfolge für Brandenburg verloren. Nochmals eilte
der Kurfürft daher im Herbſt 1616 dorthin. Daß er am
20. Oktober in feinen Gemächern reformierten Gottesdienſt
halten ließ, fteigerte die Erregung. Ein neuer Ausbrud der
lutheriſchen Unduldſamkeit erfolgte, als er Oftern 1617 das
Abendmahl reformiert empfing. Wieder tobte der ftreithare
Behm von der Kanzel der Schloßkirche gegen das calviniſtiſche
Brotbreden und bezichtigte den Kurfürſten jündhafter Ver—
II. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 321
legung der Landesverfafjung, drohte mit dem Zorn Gottes und
betete, daß er dem Teufel wehren möge — um, zur DVerant:
wortung gezogen, zu erflären, nur aus pflichtſchuldiger Liebe
zum Rurfürften habe er jo gefprohen! Auf neue ftändifche
Beſchwerden erjhienen im Mai 1617 wieder polnifche Kom:
miffare. Sie erneuten die dem Haß gegen die Reformierten
entfprungenen Beftimmungen von 1612: reformierte Prediger
folten hinfort als Friedensftörer gelten. Die maßvolle und
milde Verteidigung, die der Kurfürft im Sommer 1617 ver=
öffentlichte, gab den Königsberger Theologen neuen Anlaß, in
ihrer Gegenſchrift das Licht ihres reinen Glaubens leuchten zu
laſſen. Auch hier erlitt die landesherrliche Autorität und mit
ihr die evangeliihe Toleranz eine ſchwere Niederlage. Der
Untergang des Kurhaufes ſchien kaum noch abwendbar. Wer
wollte Matthias hindern, wie er gedroht, die Kur und bie
Kurlande Johann Sigismund abzufprehen und dem Abmini-
ftrator von Magdeburg, Chriftian Wilhelm, zu verleihen, der
unlängft eine braunſchweigiſche Prinzefiin geheiratet? Nun
drohte gar das Kaijertum Ferdinands von Steiermarf. Und
dabei hatte Johann Sigismund über den jülichſchen Streit
die Belehnung mit den böhmifhen und fchlefiihen Lehen noch
immer nit nachgeſucht. Auch das ließ ſich jegt gegen ihn
wenden. Nochmals warb er bei der Union um Hilfe zur Wieder:
eroberung der niederrheiniſchen Gebiete: doch erſt wenn bie
Spanier weiter um ſich griffen, wollte fie mit den Nieder:
landen einſchreiten, verlangte aber von ihm zur Strafe für die
Nichtzahlung jeines Beitrages deifen doppelten Betrag. So ſchied
er aus. Um jo freudiger überrajchte ihn die plögliche Verſöhn—
lichkeit Kurſachſens, dem die Thronwerbung des Steiermärkers
doch Bedenken erweckte. Der junge Pfälzer Kurfürſt vermittelte
einen Vergleich, der Kurſachſen einſtweilen den Mitbeſitz in Jülich
einräumte. Vollzogen konnte er nicht werden, da Wolfgang
Wilhelm erklärte, er ſei vertragsmäßig verpflichtet, die Päſſe und
Feſtungen des jülichſchen Landes den Spaniern offen zu halten.
Da durchkreuzte des jungen Schwedenkönigs Guſtav Adolf
ſiegreicher Angriff auf Polen die Entwürfe der katholiſchen
Reaktion. Durch Moritz von Heſſen bot er dem Rurfücften ein
Pruß, Preugiige Geſchichte. 1.
322 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
Bündnis: fo wurde diefer zunächft Preußens verfichert. Denn
Brandenburg Schweden fernzuhalten, war Polen plöglich zu
allem bereit. Das Herzogtum wurbe ber feite Punkt, auf den
bie ſchwer bedrohte Zukunft der Hohenzollern ſich gründen ließ.
Und auch die Gefahren, die in Cleve und felbft in der Mark
gedroht hatten, zerftreute im Frühjahr 1618 der Ausbruch des
böhmischen Aufftandes.
Es war eine glüdlihe Fügung, daß eben damals das trübe
Lebenslicht Albrecht Friedrichs erloſch. Eine neue ſchwere Er-
franfung besjelben rief Johann Sigismund im Frühjahr 1618
nad Königsberg. Auch den Kurprinzen beſchied er dorthin.
Zwar unterliegen die murrenden Stände jeden Empfang. Aber
ändern konnten fie nichts mehr, jeit der Schwebenfönig jeden
Augenblid zum Schu der brandenburgiſchen Nachfolge im
Lande ftehen konnte. So wurde weder von den preußifchen
Ständen no von Polen ein Verſuch gemacht, Johann Sigie-
mund von der Nachfolge im Herzogtum auszufchließen, ala am
27. Auguft 1618 Albrecht Friedrich ftarb. Von Preußen aus
ließ fih nun die Mark retten, Cleve vieleiht gewinnen. Es
galt den Augenblick entſchloſſen zu benugen und die neuen
Kombinationen raſch zu verwerten. Im Oktober war die fur-
fürftlihe Familie wieder in der Mark. Der junge Schweden:
fönig erichien zu Berlin. Seine Verlobung mit des Kurfürſten
Toter Marie Eleonore follte das Bündnis mit Brandenburg
befiegeln. Doch war man nit einig. Der Kurprinz wünſchte
den Anſchluß an Polen. Diejer Zwieipalt wurde noch weiter-
hin verhängnisvol. Ende des Jahres fam der Kurfürft wieder
nad Preußen, um Albrecht Friedrich zu beftatten. Dabei traf
den jeit Jahren Kränfelnden ein Schlaganfall, der eine teil-
weife Lähmung zur Folge hatte. Erſt Mitte Mai 1619 konnte
er die Rüdreife antreten.
Schwere Sorgen ftürmten auf ihn ein. Der Tod Kaiſer
Matthias’ (20. März), Mährens und Ungarns Anſchluß an
den böhmischen Aufftand, die Wahl des Pfälzer Kurfürften zum
König von Böhmen (26. Auguft) und die durch Kurſachſen er—
möglichte Erhebung Ferdinands von Steiermark auf den Thron
bezeichneten den Beginn des feit Jahren drohenden Religions:
M. Die Ermerbung Cleves und Preufens. 323
krieges. Welde Anforderungen ftellte er an Brandenburg!
Und dazu der Trotz der auffäffigen Unterthanen in ber Mark
ſowohl wie in Preußen, wo das Schmähen der fegerifhen
Regierung fortdauerte. Um jo lodender erichien die ſchwediſche
Allianz. Guſtav Adolf verlangte eine raſche Entſcheidung und
Beichleunigung der Hochzeit mit Marie Eleonore. Er wollte
felbft dazu nach Berlin kommen. Unter Hinweis auf des Ger
mahls Zuftand erbat die Rurfürftin Aufſchub. So blieb alles
offen. Und Johann Sigismund felbft fühlte ſich der Laſt ber
Regierung nicht mehr gewachſen. Troß ungeminderter geiftiger
Friſche fehnte er fi nah Ruhe. So legte er am 12. No—
vember 1619 die Regierung zu gunften feines Sohnes nieber.
Er räumte das Schloß und zog in das Haus feines geheimen
Kämmerers Anton Freytag. Nur wenige Wochen erfreute er ſich
der Ruhe: bereits am 23. Dezember verjchied er, voll Zuver:
fiht auf jeinen jo viel geihmähten Glauben, wie jelbft feine
eifrige Iutherifche Witwe den preußiihen Ständen gegenüber
zu bezeugen für nötig hielt.
II. Bollendung und Bankeroff des ſtändiſchen
Regiments unter Georg Wilhelm.
1619—1629.
Eben zweiundzwanzigjährig (geb. 3. November 1597)
folgte Georg Wilhelm dem Vater. Nicht unbegabt und bemeg-
lichen Geiftes, entbehrte er doch des inneren Halte. Seine ober:
flählihe Natur Fannte weder das ftrenge Pflichtgefühl noch das
empfindliche Gewiſſen, die jenen aud) in der höchſten Bebräng-
nis richtig geleitet hatten. Paſſiven Wejens, ging er Kon:
fliften gern aus dem Wege und fuchte, wo es eine Entſcheidung
galt, Deckung durch fremde Autorität. Die ſittlich erhebenden
Wirfungen des reformierten Bekenntniſſes waren ihm fremd.
Ja, er fam zu der eigentlich mönchiſchen Summe aller Weisheit:
Qui semper moritur, nunquam moritur. Nur lebte er nicht ba=
nad, mochte er auch gelegentlich wie ein Bußprediger das Elend
der Zeit als Strafe Gottes für die Sünden eines entarteten
Geſchlechts verfünden. Wohl erfahte ihn zuweilen Sorge vor dem
Urteil der Nachwelt: aber über eine neue Livree, ein hübſches
Pferd und ein paar Windhunde jchlug er fich ſchnell alles aus
dem Sinn und verfiel wieder der bequemen Gewohnheit eines
mit nihtigen Dingen ausgefüllten höfiſchen Dafeins. Gefteigert
murbe dieſe moraliſche Schwäche durch entnervenbes körperliches
Siehtum. Zur Zeit der Geburt feines Nachfolgers erlitt er
eine Verlegung bes einen Schenkels, die nie verheilte und feit
1631 auch das andere Bein in Mitleidenfchaft zog, jo daß er
fih in der Sänfte tragen laffen mußte, — mwährend alles in
Waffen ftarrte und die Krieganot oft ſchnellen Ortswechſel nötig
madte. Und diefer Dann jah ih nun immer wieder vor Ent=
ſcheidungen geftellt, bei denen alles auf dem Spiele ftand. So
geriet er in eine Politif der Halbheiten und der Widerfprüche,
I. Vollendung und Banferott des ſtändiſchen Regiments. 325
während e& damals vor allem entichloffen Partei zu nehmen
galt und nur eine feite Hand und ein klarer Blick das locker
gefügte Fahrzeug Brandenburg: Preußens einer gefiherten Zus
kunft zufteuern konnte.
Daß Georg Wilhelm auch die Glaubensſicherheit des Vaters
fehlte, wurde ihm von ſeinen Unterthanen faſt verdacht. Kon—
feſſioneller Eifer war die Leidenſchaft der Zeit: daß Johann
Sigismund in dem reformierten Glauben zugleich ein politiſches
Prinzip vertrat, hatte auch auf die Gegner Eindruck gemacht.
Jetzt meinte das orthodoxe Luthertum jeder Rückſicht überhoben
zu ſein. Der eifernden Konfeſſionalität aber verband ſich die
Libertät, die leichten Herzens an den Landesverrat ſtreifte. Um
die Calviniſten loszuwerden, liebäugelte fie mit dem recht—
gläubigen Kurſachſen. Im kurfürſtlichen Hauſe aber fand dies
ſtarre Luthertum in der Kurfürſtin-Witwe eine Vertreterin,
die ſeinen Sieg auch um die Zukunft der Dynaftie zu erfaufen
bereit war. Wenn Anna ihres Gatten Leiche nad) „lutheriſchem
Brauche” ausftellen ließ — mit Kruzifir und Rauchwedel in
den Händen, darauf das Jeſuszeichen, „wie es bie Papiften
brauden“, in Edelfteinen —, ſchien das eine Beſtätigung des
Gerüchts, der Verftorbene fei auf dem Sterbebette zum Luther-
tum zurüdgelehrt. Sie ließ den Lutheraner Doktor Meifner aus
Wittenberg im Schloffe prebigen und den Himmel um Belehrung
des jungen Herrn anrufen. Vom Statthalter deshalb aus:
gewieſen, kehrte Meißner mit dem zur Kondolenz erſcheinenden
Kurfürften von Sadjen zurüd und erneute feine aufreizenden
Predigten. Ya, hochverräterifhe Pläne jpann Anna mit dem
ſächſiſchen Schwager und einer von Jefuiten geleiteten pol:
niſchen Geſandtſchaft: ihr zweiter Sohn, der lutherifche Joachim
Sigismund, follte, mit einer kurſächſiſchen Coufine verheiratet,
Zülich-Cleve, Kurfachfen aber Preußen erhalten.
Und dabei ftanden jelbft die Marken auf dem Spiel!
Verfuhte Sachſen im Einverftändnis mit dem Kaifer und der
Kurfürftin Witwe und getragen von den kirchlichen Sympathien
der Bevölkerung feine Pläne zu verwirklichen — es fehlten
alle Mittel zur Abwehr. Die alte Lehenkriegsverfafiung war
aufgelöft, von perſönlichem Dienft weder beim Adel noch bei
326 Zuweites Bud. Die erfte hohenzollernfhe Staatögründung.
den Bürgern die Rede. Nur mit Söldnern ließ fih helfen.
Da ſchien es denn freilich ein Erfolg, wenn die Stände das
von ber Regierung vertretene Prinzip gelten ließen, daß, wer
bisher perſönlich für die Verteidigung des Landes eingetreten,
nun für die Erhaltung berer zu forgen habe, die das ftatt
feiner leifteten, und die Ritterfhaft die Mittel für 300 Reiter
und die Städte für 1000 Mann zu Fuß auf drei Monate be:
willigten. Aber um welhen Preis war das erfauft! Der
Landtagsrezeß vom 1. Mai 1620 gab den Ständen Anteil an
der Leitung des Kriegsweſens: von vier durch fie präfentierten
Deputierten follten immer je zwei drei Monate am Hofe weilen,
um gemeinfam mit ben fürftliden Kommiſſaren die Kontrolle
über die Söldner zu führen. Hinfort ritten ihre Muſterkom—
mifjare neben denen bes Kurfürften an den Werbe und Sam-
melplägen auf, und ihre Vertreter organifierten und übten zu—
ſammen mit den Haupt: und Amtleuten die Miliz. Sie ſchlugen
dem Kurfürften ihre Standesgenofien zu Offizieren vor, und
vom Oberften hinab bis zum geringften Söldner wurden alle
neben dem Kurfürften auch ihnen verpflichtet. Alſo jelbft die
Kriegshoheit des Landesheren ftand hinfort unter der Aufficht
der Stände! Zu jeder militärifhen Maßregel bedurfte es ihrer
Zuftimmung. Hielten fie damit nit die Waffe in der Hand,
die der auswärtigen Politit allein Nachdruck verleihen konnte?
Bald folte auch ihre Leitung an die Stände und deren Ver-
treter kommen.
Der Rezeß vom 1. Mai 1620 enthielt bereits das ganze
Verhängnis, dem Georg Wilhelm verfallen follte. Vieleicht
hätte ein thatkräftigerer Fürft in einer Zeit, wo jeder Tag die
Notwendigkeit eines ftehenden Heeres erwies, von bem prin=
sipiellen Zugeftändnis jenes Rezeſſes aus eine beſſere Pofition
gewonnen. Dazu bedurfte e& freilich einer Finanzverwaltung,
deren Sparjamkeit den Ständen die Handhabe zur Durchſetzung
neuer Zugeftändniffe entzog. Aber zu der böfen Erbſchaft, die
er da angetreten, fam Georg Wilhelms leihtfertige Sorglofig-
keit in Geldfahen. Im Hofhalt wurde jo darauf losgemirt-
ſchaftet, daß der treue Prudmann Einſprache erhob, natürlich
vergebens. Zerrüttend wirkte dann der Krieg, Das Silber
III. Vollendung und Banferott des ftändifhen Regiments. 327
ftrömte aus den Lande, das die Nachbargebiete mit den elen-
beiten Geldforten überſchwemmten. Die Steigerung bes Silber:
wertes auf das Fünffache verfünffachte die Verlegenheiten der
Öffentlichen Kaſſen. Als aber etliche von diefen die wertlojen
Scheidemünzen abwieſen, drohten die armen Leute mit Gewalt.
Um fo mehr hing von dem Gange der Dinge in Preußen
ab, beim Tode Johann Sigismunds dem einzigen Teidlich
fiheren Stüßpunft des Hohenzollernhaufes. Georg Wilhelm war
ein Gegner des Bündniſſes mit Schweben: er wollte Preußen
durch die Vermählung feiner Schmwefter mit dem polnifchen
Thronerben fihern. Wie wenig verftand er die polnifche Politik
und ben Eifer der preußifhen Stände für Libertät und Luther—
tum! Zudem arbeitete ihm auch hier bald bie eigene Mutter
entgegen, um das Herzogtum ihrem zweiten Sohne, Joachim
Sigismund, zuzumenden. Teilte fie den von König Sigis-
mund III. gebilligten Standpunkt der preußifhen Oppofition,
in Preußen fönne ein Neformierter fein Amt bekleiden, alfo
auch nicht Herzog fein? Als Georg Wilhelm 1620 nach Königs:
berg fam, erklärten die Stände, vor Belehnung und Huldigung
dürfe er fi) im Lande überhaupt nicht bliden laſſen, und darauf:
hin widerrief der König die vorläufige Betätigung, die feine
Kommifjare bewilligt hatten. Nun reiten die Stände eine
lange Reihe von Beſchwerden ein, von deren Abſtellung Be:
lehnung und Huldigung abhängig gemacht werben jollten. Gleich-
zeitig drohte die Vermählung Marie Eleonorens mit dem
Schwedenkönig, welche die Kurfürftin-Witwe betrieb, jede Ver-
ftändigung mit Polen zu hindern. Und doch mußte man fie
erreihen, um irgendwo feften Fuß zu fallen. Denn wenn
Brandenburg die Gelder nicht zahlte, die der oberſächſiſche
Kreis feinen Gliedern für bie Unterflügung des Kaifers in
Schlefien auferlegt Hatte, drohte Kurſachſen in die Marken ein:
zufallen. Der Kaiſer aber wollte die brandenburgifchen Lehen
in Schlefien und der Laufig an fi bringen. Nun machte
Polen die Belehnung mit Preußen von ganz ungewöhnlichen.
Leiftungen abhängig — Hilfe gegen die Türken, Zahlung von
30000 Gulden, Vermehrung ber katholiſchen Kirchen, Ver-
eidigung aller preußiſchen Beamten für den König und anderes
328 Zuweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
mehr. Schließlich aber entichieden dort neben den klingenden
Argumenten doch diefelben Erwägungen wie früher zu gunften
des Kurfürften. Im September 1621 wurde Georg Wilhelm in
Warſchau belehnt. An Verweigerung der Huldigung dachte nun
niemand mehr.
Das Bündnis mit Schweden war aufgegeben, die Unter-
fiügung der Glaubensgenoſſen in Böhmen und Schlefien unter:
blieb, und wie den Pfälzer überließ man den tapferen Jägern-
dorfer Vetter Johann Georg, der geächtet von Land und Leuten
floh, feinem Schidfal. Das war ganz nad) dem Sinn der Märker,
die ihren heiligen Abſcheu vor dem reformierten Pfälzer un—
zweibeutig bethätigten, ala etwa 4000 Engländer, meift Ge:
findel und faum bewaffnet, die Oberft Grey für Friedrih V.
geworben hatte, an der unteren Elbe gelandet waren und, da
Medlenburg fie nicht paffieren ließ, durd) die Mark nach Böhmen
ziehen wollten. Bon einem Kommiſſar des Geheimen Rates ge:
leitet, rafteten fie in Spandau. Da hieß es in Berlin, mit
ihnen wolle der Jägerndorfer die Stadt für den Aufruhr von
1615 züchtigen und reformiert mahen. Ende Juni waffneten
fi die Bürger, fperrten die Thore, ſetzten alles in Verteidi-
gungszuftand und bedrohten in ihrem lutheriſchen Eifer auch
den Kanzler Prudmann. Nur mit Mühe wurde die Ruhe her-
geftelt, während die Engländer, denen bei dem Kriegslärm
in der Hauptftabt gar nicht recht geheuer war, nach der Lauſitz
und Böhmen zogen.
Die Märker wünfchten eben dem „gottlofen Calvinismus”
in Böhmen den Untergang und rechneten für ben Fall der
Not weniger auf den reformierten Landesheren und feine refor-
mierten Räte, als auf den rechtgläubigen ſächſiſchen Kurfürften.
Jubelnd begrüßten fie die Kataftrophe am Weißen Berge. „Hier
ift,“ meldete Prudmann dem Kurfürften nad) Königsberg, „ein
ſolches Frohloden unter dem gemeinen Haufen, Schnauben und
Schnarchen dabei, daß ed nicht auszusprechen if.“ Es war
dem Kurfürften daher fehr unbequem, daß Friedrih V. für
feine Gemahlin, die ihre Niederfunft erwartete, Aufnahme in
Küftrin oder Spandau erbat. Aber trog der Ausflüchte, die der
Geheime Nat ihm an die Hand gab, mußte er „das officium
III. Vollendung und Bankerott bes ſtändiſchen Regiments. 329
humanitatis” bewilligen. Nun hielten die Flüchtlinge in ihrer
forglofen Art bald pruntvoll Hof. Bitter klagten die Küftriner
über die dadurch veranlaßte Teuerung. „Ale Winkel auf den
Türmen und unter den Dächern,“ fo wurde gemeldet, „Steden
vol englifcher Frauenzimmer,” und fogar die auf des Kur-
fürften Befehl ihm ſelbſt vorbehaltenen Zimmer wurden von
den Gäften geöffnet und in Gebraud genommen.
Das fteigerte den Haß der Märker. In der Züchtigung,
die der Kaifer über Böhmen und Schleſien verhängte, fahen
fie ein Gottesgeriht zu gunften ber lutheriſchen Orthoborie.
Daß die Laufig Sachſen huldigen mußte, galt als Bürgichaft
für die Fernhaltung bes Kriegsſchreckens. Was gingen dieje
Leute die reformierten Hohenzollern an? Mochte Georg Wil-
helms Proteft gegen die Beraubung feines Jägerndorfer Vetters
ungehört verhallen, mochte der Kaifer ihn höhniſch auf den
reihen Erſatz hinweiſen, ber feiner in Pommern wartete: —
ihr Ideal abjoluter Neutralität verwirklicht zu fehen, er-
zwangen bie märkiſchen Stände bie Entlafjung ber Iegthin ge-
worbenen Truppen durch Verweigerung der nötigen Mittel.
Schließlich zählte die ganze kurfürftliche Wehrmannſchaft nod
230 Mann, je 100 als Beſatzung in Küftrin und Peitz und
30 in Spandau.
Wohl fühlte Georg Wilhelm die Schmach diefer Lage, aber
zu einem tapferen Entſchluß fand er nicht die Kraft. Selbft
als die feinem Schwager abgefprodhene Kur Marimilian von
Bayern erhielt, begnügte er fih mit einem ohnmädtigen Pro:
teſt. Doch fehlte es am Hofe auch nicht an Leuten, bie zum
Handeln rieten. Das thaten neben dem bewährten Levin von
dem Kneſebeck und dem tapferen Samuel von Winterfeld nament-
lich die Kurfürftin Elifabeth Charlotte und ihre Mutter Luife
Juliane, des großen Dranierd Tochter, die man troß aller
ängftlihen Rüdfiht am Hofe dulden mußte. Alfo auch hier ein
Zwieſpalt, der die geiftigen und fittlihen Kräfte lähmte.
Und die Stände haderten aus Anlaß der Finanznot. Eine
Befteuerung der Raufmannswaren, namentlid der Seiden- und
Wolfabrifate, jolte die Mittel zur Schuldentilgung ſchaffen.
Der Adel ftinımte zu, die Städte aber verlangten, daß zuvor
330 Zweited Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
die aufzubringenden Summen nad ihren Wünſchen auf die
Stände verteilt würden. So gefhah überhaupt nichts, aber
die 200—300 Söldner, die man zufammengebradht, wurden
doch nicht entlaffen, weil man fie nicht ablöhnen konnte. Dabei
war das Land vom Krieg noch unberührt und erfreute ſich be—
bäbigen Wohlſtandes. Dennoch weigerten die Städte aud im
Herbft 1622 die Uebernahme der üblihen zwei Drittel von
dem zur Landesverteidigung Bewilligten. So ftand man bald
vor dem Staatsbanferott. Schon verflagten ungebuldige Gläu—
biger den Kurfürften felbft und drohten mit dem Reichafammer:
gericht. In den Kafjen fehlte das Silber zur Münzprägung.
Da verpachtete er das Münzrecht auf drei Jahre an die Stände:
nur jollten ale von ihnen geſchlagenen Stüde fein Bild und
die von ihm geführte Legende zeigen. Unter notdürftiger Wah—
rung bes Scheins ging fo wieder ein Hoheitsrecht auf die Stände
über. Was war an folden überhaupt noch im Befig Georg
Wilhelms?
Und nun wuchs bie auswärtige Gefahr! Die Willfür des
Kaiſers bedrohte alle Reichsfürſten. Selbft Kurfachfen weigerte
wie Brandenburg die Anerkennung der bayrijgen Kur. Dabei
dauerte der Krieg am Niederrhein fort. Die Spanier nahmen
1622 das Schloß Jülih und befegten nad Tillys Sieg bei
Stadt Loon (6. Auguft 1623) Ravensberg und Berg. Die
Niederlande thaten nichts, troß des Schugbündniffes, das fie
im Frühjahr 1622 mit Brandenburg geſchloſſen, und der neue
Teilungstraftat, den Brandenburg und Pfalz-Neuburg im
Mai 1624 zu Düffeldorf eingingen, blieb unausgeführt. Wollten
Brandenburg und Kurſachſen mit den beiden fähfifchen Streifen
die Fatholiihe Reaktion noch aufhalten, fo galt es zu eilen.
Jetzt drangen die furfürftlihen Frauen und ber gleichdenkende
Nat endlich durch: die Neutralität follte aufgegeben werben.
Ausländifche Hilfe war unentbehrlih. Aber Dänemarks
jo wenig wie Englands und Frankreichs war man fiher. So
geiff Georg Wilhelm auf die Allianz mit Schweden zurüd. Auch
fand er dort Entgegenfommen. Bald war Guftav Adolfs Kriegs-
plan fertig: mit England und Frankreich wurde über die Aus—
führung verhandelt. Ein deutſcher Fürftentag ſollte erwägen,
TU. Zollendung und Banterott des ftänbif—en Regiments. 331
was weiter zur Rettung der gemeinen Sache zu thun fei. In
weit ausgreifender Kombination verlobte Georg Wilhelm da—
mals feine Schweiter Katharine dem gegen ben Kaifer in Waffen
ftehenden Großfürften Bethlen Gabor von Siebenbürgen. Auch
der bisher zögernde Dänenfönig wollte mitthun, wenn auch
nur, um Schweben nicht allein gewinnen zu laflen. Aber nur
ein Teil Norddeutſchlands folgte ihm als Oberften des nieber:
ſächſiſchen Kreifes. Und deshalb blieb nun wieder Georg Wil:
helm unthätig. Das einzige Ergebnis dieſer Epifode war ein
noch übleres Verhältnis zum Kaifer. Drohend forderte diefer
die Anerkennung der bayrifhen Kur; Bayern brachte plöglich
Rechte auf Pommern zur Sprache, und auf Grund des Teita-
ments Johann Georgs beanſpruchte Markgraf Johann Georg
die Neumark. Schon ſprach Wallenftein von dem nahen Ende
der Hohenzollernherrihaft in der Mark, und die Albertiner
griffen nad) der Beute. Als der Adminiftrator von Magde—
burg, Chriftian Wilhelm, dem Dänenkfönig zufiel, kündigte ihm
das Domkapitel den Gehorfam und erhob ftatt feiner des fädh:
fifden Kurfürjten Johann Georg jüngeren Sohn.
Nun trafen au Brandenburg die Schreden des Krieges.
Denn Adtung konnte feine Neutralität nur finden, wenn es
fie erzwang. Dazu aber fehlten die Mittel. Der ftänbifche
„große Ausſchuß“ war 1623 in hellem Streit auseinander ge—
gangen, und ber Banferott der Hauptlandesfafje hatte mit der
finanziellen Not die Erbitterung der Parteien gefteigert. Die
zur Abhilfe ergriffenen Maßregeln hatten ſich teild — wie die
von den Städten vergeblich befämpfte Verdoppelung der Bier-
zieſe — als wirtſchaftlich ſchädlich, teils als unwirkſam er-
wieſen. Auch war die widerſpruchsvolle Haltung der Regierung,
auf die der Tod der Kurfürſtin Anna (März 1626) lähmend
gewirkt zu haben ſcheint, nicht geeignet, die Stände zu größeren
Opfern zu beſtimmen. Sie bewilligten nur für drei Monate
3000 Mann, noch dazu mit der Mahnung, „es möge der
Kaiſer als das höchſte Haupt in Reſpekt gehalten, der Kurfürſt
von Sachſen als Kreisoberſt und der ganze oberſächſiſche Kreis
an ber Hand behalten, was ſeitens der Armeen in folder Dccu:
pation etwa vorgelaufen, im Beten entihuldigt werden“. Aber
332 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Stantögründung.
ſchon unterhandelte Georg Wilhelm mit Guftan Adolf, Chri-
ftian IV. und Bethlen Gabor, dem Graf Adam von Schwargen-
berg die Prinzeffin Katharine zuführte. Doc war nod) nichts
feftgemacht, ala der Dänenfönig losſchlug. Brandenburgs Neu=
tralität zu vefpeftieren war für ihn unmöglid: beim Vorſtoß
gegen Mitteldeutfchland war die Mark feine natürliche Ope-
rationsbaſis. So bejegte Mansfeld die Havelpäfle, Havelberg,
Nathenow, Brandenburg, dann die Zauche und rüdte auf
Wittenberg. Die Dänen bemädtigten fi der Altmark. An
die verheißene Bezahlung der requirierten Lebensmittel dachten
fie nit: die Dörfer brannten fie nieder, mißhandelten bie Ein-
wohner, brachen Kiften und Kaften auf, plünderten ſelbſt Kirchen
aus und führten den Raub in Schiffsladungen nad Hamburg.
Vergeblich proteftierte Georg Wilhelm. Von däniſchen
Gefandten befam er zu hören, ob er e& übel nehme ober nicht,
der König müſſe vorwärts, und wer nicht mit ihm fei, fei
wider ihn. Er bereute auch nur fo weit gegangen zu fein:
immer neue Gefahren entiprangen daraus. In Wien erwog
man feine Aechtung: mit Kurſachſen ſollte Wallenjtein fie voll-
ftreden. Aehnliches plante man, hieß es, in Warſchau gegen
Preußen. Im Lande felbft gärte es: man erging fi in den
bitterften Vorwürfen gegen den Kurfürften. Der lutheriſche
Eifer ſchob alles Unheil auf die reformierten Räte. Georg
Wilhelm ſelbſt mißtraute ihnen: er fürchtete von ihnen im Ein-
verftändnis mit den Dänen zum Krieg gegen den Kaifer ges
jwungen zu werden. So rief er Adam von Schwargenberg aus
Siebenbürgen zurück: er jei feiner Gegenwart allewege benötigt.
Das leitete einen Umſchwung ein. Die folgenden Ereignifje
beiäleunigten ihn. Mit Mansfeldg Niederlage an der Deffauer
Brüde (15. April 1626) war der dänische Kriegsplan gefcheitert ;
der franzöfifch-fpanifche Frieden vereitelte die Ausfiht auf eine
große Koalition gegen die Habsburger. Durch verdoppelte
Dienftwilligfeit wollte Georg Wilhelm daher den Kaifer be—
fänftigen, bei ihm Schuß ſuchen vor den Dänen, die jeßt ge—
ſchlagen durch fein Land zurüdfluteten: vor ihnen floh er aus
Berlin und barg ſich auf den Jagdſchlöſſern der Uder: und
Neumarf.
1IT. Vollendung und Yanferott des ftänbifchen Regiments. 333
Wie er damals zu ihm feine Zuflucht genommen, jo ift
Georg Wilhelm fortan von Adam von Schwargenberg ab-
hängig geblieben. Mehr als ihn jelbit Haben Mit: und Nachwelt
diefen für das Elend verantwortlich gemacht, das über Branden-
burg fam. Doc ift Schmargenberg eigentlich erft in der kurzen
Zeit, die Georg Wilhelms Nachfolger ihn widerwillig im Amte
lafien mußte, in den üblen Ruf gebracht, den bie neuere For:
{hung von ihm zu nehmen begann. In ihm erftand der Liber—
tät der märkiſchen Junker der erfte große Gegner. Zwar nicht
von Haus aus war er das: er wurde es durch die Erfahrung
und mit feinen Zweden wachſend. Selbftlofe Hingabe an das
Ideal freilich war jener Zeit fremd, und ohne Egoismus er:
reichte auch fachlich berehtigtes Streben nichts. Bei Richelieu
und Cromwell hat ihn der Erfolg gerechtfertigt. Schwargen:
berg litt nad Jahren des Kampfes in dem Moment Sciff-
bruch, wo er zu triumphieren ſchien, und das beftimmte auf
lange hin das Urteil der Nachwelt.
Als Sprößling eines rheinifchen, ſeit 1429 reichsfreiherr⸗
lichen Rittergeſchlechts, das in Jülich und Mark größere Güter
erworben, war Adam von Schwargenberg am 26. Auguft 1584
geboren. Die Verdienfte feines Vaters Adolf, der ſich als fai-
ſerlicher Oberft im Türkenkrieg durch die Eroberung von Raab
(1599) Ruhm und den erblien Reihsgrafenftand erworben
hatte, fiherten ihm die Gunft des Wiener Hofes, wo nament:
lich Kardinal Khlesl fein Gönner war. Auch Graf Adam
zeichnete fi gegen die Türken jo aus, daß Heinrih IV. von
Frankreich ihm den Michaelsorden verlieh. Glücklicher noch war
er früh in Finanzgeſchäften — ein Zug, der ihm eigen blieb
und manden Feind machte. Durch feine Güter — die Mutter,
eine Wolf-Metternich, hatte zu Gimborn in der Grafihaft Mark
ihren Witwenjit — den Ständen von Jülich-Cleve angehörig,
ergriff er die Partei der prätendierenden Häufer, vereitelte
einen Weberfall der faiferlihen Parteigänger zu Düſſeldorf gegen
die beiden Statthalter und rettete Düren vor Erzherzog Leo:
pold. Dafür geächtet und in feinem Vermögen ſchwer ges
ſchädigt, trat er am 1. November 1610 als geheimer Kammer:
rat und Oberfammerherr in Johann Sigiamunds Dienft, fand
334 Zweites Bud. Die erfte Hohenzollernfhe Staatögründung.
aber nur in den niederrheinifchen Landen Verwendung. Dort
trat er dem 1613 zum Statthalter beftellten Kurprinzen nahe,
ohne daß ihr Verhältnis ein intimes geworden wäre. Ja, im
Frühjahr 1617 drohte ein Bruch, als ber Kurprinz infolge
einer Intrigue den jülichſchen Landſtand Adrian von Flodorf
zur Tafel zog, der einft (1613) Schwargenbergs Braut, Mar:
garete von Poland, bie Tochter des fürftlihen Statthalters
von Lothringen, auf dem Wege zur Hochzeit entführt und
erſt, als fie feine Werbung abmwies, in Freiheit gefegt hatte.
Schwargenberg verlangte in Berlin feine Entlafjung: man
müffe ihn um jeden Preis halten, urteilte der Geheime Rat,
da er um zu viel wiſſe. So drang der Kurfürft in ihm
zu bleiben, verwies dem Kurprinzen feine Unbedachtſamkeit
und verſprach, Flodorf zur Genugthuung zu nötigen. Nun
erft ſcheint Schwargenberg dem Kurprinzen näher getreten zu
fein. Er begleitete ihm 1618 nad Preußen; bei der Ab—
danfung Johann Sigismunds (November 1619) führte er ftatt
feiner das Wort vor dem Geheimen Rat und den Landftänden.
Beim Regierungsantritt Georg Wilhelms war Graf Adam
ber „Eommende Mann”. Schon das machte ihm Feinde. Seine
Stellung widerſprach dem Indigenatsrecht. Dann erwirkte er
fih beim Kurfürften eine Maſſe Gunft: und Gnadenerweiſe:
feine Erhebung zum Ordensmeifter ber Johanniterballei Bran-
denburg wurde den Ordensfomturen 1625 förmlich abgezwungen.
Als erfter Landftand der Kurmark war ber „Herrenmeifter
von Sonnenburg” bisher faft immer ein Glied bes Furfürft-
lichen Haufes geweſen. Auch an dem Katholizismus des Grafen
nahm man Anftoß: doch entfagte er allen Religionsneuerungen.
Daß er fi) aber Hinfort vorzugsweife nad diefem Amte als
„Herr Meifter” titulieren ließ, machte ihn bei dem märkiſchen
Adel und den Geheimeräten nicht beliebter, zumal er biefen
icon als Reichsgraf und Ordensmeifter übergeordnet fein wollte.
Ihm fehlte die Genügfamkeit der an befcheidene Verhältnifie
gewöhnten brandenburgijhen Beamten: wie er mit fürftlidem
Glanz auftrat, jo machte er auch feine amtliche Stellung für
feine Finanzen nugbar. Seinen dauernden Einfluß auf den
Kurfürſten aber erklärt fein politiſches Syſtem. Aber nicht bloß
II. Vollendung und Bankerott des ſtändiſchen Regiments. 335
die bequeme, ihn entlaftende und doch jein Selbtgefühl Hebende
Geſchäftsführung Schwargenbergs feflelte Georg Wilhelm: ein
pighologifches Moment kam Hinzu. In dem Grafen fand Georg
Wilhelm alle die Eigenſchaften, die ihm felbft fehlten, Schärfe
des Urteils, Ausdauer in der Verfolgung des Ziels, bis zur
Gewaltthätigfeit rüdfichtslofe Energie in der Befämpfung jedes
Widerftandes und weitgehende Skrupellofigfeit in der Wahl
der Mittel, unter denen auch Entftellung der Thatſachen, Lüge
und Verleumdung gelegentlich eine Rolle jpielten, und das alles
getragen von faft fataliftiihem Glauben an fein Recht. Wie
hätte Georg Wilhelm, ohne Kühnheit, ohne Thatkraft, mit
feinem fubalternen Sinn für das Nächſte und Kleinfte, ſich des
Einfluffes einer folgen Wallenfteinnatur erwehren jollen, bie
ihm zu verfchaffen verhieß, was er erjehnte, felbft aber zu er-
ftreben weder den Mut noch die Kraft hatte — Neutralität
inmitten bes furdtbaren Krieges und Befreiung von ber ent=
würdigenden Bevormundung durch die Stände.
Bis zu der Krifis von 1626 hatte Schwargenbergs Thätig-
keit fast ausſchließlich Jülich-Cleve gegolten. Dort, wo fi
die europäifchen Interefjen für Brandenburg kreuzten, hatte er
feine diplomatiſche Schule durchgemacht und zugleich im Kampf
mit der ſtändiſchen Libertät Erfahrungen gefammelt, mag er
fpäter auch dort manden Erfolg wieder verfcherzt und Anftoß
gegeben haben durch die Art, wie er bes Kurfürften Gelbnot
zu feiner Bereicherung benugte. Auch auf die märkiſchen Ver-
hältniffe wirkte das ein. Zunächſt freilich ftand dort bei feiner
Nüdkehr aus Siebenbürgen die auswärtige Politit zur Ent-
ſcheidung. Wie fie ausfallen würde, war faum noch zweifelhaft,
da Schwargenberg ein Gegner der ſchwediſchen Allianz war:
er mißtraute dem „ſchwediſchen Hochmut“. Deshalb haßten ihn
die fürftlihen Frauen, die zu ber gleich wieder aufgegebenen
energifheren Aktion gedrängt hatten. Auch diefe Feindſchaft
ift nicht ohme Einfluß auf die Geftaltung der Weberlieferung
geblieben.
Aeußerſt Fritifch war die Lage. Eben ſtrömten Mansfelds
Scharen gefchlagen in das Land zurüd und vermwüfteten nament-
fi die Mittelmarf. Das Aufgebot, das Nitter, Bürger und
336 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
Bauern in Waffen rief, hatte feine Wirfung. Kaum daß man
die Hauptftadt gegen einen Handſtreich dedte: ihre Einwohner:
zahl veichte nicht aus, um fünfzig Mann täglich zur Bewahung
der Thore aufzubringen. Deshalb jperrte man das Spandauer
und das Stralauer Thor, mußte aber um Johanni jelbft die
Erimierten zum Wachtdienft heranziehen. Und als die Dänen
endlich abzogen und Mansfeld über Schlefien die Verbindung
mit Bethlen Gabor juchte, da rejpeftierte der nachrückende
Wallenſtein die Neutralität Brandenburgs natürlich auch nicht.
Eigentlich hatte Georg Wilhelm ſchon feine Wahl mehr. So—
wohl die von feinen Räten vertretene bewaffnete wie die von
den Ständen verfodhtene unbewaffnete Neutralität war kläglich
zu Schanden geworben. Neutralität war überhaupt unmöglich,
unmöglich aber aud) eine Parteinahme für die eben erliegende
däniſch⸗ niederrheiniſche Koalition. Nur das Bündnis mit dem
fiegreichen Kaiſer verhieß Sicherheit: je ſchneller man es ab-
ſchloß, um fo eher erlangte man vieleicht einige Zugeſtändniſſe.
So urteilte auch Schmargenberg, entiprehend dem Stand»
punkte, ben er von Anfang an vertreten und dem ber Ver—
lauf der Dinge Recht gegeben hatte.
Dazu fam, was aus Preußen gemeldet wurde. Branden-
burgs neuefte Schwenkung bejeitigte alle Zweifel Guſtav Adolfs.
Noch im Juni erfhien er mit feiner Flotte vor Pillau. Die
paar hundert Mann, deren Anwerbung die legten Bewilligungen
des Landtages ermöglicht hatten, und die vier im Hafen liegenden
Schiffe konnten ihn nit hindern: ohne einen Schuß ergab ſich
die Feftung. Den beftürzt herbeieilenden Oberräten erklärte er,
er fomme als Freund und verlange Pillau nur, um beim
Marſch gegen die Pfaffenknechte im Ermland im Rüden ge-
dedt zu fein. Den Hinweis auf die Pakte mit Polen wies er
barſch ab: von einem Mittelweg fünne nicht die Rede jein,
das würde ihnen nur den Hals brechen, fie müßten „Ertrema
ergreifen“, entweber zu ihm oder zu Polen halten. Er wies
hin auf dag Schidjal, das Preußens, blieb es polnisch, wartete.
„Wehrt euch,“ rief er, „ihr habt viertehalbtaufend Ritter im
Lande, nehmt mic) zum General, ich will euch zu Hilfe kommen
ohne Sold.“ Zu folder Kühnheit waren die preußiihen Herren
MU. Bollendung und Banterott des ftänbifcen Regiments. 337
freilich nicht fähig: während der König Elbing und Marienburg
nahm und bald an der Weichſel ftand, fuchten fie ihn immer
von neuem durch Geſandtſchaften heim, um vorbehaltlich der
Zuſtimmung Georg Wilhelms Neutralität zu erbitten.
Georg Wildelm war außer ji. Schmerzliher als bie
Heimfuhung von Land und Leuten empfand er die Mißachtung
feines Fürftenrechte. „Was helfen mir Freunde, wenn fie mir
das thun, was ich von meinen ärgften Feinden erwarten follte,”
Hagte er. „Was geht mich die gemeine Sade an,” fragte
er, „wenn ich fol alle meine Reputation, Ehre und zeitliche
Wohlfahrt verlieren?” Bittere Vorwürfe erhob er gegen bie
Näte, die ihm Hoffnung auf Schweden gemadt: nun feien
aud fie mit ihrer Weisheit am Ende und fünnten nichts ale
zur Geduld mahnen und auf beflere Zeiten vertröften. Ja
etlihen, namentlich Levin von dem Kneſebeck, gab er, wenn
nicht geheimes Einverftändnis, jo doch Sympathien mit Schweben
ſchuld. Er wollte handeln: wehre er ſich und thue, was er
tönne, fo werde er wenigftens nicht ſolchen Schimpf haben.
Aergeres ala Dänen und Schweden fönne ihm auch der Kaifer
nit thun. Und fo fam er zu dem Schluß: „Alle Welt müßte
mid für eine feige Memme halten, da ich jo ganz ftille figen
folte. Beſſer mit Ehren geftorben, als mit Schanden gelebt.
Ich habe nur einen Sohn: bleibt der Kaifer Kaifer, fo bleibe
ich und mein Sohn aud wohl Kurfürft, da ich mich beim
Raifer halten werde. Alſo fehe ich nichts anderes, ala id; werde
mid) zum Kaijer ſchlagen müſſen in ber Zeit, die ich noch etwa
babe.”
Ehen in jenen Tagen fam Herr Hannibal von Dohna
als Gejandter des Kaifers nad Berlin. Durch ſchöne Worte
wegen Pommerns und Fülichs ſollte er den Kurfürſten ködern,
feine Räte aushorchen oder beftehen. Er machte damit um fo
mehr Eindrud, ala Georg Wilhelm wußte, dag man ihm in
Wien und in Warſchau feines pfälzer Schwager Schidjal zus
date. Aber die Entſcheidung, die er bei ſich getroffen, offen
zu bethätigen, trug er Bedenken. Schmwargenberg follte bie
übrigen Geheimeräte, die nad) wie vor für bewaffnete Neu:
tralität eintraten, und die Stände, bie unbewaffnete Neutrali
Brus, Preußlige Geichihte. I. 2
338 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
tät forderten, von der Notwendigkeit und Nüglichkeit des An—
ſchluſſes an den Kaifer überzeugen. So rangen die Parteien
am Hofe und in der Regierung miteinander. In Prudmann
und Schwargenberg ftießen die beiden politifhen Syfteme hart
aufeinander. Als ſchimpflich befämpfte der freimütige alte Herr
den Parteiwechſel: der Kaifer habe ihn nicht verlangt und
Dänen und Schweden vergelte er das begangene Unrecht nicht.
Auch würden die für den Kurfürften gemorbenen Truppen ſich
nit ohne weiteres zur kaiſerlichen Armee ſchlagen laſſen. Noch
niemand habe beim Bund mit dem Kaifer gewonnen, außer
dem PfalzNeuburger, ber freilich aud; feinen Glauben abge-
ſchworen habe. Aehnliches fürdtete der treue Diener auch hier
als letzte Konſequenz des geplanten Syſtemwechſels: jedenfalls
. müffe man bei einer fo folgenſchweren Entſcheidung ſich der
Zuſtimmung des Landes verſichern. Er empfahl, etliche aus der
Landſchaft zu berufen und ihnen das Beabfichtigte vertraulich
fundzuthun: rieten fie zu, jo müßten fie aud) zur Durchführung
helfen — „und darf hernach, wenn es mißrät, das ‚Rreuzige‘
nicht allein über die Räte gehn“. Auch die fürftlihen Frauen
werden nicht unthätig geblieben fein. Die Gegenfäte ver—
ſchärften fi) fo, daß Schwargenberg einen Gemaltftreich fürdhtete,
wie er den Kardinal Khlesl befeitigt hatte. Um fo ärger vers
dächtigte er feine Widerſacher: Eamuel von Winterfeld ſollte
Mansfeldse Einmarſch und die Befegung Pilaus veranlaft,
Kneſebeck diefe gutgeheißen haben. Solche Behauptungen machten
auf den Kurfürften Eindrud. Von den Verleumdeten überließ
einer nad) dem anderen das Feld dem „Herrn Meifter”, den
Oxenſtierna unmutig ins Pfefferland wünſchte. Das ergab erft
die Mattjegung, dann die Auflöfung des Geheimen Rates: an bie
Stelle der Körperſchaft, die Joachim Friedrich als Vertreterin
für das Gefamtintereffe des werdenden Staates geſchaffen hatte,
trat der Wille des einen allmächtigen Minifters.
Auch Pruckmanns Rat zur Berufung ſtändiſcher Vertrauens⸗
männer befolgte man nur zum Schein: noch ehe die gewünſchte
Aeußerung erfolgte, vollzog Schwargenberg demonftrativ den
Uebertritt zum Kaifer, obgleich die Bedingungen, von denen er
ihn abhängig zu machen vorgab — Sicerftellung der eher
I. Vollendung und Banterott des ftänbifgen Regiments, 339
maligen geiftlihen Güter, Beftätigung ber Anwartſchaften,
obenan auf Pommern und Medlenburg, und Herausgabe von
Zägerndorf —, von Wien feiner Antwort gewürdigt wurden.
Ja er lehnte, als Wallenftein bei der Verfolgung Mansfelds
die Mark paffieren wollte, die angebotene Zahlung für die
Lieferungen ab und befahl, für reichliche Verpflegung zu forgen
und Generale und Oberften fürftlich unterzubringen. Und dabei
verlangte man von ben ftänbijchen Vertretern ein Gutachten
darüber, woher die Mittel zur Behauptung der Neutralität zu
nehmen feien, und dann, auf welche Seite man, wenn bie
Neutralität unmöglich wäre, ſich jchlagen follte! Zum Ueber—
fluß war die an ſich ſchon zmeifellofe Antwort noch in ber
Denkſchrift vorgezeichnet, die der Herr Meifter der Verſamm—
lung vorlegte. Sie jhilderte die Mißhandlung des Landes durch
die Dänen, die Bedrohung des Kurfürften mit Acht und Ab-
ſetzung; an ber Seite des Kaifers dagegen werde Branden-
burg eine ähnlich bevorzugte Stellung einnehmen, wie Kur-
ſachſen und Förderung in der jülihihen Sahe und Fürſprache
bei Polen finden. Was die ſtändiſchen Vertreter antworteten,
ift nicht befannt. Doc bemilligten fie im Februar 1626 die
Mittel zur Werbung von 2000 Mann für die nächſten drei
Monate. Dann weigerten fie jede Zahlung: nad den von
ihnen gebrachten Opfern müfle das zur Dedung der Feftungen
Nötige ja vorhanden fein; höchſtens 900 Mann wollten fie
noch beſchaffen. Ja der märkifche Adel war entjchlofien,
im Notfall feinen eigenen Weg zu gehen: Hans Georg von
Arnim, einflußreich durch feine militärifhe Laufbahn, hatte ihn
heimlich für die Aufnahme Faiferlicher Bejagungen gewonnen.
So erklärte die einberufene Landſchaft Werbungen für unnötig,
da die Dänen im Abzuge jeien und neue Rüftungen den Kaiſer
höchſtens verftimmen fönnten,
Ganz fo lagen die Dinge freilich noch nit. Vielmehr ge:
wann es einen Augenblid den Anſchein, als ob Schwargen-
bergs Gegner doch noch durchdringen würden. Troß der Nieder:
lage bei Zutter (27. Auguft 1626) ftand der Dänenfönig fampf-
bereit an ber unteren Elbe; Mansfeld hatte Bethlen Gabor
erreicht, und die Türken rüfteten ſich ihm beizuftehen, während
340 Zweites Bud. Die erne Hoheniollern' he Staatögrändung
die Schweden bereits die Weichſel überihritten hatten und in
wenigen Tagen in der Neumark jein fonnten. Rallenftein war
verloren, wenn Brandenburg in feinem Rüden mit Mansfeld
und den Schweden gemeiniam losſchlug. Tas empfahlen die
alten Räte. Bei ſolchem Widerftreit der Meinungen geihah im
Herbit 1626 zunädft überhaupt nichts. Aber der Herr Meifter
gewann immer mehr Boden. Zu ihm ftand der Adel des Lan-
bes, der weder jelbft ausrüden noch Geld zu Werbungen auf-
bringen wollte. on feinen Gegnern wurde einer nad) dem
anderen befeitigt, in Ungnaben entfernt oder, wie Prudmann,
fo planmäßig gefränft, daß er fi zurüdzog, So wurde er
Herr der Situation. Ta zog auf feinen Rat der Kurfürft
plöglih mit allen verfügbaren Truppen nad Preußen und über:
ließ das Land auf Gnade und Ungnade den Kaijerlien: jie
mußten es vor den Dänen fügen. Und indem er in Preußen
den Schweden entgegentrat, gab der Kurfürft dem Kaifer fo:
wohl wie Polen ein Unterpfand für den Ernſt jeiner Abſichten.
Freilich erſchien diefer Aufbruh nad; Preußen wie eine
Flucht: der Kurfürft habe fih in Sicherheit bringen wollen,
meinten viele, und doch ftehe in der Mark das Schidjal aller
feiner Lande zur Entſcheidung. Zuchtloſer als je ging es im
Januar 1627 auf dem Stänbetage zu Berlin her. Wozu
werben, wenn ber Kaifer das Land ſchützt? Die reformierten
Näte feien an allem ſchuld: in den Untergang ihrer Religion
wollten fie aud) das Land verftriden. Man möge fih an den
Rurfürften von Sachſen wenden: der werde helfen. Mit Recht
fhrieben die Geheimeräte dem Kurfürften, man ſäe zwiſchen
ihm und feinen Unterthanen Mißtrauen. Aber die öffent»
lie Meinung hatten fie gegen fi. Gemaltig erregte bieje
ein Verfud der Dänen beim Nahen der Kaiferlichen ſich plöß-
lich der feiten Pläge zu bemächtigen: ihn zu hindern hätte man
nit vermodt, denn mit den ausgehobenen Leuten, die fich
„vor dem Raufchen eines Blattes fürchteten“, war nichts zu
unternehmen. In Berlin entlub fi die Wut gegen bie Räte
in neuen Revolten. Noch im Mai 1627 wies der Kurfürft den
Oberft Kracht an, ſich gegen die Kaiſerlichen als Soldat zu
verteidigen; als fie endlich einrüdten, atmete die Bevölkerung
I. Vollendung und Banferott des ftänbifchen Regiments. 341
auf. Na der ven 22. Juni 1627 mit ihnen gejchloffenen Kon-
vention follten fie die kurfürſtlichen Reſidenzen und Feftungen
von Einquartierung frei laſſen und nur Frankfurt und Lande-
berg befegen, verſprachen aud gute Mannszucht zu halten.
Nun war für Schwargenberg der Augenblid gefommen, feine
legten Gegner nieberzumerfen: am 24. Juli 1627 ließ er auf
Grund eines Furfürftlihen Befehle Samuel von Winterfeld
wegen Hochverrats verhaften. Prucdmann und Anejebed wurden
‚ in ben Prozeß verwidelt. Ernft gemeint war biefer natürlich
nit: er follte die Angeklagten nur unmöglid maden. Im
Einverftändnig mit Schwartzenberg meinte der Statthalter,
Markgraf Sigismund, ein eifriger Lutheraner: „Es ift Zeit,
daß wir die Frauenzimmer gehen laffen, denn fonft find wir
von ihnen verraten und verkauft.” Die Kurfürftin ſollte mit
den Dänen nicht bloß jympatbifieren, jondern gar „praftizieren”.
Doch gelang die Entfernung der Damen nit. Doch entzog
man den Kurprinzen ihrem Einfluß, indem man ihn angeblich
zu größerer Sicherheit nad Küftrin brachte. Jetzt erkannte
Georg Wilhelm auch die bayriſche Kur an: durch die Gewährung
des Prädifats Durchlaucht meinte er fih vom Kaiſer bafür
hinreichend belohnt! Und was litt das Land von den Kaiſer⸗
lichen! Die Berliner, die im März 1627 die Abführung von
150 dienſtpflichtigen Bürgern nah Brandenburg gewaltſam
gehindert hatten, zahlten ohne Weigern eine Kontribution von
14000 Thalern. Nach einer einfachen Anzeige an den Statt:
halter verteilte Wallenftein von Frankfurt aus feine Armee
über das Land. In der Alt: und Udermarf, wo Bappenheim
und Hans Georg von Arnim noch milde malteten, mußten
jedem Musfetier 7, jedem Reiter 12 und jedem Küraffier gar
15 Gulden den Monat gezahlt werden. Den mittelmärkiſchen
Städten preßte Oberft Hebron monatlih 7700 Thaler ab,
Montecuccoli der Neumark in zwei Monaten 72000. Noch
Aergeres wurde dem Lande an Naturallieferungen zugemutet.
Was ihm bis Ende bes Jahres 1628 abgepreßt wurde, ſchlug
man im ganzen auf 200 Tonnen Goldes an: die zur Dedung
des Landes nötigen 3000 Mann würden faum zwei gefojtet
haben!
>12 Zweites Bud. Tie erfte hohen jollerniche Staarsgründung.
Und dennoch wird man zugeben münen, dag Schwarken-
berg den Beg ging, der damals allein möglich war. Wirkliche
Reutralität war unmöglich; fih mit den Dänen einlajjen, hätte
Brandenburg das Sci Wedlenburgs bereitet, die Aechtung
des Kurfürften, jeine Entjegung in Brandenburg und in Preußen
zur Folge gehabt. Rur der Anſchluß an den Raijer bot Aus—
fiht auf Rettung. Nicht bierin hat Schmargenberg gefehlt, wohl
aber darin, daß er das Land in eine jo heilloje Lage geraten
ließ. Indem er die Politit der bewaffneten Neutralität be-
tämpfte, ihr jein Syitem entgegenjegte, ermöglichte, verjhuldete
er eine Berihleppung der Entiheidung und damit eine ver-
bängnisvolle Halbheit. Tab er dabei eigennügige Ziele ver:
folgt, die faijerlide und katholiſche Sache habe fördern wollen,
ift unerwiejen, mag auch fein Befenntnis und jeines Haufes
alte Verbindung mit dem Raijerhofe auf fein politiihes Denken
einen gewiſſen Einfluß geübt haben.
Klägliher nod als in Brandenburg endete Georg Wil-
helms Anlauf zu energiihem Handeln in Preußen. Zu Be:
ginn des Jahres 1627 war er mit 3000 Mann zu Fuß und
600 Pferden dort erſchienen. Sich mit den Polen zu vereinigen
lehnte er ab, da die Stände die von Schweden gebotene Neu—
tralität vorbehaltlich feiner Zuftiimmung angenommen hatten.
Königsberg hatte jogar von diefer Klaufel abgejehen. Da er—
ſchien Guſtav Adolf am 18. Mai 1627 abermals vor Pillau,
landete etliche Regimenter auf der Friſchen Nehrung und ließ
das fefte Lochftädt am Wege nad) Königsberg berennen. Am
22. Mai bewilligte er einen Vertrag, nah dem der Kurfürft
für die drei nädjften Monate neutral bleiben, er aber im
Herzogtum bloß die zur Bejagung von Pillau nötigen Truppen
laſſen jolte. Darüber erhob fi in Polen gewaltiger Lärm:
mit allen Folgen der Felonie dachte die Nationalpartei Georg
Wilhelm zu treffen. Sofort verſprach dieſer 1000 Mann zu
Fuß und 200 Reiter nebft ein paar Geſchützen gegen Schweden
zu ftellen, wandte fih aud dur Hans von Dohna um Hilfe
an den Kaifer, gab alfo die Neutralität glei” wieder auf.
Mitte Juli zogen die Truppen wirklich den Polen zu. Den
preußif—hen Städten wurde Handel und Verkehr mit den in
II. Vollendung und Banterott des ſtändiſchen Regiments. 343
ſchwediſcher Gewalt befindlichen Zandesteilen verboten. Schwe:
difche Repreſſalien blieben nicht aus: in Pillau wurde das
Schiff mit Befchlag belegt, das des Kurfürften Silbergerät und
Jagdhunde von Stettin brachte. Guſtav Adolf felbft zog von
Marienburg auf Preußifh-Mark und Mohrungen, um die Rur-
fürftlichen abzufangen. Am 27. Juli ſahen ſich dieſe plötzlich
der ſchwediſchen Armee gegenüber. Mit einigen Compagnien
beraneilend, fragte fie Matthias von Thurn, ob fie Freunde
ober Feinde wären, fechten oder fich ergeben wollten. Darüber
hätten fie feine Ordre, erklärten die Offiziere. Schnell waren
fie umftellt. „Fechten oder Uebergabe !” lautete des Königs Wort,
während Thurn fie von neuem anherrſchte: „Freunde oder
Feinde?” — „Freunde!“ rief da das Fußvolk. „So hebt eure
Musketen auf!” gebot der Graf. Und als e8 geſchehen, fragte
er: „Ihr ſeid des Königs von Schweden Volk?” — „Ja, ja!“
tönte es zurüd. Die Neiterei folgte diefem Beiſpiel. Ohne
einen Schuß war die furfürftlihe Armee in Preußen ver-
ſchwunden. Die höheren Offiziere ſchickte Guftav Adolf mit den
Gefhügen und Begleitmannjhaften nad Königsberg: fünftig
müfje er Leute und Kanonen befjer in acht nehmen, ließ er
feinem Schwager jagen. Die übrigen reihte er feinem Heere ein.
Ohne Kenntnis von biefen Vorgängen hatte inzwijchen
Georg Wilhelm in Königsberg polniſchen Gejandten gegenüber
fi bereit erflärt, mit gegen Schweden zu gehen, aud bei
Guftav Adolf wegen Verlegung feiner Rechte Beſchwerde er:
hoben. Jet unterhandelte er mit ihm und ſchloß am 6. Auguft
einen Vertrag, der ihm die Werbungen für Polen verbot, den
Verkehr mit den von den Schweden befegten Zandesteilen frei
gab und den Königsbergern für ihre Neutralerflärung Amneitie
gewährte, dagegen die ihm am 22. Mai gewährte Neutralität
von drei auf fünf Monate erftredte. Im Oktober wurde fie
auf ein halbes Jahr verlängert. Aber die freundlichen Er-
bietungen bes Schwebenfünigs fanden auch jegt bei ihm fein
Entgegenfommen. Um jo mehr wollte fi) Guftav Adolf Preußens
verfiern: er bejegte Memel und brachte den Unterlauf der
Weichjel in feine Gewalt. Denn fon dachten die fiegreihen
Kaiferlihen Polen zu Hilfe zu ziehen. Was wurde dann aus
344 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgrünbung.
Georg Wilhelm, deffen Neutralität in den Augen Polens Bruch
der Lehenstreue war?
Und wie in der Mark zwifhen Dänen und Kaijerlihen
und in Preußen zwiſchen Schweben und Polen, fo ſchienen die
Hohenzollern am Niederrhein zwiſchen Spanien und den Nieder:
landen zermalmt zu werden. Was fie im Cleveſchen noch be=
haupteten, verdanften fie der Republik. Brandenburg dort fi
jelbft überlafen, hätte für diefe nichts anderes geheißen als das
Land den Spaniern preisgeben. Unter dem Vorwand, feine
Neutralität zu fihern, hatten bie Niederländer daher einen
großen Teil von Cleve beſetzt; jegt ſollte das gleiche mit der
Grafihaft Mark geſchehen. Was blieb da Brandenburg? Ferner
brachte die Nepublif als Pfand für die 1614 von Johann
Sigismund unter ihrer Bürgichaft bei dem Kaufhaus Hoffgfer
aufgenommene und unverzinft gebliebene Schuld ein weiteres
Stüd Land an fih, nahm auch die brandenburgifche Bejagung,
die wegen ihrer Zuchtlofigfeit entlaflen wurde, in ihren Dienft,
fo daß der Kurfürft dort gar nichts mehr zu jagen hatte. In
ihrer Bedrängnis dachten die Stände Cleves bereits daran,
fi dem Kaifer zu überantworten, ben fie früher um jeden
Preis hatten fern halten wollen: ſchon bereitete Tilly unter
ichwerer Mißhandlung des Landes und harter Verfolgung ber
Evangeliſchen den Faiferlihen Sequefter vor.
In feinem feiner Lande aljo befand fi Georg Wilhelm
wirklich im Befig: überall lag die Gewalt in den Händen fremder
Generale. Der Zuftand war ebenfo demütigend für ihn wie
unerträgli für feine Unterthanen. Deshalb eilte im Januar
1628 Schwargenberg nah Wien: er follte Erleichterung ber
von Wallenftein der Mark aufgelegten Kriegslaften, Heraus:
gabe Jägerndorfs und Erlaß einer halben Million Gulden
rückſtändiger Reiche: und Kriegsſteuern erwirfen. Mit legterem
drang er durch; auch folte Wallenftein die Marf räumen und
nur 1800—2000 Mann in drei feiten Plägen lajien. Ein
Recht Brandenburgs auf Jägerndorf dagegen wollte man in
Wien nit kennen; zubem ftehe ja der Anfall Pommerns be:
vor. Um fo wichtiger wurden die Verbindungen, die Schwargen:
berg am faiferlihen Hof gewann. Der greife Khlesl meinte,
IM. Vollendung und Banterott des ftändifhen Regiments. 345
ſchon fei mande Gefahr um feines Minifters willen von dem
Kurfürften abgemandt, jegt habe derſelbe vollends allen Arg-
wohn befeitigt. Auch der Kaifer bewies dem Grafen feine
Gnade. Daß diefer von ihm eine Anmweifung auf 200 000
Gulden annahm, hatte nad) den Anfhauungen der Zeit nichts
Bedenkliches. Kehrte Schwargenberg nun auch als ein noch
überzeugterer Anhänger des Bundes mit dem Kaifer heim, fo
wollte er Brandenburg doch nicht etwa einfach dem Belieben
des Raifers überantworten, fondern als einen um feiner Leiftungs-
fähigkeit willen geachteten Bundesgenoſſen neben denſelben ftellen.
Möglich aber war das nur, wenn man bem widerſtrebenden
Lande die Mittel dazu abnötigte: fo erwuchſen der inneren
Politik neue Aufgaben. Und ließ ſich no ein Entgegenfommen
des Wiener Hofes erwarten, nachdem Wallenfteins Sieg über
Dänemark und die Niederwerfung Norddeutſchlands den Er-
tremen und der Politif bes Reftitutionsebifts zur Herrſchaft
verholfen hatte?
IV. Die Bernichtung der Haatlichen Exifteng Branden-
burgs durch die deuffche Mevolufion und den
europaiſchen Krieg. 1629—1640.
Da norddeutfche Krieg ging zu Ende: der europäifche
entbrannte. Durch Wallenftein übermädtig, wollte der Kaiſer
mit Spanien und ber Ligue die italienifhen Staaten und die
Niederlande bewältigen, Frankreich demütigen und in Schweden
den legten Hort der Reformation breden. Durfte Georg Wil:
helm hoffen, die Neutralität, die in Brandenburg nit durch:
führbar geweſen, in Cleve und Preußen zu behaupten? Daß
er als Reformierter außerhalb des Neligionsfriedens ftand, war
dem Iutherifhen Eifer der Märker und Preußen nur genehm.
Mit dem Beſitz der drei märfifchen Bistümer ftellte das Reſti—
tutionsebift einen weſentlichen Teil feiner landesherrlichen
Rechte und Einkünfte in Frage. Weiterhin drohte die Teilung
der niederrheinifchen Lande zwiſchen Defterreih und Spanien,
Preußens Einverleibung in Polen oder Herftellung als Ordens:
ftaat. Geſchah das jchlielich nicht, jo war e& weder Georg
Wilhelms noch feines Minifters Verdienft. Yon anderer Seite
kam die Rettung, wurde aber wieder nicht entichloffen benugt.
Wohl büßte Schwargenberg darüber feine leitende Stellung
ein: um fo offenbarer wurde des Kurfürften Hilflofigfeit und
Unfähigkeit. Auch jegt fam er nicht hinaus über eine von ber
Hand in den Mund lebende Politik der kleinen und Eleinften
Mittel. Nach feinem Befig und der Fülle der darin wurzelnden
Intereſſen berechtigt und befähigt auf den Gang der Dinge
im Reid beitimmend einzuwirfen, wurde er vielmehr von ihm
unter Demütigungen aller Art haltlos hin und ber getrieben.
Wie einft Friedrih V. von der Pfalz zu Schwargenberg von
ihm gejagt hatte, weil er feines Freund war, war ihm jeber-
IV. Die Vernichtung der ftaatlihen Exiſtenz Brandenburgs. 347
mann unfreund. So ging es am Niederrhein, in Preußen und
ſchließlich in der Mark.
Cleve war ſo gut wie verloren. Auf kaiſerlichen Befehl
ſollte der Kurfürſt die Verbindung mit den Niederlanden löſen
und dieſe durch Tilgung der Hoffyſerſchen Schuld zur Räumung
der in Pfand genommenen Plätze nötigen. Seine und Schwargen:
berg8 Aechtung wurde im Januar 1629 zu Wien ermogen.
Nochmals verjuchte er eine Verftändigung mit Pfalz-Neuburg.
Friedrich Heinrih von Oranien vermittelte, Schwargenberg
jelbft eilte nad; Cleve. So kritiſch fand er dort die Lage, daß
er ohne Vollmacht am 19. März 1629 zu Düffeldorf einen
neuen, für Brandenburg ſehr nachteiligen Vertrag unterzeichnete.
Er verlängerte zwar ben Traktat von 1624 auf 25 Jahre,
mobifizierte ihn aber dahin, daß zwar Brandenburg Marf und
Pfalz:Neuburg Jülich und Navenjtein behalten, letzteres aber
wählen follte, ob es ftatt Berg nicht lieber Cleve haben wollte;
ferner wurde das bisher brandenburgiſche Ravensberg gemein-
jamer Befig. Daß Wolfgang Wilhelm Cleve wählte, zeigte,
wie wenig ihm an einem guten Einvernehmen mit Branden-
burg lag. Da machten die friegeriichen Ereigniffe den Vertrag
gegenftandslos. Um die mit Nebermacht rheinabwärts drängenden
Kaiferlichen und Spanier, die ihn zur Aufhebung ber Belagerung
von Herzogenbuſch nötigen wollten, aufzuhalten, veranlapte
Friedrich Heinrich von Oranien einen kühnen Vorſtoß auf Wefel,
der am 18. Auguſt 1629 den Schlüffel der niederrheiniſchen
Rande in feine Gewalt brachte. Nun mußten die Spanier,
die ſchon Utrecht bedrohten, zurüdgehen, bevor Montecuccoli
mit ben Kaiferlihen von Köln her und Tilly mit dem Heer
der Ligue aus Weſtfalen heranfam. Die Republik weigerte die
Anerkennung des Düffelorfer Vertrages. Bon dem kaiſerlichen
Sequefter war nicht mehr die Rede.
Auch Preußen retteten fremde Erfolge. Von dort jollten
Kaiferlihe und Polen Guftav Adolf verdrängen. Doch ver:
mittelte Georg Wilhelm für das Frühjahr 1629 eine drei—
monatliche Waffenruhe. Während Hans Georg von Arnim, den
Wallenftein den Polen zu Hilfe ſchickte, unthätig bleiben mußte,
gewann Guftav Adolf Zeit, Verftärtungen herbeizuführen und
348 Zweites Bud. Die erfte Hohenzollernfhe Staatsgründung.
Königsberg zu deden. Die Vereinigung Arnims mit den Polen
zu hindern gelang ihm jedoch nicht; ja vor ihnen nad Marien-
burg zurückweichend, erlitt er bei Stuhm eine Schlappe, bei
der er faum der Gefangenfchaft entging. Ohne Kriegserflärung
hatte der Kaiſer in den ſchwediſch-polniſchen Krieg eingegriffen.
In einem offenen Schreiben an feinen Schwager (29. Zuli)
protejtierte Guftan Adolf gegen diejen Bruch des Völkerrechts
und enthüllte des Kaifers Pläne zur Vernichtung der religiöfen
und der politifchen Freiheit: der Entfchluß, feine Waffen nad
Deutfchland zu tragen, ftand bei ihm feft. Der jchwebifch-
polnifche Krieg erhielt europäifche Bebeutung. Um Schmweben
durch einen Stillfiand mit Polen zum Angriff auf Deutſchland
frei zu maden, weilte jeit Ende Mai Franfreihe Bevoll-
mädjtigter Charnace in Preußen. Aber erſt als aud) England
vermittelnd eintrat, Fam am 26. September 1629 in Altmark
ein fechsjähriger Waffenftilftand zwijchen Schweden und Polen
zum Abſchluß. In Preußen behielten die Schweden Memel,
Pilau, Fiſchhauſen und Lochitädt, die von ihnen occupierten
Pläge an der Weichfel aber, namentlid) Marienburg, überant-
worteten fie brandenburgiihem Sequefter.
Für das Land murde das ein Segen. Aber auch Georg
Wilhelm gewann dabei. War mit einer Friedensvermittelung,
wie er fie neben Frankreih und England übte, die Lehens-
abhängigfeit von Polen noch vereinbar? Lag darin nit ein
ſtillſchweigender Verzicht auf fie? Der erfte Schritt zur Löſung
Preußens von Polen geihah durch den Vertrag von Altmark.
Auch veriprad Frankreich alles zu hindern, was vom Reich
oder vom Deutſchen Orden gegen Preußen unternommen würde.
Andere Vorteile verhieß die notgebrungene Annäherung an
Schweden. Kurz vor Unterzeichnung des Altmarker Vertrages
traf der Kurfürſt in Fiihhaufen mit Guftav Adolf zufammen.
Da brachte er die pommerfche Frage zur Sprache: aber während
er zur Durdfegung feines Erbrechts ſchwediſche Hilfe erbat,
wollte er bei einem ſchwediſchen Einbruch in Deutichland Pom⸗
mern und die Marken neutralifieren. Beides zugleih war un-
möglich: aber die Verhältniffe zogen ihn immer mehr zu
Schweden. Schwargenbergs Stellung wankte. Schon zu Fifch-
IV. Die Vernichtung der ftaatlihen Eriftenz Brandenburgs. 349
haufen bat Georg Wilhelm den König, ihm um des Grafen
willen dod feine Schwierigkeiten zu mahen. Aud daß Samuel
von Winterfeld endlich in Freiheit gejegt wurde, kündigte den
Syſtemwechſel an. Bald hieß es, der Kurfürft werde mit
preußifchen und ſchwediſchen Truppen in die Mark kommen,
um gemeinfam mit dem König loszuſchlagen. Wenigitens das
wollte Schwargenberg hindern: 100—150 Mann Leibwace,
meinte er, genügten. Auch hatte Walenftein ſchon alles jo
disponiert, daß er Berlin. jeden Augenblid bejegen konnte.
Die Marken und Pommern waren in feiner Hand, und bie
Vollſtredung des Reftitutiongebifts nahm dort ihren Anfang.
Vergeblich proteftierte Georg Wilhelm. Wie Bogislam XIV.
von Pommern jhien er depoffediert werden zu ſollen. Auch
gingen unter dem Drud der kaiſerlichen Soldatesfa den Mär:
fern die Augen auf über den Wert der Neutralität. Von bes
Kurfürften Heimkehr hoffte man Beſſerung; freudig wurde er
empfangen: man habe fich nicht ſcheren laſſen wollen, hieß es
in einem akademiſchen Vegrüßungsgedicht, und nun werde einem
das Fell über die Ohren gezogen. Hätte jegt eine Fräftige
Hand die Zügel ergriffen und die den Unterthanen gefommene
beſſere Einſicht benugt, um fie zur Zeiftung des für die Wehr-
haftmachung des Landes Nötigen anzuhalten — bas bisher Ver:
fehlte wäre gut gemacht und größeres Unheil abgewandt worden.
Uebel genug fand Georg Wilhelm den Zuftand des Landes,
als er mit 400 Mann heimkam: jo viel hatte ihm der Kaifer
ſchließlich zur Verftärkung der Befagungen mitzubringen erlaubt.
„Mein unfchuldiges Land ift ganz zur Wüftenei geworden, und
ich bin aller Mittel ganz zumal entblößt,“ klagte er. Aber
nicht bloß wegen Geldmangel lehnte er die Ladung des Kaijers
nad Regensburg ab: erft nad Räumung der Mark durd die
Kaiſerlichen erklärte er, kommen zu können, und an der Spige
der Geſandtſchaft, die er nad) Regensburg ſchickte, ftand Sieg:
mund von Gößen, neben Winterfeld der Hauptgegner Schwargen-
berga.
Der überrafhende Gang ber Dinge in Regensburg ift
befannt. Statt durch die Wahl feines Sohnes zum römiſchen
König feine Macht befeftigt zu fehen, war ber Kaifer plöglich
350 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernjche Staatögründung.
hart im Gebränge zwiſchen der auf Frankreich geftügten Ligue
und den vom Schwedenkönig zum Kampf für Glauben und
Freiheit aufgerufenen Evangeliſchen. Verftändigte er fi mit
jenen, jo mußte er jeine politiſchen Ziele — abfolutiftifche
Umgeftaltung der Reichsverfaſſung — aufgeben; der Vergleich
mit diefen machte die Einftellung der kirchlichen Reaktion nötig.
Diefe fortzuführen, opferte er Wallenftein, machte er mit Frank-
rei Frieden und überließ die Durchführung des Reftitutions-
edikts den katholiſchen Reichsfürften. Und dennoch zögerten die
Evangelifchen mit dem Anſchluß an den Schwedenkönig und
bereiteten ihm gleich eine ſchwere Krifis! Namentlich Georg
Wilhelm hat ſich niemals Eleiner gezeigt ala in jenen Tagen,
wo er durch einen tapferen Entſchluß fih um das Evangelium,
das Rei und die Zukunft feines Haufes das größte Verdienft
hätte erwerben fönnen. Und dabei bot Guſtav Adolf feinen
geringen Preis. Sein Vertrag mit Bogislam XIV. vom
10. Zuli 1630 beftimmte, wenn beim Tode des Herzogs Bran-
denburg den Vertrag noch nicht anerfannt und zur Erledigung
des Landes geholfen hätte oder fein Nachfolgerecht angefochten
würde, follte Pommern in ſchwediſchem Sequefter bleiben, bis
die Erbfolgefrage entichieden und der als beredhtigt anerkannte
Erbe Schweden für die Kriegskoſten entihädigt haben würde.
Alſo nicht die Erwerbung Pommern, nur feine militärifche
Sicherung erftrebte der König damals und ben Erſatz ber auf-
gewenbeten Koften. Dur den Beitritt hätte Georg Wilhelm
fein Recht auf Pommern von Schweden anerkannt erhalten.
Aber noch war die Mark in der Gewalt der Kaiferlichen, die
aud in Pommern und Medlenburg ben Schweden gewachſen
waren. Deshalb that Georg Wilhelm nichts. Nur ließ er im
Juli 1630 die Befeftigung Berlins in Angriff nehmen. Galt
fie den Schweden oder Wallenftein? Erſt der Rüdzug ber Kai—
jerlihen in Pommern änderte die Lage. Dazu famen bie
Regensburger Vorgänge. Nun ſchlug aud Georg Wilhelm einen
anderen Ton an: er verlangte Erſatz für bie feinem Lande
abgepreßten Kontributionen und Herftellung der Herzöge von
Medlenburg oder Uebergabe des Landes an ihn als den nächſten
Erben. Der Kaiſer ſuchte ihn zu befehwichtigen, indem er auf
IV. Die Vernichtung ber fiaatfichen Criftenz Brandenburgs. 351
die Durchführung des Reftitutiongedifts in Brandenburg ver-
zihtete und ihm ben Beſitz der ehemaligen geiftliden Güter
auf vierzig Jahre zuficherte.
Ein Erfolg des Schwedenkönigs hätte Brandenburg wohl
zu ihm berübergezogen: er war unmöglich, folange es ihm den
Durchzug verfagte, ben zu gewähren fein eigenes Interefje empfahl.
Unter ſchwediſchem Schu war Markgraf Chriftian Wilhelm
als Adminiftrator nach Magdeburg zurüdgefehrt ; die Raiferlihen
ſchloſſen e8 ein: nur ein raſcher Vormarſch Guſtav Adolfs
konnte es retten. Schwartzenberg empfahl aber, nicht bloß die
Marken, ſondern auch Pommern, Mecklenburg und ben ober-
ſächſiſchen Kreis zu neutralifieren. Ermwünfchteres hätte dem
Kaiſer freilich nicht geichehen Fünnen. Guftan Adolf erklärte
das für unmöglih: nur einen kurzen Stillftand könne er bes
willigen, fals Brandenburg fi rüften wolle, um ihm beizu=
treten. Dagegen forderte namentlich Kurt Bertram von Pfuel,
Baners Schwager, die Allianz mit Schweden. Eine britte
Gruppe unter Hans Georg von Arnim vertrat eine mittlere
Stellung gemeinfam mit Kurſachſen. Die Entſcheidung ſchob
Georg Wilhelm wieder den Ständen zu. Anfangs Auguft 1630
tagten ihre Vertreter in Berlin. Natürlich fahen fie das Heil
allein in firifter Neutralität: weber mit dem Kaiſer noch mit
Schweden dürfe man fi einlaffen, am Kriege weber offenfiv
noch defenfiv teilnehmen; man müfje „in des Kaifers Devotion
verbleiben, mit Kurſachſen zufammenhalten” und den Verdacht
irgend welcher Beziehung zu Schweben ängſtlich meiden.
Danach handelte Georg Wilhelm. Ende Auguft beſprach
er fih mit Johann Georg von Sachſen in Zabeltig. Gemein:
jam, jo flug er vor, wollten fie mit dem oberſächſiſchen Kreis
und den Seeftädten vermitteln. Aber ſchon dadurch fürchtete
der Sachſe fih dem Kaifer gegenüber zu fompromittieren. Der
Frage aber, ob Brandenburg, falls der Kaiſer oder Schweden
es zur Parteinahme zwingen follte, auf feine Hilfe rechnen
tönnte, wich er aus: dergleichen fei nicht zu befürchten. Noch
übler mußte man mit dem Verbleiben in der Denotion bes
Kaiſers fahren. Georg Wilhelm nahm doch Partei gegen
Guſtav Adolf, wenn er das drohende Schreiben der Mehrheit
352 Zweites Bu. Die erfle hohenzollernſche Staatögründung.
des Regensburger Tages an diefen unterzeichnete. Noch hielten
die Raijerlihen die Mark und jperrten den Schweden den Weg
nad Mitteldeutfhland. Wie hätten fie dem Kurfürften da
Neutralität bewilligen folen? Da ließ dieſer ven König wien,
für den Anſchluß drohe ihm Acht und Abjegung, und davor
tönne er ihn doch nicht bewahren. So wollte der König ſich vor⸗
läufig mit einer geheimen Anſchlußerklärung begnügen, erbot fi
aber zu fofortiger Einräumung Pommerns und Ueberlaſſung
von 8000 Reitern auf fünf Monate gegen 100000 Thaler.
Georg Wilhelm jedoch bemilligte nicht einmal die Einräumung
des Paſſes von Küftrin, welche die Kaiferlihen aus der Neu—
marf genötigt und die ſchwediſche Stellung in der Mark ge-
dedt hätte. Er unterhandelte weiter, unklar und infonfequent:
was er fonnte, wollte er nit, und was er wollte, fonnte er
nit. Dagegen kam ihm Kurfachfen mehr entgegen, jeit der
Ausgang des Regensburger Tages die Evangelifchen das Uebelfte
erwarten ließ. Neujahr 1631 beſprachen fich beide Fürften in
Annaburg, und Johann Georg lud die evangeliihen Stände
auf den 1. Februar zu einem Tage nad; Leipzig, um ein ge—
meinfames Vorgehen zu erwägen. Schon das machte nad
beiden Seiten Eindrud. Wären die Evangelifhen wirklich
entſchloſſen, ſich ſelbſt zu fhügen, meinte der König, fo fei er
in Deutſchland überflüffig: ftatt die gegen die Kaiſerlichen ge—
wonnenen Vorteile auszunugen, wandte er fi in Erwartung
der weiteren Entwidelung nad Medlenburg.
In Leipzig aber kam man über halbe Mafregeln nicht
hinaus. Man entwarf den ftattlihen Grundriß für ein „Defen-
fionswerf” und blieb Schweden gegenüber bei mißtrauiſcher
Neutralität, während Johann Georg, von Hans Georg von
Arnim beraten, fi in aler Stille in Kriegsbereitſchaft ſetzte.
Durch fein loyales Zumwarten hatte Guftav Adolf feine Lage
nur verſchlechtert. Exit als Tilly fi von Medienburg gegen
Magdeburg wandte, ließ er jede Rüdfiht fallen. Er entriß
den Raiferliden Frankfurt (2.12. April) und Landsberg an der
Warthe (16.26. April) und forderte vom Kurfürften (28. April)
die Deffnung des Paſſes bei Küftrin: fie wurde verweigert.
Was folte nun aus Magdeburg werden? Mit zehn Regis
IV. Die Vernichtung der ftaatlihen Exiſtenz Brandenburgs. 53
mentern zog der König auf Berlin. Am 1. Mai war er in
Köpenid. Der Kurfürft beharrte.e Da zog er noch näher an
die Hauptftadt. Eine Verteidigung war bei der Unfertigfeit
der Werke nicht möglih. So fam Georg Wilhelm eine Stunde
vor der Stadt dem Schwager entgegen, begleitet von den
fürftlihen Frauen. Von neuem beteuerte der König, nur bie
Rettung des Evangeliums habe ihn über das Meer geführt;
für fi juche er feinen Vorteil, wolle Pommern an Branden-
burg kommen laſſen und nur die Kriegsfoften erjegt haben;
auf der Gewährung fieren Durchzugs jedoch müſſe er beharren.
Der Kurfürft lehnte ab. Da legte fich des Kurfürften Schwieger:
mutter ing Mittel und beſtiumte den König, zu weiteren Ver-
handlungen mit nad) Berlin zu fommen, von 1000 Dann be:
gleitet. Dort erfolgte endlih am 4. Mai ber Abſchluß: der
Paß bei Küftrin folte den Kaiferlihen Hinfort verfagt, den
Schweden geöffnet jein; auch ſollten diefe Spandau beſetzen,
bis Magdeburg befreit wäre.
Wieder war Brandenburgs Neutralität zu Schanden ge:
worden. Im Rüden gededt, wollte der König nach Magdeburg
eilen. Da weigerte ihm Sachſen den Marſch über Wittenberg:
er mußte über Potsdam und Brandenburg ziehen. Darüber
fiel die unglüdliche Stadt am 20. Mai; der Aominiftrator
Markgraf Chriftian Wilhelm wurde friegsgefangen. Die Lage
war völlig gewandelt, ein Vorſtoß der Schweden nad Mittel-
deutfhland unmöglich, die Luft der evangeliſchen Fürften zum
Anſchluß dahin. Hätte Guftav Adolf nur ſchwediſche, nicht
evangelifhe und europäijche Intereſſen verfohten, er wäre
damals am beften heimgefehrt: die Deutſchen, jo ſchien es,
wollten nicht gerettet werden. Wirklich ließ er am 26. Mai
Levin von dem Knejebed, dem Direktor des kurfurſtlichen Ge-
heimen Rats, eröffnen, der Fal Magdeburgs und der Mangel
an Unterftügung nötigten ihn zum Rückzug nah Pommern,
Brandenburg möge fich jelbft ſchützen. Der Eindrud war nieder-
ſchmetternd: ratlofe Verzweiflung herrſchte am Berliner Hofe, der
für alles Kurſachſens Unentfchloffenheit verantwortlih machte.
Nun erklärte fih Georg Wilhelm zum Anjchluß bereit, doch
joe man ‚nicht Unmögliches verlangen. Handelte es ſich aber
Prutz, Preußifce Geſchichte. I. 23
354 Zweites Bud. Die erfte Hohenzollernihe Staatögründung.
um bejtimmte Abmadjungen, fo begann das alte Spiel: Span
dau und den Küftriner Paß wollte er den Schweden lafjen,
alles weitere aber von ber Entſcheidung Kurſachſens abhängig
maden, an das man fi) zu Leipzig gebunden habe, dagegen
müffe der König das Land gegen Tilly deden. Und dabei er-
wog Georg Wilhelm mit feinen Räten bie Aufnahme fäd:
ſiſcher und dänifcher Bejagungen in die märkiſchen Feftungen!
Blieb Guſtav Adolf da ein anderer Ausweg als Gewalt? Am
15. Juni erging fein Ultimatum: er wollte Spandau, das ihm
zur Rettung Magdeburgs geöffnet war, fofort räumen, müfle
aber binnen brei Tagen willen, ob er den Kurfürſten als Freund
oder als Feind zu betrachten habe. Georg Wilhelm jollte end:
lich Farbe befennen, eben das, was er um jeden Preis zu ver-
meiden ſuchte. Da rief er Hans Georg von Arnim herbei, den
Befehlshaber des neuen jähfiihen Heeres. Ein Märker von
Geburt und ein eifriger Evangeliſcher, nacheinander in pol:
niſchen, ſchwediſchen und faiferlihen Dienften, viel erfahren
und mit weitem Blid, überzeugte biefer ihn von der Unmög—
lihfeit der Neutralität. Nun galt es den erbitterten König
zu beſchwichtigen. Am 18. Juni räumte diefer Spandau,
marjdierte aber am 19. auf Berlin. Die Kanonen auf die
Stadt gerichtet, verlangte er Entſcheidung. Geſchäftig eilte
Arnim Hin und her, au die fürftlihen Frauen traten be-
gütigend ein; fchlieglih trafen fi die Schwäger perjönlid.
Am 21. Juni erfolgte der Abſchluß: Spandau bejegten bie
Schweden wieder, die Befagung von Küfirin unter Oberft Kracht
ſchwur Guſtav Adolf Treue: fie ſollte den Schweden jederzeit
den Durchzug geftatten, im Fall der Gefahr aber fie in bie
Feftung aufnehmen und dann dem ſchwediſchen Kommando
unterftellt fein. Zum Unterhalt der Schweden zahlte Branden-
burg monatlih 30000 Thaler.
Ohne jeden Gewinn für Brandenburg geſchah jo, was
einige Wochen früher freiwillig vollzogen die größten Vorteile
gemährt hätte. Mit Unrecht hat man Schmwargenberg dafür
verantwortlich gemadt: er mar damals gar nicht beim Kur—
fürften, ja nicht in der Mark. Bon der Miffion nad Düſſel-
dorf zurüdgefehrt, Tag er längere Zeit ſchwer krank. Im No—
IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Eriſtenz Brandenburgs. 355
vember 1630 wurde er nad) Holland und dem Niederrhein ge=
ſchickt. Dort blieb er zwei Jahre: erſt nad) der Schlacht bei
Zügen erfheint er wieder am Hofe. An dem, was inzwijchen
geſchah, Hatte er feinen Anteil. Daß er es nicht billigte, ift
richtig. Er war ein Gegner des ſchwediſchen Bünbniffes: ſchon
feine Konfeſſion verſchloß ihm das Verftändnis der Motive und
Ziele Guftav Adolfs, in dem er nicht den Netter des Evan-
geliums und der beutjchen Freiheit, fondern einen Eroberer
von der Art Chriftians IV. ſah. Daß er das ausſprach und
den Kurfürften vor Schweden warnte, war fein Unrecht, war
fein Recht und feine Pflicht. Die vollendete Thatfahe aber
hat er acceptiert und fich beſchieden, es müſſe in jeiner Ab—
weſenheit eine Aenderung der Verhältniffe erfolgt fein, welche
die veränderte Anjhauung rechtfertigte und vielleicht auch ihn
zu ihr befehrt hätte, daß er anders geurteilt, fei kein Un—
recht. Den Verdacht einer Verbindung mit dem Wiener Hofe
wies er entjchieden zurüd: ein Parteigänger des Kaiſers oder
Spaniens fei er jo wenig wie ein Jeſuit. „Sch bin gut bran-
denburgiſch, und das werde ich und meine Kinder, jo lange
wir leben, bleiben.” Dagegen trug das Bild, das Guftav
Adolf fih von Schwargenberg machte, wohl die Züge und die
Farben, die ihm die furfürftlihen Frauen liehen. Am liebften
hätte fi} der Graf felbit vor dem König gerechtfertigt. Aber
Georg Wilhelm hielt ihn fern. Mißtraute er der eigenen Kraft
und fürchtete duch ihn wieder aus der Bahn geworfen zu
werben, in die er eben hatte einlenfen müſſen?
Nun endlich Fam die Kriegerifche Aktion in Gang. Schon
hatte Guftav Adolf die Kaijerlihen aus Brandenburg, Rathenow
und Jerihom werfen laflen. Jetzt drang er. auf Tangermünde,
ging über die Elbe, nahm Stendal, Arneburg und Werben
und verficherte ſich des dortigen Elbübergangs. Dann aber
mußte er Halt maden. Denn Johann Georg von Sachſen
lehnte nicht bloß das angebotene Offenfivbündnis ab, jondern
auch die geforderte jelbftändige Aftion des Leipziger Konvents,
ja er näherte fi dem Kaifer und beſchickte den Frankfurter
Tag, auf dem die Religionsparteien eine Verftändigung über
das Reſtitutionsedikt ſuchten. Inzwiſchen brandihagte Tilly
356 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Stantsgründung.
Thüringen und Hefien und vereinigte fih mit ben Kaiferlichen,
Sadjen war in feiner Hand und jollte fi dem Reftitutions-
edikt beugen, als er Befehl erhielt, Guſtav Adolf aus der
Stellung an der Elbe zu werfen. Das gelang ihm nicht, und
er ging nad Sachſen zurüd, es zu entwaffnen und dem Raifer
zu unterwerfen. Was dort in feiner Wiege jegt das Schidjal
des Evangeliums fein würde, ftand zum voraus fell. Das
begriff auch Johann Georg: da fonnte nur der Anſchluß an
Schweden retten. Auf Arnims Hilferuf eilte Guſtav Adolf
herbei. In Gegenwart Georg Wilhelms trafen der König
und der Sachſe zufammen, den Bund zu ſchließen und bie
legten Berabredungen zu treffen. Gleich danach vereinigten fi
ihre Heere, während Tilly ſchon Leipzig bedrohte. Am 7. Sep-
tember wurde er bei Breitenfeld geſchlagen: die Evangeliſchen
waren gerettet.
Zunächſt gewann davon Brandenburg: das Reftitutions-
edift brauchte es nicht mehr zu fürdten. Die Waffenruhe für
Preußen war nun gefihert; das Land fing an fi zu erholen,
Aderbau, Handel und Gewerbe lebten auf. König Sigis-
munds II. Tod im Frühjahr 1632, das Interregnum und die
Wahlkämpfe befeitigten dort vollends jede Gefahr, Wladis—
law IV. erleichterte fogar die Lehensbedingungen. Aber auch
am Niederrhein befierte fih Brandenburgs Stellung. Der
Kaifer und Spanien vollzogen die 1629 vereinbarte Räumung
des größeren Teil des Landes: feit dem Frühjahr 1631 lagen
nur noch in Rees, Emmerich) und Weſel niederländifhe und
in Jülich, Orfoy und Sittard fpanifche Truppen, und die Stände
von Cleve und Mark erkannten Georg Wilhelm vorbehaltlos
als Landesherrn an. Der Erfolg rechtfertigte aljo den Anſchluß
an Schweden. Benugte Georg Wilhelm die Umftände und
verfolgte dieſen Weg entſchloſſen weiter, jo war aud für die
Mark eine Beflerung zu hoffen; denn Guſtav Adolf wollte ein
offenes und ehrliches Einverftändnis, ein auf volle Gemein:
ſchaft der Intereſſen gegründetes Schuß: und Trugbündnis.
Den Zwang, den er Hatte anwenden müfjen und durch bie
Belegung von Spandau und die Erhebung von 30 000 Thalern
monatlich noch ausübte, mwollte er abftellen: nur einige Zeit
IV. Die Vernichtung ber ſtaatlichen Eriftenz Brandenburgs, 357
noch möge man ihn geduldig tragen. Gegen feine urjprüng-
lie Abſicht, ihm völlig zu entwafnen, hatte er Georg Wil-
heim bereits erlaubt, außer den ihm zugeftandenen Feitungs-
befagungen Truppen zu halten. Auch wagten die Stände der-
malen nit die Mittel dazu zu verweigern: im Frühjahr 1632
hatte Georg Wilhelm 5000 Mann unter Waffen. Aber an
dem Programm hielten die Stände feit, das ihre Vertreter
zuletzt entwidelt hatten, namentlich bem Verlangen engiten An-
ſchluſſes an Kurſachſen: ihr Mann war Hans Georg von Arnim.
Anders urteilte die große Maffe: fie war der furchtbaren Ge-
fahr ihres Glaubens inne geworben und blicte dankbar zu dem
Retter auf. Aehnlich gefpalten war die Regierung. Zwar hatten
die ſchwedenfreundlichen Frauen und die gleichdenkenden Räte
Schwargenbergs Einfluß nicht mehr zu fürchten, wohl aber die
Unentſchloſſenheit des Kurfürften, der troß fteter Sorge um
feine Selbftändigfeit immer abhängiger von Johann Georg von
Sadjen wurde. Mit defien Hilfe juchte er ſich weiteren Zu:
mutungen Schwebens zu entziehen. Den Antrag feines Schwagers
auf ein förmliches Bündnis lehnte er im Oktober 1631 unter
Berufung auf feine Pflichten gegen den Raifer ab. Diefer
Standpunkt, ohnehin auf einer Fiktion beruhend, wurde un—
haltbar, als der Siegeslauf des Königs eine Neugeftaltung des
Reis in Ausſicht ſiellte. Wie Guſtav Adolf diefe ſich auch
gedacht haben mag: er rechnete dabei viel mehr auf Branden-
burg als auf Sachſen. Daß, um Schwedens Stellung an ber
Spige der deutſchen Evangelifchen zu fihern, Pommern ſchwe—
diſch wurde, war eine militärifche und politiſche Notwendigkeit.
Aber Brandenburg follte reich entſchädigt werden. Schlefien,
die Laufig, das Erzbistum Magdeburg waren ihm zugebadht,
nod andere Säfularifationen in Ausfiht genommen. Und
nicht bloß das: damals zuerft befchäftigte den König — nicht
als ein flüchtig auftauchender Gedanke, jondern als ein jo
ernftlich erörterter Plan, daß nad feinem Tode feine ver:
trauteften Räte darauf zurüdzulommen ſich für verpflichtet
hielten — das Projekt der Vermählung feiner einzigen Tochter
Chriftine mit ihrem Vetter, Georg Wilhelms Sohn, Friedrich
Wilhelm. Sie hätte eine geſchloſſene evangeliihe Nordmacht
358 „Zweites Bud. Tie erite bobenzollerniche Staatsgründung.
geihaiten, die in Deutihland das Evangelium und die reihe:
fürftliche Freiheit geiihert und in Verbindung mit den deutſchen
Proteitanten, den Niederlanden und England und auf Frank:
reich geitügt, die ſpaniſch-habsburgiſche Weltmaht in Schach
gehalten Hätte. Wohl verfehlten ſolche Ausſichten nit ihres
Eindruds auf Georg Wilhelm. Ob er jie aber ernit nahm?
Jedenfalls lag bei der Jugend bes Kurprinzen und ber ſchwe—
difhen Thronerbin die Verwirflihung diejes Plans noch in
weiter Ferne. Ihn trogdem zur Bafıs der brandenburgifdhen
Politif zu machen, hätte den jofortigen Anſchluß an Schweden
erfordert und den Hobenzollern Neider und Feinde in Menge
erwedt. Sole Entſchloſſenheit war nit Georg. Wilhelms
Art. Piel zwingenderer Momente bedurfte eg, um ihn zum
Handeln für Schweden und an der Seite Schwedens zu ver-
mögen. Und erft ein ſolches ſchuf den Boden für eine Union
der Häujer Waſa und Hohenzollern.
Mitte Februar 1632 erſchien der Kurfürft in Dresden zu
Verhandlungen über einen Frieden mit dem Kaifer und etwaige
gemeinjame militärifhe Maßnahmen. Bei eriteren ftanden be—
zeichnenderweife finanzielle Jnterefien voran: man verlangte
vom Kaiſer Erjag für den erlittenen Schaden und die Kriegs—
koſten, und Georg Wilhelm allein ſoll nicht weniger als 20 Mil-
lionen Gulden gefordert haben. Andererjeits vermarf Kurſachſen
fomohl die Herftellung der Pfälzer wie die Entſchädigung
Schwedens durch das Erzbistum Bremen und forderte die un-
veränderte Augsburgiſche Konfeſſion und die Konforbienformel
als Grundlage des zu erneuenden Religionsfriedens, ftellte alſo
Georg Wilhelm und fein Haus außerhalb desjelben, während
Schweden den Reformierten endlich zu ihrem Recht verhelfen
wollte. Auch jeine Truppen mit den brandenburgiſchen zur
Dedung der Mark nad) Schlefien zu fhiden, wie Guftan Adolf
empfohlen, lehnte Johann Georg ab. So ftand die Marf
einem plöglihen Anfall der Kaijerlihen offen: nur engerer
Anſchluß an Schweden verhieg da Sicherheit. Da rief der
polnische Thronwechſel Georg Wilhelm nad Preußen. Des
Einbruchs Wallenfteins von Böhmen her jeden Augenblid ge-
wärtig, bat der Statthalter Markgraf Sigismund den an der
IV. Die Vernichtung ber ſiaatlichen Eriſtenz Brandenburgs. 59
Warthe ftehenden ſchwediſchen General Dumald, einen Streif:
zug nach der Laufig und Schlefien zu maden. Ohne Befehl
des Königs aber mochte diefer feinen Poften nicht verlafien:
die Brandenburger möchten felbft handeln. Da drangen bieje
im Juni unter Konrad von Burgsdorf jühmärts vor, nahmen
Kroſſen, Grüneberg und Freiftabt und behaupteten, von ben
Raiferlihen zurüdgedrängt, mwenigftens den erften Platz. Eben
jegt aber trat die Krifis des Krieges ein. Nachdem er bie
Sadjen aus Böhmen geworfen, zog Wallenftein nah Franken
und lagerte, Guſtav Adolf im Rüden bevrohend, bei Nürn-
berg. Der Kurfürft von Sachſen aber, jtatt dem dorthin eilenden
König zu helfen, ſchickte feine Hauptmacht unter Arnim gegen
die Raiferlihen nach Niederſchleſien, wo fie (17. Juli) Glogau
eroberte. Nun zog aud Duwald dorthin, mit ihm die Brans
denburger. Bei Steinau ſchlugen fie die Kaiferlihen und nahmen
Schweidnitz, Franfenftein und Neiße, während Wallenftein trog
aller Mahnungen in feinem Lager blieb, dann aber fi plöß-
lich nad Sachſen wandte und Guftan Adolf durch die Bes
drohung feiner Rüdzugslinie zum Abzug aus dem Süden nötigte.
Bald folgte die Lützener Schlaht und des Königs Tod.
Nun war Brandenburg ſchwer bedroht. Trotz des ſchwe—
diſchen Sieges fürdtete man das Vorbringen der Kaiferlichen
in die Marken und Pommern. Welche Richtung die ſchwediſche
Politik einſchlagen würde, war nicht abzufehen. Auf Sachſen
war fein Verlag: hatte doch in Schlefien alles nad dem
Steinauer Siege Gemonnene dem von diplomatifhen Rüdfichten
beherrſchten Arnim abgerungen werben müſſen. Georg Wil-
helm eilte nad der Mark, wo im Hinblid auf „den äußerft
gefährlichen und ſorglichen Zuftand in der Nachbarſchaft“ be
reits am 12. November ein allgemeines Aufgebot ergangen
war: die Bevölkerung ſollte „zur Rettung des gemeinfamen
Vaterlandes und fein felbit hochnotwendigen Gegenwehr und
Abtreibung alles dräuenden Uebels gefaßt ſein“. Das Waffen:
glüd der Schweden wandte die Gefahr ab; in der Politik jedoch
vollzog ſich ein folgenſchwerer Wandel. Der Einfluß Frank:
reichs begann den Norden und den Süden des Reichs zu trennen.
Im Norden näherte Sachſen fih Wallenftein und fuchte dabei
360 Zuweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
Brandenburg mit fi zu ziehen. Georg Wilhelm aber glaubte
nit an des Kaiſers Geneigtheit zu billigem Frieden, meinte
aud, durch Entgegenkommen die Laiferlihen Forderungen nur
zu fteigern. Andererſeits hielten die Leiter ber ſchwediſchen
Politik den Eheplan feit, verlangten freilih aud, der Kur:
prinz folle in Schweben und Iutherifch erzogen werden. So
blieb eine neue Beſprechung der beiden Kurfürften zu Dresden
(Ende Februar 1633) ohne Ergebnis, und Johann Georg zog
feine Armee aus Schlefien zurüd. Ihrem Befehlshaber waren
mit Zuſtimmung Schwedens auch die brandenburgiſchen Truppen
unterftelt: fie jollten nur abgerufen werben dürfen, wenn es
das eigene Land zu beden galt. Sachſens Führerrolle ſchien
ausgefpielt, die Hohenzollern ſchienen an die Stelle der Albertiner
zu treten. Schon ftand Frankreich mit Georg Wilhelm in leb-
haftem Verkehr, der völlig entſchloſſen ſchien, bei Schweden
zu bleiben. Neue Rüftungen begannen. Ein Buß: und Bet—
tag wurde gehalten, allgemeine Bewaffnung befohlen. Avo—
fatorien verboten am 4. Juli allen brandenburgiſchen Vaſallen
und Unterthanen bei ſchwerer Strafe den Dienft „in den fried-
ländiſchen, bayriſchen und anderen päpftlichen ligiftifchen Heeren” :
fei e8 doch weltfundig, daß der evangelifhe Glaube vertilgt
und die ihm zugethanen Fürften und Stände von Land und
Leuten und ihre Unterthanen von Haus und Hof gejagt werden
follten: es handele fih um die Religion und die deutſche
Freiheit.
Inzwiſchen machte Wallenftein Arnim, der ihm mit den
Sachſen und Brandenburgern gegenüber ftand, die erjten Anz
träge zu einer Verftändigung auf Roften der Schweden, indem
er einen Neihsfrieden auf Grund bes Zuſtandes von 1618
verhieß. Bald zeigte eine überraſchende Waffenruhe, daß Außer-
ordentliches im Werke ſei. Was follte Georg Wilhelm thun?
Mußte der Bund mit Schweden jegt nicht fein Verderben
werden? Die perfünlien und politiihen Gegenfäge erneuten
fi) in feiner Umgebung. Den Freunden Schwebens, welche
die Avofatorien und das Landesaufgebot durchgeſetzt hatten,
traten die Vorfämpfer des Friedens und der Neutralität ent—
gegen, jegt wieder von Echwargenberg geleitet.
IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Eriſtenz Brandenburgs. 361
Der Graf hatte die Entfernung vom Hof ſchwer empfunden,
doch wohl nicht bloß aus perjönlicder Anhänglichkeit an Georg
Wilhelm. Aber gleih nad Guftan Adolfs Tod war er nad
Königsberg berufen worden, hatte den Kurfürſten jedoch nicht
nad der Mark begleitet. Erſt im Sommer 1633 erſchien er
in Berlin, und fofort machte fi fein Einfluß wieder geltend.
Bald war die Gegnerihaft zwiſchen ihm und den übrigen Räten
ein Faktor, mit dem die fremden Diplomaten rechneten. Die
Verhandlungen zwifchen Wallenftein, ven bohmiſchen Emigranten
und Arnim führten indefien am 21. Auguft zu einem zweiten
vierwöchigen Waffenftillftand. Mitte September ſchien man
mit Wallenftein vollends einig geworden zu fein. Auch Georg
Wilhelm, den Arnim in Beeskow aufjuchte, hatte zugeftimmt.
Die Konjunktion der Sachſen, Brandenburger und Schweden
mit dem faiferlihen Generaliffimus ſchien unmittelbar bevor-
äuftehen, während von den Beteiligten doch thatjädjlich niemand
an den Ernft und die Ehrlichkeit Wallenfteins glaubte. Da
kundigte diefer den Waffenftilftand: er fah, daß Arnim zum
Kampf gegen die Schweben nicht zu haben war. Arnim eilte
das nun ſchwer bedrohte Sachſen zu deden, nahm aud die
brandenburgiſchen Truppen mit dorthin. Statt ihm zu folgen,
warf fih Wallenftein plöglih auf die die Oderlinie dedenden
ſchwediſchen Generale Graf Thurn und Dumald und bradte
ihnen am 11. Oktober bei Steinau eine Niederlage bei. Bald
war faft ganz Schlefien in feiner Gewalt. Dann eilte er gegen
die völlig ungebedte Mark, befegte Krofien, nahm Frankfurt,
deſſen Bejagung nah Küftrin entwich, und dann Landsberg.
Fürftenwalde wurde niebergebrannt, Storkow und Köpenid be=
ſetzt. Bald war Berlin bedroht. Der Kurfürft floh nad) Bran-
benburg, dann in die Altmark. Die VBürgerfhaft, auf das
Schlimmſte gefaßt, barg ſich fingend und betend in den Kirchen.
Auch erfchien der Oberft Wiens, ein Märker von Geburt, und
verlangte Quartier für fünf Regimenter und eine Kontribution
von 50000 Thalern. Der Rat erklärte, bloß 2000 aufbringen
zu können. In diefer Bedrängnis, die das Trugipiel der ge-
planten Konjunktion nur noch demütigender machte, warf fi
Georg Wilhelm endlich ganz in die Arme Schwedens und
362 Zweites Bug. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
Frankreichs. Am 28. Oktober unterzeichnete er in Havelberg
den Vertrag, der ihm Friedensunterhandlungen nur mit beiden
gemeinfam erlaubte. Eben noch von Schweden loszukommen
bemüht, war er enger ala je an basjelbe gebunden. Er hatte
fi übereilt. Es fam nicht jo ſchlimm, wie er gefürchtet.
Denn als Arnim herbeieilte und die Rüdzugslinie ber nad
Berlin vorgejhobenen Kaiſerlichen bedrohte, eilten (11. No:
vember) diefe davon. Wallenftein ſelbſt gebot bie Nachricht
von dem Angriff Bernhards von Weimar auf Regensburg Halt.
Doch mißlang Arnims Angriff auf Frankfurt; zwiſchen der kai—
jerlihen Befagung und Sachſen und Brandenburgern fanden
noch kleinere Gefechte ftatt, dann kamen ſchwediſche Verſtärkungen
aus Preußen heran. Baner erſchien mit beträdtliher Macht.
Entſcheidend aber wurde die rätjelhafte Unthätigkeit Wallen-
fteins: fie bereitete die zu feinem Untergang führende Krifis vor.
Auch Brandenburg ftand bis zulegt mit Wallenftein in
Verbindung, troß der eben gegen Schweden und Franfreid
übernommenen Pflichten bereit, mit dem Kaiſer abzufchließen,
und obgleich Georg Wilhelm felbft meinte, man wolle ihn nur
von aller Afjiftenz entblößen und ihm die Waffen aus den
Händen fpielen, um danach den Unglimpf des ausgeſchlagenen
Friedens auf ihn zu wälzen. Während man bes Kaifers Friedens-
vorſchläge in allgemeinen Wendungen beantwortete, wurden
Ballenfteins legte Erbietungen, mit denen Arnim am 5. Februar
in Berlin erf&ien, in Gegenwart bes Nurfürften zwei Tage
(7. und 8. Februar) Hindurh von dem Geheimen Rate ein:
gehendft erwogen. Wallenftein wollte mit den Verbündeten Frieden
ſchließen, auch ohne des Kaiſers Zuftimmung. Konnte man
daran glauben? Seit dem jähen Abbruch der letzten Verband:
Lungen herrſchte tiefes Mißtrauen gegen den Herzog: man wollte
ſich nicht noch einmal einer ähnlichen Vergewaltigung ausfegen,
andererfeits aber auch Feine Möglichkeit unverſucht laſſen.
Widerftrebend, ohne Glauben an den Erfolg und im Gefühl
des Unrechts gegen Schweden, trat man an die Sache heran.
Wie hätte Georg Wilhelm dem Drud einer ſolchen Situation
widerſtehen und nicht wie ein Rohr bin und her ſchwanken
ſollen? Kläglicher denn je war die Rolle, die er fpielte, trotz
IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Eriſtenz Brandendurgs. 363
der Vorhaltung bes ehrlichen Levin von dem Kneſebeck, „con-
stantia made einem Fürften Reſpekt, inconstantia verurſache,
daß er zwiſchen zwei Stühlen fige”. Alle Geheimeräte, auch
Schmwargenberg, meinten, ohne Wiſſen und Willen Schwedens
und Frankreichs dürfe man nicht unterhandeln, auch möge Rur:
ſachſen erft noch Genaueres über die Vollmacht und die Abfiht
Wallenfteins erfunden. Der Kurfürft ftimmte bei, und Arnim
wurde demgemäß beſchieden. Doch genügte ihm die Antwort
nit, und es gelang ihm, in der Morgenfrühe des 9. Februar
zu dem noch im Bett liegenden Georg Wilhelm Zutritt zu er:
langen und ihm durch neue dringende Vorftellungen die Er:
Märung abzuringen, er wolle mit Kurſachſen zufammengehen
und zugleich mit ihm Frieden ſchließen. Inwieweit Schwargen-
berg die Hand im Spiel hatte, muß dahingeftellt bleiben: aber
am Nachmittag wiederholte er feines Herrn Neußerung Arnim
wörtlich, weigerte ſich jedoch, fie als offizielle Antwort an Sachſen
ausfertigen zu lajjen, da diefe vom Geheimen Rat tags zu:
vor feftgeftelt fei. Endlich einigte man fi dahin, der Kur:
fürft folte jene Worte vom Morgen Arnim in eigenhändiger
Niederſchrift mitgeben. Was diejer jpät abends befam, gab
aber einfach der Hoffnung Ausdrud, die mit dem Kaifer und
defien Feldhauptmann zu vereinbarenden Bedingungen möchten
von allen evangeliſchen Ständen gebilligt werden. Arnim ſprach
fein Erftaunen über diefe Unbeftändigfeit aus: da müſſe er fi
an ben ihm mündlich gegebenen Beſcheid halten und würde
den abweichenden fhriftlihen gar nicht angenommen haben,
handelte es fi nit um bes Kurfürſten eigene Handſchrift.
Georg Wilhelms Verhalten ift nur durch die Annahme
erflärlih, daß er längit aus dem ſchwediſchen Bündnis loszu—
fommen und mit dem Kaifer verföhnt zu werben wünſchte.
Nur hielt feine Scheu vor den Folgen des Vertragsbruchs, den
er gegen Schweden und Frankreich begehen wollte, der Furcht
die Wage, wie ihm Wallenftein nad) der Schlacht bei Steinau
angebroht hatte, um Land und Leute und Dignität gebracht
zu werben. Die neue Sinnesänderung wird füglich dem Ein-
flug Schwargenbergs zuzufchreiben fein. Dabei war diejer auch
jegt nach befter Ueberzeugung für Brandenburgs Wohl bedacht,
364 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
und wie er feine Auffaffung der Lage in den zweitägigen
Debatten des Geheimen Rats entwidelt hat, wird man nicht
umhin fönnen, den von ihm vorgezeichneten Meg als ben
augenblicklich ausfihtsvollften anzuerfennen. Auch er hatte den
Bund mit Schweden einjt als berechtigt und nüglich anerkannt.
Seit Guftav Adolfs Tod aber hatte fi) das geändert. Schweden
verfolgte in Deutſchland felbftfüchtige Ziele, die zum Teil nur
auf Koſten Brandenburgs erreihbar waren, während die Allianz
mit Schweden und Frankreich diejes verpflichtete, den Krieg
fo lange fortzufegen, wie e& jenen beliebte, Frankreich aber
Spaniens wegen ein Interefje daran hatte, den Frieden mög—
lichft hinaus zu ſchieben. Deshalb ſollte der Kurfürft auf die
Friedensanträge des Kaifers jo weit eingehen, als ohne Bruch
mit Schweden und Franfreih möglich war, aud den Kaiſer
durch Ausfiht auf einen befriebigenden Abſchluß zu weiterem
Entgegenfommen gewinnen. Dem ftimmte jelbft Zevin von dem
Senefebed bei und billigte das Verbleiben im Bunde mit den
Evangeliſchen unter gleichzeitiger Annäherung an ben Kaifer
zur Herbeiführung des Friedens.
Nur fielen auch diesmal in dem Augenblid, wo man in
Berlin zu einem Entſchluſſe fam, die Borausfegungen fort, auf
die hin er gefaßt war: das blutige Ende Wallenfteins, ein
Sieg der Jeſuiten und Spaniens, rüdte den Frieden in weite
Ferne. Bon den Zugeftändnifjen, die der Ermordete in Saden
der Religion gemacht hatte, war feine Rede mehr. Sachſens,
das auf eigene Hand meiter unterhandelte, glaubte man in
Wien fiher zu fein. Um fo ſchwerer jollte mit Schweden
Brandenburg getroffen werben. Schon ftellte der Fall Regens—
burgs (Juli 1634) die Unterwerfung von Sübbeutfchland in
nahe Ausfiht. Unter den Evangelifchen vermehrte fi ber
Hader. Auf einem Tage zu Frankfurt Hintertrieb Sachſen die
von Schweden geforderte enge Verbindung der nord» und der
ſüddeutſchen Evangelifhen, um nicht die Gleichberechtigung der
Reformierten anerkennen zu müfjen. Schweden erklärte dort
zuerſt, Pommern nicht herausgeben zu können. Georg Wil:
helm war außer fi. Arnim meinte, das braude man fi
nicht gefallen zu lafjen. Konnte man danach noch Waffengemein-
IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Exiſtenz Brandenburgs. 365
{haft mit den Schweden haben? Eben waren dieje unter Baner,
nachdem fie den Kaiſerlichen Frankfurt und Landsberg entriffen,
mit den Sachſen unter Arnim bis Prag vorgebrungen. Der
Fall Negensburgs nötigte fie zum Rückzug nad Sachſen, wo
Arnim die Verhandlungen mit dem Kaifer wieder aufnahm.
Da zertrümmerte bie Schlacht bei Nördlingen die Machtftellung
Schwedens in Süddeutſchland. Pommern zu deden, mußte Baner
zurüd. Längſt waren die brandenburgiſchen Negimenter die
Verbindung mit Schweben überbrüffig. Anfang September
erlaubte auf Schwargenbergs Betreiben der Kurfürft ihnen, ihre
eigenen Wege zu gehen. Man mar in vollem Zuge zum Ueber:
tritt auf die Seite bes Kaifers. Aber die Bedingungen dafür
auszumachen überließ man Arnim. So kamen die Präliminarien
von Pirna (24. November 1634) zu ftande. Für Sachſen war
darin gut geforgt, die Intereſſen der übrigen Evangelifchen
aber wurden nur fehr lau wahrgenommen, die proteftantifchen
Schleſier preisgegeben und die an den böhmischen und pfälzifchen
Händeln Beteiligten von der verheißenen Amneftie ausgeſchloſſen.
Dann aber änderte der definitive Frieden von Prag (20. Mai
1635) die urfprünglicden Abmachungen vielfach noch zum Nachteil
der Evangelijchen: jelbft Arnim erflärte ihre Annahme für un:
vereinbar mit feinem Gewiſſen. In ganz Deutfchland herrichte
zornige Entrüftung über das neue Judaswerk des Albertiners.
Aber der Prager Friede follte für das ganze Reich gelten,
wer ihn nicht annahm, gewiſſermaßen außerhalb des Rechts
ftehen. Der Kaifer und Sadjen ftellten allen anderen Reichs—
ftänden ein Ultimatum. Und auf welhe Bedingungen hin!
Die Auflöfung aller Sonderbündnifje mit Ausnahme des Kurz
vereins, ber Erbvereine des Haufes Defterreih und der Erb:
verbrüderung zwifhen Sachen, Heſſen und Brandenburg, das
Verbot an Fürften und Stände, mehr Kriegsvolf zu halten,
als zur Befagung ihrer Feſtungen erforderlich, die Schaffung
einer faiferlihen Armee von 80000 Mann und die Verpflid-
tung, dem Kaiſer und ben Katholiken zur Eroberung ber in
fremde Hände geratenen Gebiete zu helfen, gaben bie unum—
ſchränkte Militärhoheit und die alleinige Vertretung Deutſch-
lands dem Auslande gegenüber an den Kaifer, neben dem
366 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
nur dem ſächſiſchen Kurfürften eine Art von Vorrang eingeräumt
wurde. Dagegen wollte es wenig bejagen, daß ala Normaljahr
für den proteſtantiſchen Beſitzſtand 1627 angenommen und das
Reftitutionsebift auf fernere vierzig Jahre fujpendiert wurde.
Auch für Brandenburg hieß den Frieden annehmen, fih mit
gebundenen Händen dem Kaifer überantworten und zugleich
der Rache Schwedens ausfegen, wenn es nicht gerüftet blieb,
um fein Recht nach beiden Seiten zu wahren. Dann aller:
dings bot felbft diefer Friede befjere Ausfichten als das Aus:
harren im ſchwediſchen und franzöfifhen Bündnis. Er ermög-
lichte bewaffnete Neutralität. Sie erftrebten die Geheimeräte,
während der Kurfürft immer ungebuldiger zum Anſchluß an
den Kaifer drängte. Ihn wünſchten auch die Stände. Auf
die Kunde von den Pirnaer Präliminarien berufen, verlangten
ihre Vertreter im Januar 1635 vor allem eine Reduktion ber
Truppen um bie Hälfte und bemilligten die zur Ablöhnung
nötigen Summen. Man entwaffnete, wo es gegolten hätte bis
an bie Zähne gerüftet zu bleiben! Zugleich wurde mit Schweden
verhandelt. Diefes fteigerte jegt fein Angebot: Brandenburg
ſollte Pommern erhalten, auf Jägerndorf und Liegnig, ja ganz
Schleſien machte man ihm Ausſicht; dafür ſollte es Schweden
zu Magdeburg, Halberftadt und Osnabrüd verhelfen. Schwargen-
berg ging nad Dresden, um von Johann Georg in betreff
der Anfprüche auf Jülich und Preußen Zugeftändniffe zu er
wirken. Den wieder verfammelten Vertretern ber Stände
zeigte man, wie nad) dem Bruch mit Schweden Franzofen und
Niederländer die niederrheinifchen Lande befegen würden, Pom—
mern aber erft zu erobern bliebe, während der Ablehnung des
Prager Friedens der Einbruch der Kaiſerlichen und der Sachſen
folgen würde. Eine beftimmte Meinungsäußerung erfolgte
nit. Da äußerte fi Oxenftierna nicht bloß wegen Jülichs
und Pommerns günftig, ſondern eröffnete jogar die Möglich-
feit, Schweden fünnte fi) mit einer Geldentſchädigung begnügen.
Daraufhin unterhandelte Sachſen mit Schweden, freilich mehr
zum Schein. Indeſſen konnten Kaiferlihe und Sadjen von
Schleſien oder der Lauſitz jeden Augenblid über die Mark her-
fallen, und auch die Schweden jtanden zum Einbruch bereit. Kam
IV. Die Vernichtung ber ſtaatlichen Exiſtenz Brandenburgs. 367
es zum Kampfe, ehe Brandenburg Partei genommen hatte, ſo
mußte es fürchten, von beiden Teilen als Feind behandelt und
zwiſchen ihnen zermalmt zu werden. Georg Wilhelm hatte längſt
gewählt, verſuchte aber doch noch durch Schwartzenberg beſſere
Bedingungen zu erhalten — die Herſtellung von Kurpſalz, die
allgemeine Amneſtie, Sicherheit gegen Sachſens Anſprüche in
Julich. Aber auch ohne fie ſollte der Graf abſchließen. Und
fo fam es audi: ohne eine ber geforderten Erleichterungen
erwirkt zu haben, erklärte er Brandenburgs Anſchluß an den
Prager Frieden.
Nichts ift Schwargenberg jo ſchwer zum Vorwurf gemacht
worden wie dies. Er foll das Verhängnis verjchuldet haben,
das nun über Georg Wilhelm und feinen Staat hereinbrad,
indem er den Aurfürften zu einer Entiheidung drängte, die
der Weberzeugung des Geheimen Rats und den Wünfchen der
Öffentlichen Meinung entgegen war. Das ift nicht erweisbar:
erft nachträglich, angefihts des unglüdlihen Ganges, den bie
Dinge jpäter nahmen und ber, hätte man des Grafen Rat
befolgt, vieleicht vermieden wäre, ift diefe Anklage erhoben,
an die damals niemand gedacht hat. Das eigene Verſchulden
zu verdeden, haben Schwargenbergs Gegner, die mit ihm bie
Verantwortung teilten, fi jpäter den Anfchein gegeben, als
ob fie vergebens gewarnt und anders zu handeln geraten hätten.
Was damals an Fehlern begangen, hat man nachträglich auf
den allmächtigen Minijter abgewälzt, als er aus ganz anderen
Gründen zu Fall gekommen und folhe Anklagen zu widerlegen
außer flande war. Erft neuere Forſchungen haben ihm Gerechtig⸗
feit verihafft und den Makel von ihm genommen, mit dem
Parteileidenſchaft jein Andenken befledt hatte.
Gewiß ift der Prager Friebe für Brandenburg unheilvoll
geworden. Nur hat nicht Schwargenberg perjönlic den Ans
ſchluß durchgefegt. Vielmehr befragte Georg Wilhelm angefichts
der folgenfchweren Entſcheidung, die e8 galt, und gemäß feiner
Gewohnheit die Stände. Auch die Geiftlihfeit Hatte fi gut—
adhtlich zu äußern. Beide ſprachen ſich für den Beitritt aus:
wenn ber allgemeine Friede num einmal nicht zu haben jei,
müffe man von zwei Uebeln — Fortgang bes Krieges oder
368 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
Bartikularfrieden — das geringere wählen. Dabei fegten
Stände und Geiftlichfeit, wie auch der Kurfürſt und feine
Minifter, freilid) voraus, einmal, daß man einen wirklichen
und dauerhaften Frieden gewänne, dann, daß der Kaifer und
Sadjen ſich bei Schweden um den allgemeinen Frieben auch
weiterhin ernftlih bemühen würden. Beides aber traf nicht
zu. Doch nit Schwargenberg und nit Georg Wilhelm,
ſondern bie Hinterhaltige und eigennügige Politif Sachſens ver:
ſchuldete es, daß die Verhandlungen mit Schweden fceiterten,
obgleich dieſes ohne jeden territorialen Gewinn allein gegen
acht Millionen Thaler das Rei zu räumen bereit war. Der:
gebens mahnte Georg Wilhelm zuzugreifen: der Krieg, den
man bald beendet zu ſehen gehofft, dauerte fort. Nun erft
wurde Brandenburgs Lage peinlih. Nach dem Prager Frieden
mußte es militärifch zum Kaifer ftehen, durfte aber doch auch
die diplomatifchen Beziehungen zu Schweden nicht abbredhen,
um wenigftens einige Schonung für die Marken zu erwirken.
Das ergab ein widerſpruchsvolles, auf die Dauer unmöglides
Verhältnis. Wie tonnte man von den Schweden Rüdficht ver-
langen, wenn man dur die Militärfonvention vom 6. Of:
tober 1636 die beiden brandenburgiſchen Reiterregimenter Kur—
jachjen zum Kampf gegen fie überließ und dieſem die Havel:
und Oberpäffe öffnete? Man hatte geglaubt, Schwedens Straft
und Glüd gingen zu Ende. Das Gegenteil trat ein, während
die als Bundesgenofjen im Lande ftehenden Sachſen und Kaifer:
lichen dem ärgften Feinde glei hauften. Schwer traf bes
fiegreihen Baner Hand das erſchöpfte Land. Auch Berlin
hatte trog des Rurfürften Bitten Feine Schonung zu erwarten,
wollte man fie nicht durch Zugeftändnifie erfaufen, bie ber
Kaifer als Bruch des Prager Friedens geahndet hätte Da
floh Georg Wilhelm nad Peig, und nicht einmal bie nötige
militärifhe Eskorte war dazu aufzubringen!
Aufs tieffte empfand er dieſe Demütigung: nie hat er
fie den Schweden vergefjen. Krieg gegen Schweden war jegt
feine Parole. Hieß das aber nicht die Gefahr ing Ungemefjene
fteigern? Man hatte weder Truppen noch Geld folde zu
werben. Ungehindert konnte Schweden den vernichtenden Streich
IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Eriftenz Brandenburgs. 369
führen. Auch ſchwand fo jede Ausfiht auf Pommern. Daher
befämpften jelbft die Räte, die ben Anſchluß an den Prager
Frieden empfohlen hatten, die beabfihtigte Deklaration gegen
Schweden und beſchworen den Kurfürften, bei der Neutralität
zu bleiben und aud weiterhin nicht als Friegführender Teil in
Aktion zu treten. Anders urteilte Schwargenberg: von ben
Vorausfegungen, unter denen er bie Annahme des Prager
Friedens empfohlen hatte, war allerdings feine eingetroffen ;
aber Georg Wilhelms Lage war doch nur deshalb jo elend,
weil er mehrlos, ohne eigene Armee zwiſchen den Parteien
ftand, beider Willkür preisgegeben. Das mußte anders werden.
Gerade in dem fritif den Moment hatten die Stände ihn ent:
waffnet. Im Notfall gegen ihren Willen mußte man verſuchen,
die Mittel zur Rettung von Land und Dynaftie aufzubringen.
Sich der auswärtigen Feinde zu erwehren, bedurfte es eines
Wandels der inneren Politif. Es galt die Sprengung der
Schranken, mit denen die Libertät der Stände bie fürftliche
Autorität eingeengt und zur Erfüllung ihres Berufes unfähig
gemacht hatte. Damit begann aud in Brandenburg der die
ganze Zeit erfüllende Kampf zwifhen dem Fürftentum, das
nad) abjoluter Gewalt ftrebt, und den Ständen, die ihre alten
Gerechtſame behaupten wollen. Ihn durchzufechten war freilich
eine Körperſchaft wie der Geheime Rat nit ganz geeignet:
dazu beburfte e8 eines perjünlichen Regiments. Da führten
der Kurfürft und fein Minifter den Bruch mit den das Her:
kommen vertretenden Räten ſchließlich in der rüdfichtslofeften
Weife herbei. Nach innen und nad; außen trat man in eine
Aera erbitterten Kampfes. Wo die reifere politiihe Einficht
und bie größere Thatkraft lag, ift nicht zweifelhaft. Mag
Schwargenberg ſich aud in den Mitteln vergriffen haben: für
Brandenburg war er ber erfte bewußte Vertreter des politiſchen
Prinzips des abjoluten Fürftentums, dem, wenn er auch erlag,
doch die Zukunft gehörte.
Gegen das Votum und Hinter dem Rüden der übrigen
Näte that Georg Wilhelm mit Schwargenberg den erften Schritt
offener Feindfeligkeit gegen Schweden, indem er im März 1636
durch Avofatorialmandate allen Brandenburgern bei Lehen:
BPruß, Preustige Geſchichie. I. 24
370 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
verluft und Güterfonfisfation den Austritt aus dem ſchwediſchen
Dienft gebot. Das brachte eine Menge tüchtiger Männer, die
fih dem Kriegshandwerk zugewandt hatten, in ſchwere Ge-
wiſſensnot, infofern fie die Bethätigung ihrer religiöfen Ueber—
zeugung weltlichen Rüdfihten opfern oder wohl gar gegen ihre
Glaubens: und Waffengenofien fechten folten. Viele traten
aus dem ſchwediſchen Heere, aber nur wenige von ihnen fonnten
friedlichen Erwerb ſuchen: die meiften nahmen fremde Dienfte.
Das Vaterlandagefühl des märkiſchen Adels und die Anhäng-
licjleit an die Dynaftie wurden dadurch wahrlich nicht geftärkt.
Zugleich aber begann Schwargenberg die Wehrhaftmachung des
Landes: eine berittene Leibcompagnie wurde errichtet zum per:
ſönlichen Schug des Kurfürſten ſowie zum Stafetten- und
Patrouillendienſt. Aber als er vom Landtag die Mittel zur
Beihaffung eines feldtüchtigen Heeres verlangte, verweigerte
diefer ſowohl ben Unterhalt für bie Leibcompagnie wie bie
Aufftellung von 300 Dragonern. Noch immer jahen die Stände
nicht ein, daß ohne Selbithilfe die Eriftenz Brandenburgs auf
dem Spiel ftand. So lange die Schweden fi zumeift gegen
Sachſen wandten, war die Lage militärifch noch leidlich. Po—
litiſch aber wurde fie geradezu verzweifelt, ala Sachſen bei den
dur Dänemark vermittelten neuen Verhandlungen Georg
Wilhelm riet, Schweden die Seefüfte, aljo Pommern anzu—
bieten. Das alfo war der Lohn für den Beitritt zum Prager
Frieden! Georg Wilhelm war außer fi) über folhe Perfibie.
Der Verſuch zu direkter Verftändigung mit Schweden war jegt
vollends ausfichtslos. Nur immer engerer Anſchluß an ben
Kaiſer ließ noch hoffen: fo ftimmte Georg Wilhelm der Wahl
Ferdinands II. zum römiſchen König zu. Für den Augenblid
bot fi} fein anderer Ausweg. Doch war Schwargenberg felbft
weit davon entfernt, auf die Dauer das Heil von dem Kaijer
zu erwarten. Er wußte, daß in der Politik jede Leiftung ihre
Gegenleiftung fordert und wer felbft nichts zu gemähren ‚hat,
auch von anderen nichts gewährt erhält. Auch dem Kaifer
gegenüber mußte Brandenburg, wollte e8 geachtet werden, etwas
bedeuten, aljo militäriſch leiftungsfähig fein. In diefem Ge—
danken wurzelte feine Politif: er wollte Brandenburg wehr—
IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Exiſtenz Brandenburgs. 371
fähig machen, damit es nicht länger bie Beute der Feinde und
ber Spielball der Freunde fei, fondern fein Recht gegen beide
vertreten fönne.
Schon im Herbft 1635 hatte er verfucht, neben den als
Feftungsbefagung dienenden zwei altbrandenburgifchen Regi—
mentern eine Beine Feldarmee zu fchaffen, wirkte auch die
nad dem Prager Frieden nötige Erlaubnis des Kaiſers dazu
aus und ftelte bis zum Frühjahr 1636 zum Entjegen der
Stände fünf neue Regimenter auf. Dazu kam die Leib»
compagnie unter Oberft Goldader. Alle dieje Truppen hatten
dem Kurfürften geſchworen, und wenn biejer ſich kaiſerlicher
Generaliffimus nannte, fo brachte das nur die 1635 erneute
ausſchließliche Militärhoheit des Kaifers zum Ausbrud. Das
war die erfte brandenburgifche Armee, von Schmwargenberg
geſchaffen unter lauten Proteften der Stände, welche die
Mittel hartnädig weigerten. Ihrem Schöpfer trug fie den
Nuf eines rüdfichtslofen Abfolutiften ein, der fein Bild bei
der Nachwelt beitimmte. Wie aber hätte er auch nur die Mög-
lichkeit zur Rettung Brandenburgs anders gewinnen follen?
Ohne Not würbe er die ſchon jo fehwierige Lage durch einen
erbitterten innerpolitifhen Kampf nicht noch erjchwert haben.
Daß die ftändifche Libertät, die in Brandenburg blühte, mit
wahrem fürftlihen Regiment unvereinbar fei, hatte er längft
erfannt: auf jeinen Rat hatte Georg Wilhelm beim Regierungs-
antritt die Veftätigung der ſtändiſchen Privilegien verweigert.
Jetzt wurde die namentlich militärifhen Zweden dienende Kontri—
bution ohne ſtändiſche Mitwirkung dur Iandesherrlihe Kom:
miſſare ausgefchrieben, eingehoben und verwendet. Das be-
feitigte auch den Einfluß der Stände auf die auswärtige Boli-
tif. Natürlich konnte die Oppofition die Lage des Landes nicht
troſtlos genug ſchildern: es fei ruiniert und zu jeder Leiftung
unfähig. Was daran war, bewies, daß diefelben Leute noch
1640 erklärten, vor ſechs Jahren, das ift aljo 1635—1636,
habe das Land ſich wohler befunden wie feit achtzig Jahren!
Aber nad dem Siege Baners über Kaiferlihe und Sachſen bei
Wittſtock (September 1636) verfhlimmerte fi die Lage.
Wieder wurde das Land von den Schweden überflutet, war
372 Zweites Bud. Die erfte Hohenzollernfhe Staatsgründung.
Berlin in Gefahr, mußte Georg Wilhelm, den Baner vergeb-
lich zum Abfal vom Kaifer zu drängen ſuchte, nad Peig ent—
weiden. Und nun follte auch Preußen wieder Kriegsihauplag
werben! Dur einen Angriff auf die Oftfeeprovinzen wollte
ber Kaifer die Schweden zum Abzug aus Deutſchland nötigen.
Dazu follte ein Heer in Preußen aufgeftellt werden: bie ganze
Wut des ſchwediſchen Angriffs wäre jo auf Brandenburg ges
zogen worden. Deshalb jchlugen Georg Wilhelm und Schwargen-
berg vor, mit Faiferlihem Gelde in der Mark ein Heer zu
ſammeln und Bommern anzugreifen: denn am 10. März 1637
war Bogislam XIV. geftorben. Georg Wilhelm, der no im
Januar durch Arnim in Dresden Hilfe gegen Baner gefordert
und für den Fal ihrer Verweigerung einen Stillftand mit
Schweden zu ſchließen gedroht hatte, meinte jet zugleich Pom=
mern gewinnen und endlich den Frieden herbeiführen zu können.
Verfiherte ihn doch der Kaifer, er folle in Pommern nichts
verlieren. Auch Schweden beftritt fein Erbrecht nicht, wollte
aber das Land nicht vor geleifteter Satisfaftion räumen, be:
willigte jedod den Ständen ein Abkommen, mwonad) die herzog⸗
lihen Räte die Verwaltung zunächſt ruhig weiter führten.
Ständiſche Gefandte erbaten vom Kurfürften Anerkennung diejes
Vergleichs: er wurde entrüftet verworfen und ein förmliches
Beligergreifungspatent publiziert, das ein Herold nad Pom-
mern brachte, um damit die übelfte Aufnahme zu finden. Krieg
gegen Schweden zur Eroberung Pommerns war die Lofung für
Georg Wilhelm, und faiferlicherfeits geſchah natürlich alles,
um ihn darin zu beftärfen. So wurde in der zweiten Hälfte
des Jahres 1637 in den Marken die Werbetrommel gerührt.
Die Leitung übernahm der aus ſächſiſchem Dienft übergetretene
Generalleutnant Kliging. Im Juni 1638 mufterte der Kur—
fürft bei Neuftadt » Eberswalde 8000 Mann zu Fuß und
3000 Reiter, die Brandenburgs politifhe Geltung wohl heben
konnten. Sie wurden ſowohl für den Kaiſer wie für den Kur—
fürften in Eid und Pflicht genommen, insbejondere um dem
legteren „das rechtmäßige Erbe Pommern zu erfämpfen“. Bald
aber fehlte Geld, die Verpflegung reichte nicht aus, Unter-
ſchleife und Gaunereien aller Art erihöpften die vorhandenen
IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Eriſtenz Brandenburgs. 373
fnappen Mittel. Scharenweile gingen die Soldaten auf und
davon: bald war die Armee auseinandergelaufen. Vom Angriff
auf Pommern war nicht mehr die Rebe.
Da riefen dringende Angelegenheiten den Kurfürften nad
Preußen. Die bisherige ftaatlihe Ordnung löfte fi vollends
auf. Von den Mitgliedern des Geheimen Rats hatten die einen
Schwargenberg weichen müflen; andere, wie der Kanzler von
Gögen, zogen ſich zurüd, weil diefe Politif zu unterftügen
gegen ihr Gemifien war. Einige Stellen waren dur ben
Tod erledigt und blieben unbejegt. Die von Joachim Friedrich
als Zentrum ber Landesregierung geichaffene Behörde hörte
auf zu eriftieren: an ihre Stelle trat eine Art von militärifcher
Augnahmeregierung. Als Präfident des Kriegsrats mit ber
Zeitung des gefamten Kriegswerks betraut, vereinigte Schwargen-
berg hinfort in fi) die höchſte militärifche und die höchfte bürger-
lie Gewalt: er übte eigentlich eine Militärdiftatur. Der
Anfturm feiner Gegner blieb erfolglos. Unerfchütterlich hielt
Georg Wilhelm an ihm feft, ermutigte ihn durch immer er:
neute Bemweife feines Vertrauens und ftärkte ihn zum Ausharren
auf feinem ſchwierigen Poften. Er mochte bedauern, nicht
längft den von dem Grafen empfohlenen Weg gegangen zu
jein. Wie er Schwargenberg fein ganzes Dafein an die Ab-
mehr der auswärtigen und die Bewältigung der inneren Feinde
jegen ſah, richtete fi fein Selbftgefühl wieder auf, gewann
er neuen Glauben an fein Recht und jeine Zukunft.
Die 1637—1638 zufammengebradhte Armee war, bevor
fie etwas geleiftet, wieder aufgelöft: fie hatte dem Lande nur
neue Not gebradht. Das ſchien denen Recht zu geben, die eine
Rüftung bekämpft und unbemwaffnete Neutralität verlangt hatten.
So mußte man die geforderte Reduktion mwenigftens zu einem
Teil eintreten laſſen. Aber fieben Regimenter zu Fuß und
dreizehn Compagnien zu Pferde erklärte Schwargenberg im
Dienft behalten zu müflen, um Land und Leute zu fügen.
Die Stände weigerten jede Bewilligung dazu, obgleich er in
eindringlien Worten das Schickſal vorausjagte, das die Marken
bei anbauernder Wehrlofigfeit treffen würde. Andererfeits
ftiegen die Anforderungen der Kaiferlihen. Schon verlangte
374 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung.
Gallas die Aufnahme einer Befagung in die Hauptſtadt.
Schmwargenberg lehnte fie ab: er wußte, daß ein folder Schritt
einen allgemeinen Ausbruch herbeiführen würde. Den Kaifer-
lichen wie den eigenen Unterthanen zu zeigen, daß man nicht
wehrlos jei, daß man mit der von ihm gefchaffenen Armee,
fo unfertig fie war, zu redinen habe, warf er fi Fed den
Schweden entgegen und behauptete wenigftens einen Teil bes
Landes. Klein genug war berfelbe freilih: nur noch drei von
den märkiſchen Feftungen blieben in feiner Hand — Küfttin,
Spandau und Peig, bie anderen waren in ber Gemalt teils
der Schweden, teils der Kaiferlihen. Und auch dazu beburfte
es rüdfichtslofer Aufbietung der legten Mittel des erſchöpften
Landes, das die Schweden durch planmäßiges Ausrauben kampf⸗
unfähig zu machen ſuchten. Ein Bild grauenhafter Verwüftung
und unbeſchreiblichen Jammers tritt uns aus den Berichten
der Zeitgenofien entgegen. Alle Folgen des Krieges, der Unter-
gang von Handel und Gewerbe, von Aderbau und Viehzucht,
Not und Elend aller Art, moralifhe Verfommenheit und
Hungersnot bis zum Leichenfraß — alles ift damals über die
unglüdlihe Mark hereingebrochen. Verzweifelnd jammerte die
Zandbevölferung nad Frieden. Konnte Schwargenberg ihn
ſchaffen? Weberzeugt von der politifchen Notwendigkeit des Aus-
harrens, blieb er unbeugfam, und je weniger er fih auf bie
Bevölkerung verlaffen konnte, je mehr er fie in leidenfchaft-
licher Oppofition wußte, um jo eiferner griff er dur, um fo
unbarmherziger erftidte er jeden Widerftand. So kam er dahin,
das Land eigentli nad Kriegsrecht zu regieren.
Und hier Tiegt feine Schuld: er that mehr, als zur Er—
reichung des erftrebten Ziels, jo weit e& berechtigt war, zu
thun nötig war, und beſchleunigte jo den Zufammenbrud, den
er abwenden wollte, Wenn er nit bloß den Eintritt_in
ſchwediſche Dienfte, fondern bereits jede Verhandlung mit den
Schweden zur Grleihterung der von ihnen ausgefchriebenen
Lieferungen als Hochverrat ahnden wollte und einen Vertrag
über die Auswechſelung der Gefangenen widerriet, weil man
dann ja die nicht beftrafen könnte, die trotz der Avofatorial:
mandate in ſchwediſchem Dienft blieben, fo mußte er freilich
IV. Die Vernichtung ber ſtaatlichen Eriſtenz Vrandenburgs. 375
erbitterten Haß ermweden, ber ſich aud gegen feine Werkzeuge,
Offiziere und Soldaten, richtete. Won den auf den Prager
Frieden gejegten Hoffnungen war feine erfült: man verwünjchte
ihn als die Duelle namenlojen Elend. Schlimmer als ehe-
mals die Schweden hauften Kaiferlihe und Sachſen im Lande,
und die eigene Armee eriftierte nur durch dauernde Vergemalti-
gung der ftändifchen Rechte. Und wozu das alles? Was mar
der Preis, den zu gewinnen ſolche Opfer gebracht wurden?
Weber der evangelifhe Glaube noch eins von den vitalen In—
terefien von Land und Volk ftand auf dem Spiele, fondern
nur die Anwartihaft auf Pommern, die dem Volke gleich
gültig war. Der gemeine Mann begriff nicht, weshalb er fih
darum alles nehmen, fi mißhandeln und ſchließlich totſchlagen
laſſen ſollte von Leuten, die ihm angeblich zu helfen gefommen
waren.
War es da zu verwundern, daf die Bevölkerung der Marl
Erlöfung von diefem Joche erfehnte? Daß in dem Maße, wie
ihr Haß gegen Schwargenberg wuchs, ihre immer nur geringe
Anhänglicgkeit an die Dynaftie dahinf wand? Ihre Sympathien
wandten fi den Schweden zu: fie bewies fie ihnen durch die
That, Teiftete ihnen Vorſchub, fuchte fi mit ihnen zu ver
ſtändigen und entzog fi der Gewalt Schwargenbergs mög—
lichſt. Leidenſchaftliche Schmähſchriften erſchienen gegen dieſen
und feine Gehilfen: er ſollte die verhaßte ſpaniſche Dienſtbar⸗
feit einführen, auf den Trümmern ber ſtändiſchen Libertät
ein abjolutes tyrannifches Regiment aufrichten wollen. Seiner
Oberſten und Offiziere Walten konnte freilich ſolchen Verdacht
erweden. Nur einer machte eine Ausnahme, Konrad von Burgs-
dorf, der, zwar aud nicht unberührt von dem vermilberten
Soldatenleben, ſich doch menſchenfreundlichen Sinn bemahrt
hatte und die Leiden des Bürger und bes Bauern zu er:
leichtern trachtete. Darüber geriet er in Konflikt mit Schwargen-
berg: ein bitterer Schriftwechjel wurde zwiſchen ihnen geführt.
Es ift als ob der allgemaltige Kriegsoberft geahnt hätte, daß
diefer derbe Soldat einft fein gefährlichfter und glüdlicher Nebene
buhler werben follte.
Wie lange konnte dieſer Zuftand noch währen? Die Mittel
376 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung.
des Landes waren erſchöpft, alle ftaatlihe Ordnung war aufs
gelöft, die Meine Armee ſchwand dahin. Brandenburg bedeutete
militärif und daher auch politifch nichts mehr. Damit fiel
für den Kaiſer jeder Grund fort, mit ihm als einem Faktor
auch nur in ber deutſchen Politif zu rechnen. Als Preis end-
lien Friedens bot er Schweden Pommern. Eben das alfo
ſollte geſchehen, was abzumenden Schwargenberg es auf ben
Ruin des Landes hatte ankommen lafien! Daß bes Kaifers
Entſchluß nit mehr zu ändern fei, mußte Georg Wilhelm
bald einfehen. Wenigftens einen Teil Pommerns ſuchte er zu
retten: Vorpommern und Rügen fünne Schweden angeboten
werden, wenn man ihn dur Magdeburg und Halberftadt ent-
ſchädige. Aber auch dazu war feine Ausfiht. So verfiel er
auf einen geradezu verzweifelten Ausweg, bei dem er felbft
Preußen aufs Spiel ſetzte. Auch dort herrſchte greuliche Ver—
wirrung. Der Verſuch, durch eine neu errichtete Amtsfammer
in bie Domänenverwaltung Ordnung zu bringen und die Finanzen
zu befiern, ftieß auf erbitterte Oppofition der Stände, die fi
aud) ferner aus öffentlichen Mitteln bequem bereichern wollten.
Wie weit die Leidenjchaft fi) da erhigte, zeigt ein Morbanfall
auf den mit jener Reform beauftragten Amterat Joachim
Schulze, dem fein zu Hilfe eilender Sohn zum Opfer fiel
(Zuli 1639). Und der Mörder, der Kanzlift Elver, nahm beim
Kurfürften eine Vertrauensftellung ein: hinter dem Rüden der
übrigen Räte vermittelte er ben Verkehr mit Schwartzenberg
und war Mitwifjer des höchft bebenklichen Unternehmens, zu
dem der rat: und hilflofe Kurfürft fi damals verirrte, indem
er den ehemaligen Oberft Bothe in Preußen einen Heerhaufen
fammeln und mit diefem einen Einfal in Livland maden
ließ. Zum Glüd mißlang er völig und wurde deshalb von
Schweden nit ernft genommen: geſchah das und wurde die
Mitwiſſenſchaft des Kurfürſten erwiefen, jo teilte Preußen das
Schickſal der Marken und ging den Weg Pommerns.
Erdrüdend laſtete all dies Elend auf Georg Wilhelm.
Dazu fam hoffnungslofes Siehtum. Mit feiner körperlichen
Kraft, feinem geiftigen Vermögen, den Mitteln feiner Länder
war er zu Ende. Wie ein Ertrinfender rang er, und doch ſank
IV. Die Vernichtung ber ftaatfichen Eriſtenz Brandenburgs. 377
er und mit ihm fein Haus immer tiefer. Dazu die troftlofe
Vereinfamung! Bon ben bewährten Räten feiner erften Jahre
war einer nad) dem anderen zurüdgetreten oder zurüdgebrängt.
Von dem einzigen Sohne trennte ihn feindlies Mißtrauen
und beraubte ihn der nächſten und natürlichſten Unterftügung.
Seine Gemahlin, deren Mutter, die anderen Damen feines
Haufes machten fein Hehl aus dem Unwillen über jein Syftem
und ruhten nicht in der Feindſchaft gegen beffen Urheber. Diefer
aber, der Mann feines Vertrauens, war ihm fern und rieb
fih in einem Kampf auf, deſſen Schauplag, jein Stammland,
zur Wüftenei wurde. Und boch leuchtete dort ein erſter Hoff:
nungsſchimmer auf! So befeiden die militärifchen Erfolge
Schwargenbergs waren, er hatte doch jolche aufzumeifen. Wenn
wenigſtens ein Teil des Landes feiner felbft Herr blieb, fo
dankte man das ihm und dem Heinen, allmählich zu größerer
Brauchbarkeit organifierten Heere, das er troß aller ſtändiſchen
Proteſte beifammen hielt, freilich nur durch furchtbaren Zwang.
Denn die Truppen mußten leben, und da man ihnen nichts
gab, nahmen fie das Nötige, wo fie es fanden. Das hat auf
bie märkifchen Stände doch Eindrud gemadt. AU das Unheil,
das Schwargenberg ihnen vorher verkündigt hatte, war ein=
getroffen. Sie begriffen, daß die rechtzeitige Erfüllung ber
turfürftlihen Forderungen fie weniger Opfer gefoftet haben
würde. Sie Ienften ein: fie erboten fi zu Verhandlungen
darüber, wie ohne Kürzung bes für die Armee Erforderlichen
doch der Drud gelindert werben könnte, den bie bisher not=
gedrungen geübte Willkur dem Lande auferlegt hatte. Schwargen-
berg war dem Ziel nahe und durfte hoffen, fein Syſtem an-
erkannt und durchgeführt zu fehen.
Da ftarb zu Königsberg am 1. Dezember 1640 Georg
Wilhelm: die eben dem Erliegen nahen und zur Kapitulation
geneigten Gegner Schwargenbergs hatten plöglid mit einemmal
gewonnenes Spiel.
Drittes Bud.
Die Reifung der Zukunft.
1640 —1655.
I. Die ſtändiſche Reaktion und die Anfänge
Friedrich Wilhelms. 1640 —1643.
Wa die Hohenzollern in Brandenburg in zwei Jahr:
hunderten gewonnen hatten, war jo gut wie vernichtet, als
Georg Wilhelm in der Ferne feinem Siechtum erlag: eben
hatten fih die Elemente eines brandenburgiſch-preußiſchen
Staates zuſammenſchließen jollen, als fie auseinanbergefprengt
und zerftüdelt wurden. Aber weder der Kurfürft, ber freilich
aud jegt no, wo das Urteil über ihn ſich etwas günftiger
geftaltet hat, die unfürftlichite Erfeheinung unter den Hohen-
zollern bleibt, noch die Politik Schwargenbergs ift dafür allein
verantwortlih. Das Verhängnis hatte begonnen, als die bran-
denburgifche Politif die Bahnen verließ, in die Joachim Friedrich
und Johann Sigismund fie geleitet hatten, indem fie mit der
politifden Erftarrung des Luthertums brachen und fi dem
Calvinismus zumandten, deſſen Belenner in ihrem Glauben
die Grundlage aud ihres ftaatlihen Dafeins fanden. Georg
Wilhelm hatte gemeint reformiert fein zu können, ohne bie poli=
tifchen Konfequenzen daraus zu ziehen. Das verſchuldete feine
ſchwächliche und ſchwankende Haltung zu einer Zeit, wo nur
entſchloſſene PBarteinahme und tapferes Beharren Erfolg ver-
biegen, und ftürzte feinen Staat in ein Wirrfal innerer und
äußerer Bedrängnis, in dem er wie ein jteuerlojes Schiff von
den empörten Wogen hin und her geworfen wurde.
I. Die ftändifhe Reaktion. 379
Volfstümlich derb urteilte in ben Tagen, ba es mit Georg
Wilhelm zu Ende ging, Samuel von Winterfeld in einem ver:
trauliden Schreiben an Sigismund von Gögen über die Lage:
„Pommern ift dahin, Jülich ift dahin, Preußen haben wir wie
einen Aal beim Schwanz, und die Marken wollen wir auch
vermarquetentieren.” „Werben wir,“ fragt er, „nicht endlich
einen Herrn ohne Land befommen?” Er weilt Hin auf die Art,
wie der „Herr Meifter” der Geldnot der Stände und bes
Kurfürſten aus feinen eigenen Mitteln zu Hilfe fomme, dabei
aber ein altmärkifches Amt nad dem anderen an fi bringe:
er gedenke „mit ber Altmark gar durchzugehen“, meint er.
Um feinen Preis dürfen die Stände fih auf dieſen Handel
einlaffen. Nach dem Thronwechſel, jo erwartet er, „werbe das
abfolute Imperium in etwas regulieret“ und Gögen an den
Hof entboten werben, „wo das Frauenzimmer nicht zu furcht⸗
jam dazu iſt“. Schmwargenbergs Gegner erwarteten aljo ben
Sturz feines Syftems: die Geheimeräte und die Stände
jahen ihre Zeit gefommen. Aber obgleich fie des Kurprinzen
Grol gegen den Herrn Meifter kannten und meinten, wenn
man ihm jene finanziellen Umtriebe in ber Altmark Hinter:
bringe, „dürfte es wohl fcheele Augen geben”, jo erwarteten
fie doch nicht von ihm den entſcheidenden Anftoß: auf die alten
Gegnerinnen Schwargenbergs, die Kurfürftin Elifabeth Char-
Iotte und ihre Mutter Zuife Juliane jegten fie ihre Hoffnung.
Vertrauen zu dem Nachfolger und eine höhere Meinung von
feinen Fähigkeiten hatten fie nit. Trat man dem Erben
Georg Wilhelms damit zu nahe? Wie feine Jugend verlaufen
war und wie er fi unter dem Drud der legten Jahre ge:
geben Hatte, durfte man fi von ihm faum befonderer Dinge
verfehen.
Troftlofer hat fein Hohenzoller feine Jugend verbracht,
als der Gründer des preußifchen Staates. Wüſtes Lärmen auf:
fägiger Unterthanen, wilde Kriegsſchrecken, unfürftliche Not,
ſchnöde Selbftfucht übermütiger Höflinge und erbitterter Fa—
milienhader — das trübe Echo der bie Zeit zerreißenden re
gidjen und politifhen Kämpfe —: das waren die erften Ein-
drüde, die auf das Kind einftürmten. Und faft ſchwerer noch
380 Drittes Bu. Die Rettung der Zutkunft.
waren feine Jünglingsjahre: ihnen entftammt die trübe, forgen-
volle, zu refigniertem Dulden geneigte Denkweiſe, der ſchwer—
mütig fataliftifhe Hauch, der im Gegenfag zu der jpäter durch⸗
brechenden refoluten Thatkraft bes Großen Kurfürften Anfänge
mit einem faft melandolifhen Zwielicht umdämmert. Auch ift
er biefes Zuges nie ganz Herr geworden: er war ihm tief auf-
und eingeprägt durch eine Jugend, in ber fiete Bedrohung,
quälende Beargwöhnung, verlegende Zurüdjegung und infolge
davon menſchenſcheue Vereinfamung fein Gemüt zu verbüftern,
feinen Glauben an die Menſchen zu untergraben und fein Ver—
trauen zu fich felbft zu erftiden brohten. Diefe pſychologiſchen
Momente müſſen aud bei der Beurteilung feines politifchen
Handelns berüdfihtigt werben: fie erft machen feine mühfamen
und forgenvollen Anfänge recht verftändlich, das ſcheue Taften,
das zweifelnde Vorgehen, das ängftlihe Rechnen mit entgegen-
gejegten Möglichkeiten. Sie erklären, wie der faft wider Er:
warten gewonnene Erfolg ihn mit der Vorftellung erfüllte, daß
die Gnade Gottes in befonderem Maße mit ihm ſei, daß er,
durch folde Heimfuhung glücklich Hindurchgegangen, alle Zeit
des gleihen himmliſchen Schuges gewiß fei und als ein zu
Großem berufenes Nüftzeug Gottes feinen Feinden nit er:
liegen könne. Hier entiprang auch der Glaube an den Beruf
jeines Staates: mit ihm hat er feine Unterthanen erfüllt und
ihn fo zu einem wichtigen moralifchen Faktor gemacht in der
Bildung erft und dann in der Entwidelung des preußifchen
Volls.
Am 6. Februar 1620 zu Kölln an der Spree geboren,
wurde ſchon der Säugling von den Stürmen ber Zeit berührt:
jeine Taufe verzögerte fi, weil ber Vater fern in Preußen
war, mehr nod, weil die Mittel zu den üblichen Feftlichkeiten
fehlten und ber Krieg die Auswahl der fürftliden Paten er—
ſchwerte. Noch lag er ungetauft, als im Juni 1620 die Ber-
liner fi gegen den Durchmarſch der Engländer lärmend er—
hoben (S. 328): ihr wüftes Trommeln und Schießen beun=
ruhigte das Kind und veranlaßte Beſchwerden feiner Mutter
und Großmutter. Endlich am 30. Juli (9. Auguft) empfing
er die Taufe: die Paten waren ausſchließlich Damen des
I. Die ſtändiſche Reaktion. 381
Furfürftlihen Haufes. Auch erklärten Adel und Stäbte fein
anderes Patengeſchenk darbringen zu fünnen, als die ſchuldige
Treue gegen den künftigen Landesherrn. Hat feine Großmutter
väterliherjeits, Anna von Preußen, aud feine erfte Jugend
behütet, Empfänglichkeit für ihr firenges Luthertum hat fie
nit in ihm erwedt. Fünf Jahre alt, erhielt der Prinz ben
ehemaligen Erzieher feines Vaters, Johann von der Bord, als
Gouverneur; ihn erfegte fpäter Johann Friedrich von Kalkhum,
genannt von Leuchtmar, ein eifriger Reformierter. Den fieben-
jährigen Kurprinzen barg man vor den ftreifenden Raiferlichen
erft in der Waldeinfamfeit des Jagdſchloſſes Leglingen, dann
hinter den Mauern Küftrins. Seinen Unterricht leitete der
Präzeptor Jakob Müller: er befchränkte fih auf das, was
Prinzen damals zu lernen pflegten, nur baß zu den Sprachen
die polnifche hinzufam. Den größten Raum nahm ber Religions»
unterrit ein. Allſonntäglich kam einer von ben Frankfurter
Theologieprofefforen nad Küftrin, um vor dem Prinzen zu pre=
digen, und alle Vierteljahr überzeugte fi der Hofprediger
Agricola durch eine Prüfung von feinen Fortfchritten. Als
„Symbol“, als biblifhen Wahlſpruch, den er nad ber Sitte
feines Haufes zu wählen hatte, nahm er das Wort: Notam
fac mihi viam tuam, qua ambulaturus sum. — „Herr, thue
mir fund den Weg, darauf ich wandeln fol” (Pſalm 143, 8).
Auch feine förperlihe Schulung wurde nicht vernachläſſigt: feit
1629 nahm er gelegentlih an Jagden teil. Erſt die befjeren
Tage, die dem Anſchluß an Guftav Adolf folgten, brachten
den Knaben mit der Zeitgefehichte in Berührung, 1631 dur
einen Beſuch in Wolgaft bei feiner Tante Marie Eleonore,
der Gattin des Schwedenkönigs, und dann zu Stettin bei
Herzog Bogislam XIV., dem er einft in Pommern zu folgen
hoffte. Und was mag in ihm vorgegangen fein, als er im
Juni 1633 mit dem Bater in Wolgaft der Einfhiffung ber
irdifhen Reſte Guſtav Adolfs nad Schweden beimohnte! Nach
kurzem Aufenthalt in Küftrin weilte er dann nochmals Tängere
Zeit in Stettin.
Ein Jahr ſpäter zog er mit Johann Friedrich von Leuchtmar
und feinem Freunde Werner von Schulenburg nad; den Nieder:
382 Drittes Buch. Die Rettung ber Zukunft.
landen, nicht bloß jeiner Bildung wegen, fondern um den Ge—
fahren des Krieges entrüdt zu werden. Ob dieſer Aufenthalt
von fo großem Einfluß gewejen, wie man gemeinhin annimmt,
ſcheint doch zweifelhaft. Konnte denn ber vierzehn bis fünf-
zehnjährige Prinz, der zu Leiden kurze Zeit Haffifhe Studien
trieb und ſich mit der Geſchichte der einft von ihm zu regieren-
den Zande befannt machte, eine are Anfhauung oder aud
nur ein lebhaftes Gefühl haben von dem Gegenjag zwiſchen
den bort fortlebenden großen Traditionen politiſcher und kirch⸗
licher Freiheit und ber Haltung des eigenen Vaters? Auch
von der wirtſchaftlichen Blüte der Republit wird er nicht viel
gefehen haben. Denn bald mußte er vor der Pet aus Leiden
weichen und weilte erft in Ahenen, dann in Arnheim und
ſchließlich in Dorenwert. Aus dem Haag fol er 1637 davon
geeilt fein, um fi den Lockungen bes üppigen Lebens zu ent—
ziehen, in das man ihn verftriden wollte. Im Lager vor Breda
gewann er die Achtung Heinrich Friedrihs von Oranien. Erft
nad dem Fall der Stabt (7. Oktober 1637) Eehrte er nach dem
Haag zurüd. Den größten Gewinn machte er in den Nieber-
landen wohl aus dem perfönlichen Verkehr mit Elifabeth von
England, der Witme des unglüdlichen Friedrich von der Pfalz,
die in Rhenen lebte, mit den Oraniern Friedrich Heinrich,
feinem jpäteren Schwiegervater, und Heinrih und Morig von
Naffau und den anderen Leitern ber niederländifchen Republik.
Mit ihren Augen lernte er die politifche Zage jehen. Das brachte
ihn in einen freilich no unausgefprohenen Gegenfag zu bes
Vaters Politik, für die er mit diefem Kreife deſſen Minifter
verantwortlich machte. Noch blieb beider Verhältnis äußerlich
ungetrübt: aber Schwargenberg hatte doc} über Verbächtigungen
zu Magen, buch die man ben Kurprinzen gegen ihn ein=
zunehmen trachte. Friedrich Wilhelm Iegte ihnen zwar fein
Gewicht bei, überrafhte aber feine Umgebung doch durch
die Selbftändigfeit, die er beanfpruchte, und das Wider-
ftreben, das er bisher ruhig gebuldetem Einfluß entgegen-
fegte. Dies entiprang dem Wunſch, fi) dem drohenden Zu:
fammenbrud zu entziehen und für eine befiere Zukunft zu
retten. Möglich war das nur durch Löfung von des Vaters
I. Die ſtändiſche Reaktion. 383
und jeines Minifters politifhem Syftem und ein Paktieren
mit deſſen Gegnern.
Inzwiſchen erfolgte daheim der Bruch mit Schweden und
das klägliche Scheitern der großen Werbung von 1637: ein
greuelvoller, verwüftender Krieg begründete die Militärdiktatur
Schwargenbergs. Nun gli der Aufenthalt des Kurprinzen in
den Niederlanden einem ſolchen im feindlichen Lager. Der
befohlenen Heimfehr aber entzog er ſich unter allerlei Bormwänden.
Dan begreift den Unmut des Kurfürften, den Argwohn ber
Raiferlihen, aber auch die Hoffnungen ber Gegner beider. Die
Stände Cleves erbaten fih den Prinzen zum Statthalter: dann
wollten fie ſogar feinen Hofhalt beftreiten. Sie demonftrierten
damit gegen Schwargenberg, ber die cleveſchen Angelegenheiten
faft ausfchließlich leitete, hofften wohl auch ſich des Jünglings
in ihrem Interefje bedienen zu fünnen. Auch ergriff diefer ihre
Partei, indem er die von ihnen angefochtene Ceffion der Do-
mäne Huiſſem an ben Minifter nie anzuerkennen erklärte. Auch
jolte er mit den Niederlanden die Neutralifierung des Landes
planen. Die Verfagung der Bitte befjerte jein Verhältnis
zum Vater natürlich nit. Es hieß, er wolle eine pfälzer Prin-
zejfin heiraten, während er fürdtete, daheim zu einer nicht
gewollten Ehe gezwungen zu werden. Dann war ber faiferliche
Hof fieberhaft thätig, um den Uebertritt bes brandenburgifhen
Erben zu den Gegnern zu hindern: er lub ihn nad Wien ein,
wo man ihn ftandeagemäß verforgen werde. Bon einer Partei:
nahme bes „Herrn Meifters” gegen den Sohn findet fi feine
Spur: vielmehr laſſen deſſen Briefe erfennen, daß er fih um
einen gütlihen Ausgleich bemühte, und zwar nicht bloß mit
Wiffen, fondern aud auf Bitten des Prinzen, der ihm auch
fonft während des nieberländifhen Aufenthalts die Vertretung
jeiner Intereſſen, namentlich der wirtſchaftlichen, vertrauens-
vol und erfolgreid ans Herz legte. Aber erft auf Grund förm:
licher Verhandlungen kam es zu einem Vergleich zwiihen Vater
und Sohn: diefer verfprah, gegen jeinen Willen feine Ehe
einzugehen, jener diefen zu feiner zu zwingen.
Ueber Amfterdam und Hamburg kehrte ber Kurprinz im
Frühjahr 1638 heim. Aber der fiehe Kurfürft fah in ihm
384 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft.
nur noch ben Gegner feines politifchen Syftems, er felbft faßte
unter den unerquidlien Verhältniffen des väterliden Hofes
einen bitteren Groll gegen den Mann, in dem bie furfürft-
lien Damen, bie befeitigten Geheimeräte und die Stände
den Urheber alles Unheils fahen. Geflifientlih den Staats-
geſchäften fern gehalten, war er überzeugt, da geſchähen un—
rechte Dinge, die ihm verborgen bleiben follten. Um fo ab-
fälliger beurteilte er in dem Kleinen Kreife feiner Vertrauten
bes Vaters Regierung, um jo mehr lebte er fi in die Bor:
ftellung hinein, man wolle ihn los werben und namentlich
Schmwargenberg würde ihn gern verſchwinden jehen. Er glaubte
es, wenn man ihm zutrug, des Herrn Meifters Sohn folle
feiner älteften Schwefter Luife Charlotte (geb. 1617) vermählt
und nad) feinem Tode mit Hilfe des Kaiſers zu Georg Wil:
helms Nachfolger erhoben werden, und drohte dem Grafen
dafür den Hals zu breden, und follte er darüber das größte
Unglüd mit feinem Vater haben! Bald glaubte er einen Be-
weis für des Minifterd Todfeindfhaft in der Hand zu haben.
Am 18. Juni 1638 wohnte er, wie es heißt, auf An-
dringen feines Vaters einem von Schwargenberg ausgerichteten
Gaftmahle bei. Anderen Tags befiel ihn heftiges Fieber; am
22. lag er ſchwer frank danieder. Am 30. famen die Mafern,
bie er offenbar lange mit ſich herumgejchleppt hatte, mit außer:
ordentlicher Heftigkeit zum Ausbruch. Am 6. Juli hatte er eine
fo tiefe Ohnmacht, daß man für fein Leben fürdtete. Aber
die Kraft der Jugend fiegte: bereits am 27. Juli konnte er
nad) Spandau gehen, um den Vater nad) Preußen zu begleiten.
Jene Zeit argwöhnte in folden Fällen immer zunädft eine
Vergiftung. Ausgeſprochen freilich ift der Verdacht damals nicht.
Ob der Prinz ihn in dem Kreife jeiner Vertrauten geäußert,
muß dahingeftellt bleiben. ebenfalls hat er fpäter jene Er-
krankung auf Gift zurüdgeführt und Schwartzenberg geradezu
als den Urheber bezeichnet. So will es Doktor Garliep von
der Mühlen aus feinem Munde gehört haben. Früher ſchon
hat die Schwebenkönigin Marie Eleonore die auch ihr bitter
verfeindete Partei des Herrn Meifters befhuldigt, dem Prinzen
mit Gift nachgeſtellt zu haben. Bewieſen ift nichts, und eine
T. Die ſtandiſche Reaftion. 385
unbefangene Erwägung ber Lage und ber perfönlicden Verhält-
niſſe macht die Sache höchſt unmahrfheinlih. Doch begreift
man, wenn der adhtzehnjährige Prinz, dem der Vater die ihm
gebührende Stellung fo verlegend vorenthielt, daß es hieß, er
wolle ihn überhaupt nicht mehr fehen, dafür den allgemein
gehaßten allmächtigen Minifter verantwortlih machte, deſſen
Politik er unter oraniſchem und pfälzer Einfluß ala Duelle
alles Unheils anfehen gelernt hatte, und in feinem ohn-
mächtigen Haſſe demfelben das Alleräußerfte zutraute. Deſſen
Feinde beftärkten ihn in diefem Wahne: auf der Jagd und bei
anderen Gelegenheiten follte man ihm nad) dem Leben geftanden,
ja er fogar einen gegen ihn gebungenen Meuchelmörder mit
bloßem Degen abends unter feinem Bett gefunden haben! Der
Prinz griff das eifrig auf: gern verglich er fih mit bem von
Saul verfolgten David, und feine Vorliebe für die Palmen
Davids ift hier entjprungen. Wie jener allen Gefahren glüd-
lich entgangen, konnte er fi dieſe fpäter nicht grel genug
ausmalen. Auch den leidenden Zuftand, in dem er ſich während
des Vaters legter Krankheit befand und der von folder Gemüts-
niedergeſchlagenheit begleitet war, daß alle auf ihn gefegten
Hoffnungen vernichtet ſchienen, ſchrieb man „einer Gift ver-
tatenden Krankheit” zu. Bei Lebzeiten Schwargenbergs aber
haben folche Beſchuldigungen ſich nicht hervorgewagt, auch nicht,
als nach Georg Wilhelms Tode jein Sturz nahte: erft fein
Andenken hat man jo verunglimpft, um fein Syftem vollends
zu brandmarken. Auch hat der Prinz äußerlih mit Schwargen-
berg gut geftanden. Würde diefer jonft dem Kurfürſten empfohlen
haben, den Sohn durch Anweilung des preußifchen Amtes
Angerburg ſelbſtändig zu ftelen oder diefer no von Königs—
berg aus verfucht haben, durch jenes Vermittelung die Statt:
halterſchaft in Eleve doch noch zu erhalten und dabei durchaus
nit auf einfache Ablehnung geftoßen fein? Aber obgleich
Schwargenberg mandjes für die Gewährung der erneuten Bitten
der Stände geltend machte, wurde e& bamit auch diesmal
nichts, weil der faum noch regierungsfähige Georg Wilhelm
den Sohn nicht auflommen lafjen wollte. Denn zwifhen ihnen
handelte es fi nicht um einen perfönlichen Gegenfag, nit
Pruß, Preubifge Geſchichte. I.
386 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft.
um einen trüben Nachklang früherer Verfiimmung: der Große
Kurfürft und fein Nachfolger, Friedrich Wilhelm I. und fein
Sohn, haben fih nad viel heftigeren Konflikten wieder ge—
funden. Hier wirkten ftärfere Beweggründe: nicht bloß zwei
politifhe Syfteme, zwei Zeitalter traten einander in Vater
und Sohn gegenüber.
Stand denn aber von dem neuen Herrn entſchloſſenes Ein=
Ienfen in andere Bahnen zu erwarten? Die Frage ift zu ver-
neinen. Wie hätte der junge Kurfürft nach folder Jugend und
bei ſolcher Unfertigfeit einen derartigen Entſchluß faſſen follen ?
Den Gefhäften fremd, ohne Kenntnis und ohne Erfahrung,
verbittert und eingefchüchtert, durch ſchwere Krankheit gebeugt,
war er niedergeſchlagen, Eleinmütig und ohne Glauben an fi
ſelbſt. Er bedurfte der Aufrihtung und der Anleitung. Und
bier jegten, wie Samuel von Winterfeld gehofft (S. 379),
die furfürftlihen Frauen ein, Zuife Juliane, die Witwe Fried-
richs IV. von der Pfalz, und ihre Töchter, die Kurfürftin-Mutter
Eliſabeth Charlotte, Katharina Sophie und Eliſabeth Luiſe
von Pfalz: Zweibrüden, ferner des Kurfürften Schweftern Hedwig
Sophie, nachmals die Gattin Friedride von Homburg, und
Zuife Charlotte, die Verlobte des Markgrafen Ernft und dann
Gattin des Herzogs Jakob V. von Kurland. Sie handelten
jegt. Auf Veranlaffung Eliſabeth Charlottes verfaßte der
Generalmajor Georg Ernft von Wedel eine Denkſchrift für
den Kurfürften. In warmem, zum Herzen gehendem Tone
miſchte fie glüdlich Allgemeines und Befonderes, woraus ſich
ungefuht die Konſequenzen für die politifhe Praris der Gegen-
wart ergaben. Ihre Spige richtete fih, ohne ihn zu nennen,
ſcharf gegen Schwargenberg. Vor allem komme es, jo führte
Wedel aus, darauf an, dem Verfall Einhalt zu thun und das
Wenige, mas ihm noch geblieben, durch Fuge Nachgiebigfeit
zu erhalten; vielleicht lafje fi) dann auch das Verlorene wieder
gewinnen. Wohl müſſe jeder Regent Augen und Ohren alle
Zeit offen haben, zuweilen aber abſichtlich nicht ſehen, nicht
hören, nicht willen und feine wahre Meinung zurüdhalten.
Für Friedrih Wilhelm heiße es nicht: aut Caesar, aut nihil,
jondern es gelte, der Zeit Rechnung zu tragen und ſich zum
1. Die ſtandiſche Reaktion. 387
Verzicht auf einen Teil feiner Anſprüche zu entichließen, gegen
die Unterthanen aber alle Zeit milde und gerecht zu fein.
Merkt der Fürft jedoch, daß gegen die öffentliche Ordnung ge:
wühlt wird, dann fol er willen, jehen, hören und Gewalt
und Mittel gebrauchen, die ihm Gott verliehen hat. Indem
er nad) diefen allgemeinen Bemerkungen, deren Tendenz deut-
lich genug war, auf die vorliegenden befonderen Fragen ein-
geht, empfiehlt Wedel für Preußen Vorfiht und kluge Behand-
lung Polens fowohl wie der Stände. Dem Kaifer rät er alle
Pflicht zu leiften, die ein Reichsfürſt ſchuldig ift. In betreff
des noch andauernden Krieges möge ber Kurfürft den Ausgang
abwarten, ſich durch geeignete Vermittler mit Schweden über
Pommern verftändigen und ftrenge Neutralität wahren. Aber
auch dazu feien Feftungen und Truppen unentbehrlich.
Nach diefem Programm hat Friedrich Wilhelm gehandelt,
anfangs mit einer gewiſſen Unficherheit, der natürlichen Folge
feiner Unerfahrenheit in den Gefchäften, aber offenbar beftrebt,
Recht und Gerechtigkeit walten zu lafien und jedem das Seine
zu gewähren. Wohl trat er manchem zu zögernd und zu milde
auf. Hing er doc aber in feiner Kenntnis namentlid der
märkifchen Dinge ganz von dem ab, was ihm Schwargenberg
dur den alebald nad Königsberg entfandten Mann feines
Vertrauens, Sebaftian von Waldow, vermelden ließ. Um fo
drüdender fühlte er feine Vereinfamung infolge der Auflöfung
des Geheimen Rats. Deshalb leitete er deſſen Rekonftruftion
ein: bereits im Februar 1641 erſchien auf feinen Ruf Sieg-
mund von Gögen, um als Kanzler die Leitung der Geſchäfte
zu übernehmen. Nun wird des neuen Herrn Haltung fefter,
tritt aber auch die Schwargenberg feindliche Richtung deutlicher
zu Tage. Als ihre Träger erfcheinen die in ihr Amt zurüd-
kehrenden Geheimeräte. Und Hinter biefen erheben ſich bie
Stände, um bie ſchwer bedrohte Libertät zu retten und ber
inneren und der auswärtigen Politif die von ihnen gemollte
Richtung aufzundtigen. Eine Reaktion trat ein, die bem Landes»
fürftentum zunächſt nicht zu gut kam.
Ein Eingreifen in den Marken war jo lange unmöglich,
als Friedrich Wilhelm nicht in Preußen feiten Fuß gefaßt
388 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft.
hatte: dort lag im Augenblid die Zukunft der Hohenzollern.
Freilich meinten auch die preußiſchen Stände dieſe Lage be—
nugen zu fönnen, um bie lanbesherrliche Autorität noch mehr
einzuengen. Sie rechneten dabei auf die polnifhe National=
partei, die Preußen zur Provinz der Republik herabdrüden und
fo die Gefahren für alle Zeit abwenden wollte, die ein jo
mächtiger Vafall bereiten konnte. Zudem verdankte das Herzog⸗
tum der energiſchen Vertretung ihrer Handelsinterefien durch
die Seemächte feit Jahren eine wohlthätige Neutralität und
diefer neues wirtichaftliches Erblühen. Während die preußifchen
Stände die Zulafjung des neuen Herzogs zur Lehensfolge von
der Erfüllung ihrer Forderungen abhängig gemacht fehen wollten
— unter anderem der ftriften Beobachtung bes Indigenats—
rechts, der Abhängigkeit herzoglicher Gnadenakte und Verleihungen
von ber ftändifchen Beftätigung und anderes mehr — die pol=
nischen Großen aber den Proteft des Reichstags von 1611 gegen
die Mitbelehnung der brandenburgifhen Hohenzollern erneuten
und die Verfügung über das Lehen als Recht des Reichstags
beanſpruchten, hatte Wlabislam IV. das größte Intereſſe daran,
die preußifche Angelegenheit jegt wie früher der Krone vorbe:
halten und möglichft ſchnell erledigt zu fehen.
Dem aber ftellte fi eine Schwierigkeit entgegen, die um
fo hinderlicher werben konnte, als dabei für den einen ein
großes finanzielles Intereffe, für den anderen ein wichtiges
politifches Prinzip in Frage fam. Nach dem Köpenider Ber:
trag vom 29. Juni 1638 hatte Georg Wilhelm zur Erhebung
des dem Polenkönig in ben preußiſchen Häfen zuftehenden
Zolles den übel berufenen Abraham Spiring aus Delft, einft
Guſtav Adolfs Werkzeug bei Ausbeutung des preußiſchen Han:
dels, in Dienft nehmen müfjen. Diefer Spiringſche Zoll ver:
anlaßte Händel mit Polen und den preußiſchen Ständen und
die Sperrung des Sundes dur Dänemark für alle nad) Königs-
berg beftimmten Schiffe. So brachte der Pillauer Zol faft
nichts mehr ein, während Danzig zufehends erblühte. Die
Entlaffung Spirings war eine der erften Regierungahandlungen
des neuen Kurfürften: Unklarheiten und Willkürlichkeiten ſowie
vertragsmwidrige Begünftigung Polens bei der Verrechnung der
1. Die ſtändiſche Reaktion. 389
Zollerträge gaben ihm den erwünſchten Anlaß dazu; au) half er
damit einer Hauptbeſchwerde der preußifchen Stände ab. Als
nun aber der Kurfürft unter Berufung auf das Joachim Friedrich
und Georg Wilhelm 1621 Gemwährte noch vor erfolgter In—
veftitur zur Regierung Preußens zugelaffen jein wollte, jeßte
Wladislam IV. hier ein, um weitere Zugeftändnifie zu erwirken.
Des Beifalls der preußifchen Stände war er dabei fiher. Darin
lag die Gefahr für Frievrih Wilhelm, während der König
wünſchen mußte, die Sache vor dem Zufammentritt des Reichs:
tags zu erledigen, um fie dem zu entziehen. So boten des
Nurfürften Bevollmächtigte, die Neujahr 1641 nad Warſchau
gingen, dem König für die fofortige Zulafiung zur Regierung
60.000 polniſche Gulden. Dennoch machte man Schwierigfeiten,
wollte polniſche Kommiſſare nad; Preußen ſchicken und keines—
falls von der perfönlihen Huldigung für fpäter abſehen. Dieje
fagte der Nurfürft zu, nur müffe die Sache zu Ende fommen,
ehe der Reichstag die alten nationalen Forderungen erheben
könnte. Wladislaw IV. ftelte Bedingungen, unter anderen Er—
nennung des Kommandanten von Pillau dur ihn aus drei
vom Kurfürften vorgefhlagenen Kandidaten, Entſchädigung
Abraham Spirings, Erbauung einer katholiſchen Kirche in
jedem preußifchen Bezirke, Kontrolle der Pillauer Hafenzölle
durch einen feiner Beamten und anderes mehr. Aber neben
den offiziellen Verhandlungen in Warſchau gingen private in
Marienburg her, namentlich über die peluniäre Seite der Sache.
Der König forderte für die Belehnung 35000 Thaler: ohne
fie könne er in betreff des Pillauer Zolles nicht nachgeben.
Schließlich einigte man fi auf die vom Nurfürften glei an—
fangs gebotenen 60000 polnifhen Gulden (20000 Thaler),
wovon zwei Drittel der König, ein Drittel die Königin er=
hielt. Am 12. April 1641 erfolgte des Kurfürften Zulafjung
zur Regierung, zum Kummer ber nationalen Partei in
Polen und der preußiihen Stände. Doc dauerte es noch
etlide Monate, bevor man vollends einig wurde. Denn pol:
nifcherfeits verfuchte man neue Forderungen durchzuſetzen: des
Kurfürften entſchiedene Weigerung und Handſalben bei den
beiden polnifchen Großfanzlern änderten das. Der Senat ftimmte
390 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft.
zu, und nun blieb der Widerſpruch der Landboten ohne Wir:
tung. Noch verfuchte man den Kurfürften auf andere Weife zu
feffeln, indem man ihm die Schweiter Wladislaws, durch ihre
Mutter eine Nichte Ferbinands II, als Gattin anbot. Als er
Anfang DOftober 1641 zur Belehnung nah Warſchau Fam,
zeichnete fie ihn in nicht mißverftändlicder Weile aus, ohne
Erfolg: gleich nad) Empfang der Inveftitur (7. Dftober) eilte
er nad) Königsberg zurüd.
Wenigſtens in Preußen hatte er nun einigermaßen feften
Boden unter den Füßen. Freilich war die ſtändiſche Oppofition
mit dem Ausgange ſehr unzufrieden, glaubte fih von Polen
verraten und trat dem neuen Herrn nörgelnd entgegen. Aber
der Hader der Oberftände — Adel und Klerus — mit den
Städten ermöglichte diefem durch Teilung zu herrſchen: erftere
dur Zugeftändnifie befriedigend, ifolierte und entwaffnete er
legtere. Nur den leidigen Eonfeffionellen Eifer fonnte er nicht
beſchwichtigen. Als einen Verrat am Heiligften bejammerte
es die Geiftlichfeit, daß er bei der Leichenfeier feines Vaters
(11. März 1642) reformiert predigen ließ. Die Oberräte
ſchloſſen fih ihrem Proteft an, und nur ein ftrenges Gebot bes
polnischen Lehensherrn an die Königsberger fiherte bie Feier
vor Störung. In einem Reſkript an die Oberräte vom
26. April 1642 wies der Kurfürft den ausgejprengten Verdacht
jzurüd, er wolle durch eine „Reformation“ den lutherifhen Be—
fenntnisftand im Herzogtum ändern, erklärte aber die übliche
Verketzerung der Reformierten nicht zu dulden: beide Kirchen
ftünden auf dem Boden besfelben Bekenntniſſes, wie ein neues
Religionsgefpräch leicht erweifen könne. Das war ein erlöfendes
Wort in diefer Zeit heillofer fonfeffioneler Verbitterung. Zu-
gleih mit unwandelbarer Treue gegen die Reformation be:
tundete es eine bisher unbefannte Duldfamfeit und bezeichnete
den Weg, auf dem auch das Reich zum inneren Frieden geführt
werben konnte.
Minder günftig geftalteten fih die Dinge in der Marl,
über die nad Entfernung Georg Wilhelms ein furdtbares
Schickſal hereingebrodhen war. 1638 hatten die Schweden ben
größten Teil der Altmark, 1639 und 1640 das Land jenfeits
1. Die flänbifge Reaktion. 391
der Oder eingenommen und Briefen, Landsberg, Frankfurt
und Kroffen bejegt. Nur einen Teil der Mark behauptete
Schmwargenberg unter unbarmberziger Ausfaugung bes erſchöpften
Landes. In ihrer Verzweiflung erwogen die Stände, ob fie
fi nicht lieber den Schweden überantworten follten. Der kur—
fürftlide Gefandte in Warſchau, von Hoverbed, irrte alfo,
wenn er meinte, im Gegenfaß zu Preußen fei in der Mark der
Reſpekt vor dem Herriherhaufe und die Affeftion für des jungen
Kurfürften Perfon jo wohl eingepflanzt, daß fie ſich durch den
geringften Diener regieren laſſe. Die Armee, obgleih aus
Mangel an Mitteln auf 6000 Mann reduziert, war eine
furchtbare Geißel für das erſchöpfte Land, außerdem zumächit
dem Kaifer verpflichtet und gewöhnt, in dem Kriegsoberften
ihren Gebieter zu fehen, der fie Bürgern und Bauern gegen:
über rüdfichtslos vertrat und das zu ihrem Unterhalt Nötige
durch fie ſelbſt unbarmherzig eintreiben ließ. Dem ein Ende
zu maden, verlangten die Stände immer lauter eine Aende-
tung der Politif: auf dem Wege des Vertrages feien bie
Schweden aus dem Lande zu entfernen und bann die Truppen
bis auf bie zur Befagung der Feftungen nötigen Compagnien zu
entlafien. Ohne dies fei nicht einmal für den Reft der Armee
der Unterhalt aufzubringen.
Man hatte in Rönigaberg wohl feine rechte Kenntnis von
den Zuftänden in ber Mark. Aber auch wenn er fie gehabt
und eine Aenderung herbeiführen gewollt hätte — für den
Augenblid fehlten dem neuen Herrn alle Mittel dazu. Denn
durch die Oberften, die mit Ausnahme Konrads von Burgs-
dorf (S. 375) ihr Schickſal mit dem feinen verfnüpft wußten,
war Schwargenberg Herr der Armee und des Landes. Am
Tage nach des Vaters Tod (2. Dezember 1640) ſchickte Friedrich
Wilhelm Werner von Schulenburg an Schwargenberg mit dem
Befehl, die Statthalterfchaft weiterzuführen und die Feftungen
forgfam zu behüten, und verfidherte ihn feiner Gnade, An
einen Bruch mit dem bisherigen Syftem dachte er damals
alſo noch nicht, fondern acceptierte die durch den Prager Frieden
geihaffene Lage. Auch ihm war ber Bund mit Defterreich die
Grundlage feiner Stellung, wie er den Kaifer feiner Treue
392 Drittes Buch. Tie Rettung der Zukunft.
und TDienftwilligfeit vericherte. Auch fonnte er ja ohne des
Kaiſers Wohlwollen jein jo gut wie verlorenes Sand nicht zu
retten hoffen. Nur mollte er gemäß dem eigentlichen Zinn bes
Prager Friedens auch mit Schweden nicht mehr Krieg haben.
Tod verzichtete er damit nicht auf Pommern: Hatt eines feinem
Ausgange nad zweifelhaften Kampfes darum, plante er eine
diplomatiihe Aktion, die fih dem Gange der großen Politik
anpaßte. Daß er fih mit Schweden verftändigen wollte, ver-
hehlte er in Wien jo wenig wie in Regensburg. So ftand
er in betreif des erftrebten Zieles nicht in prinzipiellem Gegen=
jage zu Schwartzenberg, wohl aber in betreff des dazu einzu=
ihlagenden Weges. Nach Schwargenbergs Anfiht war Neutrali-
tät gleichbedeutend mit dem Berziht auf Pommern. Deshalb
verwarf er die Reduktion: nur um feiner Truppen willen jei
Brandenburg noch einigermaßen rejpeltiert, nur durch fie könne
es feiner Neutralität Achtung verſchaffen. Sie jegt entlaffen,
würde recht heißen „die Pferde hinter den Wagen jpannen und
die Hunde zuerft von den Schafen thun und dieſelben ben
Wölfen preisgeben“. Aber Schwargenberg beſtand nicht eigen-
finnig auf der Verfolgung des bisher von ihm gegangenen
Weges und hat nicht verfuht, den neuen Herrn darauf feft=
zubalten oder gar durch Herbeiführung vollendeter Thatſachen
ihm die Beichreitung jedes anderen unmöglich zu maden. Piel-
mehr hat er, ohne jeinen bisherigen Standpunkt aufzugeben
und unter Geltendmadhung feiner Bedenken, dem Willen des-
felben ſich gefügt, mochte er vielleicht auch zunächſt wegen her
großen privatrechtlihen Intereſſen, die für ihn dabei im Spiele
waren, einen Brud zu vermeiden wünſchen.
Mit um fo größerem Eifer betrieben dieſen feine alten
Gegner. Es war doch wohl ihr Werk, wenn der Kurfürft
Schwargenbergs Stellung als Oberfttriegstommiflar einfach
ignorierte, indem er über feinen Kopf hinweg mit den Oberften
Konrad von Burgsdorf in Küftrin und von Trothe in Peitz
torrefpondierte, ihnen Befehle gab und ihre Berichte empfing.
Diefe ſuchten ihn dabei fider in jeder Weife gegen Schwargen-
berg einzunehmen. Und dazu fam nun der Sturmlauf der
märtifhen Stände gegen ben verhaßten Herrn Meifter. Ab:
I. Die ftändifge Reattion. 393
geordnete derjelben, von Samuel von Winterfeld geführt, über:
braten im Januar 1641 die Landtagsgravamina nad) Königs:
berg. Durch fie erſt wird der Kurfürft von dem Zuftand ber
Mark und der durch Schwargenberg erzeugten Erbitterung ges
nauere Kenntnis erhalten haben. In wochenlangen Verband:
Lungen mit ihnen vollzog ſich der Syſtemwechſel, der Schwargen:
bergs Stellung unhaltbar machte, eine neue Niederlage bes
fürftlihen Rechtes und ein neuer Sieg der ftändifchen Liber:
tät. Die Stände verlangten Frieden mit Schweden. Auch
Schwargenberg wollte nicht den Krieg ſchlechtweg. Daß eine
Verftändigung mit Schweden wünſchenswert fei, gab auch er
zu: nur müſſe von dem Beginn der Unterhandlungen der Kaiſer
alsbald Kunde erhalten. Völlig indisfutabel war für ihn die fo
fortige Reduktion der Truppen: fobald fie vollzogen wäre, würde
Schweden die Waffenftilftandevorfchläge ablehnen oder unan-
nehmbar harte Bedingungen ftellen. Dennoch fam Schwargen-
berg den ihm zugehenden Befehlen ohne Weigern nah. Einen
märfifhen Wallenftein zu jpielen, lag ihm ganz fern, und nur
Verleumdung hat ihm derartiges angedichtet. Aber der Ein:
fluß feiner Feinde wuchs: bald fah er fi in feiner Stellung
erft gemindert und eingeengt, dann planmäßig geärgert und
gefährbet.
Die Königsberger Verhandlungen überzeugten die Ab—
georbneten ber märkiſchen Stände, ba die Nebuftion der
Armee zur Zeit nicht möglich fei, der neue Herr aber den
Frieden wolle und die Soldatesfa befeitigen werde, jobald er
fih mit Schweden verftändigt hatte. Zudem erklärte er fi
bereit, die Verwaltung bes Kontributiongwejens, die Schwargen:
berg militärijch-abfolutiftifch konzentriert hatte, wieder den
Ständen zu übergeben, die üblich gewordene militärifhe Ere:
fution nur eintreten zu lafien, wenn die zivile fruchtlos ge—
blieben, und endlich die Auflagen alsbald fo weit wie möglich
herabzufegen. Mit jolden Konzeffionen an die Stände aber
trennten ji feine Wege von denen des Minifters. Die ftän-
difche Oppofition gegen diefen fand in ihm einen Bundes:
genoſſen, ja einen Führer. Das änderte bie Lage volllommen.
Als ein Unterpfand durften die Stände es anfehen, daß in=
394 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft.
zwiſchen am 18. Januar 1641 an den Statthalter der Befehl
ergangen war, ſich der Feindfeligfeiten gegen die Schweden zu
enthalten und auf die Defenfive zu beichränfen. Die eingeleitete
Herabjegung des Traktaments der Truppen auf den niedrigeren
Sommerfag entlaftete das Land etwas, erzeugte aber natürlich
bei den Mannſchaften Unzufriedenheit. Da rüdte, die Strei=
fereien brandenburgiſcher Reiter zu vergelten, der ſchwediſche
Oberſt Stalhans von Beuthen her mit 2000 Mann zu Fuß,
1500 Reitern und 8 Ranonen auf Rottbus. Während die Be-
ſatzung von Peig-abzog, ſammelte Schwargenberg die Truppen
aus Rathenow, Brandenburg, Fehrbellin und anderen Orten
in Spandau und Berlin, zu äußerftem Widerftand entſchloſſen.
Die Stände proteftierten und verlangten einen friedlichen Ver—
gleih. Als aber Stalhans das feite Zoffen nahm und Berlin
bebrohte, befahl Schwargenberg gemäß einem für diefen Fall
bereits unter Georg Wilhelm gefaßten und dem Rate mit-
geteilten Beihluß die Niederbrennung der Vorſtädte. Trog
der Bitten und bes Jammers ber Einwohner vollzog fie Oberft
Kracht an der Cöllner und Werderer Seite, als die Schweben
näher famen: 108 Häufer wurden niedergebrannt. Ging das
nicht weit über die befohlene Defenfive hinaus? Und fchließ-
li fam es gar nicht zu dem ſchwediſchen Angriff!
In Königsberg war man außer fi. Hatte der Statt-
halter etwa durch eine vollendete Thatſache Brandenburg zu
fernerem Kampf gegen Schweden zwingen wollen? Scheinen
doch unter den in ihr Amt zurüdgefehrten Geheimeräten ſolche
nicht gefehlt zu haben, die den Stillftand nur als Uebergang
zum Bündnis mit Schweden anfahen, und die wünjchten,
Brandenburg hätte 1635 ftatt dem Prager Frieden beizutreten,
Drenftiernas Erbieten angenommen, ihm Pommern zu über-
lajlen und den Schweben Magdeburg, Halberftabt und Osna—
brüd gewinnen geholfen. Bon ihnen wird nichts unterlaffen
fein, um den Kurfürften gegen Schwargenberg aufzubringen.
€ hieß, derſelbe wolle die märkiſchen Feftungen den Kaifer:
lichen überliefern, und der Aurfürft jelbft hat nachmals bei
Schweden des dieſem bejonders verhaßten Minifters Belafjung
im Amt mit der Furt davor entihuldigt. Weniger leicht
I. Die ſtandiſche Reaktion. 395
konnte Schwargenberg vielleicht andere Anflagen widerlegen.
Daß er gegen ihm erteilte Weifungen Bedenken erhob und be—
gründete, war fein gutes Recht, wird ihm aber wohl verdacht
fein, obgleih er den gegebenen Befehlen nachkam. Davon
ſcheint man in Königsberg fat überraſcht geweſen zu fein:
hätte man es dort etwa nicht ungern gejehen, er hätte durch
Ungehorfam feine raſche Bejeitigung ermöglicht? Wurde doch
feine beabfihtigte Reife nad Königsberg Hintertrieben: aljo
fürchtete man doch wohl den Eindrud feiner Perfönlichfeit und
feiner Argumente auf den jungen Herrn. Nicht bloß deſſen
begreiflicde Unſicherheit ſprach aus den ſich überftürzenden und
einander widerſprechenden Befehlen an Schwargenberg: Fried:
rich Wilhelm ift ehrlich genug geweſen, nachmals einzugeftehen,
bei der Maſſe und Verfchiedenheit der an den Minifter geftellten
Anforderungen ſei beabfihtigt worden, ihn nicht zu Atem fommen
zu laffen, an jeder georbneten Thätigkeit zu hindern und fühlen
zu laffen, daß fein Regiment zu Ende jei, daß er einen Herrn
babe und geboren müſſe. Der Mann, den abzufegen man
nicht wagte, weil man fih nicht die Kraft dazu, wohl aber
ihm die Luft zum Widerftande zutraute, follte durch Nadelſtiche
zum Nüdtritt gebracht werden, die man um fo eifriger an:
wandte, als die anfänglichen Befürchtungen ſchwanden und er
fi möglich zu erhalten juchte, wohl mehr aus finanziellen als
politifden oder gar kirchlich konfeſſionellen Motiven. Denn
ala Schwargenberg ſich von der Unhaltbarkeit feiner Stellung
überzeugt hatte, erbat er feine Entlafjung nur als Direktor
des Nriegaftants. Das Geſuch blieb ohne Antwort, aud) ale
es erneut wurde. Es genügte weber feinen höfifhen Gegnern
noch dem Kurfürften. Auch die Statthalterjhaft jollte er auf:
geben. In etlihen ihm am Herzen liegenden Fragen des Be:
figes trat man ihm gefliffentli zu nahe. Wie fi aber die
Anzeihen der drohenden Ungnade mehrten, wurden aud die
Stände auffägiger: die für 1642 geforderten 150000 Thaler
aufzubringen, erklärten fie einfach für unmöglid. Aber um
welchen Preis fie zu haben fein würden, war Har. Auch nur
einen Teil feiner Stellung zu retten, erkannte Schwargenberg
als unmöglich: fi und die Seinen ſah er von all den Schred-
396 Drittes Bud. Die Rettung der Zufunft.
niſſen bedroht, die dem Sturze eines dem Landesherrn und den
Ständen zugleich verhaßten Staatsmannes damals zu folgen
pflegten. Schon hieß es, er fei zur Verantwortung nad) Königs—
berg geladen. Aehnliches drohte jedenfalls. In der General-
reſolution auf die Eingabe der märkiſchen Stände ſprach der
Kurfürft in ftarten Worten fein Erftaunen über das Elend des
Landes aus, das er jegt erſt fennen gelernt: warum man nicht
ſchon feinem Vater die Wahrheit gejagt habe? Er werde auf
die Urheber diefes Zuftandes „inquirieren” und dann fi „der
geftalt darauf verfpüren unb vernehmen laſſen, wie es ber Sachen
Notdurft erheifche”. Damit bedrohte er Schwargenberg bireft:
fi) dagegen durch illoyale Mittel, etwa die Hilfe der Kaiſer—
lichen, behaupten zu wollen, ift biefem nicht eingefallen. Ja
er verfügte ſchon nicht mehr über die dazu unentbehrlihe Waffe:
auch die von ihm mit dem Mark des Landes genährte Sol:
dateska hielt nicht mehr zu ihm, feit er durch Herabjegung des
Traftaments auf den niedrigen Sommerjag die Reduktion doch
eingeleitet hatte. Seine Feinde hätten fein wirkſameres Mittel
finden fönnen, um ihn, des beften Rüdhalts beraubt, zwiſchen
ben in ber Marf miteinander ringenden Gewalten jgewiffer-
maßen zermalmen zu lafjen. Der Kummer über den Zuſamm—
bruch feiner Macht, die Furt vor noch ſchlimmerer Heim:
ſuchung, der Schmerz über den erfahrenen Undank, die Sorge
um das fteuerlos dahintreibende Staatsſchiff, das er wenigfteng
in einen Nothafen zu führen gehofft hatte, und die Aufregung
über die Meuterei der Soldateska zufammen mit dem Ueber-
maß aufreibender Arbeit untergrub feine Kraft, jo daß er
plöglic zufammenbrad. Nach einem Unmwohljein von wenigen
Tagen machte am 14. März 1641 ein Schlagfluß feinem Leben
ein Ende.
Wie der Kurfürft Schwargenbergs Tod aufnahm, willen
wir nicht. Nach den einen ſoll er ihm jehr erwünſcht, nad)
ben anderen fehr ungelegen gefommen fein. So ernfte Mei:
nungsverjdiedenheiten es zwiſchen ihnen gab: die Möglichkeit
ihres Zufammenwirkens war erwiefen. Der Anbahnung bes
Stilftandes mit Schweden hatte ber Graf zugeftimmt, wie ber
Kurfürft mit ihm die Erhaltung guten Einvernehmens mit dem
I. Die ſtandiſche Reaktion. 397
Kaifer wünſchte. Streitig war zwiſchen ihnen die Reduktion
der Truppen und das Verhältnis zu den Ständen. Dod auch
da hatte Schwargenberg fih gefügt. Daß er, wie behauptet
ift, die Verftändigung mit Schweden zu hintertreiben gefucht
habe, darf aus der energifhen Ruſtung gegen den Stalhans-
ſchen Haufen nicht gefolgert werben. Auch Konrad von Burgs⸗
dorf meinte, der Befehl zur Einftellung der Feindfeligfeiten
jet „nicht fo weit zu extendieren“, daß man dem Feinde allen
Mutwillen verftatte, und handelte demgemäß. Zur Anfnüpfung
mit Schweden hatte Schwargenberg zwei vornehme Gefangene
zu benugen empfohlen, den Legaten Lilienftröm und den General:
fommifjar Krempenbdorf, und erfteren dazu nad} Preußen fommen
zu laſſen geraten. Warum aljo follte der Kurfürft feinen Tod
freudig begrüßt haben? Erklärte er doch fpäter, er habe ge—
hofft ſich des Verftorbenen noch länger zu bedienen. Daß diefer
Brandenburg geſchadet, hat er aljo doch nicht gemeint. Auch
der Pfalzgraf von Neuburg urteilte, ihm habe der Graf ge-
ſchadet, aber da er einmal Brandenburg diente, habe er die
brandenburgifchen Intereſſen auch nad} Kräften vertreten müffen.
Anders urteilten des Verſtorbenen Gegner, die nun ge:
wonnenes Spiel zu haben glaubten. Ueberall hatte ſich mit
dem Thronwechſel die ftändifhe Oppofition gegen das abfolu-
tiftifche Syftem erhoben, das Schwargenberg verkörperte, ihren
Erfolg aber durch die anfängliche Geftaltung des Verhältnifjes
zwifchen dem jungen Herrn und dem Minifter gefährbet gefehen:
um fo erwünſchter fam ihr bes legteren Tod. Nun ließ fid die
heillofe Verfahrenheit aller Zuftände, der Verluſt des größten
Teiles der Mark, der drohende Einbruch der Schweden, ber
wirtſchaftliche Ruin des Landes und die Zuchtlofigfeit der
Solbatesfa unwiderſprochen Schwargenberg ſchuld geben, feine
Politik darftellen als angelegt auf das Verderben der Hohen:
zollern. Das erſchien um fo glaublicher, als jegt eine aller:
dings bebenfliche Seite feines außeramtlihen Wirfens ent:
hült wurde, da ſich ergab, wie von feiner Autorität gededt
allerlei dunfle Ehrenmänner ſich widerrechtlich bereichert hatten.
Weil er ſelbſt über alle amtlihen Sorgen feine privaten In—
terefjen nie vernadhläffigt hatte, machte man ihn nun auch für
398 Dritted Buch. Die Rettung der Zukunft.
diefe Dinge verantwortlid. Dazu fam ber Eifer, mit dem
fein Sohn fi) des reihen Nachlaſſes zu verfihern tradhtete.
Mehr als feine Feinde haben dieſe Umftände Schwargenberg
in der Weberlieferung geſchadet: fie erft boten jenen die Mög-
lichkeit, ihn vor Mit: und Nachwelt für das Elend verant-
wortlich zu machen, dem bie neue Regierung, wie e8 jdhien,
erliegen mußte.
Eine planmäßige Reaktion gegen die bisherige Ordnung
begann in der Mark. Auf Schwargenbergs Rat hatte Georg
Wilhelm bei feinem Negierungsantritt die Landesrezeſſe nicht
beftätigt, nach denen feine wichtige Landesangelegenheit im
Innern ober nad) außen ohne der fämtlihen Stände Vorwiſſen
und Rat befchloffen werben durfte. In der Generaltejolution
auf die Eingabe der märkiſchen Stände erklärte der neue Herr
(31. März), die alten ſtändiſchen Rechte, Freiheiten und Ge—
bräuche in nichts kürzen zu wollen: nur deshalb beftätige er
fie nicht fofort, um durch vorangehende genaue Kenntnisnahme
der Beftätigung mehr Gewicht zu geben. Würde die Antwort
ebenjo gelautet haben, wenn nicht kaum acht Tage vorher
(25. März) die Nachricht vom Tode Schwargenbergs eingetroffen
wäre? Daß deſſen Syftem alsbald preisgegeben wurde, traf
alle die ſchwer, deren Stellung darauf beruht hatte, be-
ſonders die, welche daraufhin zunächſt für fich felhft gejorgt
hatten. So erhielt das Lärmen, das ſich nun gegen des Herrn
Meifters „Favoriten“ erhob, politifche Bedeutung, obgleich die
üblen Dinge, die zu Tage kamen, folhe nit hatten. Da
waren drei Brüder von Waldom: Bernd hatte fi) grober
Unredlichkeit ſchuldig gemacht und verlor bereits im Februar
fein Amt als Hofmarfhal; Baftian, Schloghauptmann, Ober:
ſchenk und Hauptmann des Amts Ruppin, hatte Georg Wil:
helm noch auf dem Sterbebette eine des Bruders Gaunerei
deckende Unterfchrift abgewonnen, war aud feines „ärgerlihen
böfen Lebens“ wegen fo verrufen, daß Friedrih Wilhelm „nur
aus Rückſicht auf Veritorbene”, die fompromittiert wären, es
unterließ, „ihn mit einer exemplariſchen Strafe zu refpizieren
und anzufehn“, ihm aber im Juli 1641 feiner Aemter entließ.
Der dritte Bruder, Hans, verdankte mächtiger Fürſprache die
1. Die ftändifhe Reaktion. 399
Belafjung im Dienft. Dann hatte der Kriegs: und Kammer-
ſekretär Johann Stelmader Schmwargenbergs Vertrauen arg
mißbraucht: fich zu entlaften, denunzierte er jegt gegen andere
hohe Beamte. Die von ihm unterfhlagene Summe wurde auf
126 000 Thaler geſchätzt; ſchließlich wurde er nad) jahrelangen
Verhandlungen zum Erfag von 32 000 Thalern verurteilt. Daß
Schwargenberg all das gewußt und begünftigt habe, behaup-
teten aud feine Gegner nicht. Aber auf Rechnung feines
Syftems wurden ſolche Verirrungen geſetzt. Das ſchadete auch
feinen völlig makelloſen Anhängern, wie Joahim Friedrich
von Blumenthal, einem Mann von ungewöhnlicher Begabung,
namentlich für Finanz: und Verwaltungsſachen, der (geb. 1609)
1635 bereits Direktor des NKriegsrats, 1636 Gefanbter bei
Ferdinands III. Königswahl und dann an dem Verſuche zur
Schaffung einer Armee 1637 hervorragend beteiligt geweſen
war. Für den Bund mit dem Kaifer, fcheint er in betreff der
Verftändigung mit Schweden lange nicht jo viel nachgegeben
zu haben wie Schwargenberg. Das und jeine Freundfhaft mit
Schwargenbergs Sohn machten feine Stellung unhaltbar; daß
er fih um Eintritt in den faiferlihen Dienft bemühte, wurde
ihm zum Verbrechen angerechnet. Auch der Kurfürft meinte,
daß er „einer von den vornehmjten gewejen ſei, welche bisher
dergleichen consilia, durch die er jelbft und fein Land und Leute
in Verderben gejegt würden, fovieret und effeftuieret haben“.
In verlegendfter Form wurde er entlaflen. Aber freimütig riet
er dem neuen Herrn, er möge fich gegen feine Räte „nicht fo
leihtlich zu ungleiher Opinion oder Ungnade bewegen laſſen“,
fondern erft ihre Verantwortung abwarten und ihnen bis dahin
„in beftändiger Gnade zugethan bleiben“. Die Einziehung ber
Güter Schwargenbergs dur die cleveſche Regierung entrig
ihm die Bemerkung, „auch Leſſel (Lesley) Habe vom Kaifer
feine Orber gehabt Wallenftein umzubringen, fondern sub spe
rati gehandelt”. An jolhen Undank wollte er nicht glauben:
„Ich habe mein Lebtag Feine närrifcheren Prozeduren geſehen,“
icrieb er, „und feine größere Diminution oder Schwähung
der menſchlichen memoriae, als in dem Land in ben drei
Monaten verfpüret worden.” Dies Urteil wiegt um fo jchwerer,
400 Drittes Bug. Die Rettung der Zukunft.
als Blumenthal, wenige Jahre fpäter in den Dienft zurüd-
gerufen, einer der verdienteften Mitarbeiter Friedrih Wilhelms
wurde.
AU das wirft doch ein bebenfliches Licht auf die Berechti—
gung ber Kritif, die nah Schwargenbergs Tod feine unverhofft
wieder emporfommenden Gegner an ihm übten, und erft von
dem Hintergrunde dieſer Verhältnifie Heben fi die Vorgänge
recht ab, die nun in der Mark eintraten. Die Berichte der
Schmwargenberg beigeorbnet gewejenen Geheimeräte nad; Röniga-
berg verraten fein Mißtrauen gegen bes Verftorbenen Amts-
führung: gegen die Soldatesfa und die Schweden führen fie
feine Weifungen aus. Seine Papiere zu verfiegeln hielten fie
nicht für nötig. Um fo eiliger hatte es damit in Küftrin Kon:
tab von Burgsdorf, konnte jedod die Entfernung mandes
Stüdes durch den von dem Verftorbenen für dieſen Fall in-
ftruierten Otto von der Marwig nicht hindern. Erſt auf jeine
Mahnung verfügten auch die Herren in Spandau die Ber-
fiegelung. Die Ruhe im Lande zu erhalten, trauten fie fi
ſelbſt nicht zu, und auch Burgsdorf empfahl die ſchleunige Er:
nennung eines Statthalter, der „im Lande Affektion“ (das
heißt die Gunft der Stände) genieße und bei ber Soldatesfa
„Autorität und Reputation“ habe. Hielt er vielleicht ſich ſelbſt
für den geeignetiten Mann? Seine Entihlüffe zu fallen be:
durfte der Kurfürft einiger Zeit. Nur der Stilftand wurde
gleich angebahnt durch Vereinbarung mit den einzelnen ſchwe—
difhen Führern im Lande. Die Stände erfannten dem ernften
Willen des neuen Herrn, dem Kriege ein Ende zu machen.
Inzwiſchen kam Schwargenbergs Sohn, Graf Johann
Adolf, Faiferlicher Reihahofrat, am 12. April in Spandau an,
von ben furfürftlichen Räten ehrerbietiger empfangen, als ihrem
Herrn recht war. Man gewährte ihm die Durchſicht der Papiere
feines Vaters und die Ausfonderung der Stüde von bloß pri=
vatem Intereffe. Von den an feinen Vater ergangenen fur:
fürftlihen Refolutionen, die man ihm nicht aushändigen wollte,
forderte er Abſchriften, deren er „zu Zuftifizierung desfelben
actionum“ bebürfen Fönnte. Burgdorf, der den Kurfürften
fogar vor Gift warnen zu müſſen meinte, witterte ein Kom—
I. Die ftandiſche Reaktion. 401
plott zwijchen dem Sohne und den „Favoriten“ bes Ver:
ftorbenen. Alter Groll gegen diefen jührte den ehrlichen, aber
ungebildeten und beſchränkten Soldaten offenbar viel zu weit.
Auch eine gewiſſe Selbſtſucht wird dabei im Spiel geweſen
fein. Daß Baftian von Waldow den jungen Grafen über Vor:
gänge am Hofe unterrichtete, wie feine aufgefangenen Briefe
ergaben, bewies ihm beider geheimes Einverftändnis. Die Ge-
heimeräte dagegen befürmorteten des Grafen Zulafjung zu des
Vaters Papieren: fie zu verweigern, komme nachträglicher Be:
ſchlagnahme gleich, fei rigoros und gefährlih und könne pein=
liche Rechtshändel veranlaſſen. Aehnlich dachte damals der
Kurfürft: nur die Abhaltung der Mefje in feinem Quartier
ließ er dem Grafen unterfagen. Auch beabfitigte er nicht
ihn von der Nachfolge in dem Johannitermeiftertum auszu⸗
ſchließen, die ihm als Koadjutor des Vaters zuftand: empfahl
er ihm doch für eine erledigte Romturei feinerfeits einen Bes
werber. Ebenſowenig war die Rebe von einer Anfechtung ber
Anſprüche, die der Graf als Erbe feines Vaters an den Staat
zu machen hatte: ihre forgfältige Prüfung wurde zugefagt. Sie
erforderte ſchon die Heimlichkeit, mit der die Geſchäfte bisher
geführt waren und die Unterjchleife ermöglicht hatte, wie fie
einigen der „Favoriten“ nachgewieſen waren.
Inzwiſchen Hatte an demſelben 12. April, an dem ber
Graf Schwargenberg in Spandau eintraf, der Kurfürft in
Königsberg die Inftruftion für den neuen Statthalter, Mark:
graf Ernft von Jägerndorf, unterzeichnet. Im Gegenjag zu
dem Brauch der legten Jahre machte fie ihm engfte Gemein:
{haft mit den Geheimeräten zur Pflicht und ſchrieb eine Orb»
nung bes Kanzleiweſens vor, die jeder Zeit Klaren Einblid in
die Geſchäfte ermöglichte. Am 16. Mai traf der Markgraf in
Küftrin ein und fam am 21. mit Konrad von Burgsdorf nad
Berlin. Das höchſte Vertrauen bewies der Kurfürft dem zwei-
undzwanzigjährigen Vetter, als er ihn auf den ſchwierigſten
Poſten ftellte, den er dermalen zu vergeben hatte. Das Kind
einer wilden Zeit, hatte Ernft in Jtalien, Frankreich und Däne-
marf gemweilt, zulegt ohne finanzielle Beihilfe von Georg Wil-
helm. Nach defien Tod fam er nad) Königsberg. Er gewann
Pruß, Preußiihe Geſchichte. I.
402 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft.
die Gunft der fürftlihen Frauen und verlobte fih aus Neigung
mit des Kurfürften Schmwefter Luiſe Charlotte, als nächſter
Agnat und im Fall von Friedrich Wilhelms Einderlofem Tod
Erbe der Kur noch befonders empfohlen. Vol Verftänbnis für
des Nurfürften Abfichten, jelbftlos, hingebend und treu, Klug
und gewandt, thatkräftig und gelegentlich rüdfichtslos durdh-
greifend, wenn auch ohne rechte Stetigfeit und dem äußerft
empfindlichen Kurfürften gegenüber zumeilen nicht glüdlih in
der Form und dann hart zurechtgewieſen, war er wohl ber
Mann, um in Gemeinfchaft mit dem geiftesverwandten Burgs-
dorf in der Mark die Ordnung berzuftellen. Die Anwefenheit
Johann Adolf Schwartzenbergs war ihm ſehr unbequem: auch
er ſchrieb ihm die böfeften Abfichten zu. Ihren politifchen Gegen:
ſatz verſchärfte ein perfönlicher: der Markgraf erftrebte bas
Meiftertum des Johanniterordens. Er war daher mit Burgs-
dorf darüber einig, ehe nicht „dieje böfe Schwartzenbergiſche
Art“ vertilgt wäre, würde ber Aurfürft mit Land und Zeuten
nicht fiher fein. Bewieſen freilih war dem Grafen nichts,
und dem Unbefangenen erſcheinen jeine intercipierten Briefe
unverfänglich: der Graf betrachtet die Vorgänge in der Mark
einfach von dem aiferlihen Standpunkt aus, und da erwedten
fie ihm ernfte Beſorgniſſe. Seine Wiener Freunde äußern fi
in gleidem Sinn: man fah in Brandenburgs Anfnüpfung mit
Schweden und bem Verlangen der Stände nah Waffenruhe
Zeichen einer dem Kaifer feindlichen Gefinnung. Damit aber
wurde weder dem Kurfürften noch den Ständen etwas Ehren-
rühriges nachgeſagt. Nun follte aber nach ber Dediffrierung
eines der aufgefangenen Briefe der Graf erflärt haben, alles
thun zu wollen, was dem Kurſürſten ſchaden könnte. Als Barthel
und Baftian von Waldow und Blumenthal anfamen und „das
Kollegium” verftärkten, meinte Burgsdorf, nun werde das
Korrefpondieren erft recht angehen: es gelte daher „die von dem
gefallenen Baume hinterbliebenen Wurzeln auszureuten, ehe fie
aufs neue wieder ausſchlagen“, denn „wenn man dieſem hoch—
ſchädlichen Werke nit bald und zwar mit einer heroiſchen
Refolution begegne, werde daraus großes Unglüd entfiehen“.
Hatte Adolf Schwargenberg unrecht, wenn er Burgsborf zu
1. Die ſtandiſche Reaktion. 403
feinen entſchiedenſten Widerſachern rechnete? Ebenſowenig machte
er ſich einer Verleumdung ſchuldig durch die Meldung, die
märkiſchen Stände wünſchten die Entfernung der Kaiſerlichen
und den Frieden mit Schweden. Beſonders übel nahm man
es, daß er ſich über die militäriſchen Maßnahmen, namentlich
die Reduktion abfällig ausſprach. Eigentlich aber hatte der
Kurfürſt gar nicht allein über die Regimenter zu verfügen, die
auch dem Kaiſer verpflichtet waren. Er ſelbſt hatte es daher
ſchon Schwartzenberg gegenüber bedauert, daß in der betreffenden
Formel nicht genau ausgedrückt war, wie der dem Kaiſer ge—
leiſtete Eid nur für den Fall gelte, daß die Truppen im nächſten
Feldzug zur Wiedereroberung Pommerns verwendet würden.
Auch unterhandelte er über die Reduktion, die ſein Land ge—
bieteriſch forderte, mit dem Kaiſer und bot dieſem die Regi—
menter an.
Nicht politiſche Umtriebe, nur vermögensrechtliche In—
tereſſen führten Johann Adolf von Schwartzenberg in die Mark.
Darin war er der echte Sohn feines Waters, der die Sorge für
fein Vermögen niemals aus den Augen verloren hatte. Auch
fah jene Zeit nichts Bedenklihes darin, wenn ein Beamter
nebenher mit dem Staat für ihn felbft gewinnreiche Geſchäfte
machte. In folhem Umfang freilich und mit ſolchem Erfolg,
wie der Herr Meifter hat das wohl faum einer gethan. In
feiner finanziellen Bedrängnis flüchtete Georg Wilhelm oft zu
feinem fürftlich reichen Minifter, der nicht bloß außerordentliche
Ausgaben, wie für Geſandtſchaften und dergleichen, fondern
auch die laufenden ftaatlihen Bebürfniffe aus feinen Mitteln
bedte, bald mit, bald ohne Pfand. So wurde er ber vor-
nehmfte Gläubiger feines Herrn und feines Staates. Daß er
ſich dabei wucheriſch bereichert habe, ift freilich nicht erwiefen.
Aber er benugte die Konjunkturen und die finanzielle Macht,
die in jener geldarmen Zeit feine reihen Barmittel ihm ver:
liehen. Pfandſchaften aller Art, Güter und Grundftüde, Renten
und nußbare Rechte brachte er an ſich und erwarb fo ein nad
damaligen Begriffen ungeheueres Vermögen. Der Kontraft
zwifchen feinem Reichtum und der Armut bes von ihm regierten
Staats forderte die öffentlihe Meinung heraus: feine Truhen
404 Drittes Bu. Die Rettung der Zutunft.
waren mit Gold gefüllt, die Kaſſe feines Herrn ftand leer.
Die Einkünfte des Kurfürften in der Mark, die vor dem Krieg
über 260000 Thaler betragen hatten, waren 1640 auf etwa
35000 Thaler reduziert. Auf Cleve laftete eine Landesſchuld
von über 100000 Thalern. Die meiften preußifchen Kammer:
ämter waren verpfändet — und einer der Hauptgläubiger war
überall der Minifter! Um Millionen handelte es fich daher bei
feinem Nachlaß, zunächſt freilich in Außenftänden, namentlich
Forderungen an den Staat und ben Kurfürften. Auch die Ein:
fünfte des Sohannitermeiftertums waren jeit fieben Jahren im
Ruckſtand. Ohne fie berechnete Johann Adolf das väterliche
Guthaben auf rund 790 000 Thaler — eine Summe, die unter
den obmwaltenden Verhältnifien ſelbſt beim Verzicht des Landes:
herrn auf einen beträchtlichen Teil der Landeseinkünfte nicht
aufzubringen war.
Von hier aus erhielt des jüngern Grafen Drängen auf
Anerkennung und Befriedigung der ererbten Anſpruche poli=
tifche Bedeutung. Das Intereſſe des Staats gebot ihre jorg-
fame Prüfung: damit war noch Feineswegs die Abficht gegeben,
fie zu verwerfen. Anders aber dachten des Kurfürften Räte.
In ihrer feit Jahren aufgefammelten Erbitterung griffen fie
begierig den Verdacht auf, ihr Beſieger verdanfe feine Reich-
tümer unehrlichen Mitteln. Bezeichnendermeife begann bie Aktion
in Gleve, wo der Minifter befonders gehaft war. Aus eigenem
Antrieb beſchlagnahmte die dortige Regierung das Schwargen-
bergiſche Gut Huiffem und legte fogar Truppen hinein. Auch
in der Mark wurden die Verwalter und Einfafjen der betreffen-
den Aemter bald angemwiejen, „dem Grafen fi mit Pflichten
nit verwandt zu machen noch Gehorfam zu leiften”. Man
perrte dem Sohn die Einkünfte, während die Schweden die
Schwargenbergifhen Güter befonders drüdten. „Ih Tann,“
ſchreibt der Graf nad Wien, „nicht genug jagen, wie unglüd-
lich es mir geht. Ich bin allhier wie eine Eule zwiſchen den
Krähen.“ Die feinem Vater alles verdankten, feien feine ärgften
Feinde: Chrerbietung und Freundfchaft beteuernd, ſuchen fie
ihn um das Seinige zu bringen. Alles nehme man ihm, bloß
weil ber Kurfürft nicht wiffe, wie e& ſich mit den betreffenden
1. Die ſtandiſche Reaktion. 405
Gütern eigentlich verhalte, und wenn er nicht fo ſchnell herbei⸗
geeilt wäre, hätte er nicht einmal das väterlihe Silber ge—
rettet und nicht fo viel gehabt, um ſich ein Trauerfleid machen
zu laffen. Zum Glüd habe ein treuer Diener gewiſſe Papiere
dem Gewahrſam ber furfürftliden Räte liftig entzogen und
über Cleve nad den Niederlanden gebradt. Man nahm an,
es handle fih um politiſch fompromittierende Schriftftüde, die
hocpverräterifche Verbindungen feines Vaters darthun könnten.
Aus der nahmals als unrichtig erwieſenen Deutung einzelner
Stellen in feinem Briefwechfel mit Wiener Freunden ſchloß man
auf einen ähnlichen Inhalt der befeitigten Papiere des Vaters.
Vielmehr wird an Schriftflüde von vermögensrechtlicher Be—
deutung zu denken fein, Befiturfunden, Schuldverfchreibungen,
Pfandſcheine, Zinstabellen, Gutsrechnungen und anderes mehr,
von denen fi nad dem Zeugnis ber Furfürftlihen Räte in
dem wieder eröffneten Nachlaß des Vaters „ein großer Wuft“
gefunden hatte. Daß Graf Johann Adolf den ihm von Wien
aus empfohlenen Verfuch zur Beftehung der furfürftlihen Räte
als ausfichtslos ablehnte, von ben märfiihen Ständen urteilte,
fie neigten mehr zu Schweden als zum Kaifer, und meinte, bie
Oberften der zur Reduktion beftimmten Regimenter hätten Grund
zur Beſchwerde, daß er den an von Rochows Stelle gejegten
Oberſt Ribbed für unfähig erklärte — „ein pur lauter Laff“ jei
er, und ihm Spandau, die Hauptfeftung, anvertrauen, ſei, „als
ob man ein Dorf mit einem tollen Pfaffen verjehen wollte” —:
all das märe ihm unter anderen Umftänben nicht zum Ver-
brechen angerechnet worden. Jetzt folgerten Markgraf Ernft
und Burgsdorf daraus die böfeften Abfihten. Dazu ergab ſich,
daß feine Wahl zum Koadjutor des Vaters im Orbensmeifter-
tum ftatutenwidrig gefchehen war. Unter dem Eindrud von
alle dem, immer von neuen Denunziationen beftürmt, lebte fich
fozufagen der Nurfürft in den Glauben an die Wahrheit biefer
Anfhuldigungen hinein, meinte nachträglich von Schwargenberg
auch feinerfeits alles mögliche Ueble erfahren zu haben und
ließ, was jener gefündigt haben jollte, den Sohn entgelten.
Der Geheime Nat leitete gegen dieſen auf Grund ber dediff-
vierten Briefe eine Unterfuhung ein. Die Stände Magten mit
406 Drittes Bud. Die Retiung der Zukunft.
Ianbesherrliher Genehmigung wider ihn wegen Verleumdung.
Ribbeck forderte ihm zum Duell. Daß er die Forderung an—
nahm, deutete man als Eingeftändnis der Beleidigung Ribbeds
und meinte, er habe damit auch anerfannt, was man ihm fonft
auf Grund der aufgefangenen Briefe ſchuld gab.
War das Verfahren gegen ben Grafen weder gerecht noch
billig, fo wird man feinen Urhebern und dem ihnen folgenden
jungen Fürften doch mildernde Umftände nicht verfagen. In
ihrer ſchwierigen Lage braten fie die Haltung des Grafen,
der feine privaten Rechte verteidigte, mit dem Widerftand in
Verbindung, dem fie fonft begegneten. Noch hatte man fi
mit Schweden nicht verftändigt, wenn auch thatſächlich Waffen:
ruhe eingetreten war. Winterfelds Miffion nad Hamburg zu
dem Legaten Salvius ſcheiterte. In Stodholm felbft mußte
man unterhandeln. Am 1. Mai gingen Gerhard Rumelian
von Leuchtmar und Balthaſar von Brunn dorthin ab, um ben
Thronwechſel anzuzeigen und zur Anbahnung des alten freund-
ſchaftlichen Verhältniffes zunächſt einen Waffenſtillſtand auszu:
wirken: das Wort Neutralität, das man in Wien nicht gern
hörte, wurde forgfam vermieden. Aber jhon das beunruhigte
den kaiſerlichen Hof: follte man nicht durch Eintreten für die
Rechte Schwargenbergs auf den jungen Herrn in Königsberg
eine heilfame Preffion ausüben? Aber mehr als eine empfehlende
Befürwortung feines Anliegens bei dem Kurfürften wurde dem
Grafen ſchließlich doch nicht zu teil. Andererjeits befürchtete
man, die der Reduktion widerftrebenden Oberften könnten fi
dieſem verbünden, er fie für feine Zmwede benugen. In ihm
trafen jo für die Räte des Kurfürften alle ihrem Herrn feind-
lihen Tendenzen zufammen: in ihm meinten fie alle Gegner
treffen zu fönnen.
Inzwiſchen war der Landtag zufammengetreten. Aber trotz
der entgegenfommenden furfüritlihen Generaltejolution vom
31. März hatte Ernſt von Jägerndorf feinen leihten Stand.
Gern acceptierten die Stände den Erja ber den Oberften und
Hauptleuten bisher gewährten unbeftimmten Bezüge durch ein
feftes Jahrgehalt. Ueber dieſes freilich galt es fich erſt mit
den anjpruchsvollen Herren zu verjtändigen, die das niedrige
I. Die ftändifge Reaktion. 407
Sommertraftament mit ihren Leuten lärmend zurückwieſen.
Auch das Verlangen der Stände nad Unterfuhung des
jamten Kriegsetats ber legten Jahre durch eine fürftlid-ftä
diſche Kommiffion wurde erfüllt. Mit der Thätigkeit Schwargen-
bergs zugleich lieferte der neue Herr dadurch die Regierung
feines Vaters einer Kritik aus, die von dem einſeitigſten Partei—
ftandpunft ausging. Dabei ftritten die Stände weiter über bie
Quotifation der Steuern. Der Adel wollte wie bisher nur ein
Drittel tragen, die Städte follten zwei Drittel aufbringen,
obgleih im Februar 1641 auf ihre Huldigung verzichtet war,
weil außer nad) Berlin:Cöln, Spandau, Küftrin und Peitz nad
feiner zu fommen war, fie entweder vom Feinde bejeßt oder
bebroht oder ohne Einwohner und völlig ruiniert waren. Die
160 000 Thaler, die für die.im Dienft bleibenden 2400 Mann
zu Fuß und 300 Reiter und zur Reduftion der übrigen Truppen
gefordert wurben, erflärten die Stände nicht aufbringen zu
tönnen: höchſtens 150 000 Thaler unter Einrehnung ber er-
betenen außerorbentlien Beihilfe für die Univerfität Frank—
furt und die Fürftenfchule zu Joahimsthal könnten fie über-
nehmen. Als fie aber an die Umlage gingen, erfchien ihnen
aud das als ein Ding der Unmöglichkeit, weil die noch in der
Gewalt der Schweden befindlichen Gebiete nicht mit heran-
gezogen werden Fonnten. Mehr als 103000 Thaler waren
nicht zu beſchaffen, während allein das Sommertraftament
über 111000 Thaler erforderte. In monatelangen Verband»
lungen den Ständen größere Bewilligungen abzubringen be:
müht, mußte der Statthalter doch felbft zugeben: „Es ift die
Dejolation und Unvermögen des armen Landes jo groß, daß
zu Erſetzung ſolches Mangels Fein anderes Mittel denn die
Kiberier- und Befreiung der noch beſchwerten Kreife von ſchwe—
difcher Kontribution und Quittierung des Landes weder zu er-
denfen noch zu erfinnen geweſen.“
Und ein erfter Schritt in diefer Richtung geſchah, als am
24. Juli zu Stodholm Leuchtmar und Brunn mit dem Kanzler
Drenftierna einen Waffenftilftand auf zwei Jahre unterzeichneten.
Völlig Herr der Marken freilich wurde der Kurfürft noch night:
die Schweben behielten Driejen, Landsberg, Krofien, Frankfurt
408 Drittes Bud. Die Rettung der Zufunft.
und Gardelegen famt der Militärgerichtsbarfeit und dem Recht
zur Requiſition, nur bie Zivilgerihtsbarfeit und die Defonomie
tam an ihn zurüd. In der Altmark wollten fie Tangermünde,
Stendal, Seehaufen und was fie jonft befegt hatten, räumen,
fobald acht Tage nad) Austaufh der Ratifilationen die Wer:
bener Schanze jamt dem Städtchen Werben ihnen übergeben
würde; von dem Waffenftillftand wurde diefer wichtige Elb-
übergang ausbrüdlic ausgenommen. Die den Schweden ver-
bleibenden Pläge follten ungehindert verproviantiert werben,
der Kurfürft aber feine neuen Befeftigungen anlegen dürfen.
Die Freigebung von Handel und Verkehr zwiſchen allen Teilen
ftelte wenigftens die mwirtihaftlihe Einheit des Landes her.
Leider aber machte der dem Hauptvertrag angehängte Neben:
rezeß das alles ziemlich illuſoriſch. Danach durfte Schweden
in Küftrin einen Kommiſſar beftellen, um die Ausführung des
Vertrages durch die Furfürftlichen Behörden zu überwachen und
alles Schweden Nachteilige zu hindern, aud die Intereffen der
Einwohner Pommern Brandenburg gegenüber zu vertreten.
Brandenburg wurde aljo unter eine Art von Polizeiaufficht ger
ftellt und die Entſcheidung der pommerjchen Frage vorweg ge:
nommen. Deshalb verweigerte der Kurfürft die Ratififation bes
Stodholmer Vertrages. Trogdem ift derjelbe von beiden Teilen
vollftredt worden, fo weit es ohne Schaden ober Gefahr ge:
ſchehen Konnte. Die altmärfifhen Orte aber räumten die
Schweden nicht, weil die Werbener Schanze inzwiſchen von den
Kurfürftlichen gefchleift war und ihnen nicht ausgeliefert werden
konnte.
Doch ſchon diefer unvollfommene und unfidere Stillftand
war ein Segen für das Land. Er ermöglichte die Rebuftion
und die Anbahnung des Ueberganges vom Militärregiment zu
bürgerlicher Verwaltung. Um erftere erwarb fi Konrad von
Burgsdorf große Verdienfte. Zum Geheimerat und Oberfammer:
herrn ernannt und im Range glei hinter den Kanzler geſtellt,
wurde er weitaus ber bebeutendfte Mitarbeiter des jungen
Herrn. Um zweierlei handelte e8 ſich bei der Reduktion: einmal
die Soldatesfa, die das Land unter ſich zu teilen und ihm
bezirksweiſe ihren Unterhalt abzuprefien gewöhnt war, zur An—
1. Die ſtandiſche Reaktion. 409
erfennung ber neuen, jolde Willfür ausſchließenden Ordnung
zu vermögen, dann etliche Oberfien zu befeitigen, die um bie
Ahndung ihrer Unreblichfeiten und Gemaltthaten zu hindern,
ſich der Reduktion gewaltfam widerjegen wollten. Dazu wurde
zunächſt der Kriegsrat aufgelöft: meben Burgsdorf trat der
Oberſt NRibbed in den Geheimen Rat. Auch einer befon-
deren Kriegskaſſe bedurfte man nicht mehr. Das Militär:
departement hörte auf allen bürgerlichen Intereffen übergeordnet
zu fein: ohne dies wären mit dem Lande die Soldaten felbft
bald dem Untergange verfallen geweſen. Doch traf die Rebuf-
tion mehr Offiziere als Gemeine. Von erfteren war nämlich
unverhältnismäßig viel vorhanden, weil viele Oberften und
Hauptleute zwar Geld und Verpflegung für die volle Zahl der
von ihnen zu haltenden Truppen befamen, thatſächlich aber
nicht fo viel bei einander gehabt und fi fo unreblich bereichert
hatten. Oberſt Dietrich von Kracht drohte anfangs, ſich der
Reduktion zu widerjegen, ftelte dann umerhörte Bedingungen,
wurde aber bejcheidener, als man eine Unterſuchung wegen
Niederbrennung der Berliner Vorſtädte (S. 394) einleitete.
Noch gefährlicher ſchien Morig Auguftus von Rochow. Als
Leuteſchinder verrufen, hatte er einen Spandauer Geiſtlichen,
von deſſen Warnungen vor Raub und Gemaltthat er ſich ge—
troffen fühlte, eigenmächtig zur Verantwortung ziehen wollen
und nad des Herrn Meifters Tod die militäriſchen Weifungen
der Geheimeräte als Narrheit verhöhnt. Jetzt berief er fih
auf den dem Kaiſer geleifteten Eid, riet feinen Offizieren darauf:
bin auch ihrerfeits dem Kurfürften nicht zu ſchwören, weigerte
den Gehorfam und drohte im Notfall Spandau in die Luft
zu ſprengen. Endlich wurde er in Arreft genommen. Sein
Appel an den Kaifer hatte feine Folge; als aber der wider
ihn angeftrengte Prozeß eine üble Wendung nahm, fand er
Mittel und Wege zur Flucht. Auch der ähnlidy fompromittierte
Oberftleutnant Hartmann Goldader, der fich zudem in Schmäh-
reden gegen ben Kurfüften ergangen und einem wegen Morbs
inhaftierten Edelmann zur Flut verholfen hatte, ging mit
einem Haufen feiner Reiter auf und davon, um Faiferlide
Dienfte zu nehmen. Nach längeren Verhandlungen entjchloß ſich
410 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft.
der Wiener Hof, auch die übrigen noch in der Mark liegenden
Reiter in feinen Dienft zu nehmen. Ihr Abzug unter Markus
Ludecke befreite das Land von ſchwerer Heimſuchung. Das
machte Eindrud auf die übrigen. Die Reduktion vollzog fi
ohne Widerftand, mochten auch noch mande Schwierigkeiten
zu überwinden und bie abgelohnten Offiziere und Leute mit
dem ihnen Gewährten ebenfo unzufrieden fein, wie die Stände
über die ihnen zugemuteten Opfer murrten.
Auch Johann Adolf Schwargenbergg Sahe war damit
entſchieden. Seines Vaters Todfeinde waren, wie e8 ſchien, end⸗
gültig zur Gewalt zurückgekehrt, während ihn feine Beziehungen
zu den unzufriedenen Offizieren vollends fompromittiert hatten.
Seine aufgefangenen Briefen entnommenen Xeußerungen, fo
wenig fie die Abficht zu einem Gemaltftreih oder auch nur zur
Herbeiführung energiſcher Intervention des Wiener Hofes er—
wieſen, erfuhren die nadhteiligfte Deutung: von Befriedigung
feiner Anſprüche war nicht mehr die Rede. Ja er durfte Schlim:
meres fürchten. Schon war feine Verhaftung beſchloſſen: da
machte er fi durch nächtliche Flucht davon. Ob er es that,
um verdienter ſchwerer Ahndung zu entgehen? Was bisher
befannt geworben, ergibt nichts derart. Als übereifriger und
dem Kurfürften fehr unbequemer Verfechter feiner Vermögens:
intereffen mag er gefehlt haben: zum Verſchwörer, ber mit ber
unzufriedenen Soldatesfa und dem Kaiſer Schlimmeres plante,
haben ihn nur bie Furt und der Haß der Feinde feines
Vaters gemacht. Auch das gegen ihn eingeleitete Verfahren
ergab nichts. Ja Anfang 1642 hat der Faijerlihe Gefandte
Juſtus von Gebhard den Kurfürften überzeugt, daß bie ihm fo
ſchwer angeredjnete Aeußerung, er wolle immer auf des Kur—
fürften Schaden denken, auf irriger Dediffrierung beruhte.
Um fo weniger lag hinfort ein Grund vor, feinen privatrecht-
lien Anjprüchen Befriedigung zu verfagen. Freilich blieb die
Neigung dazu auch jegt gering. Doch verlor man in Wien und
Prag die Sahe um fo weniger aus dem Auge, als der Graf
am Hofe an Anfehen und Einfluß gewann. Auf eine neue
Taiferlihe Mahnung, ihn in dem ihm Gebührenden zu reſti—
tuieren, erwiderte man im Herbft 1647 von Berlin mit einer
I Die ſtändiſche Reaktion. 411
ausführlihen Darlegung und Rechtfertigung des Furfürftlichen
Verfahrens, gab aber ſchließlich doch in weſentlichen Stüden
nad. Am 8. Oftober 1649 cedierte der Kurfürft Schwargen-
berg die im Jülich-Cleveſchen gelegene Herrfhaft Winnenberg,
die ihm ſelbſt nach dem Provifionalvergleidh vom 8. April 1647
für 100000 Thaler Haftete, als Pfand für diefe Summe.
Andere Anſprüche des Grafen blieben noch in der Schwebe;
über fie ift auf dem Regensburger Reichstage durch Blumen
thal vergeblich verhandelt worden. Bon neuem fam die Sade
zur Sprade, ala es ſich nad) Kaiſer Ferdinands III. Tod darum
handelte, Brandenburg für die Nachfolge des jungen Königs
Leopold und zur Löfung von Schweden zu gewinnen. Da:
mals mar Schwargenberg die rechte Hand des Leopold vor:
nehmlich beratenden Erzherzogs Leopold Wilhelm. Unter diefen
Umftänden erfolgte ein Vergleich dahin, daß der Graf die von
ihm als Erben feines Vaters beanſpruchten märkiſchen Aemter
dem Kurfürften abtrat und dafür durch König Leopold mit der
böhmifchen Herrſchaft Pürglig entſchädigt wurde. Das beftimmte
den Kurfürften damals, auch feine wieder in Erinnerung ge—
braten Anſprüche auf Zägerndorf vorläufig fallen zu laffen.
Schwargenberg aber gab auch jegt den Reſt feiner Forde—
tungen im Betrage von etwa 20000 Thalern nicht auf. Bei
den Bündnisverhandlungen in Wien (Februar 1660) ließ
der Kurfürft durch feine Bevollmächtigten darauf dringen,
daß gegen Herabfegung der anfangs von ihm in der Höhe von
150000 Thalern geforderten Subfidie der Kaifer die noch
ſchwebende „Schwargenbergifche Prätenfion“ mit 20 000 Thalern
auf fi nehme.
Mit dem bisherigen Verlauf der Dinge konnten namentlid
die Stände zufrieden fein: das fteigerte weder ihre Dienftbereit-
ſchaft noch ihre Opfermilligkeit. Zäh befämpften fie die For-
derungen bes Statthalters für die militärifche Neuorganifatio:
16 Compagnien zu Fuß zu je 150 Mann und zwei Reiter
compagnien zu je 150 zu unterhalten fei unmöglid. Die nad
dem Landtag zurüdgebliebenen Ständebeputierten proteftierten
gegen eine folge Zumutung: bei der „ſichtbaren Impoffibilität
und dem elenden, blutweinenden Zuftand des armen Vater:
412 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft.
landes“ möge man fi mit 12 Compagnien zu Fuß zu je
100 Mann und 150 Reitern begnügen und diefelben, ba fie
in den Feftungen blieben, dauernd auf das Sommertraftament
fegen. Denn jelbft das fei nicht aufzubringen, ehe die Schweden
die noch immer bejegt gehaltenen Gebiete nicht räumten. Schon
jahen die Stände einen allgemeinen wirtſchaftlichen Zuſammen—
bruch nahen, da wie der Staat fo auch der Einzelne feinen
Verpflichtungen nicht mehr nachkommen fonnte. Sie verlangten
Erlaß oder Herabfegung der in den Kriegsjahren aufgelaufenen
Zinfenrüdftände und Herabfegung des Zinsfußes von fechs auf
drei Prozent, Erneuerung des feit 1620 mehrfach verlängerten
allgemeinen Moratoriums, Zahlung in Schuldfheinen ftatt in
bar, Auffhub der Erefutionen, Aufhebung oder doch Erleich-
terung ber Haftpflicht der Bürgen für zahlungsunfähige Kom⸗
munen ober öffentliche Kaſſen und Herabfegung der zur Zeit
der leichten Münze (1620—1623) aufgenommenen Darlehen
auf den damals empfangenen Metalwert. Sonft gingen ihre
Meinungen auch jegt weit auseinander. Den politifchen Gegen-
fag zwifchen Adel und Städten fteigerte der verſchärfte wirt—
ſchaftliche. Der Adel wollte den die ftäbtifche Produktion ſchützen—
den Eingangszoll, der die von auswärts eingeführten Artikel
verteuerte, aufgehoben und das Land auch dem Erport völlig
geöffnet jehen, um feine landmwirtfchaftlichen Produkte in Pom⸗
mern und Medlenburg an die gut zahlenden Schweden zu vers
kaufen. Er jegte feine agrarifchen Intereſſen über die ber
Gefamtheit. Daß die Erfahrungen der legten Jahre ohne Ein-
drud auf ihn geblieben waren, zeigte das politiihe Programm,
mit dem feine Deputierten dem Kurfürften entgegentraten: ein
ftraff monarchiſches Regiment ſollte für alle Zeit unmöglich
gemacht werben. Denn wenn die Stände das Net erhielten,
ſich alljährlich zur Formulierung ihrer Beſchwerden über bie
Verwaltung zu verfammeln, fo war bie ſtändiſche Mitregierung
Tonftituiert. Sie forderten ferner Anteil an der Reform ber
Gerihtsordnung und der Verwaltung, Herftellung ihrer ehe:
maligen Rechte an Kirche, Schule, Geriht und Polizei, und
vor allem an der Finanzverwaltung. Unter dieſen Umftänden
war die Verfeindung der Städte mit dem Adel für den Kur—
1. Die ſtandiſche Reaftion. 4183
fürften ein Glüd: durch wirtſchaftliche Zugeftändniffe konnte
er fie zu Bundesgenojjinnen gewinnen.
Fürs erfte freifih mußte er fih fügen. Er flimmte (No:
vember 1641) der Reduktion der Truppen auf die von ben
Ständen für allein möglich erklärte niedrigere Zahl zu und
begnügte ſich ftatt der früher gebotenen 12 Compagnien zu Fuß
zu je 200 Mann mit 16 zu je 125, alfo im ganzen 2000 Mann,
unter ber Bedingung jeboh, daß die Offiziere von 16 Com:
pagnien beibehalten würden. So fonnte er im Notfall ent:
weder bie Zahl der Soldaten in den Compagnien oder die ber
Compagnien fteigern. Bon Reitern aber erhielt er wirklich nur
eine Compagnie zu 125 Mann. Wäre das Bewilligte aber nur
auch wirklich geliefert! Immer wieder mußten Statthalter
und Kurfürft die Stände mit Vorftellungen und Bitten an:
gehen: weder die Naturallieferungen noch die Kontributiong-
zahlungen gingen ein. Was von der Armee noch übrig war,
befand ſich bald in trojtlofem Zuftande: ohne Löhnung, ſchlecht
verpflegt und unzureichend gefleidet liefen viele Soldaten davon.
Und nun rüdte im Januar 1642 Torftenfon vom Lünebur:
giſchen Her in die Mark ein. Alsbald erſchienen die Raiferlichen
in ber Altmark, voran Oberft Hartmann Goldader mit zwei
Negimentern, die bis in die Priegnig ftreiften. Sie verlangten
die Erritung von Magazinen, wollten aljo im Lande bleiben.
Die Schweden erneuerten die früheren Schredniffe: bis unter
die Mauern Spandaus verfolgten fie die von Haus und Hof
Fliehenden. In der Altmark, im Drömling befonders, erhoben
fid) die Bauern und erzwangen Herabjegung und vertragsmäßige
Ordnung der Forderungen. „Wie mit einer raujchenden, durch:
dringenden Wafferflut” überſchwemmten nad) einem Bericht des
Markgrafen Ernft die feindlihen Armeen das Land. Mitte
April aber verlangte Torftenfon nicht weniger als 300 000 Pfund
Brot, 200 Wifpel Hafer oder Gerfte, 100 Faß Bier und
1000 Stüd Vieh. Der Markgraf ſchrieb die entfprechenden
Lieferungen aus und zeigte fo feinen guten Willen. Die Auf:
bringung, das wußte er, war unmöglih. Und dazu famen
Feuersbrünite in Städten und Dörfern, veranlaßt durch Ab:
brennen des dürren Grafes. Auch die Stände wußten natürlich,
414 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft.
feinen Rat. Unmöglichen Anforderungen gegenüber „ließen fie
Hände und Füße finken, famen entweder nicht oder lamen—
tierten“. Auch dem Statthalter entfant der Mut: er mußte
nicht mehr, wie er helfen folte, und erflärte dem Kurfürften:
„Denn e8 das klare Anjehn hat, es jeien nunmehr die Sachen
in den Zuftand geraten, ber auf faft rei summa beftehet und
der zeigen wird, ob Euer Liebden oder ein anderer Ihr hiefiges
Land gebrauchen und genießen folle.” Cine Geſandtſchaft der
Stände nad) Stettin richtete jo wenig aus, wie vorher Dito von
Schwerin, der die Aufhebung des Nebenrezefies zum Stodholmer
Vertrag hatte erwirfen follen. Wohl aber befam diefer in den
Quartieren ber Kaiſerlichen jpige Bemerkungen zu hören über
das gute Einvernehmen der brandenburgiihen „Neutraliften”
mit den Schweden. Um nichts beffer war es Leuchtmar ge—
gangen, der Schwerin gefolgt war. Und melde Stimmung
in ber Mark berichte, läßt des Statthalters Sorge erkennen,
er werde bald ebenjo verhaßt fein wie einft Schwargenberg.
Daß mit der von den Ständen erzwungenen Friedenspolitif
nichts zu erreichen ei, konnte ſchon damals für erwieſen gelten.
Da beſchloß der Kurfürft zum endlichen Vollzug des auf
dem Papier jeit Monaten fertigen Waffenftillftandes bie Hebel
in Stodholm jelbft einzufegen. Er rechnete dabei auf ben
Gegenfag zwiſchen der Regentſchaft in Stodholm und ben Ver—
tretern der ſchwediſchen Politik in Deutfchland: erftere wünfchte
feine Bermittelung in dem Streit mit der Witwe Guſtav Adolfs,
die deren Flucht nach Dänemark zur Folge gehabt hatte. Diefe
ftellte er daher oftenfibel in den Vordergrund, als er im Juli
den Kanzler Siegmund von Gögen und Rumelian von Leucht⸗
mar nad Stodholm fandte. Auch wurde da ſchnell ein Ver-
gleich erreicht, nad) dem die Königin-Witwe bis zur Mündig-
feit Chriftinens in Preußen verweilen ſollte. Der Stillftand
aber wurbe wieder nicht ratifiziert, da die Schweden von dem
Nebenrezeß nicht laſſen wollten. Daß die brandenburgifche Politik
an einem Wendepunft ftand, beweiſt die den Gejandten auf:
getragene Werbung um bie Hand ber jungen Schwebenkönigin.
Friedrich Wilhelm kam auf das Projekt zurüd, das einft in
Guftav Adolfs Plänen eine Rolle gejpielt hatte. Die Antwort
1. Die ſtändiſche Reaktion. 415
war wenigftens nicht einfach ablehnend: bei der Jugend Chri-
ftinens, hieß es, könne man eine Verpflichtung noch nicht ein-
gehen, zumal die Königin zur Zeit von Stodholm fern fei.
Wie mußte fi die Auffaffung ber Lage bei dem Kurs
fürften geändert haben, wenn er diefen Weg einjchlug, der die
von dem jungen Schwargenberg erhobene Anklage der Neigung
zu Schweden als berechtigt erwies! Ob die Konfequenzen, bie
fih notwendig daraus ergaben, ihm wohl ganz Kar waren?
Den Frieden mit Schweden konnte ihm die Che mit Chriftine
wohl verſchaffen: wie aber ftellte fie ihn zu den anderen Mächten?
Den Eintritt in das ſchwediſche politiſche Syſtem dennoch zu
vermeiden, auch mit dem Haufe Hababurg in Frieden zu bleiben,
wäre nicht möglich geweſen. Schon das erfte Ruchbarwerben
dieſes Eheprojefts erzeugte fieberhafte Unruhe. Die preußiſchen
Stände fürdteten Verwidelungen mit Polen, das heißt fie
fahen ihre Libertät ernftlich bedroht. Polen wollte feinen Vaſallen
um jeden Preis an einer Verbindung hindern, von der es
mehr als den Verluft der Lehenshoheit über Preußen zu fürchten
hatte. Dänemark beunruhigte Schwedens Machtzuwachs, und
die Niederländer fürdteten für den Ausgang ihrer Handels—
ftreitigfeiten mit ber baltifhen Großmadt. Den tiefiten Ei
drud aber machte das Heiratsprojeft in Wien und Madrid:
Brandenburgs Uebergang zu Schweden ließ das Schlimmfte
befürchten. So wurde der ſchwediſche Heiratsplan das Zentrum
für des Kurfürften politifhe Entwürfe.
Noch aber lagen andere Sorgen näher. Die Mark war
fo gut wie verloren. Weber Kaiſerlichen noch Schweden konnte
man Einhalt thun: was man in feiner Ohnmacht den einen
bingehen lafjen mußte, wurde von ben anderen als Partei:
nahme für ihre Feinde geahndet. Daß die Schweden von
Stettin her Munition und Getreide auf der Ober heranführten,
veranlaßte ernfte Borftellungen des Kaiſers. Die Getreideſchiffe
paffieren zu laſſen, erklärte ber Kurfürft darauf, „habe die un:
vermeiblihe Not und der hochbetrübte Zuftand feiner armen
Unterthanen erforbert, denen, hätte man die Vorbeifahrt ge—
bindert, ihr geringer Vorrat mit Gewalt abgenommen und
nichts übrig gelaffen worden wäre“, und man habe deshalb
416 Drittes Buch. Die Rettung ber Zukunft.
nit gewagt, der Unterthanen „durch die Wolken dringende
und bes gerechten Gottes Strafe und Rache nad; ſich ziehende
Seufzer und Thränen auf fi zu laden“. Zum Krieg feien
ihm feine Mittel gelaflen, und da der allgemeine Friede noch
immer nicht zu ftande gefommen fei, jo dürfe man, „was ex
inevitabili necessitate zu Zeiten geichehen müſſe“, nicht ihm oder
„Seinen jo hochbedrängten und bis aufs Mark und Bein aus:
gefogenen Ständen und Unterthanen” anrechnen. Immer troft:
Iofer lauteten des Statthalters Berichte. Da der Vertrag mit
Schweden noch nicht perfeft geworben, wiſſe man nit, was
eigentlich für die ſchwediſchen Garnifonen zu leiften fei, und
es werde baher wohl „bei der vorigen Konfufion verbleiben
und der Unterhalt wie vorhin erzwungen werben“. Dabei werde
viel mehr als nötig genommen und fo „des eigenen Bolfes
Unterhalt immer weiter in ein Stoden geraten und in folchen
Abfal kommen, daß dem Werke nicht mehr zu helfen“. Die
Stände aber verlangten immer weitere Rebuftion, ala ob man
noch nicht mwehrlos genug wäre und durch vollftändige Ent:
waffnung die Rriegalaften am eheiten los werben könnte! Der
Hofhalt des Statthalters, für den ſchon im Mai 1642 eine
ftändifche Beihilfe von 80 Thalern hatte erbeten werden müſſen,
wurbe immer Inapper, die Lage der Beamten, die nur einen
Teil ihrer Kompetenzen, oft gar nichts erhielten, immer elender,
die Ausficht, die Heine Armee bei einander zu halten und braud-
bar zu machen, immer geringer: faum in ben trübften Zeiten
Georg Wilhelms war man fo rat: und hilflos geweſen und
hatte mit jo ftumpfer Refignation der nahenden Kataftrophe
entgegengejehen. Solchem Drud erlag ſchließlich die moralifche
und die geiftige Kraft des Statthalters, mögen au die Folgen
einer wüften Jugend die Wirkungen einer feelifh und körper:
lich glei aufreibenden Thätigkeit gefteigert haben. Der Ein:
drud troftlofen Elends ringsum feheint in ihm die Wahnvor-
ſtellung erzeugt zu haben, er felbft ſei ihm bereits verfallen:
er machte fih Sorge um feinen Unterhalt, wollte Berlin ver-
laffen und nach Küftrin überjiedeln. Der Kurfürft, dem damals
Konrad von Burgsdorf perfönlich über den Stand der Dinge
Bericht erftattete, fuchte ihm zu beruhigen. Eines Tages (An-
I. Die ſiandiſche Reaktion. 417
fang September) aber machte er fich doch in einem Anfall gei-
ftiger Verwirrung nad Spandau davon: er ſei durch Burgs⸗
dorf beim Kurfürſten verleumdet. Vergeblich redeten die Ge-
heimeräte ihm gut zu: der Verfolgungswahnfinn war aus—
gebrochen. Samuel von Winterfeld brachte ihn nad) Berlin
zurück. Nach Tagen trügerifcher Ruhe fteigerte ſich das Leiden.
In einem Zimmer im Erdgeſchoß des Berliner Schlofles ver:
weilte der Unglüdlihe hinter vergitterten Fenjtern. Seine
Mutter, Markgräfin Eva Chriftine von Württemberg, eilte
berbei: man konnte ihr nicht geftatten, bei ihm zu bleiben.
Die Sorge der Geheimeräte um ihre Unterbringung und Ver-
pflegung beleuchtet grell die unfürftlihe Armut, mit der man
in Berlin rang. Die Körperkraft des Kranken ließ eine Zeit
lang Genefung hoffen. In den Stunden der Ruhe fragte er
nad des Kurfürften Ankunft, ſprach voll zärtlihen Bedauerns
von „Fräulein Loysgen“, feiner Braut, warf auch wohl ein-
mal einen Blid in die ihm vorgelegten Berichte und Eingänge,
gab eine Unterſchrift und empfing die Tröftungen der Religion.
Aber am Morgen des 4. Oftober 1642 ftarb er.
Diefer Todesfall war ein jo harter Schlag für den Kur:
fürften, daß er darin das Werk eines Giftmifchers argwöhnte.
Auf ihm allein ruhte nun feines Hauſes und Landes Zukunft.
Er ſelbſt mußte die Mark retten: dorthin richtete fi al fein
Denken. Aber erft vom 16. Februar 1643 datiert die Inftruftion
für die Oberräte zur Regierung Preußens in feiner Abmefenheit.
Unterwegs ſchon kamen ihm neue Unglüdsbotfchaften entgegen.
In der Altmark haufte Torftenfon unbarmherzig: er meinte, die
Leute könnten das DVerlangte leiften, fie wollten nur nicht.
Ebenfo erging es der Priegnig. Wegelagerer machten die Land»
ftraßen fo unſicher, daß, ala Ehrenreich von Burgsdorf, Konrads
Bruder, mit ber Heinen Leibgarde dem Nurfürften bis an bie
Grenze entgegenritt, die Regentihaft die Kreife um etliche
Pferde und die Feftungsfommandanten um etlihe Soldaten
bitten mußte, um den Verkehr von Ort zu Ort zu ermöglichen.
Die Städte Prenzlau, Neu-Angermünde, Templin, Lichem und
Strasburg waren jo gut wie entvölfert, und als nun auch
noch das Hochwaſſer der Elbe die Altmark bedrohte, waren in
Brus, Preugiige Grichichie. I. Ex
418 Drittes Bug. Die Rettung ber Zukunft.
den verlaffenen Dörfern die Gefpanne nicht aufzubringen, deren
man zur Errihtung der Schugmwehren bedurfte! Unter ſolchen
Eindrüden fam der junge Kurfürft am 6. März 1643 in Küftrin
an, mit Konrad von Burgsborf, dem Kanzler von Götzen, dem
Hofmarfhal Adam Georg Gans zu Putlig und Gerhard
Numelian von Leuhtmar. Von Berlin waren zur Begrüßung
die Geheimeräte erfjienen. Am 7. März vereinigte er fie zum
erftenmal zu einer Sigung. In der Arbeit mit diefen Männern,
dem Anhören ihrer Berichte, der Erörterung ihrer Anfichten
und dem Erlaß der nötigen Verfügungen erlangte der junge
Herr erit eine lebendige Anſchauung von dem Zuftande feines
Landes und der Größe ber ihm geftellten Aufgabe. Mit der
vollen Einſicht in die entſetzliche Wirklichkeit, hinter der alle
Berichte doch zurüdgeblieben waren, gewann er ſicheren Boden
für feine Entſchlüſſe. Jegt erft fing er an zu regieren. Und
mit welchem Eifer widmete er fih den Geſchäften, die ſich
ihrem Umfang und ihrer Mannigfaltigfeit nach nun vor ihm
aufthaten! Faft täglich hielt er mit dem Geheimen Rat
Sigungen. Dieſer erhob fi wieder zu der alten Bedeutung,
wurde das ausgleichende, vermittelnde und die Einheitlichkeit
der Regierung verbürgende Zentrum des Staates, wo alles
von einiger Bedeutung erwogen und entſchieden wurde, Inneres
und Aeußeres, die hohe Politik fo gut wie Fragen ber Ver—
waltung, Perfonalien fo gut wie Dinge von lokalſtem Intereſſe.
Auch wurde in den nädjften Wochen durch die Verpflichtung
der Beamten zwifchen dem Staatsoberhaupt und ben Trägern
der Verwaltung endlich die nötige perfönliche Verbindung her—
geftellt.
Arbeitsreiche, mühfelige, freublofe Wochen und Monate
folgten. Wohl mag der Kurfürft zuweilen Haben verzagen wollen.
Würde es ihm gelingen, Liht und Ordnung in das Chaos zu
bringen, der widrigen Verhältniffe Herr zu werden und für
die Zukunft feines Staats neue Grundlagen zu gewinnen?
Welchen Jammer fand er in der Doppelhauptitadt, wo er am
23. die Huldigung empfing! Berlin zählte 358 wüſte Stellen;
noch 1645 waren von feinen 835 Häufern nur 620 bewohnt.
Die Zahl der Feuerftellen war 1643 von 800 auf 556, in
1. Die ftändifhe Reaktion. 419
Cölln die der bewohnten Häufer von 401 auf 379 gefunfen.
Und dieſe Häufer, in denen im ganzen noch feine 8000 Ein-
wohner lebten, waren meift nur Hütten, mit Stroh und
Schindeln gebedt und mit Schornfteinen aus Holz oder Lehm.
Die ungepflafterten Straßen lagen voll Unrat, in dem Schweine
wählten. Die Brüden drohten zufammenzubredhen. Wafler ent-
nahm man elenden Ziehbrunnen. Um das Zurfürftlihe Schloß
bewohnbar zu maden, mußte man erft das Dach neu deden:
da Ziegel fehlten, geſchah das mit Dielen. Sein Gefolge
mußte der Kurfürft fürs erfte in Bürgerquartiere legen. Das
veranlaßte Klagen, wegen beren er zeitweilig nad Küftrin über:
fiebelte. Und anderwärts jah es noch viel fchlimmer aus: in
Frankfurt waren von 1029 Käufern und Bürgern nod 272
vorhanden, in Prenzlau von 787 no 107, in der Neuftabt
Brandenburg von 700 nod 300, in Templin von 308 noch
40, in Angermünde von 300 no 29, in Bernau von 302
noch 85, in Trebbin von 149 noch 24 und fo fort, in Treuen-
briegen gar von 500 nur noch 30!
Solhem Elend konnte nur duch einen wirklichen Waffen-
ſtillſtand mit Schweden abgeholfen werden. Auch der höchſte
Preis, der dafür gezahlt werben mußte, erfhien gering gegen
das immer neue Unheil, das die von den Schweden erhobenen
Lieferungen und Kontributionen über das Land braten. Nur
fo durfte man hoffen, dieſem menigftens etwas von feinem
Getreide, feinem Viehſtand, feinem Handel zu retten und feine
fünftige Melioration in Angriff zu nehmen. Bereits Mitte
April gingen von Gögen und Leuchtmar nad Stettin, um für
das ben ſchwediſchen Garnifonen in ber Mark zu Gemwährende
ein beftimmtes Maß zu vereinbaren: dann erſt fonnte ber
Stodholmer Vertrag vom 24. Juli 1641 praftifch werden. Sie
begleiteten Deputierte ber Stände, um ſich zu überzeugen, daß
günftigere Bedingungen wirklich nicht zu erlangen feien. Auch
fand man diesmal mehr Entgegenfommen: bas ftärfere Werben
des Kaifers um Brandenburg war Johann Drenftierna nicht
entgangen. So fam am 28. Mai 1643 der Vertrag über den
Vollzug des Etodholmer Stillftandes zum Abſchluß. Gegen
Bahlung von 10 000 Thalern und Lieferung von 1000 Scheffeln
420 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft.
Getreide jeden Monat wurde die bisher auf einen Kleinen Teil
des Landes beſchränkt geweſene Herrihaft des Kurfürften in
dem ganzen Umfang der Marken hergeftellt, indem ihm aud
in den noch mit ſchwediſchen Garnifonen belegten Orten die
Ianbeöherrlihe Regierung und Jurisdiftion vorbehaltlos ein-
geräumt wurde, wenn es ben Schweden vorläufig auch noch
erlaubt blieb, fein Gebiet nad Bedarf zu durchziehen.
I. Pie Beeresfchöpfung, die bewaffnete Beufralifät
und der Weltfälifche Friede. 1643—1648,
De Stettiner Vertrag fhien ein großer Erfolg: daß er
es nit war, ergab fi, als es ihn auszuführen galt. Die
finanzielle und wirtſchaftliche Bedrängnis blieb diefelbe: felbft
dem Hofe fehlten die nötigen Naturalien. Neue Hilfsquellen
waren bei dem Ruin der Landwirtihaft auf Jahre hinaus
nicht zu hoffen. Dazu verlangte der kaiferlihe General von
Krodow Durchzug und Unterhalt für feine Truppen. Ihn ge
währen hieß den Stillftand mit Schweden gleich wieder brechen.
Finanziell jo wenig wie militärifh und politifh war der Kur-
fürft der Mark Herr. Nur mit Hilfe der anderen Lande konnte
man fie zu retten hoffen.
Aber auch in Eleve wirtſchaftete man jeit 1635 mit einem
Defizit von 10000 Thalern jährlih. Dennoch hatte die neue
Regierung fih allmählich emporgearbeitet: fie hielt an dem
Schwargenbergfhen Syftem feit, ließ den von den Ständen
als „Somplice” des Herren Meifters heftig angefeindeten Land»
tentmeifter Lukas Blafpeil nicht fallen, hielt die Landeseinfünfte
zur Verfügung des Landesheren und gewann durch Auslöfung
der verpfändeten Domänen fogar leibliche finanzielle Sicherheit.
So konnte fie auch die günftige politifche Konftellation benugen,
um bie fremden Befagungen loszuwerden. Im Sommer 1643
zogen die Helen ab. Die Niederländer räumten einen Teil
der von ihnen innegehabten Pläge: nur Weſel, Rees und
einige andere Orte behielten fie als Unterpfand für die leidige
Hoffyſerſche Schuld, an deren Abſtoßung noch nicht zu denken
war. Eine Annäherung an die Republif und an Frankreich
ergab fi als natürlihe Konfequenz davon.
Die Entſcheidung aber erfolgte in Preußen. Dort war
422 Drittes Bug. Die Rettung der Zukunft.
die unter Georg Wilhelm eingeleitete Finanzreform (S. 374)
glüdlih durchgeführt und hatte der Ausbeutung bes Landes
dur bie Oberräte und ihre ftändifchen Genoſſen ein Ende
gemadt. Die ausgelöften Domänen gab man möglihft in
Arrende, fo daß die Regierung mit ihrer Bewirtſchaftung
nichts zu thun hatte, fondern fefte Bareinfünfte daraus zog.
Dazu kamen die Erträge bes neuen Seezolles in Pillau und
Memel und die Bernfteinpadht. Der Verſuch aber, die Finanz:
verwaltung ben Oberräten ganz zu entziehen, hatte, von ben
Ständen als revolutionär befämpft, aufgegeben werden müffen.
Doch zog der Kurfürft nun aus Preußen einen beſcheidenen,
aber ficheren Ertrag in barem Gelbe, 1643 zuerft 7126 Thaler.
Wichtiger noch war die dabei gewonnene Einfiht, es werde
möglich fein, die Leiftungsfähigfeit des Herzogtums fo zu ſtei—
gern, daß dort, außerhalb der Machtiphäre des Kaifers ſowohl
wie Schwebens, das beſchafft werben könnte, von defien Un—
entbehrlichkeit der Kurfürft ſich inzwifhen überzeugt hatte —
ein Heer, um ber Neutralität endlich Achtung zu erzwingen.
Denn daf die unbewaffnete Neutralität, die ihm bie ftändifche
Reaktion aufgendtigt hatte, aufgegeben werben müffe, war ihm
jegt Har — eine fpäte, aber glänzende Rechtfertigung Schwargen=
bergs. Nur allmählich war ihm diefe Einficht gefommen: dann
aber zog er tapfer ale Folgerungen daraus. Mnd alsbald ſcheint
der Bann der trüben Vergangenheit von ihm genommen und
ex über fi felbft hinaus zu wachſen. Die Entwidelung in
auffteigender Linie beginnt. Ihr Träger ift neben dem Kur—
fürften felbit Konrad von Burgsdorf.
As Vertrauensmann der Kurfürftin-Witwe war im Ja-
nuar 1641 Siegmund von Götzen nad) Königsberg berufen
worden. Auch bei dem jungen Herrn galt er bald „mehr
denn fein Menſch und hielt al die andern unter feiner Kontri—
bution und Furcht“, wie Johann Adolf von Schmwargenberg
urteilte. Zwei Jahre ftand er als Kanzler an der Spige der
Geſchäfte: ein alter Gegner des Herrn Meifters, dachte er über
die Reduktion und die auswärtige Politik wie die märkifchen
Stände. Aber das Ausbleiben jeden Erfolgs untergrub feine
Stellung. Das Vertrauen des Kurfürften gewann ftatt feiner
Il. Die Heeresfhöpfung und der Weftfälifhe Friebe. 423
Konrad von Burgsdorf. Auch er war zuerft als Gegner
Schwargenbergs hervorgetreten, aber nicht Hagend und fron-
dierend, fondern in zäher Ausdauer mit ihm ringend. Dafür
verfolgten ihn deſſen „Abhärenten“ und „Favoriten“ mit un=
verjöhnlihem Haß. Freilich war aud er, in einer zuchtlojen
Zeit in die Höhe gefommen, im amtlichen Leben nicht gerade
ein Mufter von Sitte und Ordnung und ftand nit an, einen
föblihen Zwed auch durch recht bedenkliche Mittel zu fördern:
der jüngere Schwargenberg, die Waldom u. ſ. m. wußten davon
zu berichten. Aber auch in des Kurfürften Augen entſchuldigte
das die Not der Zeit: alle Beſchwerden gegen Burgsdorf blieben
erfolglos, ja noch nachträglich machte Friedrih Wilhelm alle
Handlungen des Kommandanten von Küftrin während der legten
Jahre feines Vaters ausdrüdlich zu den jeinigen, erflärte alle
Klagen des Statthalters gegen ihn für erlogen und befahl die
Selretierung der darauf bezüglihen Akten. Seit dem Herbft 1642
weilte er in Königsberg, um über die Lage mündlich Bericht
zu erftatten. Erft im März 1643 kehrte er mit dem Kurfürften
nach der Mark zurüd. In dieſer Zeit ift er bemjelben nahe
getreten. Seine frifche, derb zugreifende foldatifhe Natur voll
frohen Wagemuts feſſelte, jo ſcheint es, den noch ſcheuen und
verfchloffenen jungen Herrn und wedte in ihm zuerft Vertrauen
auf die eigene Kraft. Ihr Verkehr geftaltete fich fait famerad-
ſchaftlich. So gewann Burgsdorf den Kurfürften zu feiner
Auffaffung der Lage. Obgleich felbft an der Rebuftion beteiligt,
Hatte er fie doch als einen Fehler erfannt, ber nur durch
Schaffung eines neuen Heeres gut zu maden war. Im April
1643 erklärte er, der Kurfürft brauche mehr Volk und werde
es auch jhaffen fünnen, wenn er den Schweden nichts mehr
zu geben brauchte. Weder auf den Kaijer noch auf Schweden
ſei Verlag, Pommern gütlich zu erlangen feine Ausfiht: alſo
ſei es „rühmlid, nötig und ratjam zu einem Gorpo zu ges
langen“ und fi „durch den Degen in Reſpekt und Autorität
zu fegen“. Man müſſe fi den „martialifchen Zeiten” anpaflen.
So hätten Heffen und Braunſchweig Anfehen gewonnen, und
der Kurfürft könne mehr als fie erreichen, denn die Welt habe
eine gute Meinung von ihm. Aber mit einer Armee allein
424 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft.
war e3 nicht gethan: fie recht zu benugen, brauchte man Allianzen,
wofür dermalen bie Niederlande und Frankreich in Betracht
famen. Auf fie wiejen namentlich die Intereſſen Cleves Hin.
Dort war Burgsdorf ein Gefinnungsgenofje und Mitarbeiter
erftanden in dem Statthalter General von Norprath. Auch
er verlangte die Schaffung eines Heeres, um ben Chicanen
Pfalz.Neuburgs endlih Halt zu gebieten: die Mittel könne
man dur Holzverfäufe in der Marf und Verpfändung preus
ßiſcher Aemter ſchaffen. Wie Burgsdorf dachte er, es fei beffer
ein Viertel des Staats zu verjegen, als fortwährend den Ver—
luſt des ganzen fürdten zu müffen. Dieſes Programm haben
der Kurfürft und Burgsdorf im Frühjahr 1643 vereinbart.
Erfterer war fi) der Größe des Augenblids bewußt. Mochte
er erft in allerlei Zweifeln gerungen haben — mit Entſchloſſen—
heit ging er ans Werk, dem neuen Berater gleihfam auf Tod
und Leben verbunden. Am 20. Oktober ſchloß er mit Burgs-
dorf Waffenbrüderſchaft: gegenfeitig vermachten fie fi für den
Fall eines plöglihen Todes ihre Waffen; nur feinen mit Dia-
manten bejegten Degen nahm der Kurfürft aus. Burgsdorf
ftand im Begriff nad Preußen abzugehen zur Durchführung
der geplanten großen Neuerung, die über das Schidjal der
Hohenzollern und ihres Staats entfcheiden follte: nicht mit
Unrecht hat man ihn den erften preußifchen Kriegsminifter ge—
nannt.
Wirtſchaftlich und politifh, militärifh und diplomatiſch
waren feine Aufträge. Die preußiſchen Stände follte er zur
Uebernahme der Leiftungen vermögen, ohne die fein Heer auf:
zubringen war, und die Naturalien beihaffen, um dem Not:
ftand in der Mark abzuhelfen. Cs gelang ihm faft über Er:
warten: er erhielt etliche 100 000 Gulden bewilligt und brachte
große Getreidevorräte zufammen, deren Verfauf weitere Geld:
mittel ergab. Auch Vieh verſprach man ihm nad der Mark
zu liefern. Bald fonnte er an die Werbung des Kerns für
das neue Heer gehen, das Norprath zur Verfügung geftellt
werden follte. Vom Niederrhein und von Preußen her wurde
jo die Rettung der Marf in Angriff genommen: bort führte
man durd, was Schwargenberg in der Mark geplant, aber
N. Die Heeresſchöpfung und der Weſtfaliſche Friede. 425
nicht durchgefegt hatte. Wodurch fie bei einiger Opferwilligfeit
der Stände vor dem Ruin bewahrt worden wäre, das wurde
durch zum Teil freiwillige Gaben der beiden Gebiete nachgeholt,
deren Stände ſich jedem Zwang dazu hartnädig verfagt haben
würden. Dieje hatten doch etwas gelernt: ohne ihren prin-
sipiellen Standpunkt aufzugeben, beugten fie ſich der Autorität
des Fürftentums, das endlich feinen Beruf erkannte. Selten
ift die Politik eines feinen Gegnern unterlegenen Staatsmannes
nachträglich jo glänzend gerechtfertigt worden wie damals bie
Schwargenbergs: fein erbittertfter Gegner und der von dieſem
beratene junge Fürft, der in ihm feinen Todfeind gefürchtet
hatte, befannten fi zu den Maßregeln, um berentwillen man
ihn einft verfegert hatte.
Wie zu der Zeit, wo es mit der Organifation bes natio-
nalen franzöfiihen Staats durch Karl VII. zuerft geſchichtlich in
die Erfheinung trat, jo bewahrheitete es ſich auch jegt, daß
das moderne Fürftentum auf den Finanzen und dem Heere
beruht. Hier gab es, jo fann man beinahe jagen, eine preu:
Bifche Armee, ehe es einen preußiſchen Staat gab. Recht
eigentlih als eine preußiſche ift die furfürftliche Armee im
Frühjahr 1644 entitanden, rüdfichtli der Geldmittel fo gut
wie bes Menfcenmateriale. Im Jahr 1644 hob die Schatulle
dort fon 15258 und 1645 gar 98477 Thaler. Damit
konnte man bie Mannſchaften werben, die man am Niederrhein
brauchte. Dazu ſollten auf Norpraths Rat die Befagungen in
Pillau und Memel allmählich verſtärkt und auf der jährlich
dreimal von bort durch den Sund fahrenden holländijchen
Flotte immer 300—400 Mann als Pafjagiere nad; den Nieder:
landen geiafft werben. Nur konnte eine folde Verſtärkung
leicht Polens Verdacht erregen: eine glüdlihe Fügung half
Burgsdorf über diefe Schwierigkeit hinweg. Bei der Infpektion
der preußifchen Feſtungen meinte der Woiwode Graf Dönhoff,
weiter als mit den 9000 Landmilizen, die Preußen aufbringen
fönnte, fäme man doch mit 30004000 Mann zu Fuß und
1000 Reitern gemworbener Berufsjoldaten, und wies damit
auf eben ben Weg, den ber Kurfürft mit Burgsborf gehen
wollte. Das legalifierte die Werbungen polnifherjeits und
426 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft.
machte aud den preußiſchen Ständen die Einſprache dagegen
unmöglid).
Im Frühjahr 1644 warb Chriftian von Pannewig mit
dem von Burgsdorf angewiefenen Gelde zwei Compagnien und
führte fie Ende Juli nad der Mark, von wo Ewald von Kleift
zur Werbung einer ferneren Compagnie nad Preußen ging.
Eine vierte wurde im Herbft nad) Brandenburg dirigiert: der
Kommandant von Pillau, von Podewils, hatte fie zufammen-
gebracht. Eine fünfte warb man in der Mark. Auch am Nieder:
rhein kam die Sache in Gang. Die Heflen waren abgezogen,
die ftaatifhen Truppen auf die wenigen verpfändeten Orte
beſchränkt. Neun Compagnien, welche die Republik entließ,
fieben zu Fuß und zwei zu Pferde, nahm Norprath in des
Kurfürften Dienft und vermehrte fie im Laufe des Jahres auf
17 zu je 100 Mann. Nach Eleve wurden dann auch die fünf
in Preußen und der Mark geworbenen Compagnien gelegt. Nur
das Leibregiment unter Konrad von Burgsborf, das ebenfalls
durch Werbungen in Preußen und mit preußifhem Gelbe ge=
bildet war, blieb in der Mark.
Bei alledem handelte es ſich nun aber nicht, wie font damals
gewöhnlich, um eine Wehrhaftmahung bloß bis zum Frieden,
fondern um eine dauernde. Daher beſchäftigten den Kurfürften
ernfte organifatorifhe Erwägungen. In fie führt eine Denk:
fchrift des fpäter in den Geheimen Rat berufenen Kurt Bertram
von Pfuel vom März 1644, welche als einzige fihere Bafis für
eine ihrer ſelbſt gewiſſe nationale Wehrkraft die Volfsbewaffnung
Hinftellte und, in Kombination mit dem Werbeiyftem, als durch⸗
führbar erweifen follte. In diefer böfen Zeit, damit beginnt von
Pfuel, kann ein Herrfcher feine Aufgabe, Fafjung und Erhaltung
des Lehr:, Nähr: und Wehrftandes, nur löfen, wenn er zunächſt
für Formierung bes „gewappneten Wehrftandes“ forgt. Des—
halb braucht der Kurfürft vor allem ein Heer, 9000 Mann zu
Fuß und 2000 Reiter. Letztere follen mit 7500 von erfteren
die Feldarmee, die übrigen 1500 Dann zu Fuß die Befagung
der Feftungen bilden. Den derzeitigen Beftand der furfürftlichen
Truppen berechnet Pfuel auf 2400 Mann zu Fuß und 200 Reiter:
daher ſollen 3600 Mann zu Fuß und 1800 Reiter geworben,
HI. Die Heeresfgöpfung und der Weftfälifge Friebe. 427
3000 Mann zu Fuß aber aus dem Landvolk ausgehoben werben.
Dazu fol die Bevölkerung aufgenommen und zu möglichſt ge—
nauer Auskunft vermocht werden durch das Vorgeben, man
wolle den einzelnen für ihr wirtſchaftliches Fortkommen eine
ftaatlihe Beihilfe gewähren. Die verzeichneten Dienftfähigen
jollen bei einer neuen Berufung zurüdbehalten und eingeftellt,
die übrigen aber mit der verheißenen Unterftügung entlafen
werden. Den Unterhalt für die Armee date Pfuel dadurch
zu beſchaffen, daß in fämtlihen — nad ihm 4000 — Dörfern
immer ber beite Bauernhof zwei Soldaten und den Anteil von
den übrigen Taufend, für jeden Mann monatlich zwei Reiche:
thaler, übernehmen, dann aber von allen fonftigen ftaatlihen
und ftändifchen Laften frei fein follte. Die 2000 Reiter follen
von dem abgelöften Dienftgeld der Ritterpferbe, die jämtlichen
Dffiziere von den Städten, Artillerie und Munition vom
Kurfürften beſchafft werden. Der Vorfchlag empfahl fi durch
eine gewiſſe ausgleichende Gerechtigkeit: dem Bauer legte er
die Laft der Dienftpflicht auf, im die finanzielle Laſt teilten
fi der Fürft, der Adel und die Städte. So meinte Pfuel
den miles perpetuus zu ſchaffen, defjen man „nach diefer Lande
höchſt bebauerlihem eigenen Exempel“ bebürfe. Derfelbe fei
nit, wie bie Stände meinten, eine Laft und Plage, „jondern
wohl erträglich und dazu wie nüge, alfo auch ergötzlich“. Klar
ift ihm die Notwendigkeit eines in ſich geichloflenen und dem
Landesheren treu ergebenen Dffiziercorpe. In Brandenburg,
meint er, fei das Material dazu reichlich vorhanden: feit
Jahren ftröme der märkifhe Adel in fremde Dienfte und beraube
das Vaterland feiner tüchtigften Söhne. Das müſſe ein Ende
haben, zumal zur Zeit das Kriegsweſen „Finanzerei und Kauf:
mannſchaft“ geworben fei, da adlige Herren mit ihren Com:
pagnien und Regimentern Geſchäfte machten: aud mit ihrem
Geldbeutel könnten fie in Zukunft dem Kurfürften dienen.
Die Geftaltung des entftehenden brandenburgiſchen Heer:
wejens bat Pfuels Denkſchrift nicht beeinflußt. In ihr Geheim-
nis war ber Verfaffer nicht eingeweiht. Auch ift feine Arbeit
allein dem Kurfürften befannt geworben, der perſönlich dadurch
angeregt fein mag: dauernd fehen wir ihn bemüht, ‚die all:
428 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft.
gemeine Dienftpfliht mit dem Werbefyftem in Einklang zu
bringen. Unausgejegt arbeitet er an der Bildung und Hebung
bes Offigiercorps. Nach Pfuels Vorſchlag ficherte er etliche bereits
zur Ruhe gejegte höhere Offiziere für den Fall bes Bedarfs
feinem Dienft, indem er ihnen Wartegeld zahlte. Auf dieſe
Art wurde die Mark an der Heeresfchöpfung beteiligt, die ſonſt
eine preußifhe war und zunächſt am Niederrhein in die Er-
ſcheinung trat. Dort ftanden bald 4100 Mann, in der Mark
2400 und in Preußen 1200—1300, zu denen im Notfall noch
5000—6000 Wibranzen, Landwehren, traten. An regulären
Truppen hatte der Kurfürft demnach 77007800 Mann. Wie
hätte fih — fo fragt man unwillfürlid — das Schidfal Bran-
denburg- Preußens geftaltet, wäre dieſes Heer acht bis neun
Jahre früher da gewejen? Bei der damaligen allgemeinen Er:
ſchöpfung war es eine nicht verächtliche Waffe, wenn eine
zielbemußte auswärtige Politit den rechten Gebrauch davon
machte.
Und auch eine ſolche leitete der Kurfürſt ein, indem er
den Niederlanden und Frankreich näher trat. Ihr verdankte
er die Räumung Cleves, ſeiner Beſetzung durch die junge
Armee die Anerkennung ſeiner Neutralität. Daß Heſſen und
Niederländer nur unter der Bedingung abzogen, daß die
geräumten Orte von kurfürſtlichen Truppen beſetzt würden,
ſchnitt dem Kaiſer jede Einſprache gegen die brandenburgiſchen
Werbungen ab. Auch auf Schweden machten dieſe Eindruck.
Im Frühjahr 1644 erbot es ſich zur Uebergabe Frankfurts und
Kroſſens unter der Bedingung freien Durchzugs für ſeine
Truppen und Transporte, ſowie weiterer Leiſtung ber verein-
barten Lieferungen und Zahlungen. Im Juli 1644 wurden
daraufhin beide Orte von ben Aurfürftlichen bejegt. Auch mit
Frankreich knüpfte man an auf Anregung feines Gefandten in
Münfter, des Grafen d’Avaur, der die wachſende Bedeutung
Brandenburgs erkannte. Aus Anlaß des Thronwechſels wurde
Winandt Rodt an den Prinzen von Conde geihidt: unter dem
Deckmantel der Kondolenz und Gratulation jollte er um Hilfe
in betreff Pommerns und gegen Pfalz:Neuburg werben. Die
Antwort verhieß das Befte, wenn der Kurfürft wie fein Groß-
IT. Die Heeresſchöpfung und der Weſtfaliſche Friebe. 429
vater ein gutes Einvernehmen mit Frankreich pflegen würde,
deſſen Vernadläffigung feinen Vater um Pommern gebracht
babe. Natürlich dachte man nur Brandenburg auszunugen.
Aber die Intimität zwiſchen d'Avaux und Rodt in Müniter
machte weithin Eindrud, befonders beim Kaiſer und bei Schweden,
deren Abfichten, fo verſchieden fie waren, dadurch gleihmäßig
bedroht ſchienen.
In Wien verfolgte man diefen Gang der Dinge mit
wachſender Sorge. Daß Friedrich Wilhelm den auf den 1. Auguft
1642 nad Frankfurt berufenen Reichsdeputationstag erft gar
nicht beihidte, dann (Mai 1643) duch den in den Jrrgängen
des Reichsrechts heimifchen Matthias Wefenbed alles thun ließ,
um feine Auflöfung und die Zulafjung aller Reichaftände zu den
Friedensverhandlungen durchzujegen, ſah man bort als einen
Akt der Rebellion an. Auch trat Gallas, der im Juni 1644
angeblih im Vormarſch gegen Pommern erſchien, jo drohend
auf, daß man ſich des Schlimmften verfah. Schleunigft rüftete
man, ſperrte die Päfle, zum Teil durch aufgebotene Bauern,
und jammelte die Truppen. Ueber Tangermünde und Arneburg
wollte Gallas nach Werben und über die Elbe nach Holftein.
Ob es Zufall war, daß im Teltowſchen Streife gerade Konrad
von Burgsdorfs Gut Groß-Machenow geplündert wurde, wobei
etliche Kurfürftlihe fielen? Ewald von Kleift wurde an Gallas
geihidt. Was den Schweden recht, fei dem Naifer billig,
meinte biefer und verlangte Einräumung etlicher fefter Plätze
und das Gleihe an Proviant und Geld: wer Schweden
120000 Thaler zahle, fei nit ruiniert. Die faiferlihen Ka—
valiere aber meinten gar, fie würden den Kurfürften, wenn
fie fönnten, „beim Kopf nehmen“. Plante man einen Hand:
ftreich gegen deffen Perfon? Man riet ihm, ſich in Küftrin in
Sicherheit zu bringen. Gab Gallas doch zu, er folle ſich der
Feftungen und anderer Orte in der Mark bemädtigen und
„alfo die ſchwediſche Heirat zerftören”. Defjen bedurfte es
nicht mehr: der Plan, von dem man in Rom den Untergang
des Haufes Defterreich befürchtete, war bereits geſcheitert. So
begnügte fi Gallas mit Lieferungen. Dennoch erhob ber
Kurfürft in Wien energiſche Beſchwerde, gab zugleich aber be:
430 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft.
tubigende Erklärungen über Umfang und Zwed feiner Wer:
bungen.
Daß Guftav Adolf die Zukunft der Evangelifhen durch
die Ehe feiner Erbin mit dem Kurprinzen von Brandenburg
zu fihern gedacht hat, ift ebenfo gewiß wie, daß legterer durch
diefe Verbindung fi aus den ihn umdrängenden Gefahren zu
retten gehofft hat. Den Leitern der ſchwediſchen Politif aber
war es damit niemals ernft. Zur Zeit der erften Anfrage
(S. 414) war die Jugend der Königin ein fo bequemer Vor:
wand, um die Sache hinauszuſchieben. Denn die Bedenken,
die ſchließlich zur Verwerfung des Planes führten, beftanden
damals bereits ganz ebenfo. Schon Guftav Adolf hatte den
Webertritt des Kurprinzen zum Zuthertum und daß er in Schweden
erzogen werde, gefordert. Viel mehr aber als die Verſchieden—
heit der Konfeffion und des Volkstums bedeutete für die Männer,
die jegt Schwedens Politik leiteten, die Eorge vor der fürft-
lichen Selbftändigfeit des jungen Herrn, von deſſen Berufs:
treue, Geſchäftskenntnis und Thatkraft der Kanzler Orenftierna
eine hohe Meinung hatte. Mit der Stellung eines Königin-
Gemahls begnügte er ſich gewiß nit, fondern würde that-
fächlich regieren wollen. So fürdhteten mande von biejer Ehe
eine Nenderung der ſchwediſchen Verfaſſung im abfolutiftifchen
Sinn. Außerdem aber drohte diefelbe, die ſchwediſche Politik
der Aftionsfreiheit zu berauben und zu gunften Brandenburg-
Preußens zu binden. Das war bedenklich wegen Polens, be-
denfliher noch wegen Pommerns. Für Guftav Adolf hatte
Pommern die Bafis ber Verftändigung, die Bürgſchaft für die
Freundſchaft zwiſchen Brandenburg Preußen und Schweden ab:
geben Fönnen: jegt begründete es zwifchen ihmen eine unaus-
gleihbare Gegnerſchaft. Der Gewinn, den Brandenburg bei
der Ehe machen konnte, war alfo ungewiß und fragwürbig,
für Schweden hätte fie nad) innen wie nad) außen nur Nach—
teil gebracht. So wird aud die Hartnädigfeit, womit ber
Kurfürft jahrelang an dieſem Projekt fefthielt, und trog der
Lauheit der ſchwediſchen Staatsmänner und der Entrüftung in
Wien, Warſchau und tönigsberg immer wieder darauf zurüd-
fam, nicht als einer der bedeutenden Züge jeiner Politif anzu:
1. Die Heeresſchöpfung und ber Weſtfäliſche Friebe. 431
fehen fein. Auch hier hat er erft durch bittere, ja bemütigende
Erfahrungen die Dinge in ihrer wahren Geftalt ſehen gelernt.
Im Dezember 1644 wurbe Ehriftine von Schweden münbig.
Auf diefen Zeitpunkt hatte man 1641 den Kurfürften ver-
tröftet. Die üble Behandlung, die er feither duch Schweden
erfahren, hatte jeine Abfihten nicht geändert, ja er hatte wohl
daran gedacht, ſelbſt nad) Stodholm zu eilen und fo die Ent-
ſcheidung zu feinen Gunften zu bejchleunigen. Jetzt veranlaßte
er von Gögen unter Bezugnahme auf die früheren Verhand-
Tungen bei Orenftierna vertraulich anzufragen, ob neue Schritte
in diefer Sache Ausfiht auf Erfolg hätten, oder ob man fie
befier ruhen laffe, um den Nurfürften nicht einer Abweiſung
auszufegen. Die Berichte des brandenburgiſchen Agenten in
Stodholm gaben in betreff der perfönlichen Neigung Chriſtinens
zu ihrem Vetter Hoffnung. So ging im September der kur—
fürftlihe Rat Bendendorf, ſcheinbar in eigenen Angelegenheiten,
nad Schweden. Drenitierna erklärte die Sache für eine der
ſchwierigſten, die es gebe, da an ihr alle Reichsangehörigen
interefiiert feien, und betonte namentlich die Bedenken der
Geiftlichfeit wegen des Bekenntniſſes. Der Hinweis auf die
Parität, die in des Kurfürften Landen zwiſchen Lutheranern
und Reformierten herrſche, machte feinen Eindrud. Uebler noch
lautete die erfte amtliche Aeußerung an Bendendorf im De:
zjember 1644. Von den vielen Gründen gegen die Ehe wurde
wieber die Verfchiedenheit des Bekenntniſſes vorangeftellt, dann
die nahe Verwandtſchaft und die Sorge, ob auch beide Gemüter
zufammen ftimmen würden. Aber felbft danach gab der Kur—
fürft die Sache nicht auf. Um zu ihrer Betreibung mit Schweden
leichter forrefpondieren zu können, begab er fih im Februar
1645 nad Preußen — das Begräbnis feiner unlängft ge—
ftorbenen Großmutter Luiſe Juliane verbarg den wahren Zweck
der Reife — gegen den Wunſch feiner Räte, die wohl ſahen,
daß die Entſcheidung nit in Stodholm, ſondern in Dsna-
brüd liege, und daß man dort dem Aurfürften nur deshalb noch
Hoffnung machte, um ihn von dem durch die Verhältniffe immer
näher gelegten Bruch mit Schweden zurüdzuhalten. Je ent—
fhiedener er auf dem Friedenskongreß Pommern forderte, um
432 Dritte® Bud. Die Rettung der Zukunft.
fo mehr fpiegelte man ihm in Stodholm die Erhörung jeiner
Werbung als möglich vor. Ja man fuchte ihn dadurch zur
Natifitation des Stettiner Abfommens zu beitimmen. Daß er
fie verweigerte, bewies nach Orenftierna Mangel an berzlicher
Zuneigung zu der Königin und ließ biefe an der Ehrlichkeit
feiner Werbung zweifeln. Den Winter 1645—1646 dauerten
dieſe Verhandlungen, im tiefften Geheimnis, damit ihr Scheitern
den Kurfürften nicht fompromittiere, daher für dieſen un—
kontrollierbar, für die ſchwediſche Diplomatie dagegen außer-
ordentlich bequem. Und als der Kurfürſt endlich einfah, daß er
betrogen war, da ſchob man das Scheitern darauf, daß der
Brautwerber die Sache „Ialtfinnig“ betrieben habe! Konrad von
Burgdorf dagegen freute fi, „daß man in der ſchwediſchen
Heirat die Maske vom Gefiht gethan“: unbeirrt durch das
ihn fo lange nuglos hinhaltende Trugbild, möge fein Herr ſich
„um eine freund-holdjelige und tugendreihe Gemahlin umthun“.
Schon hieß es, er werbe um eine Tochter Friedrich Heinrichs
von Dranien. Noch war das Gerücht verfrüht: aber es zeigte,
in welcher Richtung die öffentliche Meinung die Rettung Bran-
denburgs fuchte.
Der Kurfürft felbft war darüber noch nicht im klaren.
Auf diefem Gebiete nahm feine forgenvolle Lehrzeit erft ihren
Anfang. Noch während zu Frankfurt darüber geftritten wurde,
wie das Reich an dem Friedenswerk teilnehmen follte, waren
im März 1644 die Unterhandlungen mit Frankreich in Münfter,
die mit Schweben in Osnabrück eröffnet worden. An der Spige
der brandenburgifchen Gejandtihaft in Münfter ftand Graf
Johann von Sayn:Wittgenftein, ein ftattliher Herr aus reihe-
gräflichem Geſchlecht, der bis vor kurzem in ſchwediſchem Dienft
geftanden hatte. Der eigentliche Träger der diplomatiſchen Aktion
aber war dort der Kammergerihtsrat Fromhold. In Osna—
brüd wirkte neben Matthias Weſenbeck Johann Friedrih von
Löben. Schon durch den Ausgang des Frankfurter Deputationss
tages ftand feſt, daß der Prager Friede nicht als Reichsgeſetz
für die Neuordnung Deutſchlands maßgebend war, und daß
die Amneftie für die außerhalb desfelben gebliebenen Reiches
ftände nicht von dem Belieben des Kaifers abhing. Für die
II. Die Heeresfhöpfung und ber Weſtfäliſche Friebe. 438
Belenner der Augsburgiſchen Konfefiion war der Religions»
friede felbftverftändlih. Daß feine Ausdehnung auf die Refor:
mierten noch beftritten wurde, bewies nur, wie wenig jene ge—
lernt und wie ſchnell fie vergeffen hatten, daß auch für fie die
Freiheit des Glaubens eben auf dem Spiele geftanden hatte.
Den entſchiedenſten Vertreter aber fand die Gleichberechtigung
auch der Reformierten, die ſchon Guftav Adolf zu Mainz ge—
fordert hatte, in dem Kurfürften von Brandenburg, dem die
Tochter des ſchwediſchen Glaubenshelven eben — angeblich —
um jeines reformierten Belenntnifjes willen verfagt war. Er
wurde, während Kurſachſen in der alten Unduldfamfeit beharrte,
der Vorkämpfer wahrer evangeliſcher Freiheit und brachte inner-
halb des Reihe das Prinzip zur Anerkennung, das ihm im
eigenen Lande, namentli in Preußen, nod immer hartnädig
beftritten wurde. Daß der Krieg, fomweit er Religionskrieg ge:
weſen, nicht vergeblich geführt war, war fein Verdienft. Damit
erft 309 er bie Konſequenzen aus bem Konfeſſionswechſel Jo—
hann Sigismunds: er hob den Widerſpruch auf, der ſeitdem
zwiſchen der kirchlichen und der politiihen Parteiftellung Bran-
denburgs beitanden hatte, und gewann damit aud für feine
auswärtige Politit einen neuen Boden, da die Bedenken fort
fielen, die Brandenburgs Inkonſequenz in den Niederlanden,
bei den Pfälzern und andermärts erwedt hatte,
Davon Gebrauch zu machen, bedurfte es auch für Bran-
denburg der Sprengung ber Fefleln, die das Reich jelbit jeinen
mãchtigſten Ständen noch anlegte, Für fie iſt der Kurfürft
energiſch eingetreten. Mit welchem Erfolge, ift befannt. Der
Form nad) fortbeftehend wurde das Reich innerlich aufgelöft:
eine Reichspolitik gab es hinfort ebenjowenig wie eine Reiche:
regierung. Der ausdrüdlihen Zuerfennung voller Souveränetät
an die Reichsſtände hätte es faum noch beburft: felbit das
Bundnisrecht hätte ihnen kaum noch beitritten werden Fönnen.
War Brandenburg der nächſt Deiterreih mädhtigite Reichsſtand,
fo fam ihm auch die neue Freiheit am meiften zu gute. Eine
auswärtige Politif war bisher für die Hohenzollern eigentlich
nur in betreff Preußens möglich geweſen: jest Fonnte dafür
auch Brandenburg eintreten. Es wurde damit über die Be:
Prus, Preusifge Geſchichte 1. 23
434 Dritte Bud. Die Rettung der Zukunft.
deutung eines Reichsterritoriums hinaus zu einem Faktor in
dem Syſtem der europäiſchen Politik erhoben.
Während fo die firhlihen und politifhen Fragen, um die
der große Krieg einft geführt war, leicht geordnet wurden,
drohte der Friede an der Ordnung der Befigverhältniffe wieder:
holt zu fcheitern. Befonders tief war Brandenburg- Preußen
in diefe Krifen verwidelt: von der pommerſchen Frage hing
der Ausgang überhaupt ab. Bon Anfang an hatte Schweden
außer dem Gelde zur Ablöhnung feiner Armee eine territoriale
Satisfaktion verlangt, nur nicht gleich Pommern als foldhe
gefordert. So lange fein Krieg mit Dänemark dauerte, hielt
es damit zurüd. Aber gleih nah dem Frieden zu Brömſebro
offenbarten die ſchwediſchen Legaten zu Danabrüd, was fie als
Preis des Friedens erzwingen ſollten: Brandenburg jollte die
Koften des Friedens tragen. Vom Kaifer hatte es nichts zu
hoffen: ſchon vor Jahren hatte er Pommern Schweden an—
geboten. Bon den Reicheſtänden hatte feiner Grund, fi für
Brandenburg zu bemühen, auch die evangeliſchen nicht, die fi)
Schweden gern auf fremde Koften dankbar erwiefen. Die Hoff:
nung, duch die Ehe mit der jungen Königin Schwedens
Aliierter zu werden und zugleih mit dem Erlaß der rück—
fändigen Kontributionen und der Räumung der noch von ſchwe—
diſchen Truppen bejegten Pläge in der Mark Pommern gleich—
ſam als Mitgift zu erhalten, ſchwand eben damals endgültig.
Daß der Kurfürft diefe Kombination nod immer nicht ganz
aufgab, beweift doch nur feine Rat: und Hilflofigfeit. Dann
war das Verhältnis zu Pfalz-Neuburg geipannter denn je.
Norprath bedauerte mit feinen Truppen den Sommer zur Un:
thätigfeit verurteilt gemwejen zu fein; jetzt machte ihre Ver:
pflegung Schwierigkeit. Auch die militäriſche Aktion, die der
Kaiſer wünſchte, war unmöglich: die Werbungen und fonftigen
Aufwendungen hatten die Mittel erfhöpft, und man befand
fi finanziel in höchjiter Bedrängnis. Eine ftärkere Belaftung
des Landes war weber in Brandenburg noch in Preußen mög:
lid. Dort hatten die altmärfiihen Stände vom Juni 1641
bis Januar 1645 für die ſchwediſchen und Furfürftlihen Truppen
und für Legationen an barem Gelde 823617 Thaler auf-
II. Die Heereöfgöpfung und der Weftfälifche Friede. 435
gebracht. Nehme man hinzu, was fie für die Verpflegung ber
fremden Armeen geleiftet, ſo komme eine Summe heraus, „daß
ein menſchliches Herz ſich dafür entjegen und zweifeln würde,
ob die arme außgefogene Mark Brandenburg wieder in Aufnahme
kommen könnte”. Die mit der Sorge für den Hofhalt betrauten
Beamten waren in der größten Verlegenheit: ala es hieß, mit
dem Kurfürften würden die Kurfürftin-Mutter und die Prin-
zeffinnen famt der ſchwediſchen Witwe nad Berlin kommen,
ſahen fie „die Neceffität und Paupertät” nahen. Wieder jollte
Preußen helfen: „aber,“ jo fürchtete man, „das würde nicht
eden, wenn das Frauenzimmer mitläme”. Dazu kamen bie
Klagen der Gejandten in Münfter und Osnabrüd, die es als
Schimpf empfanden, wegen der Knappheit ihrer Mittel das
übliche flotte Leben der Diplomaten nicht mitmachen zu fönnen,
zumeilen mit ihren Leuten geradezu in Not gerieten und ſchon
daran dachten, ſich nad) Ravensberg zurüdzuziehen. In Preußen
hatte man feine Luft, neue Opfer zu bringen, erhob vielmehr
laute Klage über den Schaden, den die Werbungen dem Lande zu:
gefügt. Mißernte und Hungersnot waren 1645 dazu gefommen.
Den gefteigerten Bebürfniffen gerecht zu werden, hatte man
die Einkünfte vorweg erhoben und Anleihen aufgenommen, um
„ein Loch zuzuftopfen ein anderes aufgemacht”. Darüber waren
die Oberräte, wie fie Hagen, um Autorität und Reſpekt ge
kommen und erflärten jede weitere Jnanfpruchnahme ber Be—
völferung, fei e8 mit barem Gele, fei es mit Naturallieferungen,
für unmöglih und weigerten fih, die Folgen einer folden auf
fh zu nehmen. Nur diplomatifhe Mittel blieben dem Kur:
fürften alfo zur Durchfegung feines Rechts auf Pommern. Die
ſchwediſche Ehe, die alle Schwierigkeiten hatte Töfen follen,
fam nicht mehr in Betracht. Die ſchon früher ermogene fran-
zöſiſche Allianz verfagte ebenfalls. Zu Beginn des Jahres 1646
ging Fabian von Dohna nah Paris. So mwohlmollend man
ihn dort aufnahm, feine Erflärungen fand man zu allgemein
und unbeftimmt: hätte der Kurfürſt Anfchluß verheißen und
zu ber ihm angetragenen Ehe mit des Herzogs von Orleans
Tochter Neigung gezeigt, jo würden die franzöfifchen Diplomaten
wohl zu allem bereit gemwefen fein. So zeigten fie ſich zwar
436 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft.
in ber Pfalz.Neuburger Sache, in der er dank der Thätigfeit
Burgsdorfs und Norpraths handeln konnte, nachgiebig: in be=
treff Pommerns aber blieb Dohnas Miffion erfolglos. Aber
der direkte Verkehr mit dem franzöfifchen Hofe dauerte fort:
man warb weiter um die Gunft des Allerhriftlichften Königs,
und Friedrich Wilhelm war einer der erften Fürften, der Lud—
wig XIV. ven Titel „Majeftät” zuerteilte.
Als im Oftober 1645 der ſchwediſche Legat Salvius
Witgenftein und Löben rückhaltlos erklärte, Schweden fordere
Pommern mit Reihsftandfhaft, fügte er hinzu, der Kurfürft
ſolle dafür „ein gleihmäßiges Yequivalent vom Römiſchen Reihe
empfangen“. Auch erinnerte er daran, daß ſchon Georg Wilhelm
der vom Kaifer vorgefchlagenen Weberlafjung Vorpommerns und
Rügens an Schweden zugeftimmt habe, und wollte fogar wiſſen,
der Kurfürft jelhft habe ſich vertraulich damit einverftanden er=
klärt. So lagen die Dinge, als Friedrih Wilhelm im Mai 1646
aus Preußen zurüdkehrte, wo ihn namentlich Geldmangel ftatt
ſechs Wochen über ein Jahr feftgehalten hatte Am 1. Juni
verjammelte er in Küftrin den Geheimen Rat. Auch Löben
war aus Osnabrück herbeigeeilt. Bedrückt von der Erkenntnis,
mit allen Mühen bisher nichts erreicht zu haben, und gequält
von der Sorge, was nun gefhehen follte, machte der Kurfürft
in erregten Worten Räte und Stände verantwortlih für die
verzweifelte Lage: auf ihr Andringen habe er Waffenftillftand
geſchloſſen und die Truppen entlaffen — ohne jeden Erfolg;
jegt verlangten die Schweden ganz Pommern. Entſchiedener
Tonnte die bisherige Politik nicht verurteilt, die Schwargenbergs
nicht nachträglich anerfannt werden. Nur waren dafür die Räte
nicht allein verantwortlih. Auch jetzt noch leitete Gößen, des
Herrn Meifters alter Gegner, alles Unheil davon her, daß man
nad dem Prager Frieden ſich nicht ftreng neutral gehalten,
fondern die Waffen gegen Schweden ergriffen habe — gegen
den Willen der furfürftlihen Räte. Das Geſchehene laſſe ſich
nicht mehr rüdgängig machen, man müfje das Unabänderliche
mit würdiger Faffung tragen, unter Vermittelung der Nieder-
lande und Frankreichs mit Schweden verhandeln, die Hälfte
Pommerns darangeben und dafür Magdeburg, Halberftadt,
U. Die Heeresfhöpfung und der Weſtfäliſche Friede. 437
Minden, Dsnabrüd, Glogau und Sagan fordern. Wie bie
übrigen Geheimeräte, fo fiimmte dem auch Burgsdorf bei, der
ebenfalls die Entwaffnung als Quelle aller Verlegenheiten be:
zeichnete, dafür aber mit Recht die Stände verantwortlich machte.
Daß man mit der Wehrhaftmahung noch nicht weit genug fei,
um an die Waffen zu appellieren, gab auch er zu. Noch mehr:
fach fanden eingehende Beratungen ftatt: zu einem beftimmten
Beſchluſſe führten fie nicht. Aber die Notwendigkeit, einen Teil
Pommerns daranzugeben, wurde dem Kurfürften Mar: er über-
wand fi, wie Gögen gleich anfangs von ihm verlangt hatte,
und war bereit, auch noch diejes Opfer dem Frieden zu bringen.
Aber noch eine andere Enticheidung braten jene Tage.
Mit Burgsdorf war der Kurfürft überzeugt, daß die Stände
mit ihrem Drängen auf Neutralität und Entwaffnung das
Elend verfuldet hätten: ernft und ftrenge follte ihnen bas
vorgehalten, ſollten fie vermahnt merden, das zur Abwehr
ähnliher Heimfuhung Nötige hinfort ohne Widerreve auf fi
zu nehmen. Das Kompromittieren mit der ftändifchen Libertät
jollte ein Ende haben. Auch in der inneren Politik kehrte
Friedrich Wilhelm zu dem Syftem Schwargenbergs zurüd. War
er jo nicht genau da angefommen, wo die märkifchen Verhält-
niſſe fi zu Ende der Regierung feines Vaters befunden hatten?
Das war das Ergebnis der erften fünf Jahre jeiner Regierung !
Und jegt waren die Stände nod weniger zur Fügſamkeit
geneigt als damals, wo des Herrn Meifters eifernes Regiment
auf ihnen gelaftet hatte. Nicht eben reipeftvoll beantworteten
fie die fürftlicde Vermahnung. Durch Abſchluß des Stilftandes
„und andere friebliebende actiones und demonstrationes”,
meinten fie, „habe der Kurfürft ſich nicht allein bei beiden
friegenden Armeen und anderen ausländiſchen Potentaten
fonfiverabler als feine Vorfahren gemacht, jondern denjenigen,
die vor biefem alles auf die Ertremitäten gefegt, ein Erempel
zur Nachfolge gegeben, dabei fie ſich anigo beſſer als bei den
vorigen Troublen befinden”. Die von ihnen veranlaßte Reduktion
habe Nuten geftiftet. Nicht ohne Ironie dankten fie bem
Nurfürften, der eben auf die Schwartzenbergſchen Traditionen
zurüdgriff, daß er „Laut der Landesverfaſſung und dero Vorfahren
438 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft.
löblichem Grempel” die pommerfhe Frage ihnen unterbreitet
babe. An dem Rechte Brandenburgs auf Pommern zweifeln
aud fie nicht: doch hindere des Kurfürften Verzicht feine Nach-
folger nicht, dereinft ihre Anfprüche geltend zu maden. Das
Einfachſte jei, die dem NKurfürften zugedachte Entihädigung
Schweden zu geben. Sei aber ber allgemeine Friede ohne das
nit erreihbar, fo müfle man eben das Opfer bringen und
fi andermärts fchablos halten. Den Gedanfen an eine frie-
gerifche Aktion wieſen fie mit Entjegen zurüd: fie fürchteten,
die Schweden würden die erflen ernften militärifhen Maßnahmen
benugen, um ihnen „auf den Hals zu gehen“ und die Mark
total zu ruinieren. Jedenfalls war ihnen die im Gange be-
findlihe Aufftelung eines Heeres unheimlih, zumal etliche
Compagnien in der Mark untergebraht waren, ohne daß man
fie darum gefragt hatte. Es mar der Standpunkt, auf dem
die Herren feit zehn Jahren geftanden, die Weisheit, die fie
Georg Wilhelm und Schwargenberg entgegengehalten, wenn fie
ſchließlich rieten, der Kurfürft möge fein Land nicht per mar-
tielia ingenia in einen neuen Krieg verwideln, fondern „durch
gütlihe Mittel, allerhand remonstrationes und Kooperierung
guter Freunde, innerhald und außerhalb Römifchen Reiche,
das Werf dahin dirigieren, daß er feinen Statum umverlegt
behalte und feine jura fo viel als immer menſch- und möglich
intacta fonferviere“.
Aber in eben den Tagen, wo dieſes ftändijhe Gutachten
ihm zuging, ſchloß der Kurfürft mit Oberftleutnant Kafpar
Pothauſen die Kapitulation über Aufftelung einer Eskadron
von 500 Musfetieren Leibgarde und verfügte große Einkäufe
zur Einkleidung und Ausrüftung feiner Soldaten. Das war
nad) der einen Seite das Ergebnis der im Juni im Geheimen
Rate gepflogenen Verhandlungen. Aber auch nad) der anderen
" führten fie zu einer folgenreichen Entf&eidung. Anfang Auguft
forderte der ſchwediſche Legat in Osnabrück Vorpommern,
Stettin und das Stift Kammin: den Reft alſo fonnte Branden=
burg haben. Es fragte fi: annehmen ober ablehnen? Die
Antwort hing von einem anderen Moment ab, das über die
allgemeine Stellung des Kurfürften entj&eiden mußte. Von
MI. Die Heeresſchöpfung und ber Weſtfäliſche Friede. 439
der ſchwediſchen Ehe war nicht mehr die Rede: ala Götzen bei
den Beratungen in Kuſtrin auch mit ihr noch hatte rechnen
wollen, war er ganz allein geblieben. Die Heirat mit der
Tochter des Herzogs von Orleans ſcheint der Kurfürft nie ernftlich
erwogen zu haben. Neuerdings eröffnete fi ihm eine andere
Ausfiht, die politiſche Vorteile verhieß. Im Frühjahr 1645
hatte Friedrich Heinrich von Dranien den Wunſch zu erfennen
gegeben, ihn in fein Haus zu ziehen. Ein Jahr fpäter ließ der
Kurfürft durch Ewald von Kleift, feinen Gefandten im Haag,
bei den Generalitaaten vertraulich deshalb anfragen und ftellte
vieleicht bereits feine Werbung in Ausfiht. Das Gerücht
davon erzeugte große Erregung, namentlich in Schweden. Unter
dem Vorwand einer Erholungsreife, aber von den Geheimeräten
Götzen, Burgsdorf, Löben und Schwerin begleitet, begab ſich
der Kurfürft im Auguft 1646 nad) dem im Kreife Ofchersleben
gelegenen Derthen Hornhaufen, wo unlängft eine Heilquelle
entfprungen war, die Maſſen von Leidenden anzog. Dabei
befuchte er feine Tante, die Herzogin:Witwe von Braunfchweig-
Wolfenbüttel, in Schöningen. Alſo auch jegt ſuchte er den
Nat und das Einverftändnis der edlen Frauen feines Haufes,
der Trägerinnen ber pfälzifhen und oranifchen Traditionen.
Einige von den Angehörigen ber pfälziihen Königsfamilie
waren jebenfals in Hornhaufen und Schöningen zugegen.
Vielleicht erſchien dort felbft die ummorbene Luife Henriette
von Dranien: fiherlid) wurde das Verlöbnis dort in der Stille
vereinbart. Und in den Tagen diefes vermeintlichen Luftaufs
enthalts (11.—28. Auguft) erging (18. Auguft) die Rejolution,
welche die Gejandten in Osnabrüd anmwies, auf Grund der
von Schweden geforderten Abtretung eines Teils von Pommern
die Verhandlung zu eröffnen. Obgleich er, fo ließ der Kurfürft
darin ausführen, die üblen Folgen nit verfenne, die fi
daraus für fein Haus und für das Römiſche Reich ergeben
fönnten, habe er „dennoch aus einziger und bloßer Begierde
zu dem allgemeinen Frieden und daß fernerem Blutvergiepen
gefteuert werden möge, alle andern ftarfen und nachdenklichen
rationes und fi jelbft jo weit überwunden, daß er ſich zu
ferneren Traktaten entſchloſſen habe“. Für ale möglicherweiſe
440 Drittes Bud. Die Rettung der Zufunft.
daraus entfpringenden Uebel macht er vor Gott und Welt die
verantwortlich, die ihn zu diefer Nachgiebigfeit genötigt. Auch
von Schweden, mit dem er „allemal in gutem Vertrauen ge—
ftanden”, habe er fi der Wegnahme eines Teils feiner Lande
nicht verjehen. Da dieſes aber „feit darauf beftände und ſolches
diefen Traftaten den Ausfchlag geben follte”, wolle er es an
fih nicht fehlen laſſen und „zu Wiederbringung des lieben
Friedens und Hemmung des fo lang gewährten graufamen
Krieges” „um ein gewiß Teil von Pommern direkt mit Schwe-
den unterhandeln“. Hoffentlich werde ihm dieſes nun aber
auch nichts Unmögliches anfinnen, fondern ihn feine viel ge=
rühmte Affektion endlih einmal in der That fpüren lafien.
Aber nur bis zur Peene bevollmädtigte er feine Gefandten,
ſchrittweiſe weichend, Pommern abzutreten: Wolgaft mit feinem
Hafen könne er nicht entbehren. Dann verlangt er freie
Schiffahrt auf der Oder und aus ihr ins Meer. Als Aequivalent
beanſprucht er die Stifter Halberftadt, Minden und Hildes-
heim, Dsnabrüd, Bremen und Münfter, ferner die Anwartichaft
auf Magdeburg, Glogau, Schweidnig, Sagan und Jauer und
ungeftörten und vollftändigen Befig feiner jülihihen Lande.
Doch auch damit drang er nit dur. Die geforderte
Entſchädigung ftieß ſchon im Reiche auf heftigen Widerftand.
Schweden dachte nicht daran, an der Peene Halt zu maden.
Mit der niederländiſchen Allianz aber, der nächſten politifchen
Konſequenz aus der oranifchen Ehe, fam man im Haag nicht
von ber Stelle. Bereits im November mußte der Kurfürft
Pommern bis zur Uder Schweden überlafien. Aber auch das
genügte nicht, denn die Niederlande ſowohl wie Frankreich
thaten nichts, drohten "vielmehr, ihn für das Scheitern des
Friedens verantwortlich zu machen. Völlig vereinſamt ſah ſich
der Kurfürft dem Webelmollen zahlreicher Feinde preisgegeben.
Da eilte er nad) Eleve und dann nad) dem Haag. Die oraniſche
Che war feine legte Hoffnung. Er traf Friedrich Heinrich
ſchwer frank: in aller Stille wurde ipm am 7. Dezember Luiſe
Henriette angetraut. Vorher erſchien er in der Sigung der
Generalftaaten: in längerer Rede ſchilderte er ihnen feine Lage,
den Undanf, den er für das dem Frieden gebrachte Opfer er—
II. Die Heeresfgöpfung und der Weſtfäliſche Friede. 441
fahre, und erbat Hilfe zur Erlangung genügenden Erfages und
Sicherung gegen Pfalz.Neuburg. Auch traten nun endlich
Kommiffare der Staaten mit feinen Bevollmächtigten über die
geplante Allianz in Beratung. So fern man diefer auch noch
war: die Lage begann doch ſich zu klären, und bie gewitter-
ſchwüle Spannung ließ nad. Der Verwendung der Niederlande
verdankte der Kurfürft zunächſt eine Beſſerung des Verhältnifies
zu dem Neuburger, der dem für ihn fo günftigen Provifional:
vertrag von 1629 nicht einmal nachgekommen war, jegt aber
angefichts der im Cleveſchen ftehenden brandenburgijchen Truppen
andere Saiten aufzog und mit Burgsdorf einen Vertrag ſchloß,
der Eleve, Mark und Ravensberg dem Kurfürften endgültig
überließ, für die kirchlichen Verhältniffe aber den Stand von
1612 herftellte. Auch die pommerſche Frage that endlich einen
Schritt vorwärts. Um den Kurfürften nicht ganz; an bie
Niederlande gebunden zu fehen, erwirkte Franfreih am 7. Fer
bruar 1647 in Dsnabrüd die Unterzeichnung eines Rezeſſes über
die Teilung Pommerns zwiſchen Brandenburg und Schweden:
die noch von den Schweden befegten märfifhen und hinter
pommerſchen Pläge folten geräumt, die in Pommern an ſchwe—
diſche Generale und Beamte verſchenkten Güter ohne Entſchädi—
gung herausgegeben und beide Gebiete durch Zollgrenzen nicht
getrennt werden. Aber Schweden lehnte die Annahme ab: es
meinte no) immer ganz Pommern gewinnen zu können.
Alfo aud die franzöſiſche Proteftion erwies fih als wir:
kungslos! Auf dem gerade entgegengejegten Wege verfuchte der
Kurfürft da jein Glüd: vielleicht ließ fih, mas durch Kaiſer
und Reid, Niederlande und Frankreich nicht zu erlangen war,
gegen fie alle mit Hilfe Schwedens durchfegen. Im Frühjahr
1647 warb der Kurfürft um die Allianz mit Schweden, fand
aber auch da wenig Entgegenfommen: um in Pommern uns
gebunden zu bleiben, wunſchte Orenftierna die Sade bis nad
dem Frieden zu vertagen. Dennoch erörterte er im Sommer
1647 jelbft in einer umfänglihen Denkſchrift die Frage der
ſchwediſchen Allianz: wie fie aud) ausfiel, die Entideidung
brachte ernfte Gefahren. „Mit dem Kaifer zu heben und zu
legen“ ift es zu fpät: feine Macht ift dahin umd ſelbſt feine
442 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft.
treueften Alliierten verlaffen ihn. Aber jelbft wenn er ihm zu
Pommern verhelfen könnte, würde man durch den Anſchluß
an ihn fi Schweden, Frankreich und die Niederlande verfeinden
und wohl gar um die Mark fommen. Im Bund mit Schweden
habe er den Kaifer und Spanien zu Feinden und für Eleve
zu fürdten. Sich mit Katholiken einzulafien, ſei überhaupt
mißlich, da fie erflärt hätten, Kegern brauche man nicht Wort
zu halten. In der gegenwärtigen Unficherheit zu bleiben aber
fei unmöglid. Es gelte in der Wüfte Brot zu finden, und
da man ihm das feinige nehme und den Brotforb jo hoch
hänge, müffe er fih denen verbinden, die mit ihm eines Glau:
bens feien, troß einiger Differenzen, die aber für die Selig:
keit doch nichts ausmachten, das heißt mit den Schweden
ein Schuß: und Trugbündnis fliegen. Das werde au für
Preußen vorteilhaft fein. Damit bürfe man nidjt bis nad} dem
Frieden warten, weil dann die brandenburgiſchen Soldaten
noch länger hungern müßten, mas unmöglich fei, und Schweden
nad neuen Siegen verſuchen Könnte, Kaifer und Reich noch
„mehr leges“ vorzuſchreiben. Dem fei durch eine geheime Ver:
ftändigung mit Heflen und Braunſchweig-Lüuneburg zu begegnen.
Die Unklarheit diefes Programms fpiegelt die Ratloſigkeit des
Nurfürften wieder. Auch geſchah überhaupt nichts: ohne die
ſchwediſche Allianz zu verwerfen, hielten feine Räte fie doch
zur Seit nicht für angemefien, fürchteten au, man werde an
Schweden „nit socium, ſondern dominum“ haben: man möge
bei der Politik der freien Hand bleiben und nur eine freund:
nachbarliche Verftändigung mit Schweden ſuchen.
Auch wäre Brandenburg bei der wachſenden Spannung
zwifchen Schweden und Frankreich als Aliierter des erfteren
hart ins Gedränge geraten. Jetzt bot diefe die Möglichkeit,
mit Frankreichs Hilfe Schweden einen Teil Pommerns und
Erfag für den anderen abzunötigen. Die Truppen, die der
Kurfürft aus Geldmangel entlaffen wollte, erbot ſich Frankreich
in Dienft zu nehmen, damit fie nit an Spanien kämen.
Man mar zu ihrer Ueberlaffung bereit, wenn Frankreich bei
Schweben die fofortige Herausgabe von Hinterpommern, Halber:
ſtadt und Minden durchſetzte. Im tiefiten Geheimnis wurde
HI. Die Heeresfgöpfung und der Weftfälife Friebe. 443
unterhandelt, und als der Kurfürft Ende 1647 in Cleve weilte,
überbrachte ihm fein Parifer Agent Wicquefort den von Brienne,
dem Staatsfefretär des Auswärtigen, ausgearbeiteten Entwurf
eines brandenburgijch-franzöfifden Bündniſſes. Danach follte
der Kurfürft Frankreich gegen den Kaifer Hilfe leiften, dafür
dieſes Schweden zur Ueberlaffung Hinterpommerns und ber als
Aeguivalent geforderten Bistümer, den Raifer zur Abtretung
Schleſiens an ihn nötigen, ihm Geld zur Rüftung geben und
Polen veranlafien, die preußiihen Stände zum Gehorfam an:
zuhalten. Das konnte wohl loden, verhieß aber ftatt des er-
fehnten Friedens neuen Krieg. Der Kurfürft forderte ein Gut:
achten feiner Räte. Sie fanden den Vorfhlag unannehmbar —
begreiflich genug: denn von dem michtigften Punkt, dem An:
erbieten Schlefiens, erhielten fie feine Kenntnis. Dennoch lehnte
der Kurfürft nicht einfach ab, fo daß die Sache ſich nod bis
zum Mai 1648 hinzog, nicht zum Vorteil der brandenburgifchen
Politik.
Inzwifchen ſchwand die Hoffnung auf Frieden vollends,
und der wieder heftiger entbrennende Krieg mußte die Neutrali-
tät unmöglich machen. Als die Schweden Böhmen bedrohten,
traten Kurköln und Bayern für den Kaifer in Waffen. Auch
Sadjfens, Braunfchweigs, der Hanfaftädte meinte der Kaifer
figer zu fein und warb aud um Brandenburgs Anjchluß. Da
verfuchte dieſes plöglich die Bildung einer dritten Partei, um
gewaffnet zwifchen die Streitenden zu treten und den Frieden
zu erzwingen. In Braunſchweig. und Dresden warb Burgsborf
dafür: man follte je 5000 Mann, . Brandenburg wollte 15 000
aufftellen. Aber es hätte der alsbald beginnenden Gegenwirkung
von Wien her faum beburft, um diefe verjpätete gemaffnete
mittelftaatlihe Mediation zu vereiteln. Der Kurfürft aber hatte
es nun mit allen verdorben. Kurſachſen wies nit nur ein
gemeinfames Vorgehen mit den Galviniften entrüftet zurüd,
ſondern feßte alle Hebel ein, um diefelben von dem Religions-
frieden auszufchließen. Da begriff auch der Kurfürft die Ausfichts-
lofigfeit und Gefährlichkeit der zulegt verfolgten Richtung: es
ftand doch mehr auf dem Spiele als ein größeres oder kleineres
Stüd Land. In der Reformation fand er endlich den feiten
444 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft.
Halt für feine Politit. Er fei nicht gefonnen, erllärte er,
fih von der Augsburger Konfeffion und deren Namen aus-
ſchließen und bei feinen zumeift lutherifchen Unterthanen fo
binftellen zu laſſen, als ob er ſich gleichſam in ein neues Recht
einbetten müffe, während er fi do mit Hand und Mund
zur Augsburgiſchen Konfeſſion befenne. Er forderte den Ein-
ſchluß der Reformierten in den Religionsfrieden: auch fie feien
Evangeliſche. Und damit half er endlich dem idealen Moment
wieder zur Geltung, das ſeit Guftav Adolfs Tod je länger je
mehr in Vergefienheit geraten war, und wies hin auf das foft-
bare Gut, defjen dauernde Sicherung allein mit den gebrachten
Opfern verföhnen und, was jonft unbefriedigend blieb, erträg-
lich machen konnte. Das aber war gerade damals von hoher
Bedeutung. Nach den legten Siegen der Spanier über bie
Franzofen dachte der Kaifer nit an Nachgiebigkeit. Die
Feindfeligkeiten entbrannten von neuem. Ein volllommener
Umſchlag trat ein. Schweden und Franzofen eroberten Bayern,
Wrangel Franken, von mo Königsmard in Böhmen eindrang,
der Kaifer floh von Prag nad) Linz. Als Generaliffimus der
ſchwediſchen Heere nahm Karl Guftav von Pfalz. Zweibrüden
Schleſien und brad) ebenfalls in Böhmen ein, um fi in Prag
zum König krönen zu laffen. Immer mehr Reiheftände wollten
ohne den Kaifer und Defterreidh Frieden ſchließen. Da endlich
beugte ſich Ferdinand III. und erklärte fein Einverftändnis mit
dem zu Osnabrüd und Münfter Vereinbarten: am 24. Dftober
wurde der Friebe unterzeichnet. Auch für Brandenburg-Preußen
begann ein neues Zeitalter,
II. Die Friedensexekution und der Verſuch einer
deutſchen Politik. 1648—1655.
Sie feldft zu überwinden, hatte Siegmund von Gögen
in einem wichtigen Augenblid (Juni 1646) feinen jungen
Herrn gemahnt. Und er hatte jich überwunden und wohler⸗
worbene Anfprühe dem europäifchen Frieden zum Opfer ges
bradt. Das war zunädjft ein moraliſcher Erfolg. Aber er
befreite ihn auch von dem Banne einer Vergangenheit, die an
dem Mißverhältnis von Wollen und Vermögen gefranft hatte.
Die Scheinerfolge früherer Zeit gab er daran umd ftellte fi
auf den Boden ber gegebenen Verhältniffe, um nüchterne Real:
politif zu treiben. So jehr that er das Binfort, daß er dem
Wechſel der Lage nachgebend die Richtung jählings wechſelte
und einen Zidzadgang verfolgte, der ihn nicht bloß der poli=
tiſchen Ideale, fondern auch beftimmter politifher Ziele bar
erſcheinen laſſen konnte. Und doch mar anders zu handeln für
ihn kaum möglich, wollte er durch alle Klippen und Strubel
glücklich hindurchſteuern. Auch gab ihm das Opfer, das er der
allgemeinen Wohlfahrt gebracht hatte, ein Recht auf Dank und
Vertrauen, und zwar nicht bei feinen Glaubensgenoffen allein,
zumal die Feftigfeit, mit der er für fie eingetreten war, mit
feinem moraliſchen Anjehen auch feine politiſche Geltung fteigerte
und ihn als das berufene Haupt all derer erſcheinen ließ, denen
es Ernft war um den religiöfen Frieden und die deutſche Frei:
heit. Konnte er doch feine Lage überhaupt nur zu beſſern
hoffen in kräftiger Vertretung eben diefer Prinzipien. Zu ihnen
bat er fi) dauernd bekannt, troß der Irrgänge, in die feine
Politik fi verlor, und jelbft in den Zeiten, wo er fie auf:
gegeben zu haben ſchien. Und darin bethätigte fi immer von
neuem der Segen, ber ihm, feinem Haufe, feinen Landen und
446 Drittes Bud, Die Rettung der Zufunft.
feinem werdenden Volk aus der Selbftüberwindung erwuchs,
die er im Dienfte einer großen Idee geübt hatte. Sie brachte
in feine Politik ein ideales Moment, das fie läuterte und
veredelte, um das ala ein fittliches Zentrum fein Staat fi
zuſammenſchloß und an dem aud feine bisher nur Sonder:
intereffen lebenden Unterthanen fi zu nationalem Bemußtjein
zu erheben anfingen. So ift Friedrih Wilhelm der Schöpfer
des preußifchen Staats geworden.
Eines folden einigenden Moments bedurfte Brandenburg
ganz befonders gegenüber der Steigerung feiner territorialen
Zerriffenheit durch den Frieden. Nur Hinterpommern fügte
fi feinem Befig unmittelbar an. Das Fürftentum Halberftabt
blieb von der Alt: und Mittelmarf durch das Erzbistum
Magdeburg getrennt, auf das nur eine Anwartjchaft erworben
war, die es nad dem Tode des kurſächſiſchen Abminiftrators
erft durchzufegen galt. Im Weften fam zu den fchon vereinzelten
Gebieten von Cleve und Mark als drittes Minden hinzu, trog
der Wichtigkeit des Weferpafjes ein unficherer Befig, jo lange
man mit Pfalz-Neuburg verfeindet war. Wohl hätten dieſe
Gebiete nad) Umfang und Einwohnerzahl als Erſatz für Vor-
pommern gelten können, hätte nur der Zugang zur Oftfee irgend⸗
wie geöffnet werden können. Aber davon wollte Schweden
Brandenburg um jeden Preis ausſchließen: deshalb beftand es
auf der Abtretung des Streifens von Hinterpommern längs
der Ober, behielt aber die Abgrenzung befonderer Vereinbarung
vor, um Brandenburg möglichſt viel abzudringen. Aber nicht
bloß in diefer Hinfiht wurde der fo teuer erfaufte Friede für
den Kurfürften die Quelle neuer Sorgen und Demütigungen.
Er hatte von ber ſchwediſchen Politif Doch eine munderliche
Vorftelung, wenn er gleich nad) dem Frieden gegen bie ihm
als Entſchädigung zugemiejenen Gebiete und zwei Millionen
Thaler Vorpommern eintaufchen wollte, und troß der Abweifung
auf diefen fait naiven Vorſchlag nad einiger Zeit zurückkam.
Aber noch üblere Erfahrungen warteten feiner. Zwar räumten
die Schweden bie nicht ftreitigen Gebiete, fobald der Kurfürft
feinen Anteil an den gleich zu zahlenden drei Millionen Satie-
faftionsgeldern erlegt hatte: Hinterpommern jedoch durften fie
IM. Die Friedenserekution unb ber Verſuch einer beutfchen Politik. 447
bis nad) Regulierung der Grenze befegt halten. Bei den Ver:
handlungen darüber fuchten fie den einzubehaltenden Streifen
rechts der Ober möglichſt breit zu bemeſſen, vornehmlich im
Intereſſe der dort verjorgten ſchwediſchen Generale und Beamten.
Ferner beanſpruchten fie — und nad dem Wortlaut des
Friedens nit mit Unreht — auch für die Zukunft die Weber:
laſſung der Seezölle in den an Brandenburg kommenden hinter
pommerſchen Häfen. Jahre fchleppten fi die Verhandlungen
bin. Dabei ließ der ſchwediſche Webermut den Kurfürften feine
Hilflofigkeit recht geflifientlih fühlen und fuchte ihn durch
immer neue Chicanen mürbe zu maden. So wenig wie eine
neue Geſandtſchaft nad Stodholm und die Wiederaufnahme
des wunderlichen Taufchprojefts änderte daran die Fürſprache
des KRaifers, Kurſachſens und Braunſchweigs. Schweden wußte,
daß über leere Worte niemand hinausgehen würde.
Außerhalb des Reichs aber fand der Kurfürft vollends
feine Unterftügung, auch nicht bei den Niederlanden, auf die er
feit der Heirat mit Luife Henriette rechnen zu können glaubte.
Die damals eröffneten Verhandlungen hatten feinen Fortgang
genommen, nicht weil die republifanijchen Staatsmänner die
Vorteile des Bundes mit Brandenburg unterihägt hätten, fon=
bern weil fie fürdteten, nach der Verſchwägerung von Hohen—
zolern und Oraniern werde ein folder die Macht des Statt-
halters gefährlich fleigern. Daher wechſelten die Ausfihten für
die niederländiſch-brandenburgiſche Allianz je nad; dem Stande
des Kampfes zwifchen der oranifchen Partei und ben in ber
Provinz Holland gebietenden Ariftofraten. Der Steigerung der
Autorität des Statthalters durch den thatkräftigen Wilhelm II.
folgte mit deſſen Tod (6. Februar 1650) ihr tiefer Fal. Das
dem Abſchluß nahe Bündnis mit Brandenburg, das auch den
weſtfäliſchen und nieberfächfifchen Kreis umfaſſen und ſowohl
Pommern wie Preußen fihern follte, fam nicht zu ftande, und
bie erftarfende Herrſchaft der ariftofratifchen Partei nahm zu:
nächſt jede Ausfiht auf eine günftige Wendung.
Auch für die jülicheclevefhe Sache drohte das verhängnis-
voll zu werden. Der weitfälifche Friede hatte diefe nicht berührt.
Während daher beide Teile bie. bisherigen Abmachungen, aljo
448 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft.
auch den für Brandenburg fo nachteiligen Vergleich vom
19. März 1629 (S. 346) als proviforifch angefehen hatten, follte
für den konfeſſionellen Befigftand auch dort jegt mit einemmal
das Normaljahr 1624 gelten, die Fatholifhe Reaktion aljo
beftehen bleiben, die Wolfgang Wilhelm gegen die Verträge
in Jülich und Berg durchgeführt hatte. Obgleich der Kurfürft
im Frühjahr 1647 die Anerkennung der früheren Verträge
erzwungen hatte, begann ber Pfalzgraf bald wieder das alte
Spiel. Repreffalien gegen die Katholiken in Cleve und Mark
fteigerten die Erbitterung. Kaiferlihe Kommiſſare, die Ruhe
gebieten und das Normaljahr durchführen follten, wies ber
Kurfürft zurüd. Aber auch der Pfalzgraf wich nicht: er rechnete
auf die Hilfe des Kaiſers und Spaniens, aus deſſen nieder:
ländifchen Provinzen die Truppen des Herzogs von Lothringen
alebald am Niederrhein fein konnten.
Dennod griff der Kurfürft ſchließlich zu den Waffen: die
allgemeine Lage trieb ihn dazu. Bei Schweden war Recht nicht
zu finden; auch Kaiſer und Reich Eonnten ihm nicht dazu
helfen, die Niederlande und Frankreich ließen ihn im Stich:
vielleicht ließ fih durch einen raſchen Gewaltſtreich am anderen
Ende gewinnen, was man ihm an ber Djtjee verjagte. Dabei
fpielten wieder Taujchpläne eine Rolle: auf einer Zufammen-
kunft ſuchte er Johann Georg von Sachſen zur Ueberlaſſung
der Albertiniſchen Anrechte auf Jülich zu beſtimmen, wofür er
ihm einen Teil des Herzogtums Magdeburg oder gar dieſes
famt Halberftadt anbot. Nah Wien fandte er Blumenthal,
um durch beruhigende Erklärungen jeinem Vorhaben Duldung
auszuwirken. Aber durch die unerwartete Wendung, melde die
Dinge nahmen, jah fi der Faiferliche Hof der ſchwierigen
Entſcheidung glücklich überhoben.
Am 13. Juni 1651 that ein kurfürſtliches Manifeſt den
Ständen von Jülich und Berg die bevorftehende Befigergreifung
kund und forderte „ihuldigen Reſpekt, Gehoriam und Beiltand“ :
wer zum Pfalzgrafen halte, follte ala Rebell behandelt werden.
Am Tage darauf rückte General von Sparr mit etwa 3000 Mann
in das Bergifhe ein; bald ftand er vor Düffeldorf und faßte
auch im Jülichſchen feiten Fuß. Dann aber trat ein Stillftand
II. Die Friedenderefution und der Verſuch einer deutſchen Politik. 449
ein, nicht wegen bes gewaltigen Lärmens, das fi über diejen
Friedensbrud im Stil des alten Fehderechts erhob, ſondern
weil die Stände ftatt, wie gehofft, die Partei Brandenburgs
zu ergreifen, fich ihm feindlich entgegenftellten, und zwar auch
die von Gleve und Mark. Am 22. Juli veröffentlichten fie ein
vom 14. datiertes „Kontradiktionspatent“: e& proteftierte gegen
die Ergreifung der Waffen, verbot den Beamten fi zur Bes
ſchwerung ber Unterthanen herzugeben und ben Unterthanen
von ihnen nicht bemwilligte Kontributionen zu leiften und fremde
Kriegsdienfte zu nehmen. Vergeblich ließ der Kurfürft das
Patent abreißen und die Häupter ber Oppofition verhaften.
Während der Neuburger Erbprinz Philipp Wilhelm, deffen
katholiſcher Eifer Brandenburgs Friedensbruch voll auszunugen
brannte, aus den fpanifchen Niederlanden Lothringens ver:
wilderte Scharen berbeirief, redhtfertigten die Stände ihr Auf:
treten (7. Auguft) in einem Patent, das zugleih Einftellung
der Unterfuhung, Entlafjung der Verhafteten und Entfernung
der Truppen forderte, mit der Klage beim Kaifer drohte und
jedes erlaubte Mittel zur Wahrung ihrer Rechte anzumenden
drohte. Aber auf der Zufammenkunft, die er während eines
von den Niederlanden durch Graf Georg Friedrih von Walded
vermittelten Stillftandes in Angerort mit dem Pfalz.Neuburger
hatte, lehnte der Kurfürſt jede Nachgiebigkeit ab. Als jedoch
nicht bloß Spanien, fondern auch der Kaiſer und Polen ein:
zugreifen drohten, lenkte er ein und ließ es ſich ſogar gefallen,
daß faiferlihe Kommiſſare einen Vergleich vermittelten (Ok—
tober 1651), der die Ordnung des konfeſſionellen Befigitandes
einer aus Fürften beider Belenntniffe zu bildenden Faiferlichen
Kommiſſion vorbehielt. Sie ift nie erfolgt: in Jülich und Berg
dauerte die Mißhandlung der Evangelifhen fort und murbe
in Eleve und Mark gelegentlih an den Katholiten vergolten.
Friedrih Wilhelms erfte felbitändige Aktion war völlig
mißlungen. Nur der Kaifer gewann dabei, da feine bisher be—
frittene Autorität in der jülich-cleveſchen Sache nun doch
anerfannt wurde. Daß der Kurfürft darin nachgab, geſchah
mohl unter dem Drud feines üblen Verhältniffes zu Schweden.
Alle Verfuche, von diefem in Hinterpommern einige radfiht-
Prutz, Preußiihe Geſchichte. I.
450 Drittes Bud. Die Rettung ber Zufunft.
nahme zu erwirken, blieben vergeblih. So beugte fih ber
Kurfürft dem Kaifer in Jülich, um von ihm in Hinterpommern
geihügt zu werden, indem Schwedens Belehnung mit feinen
deutſchen Landen und Zulaffung zur Reichsſtandſchaft von der
endlichen Regulierung der Grenze dort abhängig gemacht wurde.
Aber nun forderte der Kaifer weiter auch die brandenburgifche
Kurftimme für die Königswahl feines Sohnes Ferdinand. Selbft
nad Prag ziehend, gab fie der Kurfürft und erhielt dagegen
die feierliche Zufage, Schweden jolle weder mit jeinen neuen
deutſchen Landen belehnt, noch zu dem bevorftehenden Reichs—
tag zugelaflen werden, bevor es ihn nicht in den Beſitz von
Hinterpommern geſetzt habe.
Es war der erfte Erfolg, den er gewann, Schweden fügte
fi, wenn auch wiberfirebend und zögernd. Denn bei ber
Wichtigkeit, die der mächfte Reichstag haben mußte, konnte e&
ihm unmöglich fern bleiben. So bewilligte es Brandenburg in
Hinterpommern endlich ein annehmbares Abkommen, das frei
lich noch immer weit hinter des Kurfürften Wünfchen zurüd-
blieb. Der Stettiner Vertrag vom 5. Mai 1653 ließ Schweden
auf dem rechten Oderufer einen breiten Streifen mit den
Städten Tamm, Golnow, Greifenhagen und Kammin und
die Hälfte der Hinterpommerjchen Lizente. Am 16. Juni wurde
Hinterpommern den brandenburgifchen Bevollmächtigten über-
geben.
Faft fünf Jahre hatte es gebauert, bis der Friede für
Brandenburg verwirklicht wurde. Nah außen bradten bie
territorialen Erwerbungen neue Beziehungen und neue, zum
Teil ſehr fchwierige Aufgaben mit fi: eine entſprechende
Steigerung der landesherrlihen Macht bewirkten fie nicht. Eher
wurde die auf ihre Libertät pochende ſtändiſche Oppofition ge—
ftärkt, zumal fie eben in Jülich-Cleve einen Erfolg gewonnen
hatte. Die Folgen machten fih auch in der Marf und in
Preußen bemerfbar, zumal der Kurfürft die geforderte Ent—
lafjung des num angeblid; völlig überflüffig gewordenen Heeres
entfhieden verweigerte. Wenn acht Compagnien mit insgejamt
1600 Mann bei einander blieben und fie dazu monatlich
5000 Thaler aufbrächten, jo ſei das, hatten die Stände im
I. Die Friedenseretution und der Verſuch einer deutſchen Politit. 451
Auguft 1650 erklärt, ſchon eine außerordentliche Leiftung und
dürfe ihnen doch nicht in der Weife „zu Verderb und Schaden
gereihen”, daß der Kurfürft ihnen „ex absoluta potestate das
zulege, was fie nicht bewilligt, auch zu leiften außer ftande
feien“. Ihre Abweiſung beklagten fie als eine „wirkliche Be:
ſchimpfung“, die fie nicht verdient hätten. Es fei ohne Beifpiel,
fo ließen fie fi) im Oftober 1650 vernehmen, daß im Frieden
an die Unterthanen die gleichen Anforderungen geftellt würden
wie während des Krieges, meinten von einem unglüdlichen
Fatum verfolgt zu fein und fragten, warum ber Kurfürft den
reduzierenden „fremden Potentaten” zwar nicht an Mad,
Weisheit und Verftand, wohl aber „an Güte und Mildthätig-
keit“ nachſtehen wolle, „diefen eigentlich fürſtlichen Tugenden,
durch welche die Fürften den Göttern gleich geachtet werden”.
Was fie in Friedengzeiten für Truppen bemilligten, ſeien freis
willige Gaben und enthalte feine Verpflichtung für die Zukunft.
Scharf ftellte des Kurfürften Antwort der ftändifchen Libertät
das Recht des Fürftentums entgegen, wurzelnd in der Ber:
pflihtung zur Sorge für das Wohl der Gejamtheit. Von den
als Beifpiel angeführten anderen Potentaten ftehe für feinen
wie für ihn eine Provinz auf dem Spiel. Dem gemeinen
Beften zuliebe habe er Vorpommern bingegeben, dem Reiche:
frieden und dem Wohl feiner Lande fein Privatinterefie geopfert:
nun dürften auch fie nit vergeffen, daß Hinterpommern, das
den Schweden noch abzugewinnen fei, von Gott und Rechts
wegen demjelben Landesherrn gehöre wie die Marken, daß diefe
Lande gleihfam Glieder eines Hauptes feien, und daher
müßten fie dafür eintreten, ala ob es fih um ein Stüd der
Marten jelbit handelte.
Noch predigte er diefe Wahrheit tauben Ohren. Gemeinfinn
und Vaterlandsgefühl waren feinen Unterthanen noch fremd.
Ja die Stände betonten ihre Sonderinterefien um jo ftärker,
als ihnen nad} der thatfählichen Auflöfung des Reichsverbandes
durch den Frieden eine höhere ftaatliche Einheit, die Unterordnung
fordern durfte, nicht mehr gegenüber ſtand. Wie im Reiche
ſollte die ftändifche Selbftherrlichkeit aud in den einzelnen
Reichsteilen konſequent durchgeführt werden, die Stellung des
—
452 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft.
Landesherrn die des Reichsoberhaupts wiederholen. In Eleve
und Preußen fonnte man dabei auf auswärtige Gönner rechnen,
bier Polen, dort je nad dem Belenntnis die Niederlande oder
Spanien. Dazu grollten die Albertiner, daß ihnen das Exz-
bistum Magdeburg, das fie ſchon für eine ſichere Beute ges
halten, dod entgangen war. Aehnliches hatten die Braun—
ſchweiger mit Halberftabt und Minden erfahren. Schweden
verſchmerzte Hinterpommern nicht, und jeit in Pfalz.Neuburg
der thatkräftige Philipp Wilhelm an des Vaters (} 1653)
Stelle getreten war, wuchs die Spannung aud mit dieſem.
Dazu hatte nun au das Einvernehmen mit dem Kaifer
nicht Beftand. Denn offen ftrebte diejer, die ihm durch den
Frieden gejegten Schranken wieder zu befeitigen. Auch bie
Tatholifhe Partei, die durch Bayern im Kurfürftenfolleg die
Mehrheit hatte, trat wieder zuverfichtliher auf: Feines der
organifchen Gejege, die zur Durchführung ‚des in Münfter
proffamierten neuen Reichsrechts geplant waren, ließ fie auf
dem Regensburger Reichstag von 1653 zu ftande fommen.
Brandenburg aber wollte weder die ihm eben jo nüßlich ge
worbene Gunft des Kaiſers wieder verſcherzen, noch defien reafs
tionären Tendenzen Vorſchub leiften. So geriet e& in eine
widerſpruchsvolle Halbheit, die bei dem Kaifer und den Kurfürften
fo wenig wie bei der reicsfürftlichen Oppofition Vertrauen ger
mann. Sein Vertreter in Regensburg, der verdiente Blumen—
thal, der den am Wiener Hofe einflußreihen Perjönlickeiten
befreundet und daheim einft als Barteigänger Schwargenbergs
gemaßregelt war, trat den kaiſerlichen Uebergriffen natürlich
nicht energifdh entgegen. Brandenburgs Anhänglicleit an das
Haus Habsburg, von dem er alles Heil erwartete, blieb auch
bier unbelohnt, entfremdete ihm aber die evangelifche Partei.
Das jah auch der Rurfürft ſchließlich ein, wie es ſcheint, nicht
ganz aus ſich ſelbſt. Eine glüdlihe Fügung gab ihm eben
damals einen Berater, der ihn nicht bloß an politifcher Er:
fahrung, ſondern auch an Weite des Blicks, Folgerichtigfeit
bes Denkens und Entfeloffenheit des Handelns übertraf, aber
dank’ der Verwandtſchaft ihres Wejens fo ganz jein Vertrauen
gewann, daß er ſich gern feiner Führung überließ. Was ihm
I. Die Friedenserekution und der Verſuch einer deutſchen Politil. 458
in der erften großen Krifis feiner Regierung Konrad von Burgs-
dorf gewejen war, wurde ihm jeßt Georg Friedrih, Graf von
Waldeck. Aber wie die Aufgaben jegt größer und umfafjender
waren, fo erforderte auch ihre Löfung größere Mittel und ein
weiteres Ausgreifen zur Gewinnung der nötigen Kräfte. Da-
mals hatte es gegolten, im Gebränge zwiſchen Kaiferlichen
und Schweden und im Kampf mit den Ständen bie Heered-
ſchöpfung durchzuführen. Jetzt galt es, die neuen Erwerbungen
mit dem alten Befig wenigftens jo weit ftaatlich zu einigen,
daß fie finanziell und militärifch leifteten, was nötig war, um,
innerhalb des Neiches gefichert, Brandenburg bie kraftvolle
Vertretung feiner weit auseinandergehenden Intereſſen nad
außen zu ermöglihen. Denn von ben großen Fragen der
europäiſchen Politik ließ feine biefes unberührt: jede zog es
irgendwie in Mitleidenfchaft, verhieß ihm Gewinn oder drohte
ihm Verluſt. Teilte e8 auf ber einen Seite das Schidjal
des wankenden Reiches, jo trat e& auf ber anderen, mehr noch
als bisher durch die Lehensabhängigfeit Preußens von Polen,
durch den verſchärften Gegenfag zu Schweden in enge Beziehung
zu der nordiſchen Politif. Die niederrheinifchen Lande zogen
es in die Verwidelungen, durch die Frankreich eine Umgeftaltung
der europäifchen Machtverhältniffe anbahnte. Troß feiner ge—
ringen Mittel mußte es daher mit feiner Politik weit über den
Kreis hinausgreifen, auf den es zunächſt angewiefen ſchien:
wollte e8 nicht bloß von ihr leiden, jo mußte es handelnd in
die europäifche Politik eingreifen. Das wurde für den Kur-
fürften die Quelle aufreibender Arbeit, verzehrender Sorgen,
tief verbitternder Enttäufhungen: fo Großes er geleiftet, faft
nirgends hat er doch das Ziel erreicht, das er fi} geftedt hatte,
faft nie einen vollen, ihn ganz befriedigenden, rein beglückenden
Erfolg gewonnen, jondern mit dem Schidfal gehadert. Für fein
Land ergab fih daraus eine Belaftung, die dauernd über feine
Kräfte ging, die es nur mwiderftrebend trug und erft fpäter als
notwendig erfannte. Aber eben darin liegt die Bedeutung jener
Zeit. Wie der zarte Körper fih ftählt im Ringen mit Laften,
die feine Kraft zunächſt überfteigen, jo haben des Großen Kur:
fürften Unterthanen unter dem Zwange der Notwendigfeit
454 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft.
Größeres leiften gelernt, als fie ſelbſt fi zugetraut hatten.
Daß er fie dazu erft gezwungen, dann je länger je mehr ge—
wonnen und in einzelnen großen Momenten begeiftert mit fi
fortgerifien hat, darin liegt vieleicht Friedrich Wilhelms größtes
Verdienſt. Dazu aber brauchte er noch nicht fi von Gott zur
Schaffung eines fünftigen Großſtaats berufen zu glauben, fie
bewußt als Ziel ins Auge zu faſſen und feine Politit auf
feine Erreigung zu richten. Wie jeder Fürft, der feine Stellung
nit in dem beſchränkten privatredhtlihen Sinn des Mittel:
alters auffaßt, hat er an die Zukunft feines Staates geglaubt.
Daß er in ihm den Staat der beutfchen Zukunft erblidt, fein
Haus bereinft an der Spige Deutſchlands zu jehen gehofft habe,
wird nirgends erfennbar. Mehr als irgend ein Hohenzoller ift er
von den Verhältnifjen getrieben worden, ihnen ſich anzupafien,
fie unſchädlich zu machen bemüht geweien. So Großes er ge:
leiftet: man kann nicht jagen, daß er von fi aus den Dingen
eine bejtimmte Geftalt gegeben oder auch nur zu geben verfucht
habe. Seine Rolle in der großen Politif war mehr paffiv als
aktiv, und wo fie legteres war, hat gelegentli eine andere
BVerfönlichkeit hinter ihm geftanden und ihn den von ihr ge:
wollten Weg geführt, fo auch bei dem Verſuch, den er unter
dem Eindrud des Regensburger Reichstags zur Neubelebung der
deutſchen Politik unternahm. Weniger ihm als dem Grafen
Georg Friedrih von Walded ift er zuzurechnen.
Dem Kurfürften gleichaltrig (geb. 31. Januar 1620), hatte
auch Georg Frievrih von Waldeck die für fein politifches
Denken beftimmenden Eindrüde von den Schreden des großen
Krieges empfangen. Mit einer Verwandten der Oranier, einer
Gräfin von Naffau:Siegen, vermählt, ftand er in niederländiſchem
Kriegadienft, als 1645 der Tod feines älteren Bruders ihn zur
Regierung berief. Daß er feines Ländchens Selbftändigkeit
rettete, verbankte er ber Verbindung, die er in Paris mit
Karl Guftav von Pfalz: Zweibrüden, dem Erben der ſchwediſchen
Krone, angefnüpft hatte. Aber jo troſtlos war fein Ruin,
daß er an ber Möglichfeit der Befjerung faft verzweifelte. Da
erhielt er — wohl auf oranifche Empfehlung — zur Zeit des
julichſchen Krieges die Aufforderung, als Neiteroberft in bran-
HL Die Friedenserefution und ber Verſuch einer deutſchen Politit. 455
denburgiſche Dienfte zu treten. Trotz mander Bedenken leiftete
er ihr Folge: feiner auf das Große gerichteten Natur, die
einen umfafjenden Schauplag des Wirfens erfehnte, genügten
die Heinen und engen Verhältniffe daheim nicht. Schnell ge—
wann er des Kurfürften Vertrauen, und willig beugte fich dieſer
dem verwandten, ihm aber an Glauben an fich ſelbſt und an
Wagemut überlegenen Geift. Als Diplomat in ben Niederlanden
gebildet, damals der hohen Schule europäiſcher Politik, fah
Walded auch die brandenburgiſch-preußiſchen Dinge gelöft von
ihrer landſchaftlichen Befchränktheit im Zujammenhange mit
der gefamten Lage. So eröffnete er dem Kurfürften neue Per:
ipeftiven, enthülte ihm bisher überjehene Kräfte und ſteckte
ihm höhere Ziele. Lebhaft ging biefer auf die Ideen des neuen
Freundes ein. Auch Konrad von Burgsdorf mußte nun weichen.
So viel ihm der junge Herr verdankte: den Aufgaben, bie es
jegt zu löſen galt, war er nicht gewachſen, auch moralifch
nit, da er nicht bloß den Laftern der Zeit, Völlerei und
Spielſucht, frönte, fondern als Präfident des Geheimen Rats
auch die Geſchäfte in greuliche Unordnung hatte geraten lafjen.
Darin aber jah Waldeck die Duelle alles Unheils, die ver:
ſchloſſen werden mußte, wenn der Staat gefunden fonnte.
In einer Denkſchrift übte er an der beftehenden Verwaltung
eine vernichtende Kritik und legte die Geſichtspunkte für ihre
Neugeftaltung dar. Er fand des Kurfürſten Beifal und wurde
zur Durchführung der geforderten Reformen bevollmächtigt.
Voran ftanden die Finanzen, deren Leitung er felbft übernahm.
Mit der Naturalwirtfhaft wurde nun vollends gebroden und
der Staatshaushalt ausſchließlich auf die Geldwirtſchaft ge:
gründet. Domänen und Regalien gingen aus der koſtſpieligen
ftaatlihen Verwaltung in die der meiftbietenden Pächter über.
Ein jährlicher Voranſchlag ermöglichte die Abmeſſung des Be—
darfs gegen bie vorhandenen Mittel. Die Gehälter wurden
reduziert. Zur Aufnahme aller Ueberſchüſſe wurde eine Zentral:
fafje und zur Oberleitung der gelamten Finanzverwaltung eine
eigene Behörde errichtet. Die Regierung wurde wieder in ber
Hand des Fürften fonzentriert. Er hatte die erſte Durchſicht
der gefamten Haus: und Staatsforrefpondenz und verteilte fie
456 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft.
zur Erledigung an das Kabinett und den Geheimen Rat. Seinen
Verkehr mit diefem vermittelte nicht mehr der Kanzler, ſondern
der zu befonderer Vertrauensftellung berufene Kabinettsrat.
Auch die auswärtigen Angelegenheiten und die Kriegsaffairen
wurden bem Fürften vorbehalten und von ihm nur gelegentlich
an den Geheimen Rat verwieſen, fo daß diejer auf die inneren
Angelegenheiten beſchränkt war. Demgemäß erhielt er am
4. Dezember 1651 eine neue Organifation. Seine Einheit, die
ſchon der Wegfall des Kanzlers in Frage ftellte, ſchwand vollends
durch Bildung von neunzehn Departements. Neben einem oder
mehreren von dieſen aber hatte faft jeder Geheimerat noch ein
lokales Departement zu bearbeiten, meift eines, mit deſſen
Verhältnifien er durch feine Herkunft oder dur Tangjährige
Beihäftigung vertraut war. Andere fungierten überdies als
Statthalter oder im auswärtigen Dienft. Da aber der Kurfürft
häufig fern war und dann auch etlihe Geheimeräte mitnahm,
jo war zur Sicherung eines regelmäßigen Fortganges ber Ge-
ſchäfte für einen jeden ein ftändiger Vertreter beftellt, mas
vielfache Weberbürdung zur Folge hatte.
Aber den gehofften Erfolg hatte diefe Verwaltungsreform
nit. Denn nit bloß von den Zurfürftliden Räten wurde
Walded als Eindringling bekämpft: der einheimifche Adel ſah
in feiner Berufung eine Verlegung des Indigenatsrehts. Dann
ergab die Gefhäftsführung des neuen Geheimen Rats bald
Mebelftände. Namentlich) drohte bei des Kurfürften häufiger
Abwesenheit, bei ber Schwierigkeit der Verftändigung eine Art
von Doppelregierung. Deshalb kehrte man ſchon im Herbit 1652
zu der alten Organijation zurüd, indem Blumenthal ftatt zum
Kanzler zum Direktor des Geheimen Rats beftellt wurde. Auch
die Finanzreform, die eine beträchtliche Steigerung der Ein-
nahmen bewirkte, blieb auf halbem Wege ftehen, weil Waldeck
die Ummandlung ber bireften Befteuerung in eine inbirefte nicht
durchfegen fonnte: mit Ausnahme der Städte, die wirtfchaft-
liche Vorteile davon erhofften, widerſetzten fi ihr die Stände
im Intereffe ihrer Libertät.
Vor allem aber war Waldeds Verwaltungsreform nicht
Selbftzwed, ſondern follte nur das Mittel werden zur Er—
III. Die Friedensexelution und ber Verſuch einer deutſchen Politil. 457
reihung eines anderen Zwedes. Mehr als auf die Verwaltung
wieſen Walde Neigung, Erfahrung und Verbindungen auf
die auswärtige Politik als das Gebiet einer Erfolge ver-
heißenden Thätigfeit. Jene follte nur die Mittel ſchaffen für
eine größere Aktion auf dieſem Gebiet, einen Teil des zer-
brödelnden Reiches für Brandenburg zu gewinnen und dieſes
dadurch aud dem Auslande gegenüber zu ſtärken. Noch ehe
es innerlich hinreichend gefeftigt war, follte Brandenburg den
Verſuch machen zur Verfolgung einer deutfchen Unionspolitif.
Der Regensburger Reichstag hatte auch den Kurfürften
enttäuſcht. Zwar hatte er Hinterpommern den Schweden endlich
abgenötigt; aber des Kaifers Hilfe dabei ſchien auch ihm zu
teuer bezahlt. Dazu ermöglichte die Uneinigfeit der reihsfürft-
lichen Oppofition dem Kaifer feine Macht unmerklih zu er-
weitern, und Blumenthal leiftete dem aus Anhänglichfeit an
die alte Reichsordnung Vorſchub. Da zeigte Walded, der fi
nad) dem Mißlingen feiner Reform unmutig zurüdgezogen hatte,
dem Kurfürften, wie er fo ſich um alles Anfehen bringen und
die befreundeten deutſchen Höfe entfremden würde. Im Sep-
tember 1653 fam er nad) Berlin. Er fand den Kurfürften tief
verftimmt, unzufrieden mit Blumenthal und erbittert gegen
den Eaiferlihen Hof. Im Oktober hatten beide zu Oranienburg,
dem von der Kurfürftin zu einer Mufterwirtichaft erhobenen
Dorfe Bögom, ein vertrautes Gefpräd, in dem fie die Grund:
züge eines neuen politiſchen Syftems vereinbarten. Schon am
3. November ging eine Inftruftion an Blumenthal ab, die
feine Haltung mißbilligte und ihm die gerade entgegengefegte
vorſchrieb. Denn nad Waldeds Idee ſollte Brandenburg nicht,
wie es zulegt wieder gethan, gemeinfam mit dem Kaifer und
dem Kurfürftenfollegium für die Erhaltung ber alten Reichs—
ordnung eintreten, fondern an der Spige der proteftantifchen
Fürftenpartei deren gründliche Umgeftaltung betreiben. Schon
der Eindrud, den das in Regensburg machte, gab Walded
recht. Während die kaiſerliche Partei über Abfall und Verrat
ſchrie, raffte fi die Oppofition wieder auf: mehr als einft
Morig von Sachſen, fo meinte fie, habe jegt der Kurfürft für
die Rettung ber deutſchen Freiheit gethan; als ihren Herfteller
458 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft.
müfje man ihn preifen, die Evangelifchen aber hätten in ihm
endlich wieder ein Haupt gefunden. Nun nahmen die Dinge
zu Regensburg einen anderen Gang, und der Kaifer und die
katholiſche Partei jahen alle ihre Entwürfe durchkreuzt.
Aber Walde dachte bereits weiter. Der Abwehr der
abfolutiftifh-fatholifhen Reaktion jollte eine Aktion Branden-
burgs folgen, um die in Regensburg entftandene neue Partei⸗
gruppierung zu einer dauernden politiihen Gemeinſchaft zu
entwideln. Denn nit von Wien allein drohte Gefahr. Die
jüngften Vorgänge, bie zur Abberufung Blumenthals von
Regensburg führten — er kam als Statthalter nad Halber:
ſtadt —, erbitterten die mit Brandenburg geſpannten Reihe:
ftände vollends. Dazu waren auswärtige Händel im Anzuge,
im Norden durch Schwedens Pläne gegen die Reihsfreiheit der
Stadt Bremen, im Weiten dur die Umtriebe Karla von
Lothringen, der den fpanifch-franzöfifchen Krieg auf Koften des
Reichs zu feinem Vorteil ausbeuten wollte. Auch Philipp
Wilhelm von Pfalz:Neuburg plante einen neuen Verſuch zur
Gewinnung des ganzen jülich-cleveſchen Erbes. So vereinfamt
wie bisher durfte Brandenburg faum hoffen, diefe Stürme zu
beftehen. Auch der Kurfürft erfannte das Kritiſche der Lage,
und wie er e8 in folden Fälen zu thun pflegte, forberte er
von feinen Geheimeräten Gutachten über die zu ergreifenden
Mopregeln, namentlich über die Allianzen, die etwa zu ſuchen
feien. Das veranlaßte eine merkwürdige Denkſchrift Waldeds
vom 31. Dezember 1653: fie entwarf das Programm für eine
brandenburgiſche Unionspolitif in Deutſchland.
Bündniffe, fo führte fie aus, jeien für Brandenburg nicht
bloß nüglih, fondern notwendig, und zwar gelte es angefihts
der drohenden Gefahr, fie ſchnell zu ſchließen: denn „auf das
zur Sicherheit des Reichs verfaljungsmäßig Verordnete ift nit
das geringfte Vertrauen zu jegen“. „Gefahr, Not und Jammer
ſcheint an allen Eden hervor. Wo ſoll man fi hinwenden,
da Hilfe zu finden, außer Gott allein? — Die Gefahr ijt vor
Augen. Ein tapfer Gemüt fann darin nicht bleiben, nicht ge:
wärtig fein Gnad zu bitten.” Man müſſe alfo und werde
daher auch Freunde finden, denn es fehle noch nicht an foldhen,
III. Die Friedensexekution und ber Verſuch einer deutf en Politit. 459
„50 Glauben, Vertrauen, Mut und Kräfte hätten“. Aber
beim Anſchluß an die Kurfürftenpartei werde Friedrih Wilhelm
„aus einem freien Kurfürften ein gezwungener Bejaher anderer
Kurfürften Vornehmen werden“: nur an der Seite der evan-
geliſchen Fürften, die fi in Regensburg tapfer gehalten, fei
etwas zu hoffen. Wegen der Furchtſamkeit, Geldgier und
Unwiſſenheit vieler fürftliher Gefandten jedoch ſolle man fi
glei an die Fürften felbft wenden, zunädft Bremen, Verden
und Pommern (das ift Schweden), Braunſchweig, Magdeburg,
Heflen und Medienburg. Kurſachſen und Kurpfalz könne man
„des Wohlanftands wegen“ und um Verdacht zu vermeiden
nicht umgehen, obgleich ſich beide „nicht tief einlaſſen“ würden.
Gemeinjam folle man dann auf dem Reichstag den Uebergriffen
des Kaiſers und der Fatholifchen Partei entgegentreten und die
Kreife zu Defenfivbündniffen einigen. Ganz von ſelbſt werde
dem Kurfürften dann eine leitende Stellung zufallen: werde er
doch „durch unveränderlihe Ratſchläge, beftändige Zufammen-
haltung und vernünftiges Führen der Sahen zu Regensburg
viele, wo nicht alle Evangeliſchen an ſich ziehen“, und da Kur:
ſachſen doch nicht mitthue, „unzweifelhaft für das Haupt der
andern Bundesgenofjen erkannt, erklärt und beftändig gemacht
werben“. Doch dürfe, jo führt Waldeck weiter aus, „ſolches
Vorhaben“ nicht eher offenbar werden, „als bis das Vertrauen
feftgeftellt ift“. Alsdann follen auch die Grafen von Oldenburg,
Oftfriesland, Lippe, Bentheim und Wetterau und von Städten
Frankfurt, Hamburg und Lübed zum Beitritt eingeladen werben.
Der Anſchluß von Nürnberg, Straßburg, Augsburg und Regens-
burg werde bejonders erwünjcht fein. Der Verkehr unter den
Genoſſen fei jo zu organifieren, daß er vertrauensvolle Ueber—
einftimmung fihere, doch möge man in billigen Dingen dem
Kaifer und den Katholifen die Hand bieten und mit ihnen
äußerlich ein möglichft gutes Verhältnis erftreben.
Ein folder Bund konnte zunächſt als Erneuerung des
Schmalkaldiſchen erſcheinen, war aber doch mwefentlih davon
verſchieden. War die Religion auch zunädft das einigende
Moment, fo follte jie es doch nicht allein bleiben. Auch fonft be
gann man ja in Deutjchland endlich rein politiihe Erwägungen
460 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft.
über das bloß konfeſſionelle Parteiintereffe zu fegen. Wald:
eds Unionsentwurf ignorierte einfach den Gegenfag zwiſchen
Zutheranern und Reformierten und kannte nur eine einzige
große evangelifhe Partei im Reiche, und wenn er mit ben
Katholiken möglichft Frieden gehalten jehen wollte, fo erfannte
er die Möglichkeit ehrlicher politiſcher Gemeinschaft mit ihnen an.
Der Kurfürft biligte Waldeds Entwurf. Sofort ging es
an die Ausführung. Schon im März 1654 Fonferierte Walded
in Tangermünde mit Bevollmächtigten der drei Braunſchweiger
Herzöge. Auch mit Kurfachfen knüpfte man an, daneben mit
Franfreih und Schweden. Anfangs fanden Brandenburgs An-
träge nur fühle Aufnahme: man witterte felbftfüchtige Abfichten
dahinter. Erſt die Gefährdung Bremens durch Schweden und
die Sorge vor Verwidelungen im Nordweſten ließen fie in
günftigerem Licht erfcheinen. So fam es im Sommer in Goslar
mit Braunfchmweig zu einer vorläufigen Verftändigung: im Fall
eines Angriffs oder unrechter Gewaltthat wollte man einander
mit aller Macht beiftehen; auch follte Brandenburg in den
niederſächſiſchen Kreis und in den zwiſchen Braunſchweig, Heflen
und Schweden beftehenden Hildesheimer Bund aufgenommen
werben. Anfang Juli unterhandelte Walded in Wetzlar mit
einem furfölnifhen Bevollmächtigten, um in Erzbifchof Mari:
milian Heinrid die „dritte Säule” für den Bund zu gewinnen.
Auch hier Fam es zu protokollariſcher Zufiherung gegenfeitiger
Hilfe wider jeden Angriff. Noch günftiger geftalteten fi die
Ausfichten der reichsfürſtlichen Oppofition, als in eben jenen
Tagen (9. Zuli 1654) der unlängft gewählte (S. 450) römiſche
König ftarb. Waldeck verdoppelte jeine Thätigfeit. Im Sep-
tember traf er fi in Arnsberg mit dem Kölner Kurfürften,
der gar den Anſchluß von Trier hoffen ließ. Dann eilte er
nad; Kaſſel: eine Konferenz mit heſſiſchen Bevollmächtigten in
Friedewalde fiherte Brandenburg gegen jeden Angriff heſſiſche
Hilfe. Am 4. Oktober unterzeichneten Brandenburg und bie
drei Braunſchweiger in Hannover einen Vertrag, durch ben fie
einander ihre gefamten Reichslande garantierten. Richtete ſich
biefer Bund auch zunächſt gegen Schweden und deſſen Pläne
auf Bremen, fo erregte doch fein proteftantifcher Charakter bei
III. Die Friedenderefution und der Verſuch einer deutſchen Politi. 461
katholiſchen Reichsſtänden Beforgnis. Nun ſchloß Ende 1654
Kurköln, auf das man in Berlin gerechnet hatte, mit Pfalz:
Neuburg, Trier und Münfter einen Defenfivbund. Das ftellte
den interfonfejfionellen Charakter der Waldeckſchen Union in
Frage, zumal am 19. Juli 1654 in Braunſchweig ein Defenfiv:
bündnis zwiſchen Brandenburg und Braunſchweig auf drei
Jahre unterzeichnet wurde, da die Aufnahme Brandenburgs
in den Hildesheimer Bund fi nicht fo fehnell, wie die Lage
erforderte, bewerfftelligen ließ.
Aber Walde dachte bereits weiter, mochte er auch die
legten Ziele feiner Politit den Kurfürften mehr ahnen als klar
fehen laffen. Angeblich rein defenfiv, jollte der Bund doch bei
erfter Gelegenheit offenfiv auftreten, um im Bunde mit Frank⸗
veich die Macht des Haufes Habsburg zu brechen. Schon unter-
handelte Walded im tiefften Geheimnis mit Mazarin: der von
Spanien begünftigte Angriff des Herzogs von Lothringen auf
Lüttich, gegen den Brandenburg dem Bifchof, Marimilian Hein:
rich von Köln, Hilfe zu leiften eilte, follte die Handhabe bieten.
Im Bunde mit Frankreih und für diefes dachte Waldeck die
belgiſchen Provinzen Spanien zu entreißen und fo „diefer fürch—
terlichen Macht diesfeits des Meeres die legte Delung zu geben” ;
dafür jollte Frankreich feinem Herrn zu Jülich und Berg ver:
helfen, mochte es ihm auch nur freie Hand lafjen gegen den von
Spanien gefhügten Pfalz-Neuburger. Die Zertrümmerung ber
ſpaniſchen Macht, die England durch die Eroberung der Kolonien
vollenden follte, mußte aud die Macht der deutſchen Habs—
burger brechen: an ihrer Stelle hatte Walded die Führung im
Reiche Brandenburg zugedacht, mochte er auch die Kaiferfrone,
die ein Evangelifcher nicht tragen konnte, den bayriſchen
Wittelsbachern überlaſſen. Sollte aber das Reich ftatt dadurch
„in Flor und Aufnahme gebracht zu werden“, darüber in Stüde
gehen, jo werde, meinte Walded, der Kurfürft „ein groß Teil
davon vor fi behalten” können.
Kühn eilten des Grafen Entwürfe der Zeit voraus, fahen
doch aber allzufehr von den thatſächlich gegebenen Verhältniffen
ab: eigentlich konnte fie nur ein neuer Weltkrieg verwirklichen.
War aber Brandenburg damals fähig, darin eine folden
462 Dritted Buch. Die Rettung der Zukunft,
Afpirationen entfprehende Rolle zu fpielen, felbft wenn Frank⸗
reich ihm reichlich Subfidien zahlte? Inmitten einer inneren
Umgeftaltung, welche die alte Ordnung aufgelöft, aber erft zum
Teil durch eine neue erjegt hatte, konnte e8 von einer ernften
kriegeriſchen Verwidelung leicht Tebensgefährlich erſchüttert wer-
den. Und nun fielen unerwarteterweife die Handhaben fort,
deren Walded fich zu bedienen gedacht hatte. Schweden unterließ
den Angriff auf Bremen aus Scheu vor Brandenburg und
Braunſchweig, und der um Lüttich drohende Krieg wurde durch
eine unerwartete frieblihe Wendung ebenfalls nod hinaus:
gejhoben. Damit verlor au das, was Waldeck durch feine
Unionspolitif bisher gewonnen hatte, an praftifher Bedeutung.
Zudem traten Ereignifie ein, welche die brandenburgifche Politik
in einer ganz anderen Richtung beſchäftigten. Schon hatte
Karl Guftav von Schweden, froh den läftigen Bremer Handel
[08 zu fein, aber dur} die inneren Zuftände feines Reichs auf
Eroberung gewieſen, ein anderes, leichteren und größeren Er:
folg verheißendes Ziel ins Auge gefaßt: die Anfechtung feines
Nachfolgerechts durd die polniſchen Waſas gab ihm erwünfchten
Anlaß zum Angriff auf Polen. Eine neue Nera der nordifchen
Kriege begann. Für Brandenburg ergab ſich daraus eine äußerft
ſchwierige Situation. Mit der Befeftigung feiner Stellung im
Reiche befhäftigt und bemüht um die Führerihaft der evan-
gelifchen Reichsſtände, mußte der Kurfürft fürchten, um Preu-
ßens willen in einen großen außerdeutſchen Krieg verwidelt zu
werben. Würde er babei im ftande fein, die begonnene Aktion
im Reihe weiter zu führen? Sonft konnten all die Gefahren
ſich erft recht erneuen, die Walde hatte abwenden wollen.
Schwerer noch wog ein anderes Moment. Auf dem außer:
deutſchen Preußen beruhte alles, mas. der Kurfürft feit 1646
erreicht hatte: denn Preußen hatte ihm die Schaffung der Armee
ermöglicht. Und nun follte er für eben diefes Preußen, den
Grund: und Edjtein jeiner ganzen Stellung, den daheim ohn=
mächtigen Polenkönig und der deutjchfeindlihen Republik Heeres-
folge leiften gegen die Macht, die doch immer noch ala Schügerin
und Retterin des Evangeliums galt? Hieß das nicht die Zu—
kunft jeines Staats überhaupt preisgeben? Denn ob Schweden,
III, Die Friebenserehution und der Verſuch einer deutſchen Politi, 468
ob Polen fiegte, dem Sieger war Brandenburg-Preußen mit
feinen vitalften Interefien ſchutzlos preisgegeben.
Zwei Wege boten fih da. Der Kurfürft Fonnte neutral
zu bleiben verſuchen. Mußte er dann aber nicht, wie zur Zeit
des großen Krieges zwiſchen Kaiferlihen und Schmeben, fo
zwifhen Schweden und Polen zermalmt zu werben fürdten?
Auch hatte er — wie er fpäter felbft ausgefproden hat —
binreihend erfahren, was neutral fein hieß, um vor jedem
neuen Verſuch damit zurüdzufchreden. Daß er ſchließlich dennoch
jein Heil darin fuchte, zeigt nur, wie fehr er noch in den
politiſchen Vorurteilen befangen war, die feine Jugend be—
herrſcht und feine Anfänge fo ſchwierig gemacht hatten. Den
anderen Weg hat der Flarere und entſchloſſenere Walded gleich
anfangs ins Auge gefaßt: aber es ift ihm nicht gelungen, den
Kurfürften zu feiner fonjequenten Verfolgung zu bewegen.
Das Unnatürliche und Demütigende ber preußifchen Lehens—
abhängigkeit von Polen war jeit dem Weftfälifhen Frieden
noch augenfälliger geworben: für feine deutjchen Lande that:
ſächlich ſouverän, follte der Aurfürft für das Land, das den
Neubau feines zujanımenbrehenden Staats ermöglicht hatte,
der vollen fürftlihen Selbftherrlicfeit entbehren. Als Reichs—
fürft im Beſitz vollen Bundesrehts und Herr über Krieg und
Frieden, follte er als Herzog in Preußen, durch das fein Haus
zuerſt in europäifche Beziehungen getreten war, in ben höchſten
Akten politiſcher Selbftbeftimmung von dem Belieben der pol-
niſchen Krone und den unberedhenbaren Zaunen des polnifhen
Neihstags abhängig fein? Diefes Verhältnis mußte in dem
Augenblid als unerträglich erkannt werben, wo es die Intereflen
Brandenburgs mit denen Preußens in Kollifion brachte. Und
das geichah jetzt. Scharfblidender als fein fürftlicher Freund
erfannte Walde jofort die Größe der Gefahr, die mit halben
Maßregeln nicht zu befeitigen war; entſchloſſener, vielleicht
magemutiger als jener, faßte er auch alsbald ben Weg ins Auge,
auf dem man allein, aber für ale Zeit, aus biefen Schwierig:
feiten herausfommen konnte — Löfung aus der polnijchen Vajal-
lität durch Erhebung Preußens zu einem jouveränen Herzogtum.
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hans,
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Buiizeoy Google
Buiizeoy Google
bouee Google
8
Buiizeoy Google
Sao, Google
Preußiſche Geſchichte
von
Profefjor Dr. William Vierſon.
Hit einer historischen Macte von Pıof. H. Kiepert.
Vierte verbefierte und vermehrte Auflage.
Erfter Band.
Berlin
Verlag von Gebrüder Baetel.
1881.
v
Vorwort zur zweiten Auflage.
Der Tert hat, wo es nötig war, Derbefferungen und befonbers
durch die Geſchichte der letzten fieben Jahre eine erhebliche Vermehrung
erfahren. Das Werk hat auch in feiner Ausftattung gewonnen; es liegt
jebt in zwei handlichen und fplenbid gedruckten Bänden vor. Im wejent-
lichen jedoch — in der Art den Stoff zu wählen, zu gruppiren und dar⸗
uſtellen — ift das Buch dasfelbe geblieben. So hoffe ich denn, daß es
ſich in dieſer Auflage. zu den alten Freunden noch neue erwerben wirb.
Berlin, ben 1. Dezember 1871.
9. Vierſon.
Vorwort zur dritten Auflage,
Auch diesmal tft der Tert an mehreren Stellen, befonbers in den
Kapiteln, welche die Beit von 1786 bis 1806 und die Greignifie feit
1859 betreffen, vermehrt und verbeflert worden. Außerdem erhöht nun
ein Inder, der bei der zweiten Auflage fehlte, Die Brauchbarkeit des
Buches.
Berlin, den 1. Mat 1874.
9. Vierſon.
Vorwort zur vierten Auflage.
Die ſtets fortſchreitende Geſchichtsforſchung hat gerade in den Iepten
Jahren zur Klärung und Berichtigimg der Kenntnis, und nicht immer
bloß von Nebenſachen, manches Reue ergeben. Demgemäß weift mel
Bud) aud) jept wieder mancherlei Tertverbefierung auf. Die Vermehrung
betrifft Hauptfächlich das Schlupkapitel.
Berlin, den 4. Juli 1880.
8. Vierſon.
Inhalts-Berzeihnis
zum
erften Bande,
GErſtes Bud. ei
Geſchichte der Hart Brandenburg bis zur Antunft der Hoßenzlern . . . . 1
Die Boll 2 2 2er 1
Die brandenburgiſchen Markgrafen aus dem Haufe Ballenftäbt . . . . 10
nmerer Buftand der Marl unter ben Ballenftäbtern, bornehmlld im deee
zehnten Jahrhundert 2 2 20m i9
Brandenburgs Zerruttungg. 28
Bwrites Bud.
Brandenburg unter ben hohenzollerſchen Surfürken bis zum Regierungsentritt
Friedrich Wilgelms des Großen (1416 1640.. ne 42
Rurfift Friedrih J. ....... e 4
Fdtiedrich II. der Eiheme 2 2 2 ee 4
breit ÜBEE 2 ne 54
Zohan Cicero.. 5
Innere Buftände der Mark im 15. Sahrfundet . . » 2... . Fer?)
Joaqhim .Rfor een @
¶ Die Reformation © 2 20 66
Sufüct Sonim II. ocher und Merigeaf Johann on Adfatn [na
Johann Georg. . . 78
Joachim driedrich s0
Geſqhichte des Landes Preußen bis zu feiner Vereinigung mit Brandenburg 83
Johann Glgiemund . 22200 . 1m
Vorgefchichte der jüliäj-Mevesbergfehen Sande » » : 2 22000 « 108
"Der dreiniiahrige arieiee . 116
Drittes Buch.
GZriedrich Wilgelm, ver große Kurfürt. + 18
MüdSIide' auf Die ältere Geſchichte des Landes Pommern . . . . . . 182
Der weRfälfhe gFriede... ...... 2.186
VI
Gründung bes Sranbenburgtfärpreubilgen © Staates .
Erwerbung der Souveränität .
Fehrbellin ..
Des großen Rurfürften Ichte Regierungspeit
Snnere Buftänbe der Sranbenburgifen Staaten Im fiebyehnten Jahrhunden
Viertes Buch.
Bom Tode Friedrich Wilhelms des Green bis zum R Regkerumgkestrit Seletrige
des Großen . . .
Kurfürft Geedei IL >.
Erhebung Preußens zum Bine.
Sriedrich I. als König 2 22
Ftiedrich Wilhelm J...... *
Friedri Wilelms 1. Staatvermaltung
Auswärtige Verhättniffe . . .
Seiedeih Wilgelms I. Familienleben und Ende . .
Innere Zuftände Preußens bei Friedrih Wilhelms I. Tode .
Lünftes Bud.
Friedrich der Große - - 222
Briebrichs Tpronbefteigung und erfte Rstrunsinbtungen u
Erfter ſchlefiſcher Krieg . .
Elfen. 2200.
Mollwitz.
Oftfriebland
Der zweite ſchlefiſche Fo u .
Die Jahre des Brlebens (von 1745-1756) .
Der fiebenjäßrige Krieg .
Bom Huberisburger Frieden Bis zum Tode Griebrißs des Großen .
22. 416
Auswärtige Angelegenheiten. Die erfte Teilung Polens
Der bairijche Erbfolgelrieg und der deutſche Fürftenbund .
Friedrichs des Großen Ende
nere Suftände Preußens unter Friedrich dem Großen . .
Sechſtes Buch.
Berfoll der alten Monarchie
Friedrich Wilhelm IT. .
Die Beldzüge gegen die jramdfiſche Revolution .
Die zweite Teilung Volens
Gorffegung der eldzlige gegen die fr ramnis· Ran .
Die dritte Teilung Polens .
Friedrich Wichelms II. Ende . .
Friedrich Wilgelm III.
mon
Tilfit .
. 213
. 218
228
. 2335
266
. 23
. 295
. 301
. 317
» 507
139
145
163
177
189
198
198
274
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405
22048
\ 488
2.469
.. Al
474
. 477
Erfles Bud.
Geſchichte der Dart Brandenburg bis zur Ankunft der Hohenzollern.
Die Vorzeit,
VDieleicht kein Volt hat auf fein Land fo viele Rechte wie das branden-
burgifche; jeber Fuß breit Bodens ift hier von den Deutſchen in jahr-
hundertelangen blutigen Kämpfen den Slawen abgerungen und ebenjowohl
mit der Pflugſchar wie mit dem Schwerte erobert. Und diefe Eroberung
nahm nur einen alten Befig wieder. Schon taufend Jahre, bevor der
Sachſe mit dem Wenden um die Mark ftritt, wohnten Deutfche an der
Havel und Spree; bie Geſchichte Tennt hier feine frühere Bevölkerung.
Ihr erfter Strahl, der auf dieſe Gegenden fällt, zeigt hier das Volk der
Semnonen feßhaft; fie waren der ältefte und ebelfte Zweig des fue-
vifhen Stammes, melden Cäſar das größte und Triegerifchefte aller
deutihen Völler nennt. Die Sueven breiteten fi über den ganzen
Rordoften Deutſchlands aus, wohnten in 100 Gauen und führten jährlich
100 000 Krieger ins Feld, bie befonders im Reiterfampfe nicht ihres-
gleichen hatten. Nach Zacitus (90 n. Chr.) bildeten fie zwiſchen Elbe
und Weichſel einen großen Bund militärifchen Charakters, deſſen hervor
ftechendfte Glieder außer den Semmonen zwijchen Elbe und Harz bie
Longobarden, in Pommern die Rugier und Burgunden, an der Netze und
Warthe die Gothen waren. Ein Hauptheiligtum des Bundes, in einem
Walde an der Havel, verfammelte alljährlich die Feſtgeſandtſchaften der
Stämme zu einer gottesdienftlichen eier. Wie es bei Gbenenbewohnern
Bierfon, preuß. Geſchichte. L
2 Die Bozeit,
zu geſchehen pflegt, erhob ſich unter ben Sueven frühzeitig die Monardjie;
doch Herrichten ihre erblichen Könige mit befcjräntter Macht. Übrigens
paßt die Beichreibung, Die Tacitus von Land und Leuten Germantens
giebt, auch auf die öftlichen Stämme.
Es waren gewaltige Menfchen jene alten Deutjchen, riefig an Geftalt
und Körperfraft, mit funtelnden blauen Augen, golbblonden Haaren. Bu
den Werfen des Friedens wenig aufgelegt, voll Verachtung gegen Hand⸗
werk und Handel, verftürmten fie in Jagd und Krieg ihr halbes Leben.
Wenn es galt, den Wolf und den Bären, den Auerochſen und das Elen
mit Spieß oder Keule zu erlegen oder gar eine Kriegsfahrt auf Aben-
teuer und Beute mitzumachen, da war der Germane ganz Eifer und
Thatkraft; von rafender Kampfwut aber, wenn ihm ein Feind ins Land
fiel. Die Römer bewunderten oft feine Vaterlandsliebe; ihnen konnte
Germanten freilich nicht gefallen. Ein rauhes Land, bedeckt mit weiten
Sümpfen, ungeheuren Wäldern, wenig angebaut; ohne anderen Ertrag
als Getreide, Rüben, Kohl; ohne Städte; die Häufer in den Dörfern
und auf den Gehöften von Holz, weiß angeftrichen; die Geräte darin von
Stein, Bronze, Eifen. Da gab es kaum irgendwo Gold und Silber; der
Reichtum der Bewohner beftand hauptſächlich in Vieh, das zahlreich, aber
unanſehnlich war. Ebenſo ärmlich erſchien die Tracht — ein Mantel
von Zierfellen, bei den Reicheren außerdem enganliegende Kleider, bei
den Frauen nod ein limmenes Untergemand — und die Bewaffnung:
außer den Spieß höchitens noch ein Schwert und eine Lanze, felten eine
ganze Rüftung. Dem Deutſchen aber behagte fein Leben, wenigitens
wenn er ein freier Mann war; als foldhen erwies ihn das lange Haar,
das bei den Sueven vorne in einen dicken Schopf geſchürzt ward, und
die Waffe, die er nie von fich ließ. Den höchſten Grad von Freiheit
hatte der Grundbeſihzer. Wie ein König faß derjelbe auf feinem Gut
(Allod), den Geinigen ein Richter, Prieſter und Fürſt. Den Ader be—
bauten ihm die Knechte, die Unfreien und Leibeigenen, die es als Kriegs-
gefangene oder zur Strafe eines ſchändlichen Vergehens oder im Würfel-
fpiel geworden waren. Geine Wünfche gingen über bie Wälder rings,
die von Wild wimmelten, kaum binaus; im Grunde bramchte er feinen
Menfchen. Das politiihe Band, das ihn mit den andern\ verfnüpfte,
war denn auch oder genug. Eine Gemeinde von 100 Hofbeſitzern bildete
eine Hundertſchaft, mehrere Hundertichaften den Gau. Die gemelnfamen
Angelegenheiten dieſer Vereine, bejonders die Rechtspflege, der Krieg\ und
die Wahl der Obrigfeiten, wurden in regelmäßigen ——
aller freien Grundbeſitzer beraten und beſchloſſen. Der Ort war bie
Malftatt auf dem Gemeinlande (der „Mark“), die Zeit der Bollmomd.
Alle Befitzer waren gleichberechtigt, aber die reichten Geſchlechter, zı
wenn fie ſich durch Klugheit und Tapferkeit hervorthaten, genoffen eim
Die alten Deutfchen. >
natürlichen Anfehens und übten großen Einfluß. Ihre Häupter, die
Fürften, befaßen indes rechtlich mer fo vie Macht, als die Gemeinde
imen freiwillig einräumte. Zum Heerführer (Herzog) wählte man den
Tüchtigften. War der Krieg von der Gemeinde beidjlofien, fo fandte der
Herzog von Hof zu Hof den Heerpfeil als Zeichen des Aufgebots zur
Bolfsbewafinung (Heerbann). Mit Schild und Spieß, zu Fuß und zu
Roß jammelten fi dann an ben Malftätten die Wehrmänner, und nad
Geſchlechtern, Hundertſchaften, Gauen geſchart, Weiber und Kinder auf
Bagen hinterher, ging's in die Schlacht. Weit häufiger indes als foldhe
Bollstriege waren die Fahrten auf Abenteuer, welche die kriegsluſtige
Jugend unternahm. Denn da die Güter in der Regel auf ben älteften
Sohn vererbten, jo mußten die jüngeren Brüder fi) anberwärts ihren
Beſitz ſuchen, und fie traten meift in den Dienft der Fürſten, die im
Trieben fie ernährten oder mit ihnen einen Kriegszug auf Beute oder
Landerwerb machten. Dies Verhältnis brachte beiden Teilen Ehre und
Nuten, und zwifchen dem Dienftheren, der, wenn fein Gefolge groß war,
Heerkönig hieß, und feinen Leuten herrſchte wechielfeits eine unverbrüch⸗
liche Treue.
ZTapferer als irgend ein anderes Volt, gaſtfreundlich und über alles
freiheitsitebend, zeichneten fich unfere Urväter doch am meiften durch
Sittenftrenge und Biederfeit aus. Tacitus fagt von ihnen das fchäne
Bort: „Niemand lacht daſelbſt über Lafter, und das Verführen und
Berführtwerden nennt man nicht ben Lauf ber Welt. Es gelten bei
ihnen gute Sitten mehr als anderwärts gute Gefehe.“
Die Frau gli) dem Manne an Zucht und Kraft, an Einfachheit
und Gerabfinn. Ehrbar und treu verfah fie ihm das Hausweien, und
wie ihr der Bräutigam als Hochzeitsgabe Rinder, Waffen und ein ge»
zaͤumtes Roß gebracht hatte, zum Zeichen, daß fie in Frieden und Krieg
feine Genoffin fei, fo zog fle, wenn es galt, mit in die Schlacht, vor der
Bagenburg herab Mann und Söhne anzufenern. Nirgends in der Welt
war die Ehe würbiger, Vielweiberei jeltener. Man ehrte etwas Heiliges
in den Frauen und hörte gern auf ihren Rat. Im Haufe fchalteten fie
den Männern gleichberechtigt.
Gab's für den Deutichen feinen Jagd» oder Kriegszug, fo konnte er
ganze Tage auf der Bärenhaut verträumen. Aber über Die Maßen liebte
er Zechgelage, wenn die Hörner des Urs voll Bier ober Met im Kreife
Yerumgingen, und die Heldenfänger, Die Stalben, zum Harfentlange und
Baffengellirr die alten Kriegslieder anftimmten, von Tuisko, dem gött-
lichen Stammvater der Deutfchen, oder von Herman, ber den Varus
ſchiug, und anderen Helden. Diefe Lieber erzählten ihm von Vergangen-
beit und Zukunft; Sage und Religion verwoben fi) darin. Es gab eine
Art von Schrift, die Rumen, aber fie diente nur zu religiöſem Gebrauche.
1
4 Die Vorzeit,
Aus höchfter Gott, von dem aller Sieg kam, wurde Wodan verehrt,
der mit Wunſchelrute und Wunſchelhut im Sturme furchtbar baherfuhr;
ihm war die Sonne heilig und ber Wolf. Unter ihm herrſchten ber
Kriegsgott Ziu und der wilde Donnergott Donar, deſſen heiliges Tier
der Fuchs war; und Freir mit feiner Gemahlin Freia, die Gottheiten
des Friedens und der Fruchtbarkeit, ber Liebe und Freude. Diefen Göttern
und auf Rügen*) der Mutter Erde wurde bei großen Opferfeften an der
Malftatt oder unter heiligen Bäumen geopfert, von Prieftern, die e8 durch
Alter und ererbte Weisheit waren. Auch an Riefen und Zwerge, Elfen
und Kobolde glaubte das Volt. Nach dem Tode hoffte der Krieger von
den Walkyren, den Giegesgöttinnen, nad) Walhalla emporgetragen zu
werben, in einen Himmel des Kampfes und ber Gelage. In der Schlacht
zu fterben ſchien daher ein Glück, und ohne viel Klage begrub oder ver-
brannte man den Toten famt feinen Waffen, feinem Hunde und Roſſe.
Jahrhunderte lang hauften unfere Uräter fo, ſchlicht und recht, frei
und tüchtig an Leib und Seele, zufrieden mit ihrem rauhen Lande, in
dem ſie ſich eingeboren glaubten: Die Erde, fo hieß es im ihren alten
Liedern, gebar den göttlichen Tuisto (den „Deutichen“), und Tuisko
zeugte den Manns (den „Menfchen"). Ein äußerer Anlaß, die hunniſche
Völkerwanderung, brachte im 4. und 5. Zahrhundert den tief in ihnen
ſteckenden Wandertrieb, der fie einft aus Aften nad) Deutſchland geführt,
zu mädtigftem Ausbruch. Faſt alle Stämme erhoben fi) ganz ober
teilweife, freiwillig oder von den Nachbarn gebrängt, aus ihren alten
Sitzen und wanderten dem fchönen Süden und Weiten zu. Bor dieſen
Fluten aus dem märnmerreichen Germanten barften alle Dämme, die
bisher das römiſche Neid, mühfam gefhüßt; es fiel in Die Gewalt der
Barbaren, die darauf neue Reiche gründeten.
Die maffenhafte Auswanderımg hatte in den Beftand der Bevölkerung
Deutſchlands große Lüden gerifien. Beinahe das ganze ehemalige Sueven-
land war geräumt; in die leeren Sie rückten jeßt bie Nachbarn im Dften,
die Slawen, ein. Seit dem fechften Jahrhundert breiteten fie fi vom
Duellgebiet des Dniepr und ber Wolga, ihrer Heimat, bis zur Oſtſee
und dem adriatifchen Meer, in die ruffiichen Steppen und bis zur Elbe
und Saale, dem Böhmerwald und Inn aus, ein zahlreiches, in viele
Stämme geipaltenes Volt; die in das Suevenland drangen — bie Sorben
zwiſchen Bober und Saale, Mittelelbe und Havel, die Lutizen an ber
Havel und Peene, die Abotriten in Medlenburg und Vorpommern —
wurden von ihren Nachbarn, ben Sachſen, mit dem gemeinfamen Namen
Benden benannt.
Zwiſchen den Sachſen (d. 5. den Deutichen, welde das Land von
H Rach anderen auf Alfen oder auf Fehmarn.
Chriſtianiſtung. — Lehnswefen. 5
der Niederelbe bis zur Ems und von ber Nordſee bis Heflen und Ihü-
ringen bewohnten) und den Wenden beftand über 200 Jahre lang ein
freundfchaftliches Verhältnis; als jene aber durch Karl den Großen zum
Ehriftentum befehrt und gleich den übrigen deutſchen Stämmen in das
große Frankenreich eingefügt waren, da trat an der Elbe das deutſche
Weſen gegen das ſlawiſche in einen Kampf, ber von Generation zu
Generation erbitterter wurde. Es ging mit den Deutfchen in dieſer Zeit
eine wejentliche Veränderung vor. Sie waren Chriften geworden und
hingen dem neuen Glauben bald mit glühender Liebe an. Sie waren
dieit 843) zu einer politifchen Einheit gelommen, und ihre dadurch ver-
ftärfte Kraft wendete ſich gegen die heidniſchen Nachbarn, welche zu be—
kampfen außer irdiſchen Vorteilen auch den Segen des Himmels brachte.
Surmer entjchiebener Ienkten fie zugleich in die Wege zivilifirter Nationen
ein; mit dem Ehriftentum hatten fie von ben Romanen auch manches
andere Bildungselement empfangen. Freilich kam auch viel Schlimmes
über den Rhein, zumal das Lehnsweſen, das raſch die alte Volks⸗
freiheit überwucherte. Denn da bie Macht des Königs hauptſächlich auf
der Größe feines Kriegsgefolges beruhte, fo fuchte er möglichft viele und
vornehme. Dienftmannen an feine Perſon zu feffeln; er verficherte fich
ihrer Treue dadurch, daf er ihnen Güter auf fo lange lieh, als fie ihm
Kriegsbienfte leiften würden. Die Großen ahmten dies nach, und mancher
ftarte Nachbar ließ nicht ab, den Geringeren zu bebrängen, bis biefer
fein freies Gut aufgab und es von ihm zu Lehen nahm. Andere trieb
bie Not ber Zeit, fich freiwillig unter den Schuß eines Mächtigeren zu
begeben. Mit der Freiheit des Bodens wid, aber leicht auch die per-
Tönliche Freiheit, und aus freien Bauern wurden mit der Zeit hörige
Knechte. Doch gab es auch Gegenden, namentlich in Sachſen, wo fid)
das Volk feine Freiheit bewahrte. Selbſt die Vollsverfanmlungen, die
mehr und mehr den Gerichtshöfen ber Grafen ober Königlichen Richter
Platz machen mußten, erhielten fi bie und da. Neben ben Grafen
und den Vertretern der Stämme, ben Herzögen, welde nun ben hohen
Adel ausmachten, erhob fich die Geiftlichkeit zu größtem Anfehen. Es
galt als verbienftlich, Kirchen und Klöfter reich auszuftatten, und da der
Reichtum in Grundbeſitz, in Land und Leuten, beftand, jo hatten die
Biſchöfe und Abte bald weite Gebiete, in denen fie als Fürften ſchalteten.
Auch das ſtädtiſche Weſen, bisher nur an ben alten Römergrengen
Donau und Rhein eingebürgert, faßte nun im inneren Deutjchland Fuß.
Alle diefe Veränderungen gewöhnten das Volt allmählich an ein geord-
netes Zuſammenwirken, und nachdem es die Krone an die Sachſen ge
geben, wurde es zu einer ftarfen, mächtigen Nation. - Durch Heinrich I.
(919—936) Tam denn auch in die Yeindfeligfeiten gegen bie Wenden
Blan und Methode; die Deutſchen drangen feitdem fyftematifch und nach-
6 Die Borzelt,
drüclich wieder nad) Often vor; aber äm träftigften und erfolgreichften
war biefer Rückſchlag im Norden, wo er von der gewaltigen umd zähen
Thatkraft bes ſächſiſchen Stammes felbft ausging.
Doc) war es fein verächtlicher Gegner, gegen ben bie Sachſen nun
den Vernichtungskampf eröffneten; er bewies es, denn biefer Krieg hat
Sahrhunderte gebauert. Auch die Wenden waren ein zahlreiches und
kriegeriſches Bolt, auch fie ſpornte unbänbige Freiheitsliebe und der
Glaube, daf die in der Schlacht Gefallenen zu befonderer Geligfeit ein»
gingen. Im der Bildung ftanden fie den Sachſen wenigftens gleich; fie
wohnten in Burgen, Dörfern und Städten und hatten ihr Land in gute
Kultur gebradjt. Die Wieſen zwiſchen den Wäldern und Sümpfen nährten
zahlreiche Viehherden; die Acer und Gärten trugen hinreichend Weizen,
Hirfe, Mohn, Gemüfe und Obft; die Bienenzucht lieferte Honig und
Met genug. Neben der Landwirtichaft trieb man Jagd und Fiſchfang,
aud) einige Gewerbe, befonbers Weberei. Der Handel war flarf im
Schwunge, am meiften an ber Seeküſte. Die Richtung und Schiffbarkeit
der Flüffe (Spree, Havel, Elbe, Oder) machten das nach Nord- unb
Dftfee offene Land zum Schauplah eines regen Verkehrs. Der Hauptfig
des Seehandels war die altberühmte Wendenftabt Julin (BWollin) mit
einem Hafen, der oft 300 Schiffe umfahte. Denn von Deutichland,
Dänemark, von allen Slawenländern und felbft aus dem byzantinifchen
Reiche ſtrömten Kaufleute dort zufammen, um wenbifche Leinwand,
preußiſchen Bernftein, ruſfiſches Pelzwerk einzutaufchen. Bon hier gingen
dann die Erzeugnifie fremden Kunftfleißes, Metallwaren, Armbänder,
Ringe, römische und arabifche Münzen, Glasperlen u. a., weit in das
Innere der ſlawiſchen Länder. Julins Blütezeit war im 10. und
11. Jahrhundert. Im Jahre 1175 wurde dieſe reiche Stabt von ben
Dänen ausgeraubt ımd faft zerftört; ſeitdem erholte fie fich nicht mehr;
leicht gebaut, wie fie geweſen, hat fie nicht einmal Spuren ihres Da-
feins Hinterlaffen; das Meer fra allmählich, felbft ben Boden, wo fie
Die Wenden waren ein Fräftiger Menfchenichlag, von gedrungenem
Körperbau, nicht beſonders groß, fletfchig, mit Dunkeln Haaren und Augen.
Hige und Kälte, Hunger und Durft ertrugen fie leicht. Sie Meibeten
fh nad) morgenländifcher Art in lange Gewänber. Auch in ihrem
Charakter erinnerte manches an den Orient. Die Stellung der Frau
war bei ihnen hart und unwürdig; fie war die Sklavin des Mannes,
der über fie wie über alle feine Angehörigen unbeſchränkt verfügte. Auch
herrſchte Vielweiberei. Es war baher nichts Seltenes, daß eine Mutter
ihr neugeborenes Mädchen tötete, um es einer reizlofen und mühevollen
Huhmft zu entziehen. Andererfeit3 ließen fich altersſchwache Eltern vom
ihren Kindern töten, weil das Diesjeits ihnen unerträglich fehien, und
Die alten Wenden. 7
ein gewaltiamer Tob in ein befieres Leben führte. Man fand an den
Wenden jebod) auch viel zu rühmen. Gin hervorftechender Zug in ihrem
Weſen war die ftrenge Ehrlichkeit; es gab unter ihnen feinen Dieb und
Räuber, daher auch weber Schloß noch Riegel, und die Lüge verabfcheuten
fie wie den Diebftahl. Allgemein übten fie Die Tugend der Gaftfreundfchaft
und waren mild und wohlthätig gegen Arme.
Ihr politiicher Zuftand neigte wie bei allen Slawen zur Dligardjie,
Urſprünglich waren die Freien einander an Rechten gleich; jede Gemeinde
entſchied ihre Beratungen nach Stimmenmehrheit und wählte fich ebenfo
den Friedensrichter (Zupan) und den Heerführer (Woiwod). Mit ber
Zeit bildete fid) aus den Reicheren und aus Denen, bie fi im Kriege
oder al8 Priefter ein größeres Anfehen erworben hatten, ein erblicher Adels-
ftand, defien Häupter zu Fürften (Knäfen) wurden. Jeder Stamm mußte
nun feinen Fürften Abgaben zahlen und Kriegsbienfte leiften, und die
ſchwerſten Laften fielen auch hier auf die Gemeinen. Je mehr der Adel
auftam, deſto größer wurbe bie Zahl derer, Die aus freien Bauern zu
keibeigenen Knechten herabjanten. .
Trat Krieg ein, fo mußte jeder freie wehrhafte Mann mit Schild,
Spieß und Schwert oder Bogen und Pfeilen oder einer Keule ins Feld.
In Abteilungen zu 10, 100, 1000 zogen fie aus, jede Gemeinde unter
ihrem Bupan, mehrere Haufen unter einem Knäfen, voran die heiligen
Fahnen oder Göpenbilder auf Stangen. Die Wenden kämpften wmeift
tapfer, in ber Regel zu Fuß. Auf dem Rüczuge flüchteten fie hinter
die Gräben und Wälle ihrer befeftigten Pläge, verbrannten ihre hölzernen
Hütten und vergruben ihr Korn und die wertvollen Geräte. Die ein-
zelnen Stämme umſchlang kein politiſches Band, fie lagen vielmehr
unter einander fortwährend im Kampfe, der aud) dann felten aufhörte,
wenn fie von ben Deutſchen bedrängt wurden. Die Wenden hatten alſo
viel Übung im Kriegsweien; gleichwohl ftanben fie hierin an Tüchtigkeit
und Zucht ben Deutſchen immer nad. Auch zur See, bie fie öfter als
Räuber wie als Kaufleute befuhren, kamen fie den germanifchen Bölfern
nie gleich.
Die Toten wurden feierlich verbrannt; ihre Aſche that man in
thönerne Urnen, fügte mancherlei Schmudfachen bei und beftattete alles
in fleinemen Grabmälern auf den gemeinfchaftlichen Begräbnispläßen.
Ale Slawen glaubten an einen höchſten Gott im Himmel, den
Belbog (weißen oder guten Gott); das Licht, das Feuer, die Some mit
allem ihrem Segen kamen von ihm. Die Yinfternis dagegen und alles
Böfe in der Welt war das Reich des Czernybog, bes ſchwarzen böſen
Gottes. Außer diefen oberen Gottheiten verehrten die Wenben noch
Untergötter, vornehmlich den Kriegsgott Radegaft; er gab Kraft, Weisheit,
Sieg; fein Haupttempel ftand zu Rethre (bei Prillwitz in Medlenburg).
8 Die Vorzeit.
Dort feierte man feine Zefte, bei denen ihm oft Kriegsgefangene als
Opfer geichlachtet wurden. Noch allgemeiner betete man den Triglaf an
(den breifäpfigen, den Herrn des Himmels, der Erde und der Unterwelt);
befonders zu Stettin und Brandenburg. hatte er große und prächtige
Tempel. Die Slawen auf Rügen, die Rugianen, verehrten den Swantewit
(die heilige Sonne). Sein Tempel zu Arkona auf Rügen war in ſolchem
Anfehen, daß feine Priefter wie Fürſten über das Bolt herrichten.
Jeder Rugianer mußte dem Gotte ein Kopfgeld zahlen, jeder landende
Kaufmann einen Zoll entrichten. Von weit her holten aud) andere
Slawen die Wahrjagungen und Ratſchläge der Diener Gottes und be
zahlten ihre Orakelſprüche mit reichen Geſchenken.
Überhaupt genoffen die Priefter bei den Slawen große Ehre; ihre
Stimme galt oft fo viel und mehr als die des Fürſten. Überall brachte
ihnen das Volt die Erftlinge der Feldfrucht und der Herden und einen
Zeil der Kriegsbente als Opfer für die Gößen, und ohne ihren Spruch,
der ben göttlichen Willen verkünden follte, wurde Fein Krieg angefangen,
tein Frieden geſchlofſen. Sie waren e3 denn aud), bie bei ben Wenben
immer am eifrigften zum Widerftande gegen die andringenden Deutjchen
trieben. Sie durften e8; denn es galt mit dem Glauben auch Freiheit
und Vollstum zu verteidigen. Drei Dinge waren e8 ja immer, welche
der Feind verlangte: Tribut, Unterwerfung unter die Oberhoheit bes
deutſchen Reiches und Belehrung zum Chriftentum.
Diefe Forderungen ſetzte mın zuerft König Heinrich I. durch; wenig.
ftens die Heveller am der Havel,- deren Hauptfefte Brennabor (Branden-
burg) 928 erobert wurbe, die Redarier, zwiſchen Havel und Peene, die
Sorben in der Lauſitz und die Ufrer an der Ucer mußten, ben fächftichen
Waffen umterlegen, ſich feinem Willen fügen. Die Eroberung zu behaupten
und weiter auszubehnen, ſetzte er hier Markgrafen ein, d. h. Militär-
beamte, welche die Mark oder Grenze an Stelle des Königs zu beſchützen
hatten. Ihre Aufgabe mar ſchwer genug, denn die Wenden bemipten
jede Gelegenheit zum Aufftande, um das verhaßte Joch wieber abzu-
ſchütteln. Anfangs doch ohne Erfolg. Unter Heinrichs Nachfolger, Otto
dem Großen, breitete fi) Die deutſche Herrihaft ſogar noch weiter,
bis zur Ober, aus. Es war dies vornehmlich dem Markgrafen Gero
zu danken, einem gewaltigen Kriegsmann, ber bie verwegenfte Thatkraft
mit fehlauer Lift zu verbinden wußte. Einft Hatten ſich dreißig wenbifche
Häuptlinge verſchworen, ihn zu ermorden; er lockte fie auf feine Burg
und ließ fie niedermachen. Nur einer entrann und erregte einen Aufs
ftand, der indes raſch ımterdrüdt wurde (940). Um die Befeftigung des
Gewonnenen erwarb ſich der König felber erhebliche Verdienfte, indem
er durch manche Auge Einrichtung in den mwendifchen Marken deutſches
Weſen anpflanzte: namentlich wurben viele deutfhe Dienftmannen an-
Gründung der Norbmart, 9
gefiebelt, und zur Belehrung der Heiden Bistümer geftiftet — Havelberg
im Jahre 946, Meißen 948, Brandenburg 949, Zeiz, Merjeburg und
über alle diefe das Erzbistum Magdeburg im Jahre 968. Um den Ge—
Ihäfts- und Machtkreis des Markgrafen doch auch nicht übermäßig wer-
den zu lafien, teilte Otto d. Gr. nach Geros Tode 965 das eroberte
Wendenland in drei Marken, die Nordmark, die Oſtmark (Laufig) und
die Mark Meißen. Die Nordmark umfaßte das Land vom Harz bis
zur untern Havel und hieß fpäter Altmark; ihr Hauptort war Salz-⸗
webel. Sie ift ber Stern gewefen, aus dem nachmals die Mark Branden⸗
burg erwuchs. Doc; gerabe fie wollte zuerſt am wenigften gedeihen.
Ottos Anfieblungen gingen bier nirgends tief ins Land hinein; der Ge—
horſam der Unterjochten beruhte daher mehr auf der Meinung, die fie
von ber entfernten Macht des Kaifers hatten, als auf ihrer Furcht vor
dem Markgrafen; denn diefer bejaß feine großen Streitmittel. Zwar
zogen überall Priefter und Mönche durch das Land und predigten eifrig
das Evangelium. Aber die Belehrung blieb eine rein Außerlihe. Ihre
Sprache und Zeremonien waren bem Volle meift unverſtändlich; e8
haßte in den chriftlichen Sendboten die deutſchen Dränger, und Chrift
werben bebeutete ihm Knechtſchaft, bedeutete Unterwerfung unter die Ge—
waltthaten und Erprefiungen, die ſich die ſächſiſchen Krieger erlaubten,
unter den Behnten, den Die chriftliche Geiftlichfeit forderte. Auch der
Stolz der Zwingherren empörte. Hielt doch der Sachſe den Slawen für
unehrlich, für ein Weſen geringerer Art, mit dem gar durch Ehebande
fich zu vereinigen fchimpflich gewefen wäre. Dazu kam die Graufamteit,
mit welcher manche ber ſächſiſchen Herren ihre Untergebnen behandelten.
So konnte das wendifche Volt dem nur mit Gewalt zur Taufe gebracht
werben, und die Sehnfucht nad) den alten Göttern und ber alten Frei»
beit blieb in den Herzen wie ein heimlicher Brand. Als nun 983 bie
Kunde von Kaifer Ottos I.” Niederlage und Zode aus Stalien nad
Deutſchland und in die Slawenländer drang, da fam der ftille Grimm
der Wenden zum wütenden Ausbruch. Wie ein Mann erhoben fid) die
Abotriten und Lutizen, zerftörten die Kirchen, ſchlachteten die chriftlichen
Priefter auf den Altären der Götter, vernichteten mit Feuer und Schwert
in ihrem Lande jede Spur von Chriftentum und Deutfchtum. Die Rid;-
tung auf alien, in die das deutſche Königtum durch feine Verbindung
mit der römischen Kaiferwürde geraten war, dann, feit die Franken bie
deutjhe Krone an fich gebracht Hatten, der Zwieſpalt zwiſchen den
Intereſſen des Kaifers und der ſächſiſchen Fürſten erleichterte die An-
firengungen, mit denen die Wenden der Nordmark die wieder ertungene
Freiheit behaupteten. Oft fielen fie jelbft ihrerjeit$ raubend und morbend
über die Elbe ins Nachbarland ein, und gar im Jahre 1056, wo fie
den Sachſen bei Priplama an der Havelmündung eine große Niederlage
10 Die brandenburgiſchen Markgrafen ans dem Haufe Ballenftäbt.
beibrachten, verbreiteten fie dort weithin den Schreden. Die Bistümer
Brandenburg und Havelberg beitanden faft 200 Jahre lang nur dem,
Namen nad, nur „in partibus“. Es gab zwar immer noch Grafen ber
Nordmark — fie gehörten meift den Häufern Walbeck und Stade an —
aber Teiner vermochte e8, Die Eroberung Heinrichs I. und Ottos I. wieder
zum Reiche zu bringen.
Nur als Kaufleute drangen nun bie Deutſchen noch über Havel und
Spree, über Peene, Uder und Ober; denn der Handel mit ben Slawen
war immer ‚beträchtlich. ine Hauptftraße desfelben ging im 10. und
11. Zahrhundert von Hamburg nach Zulin, von dort meift zu Lande nach
Gyddaniſt (Danzig) und Preußen und über Samland nah Oftrogard,
dem fpäteren Rowgorod, von da an den Diiepr nad) Kiew, wo dieſe
Linie mit den Handelswegen zufammentraf, die aus dem Morgenlande,
aus Aften, Tamen.
Die braudenburgiſchen Markgrafen uns dem Zauſe
Ballenſtãdt.
1134—1319.
Zängft war das Kreuz bei Tſchechen ımd Polen, bei Sorben und
Pommern, ja jelbft im fernen Rußland zur Herrſchaft gelangt; nur bie
Abotriten und Lutizen, allein von allen Slawen, und am Baltaftrande
die Preußen widerftanden noch. Im 12. und 13. Jahrhundert erlagen
auch fie. Denn im diefer Zeit nahm das Deutfchtum den mächtigften
Aufſchwung, teils durch die vorzüglichen Gaben der großen Kaifer, die
jet den Thron einnahmen, Helden und Staatsmänner wie Friedrich J.
und II. von Hohenftaufen, teils und am meiften durch die eigenen An«
ftrengungen des beutfchen Volles, das nun in allen Werken bes Friedens
wie des Krieges den andern Rationen boranftrebte. Seiner regfamen
und ausdauernden Thätigfeit ward es daheim bald zu eng; fie wandte
fich Teicht dem Nordoften zu, wo bie fromme Begeifterung Heiden zu
befämpfen, zu befehren, wo der Kaufmann, ber Anfiebler weite, reiche
Gebiete der Arbeit und des Erwerbes fand. Kluge und tapfere Fürften
brachen die Bahn und leiteten den Strom; mit befonderem Geſchick und
Erfolge that es der Mann, ben die Geſchichte den Gründer des branben-
burgiſchen Staates nennt: Albreht ber Bär, Graf von Ballenftädt.
Die Ballenftädter, oder wie fie nad) ihren fpäteren Sigen — bem
Schloß Anhalt im Sellkethal und der Stadt Aſchersleben (Ascania) —
aud) heißen, die Anhaltiner oder Askauier, waren ein altes, reiches
Grafengeſchlecht ſächſiſchen Stammes, kamen aber erft Dann zu größerer
Bedeutung, als fie durch eine Heirat des Grafen Otto mit Eilite, ber
Tochter des Iepten billungifchen Herzogs von Sachfen, auf dieſes Herzog.
Albrecht der Bär. 11
tum eine gewiffe Anwartſchaft erhalten zu haben fchienen. Ottos und
Eilifes Sohn, Albrecht der Schöne (um das Jahr 1100 geboren), wurbe
durch jene Ausficht zu einem Ehrgeiz entflammt, ber ihn an ber Ver-
waltung feines angeftammten Beſitzes Teine Befriedigung finden ließ.
&r dürflete nach größeren Thaten. Durch Tapferkeit, die ihm den Bei⸗
namen be3 Bären eingetragen, erwarb er fich Die Achtung, durch treue
Dienfte in Italien den Dank des Kaifers Lothar. Täuſchte ihn auch
feine Hoffnung auf bie fähftfche Herzogswürde, fo wurbe ihm doch ein
Zehen zu teil, das feinem hodjftrebenben, thateniuftigen Geifte Den wei⸗
teften Spielraum bot; er erhielt (1134) bie Rorbmart.
Ihr Beftand war freilich gering; fie umfaßte faum mehr als bie
heutige Altmark; öftlich der Elbe gehörte dazu nur noch ber Landftrich
bei Havelberg zwifchen der Havel und ber Elbe. Aber die Umftände, fie
zu erweitern, waren gerade jept recht günftig. Die Lutizen, eine zeitlang
mit den Abotriten zu einem Reiche verbunden, hatten fi) unlängft von
diefen getrennt und zerfielen num wieder in mehrere Stämme unter eigenen
Fürften. So gelang es bem neuen Markgrafen ſchon im Winter 1136
bis 1137 ihnen die Priegnitz abzuringen. Doch zu einer noch wichtie
geren Erwerbung ift er auf frieblichem Wege gelommen. Der Fürft der
Heveller, Pribislaw von Brandenburg, war Chrift geworben und mit
der markgräflichen Familie in ein nahes freundſchaftliches Verhältnis ge
treten; er hatte dem Söhnchen Albrechts des Bären einen Zeil feines
Gebiets, die Zauche (zwiſchen Havel, Plaue und Nuthe), zum Paten
geſchenk gemacht; im Jahre 1136 fehte er mm ben Markgrafen felber
zum Erben feines übrigen Landes (zwifchen Havel und Rhin) ein. Es
war auf Grund biefer Schenkung, daß fich Albrecht ſeitdem Markgraf
von Brandenburg nannte.
Indeſſen che er fich dieſes Zuwachſes feiner Macht recht freuen
torte, hatte er noch manche Wechielfälle bes Glücks zu beftehen. Er
erhielt vom Hohenftaufen Konrad III., für den er gegen bie Welfen
Partei ergriff, 1138 das Herzogtum Sachſen, verlor es alsbald. wieder
an die Welfen, verlor felbft die Nordmark; er war einige Jahre ein
Fürft ohne Land. Erft 1142 auf dem Reichstage zu Frankfurt a. M.
kam der Friebe zu ſtande; Albrecht verzichtete zu Gunften Heinrichs bes
Löwen auf Sachfen, dagegen gaben ihm die Welfen die Nordmark zurüd.
Im Jahre 1150 ftarb Pribislaw*), und nun zog Albrecht als Herr in
Brandenburg ein. In ber Nordmark war er nod) bes Herzogs von
Sachſen Bafall, in dieſem neuen Gebiet an ber Havel (ber fpäteren
Mittelmark) hatte er nur den Kaifer über fi. Konrad III. beftätigte
& ihm, indem er ihn mit der neuen Markgrafihaft Brandenburg als
*) d. Heinemann, Albrecht ber Bär, 1864, ©. 37.
12 Die brandenburgiffen Markgrafen aus dem Haufe Ballenftädt.
einem erblichen Reihsfürftentum belehnte und mit berfelben ein
hohes Reichsamt, die Erzkämmererwürde, verband, Die bisher bei
den Herzögen von Schwaben geweſen war.
Mit neuem Gifer verfolgte Albrecht mın fein Ziel, die nod) hetdni-
ſchen Slawen für immer Chrifto und dem beutfchen Reiche zu umter-
werfen. Auch er vertraute zunächft auf das Schwert; wie manchen
Kreuzzug, namentlich in Verbindung mit Heinrich dem Löwen, hat er
gegen die Lutizen und Abotriten unternommen! Einen Aufftand ber
‚Heveller, den Pribislaws Verwandter, Fürft Jaczo von Köpnick, erregt
hatte, ſchlug er (1157) glücklich nieder, und die Befiegten mußten fich
taufen laſſen. Aber als das befte Mittel, auch das überelbiſche Land
deutſch und chriftlic zu machen, erfannte er bald die Schöpfung beut-
ſcher Kolonien, wie folge, namentlich niederländiſcher Herkunft, in der
Altmark ſchon feit 1143 blühten; er wandte nun dieſes Mittel aud) an
der Havel und in großartigem Maßftabe an. Es war ihm nicht genug,
daß er-jedem feiner Krieger je nach Verdienft ein mehr oder minder be=
trächtliches Grundftüc, wohl auch eine Burg zu Lehen gegeben; daß fich
nun an dem gefährbeten Oftgrenzen zu Kremmen, Bötzow, Spandau,
Potsdam, Trebbin feite Burgen mit ftarker Beſatzung erhoben; daß
auf feine Bitte Brüder der Ritterorben von St. Johann und vom
Tempel, deren Nutzen er auf einer Pilgerfahrt ins heilige Land (1158)
kennen gelernt hatte, ſich in ber Mark niederliegen, um bei der Belehrung
der Wenden mit ihren weltlichen und geiftlichen Waffen zu helfen; daß
endlich) auch die zerftörten Bistümer wiederhergeftellt, Kirchen und Klöſter
gebaut, Mönche herbeigezogen waren; alle diefe deutfchen Elemente konnten
wohl einen deutſchen Herren- und Priefterftand, aber kaum eine deutſche
Bevölkerung ergeben; die Einwanderung aus Deutichland mußte mafjen-
bafter gefchehen, der Bauer und Bürger fich daran beteiligen. Albrecht
ließ daher durch ganz Deutjchland Aufrufe ergehen, die auch ben ge-
meinen Mann zur Überfiedelung nad) der Mark einluden. Land genug
ftand ja Hier zur Verfügung. Viele Heveller hatten es vorgezogen, lieber
von Haus und Hof zu weichen, als fi) der neuen Herrichaft zu fügen;
andere Zandftriche Tagen noch von altersher in Folge der langen Kriege
wüſt. Die Anerbietungen, die ber Markgraf machte, waren denn auch
fo Iodtend, daß (jeit 1159) große Scharen von Anzöglingen erfchienen.
Die meiften kamen aus Ylandern, Holland, Friesland, Weftfalen. Sie
erhielten gegen beftimmte Abgaben und Kriegsdienfte Landbefig, legten
Dörfer an und bebauten befonbers die vielen jumpfigen Niederungen, die
fie durch Abdämmen und Austrodnen bald in ertragreichen Boben ver-
wanbelten. Es waren fleißige und geſchickte Leute, die auch manche
Kunftfertigfeit, manches neue Gewerbe mitbrachten, unter anderm nad)
niederlänbifcher Art den Badteinbau ftatt des wendiſchen Feldfteinbaues.
Abret der Bi, 13
Aus den größeren Anfiedelungen, vornehmlich um die Burgen und Bis
ſchofsſtze, bildeten fi bald Städte mit deutſchen Einrichtungen, geſchützt
durd Mauern und vom Markgrafen mit vielen Freiheiten und Rechten
begabt. Raſch zog fi ber Handel dorthin, und mit dem Wohlftande
wuchſen Macht und Bildung. Diefe Kultur wirkte mehr als das Echwert.
Die Wenden befreundeten ſich allmählich mit dem deutſchen Weſen, feit
fie zu ihm als zu einer höheren Stufe der Gefittung aufblicken mußten.
Sie fahen die Vorteile, Die es in der Wirtſchaft wie im Staate bradjte,
und nahmen allmählid, eine nad) der andern, die deutſchen Sitten und
Beifen an. Am ſchnellſten ging dieſe Verdeutſchung bei dem wendifchen
Adel vor fich. AMbredt ftellte ihm Aüglic, dem deutſchen gleich; bie Folge
war, daß bie Edelleute in der Mark, weldyes Stammes fie aud) fein
mochten, gegen die mit Abgaben belafteten wendiſchen Bauern ein ge-
meinfames Intereſſe hatten. Diefes ftarke Band hielt die beiden Na-
tionalitäten zufammen, bis Wechſelheiraten zuleßt jeden Unterſchied ver-
wiſchten.
So kehrten unter Albrechts weiſer Verwaltung der Friede und die
Ordnung in die Mark zurück, und was die mächtigen Herzöge von Sachſen
und fo viele Markgrafen vor ihm vergebens verfucht hatten, ihm war es
gelmgen. Als er (am 8. Noveniber 1179) ftarb, hatte das Chriftentum
und das Deutfchtum in dem Wenbenlande an ber Havel und Spree bes
zeit fefte Wurzeln gefaßt.
Auf den Wegen, die er einſchlug, find dann alle Markgrafen aus
dem Haufe Ballenftädt gegangen. Auch darin waren fie ihm ähnlich,
daß fie bei dem inneren Wirren des beutfchen Reichs ftets treu zum
Kaiſer hielten; — eine richtige Politit; denn zum Vorkämpfer des Reichs
nad) außen hin beftellt, konnten fie kaum in den Fall kommen, zwifchen
ihrem eigenen Vorteil und dem Intereſſe bes Katfers wählen zu müflen.
Durch ſolche Politit, durch eigene Anftrengungen bei vorzüglicher Be—
gabung und durch feltene Eintracht in ihrer Familie erftiegen die Ballen-
ftädter bald eine Höhe von Macht und Größe, welche jedes andere norb-
deutſche Fürftengefchledht überragte. Dabei wurben fie durch äußere Um⸗
ftände, beſonders durch dem Sturz Heinrichs des Löwen (1180) gefördert.
Denn ber Kaifer Friedrich Rotbart zerftücelte nun das allzu mächtige
Herzogtum Sachſen, gab dieſe Würde mit einem Teil ber Lehen an den
Anhaltiner Bernhard, den jüngften Sohn Albrechts des Bären, Stamm-
vater der heutigen anhaltiſchen Fürften, und übertrug manche Rechte und
Ehren, welche Sachſen gehabt, dem Markgrafen von Brandenburg. So
gewann Otto I., Albrechis ältefter Sohn (1170-1184), namentlich bie
Lehnshoheit über Mecklenburg und Pommern (1181).
Diefe Länder waren damals, zum Teil durch die Bemühungen Hein-
richs des Löwen, vornehmlich aber durch die einheimifchen Fürften felber
14 Die brandenburgiſchen Markgrafen aus bem Haufe Ballenftäbt.
dem Chriftentum und dem beutichen Reiche zugeführt worden. Schon
1124 hatte Bifchof Otto von Bamberg, ber „Apoftel ber Ponmern“,
mit Hilfe des Chrift gewordenen Herzogs Wratislaw zu Stettin und
Julin 22 000 Heiden getauft, das Bild des Triglaf zerftört und zu Julin
ein Bistum geftiftet, welches fpäter (nach Berftörung diefer Stadt 1175)
nad) Kamin verlegt wurde. Was er begonnen, ſetzten andere Miffionäre
mit Glück fort, und rafch verbreitete fid) die neue Lehre von ber Peene
. bis zur Weichjel. Die pommerjchen Herzöge fanden bald, daß ihre eigene
Zürftengewalt dabei zunahm; denn das Anfehen, welches die heibntichen
Priefter beim Volke einbüßten, wuchs hier den Fürften zu. Auch das
Deutſchtum, defien höhere Kultur fie anzog, wurbe von ihnen begünftigt.
Ahnlich ftand es in Mecklenburg. Dafür machten die Fürften von
Medienburg und von Pommern aber auch auf gleiche Ehren mit ben
andern beutfchen Reichsfürften Anfpruch, und namentlid) die Pommern
erfannten jene brandenburgiiche Lehnshoheit nicht an. Sie wurde auch
von anderer Seite bedroht. Die Deutichen waren nicht bie einzigen,
welche an den wendifchen Küften der Oſtſee Fuß zu faflen fuchten; auch
die Dänen lockte dieſer Beſitz. Seit fie umter ihrem Könige Waldemar I.
(1168) Rügen, das flawifche Seeräuberneft, erobert, den Tempel bes
Swantewit zu Arkona zerftört, den Fürſten der Infel zur Taufe ımd zum
Gehorſam gezwungen hatten, glaubten fie ſich zu weiteren Fortſchritten
unter den Slawen berufen. Waldemars Nachfolger, Kamıt, nannte fi
nad) einem glüdlichen Zuge gegen Pommern und Mecklenburg 1185 be-
reits „König der Slawen und Wenden". Dem jungen deutſchen Weſen
in diefen Gegenden erhob fi} alſo ein neuer ımd gefährlicher Feind.
Aber die brandenburgifchen Markgrafen, Ottos I. Söhne, Dtto II.
(1184—1205) und Albrecht IL (1205—1220), nahmen ihr Amt als
Stellvertreter des Kaifers, dem bie Herrichaft über ganz Slawien zufam,
träftig wahr; in Verbindung mit anderen norddeutſchen Fürften wieſen
fie die Dänen wieder in ihre Grenzen zurück.
Es ſcheint, daß fich Otto II. noch in einen anderen Kampf einlieh,
der ſchlimmer ablief; naͤmlich mit ber Kirche. Es fcheint, da er mit
dem Erzbiichof von Magdeburg in Streit geriet, und daß biefer über
ihn den Bannfluch ausſprach). Der Markgraf war ein tapferer Mann
— die Wenden im Barnim und Teltow hatten feinen Arm gefühlt, —
aber die Ausftoßung aus ber kirchlichen Gemeinfchaft war eine Waffe,
gegen welche auf die Dauer keine weltliche Rüftung ftand hielt. Es war
ja damals für die Hierarchie die Zeit der höchſten Macht; wähnte doch
das fromme Bolt, Gott felbft fpreche aus dem Munde der Priefter, und
der Papſt galt für den Stellvertreter Chrifti, für den Statthalter Gottes
*) Bol. Wohlbruck Geſchichte der Altmark S. 180 ff.
Johann I. und Dtto II. 15
auf Erden, vor dem Kaifer und Könige ſich beugen müßten; eher wurden
die Gläubigen an fid) als an ber Geiftlichkeit irre. Dem Gebannten
wankte aljo ber Boden unter den Füßen; die ihm gehorchen follten,
meinten fid) ber Pflicht entledigt; felbft bie Freunde betradjteten ihn wie
einen Ausfähigen. Es war eine furchtbare Wahrheit in dem Sprichwort,
daß „von einem Gebannten fein Hund ein Stüd Fleiſch annimmt“.
Dtto II. mag dies empfunden haben, wenn er wirklich, wie manche ver⸗
muten, dem Born ber Kirche verfiel. Wie bem auch fei, er brachte für
fein Seelenheil ſchwere Opfer: alle feine Allodien ober Familiengüter in
der Altmark und im weftlichen Havelland kamen unter die Lehnshoheit
des Erzftift8 Magdeburg (1196).
Den Auffhwung ber Markgrafihaft hemmte dies Verhältnis indes
nur kurze Beit. Unter Albrechts II. Söhnen, Johann. und Otto III,
errang fie nach außen und innen großartige Erfolge. Dieſes Brüderpar,
eine ber ſchönften Zierden bes balienfiädtiſchen Haufes, bietet ein feltenes
Beiſpiel einer aufs glücklichſte in Gemeinſchaft geführten —S
Bierzig Jahre lang (feit 1226) herrſchten die beiden — einer deckte ben
andern, getreulich teilten fie Ruhe und Genuß wie Kampf und Arbeit.
&o haben fie zu der Gtiftung Mbredjts des Bären bie meiften jener
weiten ®ebiete, and denen dann Jahrhunderte lang ber brandenburgifche
Staat beftand, hinzugefügt und mit Keimen bes Deutſchtums bepflanzt.
Ihre Erwerbungen geihahen hauptſächlich durch das Schwert; fo nahmen
fie den Wenden die Ländchen Barnim und Teltow, ben Pommern,
die 1244 auch zur Anerkennung der brandenburgijchen Lehnshoheit ges
nötigt wurden, Stargard in Mecklenburg und 1250 bie Udermart;
mit den Waffen drangen fie auch über die Ober und an der Warthe
vor. Dort, um Küftrin, Soldin, Königsberg, deckten noch weite Wälder
und Sümpfe das Land; es war wenig bebaut, ſchwach bevölkert; dennoch
war es längft ein fteter Zankapfel zwiichen den Polen und ben Pommern.
Jene fuchten von Süden, diefe von Norden her ſich darin feſtzuſetzen;
jeßt (1260) mußten beide ben Brandbenburgern weichen, und die Mark
grafen ficherten ſich das eroberte Land, das dann die Neumarkt hieß,
durch deutſche Anfiedelungen, wie Landsberg a. W. Auch bas Land
Lebus an ber Oder, das fie dem ſchlefiſchen Herzog Boleslam abgekauft,
behaupteten fie gegen die Nachbarn mit dem Schwert, gegen die polnifche
Bevölkerung durch Gründung einer deutſchen Stadt — Frankfurt —
(1253). Einen andern Beſitz, die Oberlaufig mit Görlig, Baupen,
Lauban, erwarben fie (1255) von dem Böhmenkönig Dttofar, der ihnen
Geld ſchuldete. Aber noch mehr als ihre glänzenden Kriegsthaten und
umfichtigen Unterhandlungen nüßte bie. kluge Sorgfalt, die fie auf die
innere Entwidelung der Mark verwendeten. Gleich ihrem Ahnherm
forgten fie unabläffig für den Anbau und die Verdeutſchung des Landes,
16 Die brandenburgticien Markgrafen aus dem Haufe Ballenftäbt.
zogen beutjche Bauern in die Wälder und Wüſten, deutſche Bürger in
die Ortſchaften der Slawen und förderten die ſchon vorhandenen beutfchen
Gemeinden durch Verleihung neuer Freiheiten und Rechte. Damals, um
das Jahr 1242, war es, daß auch das wendiſche Dorf Berlin beutfches
(und zwar brandenburger) Stadtrecht erhielt; das Dorf Köln am linken
Spreeufer war bereit früher von Deutſchen befiedelt und 1232 mit
Stadtrecht beliehen worden; beide fchon zu jener Zeit für ben Verkehr
zwifchen den Slawen und Deutſchen anfehnliche Handelspläge. Auch bie
Geiftlichkeit, der die Markgrafen doch immer den feiten Sim bes Herr-
ſchers zeigten, erfuhr mandje Gunft, die zugleich eine Wohlthat für das
Land war. Otto I. hatte 1180 in der Zauche das Eiftercienfer-Stlofter
Lehnin geftiftet; es follte das Erbbegräbnis feiner Yamilie fein. Es er-
wies fi) aber aud) in anderer Weife fehr nützlich; die Mönche trieben,
wie ihre Ordensregel es vorjchrieb, mit großer Emfigkeit ben Landbau,
und ihre Güter wurden Muftenvirtichaften für die ganze Umgegend.
Nach diefem Beifpiel gründeten nun bie beiben Brüder zwei neue an-
ſehnliche Klöfter, Chorin und Strausberg.
Die Mark begann aufzublühen, fie befam immer mehr das Anfehen
einer deutſchen Landſchaft. Der Friede in ihrem Innern, Die Sicherheit
des Verkehrs, die in ihr herrichte, konnte den Einwanderer für manches
entichädigen, was er hier an höherer Kultur noch vermißte. Denn wie
jah es damals im , Reiche“ aus? In hunderte von Landesherrichaften
zeriplittert — Herzogtümer, Grafiaften, Rittergüter und Städte, Bis-
tümer und Abteien, alle gleihjam Staaten für fi), deren Herren fi
unter einander befehbeten und um das Ganze wenig kümmerten — fo
war Deutſchland eine Stätte wildeften Fauftrechts, wüftefter Unordnung
geworben; unb bei folcher Zerklüftung mochte ſich der Kaiſer dann ab»
müben, wie er wollte; feine Gewalt reichte felten weiter als bis an bie
Grenzen bes Herzogtums oder ber Grafſchaft, die feine Hausmacht
bildete. Es war zum Teil die tief in dem Deutſchen ſteckende Sonber-
ſucht, was bie Bildung fo vieler Einzelftanten, die Berjplitterung bes
Reichs herbeigeführt hatte, zum Zeil ein äußerer Umftand: die Verbin-
dung der römifchen Kaiferwürbe mit dem beutfchen Königtum. Denn
da die Kaifer, als Schirmvögte ber abendländifchen Kirche und Häupter
ber Chriftenheit, Größeres beanfpruchten, als bloß in Deutichland nad;
dem Ihrigen zu fehen; da ihnen namentlich in Rom und Stalien die
Herrſchaft zuftand; fo gerieten fie in einen zweihundertjährigen Kampf
mit den Päpften, welche ebenfalls die Oberſten der hriftlichen Welt und
die Herrſcher in Rom fein wollten. Anftatt mm treu zu ihrem Herm zu
halten, zogen des Kaifers Beamte, die Herzöge umd Grafen, es meiſtens
vor, ſeine Bedrängnis für ſich jelbft zu nützen, ihr Kriegsgefolge zu feinem
Römerzügen ihm teuer zu verkaufen, oft auch gegen ihn Partei zur
Otto IV. 17
ergreifen. So brachten fie zuerft ihre Imter als erbliche Lehen, ‚dann
bie königlichen Einkünfte und Befugniffe in ihren irfen an ihre
Häufer, bis dem Kaiſer faft nichts blieb als der Titel. Ahnlich wie bie
Grafen umb Herzöge thaten die Städte und Ritter; wo fie nicht in die
Gewalt jener ober ber geiftlichen Yürften gerieten, Tauften fie fo viel
Ianbesherrliche Rechte an ſich, als fie konnten. Den ganzen Handel bes
zahite ſchließlich der Bauernftand, er wurde faft überall in Deutfchland
leibeigen. Aus der Nation ſchwand hierbei aller Gemeinfinn.
Die Regfamteit fo vieler faft jelbftändigen Staaten, die beim Zerfall
des Ganzen ihre Thätigfeit befto mehr auf die eigenften und nächften
Angelegenheiten richteten, Hatte indes auch ihr Eutes. Das Leben nahm
mannigfaltige bunte Formen an, unb ba jeder Einzelne für fich ſelbft
forgen und einftehen mußte, ward alles Befondere und Einzelne kräftiger
angefaßt und entwidelt.
Ein Vorteil von biefer Veränderung bes deutſchen Reichsweſens, zu
der fie Doch nie mitgewirkt hatten, fiel auch den Markgrafen von Bran-
denburg zu: der allgemeine Brauch befräftigte umb ficherte ihnen nun,
was fie in ihrer befonderen Lage, als Stellvertreter des Kaiſers und
Kriegäherren im Wenbenlanbe, dem Wejen nad) ſchon befaßen: die Landes-
herrſchaft. Sie beruhte in der Mark auf gerechterem Grunde, als im
inneren Deutfchland; ben Wenden, nicht dem Kaiſer war fie abgerungen.
Gegen Ende ihres Lebens — Johann I. ftarb 1266, Otto II.
1967 — teilten die Brüder das Land, um ihre Rachkommenſchaft zu bes
friebigen; nad) der Eitte der Zeit halbirte der eine, der andere wählte.
Seitdem errichten über die Mark zwei ballenftäbtii—he Dynaftien, die
ältere in Stendal, die von Johann, unb bie jüngere in Salzwedel,
die von Dito abflammte; mır die Erzlämmererwürbe war dem jedes»
maligen Senior bes Haufes vorbehalten. Gleichwohl blieb Brandenburgs
Macht fortwährend im Auffteigen. Denn immer ftanden die Markgrafen,
nad) dem ſchönen Beispiel ber Stifter ihrer Linien, alle für einen und
einer für alle. Sie waren ein zahlreiches Geſchlecht, 19 Fürften im
Jahre 1280, und hochbegabt mit Triegerifchen und Regenten- Tugenden;
dem Haupte ber Familie lieh jeder auch über das Pflichtteil hinaus
feinen Beiftand. Won 1281 bis 1309 führte fie Otto IV. „mit dem
Pfeile”. Ihn kennt die Literaturgeichichte als einen Dichter kräftiger
und lieblicher Mirmelieber. Aber er glänzte auch, wie faft alle Ballen-
ftäbter, durch ritterliche Tapferkeit, die er in jüngeren Jahren, ehe er
Erzkümmerer war, oft bis zur Verwegenheit trieb. Sein friſcher kecker
Kriegamut ließ ſich nie beugen, auch nicht als er 1278 von ben hand»
feften Bürgern Magdeburgs, denen er feinen Bruber Eric, zum Erzbiſchof
aufbrängen wollte, in ber Schlacht bei Froſe gefangen und ſchmählich
in einen Käfig gejperrt ward. Bon dort, aus ber verhaften Biſchofsſtadt
Bierfon, yreuß. Geſchichte. J. 2
18 Die brandenburgiſchen Marfgrafen aus dem Haufe Ballenftäbt.
erlöfte ihn bie Treue eines alten Dieners; Zohan von Bud), der die
ungeheure- Summe, mit der er feine Freiheit erfaufen follte, 4000 Mark
(Pfund) Silbers herzufchaffen wußte. Schlimmer erging’s ihm daun in
einer andern Fehde. Bor Staßfurt an der Bobe traf ihn (1280) ein
Pfeil, defien Spige er ein Jahr lang bat im Kopfe hermutragen müſſen
Zuleßt nötigte er feinen Gegnern doch immer feinen Willen auf.
Trotz ihrer häufigen und Foftipieligen Fehden hatten die Markgrafen
bei dem blühenden Zuftande ihres Landes, weiches fie in ber. Weife ihrer
Väter pflegten, Geld genug, um ſehr bedeutende Erwerbungen zu machen.
Sie erfauften von dem thüringer Landgrafen Albrecht dem Unartigen
die Mark Landsberg mit Delitzſch und Lauchſtädt (1241), dam die
Pfalz Sahjen und Sangerhaufen und von Albredits Sohne Diez-⸗
mann die. Niederlaufit (1304). Aber während die Macht des Haufes
immer zunahm, mähte der Tod in unerhört kurzer Beit die alten und
neuen Sproffen ihres Geſchlechts hin. Don jerier zahlreichen Schar, die
(nad der Sage) im Zahre 1280 auf dem „Markgrafenberge" bei Rathenow
verjammelt, faft fürchtete, daß Das Land fie nicht alle werde ſtandesgemäß
ernähren fönnen, waren 28 Jahre darauf nur drei mänmliche Erben noch
übrig. ö J
Nach dem Abſterben fo vieler Zweige des ballenſtädter Stammes
jah fi die ganze Mark nun unter‘ dem Bepter Waldemars wieder
vereinigt, ber nad) feines Oheims Otto IV. Tode Haupt der Familie und
Erzlämmerer wurde (1309—19). Wan hat ihn den Großen genannt;
in der That ift er eime der erhabenften und glänzenbften Geftalten bes
14. Jahrhunderts. Ein gewaltiger Kriegsmann, fieghafter und furdhts
barer in der Schlacht als felbit fein Ahnherr, Albrecht der Bär, und
ebenfo ug im Rate; dabei großmütig und milde und in feiner Hof⸗
haltung prachtvoll wie ein König; — jo war er die Bewimderung feiner
Zeitgenoſſen und ber Stolz feiner Unterthanen. Brandenburg fam unter
ihm zu folder Macht, ſolchem Wohlftand und Anjehen, ‚wie es nachher
300 Jahre lang nicht mehr genofien hat. Die Nachbarn freilich hatten
von feinem unruhigen Ehrgeize viel zw leiden; nach Mecklenburg und
Pommern, nad) Polen, Meißen und. Thüringen führte er feine ſiegreichen
Waffen; aber um das Deutjchtum erwarb er fi) ein großes Verdienft:
er riß (1308) Pomerellen (daS pommerſche Land zwiſchen Perſante und
Weichfel mit der Hauptftadt Danzig) den Polen aus ben Händen, über-
ließ ben öſtlichen Zeil für Geld dem deutſchen Orden, fügte den weftlichen
zu ber Mark. Im Süden erweiterte er deren Grenzen über Torgau
hinaus, im Süboften längs der Dder bis zur Obra.
Die Fürften ringsum blickten auf ihn mit Reid und Beforgnis; er
bedrohte fie alle. Er ſchien voll gefährlichſter Entwürfe, da er plößlich
als Schutzherr der hanſiſchen Stadt :Stralfund auftrat; die von dem
Waldemar der Grobe. 19
rũgiſchen Fürſten Witzlaw bedrängt wurde. Es bildete ſich wiber ihr
ein furdjtbarer Bund: die Könige von Dänemark; Schweden und Polen,
bie Herzöge von Sadjjen» Lauenburg, ‚von Limeburg und Braunſchweig,
bie Herren von Medlenburg und Werle, der Markgraf. von Meißen, die
Grafen von. Holftein, Schwerin und Anhalt, die Biſchöfe von Schwerin,
Ratzeburg und Havelberg nebft vielen anderen Herren, ſelbſt Vaſallen
bes Markgrafen thaten fid) zufammen und brachen von allen Seiten in
die Mark ein. Kühn. und bejonnen hielt Waldemar dem Ungewitter
Rand. Bei Granſee lieferte er (im Auguft 1316) einer dreifachen Über-
macht .eine Schlacht, größer und blutiger als je eine im Wenbenlanbe
geſchehen war. Nur der Opfertod der Seinen rettete ihn felbft vor der
Befangenichaft; aber auch die Feinde hatten fo fehwer gelitten, daß fie
feinen Heldenmut nicht. weiter auf die Probe ftellen mochten. Der Friede
zu Templin (November 1317) verkürzte weber ihn nod) die Stadt Stral«
fimd, vor deren Mauern ein gleichzeitiger Angriff an der Tapferkeit ihrer
Bürger völlig gefcheitert war. .
In dieſem Kriege hatte Waldemar an. feinem Adel nicht ‚die beften
Erfahrungen gemacht; wohl aber hatte fid) die Treue der Stäbter vor⸗
züglich bewährt. Er begünftigte daher ihr Auflommen auf jede Weiſe,
ſuchte auch -eine engere Verbindung der: märfifchen Stäbte mit dem mäch-
tigen Hanſabunde berzuftelfen. Aber es war ihm nicht vergönnt, fo
manchen großen Gebanfen, dem ſein reicher Geift für Brandenburgs Ges
deihen trug, zur That zu machen. Ein früher Tod endete dies glorreiche
Heldenleben. Waldemar ftarb, ein 28 jähriger Süngling, am 14. Auguft
1319; mit ihm ſank der mächjtigfte und ruhmvolifte Ballenftädter, ſank
der letzte Markgraf von Brandenburg aus Albrechts des Bären Geſchlecht
ins Grab. Noch. war ein ſchwaches Reis diefes Stammes in -der Marl
vorhanden, ein minberjähriger Better Waldemars, Heinrich von Lands⸗
berg; doch im nächften Jahre ftarb auch er, und das Haus Ballenftäbt
An der Mark war nun erlofchen.
Inmerer Inftand der Mark unter den Bullenftäbtern,
vornehmlid, im dreizehnten Yahrhundert.
Ber ein Länd eroberte, nahm einen Teil des Grundes ımd Bodens
für fi) und feine Kriegsgenoſſen, ben andern ließ er gegen einen be
ſtimmten Zins im Befiß der Eingebomen; Herrenlofes Gut gehörte dem
Könige, der es den Seinigen zu Lehen gab; nach dieſen Grundjägen
deutſchen Rechts verteilten die Markgrafen das Wenbenland, welches fie
ala Eroberer ımd als Stellvertreter des Königs beherrichten. Buerft
‚wurden Die beutfchen Krieger bedacht; überall in ber Mark erhielten fie
‚Rittergäter, 4 bis 6 Hufen groß, zu Lehen, für die fie, jo oft der Marl:
PL
20 Innerer Buftand der Mark unter den Ballenftädtern.
graf es heifchte, mit Wehr und Waffen, mit Roß und Knechten den
Kriegsdienft leiften mußten. Diefe Ritter waren zum Zeil freie Adlige,
die aus ber Altmark und dem innern Deutſchland Bergezogen Tamen, um
fich im Wendenlande Ehre und Befig zu erftreiten; zum Teil Dienftleute,
die fich durch befonbere Tapferkeit und Treue um ihren Herm, den Mark.
grafen, größere Berbienfte erworben hatten als andere gemeine Diener;
zum Teil endlich freie Söldner, bie ſtatt des Geldes Srundbefitz an⸗
nahmen. Am angefehenften unter den Rittern waren die „Schloß-
geſeſſenen“, die Vögte und Hauptleute ber Burgen famt ihren Burg⸗
mannen oder Kaftellanen; am zahlreichften die „Zaunjunfer”, deren Woh⸗
nungen nicht ein Burgwall, fondern bloß ein Zaun umſchloß.
Der größte Teil der Einwanderer beftand aus ſolchen, die weniger
das Schwert als den Pflug zu handhaben pflegten. Auch fie waren hoch
willlommen. Der Markgraf berief einen Unternehmer und verkaufte ihm
ein beftimmtes Maß Landes, 30 bis 60 Hufen, mit der Verpflichtung,
darauf ein Dorf anzulegen. Nun ſchnitt der Unternehmer ein Stüd von
der Maffe für fi), ein anderes für die Kirche ab, ben ganzen Überreſt
verteilte" er an andere deutiche Anftebler, die bafür eine gewiſſe Grund⸗
fteuer an den Markgrafen zu entrichten hatten. War der Boden erft
urbar zu machen, fo blieb er eine zeitlang von allen Abgaben frei. Das
Gut des Unternehmers war immer fteuerfrei; es galt als ein erbliches
Lehen, auf dem bie Vafallenpflicht des Reiterdienftes haftete. Zugleich
wär mit ihm das erbliche Amt eines Schulzen verbumben. Der „Erb:
ſchulze“ faß als folcher dem niederen Dorfgericht vor, deſſen Beifiger ober
„Schöffen“ Bauern waren. Er bezog ein Drittel der gerichtlichen Geld-
ſtrafen und Hatte zuweilen noch andere Vorrechte, z. B. Schenken und
Mühlen anzulegen. Er nahm ben Sins von den Hufen der Bauern und
Heferte ihn nebft ben Gerichtögefällen an den Markgrafen ab. Mit den
Schulzen anderer Dörfer zufammen bildete er als Schöffe das Ober-
oder Landgericht, das ſich unter dem Borfig des markgräflichen Vogts
dreimal im Jahre verfammelte und daher Dreiding hieß. Später kaufte
an vielen Stellen der Adel die Erbſchulzen ans ımd ernannte dam „Sehe
ſchulzen“, welche dieſelben Amtspflichten hatten. Noch öfter ging das
zu herrliche Recht des Markgrafen durch Kauf oder Verleihung an
, Biſchöfe, Stäbte ober Ritter über, welche dann die Einkünfte des
Dorfs bezogen und den Oberrichter im Dreibing ftellten. Oft gründeten
fie auch felber in ihren Befigungen ſolche deutfche Dörfer.
Die Bauern waren perſönlich frei, die Laften, die fie für ihre
Güter trugen, ſehr mäßig: von ber Hufe jährlich dem Landesherrn
Y, Mark Silbers (einen „Bierdung*) als Sins und eben fo viel ober
einen Malter Koms ber Kirche als Behnten; zuweilen Spanmdienfte
(Dienft mit Pferd und Wagen) für die Grundherrſchaft, doch nur in feft
Die Bauern. 21
beftimmten Maße; weiter hatten fie nichts zu leiften. Dafür gehörten
ihnen die Güter erb⸗ und eigentümlich, wenngleich fie biefelben nicht
ohne Zuftinunung des Orundherm verpfänden durften, der auch bei Vers
fäufen ein Vorfaufsrecht hatte. Die Kofjäten, d. h. die Anfledler, die
nur einzelne Gärten ober Kleine Aderftüde erhielten, zahlten dafür einen
geringen Zins und leifteten genau abgemefjene Handdienſte. Der Bauern-
fand in der Mark beſaß alfo umvergleichlich mehr Recht und Freiheit
als die Bauern im übrigen Deutichland, die großenteils in Leibeigenfchaft
ſchmachteten. Mit der Freiheit aber erzeugte der Fleiß bald eine gewiſſe
igkeit.
Der Wohlſtand ihrer deutſchen Nachbarn reizte dänn die wendiſchen
Bauern, es jenen gleich zu thun. Sie erwarben ſich an vielen Stellen
dieſelbe Verfaſſung des Gemeinweſens und nahmen dann um fo leichter
auch deutſche Sitten und Weiſen an. Mit ihrer Freiheit und ihrem
Glauben hatten fie die ftärkften Pfeiler ihres Vollstums ſtürzen fehen;
und mit dem Vertrauen verloren fie auch die Liebe dazu; das Fremde,
Reue ſchien eriprießlicher. So verſchmolzen fie allmählich mit den Deutſchen
zu einem Volle. Die Germanifirung erftrecte fi) bis in die Pflanzen-
welt der Mark; denn auch neue Gewächſe bradjten bie Einwanderer mit,
den Krapp, ben Hopfen, vom Rhein her die Weinrebe und manche ändere
nutzliche Pflanze; viele einheimifchen verebelten fie. Selbft die ſlawiſchen
Namen vieler Ortſchaften wurden mit deutſchen vertaufcht; wo fie blieben,
erimmerte fpäter nur hie und ba ein eigentümlicher Brauch noch an das
alte Wenbentum. An anderen Orten dagegen erhielt fi) dasfelbe eine ges
raume Zeit; namentlich in ben Fifcherdörfern, den fogenannten ‚Kietzen“,
deren Bevölkerung darum auch in tiefer Verachtung ftand. Am längften
beharrte die wendifche Sprache; auf bem platten Lande tft fie noch im
ſechzehnten Jahrhundert häufiger als die deutſche geweſen; in einem Teil
der Laufitz hört man fie noch heute.
Auf ganz ähnliche Weife wie bei der Anlegung von Dörfern ver
fuhr man bei der Gründung neuer oder der Umwandlung vorhandener
ſlawiſcher Städte in deutſche. Ein ober mehrere Unternehmer kauften
vom Markgrafen ein Gebiet von 100-800 Hufen, das fie in ber Regel
der Feldmark eines ſchon beftehenden Dries hinzufügten. Ein Stüd
davon befam ber Hauptunternehmer vorweg für fi) als freies Erb-
eigentum, Dazu das erbliche Amt eines Stadt- oder Lehnſchulzen,
mit welchem, wie bei den Dorfichulzen, mandjerlei Vorrechte verbunden
waren. Die übrigen Stüde verteilte er an beutfche Anfiebler, die num
ihre Häufer und Buden darauf anlegten. Das Rathaus, das Kaufhaus
umd andere Kramläden hatte ber Stadtſchulze zu erbauen, dem es auch
zukam, die Stadt mit Wall und Graben zu umziehen. Die Befeitigungs«
werke waren anfangs wie die Häufer nur von Holz; erft feit 1250 er«
67} Innerer Zuftand der Mark unter den Ballenftäbtern,
hielten die Städte fteinerne Mauern und Türme. Mit Ausnahme bes
Schulzen hatte jeder Eigentümer für fein Grundſtück einen Zins zu
zahlen, von welchem ein Drittel an den Schulzen, zwei an den Landes
bern fielen. Diefelbe Teilung geichah bei den Gerichtsgefällen, denn
der Stadtſchulze war zugleich erblicher Stadtrichter.
Die Angelegenheiten der Stadt, insbeſondere die Polizei, die Matt:
ſachen und das Gemeindegut verwaltete ein Rat aus 12 Perfonen, die
von der Gemeinde gewählt wurden, und von denen alljährlid, ein Teil
ausſchied. Über die Ratsherren hatte mır der Markgraf, über bie
Bürger der Stadtrichter die Gerichtsbarkeit, die in den Schöffengerichten
ausgelibt ward. Alle Bürger waren frei und wehrhaft; fie felber hatten
ihre Stadt zu fehüßen und führten daher die Waffen eben fo gut wie
ihr Handwerkszeng. Sie fomten im "Notfall ihren Anteil an den
Rechten, welche Die Bevölkerung ber Mark befaß, gegen jedermann ver⸗
teidigen.
Es gab in Deutſchland verſchiedene Überlieferungen des Rechts,
hier galt fränkiſches Recht, dort flämiſches, magdeburger oder lübiſches;
in der Mark, deren Gründung ja von Sachſen geſchah, herrichte ſächſiſches
Recht. Aber ein und dasfelbe galt nicht für alle und jeben, vielmehr
richtete ſich jeder Stand nad) feinem befonderen Herfommen; die Städter
nad Stadtrecht, wie die Bauern nach Landreht und die Vaſallen nad)
Lehnsrecht. Alle diefe rechtlichen Gewohnheiten ſächſiſcher Weile wurden
erft in den Jahren 1215—1283 vollftändig aufgefchrieben, und zwar von
dem Ritter Eife von Repgow, in einem Rechtsbuche, welches der
„Sadjfenfpiegel“ Heißt. Da Tonnten die Schöffen ſich Rats erholen,
werm ihnen ein feltener Rechtsfall vorkam. Für gewöhnlich hatten fie
das Recht im Kopfe; in einfachen, ſchlichten Satzungen erbte e8 durch
mündliche Überlieferung von Water auf Sohn. ent, ‘vor aller
Augen faßen fie zu Gericht, der Richter und die Schöffen; unter Gottes
freiem Himmel. Der Richter war der Schulze; die Schöffen, gewöhnlich
7 ober 12, gewählte Grundbeſitzer; die Zeit ber helle Mittag; der Ort
im Dorf auf der Feldmark, in der Stadt vor dem Rathanſe. Ringsum
fand das Boll — der „Umftand" — mur durch eine Schnur von bem
Gerichtsplaß gefehteden. Saßen die Schöffen, und hatte ber Richter fein
Haupt bedeckt und ben Gerichtsſtab vor ſich gelegt, fo trat der Anwalt
des Klägers, der „Vorfprech“, in den Ring und brachte feine Sache vor.
Darauf wurden die Beugen verhört, und nun hatten die Schöffen das
Urteil zu finden, wobei manchmal, wenn fie feine rechte Entſcheidung
wußten, die Anficht des Umftands, als öffentliche Meinung, den Ausſchlag
gab. Der Richter verkündete ihr Urteil und forgte, daß es vollzogen
ward. Die Strafen beftanden je nad) der Schwere des Verbrechens in
‚Geldbuße oder dem Verluft eines Gliedes oder des Kebens, für ſchimpf-
. Die Stäbe. 23
liche Vergehungen in Staupenſchlag oder Brandmarfung. Beruhigte fi
jemand bei dem Urteile. nicht, fo konnte ev das Urteil. „jchelten“, d. h.
Berufung an einen höheren Gerichtsftuhl einlegen; ein Weg, der freilich
viel Zeit umd Geld koſtete. Als ſolche höhere Rechtsquellen ‚galten die
Schöppengerichte zu Stendal, Salzwedel, befonders aber zu. Branden-
burg, ferner das marfgräftiche Hofgericht zu Tangermünde. Selbſt von
diefem konnte man fi) noch auf das kaiſerliche Neichögericht berufen.
Urſprünglich ftand die oberfte Gerichtsbarkeit in der Mark, namentlich
über Blutſachen — ber fogenannte „Blutbann“ —, nur dem Markgrafen
gu; er. gebot ja bier anftatt des Kaifers und wie ein Landesfürft. Er
übte diefelbe entweder perfönlid aus — als Vorſitzer des „Hofgerichts"
— oder durch DVögte, bie den Landgerichten, durch die Lehnſchulzen, die
den Stadtgerichten vorjaßen. Kleinere Rechtshändel fchlichteten die Ge»
meinden in ihren Gerichtsfigungen ganz jelbftändig. Mit der Beit aber
tam am diefe auch das Obergericht, und namentlich die Städte erfauften
vom. Yärften den Blutbann; zum Zeichen bavon ftand dann. neben dem
Rathauſe eine „Rolandsfäule", ein fteinernes Bild mit einem bloßen
Schwerte in der Hand, ein Symbol, welches vielleicht eigentlich) auf das
„Rotland”, d. i. auf die rote Erde, den Ort des Blutgerichts, weiſen follte.
. Für die Städte ber Mark galt allgemein das Recht und die Ber-
faffung der Stadt Brandenburg, welche wiederum ihr Stadtrecht dem
magdeburgifchen nachgebildet hatte. Danach konnte jeder Bürger, ber
erblichen Grundbeſitz Hatte, in den Rat gewählt werben, alfo an ber
Verwaltung der Stadt teilnehmen. Es bildete fi) aber allmählich ein
Unterfchted zwifchen ben reichen und ben armen Bürgern; zu jenen ge—
hörten die größeren Grundbeſitzer und die wohlhabenden Kaufleute und
Gewandſchneider oder Tuchhändler; zu den anderen die Meinen Ader-
bürger und Die meiften Handwerker. Es kam nun der Mißbrauch auf,
daß nur die Reichen den Rat bejeßten und fo bie ganze Gemeinde be-
berrichten. Beim Aufblühen des Verkehrs, des Handels und Wandels
nahmen indes die Handwerker an Zahl und Wohlftand raſch zu, be—
gannen ſich zu fühlen und wollten ſich jene Zurückſetzung nicht gefallen
lafien. Ihre Innungen, Gilden und Gewerke eröffneten um die Beſetzung
der Ratsfellen einen Kampf mit den reichen Gefchledhtern, ber Jahr⸗
hunderte gewährt hat. Namentlich die vier vornehmſten Gewerke, die
Fleischer, Bäder, Schufter und Wollenweber, die „Biergewerke”, machten
den reichen Altbürgern viel zu fchaffen. Gegen ben äußeren Feind waren
doch alle einig.
Eo gab in den Städten Raum und Sicherheit für jebe Thätigteit,
einen Markt für jede Ware; aus dem Kleinhandel erwuchs mit ber Zeit
der Großhandel, der wieber den Gewerben mächtig emporhalf; und die
Bohlhabenheit gebar dann die Kımft und die Bildung. Diefen Segen
24 Innerer Zuſtand der Mark unter ben Ballenftäbtern.
verbreitete das deutſche Bürgertum überall, wo es ſich damals feſtſetzte,
in Pommern, Schlefien, Preußen, wie in der Mar. Auch waren alle
deutſchen Städte in den genannten Ländern einander ähnlich in Recht
und Berfaffung, und der Verkehr zwifchen ihnen brachte das Verwandte
in noch engere Verbindung. Denn ihr Handel war bereits fehr rege.
Der Reichtum des Dftens an näplicher Raturerzeugnifjen lockte den Kauf⸗
mann, fie gegen die Kunſtwerke des gebildeten Weſtens einzutauſchen.
Die Mark lieferte dazu hauptſächlich Tuch, Leinwand, Hopfen, Waib
(gum Färben der Tücher), femer Talg, Speck, Schixten, Honig, Wachs,
Getreide, Bretter; empfing von Pommern befonders Heringe, die Damals
an der pommerſchen Küfte jo ſtarken Bug hatten, daß man fie bisweilen
im eigentlichen Sinne des Worts mit Händen greifen fonnte; von Preußen
Bernftein, von Polen und Rußland Pelzwerk, von Halle Salz. Der &e
winn diefes Handels wurde freilich dur) die Unficjerheit mandjer Straßen,
noch mehr durch allerlei Zölle zu Lande und zu Waſſer vielfach ge
ſchmälert. Um biefe und ähnliche Hinderniffe zu befettigen und fich gegen
gemeinfame Feinde beffer zu jhüßen, traten ſchon zu Anfang des 14. Jahre
hunderts manche märkiſche Stäbte dem Hanfabunbe bei, welcher, 1241
von Libe und Hamburg geftiftet, in Burger Zeit die meiften Stäbte
Norddeutſchlands vereinigte. Die märkifchen bildeten darin mit ben
mecklenburgiſchen, pommerjchen, ſchleſiſchen zuſammen das jogenannte
wendiſche Duartier, deffen Haupt das mächtige. Lübeck war.
Noch blieb der Handel zum größten Zeile Tauſchhandel, aber das
Geld begann bereits auch bei ihm eine Rolle zu jpielen. Man rechnete
nad) Marten, Schillingen, PBfenmigen. Die Mark wog urfprünglid, ein
Pfund, und das Pfund Silber wurde zu 240, das Pfund Gold zu 960
Pfennigen ausgeprägt. 12 Pfennige machten einen Schilling aus. Das
Gold hatte den zwölffachen Wert bes Silbers. Alſo waren ein Silber
pfennig gleich 35 Pfennig unferes Geldes, ein Goldpfennig ober ein Silber
jchilling gleich 4 Mt. 20 Pf, ein Goldſchilling gleich 44 Mt. 40 Pf. die
Mark Silber (die fpäter nur die Hälfte, nur 16 Lot wog) gleich 84 Mk.
wobei .aber nicht zu überfehen ift, daß das Geld bamals dreimal mehr
Bert hatte als heute. Es war fnapper vorhanden, und es auf Binfen
zu leihen galt für verbammlichen Wucher. Man geftattete ihn nur dem
Juden, die, wie man meinte, ohnehin in die Hölle kämen. Dieſes Volk,
frübgeitig in Deutſchland eingewanbert, Iebte hier wie überall zerftreut
unter den Chriften und in großer Verachtung; doch wurde es reich durch
Kleinhandel und Geldgeſchäfte. Aber ber Reichtum ber Juden vers
mehrte nod) den Haß, den ihr Glaube und ihre Abfonderung ihnen zu⸗
gezogen; oft rettete fie nur der Schuß des Landesherrn. Denn fie ge-
hörten dem Könige als befien „Rammerfnechte” und mußten ein ſtarkes
Schutzgeld zahlen, an vielen Orten auch in beſonderen „Zubenvierteln“
Finanzen. 25
wohnen. Ohne Ehrenredhte, oft ihres Geldes beraubt und verjagt, kehrten
fie doch immer wieder und entihädigten ſich für alle Berlufte durch defto
rübrigeren Handel und Wucher. In der Mark hatten fie noch Die er-
träglichfte Stellung; in einzelnen Stäbten burften fie foger Bürger
werden und Käufer befigen, werm auch nur in befonderen. Stadtteilen.
Doc, waren ihnen auch hier gewiſſe Abzeichen und Kleider vorgeſchrieben.
Die Gerichtsbarkeit über fie hatte der Stadtrat, der gleich dem Mark:
grafen von ihnen ein Schubgeld erhob.
Mit dem Fortſchritt der Befiedelung und dem Wachstum ber Kultur
des Landes ftieg natürlich aud) deſſen finanzielle Leiftungsfähigkeit. Ohne
bebrüst zu werben, brachte es dem Markgrafen ſehr beträchtliche Ein-
tünfte. Sie beftanden, außer dem Grundzinfe, den gerichtlichen Bußen
und dem Münzregal, vorzüglich in dem Zehnten. Dieje Abgabe gehörte
zwar nad) dem alten Rechte eigentlich den Biſchöfen; da aber die bran⸗
denburgiſchen Markgrafen die Kirchenfprengel von Havelberg ımd Bran-
denburg erft hatten den Wenden mit dem Schwerte wieber abgewinnen
müfſen, fo beanjpruchten fie von den Biichöfen auch einen Lohn dafür
ud zogen den Zehnten an fi. Derfelbe wurde aljo von den Ader-
bürgern und Bauern an fie geleiftet, anfangs in natura, fpäter ftatt der
Garben und des Vieh in Geld. Auch die Wälder und Gewäffer, bei
den alten Deutſchen ein Gemeingut, gehörten im Wenbenlande nad) dem
Rechte der Eroberung dem Markgrafen. Für ihre Bemupung erhob er
den „Holgpfennig“, von den Fiſchern den „Rahnzins". Die Land- und
die Bafferftrafen trugen ihm mancherlei Warenzölle. Diefe feften Ein⸗
nahmen reichten indes nicht hin; die unaufhörlichen Kriege, die Stiftung
und Ausftattung von Kirchen und Klöftern, die Pracht des Hofftaats
Bofteten viel Geld. Um nun auf einmal größere Summen zu befommen,
verpfändeten oder verkauften die Markgrafen oft ihre Einkünfte für ein
Pauſchquantum an Städte oder Private. Noch lieber wanbten fie ſich
bittweile an das Sand, beriefen, wie es überall in Deutſchland Sitte
war, ats defien Vertreter die drei Stände, nämlich die hohe Gelftlichfeit,
den Lehnsadel und die ftäbtiichen Behörden, zu einem Landtag zu-
ſammen und ftellten ihre Rot vor. Die Geldſumme, weldye die Stände
darauf bemwilligten, hieß zum Zeichen, daß fie freiwillig gegeben ward,
Bede (Bitte). Die Markgrafen kamen aber mit ihren Beben jo oft,
daß die Bafallen und Städte im Jahre 1280 mit ihnen diefe Abgaben
ein für allemal regelten; das platte Land zahlte danach für jede Hufe
guten Aders jährlich, zwei Schillinge; ebenſo gaben die Städte jährlich
eine beftimmte Summe.
Einen großen Teil der markgräflihen Einnahmen verſchlangen die
Höflinge, Die Dienerichaft des Markgrafen. Sie war fehr zahlreidy; denn
obwohl der Dienftmann oder Minifteriale durch den Hofbienft feine
26 Innerer Zuftand ber Mark unter den Ballenftäbtern.
perjönlidye Freiheit einbäßte, fo. drängte ſich der Adel doch zu diefer
Stellung. . Ein fürftlicher Dienftmann genoß nämlich fehr viele und große
Vorteile. Für geringe Mühe — etwa ein paar Monate im Jahre eins
der marfgräflichen Schlöffer verwalten zu helfen. oder dem Fürften per«
ſönliche Handreichungen zu leiften — erhielt er ein Hoflehen, entweder
ein. Orundftüd ‚oder gewiſſe Landeseinktümfte, zum Lohn. Und dann, war
‚nicht. das ‚Hofgefinde immer um ben Fürſten? bildete es nicht feine Rats
geber? Es hatte-alfo viel Anfehen und Einfluß im Staate; es konnte
ſich auch bei. der Verwaltung ‘der Amter und beſonders beim Einziehen
der Steuern leicht. bereichern. So geſchah es in der That, daß bie
Minifterialen. gewöhnlich bald ſehr wohlhabend wurden; viele erfauften
fid) dann von ihrem Gern die Freiheit und hießen „Freiherren“, gleich
anderen abligen ‚ober bäuerlichen Befigern. Aus jolhen Hofdienern ift
der. größte. Teil des heutigen Adels in. der Mark, wie im übrigen
Deutſchland entjtanden. Die oberften Minifterialen waren der Truchſeß
(Drofte) oder Küchenmeifter, ber Schenk oder Kellermeifter, ver Marſchall,
der die Aufficht über die Pferde und Waffen führte, nnd der Kämmerer.
Der letztere hatte das wichtigfte Amt; denn er ſorgte nicht bloß für
Wohnung und Kleider des Fürften, fondern war auch defien Schapmeifter,
nahm daher manden Anteil an ben Regierungsgeſchäften, zu denen ja
vorzüglich aud) die Geldjacdyen gehörten. Die Schreibereien wurden von
den Hoffapellanen und Hofnotaren beforgt. Andere Beamte waren bie
Schlokuögte und Hauptleute, geringer Die Heibereiter oder Forſtmeiſter,
die Landreiter ober Steuereinnchuer, die Münz⸗ und die Mühlermeifter.
Dberfter Kriegsherr und oberfter. Richter, Stellvertreter eines Kaifers;
der nie in das Land kam, im Befiß einer Macht, bie immerfort wuchs,
Tonnte der Markgraf den Seinigen wahl wie ein König erſcheinen. Auch
darin glich er dem höchſten Gewalthaber, ar deſſen Stelle er bier fand,
daß er in der Mark, wie jener im beutjchen Reich, überall umherzog
und nad) dem Rechten jah. Eine feite markgräfliche Refidenz gab es
nit. Die Stadt Brandenburg war zwar Die vormehmfte, gleichjam die
Mutter der anderen. märkifchen Städte im Often der Elbe, von ihr hatten
fie ihre Berfaffung, wie das Land den Namen. Auch war fie im Jahre
1170: auf einem von Dito I. zu Havelberg gehaltenen „Botdinge” ober
Gerichtslandtag feierlich zur Hauptftadt der ganzen Mark erflärt worden.
Aber die Markgrafen nahmen in ihr doch nur zuweilen Wohnung; fie
erfhienen mit ihrem zahlreichen Gefolge bald hier, bald ba auf den
einzelnen Hofftätten, ben Schlöffern, deren fie eine große Menge. bejaßen.
Auch die Klöfter mußten ihnen oft Herberge und Bewirtung geben. -
Neben dieſem vielgliedrigen Leben ber weltlichen Stände kam die
Geiſtlichkeit in der Mark nicht ganz zu der Bebeutung, welche fie andere
wärts hatte. Hier war die Iandesherrliche Gewalt des Fürften von Ans
Die Geiftliäeit. - - 27
fang an-fo feftgegründet, daß die Macht der Biſchöfe, die von jenen
erft eingeführt worben, ſich mit ihr nicht meſſen konnte. Die Bifchöfe
blieben für ihre weltlichen Befigungen dem Markgrafen verpflichtet, der
es auch in feiner Hand hatte, ihre Einkünfte und Güter zu beeinträchtigen
oder zu vermehren. ‚Eine andere Schranke fand der Biſchof an feinem
Domkapitel, ber Beamtenſchaft des Hochſtifts; dazu gehörten ber Dom-
propft und mehrere: Domberren, unter denen ber Küfter (Auffeher der
Kirchengebäube), ber Kellermeifter, Schufnteifter, Spittelmeifter Die vor—⸗
nehmften waren. Das Domtapitel wählte den Biſchof umd nahm an
der Berwalturig bes Kirchengutes teil. Die Kirche war reich; auf dem
Todbette vermachte ihr fo: mancher, ſeine Seele zu retten, den beften Zeil
feiner irbifchen Habe. Biele Schenkungen wurden beftinimten Zwecken,
zu Soelenmefjen, der Kraukenpflege, dem Schulunterricht, gemwibmet.
Die Klöfter in der Mark gehörten meiftens den Drben ber Prä-
monftratenfer und der Ciſtereienſer an; fie machten ſich um die Bes
kehrung, die letsteren auch um den Landbau hoch verdient. Weniger
mäßtese die Franzistlaner und Dominkkaner. Ste waren fpäter eingewandert
(eit. 1262) und nährten fich ihrer Ordensregel gemäß vom Betteln.
Daher wohnten: fie fat nur in Städten, — ‚die Franziskaner oder Grau-
möndhe beſonders in Stendal, Salzwebel, Brandenburg, Berlin, Prenzlau;
die Dominikaner ober Schwarzmönde in Seehaufen, Köln, Ruppin u. a.
Jene zeichneten ſich Durch volfstümliche Berebfamteit, die freilich oft in
Roheit und Gemeinheit verfam, dieſe durch eine gewiſſe Gelehrſamkeit
aus. Bornehmer waren bie Rittermönche, die Templer (3. B. in Tempel
of), Die Johanniter, die Deutfchherren, die letzteren ſehr wenig vertreten.
Mit dem Wachstum der Städte und Dörfer’ mehrte ſich gleichzeitig
die Zahl der Kirchen und ihrer Priefter, ber Pfarrer, Vilare und Meß—
priefter, die zufammen ben Stand ber „Weltgeiftlichkeit* ausmachten. Ami
zahlreichften waren bie Beßpriefter. Denn jeber, der es konnte, ließ
gern für fein oder der Geinigen Geelenheil Meffe leſen; ſelten fehlte in
einem Teſtamente eine Schenkung zu Diefem Behufe. Der Tirchliche
Sim ber Zeit liebte überhaupt äuferliche Beichen ber Frömmigfett:
Babllofe Heilige wurden verehrt, und jeber hatte feinen beſonderen Feft-
tag, an dem man ibm feierte, fo daß es im Jahre mehr Leit: als
Berteltage gab.
Um bie Gelehrſamleit und Bildung ber Geiſtlichkeit, daher auch um
das Schulweſen in ber Mark ſah es im ganzen übel aus, hauptſächlich
wohl, weil hier Beneiktiner fehlten. Nur wenige Möfter, am erften noch
die Ronnenfiöfter, enthielten Schulen und Bibliothefen. Mehr geiftige
Thätigkeit. war an den Höfen der Markgrafen zu finden; bier pflegte
man aud) die Dichtkunft, welche in Suddeutſchland damals bie fhönften
Blüten trieb. Die Zunge des Minnegefanges war denn aud) das
28 Brandenburgs Berrüttung.
Oberdeutſche (ober Hochdeutſche). Sonſt herrfchte in der Mark allgemein
die niederſächfiſche Mundart, von welcher das Heutige Plattdeutſch ab-
ftammt. .
Brandenburgs derrüttung ·
Kaum erſcholl bie Nachricht von Waldemars Tode, da fielen von
allen Seiten die ‚benachbarten Fürften wie Raubtiere in das verwaiſte
Rand; jeber griff zu und nahm an Rechten und Gütern, was ihm zus
nãchſt lag, unter guten ober ſchlechten Vorwänden. Die Medienburger
tiffen die Priegnig und ein Gtüc der Uckermark an fich, die Pommern
nahmen die übrige Uckermark und das. weftliche Pomerellen, ber Herzog
von Glogau zog Krofien, Züllichau, Schwiebus ein, der König von
Böhmen die Oberlauf Um den Reſt ftritten fi andere; "namentlich
erhoben die den Ballenftäbtern verwandten askaniſchen Fürften von Anhalt
und Sachſen Anſpruch auf das Erbe. Auch die Großen unter ben
Märkern jelbft fuchten im Trüben zu fiichen, überall war Unordnung und
Bwiefpalt. Gerade jept hätte bie Mark des Kaifers bedurft. Aber es
traf fi, daß im Reiche eine ähnliche Anarchte herrfehte; dort ftritten zwei
Gegentaifer um die Krone, ber Baiernherzog Ludwig von Wittels-
bad) und Herzog Friedrich von Oeſterreich. Endlich fiegte der Baier,
und bie Schlacht bei Mühldorf entſchied auch das Echicjal der Marl
und endete deren Interregnum. Der Kaifer zog fie als erlebigtes Reichs⸗
lehen ein und belehnie damit im Jahre 1323 feinen älteren Sohn
Ludwig. So gelangte hier nun das wittels bachiſche Haus zur Herr-
ſchaft. Aber es brachte. nur neues Unheil her. Brandenburg ward, wie
es Nebenländern zu gejchehen pflegt, fremden Intereſſen untergeorbnet
und hat durch die Fehler und Unfälle der bairiſchen Politik ſchwer ges
litten, ohne aus deren Erfolgen Nutzen zu ziehen.
Der neue Markgraf war minderjährig und ftand unter der Bors
mundichaft des Kaifers; als dieſer nun in einen erbitterten Streit mit
dem Bapfte geriet, da fiel Roms Bannftrahl auf Vater und Sohn, und
ber Streit der Welfen und Gibellinen, der Päpftlichen und Kaiferlichen,
der Deutſchland und Italien verheerte, ergriff auch die Marken; zu
den Fehden mit ben Nachbarfürften kam noch der innere Parteikampf.
Bugleih brachen auf den Ruf des Papſtes (1325) die Bolen ins Land
und verwüfteten wie Türken und Tataren mit Mord und Brand die
deutſche Pflanzung bis zur Oder. Jammernd flüchteten die unglücklichen
Neumärker, jo viele ihrer ben wilden Horden entronnen waren, über den
Fluß in die Städte ber Mittelmark. Auch nad) Berlin fam ein Zug
biefer Armen, beren Elend eine furchtbare Anklage gegen den undhriftlichen
Bapft war. Der Anblid entflammte. die Berliner zur Wut; fie rotteten
Subıntg I. 2
fi zuſammen, ſchlugen einen befonbers verhaßten Führer der Päpftlichen,
der gerade in ihrer Stadt verweilte, den Propft Nikolaus bon Bernau,
tot und verbrannten die Leiche auf dem Plage des Hochgerichts, auf dem
Reuen-Markte. Dafür verhängte der Papft über die Städte Berlin und
Köln das Interdikt: aller -Gpttesdienft ‚hörte Hier alfo auf; Jahre lang
ertönte hier feine Kirhenglode, ohne Sarg und Klang fuhren die Toten
ins Grab, ohne priefterlichen Segen traten die Brautleute in bie Che,
ohne Taufe die Kinder ins Leben. Mit ſchwerem Gelde ward dann
(1336) der Papſt verföhnt; ein befonderer Aftar in der Marienkirche,
wo immer Geelenmefien für den Erſchlagenen gehalten wurden, am Orte
ber Blutthat ein fteinernes Kreuz mit: einer ewigen Lampe erinnerten
noch die Nachtommen an ben wilden Zorn ber:Bäter und an die Rache
der Kirche.
Auch die Frankfurter verftelen dem Batın und Interbift. Denn als
fie die polnifchen Mordbrenner verjagt hatten, zerftörten fie dem Biſchof
vom Lebus, der jene gerufen, Haus ımd Kirche, fleckten ihn ins Gefängnis
mb vertrieben alle Priefter, die e8 mit Rom hielten. Um des Papftes
Flüche kummerten fie fi) werig; erft nach 28. Jahren (1354) Löften fie
Bar und Interdikt durch Geld ab.
Der ſchandliche Mißbrauch, den der Papft mit feiner geifilichen
Macht trieb, öffnete auch anberwärts vielen Leuten die Augen. Die
öffentliche Meinung in Deutichland, bisher jehr geteilt, wandte ſich jetzt
einmätig gegen ihn. Die großen Reichsfürften, denen nach dem Her⸗
kommen die Wahl des Kaifers zukam, erflärten im Survereine zu Renfe
(1338) feierlich, daß der Papft ſich in die ſtaatlichen Angelegenheiten
bes Reiches nicht zu mifchen habe. Daffelbe verfündeten dem Volle auf
dem Lande ımb in ben Städten die Franziskaner, die, gerade mit Rom
zerfallen, der öffentlichen Meinung jetzt als wirkſamfte Wortführer dienten.
Katfer Ludwig atmete freier auf; auch ber Markgraf kam wieder zu
größerem Anſehn, wenn er auch einen Teil ihres Raubes den Nachbarn
laffen mußte. Aber bald entzündete die Länderfudht der Wittelsbacher
einen nenen Bürgerkrieg in Deutichland, der auch der Mark wieber tiefe
Wunden ſchlug. Mit Hilfe der Luremburger, bamals des mächtigften
inter den beutfchen Fürftenhäufern, das in Lothringen reich begütert
wor und über Böhmen herrſchte, Hatte einft Ludwig ber Baier ben
Kaiferthron beftiegen; jeßt vergalt er ihnen ſchlecht. Er entriß ihnen
Zirol, indem er 1842 die Erbin biefes Landes, Margarete Maultafd)*),
die mit dem jungen Johann von Luremburg eine unglückliche Ehe führte,
von ihrem Gatten fchied und an feinen Sohn, den Marfgrafen, vers
heiratete. Da fpaltete ber Bannſtrahl des Papftes Deutſchland aber-
So genannt nach ihrem Geburtsort, einem Schloß in Tirol,
30 Brandenburgs Berrüttung.
mals in zwei Heerlager, und die Luremburger erhoben offenen Aufruhr.
Böhmifche Heere verwüfteten mım die Mark, die ohne Rupen 20000 Met
Silbers als Erſatz für Tirol opferte. ‚Endlich ftürzte gar ein jäher Tod
ben Kaifer vom Throne (1347), und die deutſche Krone, die ihm Karl
von Luremburg nicht hatte abringen fönmen, fiel‘ dieſem jeßt von felber
zu. Gin: anderes, nod) weit- weniger erwartetes Ereignis, rin wahres
Wunder, ſtieß bald Darauf and) in ber Mark die wittelsbachiſche Herr-
ſchaft um.
Markgraf Ludwig J. „der Ältere” (1323—1851), hatte die Liebe
der Brandenburger nie gewonnen. Gr war ein ftolzer Herr, der ihnen
anfreundlid) begegnete umd bei jeder &elegenheit zeigte, wie hoch er Vaieru
and Tirol und wie gering ex die Mark jchyktte.. Selten: weilte er unter
ihnen, und wen er fam, fo mochte er ihre Klagen und Anliegen nicht
hören; aber immer forderte er Geld und verwendete, was er erhielt, faft
nur zu feinem eigenen Rupen. War ein -Hofamt, eine Vogtei, zu ver⸗
geben, fo befam es ein Baier oder Tiroler; ber märkiſche Adel mußte
zurüdftehen. Wären nun -wenigftens- die Angelegenheiten des Staates
gut -gegangen; aber Ludwig griff. alles Halb an, er war Teichtfinnig,
ſorglos, ohne Ausdauer und Thatkraft; ſo konnte umter feinen Händen
nichts gedeihen. Bier und zwanzig. Sahre Hatte er nun bie Markgrafſchaft
inne, und was hatte er geleiftet? Das Land war zerſtückelt, verpfändet,
ganze Gebiete — die Mark Landsberg und die Pfalz Sachſen an Meißen,
die Oberlaufig an Böhmen, andere Teile an Mecklenburg md Pommern
‚verloren; ‚auch die Ehren des Stants verkürzt; hatte er doch, von ben
Bommern mehrmals befiegt, zulegt auf bie. Lehnshoheit über thr Land
zerzihtet und fid) mit der Ammartiheft‘begtfigt. - Und wie jah’s im
Imern des Landes aus! weite Strecken in den langen Fehden verödet,
‚viele Dörfer und Ortichaften niebergebrannt, andere verſchuldet und ver⸗
‚amt; auf: den Landſtraßen und in feſten Schlöffern verwegene Raub-
ritter, das Fauſtrecht im-Schwange, durch den Bann auch in der Kirche
Verwüſtung; überall Not und Aufregung. Wie anders war's zur Zeit
‚der Väter unter den Ballenftädtern, unter dem glänzenden Waldemar;
da war Brandenburg mächtig und angejehen, in Ruhe und Ordnung,
Wohlſtand und Glück. So feufzten ſehnſüchtig die. Märker. Da ſcholl
urplötzlich, erſt leiſe und unſicher, dam immer lauter und beſtimmter
«ine wunderſame Kunde durch das Land: Markgraf Waldemar, der
‚Große und Gute, fei wieder da, fei nie geftorben und begraben, eine
andere Leiche habe man zum Schein ftatt feiner in Chorin beigefeßt, er
ſelbſt aber fei heimlich eine Sünde zu büßen (weil er zu nahe mit feiner
Frau verwandt gewejen) nad) Jeruſalem gepilgert und nun wieder ge
kommen, feine Märker von aller Not und allem Elend zu erretten. Der
Erzbiſchof von Magdeburg und die-asfanifchen Fürften von Anhalt und
„Der falſche Waldemar. 3
Sachfen hefräftigten. es; fie führten einen: bejahrten Mann mit fic) in die
Mark, der, im Frühling 1348 in Pilgertracht am Hofe des Erzbiſchofs
zu Wollmirftädt erſchienen, an- feiner Geftalt "und. an einem Siegelringe
als der echte Waldemar erfiumt worden war, fir dei. er fid) ausgab.
Des brandenburgiſche Volt jubeite hoch anf; mit. wehenden Yahmen unb
Hingendem. Spiel zog es ihm allerorten eittgegen, ben geliebten Herrn
felich eimzuholen, und er feinerjeits teifte uberali als Lambesfikft frei-
gebig urkundliche Rechte umd Freiheiten aus. Nur wenige Städte blieben
dem Baiern treu, darunter Briezen,. das Ludwig dafür durch ben Namen
Treuenbriezen ehrte. Wie fat die ganze Mark, jo erflärten ſich auch die
benachbarte Fürften für. bie Echtheit des gleichjam vom Himmel Ge—
felfenen; niemand aber bereitwilfiger als Katjer Karl IV., der raftiofe
Feind_der Wittelsbacher. ' Nachdem viele. Fürſten und Ritter, auch ſolche,
die eiaft dent Markgrafen Waldemar perſönlich nahe’ geftanden, die Echt⸗
beit des Maunes' beichworen, belehnte .ihn der. Katfer.mit dev Mark und
bedrohte alle diejenigen mit der Reichsacht, die Waldemar nicht aner-
lennen wůrden. Dafür trat dieſer bie Laufthz an Böhmen’ ab und ſetzte
zugleich die Askanier zu feinen Erben in der Mark ein Oltober 1348
im Lager zu Heiners dorf).
Bergebens behauptete die bairiſche Partei, es webe ein frahes
Gaufelipiel getrieben, ‚man. habe einen dem verftorbenen Markgrafen
Baldenar ähnlichen Mann (e3 foll ein Müller aus Hunbeluft:bei erbft
Namens. Jakob Rehbock geweſen fein) zu biefem Betruge angeſtiftet.
Mit feinen Einreden abgewieſen und unfähig mit ben Waffen etwas
Gözurichten, ſuchte mın Ludwig den Gegnern in’ ähnlicher Weiſe -beizu-
Iommen, als ihm gefchehen war; er und feine Freunde ftellten:tn der
Berjon des Grafen Gimther von Schwarzburg einen” egenfaifer auf.
Dies wirkte. Günther ftarb zwar bald darauf, aber Karl TV. zog es
doch vor, fi) mit ‚ben gefährlichen Wittelsbachern auszuführen und be
dachte ſich feinen Angenblid, feinen Markgrafen Waldemar als Sühtt-
opfer preißjugeben. Er erklärte, fich geirrt zu haben, und belehnte nun
wieder (4850) Ludwig mit der Mark. Diefer fand inbes an ſeinem
wiedergewonnenen Befkgtum noch weniger Freude als vorbent, übergab
es 1358 feinen Brüdern Ludwig II. und Otto und zog fi nach Batern
zurüd.
Ludwig II. ober, wie er nach dem Orte feiner Geburt hieß, der
„Römer“ (1351-1366) war von ernfter, kraͤftiger Sinnesart; thätig und
gewandt fehte er ben Kampf gegen ben faljchen Waldemar fort, brachte
die Fürften von Pommern und Magdeburg dur) Landabtretungen, ben
Herzog von Sachſen durd) Geld auf feine Seite und nötigte fo die Fürften
von Anhalt, die mn allem noch Waldemars Partei hielten, fich ebenfalls
mit Geld abfinden zu laffen; Waldemar mußte auf die Mark verzichten
82 Brandenburgs Serrüttung.
(1355). Er Iebte feitdem in Deffan bei dem Fürften von Anhalt; bort
ftarb er auch und warb tm fürftlichen Erbbegräbnis beigefeßt (1357).
Ob er der falfche oder der rechte gemejen, das tft bis auf biefen Tag
mit Sicherheit noch nicht ermittelt; wahrſcheinlich aber, daß er ein Be
trüger, ein Werkzeug Kaiſer Karls geweſen. ebenfalls Hatte fein Auf
treten die Leiden des unglikflichen Brandenburg nur vermehrt, ber
Parteiwut, dem Kriege, den Ränbereien neue Nahrung gegeben und zu«
legt nur den Nachbarn genüßt. Den größten Gewinn machte dabei der
Herricher Böhmens, ber zugleich das beutiche Kaiſertum ausbentete.
Karl IV., fo habſüchtig wie fchlau, war mit der Lauſitz, bie er bis zum
Jahre 1368 vollftändig an ſich brachte, noch bei weiten nicht zufrieden;
er warf feine Nee auch nad} ber übrigen Mart aus. Es kam ihm babet
zu ftatten, daß bie Wittelsbacher nicht, wie einft die Ballenftäbter, feft
zuſammenhielten, vielmehr ſich ſelbſt durch Unfrieben ſchwächten. Der
erſte Zwiſt entbrannte unter ihnen, als ber Kaiſer durch bie „golberre Bulle*
1366 an Brandenburg eine Würde erteilte, die er bem Herzogtum Baiern
verſagte. Jenes Reichsgeſez — nad) der goldenen Kapfel, bie das
Siegel der Urkunde enthielt, fo benannt — ordnete Deutfchlands ftaate
liche Verfaffung und Hat ihr Jahrhunderte lang als wejentliche Grund⸗
lage gebient. Den Hauptinhalt der goldenen Bulle bildeten fefte Beftim-
mungen über die Königswahl und über die Redyte und Pflichten der
Kurfürften. Die Kurwürde hatten danach folgende Fürften: drei geift-
liche, die Erzbifchöfe von Mainz, Trier, Köln, die zugleich Erzkanzler des
Reichs waren, und vier weltliche, der Pfalzgraf vom Rhein (Erztruchieß),
der Herzog von Sachjjen-Wittenberg (Erzmarfchall), ber König von Böhmen
(Erzmundichent), der Markgraf von Brandenburg (Erzkämmerer). Diefe
fieben Säulen des Reichs erhielten den Rang vor allen übrigen deutſchen
Fürften, ja fie follten den fremden Königen an Würbe gleich geachtet
werden; aber fie wurben auch durch fehr wefentliche Vorrechte aus»
gezeichnet, denn fie befamen bie höchſte Gerichtsbarkeit in ihren Ländern
und unbeichränktes Recht über Die Bergwerke, die Münze und die Juden.
So fand ihre landeshertliche Gewalt gejekliche Beftätigung und erheb-
lichen Zuwachs, während der Kaifer, der nunmehr in den Kurfürften-
tümern nur noch wenig zu fagen hatte, die Reichsſachen nur mit dem
Beirat der Kurfürften entfcheiden durfte.
Die Eiferfucdt, welche die Rangerhöhung der Brandenburgifäien
Wittelsbacher bei den bairifchen erregte, dann nach Ludwigs des Alteren
Tode (1361) ihren Haber über das Erbe bemußte der Böhme, um bie
Markgrafen jo aufzuhegen, daß fie 1363 in einem Erbvertrage die An—
wartſchaft auf das Land an ihn und nicht an Baiern erteilten. Zwei
Jahre darauf ftarb Ludwig der Römer, und nun konnte Karl IV. feine
Beute noch viel enger umſtricken. Denn felten bat es einen fchlafferen,
Karl IV. 33
nichtönußigeren Yürften gegeben, als Otto „der Yaule“ war, der nun
von 1365—73 in der Mark den Kurhut trug. Ein lieberlicher Ber-
ſchwender und Feind jeder Arbeit, gab er für Geld dem Katjer feine
eigenen und des Landes Zatereffen preis. Erft als dieſer geradezu den
rechtlichen wie ben thatjächlichen Befi der Mark. forderte, fchien ich ber
Zaule zu ermannen; aber von einem- ftarten böhmifchen Heere angefallen,
mußte er fi fügen. Im Bertrage zu -Fürftenwalbe 1373 trat er
dem Kaifer und defien Sohne Wenzel die Mark ab; dafür erhielten die
Wittelsbacher von Karl IV. 500 000 Goldgulden {etwa 5 Millionen Mark),
Dito ber Faule außerdem einige Schlöffer uub Städte in der Oberpfalz
nebft einem Jahrgehalt.
Die Brandenburger Tonnten froh fein, daß fe bie bairifche Herr⸗
ſchaft 188 waren; aber bie ‚neue, die luxemburgiſche, erwies fich - bald
noch fchlimmer. Zwar, fo lange Karl IV. (als Vormund bes Mark-
grafen Wenzel) fie handhabte, ließ fie fid) gut genug an. Er hatte, fo
verwerflich auch die Mittel waren, durch die er die Mark erwarb, doch
einen wahren Beruf zum Herrichen; denn ein Land in Ordnung und
Blüte zu bringen, das verftand er wie wenige. Er war fein Held, aber
ein Huger Staatsmann und von vielfeitiger Bildung, ein Freund der
Biffenfhaft und Kunft. Der Ehrgeiz feines Lebens war es, ein großes
Inremburgifches Reich von der Adria bis-zur Dftfee zu gründen, ein
Ziel, dem er nun ſchon nahe ftand. Denn außer ber Laufiß und der
Mark hatte er auch Schlefien mit feinem böhmifchmährifchen Reiche ver-
einigt. Aber feine Staaten follten aud) die glüclichften, für das Wohl
der Unterthanen am beften eingerichteten fein. Wie Böhmen unter feiner
weifen Verwaltung bereits herrlich aufgeblüht war, fo follte es mın auch
die Marl. Er ward ihr in der ZThat- ein rechter Landesvater. Mit
feinem Erſcheinen kehrte Friede und Ruhe zuräd; ber mächtige Kaifer
fhredte, den verwilderten Abel und die raubgierigen Nachbarn. Als
Grundlage jeber geordneten Verwaltung ließ er ein ‚Landbuch ber Mart*
anfertigen, in welchem alle Grundftüde, Erträge, Einkünfte, Abgaben
und andere ftatiftifche Thatfachen verzeichnet waren; es ift noch jeßt
vorhanden und ein ſchönes Denkmal feiner Ordnungsliebe. Sodann
half er menigftens den fehreiendften Mißbräuchen ab, er ließ die Wege-
lagerer an den Bäumen der Landftraße aufhängen, ftellte die zerrüttete
Rechtspflege wieder her, hob den Handel, deſſen befonberer Freund er
war, indem er bie Schiffahrt auf der Elbe und Oder erleichterte. Diefe
beiden Zlüffe, von der Natur ſchon zu Handelsſtraßen geſchaffen, erjah
er fi) als bie Lebensadern feines Reiches. Sie ftellten ihm bie Ver-
bindung mit der Oſt- und Nordfee her. Für ben einen Weg war
Frankfurt a. D. der Hauptftapelplag, für ben andern follte es Tanger⸗
münde an der Efbe fein. Hier hielt fi Karl am liebſten auf, wem er
Vierlon, preub. Geſchichte. L
34 Brandenburgs Berrüttung.
in die Mark kam; bier verewigte er fich auch durch glänzende Bauten,
ein prächtiges Schloß, das Rathaus, eine Kirche, das Kollegiatftift. Mit
der Hanja, befonders mit dem Haupte berfelben, dem mädjtigen Lübeck,
knüpfte er den freunbfchaftlichiten Verkehr an; ein Handelsbund follte
Deutichland, zunächft den Dften, unter luxemburgiſchem Zepter vereinigen.
Denn bei allem feinem Streben kam es ihm doch in erfter Linie auf die
Wohlfahrt und Größe feiner Dynaftie an. Aber diefe raftloje und nach⸗
drüdliche Thätigkeit für die Mark war faft nur wie ein Lichtblid durch
Wollen, die ſich raſch wieber zum alten Dunkel fchloffen. Schon 1378
mit Karls IV. Tode endete die befiere Zeit, Die unter der neuen Herr-
ſchaft anzubrechen fchien.
Nach dem Willen des Verſtorbenen kam nun das Hauptland,
Böhmen, an Wenzel, die Mark an defien Bruder Sigismund (1878
bis 1415). Er war nod ein Knabe, da er Kurfürft wurde. Wie er
heranwuchs, zeigte er manche glänzende Eigenſchaften. Sigismund war
ein ftattlicher Ritter, ein geiftreicher Redner, immer voll hochfliegender
Pläne, die er leidenſchaftlich ergriff, aber bald wieber fallen ließ; ftetiger
ruhiger Sinn mangelte ihm; amt mwenigften hatte er Luft und Talent, in
georbneter maßvoller Thätigkeit ein Land glücklich zu machen. Nun gar
bie Mark mit ihren ſchweren Schäden aus ber witielsbachſchen Zeit unb
ihren engen Grenzen; das fchien ihm kein Feld, würbig feines Ehrgeizes.
Ein großes Reich mit einer Königskrone, Polen ober Ungarn, am liebiten
beide, erftrebte er. Durch Heirat ward er 1387 auch wirklich König
von Ungarn, und nun fümmerte er fi) um Brandenburg noch viel
weniger. Er kam kaum je einmal dorthin, und dann nur um ben
Ständen Gelb abzudringen ober einzelne Befigungen zu verpfänden. Denn
feine auswärtigen Unternehmungen und feine verſchwenderiſche Hofhaltung
Tofteten ungeheure Summen. Buleßt verpfändete er für 560000 Gulden
jelbft das Kurfürftentum an feinen Better, Jobſt (Jodokus) von Mähren
(1388—1411), der 1397 auch die Belehnung damit erhielt, und verkaufte
1402 für 140000 Gulden die Neumark an ben beutfchen Orden. Mit
dem übrigen Brandenburg fehaltete dann auf ähnliche Weiſe Zobft; er
feste Statthalter darüber, die thun mochten, was fie wollten und konnten,
wofern fie ihm nur möglichft viel Geld herſchafften. So verfielen denn
die Schöpfungen Karls IV., ehe fie noch hatten recht Wurzel faflen
können, und die alten Plagen — bie Fehden mit den Nachbaru und
das Yauft- und Raubweſen des Adels — kamen ärger denn zuvor über
das Land.
Bei einem folhen Regiment, wie es faft ein Jahrhundert lang
durch Wittelsbacher und Luremburger hier gehandhabt wurde, mußte die
Mark äußerlich und innerlich verkümmern. Wenn fie nicht ganz zugrunde
ging, wenn ihre Buftände, zum größten Zeil entartet, doch in einigen
Die Stände. 35
Beziehungen die Blüten aus der ballenftäbtifchen Zeit bewahrten, ſo war
dies nicht das Verdienſt jener Herricher, fondern ihrer Vorgänger und
des Volles, Denn darauf beruhte der altdeutiche Staat, daß ſich jede
Gemeinde felber verwaltete, und der Landesherr nur Die allgemeinen
Angelegenheiten beforgte. Daher kam es, baß ein fchlechter Fürft zwar
den Staat als Ganzes ſehr beihäbigen konnte, das Leben der Teile
aber darum noch nicht verdarb. Die Sonberweien im Staate, vor=
nehmlich bie großen Vafallen und die Städte, fchloflen ſich, jedes in
feinem Kreife, nur defto fefter zufammen; ein jeder verwahrte ſich gegen
das Unwetter ber Beiten, fo gut er konnte; und da ihm der Staat nicht
half, fo half er fi nad) Kräften felber, oft auf Koften des Ganzen oder
ichmwächerer Staatsgenofſen. So ging es auch in Brandenburg unter den
wittelsbachſchen und luxemburgſchen Markgrafen. Da fie ihre Pflicht
als Schüper ber Einzelnen nicht erfüllten und die Mittel des Staats
veruntreuten, jo fuchten die Stände ihnen möglichft wenig Macht in
die Hände zu geben und an fid) felber die Iandesherrliche Gewalt zu
bringen, die doch ausgelibt werden mußte. Als Mittel dazu benußten
fie die ftete Gelbnot der Markgrafen. Willkürlich Die Unterthanen zu be
feuern, das betrachtete man nad) alten deutſchen Nechtsbegriffen als
Raub; jede Steuer beruhte auf gegenfeitiger Übereintunft. Natürlich
konnte es den Ständen nit in den Sim kommen, einem reblichen
Fürften für nötige und nüßliche Zwecke die Geldbeihilfe zu verfagen;
aber den Wittelöbachern und Luremburgern "gegenüber, wie fie in der
Mark wirtichafteten, hielt man den Geldbeutel feft. Da diefe nun ohne
immer neue Beben nicht beftehen Tonnten, fo ließen ſich die Stände für
ihr Geld Rechte und Freiheiten bewilligen, welche bie landesherrliche
Gewalt ungemein befchränkten. Wurden bie Forberungen zu arg, fo
verweigerten bie Stände wohl aud) furzweg jede neue Steuer, wie auf
dem Landtage zu Berlin 1345 geſchah. Später (1355) fehten fie dem
Markgrafen gar einen Rat, den fogenannten „Hofmeifter“, zur Seite,
ohne defien Zuftimmung feine marfgräfliche Verordnung Giltigfeit hatte,
Wuchs fo die Gewalt der Landftände, jo mehrte fi in noch viel höherem
Grade die Macht der Städte; denn fie hatten Gelb genug, um fi)
Rechte zu erfaufen, und Waffen, um diefelben zu ſchützen. Faſt alle
landesherrlichen Befugniſſe innerhalb ihrer Mauern brachten fie all-
mãhlich an fi), insbejondere die oberfte Gerichtsbarkeit und das Münz-
reiht; fie erwarben fogar das Recht, den Markgrafen die Treue auf
zuſagen, falls fie von dieſen ungejeßlicherweife befhädigt würden. Zuletzt
hatten eingelne Städte, wie Berlin und Köln, gar Brief und Siegel
darauf, daß ohne ihre Erlaubnis der Markgraf nicht mit bewaffneten
Gefolge in ihre Thore einziehen durfte.
So ein Bürgermeifter von Berlin oder Brandenburg, Stendal,
3°
36 Brandenburgs Berrüktung.
Frankfurt u. |. w. herrſchte über feine Stadt unb über die Dörfer und
Schlöffer ringsum, bie zu ihrem Weihbilde gehörten, gleichſam wie ein
König; freilich nicht wie ein unbejchränfter; feine Maßregeln beburften
vielmehr der Zuftimmung des Rates. Mit dem Schulzentitel war auch
die Erblichfeit der Würde abgelommen; und ber „Bürgermeifter" war
es jetzt durch die Wahl des Rates, der ihm auf Lebenszeit einfeßte und
mit großer Vollmacht betraute. In der Mitte des Jahrhunderts büßten
die alten. Gefchlechter indes an ihrer Herrichaft viel ein; fie mußten den
Gewerken, die immer bdrohender auftraten und ſelbſt zu den Waffen
griffen, allmählich nachgeben und neben dem eigentlichen Heineren Rat
einen größeren fih bilden laffen, in welchem auch der Ausfchuß der
Viergewerke Pla nahm. Wie die wohlhabenden Zünfte fich dadurch
einen Anteil an ber Regierung errungen hatten, jo ſetzte dann das
geringe Volk durch, daß der Rat ohne Bewilligung der gefamten Ge⸗
meinde feine neue Steuer auflegen durfte.
Es gab im Mittelalter nicht Freiheit, fondern Freiheiten, nicht Recht,
fondern Rechte: jeder Einzelne hatte gerade das Maß und die Art von
Recht und Freiheit, die feinem Stande nad) Sitte und Herlommen oder
dur) Vertrag mit andern Ständen zufam; der Sohn mußte werden,
mas der Vater war, und nur felten glückte e8 einem, ſich über den Stand
emporzuſchwingen, in dem er geboren ward. Die Märker kannten es
nicht anders. Kein Meifter nahm z. B. einen Lehrling an, deſſen Vater
ein Schäfer oder Barbier, "ein Bader, Zöllner, Pfeifer, Müller ober
Wende war; alle diefe galten für unehrlich, wie noch heute hie und da
vom Volle die Scharfrichter betrachtet werden. So hatten die Bürger
ihren Geburtsſtolz ähnlich wie die Edelleute, die ihrerfeits wiederum
auf ben Handwerker mit Beratung berabjahen. Innerhalb feines
Standes aber, in feinem befonderen Kreife, war jeder ungeftört; ba
durfte ihm fein anderer, und wär's der Markgraf oder der Katfer, hinein-
greifen. Jeder Stand hielt ängftlic auf feine Ehre; er erwartete nicht,
daß man ihm mehr Ehre erwies, als ihm gebührte, dieſe aber forberte
er in ihrem ganzen Umfange, wie er ben andern bie ihrige gab. Der
Zunftzwang war ftreng, aber um ihrer Ehre willen forgte die Zunft
aud) dafür, daß ihre Angehörigen. die Ware ohne Tadel und ohne Über-
teuerung lieferten. Für diejenigen Gewerbe, auf denen der Großhandel
einer Stadt beruhte, wie die Bierbrauerei in Salzwedel, die Tuchweberei
in Stendal, ernannte hie und da aud) der Rat einen- aus feiner Mitte,
um mit den Beſchauern, welde die Zunft dazu beftellte, die Güte der
Ware zu prüfen. Es geſchah dann wohl, daß man das Bier auf die
Bänke goß und fid) darauf feßte; lebten die Befchauer beim Aufſtehen
feft, fo hatte das Bier die Probe -beftanden.
Was die Gewerbe in der Mark befonders förderte, war die Ver-
Die Stäbte, 37
bindung, welche die meiften ihrer Städte mit der Hanja angeknüpft
hatten. Denn mm erhielt der märfifche Handel eine weitreichende
Xhätigfeit. Bis nach Nowgorod vertrieb er feine Ausfuhr, namentlich
Tücher und Leinwand. Von dort holten die beutfchen „Gäſte“, die
Hanſebrüder — es waren beſonders Lübecker — die ruffiihen Schätze,
Zobel und Marderpelze, auch Erzeugnifie des fernen Indiens und Chinas,
die auf Karawanen ans Faspifche Meer, von da durch Genuefer und
Benezianer in die Wolga gebracht, dann nad) Moskau und Nowgorod
gefommen waren. Für Wollen und Linmenwaren, für Salz und Heringe
gab's da Seide und Baumwolle und koſtbare Gewürze und Spezereien,
als Ingwer, Safran, Pfeffer, Galgant, Kubeben. Reben den Lübijchen
zeichneten fich beſonders die breslauer Kaufleute durch weite Reifen aus,
fie kamen bis in die große Tatarei und bis nad) Venedig; aber au
die von Stettin, Danzig, Frankfurt, von Burg, Salzwedel, Berlin und
anderen brandenburgifchen Städten eiferten ben unternehmenden Handels⸗
herren von Lübeck nach. Gegen die Räuber ſchützte man fi, fo gut es
ging, durch bewaffnetes Geleit; gegen die Zollſchranken, die überall auf
den Gebieten ber Fürften und anderen Großen auflamen, durch feftes
Bufammenhalten in Güte und Gewalt. So kam es, daß Handel und
Gewerbe troß der Ungunft der politifchen Lage auch in der Mark noch
gebiehen, und der Wohlftand der Bürger zunahm. Sie thaten es in
genußvoller Lebensweiſe ſchon den Adligen gleich und zuvor. Bejonders
bei Hochzeiten und Kindtaufen wurde viel Aufwand getrieben, und bie
Üppigfeit griff fo um ſich, daß eigene Verordnungen gegen fie von ber
Obrigkeit erlafjen werden mußten. Denn man war der Anficht, ein jeder
dürfe nur fo viel Pracht treiben, als für feinen Stand fich ſchickte.
Daher verbot 3. B. der Berliner Magiftrat (in einem Lurusgefeße vom
Jahre 1335) ben Bürgerfrauen, mehr als eine Halbe Mark an Gold»
ſachen oder Perlen, oder golbbrofatene oder mit koſtbarem Zobel beſetzte
Kleider zu tragen; ebenſo bejchränfte er die Zahl der Gäfte bei Hochzeiten
auf 80, ber Schüffeln auf 40, während bei Kindtaufen nur 6 Bäfte und
3 Schüffeln geftattet wurden. Selbſt der Einſatz beim Kegel» und
Würfelipiel durfte eine gewiſſe Höhe (5 Schillinge*) nicht überſchreiten.
Der Wohlſtand der märkiſchen Städte erlitt indes gegen Ende des
14. Jahrhunderts die härteften Stöße. Dem unter Sigiemunds fahr«
läffigem Regiment konnte das alte Übel bes Fauſtrechts und der Wege
lagerei zur allgemeinften, entfeplichften Landplage werben. Sie ging
*) Man rechnete noch nad) Marken, Sqhillingen, Pfennigen; daneben Tamen aber bie
Bößmifcpen Grofäjen und die rheiniſchen Gulden auf. SYene, uripränglih gleich 70 Pfennig
anferes Geldes, fanten durch Münzverileiiterung allmählih auf den Wert von 97 Pf.
und waren nur bis zur Mitte des viergehnten Jahrhunderts ablich. Der Gulden (Gold-
fü) fant in derjelben Weife von 10'/, auf 7 Mark unferes Geldes.
38 Brandenburgs Zerrättung.
zum Zeil von ben Nachbarn, zum Zeil von verlaufenem Gefinbel (dem
„Stelmeifern“)*), haupiſachlich aber von dem märkif_hen Adel aus. Er
hatte fich nie fehr durch ritterliches Thun ausgezeichnet; jeht war er ber
verwildertfte im ganzen deutſchen Reid). Meift verarmt, beneidete er den
Reichtum der Städte, veradhtete aber Die bürgerliche Thätigfeit, aus der
diefer Wohlftand floß. Er wollte wohl ernten, aber nicht fäen. Daher
ergab er fi dem Raubweien, und bald ſchien ihm des Adels Beruf in
nichts anderem zu beftehen, als mit gewaffneter Hand den Städtern ihr
Hab und Gut abzubringen. Auf allen Wegen und Stegen Iauerten bie
Raubritter dem Kaufmann auf, warfen ihn nieder, nahmen fein Gelb
und feine Waren, ſchleppten auch ihn felbft auf ihre Burgen, um ihn
dort fo lange zu quälen, bis er ſich mit neuen Opfern auslöfte. Ober
fie zogen in hellen Scharen vor bie Städte, verwüfteten das Weichbild,
plünberten die Dörfer, trieben Zieh und Gefangene mit fid) fort. Hatten
fie gar im raſchen Überfal oder mit Hinterift ein Städtchen erobert, fo
ward barin gehauft wie von Heiden und Wilden. Der Fürft war fern,
der Statthalter ohnmächtig ober gar mit den Räubern im Bunde; es
galt, ſich felbft zu ſchützen. Der Rährftand kam nie zur Ruhe; aber in
den Städten war er noch wehrhaft. Steckte der Wächter auf dem Bart-
turm die Sahne aus oder ein Licht, dann erfchollen durch die Stadt die
Sturmgloden, bie Bürger ftürzten mit Spießen und Schwertern aus den
Häufern und auf dein Markt; jede Innung unter ihren Altmeiftern, voran
das Stabtbanmer, daneben bie Geſchlechter in ſchimmernder Rüftung hoch
zu Roß, — fo brachen fie aus dem Thore heraus, ben Aäubern bie Beute
wieder abzujagen; ſetzten oft felbft bis an das Raubneft nad), um die
Burgmauern zu erftürmen, zu brechen. War dann die Burg geſchleift, fo
zogen bie Stäbter mit dem Geretteten jubelnd heim, und ber gefangene
Edelmann mußte feinerfeits ſich Iostaufen, oder war's ein zu fchlimmer
Morbbrenner, fo köpften fie ihn auf dem Markt. Dann fchrie wieder
die Ritterfchaft Rache, und bie Fehde ging von neuem los.
Keine Familie unter dem märkiſchen Abel trieb das Raubhanbwert
10 im großen wie Die Quitzows. Dietrich) von Quitzow faß auf Schloß
Frieſack, Hans, der jüngere Bruder, auf Blaue; außerdem Hatten fie
aber noch manche andere Burg im Havelland, und viele Ritter, wie die
Rooms, Putlitz und Bredows hielten es mit ihnen. Sie konnten fo
viele Kriegsgefellen aufbringen, daß fie zumeilen ſogar mit ben benach⸗
barten Fürften auf eigene Hand Krieg führten. Aber am fchwerften
laftete ihr Arm auf ihren Landsleuten; fie waren ber Schreden bes
Bürgers und Bauern. Im Bunde mit dem Herzog von Pommern, dem
Erzbiſchof von Magdeburg, den Grafen von Ruppin u. a., verheerten fie
*) Das heißt eigentlich Vogelfanger.
Die Raubritter. " 39
weit und breit die Mark; die Stadt Strausberg zerftörten fie (1402)
fo, daß fie hundert Jahre lang wüft lag. Größeres Unheil wehrten die
Städte ber Mittelmart ab; im Verein mit einigen Wohlgefinnten vom
Adel brachten fie ein Heer zufammen, das unter Anführung bes Ritters
dv. Wanteuffel die Räuberbande ſchlug und Dietrid) v. Quitzow gefangen
nahm. Der Kurfürft Zobit ließ diefen indes wieber los, verzieh ihm
auch dann, als berfelbe den Furfürftlichen Statthalter verjagte; er ſah
dem Unmefen ruhig zu, weil die Quitzows den Raub mit ihm teilten.
Er verkaufte ihnen fogar noch einige Burgen. Durch ſolche Macht wurde
felbft manche anfehnliche Stadt eingeſchüchtert und fuchte ihre Feindfchaft
lieber mit Gold als mit Eiſen abzuwehren; Berlin gab ihnen zu Ehren
einmal ein Feſt, auf welchem es mit Schmaufereien, Saitenfpiel und
Zuftbarteiten aller Art hoch herging.
Immerhin konnten die feften Städte, zumal die größeren, fich wohl
noch fügen; aber auf dem platten Lande trat eine gründliche Ver-
ſchlimmerung der Dinge ein. Die zahlreichen freien Bauernfchaften, bie
bier im 12. und 13. Jahrhundert entftanden waren, verloren den größten
Teil ihres Wohlftandes und ihrer Freiheit. Dur die fortmährenden
Tehden und Kriege war manches Dorf veröbet oder doch verarmt; um
fo leichter fiel e8 in die Gewalt der adligen Nachbarn. Diefe rifien an
vielen Drten die Lehnfchulgenämter und damit bie Gerichtsbarkeit über
die Bauern an fi) ımd mißbrauchten dann ihren Einfluß, um fich auf
Koften berfelben zu bereichern, oder fie nahmen den Dorfgemeinden
geradezu Ländereien mit &ewalt fort. So wuchſen die Rittergüter,
während die freien Bauernhöfe zufammenfchrumpften. Selten gedieh freilich
das umgerechte Gut. Dem immer mehr wandten fi) die Adligen dem
leichten Erwerb des Stegreifrittertums zu. Raſch war eine Fehde vom
Zaun gebrochen ımd das Plündern begann. Aber das bald Gewonnene
war durch Praffen und Spielen ebenjo bald zerronnen, riß befier Er-
rumgenes, altes Befigtum mit fi, und die Armut hielt nun den Ritter,
der jonft aus Übermut oder Habgter fid) hinter die Here gelegt und auf
die Beute gepaßt hatte, bei bem elenden Handwerke feft. Der vornehmen
Räuber Beifpiel entſchuldigte die gemeinen Leute, Die auch lieber ohne
Arbeit fatt wurden. So mehrte fid) die Zahl ber Räuber und Diebe.
Da half die Härte der Strafgefeße nicht. Und doch war fie fo grau
ſam: griff man einen, der über drei Schillinge geftohlen, fo ging's ihm
an ben Hals, er wurde hingerichtet; hatte er weniger genommen oder
fonft ein Hleines Vergehen verübt, fo ging's ihm an Haut und Har, er
warb geftäupt oder gebrandmarkt oder verftümmelt und mußte dann
Urfehde“ ſchwören, d. h. verſprechen, fi) wegen biefer Strafe nicht zu
rächen, aud) das @ebiet, wo er fie erlitten, mie wieder zu betreten.
Nun war er ohne Heimat, den Ehrlofen nahm feine Gemeinde auf, er
40 Brandenburgs Zerrättung.
ſchloß fi) einem Raubritter an ober ging in den Wald unter die Stell-
meifer und ward Räuber wie fie. Zuletzt war die Mark in ganz
Deutſchland fo verrufen, daß man zu fagen pflegte, „wen etwas ab»
handen gekommen fei, der folle es nur in der Mark ſuchen.“
Galten die märkiſchen Edelleute im Reich für arge Schelme, ober,
wenn fie ehrlich lebten, für roh und bäuriſch, fo Hatte auch die Getft-
lichkeit feinen guten Ruf. Sie war über die Maßen unwiſſend; viele
Mönche und Priefter konnten kaum leſen, gejchweige denn ſchreiben.
Darum waren auch die Kloſterſchulen, wo die reichen Bürgerkinder und
adligen Junker unterrichtet wurden, im Durchfchnitt bei weitem nicht fo
gut al Heute unfere Dorfſchulen. Ähnlich den fahrenden Schülern, die
in Deutſchland von Hochſchule zu Hochſchule zogen, trieben ſich in ber
Mark junge Leute umher, „Bachanten“ genannt, die vorgaben, ftubiren
zu wollen, fich indes mehr allerlei Kurzweil, als der Studien beflifien;
Heinere Knaben, „ABE-Schügen", die fie als ihre Schüler mit fid führten,
mußten für fie betteln. Leider war die Geiftlichteit, von der die anderen
Stände dod) alle höhere Bildung empfangen follten, nicht bloß ſehr un=
wiffend, fondern zum großen Zeil aud) ſehr unſittlich; beides nährte den
Eifer, mit dem fie jeder Art von Aberglauben Vorſchub that. Auch die
Markt hatte dur fie einen berühmten Wallfahrtsort; feit 1383 wall-
fahrteten Hohe und Niedere von nah und fern nad Wilsnad, fid) durch
das „heilige Blut“, das bafelbft Wunder thun follte, von Sünden und
andern Übeln erlöfen zu laffen. Manchmal nahm der religiöſe Wahn
eine bösartigere Geftalt an, zumal wenn ein großes allgemeines Unglüd
unerwartet hereinbrady, wie ein ſolches ſich im Jahre 1348 ereignete.
Erdbeben, Feuerſchein am Himmel, ſchwere ftinfende Dunftwolfen erfüllten
damals ganz Europa mit Schreden; dann kam langſam, unentfliehbar,
von DOften nad; Weften Hergezogen die Peſt und lagerte fi) über bie
Länder. Schwarze Beulen am Leibe waren das Zeichen, am dritten
Tage folgte der Tod. Im einem Jahre flarb der dritte Teil der Menfch-
beit. Da rifien im ungeheuern Entſetzen die heiligften Bande, der Mann
floh vor feinem Weibe, der Vater vor den Kindern, der Freund vor
dem Freunde. Das letzte Gericht ſchien gekommen. Da ftürzten fi) die
einen, das Leben noch auszufoften, fo lange fie's hatten, in die wildeften
Strudel des Genuffes, in den tiefflen Abgrund der Sinnlichteit. Andere
wähnten, durch Abtötung des Fleiſches Gottes Zom zu verföhnen;
Haufen von Schwärmern zogen durch das Land, die fid) bis auf das
Blut geißelten und, Bußlieder fingend, ſchwere Kreuze mit fich fchleppten.
Das waren die „Geißelbrüder“, die den ,ſchwarzen Tob“ abzuwenden
meinten. Balb artete die Schwärmerei in Greuel jeder Art aus; die
Geißler trieben Raub und Unzucht, bis fie von den Fürften und
Biſchöfen umterdrücdt wurden. Am fchlimmften fuhren in ſolchen
Die Geiſtlichleit. 41
Seiten die Juden; auch jeßt fiel der Pöbel wütend über fie her, weil
fie die Krankheit durch Vergiftung der Brunnen hervorgerufen hätten.
Biele Juden wurden famt ihren Häufern verbrannt, andere beraubt und
ins Elend binausgetrieben. So geihah es 1349 in der Mark wie in
ganz Deutſchland; erft im nächften Jahre, als die Veft gewichen war,
legte ſich auch die Raferei der Menfchen.
Der Schaben, den auch der Vollscharalter durch ſolche Greignifie
nahm, war groß, aber noch mehr verwilderten Geift und Gemüt durch
die dauernden Übel, an denen die Mark unter den Wittelsbachern und
Zuremburgern allzulange Trankte, zumal durch das herrichende Räuber
tum; es entfittlichte alle Klafien der Gefellihaft, indem es Die Begriffs-
verwirrung über Recht und Unrecht zur Gewohnheit, den Sieg ber rohen
Gewalt zur Regel machte. Schwach und wehrlos nach außen, zerrüttet
im Innern, in diefem jammervollen Zuftande war die Mark, als das
15. Jahrhundert anbrach. Wird es bem Lande ben Retter bringen?
Zweites Bud.
Brandenburg unter den hohenzollerſchen Kurfürſten bis zum
Regierungsantritt Friedrich Wilhelms d. Gr. (1415—1640).
Aurfürſt Srierid J.
Ir Schwabenlande zwiſchen Rectar und Donau, nicht fern vom hohen
Staufenberg, der die Stammburg ber gefeiertften unter den alten deut ⸗
ſchen Kaiſern trug, da liegt and) das Ahnenſchloß der Hohenzollern, und
ihr Name erſcheint ziemlich zu gleicher Beit mit ben Staufen, nämlich
1061, zum erften Mal in der Gedichte. Es war ein Grafengeſchlecht,
das dort auf dem Bollern haufte, angejehen und begütert bis zum Boden-
fee. Gegen Ende des zwölften Jahrhunderts erwarb es and in Franken
Beſizungen, fowie die Burggraffhaft zu Nürnberg, und nun
fonderte es ſich durch eine Erbteilung (1218)*) in zwei Linien, die ältere,
welche die fränkiſchen Güter nebft dem Burggrafentum, und Die jüngere,
welche den ſchwäbiſchen Beſitz einnahm; von jener ſtammen bie preußifchen
Könige, vom dieſer die Fürften von Hohenzollern ab. Schon die Burg-
grafſchaft gab den Bollern im Reiche einige Bebeutung, fie war ein
wichtiges Amt; denn der faiferliche Burggraf fland in feinem Bezirk
anftatt des Kaifers, er verwaltete Hier defien Güter und Einkünfte, war
auch für alle die weiten Landſtriche, welche in Franken und Schwaben
zur ſtaufiſchen Hausmacht gehörten, der oberfte Richter und Kriegsherr.
So recht eigentlich zum Diener des Kaifers und Reichs beftellt, führten
die Burggrafen von Nürnberg ihr hohes Amt mit ımmanbelbarer Treue.
Nach dem Untergange der Hoheriftaufen, denen fie ſtets am eifrigften ans
*) Stiffeied und Märter, Hohenzollerfche Forſchungen, Berlin 1847, I. &. 112ff.
Die Bollern. 43
gehangen, waren fie e8, denen das Haus Habsburg feine Erhebung ver-
dankte. Xhr Haupt, Burggraf Friebrid) III, lenkte 1273 bie Kaiferwahl
auf den Grafen Rudolf von Habsburg, feinen Schwager, und half bem-
felben dann zu feinen größten Erfolgen, trug in der Schlacht auf dem
Marchfelde 1278 die Sturmfahne des Reichs, überredete 1282 die Fürſten,
dasß fie Das eroberte Öfterreid, an die Söhne des Kaifers kommen ließen.
Einen Dank erntete er dafür vom Haufe Habsburg nicht, und fein Sohn
verſchaffte daher, infofern er einen Hauptanteil an dem Siege bei Mühl:
dorf hatte, dem Wittelsbacher Ludwig den Kaiſerthron.
Die hervorftechendften Eigenſchaften der Hohenzollern waren von
jeher Klugheit, Tapferkeit und Wirtfehaftlidjfeit. Durch biefe Tugenden,
zum Zeil auch durch eine Gelbquelle, die aus ihren Bergwerfen am
Fichtelgebirge floß, vermehrten fie ihr Beſitztum an Städten und Dörfern,
Burgen und Wäldern in einem folhen Maße, daß Kaifer Karl IV. fie
1363 zu Reihsfürften erhob. Geitdem fanden fie auch geſetzlich ben
großen Fürftenfamilien glei), bie fie einft alle weit zu überragen be-
flimmt waren. Den erften Schritt dazu thaten fie ebenfalls mit Hilfe
eines Luxemburgers. Sigismund, König von Ungarn, hatte im Jahre
1410 das höchſte Ziel feines Ehrgeizes erreicht, er war deutſcher Kaifer
geworben; aber daß ihn ein Teil der Kurfürften gewählt hatte, daß ihn
im folgenden Zahre nad) Jobſts Tode auch deffen Partei anerkannte, das
verdanlte er größtenteils ben geſchickten Bemühungen feines Freundes und
Beraterd, des Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg; er beſchloß, ihn
dafür zu belohnen. Soeben (1411) war fein Wetter Jobſt geftorben,
und die Mark wieder an ihn heimgefallen, und nun famen von deren
Städten und Mannen Abgefandte zu ihm nad Ofen, wo er noch Hof
hielt, und fehilderten Brandenburgs Elend. Ihm ſchlug das Herz, wie
er den Jammer hörte und bedachte, daf er allezeit wie ein Stiefvater
an dem Lande gehandelt; aber er geftand fich, daß er jetzt unter der Laft
der kaiſerlichen Gefchäfte noch weniger als bisher dazu kommen würde,
feine Pflicht gegen die Mark zu erfüllen. Ein fo verwildertes Land
wieber in Ordnung zu bringen, Dazu bedurfte es eines Eugen und ſtarken
Regenten, der fid) ganz diefer Arbeit hingab. Als ein folder mußte ihm
fein Freund, der Burggraf, erſcheinen. Friedrich befaß beträchtliche Geld⸗
und Madjtmittel — die zollerſche Hausmacht in Franken umfaßte damals
faft das ganze Gebiet der fpäteren Fürftentümer Ansbach und Baireuth,
— aber noch größer war Friedrichs perfönlicher Wert. Schon bie äußere
Erſcheinung des Mannes wird von den Seitgenofien gerühmt, feine
mãnnliche Schönheit, feine feinen Sitten; doch was ihn vornehmlich aus ⸗
zeichnete, war feine geiftige Überlegenheit: fein ſcharfer Blick, der Menſchen
und Berhältniffe fofort durchſchame, die Befonnenheit und Gewandiheit,
auch in den fchwierigften Lagen fich leicht zurecht zu finden und fie zu
44 Kurfüeft Friedrich 1.
bemeiſtern, endlich, damals ſelten genug, eine glänzende Bildung, genährt
an den Dichtern und Geſchichtſchreibern in alten und neuen Sprachen.
Kein Wunder, daß der geiſtreiche Kaiſer die Freundſchaft und den Rat
eines ſolchen Mannes ſehr hoch ſchätzte, den erprobten Gehilfen bei allen
großen Eteigniſſen zum Beiſtand rief und auch jet zunächſt an ih
Dachte. Er betraute den Burggrafen Friedrich, um ihm feinen Dank und
der Mark feine Pflicht zu leiften, mit dem ſchweren, aber ehrenvollen
Amte eines Statthalters in Brandenburg, und indem er fi ihm für
150 000 Goldgulden verfchuldet*) erflärte, verfdhrieb er ihm die Mark
als Unterpfand (8. Juli 1411). Zugleich erließ er an die Märker den
Befehl, dem Burggrafen zu gehorchen, ben er ihnen „als einen rechten
Dbriften und Verweſer“ ſenden werde. Die Quitzows fpotteten zwar
über diefen „Nürnberger Tand“, meinten, „werm e3 auch ein ganzes
Jahr lang Burggrafen regnete, jo wollten fie ſolche doch nicht in ber
Mark auftonmen laſſen“. Und als nun Friedrich) (im Juni 1412) an-
langte und von den Ständen die Huldigung, don den Pommern die
Herausgabe der Uckermark forderte, fügte fi nur ein Meiner Teil ber
Mark, die Pommern griffen fogar ohne weitered zum Schwert; bie
Herzöge Kafimir und Dtto von Stettin fielen ihm ins Land; mır mit
Mühe wehrte er fie im Gefecht am Kremmer Damm (24. Oftober 1412)
ab. Aber durd) Feftigfeit und Klugheit wußte er ſich Anfehen zu ver-
ſchaffen; viele brachte er durch gütliche Unterhandlungen, andere durch
Orohungen, die er den Katfer ausfpredyen ließ, auf feine Seite; zuletzt
Buldigten ihm auch die Auffäffigften, die Putlitz, Duigow, Rochow und
andere Raubritter in ber Priegnitz, Altmark und im Havelland (1413).
Allein wirfichen Gehorfam zu leiften, waren dieſe keineswegs gemeint.
Unter ben Augen des Burggrafen feßten fie ihre Raubzüge ins Gebiet
ber Nachbarfürſten und felbft brandenburgifcher Bafallen fort. Da mußte
Friedtich die lange geübte Milde fahren laſſen und zur ultima ratio des
Regenten greifen. Er ſchloß mit den Nachbarfürften, bie unter dieſem
Unwefen kaum minder litten als die Mark, namentlich mit dem Erzbifchof
von Magdeburg und dem Kurfürften Rudolf von Sachen, Verträge zu
gemeinfchaftlichem Angriff; Anfangs Februar 1414 zogen die Verbündeten
vor die Raubburgen. Buerft fiel Frieſack, fo tapfer fi) aud) die Be-
fagung wehrte; dann Blaue, hinter defien 14 Fuß diden Mauern Hans
v. Quitzow fid) unüberwindlich gewähnt hatte; aber gegen die 24pfün-
digen Kugeln des ſchweren Geſchützes, welches Friedrich vom tbüringifchen
Kandgrafen geborgt hatte — der „faulen Grete" nad) der Sage — hielt
feine Mauer ftand. Die Duipows mußten fliehen; Hans geriet dennoch
bald in Gefangenſchaft, Dietrich wurde fpäter, da man ihm auch ben
*) Dal. Beitirift für preuß. Geſchichte, II. S. 815.
Reiäetag zu Rofkaif. 45
Brand der Stadt Nauen ſchuld gab, für vogelfrei erflärt und Fam elend
um. Auch Rochows Burg Golzow, weldye der Herzog von Sachſen bes
Iagerte, fiel; Rochow bat mit ben GSeinigen um Gnade; die Männer
Stricke um den Hals, die Frauen in weißen limmenen Bußfleidern, jo
fielen fie dem Herzog Rubolf zu Füßen. Sie wurden begnadigt, doch
ließ ihnen Friebrich nur eins von ihren Schlöffern. In. Zuni 1414
Hatte er im ganzen Lande die Ruhe bergeftellt. Dann lieh er auf. dem
Landtage zu Tangermünde die Empörer gerichtlich verurteifen, ſetzte einen
Zandfrieden feſt und esteilte ben Städten, die ihn kräftig und treu unter-
fügt Hatten, manche Vergänftigung. Auch den Nahbarfärften war er
für. ihre Hilfe gegen ben aufſäſſigen Adel verpflichtet. Er verlängerte
num die Bündnifje mit ihnen. Nachdem er dann die Statthalterſchaft
einftweilen feiner Gemahlin, der „Ichönen Elfe“, übergeben, eilte ‘er im
Auguft 1414 nad Koftnig, wohin der Katfer foeben ein allgemeines
Konzil der ganzen abendlänbifchen Chriftenheit und einen Reichstag der
deutfchen Fürften berufen hatte.
Denn es handelte ſich um die größten Dinge: es galt, die Kivchen-
fpaltung zu befeitigen, jene monftröfe Erſcheinung, daß drei Päpfte —
zu Avignon, zu Rom und in Oberitalien — neben einander beſtanden;
es galt ferner, eine Beflerung der Kirche, ihre Reformation an Haupt
und Gliedern vorzunehmen und bie Keberei des Böhmen Johann Huf
auszurotten. Dieſer Hihne Mann hatte e8 gewagt, die Herrichaft bes
Papſtes anzugreifen und die Mißbräuche, an denen die römifche Kirche
frankte, namentlich bie Sittenlofigfeit im Klerus, bie Gelberpreffung durch
den Verlauf der Abjolution, die Entartung des Gottesbienftes, die Ver—
mengung be3 Geiftlichen mit dem Weltlichen, fowie manden falſchen,
ſchädlichen Glaubensſatz vor allem Volle aufzudecken; unter großem Bu:
lauf predigte er in Böhmen feine neue Lehre. Aber mehr als von einem
einzelnen Geiftlichen hoffte man von einem aflgemeinen Konzil. Mit ge
fpannter Erwartung richtete daher das ganze Abendland feine Blide nad)
Koſtnitz, wo nun Patriarchen und Kardinäle, Erzbiſchöfe und Biſchöfe,
Abie und Prieſter, viel taufend Kirchenlichter aus allen Reichen der
Ehriftenheit, ferner alle deutſchen Färften, fremde Gefandte, viel Adlige
und Volk fih um den Kaifer fammelten. Da ſah man alle Pracht der
Erde, aber auch leidenfchaftlichen Streit und große Unfittlichfeit. Vier
Jahre lang wurde bier gerebet und verhandelt, aber die Hoffnung ber
Völker zuleßt doch getäufcht. Denn gerade die wichtigſte Aufgabe, die
Reformation, warb nicht gelöft. Der Papft, den man nad) Abſetzung
der drei vorhandenen gewählt hatte, und die übrigen fremben Hohen⸗
priefter machten alle Anftrengungen des Kaifers und der beutfchen Re
formfreunde zu ſchanden; es blieb beim alten, und ben ebein Huß, der
auf Sigismunds kaiſerliches Wort unter freiem Geleit erſchienen war,
46 Kurfürft Friedrich I.
verbrannten fie als einen verſtockten Ketzer (am 6. Juli 1415), da fie
ihn nicht widerlegen konnten.
Ein befieres Ergebnis Tieferte der Koftniger Reichstag. Burggraf
Friedrich hatte feine Fähigkeit, Die Mark in Ordnung zu bringen, wäh»
rend feiner furzen Statthalterfchaft jo glänzend bewieſen, daß ber Kaifer
beichloß, fie ihm ganz und für immer anzuvertrauen. Überdies war er
ihm Geld ſchuldig, auch konnte ihm fein Freund als Kurfürft noch eine
weit größere Stüße fein wie als bloßer Burggraf und Statthalter. Daher
trat er ihm durch Urkunde vom 30. April 1415 die Mark Brandenburg
mit der Kurwürde und dem Erzlämmereramt als erblichen Beſitz ab.
Der Vorbehalt, den Sigismund fich dabei ausmachte, daß nämlich er
und feine männlichen Erben fie für 400000 ungariſche Gulden wieder⸗
erwerben könnten, erloſch in der Folge von felbft, da ſowohl er als fein
Bruder Wenzel ohne Söhne ftarben.
Daß aber dieſe Abtretung nicht eigentlich ein Kaufgefchäft war,
ſondern mehr zum Dank und als Anerkennung für Friedrichs Verdienfte
um den Kalfer und um die Mark geihah, geht auch aus der Urkunde
jelber hervor. Der Kaifer jagt darin: „Da ums nad der Gnade bes
allmädjtigen Gottes fo viele und fo weite und breite Königreiche zu ver-
wejen befohlen find, daß wir, um die alle löblich zu regieren, engel»
gleicher Kräfte bebürften, unfere Menſchlichkeit und notbürftige Kraft das
aber ohne trefflichen Rat und Beiftand nicht vermag, und da wir ganz
bejondere Liebe zu dem würdigen Kurfürftentum der Mark Brandenburg
haben, nämlich weil wir dasſelbe aus unferer väterlichen Erbſchaft zuerft
beſeſſen haben, beshalb wollen wir ihr und ihren Einwohnern immer
gern guten Trieben, Gemächlichkeit und Ruhe verjhaffen. Nachdem ſolche
unfere beſondere Liebe unfer fönigliches Gemüt vormals bewogen hatte,
daß wir den hochgebornen Friedrich, Burggraf zu Nürnberg, unſern
lieben Oheim und Fürften in Anfehen und Betracht feiner Reblichkeit,
Vernunft, Macht, Feſtigkeit und anderer feiner Tugenden, womit ber
allmädjtige Gott ihn mannigfach geziert hat, insbejondere aber feiner
lauteren und bewährten Treue, die er gegen uns hat, aus eigener Bewes
gung zu unjerem rechten Obriften, Verweſer und Hauptmann über die
Mark beftellt haben, — nachdem aber weiter unfere Sorge und Arbeit
für Die heilige Kirche, das Heilige Reich, und zum allgemeinen Frommen
fi) alfo vermehrt Haben, daß wir ung nicht vermeflen können, felber in
die Mark ziehen zu wollen, — — da nun aud) landkundig ift, Daß ge-
dachter Friedrich durch feine Vernunft mit feiner Macht, Arbeit und
Bagnis, fowie aud) mit großen Aufwandungen und Koften, die er aus
feinem eigenen Vermögen gemacht bat, die Mark in einen fo trefflichen
Yuftand des Friedens und guter Ordnung gebracht, Räubereien und Un-
thaten in berjelben ausgerottet, — da es uns denn auch billig zu fein
Hulbigung. 47
dünkt, daß wir uns für ſolche Arbeit ihm dankbar erweifen und daß
ihm feine Koften wieder erftattet werden, — aus allen dieſen Gründen
und aud) in Erwägung jeiner willigen nüßlichen und getreuen Dienfte,
die er ums umverdroffen gethan hat und täglich thut, — dazu endlich
in ber Abficht, daß der Friede und die Beflerung in der Mark erhalten
bleiben und zunehmen, haben wir dem vorgenannten Friedrich und feinen
Erben die Mark und das Kurfürftentum mit dem Erzlammermeifteramte
und mit allen und jeglichen Würben, Ehren, Rechten, ‚Landen u. f. w.
gmäbiglic gegeben und ihn zu einem wahren und rechten Markgrafen
Darüber gemacht.“
Mit diefer Urkunde und andern Faiferlichen Empfehlungs- und Ge
botsjcjreiben begab ſich Friedrich, num wieder nad) der Mark, um, wie
& Brauch und Sitte war, ſich als Landesherrn Huldigen zu laſſen und
feinerjeit8 den Ständen ihre altverbrieften Rechte und Freiheiten zu bes
fätigen. Am 21. October 1415 im „hohen Haufe“ *) zu Berlin geſchah
die feierliche Handlung; der Propft von Berlin las den verfammelten
Ständen die Briefe des Kaijers vor; darauf ſchworen die Stände dem
Markgrafen Friedrich ımd feinen Erben Treue und Gehorfam „nad,
Ausweis feiner Briefe”, wogegen der Markgraf die Freiheiten, Rechte
und Gewohnheiten der Städte, Ritter und Geiftlichfeit im ganzen und
einzelnen ſaͤmtlich durch fein Wort und feine Unterfchrift beftätigte und
verbürgte. Seine Belehrung durch ben Kaiſer erfolgte erft fpäter; fie
geſchah am 18. April 1417 zu Koftnig mit größter Feierlichkeit und
vielem Gepränge.
Sigismamd hatte in der Mark nicht mehr abtreten können, als er
ſelbſt bejefien, und das war, wenn man nur auf bie materiellen Macht-
mittel ſah, keineswegs viel — 381 Duabratmeilen mit etwa 160,000
Einwohnern —; ber größte Teil der Iandesherrlichen Güter, Rechte,
Einkünfte war ja während ber letzten Hundert Jahre in andere Hände
gelommen. Um für die Mark fo viel zu leiften, als fein glüdlicher Anz
fang verſprach, hätte Friedrich alfo auch in ber Folge fid) der Gunſt
des Katjers erfreuen, jedenfalls aber dem Lande feine ımgeteilte Kraft
und Aufmerffamleit zuwenden müſſen. Keins von beidem geſchah. Der
neue Kurfürft gebachte bei aller Dankbarkeit und Treue gegen ben Kaifer
doch keineswegs, feine Überzeugung und bie Pflihten gegen fein Land
demſelben zum Opfer zu bringen; namentlich, die Maßregeln, die Gigis-
mund, feit 1419 König von Böhmen, gegen die Anhänger des Huß traf,
mochte er nicht unterftüßen, oder unterftügte fie doch nur lau; ſchon das
durch verlor er beim Kaifer viel. Und doch hatte er hierin nur allaujehr
9) &o hie das Haus, wo bie Markgrafen, wenn fie in Berlin verweilten, abzufteigen
pflegten; es iſt das jehige Lagerhaus in der Klofterftrahe,
48 Kurfürft Friedrich I.
Recht gehabt. Sigismunds unbefonnene Strenge goß in Böhmen nur
Ol ins Feuer und entflammte jene furchtbaren Huffitentriege, die
fünfzehn Jahre lang den Dften Deutfchlands verheerten. Den religiöfe
Begeifterung und der Nationalhaß gegen bie Deutjchen ſtachelte das
iſchechiſche Bolt zum Kampf auf Leben umd Tod. Allerorten in Böhmen
harten fi) die Hufftten, befonders Die Landleute, zufammen, trieben Die
Deutfchert, die es mit Bapft und Kaifer hielten, aus dem Lande und
verübten gegen Kirchen und öfter, gegen alle, bie wiberftrebten, ent-
jegliche Greuel. Vergeben brachte der Kaifer den Reichskrieg, die Geift-
lichkeit ringsum den Kreuzzug gegen bie Keßer zu ſtande; es half auch
nichts, daß man einmal den Kurfürften Friedrich zum oberften Anführer
der Reichstruppen einfehte; bie Ritter und Söldner wurden von den
handfeften Bauern miebergehauen, und die Kreuzheere liefen voll Schrecken
vor ben Wütenden auseinander. Denn die Huffiten ftritten nicht bloß
mit der Kraft nationaler und religiöfer Begetfterung, fondern aud) in
einer ganz neuen ımb fehr wirffamen Kriegsweife, bie der blinde Ziska
unter ihnen aufgebracht hatte. Sie kämpften regelmäßig, zu Fuß, in
großen Vierecken aufgeftelt, geftügt auf bewegliche Wagenburgen oder
Hinter denfelben gebedt; nad) dem Takt ber Feldmuſik und unter dem
Schall ihrer geiftlichen Kriegslieder drofchen fie mit ihren ſchweren Fle-
geln die Feinde nieder, während ihre Reiter und mit Feuerbüchſen bes
waffneten Schüpen Unordnung in das Kreuzbeer brachten. Bald gingen
fie von der Abwehr gar. ihrerfeits zum Angriff über; huffittſche Horden
unter Anführung des großen und bes Meinen Prokop verwüfteten mit
Mord und Brand die Nachbarländer. Auch Über die Mark entlud fich
das Unwetter oft in furchtbaren Schlägen; am gewaltigften im Jahre
1432. Hundert märkiſche Dörfer, aud) die Städte Lebus, Mündheberg,
Strausberg, Altlandsberg gingen damals in Flammen auf; was fliehen
Tonnte, floh nad) Berlin, nur Frankfurt a. O. widerftand. Bon der Oder
308 ber große Prokop dam in die Mittelmart und belagerte Bernau;
aber die Bürger ſchlugen alle feine Stürme tapfer ab, bis ber junge
Markgraf Friedrich, des Kürfürften Sohn, mit einem Heere zu Hilfe kam
und die Huffiten zum Rüdzug nad) Böhmen nötigte. Endlich gelang
es ben Bemühungen bes Kurfürften Friedrich und anderer gemäßigter
Reichsftände, den Kaifer und die Päpftlichen zur Nachgiebigfeit zu be—
wegen. Auf der Kirchenverfammlung zu Bafel erhielten die Huffiten
(1433) einige Zugeftändniffe in geiftlichen Dingen, namentlich den Laien-
feld), und da dann aud) unter ihnen die gemäßigte Partei obflegte, fo
unterwarf fid) 1436 den Kaifer ganz Böhmen.
Einen noch härteren Stoß als durch bie Huffitifche Sache erlitt
Friedrichs und Sigismunds Freundſchaft, als die beiden auch in der
auswärtigen Politik uneins wurden. Der Kurfürft fuchte die Anwart-
Krieg mit Pommern. 4
ſchaft auf den polnifhen Thron an fein Haus zu "bringen, ein vergeb-
liches Bemühen, das doch den Bom. des KaiferS erregte, der ebenfalls
Abſichten auf Polen Hatte. Friedrich hatte bald die übeln Folgen zu
empfinden. Nicht bloß daß ber Katfer nach dem Ausſterben der fächfl-
ſchen Askanier das Herzogtum Sachfen- Wittenberg dem Haufe Bollern
verfagte und (1423) an das Haus Wettin gab; er hemmte den Kur⸗
fürften fogar in feinen Bewähungen, die Grenzgebiete, die von der Marl
abgekommen waren, wieberzuerobern. Friedrich wer ‚auf dieſes Ziel an-
fangs mit gutem Grfolge losgegangen. Über den Herzog Dito von Pom⸗
mern, der ihm die Uckermark ftreitig machte, gewann er 1420 bei Anger
münde einen Sieg. Freilich erlagen die Pommern hier nur durch ben
uverftand ihres Herzogs, der die Schlacht in einer höchſt ungünftigen
Stellung 1. Bergebens riet des Fürften Warſchall, Detlef von
Schwerin, von dem unbefonnenen Angriff ab. „Herr Detlef!“ meinte
der Herzog, „iu i8 lede vor jue junge Lyf und jue ſchone Wyf.“ „Myn
Here," antwortete Schwerin, „mi is nich lede vor myn junge Lyf odder
myn ſchone wyf; huten wil if vor ju ſterfen.“ Er griff am und fiel
tapfer in dem Gemetzel, das die Brandenburger nun unter ben enge ge
drängten, von vorne mit Geſchütz befchofienen, im Rüden von einer mär-
tichen Abteilung unter Gans von Putlitz überfallenen Pommern anrid;-
teten. Der Lohn dieſes Sieges war für Friedrich der ungeſtörte Befik
der wichtigen Stadt Angermünde, aus der die Markgrafen immer einen
guten Zugang nad) Pommern hatten. Indeſſen die Ungnade, in welche
Friedrich beim Kaifer fiel, ermutigte alle feine Feinde wieder, und es
gelang ihm nad) mandjerlei friegerifchen und diplomatiſchen Kämpfen
zur einen Teil ber Uckermark mit Angermünde ımd bie Lehnshoheit über
Medienburg- Stargard den Pommern und Mecklenburgern wieder abzu-
ringen.
Es fehlte dem Kurfürften aber auch an ber vechten Liebe zur Mark.
Er wer hier fremd, er konnte ſich in biefem verwilberten Lande nicht
Fra fühlen; feine ziviliſirtere fräntifdye Heimat z0g ihn weit mehr an.
rdies nahmen ihn die Geſchäfte bes deutfchen Reichs zu fehr in An-
Fa So fam es, daß er ſchon 1426 die Verwaltung der Mark an
feinen Sohn Johann gab und nach Franken zurüdkehrte, wo er auch
(am 21. September 1440 auf dem Schloffe Kadolgburg), 68 Jahre alt,
geftorben ift.
Sriedrid II. der Giſerne.
Rad; der Verfügung des Vaters teilten feine Söhne in der Art, .
ba der ältefte, Johann, das Fürftentum Batreuth, der zweite, Friedrich,
die Mark, der dritte, Albrecht, das Fürftentum Ansbach ud der vierte;
Bierfon, preuß. GSeſchichte. L
50 Kurfücft Friedrich II
Friedrich der Fette, ein Stüd der Altmark befam. Der neue Kurfürft
war allerdings fähiger, die Mark zu regieren, als fein Bruder Johann;
Friedrich II. hatte des Vaters Bejonnenheit und Peftigfeit wie befien
Milde und Mäßigung geerbt; eigentümlich war ihm die zähe Beharr-
Hohfeit, womit er das, was er einmal angefaßt, fefthielt, bis es fich
feinen Abfichten fügte; eine Eigenſchaft, die ihm den Beinamen „mit den
eifernen Zähnen" erwarb. in anderer bervorftechender Bug an ihm
war feine wahrhafte Herzensfrömmigkeit; dagegen fehlte ihm des Vaters
gewinnende Weife; fein Wejen war vielmehr ernſt und ftill bis zum
Trübfinn.
Von Anfang ſeiner Regierung an ſetzte er ſich ein Hauptziel: der
Mark wieder den Umfang zu verſchaffen, den ſie dem Rechte nach haben
ſollte. Dreißig Jahre lang, bis an ſein Ende hat er an dieſer Aufgabe
gearbeitet, und es iſt ihm ihre Löſung, wenn auch freilich nicht ganz,
doch zu einem ſehr großen Teil gelungen. Die Mittel dabei waren, je
nach den Umſtänden, Gewalt, Kauf, Verträge; doch zog er als weiſer
Fürſt Unterhandlungen ben Fehden vor, wenn er auch, wo es not that,
gar wohl dreinzufchlagen wußte. So gelang es ihm 1450 durch frieb-
lichen Vergleich von dem Erzbistum Magdeburg den Verzicht auf bie
alte Lehnshoheit und gegen einige altmärkiſche Ortfchaften die Grafſchaft
Stolberg- Wernigerode, 1454 durch Rückkauf vom deutſchen Orden die
Neumark zu erlangen. Lange kämpfte er in diplomatiſchen und Triege-
rifhen Bemühungen um die Vogtei der Laufig — dem Sachſen rang er
fie glücklich ab; allein ein ftärferer Gegner, König Podiebrad von Böhmen,
trat ihm nım hier entgegen, und er mußte fich endlich zufrieden geben,
daß ihm der Böhme (1462) wenigſtens einen Teil jener Landſchaft, die
Gebiete Kottbus, Peiz, Teupig und Bärwalde, fowie die Anwartſchaft
auf Beeskow und Storfow überließ. Immer auch auf die ferne Zukunft
feines Haufes bedacht, erwarb er (1442 im wittſtocker Erbfolgevergleich)
die Anwartſchaft auf Mecklenburg, deffen Herzog ihm überdies für das
Landchen Wenden die Stadt Lychen und das Klofter Himmelpforte zurück⸗
gab, und ſchloß (1457) mit Sachſen und Heflen eine Erbverbriberung.
Am wenigften richtete er an der Rorbgrenze, gegen Pommern, aus, und
doch hatten die brandenburgiſchen Markgrafen gerade auf biejes Land
von jeher die fehnfüchtigften Blicke geworfen, beſaßen auch einige Ans
fprüche Darauf, namentlich aus einem Erbvertrage von 1338 die Anwart ⸗
{haft auf das Herzogtum Stettin. Aber in dem jahrhundertelangen
Kampfe hatte die pomunerſche Kernfraft fid) der märkiſchen Gemwandtheit
noch allemal erwehrt. So geſchah es aud) jet. Es war im Jahre
. 1464, baf man den Ießten Herzog von Pommern-Steitin begrub; die
Stände waren um bie Gruft verfammelt; da ergriff ber Bürgermeifter
non Stettin, Albrecht von Glinden, der gut deutſch geſinnt war, ben
Berlin. 51
Schild und Helm der Herzöge don Stettin und warf beides dem Sarge
nad) ins Grab mit den Worten: „da liegt unfere Herrihaft von Stettin“.
So war e8 Sitte, wenn man den leßten eines Fürſtengeſchlechts begrub.
Aber fofort fprang ein pommerfcher Ritter, v. Eickſtedt, ins Grab, holte
Helm und Schild wieber heraus und rief: „Nicht alfo! wir haben nod)
erbliche, angeſtammte Herrichaft, die Herzöge von Bommern-Wolgaft, denen
gehört Helm und Schild zu." Vergebens widerſprach die Meinere mär-
fiiche Partei; die Wolgafter erbien. Ebenſo werig Half es bem Kur-
fürften, daß feine Freunde im Neid) an einem Tage 19 Abfagebriefe
nad) Pommern fandten; der Krieg trug ben Brandenburgern nichts ein
als eine ſchreckliche Verheerung beider Länder.
Während Friedrich II. mit abwechſelndem Glüde, doch mit Aus-
dauer umd im ganzen erfolgreid; bemüht war, feine Macht nad) außen
zu erweitern, verlor er bie Grundlage berfelben, die Gewalt im Lande
jelbft, nie aus den Augen, und es gelang ihm, durch kluge Benutzung
der Umftände fie ungemein zu verftärfen; wie jein Water den märkiſchen
Adel, fo hat er die märkiſchen Städte unterjocht. Die Uneinigkeit unter
den Bürgern felber lieferte ihm dazu die erwünfchte Handhabe, und das
ũbermaß ihrer Freiheiten entjchuldigte ihn, wenn er fie verkürzte. Als
die Zollern ins Land kamen, war die Macht der Städte bier fo groß,
daß der Landesherr in ihnen faft nichts mehr zu fagen hatte, und
Friedrich I. mußte froh fein, daß dieſe Macht ihn aus freien Stüden
und jo kräftig gegen die Raubritter unterftüßte, wie es geſchah. Ihr
Selbftgefühl war dadurch noch mehr gewachfen und artete oft in Über-
mut aus. Sollte der Kurfürft es in Geduld ertragen, weil dieſen über
großen Rechten die gejeßliche Form nicht fehlte? denn allerdings, die
Städte hatten ihre Freiheiten mit ſchwerem Gelbe erfauft und durch un⸗
zählige Urkunden von den Landesherren beftätigen laſſen.
Unter den märkifhen war feine mächtiger durch Volkszahl und
Wohlſtand als die Doppelftadt Berlin- Köln. Dieſe beiden, wie fo
viele zwifchen Elbe und Dder allmählich) aus alten wendifchen Ortſchaften
erwachjen, hatten durch das deutiche Wefen, das fehr bald alles Slawiſche
aus ihnen verbrängte, ſchon im 13. Jahrhundert einen großen Aufihwung
genommen, aber alle Genoffen, felbft das alte, ehrwürdige Brandenburg,
erſt dann überflügelt, als fie fid) (am 7. März 1307) zu einer Stadt
verbanden, die unter ber Regierung und Verwaltung eines gemeinschaft
lichen Rates ftand. Gleichwohl brachen zwifchen ihmen oft Eiferfüchteleien
und Bwiftigfeiten aus; Daneben entbrannte hier wie anderwärts ber
Kampf der Bünfte gegen die Geſchlechter. Im Jahre 1442 ward nun
der Streit fo erbittert, daß die Viergewerke, Die eine Trennung des Rats
der beiden Städte wünjchten, den Kurfürften zum Schiedsrichter anriefen.
Raſch war er bei der Hand, ftand, ehe die Habernden zur Beſinmung
4
52 Kurfürft Friedrich IT.
gefommen, mit 600 Reitern vor dem Spandauer-Thor, erhielt in der
allgemeinen Beftürzung und Verwirrung Einlaß und bemächtigte fi) der
Stadt (24. Februar 1442). Was fruchtelen da die alten Pergamente,
die es ſchwarz auf weiß erwiefen, daß die Stadt berechtigt ſei, auch dem
Landesherrn den Eintritt zu meigern, wenn er mit Kriegsvolt komme,
und daß in ftädtifhe Dinge niemand einzugreifen habe als Rat und
Bürgerfhaft! Der Kurfürft nahm die Schlüffel der Thore an fich, ſetzte
für jede der beiden Städte einer befonderen, zum Zeil auß ben Ges
ſchlechtern, zum Zeil von dem Ausf—huß der Viergewerke gebildeten Rat
ein und beftimmte, baß derſelbe fortan jährlich von den Bürgern ge—
wählt, vom Landesherrn beftätigt werben follte; zugleich verbot er den
Städten, auf eigene Hand mit jemandem ein Bündnis zu fchließen. So
zerriß er die ftädtifchen Rechtsbriefe und gab der Stadt eine Verfaffung
mit populärem Anftrich, aber monarchiſchem Weſen; denn wenn nunmehr
auch die Handwerker ihren Anteil an ber Verwaltung befamen, fo
berrfchte doch in ber That der Fürft. Kaum war er abgezogen, fo
brad) der allgemeine Unwille 108; die Bürger rottefen ſich zuſammen,
verjagten die Kurfürftlichen und ftellten ihre alte Verfaſſung wieder ber.
Nun behandelte Friedrich, fie als Empörer; er nahm ihnen zur Strafe
mehrere Dörfer weg und begann 1443 auf einem Stüd Landes an der
Spree zwiſchen Berlin und Köln den Bau einer Zwingburg. Die
Stäbter ftemmten fid) nad) Kräften dawider, verübten auch in ihren
Zorn gegen die Aurfürftlichen Diener manche Gewaltthat und fagten dem
Kurfürften zuleßt offen ab. Aber die Hilfe, die fie von den übrigen
Städten der Mark und von der Hanfa gefordert, blieb aus; bie märki—
ſchen Stände, vom Kurfürften zur Entſcheidung ber Sache berufen, er-
Härten fi) 1447 auf dem Landtag zu Spandau fogar gegen Berlin
und Köln; diefe mußten fid) Daher unterwerfen. Die Anordnungen des
Kurfürften vom Jahre 1442 traten wieder in Kraft; einige Führer der
Bürgerjhaft wurben verbannt oder ihrer Lehen beraubt; alle anderen
Bürger mußten dem Kurfürften Treue und Gehorfam ſchwören; fortan
ſetzte er die ftädtifchen Behörden ein. So enbete 1448 der „berliner
unwille“ mit dem volftändigen Siege des Fürften. Drei Jahre darauf
ward auch das Furfürftliche Schloß an der Spree vollendet und Hielt Die
Bürgerſchaft feitdem in dauernder Abhängigkeit. Der Kurfürft wählte
es zum Giß feiner Regierung. So ward Berlin-Röln aus einer faft un-
abhängigen und freien Stabt eine fürftlihe Nefidenz und Hauptftadt der
Mark Brandenburg.
Berlins Niederlage fchredte auch bie anderen Städte und fchaffte
dem Kurfürften überall Gehorfam. Der Staat im ganzen Tonnte babet
nur gewinnen; eben beöhalb vertrug fi, Friedrichs gewaltfames, ohire
Zweifel widerrechtliches Verfahren gegen die Städte ganz wohl mit’ feiner
Schwanenorden. 53
Gottesfurcht; ſie ging bei ihm immer Hand in Hand mit der Politik.
Dies zeigte fi fo recht in feiner Stiftung des ‚Schwanenordens“ (1443),
eines Vereins von Ebelleuten und Edelfrauen, die fid) verpflichteten, un-
tabelig und gottfelig zu leben und einander chriſtlich und brüderlich mit
Rat und That beizuftehen*). Friedrich IL beabſichtigte damit zweierlei:
feinen markiſchen Adel zu frommen Rittern zu erziehen und ihn zugleich
fefter an die Perſon des Fürften zu fetten. Diefelbe Verbindung von
Negentenklugheit und Religiofität zeigte fich in feinem Verhalten gegen
die Kirche. Denn wenn er einerfeit3 durch damals ſchon feltene Werke
der Frömmigkeit, durch eine Pilgerfahrt nach Jeruſalem (1453), durch
die Stiftung des Doms in Köln an der Spree (1469), feine religiöfe
Gefimmung bethätigte, jo geftattete er anbrerjeit3 ber Geiſtlichkeit doch
teinerlei Übergriffe in rein ftaatliche Angelegenheiten; vielmehr befchränfte
er ihre Gerichtsbarkeit und litt nicht, Daß fie, wie fonft wohl gefchehen
war, Streitſachen der Laien vor ihren Stuhl zog. In den größten, wie
in den Heinen Dingen bewährte er die gleiche maßvolle Bejonnenheit;
aud) in rein perjönlichen Angelegenheiten. Zweimal wurde ihm eine
Königöfrone angeboten, 1446 die polniſche durch einen Teil der polniſchen
Magnaten, 1468 die böhmifche durch den Papft; er Ichnte beide Anträge
ab, um fi) nicht auf Unternehmungen einzulafjen, die feine Kräfte wahr
ſcheinlich weit überftiegen. i
Der nachdenkliche Ernft, der ihm immer eigen war, ging allmählich,
zumal nachdem ihn in feiner Familie durd) den Tod feines legten Sohnes,
im Staate durch den ungünftigen Ausgang der pommerſchen Feldzüge
viel Mißgeſchick getroffen, in fo tiefe Schwermut über, daß er befchloß,
zu Gunften feines Bruders Albrecht abzudanken. Er that es 1470 auf
dem Landtage zu Berlin, und nachdem hier Kurfürft und Stände unter
Thränen und Segenswünfhen von einander Abſchied genommen, begab
fh Friedrich nad) Franken auf die Plaſſenburg; dort ftarb er ſchon im
folgenden Jahre. Will man recht ſchätzen, was er für die Mark geleiftet,
fo muß man wiflen, mit wie geringen Hilfsmitteln er es that. Diejer
Kurfürft hatte einen Feind, der ihm überall Hindernd in den Weg trat,
die Armut — feine jährlichen Einkünfte beliefen fi auf nicht mehr als
17500 rheiniſche Gulden, und doch hat er den Beſtand des Staates,
der bei feinem Regierungsantritt 424 Geviertmeilen betrug, auf 614 ver-
mehrt.
*) Der Mittelpuntt des Schwanenordens (ber Übrigens feinen Stifter nicht lange über
Bamerte) war Die Marienkirche zu Mlb-Brandenburg; das Mbgeldien ein Stern mit dem Wilde
der Jungfrau Maria und des Ghriftusfinbieins, barunter ein Ring mit einem Schwan als
Sumbild eines freubigen Abſchieds vom ber Welt,
54
Albrecht Achilles.
Ein gewaltiger Ritter der Kurfürſt Albrecht, den man den deutſchen
Achill nannte; auf allen Turnieren war er zu finden; in Stahl von Kopf
zu Fuß oder im Lederkoller auf ſeinem Streithengſt, gleichviel, ſeine
Lanze ſtreckte den Gegner allemal in den Sand. Viel lieber ritt er doch
zum blutigen Ernft; in Deutſchland und Polen, Preußen, Ungarn und
Böhmen, auf hundert Schlachtfeldern hat er mitgeftritten, einft, noch
Burggraf, den Nürnbergern in einem Jahr neun Treffen geliefert; da
ſchlug er fid) einmal durch 800 Nürnberger zum Stabtbanner Bahn,
packte, hielt unter einem Regen von Schwerthieben die Fahne feft, bis
feine Ritter Herangedrungen, und er fiegesfroh, ob aud) aus Mund und
Naſe blutftrömend, wieder auf fein Roß fpringen Tonnte. Wie er an
Kraft und Schönheit, an Heldenmut und Kriegsruhm, am aller ritter-
lichen Zierde unter ben Rittern ſeinesgleichen nicht hatte, fo überftrahlte
fein Hof durch Pracht und Glanz alle andern fürftlichen Höfe Deutſch-
lands. Sein Wohnfiß, die Kadolzburg, war weit und breit berühmt;
da gab e8 die herrlichſten Tefte, da fah man in den reichen Sälen die
tapferften Ritter, die ſchönſten Damen, voll feiner Sitte und in köftlichem
Staate. Da gingen die Pagen in roter Seide, und felbit die Pferde
waren mit rotem Sammet bebedit.
Auch die arme Mark hatte von ber fränkifchen Pracht gehört. Als
mm Albrecht Achilles 1471 zur Huldigung nach Salzwedel kam, das für
brandenburgiſche nie eine reiche Stadt war, empfingen ihn die
Bürger mit dem Außerften, was fie von Pracht wußten: nad) der Ein-
holung bradjte der Magiftrat feine Gaſtgeſchenke dar, — außer Hafer,
Fiſchen, Hammeltenlen und Bier, zwei große Mulden voll Eingemachtes,
Klaretwein und Eimbeder-Bier, ferner zwei noch größere Mulden voll
Bohnentuchen mit Mandeln umd Ingwer, auch Körbe vol Apfel und
Birnen. Der Kırfürft nahm das fehr geringſchätzig auf, er war an ganz
andere Herrlichteiten gewöhnt. Noch weniger gefielen ihm die Sitten der
Märker, die freilich ungefchlacht genug waren. Den märkifchen Abel nun
gar ſah er für voll nicht an; er vermißte an ihm bie feine Art und
das ritterliche Weſen der Franken, die er daher überall vorzog. Ebenſo
verachtete er die Städter; er mochte Die Krämer nicht leiden: ihre bürger«
liche Hantirung ſchätzte er nicht, ihre Rechte und Freiheiten dem Ritter
und Zürften gegenüber hielt er für verwerfliche Überhebung und Hoch⸗
mut. Zwar beftätigte er ihnen, wie den andern Städten ihre Gerecht ⸗
fame, weil es einmal fo Brauch war; aber er ließ fid) teuer dafür be-
zahlen. Er wollte fogar auf eigene Hand eine neue Steuer, die Bier⸗
ziefe, auflegen, was indes an dem Wiberfpruch der Stände foheiterte.
ulbreqt Agilles. 55
Sie bewilligten ihm dagegen (1472) ein für alle Mal 100000 Gulden,
doch unter der Bebingung, daß dies Geld nur zur Dedung ber Landes-
ſchulden verwendet werde; auch dürfe der Kurfürft feine andere Bede
einbringen, als in den drei Fällen, für die Damals außerordentliche Auf-
lagen geftattet waren, nämlich wenn er mit Beirat der Stände Krieg
erheben, wenn er eine Niederlage erleiden, und wenn er feine Kinder
verheiraten follte. Won der bewilligten Summe hatten die Städte bie
größte Hälfte, Abel und Geiftlichfeit Die Heinere, einen Zeil der Kurfürft
felber (für feine Domänen) zu leiften. Albrecht that Dies dadurch, daß
er auf Grund eines Tatferlichen Rechts gewiſſe Waren mit einem Boll
belegte. Darüber gab's nun mit den Ständen neuen Streit bis ein
Schiedsgericht, gebildet aus Hohen Geiftlichen, Adligen, Bürgermeiftern
und Landihöffen, zu Gunften des Kurfürften entſchied.
Aber die Unzufriedenheit der Märker über den Boll, wie über
Albrechts ganzes Auftreten war groß und dauernd; man äußerte, im
Kriegsfall werde man keine Mannſchaften ftellen. Diefe Stimmung ver-
leidete dem Kurfürften den Aufenthalt in der Mark noch mehr; fie be
ftärkte auch die pommerſchen Herzöge, über die fi) Albrecht 1470 vom
Kaifer hatte die Belehnung erteilen laſſen, in ihrem Widerftande. Den
Waffen fepten fie die Waffen, der Lift ihren gefunden Verftand entgegen:
verftridte fie der Markgraf in die Netze ſtaatskluger Verhandlungen, fo
ſchlugen fie mit der Fauft durch; kurz die Bommern „waren nicht gut
zu Flechten“. Verdrießlich Tehrte Albrecht nach Franken zurüd, nachdem
er feinen älteften Sohn, ben Kurprinzen Zohann, in ber Mark zum
Statthalter eingefegt. Johann Hatte in dieſem Amte einen ſchweren
Stand, geringe Einkünfte, und dabei mußte er Kriege führen, mit ben
Bommern, mit ben Ungarn und Schlefiern, denen er Glogau, das
Witwenteil feiner Schwefter, ber Herzogin von Glogau, abringen follte.
&r wurde hart bedrängt, befonbers vom Herzog Hans von Priebus.
Endlich, (1478) erſchien der Kurfürft mit. einem fränkiſchen Heere wieder
in der Mark und führte ben Sieg zurüd. Er bewährte jetzt feinen
Namen, flug die Pommern, die im prenzlauer Vertrage 1479 feine
Lehushoheit anerfennen mußten, ſchlug auch ben ſchlefiſchen Herzog Hans
von Priebus ſamt feinen Ungarn; fie traten dann (im famenzer Bertrage
1482) wenigftens Kroffen, Züllichau, Sommerfelb und Bobersberg an
Die Mark ab.
In den ruhmoollen Jahren 1478 und 1479 hatte die Mark ben
alternden Helden zum letzten Male geſehen; er überließ fie fortan ganz
und gar dem Pringen- Statthalter, während er jelbft auf der Kadolzburg
prachtvoll Hof hielt oder für Die Wohlfahrt des deutſchen Reichs thätig
war. Und doch beburfte die Mark fo jehr des überall gegenwärtigen
Auges und Armes eines forgfamen Landesvaters. Prinz Johann konnte
56 albrecht achiles.
beim beſten Willen nur wenig leiſten; es fehlte ihm immer an Gelb; bie
Städte wollten den Zoll, den ber Kurfürft aufgelegt, nicht erheben Laffen;
andere Einkünfte verfchlang die Tilgung der Schulden, die durch den
pommerſchen Krieg noch waren vermehrt worden. Er felbft litt an allem
Mangel, lebte auch für feine Perſon höchſt ärmlich, wie er denn jeine
Hochʒeit mit einer ſaͤchſtſchen Prinzeffin um der Koften willen Jahre lang
auffcjteben mußte.
Doch dankt das Haus Hohenzollern und mit ihm das Vaterland
dem Kurfürften Albrecht eine große Wohlthat: jenes Hausgefeh, das unter
dem Ramen Dispositio Achilles befanmt ift; er erließ es 1473 im Schloß
zu Köln an der Spree und beftimmte darin feinem älteften Sohne bie
Mark, zwei jüngeren Söhnen die fränkiſchen Herzogtümer Ansbach und
Baireuth; dabei wurde feftgejeht, daß die Mark Brandenburg ftets un ⸗
geteilt dem Kurfürften gehören, das Burggrafenamt Nürnberg aber nur
zwei regierende Herren (zu Baireuth und zu Ansbach) haben ſollte.
Zweierlei bewirkte er dadurch: es wurde verhindert, daß die zollerſche
Hausmacht fi durch Lämderteilumgen zerfplitterte, wie es in andern
Fürftenhäufern, z. B. bei ben Wettinern, geſchah; und die zollerſchen
Kurfürften wurden genötigt, in der Mark ihren dauernden Wohnſitz zu
nehmen. Beides ift für Brandenburgs Glück und Größe von ben aller
heilfamften Folgen gewefen.
&o hat fid) Albrecht Achilles um bie Märter, deren Liebe er weder
ſuchte noch fand, doch vielfach verdient gemacht. Er ftarb 1486 (zu
Frankfurt am Main) 72 Jahre alt, mehr die Bewunderung ber Welt,
als die rende feiner Unterthanen.
Zohann Cicero.
Die erften brei zollerſchen Kurfürſten waren tüchtige, zum. Teil
große Männer gewefen, aber fie hatten den Märkern doch nie recht nahe
geftanden, waren inner Franken geblieben. Ihre game Weiſe hatte
für ihre brandenburgiſchen Unterthanen etwas Fremdartiges, ſelbſt Ab-
ftoßendes; es kam bisher zur feinem Herzensbunde zwiſchen dem Fürften
und dem Volke von Brandenburg. Seht aber wurbe ein ‚folder ge⸗
ſchloffen. Johaum, ber das Kurflrftentum erbte, während Aibrechts
qweiter Sohn in Ansbach, ber dritte in Batreuth (Kulmbach) folgte,
Johann war ein Zoller, aber zugleich ein ganzer Mürker. In Branden-
bing zum Manne erwacfen, hatte er des Landes Sitte und Mundart
angenommen, und weil er Land und Leute kaunte und ſich mit‘ ihnen
eins fühlte, fo ſchäͤtzten fi beide Teile. Zwar fo ein Kriegsheld wie
Albrecht Achilles war er nicht, obwohl e8 ihm an Mut und Entichloffen-
heit nirgends gebrach; fein Sinn war friedlich, feine liebſten Neigunger
Johann Cicero. 57
gehörten der Wiſſenſchaft; er wußte gelehrt zu reden, in deutſcher und
fremder Zunge, zumal auf Lateiniſch, wie ein Cicero. Am meiften gefiel
den Mariern, daß er gleichſam die Ordnung und Sparfamfeit felber
war; einen foldyen Fürften brauchten fie gerade. Dennoch bewilligte der
Landtag 1488 die Forderung, die Albrecht Achilles mie hatte durchſehen
Linmen, eine Steuer auf Bier, dem Sohne nur mit Widerftreben. Indeſſen
geftand man ihm die nötige Beihilfe endlich zu: er durfte fieben Jahre
hindurch die Bierziefe erheben, zwölf Pfennige für die Tonne, und zwar
zu zwei Dritteln für fi), zu einem für die Städte. Nur die altmärkiichen
Stãdte wollten ſich aud) jetzt nid fügen; am widerfeglichften war Stendal,
wo das Volk die Steuerbeamten verjagte oder tötete; erft mit Waffen
gewalt wurde der Kurfürft des Aufftandes Herr. Aber er täufchte das
Bertromen der Stande nicht, hielt mit ihrem Gelde vielmehr fo wirtlid)
Haus, brachte den Staatshaushalt in fo gute Ordnung, daß er nicht
‚bloß (1490) die lauſthiſche Herrſchaft Zofjen um 16 000 rheinifche Gulden
taufen, fondern auch alle Vorbereitungen zu einem großartigen Werke,
zur Stiftung einer Lanbesuniverfität treffen Tomte.
Den Gedanken dazu brachte er.1495 vom wormfer Reichstage heim;
dort Hatte der geiftreihe und wohlmeinende Kaifer Marimilian L
mancherlet heilſamen Borjchlägen, wie dem „ewigen Landfrieden“ und
der Bildung eines Reichskammergerichts, feine Zuſtimmung erteilt, anderes
Gute, beſonders durch den Wunſch, ein jeder Kurfürft möge in feinem
Lande eine Hochſchule errichten, ſeinerſeits angeregt. Auch hatte bie
wifienfdjaftliche Bilbung feit 1450, ſeit Gutenbergs Erfindung, einen
folchen Auffhwung genommen, in ben Augen der Fürſten wie in der
Öffentlichen Meinung einen fo hohen Wert erlangt, daß nirgends ber
Bille fehlte, ihr neue Pflanzftätten zu erihaffen. Aber folde Stiftungen
tofteten viel Geld; ein jeder Fürft rechnete fie fih zur Ehre, doch nur
wenige hatten wie der brandenburgiſche die Mittel dazu. Johann be
ſtinnnte Frankfurt a. D. zu dem neuen Sit der Mufen und begann mit
Hilfe. des leipziger Profefiors Pifteris alle nötigen Einrichtungen vor⸗
zubereiten; aber er erlebte die Vollendung des Werkes nicht mehr; erft
4 Zahre alt, ſtarb er (S. Januar 1499) zu Ameburg. Wie er zuerft
unter den Zollern in der Mark feinen dauernden Wohnſfitz nahın, jo war
er auch der erite fürfiliche Boller, der hier fein Grab fand. Er wurde
im Aloſter Lehnin beigefeßt. Es iſt ihm nachmals (um 1550) von
ſeinem Ente, ein herrliches Denkmal im Dom zu Köln an der Spree
errichtet: worden, ein Werk des berühmten Peter. Biicher aus Nürnberg;
auch ohne dies blieb das Andenken des reblichen und wohlwollenden
Kurfürfien Johann bei- den Märkern lange in verdienten Ehren.
58
Innere Iuftände ber Mark im 15. Zahrhundert.
Das 15. Jahrhundert, das lehte des Mittelalters, zeigt bereits bie
erften Übergänge zu einer neuen Zeit. Da welten alte Formen, und aus
der Verweſung keimt neues Leben; ba ftehen noch ehrwürdige Werke von
Menfchenhand, gleich alten Riefenbäumen, aber ſchon raufc)t Gottes Odem
beran, was innerlich morſch ift, niederzumwerfen, damit die junge Pflanzung
Luft und Licht befomme. Was ſchoͤn und heilfam war in feinen Tagen,
bat nun feine Zeit erfüllt und geht dahin, um Beſſerem Pla zu madjen.
Wie herrlich erblühte im 13. Jahrhundert das deutſche Rittertum, im
13. und 14. das deutſche Bürgertum! Stolz und frei wie der Adler ſaß
der Edelmann auf feiner Burg, umd ein Bürger von Rürnberg, von
Augsburg, von Ulm ımd fo vielen anderen reichen und freien Stäbten
taufchte nicht mit Königen. Aber das niebere Volt ſank tiefer und
tiefer in Knechtichaft und Elend, und die feiner warten follten, die Diener
Gottes, ließen meift es verlommen und gaben ihm ftatt Brotes Steine.
Dafür fallen nun — hier früher, dort fpäter — die Stände allzumal in
die Hand des Fürften, der die Sonderftanten im Lande ummirft, dem
Adel, den Städten, ber Geiftlichfeit ihre Macht nimmt, fo daß alle nicht
mehr wenigen, fondern dem Ganzen dienen, welches der Fürft barftellt,
benn fein Beruf tft es nun, „einem jeben das Seine” zu geben. Diefe
Entwidemg der Dinge aus dem mittelafterlihen Feudalweſen zum
abſolutiſtiſchen Staat iſt in unſerm Baterlande viele Menfchenalter hin-
durch die Aufgabe ber Hohemzollern gemefen; aber ein gutes Stück ber
Arbeit haben fie bereits im 15. Zahrhundert verrichtet.
Denn in biefer Zeit bewältigten fie zuerft den Adel in der Mark,
dann bie Städte. Jener warb wieher gewöhnt, daß er zu Hofe ging,
den Rüden beugte und dem Fürften diente; dieje mußten aufhören, auf
ihre Urkunden zu pochen, fie wurden gehorfame Landſtädte; beide ftenmten
ſich doch noch oft dawider. Aber es traf fo manches zufammen, was
auf den fürftlichen -Abfolutismus Hindrängte. Am meiften begünftigte
ihn ‚die. Umwandlung im Kriege» und Finanzweſen, welche ſchon jetzt
begann, Zwar noch galt die alte Weife, daß der Landesherr zum Kriege
den Lehnsadel und ben Zuzug ber Städte aufbot, Truppen, bie ihm
nicht unbedingt gehordyten und nad) bem Feldzuge wieder heimgingen.
Rod) blieb auch Die alte Befteuerung in Kraft und den Landftänden ihr
Recht, neue Steuern zu verfagen und die Form und Berwenbung ber
bewilligten gu beftimmen. Auch konnte die Leiftungstraft bes Beftehenden
noch immer befriedigen. Brachte die Mark doch zum Kriege vom 1470
im Ganzen ein Heer von 21000 Mann auf, nämlid) 3200 Reiter von
ber Riterjchaft, 5200 Man zu Roß und zu Fuß von dem Hofe, ben
Herren und Prälaten, 11.000 von den Städten, wozu noch 2000 frän«
Das Rriegsioefen. 59
tiſche „Bäfte" oder Söldner des Kurfürften kamen. Aber ſchon bie Art,
wie man die Steuern (Hufenfteuer, Orbede und Bierziefe, dazu im
fpäterer Zeit das „Ungeld*, eine Verzehrsſteuer) und das Kriegsaufgebot
zuſammenbrachte, war ſo ſchwerfällig, zeigte fo viele ftaatliche Sonber-
weſen neben einander wirffam, daß bie Intereſſen bes Ganzen wenigſtens
Teine Gewähr ihrer Sicherheit daran hatten. Da leifteten nicht bloß Die
Biſchöfe (don Havelberg, Brandenburg, Lebus), die Übrige Hohe Beiftlichkeit,
die Ritterfchaft, der Hof ein jeder Teil befonders; auch die Städte zerfielen
wieder in zahlreiche Gruppen, die fogenannten „Spradien“ — Vereine,
deren jeder einen Hauptort und mehrere Heine Städte enthielt — und
jede Sprache Ieiftete wieder zu dem ftädttichen Betrage ihren Anteil be»
fonders, wobei der Hauptort das Vorrecht hatte, den Hauptmann und
Fahnrich zu ftellen. Noch mannigfaktiger war die Bewaffnung; da fah
man ſeit den Huſſitenkriegen neben den eifenbepangerten Rittern die
Büchfenmeifter mit ihren Haubigen, neben den Armbruftfchügen und
Schwert · und Spieß-Trägern aud) Fußvolk mit Feuergewehren. Ein
ſolches Gemiſch von Veraltetem und Modernem Konnte keinen Beſtand
haben; das zweckmäßigere Neue mußte allein den Platz behaupten, das
Lehnsheer dem Söldnerheer weichen. Denn ber Krieg verlor mm feine
Ehre; was vermochte perfönliche Tapferkeit und ritterliche Rüftung gegen
das Feuergeſchütz Die Mustetenkugel durchbrach Panzer und Schild
fo leicht wie Die Kanonenfugel bie Burgmauer. Aber der Krieg wurbe
man auch ein Handwerk. Denn die Gefchägleute jeder Gattung waren
wie ihre Waffen ſtädtiſchen Urfprungs, bildeten Gilden, die ihre Kunft
mußten gelernt haben und ihre Dienfte verkauften. In Süddeutſchland
waren es gar bloße Bauernburfche (Landsknechte), welche bie Hakenbüchſe
führten. Die Ritter zogen fi) daher allmählich von dem Kriegsdienft
zurück und zahlten dafüͤr lieber eine Abgabe an den Lehnsherrn. Auch
die Stübte-fanbeni die Yusrüftung zum Kriege, die jetzt, wo fle teures
Feuergeſchutz geben follten, immer Yoftfpieliger ward, bald fo läftig, daß
fie es vorzogen, fich durch Gelb ihrer Wehrpflicht zu entledigen. Dem
Fürften war dies in der Regel ſehr lieb; denn Gälöner Heßen ſich, fo
lange nur das Geld reidhte, immer und zu allem gebrauchen, gegen innere
Feinde, wie gegen bas Ausland, Zugleich verlor ber- Adel an Anfehen
und Einfluß, und das Volt im ganzer: entwöhnte fi der Waffen; bie
Wehrhafligteit aber war immer bie ftärffte Süße der Voiksfreiheit und
bie Wehrlöfigfeit ihr Tod.
Eine andere Duelle der Macht, die ſich jet den Landesherren er»
öffnete, war die Einffihrung des roͤmiſchen Rechts. Die Satzungen der
alten römifchen Kaiſer, namentlich des Juſtinian, die auf ben neuen
Hochſchulen in Deutſchland, den gUniverfitäten, nad) dem Mufter der
parifer und bologner gelehrt wurden, begannen aud) bei uns das gute
so Innere Zuftände der Mark im 15. Jahrhundert,
deutſche Recht zu verdrängen und bie Fürſten mit der Einbilbung zu
erfüllen, die abjolute Gewalt ftehe ihnen ebenſo rechtmäßig zu wie einft
in Rom und Byzanz ben alten Imperatoren. Das römifche Recht ſchloß
aber aud) die alte volkstümliche Öffentlichkeit und Miünbdlichkeit und die
Befugnis ber Gemeinden felber das Urteil zu finden aus; e8 begünftigte
das Schreiberwefen und legte die Gerichtspflege in Die Hände eines ge-⸗
Iehrten Nichterftandes. Auch hierdurch wuchs der Wirkungskreis bes
Zürften ungemein, jowie die Zahl und Wichtigfeit des fürftlichen Beamten-
tums, welches die Gelbftverwaltung der Gemeinden ſchwer bedrohte.
Denn Geld wurde jet mehr als je der Hauptnerv der Regierung, und
bie Verwaltung des Befonderen ſchafft mehr davon als die bloße Leitung
bes Allgemeinen.
Indefien alles dies fing eben erft an, den alten Beſtand zu ges
fährden, und wenn die Iandesherrliche Gewalt härter drückte, fo wußten
die Ebelleute und reicheren Bürger die ſchwere Laft vorerft noch von ſich
felber abzumälzen und dem nieberen Volke zugufchieben. Der Bauer
mußte zulegt die Summen aufbringen, welche die fürftlichen Söldner,
Juriſten, Beamten koſteten, und die größeren, welche Adel, Geiftlichkeit
und Städte zu ihren ſtets wachſenden Bebürfniffen brauchten. Auf ihn
fielen auch von allen Fehden und Kriegen die härteften Schläge; denn
Krieg bedeutete Lanbesverwüftung. Die anderen ſchützten fich nod) einiger
maßen durch ihr Zufammenhalten auf dem Landtage, wenn nicht hinter
ihren feften Mauern; der Bauer jaß im offenen Orten und war bei den
Lanbftänden nicht vertreten. Man nannte ihn damals ben „armen
Mann”; er war es. Und wie auf dem platten Lande der Adel den
Bauer plünberte und knechtete, fo konnten in ben Städten bie reichen
Gefchlechter den Heinen Bürger ausbeuten. Denn die Fürſten meinten,
die Gemeinden leichter im Zaume zu halten, wenn bas öffentliche
Xeben darin unter ber Herrichaft weniger vornehmer Familien ins Stoden
‚geriet.
Die Maſſe des Volls mußte, daher die Veränderungen, die in den
öffentlichen Verhãltniſſen des Staatsweiens während biefes Zeitraums
eintraten, als eine Verſchlechterung anfehen. Der Kurfürft hatte vollauf
zu thun, den äußeren Beitand des Staates wieder feitzuftellen und im
Innern die gefährlichften Feinde ber landesherrlichen Gewalt nieder
zuwerfen. Überdies wibmeten ſich die Sollern erft gegen Ende bes
Sahrhunderts ganz der Marl. So konnten Hier noch einmal ähnliche
Buftände Platz greifen, wie unter ben Wittelsbachern und Luremburgern;
wenigftens die Unficherheit der Straßen, die Räubereien und Fehden der
Abdligen, die Verpfändung von Landesgütern bei ben häufigen Gelb»
‚verlegenheiten waren Übel, über die man auch jegt mod) oft zu Hagen
hatte. Und mm gar der Verluft, Ser die Stäbte traf! Daß fie feit
Geiftige Iuterefien. 61
der Mitte bes Jahrhunderts die obere Gerichtsbarkeit und das Öffnungs-
recht nicht mehr befaßen, konnte verſchmerzt werben; aber aufer jenen
Vorrechten hatten fie auch die wichtigeren des Stapelrechts und der Boll»
freiheit mb damit bie feiteften Gtüßen ihres Handels eingebüßt; fie
fingen an zu verfallen. Fürs erfte freilich gingen Handel und Wandel
noch die alten Wege und gab es noch viel Reichtum bei Kaufleuten und
Handwerkern.
Im ganzen war doch die materielle Lage der Märker am Ende des
15. Jahrhunderts nur wenig befler, als fie vor dem Erfcheinen ber
Hohenzollern geweſen; aber es gab jeßt für fie in der Stärkung der
landesherrlichen Gewalt eine große Hoffnung. Am meiften fonnte von
diefer neuen Macht für die geiftigen Antereffen des Landes erwartet
werben. In der Bildung ftand ja die Mark damals weit hinter dem
übrigen Deutſchland zurüd; Kunft und Wiſſenſchaft Hatte hier noch
feine Stätte und faßte doch jchon in Pommern Zuß, blühte ſchon in
Schleſien; dort gab es bereit feit 1456 eine Univerfität (Greifswald,
geftiftet von dem wolgafter Herzog Wratiflam IX.), umd Schlefien zählte
zu dieſer Beit eine Menge von gebildeten Männern. In dem großen
und reichen Breslau waren längft tüchtige Stadtſchulen, aud) gute ärzt ⸗
liche Einrichtungen vorhanden, während man in Berlin nichts dergleichen
und erft feit 1488 eine Apothele fand. Eben jo übel wie mit der Bil«
dung war es in ber Mark mit der GSittlichfeit beftelt. Das Hauptlafter
war bier — wie freilich in ganz Deutihland — bas Saufen ober
„Volltrinken“. Hohe und Niebere fröhnten ihm; man bradıte das
Zechen zu einer gewiſſen Kunftfertigfeit, verbrauchte unglaubliche Maſſen
von Bier, und felbft der Wein floß in Strömen. Auch andere Aus-
ſchweifungen waren im Schwange, und die Geiftlichkeit ging ‚oft mit
dem böfen Beifpiel voran. Sie war faft überall fo entartet, daß fie
nicht bloß ben Volfsunterricht gänzlich vernadläffigte, fondern es fogar
hinderte, wenn andere etwas für ihn thun wollten; wie benn 3. B. die
Domherren von Stettin 1469 durchfeßten, bafı ‚bie. bafelbft begräinbeten
lateiniſchen und deutſchen Stadtſchulen wieder aufgehoben wurden. Da⸗
gegen beförberten die Pfaffen jede Art von Aberglauben, und bejonders
das „heilige Blut“ von Wilsnad florirte damals. Won weit her
308 es die Gläubigen an, ſcharenweiſe kamen die Pilger und bis aus
Polen und Ungarn. Meift waren fie von andern dazu gemietet, von.
reihen "Sünbern, die gern fromme Merke in Bequemlichteit übten.
Der Ballfahrer erhielt in Wilsnad von den Prieftern zum Beichen,
daß er dageweſen, ein Bleiftüc in Form einer Hoftie; das fterte er
an feinen Hut und bradjte es als Zeugnis ber vollbradjten Püger-
fahrt heim. Übrigens glaubte man fteif und feſt nicht bloß an
die Wunderkraft der Reliquien, fondern auch an Hexen und Heren-
62 Joaqhim I. Reftor.
meifter, an Zauberer und Teufel; — Gott und fein Reid) warb wenig
geſucht.
dZoachim I. Aeſtor.
Vier gute Lehren gab Johann Cicero ſterbend feinem älteften Sohne:
Gott zu fürchten, Gerechtigkeit zu üben, die Unterthanen zu ſchützen und
dem Adel den Zaum nicht zu lang zu laflen. Joachim merkte fie ſich
umd bat ihren vedlich nachgelebt. Er war erft fünfzehn Jahre alt, da
er den Thron beftieg, aber fein frühreifer Geift wandte ſich gern ernften
Dingen zu und ergriff fie mit felbftbewußter Willensftärfe. Auch er
befaß eine fehr gelehrte Bildung, war ein zierlicher Redner, ein „Neftor"
an fliegender Suade, und ein fo fertiger Lateiner, daß ihn fpäter die
deutſchen Fürften auf den Reichstagen zu ihrem Sprecher zu wählen
pflegten. Er verkehrte am liebſten mit Gelehrten, faß viel in feinem
Studirzimmer oder beobachtete mit dem Hofafteologen die Sterne; denn
er war ein guter Mathematitus und Aftronom und nad) Sitte ber Beit
ein eifriger Sterndeuter. Aber über den Büchern vernachläſſigte er nie
bie Regierung, er fah fid) auch auf der Erde und bejonders in feinem
Staate fleißig um und hatte daher von allem im Lande fo gute Kenntnis,
daß das Volk fie einer übernatürlichen Duelle zuſchrieb. Es hatte bald
Grund auch feine ungemeine Thatkraft zu bewundern.
Die große Jugend des neuen Kurfürften glaubte der Adel benußen
- zu können, um das Joch wieder abzufchätteln und die Zeiten der Quitzows
zu erneuen. Das Wegelagern nahm wieder überhand; manchen Edel-
mann verführte dazu die Not, denn Mißwachs und Veit verheerten das
Land, und viele Güter des Adels, der es in der Mark nie zu großem
Reichtum gebracht, nährten ihre Befiker nicht mehr; andere Raubritter
waren es aus bloßer Luft am Raufen und Plündern. Da betete wohl
der Kaufmann, wenn er feine Straße z0g, und der Bauer, wenn er fein
Vieh und Kom verwahrte: „Vor Köceriß und Lüderik, Vor Krachten
und vor Ihzenplitz Behüt uns lieber Herre Gott!" Selbft aus dem Hof-
gefinde des Kurfürften ging mancher Ritter bei Racht auf ben Yang.
Das Übel forderte eine gründliche Heilung; Joachim hat fie bewirkt.
Ohne Gnade ließ er einen feiner Höflinge, der einen Kaufmann beraubt
hatte, Hinrichten. Darüber ergrimmte die Ritter- und Räuberbande;
es wird erzählt, einer von ihnen*) habe dem Kurfürften an die Stuben-
thür gefehrieben: „Jochimken, Jochimken, höde dy; wo wy dy Friegen,
hängen wy by!“ und babe mit feinen Genofien im köpnicker Walde ges
*) Die Sage nennt ihn v. Duterſtädt; bie beglaubigte Geſchichte weis aber von einen
Dieb Bamens nur, bob er nom Rufücten eine Bergehens halber mit Gefängnis befaft
und dann beguabigt wırbe.
Das Kammergeriit. — Die Univerfität Frantfurt a. O. 68
lauert, um bie Drohung wahrzumadjen; aber von ben Bauern rechtzeitig
gewarnt, habe der Kurfürft den Rädelsführer fangen und zu Köln an
der Spree vierteilen laſſen. Wenngleid, diefe Erzählung nur Sage und
vielleicht eine bloße Fabel ift, fo ift doch foniel gewiß, daß der Sinn eines
Teils jenes märkiſchen Adels ebenfo trogig nad) oben, wie gewaltthätig
nach unten war. Die erften Mafregeln bes Kurfürften gegen die Land»
beſchãädiger fruchteten wenig; die Räubereien dauerten fort. Da ließ
denn, weil Drohungen und einzelne Beijpiele nicht halfen, ber Kurfürft
die Übelthäter in Mafje aufgreifen und ihrer fiebzig, Darımter vierzig vom
Adel, auf der Stelle aufhängen. „Adkiges Blut hab’ ich nicht vergoffen"
(antwortete er auf bie Vorftellungen eines ihm verwandten Fürften),
„Sondern Schelme und Mörder nad, Verbienft geftraft.* Auf feine Ver-
anlaffung hielten auch die Städte und die Bauernichaften überall auf den
Straßen Lanbreiter, die auf die Räuber paßten. So wurde das Land
gefäubert. Um aber einen Hauptgrund des Fauftrechts, bie Mangels
baftigfeit der Rechtspflege, die zumal gegen bie Großen wenig leiſtete,
zu befeitigen, ftiftefe der Kurfürft (1516) mit Bewilligung der Stände
das Kammergericht. Dafielbe beftand aus 12 Rechtskundigen (4 vom
Kurfürften, 8 von ben Ständen eingefeht); es hatte als das oberfte Ge⸗
richt im Lande über den Adel und die Vorfteher der Städte, fowie der
Hofe und Landgerichte, kurz über alle zu richten, Die ben bereits vor⸗
handenen Gerichten nicht unterworfen waren; das Recht, aus bem es
anfangs noch ſchoͤpfte, war der Sachfenfpiegel, ſeit 1584 aber nur bas
römiſche Recht; feine Sigungen hielt es alljährlich dreimal zu Köln an
der Spree, eimnal zu Tangermünde ab.
Noch großartiger war eine andere Stiftung, Die unter diefer Regie
rung ing Leben trat, bie Gründımg der Univerfität Frankfurt a. O.
Joachim warb eben fo fehr durd) feinen eigenen wiffenfchaftlichen Sinn
wie durch bie Ehrfurcht gegen das Anbenten feines Waters getrieben,
defien Lieblingswert zu vollenden. Am 26. April 1506 geihah bie
feierliche Einweihung der Hochſchule; ihr erfter Rektor war Konrad Koch
aus BWimpfen (Wimpina), die Lehrer zum Zeil geborne Märker, ber
Mehrzahl nach aus Leipzig und Tübingen. Nach dem Mufter der
leipziger Univerfität eingerichtet, blühte die franffurter raſch auf, ſank
dann zwar wieder, hat aber im ganzen für die Verbefierung des Schul«
unterrichts in der Mark ſehr Bebeutendes geleiftet.
Diefe Einrichtungen koſteten natürlic) viel Geld, auch der Hofhalt
des Kurfürften, der prächtig aufzutreten liebte, war ſehr Toftipielig.
Joachim nahm daher die Stände ftärter in Anſpruch, als vordem zu
geſchehen pflegte, und feine Strenge hatte ihn fo in Achtung gefegt, Daß
feine Forderungen allemal bewilligt, insbefondere bie einträgliche Bierziefe
zuletzt fo gut wie der Hufenſchoß eine ftehende Abgabe wurde. Aber er
64 Joechim I. Reftar.
konnte doch auch auf feine tüchtigen Gegenleiftungen hinweifen: auf bie
öffentliche Sicherheit, auf die Verbefferung der Rechtöpflege, auf den
neuen Mufenfik in der Marf, jelbft auf das, was er für die Verfaffung
der Städte that. Bei feinen Rundreifen im Lande hatte er bemerkt, daß
die Städte in Verfall gerieten, eine große Gefahr auch für den Staat,
defien Einkünfte zu zwei Dritteln auß ihrem Stande famen, beffen Herz
alſo, nad) Joachims Vergleid), der Bürger war. Wie konnte hiefem
wichtigften Gliede aufgeholfen werben? Den Städten die alte Freiheit
zurüdgugeben, daran dachte der Kurfürft nicht, nach wie vor mußten die
Bürgermeifter und Ratsherren vom ihm die Beftätigung ihrer Ämter
einholen; denn auf feine, Macht als Landesherr hielt er mit Eiferfucht;
aber er gab unter Beirat ber ftädtifchen Behörden menigftens eime neue
Stäbteordnung (die fogenannte Reformation), welche manche wohlthätige
Beftimmung enthielt, 3. B. gleiches Maß und Gewicht für die ganze
Marl. Noch mehr nüßte die Ordnung und Ruhe, die unter feinem ge
rechten Zepter zu finden war.
Zuweilen freilich verleitete ihn fein Eifer für das Recht, wie er &
verftand, zu argen Mißgriffen. Der ſchlimmſte war die harte Verfolgung,
die er über Die Juden erließ. An einem Sommertage des Jahres 1510
(es war am 19. Zuli) jah man auf dem Neuen-Markt zu Berlin ein
furchtbares Strafgericht. Auf einer Bühne ftanden Richter und Schöppen,
vor ihnen als Angeflagte 38 fpanbauer, brandenburger und ftendaler
Juden in ihrer alten Volkstracht und mit ſpihen, gelben ober weißen
Hüten, ringsum das Voll. Der Richter verlas die Verhandlung, fragte
die Angellagten, ob fie bei der Ausfage, die fie auf der Folter gemacht,
verblieben, ob fie wirklich Hoftien zerfhnitten und beim Paffahfeft Ehriften-
Finder gefchlachtet und das Blut zu Argeneien ober zu Bweden ihres
teligiöfen Glaubens*) verwandt hätten. Zum Tode entichlofien fprachen
fie Ja; vieleicht war die Anklage, die man fo oft gegen fie erhob, dies⸗
mal in der That wahr; längft hatte ja der harte Drud auch ben Juden
zum Haß, zur Rachſucht und, wo er es wagen durfte, zu Greueln der
Unduldfamteit und des Wahns gereizt, dem Aberglauben war er ohnehin
ebenfo ergeben, wie der Chrift. Die Schöppen berieten, hald fiel das
Urteil *"): die Frevler follten allzumal zu Aſche verbrannt werden. Run
®) Nieol. Leutbinger. Chron., ed, prim., I. 1. 36: eo solent sanguine Judae-
rum corpora defanctorum oblinire, ut si Messiae praeterierit seculum, in Christianorum
sanguine serventur.
*) 68 lautete: „Dieweil der böfe Eprift Paul Fromm, Keffelflider aus Bernau, fi;
an dem Heiligen Sakrament vergriffen, bie Monftrang famt zwei Hoftien geftohlen und
verkauft Hat, fo ſoll man ihn auf einen Wagen binden, bie Gaffen aufs und mieberführen,
mit Zangen zeigen unb darnach in ein Feuer Iegen. Und bieweil die boshaftigen, fändben
und verftodten Juden ihre böfe Mibhandlung des heiligen Sakraments und ihren graue
Zubdenverfolgung. — Vertrag zu Seimnig. 65
übergab fie ber Richter dem Henker, der Henker dem Gcheiterhaufen,
während ein Rabbiner fie mit lautem Gefarige hebräifcher Lieder zur
Standhaftigkeit ermahnte. Dann loderten über ben Schlachtopfern die
Blammen auf und zufammen. Ihre Glaubensgenofjen aber wurben
ſämtlich des Landes verwieſen. Was müßte den Wehrlojen der Schutz⸗
brief,. den ihnen der Kurfürft noch unlängft für ſchweres Geld gegeben?
Er war durch das Urteil des Gerichts erloſchen; die nur gebulbet wurben,
Ionnten jederzeit aus dem Staate vertrieben werben, defien Angehörige
fie vor dem Geſetze niemals waren.
Die inneren Angelegenheiten bildeten für Joachim Neſtor bei weiten
den wichtigften Gegenstand feiner Thätigkeit. Er fcäßte die Segmmgen
des Friedens zu hoch, als daß er die Ruhe, die ihm die Nachbarn gönnten,
felber hätte ftören mögen; er war mit diplomatiſchen Erfolgen zufrieben.
Als einen ſolchen durfte er den Vertrag anfehen, durch ben er (zu
Grimnig am 24. Nuguft 1529) die langen Streitigkeiten mit Pommern
für immer beendete. Zwar verzichtete er darin auf die Lehnshoheit über
dieſes Land, aber die pommerſchen Herzöge erkannten dafür Brandenburgs
Erbrecht feierlich an; in Zukunft erhielten fie die Belehnung ftets ums
mittelbar vom Kaifer, aber bie Kurfürjten von Brandenburg wurden
durch Berührung der Lehmsfahne als fünftige Erben mitbelehnt. Der
Kalſer und die pommerſchen Stände beftätigten dieſen billigen Vergleich.
Auch, auf Schleswig⸗ Holftein erwarb Joachim feinem Haufe eine gewiffe
Anwartſchaft; kraft einer 1508 ausgeftellten Erffärung feines Schwieger-
Vaters Johann von Schleswig-Holftein, Königs von Dänemark, wurde
er im Jahre 1517 vom Kaifer mit dem Anfall bes Herzogtums Schleswig
und ber Grafichaft Holftein unter ber Vorausſetzung belehrt, daß Johanns
Sohn, König Chriftian I., ohne mönnliche Nachkommen ftürbe (ein Fall,
der 1659 eintraf, aber nicht benupt werben konnte, weil jene Länder feit
1633, feit Chriftians II. Sturz, ſich in Befi der jüngeren Linie des
Haufes Schleswig-Holftein befanden). Eine unmittelbare Erweiterung
feines Gebiets erhielt der Kurftaat nur durch den Heimfall ber Herrichaft
Ruppin im Jahre 1524.
Kurfürft Joachim I. war ein Muger und traftvoller Regent; bas er-
unten die Unterthanen wie die Nachbarn bereitwillig an. Aber das
Vertrauen auf feine höhere Einſicht artete bei ihm zuweilen in einen
Eigenfinn aus, der in Heinen Dingen zur Wunderlichkeit wurde, in großen
ihn gegen die berechtigten Forderungen ber Zeit verhärtete. Jenes zeigte
hmm Mord am ſchuldloſen Chriftenfindern auch zu mehren Malen vor und auderhalb
da Gerichts befanmt, darum foll man fie zu Pulver verbrennen, auf dab alle andern ein
&rempel an ümen nehmen mbditen, dab fie folge und dergleichen Äbelthat nidt begehen
alten“
Bierfon, preuß. Gedichte. L 5
66 Die Reformation.
fich in feinen aftrologifchen Schrullen. Er glaubte z. B. in der Sternen
zu leſen, daß Berfin und Köln am 15. Juli 1525 durch ein ſchweres
Wetter, ‚durch eine Sünbflut im Heinen untergehen werde. Troh aller
Abmahnungen feiner Gemahlin begab er ſich baher am Morgen des
genannten Tages mit feinem Hofftsat vor die Stadt hinaus, auf den
tempelhofer Berg (bem jetzigen „Kreugberg“), um ſich vor dem Unglück
in Sicherheit zu bringen; nachdem er vergebens gewartet, mußte er dann
am Abend, beicjämt vor-feinen Unterthanen, in fein Schloß zurückkehren.
Schlimmer war, daß er auch die Zeichen ber Zeit falſch deutete, daß er
den Geiſt, ber damals die Reformation entzündete, nicht erkennen
mochte, dann fid) gegen ihn verftodtte.
Die Beformation.
Über die Kirchenverfammlungen, die im 15. Jahrhundert es ver-
ſuchten, die kirchlichen Schäden zu heilen, hatte das Papfttum gefiegt;
bie Reformpläse Schienen zu Ende, umb viele Geiftliche trieben es nun
ärger denn zubor, fo daß man Kaum fagen fonnte, ob ihr Leben oder
ihre Lehre fehlerhafter war; aber die Vernunft mit ihren Bweifeln galt
bem papftlichen Orakel gegenüber als Teufelsiwert. Auch wendete fid)
die Kirche nicht‘ an Den Geift, fondern an die Sinne der Menfchen, die
fie durch den Glanz bes Gottesbienftes beſtach. Pradjtvolle Aufzüge und
reihe Schauftelamgen ergößten dort das Auge, ſchöne Mufit das Ohr,
Raucherwerk die Nafe; nur der Verſtand ging leer aus, denn bie Gebete
und Formeln waren lateiniſch, und was bie Mönche deutſch unter das
Volt fehrieen oder im Beichtſtuhl flüfterten, ſtachelte oft nur die Leiden»
haften und böfen Lüfte auf und erbaute felten das Herz und die Ber-
munft. Aus diefer geiftigen Knechtichaft, Die um fo härter ımd allgemeiner
war, weil die Hierarchie, durch die Wermengung des Geiftlichen mit dem
Weltlichen ein Stant im Staate, in ihrer Entartung jet auch die
materiellen Interefien vielfach verwirrte und bejchädigte, — aus dieſem
Verderben bie Welt errettet zu haben, ift das Berdienft der nachbenklichen,
glaubensernften deutſchen Nation, unb ein Sohn bes Bolles war's, ber
Das Bamer zum Befreiungskampfe erhob.
Martin Luther, eines armen Bergmanns Sohn, aber auf ber
lateiniſchen Schule in Mansfeld, dann in Magdeburg und Eiſenach,
endlich (jeit 1501) auf ber Univerfität zu Erfurt gebilbet, hatte vergebens
verfucht, die religiöfen Zweifel, die ihn quälten, mit den üblichen Mitteln
der Kirche zu befeitigen. Den Weg, ben fie als den ficherften anpries,
aus der fündigen Menfchennatur durch möndjifche Weltentjagung und
Abtötung des Fleifches hinauf zu Gott, ſchlug er mutig ein; 22 Jahre
alt ging er (1505) ins Auguftinerfiofter zu Erfurt; aber die härteften
Bartin Luther. 67
Kafteiungen brachten feiner Seele feinen. Frieden. Da ftieh er auf einen
feltenen Schatz, anf den Hort der Welt, den die römiſche Kleriſei fat in
Vergefienheit gebracht ‚hatte, auf bie Bibel; fie erleuchtete. und tröftete
in; nur durch den Glauben an den Grlöfer ‚wirft du ſeligl dieſe Er-
kenntnis war fortan die Kraft, mit der. er.eine Welt überwand. Auch
feinen Brübern die verſchüttete Duelle der Wahrheit wieber zu ericjliegen,
das vergrabene Evangelium ans Sonnenlicht zu bringen, gab Gott ihm
einen nahen Anlaß und einen großen Wirkungskreis; Luther ward, 1508
Brofefior der Philoſophie an der ſechs Jahre zuvor gegründeten Uni-
verfität Wittenberg und erhielt bajelbft, fett er (1512) Doktor der Then
logie geworden, aud) das Amt eines Sthloßpredigers. Hier trat ihm
mm in dem Tehzelſchen Ablaßkram 1617 die Verberbnis der Herrfchenden
Kirche jo ſchamlos vor Augen, daß er- im, Sottes Namen den Kampf
begann. In feinen 95 Theſen, die er (am 31. Oftober 1517) an bie
Schloßlirche — Wittenberg ſchlug, hatte er nur erſt den Ablaßkram an⸗
—2 und behauptet, daß der Ablaß, vordem nichts als ein Erleß
mißbräuchlicherweiſe bis zur Wergebung aller. Sünden
Pd Geld fei getrieben worden, daß ber Papit keineswegs als Verwalter
der göttlichen Gnade die Abfolution verkaufen bärfe, daß es ein Unſum
und eine Gottesläfterung fei, zu jagen, wie Tehel that: „Sobald das
Geld im Kaften Mingt, die Seele aus dem Fegfener pringt"; vieimehr
werde; bie Vergebung der Sünden nur. durch. wahre Reue bewirkt. Aber
ſchon dies Tühne Wort war eine große That geweſen, war wie ein Laufe
feuer durch ganz Deutſchland gegangen, ben Guten und Berftändiger
eine Freude, den Finſterlingen ein Schreden. Und Luther that mehr,
drang dem Seinde immer tiefer in den Sih feiner Macht, lehrie (1519),
daß die Herrſchaft des Papftes feine göttliche Eurichtung fei, weil bie
Bibel von ihr nichts wife und weil in. Glaubensfacyen einzig und allein
Die Bibel .entjcheibe, warf (1520) die Bannbulle, die der Bapft auf ihn
geſchteudert, ins Feuer, brach aljo für immer mit Rom, forderte endlich)
in Predigt und Schrift alle Welt zur Abſtellung der päpftlichen Miß-
breuche und Irrlehren auf. „Wiberlegt mich ans der heiligen Schrift
und ich will widerrufen, fonft nicht; denn ic) glaube weder dem Papft
noch den Konzilien allein. Gegen das Gewifien vermag ich nichts. Hier
ſteh' ich, ich kann wicht anders, Gott helfe mir! Amen." So ſprach er
am 18. April 1521 zu Kaifer und Neid) in Worms, wohin ihn Karl V.
geladen. Dort traf den Gebannten auch noch die Acht, aber jein Landes»
dert, Kurfürft Friedrich der Weiſe, ſchütte ihn, und die Reformation
durfte in Sachſen ungeftört Wurzel fchlagen.
Es folgten nun die beiden großen Werke, durch welche bie neue
Xehre ein bleibender Segen für Deutſchland ward: die Verdeutſchung der
Bibel durd) Luther und die Begründung des deutſchen Volksſchulweſens
5*
68 Die Reformation.
durch Melanchthon. Da rang ſich, vom lauteren Evangelium gemerkt,
allerorten in Deutfchland der geſunde Menjchenverftand empor, ber jo
Tange unter dem geiftlichen Druck gelegen, und das Volt, das am Staate
wenig Anteil mehr hatte, warf ſich mit deito größerem Eifer in das
irchliche Leben, wo es nun für jeden ein gleiches Recht, wo es wenigftens
für den Gedanken und das Gewiſſen eine Freiheit gab. Mit Freuden
fah es, wie von feinen Fürften einer nad) dem andern die neue Lehre
bei fi) einführte; wie bie Übergetretenen dann feſt und entfchieben gegen
den fpeierfchen Reichstagsabſchied (1529), der den Fortſchritt der Reform
bedrohte, proteftirten, und wie bie Proteftanten (Kurfürft Hans von
Sachſen, Landgraf Philipp von Heffen, Markgraf Georg von Ansbach,
die Herzöge von Lüneburg, ber Fürſt von Anhalt und mehrere Reichs
ftädte) unverzagt vor Kaiſer und Reich zu Augsburg 1580 ihr Iutherifches
Glaubensbekenntnis ablegten. Denn die Reformation war raſch eine
volfstämliche Sache, Luthers Kriegslied „Eine feite Burg“ ein Volkslied
geworden. Auch fielen immer mehr Länder der neuen Lehre bei, z. B.
ganz Pommern, wo im Jahre 1584 ein allgemeiner Landtag auf Antrag
ber Herzöge Philipp von Pommern Bolgaft und Barnim von Pommern
Stettin die Reformation nad) Luthers Lehre einzuführen beſchloß, Die
dann unter Leitung des Dr. Bugenhagen ımd 1536 auch im Bistum
Kamin vollbradyt wurbe.
Doc) nicht überall gingen bie Wünſche des deutſchen Bolten, das in
feiner Mehrheit proteftantifch gefimmt war, in Erfüllung. Auch vide
weltliche Fürften, vornehmlich die Habsburger und Wittelsbacher (devem
Widerftand eine Hauptſchuld an ber kirchlichen Spaltung Deutfchlands
trägt) hielten feft zu Rom; feiner mit jo heftiger, erbitterter Feindſchaft
gegen Luther als der Kurflrft Joachim Neſtor. Er war freilich zu Aug,
um nicht einzufehen, welche Mifbräuche in der römifchen Kirche beftanden ;
‚aber er meinte, fo große Dinge wie eine Kirchenverbefferung könnten und
dürften nur von oben herab, von Papft und Kaifer, Yürften und Kon-
silien, vorgenommen werben; ein Mann aus dem Volle dürfe fi ſolches
nicht erbreiften. Und hatte nicht „Die Frechheit dieſes Mönchleins“ den
Hohenzoller aud) in feinem Familienſtolz beleibigt? Der oberfte Pächter
‘des beutfchen Ablaßhandels in Deutihland war ja Joachims Bruder,
Erzbiſchof Albrecht von Mainz, der freilich dem Kaifer ftets zum Frieden
mit den Lutheriſchen riet. Überdies, welche unfaubern Geifter jchlofien
fich nicht der Reformation an! gar die Wiebertäufer in Münfter 15341
Hatte nicht die Reformation auch ihre fehr gefährliche politiſche Seite?
in ihrem Gefolge war ja jener große Bauernaufftand entbrannt, der
1525 von Schwaben und Franken aus bis zur Ober und jelbft bis Oft⸗
preußen ganz Deutſchland verwüftele und ber nur die Mark verſchonte,
weil bier die Lage bes gemeinen Mannes erträglich) war. Dem Banern-
Brandenburg proteſtantijch. 69
verftand konnte es eben nicht einleuchten, wenn alle Menſchen durch
CHrifti Blut erlöft feien, warum gerade die Mehrzahl, die Bauern;
Sllaven des Adels und der Geiftlichleit bleiben follten. Zwar ber Aufe
ruhr des armen Mannes war rajd) don ben Fürften niedergeſchlagen
worben, auch Luther, der Bauernfohn, hatte ſich gegen feine Brüder er»
Hört; aber man fah doc), welche revolutionären Ideen in der neuen Lehre
ſteckten. Aus allen diejen Gründen erflärte fid) Joachim gegen die Re-
formation. Aber gerade feine leidenſchaftlichen Drohungen befeſtigten dag
Zuthertum, denn fie veranlaßten die lutheriſche Partei ſich im ſchmal⸗
Zaldener Bunde (1531) zur Verteidigung ihres Glaubens achtumggebietenb
zufammenzuthun. Überhaupt war es ein eitle8 Beginnen, daß Joachim
fid) dem Strome der Beit entgegenftemmte; er konnte nicht einmal ver:
hindern, daß diefer ſich über die Mark ergoß. Bornehme und Geringe
nahmen bier begierig die neue Lehre auf, die von Sachſen und Magde-
burg her eindrang. Da der Fürſt nicht voranfchritt, jo nahın das Volt
von Brandenburg feine Sache in. die Hand; es richtete an ſehr vielen
Drten den Gottesdienst nach lutheriſcher Weife ein, zwar nur im ftillen,
denn wo das Luthertum dem Kurfürften offen entgegen trat, ſchlug dieſer
es zu Boden, ohme ſich doch zu eigentlichen Verfolgungen ber Evan ·
geifcjen himreißen zu lafen.
So ift aljo der Proteftantismus in Brandenburg zuerft durch das
Volk begründet worden. Aber ein Lebensprinzip der Dynaftie und des
Staates ward er durch die Bollern, die raſch auch. in der Mark bie
Bege ber Zeit und des Volks einfhlugen. Schen zu Joachims I. Leb-
zeiten fand das Luihertum in dieſem Fürftenhaufe warme und mächtige
rende: der Zoller Albrecht von Preußen. war ſchon feit 1525 lutheriſch,
amd ein Bruder defielben, Markgraf Georg don. Ansbad), Herzog von
Zägernborf, war unter allen Proteftanten vielleicht der eifrigfte Er war
es, ber 1530 zu Augsburg dem Kaiſer hitzig erflärte, lieber wolle er fi
den Kopf abhauen laſſen, als vom Evangelium abftehen, worauf Karl in
feiner nieberländifchen Mundart ihm lächelnd erwiderte: „Löwer Förſt,
nit Kopp ab, mit Kopp ab!“
Selbft Joachims Gemahlin, Glifabeth, hing bem Luthertum an; fie
war um ihres Glaubens willen und aus Furcht vor dem Zorn ihres
Gatten 1528 nad) Sachſen geflohen und verkehrte dort mit Quther, der
ans dem Möndjsftande ausgetreten unb feit zwei Jahren verheiratet war,
wie ein Miglied feiner Familie. Entſcheidend für die Mark war es
aber, daß auch Joachims Söhne, Joachim Hektor und Johann, ſich der
neuen Lehre zumanbten. Vergebens befahl ihnen der Water noch auf
dem Zobbette, päpftlid, zu bleiben; fie zeigten, als er (1685 zu Stendal)
geftorben war, offen ihre Herzensmeiming. Am fehnelfften that es der
füngere, Markgraf Johann von Küftrin, dem fraft des wäterlichen
70 Die Reformation.
Teftaments und zuwider ber Hausordnung ein Teil des Landes, die
Neumark mit der Hauptftadt Küftrin und Kottbus, zugefallen war. Feſten
raſch entfehloffenen Weſens führte er, mas er einmal als richtig erkannt
hatte, auch auf der Stelle und vollftänbig aus. Mit Luthers Beirat
richtete er ſchon 1586 bie Reformation in feiner Neumark ein, wie er
denn aud) dem ſchmaltaldiſchen Binde beitrat. Der ältere Bruder,
Joachim TI. (geboren am 13. Februar 1506), der die Übrigen Marken
und bie Kurwürde erhalten. hatte, ging langſamet vor; erft nachdem er
die völlige Umänderung des Kirchenweſens tm ftillen worbereitet Hatte, und
die Hoffnung, durch ein beutfches Konzil zur Reform zu gelangen, ver-
ſchwunden war, gab’ er beim lutheriſch geſinnten Biſchof von Brandenburg,
Mathias v. Jagow, den Auftrag, die Reformatton in der Mark durch⸗
zuführen, und trat‘ ſelber am 1. Noventber 1639 zu Spandau öffentlich
zur evangelifchen Kitche über. In der Nikolattirche dafelbft hörte er die
Predigt des lutheriſchen Propftes Buchholtzer und empfürg Damm nebſt
ſeinem ganzen Hofſtaat und vielen Rittern und Geiſtlichen das heilige
Abendmahl im beiderlei Geſtalt aus des Biſchofs v. Jagow Händen. Am
folgenden Tage predigte Buchholtzer in ber Dontlirche zu Köln an der
Spree und erteilte dem Rate der Städte Berlin und Köln und vielen
Bürgern das Heilige Abendmahl ebenfals nad) lutheriſchem Ritus. Die
werigen, bie im Lande noch hie und ba an der römiſchen Kirche feft-
hielten, durften ihren Glauben ungeftött behalten
Die: geiftfichen Räte des Kurflirſten hielten darauf tm ganzen Lambe
eine Kirchenviſttation ab, um den kirchlichen Auftand der Gemeinden zu
erforſchen, arbeiteten auch eine Kirchenordnung ans, bie, von Luther und
von ben märkifchen Ständen gebilligt, 1540 im ganzen Kurfürſtentum
eingeführt wurde. Auf Joachims II. Wunſch, der den Glanz ſehr liebte,
hatte man dabei noch manche Beremonten der römiſchen Kirche in das
neue Wefen mit hinüber genommen. Luther war zufrieden, daß man bie
Hauptfache befferte, daB man das Evangelium fortan lauter und vein
predigte, das Abendmahl fo nahm, wie Chriftus es eingeſetzt hatte. „Yerre
alten Kirchengebräuche“ — ſchrieb er mit großartigen Freiſinn ar Barh-
Holger — „feien Außerlichteiten. Werm es dem Kurfürſten gefalle, fo
möge Buchholtzer ein filbernes oder golbeites Kreuz tragen, ein Summel-
ober ein linnenes Meßgewand anlegen oder deren zwei, brei fiber ein⸗
ander ziehen; habe der Kurfütft am einer Prozeffton um die Kirche nicht
genug, fo folle er fiebenmal herumgehen; ja es ftehe dem Surfürften
frei, felbft dabei zu fpielen und zu tanzen wie König David. Durch
ſolche äußerliche Dinge könne bem Evangelium nichts zuwachſen und
nichts abgehen, wenn nur dergleichen nicht als zur Seligkeit notwenbig
erachtet würbe.“
Auch das märkifche Volt empfing num jene größte Wohlthat, welche
Des Schulweſen. 1
die Reformation überall in Deutſchland erwies, mo fie fiegte: es erhielt
ein tühtiges Schulwefen. Denn da Luther. in einem guten Schul:
unterricht ganz richtig das wirffamfte Mittel fah, auch religiäfe Erkenntnis
im Volle zu fördern, da er vor allem verlangen mußte, daß ein jeber
Chriſtenmenſch ſelber die Bibel leſe, jo ſetzte er durch, daß man in jeder
evangeliſchen Gemeinde allemal auch eine Schule gründete, wo die
Kinder vom Geiſtlichen ſelber oder von einem eigenen Lehrer in Gottes
ort und werigftens aud) im Lejer-unterrichtet ‚wurden. Su demfelben
gweck ſchrieb er feinen „Heinen Katechismus", ein Schulbuch, das bis auf
diefen Tag wie die Bibel ein wahres Vollshuch ‚geblieben ift. Der evan⸗
geliſche Geiſtliche mußte die Bibel tn dem Urſprachen, mußte namentlich
auch griechiſch verftehen; wem er.in feiner ‚Lehre ben Römifchen gegen-
Aber feft fein wollte. ‘Daher Ichrten nun viele Dom- und Stadtſchulen
neben dem Latein die griechiſche Sprache. So begünſtigte bie Reformation
bie humaniſtiſchen Studien, denen fie ſelhſt ſoviel verdanfte. ..
Eine eben: fo wichtige Veränderung zeigten bie politiſchen Verhält-
niſſe der. enangelifchen Kirche; ber Landesherr betrachtete ſich ſelbſt als
ihren oberften Biſchof; die Geiftlichkeit, wicht ‚mehr durch möndifdhe
Gelübbe und durch dem Gölibat vom übrigen Volke abgefchieben, war
mu an Ernb, aber nicht mehr ein Staat im Staate; ihr Stand
ein Beasmtenftand. Denn alla bie großen Befifungen und Schäpe,
pers die römiſch⸗katholiſche Geiftlichkeit im Laufe der Jahrhunderte für
ihre Stifter, Kirchen und Mlöfter zufammengebradjt Hatte, fielen na durch
die Reform in die Hand ber Meltlichen. Giniges nahmen die Stäbte -
und Abligen, hei weitem das meiſte 399 ber Lanbeäherr ein; zum Zeil
diente es fortan dazu, die ‚Kirchen. und: Schulen :auszuftatten, ſowie Die
Geiſtlichen und Lehrer zu befolden, die der Patron, d: h. der Inhaber
jener Stiftögäter, berief. Die landesherrliche Macht kam durch ſo großen
Zuwachs an materiellen Mitteln, an Einfluß und Geltung auf der Bahn
zum Abſolutismus · ein fehr betraͤchtliches Gtüc- vorwärts. Doc be
wehrte fih ‚gerade ber. geiftliche Stand, geſtützt auf den regen kirchlichen
Eier der Bevölkerung, noch lange feine Selbſtändigkeit aud) gegen die
Obrigkeit, und auf. ber Kanzel donnerten Die-evangeltichen Prediger eben
fo Heilig ‚gegen "Die Sünden der Vornehmen wie der Geringen. Das
machte ihnen bei dem niedern Volle einen guten Namen, und da alle
Stände in: der Ehrfurcht vor Gottes Wort mit einander weiteiferten, fo
wor der Pfarrer in-feiner Gemeinde ein ‚großer Mann.
Surfür Iondim IL ar and Markgraf Zohann von
Das Mehr ober Minder von Entjchiebenheit war nicht ber einzige
unterſchied im Charakter der beiden Brüder, die jet über die Marten
72 Kurfürft Joachim II. Heltor und Markgraf Johann von Küftrin.
herrſchten. Joachim zeigte Zeit feines Lebens ein gutmütiges, liebend-
würbiges Weſen; alles um ihn her mochte er froh und glücklich machen,
er war immer freigebig im Schenfen wie im Verſprechen. Er felbft
fuchte das Vergnügen und fand e8 im Glanz, in der Pracht, in vers
ſchwenderiſchen Feſtlichkeiten, die feine, reiche Phantafie ergötzten. Da-
gegen war Johann ein ftrenger und genauer Herr, von einer Spar:
famteit und Orbnungsliebe, die faft bis zum Geiz und zur Kleinigkeits⸗
Trämerei gingen. Er haßte allen unnützen Prunk: „Et, et, Herr Rat!“
fagte er einft mißbilligend zu einem, der am Wochentage in ben
modifchen ſeidenen Strümpfen vor ihm erſchien — „id habe auch
feidene Strümpfe, trage fie aber mır Sonntags." Daher fam es, daß
er mit feinen vollen Kaffen oft dem Lande ımd dem Kurfürften aus-
helfen konnte, während Joachim ftets in Geldnot ſteckte, weil er fo viel
verjubelte ober verſchenkte. Gemeinſam war beiben Brüdern eine hohe
Bildung des Geiftes, viel Neigung zur Wifienfchaft und eine Hare Ein-
ficht in die Mittel und Wege der Stantshunft, fowie der Wille, ihre
Länder in Blüte zu bringen. Aber Joachim ließ es im ganzen beim
guten Willen bewenden; feine Vergnügungsfucht zog ihn zu oft vom
Ernſt der Regentenarbeit ab, und feine Verſchwendung nahm ihm bie
Nittel, fo viel Gutes zu ſtiften, als er gefollt hätte. Trotz feines
heroiſchen Beinamens (dem er ſich als Kırrprinz in einem Feldzuge des
Kaiſers wider bie Türken gewonnen) hatte er in feinen Weſen nichts
Gewaltſames; aber es fehlte ihm auch jene Charakterfeſtigkeit, die feinen
- Bruder auszeichnete. So war es mehr die Gunſt des Glücks als fein
Verbienft, wenn imter feiner Reglerung das Staatsſchiff auch ar ſehr
gefährlichen Klippen ohne Schaden. vorbeikam.
Denn das Unwetier, das Iamge fiber den Häuptern der deutſchen
Proteftanten geſchwebt, kam jept zum Ausbruch. Kaiſer Karl V. hatte
feine auswärtigen Feinde, die Türken und Franzoſen, endlich zur Ruhe
gebracht und ſchickte fich an, bie Rebellion in Deutſchland, als welche
ihm das Verhalten der proteftantifchen Stände erſchien, zu erſticken. Er
ädytete die Führen der Schmalfalbifchen, den Kurfürften Johann Friedrich
von Sachfen und den Landgrafen Philipp von Heſſen, weit fie fld) ge-
weigert, ihren Bund aufzulöfen, zerftörte durch geſchickte Benutzung ihrer
Fehler die ſtarke Streitmacht der Verbündeten, brachte durch ben Sieg
bei Mühfberg (1547) den Kurfürften Johann Friedrich, dur Umer-
handlung auch den Landgrafen in feine Gewalt. Er meinte, nun in
Deutſchland als Here und Meifter dazuftehen. In der That hatte das
Haus Habsburg jetzt den Gipfel feiner Macht erreicht: Spanien und
Amerifa, die Niederlande, Mailand, Neapel und Sizilien gehörten dem
Katfer felbft; fein Bruder, Erzherzog Ferdinand von Ofterreich, gebot
in Ungarn und Böhmen; jet war auch das freiheitsftolge Germanien
Magdeburg. 73
unterworfen. Karl V. beſchloß, hier den Schlußftein zu dem großen Bau
feines Lebens, zur habsburgiſchen Weltherrichaft, zu legen. Er zerbrach
die Bande, welche die Reichsverfoflung und die Wahlfapitulation dem
Katjertum angelegt; aus eigener Machtvollkommenheit begann er die
beutichen Berhältnifie zu ordnen, verlieh das Kurfürftentum Sachfen dem
ſachfiſch· meißniſchen Herzoge Morig, der, obwohl Proteftant, ihm gegen
die Schmalkaldiſchen beigeftanden, und befahl 1548 ben Broteftanten,
fich der Entſcheidung des Konzils zu fügen, welches er 1545 in
Trident zufammengebradht, vorläufig aber ſich in Religionsfachen fo zu -
verhalten, wie er e8 in einer Verordnung (bem fogenannten „Interim“)
vorjchrieb.
Der Unwille im proteftantijchen Deutfchland war groß und all-
gemein; viele gingen im ſtillen fchon mit Aufftandsplänen um; Hans
von Küftrin erklärte ganz offen, er werde eher das Leben als den Glauben
opfern. Indes bewaffneten Widerftand leiftete für jept mır erft eine ein⸗
sige Stadt, Magdeburg, deflen tapfere und glaubengeifrige Bürgerſchaft
der ganzen Macht Karls V. Troß bot. Hier wurden alle Verfolgten mit
offenen Armen aufgenommen, von bier, aus „unfers Herrgotts Kanzlei“,
griffen Die Lutheriſchen in zahllofen Flugſchriften das Interim umd die
fpanifche Tyrannei an. Glorreich verteidigte ſich die Stabt 1550 gegen
die Reichsexekutionsarmee, die vom Kurfürften Moritz befeßligt wurde,
und bei’ der ſich auch Kırfürft Joachim einfand. Magdeburg rettete
damals durch feinen Heldenmut auch die nationale Ehre Deutſchlands,
weiches wegen feines raſchen Grliegens tm Jahre 1547 von ben fleg-
reichen Spanien verhöhnt und verachtet worden war. Aber das Bei-
fpiel der ftandhaften Bürger gab mm auch den evangeliichen Fürften
neuen Mut, Großes zu wagen. Sie vereinigten ſich insgeheim, und die
Seele bes Bundes war gerade Morik von Sachen, den ber Katfer mit
ber Belagerung Magdeburgs beauftragt hatte. Er grollte, weil Karl V.
den Landgrafen Philipp noch immer im Gefängnis hielt. Die nämliche
Beihwerde madjte Joachim von Brandenburg geltend, denn auf jeine
umd Morigens Burgſchofi hatte fid) der Landgraf dem Kaiſer ergeben.
Aber für Morik gab es nod) einen gewichtigeren Grund, ber proteftans
tiſchen Sache beizufpringen; fie war ja großenteils durch feinen Ehrgeiz
zu Sal gelommen, es drängte ihn, ihr wieder aufzuhelfen und fid) von
dem Ramen eines Verräters feiner Kirche rein zu waſchen. Geſchwind
traf er feine Mafregeln, rüftete, unterhandelte ſtill nad) allen Seiten,
fand dann plöglich mit feinen Truppen in Oberdeutſchland und zwang
durch feinen fühnen, unerwarteten Angriff den Katfer, der fein Heer bei
der Hand hatte, dagegen die ganze proteftantiiche Partei fid) in Waffen
erheben fah, zum pafjauer Vertrage (1552), in welchem er die wichtigften
Forderungen der Lutherifhen zugeftand. Der augsburger Religions-
74 Kurfürft Joachtm I. Heltor und Markgraf Johann von Küftrin.
friede (1555) beitätigte ihnen die Freiheit und Beredjtigung ihres
Glaubens.
Waren auch der Friede, deſſen ſich Deutſchland, und die Sicherheit,
deffen fi) das Luthertum nun Lange geit erfreute, fehr dankenswerte
Wohlthaten, fo gab es doch zwei Sätze im augsburger Vertrage, die
nachmals die Duellen großen Wnheils geworben find: erftens ben bes
rüchtigten Grundfaß „eujus regio, ejus religio — ber Landesherr hat
die Religion zu beftimmen“, die Unterthanen follten mır das Recht haben
auszuwandern; zweitens ben „geiftlichen Vorbehalt", daß die noch übrigen
latholiſchen Stifter nicht dürften enangelifch werden; der eine Punkt traf
die Volfsfreiheit, der andere die deutſche Einheit ins Herz. Vergebens
hatten die brandenburgtfhen Fürften im Verein mit Medienburg und
Bommern befonders dem geiftlichen Vorbehalt widerfprochen. Joachim IL
mußte fi damit begrägen, Daß die ewangelifche Partei thatfäcjlic in
den Beſitz des Grftifts Magdeburg, er jelbft in den Genuß, feiner Lars
besftifter Havelberg, Brandenburg, Lebus Im. Die völlige Einziehung
(Säkularifation) derſelben bereitete er dadurch vor, daß er fie zunächft
felbft oder durch feine Söhne verwaltete. Eben jo gelang es ihm, in
Wagdeburg nad) dem Ableben feines Obeims Albrecht nad) einander
feine Söhne Friedrich, und Sigismund zu Erzbiſchöfen wählen zu laflen,
von benen dann ber Iehtere 1661 mit Zuſtimmung des Domlapitels die
Reformation, der die Hauptſtadt längſt anhing, hier allgemein durchführte.
Zum Zeichen aber, wie er ſich offen und auf ewig vom Papſte Iosfage,
ließ der Kurfürft am 5. Oftober 1563 in feinem ganzen Lande ein großes
Reformationzfeft feiern. Das war feine Antwort auf die Verbammung,
welde das tridentiner Konzil kurz zuvor gegen alle Proteftanten ger
ſchleudert hatte. Diefe Kirchenverfamsilung war nır. von Päpftiühen,
meiſt Stalienern und Spaniern, abgehalten worden; die Evaugelifchen
erflärten, über die Gewifſen habe auch ein Kongil feine Madıt. lm fo
leichter wurde es den Roͤmiſchen, bort alle von den Proteftanten bes
frittenen Lehren und Bebräuche ausprüdlic und für immer in ſchroffſter
Beck du betätigen. Sd war dem auch für die bolge jede Vereinigung
in Giaubensſachen abgeſchnitten.
"Der. Proteftontismus ftellte den Hohenzollern eine neue Aufgabe;
abet fie vernadjtäffigten. über derſelben nicht die alten: Teudenzen ihrer
Dimaftie. Unter. biefen ſtand immer die Enweiterung ber Hausmacht
obenan; auch Idochim IT. war darauf bedacht. Ohne Kriegsluſt und
meift auch ohne beträchtliche Geldmittel, fand er mur in der Diplomatie
bie Möglichkeit, für das Wachstum feines Haufes etwas: zu thun. Unb
auf biefem Wege bat er gerade zu den allerwichtigften fpäteren Wer-
en des Staats bei erſten Grund gelegt; denn er verſchaffte ihm
auf Schlefien und auf Preußen eine Anwartihaft. Zwar wurde die
Diftelmeter. — Die Berwaltung. %
Erbverbräderung, die er 1537 mit dem Herzoge Friedrich von Liegniß,
Brieg und Wohlau abſchloß und 1545 bei einer Doppelheirat zwifchen
den Kindern beider Kontrahenten befräftigte, von dem Könige Ferdinand
von Böhmen, bem Lehnsherm jenes Herzogs, für ımgiltig erflärt, aber
Ferdinands Recht dazu, ſchon von ben Beteiligten mit Grund beftritten,
galt den Hohenzollern ftets für anfechtbar; ihre Blicke wandten fi) von
Zeit zu Beit immer wieder diefer Ausficht zu. Eine andere große Hoffe
nung durften fie hegen, feit der König von Polen ſich hatte bewegen
laffen, in die Belehnung, die er bem Herzog Albrecht Friedrich von
Preußen mit dieſem Herzogtum erteilte, auch deſſen Vetter, den Kurfürſten
Joachim II., aufzunehmen (19. Juli 1569).
Das melfte Verdienft um ben glüdtichen Ausgang der Unterkanb-
kungen mit Polen hatte Joachims Kanzler Lamprecht Diftelmeier,
ein Staatsmann von ebenfo großer Rührigfeit als Gewandtheit. Er war
wohl das’ erfte bedeutende Talent, welches bie brandenburgifche Staats-
dienerſchaft vom deutſchen Auslande empfing. Ein geborer‘ Leipziger,
Hatte er am Höfe des Kurfürſten Moritz von Sachſen jeine politiſchen
Gaben gebildet; 1551 in die Dienfte Joachims getreten, leitete er (ſeit
1558) deſſen ſämtliche Staatsgeſchüfte. Unter ſeinem Beirut wurde auch
die innere Verwaltung der Mark auf einen befferen Fuß geſetzt. Na
mentlich Die Rechtspflege: erhielt feftere Formen; für fie wurde ein In
furſtliches Sofgericht gebildet, "während - die Finanzen don ber: füge
kannten Kammer, die übrige Larbesverwaltung von der Kanzlei beſorgt
wurden.
Anter Joachims Verorbiuungen nehmen bie Qurnsgifehe einen breiten
Blag ein. Er verbot 3. B., bei bürgerlichen Hochzeiten: mehr als 10. bis
12 Tiſche für je 12: Perfonen zu Decken, ‚beim Spiel mehr als 800 Gulben
zu verthun; am ſchtirfſten aber‘ bebrohte er die Pluberhofen. Sie ent⸗
hielten freilich mit ihren zahlloſen Falten zumetien an 100 Ellen Seide
oder anderen koſtbaren Zeuges, ſo daß mancher Hofherr fein ganzes Ber⸗
inögen auf dem Leibe trug.“ Denn ein Par ſolcher Gofen koſtete vft
ſo viel wie ein Landgut. Auch war dieſe Rarrheit ſo beltebt, daß die
Prediger oft genug Gelegenheit fanden, ' auf den Kanuzeln wider "den
„Binderteufel”. zu eifern. Der. Aufwand bewies inbes eind erfreuliche
Watſache, daß es an Wohlhabenheit im Lande nicht-fehlte. In der That
Hüßten unter :dem Schutze des Friedens beſonders die Gewerbe wieder
auf, zumal die Tuchweberei, deren Hauptfitz in Stendal war; dort ‘gab
es damals am 800 Tuchmachermeiſter. Hie ımb- de Aapperten auch ſchon
Eiſenwerke, Kupferhännmer, ſelbft Papiermuhlen; bei Belitz bearbeitete
man eine Salzquelle. Sogar Wein wurde produzirt und beſonders von
Krofſen, aus ber Niederlauſitz und ber Mittelmark nach Pommern,
Schweden, Polen, Preußen, Liefland ausgeführt. Den Stapel für dieſe
76 Kurfürft Sonim IL Heltor und Markgraf Johann von Küftein.
und andere Waren, welche ſeewärts gingen, hatte Franffurt a. O.; es
war im 16. Jahrhundert der größte Handelsplap der Marl. Dem Nütz⸗
lichen fuchte Joachim das Schöne, für das er fo viel Sinn hatte, an bie
Seite zu ftellen. Er berief geſchickte Baumelfter, Bildhauer, Maler,
Muſiler nach Berlin, die der Pracht feines Hofes eine höhere Würde
verliehen. Auch fir die Univerfität und das Schulmefen bes Landes
that er manches. Gelbft eines einheimifchen Geſchichtsſchreibers (bes
Chroniſten Leutinger) Tomte fid) die Mark damals rühmen. So ſchritt
fie in allem auf der Bahn neuer Gefittung vor.
Bon dem alten Fehde- und Fauſtweſen verſchwand nun bald jebe
Spur. Zwar gab es noch immer viele arme umd raufluftige Edelleute
in der Mark, aber fie fuchten jet den fürftlichen Kriegsdienſt, zogen nad)
Ungarn, den Niederlanden, nad) Frankreich, überall hin, wo Geld und
Ehre zu erfämpfen war. Joachim beſchrünkte dieſe Söldnerfahrten durch
Verbote, nur dent Kaifer, dem Reich oder dem Evangelium follten brans
denburgifche Schwerter helfen. Doc; war das Feld immer noch weit
genug für den Trieb nad) Gewinn und Abenteuern. Aber das Stegreif-
rittertum in ber Mark war längft zu Ende, und das Fauſtrecht blieb
vergangen. Zum letzten Wale war es aufgefladert in deu kecken, wilben
Wagſtucken des Hans Kohlhafe. Er war ein Bürger von Köln an der
Spree gewejen, ein Kaufmann, der mit Honig, Wachs, Heringen im
großen hanbelte*). Eine Unbill, die ihm im Herbft 1532 ein ſächfiſcher
Edelmann, v. Zafchwig, angethan und für Die er non befien Obrigkeit
feine Genugthuung erhalten hatte, trieb ihn zur Gelbfthilfe; er bewaffnete
feine. Kuechte, ſchickte dem Kurfürften von Sachſen (am 1. März 1534)
einen Abfagebrief und fiel in befien Land ein. Wie ein Raubritter von
ehebem führte er feine Fehde, und lange mit Glück. Da er aber auch
feinem eigenen Landesherrn Trotz bot, ward er geächtet, gefangen und
1540 zu Berlin hingerichtet.
Raufluft war. fonft wicht gerade der Fehler diefer Zeit, eher eine zu
große Gemädjlichteit des Lebens. Den Lurus, dem er durch Geſetze zu
feuern fuchte, ernmunterte Joachtm felbft doch durch fein eigenes ſchlechtes
Beiſpiel. Seine Prachtliebe überftieg alles Maß. Koftbare Hoffefter
glänzende Ritterfpiele, Heben wilder Tiere — Löwen, Bären, Auer-
ochfen, bie im Tiergarten bei Berlin gehalten wurden — große Jagden
und Wettrennen löften an feinem Hofe fortwährend einander ab; umd
bei allen dieſen Feftlichkeiten wurbe der größte Prunk entfaltet; zahlreiche
Dienerſchaſt (zur SHofhaltung gehörten 436 Perfonen), ſchweigeriſche
Mahle, die teuerſten Gewänder und Geräte. Übrigens liebte es ber
Kurfürft, daß das Volk an feinen Freuden teil nahm. Er veranftaltete
*) Burkhardt, der hiſtorijche Hans Kohlhaſe, 1864.
Kurfürft Joachim II. Heitor und Markgraf Johann von Küftzin. 77
in Berlin aljährliche Nennen, wobei Edelleute und Bürger, Einheimifche
und Fremde mithalten durften, zu Pferde und zu Fuß; die Preife waren
bei ſolchem Lauffptel ein fetter Ochfe, ein Schwein, ein Bogen, ein Ferkel.
Er miſchte ſich auch ſelbſt in die Volfsfefte, die er veranlaßte, und ein-
mal, bei einem großen Knüttelkampfſpiel zwifchen den Berlinern und
Spanbauern, in welchem ber ſpandauer Bürgermeifter (er hieß Bier) ihm
den Sieg entriß, wäre es ihm faft übel ergangen. Immer aber litt fein
Beutel, und was die Feſte übrig ließen, ging großenteils für die Günſt⸗
Unge und Freundinnen auf, unter denen Anna Sydow, „bie ſchöne
Gieherin® (Witwe eines Stüdgießers), am befannteften ift. Dazu kamen
die Bauten, die meift aus Prachtluſt, jelten — wie Die Befeitigung Span-
daus — um bes Nubens willen geſchahen. Alles dies ruinirte die Fir
nanzen; der Kurfürft hatte vom Vater her eine Schuldenlaft vorgefunden,
ex vergrößerte fie noch beträchtlich, im Jahre 1540 war fie ſchon auf
600.000 Thaler angewachſen, während bie jährliche Einnahme ſich nur
auf 80000 Gulden belief. Der kurfürſtliche Rentmeifter, Thomas Mat»
thias, der zugleich Burgermeifter von Berlin war, hatte daher einen fehr
ſchweren Stand; er opferte fein eigenes Vermögen für feinen Herrn, Am
erften wußte noch der Jude Lippold Geld herbeigufchaffen, der daher
große Gunſt und dus Amt eines Kammerbieners, Müngmeifters und
Dberften der Judenſchaft, freilich aber auch den Haß feiner; wie er für
Geld wieder aufgenommenen Glaubensbrüder gewann; benn er miß⸗
braudjte feine Stellung zu allerki Erprefiungen. Zuletzt mußten doch
immer wieder die Stände aus der Rot helfen. Dadurd; geriet der Kur⸗
fürft in große Abhängigkeit won ihnen; er mußte verſprechen, „keine
wichtige Sache, daran das Gedeihen oder Verderben des Landes gelegen,
shne Vorwiſſen und Rat der Stände zu beſchließen“; er mußte ben
Ständen ſogar das Recht erteilen, ſelber die Steuern eingugiehen und zu
verwalten, damit Die Gelder wirklidy zur Tilgung ber Landesſchulden ver
wandt würden. Densod fand der Nachfolger noch eine Schuldenmaſſe
von 2 600 000 Thalern vor!
Markgraf Johann von Küſtrin wiriſchaftete anders; bis an ſeinen
Tod ein Muſter von Ordnungsliebe und Sparſamkeit, von Maäßigkeit
und Schlichtheit, konnte er nicht bloß viel Nügliches Ichaffen, nee Bande
fisaßen und Brücden, Bafferleitungen und Fabriken, die Feſtungswerle
von Käftrin und Peiz bauen, fondern auch noch im Yale 1656 zwei
Herrſchaften kaufen — Storkow und Beeskow — ımb gleichwohl einen bes
trähtlichen Schatz baren Geldes (man fagt gar 24 Wiſpel alter Düttchen
ober etwa 14 Millionen Mark), ſowie durch manche wohlthätige Einrich-⸗
tung ben Namen eimes Vaters der Armen hinterlaſſen. Man hat ihn
auch Johann Ofonomus genannt; er verdiente den einen wie den andern
Ehrentitel.
78 Johann Georg.
Die beiden Brüder ftarben furz nacheinander, Joachim (66 Jahre
alt) am 3., Johann am 13. Jamıar 1571. Da der letztere feinen Sohn
hinterließ, fo wurben die Marken mwieber vereinigt; fie find feitdem wicht
mehr getrennt worben.
Ichann Georg.
Es war eur hartes Gericht, das nun nad; Joachims Tode über die
Ioderen Vögel am Hofe erging; denn der neue Herr, Johann Georg, faft
in feinem Stück dem Baber, in vielen, befonbers in Rauheit, Orbmungs-
liebe und Sparſankeit, dem Oheim gleich, rächte des Valers Schwächen
ſchwer an defien-Günftlingen. Bor allem mußte Lippold büpßen. Ju
einem Streite mit feiner rau war er von dieſer ber Bauberei bezichtigt
worden; daraufhin wurde er verhaftet und geſtand nun auf der Folter
noch Schlimmeres: er habe den verftorbenen Kurfürften beſtohlen und, um
der Entdedung zu entgehen, ihn ſodann vergiftet. Zwar wiberrief er
nachher alles, aber man hielt ihn für überführt, amd er wurbe auf grau
fame Weiſe hingerichtet. Der Haß, ben ſich biefer Wucherer zugezogen,
traf aber auch feine Glaubensgenofien; die ganze Judenſchaft wurde
wieder aus bem Lande gejagt. Übel erging es auch ber ,ſchönen Gieße ⸗
rin“; fie fam auf die Feftung Spaudau, wo fie auch als Gefangene ftarh.
Selbft der hochverdiente Thomas Matthias warb in Umerſuchamg ges
zogen; man fanb aber nicht 10 Gulden baren Geldes bei ihm, und al
ex ftarb, hinterließ dieſer rechtſchaffene Sinangminifter nicht foviel, daß er
davon konnte anftänbig begraben werben.
Loblicher waren Johaun Georgs Bemühungen, bie hinterlaffenen
Schulden des Baters zu tilgen, er hatte lange Jahre daran zu arbeiten
unb mußte ben Ständen große Opfer abfordern; doch gelang es ihm,
weil das Land bie erhöhten Steuern gar wohl tragen konnte. Die
Mittel desfelben mehrten fid) bejonders and durch die Einwanderumg re»
formirter Niederländer, Die, nor der Glaubenstyvanmei Philipps II. von
Spanien geflüchtet, ſich als Ackerbauer in den Flußniederungen, häufiger
als Gewerbtreibende in den Städten nieberlieken und ben Kunftfleiß micht
menig förderten. Bandes neue Gewerbe kam damals in der Mark in
Aufnahene, mandyes alte ging zurück, wie dem namentlich der Weinbau
bie und da anfing von ber Brammtweinbrennerei verdrängt zu werben.
Im ganzen war ber Aufſchwung der Inbuftrie erheblich, und der all-
gemeine Wohlſtand ſtieg. Es erſchien denn auch ſchon 1580 wieder ein
neues Luxusgeſetz, das ſich freilich nur gegen den Aufwand ber Städter
richtete. Dieſelben wurden nach Geſchäft und Vermögen in vier Klafſen
geteilt; zum erften Stande gehörten hiernach die Doktoren, Pröpfte,
Bürgermeifter, Richter, Ratsmänner, Schöppen und ber alte Stadtadel,
Johann Georg. 79
zum zweiten bie Viergewerle und wohlhabenden Bürger, zum dritten bie
gemeinen Bürger, zum vierten Die Tagelöhner und Dienftboten. Sie alle
erhielten genaue und fehr Heinliche Vorſchriften, wie fie fich leiden jollten,
und wie viel fie bei Feftlichkeiten verthun dürften.
Es find doch auch einige dauernde Erfolge aus diefer Regierung zu
melden: bie Stiftung des Berlinif—hen-Öymmafiums zum grauen Klofter
1574, wo des Kurfürften Leibarzt und Hofalchymiſt Leonhard Thurneyſſer
zugleich eine Buchdruckerel errichtete; die Bollenbung bes kurfürftlichen
Schloffes in Berlin, weiches dann, wie ein Zeitgenoffe fagt, in Deutſch⸗
land feines gleichen nicht hatte; bie Befeftigung Driejens, fowie ber
Ansbon der Feſtungswerke von Spandau, Küftrin und Peiz burd) ben
berühmten Baumeifter Graf Rochus v. Lynar; in der auswärtigen Po—
litik 1594 die Erwerbung wichtiger Erbanfprüche durch bie —S
bes Prinzen Johann Sigismund, Enkels des Kurfürſten, mit Anna, ber
älteften Tochter des Herzogs Albrecht von Preußen und zugleich Erbin
ber. jülich-Elevesbergfchen Rande; in kirchlicher Hinfidyt bie Vifltationg- und
Konfiftorial-Orbrumg vom Jahre 1573, nad) welcher ein General-Super-
imtendent alle zehn Jahre, und bie Kirchen-Infpeftoren alljährlid) den Zu-
ftanb des märfifdhen Kirchenweſens unterfuchen follten, fowie ber Anteil,
ben Johann Georg an dem Buftandelommen ber „Eintrachtsformel“
hatte. Diefe wichtige Belenntnisfchrift, die von fäcftichen und branben-
burgiſcheu Geiftlihen, eifrigften Anhängern der ſtreng lutheriſchen Rich-
tung, 1576 zu Torgau abgefaßt worden war und nebjt ber „augsbunger
Konfefſion“ zu ben ſogenanuten fymbolifchen oder Grundbüchern der
lutheriſchen Kirche gehört (publigirt im Jahre 1580), wirkte freilich alles
andere eher als das, was ihr Name verſprach. Dem ber Kurfürft band
feine Geiftlichtet nun fireng an jedes Wort, das fie enthielt. Er teilte
den Fehler ber Zeit, bie religiöfe Umdulbjamkeit. Die Reinheit bes
Iufherifhen Lehrbegriffs zu bewahren, jchien bei weiten bie wichtigfte
Aufgabe der Kirche; aber man „wollte hriherifcyer fein als Luther jelbft
und verfiel in denſelben blinden Autoritätsglauben, ben man ben. Rös
müfchen. vorwarf. Zugleich ärtete ber gwiſt mit ben Anhängern bes
wingli⸗ dalviniſchen Proteftontismus in wütende Feindſchaft aus; man
war im lutheriſchen Norden und Oſten Deutſchlands faft. ebenjo eifrig
bedacht, die Meinungen ber Reformirten, bie im Suͤdweſten herrichten,
auszufehliehen, als fich gegen das Einbringen Tatholifirender
zu verwahren. Das religiöfe Vorurteil, das übrigens bei jäntlichen
Selten gleich ftart war, verwarf zuweilen auch Dinge, deren Güte jonft
gar nicht geleugnet werben konnte, wie benn 3. B. die Proteftanten fich
über ein Jahrhundert lang geweigert haben, Gregors XI. Kalender-
verbefierung (nom Jahre 1582) anzunehmen. Die Päpftlichen ihrerjeits
ſtenunten fi) mit Macht gegen die Verbreitung der aftronomijchen Lehre
80 Joachim Friedrich.
des Kopernikus, weil ſie Grund hatten, darin eine Ketzerei zu wittern.
Es iſt fraglich, auf welcher Seite, ob bei Rom, Genf oder Wittenberg,
damals die größte Intoleranz herrſchte.
Zoachim Friedrich.
Bei Johann Georgs Tode (8. Januar 1598) ftand fein Sohn und
Nachfolger Joachim Friedrich ſchon im reifften Mannesalter, er zählte
52 Jahre; aud) fein Vater war längft über die Jugend Hinaus, war
45 Jahre alt gewefen, als er ben Thron beftieg; aber das Alter, das
jenen einft noch ſchroffer machte, gab Joachim Friedrichs maßvollem
Weſen nur größere Milde. Er gewann ſich raſch die Achtung der
Märker; fie ſchätzten feine Einſicht, Mäßigung, Gerechtigfeitsliebe; fie be—
wunderten bie ungemeine Umfiht und eftigfeit in Verwaltungsſachen
und die genaue Kenntnis der auswärtigen Staatsverhältnifie, die er fich
bereit8 als Adminiftrator des Erzbistums Magdeburg (jeit 1566) an⸗
geeignet hatte. Noch beliebter war feine Gemahlin Katharina, das treue
Ebenbild ihres Vaters, des Markgrafen Johann von Küftrin; von ihrer
frommen Wohlthätigfeit bewahrt Berlin noch heute ein Andenken: bie
Schloßapothefe, die fie von dem Ertrag ihrer felbftbewirtfchafteten Meierei
geftiftet, um armen Kranken unentgeltlid, Arznei zu liefern. Wie Vater
und Mutter waltete die neue Herrichaft im Lande. Doch hatte Joachim
Friedrich viel Mühe, ehe er den Staat ungeteilt überfam. Sein Vater
war ſchwach genug geweſen, feinem älteften Sohne aus dritter Ehe,
Chriſtian, die Neumark zu vermachen, und Die Stände, deren Entſchei⸗
dung der neue Kurfürft anrief, lehnten es ab, fid) in den Familienzwiſt
zu mifchen; fo ſchien nichts übrig zu bleiben, als daß Joachim Friedrich
die Anfprüche feiner Stiefbrüber auf den Beſitz eines Landesteils, wie
er fofort gethan, aud) in Zulunft einfach abwies. Da trat der Vetter
des Kurfürften, der alte Markgraf Georg Friedrid) von Ansbach und
Baireuth, vermittelnd ein. Er war kinderlos und fein Beſitz bedeutend.
Außer Ansbach und Baireuth gehörte ihm aud) das jchlefifche Herzogtum
Jägerndorf, welches fein Vater Georg 1523 gefauft und dann noch durch
die Herrfchaften Beuthen und Oberberg vergrößert hatte. Er ſchlug vor,
fein Nachlaß folle zum Ausgleich dienen. Der Kurfürft war es zufrieden.
So ſchloſſen die Bevollmächtigten ber beiden denn einen Vertrag (zu
Gera 1598), nad) welchem dereinft von Georg Friedrichs Erbe nur Jä⸗
gerndorf an den Kurfürften, die fränkifchen Fürftentümer aber an befien
Stiefbrüder fallen follten. Bugleid; wurde die Unteilbarkeit des Kur-
fürftentums, und ausdrüdlid) auch noch die Primogenitur, die Erbfolge
nad) dem Recht der Erfigeburt, als Grundgeſetz desfelben feftgeitellt.
Nach dem Tobe Georg Friedrichs 1603 trat dieſer „geraer Hausvertrag“
Häufung ber Regierungsgeichäfte. 8
wur Befriedigung aller Teile in Kraft. Prinz Chriftian erhielt durch das
Los das Fürftentum Batreuth, fein jüngerer Bruder Joachim Ernft das
Fürſtentum Ansbach. Das Herzogtum Jägerndorf (nebft Beuthen und
Dberberg) gab der Kurfürft im Jahre 1607 feinem jüngeren Sohne
Johann Georg; falls die Nachkommen desſelben ausftürben, follte es an
Kurbrandenburg zurückfallen.
Bald darauf erwarb Joachim Friedrich einen neuen Rechtstitel für
die preußifche und kleviſche Erbſchaft, indem er fich, feit 1603 Witwer,
mit Eleonore, der jüngeren Tochter Herzog Albrecht Friedrichs von
Preußen vermählte und, von den märkiſchen Ständen mit Gelb dazu
verjehen, den König und den Reichsrat von Polen bewog, ihn 1605 zum
Bormund des gemütskranken Herzogs und zum Statthalter in Preußen
zu ernennen.
Die Ausdehnung der Staatsinterefien über fo ertlegene Gebiete ver»
mehrte den Umfang der landesherrlicden Geſchäfte ſchon fehr weſentlich;
aber auch in der inmeren Verwaltung wuchs bie Geichäftslaft, zumal
nachdem nun (ſeit 1598) aud) bie Landesbistümer, Havelberg, Bran-
denburg und Lebus, ganz und gar eingezogen und mit ber Mark ver-
einigt worben weren. Überhaupt aber wurbe jetzt das Regieren mehr
eine Kunft, welche genaue Sachkenntnis aller Verhältnifſe des bürgerlichen
Xebens erforderte. Wie viel leichter hatte es ber Fürft im Mittelalter!
Die kirchliche Verwaltung ging ihn nichts an; das Kriegsweſen war
fehr einfach, ber Fürft hatte im Grunde mır bie Führung der Truppen
zu übernehmen, welche feine Vaſallen und Städte für ihn aufbrachten;
die Finanzen machten ihm noch die meifte Mühe, doch konnte er leichter
als jegt von der Hand in ben Mund leben; in bie befonderen An-
gelegenheiten der Gemeinden und einzelnen Stäbte fi) zu mengen, war
nicht feines Amtes. Diefe Selbftverwaltung bes Volks, für den Fürften
fo bequem wie für die Selbftändigfeit der Unterthanen notwendig, hörte
jegt allmählich auf. Denn nachdem die bevorrechteten Stände, der Adel,
der reiche Bürgerftand, die Geiftlichleit einer nach dem andern ihre Macht
auf Koften ber Mafle des Volks gemißbraucht hatten, war dem Yürften
mit der Gewalt zugleich die Pflicht zugefallen, was jene vordem, jeber
in feinem Kreife, zum beften des Ganzen gethan hatten oder hätten thun
follen, num felber zu leiften. Durch die Reformation oberfter Biſchof
geworden, follte er die Lehre und das Leben feiner Geiftlichen, den Zu⸗
fland der Schulen, die Verwaltung der kirchlichen Stiftungen beaufe
fichtigen; Die Veränderung bes Kriegsweiens und bejonbers bie Rechts-
pflege nötigten ihn nicht bloß, eine Menge neuer Geſchäfte und Inter
zu übernehmen oder zu verteilen, fonbern auch, was das Schwierigfte
war, in das Steuerweſen Plan und Regel zu bringen und es vor allem
fehr viel ergiebiger zu machen, damit für die mancherlei neuen Ausgaben
Bierfon, preub. Geſchichte. L 6
82 Joachim Friedrich.
immer das nötige Geld vorhanden fei. Um aber die Steuerfraft des
Landes in entfprechendem Maße zu erhöhen, mußte fid) der Fürft fortan
mehr als bisher um den wirtfchaftlichen Zuſtand feiner Unterthanen be-
kümmern; er mußte fuchen durch eigene Verordnumgen und Mafregeln
dem Aderbau, den Gewerben, dem Handel zu nüßen. So häuften und
entwickelten ſich die Gejchäfte und Tonnten ſelbſt unter dem Beirat ſach-
tundiger Männer nur dann zweckmäßig behandelt werben, wenn bieje
Berater nicht bloß in einzelnen Fällen, wie bisher wohl, fondern dauernd
ihre Hilfe liehen.
Diefe Erwägungen beftimmten den Kurfürſten Joachim Friedrich im
Zahre 1605 (am 15. Januar*) ein ftehendes „Geheimrats-Kollegium" zu
errichten. Es hatte die Bearbeitung aller Staatsangelegenheiten mit
Ausnahme des Kirchenmwefens, das unter der Aufficht des kurfürſtlichen
Oberkonſiſtoriums blieb, der Rechtspflege, Die das Hof- und Kammer-
gericht, und der Lehnsfachen, welche die Lehnskanzlei behielt; es führte
auch die Oberaufficht über die Landes-Hauptleute, die in den Provinzen,
über die Vögte, die in Heineren Bezirken die Iandesherrlichen Rechte und
Obliegenheiten bisher faft wie Statthalter verwaltet hatten. Die Mit-
glieder ber neuen Behörde — neun am der Zahl —, meiſt gelehrte
Staatsmänner und ohne Rangunterfhieb dem Adel und dem Bürger-
ftande entnommen, wurden auf Lebenszeit angeftellt und hatten eine fefte
Beſoldung, die teils in Geld, teils in freier Koft, Kleidung, Wohnung
und Raturallieferungen beftand.. Sie verfammelten ſich wöchentlich zwei⸗
mal im Furfürftlichen Schloffe zu Berlin; den Vorſitz hatte der „Oberft-
kammerer“, den Vortrag der zu beratenden Gegenftände der Staats:
Kanzler; bei der Abſtimmung, deren Ergebnis der Kurfürft zu beftätigen
pflegte, galt die Mehrheit. Der Geheime-Rat war alfo bei uns ber
erfte Anfang zu einem Staatsminifterium. Aber daneben behielt ber
Kanzler als oberfter Rat, gewiſſermaßen als Premierminifter, noch einen
großen Wirkungsfreis, wie er denn namentlich die Zuftiz und die Land»
tags = Verhandlungen leitete. Zu diefem höchften Staatsamte berief der
Kurfürft gern einen Doktor der Rechte, und da noch nicht viele Adlige
fid) den Studien zumandten, fo war in den erſten Zeiten gewöhnlich ein
Bürgerlicher Kanzler.
Bei der Ordnung bes höheren Beamtentums vergaß Joachim
*) Neuen Stils (5. Januar alten Stils). Vom Jahre 1600 an ift in biefem
Bude durchweg bie Datirung nad der neuen, gregorianifgen RKalender«
rechnung erfolgt, bie ft dem Veginne bes 17. Jahrhunderts nicht Bloß in der gangen
zbmifch-Tatpolifhen Welt, fondern auch ſchon in einigen peoteftantifcgen Ländern, 3. 2. in
Preußen und Kleve, beftand. In Brandenburg wurde fie erſt im Jahre 1700 ein«
gefüßet. — Man hat alfo Hier bei den Daten des 17. Jahrhunderts, wenn man den alten
SH ermitteln will, zehn Tage abaugiehen.
Geſqhichte bes Landes Preußen. 83
Friedrich es nicht, defien Pflanzftätten zu vermehren; er gründete 1607
zu Joachimsthal bei dem Jagdſchloß Grimnig ein Gymnaſium, das,
reich mit Ländereien und Einkünften ausgeftattet, 130 Schüler, teils vom
Adel, teils aus dem Bürgerftande, unentgeltlich erziehen follte. Damit
entledigte er ſich zugleid, gegen das Schulwefen einer Ehrenpflicht, welche
feit der Einziehung der Kirchengüter einem jeden evangelifchen Landes-
herrn oblag.
So kurze Zeit alſo aud) dieſer Fürſt regiert hat, kürzer als irgend
ein anderer Hohenzoller in der Mark, — denn er ftarb ſchon am
18. Juli 1608 — es war doc) durch ihn viel geichehen, um dem Nach—
folger die großen Aufgaben zu erleichten, die ihm das Wachstum des
Staats nad) Oſten und Weiten ftellen mußte; denn da und dort fanden
bedeutende Ermerbungen gang. nahe bevor. .
Geſchichte des Landes Prenfen bie zu feiner Bereinigung
mit Brandenburg.
In dem Küftenlande zwifchen der unteren Weichjel und der Düne,
das im Norden und Weiten vom baltifchen Meere, im Süden und Dften
von einem Kranz von Sümpfen und Geeen begrenzt wird, faß feit Ur-
zeiten ein Bolt litauiſchen Stammes, welches ſchon im Altertum und
zwar durch den Handel mit dem koſtbaren Bernftein, den bie See an
feine Küfte warf, namhaft wurde. Die Römer nannten es (feit Tacitus
90 n. Ehr.) mit dem germanifchen Namen, den fie von ben bazwifchen
Bohnenden überfommen hatten, Äftier, d. i. Oftleute. Lange Zeit blieb,
was Zacitus don ben Aftiern angemerkt — daß fie einen Götterdienft
übten, deſſen Symbol aud) bei den benachbarten Stämmen felbft im
Kriege Achtung und Ehrfurht fand, daß ihre Hauptwaffe die Holzkeule
war, und daß fie mit großer Sorgfalt Aderbau trieben — diefer kurze
Bericht blieb Jahrhunderte hindurch das einzige, was die gebildete Welt
über das Volk des Bernfteinlandes belehren Tonnte. Wenigftens ift
feine Spur erhalten, daß der Bernfteinhandel den Alten an fidherer
Kunde mehr vermittelt Habe. Auch eine Gefandtichaft, welche die Aftier
um das Jahr 500 nad) Stalien an den König Theodorich d. Gr. ſchickten,
verbreitete kaum neues Licht. Erft gegen Ende des neunten Jahrhunderts
ift etwas Genaues über die „Oſtleute“ aufgezeichnet worden, und zwar ‘
von dem englifchen Könige Alfred d. Gr. Er fchrieb nieder, was ihm
ein gewiſſer Wulfftan aus eigner Anſchauung über die Aftier und ihr
Land erzählte. Diejer Reifende war (um das Jahr 880) von Hedaby
(Schleswig) zu Schiff nad) Truſo gefahren, einem Handelsort am
Draufenfee bei dem jepigen Dorfe Preußiſch-Mark. Nachdem er von ber
Weichſel, dem frifchen Haff (dem Ejftenfee, wie er es nennt) und bem
6.
84 Geſchichte des Landes Preußen.
Elbing geſprochen, berichtet er über das Land und Bolt daſelbſt
folgendermaßen: "
„Das Eftenland ift jehr groß und bat fehr viele Burgen und im
jeder Burg iſt ein König. Es giebt da fehr viel Honig und Fiſchfang.
Der König und die veichften Leuten trinfen Pferdemild), die Un-
vermögenden und Sklaven trinken Met. Es ift fehr viel Streit unter
ihnen. Bier wird bei den Eften nicht gebraut, aber Met giebt es da
genug.
Es ift Sitte bei den Eften, daß, wenn jemand geftorben ift, er im
Haufe bei feinen Verwandten und Freunden einen, auch wohl zwei Mo—
nate unverbrannt liegen bleibt, und zwar bie Könige umd die anderen
Bornehmen um fo länger, je größer ihr Reichtum ift, zumeilen ein halbes
Jahr. Während biefer ganzen Zeit num bis zu dem Tage, ba man die
Leiche verbrennt, geht e8 mit Zehen und Spielen body ber. Darauf an
dem Tage, an welchem fie den Toten zum Scheiterhaufen bringen wollen,
da teilen fie feine Habe, fo viel davon nad dem Trinken ımd Spielen
noch übrig ift, in fünf, ſechs oder mehr Teile, je nad) dem Betrage.
Dann legt man diefe Teile aus, den größten wenigftens eine Meile vom
‚Hofe entfernt, den zweiten näher, dann den dritten, bis es alles auf bie
Weite einer Meile ausgelegt ift; der geringfte Anteil muß an dem Hofe
liegen, wo fi) der Tote befindet. Sodann verfammeln ſich die Männer,
welche bie rafcheften Rofie im Lande haben, wenigftens in fünf oder ſechs
Meilen Entfernung von dem ausgelegten Gute. Nun fprengen fie alle
los, wobei der Reiter des fchnelliten Pferdes zum erften und größten
Anteil gelangt, und fo einer nad) dem andern, bis alles genommen ift.
Rachher reitet jeder mit dem Gewonnenen feines Weges und darf es bes
halten; deshalb find dort bie ſchnellen Pferde ungemein teuer. Sit jo die
Habe des Berftorbenen zerftreut, dann trägt man ihn hinaus und ver-
brennt ihn famt Waffen und Kleidern. Gewöhnlich geht in dieſer Weile,
durch das Trinken und Spielen und Wettreiten, das ganze Vermögen
des Toten drauf.
Die Berbremmung der Leichen ift bei den Eften eine Pflicht; findet
jemanb ein unverbranntes menſchliches Gebein, fo mu man es teuer
anslöfen.
Die Eſten verftehen die Kunft Kälte zu erzeugen; eben beshalb
liegen dort die Toten fo lange, ohne zu verwefen, weil um fie Kälte
bewirkt wird. Sept man den Eften Gefäße voll Bier ober Wafler
bin, fo können fie machen, daß jebes überfriert, e8 fei Sommer oder
Winter."
Durch die Dftjeefahrer wurden nun auch einige Stammnamen biejes
baltifchen Volles befannt; man hörte, die nörblicher, zwiſchen dem kuri⸗
ſchen Haff und dem Kap Domesnäs haufenden Küftenleute hießen Kuren,
Die alten Vreuden. 86
die ſüdlicher wohnenden, beſonders die an der Pregelmündung hießen
Semben oder Samländer. Geitbem kam bie unbeftimmte Bezeichnung
Eſten in Abgang und wurbe auf ein weiter oftwärts haufendes Volk von
ganz anderer Nationalität, auf die Finnen im heutigen Efthland über-
tragen. Birmenwärts dagegen, nad) Polen und Rufland, verbreitete fich
für einen Zeil Diefer Balten, und bejonders für die in Samland und
am kuriſchen Haff wohnenden, der Name Prutten oder Pruzzen, ein
Wort, das vermutlich mit dem litauiſchen protas „Verftand“ zufammen-
hängt und die „Klugen", die „Wiffenden“ bedeutet.*) Denn auf der
Bernfteintüfte beftand eine uralte Kultusftätte; von borther kam zu den
verwandten Stämmen der Dienft der Götter. Als ſpäter die Chriftenheit
von Deutſchland her zu einer methodifchen Bekämpfung dieſer Heiden
ſchritt, erhielt das, wie gejagt, urſprünglich wohl religiöfe Wort einen
nationalen Begriff und bezeichnete Die gejamte Bevölferung bes vom
deutſchen Orben befehrten Gebietes zwiſchen ber Weichſel und ber unteren
Memel, zwifchen der Dftfee und Drewenz.
Die Pruzzen, oder wie der Deutſche ausſprach die Preußen, zerflelen
in eine Menge Meiner Stämme; man unterſchied beſonders elf Gaue:
Kulm und Pomefanien am öftlichen Weichfelufer, Pogefanten, Warmien
oder Ermland und Natangen am friſchen Haff, Samlarıd zwifchen biefem
und dem kuriſchen Haff, Nadrauen und Schalauen am kuriſchen Haff,
Barten zwifchen Aller und Angerapp, Subauen und Galinden längs der
mafurif—hen Seeen. Doch alle dieſe Stämme glichen fi in Sitte und
Beife wie Brüder, obſchon fie feine ftaatliche Einheit bildeten.
Die alten Preußen waren, wie noch jet die Litauer bei Tilſit und
Gumbinnen, tüchtige, kernige Menfchen von ſchlankem, ftarfem Körperbau
mit langen blonden ober hellbraunen Haaren und blauen Augen. Diejes
Träftige Naturvolk hatte zu ber Zeit, als es in das vollere Licht der
Geſchichte trat, d. h. im Anfang bes elften Jahrhunderts, ſchon eine
gewifle Stufe der Gefittung erftiegen, ja faft eine höhere, als bie war,
welche die Deutfchen vor ihrer Belehrung erreichten. Zwar aud) Die
Preußen wohnten nur in Dörfern und auf Höfen, wo fie als Viehzüchter
und Aderbauer dem fruchtbaren Boden zwifchen den ungeheuren Wäldern
und Sümpfen hinreichenden Ertrag abgewannen; auch fie Tannten keine
höheren Genüfſe als Jagd, Krieg und ZTrinfgelage; aber wie gewandt
ihr Geift war, dafür zeugt ſchon das von ihnen erfunbene vortreffliche
Adergerät, die „Boche”, ein Pflug, der noch jetzt in Oftpreußen gebraucht
wird. Überdies betrieben fie außer mandjen Gewerben (ber, Linnen«
weberei, der Schmiedekunſt und ZTöpferei) aud) einen Handel an ben
Bal. hierüber meine Schrift „Elektron. Berlin 1869.” ©. 105.
86 Geichichte des Landes Preußen,
Küften, welcher befonders am Draufenfee und in dem bernfteinreichen
Samland ungemein Iebhaft war. Sie gingen auch felbft zur See, um
in den fremden Häfen, beſonders im ſchwediſchen Birka, für ihren Bern-
fein und für ruffifches Pelzwerk deutfches Tuch und mancherlei metallene
Geräte und Bierat einzutaufchen; von Seeraub jedoch hielten fie fich
fern. Selbſt das „Strandrecht“ mißbrauchten fie nicht, wie es doch die
meiſten chriftlichen Völker thaten; vielmehr halfen fie uneigennüßig den
Schiffbrüchigen. Überhaupt bemerkt ein deutſcher Chronift bes elften
Jahrhunderts, „es könnte viel Löbliches in feinen Sitten von dieſem
Volle gejagt werden, wenn es den Glauben Chrifti hätte.” Thätigkeit
galt als eine rühmliche Tugend, Arbeitsihen als ſchändliches Lafter; man
fand im ganzen Lande Teinen Bettler. Gaftfreundfchaft, Treue und Dant-
barkeit waren heilige Pflichten, der Diebftahl verachtet und wie Morb
umb Ehebruch mit Todesftrafe belegt; auch den Frohfinn und bie gut-
“ mütige Heiterfeit, die menfchenfreundliche, mildthätige Art der Preußen
rühmte das Ausland. Ihre Lebensweife war ſchlicht und einfach; die
Kleidung des Mannes ein Furzer, enger Rod von weißer ober blauer
Farbe und je nad) dem Vermögen von Leinwand oder Tuch, um den
Leib ein Ledergürtel, geſchmückt mit blanfen Metallplatten oder buntem
Zierat aus Bernftein ober Thon; weite Beinfleider, lederne ober baftene
Schuhe; dazu im Winter Tierfelle über den Rod und eine Pelzmütze.
Die Weiber trugen lange linnene Kleider von grauer Farbe und einen
Mantel, die Unverheirateten einen Blumenkranz, die Frauen eine Haube.
Ahr Pub beftand in ausländifhen Arm- und Halsbändern, Ringen,
Ohrgehängen. Die Fremden fagten wohl: „ber Preußen Gott ift ihr
Bauch“; und allerdings war Inftiges Zechen in Preußen fehr beliebt;
inbeffen welche Mafjen von Met und gegohrener Stutenmild, hier auch
vertilgt wurden, die hriftlichen Deutfchen leifteten in Bier und Wein das
nämliche. Im Eſſen waren die Preußen body immer mäßig. Ihre Koft
beftand hauptſächlich aus Fleiſch, Brot und Milchipeifen.
Die preußifhe Sprache, die feit 200 Jahren ausgeftorben und uns
nur in einigen fpät abgefaßten Wörterverzeichniffen und in ein paar
Überjegungen des lutheriſchen Katechismus”) erhalten ift, war eine
Mundart des Litauiſchen; fie hatte einen fanften, milden Klang und in
*) Zur Probe fei bier das Vaterunſer (nad; Abel Will's Sqhreibung, abgebruct bei
NReffelmann, Sprache der alten Preußen ©. 13 ff.) mitgeteilt: TAwa noüson kas tu essai
on Dangon. Swintints wirst twais emmes. Perlit twais Ryks. Twais quäits andäsin,
kägi en Dangon tyt döigi no semien. Nouson deinennin geitien dais noümans schan
deinan. Bhe etwerpeis noümas nousans Auschautins kai mes etwörpimsi noüsor.s
auschautenikamans. Bhe ni weddeis mans en perbandäsnan. Schläit isrankeis mans
esse wissan wargan. Amen.
Die alten Preuben. 87
ihren Formen eine ſehr gefällige Beweglichkeit; wie lieblich Mingen z. B.
die Mannsnamen Dygune, Nawalde, Aftiot, Samile, Nautinge, Saleide,
die Irauennamen Romeda, Namego. Die Schrift war, wie es fcheint,
unbefannt; man fam dem Gedächtnis in ber Weife aller Naturvölker
zu Hilfe, bediente fi, um die Tage zu zählen, eines Kerbftods oder
Inüpfte Knoten an einem Riemen. Man rechnete übrigens nicht nad)
Boden, jondern nur nad) Monden und Jahren; die Monate hießen nad)
den Naturerjcheinungen, z. B. Zauben-, Linden-, Getreide, Laubfall-
Monat. ‚
Am wenigften heimelte den germanifchen Sinn das Verhältnis an,
in welchem bei den alten Preußen die Frau zum Manne ftand. Sie
war nicht die berechtigte Genoffin, fondern die Dienerin ihres Gatten,
dem Vater um ein bejtimmtes Maß Getreide oder für eine Anzahl Vieh
abgefauft; denn die Kinder galten als deſſen unbedingtes Eigentum.
Der Mann durfte jo viele Frauen haben, als er ernähren konnte. Den:
nod) fehlte es der Ehe nicht an Würde; darauf deutete mancher poetifche
Braud) hin. Am Tage ber Hodjzeit verfammelte die Braut ihre Freun—
dinnen und fang mit ihnen ein Klagelied, daß fie mın nicht mehr die
Eltern warten und pflegen dürfe. Dann ftieg fie in den Wagen, den
ihr der Bräutigam ſchickte, um zu ihm zu fahren; war fie an ber Grenze
feines Hofes angelangt, fo trat ihr ein Mann mit einem lodernden Teuer-
brand und einem vollen Kruge entgegen. Dreimal umrannte er ben
Wagen, dann den Krug ihr reichend, rief er: „Wie fonft in beines
Vaters Haufe, jo hüte nun das euer im Haufe deines Gatten.” Unter
fröhlichen Zeremonien wurde fie nun in das Haus und an ben Herb,
ihren Tünftigen Chrenplaß, geführt, wo man ihr die Füße wuſch. Darauf
wurde fie mit verbundenen Augen und den Mund mit Honig beneßt an
alle Thüren des Haufes geführt und ftieß eine jede mit dem Fuße auf,
- während die Begleiter fie mit Sämereien aller Art beftreuten und ihr
zuriefen: „Halte feft am Glauben unferer Götter, fo geben fie dir alles.“
Es folgte ein heiteres Mahl mit Gefang und Tanz, wobei der Braut
das lange Haar, die Zierde der Jungfrau, abgefehnitten und ihr Haupt
mit einer befränzten Haube bedeckt wurde.
Die Balten fahen in allem an Himmel und Erde, was ihren Ver-
ftand oder ihr Gefühl betroffen madjte, etwas Göttliches; fie verehrten
Sonne, Mond und Sterne, Donner und Bliß, hielten manche Bäume
und ganze Haine, mandje Duellen und Seeen, die Schlangen und viele
andere Tiere für heilig. Aber fie hatten das Göttliche in der Natur
auch perfonifizirt und beteten zu beftimmten Göttern vor deren Bildern.
. Ein ausgebildetes, uraltes Prieſterweſen gab diefem Kultus feite Formen
und übte von Preußen aus aud) auf die verwandten Völker großen Ein-
fluß. Der preußifche Oberpriefter, der ‚„ Kriwe“, hatte unter den baltifchen
88 Geſchichte des Landes Preußen.
Heiben ein Anfehn, faft wie in der Chriftenheit der Papft. Sein Wohnfik
Romowe in der Landſchaft Nabrauen war der Mittelpuntt diefer
ganzen großen Glaubensgemeinſchaft und zwiſchen Weichjel und Düna
der heiligfte Ort. Hier in Romowe ftanden in drei Blenden, die in ben
dicken Stamm einer heiligen Eiche gehauen waren, bie Bilber ber drei
Hauptgötter: Perkunos, der gewaltige Donnergott, einem zornigen Manne
glei), mit feuerfarbenem Geficht und fraufem Bart, das Haupt von
Flammen und Blikftrahlen umlodert; vor ihm brannte ein ewiges Teuer.
Im Donner verfündete er dem Dberpriefter, dem Kriwen, die Zukunft
und feine Befehle. Roſſe (jeine Lieblingstiere), aud) Gefangene wurden
ihm zu Ehren geſchlachtet; er ſpendete Kraft und Sieg. Neben ihm ftand
Patrimpos, der lächelnde, glücbringende Gott der Fruchtbarkeit und des
Aderbaues, wie ein ſchöner, blonder Züngling anzuſchauen, mit einem
Ahrenkranz im Haare. Ihm brannten ais Opfer Getreidegarben und
Weihrauch; fein Heiliges Tier war die Schlange. Auf der andern Seite
ftarrte Pakollos, der finftere Gott des Todes und Verderbens, eine
Greifengeftalt, mit totenbleichem Geſicht, langem, grauem Barte, ben
tahlen Scheitel mit einem weißen Tuche ummunden. Drei Totenköpfe,
— eines Menſchen, eines Pferdes, einer Kuh, — lagen vor feinem Bilde,
die Beichen feiner blutigen Opfer; denn Dual und Angft alles Lebendigen
war feine Freude, und feinen Zorn verjöhnte mır Blut. Von anderen
göttlichen Wefen genoß Kurche, der nahrungipendende Gott, Die meifte
Verehrung; aud) er wurde unter heiligen Bäumen angebetet. Das An-
ſehen der Götter gab auch ihren Prieftern, den Waidelotten, die um ihre
Heiligtümer wohnten, große Macht, die größte aber dem Kriwen, ber,
als Oberpriefter und Oberrichter, von Romowe her feine Sprüche ergehen
ließ, Drafel, die überall als göttliche Befehle galten.
Mit den Prieftern teilten die Herrſchaft über das Volt die Häupt-
linge ber einzelnen Gaue. Auf ihr Gebot war in Kriegszeiten jeber
wehrhafte Mann verpflichtet, mit feinen Waffen — der Streitleule, ben
Wurfleulen, der fteinernen Streitart, oder, wie es fpäter Sitte ward,
mit Schwert und Spieß, Schild und Bogen — auf dem bezeichneten
Sammelplage zu erſcheinen. Da kamen meift fehr zahlreiche Heere zu=
fammen ; zumal das wohlbevölferte Samland vermochte viele taufend Reiter
und Fußkämpfer zu ftellen; aber auch die andern Gaue brachten große
Maffen ins Yeld; freilich war dies Aufgebot eben nichts weiter ald ein
allgemeiner Landfturm, zu welchem ein jeber gehörte, der überhaupt nur
eine Waffe tragen Tonnte. Zuweilen thaten ſich einige, nie alle Gaue
gegen einen gemeinfamen Feind zufammen. Durch zähe Tapferkeit er«
hielten fie ſich dennod) frei und waren im Kampfe furchtbare Gegner, ob-
wohl fie von eigentlicher Kriegskunſt nichts verftanden. Ihr Auszug erfolgte
unter heiligen Kriegsbannern, — Züchern, die mit Bildern von Gößen
Die alten Preußen. 89
und Tieren bemalt waren —; ihr Angriff geſchah mit Kühnheit und
zift, die durch die Unwegfamteit des fumpfigen bewaldeten Landes unter-
ftüßt wurde. Oft fiegten fie aus dem Hinterhalt oder durch verftellte
Flucht. Am gefchickteften zeigten fie fi im Anlegen und Verteidigen
fefter Burgen. Das Land war bedeckt mit ſolchen Wehren, die, aus
Holz erbaut, metft auf Anhöhen oder an Flüffen, Seeen, Moräften lagen
und von Wällen und Gräben umgeben waren. Zur Feier des Sieges
brachte man den Göttern gern einen vornehmen Gefangenen zum Opfer
dar; durchs 208 gewählt, warb er in voller Kriegsrüftung auf ein ge
feffeltes Pferd gebunden, mit einem Scheiterhaufen umgeben und fo ver-
brannt. Auch die übrigen Kriegsgefangenen behandelte man mit Grau-
famteit. Denn durch lange Kriege mit den Nachbarvölkern, befonders
mit ben Polen, durd) Kriege, die meift in entfeßlichen Verwüftungszügen
beftanden, war die urfprünglich friedliche und milde Gemütsart der
Preußen gewaltthätig und hart geworden. Dod) gegen Fremde, die als
Säfte kamen, wie gegen Freunde und Stammgenofien blieb der Preuße
menſchenfreundlich und wohlwollend.
Wenn aud) die Häuptlinge einen ehr bedeutenden und dauernden
Einfluß auf das Volt ausübten, fo war es dod) feine Gewaltherrſchaft;
fie geboten über freie Leute, und in wichtigen Angelegenheiten des Gaues
entſchied das Volk felber in feinen Verſammlungen, bei denen freilid, die
Edeln, d. h. die von altersher durch Anfehen und Reichtum ausgezeich-
neten Geſchlechter, eine gewichtigere Stimme hatten als ber gemeine
Mann. Der Reichtum beftand in großem Grundbeſitz und Biehftand,
ſchönen und fehnellen Pferden, Jagdhunden, Jagdfalken; Geld war nicht
Üblich. Übrigens unternahm man Fein wichtiges Geſchäft, begann feinen
Krieg, ſchloß Teinen Frieden, ohne durch den Mund der Priefter den
göttlichen Willen erforjht zu haben; aber man gehorchte auch dieſen
nicht aus Zwang, fondern aus Frömmigkeit.
Was man vom Leben nad) dem Tode glaubte, war vernünftig und
heilſam; Die Seelen der Guten kämen an einen Ort der Freude und des
Genuſſes (den man ſich allerdings rein finnlic dachte); dort, im Rojus,
bei den Göttern, würden fie alles wiederfinden, was ihnen hienieden lieb
und teuer gewefen. Den Böfen war ein Ort der Dual und der Marter,
Bella, zum entjeglichen Wohnſitz beitimmt.
Dem Geftorbenen zu Ehren veranftaltete man ein feierliches Trauer-
mahl. Mit weißen Kleidern geſchmückt, ward die Leiche im Kreife ber
Freunde und Verwandten auf einen Stuhl geſetzt, und jeber trank unter
Behllagen dem Toten zu, trug ihm aud) Grüße an liebe Verftorbene
af. Dann gürtete man ihm ein Schwert um (eine weibliche Leiche
erhielt ftatt deffen Nadel und Zwirn mit), legte ihn auf einen Wagen
und fuhr nach dem Begräbnisplage. Männer folgten zu Pferde, hieben
90 Geſchichte des Landes Preuben.
mit ihren Waffen in die Luft, fuchten aud) durd) lärmendes Gejchrei die
böfen Geifter von der Bahre fern zu halten. Auf dem Begräbnisplae
war ein Erdhügel aufgeſchüttet; am nördlichen Ende beffelben befand ſich
ein vierediges Grab, forgfam mit großen, aufrecht geftellten Steinen aus»
gelegt, aud) wohl mit bunten Kiefeln gepflaftert; am ſüdlichen Ende ragte
ein mächtiger Scheiterhaufen; auf dieſen wurde die Leiche gelegt, neben
fie des Verftorbenen Roß, Hund, Waffen, Geräte und mancherlei Koft-
barfeiten, dann alles in einer gewaltigen Zeuerlohe verbrannt. Denn
man meinte, das irdiſche Leben. feße fid im Jenſeits unter gleichen
Verhältnifien und Beihäftigungen fort. Während die Ylamme loderte,
erhoben die Priefter das Lob des Verftorbenen, rühmten feine Thaten,
zumal was er im Kriege volführt, und riefen begeiftert: „Schon fehen
wir ihn, im bligenden Schmud der Waffen, hod) zu Roß, ben Jagd»
falfen auf der Fauft, durch die Wolken zum Rojus emporziehn!" —
War num der Scheiterhaufen verglüht, fo ſammelte man die Aſche des
Toten und that fie nebft Schmuckſachen von Metall, Korallen oder
Bernftein, aud) Münzen, die man als Zierat vom Auslande ein
getauft, in eine thönerne Urne und feßte diefe in dem Grabe bei,
welches dann mit Steinen gejchloffen und wie die Ajche des Scheiter⸗
haufens mit Erde bededt ward. So findet man noch heute Ajchen-
töpfe, Waffen und allerlei Schmud in ber Erde als Denkmal an das
alte Preußenvolk.
So lange weithin nur Slawen wohnten, hatte im Süden und
Weſten des Landes der Preuße für fein Volkstum, feinen Glauben und
feine Freiheit "ihta fürchten, Die Verfuche, die jene teils mit ben
Waffen, teil ılt des Wortes machten, ihn zu befehren, zu
unterjochen, mal zurückgewieſen worden. Die ehrwürdigen
Männer, d olniſchen Böten die Weichſel herabgefommen,
den prager ! (997), den ſächſiſchen Mönch Bruno (1009),
hatte er als ı Iange fie Frieden hielten, dann, als fie ihm
feine Götter hlagen.*) Die Belehrung, die nad) langer
*) Mbalbert, ein Dcheche von Geburt, prebigte zuerft bei Danzig; von dort fegelte er
bie Weicfel hinab ins friſche Haff und mad der Pregelmündung. Hier wurbe er von den
Samlönbern anfangs freundlich aufgenommen, dann als Beleidiger ihres Glaubens vew
jagt. In der Nähe des Heutigen Fiſchhauſen betrat ex einen heiligen Hain; das wurde
fein Verderben. Ein Haufen Eingebormer ſehte dem Entweiher nad), ein Waidelotte ftich
ihm mit feinem Speer die erfte Wunde, die anderen töteten ihn vollends. Adalbert ftarb
mit dem gottergebenen Sinn und ber Freudigkeit eines Märtyrers; als ſolchen Tanonificte
ihn die romijche Kirche, die ihn auch den „Mpoftel der Preußen“ und den Schubheiligen
des Landes nennt.
Der deutfehe Orden. 9
Pauſe nun im Jahre 1209 der Eiftercienfer-Mönd, Chriftian (aus dem
1170 geftifteten Klofter Dliva bei Danzig) teils von Pommern aus,
teils mit Hilfe der Polen unternahm, war zwar anfangs nicht ohne
Erfolg geweien, fo daß ihn der Papft (1212) fogar zum „Bijchof von
Preußen“ ernannte, aber fobald die Preußen gemerkt, daß ihnen mit der
Taufe zugleid die Herrſchaft der Polen gebracht werde, fielen fie 1224
mit einem großen Heere in das ſchon halb befehrte Kulmerland und
in dag polniſche Mafovien ein, vertilgten wieder die Keime, Die das
Ehriftentum unter ihnen getrieben, vernichteten dann im neuen Der
heerungszügen aud) den polnifchen Ritterorben, den Herzog Konrad von
Mafovien 1228 wider fie in Dobrin*) geftiftet hatte, und drohten nun
ihrerfeit3 ben planmäßigen Angriff durch immer fortgefeßte Raubfriege
zu vergelten. Die Polen mußten es eingeftehen, flawifche Kraft war
ganz unfähig das Preußenland Chrifto zu unterwerfen; ftatt es zu er-
obern, vermodjten fie nicht einmal die Grenzen des eigenen Gebietes recht
zu beſchützen. Sie übertrugen die Aufgabe, an ber fie felbft gefcheitert
waren, einer andern Nation, derjenigen, die in ber ganzen Chriftenheit
den erften Rang einnahm und dem Heidentum bereit3 fo weite Lande
abgerungen hatte, — ber beutfchen Nation. Wie erfolgreich kämpften
für das Kreuz eben jeßt die beutfchen „Schwertbrüber" in Liefland, die
deutfäjen „Warianenritter" noch vor kurzem im fiebenbürgifchen Burzen-
land! Ahnliches war von diefen für Preußen zu hoffen. Denn der Ruhm
der tapfern und frommen Herren „des deutſchen Haufes unferer lieben
Frauen zu Jeruſalem“ war groß; Weltliche und Geiftliche wetteiferten,
den Orden mit Gütern und Ehren zu befchenfen, er blühte zumal jeßt,
da ein Held und ein Weifer wie Hermann von Galza, bes großen Hohen-
ftaufen Friedrich IT. vertrauter Freund, fein Hochmeiſter war. Diefer
Orden follte leiften, was der polniſche nicht gekonnt. Schon im Jahre
1226 war vor dem Hochmeifter zu Venedig eine Gefandtihaft aus Polen
eridjienen, die im Namen des bedrängten Herzogs Konrad umb des
Biſchofs Chriftian um Hilfe wider die heidnifchen Preußen bat. Sept
wurbe dies Geſuch dringender und mit annehmbareren Bebingungen
erneut. Kaiſer und Papft unterftüßten die Bitte und ſchenkten dem
Orden jenes ganze Heibenland, wenn er es erobere. Der Antrag wurde
angenommen; die Kräfte und Erfahrungen des Drbens wandten fi) nun
diefem neuen Arbeitsfelde zu. Im Jahre 1229 trafen die erften deutſchen
Ordensbrüder an der preußtfchen Grenze ein, erhob ſich dort am linken
Weichſelufer ihre erfte Burg, Vogelſang (gegenüber dem jegigen Thom);
im Jahre darauf fandte Hermann von Salza die erfte eigentliche Kriegs»
ſchar und in Hermann Balf den erften „Landmeifter" nad) Preußen.
*) Das Heutige Dobresyn unterhalb Plod an der Weichſel. Ewald, die Groberung
Preußens durch die Deutien, I. Halle 1872, ©. 119,
92 . Geiſchichte des Landes Preußen.
Das war ein anderer Feind, der jet herangezogen kam. Welche
wunderbare Kraft befeelte ihn! nur wahrhafte Begeifterung konnte ja
zum Eintritt in den Orden bewegen, denn feine Gefege waren ftreng,
und den Aufzunehmenden erwartete ein Leben voll Entfagung und
Mühſal. Urſprünglich aus einer Stiftung lübiſcher Kaufleute entftanden,
die 1190 bei der Belagerung von Afton in Paläftina dort ein deutſches
Hospital gründeten, hatte der deutſche Orden ſich bald (1198) nad) dem
Vorbilde der Johanniter und Templer rittermäßig eingerichtet und nun
nicht bloß kranke Pilger zu pflegen und fromme Wallfahrer zu beſchützen,
fondern aud) mit dem Schwerte die Ungläubigen zu befämpfen. Aber
& waren nicht diefe Aufgaben, was ben meiften Opfermut erforderte;
dieſe Ritterorden legten zugleich die Mönchspflichten auf: Armut, Ge—
horſam, Keufchheit das ganze Leben lang! Der ganze Menſch, Leib
und Seele, gehörten fortan dem Drben. Am Tage beim Krantenbett oder
im Sattel und Gefecht; in der Nacht oft wieder zu gemeinfamen Gottes⸗
dienſte; die Tracht ein ſchmuckloſes ſchwarzes Gewand, darüber ein
weißer Mantel mit ſchwarzem Kreuz; als Nachtlager ein Strohfad nebft
wollener Dede; die Speife einfach, oft kärglich — das war das Los des
deutſchen Rittermönchs. Aber die fromme Schwärmerei und ein er-
habener Ehrgeiz verflärten es in den Augen der Edelſten zum erftrebeng-
werten, zum würdigſten Berufe. Und dieſe begeifterte Heldenſchar war
doch nur die bahnbrechende Vorhut eines enblofen Heeres, dieſer Meinen
Elite folgte die gewaltige Streit- und Arbeitskraft einer großen Nation;
der deutjche Drden mußte fiegen, denn er führte das deutſche Wolf mit
auf den Kampfplak.
Kaum hatten die Ritter fidy im fühweftlichften Winkel Preußens feft-
geſetzt und hier als Rüdhalt für ihre Streifzüge die Burgen Thorn und
Kulm angelegt, fo ftrömten auch ſchon, auf die Kreuzprebigt der Kirche,
aus Deutſchland taufende von bewaffneten Pilgern herbei, in dem
näheren Preußen ſich denfelben Himmelslohn zu verdienen, den ſonſt dag
ferne Paläftina bot. Mit ihnen wanderte eine Menge von deutſchen
Anfledlern, bejonders aus Sachſen und Weitfalen, ein, die erft zum
dauernden Beſitztum machten, was bie Ordensbrüder und Kreuzfahrer
im rafchen Waffengang eroberten. Wie in der Mark Brandenburg, fo
drang auch in Preußen mit dem deutſchen Schwert und Kreuze ber
deutſche Pflug, mit dem Chriftentum das Deutichtum vor. Es ver-
ging faum ein Jahr und um die Burgen waren die Städte Thorn und
Kulm entftanden (1232). Die deutſche Einwanderung in Schwung zu
bringen, gab ber Orden den Anfiedlern große Rechte und Freiheiten, die
fogenannte „Kulmifhe Handfefte" (1233), eine Verfafiung, Die den Ge—
meinden das Recht erteilte, ſich ihre Obrigfeiten jelbft zu wählen, für
den Orden als Landesherrn nur geringe Leiftungen forderte und be
Eroberung Preußens durch den beuffehen Orden. 93
ſonders im Gerichtsweſen und Erbrecht den Bürgern große Borteile
gewährte.
Vom Kulmerlande aus ging nun bie Eroberung weiter am rechten
Weichſelufer hinab und zugleid, nad) Dften in das innere Land. Jeder
neue Schritt ward mit der Gründung einer Drdensburg und einer Ans
fiedlung bezeichnet, bekräftigt. So fnüpfte fid) an den Bau Marien-
werders (1233) die Unterjochung Pomefaniens; vier Jahre darauf an
Elbings Mauern die Herrihaft über Pogefanien. Hier kam dem Orden
die deutſche Volkskraft von einer neuen Seite, von der See, zu Hilfe.
Die Lübeder, melde damals den Oftfeehandel zu beherrſchen anfingen,
beeilten fi) um die Burg Elbing eine Stadt zu erbauen; denn am
Elbingfluß, zwifchen dem Draufenfee und dem frifchen Haff, war ja die
Stätte eines uralten Handels. Immer wieder durch neue Sreuzheere,
1237 nod) durch den Beitritt des Schwertbrüderordens verftärkt, konnte
der Orden in den nädjften Jahren auch Warmien, Natangen, Barten
unterwerfen. Aber er verbankte feine Erfolge doch nicht bloß fich und
feinen Landsleuten, fondern zum großen Teil dem Umftande, daß die
Preußen nicht ihre ganze Kraft aufboten: jeder Stamm hatte gewartet,
bis die Reihe angegriffen zu werben an ihn kam; fo waren bie Vers
eingelten ber befieren Ausrüftung, der höheren Kriegskunft ihrer Feinde
erlegen. Jetzt, als fie ſchon faft ihr halbes Land verloren fahen, bes
gannen fie endlich nad) einem gemeinfamen Plane zu handeln; die unters
worfenen Stämme erhoben fid) (1242) in Maſſe, während der Herzog
Swantepolf von Hinterpommern, der längft die aufftrebende Macht des
Ordens beneidete, diefen im Rüden anfiel. Jahre lang mußten die
Deutſchen mit den erbitterten Feinden ringen, oft ſchien ihr Untergang
nahe. Selbſt die Frauen der Anfiebler ergriffen nicht felten Schild und
Schwert, um die Mauern der jungen Städte zu verteidigen, wie es mit
großem Ruhme einmal die Kulmerinnen und die Elbingerinnen thaten.
Endlich fiegte der Orden, zwang den Herzog zum Frieden (1248),
die Abgefallenen wieder zum Gehorjam (1253), und das Werk der Er-
oberung ſchritt von neuem vorwärts; zuerft über Galinden, dann, unter» -
ftüßt durch ein Kreuzheer, das König Ottofar von Böhmen herbeigeführt,
gegen Samland. Im Anfang des Jahres 1255 wurde biefer Gau bes
zwungen, umd am Pregel ‘erhob ſich als Bollwerk des Deutfchtums und
des Chriftentums eine fefte Burg, Königsberg, bald eine Stadt. Auch)
die Samen mußten ſich nun taufen laflen und dem Orden unterthan
werben.
Aber das fremde Joch drückte bald unerträglich. Denn feit Her-
mann von Salza's und Hermann Balfs Tode (1239) wurden bie Neu-
befehrten von den Nittern nicht mehr mit weifer Milde, fondern faft wie
Sklaven behandelt. Als daher im Jahre 1260 der Orden von ben
94 Geiciäte des Landes Preuben.
Kitauern in der Schladjt an ber Durbe eine große Niederlage erlitt,
flog der Aufitand wie ein Lauffeuer durch das Land. Im feinen Wäldern
bei den heiligen Eichen verſammelt, rief das preußiiche Wolf wieder um
Rettung zu feinen alten Göttern, wählte feine beften Männer zu Yeld-
herren und erhob fid) einmütig zum letzten Kampfe für feine Freiheit,
feinen Glauben. Wunder der Tapferkeit geſchahen auf beiden Seiten;
doch faft überall fiegte die Kraft des empörten Volkes; von Sieg zu
. Sieg über zerftörte Burgen, Kirchen, Städte führten die preußifchen
Fürften, Glande der Same, Glappo der Warmier, Auktumo der PBoge-
ſane, Diwan der Barte und vor allen durch Klugheit und Mut aufs
ragend der natangiſche Held Monte. Ihn hatten die Ritter vordem ge-
fangen nad) Deutſchland geſchidt und taufen laſſen. Heimgekehrt ſah er
das Elend feiner Brüder, und aus dem chriftlichen Henricus (Herkus)
wurde wieber der Preuße Monte. Jetzt fuchte er deutſcher Kriegskunft
mit ähnlichen Mitteln zu begegnen. ber die taufende, die unter dem
Drdensbanner ftarben, wurden immer durch neue Kreuzfahrer erſetzt,
während fid) das Preußenvolf im langen Vernichtungsfampf verbiutete.
Einer nad) dem andern fielen feine Führer, zuleßt auch Herkus Monte;
die Landichaften verödeten, die Heiligtümer ſanken in Aſche oder wurden
nach Litauen geflüchtet, wo ein neues, Doch weniger ehrmürdiges Romowe
entftand — dorthin reichte der Fremdling nicht. Aber in Preußen gewann
er die Oberhand, er erfticte den Aufitand, eroberte 1275 Nadrauen,
1276 Schalauen, warf endlich 1283 auch den Ießten freien Stamm,
Sudauen, nieder. Sechs Jahre hatten fi) die Sudauer, von dem edeln
Helden Stumand geführt, zwifchen ihren Sümpfen, Seen und Wäldern
mannhaft gewehrt, dann, da Kampf nicht mehr retten konnte, Tieß ſich
ein Zeil taufen ımb in dem verwüfteten Samland anfiedeln; die Mehr»
zahl verfchmähte das Joch und wanderte, wie jo mancher andere Preuße,
nad) dem befreundeten Litauen aus, wo nod) die diten Götter herrfchten
und bie alte Freiheit.
Die Blutarbeit eines. halben Jahrhunderts war beendet; über den
Trümmern bes Heidentums ftand fiegreich für immer das Kreuz. Es
war doch fein jehr hartes Los, was die Befiegten traf. Viele unter den
preußifchen Edeln, namentlich die Witinge, vornehme, alte Grundbefiger,
beſonders in Samland und am frifchen Haff, die fid) dem Orden rafcher
und leichter gefügt, behielten ihre volle Freiheit, durften ihr Gut als
ganz freies Eigentum oder als Friegsdienftpflichtiges Ordenslehen befigen ;
die mit dem Schwert Unterworfenen, fowie die gemeinen Bauern mußten
für ihren Befig Abgaben zahlen, Handbienfte leiften, beſonders bei den
Burgbauten frohnden und dem Ordensbanner als Fußkämpfer folgen,
während die Edeln zu Pferde dienten. In den Dörfern, die der Drben
für fi nahm, übte er durch Vögte aud) die Gerichtsbarkeit aus; in den⸗
Germaniftzung. %
jenigen, die an Witinge überlaffen wurden, verwalteten biefe die Rechts-
Pflege. Leibeigen wurde das Volt in Preußen jo wenig wie in der
Marf. Aber wie dort verlor es durch die Deutſchen allmählich mit der
Unabhängigkeit und dem Glauben aud) feine Sprache und Sitte. Ya
die Ritter gingen fogar planmäßig auf eine Ausrottung der preußiſchen
Nationalität aus. Sie verboten dem Gefinde eines deutfchen Herm
preußiſch zu reden; fie gaben dem Volle nicht eimmal der preußiichen
Sprache kundige Seelforger. Es war ihnen jet ſchon mehr um regio
als um religio zu thun; fie fragten wenig danach, daß ihre Unterthanen
bloße Ramenchriften blieben und meiftens heimlich in dem alten Heiden-
tum verharrten. So hatten die deutſchen Einwanderer alle Vorteile der
Macht auch in geiftiger Hinficht, und das preußiſche Weſen verfam.
Die Verdeutſchung des Landes ging übrigens auf fehr ähnliche
Weiſe vor fi) wie in der Mark: deutfche Unternehmer Iegten im Auf-
trage des Ordens auf wüften Boden deutfche Dörfer an, erhielten in
dieſen ein Freigut nebft dem Schulzenamt, welches fie verpflichtete, von
den Anftedlern ben Bins für den Orben, den Zehnten für bie Kirche ein»
zufommeln und im Dorfgericht den Vorſitz zu führen; fie hatten die
GSrundftüce bald an den Mann gebracht, weil der Boden fruchtbar war,
umd ber deutfche Bauer nur mäßige Abgaben und Dienfte zu Ieiften
brauchte. Auch viele ritterbürtige Freie zogen aus Deutjchland nad)
Preußen. Ste wurden dort dom Drben mit erblichem Grundbeſitz be⸗
lehut und hatten ihrem Lehnsheren dafür innerhalb ber Landesgrenzen
Kriegsdienst zu leiften. Sie bildeten mit jenen Schulzen den Stand der
großen Freien oder der „Kölmer", jo genannt, weil ihr Gut ihnen nad)
kulmiſchem (magbeburger) Recht gegeben war. Ein kölmiſches Gut maß
durchſchnittlich zehn Hufen*), und der Dienft dafür mußte zu Pferde und
in ritterlicher Rüftung geleiftet werben. Ebenſo genoffen die deutſchen
Städte, die in großer Zahl erbaut wurben, viel Gunft; der Orden er-
teilte den binnenländifchen kulmiſches oder magdeburger, den am Meere
gelegenen Lübtfches Stadtredit. Ihr Handel und Gewerbe blühte raſch
auf; manche, wie Elbing, Kulm, Braunsberg, Königsberg, traten früh—
zeitig in den Hanfebund. In kirchlicher Hinficht zerfiel Preußen in vier
Bistümer — Kulm, Pomefanien, Ermland, Samland — aber dieſe
Stifter waren wie die Vafallen und Städte dem Orden unterthan. Die
Landesherrichaft defielben beruhte auf den ftärfften Rechtstiteln, die man
damals kannte, auf der Tatferlichen und päpftlichen Schenfung und auf
der Eroberung. Um fo nachdrücklicher war feine Wirkſamkeit. Wie gut
*) Ein Schulzenamt war etwas Meiner (410 Hufen). Ein deuties Banerngut maß
2 bis 4 Hufen, melftens ebenfoplel daB Gut eines preuhifäjen Peeien, Halb fo viel ein
preuhiſches Bauerngut. S. Lotar Weber, Preußen dor 500 Jahren, Danzig 1878, ©. 318 ff.
9 Geſchichte des Landes Preußen.
er feine Aufgabe verftand, wo es fi um materielle Dinge handelte, das
zeigte er aud) in ben Siegen, die er Über die Natur des Landes gewann.
Das weite Gebiet zwifchen Weichfel, Nogat und Elbing war damals
zum Zeil voll ungeheurer Sümpfe und bei Hochwaſſer faft ganz unzu-
gänglich, mehr, wie es fchien, für wilde Tiere als für die Kultur ge—
ſchaffen. Hierhin berief nun der Orden im Jahre 1288 niederländiſche
und andere beutfche Anfiedler, die mit dem Kampf gegen das Waſſer
vertraut waren, gab ihnen viele preußifche Bauern zur Hilfe, beitätigte
die Deichverfafjung, die fie unter ſich errichteten, und hatte die Freude
zu fehen, wie nad) fehsjähriger Arbeit ein großer Teil des Landes, das
jebt der große und Meine Werber heißt, trocken gelegt war. Hinter den
Dämmen, die dem Eisgange Troß boten, ward mın der üppige Marſch-
boden urbar gemacht, und die Bauernſchaften auf ihm waren bald weit
und breit die reichſten.
Einen Zeil feiner Kraft hatte der Orden bisher noch nad) Paläſtina
richten müflen, als aber im Jahre 1291 hier aud) die legte chriftliche
Vefte Akon an die Türken verloren gegangen, und jede Hoffnung ver-
ſchwunden war, das heilige Land wieder zu gewinnen, bejchloß er, fi
ganz und gar dem Kampf in ben Oftjeeländern, zumal gegen die Litauer,
und der Regierung Preußens zu widmen. Im Jahre 1309 verlegte der
Hochmeifter — es war Siegfried von Yeuchtwangen — feinen Sitz nad)
Marienburg; dort an ber Nogat ragte mın „des Ordens Haupthaus“,
prachtvoll wie je ein Königsſchloß, ein würdiger Schlußftein zum Bau
dieſes großartigen Drbensftants. Fünfzehn Jahre darauf erhielt auch
defien innere Verfaffung eine neue und zweckmäßigere Geftalt. Sie war
fonft ariſtokratiſch geweſen; neben dem Hochmeifter und deſſen Stell-
vertreter in Preußen, dem Landmeifter, jowie in Riga neben dem lie—
fiſchen Landmeifter hatten die hohen Ordensbeamten oder Gebietiger —
nämlich) der Großkomtur, der Land-Marjchalt oder Feldherr, der oberfte
Spittler oder Auffeher der Krankenpflege, der Trapierer oder Kleider
meifter, ber Trefiler oder Schagmeifter — einen weit greifenden Einfluß,
und auch die Befehlshaber der einzelnen Ordensburgen, die Romture,
viel Macht gehabt. Jetzt ſchärften die neuen Statuten, die der Hod-
meifter Werner von Drfeln 1329 durchgeſetzt, den Brüdern nicht bloß
die alte Zucht und Strenge des Lebens ein, ohne die das eble kriegeriſche
und religiöfe Weſen des Ordens ſchwerlich beftehen Tonnte; fie paßten
auch jene Ordensämter den gefteigerten Bebürfniffen, den größeren Ver⸗
hältniffen des Staates befier an, indem fie ihn zu einer Monarchie
madjten. Aber diefe Monardjie war eine gemäßigte, die Gewalt bes
Hochmeiſters fortan fo groß, daß er ſtets ben Gehorfam aller Ritter zum
Wohle des Ganzen erzwingen konnte, und doch der Verantwortlichkett gegen
das Generalfapitel (gegen die Verſammlung aller Gebietiger) nicht fo
Die Herrichaft des deutſchen Ordens. 97
weit entledigt, daß er vermodht hätte, das Ganze zu beihädigen. So
ward ber Orden befähigt, ein Regiment zu führen, wie es in folder
Weisheit und Kraft damals nirgend anderswo zu fpüren war. Unter
feinem Zepter fonnten weder Selbfthilfe, Fauſtrecht, Fehdeweſen, nod) die
Ausgeburten wilder Glaubenswut, die blutigen Keßergerihhte, konnte
feine diefer Geißeln des Mittelalter8 auflommen. Der einzige, freilich
ſehr dunkle Flecken an der Regierung des Ordens war das Unrecht, das
er durch gänzliche Vernadjläffigung der geiftigen Interefien feiner preußiſch
redenden Unterthanen beging. Er forgte väterlich nur für Die Deutfchen.
Was er dieſem großen und herrſchenden Teil ber Bevölkerung Ieiftete,
war bewundernswert; 80 Städte und 1400 Dörfer hat er ihm gegründet,
und: die Befig- und Rechtsverhältniſſe in ihnen wußte er jo weife zu ge-
ftalten, daß diefe Gründungen gedeihen mußten. Hier gab es feinen
bevorredhteten Adelsftand und feinen überwuchernden Großgrundbeſitz,
fondern einen zahlreichen freien und behäbigen Mittelftand, der neun
Zehntel der Acker inne hatte. Sicher vor inneren Feinden baute hier der
Landmann fein Feld, trieb der Städter fein Gewerbe; die Kriege wurden
an den Grenzen ober in Feindesland geführt. Faſt alljährlich, wenn ber
Binter die Sümpfe und Wafferläufe an der Grenze gangbarer gemacht,
30g von Ragnit ober einer andern Grenzfeftung aus der Marſchalk oder
ein Komtur mit einem Heere durch die Waldwildnis hinüber nad) Litauen
zum Kampf gegen die Heiden. Faſt eben fo oft freilich brachen die
Kitauer über Die Memel ins Preußifche herein mit Raub, Mord und
Brand. Dod) ließ der Orden fie felten weit fommen, denn feine Streit-
macht war groß und mwohlgeorbnet. Zu biefen „Kriegsreiſen“ wurden
für gemöhnlid) die Befagungen der Grenzburgen und die „Maien" (Mann-
ſchaften) der benachbarten Städte aufgeboten; aber faft immer ftanden
auch Scharen freiwilliger Kreuzfahrer zu Gebote. Diefe „Säfte kamen
nicht bIoß aus Deutfchland, ſondern auch aus Frankreich, Großbritannien
und den Niederlanden; zahlreid fanden fi) unter ihnen auch fehr vor-
nehme Ritter, Barone und Fürften ein. Viele lockte die weltliche Ehre,
vom Hochmeifter auf litauiſchem Boden den Ritterfhlag zu empfangen
oder mit ihm am „Ehrentiſch“ zu ſitzen, den er nad) König Artus’ Vor-
bild mit großem Pomp zuweilen abhielt. So bradjte der Orden durd)
eigene und fremde Kraft nicht felten Heere von zwanzig und dreißig
taufend Mann zufammen.
Aber bei großer Sicherheit und Ordnung genoß der Unterthan im
Drdensftaat zugleich, ein damals ungewöhnliches Maß bürgerlicher Frei»
beit; er behielt fein altes deutſches Recht, feine Selbftändigkeit und MWehr- '
haftigkeit. Und weil der Zandesherr wenig bedurfte, im Volke aber
jeder die Früchte feines Fleißes für fid) erntete, fo konnten die Hoch—
meifter fid) rühmen, nirgends in Europa zahle man fo werig Steuern
Bierfon, preub. Geſchichie I.
98 Geſchichte des Landes Preußen.
wie in Preußen. Sie fonnten aud) auf das ftolz fein, mas fie Neues
zur Wohlfahrt ihres Reiches thaten, auf die vorteilhaften Handelsverbin-
dungen, die fie mit dem Auslande anfnüpften, auf die Förderung, die fie
jeder nützlichen Thätigfeit zu teil werden ließen. Unter ihrem Schuße
und durd die Verbindung mit der Hanfa, ber ſich die Städte Danzig,
Thorn, Kulm, Elbing, Braunsberg und Königsberg angefchloffen hatten,
wurde ber preußtfche Handel bald fehr beträchtlich. Die reichen Erträge
des Landes an Getreide, Wachs, Honig, Bernftein (fpäter auch Bau-
holz) gingen maſſenhaft nad, dem Weften, beſonders nad) England und
den Niederlanden; dafür holte man gewerbliche Erzeugniffe, Wein, Me-
talle, Scharlad), Leinwand, Salz. Die blühendfte und mächtigfte Stadt
war ſchon in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts Danzig, der Haupt-
ftapelplag des Weichjelhandels und Vorort des „preußifchen Duartiers*
in der Hanfa. Geit 1310 in unbeftrittenem Beſitz des Ordens, der fie
nad) dem Ausfterben der flawifchen Herzöge von Pomerellen teils mit
Baffengewalt, teil durch Kauf erworben hatte, war fie durch ſtarke Ein-
wanderung deutſcher, bejonders lübecker Kaufleute und Handwerker raſch
germantfirt worden; ihre günftige Lage half ihr dann, die anderen deut-
ſchen Städte weit zu überflügeln. Bon dem Reichtum und Gemeinfinn
der alten Danziger zeugt heute noch die berühmte „Pfarrkirche“, an der
man 57 Jahre lang (von 1343—1400) gebaut hat, und ber prächtige
„Artushof“, ein Vereinshaus der Kaufherren, die um biefelbe Zeit unter
fi die „Artusbrüderihaft" zu Handelszweden, aber aud) zu friegerifchen
Übungen geftiftet Hatten.
Rings um die reihen Bürger faßen im Lande wohlhabende Bauern;
denn der gutgeftellte Landmann war aud) ungemein betriebfam, baute
ſelbſt Wein fehr emfig und mit Erfolg. Behaupten doch Patrioten, daß
der preußifche Rebentrank einft felbft einem fränkifchen Weinkenner fol
gemundet haben! Zwar diefe vom Klima fo wenig begünftigte Kultur
ging ſchon im fünfzehnten Jahrhundert wieder zu Grunde. Denn zu
Anfang des Jahres 1437 erfroren alle Weingärten bei Mewe, Neuenburg,
Schwetz, Kulm, Thom, und fie wurden mit wenigen Ausnahmen nie
wieder angebaut. Defto trefflicher aber gediehen alle anderen Zweige
der Landwirtichaft, befonders der Getreidebau und die Bienenzuht. Die
Ernten an Weizen, die Erträge an Wachs waren oft überreid).
So blühte Preußen oder „Neu-Deutfhland“, wie man es
wohl genannt, wunderbar ſchön auf, zumal unter der Regierung feines
größten, glorreichften Hocmeifters, Winrichs von Kriprode (1351 —82);
es war fein golbenes Seitalter, e8 war für den Orden zugleich die Zeit
des glängendften Kriegsruhms. Denn damals (1370 am 17. Februar)
ſchlug er wider die litauiſchen Großfürften Dlgert und Kynftut jene lange
gefeierte Schlacht bei Rudau, wo im harten Kampfe der tapfere Ordens⸗
Der Ordensſtaat am Ende des 14. Jahrhunderts. 9
marſchall Hennig Schindefopf fiel und endlich die „Maien“, der Sage
nad) von einem königsberger Schufter geführt, ben Sieg entſchieden; eine
Schlacht, bie den eroberungsluftigen litauiſchen Staat, als er am ge-
waltigften war, zwang, an der Grenze der deutſchen Pflanzung halt zu
machen. Doch auch weld) eine Pflanzung! Diefer Ordensitaat war ja
umfangreicher als manches berühmte Königreih, als England, Däne-
mark, Neapel, und mächtiger als mandjes größere. Denn durch Kauf,
wozu ber ungemeine Wohlftand des Landes, obgleich e8 verhältnismäßig
nur wenig befteuert wurde, die Mittel gab, war Efthland (1346 von den
Dänen), die Neumark (1402 vom Haufe Luremburg) erworben. Mit
den Waffen gewann der Drben die Infel Gothland (1398), nachdem
feine Flotte die „Vitaltenbrüber“ beftegt, umb fein Heer das Neft diejer
Seeräuber, Wisby, erftürmt hatte. Und fo umfaßte der Ordensſtaat am
Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts ein Gebiet von faft 3000 Duadrat-
meilen mit etwa einer Million Einwohner*); er reichte von der Oder bis
zur Düna, er war auf dem Gipfel feiner Macht.
Aber mın ſank er; ſchon unterwühlten im Innern, beftürmten von
außen ben ftolzen alten Bau überlegene neue Kräfte. Der äußere Feind
nahm auf einmal eine andere und unendlich gefährlichere Geftalt an: die
Litauer wurden (1386) von ihrem Großfürften Jagello zum Chriftentum
befehrt und mit Polen zu einem Reiche vereinigt. Damit war bie
urfprüngliche Aufgabe des Ordens befeitigt; fein Kampf mit den Nach—
barn war nun fein Glaubensfampf mehr, der Kreuzfahrer herbeiziehen
Ionnte. Der Feind dagegen war doppelt mächtig: er ftand auf allen
Bunkten der weit gebehnten Landgrenze und drang eroberungsluftig an;
denn die Litauer hatten durch die Taufe ihre alte Plünderungsluſt nicht
verloren, und die Polen, die längft mit Neid und Gier auf das herrliche
Neid) an der Ditjee fahen, hatten es bisher nur aus Ohnmacht unter-
laffen, zu ernten wo fie nicht gefäet. Aber jet befaßen fie ja an den
Kitauern fo ftarfe Helfer, und vor allem, dem Gegner wanfte in feinem
eigenen Haufe der Boden unter den Füßen. Dies war in der That das
Entſcheidende. Der Orden hatte fid) aud) als regierende Macht überlebt.
Im Laufe der Zeit war die alte Sittenftrenge der Brüder dem Wohl-
leben und Übermut gewichen; beſonders hatten die „Säfte“, die fahrenden
Ritter, mit ihren wüften Sitten die ftrenge Zucht des Ordens durch ihr
Beifpiel ober ihren Eintritt gelocdert. Dazu kamen Parteiungen; bie
Franken, Baiern und Schwaben im Orden erbitterten durch Unverftand
und Hochmut Die Nieberbeutfchen. Kurz, der Orden verweltlichte; aber je
*) Preußen allein etwa 1200 Duabratmeilen mit 730000 Einwohnern. Pie Einnahme
des Ordens betrug aus Preußen in bar und Raturallieferungen jäßelich ungefähr eine
Mitlon Wert unfers Geldes; aber bie Rauffraft des Gilbens war ums Jahr 1400 fünf
mal fo groß als heute .
100 Geſchichte des Landes Preußen.
loderer die Zucht in ihm felber wurde, befto ftraffer hielt er das Volk
im Zügel; den verblaffenden Heiligenihein follte ihm ein ftärkerer Nimbus
von irdifcher Majeſtät erfeßen. Indeſſen aud) nrit den Unterthanen war
eine Veränderung vorgegangen; bie deutſchen fühlten ſich nicht mehr als
Eindringlinge unter einem fremden, feindlich gefinnten Volke, nicht mehr
als Sieger neben Befiegten, fondern. als Eingeborne des Landes und
Bürger eines Volkes. Nachdem die Eroberung und Einrichtung längft
war vollendet, nachdem durch die Taufe ber legten heidniſchen Nachbarn
auch der Ausnahmezuftand eines ewigen Krieges jet war bejeitigt worben,
konnte die Herrichaft des Drdens als eine unerträgliche Abnormität
gelten; denn wer waren dieſe hochmütigen Ritter, die in ihrer Ge—
famtheit die Landesherrſchaft bildeten? Es waren Fremdlinge, jüngere
Söhne des Adels aus dem „Reich“, meift aus Süddeutſchland oder vom
Rhein; fein Familienband verfnüpfte fie mit dem Wolfe, weldyes fie zu
regieren kamen, und das Verdienft ihrer Vorgänger war nicht einmal
durch Blutabſtammung ihres. Durfte dod) ftatutenmäßig niemand aus
der in Preußen anfäffigen Ritterjchaft in den Orden aufgenommen
werben; er war mur noch eine DVerforgungsanftalt für den Abel im
„Reich“. Nun entarteten diefe Fremden gar, wurben aus gerechten und
wohlwollenden Regenten felbftfüchtige Tyrannen. Denn fing nicht der
Orden an, bie althergebrachten Rechte des Unterthans zu beſchränken,
Handelsgeſchäfte zu treiben, die nur ben Städten zuftanden, willfürliche
Steuern aufzulegen, aus Habſucht die Bauern an ihrem kulmiſchen Erb»
echt zu beichädigen? Bisher hatte nur das Vol preußifcher Zunge den
Drud der Herren aus dem Reich empfunden; jet fühlten aud) Die
deutſchen Preußen fi) beſchwert und wie unter einer Fremdherrſchaft.
Es war daher gewiß eine fehr gerechte Forderung, wenn die Stäbdter
und Kölmer jeßt den Anſpruch erhoben, als „Landftände“, wie es deutſche
Sitte war, aud) einen Anteil an dem Regiment zu nehmen. Aber davon
wollte der Orden nichts wiffen. So geſchah's, daß die Unzufriedenen fi
mit dem Gedanken vertraut machten, dem Orden Gewalt entgegenzufeßen;
diefer Geift der Selbfthilfe erfüllte namentlich den „Eidechfenbund“, einen
Verein, den die weftpreußifchen Rittergutsbefiger nad, Art der im Neid)
florirenden Adelsbünde im Jahre 1398 zur Wahrung ihrer Rechte unter
fic) geichloffen Hatten.
So lagen die Dinge, als im Jahre 1410 Jagello's lange vor=
bereiteter Angriff furchtbar erfolgte Mit einem Heere von wohl
30 000 Reiten”) (Polen, Litauern, Söldnern aus Böhmen, Schlefien,
Mähren, felbft Rufen und Tataren), mit ungeheurem Troß und
60 ſchweren Geſchützen brach er ins Land. Auch der Orden bot alle feine
Vel. Lotar Weber a. a. O. ©. 658
Heinrich von "Plauen. 101
Kräfte auf, aber er konnte dem wilden Anprall nur ein halb jo großes
Heer entgegenftemmen. Am 15. Juli 1410 geſchah bei Tamenberg
(zwiſchen Gilgenburg und Hohenftein) die entjcheidende Schlacht; die
Tapferkeit der Brüder, die ihres alten Ruhmes würdig fochten, erlag der
Übermadht. Der Hochmeifter felber, Ulrich v. Yungingen, fiel; mit ihm
Die meiften Gebietiger, die Mehrzahl der Ordensbrüder und von dem
Zandesaufgebot und den Söldnern viele taufend Mann. Aud) der
Polenkönig hatte einen großen Zeil feiner Truppen verloren; aber mit
den übrigen überſchwemmte er alles verwüftend das Land. Der Unter
gang des Ordens fchien gewiß; doch für jet erſchien ihm mod) ein
Netter. Mit dem Reſte des Heeres warf fid) der Komtur Heinrich von
Blauen in die Marienburg und flug acht Wochen lang alle Stürme
heldenmütig ab, bis Zagello fid) zum Rückzug entſchloß. Zum Hochmeifter
gewählt, bewog Heinrich von Plauen dann (1411) den König von Polen
zu einem Frieden, der dem Orden zwar große Geldopfer auferlegte, aber
das Staatsgebiet nur ſehr wenig verkürzte. Er that nod mehr. Er
wies den Weg, auf dem allein e3 nod) für den Orden und den Staat
ein dauerndes Heil gab: Erneuerung der ftrengen Sittenzucht für Die
Brüder, Anteil an der Regierung für die Stände; das war jeine ernfte
Forderung. Er ſchickte ſich an, beides durchzuſetzen, bildete vor allem,
um Die fteigende Unzufriedenheit des Landes, das mın ſchwer beitenert
werden mußte, zu befänftigen, eineu „Landesrat“ (von 20 Ritterguts-
befigern und 27 Bürgern) umd gab demfelben (1412) landſtändiſche
Rechte. Aber diefe weile und volkstümliche Neuerung erbitterte die
ftolgen Ordensritter; fie feßten den Hochmeifter ab (1413). Da ließ er
fi) von Ehr- und Rachſucht feinerjeit3 verblenden und ſpann mit dem
Könige von Polen hocjverräterifche Umtriebe an. Sie wurden entbedt
-und der Orden verurteilte ihn zu Iebenslänglicher ſchwerer Haft. Dan
brachte ihn nad) Brandenburg am frifchen Haff; dort mußte er bis an
feinen Tod (1429) im Gefängnis ſchmachten.
Mit Heinrich von Plauen fielen auch feine Reformen zu Boden.
Sein Schickſal zeigt, daß, wenn der Orden fi) von den Schlage bei
Tannenberg nie mehr erholte, der Grund tiefer lag als in der polnifd-
litauiſchen Übermacht; er verdiente es, unterzugehen.
Denn nım griff in ihm die Zuchtlofigkeit immer weiter um ſich; die
Konvente, die Großfomture, der Deutjchmeifter (der die Befigungen im
deutſchen Reid) verwaltete), der Meifter von Liefland erlaubten ſich Eigen-
mächtigfeiten aller Art. Noch fchlimmer war, daß die Gelbnot des
Ordens, der vom Kriege her noch viele Anſprüche zu befriedigen hatte,
immer neue Steuern nötig maghte; denn das Land wollte fie nicht auf-
dringen, wurde vielmehr deſto widerfpenftiger, je mehr die Achtung vor
dem Orden j wand, und je größere Anforderungen berfelbe gleichwohl
102 Geſchichte des Landes Preußen.
ftellte. Es half nichts, daß er feit 1480 den Landesrat wieder berief
und ihm das Steuerbewilligungs-Redjt zugeftand ; denn er verletzte dieſes
und mandjes andere Recht der Stände doch wieder. Ritterſchaft und
Städte fchloffen daher 1440 zu Marienwerder den „preußiichen Bund“
zur Verteidigung ihrer Gerechtfame; fie gedachten, bei dem Zerfall des
Ordens fo frei und felbftändig zu werden, wie es die Reichsritter und
Reichsſtädte im eigentlichen Deutjchland waren. Der Hochmeiſter wandte
ſich in feiner Not an feinen natürlichen Schirmherrn, den Kaifer; deſſen
Sadje wäre es freilich geweſen, der greulichen Zerrüttung „Neu-Deutich-
lands" zu wehren; aber der unwürdige Fürft, der damals ben deutſchen
Kaiſerthron verwahrlofte, Friedrich II. von Habsburg, begnügte ſich mit
Worten, die das Verderben feines Schützlings befiegelten, weil er ihnen
feine That folgen ließ. Er befahl (1453) dem Bunde fid) aufzulöfen,
und als diefer ftatt deffen 1454 dem Orden den Krieg erflärte, unter
Hans von Baifens Führung den Aufftand raſch durch das ganze Land
verbreitete, ja ſogar ſich nicht entblödete, den König Kaſimir von Polen
zu Hilfe zu rufen und als feinen Oberherrn anzunehmen; da ließ der
Kaifer den Orden im Stich und ſah ruhig zu, wie der Pole ein deutſches
Land der deutſchen Herrſchaft entriß. Denn was der Feind nicht mit
dem Schwerte gewann, fiel ihm für Geld zu; die unbezahlten Söldner
bes Ordens verkauften dem Könige von Polen fogar die Marienburg;
weinenb verließ der unglüdlihe Hochmeifter Ludwig von Erlichshauſen
im $rühling 1457 des Ordens altes Haupthaus für immer. Auch die
Stadt Marienburg, die der Bürgermeifter Bartholomäus Blume helden-
haft verteidigte, mußte ſich zulegt den Polen ergeben, und die Sieger
fchleppten den treuen Mann auf das Blutgerüft (18. Auguft 1460).
Dreizehn Jahre Iang dauerte diefer „weftpreußifche Städtekrieg“, der
um ſo ſchrecklicher wütete, als nicht bloß das Volk und die Polen gegen -
den Orden, fondern aud ein Zeil der preußiichen Stände wider dem
andern tritt. Denn befonders in Oftpreußen blieben doch viele Städte
und Lehnsleute dem Landeshern getreu. Zu Wafjer wie zu Lande rafte
der Bürgerkrieg. Sah man doch am Lambertustag (17. September)
1463 auf dem frifchen Haff eine Seeſchlacht, bei der jeder Teil preußiſch
war, bier Danziger und Elbinger, dort Königsberger und Braunsberger;
die erfteren fiegten, eroberten oder zerftörten 45 Böte und Schiffe, fingen
oder erſchlugen an 1300 Mann. Zuletzt bezwang den Drden die Er-
ſchöpfung; denn auch von feinen Vettern im Reich, der fränfifchen,
ſchwäbiſchen, rheinifchen Reichsritterfchaft, und den Heinen Fürften, jelbft
vom Deutjchmeifter erhielt er feine Hilfe mehr, ſeit ihm durch den Ver—
kauf der Neumark (1454), dann noch mehr durch den Verluſt Weft-
preußens die Verbindung mit Deutfehland zerftört war. Er mußte am
19. Dftober 1466 den ſchimpflichen Frieden zu Thorn annehmen,
Danzig. 103
Pomerellen und die Bistümer Kulm und Ermland an die Krone Polen
abtreten und durfte den Reft, die Bistümer Pomefanien und Samland,
nur als ein polnijches Lehen behalten. Die Bedeutung des Drdens war
dahin, das Land aber verheert, entwölfert, dem Slawentum preis gegeben,
das nun allmählich darin Fuß faßte.
Zunächſt hatten freilid) Die Stände erreicht, was fie wollten: die
dem Orden treu gebliebenen mußten mit einem reichen Maße von Rechten
und Freiheiten belohnt werben, die polniſch gewordenen genofjen in der
That fait völlige Gelbftändigkeit. Und wenigftens Danzig, ftark in
fi, hatte feinen Abfall nicht zu bereuen; e8$ warb im Grunde ein Frei
ftaat unter polnifchem Schuße, zugleich der hochbegünftigte Hafenplatz des
weiten polnifchen Reiches. Am Schluſſe des fünfzehnten Jahrhunderts
erhob es fid) gar zu einer Weltftellung, ward die erſte Handelsftadt des
norböftlihen Europas und überholte ſelbſt Lübeck. Während es durch
den Sund feine Seeſchiffe in den Weſten des Erdteils fandte, auch einen
großen Anteil an dem wichtigen Heringsfange auf Schonen nahm, 308
es mittels der Weichfel und des Bugs feine Handelslinien durch Polen
und Galizien nad) Ungarn und Siebenbürgen und ſüdweſtlich über
Breslau in das Dbergebiet, über Krafau durch Mähren zur Donau,
öftlidh) aber über Kowno (Kauen) durch Litauen. Die Hauptgeſchäfte
diefes großartigen Verkehrs beftanden im Vertrieb von Getreide und
Bauholz, die aus Litauen und Polen nad) Danzig für das überjeeifche
Ausland gingen, und von Heringen und Salz, die diefes dafür gab”).
Im Zahre 1481 gingen von Danzig 1100 große und Heine Schiffe mit
Korn, bejonders Roggen, nad) Holland. Zum Schutze ihres und des
hanſiſchen Seehandels führten die Danziger felbft auf eigene Hand See—
kriege mit fremben Nationen oder beteiligten ſich an foldhen, die von der
ganzen Hanfa geführt wurden, in hervorragender Weife, wie denn der
danziger Seeheld Paul Benefe, unter den deutſchen Sciffern damals
durch Kühnheit und Gefchiellichkeit der berühmtefte, in den Jahren 1469
bis 1476 mandjes englifche und franzöfifche Schiff kaperte. Weltberühmt
waren Danzigs Schiffswerften; fie lieferten Fahrzeuge bis nad) Portugal.
Die anderen preußifchen Städte famen zwar Danzig an Reichtum, Macht,
olfszahl bei weitem nicht glei), aber aud) fie waren wohlhabend und
*) Die Preife ſchwankten in jener Zeit auf eine merfwirbige Weiſe: bie Taft Roggen
foftete in Danzig von 7—32 Mark (u vier heutigen Marl); bie Grat nach Holland und
landen 8-12 Golbgulden (gu 7'/, Mark unferes Geldes), der Erlös im Weiten betrug
16—100 Golbgulden. Weizen Zoftete in Danzig 10—12 Marl, die Fracht nad; Seeland
9 Goldgulden, wo er für 54 Golbgulden verfauft wurde. Das Shod Dielen koſtete
7-10), Mark, die Saft Salz 6-40 Mark, Heringe 20-50 Marl. Das Salg bezogen
die Danziger größtenteils aus ber Vai von Biscaya, bie Heringe aus ihrer eigenen Baltorei
in Schonen — BWeinzeihs Danziger Chronik, herausgegeben von Hirſch, XVIIT.
14° Geſchichte des Landes Preußen.
wehrhaft, und im Befiß großer Privilegien. Um fo leichter bewahrten
fie fich ihr deutſches Volkstum. Schlimmer ftand es auf dem platten
Rande. Im Kulmerland niftete ſich, zuerft unter dem Adel, langſam das
polnische Wefen ein; in Pomerellen, wo die urjprünglicye Bevölkerung,
die Kaſchuben, nod) bei weitem die eingewanderte deutſche überwog,
nahm e8 die Herrihaft an fi. Nur in den Weichjelniederungen, be—
fonder8 im großen Werder, und am Haff blieb die Germanifirung und
zwar auf Koften der preußifchen Urbevölferung im Fortſchreiten; im ſüd⸗
lichen Ermland, wo Polen — Mafuren — eingedrungen waren, kam
fie zum Stilfftand.
Der Orden, defien Hauptſtadt mın Königsberg war, fügte fid) an—
fangs in fein Schickſal. Doch es war natürlich, daß er wünſchte, das
ihm gebliebene Dftpreußen wenigftens in Freiheit zu befigen, und fo
verfuchte er denn bald, die polniſche Lehnshoheit wieder abzuſchütteln.
Er fegte dabei feine Hoffnung auf das deutjche Reich und mählte,
um dieſes mehr für fid) zu intereffiren, Mitglieder deutſcher Fürften-
familien zu feinen Hochmeiftern. Zuerſt, im Jahre 1498, den Mark-
grafen Friedrich von Meißen, Herzog zu Sachſen, aus dem einfluß-
reichen Geſchlecht der Wettiner. Aber vergebens mühte fi) dieſer ab,
Papſt und Kaifer gegen die Polen ins Feld zu bringen, und jeine eigenen
Mittel waren unbedeutend. Er ftarb (1510), ohne das geringfte ausge»
richtet zu haben.
Die Aufgabe, die er zu löſen micht vermocht hatte, trug der Orden
nun dem Markgrafen Albrecht von Brandenburg-Ansbad)*) an;
er übernahm das ſchwierige Amt (1511), und fo trat denn bier — es
ift nicht das letzte Mal geweſen — zu großen Dingen ftatt der Wettiner
das Haus Zollern ein. Es hatte anfangs wenig Freude an feinem neuen
Beruf, zumal da von Reichswegen für bie deutfche Sache, die hier auf
dem Spiele ftand, nichts gefchah und der Kaifer, wie gewöhnlich, das
deutſche Intereffe dem habsburgiſchen opferte. Marimilian I. gab ſogar
(im wiener Vertrage 1515) den Polen gegen dem deutſchen Orden ganz
ausdrücklich freie Hand. Wergebens rang daher der Markgraf Albredit,
dem verftümmelten Ordensftante wenigftend die Souveränetät wieder-
zubringen. Wnabläffig, doc fruchtlos betrieb er den Krieg gegen Polen;
er erſchöpfte feine geringen Machtmittel; er beftürmte das Reich um
Hilfe. Traurig kehrte er 1524 von feiner Rundreiſe in Deutichland
zurück, wo er umfonft an alle Thüren um Hilfe geflopft hatte. Nur eins
brachte er mit, einen fruchtbaren Gedanken, einen Entſchluß, den ihm
ſchon im Jahre zuvor Luther und Melanchthon angeraten: das veraltete
Ordensweſen ganz abzujchaffen, Preußen in ein weltliches Fürftentum
*) Geboren am 17. Mat 1490 in Ansbach.
Herzog Albrecht I. 105
umzuwandeln und darin eine Dynaftie zu gründen. Als er heimkam,
fand er aud) fein Land ganz lutheriſch geftimmt; alle Stände, obenan
der famländer Bifchof Georg von Polenz, der zu Weihnachten 1523 der
neuen Lehre offen beigetreten, und viele Ordensbrüder hingen bereit3 der
Reformation an. Albrecht beſchloß daher, da ihm die Mittel zur Fort-
jegung des Krieges fehlten, fid) mit Polen auf Grund des thomer Frie-
dens zu einigen und aus bem Schiffbruch des Drdens für fein Haus und
das Land das Mögliche zu retten. Im Vertrage zu Krakau (9. April
1525) erfannte er den König von Polen als feinen Lehnsherrn, diefer
ihn als einen erblihen Herzog in Preußen an. Darauf löfte Albrecht
mit Zuftimmung der meiften im Lande noch befindlichen Drdensbrüder
den Orden auf, trat wie diefe und das ganze Volk zur evangelijchen
Lehre über und verheiratete fih. Mit Freuden leiftete das Land dem
neuen Herzoge die Huldigung; es fand in diefer Stantsveränderung nod)
den Vorteil, daß feine ftändifchen Rechte mın auch noch durch die Krone
Polen beftätigt wurden.
Albrechts Beiſpiele folgte ſpäter der Meifter in Liefland, Gottharb
Kettler. Die liefiſchen Ordensbrüder hatten fid) (im Jahre 1513) für
Geld von der Herrichaft des deutſchen Ordens Iosgefauft, und eine zeit-
lang freute ſich Liefland der gewonnenen Gelbftändigfeit. Aber es fand
bald, daß es diefelbe mit eigener Kraft nicht behaupten könne. Die
mosfowitifchen Barbaren fielen wie Wölfe ins Land, und nachdem die
Xiefländer von diefen wilden Horden entſetzlich gelitten, mußten fie ſich
nad) fremden Schuß umfehen. Kettler übergab das Land dem Könige
von Polen, wurde von dieſem mit Kurland als einem erblichen Herzog⸗
tum belehnt, Töfte den Orden auf und ward, wie fein Wolf, lutheriſch
(1561).
Auch in Weftpreufen drang die Reformation bald durch. Mit ihr
am raſch ein regeres Geiftesleben in alle Oftfeeprovingen; es keimte hier
eine höhere deutſche Bildung auf; ihre fruchtbarfte Pflanzſchule ward die
Univerfität zu Königsberg, die Herzog Albrecht 1543 geftiftet und
am 17. Auguft des folgenden Jahres eröffnet hatte. Aber ſchon vor
dieſem ſegensreichen Ereignis beteiligte fid) Preußen an dem Aufſchwung,
den die Wiſſenſchaft zu Anfang des jechzehnten Jahrhunderts nahm, mit
ungemeinem Erfolge; denn ein Preuße war es ja, der damals die groß-
artigfte wiſſenſchaftliche Erfenntnis aller Zeiten gefunden hat: die richtige An-
fiht vom Weltgebäude verdankt die Menfchheit dem frauenburger Gelehr-
ten Rilolaus Kopernifus. Er wurde am 19. Februar 1473 zu Thorn
als Sproß einer germanifirten polnifchen Yamilie*) geboren, ftudirte in
*) Seine Mutter, Barbara, geborene Wahelrode, war eine thorner Biirgerstochter aus
einem unzweifelhaft deutjchen Geſchlecht, fein Bater, Nifolaus Koppernit, war ein thorner
106 Geſchichte des Landes Preußen.
Krakau und Bologna Medizin und Mathematit und erhielt im Jahre
1499, als er fid) entſchloß, dem geiftlichen Stand zu erwählen, durch
feinen Oheim mütterlidjerfeits, Biſchof Waßelrode von Ermland, eine
Pfründe als Domherr zu Frauenburg und in dieſer die Mittel, fid) faft
ganz ber frühgeliebten Aftronomie zu widmen. Um diejelbe Zeit, als
Zuther feinen Krieg gegen die felbftzufriebene Werfheiligkeit eröffnete,
machte Kopernifus jene Entdedung, die den menſchlichen Stolz in fid) fo
tief demütigt, in Gott fo hoch erhebt, daß die Erde nicht feft und ruhig
dafteht, umfreift von Sonne und Planeten, fondern, felbft ein bloßer
Wandelftern, die Sonne umfliegt. Sein Sonnenfyften, mit welchem er
der Schöpfer der neueren Sterntunde ward, verftieß freilich gegen einige
Stellen der Bibel und konnte daher als Ketzerei gelten; doch gab er das
Bud), in welchem er feine neue Lehre vortrug — „de revolutionibus
orbium celestium“ (über die Umwälzungen ber Himmelstörper) — auf
Zureden feiner Freunde endlich dod zum Drude hin. Die Veröffent-
lichung erlebte er indes nicht mehr; ald man ihm — am 24. Mai 1543
— das erfte Eremplar des joeben fertig gewordenen Werkes brachte, lag
er bereit3 im Sterben. Das Bud) war in Deutfchland, und zwar im
Nürnberg, gedrudt worden; doc hatte auch Preußen in feinen größeren
Städten bereits Buchdrudereien aufzuweifen. Auch einen eigenen Ge»
ſchichtsſchreiber erhielt e8 damals, der mit mehr Wifienfchaftlichkeit als
die bisherigen Chroniften zu Werke ging; es war Lufas David, Rat des
Herzogs Albredit.
Dennod) ſchien es, als würde das deutſche Wefen, jelbft im Herzog-
tum, in polniſche Zuftände geraten, zunächft die Monarchie einer Dligarchie-
erliegen. Es hatte ſich im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts aus den
Rittergutsbefigern ein Adel gebildet, der, begünftigt durch den Verfall
der Ordensmacht, feinen Beſitz und feine Rechte auf Koften der Heinen
Bauern vergrößerte und zuleßt dieſe zu feinen Unterthanen herabdrüdte,
Er gab nun auf den Landtagen den Ton an, und wie nad) unten, jo
dehnte er feine Macht auch nad) oben aus. Die Gelegenheit dazu gab
ein fonfeffioneller Streit. Der ofiandrifd) gefinnte Hofprediger Funk (aus
Nürnberg) erregte durch unvorfichtiges Eifern den Zorn der Anbers-
gläubigen. Der Herzog ſchützte ihn, da verffagten ihn die preußifchen
Stände beim König von Polen. Es kamen polnifche Gefandten und
unterfuchten; weinend gab der alte fünfundachtzigjährige Herzog nad),
Bürger, aber von Herkunft, wie es ſcheint, Pole. Cr ſoll als junger Mann nad; Thom
aus Krafau eingewanbert fein. Gewiß ift, dab er in der damals zwar unter polnifcher
Oberhoheit fteßenben, aber im übrigen deutjchen Gtabt Thorn nicht bloß Bargerrecht erhielt
und in eine angefehene Familie heiratete, fondern aud) (1465) zum Mitgliede des Schoppen-
geriäts ermwäßlt wurde; auf jeden Fall alfo muß er fich fruhgeitig in Gitte und Sprade
germanifirt Haben.
Johann Sigismund. 107
und Funk wurde enthauptet (im Jahre 1566). „Borussi novitatis avidi“
jagt ein zeitgenöſſiſcher Chronift, „die Preußen find neuerungsfüchtig“.
Nach diefem Siege traten die Stände noch felbftbewußter auf, und als
Herzog Albrecht 1568 ftarb, erflärten die Regimentsräte (ein abliger
Ständeausfchuß) defien jechzehnjährigen Sohn Albrecht Friedrich zwar
für mündig, bereiteten ihm aber, da er mit Kraft die Zügel ergriff und
ben Anmaßungen des Adels und ber ftreitfüchtigen lutheriſchen Geiſtlich⸗
keit entgegentrat, fo viele Kränfungen, daß er in eine Gemütskrankheit
verfiel, zu welcher der Kein freilich ſchon in ihm lag. Denn feine Mutter
(Anna Maria von Braunſchweig, zweite Frau Albrecht I.) war epilep-
tiſch, und deren Vater lange Beit geiftestrank geweſen. Gleichwohl ver-
heiratete man den jungen Herzog; e8 war die Prinzeffin Marie Eleonore
von Jülich, welche das wenig beneidenswerte Los traf (1573). Er zeugte
mit ihr zwei Kinder, Anna und Eleonore; aber von feinem Tiefſinn
genas er nicht, und nun hatte der herrichluftige Adel gemonnenes Spiel;
er leitete durdy jenen Ausſchuß den Staat; der Vormund des Herzogs
und Regent des Landes, feit 1578 Albrecht Friedrichs Vetter, Markgraf
Georg Friedrich von Ansbach), befaß wenig bemerfbare Macht.
Anders mußte e8 werben, werm ein jo großer NReichsfürft, wie ber
Kurfürft von Brandenburg, als Regent ins Land kam; darum fahen es
die Stände fehr ungern, als Joachim Friedrich mın 1605 wirklich Vor
mund und Statthalter wurde; fie hätten lieber felbft diefe Amter geführt.
Es bildeten ſich zwei Parteien im Lande, die „Duerulirenden”, welche
dem Brandenburger entgegen arbeiteten, und die „Proteftirenden”, bie
ihm ergeben waren. Die erfteren fuchten und fanden Rüchalt an den
Polen, welche am liebften aus Preußen eine polniſche Provinz gemacht
hätten und dem Kurhaufe allerlei Schwierigkeiten bereiteten. Aber die
HZollern ließen fi) nicht abhalten. Joachim Friedrichs ältefter Sohn
Johann Sigismund war eben auf der Reife nad) Preußen begriffen,
als ihn die Nachricht von dem Tode feines Vaters ereilte. Trotzdem
febte er feine Reife fort; die preußiſchen Verhältniffe mußten geordnet
werden. Wie viel Mühe koftete es ihm, fie nad) Wunſch zu ordnen!
Aber er erreichte feine Abficht; 1609 erhielt er vom Könige von Polen
die Vormundfchaft, 1611 die Belehrung, und als fein krauker Schwiegers
vater 1618 endlich ftarb, konnte Die Vereinigung: des Herzogtums mit
dem brandenburgiichen Staate von ftatten gehen.
Ichann Figismund.
Durch feine Gemahlin Anna fiel dem Kurfürften Johann Sigismund
nod) eine andere wichtige Erwerbung zu, ein Beſitz am entgegengeſetzten
Ende Deutſchlands, am Rhein. Annas Mutter, Marie Eleonore, war
108 Vorgeſchichte ber julich · kleve · bergichen Lande.
die älteſte Schweſter des Herzogs Johann Wilhelm’ von Jülich-Kleve—
Berg, welcher im Jahre 1609 Finderlos ftarb. Er hinterließ eine reiche
Erbſchaft, viele blühende Herrſchaften. Da war zuerit das Herzogtum
Kleve, ein fruchtbares Niederland zu beiden Seiten des Rheins von Duis—
* burg über Wefel big Emmerid), dazu in Weftfalen die gewerbfleißigen
Grafſchaften Mark (an der mittleren Ruhr) und Ravensberg (am Teuto—
burger- Walde zwijchen Ems und Wefer), dann die Herzogtümer Jülich
(an der Roer zwifchen Erft und Maas) und Berg (am rechten Rhein-
ufer zwifchen Ruhr und Sieg), endlich) die Herrſchaft Ravenftein an der
Maas.
Eine Ländermaffe, an Volkszahl und Ertrag wohl dem Preußenlande
vergleichbar; aber wie anders in Hiftorifch-politifcher Entwicelung! Dort
eine ftaatliche Einheit und eine große Vergangenheit; hier vielerlei Ter-
ritorien und Meine Geſchichten. Dort blickte man auf wenige Yahr-
Hunderte zurück, aber fie hatten einen bedeutenden Inhalt. Hier waren
die Erinnerungen, im einzelnen betrachtet, nicht fehr erheblich, aber groß-
artig durch die Länge der Zeiten, in die fie reichten.
Vorgeſchichte der jülich-kleve-bergſchen Lande.
Faſt alle diefe Gebiete waren Sitze einer uralten Kultur; mit Aus⸗
nahme von Mark und Ravensberg lagen fie ja fämtlid) an ober nahe
dem Rheinftrom. Hier hatten einft Jahrhunderte lang die Römer ges
herriht und gebaut; noch mandyer Ort führte auf fie feinen Namen
zurüd. In den Stürmen der Völkerwanderung war dann das welſche
Weſen auch auf dem linken Ufer dem Germanentum erlegen; aber ber
fiegreihe Franke zivilifirte fid) bald und wurde Träger einer neuen, der
chriſtlichgermaniſchen Bildung. Auch eine eigene Vollgart entftand hier,
wo oberdeutſche Stämme fid mit niederdeutſchen gemifcht hatten; doch
überwog in ber Gitte des Niederrheinländers das fränkiſche, in der
Sprache das ſächſiſche Element.
Frühzeitig ſchlug das Lehnsweien Wurzeln; ſchon unter den Karo—
lingern ftanden aud) hier an der Spitze der Gaue als richterliche Beamte
Grafen, welche ihr Amt zu Lehen trugen, erft vom Könige, dann, als
beim Berfall des Tarolingijchen Reichs die Sondergewalten, Die Herzog-
tümer, auflamen, vom Herzoge; e8 war hier am unteren Rhein ber
Herzog von Niederlothringen. So blieb es bis zur Hohenftaufenzeit, wo
das lothringiſche Herzogtum einging und die Grafſchaften reichsunmittelbar
wurden. Die Lehen waren inzwifchen auch erblich und das Amt eine
Herrſchaft geworden. Es gab mun eine Nenge kleiner Fürſten am
Niederrhein.
Vorgeſchichte der jülich-leve-bergichen Lande. 109
Zu ben älteften Dynaftengeſchlechtern gehörten hier die Grafen von
Kleve. Ihr Stammbaum hub mit dem achten Yahrhundert an, mit
Elias Grail, jenem Schwanenritter der Sage, der fid) im Jahre 711 mit
Beatrir, der Erbin von Teiſterband und Kleve, vermählte. ZTeifterband
an der Waal ging dem Haufe bald wieder verloren; aber über Kleve
haben noch fieben und zwanzig Grafen aus dem Stamme Grails ge
herrſcht. Es find darunter manche nicht unwert des Gedächtniſſes:
Dietrich V. (1219—1244), der Kallar (1230) und Weſel (1241) Stadt-
echt gab; Dietrich VI. (1244—1261), ein gewaltiger Krieggmann, wegen
feiner wilden &ehdeluft „der kleviſche Wolf" genannt; Dietrich VII.
(1275—1305), der vom Kaifer Rudolf das Münzredjt empfing und als
er deſſen Nichte heiratete, zum Brautſchatz ftatt einer Summe von 2000
Mark Silbers und einer Rente von 400 Mark die Städte Duisburg und
Kranenburg erhielt. Der lebte dieſes Geſchlechts war Johann II.; er
ftarb 1368; fein Land fiel an das ihm verfchwägerte Haus ber Grafen
von der Mark.
Diefe Familie hieß urfprünglih von Altena, nad) einem ſüdlich
von Zferlohn an der Lenne gelegenen Schloſſe und war eine Seitenlinie
der Grafen von Berg. Im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts erwarb
ein Graf von Altena die Burg Mark bei Hamm; fie gab dann dem
Gefchlecht den Namen. In vielen Fehden, befonders mit dem Erzbiſchof
von Köln, der als Herzog von Weftfalen ihrem Aufftreben entgegen ftand,
vergrößerten fi) die Grafen von der Mark. Vieles gewannen fie auch
durch Erbſchaft. Im Jahre 1225 war der Erzbifchof Engelbert von
Köln, ein geborner Graf von Berg, auf Veranlafjung feines Vetters, des
Grafen Friedrid) von Iſenberg, ermordet worden; dafür traf diefen die
Acht und ein qualvoller Tod, er wurde zu Köln gerädert. Den größten
Zeil feiner Güter aber, die zwifchen der Ruhr und Lippe lagen, nahm
Graf Adolf II. von der Mark als fein Verwandter in Beſitz; zu ihrem
Schutze gründete er die Stadt Hamm (1226). Zu der Seit, als das
Mevifche Grafengeſchlecht dem Erlöſchen zumeigte, ſchien das gleiche
Schickſal auch dem markiſchen zu drohen. Denn Engelbert, das Haupt
besfelben, war finderlos, und feine Brüder, Adolf und Dietrid), waren
geiftlih. Durch ihre Mutter Margarete, Nichte Johanns IE. von Kleve,
hatten fie auf deſſen Erbe Anſpruch; es wurde dem zweiten Bruder Adolf
beftimmt, der den Stamm fortfeßen follte. Gern legte er dafür feine
hohen geiftlichen Würden nieder, den erzbiihöflihen Stab von Köln
famt dem bijchöflichen von Münfter. Als nun fein Großoheim Johann
geftorben war, eilte er ſogleich nad) Kleve, um weldjes ſich aud) andere
Bewerber regten, beftätigte im voraus den Ständen dieſes Landes ihre
Privilegien, gewann fo ihre Gunft und empfing Die Huldigung als
Adolf I. Graf von Kleve (1368). Zwei Jahre darauf verheiratete er
110 Vorgeſchichte der jũlich · kleve · bergſchen Lande.
fich mit einer Gräfin Margarete von Berg; fie gebar ihm viele Kinder.
Er ftiftete daher eine Nebenlinie, indem er nad) dem Tode feines Bruders
Engelbert (1391) die Grafihaft Mark an feinen zweiten Sohn Dietric)
gab. Das Mevifche Gebiet vergrößerte er durch die Orte Schwelm ımd
Hagen, die er nad; einer fiegreichen Fehde vom Erzftift Köln erwarb
(1392). Er ftarb 1394. Glücklich in allen feinen Unternehmungen, war
er aud) ein jehr Iebensluftiger Mann, dem Scherz, der Liebe, den gefel-
ligen Freuden ungemein ergeben. Yrohfinn und Freundſchaft zu pflegen,
ftiftete er 3. B. im Jahre 1381 eine „Geckengeſellſchaft“, der außer ihm
noch 35 Ritter und Herren angehörten.
Ihm folgte als Graf von Kleve fein ältefter Sohn Adolf IL
(1394—1448). Unter diefem fam das kleviſche Haus zu noch größerer
Macht. Sein Dheim, Herzog Wilhelm von Berg, griff ihn wegen eines
Zwiſtes über den kaiſerswerther Zoll im Bunde mit Geldern, Jülich und
andern Nachbarn an, wurde aber in der Schlacht bei Kleverham unweit
Kleve von ihm befiegt und nebſt einigen feiner Verbündeten gefangen
genommen (1397). Freiheit und Frieden mußte er mın durch Abtretung
mehrerer Ortſchaften, namentlich) Remagen, Sinzig, Emmerid), erfaufen;
der gleichfalls gefangene Graf von Salm Töfte fi) aus, indem er die
Herrſchaft Ravenftein an Kleve überließ. Im folgenden Jahre 1398
befam Adolf nad) dem Tode feines Bruders Dietrich auch die Grafſchaft
Mark nebft Lippftadt; in der Reihe ihrer Beherricher zählt er als
Wolf VI. So groß war feitdem fein Anfehen, daß ihn der Kaifer
Sigismumd im Jahre 1417 auf dem Reichstag zu Koftnig zum Herzog
don Kleve erhob. Noch gegen Ende feines Lebens ſah er neuen Macht-
zuwachs. Im Jahre 1444 geriet die Stadt Soeft mit ihrem Landes-
herrn, dem Erzbifchof Dietrich) von Köln, in Streit; der Erzbiſchof wollte
der Stadt eine Steuer, den zehnten Pfennig, auflegen; die Bürger
weigerten ſich; man griff beiderfeits zu den Waffen. Soeft nahm nun
den Sohn des Herzogs von Kleve, den jungen Herzog Johann, zum
Herm an und verteidigte fi), von diefem kräftig unterftüßt, aufs tapferſte
gegen den Erzbifchof. Vergebens brachte der Kölner von Münfter, Hil—
desheim, Naffau und anderwärts Hilfstruppen ins Feld; auch ein großes
böhmifches Söldnerheer, das er angeworben, richtete nichts aus; bie
„ſoeſter Fehde“ verwüftete jahrelang Weftfalen, aber die Stadt blieb
unbezwungen. Der Erzbifchof mußte 1449 Frieden machen und Soeft
dem Herzog von Kleve laſſen. Johann I. (1448—1481) erwarb fpäter
auch noch Kanten von dem Erzftift (1464).
Sein Sohn Johann IT. (1481—1521) war in feinen Fehden nicht
jo glücklich. Ein Krieg gegen Geldern und Utrecht zerrüttete nutzlos feine
Finanzen, die überdies durch die Verforgung feiner zahlreichen Baftarde
litten; er war genötigt, fid) einen ſtändiſchen Rat — acht Notabeln aus
Vorgeſchichte der jülich-Fleve-bergfhen Lande. 111
dem Herzogtum Kleve, vier aus der Grafihaft Markt — zur Aufficht
über feine Geldangelegenheiten am die Seite zu ſetzen (1501). Defto
ausſichtsvoller war die Zukunft; fein ältefter Sohn, Prinz Johann, hei—
ratete 1510 zu Düffeldorf die Prinzeffin Marta, Erbtochter von Jülich,
Berg und Ravensberg.
Die Grafen von Jülich, zuerft im Begim des zehnten Jahr:
Hundert? erwähnt, fpielten lange Beit eine ziemlich untergeordnete Rolle;
Fehden, die fie, um ihr Herrichaftsgebiet zu erweitern, gegen ihre Nach—
barn, namentlich gegen das Erzftift Köln und die Reichsftabt Aachen,
unternahmen, liefen meift übel ab. Graf Wilhelm V., der Aachen durch
einen Handſtreich in feine Gewalt bringen wollte, büßte gar mit dem
Xeben; im Straßenkampfe flug ihn famt drei Söhnen ein handfefter
Schmied mit feinem Hammer tot (16. März 1278). Erft durd) kaiſerliche
Gunſt und glückliche Heiraten wurde die Familie bedeutend. Im Jahre
1336 erhob Kaifer Ludwig der Baier den Grafen Wilhelm VII von
Jülich zum Markgrafen; im Jahre 1857 machte Kaifer Karl IV. den-
felben zum Herzog. Wilhelm, als Herzog ber erfte feines Namens,
hatte zwei Söhne; der ältere, Gerhard, kam durch Heirat mit Margarete,
Erbtochter von Berg und Ravensberg, in den Befik diefer Länder, wo
er eine Geitenlinie des Haufes Jülich gründete; er fiel in einer Fehde
1361. Der jüngere Sohn Herzog Wilhelms, ebenfalls Wilhelm geheißen,
war mit Maria von Geldern vermählt. Diefer folgte feinem Water 1360
als Wilhelm II. von Jülich, und ihm hinwieder 1393 fein Sohn Wil-
heim II., der im Jahre 1377 Geldern geerbt Hatte. Die Bereinigung
der beiden Herzogtümer dauerte jedoch nicht lange. Denn mit Wil-
helms III. Bruder, Reinhold IV., ftarb diefer Bweig der Familie 1423
aus, und nun fiel Geldern an das Haus Egmont, Jülich an das Haus
Berg.
Schloß Berg ober Burg an ber Wipper, füdlid von Solingen,
war ber Stammfiß eines Grafengejchledhts, weldyes um 1170 ſich in zwei
Linien fpaltete, Altena und Berg. Die bergiiche erlofch im Mannes-
ſtamm ſchon 1218 mit dem Grafen Adolf IV., der auf einem Kreuzzuge
im Drient umkam. Gein Befig ging an den Gemahl feiner Tochter
Margarete, den Herzog Heinrich IV. von Limburg, über, der nun wieder
zwei Linien ftiftete. Des Herzogs älterer Sohn, Adolf, wählte für feinen
Teil die Grafihaft Berg; der jüngere, Walram, befam das Herzogtum
Limburg. Doc) behielt Graf Adolf V. das alte bergiiche Wappen —
eine Rofe — nicht bei; er meinte, es fei durch den Frevel und bie
Schande feines Verwandten Friedrid) von Iſenberg entehrt, und führte
daher für Berg das limburgiſche ein, den gefrönten Löwen im weißen
Felde. Auch der Tod Adolf war ritterlich; er fam 1255 auf einem Turnier
zu Neuß um. Sein Sohn und Nachfolger Adolf VI. hatte ein ſchlimmeres
112 Vorgeſchichte der jdlih/ klebe · bergchen Lande.
Ende. Es war zwiſchen ihm und dem Erzbiſchof Siegfried von Köln
ein Streit entſtanden; mit Adolf von Berg verbündeten fich Herzog Jo—
hann von Brabant, Graf Walram von Jülich, Graf Eberhard von der
Mark und die Stadt Köln; mit dem Erzbijchof die Grafen Reinhold von
Geldern, Adolf von Naffau, Walram von Falkenberg und Dietrid) von
Mörs. Die beiden Parteien rangen in einer blutigen Schlacht (bei
Borringen am 5. Juni 1288) mit einander; Adolf fiegte, nahm den
Erzbiſchof felbft gefangen. Faft ein Jahr lang mußte diefer in Haft
bleiben und erlangte nur gegen ſchweres Löfegeld (12000 Mark kölniſch)
feine Freiheit wieder. Dafür rächte er fi) ſchwer. Durch verräteriichen
Überfall brachte er Adolfs Perfon in feine Gewalt und verweigerte ihm
auf immer die Auslöfung: „Sankt Peter habe Güter genug; aber er
werde ihm zeigen, was es heiße, einen Erzbiſchof gefangen zu halten.”
Der Graf blieb bis an feinen Tod (1295) gefangen. Mit feinem Entel
Adolf VII. (1308—1348), dem Gründer der Städte Mühlheim (1322)
und Lennep (1325), erloſch der Mannsftamm diefer Dynaftie; es folgte
kraft weiblichen Erbrechts die ravensbergſche.
Die Grafen von Ravensberg, ſeit Beginn des zwölften Jahr—
hunderts nad) der Burg Ravensberg bei Bielefeld jo genannt, — ur=
ſprünglich hießen fie nad) einem Drt im Osnabrückſchen von Kalverlage
— waren unter den weſtfäliſchen Gefchledhtern eins der angefehenern.
Ihr Hauptort war Bielefeld, das ſchon im neunten Jahrhundert erwähnt
wird, doch erft um 1226 Stadtrecht erhielt. Durch Erbteilungen
ſchwächte fi das Haus; es gewann dann zwar im Anfang des vier-
zehnten Jahrhunderts durd) die Vermählung des Grafen Otto IV. (1308
bis 1328) mit Margarete, der Erbtochter Adolfs VII. von Berg, eine
große Anwartichaft; aber bevor fich noch dieſe verwirflichte, erlofch das
Geſchlecht in der männlichen Linie mit Ottos VII. Bruder Bernhard
(1346).
Es blieb eine Tochter Ottos IV. übrig, wie ihre Mutter Margarete
geheißen; fie war, wie ſchon oben erwähnt, mit dem Prinzen Gerhard
von Jülich vermählt, und diefer ward nun als Gerhard I. Graf von
Ravensberg und nad) dem Tode Adolfs VII. im Jahre 1348 auch Graf
bon Berg.
Sein Sohn und Nachfolger Wilhelm I. (1360 — 1408) wurde
1380 vom Kaifer Wenzel zum Herzog von Berg erhoben, und deſſen
Sohn, Herzog Adolf I. von Berg (1408—1437) war es, der im Jahre
1423 nad) dem Ableben feines Vetters Reinhold von Jülich auch dieſes
Herzogtum erbte. Ihm folgte in der Herrichaft der drei Länder —
Jülich, Berg und Ravensberg — fein Neffe Gerhard II., und diefem
defien Sohn Wilhelm II. (1475— 1511). Durch Ießteren kam bie
jülichſche Familie mit den brandenburgiſchen Zollern in nähere Ver—
Vorgeſchichte ber jütich-Aleverbergfhen Lande. 113
bindung; denn er vermählte fich mit Sibylle, einer Tochter des Kurfürften
Albrecht Achilles. Söhne entiproßten diefer Ehe nicht; daher erwirfte
Herzog Wilhelm im Jahre 1508 vom Kaifer Marimilian I. ein Privileg,
durch welches feine Tochter Maria zur Erbfolge in feinen Ländern be
rechtigt wurde. Sie brachte dieſes Recht dann ihrem Gemahl Johann
von Kleve zu, der denn auch nach Wilhelms II. Tode 1511 in ben
Beſitz kam. Zwar proteftirte dagegen das Haus Sachſen, indem es fid)
auf eine Anwartſchaft berief, die Kaifer Friedrich III. 1483 dem Herzog
Albrecht von Sachſen erteilt hatte; doc, hatte dies feinen Erfolg. Viel—⸗
mehr wurde Johann II. von Kleve nad) feines Vaters Tode 1521 von
dem Kaifer Karl V. mit allen ſechs Ländern — Kleve, Mark, Raven-
ftein, Jülich, Berg, Ravensberg — in befter Form belehnt.
Er war num einer der mächtigften deutſchen Fürſten und hätte, be—
ſonders in den kirchlichen Wirren, die jet eintraten, einen weithin be—
flimmenden Einfluß üben können. Es fehlte ihm auch nicht an einer
gewiſſen Thatkraft; gegen das Raubrittertum z. B. fchritt er fo energiſch
ein, wie fein Beitgenoß Joachim I. von Brandenburg; in Kleve ließ er
einmal — es war zu Pfingften 1531 — zwei Freiherren, von Falfen-
burg und von Zaffenftein, nebft elf andern Edelleuten, die der Wege-
lagerei überführt waren, aufs Rad flechten. Aber wie jener Joachim
vertannte er ben Geift und die Gewalt der firchlichen Bewegung; er
glaubte, fie zugleich belämpfen und leiten zu können, und befriedigte
fo feine Partei. Er geftattete, daß einer feiner Unterthanen, der Lehrer
Adolf Klarenbach aus Weſel 1529 in Köln wegen lutheriſcher Ketzerei
mit dem Feuertode beftraft wurde, und erließ doch andererſeits (1532)
eine Kirchenordnung, die den Geiſtlichen befahl, das Evangelium durch—
aus als einzige Duelle der Heilslehre zu betrachten. So nahm ſich denn
das Boll aus eigenem Antrieb der Kirchenverbefierung an. Es fiel in
feiner Mehrheit der neuen Lehre bei, nur daß beſonders am Rhein neben
den Iutherifchen auch zwinglifche Prediger Anhang fanden. Am ent
fchtedenften wandten ſich die weftfälifchen Gebiete der Reformation zu;
von den Städten Soeft und Lippſtadt verbreitete fi) das Luthertum
über die Graffchaft Mark, von der Stadt Herford über bie Grafſchaft
Ravensberg. Unter dem folgenden Herzog Wilhelm III. „dem Reichen“
(1539—1592), der fein lebelang unentjchieden zwifchen dem alten und
dem neuen Glauben ſchwankte, behielt dann troß mancher Bemühungen
der im Lande wie bei Hofe immerhin noch anfehnlichen katholiſchen Partei
das proteftantifche Bekenntnis im ganzen das Übergewicht. Wilhelm II.
hatte im Jahre 1546 durch Kaifer Karl V., deſſen Nichte, Maria von
Öfterreich, er geheiratet, für feine fämtlichen Lande das Recht der weib-
lichen Erbfolge, falls der Mannsſtamm ausgehe, feſtſetzen laſſen. Diejer
Tal trat bald ein, denn fein Sohn und Nachfolger Johann Wilhelm
Vierſon, preuß. Geſchichte. T. 8
114 Zohann Sigismund.
(1592—1609) war der legte feines Geſchlechts. Er war aud) der un⸗
glücklichſte. An einer unheilbaren Geiftesfranfheit leidend, lebte er
ftumpffinnig in feinem Schloffe zu Düffeldorf fi) und den Seinen zur
Laſt. Auch ſchwere Unthat verdunfelte das reiche Haus. Des blöd»
finmigen Herzogs Gemahlin, die ſchöne Jakobe von Baden, fiel dem Neide
ihrer Schwägerin Sibylle zum Opfer, die fie erft mit ſchmählichen An-
Hagen angriff, daun ermorden ließ (1597).
Kaum war Zohann Wilhelm (am 25. März 1609) geitorben, als
auch ſchon Bevollmächtigte des Kurfürften Johann Sigismund im Namen
ihres Herm in Düffeldorf, Kleve und anderwärts den brandenburgifchen
Adler und das Befikergreifungspatent anſchlugen. Aber raſch traten
noch andere Bewerber um das Erbe auf; vor allen ber Pfalzgraf Wolf
gang von Neuburg, als Sohn der zweiten Schweſter Johann Wilhelms;
aber auch die dritte und die vierte Schwefter erhoben Anſprüche; ebenfo
der Kurfürft von Sachſen. Da hielten die beiden Hauptprätendenten,
der Kurfürft und der Pfalzgraf, es für das befte, fidh in Güte zu ver-
einigen; fe verabredeten (tm DVertrage zu Dortmund am 10. Zuni 1609),
das Land bis auf weiteres gemeinfam zu verwalten. Eintracht that
ihnen um fo mehr not, da der Kaifer aus Eiferfucht auf Brandenburgs
wachſende Macht willens ſchien, die ftreitigen Länder an ſich zu nehmen.
Auch die Holländer und Spanier, damals mit einander im Kriege,
miſchten fid) ein, weil es ihnen nicht gleichgiltig fein Tonnte, in weſſen
Gewalt diefe wichtigen Grenzlande fielen. Es ſchien über die jülichſche
Erbfolge zu einem allgemeinen Kriege zu kommen; bereits ſchickte ſich der
König von Frankreich, Heinrid) IV., an, die Führung aller Feinde Habs-
burgs zunächſt an diefer Stelle zu übernehmen. Sein plößlicher Tod
(1610) vertagte den großen Kampf; aber zwifchen den jülichihen Erben
wurde die Gegnerſchaft bald durd ein anderes Motiv noch verichärft.
Es trat nämlich der Pfalzgraf, nachdem er fic im November 1613 mit
einer bairifchen Prinzeffin verheiratet hatte, zur latholiſchen Kirche über,
während ber Kurfürft — zu Weihnachten 1613 — zur teformirten Kirche
übertrat; beide erhielten num ftarfe neue Stüßen, der eine an ber ganzen
katholiſchen Partei, der andere an den kalviniſchen Holländern. Indeſſen
zogen bie Nebenbuhler es denn doch wor, fid) friedlich zu vergleichen;
im Vertrage zu Xanten 1614 teilten fie das Erbe zu gleichen Teilen,
und durch das Los fielen Jülich und Berg an Wolfgang, Kleve,
Mark, Ravensberg und Ravenftein an Johann Sigismund. Freilich
blieben auch jeßt nod) manche Streitpunfte zu erledigen, bejonders über
Johann Sigismund. 115
Navenftein, welches der Pfalzgraf ſich aneignete, und vollftändig ift
das Ganze erſt viel fpäter (im kleveſchen Erbvergleich 1666) geordnet
worden.
Es war fehr natürlich, daß man des Kurfürften Religionswechfel fo
auslegte, als ob er dadurch das Herz der zahlreichen Reformirten in
Zülich-Kleve-Berg und den Arm der falvinifchen Nachbarn habe für fi
gewinnen wollen. Bum Teil hat dieſes Motiv wohl aud) in der That
bei feinem Entſchluſſe mitgewirkt; aber er folgte hierbei zugleich feiner
religiöfen Überzeugung. Die reformirte Lehre fand damals bei dem
höheren Ständen des proteftantifchen Deutfchlands überhaupt viel Ein-
gang, teils weil ihre Anfiht vom Abendmahl mehr einleuchtete, teils
weil ihre Geiftlichfeit nicht ganz fo unduldfam geworben war, als bie
Yutherifche. Der Kurfürft ſelber erflärte öffentlich: „er maße fid) über die
Gewiſſen feine Herrichaft an; eine ſolche ftehe überhaupt feiner Obrigfeit
zu, aber ebenfowenig den Unterthanen über die Obrigkeit; er wende fich
feiner Überzeugung gemäß zur reformirten Kirche, werde aber die Unter-
thanen ungeftört bei ihrem Luthertum lafſen; nur das gegenfeitige Ver—
ketzern auf den Kanzeln verbiete er aufs ſtrengſte.“ ber dies Toleranz.
edit, das erfte in der Welt, welches ein chriftlicher Fürft gegeben, war
gar nicht im Geichmad der Zeit, die für wahrhafte Duldung fein Ver⸗
ftändniß hatte. Es befriebigte daher kaum die Reformirten, deren Kirche
1614. durch die Confessio Johannis Sigismundi in der Mark, 1617
durch deſſen Apologia in Preußen feften Grund befam. Dagegen bei
den Zutheranern, alſo bei der Mehrzahl feiner Unterthanen, erregte des
Kurfürſten Abfall die größte Unzufriedenheit. An manchen Orten reizte
die Geiftlichfeit durch ihre heftigen Klagen und Schmähungen das Volt
gar zu Aufläufen ımd Ruheſtörungen, befonders in Berlin, wo ber
Diakonus Stuler an der Petrificche einen Aufftand der Bürger gegen
die Neformirten veranlaßte (Dftern 1615). Diefe Unordnungen waren
freilich bald unterbrüdt; aber auch die Stände wurden ſchwierig, Die
brandenburgiichen konnten erft durch feierliche Verbriefung der kirchlichen
Landesrechte zu Geldbewilligungen bewogen werden; die preußtichen, ge⸗
ftügt auf den König von Polen, als Oberlehnsherrn, entzogen dem Kur-
fürften ſogar den größten Teil feiner Iandesherrlihen Befugniſſe in
Preußen: die Macht ging bier faft ganz in die Hände der „NRegiments-
räte“, d. h. bes Adels über. Im Kleveſchen gab es andere Widerjacher;
ba hielten die Spanier noch immer einen Teil bes Landes, namentlich
Weſel, befegt. Kurz, weder im Often noch im Weften wurde Johann
Sigismund des Befikes froh, um den er die Macht feines Haufes er-
weitert hatte; feine Saten waren für die Zukunft, erft lange nad) feinem
Hingange haben fie ihre reiche Frucht getragen. Aber das Verdienft
bleibt ihm immer, dem hohenzollerſchen Staat an der Memel und am
3.
116 Der dreibigjährige Krieg.
Rhein das Heimatsrecht gegeben zu haben. Che indes der Größere
tam, der das Recht zur Wahrheit machte, war der Dynaftie und dem
Kande noch eine ſchwere Zeit des Elends beſchieden. Zohann Sigismmd
erlebte fie zu feinem Glück nicht mehr; er verfiel im Spätherbft 1619
in eine tödliche Krankheit, und nachdem er am 2. Dezember 1619 die
Regierung feinem Sohne Georg Wilhelm übertragen, ftarb er bald
darauf, erft 47 Jahr alt, am 2. Januar 1620, noch ehe die Flammen
des eben ausgebrochenen Krieges, bes fürchterlichiten, den jemals die
Welt gefehen hat, nad) der Mark hinüberfchlugen.
Der drreifigjährige Arien.
Die Religion war dem Deutſchen von jeher eine hochwichtige
Herzensangelegenheit; aber fo lange die Weife des Mittelalters galt,
welche die Vertretung und Geftaltung jedes Bebürfnifies zum ausfchließ-
lichen Vorrecht eines beftimmten Standes machte, "war der Deutfche zu=
frieden, die kirchlichen Zeremonien umd guten Werke zu verrichten, welche
ihm die Geiftlichfeit als den Inbegriff der Religion darftellte. Durch
die Reformation kam eine andere, die Lehre vom allgemeinen Prieftertum
auf; ſelbſt follte fich nun jeder Chrift den Weg zu Gott und zur Selig-
keit ſuchen, und diefer Weg war allein der Glaube. Seht erft ergriff
die Religion fo recht den ganzen Menfchen; fie wurde zugleich Sache des
Verftandes und Herzens, läuterte zugleich die Erkenntnis und ftählte den
Willen. Es trat ein jeder für ein Bekenntnis ein, von defien Wahrheit
er fich jelbft überzeugt ober überredet hatte. Drängte das Bedürfnis.
nad) Verföhnung mit Gott früher zu äußeren Werken der Frömmigfeit,
zu Faften, Kafteiungen, Wallfahrten, Schenkungen, Gelöbniffen, fo trieb
das religiöfe Gefühl jet aucd) den Laien, und felbft den gemeinen Mann,
für die Reinhaltung feiner Glaubenslehrſätze in jedem Augerfblicde und an
jedem Orte fein Gut und Blut einzufeßen.- Es geſchah dies mit um fo
größerem Eifer, das Volk faßte die Religionsfache um fo leidenſchaftlicher
auf, je weniger Anteil es jet an den politif—hen Dingen hatte. Vor
dem Glaubenseifer trat nun die Liebe weit zurück, weil es Pflicht ſchien,
Andersgläubige, wenn fie auch nur wenig von der orthodoren Meimmg
abwichen, zu verketzern und zu verabſcheuen; galt doch derjenige Prediger
dem Volle für den beften, welcher am heftigften auf die anderen Be—
kenntniſſe fhalt. Priefter und Gemeinde feuerten ſich gegenfeitig immer
aufs neue zum Haß wider die übrigen Selten an. Die deutſche Sonder»
fucht durfte num aud) in den Kirchen ihre Triumphe feiern; die Span=
mung zwifchen den Religionsparteien in Deutſchland wuchs in einen
furchtbaren Grade. Überdies hatten fie mit einander noch wichtige Redjts-
Georg Wilhelm. 117
ftreitigfeiten zu erledigen: der augsburger Religionsfriede gab nur den
Zutheranern, nicht aud) den Reformirten im Reid) eine ſtaatliche An-
erfennung, und den geiftlichen Ländern verweigerte er die Reform geradezu.
Beide Ungerechtigfeiten wurden von den Katholifen mit Hartnädigkeit
verfochten. Dabei betradjtete die römifche Kirche jenen Frieden nur als
einen Waffenftillftand, war weit entfernt dem Proteftantismus, was er
errungen, laſſen zu wollen, fondern rüftete fid) zum entſcheidenden Kampfe.
Als gewandten Vorkämpfer ſchickte fie den Zefuitenorden ins Feld. Diefe
geiftliche Gejellfchaft, deren Gedanke, obgleich in einem fpanifchen Gehirn
ausgebrütet und von italienifcher Arglift großgezogen, doch auch der
deutſchen Einfalt zu imponiren vermochte, hatte ſich frühzeitig in Baiern
eingeniftet und begann gegen das Ende des fechzehnten Jahrhunderts von
hier aus über Deutfchland ihre unheilvolle Wirkſamkeit zu breiten, eine
Birkfamteit, die der katholiſchen Kirche eben fo große Erfolge, wie ſchwere
Schuld gebracht hat. Denn ihr Zweck, Roms Weltherrihaft durch offene
und heimliche Bekehrungen als Prediger und als Jugendlehrer wieber-
herzuftellen, heiligte den Jüngern Loyolas aud) das unfittlichite Mittel.
Überall in Süddeutſchland bearbeiteten fie die Maſſen, verführten und
verpefteten mit ihrer Moral die Mächtigen, fäeten Unfrieben, feheuten
kein Verbrechen. Sie waren e8, die das Teuer des Fanatismus, das in
ben Gemütern brannte, zur Glut des Wahnfinns ſchürten; ihre Schüler,
die Habsburger und die bairifchen Wittelsbacher waren es, die mın dag
ganze blühende Reich, in jammervollen Brand ſteckten.
Aber daß dieſe Dynaften es vermochten, daß fie dem deutſchen
Proteſtantismus und allen Intereſſen des deutſchen Waterlandes tiefe,
faft unheilbare Wunden ſchlagen konnten, war die Schuld der Evan-
geliſchen felber. Denn während die fatholifhe Partei feſt zufammenhielt
und in einem wohleingerichteten Qereine, der „Liga” unter der Mugen
Leitung des Zefuitenfreundes Herzog Mar von Baiern, eine ftarfe Militär-
macht bildete, blieben die Proteftanten uneinig und unthätig. Gerade ihre
mächtigften Fürften, die von Kurbrandenburg und Kurſachſen, fahen es
ruhig mit an, wie der Krieg, der 1618 in Böhmen anhob, raſch zum
Unheil für die gemeinſame Sache ausſchlug. War es doch gerade Die
Stimme Kurſachſens, die 1619 bei der Kaiferwahl die Entſcheidung gab
und dem Habsburger Ferdinand II., dem fanatifchen Papiften, die Krone
Deutſchlands und dadurch die Mittel zur Bezwingung der proteſtantiſchen
Böhmen verfchaffte. So erreichte der lutheriſche Kurfürft allerdings, daß
Böhmen nicht „dent Kalvinismus in den Rachen fuhr“; aber dafür fuhr
& nun dem Papfttum in den Rachen, und manch Iutherifches Land
mußte mitfahren.
War Hans Georg von Sachſen ein Verräter aus Dummheit und
Unduldfamteit, fo legte Georg Wilhelm von Brandenburg die Hände
118 Der breibigjährige Krieg.
aus bloßer Schlaffheit und Unentfchloffenheit in den Schoß. Diefer un-
würdige Sproß eines tüchtigen Stamntes hatte 1619 nad) feines Vaters _
Johann Sigismunds Tode den Kurhut erhalten, er trug ihn zu feinem
und feines Landes Unglück. Es half dem fehwachen Manne nichts, daß
er fi) ſtill gehalten, als fein Schwager Friedrich V. von der Pfalz das
Königreich Böhmen in der Schlacht am weißen Berge bei Prag (1620)
verlor; daß er ruhig geblieben, als der Kaifer dann in Böhmen und in
feinen übrigen Erbländern den Proteftantismus zu Boden ſchlug; daß er
ſtill gefeffen, als Ferdinand nunmehr den Krieg in dag Reid) trug und
durch Tillys Feldherrnkunft die Meinen Fürften, die fühn der gemeinfamen
Sache beijprangen, bezwang und Süd- und Mittel-Deutfchland unter
jochte; — es half ihm nicht einmal, daß er feine dynaſtiſchen Interefſen
verlegen laffen und ſich mit Worten begnügt hatte, als der Kaiſer (1622)
das Herzogtum Zägerndorf, weil deſſen Befiber, des Kurfürften Oheim
Johann Georg, dem Böhmenkönig treu gemwefen, einzog und einem
Fremden, dem Grafen von Lichtenftein gab; nichts half ihm Dies alles —
feine Varteilofigfeit z0g ihm nur Schläge von allen Geiten zu. Er mußte
fi) feinen andern Rat als davon zu gehen; er fiebelte nach Preußen
über, wo er fand, was er am meiften liebte, ungeftörte Muße, gute Leibes
Nahrung und Notdurft und veicjliches Jagdvergnügen. Dort gab e8 da»
mals einen wahrhaft urwalblichen Wildftand. Hatte doc des Kurfürfter
Vorgänger im Jahre 1612 bei einer großen Jagd im Amt Neuhaufer
8 Anerochjen, 45 Elenne, 10 Bären, 79 Wölfe, 11 Eher, 32 Bachen,
77 Friſchlinge, 76 Hirfche, darunter einen Sechsundzwanzigender, erlegt!
In dieſes Eldorado zog fid) alſo Georg Wilhelm zurücd und pflog ab-
wechſelnd der Ruhe beim vollen Becher und des edeln Waibwerks.
Unterbefien braufte (1626) der Kriegsfturm aud) über Nord-Deutſch-⸗
land Hin, und vor Tillys ligiſtiſchen, Wallenfteins kaiſerlichen Horben
brachen die legten Wehre der Proteftanten wie Halme. Die einzigen, die
noch den Mut zum Widerftande gehabt, die niederſächſiſchen Stände
jamt ihrem Führer, dem Dänenkönige, erlagen in der Schlacht bei Lutter
am Barenberge, und mın war Ferdinand IT. im beutfchen Reiche ber
Herr und Meifter. Wenn er wollte, jo konnte er jept feine kaiſerliche
Pflicht erfüllen und dem Vaterlande den Frieden geben; alle Helfer und
GSenofien des Böhmenkönigs Friedrich von der Pfalz, — Ernſt von
Mansfeld, Georg von Durlach, Chriftion von Braunſchweig, Chriftian
von Dänemark — waren ja wie jener felbft befiegt. Aber wenig küm⸗
merte es die Herren in Wien, daß im Reich die Kriegsfurie Voll und
Fürften zur Verzweiflung brachte, daß der eiferne Arm einer vertierten
Soldatesfa der Nation das lebte Mark auspreßte; konnte man doch
hoffen, durch jene Heuſchreckenſchwärme bewaffneter Blutjauger der katho—
liſchen Kirche umdb dem Haufe Habsburg zu unumfchränkter Herrichaft
Stralſund. 119
über ganz Deutſchland zu verhelfen. So fuhren denn die Wallenſteiner
fort, als die gefürchteten Luftigen Herren der Welt das Land zu ruiniren,
praßten und fehwelgten, raubten und mordeten, hauften wie Türken und
Zataren, in Feindes- und in Freundesland.
Auch in der Mark; fie büßte entjeglic für die Unfähigfeit ihres
Fürften; freilich zugleich für ihre eigene Sünde. Denn die Stände ge-
mährten dem Landesherrn nicht die Mittel ein hinreichendes Soldheer
zu unterhalten, und Georg Wilhelm legte zwar nad) dem Sprüchwort
„Not kennt fein Gebot” doch Steuern auf und warb Söldner, aber nicht
fo viel, um die Grenzen wirklich, wie er wünſchte, gegen jedermann
ſchützen zu können. Nachher famen dann die Dänen oder die Mans—
feldifhen oder die Kaiferlichen und erpreßten das hundertfache. Die
Mark berechnete ſchon 1630 den Schaden, den fie bloß an Abgaben und
Leiftungen für das fremde Kriegsvolk erlitten, auf 20 Millionen Thaler!
Es ging hier wie damals faft überall in Deutſchland. Obgleich) die alte
Volksbewaffnung in Verfall geraten und die Sitte aufgefommen war, die
Landesfehden durch Mietlinge ausfechten zu laffen, obgleich nicht mehr
das wehrhafte Volt — der Adel mit feinen Knechten, die Bürgerſchaft
mit ihren Geſellen — fampfesfroh und wohlgerüftet ins Feld zog, fondern
Landsknechte, die gerade fo lange treu biteben, als der Sold pünktlich
gezahlt wurde, und die immer den wehrlofen Unterthan ärger plagten als
den Feind, fo fehlte es doch den Ständen an dem rechten Gemeinſinn
und der opferfreudigen Thatkraft, um den letzten Grofchen zu einer ordent⸗
lichen Verteidigung des Landes herzugeben. Keine wahre Vertretung des
Volks, fondern nur der Benorrechteten, feilfchten fie mit dem Landesheren
und bewilligten in der Regel zu fpät oder zu wenig. Unfähige Fürften,
engherzige Stände und Bepölferungen, die fid) felbft zu verteidigen weder
Kraft noch Mut mehr hatten, das waren mit wenigen Ausnahmen bie
Gegner, die des Kaiſers Macht vor fich hatte.
Was deutiche Gemeinwefen, wenn in ihnen alle für einen und einer
für alle eintraten, jelbft in dieſer Unglücszeit noch vermodjten, davon
gab doch eben Straljund ein herrliches Beifpiel. Diefe einzelne Stadt
wagte, wovor fo viele Fürſten zurücbebten: fie bot dem Friedländer
Trotz. Meifter aller Dftfeefüften von ber Nordipige Jütlands bis zur
Weichſel und vom Kaifer zum „Admiral des oceanifch«baltifchen Meeres"
ernannt, damit er dem Haufe Habsburg auch nod die Herrfchaft zur
See erobere, erfah ſich Wallenftein die freie Reichs- und alte Hanfeftadt
Stralfund zum Stüßpunft für feine hochfliegenden Pläne; er gebot ihr,
fein Kriegsvolf aufzunehmen. Aber die Bürgermeifter und Worthalter
der Stadt — Steinwig, Goſen, Hafert, Koch hießen die Ehrenmänner —
entflammten ben Mut des Volkes, und fo fehworen Rat und Bürger
insgeſamt auf das Evangelium, treu bei ihrem Glauben zu bleiben und
120 Der dreißigjährige Krieg.
für Recht und Freiheit den legten Blutstropfen zu verfprigen, und als
nun (am 23. Mai 1628) die Wallenfteiner vor den Mauern erjchienen,
ſchlugen fie, verjtärft durd) 6000 ſchottiſche Söldner, welche die Könige
don Dänemark und von Schweden zu Hilfe gefchiekt, Wochen lang Sturm
auf Sturm ab. „Und wäre Stralfund mit Ketten an den Himmel ge-
bunden, fo müßte es herunter“, rief der Friebländer in wilden Zorn;
aber vergebens opferte er feine Rotten. Dagegen erſchien den Belagerten
zum Entſatz am 20. Zuli die dänische Flotte in den Gewäſſern von
Rügen, und auch von Schweden war neue Hilfe nahe. Der See nicht
mãchtig, entſchloß fi) Wallenftein die Belagerung aufzuheben*); am
2. Auguft zogen feine Scharen von Stralfund ab; zum erften Male war
fein Wille gefcheitert.
Indefien Stralfunds erfolgreicher Heldenmut war aud) der einzige
Lichtblick, der damals in den Abgrund von Unglüc fiel, welcher das
deutfche Volt auf ewig zu verfchlingen fchien. Überall anderwärts zer-
traten ihm die Tatferlichen Kriegsknechte Wohlftand und Freiheit, Recht
und Ehre, rotteten ihm die katholiſchen Priefter, die Jeſuiten voran,
wohin fie unter dem Schuß der Soldaten reichten, den evangelifchen
Gottesdienft aus, dem feine weit überwiegende Mehrzahl anhing. In den
habsburgifchen Erblanden geſchah das Katholifhmachen im großen; in
Schleſien z. B. erwarb ſich ein Graf Dohna mit feinem Regiment einen
berüchtigten Namen als „Seligmacher" ; er legte den Proteftanten Sol
daten ins Haus, die den Wirt und feine Familie jo lange mißhandelten,
bis die Unglücklichen ihrer Religion abfagten und katholiſch wurden.
Doc) ließen viele lieber Haus und Hof im Stich umd gingen für ihren
Slauben ins Elend. 15000 ‚Einwohner zählte die Stadt Lömwenberg,
als die Schreckenskunde kam, die Faiferlichen Soldaten und Mönche
rücten an; da wanderte die ganze Gemeinde aus; die Seligmadjer fanden.
nur nod) 24 Bürger vor. So ging es an vielen Orten.
Aber um dieſe Erfolge zu ſichern, die Herſtellung des tatholiſchen
Weſens auch im Reiche für alle Zeit zu befiegeln, erließ Ferdinand IL
ein Geſetz, welches mit einem Federzuge einen ſehr großen Teil des pro>
teftantifchen Mittel- und Nord-Deutjchland der katholiſchen Kirche zu
ſprach; fein „Reftitutiong-Edift“ (1629) befahl auf Grund des geiftlichen
Vorbehalts, daß die feit 1552 proteftantijch geworbenen Stifter, alſo
namentlich Magdeburg, Bremen, Minden, Halberftadt, Verben, Lübeck,
Brandenburg, Havelberg, Lebus, Kamin, Meißen, Merjeburg, Naumburg,
wieder Tatholifch würden; aud) jollten die katholiſchen Landesherren das
Recht haben, ihre andersgläubigen Unterthanen zur Annahme des Kathor
lizismus zu zwingen; endlich follten die Reformirten vom Religiongfrieden
98. 0. Hanke, Wallenftein S. 129.
Das Reſtitutions · Edilt. 121
ausgeſchloſſen bleiben. Mit der Vollſtreckung dieſes Machtgebots beauf⸗
tragte Ferdinand die 100000 Mamn, die ihm Wallenſtein auf Deutjch-
lands Koften hielt, und die Truppen, welche unter Tilly der Liga ge-
horchten. Da fanf in mandjer altehrwürdigen Stadt, die fo unglücklich
war, einjt unter einem Biſchof geftanden zu haben, der legte Reft ehe
maliger Größe; die Soldaten zerftörten ihren Wohlftand und ihre Freiheit,
die Pfaffen ihren Glauben. Wieder war's unter fo vielen nur eine, die
mutig fid) des Jochs erwehrte: Magdeburg hielt ein halbes Jahr lang
den Wallenfteinfchen ftand; im September 1629 mußte das kaiſerliche
Kriegsvolf von ihren Mauern unverrichteter Sadje wieder abziehen.
Aber die Proteftanten im ganzen und großen Tonnten fi) aud) jetzt
nicht zu einmütigem Widerftande aufraffen, wenn der Nation im fol-
genden Jahre wenigftens ein Teil ihrer Laſt, der Faiferliche Feldherr und
die größere Hälfte des Taiferlichen Heeres, abgenommen wurde, ſo geſchah
dies durch das Zufammenwirken fehr verſchiedener Kräfte: Papft und
Liga wie die Evangelifchen, das Ausland wie das beutfche Volt, alle
jahen das ungeheure Wachstum ber habsburgifchen Herrſchaft mit Ber
forgnis und forderten daher auf dem Kurfürftentage zu Regensburg 1630
die Abjegung des gewaltigen Mannes, defien Schultern die Faiferliche
Macht ftügten. Yerdinand II. hörte wenig auf die jammernden Klagen,
die Deutſchlands Elend malten und einen Stein hätten rühren mögen:
wie die Kriegsleute dem Volk durch Folterqualen im eigentlichen Sinne
des Worts den Ießten Heller abpreßten, wie fie fehwelgten, während
Bürger und Bauer verhungerten, wie fie alle erdenklichen Greuel bei Tag
und Nacht verübten, Städte und Dörfer verbrannten, die Männer aus
Übermut marterten, die Frauen notzüchtigten, Unzählige verftümmelten
und mordeten, wie bereit8 ganze Landſchaften veröbet und das Volk in
fo ſcheußliche Vertierung gejunten fei, daß an manchen Orten die Men-
ſchen vor Hunger einander wie Kannibalen aufgefrefien. Alles das war
an Ferdinand II. verloren, es geſchah ja „zur Ehre Gottes" und zum
Nutzen Habsburgs. Als aber aud) feine Beichtväter, die ganz richtig bei
Ballenftein felbftfüchtige Hintergebanfen politiſcher Art gewittert, auf die
Abfegung des Übermäcjtigen drangen, da gab der Kaiſer nach, entlief feinen
Feldherrn ımd verringerte fein Heer. Dennoch war für die Evangeliſchen
damit nur wenig gewonnen; denn Tilly, jetzt auch kaiſerlicher Generaliffi-
mus, vereinigte unter feinem Befehl doch noch 70.000 Faiferliche und
ligiſtiſche Soldaten, bei der fchlechten Verfafſung der proteftantifchen
Stände eine mehr als genügende Streitmacht, um den Willen der Katho—
liſchen auch ferner durchzufeßen.
Aber ſchon war der Netter auf deutſchem Boden erſchienen, der
Auge und fromme Held, der die evangeliſche Sache wieder aufrichten
ſollte. Am 6. Juli 1630 war der Schwebentönig Guſtav Adolf auf
122 Der breibigjährige Krieg.
der Inſel Ufedom in Pommern gelandet. Hier vertrieb er raſch bie
Kaiferlichen, fäuberte von ihnen auch die Nachbarinjel Wollin und bes
berrfchte nun die Odermündungen, bereit, feinen Befreiungszug in das
Reid) anzutreten. Er brachte nur ein Heines Heer mit, 15000 Mann,
teils Schweden, teils gemorbene Schotten und Deutfche; aber in ſich das,
was allein den deutſchen Proteftanten fehlte, einen tüchtigen Yührer.
Guſtav Adolf ftand damals in der Blüte feiner Kraft, er war 36 Jahre
alt, eine hohe Heldengeftalt, mit breiter Stirn, Adlernafe und rollenden
blauen Augen; ein Feldherr vol großartiger Entwürfe und kühner Thate
traft, bereits vielfach erprobt in fiegreichen Kämpfen mit Dänemark,
Polen und Rußland. Seinen unglüdlichen Glaubensbrüdern in Deutich-
land beizuftehen trieb ihn zunächſt freilich ein politifcher Beweggrund*):
er wollte die deutjchen DOftjeefüften dem Kaifer entreißen, um Schweden
in den Beſitz ber Herrfchaft über das baltifche Meer und deſſen Anlande
zu bringen. Aber mit diefem Ehrgeiz parte ſich ein reges Mitgefühl für
das Leid der unterdrücten Religionsverwandten. Der Vorteil Schwedens
ließ ihn das Schwert ziehen; er ſchwang. es deſto freudiger, weil er zu⸗
gleich) der Sadje des Evangeliums dienen konnte. Sie adelte feine Waffen.
Welch ein feltener Geift der Frömmigkeit und des Gottvertrauens erfüllte
ihn und fein Heer! So lange er lebte, waren feine Schweden ebenfo
rechtſchaffene wie tapfere Soldaten. Wie ehrenmwert zeichnete ſich fein
Kriegslager vor dem wüften, wilden Treiben der kaiſerlichen Mordbrenner-
banden aus, die er zu befämpfen Fam! Bürger und Bauern ftaunten,
da fie fahen, daß die Schwediſchen ehrlich bezahlten, was fie brauchten,
daß fie niemanden ſchunden und placten, daß jedes Regiment täglich
feine Morgen- und Abendandacht verrichtete, daß mit einem Wort unter
Guſtav Adolfs Bannern chriftliche Mannszucht herrſchte. Und er felbft,
wie leutfelig gegen ben Geringften, er, der furchtbare Krieger, wie mild
außer der Schladht! Mit ſtürmiſchem Jubel nahm ihn überall das
evangelifche Volk auf.
Nicht jo defien bebeutendfte Fürften; fie zitterten vor der Macht
des Kaifers, und in dem Helfer fürchteten fie den Herm. Die Kurfüriten
von Sachſen und Brandenburg hätten am liebften eine bemaffnete
Neutralität gehalten, zu ber fie doch bei weitem nicht die Mittel hatten,
am wenigften die geiftigen. Sie follten ſich entſcheiden: für den Kaiſer
oder für die Schweden? Aber dort wie hier fahen fie für ſich felbit
Gefahr und Nachteil voraus. Und Georg Wilhelm hatte noch einen
befonderen Grund, wenn er zögerte, den Schweden fein Land zu öffnen;
denn dieſe erhoben den Anfprud), Pommern, welches fie den Kaiferlichen
raſch abgenommen, dauernd zu behalten, verlegten aljo bereits Branden-
burgs Intereſſe.
*) Bal. G. Droyfen, Guftad Molf, Leipzig 1870.
Herftörung Magdeburgs. 123
Während fi) nun Guſtav Adolf damit aufhielt, den Kurfürften
Georg Wilhelm, der fein Schwager war, zu bereben, baß er ihm die
Feftung Spandau als Rüchalt einräume, dann, als dies endlich erreicht
war, durd) ähnliche Verhandlungen mit Sachſen die eit verlor, traf die
evangelif—hen Deutfchen ein Schlag, der die Notwendigkeit der fremden
Hilfe aud) ihren Fürften ins hellſte Licht ſetzte: Magdeburg, das treue,
ehrenreiche, das letzte Bollwerk der deutjchen Proteftanten fiel. Diefe
Stadt hatte im Vertrauen auf den Beiftand, den ihr der Schwedenkönig
verhieß, ſich ftandhaft dem Reſtitutions⸗Edikt widerſetzt, hatte ftatt des
tatholiſchen Erzherzogs Leopold den proteftantiichen Markgrafen Chriftian
Wilhelm (Oheim des Kurfürften von Brandenburg) als Stiftsverwalter
aufgenommen und wochenlang ſich mit einer Bejakung von 5000 Bürs
gern und 2300 Sölbnern, die der ſchwediſche Oberft v. Falkenberg be
fehligte, gegen ein Heer von 30000 Ligiften und Kaiſerlichen unter Tilly
und Pappenheim gehalten. Aber das Mikverhältnis der Kräfte war zu
groß, es begann auch am Pulver zu fehlen, und die Hilfe von Schweden⸗
tönig, auf die Falkenberg immerfort vertröftete, fam nicht. So blieb
nur Ergebung übrig oder Untergang. Ergebung an Tilly aber war
gleichbedeutend mit Verluſt beides, der politifchen und der Glaubens-
freiheit. Darım behielt in der Stadt die Partei, die es zum äußerſten
kommen lafſen wollte, die Oberhand, und Magdeburgs Geſchick erfüllte fich.*)
Es war am Dienstag den 20. Mai 1631 zwifchen 6 und 7 Uhr
Morgens, — Beſatzung und Bürgerjhaft der Stadt hatten fi, da die
Nacht und der Frühmorgen fill vergangen waren, für Diesmal Feines
Überfalls gewärtig, dem Schlafe oder forglojer Ruhe hingegeben. Diejen
Augenblid hatte Tilly berechnet. Unvermerkt ließ er durch Pappenheim
die Sturmleitern anlegen; raſch und kühn führte diefer den Handftreid)
aus. Faft ohne Gegenwehr wurden die ſchlaftrunkenen Wachen auf den
Mauern niedergemadht, während zugleich ein Haufe Kroaten durd) das
Fiſcherthor in die Stadt drang. Da erſcholl die Sturmglode. Es war
zu fpät. Oberft Falfenberg warf fi) mit denen, die er in der Eile ges
fammelt, tapfer dem Feinde entgegen; eine Stunde lang währte ber hef⸗
tigfte Straßenfampf; aber immer ftärfer wogten die Kaiferlichen durch
die eroberten Thore herein, Falkenberg fiel, ohne Einheit hie und ba
tämpfend erlagen bie Bürger der Übermadht. Um 9 Uhr gelte rings
der Kaiferlichen Freudengefchrei: „all gewonnen! all gewonnen!" Wie
werm ein ganzes Heer von Tigern Iosgelafien wäre, fo ftürzten biefe
30000 Barbaren — Kroaten, Ungarn, Italiener, Niederländer und
Deutſche — alle mit gleicher Gier, von Wein erhibt, fanatifchen Reli»
gionshaß ſchnaubend und durch den verzweifelten Wiberftand der Magdes
*) Bot. Wittich, Magdeburg, Guftav Abolf und Kill, Berlin 1874, I. 139 ff.
" 124 Der dreißigfährige Krieg.
burger zu wütender Rachſucht entflammt, über die unglücklichen Einwohner
ber, fchoffen und hieben, verftümmelten und prügelten; da ward weder
jung nod) alt, weder Kinder noch Weiber, weber der Schwangeren oder
Wöchnerinnen nod) der Säuglinge gefchont. Hatten fie nicht von ihren
Mönchen und Pfaffen gelernt, daß verfluchten Ketzern kein Erbarmen ge—
- bühre? Go fäbelten die Tillyſchen in der Katharinenfirche 53 Menſchen,
meift Frauen, die mit gefalteten Händen um ihr Leben baten, nieder,
zerftücten in der Johanniskirche Säuglinge, zerhieben die Mütter. Mit
der Mordfucht zugleich feierten die anderen Lüfte, viehijche Wolluft,
Raubſucht und Wöllerei, ihre hölliſchen Feſte. Jedes Haus ward ger
plündert, die Frauen und Mädchen geſchändet, dann ermordet oder zu
neuer Mißhandlung verfauft. Da ftürzten fid) viele, ihre Ehre zu retten,
in die Elbe oder überließen fich unter den Dächern dem Feuer, das, von
verzweifelten Bürgern angelegt, feit 11 Uhr Mittags raſch Straße auf
Straße ergriff. Es war barmberziger als die Soldatesfa, der Tilly dreis
tägige Plünderung verſprochen, und deren ſcheußlichem Wüten nun ver-
geben hie und da ein menſchlich gefinnter Offizier zu fteuern verfuchte.
Zwölf Stunden lang rafte um’ Mord und Schändung der Brand; dann
war's vollendet. Mit den Häufern ſank das Rathaus, ſanken ſechs
Pfarrkirchen, fanken die Thore, Türme und Brüden in Schutt und Aſche.
Da lag nun Magdeburg, nachdem es 700 Jahre geblüht, geftern
noch eine der fhönften, reichten Städte Deutſchlands, jetzt ein rauchender
Zrümmerhaufen. Von insgefamt 723*) Häufern blieben nur 139 Häufer
nebft dem Dom und dem Klofter Unferer-Lieben-Frauen vom Feuer ver-
ſchont. Die Menſchen aber, die dem Gemepel entgangen waren, mußten
um ſchweres Löfegeld ihr Leben erfaufen; doch erlitten aud) fie noch viel
Übles, befonders die Frauen und Mädchen, deren viele im Lager zu Tode
gemißhandelt wurden. Diejenigen Gefangenen, die fid) nicht auslöfen
Tonnten, wurden von den Soldaten niedergehauen oder verfauft; im
Halberftabt kamen ſechs Wagen voll Kleiner, elternlofer Kinder auf den
Markt; viele davon ſteckten die Kaiferlichen in Klöfter, um fie katholiſch
zu madhen. Noch drei Tage lang trieben die Soldaten. mit Aus-
ſchweifungen aller Art auf den Trümmern der Stadt ihr Weſen, feierten,
wie fie es fred) nannten, die „magdeburger Hochzeit". Am 24ften endlich
30g Tilly die Truppen heraus und begnadigte die noch etwa hie und
da verftecten Einwohner; e8 waren nicht mehr viele; von 36000 Men-
ſchen, Einheimifhen und Hereingeflüchteten, die Magdeburg beherbergt
hatte, waren 26000 umgefommen. Über 6000 Tote wurden von ben
Kaiferlichen in die Elbe geworfen, bis der Fluß fi) an dem Leichen:
damm ftaute. Sonntags aber den 25. Mai feierte Tilly auf dem Un-
*) ©. Geiälätsblätter für Stadt und Land Magdeburg XI (1876).
Der breißigjährige Krieg. 125
glüdsort, der einft Magdeburg war, ein großes Siegesfeft; ein Triumph»
feft zugleich der Tatholifchen Kirche, der zu Ehren Magdeburg in Marien-
burg umgetauft ward. Da jah man den alten, grimmen eldherrn, die
unheimliche Geftalt, Hein und mager, mit breiter, runzliger Stim unter
dem irren, grauen Har, mit finftern Augen, langer Nafe und Kinn,
ſpitzem Knebelbart, angethan mit einen grünen Atlaswams, auf dem
Haupt einen Meinen Hut mit langer, roter Feder, die Hände auf der
Bruft gefaltet, auf der er immer eine gemeihte Hoftie trug, fi) an dem
Pomp feiner Kirche erlaben, der er fo inbrünftig ergeben war. Da
fangen die Mönche und die bluttriefenden Henkersknechte des Habsburgers
ihr Tedeum, ſchwenkten die Priefter über den qualmenden Leichenhaufen
ihre Weihrauchfäffer. „Seit Jeruſalems und Trojas Berftörung fei feine
größere Viktoria erfahren und erhört worden“, meldete man frohlodend
nad Münden und Wien.
Aber es war nur ein Trümmerhaufen, was Tilly gewonnen, und
nod) ftärfer als das Entfegen war bei den Proteftanten die Erbitterung.
Neu aufflanmte jet der Aufftand wider die kaiſerliche Tyrannei. Zuerſt
in Heflen, wo ein herzhafter Fürft, Landgraf Wilhelm, die Fahne erhob;
dann in Weimar, in Mecklenburg. Kurſachſen ermannte ſich wenigfteng
zu haftigen Rüftungen.
Guſtav Adolf aber faßte jet den ſchwankenden Kurfürften von
Brandenburg, den fein öfterreichifch gefinnter Minifter Graf Adam vom
Schwarzenberg übel beraten, fefter an umd zwang ihn (21. Juni 1631)
zur Verteidigung der gemeinfamen Sache mit ihm ein Bündnis abzu-
ſchließen, kraft defien jener den Schweden Spandau und Küftrin öffnete
und monatlih 30000 Thaler Hilfsgelder zahlte, auch die wenigen
Truppen, die er beſaß, zu des Königs Heer ftoßen ließ. Darauf fäuberte
Guſtav Adolf die Altmark vom Feinde und rückte nad) Sachſen, deſſen
Kurfürft, von Tilly hart bebrängt, jetzt ſelbſt die Schweden um Hilfe
anflehte. Sie fam; bei Breitenfeld (nördlich von Leipzig) erbleichte der
Stern des Kaiſers; die Tapferkeit der Schweben und die Kriegskunſt
ihres Königs errangen über Tilly ımd Pappenheim den Sieg (am
17. September 1631). Vom Jubel des befreiten Volkes umjauchzt, zog
Guſtav Adolf triumphirend durch Thüringen und Franken dem Rheine
zu, während Herzog Bernhard von Weimar ihm die Faiferlihen Scharen
in Weftfalen verjagte und General Arnim mit ſächfiſchen und märkiſchen
Truppen in Böhmen einfiel, dann Schlefien befreite.
Aur einer Tonnte den Kaifer retten, Wallenftein, der ſchnöd' ent
laſſene; und unter Bedingungen, die ihn Ferdinand L. faft zum Mitkaiſer
machten, willigte er ein, dem Haufe Ofterreich zu helfen. Raſch hatte er
ein ſtarkes Heer zufammengeworben, und nachdem Tilly im Frühling 1632
beim fruchtlofen Bemühen Baiern zu verteidigen gefallen war, ſah auch
126 . Der dreißigiahrige Krieg.
die zerſprengte Liga in Wallenſtein ihren einzigen Hort. Er ließ ſeine
alten Widerſacher doch einige Zeit vergebens bitten; dann zog er den
Schwedenkönig durch geſchickte Stellungen und Märſche von Süddeutſch-
land ab nach Sachſen; hier (bei Lützen am 16. November 1632), maßen fi)
beide große Gegner im Entſcheidungskampfe. Wallenftein verlor das
Spiel, verlor auch feinen beften General, Bappenheim; aber den Schweden
koſtete der Sieg ihren König. Der Schade für die, evangelifhe Sache
war groß; das Bündnis, defien Haupt Guftan Adolf geweſen war, fiel
jest auseinander. Nur die Heineren proteftantifchen Reichsftände hielten
feſt an den Schweden, deren Kanzler Arel Orenftierna nun die gemein-
famen Angelegenheiten leitete. Dagegen die beiden Kurfürften fielen ab.
Der Kaiſer gab nad), daß das Reftitutionseditt — zunächſt auf 40 Jahre
— außer Wirffamfeit geſetzt wurde, trat an den Kurfürften von Sachſen
die Laufig ab und erteilte dem Kurfürften von Brandenburg das Ver-
fprechen, daß er in feinem Erbrecht auf Pommern geſchützt werben folle;
dafür verband fi) Sachſen mit ihm (im prager Trieben 1635) zur Ver-
treibung der Schweden, und auch Brandenburg ſchloß fi ihm dann an.
Deutichlands Elend ftieg nun auf eine grauenhafte Höhe. Denn das
Haus Habsburg, von der Gefahr, die ihm Wallenfteins übermäßige Macht
bereiten Tonnte, durch defien Ermordung (1634) befreit und nad) dem
Prager Frieden wieder ftark wie einft, ſchien jeßt feinem alten Nebenbuhler,
Frankreich, fo gefährlich, daß deſſen großer Minifter Richelieu ihm offen
den Krieg erflärte. Außer den ſchwediſchen, Taiferlichen, ſtändiſchen Werbe
trommeln wirbelten nun auch franzöftiche im Reiche, und die verwilderten
Deutichen, denen ſchon nichts mehr übrig blieb, als zum Nußen ber
Fremden und der Jeſuiten ihr eigenes Volt zu ſchinden ober ſelbſt ge-
ſchunden zu werben, ftellten ſich ſcharenweiſe zu jedweder Fahne; fie
mußten Bettler und Sklaven fein oder Henker und Folterknechte. Denn
es war längft fein rechtſchaffener Krieg mehr, fondern ein Wetteifer im
bewaffneten Freveln. Auch die Schweden thaten es feit Guſtav Adolfs
Tode den andern an viehijcher Roheit und barbariicher Graufamteit
gleich. Welche Greuel wurden verübt! Wie hauften Ferdinands Truppen
3. B. in Schlefien! Als fie 1633 dort wieder eindrangen, gab es feine
Dual, die fie den unglüdlichen Einwohnern nicht angethan hätten. Um
ihnen Geld abzuprefien, das bei den meiften gar nicht mehr vorhanden
war, ſchnitten fie lebendigen Menjchen Riemen aus der Haut, die Fuß-
fohlen auf, Naſen und Ohren ab, hingen fie bei den Füßen auf, machten
Feuer unter ihnen an, füllten ihnen Miſtjauche (den ſogenannten ſchwedi—
ſchen Trank) in den Hals, ftachen ihnen die Augen aus, ftedten bren-
nenden Kien und Schwefel unter die Nägel, fchnitten den rauen bie
Brüfte ab, zerſchmetterten Kinder an den Wänden, ſchändeten Frauen
and Zungfrauen, felbft auf Kirchhöfen und in Kirchen, zu Tode, — und
Der dreibigjährige Krieg. 127
fo thaten nicht bloß die kaiſerlichen Soldaten, ſondern aud) ihre Oberſten,
namentlich Piccolomini. Dazu erzeugte dag Kriegselend Hungersnot und
Peſt; die Leichen lagen zulegt haufenweife auf den Gaflen, die Stadt
Ohlau ftarb gar bis auf 20 Bürger aus, in Priebus blieben mur
7 Männer und 30 Witwen übrig. Der Hunger trieb an manchen
Drten fogar zur Menfchenfrefierei. In Schlefien gingen ganze Banden
von Bauern auf die Menſchenjagd; ein Führer derjelben, genannt Mel-
chior der Schüß, foll mit eigener Hand 500 Menjchen, meift Soldaten
erlegt und mit feinen Genoſſen verzehrt haben. Wie in Schlefien fo ging
«3 in den meiften deutjchen Landen zu. Denn mit gleicher Verheerung
bauften die Kaiferlichen in Pommern und den Marken, die Schweden in
Sachſen, die Franzofen und, als Bundesgenofien des Kaifers, die Spanier
im weftlihen Deutſchland. Es machte wenig Unterichied, ob das Kriegs-
vol in Freundes oder Feindes Land kam; die Behandlung der Ein-
wohner war überall ziemlich diefelbe. So wurde Deutihland, das vor-
dem fo mächtige, blühende, in ein Leichenfeld voll Trümmerhaufen und
Mörderhöhlen verwandelt. Durch diefen grauenvollen Krieg, den ber
Fanatismus und die Herrichfucht Yerdinands II. jo großgezogen, waren
bereit8 im Jahre 1637, als diefer Völferverderber ftarb, an zehn Mil-
lionen Menſchen umgelommen.
Und noch war das Ende nicht abzuſehen. In feinen letzten Lebens⸗
jahren hatte Ferdinand IL, der Not gehorchend, endlich den guten Willen
gezeigt, Deutichland den Frieden zu geben. Auch fein Nachfolger, Fer⸗
dinand III., hätte fi) gern mit den Ständen des Reichs geeinigt; aber
& war nun ſehr ſchwer, Die Fremden, die feit jo langer Zeit in Deutſch⸗
land die Herren fpielten, ohne zu große Opfer wieder 108 zu werden;
die Verhandlungen rückten nicht von der Stelle; noch Zahre lang dauerte
der unfelige Krieg.
Drittes Bud.
Eriedrich Wilyelm der große Anrfürf,
& war eine jammervolle Erbſchaft, die Georg Wilhelm hinterließ, als
ihn endlich (am 1. Dezember 1640 zu Königsberg) der Tod befeitigte.
„Freund und Feind" — fo Hagte der Stadtrat von Berlin — „hätten
das Land zur Wüfte gemacht; die es ſchützen follten, die Offiziere, ließen
fi ſchwere Summen zahlen, lebten Herrlich, ohne die Mannſchaft zu be-
zahlen, für welche fie den Gold zögen, während die @emeinen ver-
hungerten ober fortliefen. Vor den Furfürftlichen Reitern fei fein Stüd
Vieh, ja fein Menſch fiher, weshalb der Aderbau gar nicht mehr betrieben
werden könne. Alle Gefchäfte und Nahrung hörten auf. Städte und
Dörfer ftänden wüft: auf viele Meilen finde man weder Menfchen noch
Dieb, weder Hund noch Kae. Democh würden die Arisgefteuern mit
Gewalt beigetrieben. Den Bürgern habe man Käufer, Acer, Gärten,
Wieſen und Weinberge genommen und den Offizieren gegeben, die von
Steuern frei feien, wodurd) die übrigen Bürger überlaftet und genötigt
würden zu entlaufen. Seit drittehalb Jahren habe Berlin allein, ohne Köln,
für die urfürftlichen Völker ohne den Hofſtaat beinahe 70000 Thaler be=
zahlt, fei außerdem von den Schweben hart gedrüdt worden. Die Rats⸗
dörfer lägen in Aſche, Die Beamten, Geiftlihen und Schullehrer könnten
nicht befolbet werben. Viele hätten fich beeilt, durch Waſſer, Strang
und Meſſer ihrem elenden Leben ein Ende zu machen, und die Übrigen
feien im Begriff mit Weib und Kind ihre Wohnungen zu verlaffen und
in das bitterfte Elend zu gehen." Andermärts in der Mark ſah e8 noch
viel ſchlimmer aus. Die Bauern zumal, die doch den Grund des Staates
bildeten, waren überall Bettler, und in der Uckermark fielen Die ver-
hungernden einander jelbft an, kochten, brieten und fraßen Menſchenfleiſch.
Buſtand bes Sandes 1. 3. 1640. 129
Wo es noch Kapitalien gab, da fehlten wieber die Arbeitskräfte; denn
Krieg und Peft hatten im Wolfe furchtbar aufgeräumt. Ganze Land»
ſtriche waren zur Einöde geworben, das Wild fo zahlreich, daß es die
Bauern faft auffraß. Da man kaum das nadte Leben friftete, fo war
an geiftige Intereſſen nicht zu denken, faft alle Schulen und Gymnafien
in der Mark lagen wüft und hörten feit Jahren weder eines Lehrers
noch eines Schülers Stimme. Ähnliche Leiden drückten in ben weftlichen
Landſchaften. Sie alle fehrieen um Hilfe zu dem Fürften, der jet feines
Vaters Thron beftieg. Und doch hatte keine Provinz Luft, für die andere
das geringfte zu leiften, fie fühlten ſich nicht als ein Staat; ohnmächtig
in ihrer Zerfplitterung, wollten fie gleichwohl nicht eins fein im Handeln
wie im Leiden. Und die Furfürftliche Macht, von der man alles ers
wartete, war bod) fo gering. Der Minifter Graf Schwarzenberg füchte
den Einfluß, den er unter Georg Wilhelm zum Schaden des Staats be
fefien hatte, feftzuhalten. Die Truppen, jo unbedeutend an Zahl fie waren
(6000 Mann), gehörten nicht einmal ganz dem Landesherrn; fie hatten
auch dem Kaifer, als dem Verbündeten des Kurfürften (feit 1637), ſchwören
müflen. Bon außen drohten die Schweden, bie ganz Pommern ımd
mehrere märfijche Feftungen befaßen, jeden Augenblic ins Land zu fallen;
der Kaifer andererfeits forderte die Fortfegung des Bundes, obwohl die
Taiferlichen Truppen immer wieber als Feinde verfuhren. Viele Land-
ftride waren völlig in den Händen der Kriegführenden, alle ein Spiel—
ball derfelben.
So war es eine Herkulesarbeit, die dem neuen SKurfürften zuflel;
ex follte fich zum Herm in feinem Reiche machen, follte es nad) allen
Seiten fügen und der unermeßlichen Not des Volkes abhelfen.
Er war doc) noch ein fo junger Mann, 20 Zahre alt (geboren am
16. Februar 1620 zu Köln an der Spree), aber jene eiferne Zeit, bie ihn
gebar, brach oder ftählte raſch die Charaktere; ihn hatte fie früh gereift,
denn ihre Schreden traten dem Knaben nie nahe genug, um ihn zu
überwältigen, und ragten doch fo weit in fein Leben, um es ernſt zu
flimmen. Bon Frauen, dann von den Hofmeiftern Johann von der
Bord) und Romiltan Kalkuhn, genannt Leuchtmar, fi erzogen, ward Prinz
Sriedricd Wilhelm 1634 nad) Holland, damals einem Aſyl des Friedens,
auf die hohe Schule geſchickt. Dort fah er mit eigenen Augen, wie weit es
felbft ein Feines Volt in Macht und Wohlftand bringen fan, wenn e8 unter
der Leitung geſchickter, erleuchteter Staatsmänner mit Fleiß und Ausdauer
alle Vorteile feiner Lage auszubeuten verfteht. Leiftete nicht Holland,
dieſer Heine Küftenftrich, bereits feit fiebzig Jahren der ganzen ſpaniſchen
Macht den erfolgreichften Widerftand, und wurben nicht die Holländer,
tapfer im Kriege, raftlos betriebfam im Frieden, alljährlid; reicher
und reicher durch) blühenden Handel, ſchwungvolle ii Bie
Bierfon, preub. Geſchichte. L
130 Friedrich Wilhelm der große Kurfürft.
war da jedes Fledchen Erde nutzbar gemacht; Gärten und Aderftüde,
Fabriken und Warenläden, Schiffe und Frachtwagen, Schulen und Kunft-
werfftätten überall dicht neben einander, und eines förderte das andere.
Dort lernte er auch Menſchenwürde und edle Duldung ſchätzen, denn die
Holländer waren ein freies Voll umd verfolgten Andersgläubige nicht.
Diefe Bilder ſchöner Kultur Hatten in feiner jungen Seele gehaftet und
follten ihm zu feinem eigenen Wirken die Mufter geben. Aber dort war
aud fein fittliches Wefen feft und ſtark geworden; der Sieg, den jein
Ehrgefühl über die Verführungen des üppigen haager Lebens errungen,
verbürgte dem Züngling eine würdige Zukunft; denn, wie damals der
Erbſtatthalter von Holland, Prinz Friedrich Heinrich von Dranien, be
wundernd prophezeite: „wer fich felbft befiegt, der ift zu Großem fähig."
So hatte Friedrich) Wilhelm ſchon früh jene umbebingte Herrichaft der
Vernunft über feine Leidenſchaften erlangt, in der er nachmals das Recht
fand, aud) feinem Volke feinen Willen aufzunötigen.
. Der Kraft fi) bewußt, das Schwere, was ihm oblag, und nod) weit
mehr zu leiften, in der That an zäher Ausdauer, entſchloſſener Energie,
wie an innerer Zucht allen überlegen, mit einem Scharfblick ausgerüftet,
der durch bie Verfommenheit des Staates hindurch noch zu tüchtigen
Machtmitteln drang und fie für neue, großartige Ziele fi erſah, —
jo griff nun der junge Kurfürft rüftig und mit feftem Gottvertrauen fein
Bert an.
Zunãchſt verficherte er fi) der Truppen. Die Oberften, die ihm
nicht Treue ſchwören wollten, wurden famt ihren Regimentern entlaffen;
aus den übrigen bildete er 1641 ftatt der bisher auf Zeit angenommenen
Soldſcharen ein eines ftehendes Heer, e3 waren 3000 Mann, — der
erfte Keim der heutigen preußifchen Armee. Dann ſchloß er, durch
Schwarzenbergs Ableben (1641) von einem Hinderlichen und den Staat
Ihädigenden, wenn auch nicht geradezu verräteriichen Minifter befreit,
einen Waffenftilfftand mit den Schweden und beſchwichtigte den Katfer
durch den Beweis der Notwendigkeit dieſes Schrittes. Noch nicht ſtark
genug, fein Recht mit dem Schwerte zu verteidigen, benußte er den Um⸗
ftand, daß feiner ber Triegführenden Teile den anbern ganz befiegen
konnte; denn beide wurden nad) jedem großen Erfolge wieber durch die
Eiferfucht ihrer Verbündeten, dort der Franzoſen, bier ber Ligiften, ge
hemmt. Dies erleihterte dem Kurfürften die einzige Kampfart, die ihm
vor der Hand blieb, — die Verftellung; und er war darin Melfter; mit
großer Schlauheit und Gewandtheit wußte er beide hinzuhalten, ſich
zwiſchen ihnen parteilog zu bewegen, bis er fein Heer allmählich auf
8000 Mann gebracht hatte und mun in der Lage war felbftändiger auf
äutreten — jehr zum Verdruß aller Mächte. ringsum, die immer barin
einig gewefen, man müfje den Kurfürften von Brandenburg „nicht auf⸗
Friedrich Wilhelm der grobe Kurfürft. 131
tommen lafſen“. Es gelang ihm ſchon bei den Sriedensunterhandfungen,
die Kaifer und Reich im März 1644 zu Münfter mit Frankreich, zu
Dsnabrüd mit Schweben eröffnet hatten, eine nicht ungemwichtige Stimme
zu führen. Sie wäre ohne Bweifel weit einflußreicher geweſen, hätte
den Abfchluß des von Millionen erfehnten Friedens rafcher herbeigeführt,
wenn feine Bewerbung um die Hand feiner Bafe, der jungen Königin
Ehriftine von Schweden, die ihm ſchon Guſtav Adolf zugedacht hatte,
don Erfolg geweſen wäre; aber die Schweden fürdteten feinen herrifchen
Charakter, und Chriftine ſcheute ſich überhaupt zu Heiraten; fo zerſchlug
ſich der Plan. Friedrich Wilhelm vermählte fi) dann (1646) mit Luife
Henriette von Dranien*), ber ſchönen und frommen Tochter des Erb-
ftatthalter8 der Niederlande, Prinzen Friedrich Heinrich, die ihn glüd-
licher machte, als er e8 mit ber eigenwilligen, launiſchen Chriftine je
hätte werben fönnen. Seitdem trat ber Zwieſpalt der ſchwediſchen und
brandenburgifchen Interefien ganz unverhüllt hervor und erfchwerte das
Friedenswerk fehr.
Den Zankapfel bildete Pommern. Dem Rechte nach gehörte diefes
Land, da fein Herriherhaus im Mat 1637 mit Bogislaw KIV. aus-
geftorben war, zu Brandenburg; aber die Schweden weigerten fich es
herauszugeben und verlangten, daß der Kurfürft dafür anderwärts in
Deutſchland entſchädigt werde. Friedrich Wilhelm fträubte ſich lange.
Wie viel Geld und Blut hatten nicht feine Vorgänger geopfert, um einen
Anſpruch auf jene wohlgelegenen Küften mit ihren wichtigen Häfen und
tapferen Bewohnern zu erwerben, und nun, ba bie Hoffmingen von Jahr⸗
hunderten ſich endlich erfüllen konnten, follte er fein gutes Recht wieder
verlieren! Aber mit derfelben Hartnaͤckigkeit, wie er für fein Recht,
ftritten die Schweden für ihren Anſpruch. Auch die Franzoſen machten
die übertriebenften Forderungen; ımd die deutſchen Yürften wollten eben.
falls Anteil an der Beute des alten Reichs haben. Dazu kamen die
religiöfen Angelegenheiten, bie jetzt freilich hinter den politifchen weit
zurückſtanden; denn Das lange Kriegselend hatte die Glaubenswut doch
merklich abgekühlt. Drei Sahre lang feilfchte man auf ben Yriebens-
Kongrefien, haderte, ſchwankte hin ımb ber; Die allgemeine Erſchöpfung
zwang endlich am 24. Ditober 1648 zum Abſchluß. Der Schwächere
mußte hierbei manche Opfer bringen, doch auch die großen Mächte hatten
fich überzeugt, daß fie nicht in allen Punkten ihre Wünfche könnten zur
Geltung bringen, und fo gab faft ein jeber der Hauptbeteiligten tn biefem
ober jenem Stüde etwas nad. Brandenburgs und Schwedens wiber-
frreitende Intereſſen waren dahin ausgeglichen worden, daß zwiſchen
beiden eine Teilmg Pommerns ftattfinden folle.
” %) Geboren am 27. November 1627, geftorben am 18. Juni 1667; Im Andenken ger
oͤlleben auch durch die Stiftung des Waifenhaufes zu Oranienburg bei Berlin (1665).
9°
132
Rückblick auf die ältere Geſchichte des Landes Vommeru.
Das flawifche Volk, welches fid) im fechften und fiebenten Jahrhundert
nad) Ehrifti Geburt das baltifhe Küftenland von der unteren Weichjel
bis über die Obermündungen aneignete und von feinem Wohnfig am
Meere (pomorzi) bei feinen binnenländifchen Stammesgenofien den Namen
Bommern erhielt, war von feinen nächſten Verwandten, den Polen, in
Sprache und Sitte nur wenig, aber im Charakter fehr erheblich ver-
ſchieden. Denn den Pommer zeichnete in ungewöhnlicdem Grade bie
Tugend der Standhaftigfeit aus; feine Tapferkeit war von der zäheften
Ausdauer, feine Treue und Anhänglichkeit unerſchütterlich. Zahrhunderte
lang rangen die Polen und die Dänen, dann die Brandenburger nad)
dem Befig diefes Oſtſeelandes; aber mit feinem ober geringem Grfolg;
Bommern behauptete fi im wefentlichen unabhängig, und wenn es im
Dften an Gebiet verlor, fo gewann es dagegen im Weiten.
Die Sübgrenze bildete lange Zeit der Nebefluß und war durch eine
Anzahl von Burgen befeftigt, um deren Beſitz zwiſchen Pommern und
Polen mancher blutige Kampf tobte. Beſonders heftig wurde der Streit,
als die Polen ſich dem Chriftentum zuwandten und mit der Macht ihres
Reiches zugleich den neuen Glauben ausbreiten wollten. Die polniihen
Chroniken verzeichnen aus dieſer Zeit viele Siege, unter denen der größte
am Laurentiustage (10. Auguft) 1113 bei der Burg Natel über die
Pommern erfochten wurde. Allein auf Die Dauer gelang ben Polen die
Unterwerfung biefer Nachbarn nicht; die pommerſchen Häuptlinge ſchüt—
telten das fremde Joch immer wieber ab. Ebenſo wenig vermodjten die
Dänen, die oft mit Polen im Bunde angriffen, bier Fuß zu faflen; das
Pommernvolf ließ ſich durch feine Niederlage entmutigen und beharrte
auf feinem Boden und bei feiner einheimifchen Herrichaft.
As erfter Erbfürſt in Pommern wird uns Swantibor I. (um 1100)
genannt; ihm gehordjte das ganze Volk von der Oder bis zum Weichſel.
Nach feinem Tode 1107 teilten feine Söhne. Die beiden älteren nahmen
für ſich das Land zwiſchen Peene und Berfante mit ber Hauptftabt
Stettin; die beiden jüngeren erhielten den Strid) von ber Berfante bis
zur Weichſel mit der Hauptſtadt Danzig; ber erfte Teil hieß nun Vor⸗
pommern oder Slawien, der zweite Teil — das Land der Kafchuben,
wie die Oftpommern wegen ihrer Pelzröcke (polniſch Kazha) auch wohl
genannt wurden — hieß mun Hinterpommern oder Pomerellen. Rah
dem Erlöfchen der Hinterpommerfchen Linie (1295) kam zu Anfang des
vierzehnten Jahrhunderts das öftliche Pomerellen mit ber Stadt Danzig
an den deutſchen Orden und teilte dann die Geſchicke Weftpreußens; dag
Rücdblid auf die ältere Geſchichte des Landes Pommern. 138
weftliche Pomerellen dagegen gelangte in ben Befik der vorpommerſchen
Dynaftie, die nun im Often bis zur Stolpe gebot.
Der Stifter diefer älteren Linie, Wartislaw I., hat fid) durch bie
Bereitwilligfeit, mit welcher er den Biſchof Otto von Bamberg (1124)
das Ehriftentum in Pommern predigen ließ, ein großes Verdienſt er-
worben; feine Nachfolger nahmen mit dem Glauben auch Sitte und
Sprache der Deutſchen auf. Im Jahre 1181 verbanden fie aus freien
Stüden ihr Land mit dem beutfchen Reich und ließen fi vom Kaifer
‚mit Pommern als einem Herzogtum belehnen. Reichsunmittelbar follte
indes nach Friedrich Rotbarts Meinung diefes wendiſche Land nicht
werden; vielmehr erteilte er um biefelbe Zeit Die Lehnshoheit über Pom⸗
mern wie über Mecklenburg dem Markgrafen von Brandenburg, der ja
in dieſen ®egenden an Kaifers ftatt walten follte. Biel Blut ift im
Laufe der Zeiten um diefen Anfpruch geflofien, ohne daf die Märker ihn
durchſetzen konnten.
In den langen Kriegen während der Heidenzeit war Pommern ſehr
entvöllert worden; deshalb konnte die deutſche Einwanderung hierher in
breiten, vollen Strömen gerichtet werden. Die Anzöglinge kamen größten-
teils aus Niederjachfen; fie brachten die plattdeutſche Sprache und Art
mit, die fi, obwohl auf friedlichen Wegen, raſch über Bommern ver
breitete. &o wurde hier auf den zäheften ber ſlawiſchen Volksſtaͤmme
der fernigfte Bweig vom deutichen Baume gepflanzt; die Geſchichte hat
gezeigt, wie glücklich diefe Miſchung war.
Auch die Lutizen zwiſchen der Peene und Reckenitz, hier Eircipanen
genannt, waren im zwölften Jahrhundert zum Chriftentum befehrt worben;
doch nicht aus eigener Bewegung, fondern durd die Waffen Heinrichs
des Löwen. Nach dem Sturze diefes Yürften fuchten hier die Herzöge
von Pommern die Herrichaft an fid) zu nehmen. Aber auch die Fürften
von Rügen, feit 1168 Chriften und däntfche Bafallen, ftrebten nad} diefem
Beſitz, und um fid) das nahe Feſtland zu fihern legte Fürſt Jaromar
von Rügen dort 1209 eine deutjche Handelsftadt, Stralfund, an. Zus
letzt wurde geteilt; der Rykfluß beftimmte zwifchen dem pommerfchen und
dem rügifchen Gebiet die Grenze (1237). Auch die Herzöge von Pom-
mern hielten es für nüßlic), Das neuerworbene Land mit einer deutſchen
Kolonie zu belegen; fie gründeten im Berein mit dem Abt bes reichen
Kiofters Eldena 1238 am Ryk die Stabt Greifswald, welche für ihre
ältefte Refidenz im Weften, für bie wendiſche Stadt Wolgaft, gleichjam
die Vormauer bilden follte,
Im demfelben Jahre fpaltete fi) die vorpommerſche Dymaftie in
zwei Linien, von Stettin und von Demmin; doch ftarb die Iehtere ſchon
1263 wieder aus, ımd nun vereinigte Herzog Barnim I. von Gtettin
ganz Vorpommern unter feiner Herrſchaft. Won längerer Dauer war
134 R Bogislaw X.
die nächfte Erbteilung, welde von Barnims Söhnen 1295 vorgenommen
wurbe. Der ältere, Bogislam IV., erhielt dabei das Land im Norden
der Flüffe Peene und Ihna — das Herzogtum Pommern-Wolgaft;
der jüngere, Dito I., das Land füblich jener Grenze — das Herzogtum
Bommern- Stettin. Dem Sohne Bogislaw IV., Herzog Wartiglaw IV.
von Wolgaft, verdantte die Dynaftie dann eine wichtige neue Erwerbung;
er ſchloß 1321 mit Witzlaw IV. von Rügen eine Erbverbrüberung; und
als derfelbe vier Jahre darauf kinderlos ftarb, vereinigte er die Infel,
fowie das rügifche Feftland — Herzogtum Bart — mit feinem Staate.
Auch das Herzogtum. Bommern- Stettin ift nach dem Erlöſchen der hier
regierenden Familie, 1464, an das Haus Wolgaft gekommen, und als
auch eine Nebenlinie desfelben, von Bart, 1478 ausgeftorben war, fand
Äh ganz Pommern von ber Redenig bis zur Stolpe unter einem Herrn
beifammen.
Diefer erfte Alleinherrfcher des Gefamtlandes war Bogislam X.
(1478—1523), einer der vortrefflichiten Regenten, die Pommern gehabt
bat. Wie fo viele tüchtige Männer, ift er aus der Schule einer durch
Rot und Druck harten Zugend hervorgegangen. Seine Mutter Sophie
hatte fich mit ihrem Gemahl, dem Herzog Erich U., überworfen und
lebte von ihm getrennt zu Nügenwalde. Um bie Erziehung ber Kinder,
„bie der Herzog ihr gelafien, befümmerte fie ſich nicht; man ſah ben
Prinzen Bogislaw in zerriflenen Kleidern und Schuhen auf ben Straßen
berumlaufen, ſich mit den Gafienbuben prügeln und, wenn ihn hungerte,
bei irgend einem mildgefinnten Bürgersmann zu Gafte gehn. Der ein-
zige Unterricht, den er genoß, war der in ber rügenwalder Knabenſchule
erteilte. Da erbarmte fi) ein Bauer aus der Umgegend, Hans Lange
vom Dorf Lanske, des vernachläffigten Fürftenfohnes. Er bewirkte, daß
die Herzogin ihn zum Eigenbauer des jungen Prinzen machte, fo daß er
nun an diefen feinen Pachtzins geben durfte. Dann ging er mit dem
Knaben zum Schneider und Schuhmacher und Hleidete ihn vom Kopf bis
zu den Füßen neu und ftandesgemäß. Dieje Veränderung übte auf
Gemüt und Geift des Prinzen einen höchſt wohlthätigen Einfluß; er
ftrebte von jet an, auch in feinen Sitten und Kenntniffen die fürftliche
Art zu zeigen. Bald darauf ftarb fein Vater (1474), und nım trachtete
die unnatürlihe Mutter, den Prinzen aus dem Wege zu fchaffen, um
fid) felbft der Regierung zu bemädhtigen. Bogislaw entwich zu feinem
treuen Bauern; Hans Lange half wieder. Er rüftete den Prinzen ftatte
lich als Ritter aus, ritt mit ihm auf die nächſten abligen Güter und
bat die Ebelleute, den jungen Herzog zu feinem Verwandten, dem Herzog
Wartislaw von Bart, zu geleiten. Dies geſchah, und das Geleit ver-
mehrte fid) von Ort zu Ort fo fehr, daß Bogislaw mit 300 Reifigen
Bogislaw X. 135
in Bart anfam, wo er mit allen Ehren aufgenommen wurbe*): Auf
die Nachricht von diefen Erfolgen ihres Sohnes gab die Mutter ihre
Sache verloren und entfloh mit ihren Zuhaltern nach Danzig. Bogislaw
uber erhielt nun überall im Lande ohne Weigerung die Huldigung. Yaft
ein halbes Zahrhundert lang bat er dann das Regiment geführt und
mit folder Kraft und Weisheit, daß ihn manche den „Großen“ nannten.
Benigftens waren die Wohlihaten groß, die er feinem Wolfe erwies; denn
*) Thomas Kantzow, Chronik von Pommern (aus dem fehzehnten Jahrhundert),
Herausgegeben von Bohmer, Stettin 1835, II. &. 134 f.: „Hertod) Vugflaff bleff in unacht
umb wmofte tho Rugenwolde mit ben gemeinen ſcholern in be Ecole gan; und feilde em
unberwilen an ſcho und kleidern, und ath mit den Morgen, wat fe heben; beme be
Moder was em Hart und gram. Do he awerſt begunde grot tho werben, do kumpt ein
Buhr tho em van Lanhle, de Het Hans Lange, be febe: Dertoch Wugflaff, wo geiftu jo
den, eft du mergen #50 Bus Horft? Wultu nicht fr froden (einfehen), dat du ein furft
BIf? Do beflagede He fi foner Moder Hardeheit. Go gaff he em Rat, He fäolde de
Moder bidden, bat fe em en awergewe, bat he fyn Buhre mochte fun und em be pacht
gewen. Dat debe Hertoch Bugflaff und erhielt dorch de Rebe fo vele, bat ib de Moder
thofeeben was. Do he dat ben Buhren febe, do was de Buhre fro umb febe: Hertoch
Bugflaf, du galt min Sohne fon; amerft id Tan wol gedenfen, wenn du nu thor reger
zinge fumft, werftu miner weinich gebenten; darum fhaltu mi thofeggen, wen du thom
Regimente humft, dat du mi de tit mins Lewens wilt fry gewen an padit, denſte unb Iant«
fihate (Bins); und mehr beger id nit. So wil id bi vorftreden, wat min vermogen is.
&o jede he em dat to. Do geiht de Buhre tom Wantfnider mb nimpt want: uih und
Uedede ben Hertogen van unben bet bowen, unb kofte em ein perd umb ein ſchwert und
wat em bartho van moden was. Underdes wart ſyn vater Hertoch Erich tho Wolgaft
trank und ftarff. Do dat de Buhre Horde, ging He hen und mebder under de Edeliude
und vermande je hemeliten, dat fe eren hern jholden annemen und nicht gedulden, dat he
umb der Moder hats willen fo ſcholde als ein fhlimmenige verſtot werden. Do he nu
imeinde, bat he der falen einen wech gemateb Hedde, febe He: Bugflaff, id wil fid nit
ſchigen, dat di alhir fo im Drete Lift und leſt di verftoten. Tehe Heu tho dem bel
und jegge, du bift ere here, bat fe di hanthawen. Do bat de junge her Horbe, wort he
fro und Tred) ein gemote und fettede fi vor, na des Buhren Mede tho dofm. Denne fo
unadttidt he tHovorn geholden was geworben, fo hebde He dennod) ftebes Luft und beger
150 hogen und furftlifen Dingen. ff zeit de Buhre mit em hem und bradite em erften
dhom megeften Ebelman, de nam en gutfif an; awerft be Edeiman forditete fick vor be
Meder. So brachte he en vorkdan; bar nemen en de jungen gejellen vom Abel gern an,
beögelifen of etlife van ben vornemeften des Adels; denne ein jeber was awer der unbültdhe
Teit der Mober unduldich. Alſo toch balde en ganz hupen tho em, bat he in forter tit by
bren Hundert perben by fid frei. it den reit he van dem einen thom andern in Stede
und Dorper und ermanebe fe, bat fe en alfe eren hern erfenmen ımb annemen wolben; und
zeit dama tho fynem Wedbern, Hertoch Wartiflaff, togede em de fale an unb gebralede
fines Rabes* u. ſ. w.
Bogislaro bewies fi) dankbar gegen ben treuen Bauern; er hielt ihm immerbar als
feinen väterlien Freund. Gr mollte ihn und feine Kinder von allen Abgaben und
Dienften Yosfpreien. Gans Lange nahm es jedoch mur für fich an, nicht aber für feine
Radlommen; er meinte, „ein Bauer mihbraude feine Freiheit oft und warde umter foldien
Begänftigungen nur faul“.
136 Hinterpommern.
mit ſtarker Hand forgte er für ftrenges Recht gegen jedermann, für all-
gemeine Herrichaft der Gefehe, für Ruhe und Ordnung nad) außen und
imen. Mandy alter Mißbrauch mußte fallen; die Wegelagerei wurde
ausgerottet, das graufame Strandrecht, nachdem ber Herzog auf einer
Meerfahrt zum heiligen Lande 1497 felbit foldhe Not kennen gelernt, für
immer abgeſchafft.
Nach ihm blieb das Herzogtum nicht ange umgeteilt. Schon im
Jahre 1532 fonderte es ſich wieder in zwei regierende Linien, beren
ältere zu Wolgaft, die jüngere zu Stettin refidirte. Die Grenzen wurden
jet fo beftimmt,- daß zum Herzogtum Wolgaft das Land weſtlich ber
Dber und Swine, zum Herzogtum Stettin das Land im Often diefer
Gewäfler, doch mit Einfhluß der Städte Stettin und Garz, gehörte.
Seitdem gewöhnte man fi, das weftliche Pommern bis zur Ober Bor-
pommern, das öftliche, Hinter der Oder belegene, Hinterpommern
zu nennen. Übrigens behielten fidh die beiden Regierungen einige wichtige
Randesangelegenheiten zu gemeinfamer Behandlung vor; namentlich Ho—
beitsrechte über die Univerfität Greifswald und über das Bistum Kamin.
Gemeinſchaftlich wurde von ihnen denn aud) bie Iutherifche Kirchen⸗
verbefierung eingeführt; Die Herzöge Philipp I. von Wolgaft und
Barnim XI. von Stettin beriefen zu dieſem Zweck 1534 einen allge
meinen pommerfchen Landtag nad) Treptow an ber Rega; hier ftellten
fie ihren Antrag und die Stände genehmigten ‚mit großer Majorität die
Reform, welche dann unter Leitung des gelehrten Bugenhagen nachdrück⸗
lich ins Werk geſetzt wurbe.
Noch einmal kam es zu einer Vereinigung von ganz Pommern, als
das von Philipp I. geftiftete Haus 1625 erlofch und ber Herzog von
Stettin e8 beerbte. Aber dieſer Fürſt, es war Bogislaw XIV., beendete
auch Die Reihe der einheimifchen Herricher. Mit feinem Tode 1637 hörte
Pommerns Selbftändigfeit auf.
Noch verdient aus jenen Zeiten ein Beifpiel unbeugjamer Rechts-
pflege Erwähnung. Es ift bemerkenswert wegen des Opfermuts, ben
der Richter Dabei zeigte. Es war Jo achim Appelmann, Bürgermeifter
von Stargard; fein einziger Sohn hatte als Räuber feine Baterftabt be-
fehbet und war gefangen worden; der Water, ein zweiter Brutus, ließ
ihn Hinrichten (1575). So gewann im fechzehnten Jahrhundert ein
Bürger neben den Zürftermamen in der pommerſchen Geſchichte Nach⸗
ruhm, wie im fünfzehnten ein Bauersmann.
Der weſtfãliſche Friebe.
ALS die Friedensbotſchaft durch die Lande flog, konnte das deutſche
Volt es kaum glauben, daß der Krieg, der nun 30 Jahre gewütet,
Der weitfäliiäe Friede. 137
wirflich zu Enbe ſei. Viele weinten vor Freuden, während andere, von
dem maßlojen Elend ftumpf geworben, es verlernt hatten zu hoffen. Die
wenigften fragten nad) den Bebingumgen, ber Mehrzahl ſchien der bloße
Friede ſchon ein unenblicher Gewinn. So nahm man im ganzen danfbar
bin, was im einzelnen aus Gutem und Üblem gemifcht war.
Den meiften Vorteil hatte das Ausland errungen, Frankreich, dem
außer Metz, Toul und Verdun jetzt auch das Elſaß abgetreten war, und
Schweden, welches Vorpommern, Stettin mit Uſedom und Wollin, Garz,
Damm ımd Gollnow, ferner die Bistümer Bremen und Verden als
Reichslehen und noch fünf Millionen Thaler erhielt. Zur Entihädigung
ber Reichsſtaͤnde, die durch den Vertrag eine Einbuße erlitten, dienten
hauptſaͤchlich die geiftlichen Girter. Durch ſolche glich man aud ben
Verluſt bes Kurfürften von Brandenburg aus. Er erhielt das übrige
Hinterpommern und außerdem die vormaligen Bistümer Kamin (an ber
rechten Obermündung), Halberftabt”) (jet die Kreiſe Halberftadt, Aſchers⸗
leben und Oſchersleben) und Minden**) (die Kreife Minden und Lübbecke)
als Yürftentümer, das Erzbistum Magdeburg (die Kreife Magdeburg,
Reuhaldensleben, Wolmirftäbt) als Herzogtum; doch follte Ieteres bem
bisherigen Abminiftrator, Prinzen Auguft von Sachſen, noch bis an
defien Tod verbleiben. Bas an Rechten und Einkünften bier früher ber
geiftliche Fürft gehabt, ftand num dem weltlichen zu, ber ihm in der
Landesherrichaft gefolgt war. Es wurde alfo der Staat zum Erben der
weltlichen Macht der Kirche eingefeßt. Auch in der Religionsfrage ſelbſt
drang bie Vernunft durch. Es wurde den drei Konfeffionen — Katho—
Iiten, Zutheranern, Reformirten — im beutfchen Reiche gleiches Recht
zuerkannt. Die Duldung fiegte freilich noch bei weitem nicht ganz und
völlig. Bon den habsburgiſchen Erblanden blieb die Gewifſensfreiheit
überhaupt ausgefchlofien, mit Mühe erwirften die Schweden ımb ber
Kurfürft von Brandenburg, daß ber Katfer den evangeliichen Glauben
wenigftens in einem Zeile Schlefiens zu dulden verſprach. Im Reiche
erlangten nur die feit 1624 katholiſch gemachten Gebiete Glaubens-
freiheit; früher Gefchehenes ließen die Katholiken nicht wieder abftellen.
Kaifer Ferdinand II. hatte feine Übermacht zu arg gemißbraucht,
es war durch das Haus Habsburg über Deutfchland zu viel Unheil ge-
Tommen, als daß die Deutſchen gerade jet ſchon eine Verminderung der
Taiferlihen Gewalt hätten bedauern follen. Ste nahmen es vielmehr
mit Befriedigung auf, daß der weftfältfche Friede die Reichsverfaffung
auf Koften des Kaiſertums fehr weſentlich veränderte. Die Reiche»
Hände erhielten den Genuß der ehemals Löniglichen Rechte (Regalien),
H Geftiftet SIE von Ludwig dem Brommen; evangelijch geworben im Jahre 1591.
=) Gefüftet vom Karl dem Großen (vermutlich 803); evangeltid) feit 1566.
138 Der weitfällihe Friede.
fogar das Recht, Bündniffe unter fi) und mit fremden Mächten zu
fließen und Kriege zu führen, außer gegen Kaifer und Reich; in ihrer
Geſamtheit erhielten fie zugleich einen beftimmenden Einfluß auf alle
Reichsſachen; denn fie bildeten mit dem Kaifer ben Reichstag, der fortan
alles entſchied und feit 1663 in Regensburg permanent war. Dem
Kaiſer blieben im Grunde nur nod) einige Ehrenredte. Unter dem
Namen einer Monarchie war das deutſche Reich) von jet am auch ger
ſetzlich eine Ariftofratie, ein ziemlich lockerer Verein zahlreicher Fürften,
großer und Heiner, geiftlicher und weltlicher, auch Ritter, Herren und
Städte — 1189 Landesherrichaften — die faft wie Souveräne geboten;
ein Bundesſtaat, defien Vielköpfigkeit ihn zu ewiger Richtigkeit verdammte
und allen Umtrieben und Angriffen des Auslandes preisgab. Das übelſte
war, daß die ganze Beute des alten Beitandes ausſchließlich den Herr-
ſchaften zufiel, und das Volk auf dem Reichstage jegt ebenfo wenig eine
Vertretung hatte wie vordem. Aus der DVerwüftung des breißigjährigen
Krieges rettete es nur ein hohes Gut, feinen Glauben; alle übrigen Güter,
Wohlftand und Gemeinfinn, Selbft- und Rechtsgefühl und deren Tochter,
die Freiheit, waren dahin. Es brauchte die Arbeit von Menichenaltern,
dieſe Verlufte wieder zu erjeßen.
War nicht der Friebe, den es num gewann, beinahe der Friebe eines
Kirchhofs ? Das deutſche Volt, 1618 das größte Europas, war 1648
auf ein Drittel feiner Zahl zufammengefhmolzen; damals an Reichtum
und Bildung, an Freiheit und Gefittung, in Kunft und Wiſſenſchaft,
Handel und Wandel, Aderbau und Gewerbe allen Nationen ber Erde
voran, ftand es jet in diefem allen Hinter gar vielen weit zurück; in
manchen Stüden mußte es fait wieder von vorne anfangen. Man konnte
in vielen Gegenden meilenweit gehen, ohne einen Menfchen, ein Haus zu
erbliefen; dafür ſchwärmten überall Wölfe und andere wilde Tiere. Wie
langſam brachte es bie verarmte, verſchuldete Benölferung wieber dahin,
die Arbeiten bes Friedens mit Erfolg zu betreiben! Am ſchwerſten kamen
die geiftigen Beftrebungen wieder in Gang. Auch die Buchtlofigkeit
und Unfitte, die im Kriege ſich eingeniftet, wichen einer befleren Ordnung
und Gefittung nur fehr langſam. Das Volt war geiftig und leiblich
verfommen. Um fo weniger fonnte e8 daran denken, gegen bie Fürften
feine ehemaligen Rechte zu verteidigen. Die alten Landſtände, an ſich
eine höchft mangelhafte Volksvertretung, verloren nun faft überall in
Deutihland den legten Neft ihrer Bedeutung. Die Unterthanen hatten
fi im Kriege gewöhnt, den einzigen ſchwachen Schuß, der ihnen über
haupt zu teil werben konnte, bei dem Landesherm zu finden. Die Um—
ftände nötigten dieſen, da die Stände fi) fo ſchlecht bewährten, aus
eigener Machtvolltommenheit Steuern aufzulegen und Soldaten zu halten.
Im Frieden machte er aus diefem Notbehelf eine Gewohnheit und aus
Gründung bes brandenburgiic-preußlien Staates. 139
der Gewohnheit ein Recht. Faſt unbeſchränkt nad) oben, gegen ben
Kaiſer, wurde er es ganz bem Volke gegenüber. Yortan regierte er meift
nad Willtür, mit wenigen Räten, von feinem Kabinet aus; mit Hilfe
feiner Soldaten und Beamten brach er leicht jeden Widerftand der Unter-
thanen, — errichtete mit einem Worte die abfolute Fürſtenmacht, bie
nad) fogenanntem göttlichen Recht herrichte.
Zerſchlagen und verkommen wie das beutiche Volk, verfallen wie
das deutſche Reich) war, gab es für die Nation nur eine Hoffnung: daß
bei der Berrüttung bes Ganzen das deutſche Leben ſich um jo that»
Träftiger in den Zeilen entwideln, und baß einer dieſer Teile, gleich
einem frifhen Schoß aus altem, blißzerjpaltenem Eichenftamme, Trieb
und Saft genug haben werde, um mächtig auf- und anzuwachſen zu
einem neuen großen Staate, in welchem fich alles deutſche Volt nen
fammeln und erheben könne. Und zu diefer Hoffnung wurde jet in ber
That der Grund gelegt.
Grünbung bes brandenburgifc-prenfiifchen Staates.
Das Haus Hohenzollern, ſchon vor dem Kriege eins ber mächtigften
in Deutfchland, wurde nad demfelben nur noch von dem Kaiferhaufe,
von Habsburg, überragt. Denn der weftfälif—he Friede hatte feinen
Beſitz fehr beträchtlich vermehrt; es beherrfchte nun ein Gebiet von
2000 Duabratmeilen, und die neugewonnenen Lande waren nicht bloß
ausgedehnt, fondern auch fonft wertvoll, Hinterpommern burd feine
Lage an der See, fowie durch die zähe Kernkraft und ungemeine milis
tariſche Tüchtigteit feiner deutſch-kaſchubiſchen Benölferung, die Bistümer
durd) ihren fruchtbaren und vergleichsweiſe wohlangebauten und ſtark bes
völferten Boden, fowie dadurch, daß fie den Hohenzollern zu einer weiteren
Ausbreitung in das eigentliche Innere Deutſchlands gute Stützpunkte
boten. Aber die neuen wie die alten Lande entbehrten jedes Bujammen-
hanges; über die ganze norddeutſche Tiefebene von der Memel bis zum
Rhein zerftreut, auch durch die Verſchiedenheit ihrer Gewöhnung getrennt,
lagen fie weit auseinander; es waren lauter Heine Sonderftaaten, jeder
an und für fi) ohne höhere Bedeutung. Friedrich Wilhelm beſchloß,
ihnen eine ſolche zu geben, indem er fie zu einem einzigen Staatskörper
verbände. Hatten fie nicht im Grunde innerlich die wichtigſten Intereſſen
gemein? Ihre Bevöllerungen, ſämtlich evangeliſch, konnten zu einem
großen norbbeutfchen Volle proteftantifcher Religion erwachſen und mit
vereinten Kräften einen Staat bilden, fähig als Hort des Proteftantismus
und als Bollwerk Deutſchlands in den Welthändeln eine Rolle zu fpielen,
140 Gründung des brandenburgiſch · preußiſchen Staates.
ja felber eine Weltmacht zu werden. Das war das erhabene Ziel, das
er feinem Haufe und feinen Völkern ſteckte.
Diefe hohe Aufgabe zu Löfen bedurfte es aber vor allem eines
tüchtigen, immer ſchlagfertigen Heeres, und da deſſen Beftand dem Lande
große Geldopfer auferlegen mußte, jo war zweierlei nötig: daß ſich der
Landesherr in der Steuererhebung nicht von ben Ständen beichränten
ließ, und daß er durch gute Finanzwirtfchaft und durch Hebung bes
Volkswohlſtandes die Steuerlaft erträglich machte. Dabei konnte freilich
ein Kampf mit den eigenen Unterthanen nicht ausbleiben. Denn von
einem gemeinfamen Staatsleben wollten dieſe nichts wiflen; jede Land»
ſchaft meinte, die andere gehe fie nichts an. Sollte die Einheit über den
Bartitularismus fiegen, fo blieb dem Kurfürften nichts übrig, als bie
Rechte der Sonberftaaten zu durchbrechen und ſich unumſchränkt zu
machen. Friebrid Wilhelm war entichloffen, dieſen Bruch, mit dem alten
Rechte zu vollziehen.
Am meiften fperrten fi) die preußifchen Stände gegen das „bran=
denburgiſche Weſen“, und Preußen hatte freilich auch unter allen Pro—
vinzen die meifte Eigenart und eine eigentümliche große Geſchichte.
Schon 1646 begann bier der Kampf. Der Kurfürft brachte einige bran-
denburgifche Truppen ins Land, die Stände bejchwerten fi: es dürften
in Preußen nur einheimifche Truppen ftehen. Wie fah es aber mit diefen
aus? Der Adel verweigerte den ſchuldigen Lehndienft, und die von den
Ständen geworbenen Söldner Tiefen auseinander oder plagten die Bauern.
In ähnlicher Weife Ietftete man in den übrigen Provinzen die Wehr-
pflicht. Wer konnte es dem Kurfürften verargen, daß er ohne viel Feder⸗
leſens Steuern auflegte, um fein ftehendes Heer zu bezahlen? Ebenſo
nötig war, baf er es unabläfftg vermehrte, denn ber weftfälifche Friebe
befreite keineswegs mit einem Male Deutfchland von ben fremden Kriegs-
völfern; es bauerte noch einige Jahre und koſtete viel Mühe, die
Schweden, die Kaiferlichen, die Holländer aus ben Furfürftlichen Feſtungen
berauszubringen. Auch zogen bald neue Kriegswetter im Oſten herauf,
gegen die man gerüftet fein mußte. Die Verftärkung des Heeres ward
denn auch fo Iebhaft betrieben, daß der Kurfürft im Jahre 1651 ſchon
16 000 Mann, vier Jahre darauf 26000 Mann und 72 Geichäße ins
Feld führen konnte. Treffliche Gehilfen bei der Einrichtung und Führung
diefer Truppen waren ihm der General Otto von Sparr*) (früher
Katferlicher Generalfeldjeugmeifter), ein vorzüglicher Ingenieur und ber
eigentliche Gründer des brandenburgifchen Geſchützweſens, und ber Feld⸗
®) Geboren Im Jahre 1605 zu Lichterfelde bei Berlin, geftorben am 19. Mai 1668
zu Prenden bei Bernau. v. Mörner, Märkiihe Kriegs-Oberften,
Das Herr. 11
marſchall Georg Derfflinger*), Schäpfer der brandenburgifchen Reiterei.
Auch Derfflinger hatte feine Schule in einer großen Armee gemacht.
Sohn eines aus Diterreich geflüchteten Proteftanten, war er, fechzehn
Jahre alt, im Jahre 1622 in böhmifche, dann in ſächſiſche, 1637 in
ſchwediſche Dienfte getreten, wo er es bis zum Generalmajor bradjte.
Nach Beendigung des Krieges fiedelte er ſich in der Mark an und trat
in den Dienft des Kurfürften, der ihn fpäter zum Feldmarſchall machte
und feine Erhebung in den Freihermftand bewirkte.
Die Söldner waren befonders darum dem Lande fo überläftig ge⸗
wejen, weil fie in der Regel ſich felbft nahmen, was zu ihrer Vers
pflegung gehörte, weil fie überhaupt gegen Bürger und Bauern bie
Herren fpielten. Das ftehende Heer wurde beſſer eingerichtet; ber Kur
fürft brachte Befoldung und Berpflegung in fefte Ordnung und hielt
firenge Mannszucht. Um die großen Summen, die e8 koftete, aufzu⸗
bringen — ſeit 1655 jährlich bereits eine Million Thaler — begann er
die in früheren Zeiten verpfänbeten Domänen zurüczufordern, verfuchte
auch dag Steuerweſen zweckmäßiger unb ergiebiger zu geftalten, nament ⸗
lic) durch Einführung inbirelter Abgaben. Aber bie Stände widerfprachen
allerorten; beſonders die Ritterſchaften wiefen das alles als eine Be
einträchtigung ihrer Vorrechte zurüd. Um fo mehr war der Kurfürft
genötigt, ba die regelmäßigen Einkünfte nicht zulangten, immer wieder
mit außerordentlichen Geldforberungen vor bie Stände zu treten. Ver—
gebens antworteten fie mit Klagen über den Drud, mit Bitten um
Verminderung der Wilitärlaft. Er legte auf, was er beburfte; zuletzt
nahın ex von ben ftänbifchen Steuerbewilligungsredht faft nur noch
formell Notiz. Gr entjchulbigte ſich mit der Not. Die Folge hat ihm
gerechtfertigt; heut urteilt man von ihm, baf er wohl that, wenn er bie
Stände als eine nicht mehr zeitgemäße Einsichtung bei Seite ſchob und
alle Stantsgemalt ais fürftliches Recht an fid) nahm — er bereitete ba»
durch eine allgemeine Gleichheit der Staatsbürger unter einander vor —,
daß er wohl that, wem er die Privilegien einer Minorität verlegte, —
ex müßte damit der Mehrzahl. Sein Joch war hart, aber er fpannte die
Untertanen nicht bloß um feinetwillen in dasſelbe, fomdern auch zum
Heile des Ganzen. .
Denn wenn er fi) in den alleinigen Befig ber Landesregierung
feste, fo war er doch weit davon entfernt, Diefelbe nun, wie es ander»
wärts geſchah, an feine Diener und Günftlinge zu überlaffen; Friedrich
Wilhelm regierte perſönlich, und fein perſönliches Intereſſe war das
) Geboren am 16. März 1606 zu Neuhofen in Oberdfſterreich, geſtorben am
14. Februar 1695 anf feinem Gut Guſow im Barnim.
142 Gründung des brandenburgijh- preubiſchen Staates.
Staatswohl. Der geheime Rat hatte die Gefchäfte mur vorzubereiten,
der Kurfürft entſchied überall felbfl. Statt des Kanzlers ftand an der
Spige der Staatsbiener jeßt der „Oberpräfident“; aber auch er hatte in
wichtigen Dingen feine eigene Macht. Viele Jahre hindurch bekleidete
unter Friedrich Wilhelm der Freiherr Otto von Schwerin*) biefe
Stelle; aber ein fo gewiegter Staatsmann er aud) war und jo vorzüg-
liche Dienfte er leiftete, beftimmenden Einfluß hatte er doch hauptſächlich
mur darum, weil er zugleich ber vertraute Freund feines Fürften war,
der ihn wegen feines Edelfinns fehr hoch ſchätzte. Das eigentliche Zen-
trum des Staats war das Kabinet, wo ber Fürft allein ober mit einige
geſchickten Gehilfen, wie eben Schwerin einer war, die Maßregeln erſann,
die Entichlüffe faßte, die dann, von der hohen Beamtenjchaft in die Form
von Verordnungen gebracht, nach allen Richtungen bas öffentliche Leben
anregten oder geftalteten. Wie viele und wie mamigfaltige Impulfe
gab diejes Herz dem Staatskörper! Es ift faft fein Gebiet menſchlicher
Wohlfahrt zu nermen, dem nicht der große Kurfürft ein gleiches, warmes
Intereſſe zugewandt hätte.
Seine erfte Sorge betraf natürlic den Landbau. Die Unzahl von
wäften Feldern und Yeuerftellen, die er namentlich in ben märktfchen
Dörfern vorfand, follten ſchleunigſt wieder befiedelt werben. Auf feinen
eigenen Domänen gelang es bald; denn er bot die liberalften Bedingungen,
gab den Einwanderern zu den verlaffenen Hufen und Häufemn auch Frei⸗
beit auf ſechs Jahre von der Pacht und von allen öffentlichen Lafter.
Zangfamer kamen die adligen Güter wieder in Anbau, dem tüchtige
Bauern gingen, wenn fie wählen konnten, lieber auf die kurfürſtlichen
Kammergäüter; der einheimifche Bauer dagegen, ber, durch den Krieg an
den Bettelftab gefommen, nun froh fein mußte, wenn ihm der benachbarte
Edelmann überhaupt ein Stüd Land, fowie Gerät und Korn, es zu be—
ftellen, gab, ließ ſich die drüdendften Bedingungen, ja ſelbſt die Leib-
eigenfchaft gefallen, aber arbeitete dafür auch läffiger als vordem.
Gewerbe und Handel hatten dem Kurfürften längft für die veichften
Duellen de3 Wohlſtandes gegolten; jenem fuchte er zunächſt durch Ver⸗
ordnungen aufzubelfen, die den Zunftzwang loderten und es jungen Anz
fängern im Handwerk erleichterten vorwärts zu kommen; dieſen belebte
er wieder, indem er die Verkehrswege im Lande verbefierte und vermehrte.
Schon im erften Jahrzehnt feiner Regierung ſuchte er fogar einen groß-
artigen Seehandel zu fchaffen, errichtete 1646 eine oftindifche Handels
geſellſchaft, beabfichtigte 1650 von den Dänen das Fort Dansburg (jetzt
Trankebar) an der Küfte Koromandel zu kaufen; feine Schiffe follten von
*) Geboren den 18. März 1616 zu Stettin, geftorben ben 14. November 1679 zu
Berlin.
Kultur, 143
den hinterpommerſchen und oftpreußifchen Häfen aus an dem Welthandel,
der die Holländer fo reich machte, Anteil nehmen. Jener Kauf unter
blieb dann freilich aus Mangel an Geld, und aud) die oftinbifche Ge—
fellſchaft gedieh micht vedht. Sehr erfolgreich bagegen, auch für ben
Handel, war eine andere Schöpfung aus jener geit, die Poft. Unter
Johann Sigismund begonnen, im 30jährigen Kriege aber ganz in Ver-
fall geraten, wurde diefe nüßliche Einrichtung jegt neu belebt und
mit Hilfe des Voftdireftors "Michael Matthias planmäßig ausgebildet ;
durch den „Reichserhpoftmeifter“, Grafen von Thum und Taris, und
defien Privilegium, allein im deutſchen Reiche Poſten anzulegen, ließ fich
der große Kurfürft nicht ftören; ſchon 1650 beftanden von der kur⸗
tänbifchen Grenze bis Geldern (auf 187 Meilen) brandenburgiſche Reit-
poften. Gerade für diefen Staat mit feinen weithin zerftreuten Gebieten
war die Poft ein Bedürfnis erften Ranges; fie erleichterte nicht bloß
den Verkehr im allgemeinen, fie z0g um die Provinzen ein engeres
politiſches Band, leiftete der Einheit des Staatsweſens großen Vorſchub.
Zugleid mit den materiellen Kräften bes Landes follten bie geiftigen
gewedt und erhöht werben. Es fam für den Staat zunächſt darauf an,
die Inftitute, aus denen feine Organe, die Beamten, Lehrer und Geift-
lichen, herorgingen, alfo die höheren Schulen wieder in Blüte zu bringen.
Der Kurfürft wußte indes, daß wahre Geiftesbilbimg fo recht mur bei
Freiheit der Wiſſenſchaft und ihrer Lehre gedeiht; er ftattete daher ihre
Bflanzftätten nicht nur mit genügenden Einfünften aus, ſondern beftätigte
und mehrte aud) ihre Rechte und Freiheiten. So that er namentlich an
der halb verwäfteten Wniverfität Frankfurt a. D., an dem zerftörten
joachimsthaler Gymnafinm, das er 1655 nach Berlin verlegte, an der
reformirten Univerfität, die er auf Wunſch der kleviſchen Stände (eben-
falls im Jahre 1655) zu Dutsburg errichtete.
Friedrich Wilhelm war in feinen perſönlichen Neigungen eher einfach
und ſchlicht; man fah ihn wohl felber auf dem Markt in Berlin ſich
Singvögel faufen, die er ehr Tiebte, ober in feinem Garten am Schloß
mit Schere und Gießkanne umbergehen. In feiner Häuslichkeit ging es
nicht eben Iururids ber, und fein hamptfächlichftes Vergnügen, Die Jagd,
ber er mit Eifer oblag, war wenig koſtbar. Sein Privatleben, beglückt
durch eine Frau voll Geift, Gemüt umd Anmut, durch die vortreffliche
Luiſe, war eben fo wirtlich wie ehrbar. Aber wenn er als Fürft auf
trat, dann mußte alles an ihm und um ihn großartig und prunkvoll
fein. Denn die Welt urteilte damals noch mehr als jeßt nach dem
Anſchein und hielt Teicht den Zürften für den mädhtigften, der die größte
Pracht entfaltete. Mit peinlicher Ängftlichfeit und größter Eifer»
ſucht behandelten alle Stände und am meiften bie regierenden Häupter
beſonders auch die Rangverhältnifie. Es galt für eine höchſt wichtige
144 Gründung des branbenburgifchrpreußifejen Gtantes.
Angelegenheit jedes Staates, daß fein Beherrſcher alle ihm gebührenden
Ehrenbezeigungen ſtets ganz und voll erhielt. Zahlloſe Förmlichleiten
und die lächerlichften Rangftreitigkeiten nahmen allemal, wenn Staaten
mit einander verhandelten, die Thätigleit der Gejandten aufs äußerfte
in Anfprud). Am weiteften trieb e8 darin der deutſche Reichstag; man
vergeubete dort Die koſtbare Zeit mit Fragen wie diefe: dürfen nur die
furfürftlichen Geſandten auf roten Stühlen figen? dürfen es nicht auch
die fürftlichen? ober find Ießteren nur grüne Stühle zu verftatten? und
wenn nicht, dürfen Diefe grünen fürftlihen Stühle dann wenigftens auf
dem Teppich felbft ftehen, wie die kurfürftlichen, oder nur auf den Franfen?
Auf ſolche Förmlichkeiten legte nun auch Friedrich Wilhelm viel Wert;
er mußte es, weil man ihn fonft gewiffermaßen als ehrlos betrachtet
hätte. Ein wahrhaft wichtiges Staatsinterefie opferte er ihnen doch nie
auf, er war nur aus Politik prachtliebend; denn durch äußeren Glanz
gewann er ſelbſt und fein Staat in der öffentlichen Meinung an Ges
wicht und Macht. Aus diefem Grunde, aber aud) um ihrer felbft willen
begünftigte er die Künfte, berief viele ihrer Meifter an feinen Hof; bie
berühmteften darunter waren in dieſer erften Periode feiner Regierung
der Maler Honthorft, die Elfenbeinjchniger Leonhard Stern und Michael
Dabler, der Bildhauer Larfon, der Erzgießer Vignerol, der Baumeifter
Memhardt. Sie kamen größtenteils aus Holland, damals dem Haupt»
fiße der Kumft, und durch fie wurde der holländifche Geſchmack, den der
Kurfürft jo fehr liebte, befonders auch in der Art zu bauen und die
Zimmer auszufhmüden, damals in der Mark Mode. Großen Aufſchwung
nahm in Berlin aud) die Stempelſchneidekunſt; denn der Kurfürft ergößte
fich gern an großen und koſtbaren Medaillen und ließ folche bei jeder
Gelegenheit ſchlagen. Dem Glanze des Hofes follte das Ausfehen der
Refidenz entiprechen; der Kurfürft that frühzeitig manches für ihre Ver-
ſchönerung, machte z. B. ſchon 1647 durch Anpflanzung von Baune
veihen einen Anfang zu dem berühmten Schattengang „Unter den Linden*
in Berlin.
Während er fo in Heinen wie in großen Dingen für die innere
Kräftigung und äußere Ehre feines jungen Staates forgte, vergaß er
doch nie, daß diefer Staat in dem religiöfen Intereſſe ein Recht und eine
Pflicht von europäifcher Bedeutung zu übernehmen habe; berjelbe Konnte
und mußte, um eine Weltmacht zu werben, als ein Schupftaat des Pro-
teftantismus zunächft in Deutfchland baftehen; das war für ihn ein
Xebensprinzip. Um fo notwendiger war es zugleid), daß er nicht das
lutheriſche oder reformirte Belenntnis, jondern den ganzen vollen, ben
eigentlichen PBroteftantismus, die Glaubensfreiheit, auf feine Fahne ſchrieb.
Denn nur durch die Eintracht jener beiden Selten, in bie es zerfiel,
konnte fein Volt ſtark und glücklich, nur durch die Vertretung der ges
Erwerbung der Souveränität, 145
famten evangelifhen Kirche der Staat feiner Aufgabe gerecht werben.
Religiöfe Duldung war alfo für Brandenburg-Preußen die richtige Politik;
an ihr hätte der große Kurfürft fetgehalten, auch wenn fie ihm nicht
ſchon von feinem Herzen wäre vorgefchrieben worden. Er war daher
unermüdlich, die Einigkeit unter den Reformirten und Lutheranern her⸗
äuftellen, worin ihm freilich feine unduldſamen Unterthanen nod) mehr
wiberftrebten als in feinen politiichen Bemühungen; unermüdlich auch,
fid) überall im Auslande bedrüdter Proteftanten anzunehmen. Er fcheute
dabei, wenn Borftellungen nichts halfen, felbft nicht vor dem Kriege
zurüd, ließ 1651 den General Sparr mit 5000 Mann in das Herzogtum
Berg einrücen und zwang fo den fatholifchen Herzog don Jülich und
Berg, die proteftantifchen Jülicher weniger hart zu bedrücken als bisher.
Dem Kaifer gegenüber, der feine Teßerifchen Unterthanen ebenfalls ver-
folgte, mußte er ſich freilich mit Worten begmügen.
Bas er that, waren ja überhaupt nur erft Anfänge, Keime; aber
Anfänge zu allem Großen, was der Staat nach ihm geleiftet hat, Keime,
die gepflanzt zu haben ein weltgefchichtliches Verdienft war. Und doch
Stand er ſelbſt noch bei weiten nicht am Ende feiner Laufbahn; es war
ihm noch vorbehalten, den Staat, den er gegründet, in die Reihe der
europãiſchen Staaten als gleihberechtigten und unabhängigen einzuführen
und zu beweifen, daß feine Schöpfung in Krieg und Frieden haltbar fei.
Grwerkung der Sonveränität.
In jener Zeit, wo Gewalt galt und Lift mehr als Recht half, wäre
es für jeden jchwächeren Staat Selbftmord gewejen, dem ftarfen Nachbar
mit Ehrlichkeit zu begegnen; ber große Kurfürft hielt es nicht für feines
Amtes, in der Politik fittlicher fein zu wollen als die andern; er be—
kämpfte fie mit gleichen Waffen. Eine folhe Taktik war aber nirgends
mehr am Orte, als wo er ſich in den Konflitt von Mächten gezogen ſah,
die mehr materielle Mittel hatten als er. Diefer Fall trat im Jahre
1654 ein, als zmwifchen Karl X. Guſtav von Schweden und Zohann
Kaftmir von Polen ein Krieg ausbrach; jener hatte als Iutherifcher Re—
präfentant des Haufes Waſa durch Chriftinens Abdankung einen Thron
erhalten, den dieſer als Haupt ber älteren Linie beanfpruchte. Aber
Karl X., begierig auf der Bahn feines großen Oheims Guftan Adolf
unfterblichen Kriegsruhm zu erringen, beſchloß das Geinige nicht mır zu
behaupten, ſondern noch durch Eroberungen zu vermehren; mit einem
ftarfen Heere feiner ebenfo friegsluftigen und beutefüchtigen Schweden
fiel er (im Juli 1655) das polnifche Reid; an. Hier waren nun zwei
Feinde, Ge alle beide zu bem jungen Staate, der zwiſchen ‚nen lag, in
Bierfon, preud · Gefhiähte. L
146 Erwerbung ber Souveränität.
natürlicher Gegnerſchaft ftanden. Denn Schweden ſchloß ihm die Ober
und verriet ſchon die Abficht, fi), wenn e8 obfiege, der ganzen Dftfee-
küſte zu bemächtigen, von ber e8 dem Haufe Brandenburg ein jo wichtiges
Stüd vorenthalten hatte; und Polen hemmte fein Aufftreben, fo lange
es die Lehnshoheit über Preußen befaß. Beide forderten, je nad) dem
Auf und Abſchwung ihres Kampfes, ſchmeichelnd oder drohend den Bei-
ftand des Kurfürften, der jedem bald unentbehrlich fehien; denn die
Schweden hinderte die weite Entfernung ihrer Hilfsquellen, die Polen der
unordentliche Zuftand derfelben. Friedrich Wilhelm hatte zuerſt ſich
neutral halten, eine Mittelmacht bilden wollen, um dann demjenigen bei-
äutreten, der die meiften Vorteile biete. Aber dem erften Angriff war
das polnifche Reich fo raſch erlegen, e8 war der Schwedenkönig fo über-
mächtig geworden, daß diefer den Kurfürften nötigen konnte, fich auf
feine Bedingungen mit ihm zu verbinden und im Vertrage zu Königs-
berg (17. Januar 1656) ftatt der polnifchen Lehnshoheit über Preußen
die ſchwediſche anzuerkennen.
Seitdem konnte es ſich für Friedrih Wilhelm nur darum handeln,
die Verbindung, in die ihn der Eroberer gezwängt, und die ihm Polens
Rache, wenn es fiegte, zuziehen mußte, fo zu wenden, daß er in jedem
Falle aus ihr als Gewinner hervorging. Es kam ihm zu ftatten, daß
es fi) bald zeigte, Polen war leichter zu erobern als zu behaupten;
ſchon im Februar 1656 brad) dort ein allgemeiner Volksaufftand gegen
die Schweden aus, und Johann Kafimir ftand bald wieder mit
40000 Mann bei Warſchau. In dem Grade nun, als ſich für KarlX.
die Schwierigkeiten der Lage mehrten, ftieg Brandenburgs Hilfe im
Preiſe; er machte glänzende Verheißungen, er wollte Polen teilen und
ein gutes Stüd davon dem Kurfürjten geben, wenn berfelbe ihm bei
ftehe dieſes Reich zu zerftören. Aber dann wäre ja an die Stelle eines
wenig gefährlichen Nachbarn ein übermächtiger getreten; Friedrich Wil-
heim hielt e8 vielmehr in feinem Intereſſe, nicht Polen durd) Schweden
verjchlingen, fonbern beide fid) durch den Krieg ſchwächen zu laſſen, um
felbft defto ftärfer zu werden. Er ftellte daher übertriebene Forde—
rungen für ganz geringe Leiftungen; feine Abfiht war, Zeit zu ge—
winnen. Endlid), als er hinreichend gerüftet war, gewährte er dem
Schwebenkönig das lange gewünfchte Bündnis (zu Marienburg am
25. Juni 1656): kraft defielben follte die ganze brandenburgiiche Macht
fid) mit der ſchwediſchen zur Eroberung Polens für Karl X. vereinigen,
des Kurfürften Lohn in dem erblichen fouveränen Befig der Woiwod⸗
haften Poſen, Kaliſch, Siradien, Lenczicz und Wielun beftehen. Auch
jetzt war Friedrich Wilhelm im Herzen feineswegs gewillt, Polens Unter«
gang herbeizuführen; er fuchte vielmehr auch in Warſchau Unterhands
lungen anzufnüpfen, die freilich nod) nichts fruchteten; in lächerlichem
Sqhwediſch · polniſcher Krieg. 147
Hochmut erklärten die Polen vielmehr, fie wollten den ungetreuen Vaſallen
mit Stumpf und Stiel ausrotten, und Johann Kaſimir ſprach ſtolz:
„wenn fich der Kurfürft ihm zu Füßen würfe, fo wifle man noch nicht,
ob er Gnade fände.“
Natürlich hielten diefe Drohungen den Marſch der Brandenburger
nicht auf; 8600 Mann ftark, zogen fie an der Seite von 9000 Schweden
gegen Warſchau heran. Vor diefer Stadt, bei Praga, lagerte neben
Schmwärmen von Tataren der Kern der polnischen Streitmacht, 40 000
Mann, meift Reiterei. In einer ftarken Stellung verſchanzt und auf ihre
Zahl vertrauend, erwarteten die Polen fiegesgewiß ben Feind, „der nur
ein Frühſtück für ihre Tataren ſei.“ Ihr Hochmut Fam fchnell zu Fall.
Am 28. Juli (18. Juli alten Stils) ordneten die Verbündeten ihr Meines
Heer zur Schlacht, rechts die Schweden unter ihrem Könige, links die
Brandenburger, die von dem Kurfürften und ben Generalen v. Sparr
und Graf v. Walde geführt wurden. Der fumpfige, waldige Boden
zwang in einzelnen Heerhaufen zu kämpfen und verzögerte bie Snticheis
dung; doch warfen die Verbündeten am diefem Tage den Feind auf feine
Verſchanzung zurüd; am folgenden drängten fie ihn zum Zeil ſchon
hinaus, denn während der Kurfürft eine wichtige Anhöhe des Schlacht-
feldes eroberte und gegen alle Angriffe der tatariſchen Reiter und des
polnifchen Fußvolls behauptete, ſchwenkte Karl Guſtav mit dem übrigen
Heere hinter den Brandenburgern und durch die umſchwärmenden Tataren
lints ab, fo daß der Flügel des Feindes umgangen war. Am dritten
Tage (30. Zult) galt e8 dem Zentrum, der ftärfften Stellung, wo im
Balde vor Braga hinter vielen Verhauen das polnische Fußvolk, daneben
auf Hügeln verſchanzt und durch Reiterei gedeckt das polniſche Geſchütz
ſtand. Mit dem Rufe „Gott mit ung!“ ftürmten die Brandenburger,
don Spare umſichtig und kühn geführt, zuerft gegen die Verhaue im
Gehölz, die fie vafch einnahmen, dann unerwartet gegen die Höhen, wo
die Reiter über den Haufen geworfen, die Geſchütze erobert und auf die
Polen gerichtet wurden. Da wid) aud) der feindliche rechte Flügel, den
unterbes die Schweden angegriffen. Im wilder Flucht ergoß fi) bald
vor den nadjdringenden Siegern das polniſche Heer gegen die Weichiel-
brüde, die von der Vorftabt Praga nah Warſchau führt. Vergebens
bat und flehte Johann Kafimir, vergebens ermahnte die Königin; weder
Adel noch Fußvolk war zum Stehen zu bringen. Hinter den prächtig
gefleideten, koſtbar bewaffneten polnifchen Reitern flogen unwiderftehlich
die brandenburgifchen, die, kärglich ausgerüftet, als Erkennungszeichen
micht reiche Federbüſche, fondern Eichenlaub an den Hüten trugen. Mit
dem Refte feines Heeres floh Johann Kafımir nad) Lublin.
Doch felbft im Siegesraufche vergaß Friedrich Wilhelm nicht, was
ihm die Politik gebot. Nachdem er mit feinem Verbündeten die Freude
10°
148 Erwerbung ber Souveränität.
genoffen, triumphirend in Warſchau einzuziehen, kehrte er mit bem
Brandenburgern nad) Preußen heim. Karl X. konnte daher den Sieg
nicht fo, wie er gewollt hätte, ausbeuten.
Vielmehr zogen ihm feine mehr glänzenden als reellen Erfolge jebt
ringsum neue Feindſchaften zu; die Holländer fandten eine Flotte ins
baltifhe Meer, das ein ſchwediſcher See zu werden ſchien; die Rufien
fielen in Liefland ein; da fäumten auch die Dänen nicht, Schweden
ihren Groll zu zeigen: auf allen Seiten ſah fid) der allzu hoch ſtrebende
Emportömmling bedroht. Gern hätte num der Kurfürft fein Bündnis
mit Schweden abgeftreift, zumal da auch ber Kaifer rüftete und dieſe
Rüftung Brandenburg bedrohte. Er unterhandelte biehin und dorthin,
aber da er fid) nad) feiner Art überall Hinterthüren offen hielt, fo zog
ihm feine vielgewandte Politik das Mißtrauen aller zu und fein Staat
mochte glauben, daß er mır notgebrungen ſich mit Schweden eingelafien.
Er blieb daher feinem Bundesgenoffen vorläufig nod) getreu. Beide hatten
auch bald Urſache feft zufammenzuhalten. Denn die leicht zeriprengten
Reitermaffen des polnifchen Adels fcharten fid) ebenſo leicht wieder zu=
fammen, fie eroberten Warſchau und bedrängten die ſchwediſchen Garni-
fonen in Polen; zugleich fielen litaniſche und tatarifhe Horden in das
Herzogtum Preußen ein, verbrannten hier viele Dörfer und Städte, er-
ſchlugen oder raubten eine große Zahl von Menſchen (Dftober 1656).
Es half wenig, daß die Verbündeten den Polen und Litauern einige
Niederlagen beibrachten; Johann Kafimirs Heer erhielt fortwährend Zu—
lauf; im November z0g er die Weichſel hinab nad Danzig und konnte
dort ein Freudenfeft feiern. Er ftattete damit zugleich jener Stadt feinen
Dank ab. Die Danziger hatten ihre Lage unter dem ſchwachen Zepter
Polens immer ſehr vorteilhaft gefunden, daher von Anbeginn dieſes
Krieges feit zu Polen gehalten, die Angriffe der Schweden tapfer ab-
gewiefen und dadurch der polniſchen Sache in den Augen Europas fehr
genützt. Darum befannte jet der polnifche Kanzler feierlichſt, in dieſer
einzigen Stadt fei das ganze polnifche Reich) wider die Gewalt eines
furchtbaren Feindes erhalten worden.
Karl X. hielt es nunmehr für geraten, den Kurfürjten ganz für
fid) zu gewinnen; er jeßte mit ihm im DVertrage zu Labiau (am 20. No-
vember 1656) feft, der Kurfürft ſolle das herzogliche Preußen und Erm-
land als fonveränen Befiß, Schweden aber den Reſt des königlichen
Preußens mit Pomerellen, ſowie Samogitien, Semgallen, Kur: und
Liefland erhalten. Außerdem überließ er Seezölle, die er in Preußen
angelegt, an Brandenburg, das dafür 120000 Thaler als Entſchädigung
zahlte.
Dem Andringen, nun mit aller Macht wieber gegen Polen los⸗
zubrechen, wid, der Kurfürft jedoch aud) jegt aus; denn da Schweden
Berkräge zu Labiau, Wehlau und Bromberg. 149
noch andere Feinde zu befämpfen hatte, fo wäre auf ihn- die Hauptlaft
des polniſchen Krieges gefallen; am meiften durd) brandenburgifche Kräfte
wäre im Falle des Sieges Schwedens Herrichaft zwifchen der Marf und
dem Herzogtum Preußen hergeftellt worden — das fonnte er nicht
wollen; fein näcjfter Zweck, ſich der aufgedrungenen ſchwediſchen Lehns-
Hoheit zu entwinden, war erreicht, auch feine ferneren Anftrengungen
durften nur dem Vorteil des eigenen Staates gelten, mit welchem
Schwedens Interefie, fo lange es auf der deutſchen Seite der Dftfee
beharrte, unvereinbar blieb. Karl X. fah fich zuletzt genötigt, Polen
fahren zw laffen und feine Waffen gegen Dänemark zu Tehren, welches
ihm mittlerweile den Krieg erflärt hatte. Zornig führte er 1657 feine
Schweden durch die Marken, die er wie Feindesland verwüftete, und fiel
in Holftein ein. Obgleich er num dort große Fortſchritte machte, fo war
& für jeden fharffinnigen Staatsmann doch unzweifelhaft, daß Karls
Unternehmungen am Ende überall fcheitern würden, weil fie über
Schwedens Kräfte hinausgingen. Friedrich Wilhelm wenigftens erkannte
dies ſchon jet und hielt daher den Zeitpunkt für günftig, von dem
ſchwediſchen Bündniffe entſchieden zurückzutreten. Dazu drängte ihn auch
die Not feiner öftlichen Provinzen, bejonders der Neumark, Die von
Litauern und Tataren greulic) verheert wurde, Er ſchloß daher unter
Yaiferlicher Vermittlung am 19. September 1657 zu Wehl au mit Polen
einen Vertrag, in welchem er alle Eroberungen herausgab, auch Bei—
ftand gegen Schweden verſprach, dafür aber ein wichtiges Zugeftändnis,
die Aufhebung der polnifchen Lehnshoheit, die Anerkennung feiner Sou-
veränität im Herzogtum Preußen, erhielt. Bald darauf beſprachen
Zohann Kafimir und Friedrid) Wilhelm in einer Bufammenfunft zu
Bromberg mit einander, wie fie fid) gemeinfchaftlid, gegen Schweden
ſchützen ſollten. Der Kurfürft traf bier jedoch bei den polnifchen Großen
auf fo viel Erbitterung, daß er dem General Sparr, der mit Truppen in
der Nähe ftand, den Befehl gab, auf Bromberg zu marſchiren und zu
tun, was des Landes Ehre und Wohlfahrt verlange, denn, fügte er
binzu, „die Polen wollen mir leges allbier vorfchreiben". Sparr rücte
an, und unter diefem leifen Drud kam hier denn am 5. November 1657
ein ergängenber Vertrag zuftande, der dem Kurfürften noch bie Herr
Iaften Lauenburg und Bütow als erblichen Beſitz, Elbing (das er
freilich) erft den Schweden entreißen follte) als Pfand für eine fünftige
Zahlung von 400 000 Thalern verſchaffte; dagegen verpflichtete er fich,
ben Polen während dieſes Krieges 4000 Mann Hilfgtruppen zu ftellen,
zu deren Unterhalt ihm 120 000 Thaler und als Pfand für dieſe Summe
die Staroftei Draheim zugefagt wurden.
Um fid) nun gegen die Rache Karls X. zu fihern, der jehr auf
gebracht war und ihm über feine zmweideutige, zuleßt bundbrüchige
150 Erwerbung der Souveränität.
Handlungsweife bie bitterften Vorwürfe machte, verband fi) der Kıkrfürft
aud mit Dänemark und Ofterreih. Diefe Mächte waren freilich ſchlechte
Stüßen; denn die Dänen wurden von Karl X. bald befiegt und «im
März 1658) zum Frieden gezwungen, Leopold von Ofterreich aber zeigte
fd) gegen Brandenburg unzuverläffig und eiferſüchtig. Es zeichnet
Friedrich) Wilhelms großartigen Charakter und beweift, wie er bie
Trummen Wege feiner Politik nur aus Notwehr und zu wirklich würdigen
Zielen ging, daß er bei der Kaiſerwahl, die im Juli 1658 ftattfand,
trotz Habsburgs Ungunft auf deſſen Seite trat. Ludwig XIV. von
Frankreich hatte die größten Anftrengungen gemacht, die deutſche Krone
zu erhalten, durch fein Geld waren bereitS drei Kurfürften für ihn ger
wonnen; da nun Böhmen als öfterreichiiches Erbland hier nicht mit«
ftimmte, fo mußte Brandenburg den Ausſchlag geben. Die Franzofen
boten Geld, aber der Kurfürft, fo hoch gerade er den Wert dieſes Nervs
aller Dinge jhäßen mußte, und fo wenig er aud nad) Sitte der Zeit
gegen bdefien Annahme fid) zu fträuben pflegte, und obwohl er von
Frankreich überhaupt für die Vergrößerung feines Haufes unvergleichlid)
mehr erwarten konnte, als von Öfterreich, entſchied dennoch aus deutfcher
Geſinnung unbedenklich für Leopold.
Unterdeſſen verfolgte Karl X. einen neuen ausſchweifenden Entwurf;
nur ein Königreich ſchien feiner Eroberungsluft ein angemefjenes Ziel; da
es ihm in Polen mißlungen war, fo verfuchte er fein Glüd an Dänemark.
Er ermeuerte bier unter einem guten Vorwande den Krieg, hielt das
däntfche Feftland und die Heineren Infeln befeht, landete im Auguft 1658
° in Geeland und belagerte Kopenhagen. Nachdem er das däniſche Reich
zerftört und Norwegen an fid) geriffen hatte, gedachte er auch den Kur—
fürften nieberzumerfen. Friedrich Wilhelm ließ e8 aber nicht dazu fommen;
er feuerte die Verbündeten an und zog felbft mit feiner ganzen Macht
zur Unterftügung Dänemarks herbei. Mit den Kaiferlichen vereinigt,
drang er in Schleswig-Holftein ein, eroberte 1659 auch Zütland, ließ
die Schweden fogar auf den Infeln angreifen. Im November 1659 ſetzten
die Verbündeten auf einer holändifchen Flotte nach Fühnen über, und
die Tapferkeit des brandenburgifchen Generals v. Duaft war e8, bie
dann bier im Treffen bei Nyborg (am 24. November) zumeift den Sieg
erringen half. Ebenfo eifrig betrieb der Kurfürft in Vorpommern, in
Weitpreußen, in Kurland den Krieg, überall fochten feine Truppen mit.
Karls X. Sache ftand verzweifelt ſchlecht. Während er die eit vor
Kopenhagens Wällen verlor, wurden eine nad) der andern feine Garni»
fonen aus den polnifehen Eroberungen, ja ſchon aus den beutfchen Ber
fißungen vertrieben. Da fand Schweden einen mächtigen Beiftand an
Frankreich, das jeht wie immer ein Freund der Feinde Habsburgs
war. Ludwigs Minifter Mazarin drohte ein Heer nad) Deutfchland zu
Friede zu Oliva. 151
ſchicken, falls man Schweden nicht einen ehrenvollen Frieden bewillige.
Die Holländer, Dänen, Polen waren gern dazu bereit, am eifrigſten
wünſchten die letzteren der Kriegslaſten überhoben zu fein. Der plöß-
liche Tod Karls X. (im Februar 1660) verftärkte ihre friedliche Stim-
mung. Um nicht allein auf dem Kampfplag zu bleiben und die Vorteile
eines allgemeinen Vertrags einzubüßen, mußten nun auch Öfterreidh und
‘Brandenburg gelindere Saiten aufziehen. So wurde bei den Verhand-
Iungen, weldye die Gejandten der Beteiligten fjeit dem Dezember 1659
in Danzig und dem Danziger Dorfe Zoppot unter einander angeknüpft
hatten, die Strömung immer günftiger für Schweden. Vergebens
ftemmte fi) der Kurfürft entgegen, der aus dem Kriegsbrande gern
größeren Gewinn davongetragen hätte, er mußte fid) fügen. Am
3. Mai 1660 wurde dort im Klofter Dliva zwifchen Polen, dem Kaifer
und dem Kurfürften einerfeitS und Schweden andererjeit3 ein Friede
unterzeichnet, ber die Verträge zu Wehlau und Bromberg bejtätigte, im
übrigen alles auf den Stand vor dem Kriege feßte.
Mit Schmerz fah der Kurfürft aud) Diesmal feine Hoffnung auf
Vorpommern geſcheitert. Dennoch, konnte er zufrieden fein. Der fünf
jährige Krieg hatte alle Dftfeeländer ſchwer betroffen, von jeder der teil»
nehmenden Mächte große Opfer an Blut und Geld gefordert, und doch
zuletzt nur einem wefentliche Vorteile gebracht, ihm felbft, dem Kur-
fürften; aber er war aud) der einzige geweſen, der unter allen Wechſeln
der Ereigniffe den Dingen immer eine vorteilhafte Seite abzugewinnen
und allemal ebenfo tapfer dreinzufchlagen als klug zu beredynen verftand.
Die Gegner warfen ihm freilid) vor, feine Staatskunſt fei vol Arglift
und Pfiffigfeit. Aber er konnte ſich mit dem Bewußtfein tröften, daß
fie felbft ihm eine ſolche Politik aufgenötigt; daß er, nicht mächtig
genug, mit Gewalt fie abzuwehren, dur Schlauheit ſich hatte der An—
ſprüche erwehren müflen, die beide Parteien an ihn machten, ımd daß
es feine Pflicht war, das Gut und Blut feiner Unterthanen einzig und
allein für einheimiſche Interefien hinzugeben. Übrigens erhöhte gerade
die Verſchlagenheit feiner Politik das Anfehen, welches der Kurfürft bei
den leitenden Männern Europas genoß; er galt ſchon jept für einen
Meifter der Staatskunft, und man fürdjtete feinen Ehrgeiz um fo
mehr, weil er ſich auch als tapfern und geſchickten Feldherrn bewiefen
hatte,
Und wel, köftliches Gut hatte er gewonnen, — bie Souveränität!
Er ftand mın mit gleichem Recht neben den Herrchern der Erde, wenn
feine Macht auch noch nicht die Höhe der großen Könige und Kaifer
rings erreichte. Unter feinen Landen war nun doch eins, wo er nie
manden als Gott über fi) erfannte; in Deutſchland noch ein Lehnsmann,
war er it Preußen ein volltommen unabhängiger Fürſt. Woran hier
152 Erwerbung ber Souveränität.
feit zwei Sahrhunderten die Herricher, zuerft Die Hochmeifter, dann die
Herzöge, vergebens gerüttelt, die polnifche Lehnshoheit lag jet zer-
trümmert am Boden. Das deutſche Grenzland, das dem Slawentum
ſchon halb im Rachen ſteckte, war mın für immer gerettet, war wieder
deutſch und felbftändig geworden. Damit hat ſich der Hohenzoller Friedrich
Wilhelm ein hohes Verdienft um das ganze deutſche Volk erworben.
Denn Oftpreußen war mehr als ein Stüd Land, e8 war nun ein un?
abhängiger Staat in der Welt; ein Staat, aus deſſen Souveränität erft
das preußijche Königtum, ein „Neubeutichland”, aus deſſen Volkskraft
erft die Erhebung von 1813 hat entftehen können.
Zunãchſt freilicd) diente die Souveränität nur zur Gründung des
Abſolutismus; denn jegt war mit der polniſchen Dberhoheit die Stütze
dahin, an die fid) die preußiſchen Stände noch hätten lehnen Können, und
was wollten ihre vergilbten Pergamente gegen das blanfe Schwert, was
ihre Rechte gegen die Macht ausrichten? Der Kurfürft trat ihnen als
der Herr entgegen, der er fein wollte und im Interefie des Einheitsftants
allerdings auch fein mußte. Während des polniſch-ſchwediſchen Krieges
hatte ihn Die Notwendigkeit entſchuldigt, als er in Preußen troß des
Widerſpruchs felbft feiner dortigen Beamten, der Dberräte, eine Hufen=
und Vermögensftener ausfchrieb und durch feinen Statthalter, den Fürften
Radziwil, ftarfe Lieferungen an Getreide und anderen Kriegsbedürfnifien
eintreiben und Steuer auf Steuer folgen ließ, obwohl das Herzogtum
durd) Die Einfälle der Litauer, Tataren und Polen ſchon 1656 auf große
Strecken verödet, 13 Städte, 249 Dörfer und Höfe, 37 Kirchen ein-
geäfchert, 23000 Menſchen erfchlagen, 34000 in bie Sklaverei fort-
geichleppt waren. Aber die Unzufriedenheit des Landes ftieg zur äußerften
Erbitterung, als der Kurfürft aud) nach dem Frieden gewaltfam und ver-
faflungswidrig verfuhr, als er nicht abließ aus eigener Willkür Steuern
aufzulegen und durch militärifche Exekution von den Verweigernden ein-
zutreiben, als er Die Willfürherrfchaft zu verewigen fich anfchickte, indem er
Städte und Adel einzeln aufforderte, ihm nun als Souverän zu huldigen.
Die Stände entſchloſſen ſich zum emticheidenden Kampfe für ihr Recht,
die Sache mußte endlich zum Austrag kommen. Sie antworteten, die
Huldigung dürfe nur auf dem Landtage und nur gegen Betätigung ber
Landesrechte erfolgen, vor allem müſſe die ungeſetzliche Beſteuerung auf-
hören; und da der Kurfürft auf feinem Sinn beharrte und neue ftrenge
Befehle ſchickte zu Huldigen und zu zahlen, fo wuchs die Aufregung, und
die Stände bereiteten fi) zum offenen Widerftande vor.
Die Seele defelben war der Schöppenmeifter von Königsberg,
Hieronymus Rode, ein Mann von umbeugfamer Willenskraft und
rüdfichtslofer Verwegenheit, banfrot in feinen DVermögensverhältniffen,
aber unerſchütterlich in feinen Abfichten und Anfichten. Durch Wieder
Hieronymus Rode. 153
berftellung des alten polniſch⸗preußiſchen Weſens glaubte er zugleid) feinen
eigenen Nutzen und das Gemeinwohl, an dem ihm nicht weniger lag, am
beften fördern zu können. Ehre und Geld hoffte er dabei für ſich, Recht
und Freiheit für fein Vaterland zu gewinnen. In dem Kurfürften fah
er nur den tyrannifchen Unterdrücer, den Räuber der Rechte feiner
Stadt und des Landes, jener Rechte, die mit Gut und Blut erfauft und
durch fo viele Eide der Landesherren, ja des Kurfürften felber bekräftigt
waren; er hielt es für feine, für aller Preußen heiligfte Pflicht, die Frei-
beiten, die fie von den Vorfahren geerbt, unverfürzt auf ihre Nachkommen
zu bringen. Im diefer Überzeugung, ber Geſetzmäßigkeit feiner Abfichten
fid) bewußt, forderte er feine Mitbürger auf, für die gute Sache mit Leib
und Leben einzutreten. Königsberg beftand damals aus brei Städten,
der Altftadt, dem Kneiphof und dem Löbenicht, die durch einen Magiftrat
und durch die Verfammlung ber Schöppen regiert wurden. Es faßen
Semäßigte in biefen Behörden, aber bei weitem die Mehrzahl derfelben,
fo wie die Maſſe der Bürgerjchaft hing Rode an, der wie ein Volls-
tribun gebot. Auch die meiften Geiftlichen, Lutheraner, die ben refor-
mirten Kurfürften um feines Bekenntniſſes und feiner Toleranz willen
haßten, regten das Volk in Rodes Sinne auf. Von den übrigen Städten
im Herzogtum waren zwar viele mit Königsbergs Haltung nicht ein-
verftanden, da aber andere dieſem beiftimmten und die Hauptftadt für
die natürliche Führerin der übrigen galt, fo konnte Rode wohl jo auf-
treten, als ftehe er an der Spike des ganzen preußiichen Bürgertums.
Er fuchte nun nach Art des preußifchen Bundes von 1440 eine fefte
Bereinigimg der Stände herbeizuführen und Iud ben Adel ein, ſich troß
des kurfürſtlichen Verbots zur Beiprehung ber Lage des Landes in
Königsberg zu verfammeln. Es kamen auch über zweihundert Edelleute
und hielten am 11. Februar 1661 unter dem Vorſitz ihres Führers, des
Generals Albrecht von Kaldftein, auf dem altftäbtifhen Rathauſe eine
Sitzung. Die Unternehmung ſchien Erfolg zu haben; denn der Kurfürft
berief num endlich (im Mai) einen Landtag, und diefer ſprach fich ein-
mütig für das alte Landesrecht aus; felbft die gemäßigtften unter den
Ständen verlangten, der Kurfürft folle ihre Privilegien ungefränft laſſen,
die Königsberger aber erflärten entjchloffen, „fie würden Friedrich Wilhelm
als einen Fürften, der alle Fürften in der Welt an großen Eigenfchaften
übertreffe, freudig empfangen; wenn er aber fäme, fie zu unterdrüden,
fo würden fie Gewalt mit Gewalt abtreiben." Der Statthalter richtete
nichts aus: den Briefen des Kurfürften, der die ſtändiſchen Rechte nur
infofern beftätigen wollte, als fie feiner Souveränität nicht widerſprächen,
der alfo in der That eine bedingungslofe Hulbigung forderte, eine un-
umſchränkte Gewalt in Anſpruch nahm, ſetzten die Stände immer Dies
jelbe unleugbare Thatfache entgegen, der König von Polen habe zu
154 Erwerbung der Souveränität.
Wehlau und Dliva nichts abtreten können, was er nicht befeflen; fie
feien freie Leute gewejen auch unter polnifcher Oberhoheit. Gewalt
" mußte den Knoten löfen. Die Mißvergnügten bedachten fid) feinen Augen-
blid, die Polen um bewaffneten Beiftand anzugehen; ihr Gefichtskreis
reichte noch nad) der Weife des Mittelalters über die engen Grenzen
ihres Sonderweſens nicht hinaus. Sie wollten unter der Herrihaft von
Polen bleiben, um ihre Verfafjungsredjte zu behalten.
Königsberg hatte auf Rodes Anregung den Antrag eingegeben: „Da
die Unterwerfung Preußens unter die Krone Polen zur Zeit des Ordens
nur mit Bewilligung der polnischen Stände geſchehen fei, mithin auch
nur mit deren Bewilligung aufhören dürfe, fo folle die Souveränitäts-
frage auf einem polnifchen Reichstage erledigt werden." Die Oberräte
antworteten mit dem ausbrüdlichen Verbot, Gejandte nach Polen zu
ſchicken. Dennod ging Rode im Februar 1662 nad) Warſchau und
forderte zu bewaffnetem Einfchreiten auf; er trat gleichſam im Namen
aller Städte auf und ſchloß feine Bitte um Hilfe mit der Erklärung,
„die Königsberger wollten eher dem Teufel unterthänig werben, als länger
unter ſolchem Drude leben." Aber der König von Polen ließ es aus
Zurdt vor dem Kurfürften bei wohlwollenden Worten bewenden. Auch
der preußifche Abel täufchte Rodes Erwartungen; er fiel von ber gemein-
famen Sadje ab. Denn als der Kurfürft nad) dem Grundſatz „teile
und herrſche“ auf dem Landtag die Hufenfteuer, die den Abel traf, auf
gab und nur eine Accife verlangte, welche größtenteils von den Städten
getragen werden mußte, fo bewilligte Der Adel diefelbe und ließ fich die
Erklärung gefallen, „da Landesherr und Oberftände die Accife wollten,
fo hätten fi) die Unterftände (die Städte) der Mehrheit zu fügen.“
Damit war es dem Kurfürften gelungen, den Landtag zu fpalten; er
hatte das Spiel ſchon halb gewonnen. Am 25. Oktober 1662 langte
er jelbft mit einer Truppenabteilung in Königsberg an, entichloffen, den
legten Widerftand mit Gewalt zu brechen.
Es kam vor allem darauf an, der Oppofition ihr Haupt zu nehmen.
Der Kurfürft ſchickte daher fogleich nach feiner Ankunft einen Oberften,
er hieß Hille, mit einer Schar Musketiere ab, um Rode feitzunehmen.
Aber die Bürgerfchaft lief mit Stangen und Spieken zufammen und hieb
auf die Soldaten ein, bis dieſe unverrichteter Sache ins Schloß zurüd-
wichen. Befler gelang eine Lift. Der Kurfürft ließ (am 30. Oftober)
die Bürgerſchaft auf die drei Rathäufer entbieten, als gelte es eine Be-
ratung. Unterdefien mußte Oberft Hille mit 100 Dragonern durch die
Stadt ziehen, ſcheinbar um einen Zug Rüftwagen vor Die Stadt zu ge
leiten; plötzlich wandte er um, fperrte mit den Wagen die Straße, wo
Rode wohnte, bemächtigte ſich defielben, der arglos zum Fenſter hinaus-
ſah, umd bradjte ihn eiligft aufs Schloß. Alsbald ließ der Kurfürft,
Ludwig von KRaldftein. 155
was gefchehen, der auf den Rathäufern verfammelten Bürgerſchaft an-
zeigen. Sie nahm die Mitteilung ſchweigend auf; denn fie erfuhr
zugleich, 3000 Soldaten feien im Schloßhofe aufmarſchirt, die Kanonen
vom Schloßplatz, ſowie von dem nahe gelegenen Fort Friedrichsburg
auf die Stadt gerichtet. Die Bürger mußten zufrieden fein, daß ber
Kurfürft nun auf dem Schloß ftatt der roten SKriegsfahne die weiße
Friedensfahne aufziehen ließ und verſprach, mit Rode nur nad) dem
Rechte zu verfahren. Er hielt übrigens fein Verſprechen nicht; zu ge—
fährlich ſchien ihm diefer Mann, um ihn wieber loszulaſſen; er ſchickte
den Gefangenen als einen Hochverräter auf die Feſtung Kolberg, dann
nad) Peiz und ließ ihn dort bis an feinen Tod (1678) in beftändiger,
wenn aud) nicht ftrenger Haft verbleiben.
Die Sadje, weldjer Rode gedient hatte, war feit feinem Falle hoff:
nungslos geworden. Zwar bemog die zähe Ausdauer, mit der die bald
wieder geeinigten Stände an der Verfaffung fefthielten, und der allge
meine Unmille des Landes den Kurfürften, jo weit nachzugeben, daß er
am 12. März 1663 in der „Affecuranz“ urkundlich umd auf fürftliche
Treue und Glauben alle hergebradhten Privilegien der Stände beftätigte
und verhieß, ohne Rat und Bewilligung des Landtags weder Steuern
aufzulegen noch Krieg anzufangen. Auch nahm er (am 1. Mai) die
Acciſe zurüd und räumte den Oberräten in gewiflen Landesfachen einige
Selbftänbdigkeit ein. Aber alles dies that er nur, um endlich Die Hul-
digung des Landes zu erlangen. Nachdem fie am 18. Oktober 1663 im
Schloß zu Königsberg erfolgt war — in Gegenwart polnifcher Gejanbten
empfing der Kurfürft, auf einem rotfamtnen Throne figend, den Eid der
Eheleute, der Abgeordneten der Städte und Zünfte umd aller Beamten;
fie ſchworen, daß fte ihn für ihren alleinigen, wahren und unmittelbaren
Oberherrn erfännten und ſich durch nichts davon wollten abbringen
lafien, — feitbem trat Friedrich Wilhelm in Preußen als unumfchräntter
Herr auf. Wenn er noch Hin und wieder ben Landtag berief, fo ge
ftattete er ihm nur über die Art und Weife der Erhebung, nicht über die
Bewilligung der Steuern zu entjcheiden. An feinen Eid band er fi
nicht; er Heß die ftändifchen Privilegien nur dann gelten, wenn fie ihm
nicht fehadeten. Die Beſchwerden bes Landtags eben jo wie ber freien
Bauern, auf denen die Laft der Einquartierung und ber immer wad}-
fenden Auflagen am härteften drücte, waren vergebens.
Noch einmal rührten fi die Unzufriedenen. Im März 1669 erſchien
der Oberft Ludwig von Kaldftein, wie fein Vater der General, ein
leidenfchaftlicher Feind des Kurfürften, in Warſchau, um dort im Verein
mit Rodes Sohne den König und die Großen zu bewegen, baf fie bie
preußiſchen Stände, in deren Auftrag er zu kommen vorgab, gegen bie
brandenburgifche Willkürherrſchaft unterjtüßten. Er behte die Polen
156 Erwerbung der Souveränität.
immer heftiger auf und ging felbft fo weit, den brandenburgifehen Ge-
fandten von Brandt vor verfammeltem Reichstage gröblich zu beleidigen.
Allein er konnte einen Krieg nicht entzünden und beftegelte nur fein
eigenes Verderben. Denn der Kurfürft bewies, daß fein Arm aud) bis
Warſchau reiche. Brandt mußte, da die Polen den Hochverräter ſchlechter⸗
dings nicht ausliefern wollten, fich deſſelben mit Lift und Gewalt be—
mächtigen. Als ihn Kaldftein eines Tages befuchte, Tieß er ihm durch
verftecht gehaltene brandenburgifche Soldaten — es war eine eine Ab-
teilung Dragoner unter Hauptmann Montgommery — überfallen, binden
und fnebeln, dann in eine Tapete wiceln und fchleunigft zu Wagen von
Warſchau nad) Preußen ſchaffen (am 28. November 1670). Er jelbft
flüchtete bald nach der kecken That und empfing von feinem Herrn, um
die Erbitterung der Polen zu bejänftigen, zum Schein eine Strafe,
fpäter defto reichlicheren Lohn. Kaldftein aber wurde von Furfürftlichen
Richtern als Hochverräter verurteilt und am 8. November 1672 zu
Memel Hingerichtet. Er erlitt fein Unglück ebenſo ftandhaft und ruhig
wie Rode, mit dem er den guten Glauben an fein Recht teilte, obwohl
and) er feineswegs ganz uneigennüßige und reine Abfichten verfolgt
hatte.
Alles Widerftreben half alfo nichts. Durch Drehen und Deuteln,
Verſprechen und Drohen, zulegt mit offener Gewalt, die vor feinen
Rechtsbruch zurückſcheute, brachte der Kurfürft die preußifche Verfafjung
auf den Fuß der brandenburgijchen, verwandelte fie aus einer Art von
Adelsrepublif in eine unumſchränkte Monardjie, wo niemand Recht hatte
als der Fürft.
Mit gleicher Energie wie am Pregel bradjte er aud) am Rhein und
an ber Elbe fein landesherrliches Anfehen zur Geltung. In Kleve
hatten fid) die Stände, die frühere umnfichere Stellung der Landes-
herrſchaft benutzend, Rechte ertroßt, die dem Fürſten nicht viel mehr als
den Titel übrig ließen. Friedrich Wilhelm fügte ſich diefem Verhältnis,
fo lange er mußte. Als ihm ber olivaer Friede die Hände frei machte,
war eine feiner erften Mafregeln ein Staatsftreid gegen die kleviſche
Verfafſung. Alle Beſtimmungen derfelben, die ihn zu fehr beengten —
namentlid) daß er ohne Erlaubnis der Stände nicht Truppen ins Land
bringen, noch folche dort werben dürfe, fowie daß die Stände befugt
feien, zum Schuß ihrer Privilegien ſich eigenmächtig zu verfammeln und
Widerftand zu leiften — hob er auf, ftellte die übrigen Geſetze zu einer
neuen Verfafjung zufammen und erzwang durch Androhung militärifcher
Erekution die Annahme derjelben durch den Landtag (3. November 1660).
In Magdeburg hatte er überhaupt noch Fein Regierungsredht,
aber doc) eine nahe Anwartſchaft. Auch hatten ihm die Stände bes
Landes (am 4. April 1650 zu Großfalza) die Eventualhuldigung ge—
Erbverglei zu Kleve. 157
leiſtet. Nur die Stadt Magdeburg verweigerte dieſe; fie beanjpruchte
die Stellung einer freien Reichsſtadt. Auch hier endete der Kurfürft den
Streit zulegt durch raſche Gewalttat. Im Frühling 1666 ließ er plöß-
lid) einige Regimenter unter dem Feldmarſchall Sparr in die Nähe der
Stadt rüden und befahl drohend Unterwerfung. Beftürzt, zu ſchwach
einen ſolchen Kampf zu beftehen, ergaben ſich die Magdeburger; durch
Vertrag vom 6. Juni 1666 zu Klofter Bergen willigten fie ein, branden-
burgifche Befagung einzunehmen und dem Kurfürften die Huldigung zu
leiften; am 23. Juni fand letztere ftatt; die wichtige Elbfeftung, das
Hauptthor zu den Marken, war brandenburgifd).
In demfelben Jahre, doch auf friedlichem Wege, beendete der Kur-
fürft einen langen Streit, den er wegen feiner rheinifchen Lande mit dem
Haufe Pfalz Neuburg gehabt hatte. Er war der Anficht, die Teilung
vom Jahre 1614 fei feine gerechte gewefen, zumal da Ravenftein dem
Haufe Brandenburg vorenthalten worden. Sehe man den Wert ber
geſamten jülichſchen Erbſchaft = 100, fo fei Zülih = 38, Kleve = 20,
Berg = 18, die Grafihaft Markt = 14, Ravensberg = 6, Raven-
ftein = 4; der Pfalzgraf habe alfo ftatt der Hälfte, die ihm gebühre,
drei Fünftel inne. Diefer brachte dagegen mancherlei Gründe der
Billigkeit vor. Der Kurfürft entfchloß fi nun, die Sache zu gütlichen
Austrag zu bringen. Im Erbvergleich zu Kleve (am 19. September
1666) begrügte er fid) mit Kleve, Mark und Ravensberg und ließ fi
dann für Ravenftein mit einer Geldfumme abfinden. Er gewann dadurd)
an dem Herzog von Zülich-Berg einen Yreund, der feitdem treue Nach-
barſchaft hielt, und fein Regiment in Kleve ſchlug defto feſtere Wurzeln.
So ſchaffte ſich Friedrich Wilhelm zum Pflegen und Schützen feines
jungen Staates überall freie Hand. Inzwiſchen dauerte feine Arbeit
auch in der Verwaltung erfolgreich fort, bejonders im Kriegs» und
Finanzfach. Schon im Jahre 1656 hatte er dem Heere ein „Kriegsrecht”
gegeben, welches alle Verhältniſſe desfelben ordnete; 1665 wurde e8 in
deutſcher Sprache (ftatt der in Rechtsbüchern Damals üblichen Tateinifchen)
neu herausgegeben, aud) ein fürmliches „Übungs-Reglement" hinzu-
gefügt. Zwei Jahre darauf (1667) feßte er die längftgewünfchte Steuer-
reform wenigjtens in einem Zeile feiner Staaten durch. An bie Stelle
einer fehr drüdenden und doch wenig einträglicyen Abgabe, der „Kon-
tribution", trat zunächft in den Städten der Mark Brandenburg eine Be-
fteuerung gewifjer Lebensmittel und Handelsgegenftände, die Accife. Sie
traf alle Einwohner gleihmäßig, wurde daher ohne Beſchwerde getragen
und führte doc) große und regelmäßige Einnahmen herbei, welde dazu
verwandt wurben, den Unterhalt des Heeres fiherer zu ftellen. Freilich
auch bei der Ordnung des Steuerwefens bereicherte fid, der Staat wieder
auf Koften einzelner. Zu den wichtigften Privilegien der Ritterſchaft ge»
158 Erwerbung ber Souveränität.
hörte e8, daß fie, abgejehen von dem Lehnspferde und der Grumdfteuer,
die ihre Hinterfaffen aufbrachten, fteuerfrei war; dieſes Vorrecht beſchnitt
nun der Kurfürft auf jede Weife und verbot bejonders, die adlige
Steuerfreiheit auf diejenigen Güter auszudehnen, welche der Adel im
Laufe der Zeit von den verarmten Bauern an fid) gebracht hatte. Auch
die Pfarrer, Freiſaſſen und Schulzen waren bisher von manchen Steuern
frei gewefen, fie blieben jet nur in dem Yalle bevorredhtet, wenn fie
ihre Privilegien durdy Urkunden beweiſen fonnten; eine ſchwierige Auf-
gabe, denn wie viele Dokumente waren in der langen Kriegszeit ver
loren gegangen! ine andere Geldquelle eröffnete ſich der Kurfürft in
mandjerlei Monopolen, bejonders in dem Alleinhandel mit Salz und
Mühlſteinen. Heilfamer war die Finanzmaßregel, die er 1666 vornahm;
er hob nämlich die Münzgerechtigfeiten aller Städte auf und nahm das
Münzrecht ganz an ſich.
Auch das dritte Machtmittel außer dem Heere und den Finanzen,
das Beamtentum, wurde nad) Erwerbung der Souveränität noch nutz⸗
barer gemacht. Der Kurfürft jeßte in alle Stellen, wo es nach den
Landesverfafjungen nur immer anging, ohne Unterjchied Brandenburger
und Preußen, Pommern und Nheinländer und beförderte fo die Ver—
ſchmelzung der Landſchaften zu einem Staate; zugleich aber gemöhnte
er alle Beamten, ben Weifungen, die vom Mittelpunkt des Staats, aus
dem Kabinet ober dem Geheimen-Rat, famen, unbedingt zu gehorchen,
was einerfeitö feinen Abfolutismus ftärfte, andrerfeits erft eine einheitliche
und folgeredjte Verwaltung ermöglichte. So bahnte er die Bentralifation
des Staates An.
Friedrich Wilhelms befte Rechtfertigung liegt in feinen Leiftungen;
er gab den Unterthanen mehr, als er ihnen nahm. Diejelbe Ber
ſchraͤnktheit, mit der das Volt alles Heil in dem veralteten Sonder-
vorrechten ſah, zeigte fi) in feinen Mangel an Unternehmungsgeift, in
feinem Beharren bei dem gewohnten Saumfal. Es that ein Zreiber
not, die Kräfte zu weden und auf die rechte Stelle zu wenden. Dies
iſt im fiehzehnten und achtzehnten Jahrhundert das Amt des abfoluten
Herrſchers geweſen; der große Kurfürft führte es jeßt, nachdem jeder
Widerftand gebrochen war, mit voller Kraft. Er zog nicht mur, wie
früher, fremde Anftebler herbei, um die verödeten Feuerftellen wieder an-
zubauen; er verorbnete auch, daß jüngere Bauernföhne wüfte Höfe an-
nehmen müßten, befahl, die mit Fichten bewachſenen wüften Ader von
den Wölfen zu jäubern und wieber urbar zu machen, gab, ohne fi) um
die engherzigen Zunftgeſetze zu kümmern, denen, die fi auf verlafienen
Stellen in den Städten anbauten, Bürgerrecht und erleichterte die Auf-
nahme in Die Gewerke, verbot den Bünften gewifje Klaſſen, 3. B. die
Kinder von Schäfern, auszuſchließen, erklärte diefe für ehrlich. So
Friedrich · Wilhelms · Kanal. 169
ſchaffte er auch das Edikt von 1573 ab, welches den Juden verbot,
fih in der Mark niederzulafien, und öffnete den im Jahre 1670 aus
Öfterreich verjagten feine Staaten; doch nahm er nur eine bejtimmte
Anzahl füdifcher Familien auf, denen er dann gegen eine beftimmte Ab-
gabe erlaubte Handel zu treiben. Daß feine Bevormundung fehr nötig
war, bewies ber Buftand der Haupt» und Refidenzftadt Berlin. Nach
alter Weile ſah es um die Reinlichfeit ihrer Straßen gar übel aus; an
vielen Häufern ragten die Schweineftälle auf den Weg. Dagegen fchritt
der Kurfürft ſchon 1660 mit einer neuen Gafjenordnung ein. In und
bei der Stadt ftritten fi) auf manchen Strecken Gebüſch und Sumpf
um bie Herrihaft; auch bier legte der Kurfürft felbft Hand ans Wert,
ließ (1670) den „Friedrichswerder“ austrocknen und ausroden; von ihm
rührt ferner der erfte Anfang der Sriedrichftabt und der Dorotheenftadt
her (1673). Biel that zum Aufkommen der Städte feine beffere Art zu
befteuern; die Berliner fchrieben es der Einführung der gerechten Acciſe
zu, daß der Bürger feine Laft nun leichter trug und Daß binnen zwei
Jahren in Berlin 150 Häufer wiederhergeftellt oder neu erbaut werben
Tonnten.
Der Kurfürft that aber auch viel, was dem Nährftand unmittelbar
nügte. Er ermunterte zum Bau von Fabriken und ging darin felbft
voran, errichtete in Marienwalde, Regenthin, Joachimsthal Glashütten,
in Peiz und Rathenow Eifenhämmer, in Wiefenthal einen Blechhammer.
Ein Verbot ausländifcher Waren ſchützte die junge einheimtfche Induſtrie.
Die meiften Verdienfte erwarb er fid) um den Handel, beſonders durch
den Bau des drei Meilen langen Friedrich-Wilhelms-Kanals bei
Mülrofe zwiſchen Oder und Spree. Man arbeitete daran ſechs Jahre
lang (1662 — 1668); bie leitenden Baumeifter waren der Piemonteſe
Philipp von Chiefe*) und der Brandenburger Ernſt Blefendorf; die
Brüden und Schleufen baute der Holländer Smids. Am 28. März 1669
fuhren die erften Kaufmannsſchiffe, fünf große Kähne von Breslau, durch
den Graben und langten am 4. April in Berlin an, von wo die Waren
nad) Hamburg verfehifft wurden. Bald darauf kamen dann hamburger
Schiffe durd den Kanal nad) Breslau und Frankfurt. Es war mit
diefem Werke des großen Kurfürften wie mit den anderen: einzelne fanıen
dadurch in Schaden, aber das Ganze gewann ungemein. Bisher hatte
nämlich Frankfurt a. D. ben Stapel zwifchen der Mark und Polen ge-
Habt und war der Mittelpunkt des Oderhandels geweſen; diefe Vorteile
büßte es nun zum großen Zeil ein. Dagegen brachte die neue Straße
nicht bloß Berlins Handel, das jept in ber Mitte eines Waſſerweges
®) Erfinder jener Wagen (Chaiſen), die man nad; der Stabt, wo fie zuerft gebaut
wurden, Berlinen nannte,
160 Erwerbung der Souberänität,
zwiſchen den großen Pläßen Hamburg und Breslau lag, fondern auch
den gejamten Berfehr der Marken in unvergleichlich höhern Schwung.
Damit aud) die Unterthanen das ihrige thäten, dem Kaufmann die
Wege zu ebnen, befahl der Kurfürft, überall die Brüden, Damme und’
Wege auszubefiern, auch Krüge und Wirtshäufer an den Landftraßen
anzulegen. Er trieb im Kleinen wie im Großen zum Fortſchritt.
Wie er aus allem, was er gering und vernachläffigt überkam, wenn
es brauchbar war, etwas Tüchtiges zu machen wußte, dafür zeugt bie
herrliche Bibliothef, die er gegründet hat. Im Schlofje zu Berlin fand
er einmal auf dem Boden unter dem Dad; eine Menge von Büchern
liegen, Erbftüde von Johann Cicero und Joachim I.; er beſchloß auf
der Stelle, aus ihnen eine rechte „Geiftesnahrung” herzuftellen, berief den
gelehrten Johann Rave als Oberbibliothefar, übergab ihm die Bücher,
ließ fie (1661) in einem befonderen Flügel des Schloffes aufftellen und
wies einige Heine Einkünfte an, um fie fortwährend zu vermehren; durch
Ankauf, Schenkungen, auch durch Freieremplare, die jede Buchhandlung
des Landes von allen neuen Werfen einfenden mußte, ift die Bibliothek
dann raſch gewachſen. In einem Nebenzimmer ließ der Kurfürjt ein
Antiken-, Kunft- und Naturalien-Rabinet einrichten, für welches er eben-
falls eifrig ſammelte.
Die energifche Schöpferkraft, mit der er fo viel Neues umd Großes
ins Leben rief und bei frifchem Leben erhielt, war nüßlichen Vorſchlägen
leicht zugewandt; er lehnte einen Antrag nie darum ab, weil er zwar
viel verjprechend, aber ſchwierig oder abenteuerlich ausſah. Es drängten
fid) daher auch Leute an ihn mit Entwürfen, die unter dem Schein ber
Gemeinnützigkeit nur die Bereicherung des Projeftenmachers bezweckten.
Der Kurfürft ließ ſich indeffen felten und nie lange täufchen; fein ſcharf
auf das Wejentliche gerichteter Blick wurde durch feine lebendige Phan-
tafie zuweilen abgelenkt, doc fand er ſich allemal bald wieder zurecht.
So täufchte ihn zwar aud) die Alchymie; er glaubte an fie, wie man es
damals allgemein that; aber er hielt darauf, daß ihm für fein Gelb
doch auf jeden Fall irgend etwas Nützliches geichafft werde; und fo fand
denn der Leiter feines Laboratoriums (auf der Pfaueninfel bei Potsdam),
der Holfteiner Kundel, zwar nicht die Kunft Gold zu machen, aber
die Kunft, das Nubinglas zu bereiten. Faſt ebenfo phantaftifd wie
die Alchymie, aber edel und ſchön war der Plan einer „Univerfal-
Univerfität" und „Gelehrtenrepublif”, den ihm (1666) der ſchwediſche
Reichsrat Benedikt Skytte voll Begeifterung für die Wiſſenſchaften vor—
trug. Der Kurfürft follte eine mwohlgelegene Stadt in der Mark, etwa
Tangermünde, zur Treiftätte für alle Gelehrten und Künftler der ganzen
Welt umwandeln; bier follten Jünger und Freunde der Mufen, die in
ihrem Vaterlande aus religiöfen oder politifchen Gründen verfolgt
Toleranz. 161
würben, fi) anfiedeln, hier volle kirchliche und bürgerliche Freiheit finden,
um ganz ihren Studien zu leben. Diefe Gelehrtenftadt follte unter des
Kurfürften Schutz und Oberhoheit ſich felbft regieren und ein ewiger
Triebe ihr Vorreht, das Latein ihre gemeinfame Sprache fein. Dan
würden gebildete Fremde in Maffe einziehen und mit dem geiftigen Ver-
mögen auch die materiellen Mittel der Mark außerordentlich vermehren.
Friedrich Wilhelm ergriff lebhaft dieſen glänzenden Plan; er gedachte
allen Ernftes, ihn zu verwirklichen. So erſchien denn, am 22. April
1667 vom Kurfürften unterzeichnet, ein „Sründungspatent für die neue
brandenburgifche Univerfität der Völker, Wiſſenſchaften und Künſte“,
welches allen Nationen und Sekten, auch Juden, Muhamedanern und
Heiden, wenn fie ihre Irrtümer für fi behielten und als ehrliche Bürger
lebten, in diefer neuen Stadt, dem „Sih der Mufen, Tempel der Wiffen-
haften, Werkftatt der Künfte, Zufluchtsort der Tugend und Königsſitz
ber erhabenften Herricherin der Welt, der Weisheit“, gleiches Bürgerrecht,
republifanifche Verfafſung und ewigen Frieden verhieß. Allein Skyttes
Prophezeiung, die Gelehrten und Reichen würden nım aus allen Ländern
nad) der Mark, wie nad) einem gelobten Lande, ftrömen, um Bürger ber
neuen Weltimiverfität zu werben, ging nicht in Erfüllung, und ber Plan
blieb auf dem Papiere liegen.
Zu den jchönften Zierden dieſes idealen Baues gehörte die religiöfe
Duldung, die hier herrſchen follte; der große Kurfürft, auch hierin feinem
Volke weit voraus, hatte fie immer geübt, aber der Abfolutismus gab
ihm dazu erft die rechte Kraft. Wie läfterlic) verfegerten ſich noch immer
feine Unterthanen! wäre es nad) ihrem Willen gegangen, fie hätten
feinen Andersgläubigen unter fid) geduldet. Zum Glüd hatten nicht fie,
fondern ihr erleuchteter Fürft die Macht. Schon 1661 erlaubte er den
Socinianern, die, weil fie über die Dreieinigfeit anders dachten als die
Evangeliſchen und Katholifhen, aus Polen vertrieben waren, fi) an
verödeten Stellen in Preußen anzuſiedeln. Welchen Schrei bes Un-
willens erhoben darüber die preußifchen Stände! Und doch waren bie
Soeinianer friedliche, ftille Leute, die ehrlich umd fittlich das wüfte Land
bauten. Es koftete dem Kurfürften viele Mühe, fie vor den Verfolgungen
der Stände zu fehlen; aber er fchüßte fie. Einen ebenfo harten Kampf
gegen die Unduldſamkeit hatte er in der Mark durchzufechten. Hier
hörten die Zänfereien der lutheriſchen ımd reformirten Geiftlichen nicht
auf, und namentlich die Lehrer vom „grauen Klofter” in Berlin thaten
fi) in Schmähungen gegen die Kalviniften hervor. Unter den Luthe-
ranern felbft haderte man wieder über Die Zeufelaustreibung. Der Kurs
fürft verſuchte es zuerft mit vernümftigem Bureden, veranftaltete (1662)
zu Berlin ein Religionsgeſpräch zwiſchen Geiftlihen der beiden Be—
fenntniffe; allein. dies Mittel verfing jetzt jo wenig wie je; die Zank—
Bierfon, preub. Geſchichte. 1. 1
162 Erwerbung der Souveränität.
füchtigeren blieben dabei, Nebendinge zu behandeln, als ob daran das
Seelenheil hänge. Da ſchritt denn der Kurfürft mit Strenge ein. Er
verbot (1664) beiden Zeilen, auf der Kanzel einander zu ſchmähen, und
geftattete, die Kinder auf Verlangen der Eltern ohne Teufelaustreibung
zu taufen. Diefes Edift mußten die märkifchen Geiftlichen unterfchreiben;
über zweihundert fügten fi), andere verweigerten es ftandhaft. Um
durch ein Beiſpiel zu fchreden, feßte der Kurfürft zwei von den Unge-
horſamen ab; einer berjelben war ber berühmte Lieberbichter Paul
Gerhardt). Seit 1657 Diakonus an ber Niklolaikirche zu Berlin,
hatte er fi) hier durch frommen Lebenswandel und forgfame Geelforge,
fowie durch feine ſchönen Kirchenlieder die allgemeine Liebe und Achtung
erworben. Ganz Berlin bat um feine Begnadigung; der Kurfürft ge
währte fie (im Januar 1667), ſprach aber die Erwartung aus, daß Ger-
Hardt wenigftens fich nad) dem Sinne des Edilts richten werde. Allein
dieſer achtete die Freiheit des Predigtamts zu hoch, um dem Kurfürften
darauf auch nur den allergeringften Einfluß einzuräumen; er gab daher
nun freiwillig fein Amt auf und zog mit rau und Kindern nad) feiner
Heimat Sachſen, wo er einen neuen Wirkungsfreis (als Prediger in Lübben)
fand. So achtungswert Gerhardts Überzeugungstreue auch war, der Kur-
fürft hatte von feinem Standpunkte gewiß Recht, wenn er dem ärgerlichen
Hader ein für allemal einen Riegel vorjchieben wollte. Die Unparteilich-
teit, mit der er alle Sekten in feinem Staate zwang Frieden zu halten,
ift ihm um fo höher anzurechnen, da er feineswegs inbifferent, fonbern
vielmehr feinem reformirten Glauben treu ergeben war. Er hat die Auf⸗
richtigkeit feines Bekenntniſſes oft genug bewieſen; am beutlichften, als
ihm eine anfehnliche Partei in Polen 1667 den Thron anbot. Friedrich
Wilhelm lehnte den Antrag entſchieden ab, weil er dann hätte katholiſch
werden müflen; und als ber polntfche Krongroßfeldherr Lubomirski
meinte, „e8 fomme nur darauf an, ein par Mal die Meſſe zu hören,
übrigens könne er ja glauben, was er wolle, und die Krone fei wohl eine
Mefie wert" — ließ ber Kurfürft durch feinen Gefandten v. Hoverbeck
antworten, „er werbe feinem Glauben nie, aud) nicht zum Scheine untreu
werben; er hätte wohl Kaiſer werben können, wenn er bie Religion hätte
ändern wollen". So entiprangen aud) die Übrigen Anordnungen, die er
als Landesbiſchof traf, die Mafregeln zur Hebung der gefunfenen Kirchens
zucht, die Verbote wider das Fluchen und Läftern und wider die Sabbat-
entheiligung, die häufigen Bettage, bei ihm ebenfowohl aus echter Fröm⸗
migfeit als aus weiſer Staatsfunft.
Das war bie Art, wie er bie Souveränität handhabte; fie gereichte
in Staat und Kirche dem Ganzen zum Heil, und ſchon am Ende bes
*) Geboren 1606 zu Gräfenhainichen, geftorben 1676 zu Lübben.
Fehrbellin. 163
erften Jahrzehnts nad) dem Frieden von Oliva wurde die Schöpfung des
großen Kurfürften von fremben Staatsmännern mit Bewunderung be
trachtet. Wenn die Unterthanen Die großartige und Heilfame Veränderung,
die mit dem Staate vorging, auch noch nicht begriffen, ihr Fürft durfte
jagen, daß er fein Thum glaube vor Gott verantworten zu Minen. So
betrachtet Löft ſich der Widerſpruch, daß Friedrich Wilhelm nie die Palmen
md das Neue-Teftament von ſich ließ und gleichwohl fo oft und ſchwer
bie Rechte feiner Stände kränkte,
Aber noch fragte es ſich, ob nicht das Gute, was geleiftet wurde,
auch ohne dieſe harte Belaftung des Volks, Über die man klagte, ge
ſchehen konnte, ob nicht die Militärmacht, die der neue Staat fein follte
und die fo viel Steuern forderte, eine Chimäre, nicht die Someränität
dem Auslande gegenüber ein eitler Zitel wär. Die Zeit kam fchnel,
diefe Zweifel zu löſen.
Schrhellin.
Was das Hans Habsburg Im dreißigfährigen Kriege an Macht und
Anfehen in Europa verloren, das hatte zumeifl Frankreich gewonnen.
Diefer Staat war durdy die Auge und energiſche Politik der Minifter
Nichelien und Mazarm zu einer in ſich feſt geeinten, ſtarken Monarchie
ausgebildet worden; durch Ludwig XIV. wurde jeßt fein höchſtes Lebens-
prinzip der Mbfolutismus. Worten war Hier der König der Inbegriff
alles Kechts und aller ®ewalt, und des Königs Befriedigung der Zec
des ganzen Staats, wie Lubwigs berüchtigtes „Iötat o’est moi“ es in
äußerfter Schroffheit ausſprach. Alle Kräfte dieſes großen Reichs, alles
Geld, alle Fäufte und Talente, alle Leiber und Geifter, ftanden ihm zu
unbebingter Verfügung. Ein Fürſt von fo ungeheurer Machtfülle war
eine Gefahr für ganz Europa, ein Verderber feiner fchmärheren Nach ⸗
bar, wenn er feinen Willen. gegen fie Tehrte. Und Ludwig XIV. war
dazu entichloffen, die Welt follte feinen Willen als Geſetz aufnehmen.
Sein vaftlofer Chrgeiz, feine brennende Herrſchſucht ftellten ihm Die Auf»
gebe, an ber bie Habsburger geicheitert waren: eine Univerſalmonarchie
zu gründen. Er ging dabei mit großem Geſchick zu Werke; er Hatte
Überdies ben ungemeinen Vorteil, Daß an ber Spitze der anderen Groß⸗
ſtaaten in Europa damals unfähige Männer flanden, und daß bie Ver-
faflung feiner bebeutendften. Nachbarn bie elendefte von der Welt war.
Zumal das beutfche Reid), durch dem breißigjährigen Krieg zerrüttet,
durch den weſtfältſchen Frieden zu ewiger Ohmmacht verurteilt, bot troß
feiner Otöße und ber Steeitbarfeit feiner Bölfer ällen Raub- umb Herrſch-
gelüften bes Auslands leichte Beute bar, ein Tummelplap fremder Ränte
und frember Kriege. Die Kleinftanten, beſonders die deutfchen, hatten
11*
164 Fehrbellin.
zwar manchen tüchtigen Herrſcher aufzuweiſen; aber ihre ſchlechten Leiden⸗
ſchaften, die Eiferſucht, die Habſucht, ließen ſich leicht in den reich loh—
nenden Dienſt des franzöfſiſchen Großkönigs bringen. So gelang. es
dieſem, mit Lift und Gewalt die Leitung der europäiſchen Dinge an ſich
zu reißen und faft ein halbes Jahrhundert lang zu behaupten. Zwei
Zürften von vergleichsweiſe geringer Macht reiteten Europa vor völliger
Unterjo_hung, der erfte hemmte Ludwigs allzuhohen Aufſchwung, der
zweite drückte ihn nieder; der eine war der große Kurfürft, der andere
der große Oranier.
Friedrich Wilhelm hatte bereits einen fo -hohen Ruf als Feldherr
und Stäatsmann erlangt, feine Kriegsmittel waren bereits fo beträchtlich,
daß ſchon etwas darauf ankam, welche Partei er in den Welthändeln
ergriff; er konnte den Ausichlag geben. Das wußte er ſehr wohl und.
fuchte es zum Vorteil feines Staates zu benupen. Mit allen Höfen
Mnüpfte er Verbindungen an, immer bedacht, wie er die Entwidelung der
Dinge zu feinem Nußen wende. Seine Stellung unter den Souveränen
war indes jehr ſchwierig; fie betrachteten ihn mißgünftig oder alt; einige
haßten ihn, weil er auf ihre Koften groß geworben war, andere, weil er
nicht ihren, fondern feinen Interefien gedient hatte. Nur Ludwig XIV.
fuchte aufrichtig feinen Bund, weil er mit feiner Hilfe die Herrſchaft in
Deutſchland zu erringen hoffte, und niemand Tonnte dem Kurfürften
mehr nüßen oder ſchaden als gerade Ludwig XIV. Dennod; blieb Friedrich
Wilhelm ber Sache Deutfchlands getreu und trat in der Entſcheidungs⸗
ftunde allemal gegen Frankreich auf, das er dann unter allen deutſchen
Fürften am fräftigften befämpfte. So ward der Staat, den er gegründet,
ſchon unter ihm Deutſchlands Schwert.
Der aachener Friebe, in welchem die Tripel-Allianz Englands, Hol
lands und Schwedens den franzöfifchen König 1668 nötigte, den größten
Zeil ber ſpaniſchen Niederlande, nachdem er fie rajch erobert, wieder
fahren zu laſſen, hatte Ludwigs Stolz ſchwer verlegt, während feine
Raubfucht, wie die des Tigers, der Blut gelecdt, nur heißer entflammt
war. Er brütete Radje. England und Schweden waren durch das
Meer oder die Entfernung geihüßt; aber die Holländer, dieſes kleine
Krämervolf vor feiner Thür, das feine Entwürfe zu durchkreuzen und ben
großen Monarchen Frankreichs zu beleidigen gewagt, fie follten ſchwer
büßen. Ohnehin reizte ihr republifanifches Wefen, bejonders die freie
Prefie, die bei ihnen über feinen Despotismus zu Gericht faß, feinen
Born, ihr reiches, ſeemächtiges Land feine Habſucht. Er beſchloß fie zu
vereinzeln und dann zu überfallen. Sein Gelb ebnete ihm alle Wege, es
fprengte die Tripel-Allianz und mächte den liederlihen König Karl II.
von England wie bie ſchwediſchen Minifter zu feinen Söldnern; es brachte
auch dag öſterreichiſche Minifterium auf feine Seite und verftärkte die
Ludwig XIV. 165
-franzöftiche Partei unter den beutfchen Fürften, indem es ben bewaffneten
Beiftand der Biſchöfe von Köln und von Münfter und der Herzöge von
Xüneburg erfaufte. Gern hätte Lubwig auch den Kurfürften von Bran-
denburg, die größte Macht in Rorbdeutichland, gewonnen; er bot ihm
einen Anteil an der in Holland zu erwartenden Beute, er mifchte geſchickt
Schmeicheleien, Verſprechungen und Drohungen; er bat endlich, wenig.
ſtens parteilos zu bleiben. Aber Friedrich Wilhelm vergaß großmätig,
wie kalt ihn Die Holländer immer behandelt hatten, wie fie ſich immer
noch weigerten, die Hevifchen Feſtungen herauszugeben, die fie als Pfand
für eine alte Schuld*) bejeßt hielten; er ließ ſich auch dadurch nicht
irren, daß fie feine Warnungen mißtrauiſch abwiefen und Feine Anftalten
trafen, ſich gegen ben nahenden Sturm zu rüften. Er dachte jetzt mır
an Europas und Deutjchlands Gefahr und ohne zu wägen, ob er für
feine Hilfe viel oder wenig Dank und Lohn zu erwarten habe, beichloß
er ben Bebrohten beizufpringen. Denn „wenn des Nachbars Haus
brennt“, meinte er, „fo gilt e8 dem eigenen“ und „was neutral zu
fein ift, habe ich ſchon vor biefem erfahren; man wird dabei
allemal übel traftiret. Ich habe auch verſchworen, mein lebe
lang nicht neutral zu fein, und würde mein Gewiffen damit
befhweren.“ Da nun Ludwig XIV. ſah, der Kurfürft wolle im Not»
fall auch ganz allein Holland verteidigen, fo bewog er die Schweden
insgeheim zu bem Verſprechen, für franzöfiſche Hilfsgelder jeden Reichs-
ſtand anzugreifen, der den Holländern beiſtehen würde. Der Kurfürft
ahnte es; dennoch blieb er feſt, und als nun im Mai 1672 Frankreich
und deffen Verbünbete unter nichtigen Vorwänden an Holland ben Krieg
erflärten und es zu Wafler und zu Lande mit ungeheurer Übermadjt
anfielen, als zugleich, franzöfti—he Truppen ins beutiche Neid, drangen
und im Bunde mit dem Erzbifchof Kurköln bejegten, da war es, wie
ein oͤſterreichiſch gefinnter Gejchichtichreiber gefteht, „allein aus fo vielen
deutfchen Yürften der Brandenburger, der aus wohlverftandener oder
angeborner Großmut und Baterlandsliebe ohne Wanken für die Ber
drängten zum Schwert griff." **) Holland fehwebte in der That hart am
Rande des Abgrunds; denn da hier die republifantfche Partei, um den
Einfluß des Prinzen von Dranien nieberzuhalten, das Landheer ver»
nachläffigt hatte, fo Tonnten die Franzoſen unter Türenne das unvor-
bereitete Land alsbald bis Amfterbam Hin überſchwemmen. In diefer
Rot ſchöpften fie nun Troft und Mut zum Widerftande aus den Maß-
H Die ſogenannte Hoehierihe Schuld, die, von Johann Sigismund Aufgenommen,
nun durch Binfeszins don urfprüngfih 100000 Thalern auf zwölf Milionen Gulden an-
gewachſen war.
) Wagner, hist. Leopoldi Caesaris, August. Vindelic, 1719, I. 280.
166 Fehrbellin.
nahmen, bie ber Kurfürſt zu ihrer Rettung traf. . Er verband fi) mit-
ihnen zu Schub und Trug, ſchloß mit dem Kaifer einen Vertrag zur
Sicherung der deutſchen Grenzen und brad) dann (im September 1672)
mit 20000 Mann nach dem Rhein auf. Hierdurch zog er nun einen
großen Zeil der franzöfiſchen Streitmacht von ben Holländern ab und
auf fi; Türenne ließ feine Beute fahren und fiel ins Kleviſche ein. So
war den Holländern Luft gemadjt.
Mehr freilid, richtete der Kurfürft nicht aus. Sein Bund mit dem
Kaifer erwies ſich als Hemmſchuh. Leopold hatte fi) durch einen ges
heimen Vertrag mit Frankreich zur Neutralität verpflichtet und wünfchte
fi) zwar den Anſchein zu geben, als ob er Deutſchlands Intereſſen bes
jchühe, war aber keineswegs gejoinen, dabei die Lorbern und ben Ein-
fluß des Brandenburgers vermehren zu helfen. Daher erhielten die Be
fehlshaber der kaiſerlichen Truppen, bie dem Vertrage gemäß zu bes
N een, von Wien aus insgeheim die Weiſung, die
nur ſcheinbar zu unterftügen, in ber
ezliche Feldherr Montecucult
den Kurfürften nicht nad) Kleve, fondern nach dem hein zu marfchiren,
bereitete aber unterwegs und nachdem fie, Ende „ enblid) am
unteren Moin angelangt waren, jo viele Schwierigkeiten, bie Beit
thatlos Yeritrich, und man zulegt, im Dezember, ohne irgend e
mußte. Dann legte zwar Montecuculi das Kommando nieder, abe
fein Nachfolger Bournonpille hinderte den Kurfürften nicht weniger.
Unterbeffen hatten dieſem bie münfterfgen Truppen Ravensberg und
Matt, die franzöſiſchen Kleve verwüſtet, und er hatte nur ben Troſt, daß
fein eigentlicher Zweck, Hollands Rettung, erreicht war. Denn durch feine
Dazwilchenkunft hatten die Generalftaaten Zeit gemonnen, ſich in befiern
Verteidigungezuſtand zu fepen. Die oraniſche Partei unter ihnen erhielt
bie Dberhand und gab in dem jungen Prinzen Wilhelm II. von Oranien
der Republik ein Haupt, das zu einem erfolgreichen Kampfe gegen Fran-
veich wohl befähigt war, Run rührten fi) auch andere Mächte für bie
gemeinfame Sache; Spanien rüſtete, Dänemark bot den Holändern Sold-
tzuppen an, Sollte der Kurfürft unter Diefen Umftänden fi noch weiter
am Kriege beisiligen? Die Holländer zeigten ihm eine empörende Uns
daukbarkeit, zahlten bie vertsagsmäßigen Subfibien unregelmäßig und
Hellten fie zulegt ganz ein. Und doch konnte er ohne biefe Veihilfe fein
Heer, das jetzt 40000 Mann betrug, nicht unterhalten. Seine Bes
ſitzungen am Rhein und in Weftfalen waren in der Gewalt des Feindes
und durch den Krieg ſchwer beſchädigt; der Kaiſer und viele Reichsftände
im Bunde mit Frankreich, die anderen deutſchen Fürſten nicht geneigt,
dem kühnen Brandenburger den Rücken zu decken. Der Kurfürſt kam
Friede zu Vofſem. 167
zu dem Schluß, daß er feine Staaten nicht länger ohne Not dürfe zu
Grunde richten laflen; er ging auf Lubwigs Vorfchlag ein und ſteckte
fein Schwert wieder in die Scheide; im Frieden zu Voſſem (einem
Dorfe zwiſchen Brüffel und Löwen) am 6. Juni 1673 erhielt er von
Frankreich feine verlorenen Gebiete wieder und verfprady dagegen, ben
Feinden des Königs feinen Beiftand zu leiften, außer in dem alle, daß
diefer das deutſche Reich angreife.
Indeſſen dauerte der Anftoß, den er zu einem allgemeinen Bunde
gegen Ludwig XEV. gegeben, mächtig fort. Frankreichs Herrſchſucht er-
ſchien bald aud) defien bisherigen Freunden unerträglich; der Kaifer trat
nun im Bunde mit Spanien und Holland aufrichtig und entichieden zur
Abwehr der Sranzofen auf und ließ im nächſten Frühjahr Truppen an
den Mittelrhein rücken; England, Münfter und Köln hielten fi jetzt
neutral. So mußten die Franzoſen ihre Macht vom Niederrhein ftroms
aufwärts ziehen; fie überließen Die Hevifchen Feſtungen Wefel, Rees und
Schenkenſchanz, die fie 1672 den Holländern abgenommen, im Mai 1674
dem Kurfürften und brachen in die Pfalz ein, die fie entjeglic) ver-
beerten. Darüber erflärte ihnen das deutſche Reich den Krieg. Friedrich
Wilhelm war feinen Augenblid zweifelhaft, ob er ſich begnügen folle,
nur feine pflichtmäßige Truppenzahl als Reichsſtand zu ftellen ober bie
Franzoſen wieder mit feiner ganzen Macht zu befämpfen. Er wählte
das ietztere; denn ihm empörte der Übermut, die Gewaltthat, bie ber
Fremde fi) gegen deutſche Länder erlaubte. Er ſchloß daher am 1. Zuli
1674 mit dem Kaifer, mit Spanien und Holland gegen Frankreich ein
Schuß und Trugbündnis und machte ſich anheiſchig für Subfidien
16 000 Mann zu ftellen; man fegte feft, fein Teil dürfe ohne den andern
einen Frieden eingehen. Dann brach er (im Auguft) mit 19000 Mann
durd Thüringen und Franken auf und zog nad) Straßburg, wo er fid)
im Oltober mit 30000 Mann Faiferlicher und Reichstruppen vereinigte.
Aber auch jet erfuhr er von dieſen nichts als Hemmung. Bergebens
drängte er ihren General — es war wieber Bournonville — zu einem
energiſchen Angriff; Bournonville ließ die beften Gelegenheiten unbenußt;
man mußte zuleßt wieber das Elſaß räumen und über ben Rhein zurück⸗
gehen. Selbft die öfterreichiicjen Unterfeldherren waren empört über das
Benehmen ihres Generals, der bald wie ein Verräter, bald wie ein Feig⸗
long handelte, den Sranzofen, we er Tonnte, Vorſchub leiſtete und den
Kurfürften, wo diefer einen Vorteil errang, im Stiche ließ. Zweifelhaft
if, ob er nur unfähig gewejen, oder ob ihm fein Verhalten von Wien
ber vorgejchrieben war. Lieber felbit feine Vorteile haben, als bem
Brandenburger etwas zu verbanfen — war allerdings die Maxime ber
Herren in Wien.
Wenngleich nun auch diefer Feldzug für die Franzoſen günftig ſchloß,
168 Fehrbellin.
fo lag dem Könige doch alles daran, fi) den Kurfürften, der unter allen
feinen Feinden der thätigfte-war, vom Halſe zu fchaffen; um fo leichter
hoffte er mit den übrigen fertig zu werden. Er bewog daher die ſchwe—
diſche Regierung, den Vertrag, den fie mit ihm: gefchlofien, nunmehr zu
erfüllen und den Kurfürften im Rücken anzugreifen. Da er drohte, fonft
fein Geld mehr zu zahlen, fo ſchickte Karl XI. denn auch im Dezember
1674 ein Heer von 14000 Mann aus Vorpommern in die Mark, um
den Kurfürften zum Frieden mit Frankreich zu zwingen. Anfangs hielten
die Schweden gute Mannszucht, bald aber erneuerten fie alle Greuel des
breißigjährigen Krieges, brammten und raubten und preßten den Ein-
wohnern durch entjeßliche Martern Geld ab. Der Kurfürft Ing während-
defien mit dem brandenburgifchen Heere fern bon der Heimat in ben
Binterquartieren am Main, beichäftigt, feine Streitmacht für den nächſten
Feldzug wieder vollzählig und fchlagfertig zu machen. In ben Marken
befanden fi) nur wenige Truppen; der Statthalter, Fürft Johann Georg
von Anhalt-Defau, Schwager des Kurfürffen, mußte fi daher auf einen
Parteigängerfrieg beſchränken, bei welchem ihm das Landvolk half. Die
Bauern, vornehmlich in der Altmark, über die ſchwediſchen Bedrüder ers
bittert, bewaffneten fi), fo gut es ging, mit Spießen unb Heugabeln,
Drefchflegeln und Senfen, und fammelten fi unter Fahnen mit der
Inſchrift:
Wir ſind Bauern von geringem Gut
Und dienen unſerm Kurfürſten mit unſerm Blut.
Mancher Schwede wurde von ihnen erſchlagen, aber das Land litt bei
dieſem Kriege entſetzlich, und in offenem Felde es mit dem Feinde auf-
zunehmen, Dazu war Das ungeübte Landvolk doch zu ſchwach. Die Hilfe
mußte vom Kurfürften jelber kommen.
Schweben ftand damals noch im vollen Glanze feines Kriegsruhms;
auch feine Machtmittel fchienen denen des Kurftaates bei weitem über-
legen. Letzterer war überdies auf feine eigenen Kräfte angewiejen; dem
trog allen Drängens brachte der Kurfürft feine Bundesgenofien nicht
dahin, ihm anders als mit Worten beizuftehen. Die Gefahr war um
fo größer, da der König von Polen Johann Sobiesfi mit Ludwig XIV.
fogar den Plan entwarf, Preußen plößlich wieder an fi) zu reißen.
Friedrich Wilhelm blieb indes guten Muts: „Gott habe ihn bisher aus
vielen Gefahren errettet und werde ihn auch jeßt nicht zum Gejpötte
feiner Feinde werden laſſen.“ Im ſolcher Zuverficht brady er am 5. Juni
1675 mit 15000 Mann aus feinem Hauptquartier zu Schweinfurt am
Main auf, um fein Land aus den Klauen der graufamen Feinde zu
erretten und an dieſen volle Rache zu nehmen. Über Schleufingen,
durch den thüringer Wald, über Arnftadt, Heldrungen, Staßfurt ging
der Zug in Eilmärſchen auf Magdeburg zu. Im Staßfurt befahl er
Rathenow. 169
einen Fafttag für alle feine Untertdanen auszufchreiben; zum Text der
Predigt gab er den Troftiprudy des Jeremias: „Aber der Herr ift bei
mir wie ein ftarfer Held, darum werben meine Verfolger fallen und
nicht obftegen, fondern follen fehr zu Schanden werden.” Am 21. Zuni
war er in Magdeburg, wo fogleich die Thore gefperrt werden mußten,
damit die Kunde wicht vor ihm felber zu den Schweden gelange. In
der That ahnten dieſe nicht, wie nahe der Rächer ſei; fie glaubten ihn
noch immer in Franken; ein Gerücht, das ihn mit dem Kürzlich verftors
benen Kurprinzen Karl verwechſelte, fagte ihn gar tot. Sorglos zogen
alfo die Schweden am rechten Havelufer von Brandenburg nad) Havel-
berg hinab. Der Kurfürft beſchloß, raſch ihre Linie in der Mitte zu
durchbrechen und die getrennten Zeile einzeln zu ſchlagen. Nachdem er
in Magdeburg kurze Raft gehalten, um die ermübeten Truppen zu ben
größeren Anftrengungen, die ihrer warteten, fich Fräftigen zu laſſen, mußten
am Abend bes 22ften 5600 Reiter aufftgen; 1000 Mann auserlefenen Fuß⸗
vos und 13 Gefchüge, auch Kähne zum Flußübergange wurden auf
120 Wagen gebracht; und nun ging's der Havel zu. Regengüfle machten
Die Wege grundlos und hemmten die Schnelligkeit des Marſches; dennoch
war berjelbe fo hurtig, daß, als ber Kurfürft in der Nacht zum 25. Juni
vor Rathenow an der Havel anlangte, die Schweden, 6 Kompanien
Dragoner, die in der Stadt lagen, noch immer feine Ahnung von feiner
Ankunft hatten. Indeſſen fam es darauf an, dieſen feften Platz im Fluge
zu nehmen. Mit Lift und Kühnheit gelang dies. Rathenow war durch
Die Havel gedeckt, welche vor der Stadt eine Heine Inſel bilbete und mit
zwei Zugbrücken verfehen war. Vor ber äußeren Brüde erfchien nun
morgens 2 Uhr Derfflinger mit einigen Reitern und verlangte als ſchwe—
difcher Offizier Einlaß; der Wachtpoſten machte Einwendungen, wurde
im Geſpräch überrannt, die Inſel bejegt und von den nachdringenden
Mannfhaften die innere aufgezogene Brücke durch Paffiren des Flufies
umgangen.") Unterbefien griff eine andere Abteilung, die auf Kähnen
ſeitwärts gelandet war, ein zweites Thor an und fprengte es. Go in
die Mitte genommen, erlagen bie Schweden bald, fo tapfer fie auch
fochten; 390 von ihnen wurden getötet, 270 gefangen, während von den
Brandenburgern nur 20 gefallen fein ſollen.
Durch diefen kühnen Handſtreich war das ſchwediſche Heer geipal-
ten; ein Zeil (3000 Mann) ftand unter dem Marſchall Karl Guftav
von Wrangel in Havelberg, die Hauptmacht unter defien Bruder, dem
General Waldemar v. Brangel, in Brandenburg. Der letztere zog fi)
nun auf die Kunde von Rathenows Fall eiligft nad) dem Rhin hin, um
Havelberg zu erreichen. Der Kurfürft ſetzte ihm nad), ſchickte zugleich
*) Sigmund Dietrich v. Bucht Tagebuch, Herausg. v. G. v. Keffel, Berlin 1865 I.©. 117
170 Sehrbellin.
einige Reiterhaufen unter der Führung des Wegs kundiger Landleute
durch das Havelländifche Luch, ein Moor, das für ein größeres Heer
nit gangbar war, um fo den Schweden am Rhin zuvorzulommen und
dort die Brüden abzubrechen; es follte ihm keiner der Feinde entrinmen.
Bei Nauen erreichte fein Vortrab unter dem General Lütke die ſchwediſche
Nachhut und brachte ihr eine Schlappe bei (27. Juni). Doc) gelang es
dem ſchwediſchen Hauptheer noch über ben Glin, ein fandiges Flachland
nörblid) von Nauen bis Kremmen, und dann weiter norbweftlich durch
das Ländchen Bellin in die Nähe von Fehrbellin zu gelangen. Hier war
ingwifchen bie Brücke über den Rhin, wie der Kurfürft befohlen, von dem
vorausgeſchickten Oberften Henniges zerftört worden, und Derfflinger riet,
auf einem Umwege borthin zu eilen, wo die Schweden durch den Rhin
würben aufgehalten werben. Aber ſchon erreichte der brandenburgiſche
Vortrab, 1600 Reiter, von dem Prinzen Friedrich von Heffen-Homburg”)
geführt, um 6 Uhr Morgens (Freitag am 28. Juni [18. Juni alten
Stil]) den Feind und griff mit Ungeftäm an; dem ber Prinz war ein
hitziger Kriegsmann troß feines ſilbernen Fußes, ben er ftatt bes 1668
vor Kopenhagen verlorenen trug, und immer voran im Gefecht. Die .
Schweden ſetzten ſich mın zwifchen den Dörfern Ribbeck und Halenberg
feſt; aber ber Prinz bebrängte fie jo heftig, daß fie, um ihre Rückzugs-
linie zu decken, fid) weiter nach Fehrbellin zogen. Der Kurfürft hatte
währenbbefien mit ber übrigen Reiterei (4000 Mann) und 13 Geſchützen
herankommen können und zwang den Feind, eine Schlacht anzunehmen.
Es war ein tühnes Beginnen, beun bie Schweden zählten bier 7000
Mann Fußvolks, 4000 Reiter, 38 Gejchüße, waren aljo Doppelt jo ſtark.
Aber auf Seiten der Brandenburger war die höhere Kunft bes Feldherrn
und ber größere Ungeftüm der Soldaten. Wrangel ftelte fein Heer vor
dem Dorfe Linum auf, den linken Flügel an einen großen Sumpf, ben
rechten an bewaldete Sandhügel gelehnt, Die er jebod) zu beſetzen ver»
fünunte. Hurtig benußte Derfflinger den Zehler, ließ im Schupe eines
dichten Nebels die Anhöhen durch Mörners und Bomsborfs Dragoner
befeßen und hier Kansnen auffahren; jo bedrohte er Die Schweden in der
Seite und im Rüden. Behauptete er ſich bier, fo war der Sieg für bie
Brandenburger faft gewiß. Mit Reiterei und Fußvolk ftürmten daher
die Schweden gegen ihn an. ber Derfilingers Heine Heldenſchar wich
feinen Fuß breit; „fie wollten fich bei den Kanonen eher begraben laſſen“,
tiefen die hraven Dragouer, und der Bring von Homburg unterftüßte fie
aufs tapferfte. Immer neue Regimenter kamen von beiden Seiten in
den Kampf. Die Schweben fchlugen fid) als altverfuchte Krieger; die
Brandenburger, Offiziere und Gemeine, als Leute, die entichlofien find zu
*) Geboren am 9. Juni 1633, geftorben am 24. Januar 1708 zu Homburg.
Feldzug in Pommern, 171
fiegen oder zu ſterben. Unter ftrömendem Regen, der bis zum Ende der
Schlacht anhielt, wogte der Kampf. Der Kurfürft felber focht im Die
teften Gebränge; kaum daß ihn die Seinigen mitten aus ben ſchwediſchen
Neitern beraushauen konuten. Um 11 Uhr Vormittags war ber Tag
entſchieden; das tapferfte der ſchwediſchen Regimenter (v. Dalwig) gang
miebergehauen, ber rechte Flügel der Schweden zerjprengt, der Reft ihres
Heeres auf dem Rüdzug nad der Stabi Fehrbellin. Hierbei geſchah es,
daß eine ſchwediſche Kanonenkugel ben Stallmeifter Emanuel v. Froben
an ber Seite des Kurfürften tötete — ein Vorfall, den die Sage dann
weiter ausgeſchmückt hat.
Die Schweden verloren in dieſer Schlacht 2400 Mam an Toten
und Berwundeten, außerdem 8 Fahnen, 2 Standarten, eine Kanone,
200 Gefangene; die Brandenburger zählten 500 Tote und Berwundete,
Unter den Gebliebenen war auch ber tapfere Oberft v. Mörner. Noch
auf dem Schlachtfelde verlich der Kurfürft dem Oberften Hermiges,
Sohn eines altmärkifchen Bauern, für die vorzügliche Tapferkeit, Die ex
im Treffen bewieſen, ben Adel mit dem Namen von Treffenfeld.
Es war ein glängenber Sieg, nicht durch Glückszufall ober mit Über-
macht, fondern durch Auge und kühne Zeitung, beharrliche und todess
mutige Ausführung von einem Tleinen Heere über ein weit zahlreicheres
erfochten, über Truppen, welche bis bahin ber Schreifen Guropas und in
der That bie beiten des Nordens geweien waren. Mit dem Tage von
Behrbellin, da die Brandenburger zum erften Male allein gegen eine
hochangeſehene Ratian eine offene Feldſchlacht fchlugen, zum erften Male
allein einen großen Sieg erraugen, beginnt bie hellſtrahlende Ruhmes-
bahn des jungen braubenburgifch-preußifchen Heeres und Staates, defſen
Bürde unter den Staaten Europas nun dargethan war; ein vollwichtiges
Zeugnis für Die Berechtigung der neuen Souveränität dem Auslande wie
dem eigenen Volle gegenüber. Der große Kurfürft konnte wie Cäſar
von ſich rühmen: ich kam, ich ſah, ich fiegte; aber mit noch gerechterem
Stolz durfte er zm feinen Unterthanen fagen: ich habe euch die alten
Rechte genommen, mit denen ihr die Beute jebes fremden Kriegsherrn
waret; ich habe euch dafür einen Staat, ber ſich jelber ſchützen kann,
und Achtung und Ehre in gang Europa gegeben.
Diefelbe Gewandtheit und Kraft, mit der er ben Sieg gewann, zeigte
er bamn in ber Benußung besfelben. Er betrieb die Verfolgung Der
Feinde jo uachbrädtlich, daß ſich ihr Rüchzug bald in Ikucht auflöfte. Im
Wittftorf vereinigte General Wrangel feine Heerestrümmer mit ben
Zruppen feines Bruders, der auf die Rachricht von der Schlacht Havel⸗
berg geräumt Hatte. Aber Die Beſtürzung ber Schweben war jo groß,
baß ihre Reihen fich färfer durch Defertion der geworbenen Söldner, ber
ſonders ber deutſchen, als durch das Schwert der Feinde lichteten. So
172 dehrbellin.
zogen fie eilig durch Mecklenburg nach Wismar. Kaum ein Drittel des
Heeres, welches er im Winter in die Mark geführt, brachte Feldmarſchall
Wrangel wieder zurück.
Das Land war gerettet, der Feind zu Schanden geworden; jubelnd
empfing das Volk feinen fiegreichen Fürften; in allen Kirchen, ſowie im
Lager des Heeres wurde ein Dankfeft begangen; die Freude war groß.
Die Brandenburger begannen zu fühlen, was es heißt, berühmt zu werben
in der Welt. Denn wie ein Lauffeuer flog der Ruf von Fehrbellin
duch Europa. Die gefürchteten Krieger Guſtav Adolf und Karl
Guſtavs an Tapferkeit ebenfo jehr wie an Feldherrnkunſt übertroffen;
ihr wohlgepflegtes, ausgeruhtes Heer, eine Infanterie, die Siegerin über
Sſterreich umd über Polen, geſchlagen, faft verrichtet von einer Reiter-
ſchar, die feit elf Tagen nicht abgefattelt hatte; — diefer branden-
burgiſche Ruhm erfreute jedes deutſche Herz, es labte fi an dem Ge—
danken, daß die Stunde der Vergeltung an den Fremden gelommen
mar, es erquickte fi) an der Rache, die endlich für Deutſchlands Leiden
begann.
In dem Maße freilich, als Brandenburgs Bebeutung und des großen
Kurfürften Anfehen bei allen Mächten flieg, mehrte ſich auch der Neid;
allein für jet überwog doch der Wunſch, an den Früchten feines Sieges
teil zu nehmen. Der Kaifer, die deutſchen Fürften, aud Dänemark
waren daher mun bereit, ihm zu helfen. Friedrich Wilhelm beab-
fihtigte, die Schweben ganz aus Deutſchland zu vertreiben, und er war
auf dem beften Wege zu diefem Ziele. Im Oktober erftürmte fein Ges
neral Bogislam von Schwerin die Feſtung Wollin uud beſetzte Swine-
münde. Der Kurfürft felbft zwang bald darauf das fefte Wolgaft zur
Ergebung. Auch die Dänen und Katferlihen waren nicht müßig. Am
Ende des Jahres hatten die Verbündeten den Schweden faft alle ihre
deutfchen Befigungen abgenommen. Ein Verſuch, den bie Ießteren im
Januar 1676 von Stralfund aus machten, die verlorenen borpommerjchen
Plätze wieder zu gewinnen, wurde von Schwerin und Derfflinger ab-
gewieſen; die Brandenburger eroberten in dieſem Winterfeldzuge vielmehr
noch Udermünde. Ludwig XIV. bot dem Kurfürften mın einen Sonder
frieben an; aber diefer ging nicht barauf ein, er blieb feinen Bundes-
genoffen treu und feßte den Krieg fort. Im Sommer und Herbft 1676
fielen dann aud) Peenemünde, Anklam, Löcnig, Demmin, Damm; Stettin
wurde eingeſchloſſen. Selbft zur See fügte der Kurfürft dem Feinde
Schaden zu; feine Kreuzer, die er in Holland mit Hilfe eines Kaufmanns
Benjamin Raule hatte ausrüften laſſen, brachten viele ſchwediſche Kauffahrer
und zwei Kriegsſchiffe (von 22 und 16 Kanonen) triumphirend in ben Hafen
von Kolberg ein; zu Waffer wie zu Lande fah man den roten brandenburgi=
ſchen Adler fiegreich fliegen. Der Ruhm mußte freilich) von den Unterthanen
Eroberung, von Stettin. 173
teuer bezahlt werben, die Steuern wurden immer ſchwerer und härter;
denn bloß die Beſatzung der eroberten Pläe und die Einſchließung Stettin
toftete monatlich 100 000 Thaler, und die Verbündeten zahlten die ver-
ſprochenen Hilfsgelder nicht; Spanien unb Holland ſchuldeten dem Kurs
fürften bereits 1300 000 Thaler.
Die jpäte, doch reiche Frucht des nächften Jahres 1677 war die Er-
oberung von Stettin. Es war eine mühfame Arbeit geweſen. Denn ber
Beſatzung (3000 Mann unter dem Oberften v. Wulffen) ftand die Bürgers
ſchaft mit gleicher Ausdauer zur Seite, fie vergalt jetzt durch unerſchütter⸗
liche Treue, daß ber Schwedenkönig ihre Privilegien ftet geachtet hatte.
Die Aufforderung des Kurfürften ſich zu ergeben beantworteten fie mit
Kanonenihüffen, und als dann bie regelmäßige Belagerung begann, zu
Lande fi) das brandenburgifche Heer ſamt den lüneburgiſchen und
münſterſchen Söldnern, zu Waſſer die holändifchen Kaper des Kurfürften
immer enger um bie Stadt Iegten, als dann befien ſchweres Geſchütz
von Magdeburg, Berlin und Küftrin den Waflermeg herab fam und num
(eit dem 14. Auguft) 200 Feuerſchlünde donnerten, da ſanken unter
dem furchtbaren Kugelhagel die ftarten Türme, die Marienkirche, die
Pfarrkirche, das Gymnafium, die Jakobikirche, in Trümmer, aber ber
Mut der Stettiner blieb feft; ob auch überall die feindlichen Minen
fpielten, das Fußvolf ſtürmte, — fie wehrten fi, Soldaten und Bürger,
wie Verzweifelte. Doch mit gleicher Hartnäckigkeit ftritt der Kurfürft. Es
war ein Wetteifer des Heldenmuts; die Bürger nahmen bei den Aus—
fällen ihre Soldaten nicht wieder in die Stadt auf, wenn fie nicht Ge—
fangene mitbrachten; der Kurfürft feßte immer feine Perſon aus und
einem abmahnenden Diener antwortete er: „Wann haft du je gehört,
daß ein Kurfürft von Brandenburg erichoffen worden?” *) Fünf Monate
lang währte fo die Belagerung, und noch war der Mut ber Stettiner
nicht gebrochen. Sie wurden von ihren Iutherifchen Geiftlichen immer
aufs neue angefewert, und die armen Leute hatten nach Zerſtörung
ihrer Häufer bei weiterem Widerftande ohnehin nichts mehr zu verlieren.
Die tapfere Stabt war ſchon nichts mehr als ein Schutthaufen, da zwang
Pulvermangel fie zur Ergebung; am 27. Dezember öffneten die Bürger
dem Karfürften die Thore: „er möge ihren hartnädigen Widerftand vers
zeihen, fie hätten der Krone Schweden ihre Schuldigkeit gethan; mit
gleicher Treue würden fie zu dem Kurfürften ftehen, der jeßt ihr Landes»
herr werde". Es waren ihrer bei der glorreidhen Derteidigung 2433,
von den Schweben alle bis auf 300 umgelommen. Nachdem der Schutt
in den Straßen einigermaßen weggeräumt war, hielt Friedrich Wilhelm
feinen feierlichen Einzug (6. Januar 1678); Knaben und Mädchen in
9 9. Buch a. a. O. 288, 292.
174 Fehrbellin.
Trauerkleidern bewilllommneten ihn; der Magiftrat und die Bürgerſchaft
Teifteten die Huldigung.
Des Kurfürften Freude über bie Bezwingung dieſer ſtarken Feſte,
des wichtigften Waffenplatzes und der Hauptftaßt von Pommern, war
groß; Stettin bildete unter feinen Waffenthaten ein würdiges Geitenftüd
zu Fehrbellin. Um fo feheler fahen die Nachbarn drein; zu Wien fagte
mar nun ſchon ganz laut und mit Nachdruck, „dem Kaiſer gefalle es
nicht, daß ein Königreich der Wenden am baltifchen Meere erftehe”.
Auch die andern Verbündeten wurden immer Tälter; die Holländer aber
gingen gar in ihrer Selbftfucht fo weit, daß fle mit Frankreich im Auguft
1678 zu Rimmwegen Frieden ſchloſſen; fie verloren nicht ein Dorf, ihre
verratenen Bundesgenofjen mochten für fich jelber forgen. Ihr Abfall
wer für ben Kurfürften ein neuer Grund, feine Eroberungen weiter aus⸗
zubehnen, damit er nachher beim Friedensſchluß deito befiere Bedingungen
erhalte. Auf einer Flotte von 350 einen Fahrzeugen, die er bei Peene-
münde verfammelt und unter das Kommando des berühmten holländiſchen
Admirald Kornelius Tromp geftellt Hatte, ging er mit Reiterei, Fußvolk
und Kanonen nad) Rügen, landete glücklich und eroberte die Inſel
(25. September). Damm legte er fi) vor Stralfund, beſchoß die Stadt
aus 150 Geihügen, bezwang fie, die Wallenftein nicht hatte erobern
Tonnen, in wenigen Tagen und ließ ſich (am 29. Oktober) von ber
Bürgerjchaft Huldigen. Am 16. November fiel auch Greifswald, und
mm waren bie Schweden völlig aus Pommern, aus Deutſchland, ver⸗
trieben.
Sie fuchten jept dem Kurfürften von einer andern Seite beizulommen.
Während die Franzofen Kleve beſetzten, brach im November ein ſchwedi⸗
fches Heer von 16000 Rann unter bem General’ Horn aus Liefland
auf und fiel in das Herzogtum Preußen em. Schon hofften die Polen,
dieſes Land mit Hilfe der Schweden wieder zu bekonmen, zumal ba bie
Bevölterung, namentlich in Königsberg, die harte Herrſchaft des Kur
fürften nur mit Widerwillen ertrug. Auch Tonnte die eiltg aufgebotene
Dollswehr dem Feinde nur wenig Widerſtand Teiften. Doc; gelang
& dem tapferen General v. Görkfe, dem „Paladin des großen Kur-
fürften“*), ber mit 3000 Mann voraufgeſchickt worden, wenigſtens ben
Bregel zu halten Und fchon väcke auch ber Kurfürft mit fliegender
Eile heran. Mitten im fivengften Winter (Januar 1679) ließ er
5500 Reiter und 3500 Mann ausgewählten Fußvolls mit 34 Gefchügen
unter Derfflinger, Götze, Schöning durch Ponmern und. die Mark nach
Breugen abmarſchiren; er ſelbſt zog mit, obgleich er Tränfelte. Aber die
*) Zoaim Eruft v. Görhfe, geb. am 11. April 1611, geftorben am 27. Märg 1682
auf feinem Gut Friedersdorf bei Lebus.
Winterfeldzug 1678,9. 175
Schweden hielten ihm nicht ftand. In Marienwerber (23. Januar) ließ
ihm Görtzke melden, ber Feind habe Kunde von feinem Herannahen
und trete den Rüdzug an, den er felbft durch Fräftige Verfolgung
möglicft aufhalte. Sofort ſändte ihm der Kurfürft 3000 Reiter zu, und
während biefe über Schnee und Eis woraneilten, ließ er das Fußvolk
auf 1000 Schlitten fteigen und folgte in unglaublicher Schnelligfeit, über
Breußifh- Holland und Heiligenbeil, danm Sonnabend ben 25. Januar
Beben Meilen weit über das gefroreme frifche Haff; am 26. war er in
Königsberg. Die Schweden flohen unterbes von Infterburg nach Tilſit
und verloren durch Mangel und Krankheiten, fowie durd das Schwert
viele Leute. Um ihnen den Rückzug abzufchneiben, fie ganz zu ver
nichten, verftärkte ber Kurfürft Görtzles Abteilung durch 1000 Reiter,
die der tapfere Treffenfeld führte, und marſchirte felber von Labiau aus
zit dem Hauptheere, Reiten, Fußvolk und Kanonen, quer über das
luriſche Haff nad) der Mündung der Gilge (Mitiwoch den 29. Januay).
Am folgenden Tage vereinigte er ſich in ber Nähe von Tilfit mit
Treffenfeld, der ſoeben (am 29ften) die Nachhut der Schweden bei
Splitter ereilt und niebergehauen hatte. Raftlos folgten die Branden-
burger. Immer mehr ſchmolz das Heer der Schweden zufammen. Selbſt
als ihr Überreft, 3000 Waffenfähige, die preußiſche Grenze hinter fi)
hatte, hörte die Jagb nicht auf. Der Kurfürft führte zwar Ende Januar
fein erfchöpftes Heer, das einen Marſch von 100 Meilen gemacht hatte
und furdtbar von ber entjeßlichen Kälte litt, aus Schamaiten nad)
Preußen zurüd und legte es hier in Die Winterquartiere; ließ aber
Treffenfeld mit 1000 Reitern, Daun Schöning mit 1500, die Verfolgung
fortjegen. Bis acht Meilen vor Riga jagte Schöning den Schweden
nad), vergebens ftellten fich dieſe einmal den DVerfolgern tapfer entgegen;
fie wurden geworfen; ohne Gepäd und Geihüß, nur mit 1500 Mann
gelangten fie nach Liefland zurüd; der ſchwediſche Konmtandant von
Riga ließ foger in der Angft vor den brandenburgiſchen Reitern die
Bälle der Feftung mit Wafler begiehen, daß fie glatt frören.
So hatte der große Kurfürft auch Preußen im Sturm errettet und
fi wie feinem Heere neue reiche Lorbern gewonnen. Dennoch ging ihm
der Lohn fo vieler Anftrengungen, Vorpommern, durch die Treulofigfeit
feiner Verbündeten wieder verloren. Sie jchlofien (außer Dänemark,
befien geringe Macht indes feine Stütze bot) einer nad) bem anderen
Frieden mit Frankreich; dem Beiſpiele Hollands folgte erft Spanien,
dann (am 5. Yebruar) ber Kaifer und das deutſche Reich. So blieb
der Kurfürft allein auf dem Kampfplatz. Vergebens verjuchte er durch
Unterhandlungen Ludwig XIV. zu bewegen, daß er ihn im Befige feiner
Eroberungen laſſe. Der franzöfiſche König blieb unbeugſam dabei,
Schweben habe Vorpommern um Frankreichs willen verloren und müfle
176 Fehrbellin.
es durch Frankreich wieder belommen. Nun war ja Brandenburg bei
weiten wicht ſtark genug, es allein mit ber übermacht Fran
reihe, Schwedens, vielleicht auch Polens aufzunehmen; felbft einige
deutſche Fürſten, wie der Herzog von Lüneburg, führten in frans
zöfiſchem Solde Truppen gegen den Kurfürften herbei. Gleichwohl
ſchwankte diefer eine zeitlang. Bulept fügte er ſich der bittern Note
wendigfeit. Er mußte fi mit einem Beinen Landftric am rechten
Oderufer, mit Gelbfummen, die Ludwig zahlte, und anderen unbebeu-
tenden Vorteilen begnügen, alle übrigen Groberungen aber, ganz Vor⸗
pommern, an Schweden zurüdgeben. Dies war der Inhalt bes
Vertrages, ber am 29. Juni 1679 zu Gt. Germain en Laye
zwilchen Brandenburg und Frankreich abgefchloffen wurde. Natürlich
nahm Schweden diefen vorteilhaften Frieden, den ihm Ludwig verihafft
hatte, eiligft an, obgleich es verdrießlich that, weil alles ohne fein Zu-
thun gefchehen war. Schmerzlich ergriffen, brady Friedrich Wilhelm, da
er die Friedensurkunde unterzeichnete, in den Vers des Virgil aus:
„Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor!* (Möchte bereinft aus
meinen Gebeinen der Rächer erftehen), und zum Texte der Friedend-
predigt, die num im Lande gehalten wurde, beftimmte er die Worte des
Pſalmiſten (118, 8): „Es ift gut auf ben Herrn vertrauen und ſich
nicht verlaffen auf Menſchen“. „Es ift nicht der König von Frankreich”,
fprad) er zu feiner Umgebung, „ſondern der Kaiſer, das Reich, alle
meine Verwandten und Verbündeten find es, Die mic) zu dieſem Frieden
genötigt. Ihre Eiferfucht ift die Urſache, und fie wird ihnen, fei es
auch ſpät, einft vom König von Frankreich bezahlt werden." Die
Strafe kam bald; fie war — Straßburg.
Aber eins blieb dem Kurfürften, was ihm niemand wieder ent-
winden konnte, der hellleuchtende Ruhm. "Sein Staat hatte die Feuer-
probe beftanden; aus furdhtbaren Gefahren ging er mit hohen Ehren,
wenn aud) ohne äußeren Gewinn hervor. Und auch das deutſche Volt
ſchuldete dem großen Kurfürften viel. Hatte er nicht die deutjche Waffen-
ehre glänzend wieberhergeftellt, die Schweden gezüchtigt, Ludwigs XIV.
Vordringen, als es am gefährlichften für ganz Europa ward, zuerft ges
hemmt? Schande genug für die anderen, daß fie ihn durch ihren Abfall
zwangen, die Schweden wieder auf deutſchem Boden fi) einniften zu
laſſen! Friedrich Wilhelm handelte weile und gerecht, wenn er fortan
mehr als je nur den Vorteil feines eigenen Staates im Auge hatte;
in diefem mußte der Rächer und Retter des heillos zerrütteten deutſchen
Reichs erwachſen.
177
Des großen Kurfürſten letzte Begierungsgeit.
Der brandenburgifche Name war durch die Siege des Kurfürften an
allen Enden Europas berühmt geworben; in Berlin erſchienen im Jahre
1679 Gefandte von Völkern, die man bier faum dem Namen nad)
kannte, von dem Baren der Moskowiter, Feodor Aleriewitfch, von dem
Khan der Tataren, Murad Gherai, brachten Geſchenke und boten Freund»
Ihaft und Bund an. Aud) fremde Erdteile Iernten die brandenburgiſche
Kriegsmadjt achten. Im Jahre 1678 fegelten zwei Fregatten des großen
Kurfürften nad; Weftindien und machten dort Jagd auf franzöftiche
Schiffe. Zwei Jahre fpäter unternahm Friedrich Wilhelm fogar einen
förmlichen Seekrieg. Es galt den Spaniern, bie ihm zwei Millionen
Thaler rüdftändiger Subfidien ſchuldeten und auf gütlichem Wege nicht
zur Zahlung zu bewegen waren. Der Kurfürft ließ daher im Hafen von
Pillau ſechs Fregatten don 20 bis 40 Kanonen ausrüften, mit 600 Matrofen
and 300 Soldaten bemannen und unter dem Oberbefehl bes Kapitäns
Kornelius van Beveren auslaufen, um im atlantifchen Meer ſpaniſche
Schiffe abzufangen. Ste brachten aud) einige Fahrzeuge auf, darımter
bei Oſtende ein mit brabanter Spigen und Tüchern reich) beladenes
Schiff von 60 Kanonen, fehlugen fi am Kap St. Vinzent mit einer
doppelt fo ftarfen feindlichen Flotte herum (80. September 1681); da
aber alle Seemächte diefen Kaperzug, weil er ihren Handel ftörte, miß-
billigten, fo ließ es der Kurfürft dabei bewenben.
Alle Lorbern, die Bewunderung Europas, das Staunen ferner Völker
tonnten indes den großen Kurfürften nicht über die Opfer tröften, die er
in dem eben geenbigten Kriege gegen Frankreich ımd Schweden nutzlos
feinem Volle auferlegt. Und wenn er ſich fragte, durch wen ‘er am
meiften geſchädigt worden fei, fo mußte er nicht fomohl die Franzoſen,
als feine ungetreuen Verbündeten anlagen. Er änderte daher feine
Bolitit und ſchloß mit Frankreich (im Dftober 1679) einen geheimen
Freundſchaftsvertrag. Dadurch erreichte er zunächft, daß feine Mevifchen
Lande rafcher von den Franzoſen geräumt wurden, ſodann daß er ficher
vor dem Übelwollen feiner Widerſacher, namentlich Schwedens, in Ruhe
die Erneuerung der finanziellen Kräfte und überhaupt der Wohlfahrt
feines Staates betreiben konnte.
Das Ziel, feinen Staat auch nad) außen zu vergrößern, verlor er
darüber nicht aus den Augen. Einiges gelang ihm noch in diefer Hinficht.
Durd) den Tod des magdeburgifchen Adminiftrators, Prinzen Auguft von
Sachſen, kam er endlich (im Jahre 1680) in den Befiß des Herzogtums
ſamt den Städten Magdeburg und Halle. Durch Verheiratung feines
jüngern Sohnes Ludwig mit der Prinzeffin Luiſe von Radziwil, Erbtochter
Bierfon, preuß. Geſchichte 1. 12
178 Des großen Kurfürften legte Regierungszeit.
des im Jahre 1670 verftorbenen reformirten Fürften Bogislam Radziwil,
gewann er (1681) feinem Haufe die litauiſchen Herrſchaften Tauroggen
und Serrey. Durd) Aufnahme des Titels „Graf von Hohenzollern“
(1685) unter feine übrigen Titel ſuchte er der Zukunft vorzuarbeiten,
indem er das Gedächtnis an die Verwandtſchaft der brandenburgifchen
Bollern mit dem in Schwaben blühenden und Hohenzollern geheißenen
Zweige des Geſamthauſes erneuerte.
Aber am meiften beichäftigte ihn jet der Gedanke, in Schlefien die
Vergrößerung zu ſuchen, bie ihm in Vorpommern miklungen war. Cr
hatte dort nad) feiner Überzeugung Rechte genug. Jägerndorf war noch
immer nicht feinem Haufe wiedergegeben. Dazu waren nun noch neue
Anfprüche gefommen. Denn im Jahre 1675 war die herzoglihe Familie
von Liegnitz, Brieg und Wohlau ausgeftorben: der Kurfürft forderte,
daß ber Erbvertrag von 1537 berüdfictigt und ihm wenigftens ein Teil
der Erbichaft überlaffen werde. Aber Leopold I. lehnte dieſes Verlangen
turz ab und behielt jene Länder als erledigte Lehen der Krone Böhmen
für fi, ſchloß aud) mit Baiern ein Bündnis gegen ihn, falls der Kur
fürft feine Anfprüde mit den Waffen verfechten follte. Ebenſowenig
wollte er von der Abtretung Zägerndorfs etwas wiflen.
Friedrich Wilhelm fühlte fid, von neuem und aufs empfindlichfte in
feinen Intereſſen gekränkt. Um fo weniger hatte er Luft, für den Kaiſer
und das deutfche Reich abermals zu den Waffen zu greifen, als dieſelben
von Ludwig XIV. in neue Not gebracht wurden. Denn die Franzoſen
machten fi) den Zwieſpalt Habsburgs und Hohenzollerns raſch zu muße;
nit empörender Anmaßung riß Ludwig (1681) mitten im Frieden durch
fogenannte Reunionen mehrere Grenzftrihe am linken Ufer bes Ober
rheins, namentlich die altberühmte Reichsſtadt Strakburg an fi. Der
Huge Habsburger Karl V. hatte einmal geäußert, wenn zu gleicher Beit
Bien und Straßburg bedroht wären, fo würde er unbedenklich zuerft
zu Straßburgs Rettung herbeieilen. Leopold I. hatte weder den Vers
ftand nod) die Kraft feines Ahnen geerbt, er ließ die hochwichtige Stabt
dem Feinde, that jo, als ob ohne Friedrich Wilhelms BVeiftand, der fich
damit begrrügte, die von Frankreich gewonnenen Dänen von einem Eins
fall in Norddeutſchland abzuhalten, die Macht des Haufes Habsburg
famt den Kräften Süddeutſchlands nicht Hinreichte, und wollte Doch
jenen Beiftand, den er verwirft hatte, durch fein Dpfer wiedergewinnen;
die Wahrheit war, Oſterreich mochte jet fo wenig wie fonft aus
eigenen Mitteln etwas für Deutſchland thun. So behielt Ludwig XIV.
feinen Raub.
Indefien der Kurfürft kam von feiner Verftimmung bald zurüd.
Sein deutſches und fein religiöjes Gefühl empörte ſich über die An«
maßungen des Franzoſen, über den Fanatismus des Katholiken, der fein
Des potsbamer Editt. 179
Freund fein wollte und doch fortfuhr Deutſchland und den Proteftantis-
mus zu kränken. Er trat daher der Koalition bei, die fi) damals in
Europa unter des Draniers Leitung gegen Frankreich zu bilden begann.
Im Auguft 1685 ſchloß er als älteftes und oberftes Haupt der Refor-
mirten mit Holland einen Vertrag zu gegenfeitiger Verteidigung; die
Beſchützung der proteftantifhen Interefien war dabei der geheime Zweck,
die Erhebung Wilhelms II. auf den Thron feines Schwiegervaters, des
tatholiſchen Jakob Stuart von England, die nächfte Abfidht. Ganz und
offen aber brach der Kurfürft mit Ludwig XIV., als diefer im Oftober
1685 nicht bloß das Edikt von Nantes aufhob, welches, von Heinrich IV.
1598 gegeben, den franzöftjchen Reformirten bisher die freie Ausübung
ihrer Religion verftattet hatte, jondern auch — nad) dem Beifpiel der
Habsburger — benen, die fid) weigerten, katholiſch zu werben, Dragoner
ins Haus legte, ja felbft die Auswanderung verbot. Da war es ber
große Kurfürft, der dem Umvillen bes evangelifchen Europa gegen ben
Tyrannen lauten und ſcharfen Ausdrud gab. Er erließ auf der Stelle
(am 8. November 1685) eine offene Bekanntmachung, das „potsdamer
Edikt“, worin er alle verfolgten evangelifchen Franzoſen einlud, in fein
Land, unter feinen Schuß zu kommen; er verſprach ihnen bie freunds
lichſte Aufnahme, verlafiene Stellen in Dörfern und Städten, volle
Religionsfreiheit und gleiches Recht mit feinen übrigen Unterthanen,
auch eigene Kirchen, Schulen, Gerichte, ſowie jegliche Unterftügung beim
Anfange ihrer Wirtſchaft. Viele taufend Hugenotten folgten freudig dem
großmätigen Rufe, während Ludwig XIV. ergrimmte, daß fein finfterer
Fanatismus vor der ganzen Welt, der er fo gern als Gipfel ber Bildung
erſchien, nad) Verdienſt gefenngeichnet war. Ebenſo erließ der Kurfürft
an den Herzog von Savoien, der Ludwigs Beifpiel nachahmte, ein ab-
mahnenbes Schreiben und lud die Walbenfer, die jener verfolgte, zu fich
ein. Einige hundert derſelben fiebelte er in der Altmark an. Er hielt es
immer für feinen glorreichften Titel, daß man ihn das Oberhaupt der
Reformirten in Europa nannte.
Dennoch geihah es zum großen Teil auch aus allgemein deutſchem
Batriotismus, wenn num der Kurfürft Frankreichs entſchiedener Feind
ward. Soeben war die ſimmernſche Linie des wittelsbachiſchen Haufes
Kurpfalz auögeftorben, und nun erhob Ludwig XIV. dem deutichen
Stantsrecht zuwider, nad) welchem das Land an den Zweig Pfalz-Reu-
burg fiel, im Namen feiner Schwägerin, der Herzogin von Orleans,
einer Schwefter des letzten ſimmernſchen Kurfürften, Anſprüche nicht bloß
an deſſen Privatbefig, fondern an bie ganze Hinterlaſſenſchaft. Die
Pfalz ſollte franzöfiſch werden! Dieſes Unglüd von Deutichland ab»
zuwenden, vergaß der Kurfürft feinen Groll und verband fi, im März
1686 wieder mit dem Kaifer. Es war charatteriftiich für Habsburgs
12°
180 Des großen Kurfürften Ichte Begierungsgeit.
Politik, wie fie die Wohlgefinmtheit des Hohenzollern ausbeutete: dafür,
daß Briedrid) Wilhelm mit ihm ein Schuß» und Trutzbündnis fchloß,
von weichen im Kriegsfal Deutſchland und der Kaifer größeren Nutzen
zu erivarten Hatten, als der brandenburgifche Staat, dafür ferner, daß
Friedrich Wilhelm, um nur allen Hader aus dem Wege zu räumen, feine
Anfprüche auf die fchlefifchen Herzogtümer aufgab, trat ihm Leopold ben
ſchleſiſchen Kreis Schwiebus ab, und auch dieſe geringe Leiſtung that
er tur gum Schein; bern indem er ſchlau einen Zwiſt in der kurfürſt⸗
lichen Familie benutzte, erlangte er insgeheim von dem SKurprinzen
Friedrich bie Zuſicherung, daß berfelbe bei feiner Thronbefteigung den
Kreis Schwiebus ihm wieder zurüdigeben werde. Der Kurprinz ftand
nämlich mit feiner Gtiefmutter, der zweiten Gemahlin des SKurfürften,
Dorsthea von Holftein, auf gefpanntem Fuße; er glaubte, fie arbeite
daran, ihn zum Beften feiner Stiefbrüder zu benadhteiligen. Run hatte
der Kurfürft (mn 26. Januar 1686) ein Teftament gemacht, in welchem
er feinen Söhnen zweiter Ehe gewiſſe Teile des Staates als erbliche
Stattheiterfchaften beftimmte. eine Abfidht dabei war: bie Prinzen
durch fürftenmäßtge Ansftattung davor zu behüten, daß fie nicht, wie
damals viele thaten, durch Ausficht auf glänzende Verforgung fi zum
Übertritt zur Tatholtfche Kirche verlocken liehen. Übrigens meinte er
der Einheit des Staates damit nicht allzu nahe zu treten; denn dem
Kurfürften Tohte bie volle Oberhoheit verbleiben. Allein er hielt bag
Teftament geheim, teilte es nur bem Kaifer, ber es beftätigen follte,
mit, md der Taiferliche Befandte in Berlin Konnte daher, auf biefe
Urkunde weifend, ben Kurprinzen in Schrecken fegen”). Diefer ging
in die Falle. Schon aus politiſchen Gründen ein Gegner der franz»
fiſchen, ein Freund der öfterreichtfägen Allianz“), warf er fid nun dem
Katfer, im deffen Macht es ftand, das Teftament bereinft auf ſich be-
ruhen zu laffen, ganz in bie Arme unb fuchte ſich defien Gunft zu
erwerben, indem er durch einen geheimen Revers (vom 8. März 1686)
auf Schwiebus verzichtete. Erft nachdem dies geſchehen, unterzeichnete
der kaiſerliche Bevollmächtigte jenen mit bem Kaifer gefchloffenen Traktat
(12. März).
Ohne Ahnung vom dem faljchen Spiel, welches der wiener Hof
mit ihm trieb, beeilte ſich ber Kurfürft dem Kaifer ſeine Freundſchaft zu
bethätigen. @r ſchickte ihm bie erlefenften Truppen, den beiten Feld⸗
herrn feines Heeres gegen Die Türken zu Hilfe Im Juli 1686 langten
fie, 6900 Mann mit 16 Gefchügen unter dem General Hans Adam von
Scyöning, vor Ofen an. Die Brandenburger waren den Türken in
*) Exdmannsbörfer 1. d. preub. Jahrbücher Bb. 18, ©, 429-440.
=") Kante, Genefis deb preuf. Gtantes IIT., 364 ff.
Auhere Politik, 181
Ungarn ſchon alte gefürchtete Bekannte; zum erften Male erjchienen fie
hier im Jahre 1663, 2000 Mann ftark unter dem Herzog von Holftein-
Plön als Kontingent zum Reichsheer; in ben Jahren 1664, 1672, 1683,
bald als Hilfstruppen des Kaifers, bald des Königs von Polen, waren
fie wiebergelommen; und immer hatten fie ſich ausgezeichnet. Seht
leifteten fie bei der Srftürmung Dfens (2. September 1686) die vor
zäglichften Dienfte; fie hießen wegen ihres Heldenmuteg bei den Türken
die „Seuermänner”, und auch der kaiſerliche Feldherr, Herzog Karl von
Lothringen, war über fie voll des hächften Lobes; im Herbſt 1686 kehrte
die tapfere Schar zurüc, um 3000 Wann geringer an Zahl, die im
Kampfe mit den Ungläubigen gefallen waren.
Zu derjelben Zeit rettete der Kurfürft Hamburg, befien fid ber
König von Dänemark zu bemächtigen Anftalt machte. Schon war
Shriftian V. mit 15000 Mann in die Nähe der Gtabt gerückt, als ein
brandenburgifcher Gefandter erſchien — es war ber Geheimerat Paul
Fuchs, damals der gewandtefte unter den Miniftern Friedrich Wil-
helms — und in freundlicher Form, aber mit Nachdruck darauf drang,
daß Dänemark feine Entwürfe gegen Die Stadt aufgebe. Andernfalls
werbe der Kurfürft Hamburg mit derfelben Entſchloſſenheit zu verteidigen
wifien, als gelte es Berlin*). Der König wagte es denn auch wicht,
feinen Zwift mit der wichtigen Grenzſtadt, die er fo gern unter ſich ges
bracht hätte, bis zum Kriege zu treiben, fondern zog mit feinem Heere
wieber ab (September 1686).
Die Iepte That des großen Kurfürften nad) außen hin war ein
Schlag gegen Frankreich und ein Verdienft, um den Proteftantisuus.
Im März 1688, fon ſchwer Trank, ſchloß er mit feinem Neffen, dem
Prinzen Wilhelm II. von Dranien, einen geheimen Bertrag, kraft heilen
6000 Brandenburger unter dem Befehl des berühmten Marſchalls
v. Schomberg, den er zu biefem Zwecke 1687 in feinen Dienft gezogen
hatte, nach) Holland gehen, von dort den Prinzen nad) England begleiten
und ihm helfen follten, den Thron des katholiſchen Stuarts zu ftürzen.
Noch im Tode beſchäftigte ihn diefe Unternehmung, bie in der That
dann erfolgt ift und mit Brandenburgs Hilfe den Gngländern ihre
„glorious revolution“ geſchafft hat. Sterbend gab er feiner Leibwache
für den legten Tag feines Lebens die Parole: London! Amfterdam! Es
war fein letztes politifches Wort.
Über feinen Kriegen und diplomatiſchen Verhandlungen hatte er
doch nie die innere Verwaltung aus den Augen gelafien. Das Eigen⸗
tümliche feines Staates beftand ja darin, daß dieſe kunftreiche Maſchine,
*) Electori perinde fore, Hamburgum an Berolinum oppugnetur. Pufendorf, de
rebus gestis Frideriei Wilhelmi, XIX. 39.
182 Des groben Kurfürften lehte Regierungszeit.
deren Triebrad der Fürſt war, nirgends ins ſtocken geraten durfte,
wenn fle das Große, was verlangt wurde, leiften ſollte. Darum
gingen fortwährend die Geichäfte aus allen Fächern der Regierung in
das Kabinet, der Fürft mochte im Felde ober baheim fein. Die
Sentralifation der Verwaltung mehr durchzuführen, erteilte Friedrich
Wilhelm in feiner legten Zeit dem Geheimen-Rat*) immer größere Be-
fugniffe. Aber zugleich verfuchte er jetzt, da der Abjolutismus feftftand,
eine Verföhnung mit den alten Sonberinterefien, die er befiegt hatte,
herbeizuführen. Nur foviel follten die Stände von ihren früheren
Rechten verlieren, als zur Herftellung ber unumfchräntten Monarchie
durdjaus notwendig fei. Denn ‘je weniger Geift und Leben in dem
Ständetum geblieben war, befto größeren Wert legten die Unterthanen
auf beflen verfnöcherte Tormen. So geſchah es benn im Sinne der
öffentlichen Meinung, daß ber Kurfürft den Edelleuten, Geiftlichen und
Bauern verbot Handel zu treiben, den Hörigen und Leibeignen, zu
ftudiren oder Handwerker zu werben; daß er ferner den Beamten ein—
ſchärfte, die Nitterfhaft und die ftädtifchen Magiftrate, denen das
Untergericht zuftand, in ihrem gefeßlichen Anteil an der Rechtspflege
nicht zu beeinträchtigen; wie er andrerjeit8 durch ein Edikt (vom
9. Februar 1688), welches dem Kammergericht gebot, Kurfürftliche Ver-
ordnungen nur dann zu beachten, wenn fie mit den Geſetzen überein:
ftimmten, aud) die Selbftändigfeit der höheren Juſtiz ficher ftellte. Aber
er ging weiter. Weil er in der Lebensfrage des Staates, in dem
‚Heer: und Steuerweien, ein Recht der Ritterjchaft vernichten mußte, fo
hielt er es für billig, derem übrige gefehliche oder herkömmliche Rechte,
auch wenn fie auf Mißbräuchen beruhten, umangetaftet zu laſſen. Die
widtigften unter dieſen Rechten bezogen fid) auf das Verhältnis des
Gutsherrn zu den Gutsbauern und waren Beftgtitel, in die hinein-
zugreifen ſoviel hieß als das Eigentum verändern. Der Kurfürft glaubte,
dem Adel, dem er im Intereſſe des Staates fo viele Opfer abforberte,
deren nicht noch zu Gunften des gemeinen Marmes auferlegen zu
können; er war eher geneigt, ihn foviel thunlich zu entſchädigen. So
tam e8, daß er die Macht der Stände nad) oben verfürzte, nach unten
aber beftehen ließ, ja fogar bekräftigte und vermehrte. Der Abel hatte
tm Laufe der eit die Bauern zu feinen Unterthanen und Dienftleuten,
an vielen Orten, befonder8 in der Udermarf und in Pommern, zu
feinen Leibeigenen herabgebrüdt; diefen Mißbrauch, den er vorfand,
erfanmte Friedrich Wilhelm in feinen „Bauern-, Gefinbe-, Hirten- und
*) Die Mitglieder deffeben hieten feit 1682 wirktice geheime Räte zum Unten:
ſqhiede von denjenigen Beamten, bie nur ben Xitel, nicht die Geſchafte eines geheimen
Rates Hatten.
Die Verwaltung. — Das Heer. 183
Schäfer-Drdnungen“ vom Jahre 1678, 1681, 1683 als geſetzlich an.
Der Bauer blieb danady an die Scholle gebunden und mußte feiner
Gutsherrſchaft drei Jahre dienen; der Xeibeigene war fogar verpflichtet,
foviel und folange Hand- und Spanndienfte zu leiften, als die Herrichaft
nur immer verlangte. Hier fagte ber große Kurfürft alfo nicht, wie er
es bei Steuer und Kriegsfachen that: „Die Rechte der Stände ftelle er
nit in Wbrede, allein der Zeit müßten auch Landesverträge und Grund»
gejege weichen“. Hier ſchonte, ja begünftigte er vielmehr das alte feu—
dale Weſen.
Es war eine Art von Kompromiß zwifchen dem neuen Abjolutismug
und ber alten Ariftofratie: der Minorität blieb e3 erlaubt, die Majorität
bis zu einem beftimmten Grabe auszunußen, aber fie mußte jeßt einen
großen Zeil dieſes Nutzens für den Staat hergeben, der im Intereſſe
aller errichtet war. .
Auch in feinem Verhalten gegen das Heer bewies der Kurfürft, daß
es ihm darauf anfam, die großen Laften, die er den alten Ständen auf
legte, nicht unnötig zu vermehren. Durch Werbung und für Sold zus
fammengebradht, Tonnte das ftehende Heer nicht von dem edeln Geift der
Vaterlandsliebe, fondern nur von bem kriegeriſchen Standesgeift, von der
Ehr- und Ruhmesliebe zu jenen vorzüglichen Leiftungen gefpornt werben,
auf denen die Macht des Staates beruhte. Daher war e3 natürlich, daß
der Soldat befonbere Begünftigungen erwartete, daß er fich beſſer dünfte
als der Zivilift, und daß er leicht übermütig und gewaltihätig wurde.
‚Aber der Kurfürft ſchritt dagegen allemal ernſtlich ein, Bielt ftrenge
Mannszucht, beſchützte Die Unterthanen fehr nachdrücklich; er war wohl
geneigt, diefem neuen Stande im Staate viel Ehre, aber fein Vorrecht,
am wmenigften Gewalt über die anderen Stände zu geben. In feinen
„Marche, Duartier- und Verpflegungs-Reglements" (1670 und 1678)
machte er die Offiziere für die Ausfchreitungen ber Gemeinen verant«
wortlich, verbot bei Vermeidung vierfacher Erftattung und eremplarifcher
Strafe das geringfte an Geld oder Geldeswert von den Unterthanen zu
fordern oder gar zu erprefien, befahl, die Truppen follten nicht eher die
Duartiere verlafien, bis bie Offiziere von den Verwaltungsbeamten und
Magiftraten ein Zeugnis ihres Wohlverhaltens erlangt hätten. Ebenſo
kräftig wußte er Übergriffen im Heere jelbft zu fleuern; bie häufigen
Rangftreitigfeiten ber Offiziere befeitigte er durch die Verordnung vom
Februar 1684, daß ſich der Rang nad) dem Dienftalter richten folle.
In einem anderen Armeebefehl (am 8. Yebruar 1688) verbot er den
Offizieren, die Prügelftrafe gegen die Gemeinen anders als unter be
ftimmten gefeßlichen Formen anzuwenden.
Wenngleich die Stärle des Heeres nach dem Bebürfnifie wechielte,
jo war doch aud) der Friedensbeftand für einen Kurftaat jehr beträchtlich.
184 Des großen Runfürften Icpte Regierungszeit
Bei dem Tode des Kurfürften zählte das Heer 28000 Mann, darunter
5000 Reiter. Es war mufterhaft ausgerüftet, die Reiterei zumal ſah
jetzt anders aus, als da fie bei Warfchau den Feind jagte; fie war reich
gelleidet in verziertem Lederkoller, Küraß, Helm und langen Gtiefeln.
Die Dragoner hatten einen an der Seite aufgefchlagenen Filzhut und
einen reichgeſtickten Waffenrock, defien Armel mit dunkeln Duerbändern
benäht waren. Auch an der Uniform des Fußvolls warb nicht geſpart;
die blauen Tuchfleider faßen weit und bequem; der Mustetier trug
dazu einen Zeberhut, der Pifenier eine Pickelhaube. Außer den Pie
nieren, welche Panzer, Säbel und 14 Fuß lange Pilen hatten, führten
alle ſowohl Feuergewehr als andere Waffen, nämlich die Reiterei Karas
biner, Piftolen und lange Schwerter, Die Dragoner Säbel, kurze Pilen
und leichte Musfeten, die Musfetiere Degen und Lunten- Musteten,
welche beim Abfeuern auf Gabeln gelegt wurben. Die Iufanterie, zu
zwei Dritteln aus Musfetieren, zu einem aus Pikenieren beftehend, focht
in ſechs Gliebern. Beim Feuern ſchoß zuerft das ferhfte Glied, während
die andern auf den Knieen lagen, dann ſchoß das fünfte u. f.w. Beim
Stechen kniete das erfte Glied nieder, fällte die Pike, die es gegen ben
Fuß ftügte, und zog gleichzeitig den Degen; die hinteren Glieder blieben
ftehen und fällten die Pilen, fo dab das ſechſie Glied dieſelben am
höchften hielt. Der Dienft ber Musketiere war am ſchwerſten, denn fle
mußten auch nod) ſpaniſche Reiter mit fi) tragen, Holzböde, die fie in
der Schlacht als eine Art Verſchanzung vor fid) aufpflanzten. Die Unter-
haltung ber Truppen, dazu das Feſtungsweſen und die 1663 in Kolberg
errichtete Ritteraiademie (eine Art Kriegsſchule), dies alles Toftete jährlich
über eine Million Thaler baren Geldes; eine Summe, welche auf beftimmte
Einkünfte — die Grundftewer, Die Bölle, das Stempelpapiergeld und bes
fonder8 Die Aceife — angewieſen war, während andere Einfünfte, wie
die Erträge der Boft und der Domänen, zur Erhaltung des befonbers
feit der zweiten Heirat des Kurfürften im Jahre 1668 prächtiger ge
wordenen Hofftaais und der Beanten dienten. Zuletzt belief ſich die
Geſamtansgabe des Staates auf 2/, Million Thaler.
Diefe Leiftung dem Lande zu erleichtern und die Steuerfräfte für
die Zuhmft noch zu fteigern, fehte die Regterumg ihre Arbeit als Pflegerin
jedes Erwerbszweiges ımermäblid, fort. Ihre Sorgfalt lieh es nicht bei
allgemeinen Anordnungen bemwenben, fie trieb aud im einzelnen. So
befahl der Kurfürft (1685) den Ackerbürgern, Hinter ihren Häufern Baum
gärten anzulegen, und ben Geiſtlichen, feinen Mann zu trauen, der nicht
nadjweife, daß er wenigftend ſechs Obftbäume verebelt und ſechs junge
Eichen gepflanzt habe. Er felbft ging mit gutem Beiſpiel voran und
war ein eifriger Gärtner; aus feinem Obft- und Küchengarten zu Berlin,
wo er oft genug mit eigener Hand fäete und pfropfte, verbreitete fich
Induftrie und Geehandel. 185
denn namentlid, aud) ber feinere Gemüfehau über die Mark. Wie hart
er übrigens die Untertanen anfaflen mußte, um fie aus ihrem Saumfal
zu ziehen, erhellt aus ben polizeilichen Vorſchriften, Die er für Berlin
erließ. Diefe Stadt, befonders durch die frembe Eimwanderung fehr ge
wachſen, jeit 1674 auch durch einen neuen Gtabtteil, die Doretheenftabt
mit der vierfachen Lindenallee erweitert, zählte am Ende diefer Regierung
20 000 Einwohner, dreimal mehr als am Anfang derfelben, aber noch
immer fehlten jene Zeichen höherer Bivilifation, die der Kurfürft an den
hollandiſchen Städten und felbft in vielen Reichsſtädten bemerkt hatte:
Rettigkeit und. Ordnung im Außeren. Cr befahl daher 1680: „wer den
Unrat auf die Straße werfe, dem folle er wieder ins Haus geworfen
werden; wer unfittlicher Weiſe die Straße verunreinige, folle an ben
Pranger kommen, Kinder dafür mit der Rute beftraft werben, da man
ſolch ſäuiſches Weſen nicht dulden könne und zur Rotdurft öffentliche
Bedürfnisanftalten vorhanden feien." Er erließ auch eine neue euer
löſchordnung (1682), eine Laternenordnung, nötigte die Hausbeſitzer vor
ihren Häufern pflaftern und kehren zu lafien, den Magiftrat aber, das
Ganze ftreng zu beauffichtigen.
Bas die Produftion in feinen Staaten henunte, war jedoch weniger
die Trögheit der Unterthanen als deren Mangel an Kenntnis, Geſchick-
lichkeit und Kapital, Auch aus dieſem Grunde zog der Kurfürft unabläffig
Einwanderer, am liebften aus dem gebildeten und wohlhabenden Weiten
herbei. Diefe Fremden, befonders die Franzoſen, von denen im Jahre 1672
zu Berlin eine „franzöfiiche Kolonie” gegründet worben, aber auch Pfälzer,
‚ Holländer, brachten wicht bloß Arbeitskraft, ſondern aud) jene
Vermögen, die bier fehlten, in den Kurfiaat. Sie bürgerten in der Marl
neuen Induftriezweig ein, 3. B. die Tabalsſpinnerei (1681) und
den Tabalsbau (1685); fie waren es, die fih am Häufigften zu jenen
Privilegien meldeten, welche der Kurfürft zur Einführung neuer Manu
fatturen fo gern erteilte; fie halfen ihm auch feine Fabriken anlegen, die
das einheimifche Gewerbe erweitern follter (1674 ein Gtahlwert, 1686
eine Gewehrfabrit, 1686 eine Buderfiederei und eine Gaze-, Seide unb
Kreppfabrit, 1687 ein Blech⸗ und Zinnhaus). Qurh fie, die in allen
Wie die Franzoſen in der Induſtrie, fo waren die Holländer im
Seehandel dem Kurfürften ſehr brauchbare Gehilfen. Nachdem er mit
ihrem Beiftande fi) eine Flotte verſchafft hatte, wollte er auch eine
überfeeifche Kolonie haben. Auf den Rat feines Admirals, des Hol»
länders Benjamin Raute, richtete er feinen Blid nad) Guinen. Dort
ließ er mit einigen Regerhäuptlingen Verhandlungen anknüpfen, und
186 Des groben Kurfürften lehte Regierungszeit.
als fie ihn zu ihrem Oberherrn angenommen und verſprochen hatten,
nur mit brandenburgifhen Schiffen Handel zu treiben, aud die Ers
bauung eines Forts auf ihrem Gebiete zu geftatten, errichtete er 1682
eine „afrifanifche Handelsgeſellſchaft“ und fchidte den Major Otto
Friedrich von ber Gröben mit zwei Kriegsſchiffen und einer Kompanie
Soldaten nad) Guinea, um dort die Niederlafjung anzulegen. Gröben
erbaute 1683 auf der Goldküſte zwiſchen Arim und dem Kap der drei
Spigen das Fort Großfriedrihgburg, in deffen Nähe dann noch zwei
andere brandenburgifche Pläge, Acoda und Tacarari, befeftigt wurden.
Mit großem Staunen fahen die Berliner (1684) eine Geſandtſchaft von
Negerhäuptlingen anlangen, die gefommen waren, ihrem Herm, dem
Kurfürften zu Huldigen. 1685 umterwarf fid) ihm aud) die Infel Arguin
zwifchen dem grünen und weißen Vorgebirge am Senegal und erhielt
ebenfalls ein Fort als Befeftigung und Handelsplag. Die Waren, welche
die Brandenburger in Guinea eintaufchten, beftanden in Goldftaub und
Sflaven; letztere verfauften fie dam in Amerika, wie es damals alle
feefahrenden Nationen Europas thaten. Um das Aufblühen dieſer
Handelsgejellfchaft bemühte fich befonders der Minifter Paul Fuchs, der
nit bloß als Diplomat, fondern auch als Verwaltungsbeamter fich
große Verdienfte um ben Staat erwarb.
-Der Kurfürft förderte feinen Seehandel indes noch von einer anderen
Seite. Er bemußte einen Streit, der zwifchen der Fürftin von Oftfriede
land und den Ständen des ſehr freiheitlic, verfaßten Staates ausbrach,
um als Mitdirektor des weftfälifchen Kreijes, zu welchem Oſtfriesland
gehörte, fi) hinein zu mifchen; er verband fid) mit den Ständen und
legte 1682 zu ihrem Schutze brandenburgifhe Truppen nad) Emben
und Greetfiel an ber Ems. Emden, der wohlgelegene Rorbfechafen,
wurde nun die Haupfftation für die brandenburgiſch⸗preußiſche Kriegs:
flotte, neun Schiffe von 20 bis 40 Kanonen, welche der Kurfürft 1686
von Benjamin Raule für 109000 Thaler an ſich faufte; Emden wurde
zugleich der Sig der afrifanifchen Kompanie. So hatte der hohenzollerſche
Staat auch am der Norbfee Fuß gefaßt. Freilich) war die Handels-
marine von Hinterpommern und Oſtpreußen noch micht fo weit ent
wide, um mit Friedrich Wilhelms großartigen Ideen Schritt zu
halten; dazu Tamen die Sinberniffe, welche die weftindiiche Kompanie
Hollands aus Eiferſucht den Brandenburgern in den Weg ftellte; Kurz die
afritaniſche Unternehmung gedieh nicht recht, und der Kurfürft geftand,
daß jeder Dukaten, den er aus afrilaniſchem Golde prägen laffe, ihm
zwei andere fofte. Aber er durfte hoffen, daß feine Nachfolger, wenn fie
feine Anfänge Aug und fräftig weiterführten, mit der Zeit zu beſſeren
Ergebniffen tommen würden. Und wenn jenes Geld in Zukunft doch
feine Zinfen trug, fo war es würbiger verloren, als die Summen, welche
Zod bes großen Kurfürften. 187
an anderen Fürftenhöfen für fchlimmere Liebhabereien verjchwendet
wurden. Weber Mätreffen noch Günftlinge ſchöpften in Berlin aus dem
Sädel des Fürften ober des Staates. Wohl über zierten Friedrich
Wilhelms Hof viele treffliche Gelehrte und Künftler aus Holland, Franke
reich, Italien, Deutſchland, unter denen der Stahlſchneider Leigebe aus
Schleſien, der Kupferftecher Bartſch und vor allen ausgezeichnet ber
Biograph des Kurfürften, der berühmte Gelehrte Samuel Pufendorf, zu
nennen find.
So konnte der Einfluß des Hofs auf die geiftigen Intereſſen des
Landes nur heilfam fein. Der Kırfürft fuhr überdies fort, ihnen aud) un
mittelbar zu nüßen, gründete 1671 eine Ritterafademie zu Frankfurt a. D.,
1683 eine Stadtſchule (das fpätere Gymnafium) auf dem Friedrichs⸗
werber zu Berlin, eröffnete feine Bibliothef, die im Jahre 1687 ſchon
1618 Handjchriften und 20600 Bände enthielt, mit größter Liberalität
dem ganzen Publikum.
Diefer überall anregende und raftlos thätige Mann war doch feit
dem franzöfifchen Kriege körperlich jelten geſund; er hatte ſich durch bie
Beſchwerden im Felde die Gicht zugezogen, die ihn dann nicht mehr ver⸗
ließ. Im Anfange des Jahres 1688 ging diefe Krankheit in Wafjerjucht
über, und bald eröffneten ihm feine due, daß feine Lage hoffnungslos
fei. Er hörte e8 mit großer Fafſung und traf ſtill feine Vorbereitungen.
Am 7. Mai verfammelte er den Kurprinzen, die Minifter, die Mitglieder
des Geheimen-Rats zu einer feierlichen Sigung und nahm als Landes-
herr Abjchied. „Er wohne nun zum legten Male bem Rate bei; ir
wenigen Tagen were er fterben. Seine Regierung fei voll geweſen von
Mühe und Sorge für ihn und durch die vielen Kriege voll Übel für
feine Unterthanen. Gern hätte er die Laften des Volkes vermindert, bie
Ungunft der Beiten habe es verwehrt. Alle Welt aber wiſſe, wie er ben
Staat nad) dem Tode feines Vaters gefunden, und wie er ihn jebt
binterlaffe, in ziemlichem Wohlſtand und großem Anfehen, gefürchtet von
den Feinden, geachtet bei den Freunden. Diefen aufftrebenben Staat
übergebe er dem Kurprinzen mit der Ermahnung, ben ererbten Ruhm zu
wahren und zu vermehren; bie Waffen, denen der Staat feine Sicherheit
und feinen Glanz verdanke, immer zur Hand zu haben; die Unterthanen
zu lieben; treue Räte zu hören.“ Dann dankte er ben Räten für ihre
redlichen Dienfte, forderte fie auf, feinem Sohne mit gleicher Treue zu
dienen, und fagte jedem lebewohl. Alle erwiederten mit Thränen:
Nachdem er dann aud) von feiner Familie Abſchied genommen und mit
feinen Hofpredigern gebetet hatte, war er bereit zu fterben. Sonntag
am 9. Mai verfammelte er noch einmal feine Kinder um fein Bett,
fegnete fie und rief inbrünftig: „Komm Here Jeſu! ich bin bereit!“
dann mit leiferer Stimme: „Ich, weiß, daß mein Erlöfer lebt, und ber
188 Des groben Kurfürften Icpte Regierungszeit.
wird mich hernach aus ber Erde auferwecken“; neigte fein Haupt und
verſchied.
Friedrich Wilhelm hatte in feiner 48jahrigen Regierung Großes ge⸗
leiſtet; Großes für feine Dynaftie, die er ſouverän nad) außen und ab⸗
folut nad) innen, Großes für fein Volt, das er vermittelft des Abſolu⸗
tismus zu einer tuchtigen Nation gemacht hatte. Denn die Länder und
VBölkermaſſe, die er vom Water überkommen, war jet nicht bloß um
etwa die Hälfte vermehrt — von 1472 auf 2013 Duadratmeilen, von
900 000 auf 1,500000 Einwohner — Land und Leute waren aud) aus
der Berriffenheit zahlreicher Sonderweien umgewandelt in einen feiten
einigen Staat, und in diefem Machtmittel geſchaffen, Hüfsquellen eröffnet,
von denen man hier vordem feine Ahnung hatte: ein ftehenbes Heer von
28000 Mann ausgezeichneter Truppen, ftarfe wohlverſehene Feftungen,
reiche Einkünfte, die Staatseinnahmen von einer halben Million Thaler
auf 2), Million gebraht und ein Schaf von 650 000 Thalern gejam-
melt; dazu ein glängenber Ruhm feinem Haufe gewonnen, fein Staat mit
Ehren in die Reihe der Weltmächte eingeführt; wenn einer, fo verdient
Friedrich Wilhelm den Beinamen des Großen, ben ihm fchon die Mit-
welt zuerfannte. Es ift wahr, die Mittel, die er gebrauchte, machen
mehr feinem Berftande als feinem Herzen Ehre; „Friedrich Wilhelm war
(wie fein Seitgenoffe Burnet jagt), wenig empfindlich bei den Leiden der
Menſchheit; er belaftete feine Unterthanen außerordentlich, um fein Ge—
pränge zu erhalten und feinem friegerifchen Geifte Raum zu geben.“
Aber was als Gepränge erſchien, barg in ſchimmernder Hülle eine preis«
würdige Schöpfung, und die Waffen allein gaben ihr Luft und Licht.
So manches gebrochene Recht klagte ben großen Zoten an; aber im
Wibderftreit der Interefien, die er vorfand, konnte nichts gedeihen; er glich
dem Arzte, ber ſchonungslos die Teile ſchneidet und brennt, damit das
Ganze gefunde und erftarfe.
Benn er dem Volke feinen Willen aufgwang, fo war biefer ber
meifere; wenn er viel von den Unterthanen forberte, fo forderte er von
ſich nicht weniger. Denn feine Werke, feine Macht und fein Ruhm waren
mit feinem Schweiße jo gut wie mit dem Schweiße feines Volkes her⸗
geftellt worben. Im feinen Schlachten ſetzte er fein eigenes Leben fo gut
ein wie jeber feiner Krieger. Seine Tage verbrachte er mit Arbeit und
Sorge für den Staat, nicht wie fo viele andere Fürften mit Lüften und
Ausſchweifungen. Durch ein ehrbares mäßiges Leben feinen Unterthanen
ein gutes Vorbild, troß feines reizbaren Temperaments allezeit beſonnen
im Handeln, war er mit Recht ein Selbftherricher, weil er mit Ehren
ein Selbftbeherrfcher war.
189
Innere Iuftände des braudenburgiſchen Staates im
ſebzehuten Jahrhundert,
Das Vollsleben, im Mittelalter fo bunt und Träftig, ift nun ver»
blaßt; die Einwohner des Staates führen, fett die Monarchie abfolut
geworben, nicht mehr ein öffentliches, nur ein Privatleben; fie find bloß
Unterthanen und noch nicht Staatsbürger. Denn der Fürft ift mit feinem
Heere und mit feiner Beamtenſchaft das einzig Bewegende und Erhaltende
im Staate; das Bolt hat nur die Mittel herzugeben. Statt der polis
tifchen Intereſſen erregen feit ber Reformation die kirchlichen das Volt;
hierin hält e8 am längften feine Selbftändigteit feft. Aber auch in der
Kirche erlangt das landesherrliche Anſehen zuleht völlig die Oberhand.
Das Bolt gewöhnt ſich in allem und jedem dem Yürften die Leitung zu
laffen und bald greift die Benormundung ber Regierenden aud) in das
Privatleben ber Regierten ein.
Diefe Entwidtelung, die im fechzehnten Jahrhundert begann, erreichte
im fiebzehnten ihren Abfchluß. Am meiften wirkte dazu der dreißig⸗
jährige Krieg, weil er bie Verrottung des alten Beſtandes, namentlich)
bie Mängel bes ſtändiſchen Staates, bloklegte und bie Abfolutie nötig
machte. Die verjdjiebenen Klaſſen des Voll verloren dabei nicht ein
und dasfelbe. Denn da der Landtag nur die Ritterfchaft, die Geift-
lichkeit und den vornehmen Bürger vertrat, fo geſchah es oft, daß was
diefer Minderheit geflel, der Maſſe des Volks zum Schaden gereichte.
Darım fagte Georg Wilhelm ſehr treffend, als er von den Ständen
1624 einmal wieder vergebens Steuern zur befieren Verteidigung des
Landes verlangte: „die bemofratifche Weſen, wo die Stände herrichten,
jet nicht zu dulden; e8 würbe ſehr bald zu einer oligarchifchen Verfafſung
umſchlagen, wofern nicht die Monarchie obſiege.“ In der That, wo die
Stänbe das Heft hatten, wie in Preußen zur Zeit des Herzogs Albrecht
Friedrich, war das Land im Grunde eine Adelsrepublif.
Aud) in der Mark hätte der Adel mächtig um fid) gegriffen, bevor
der große Kurfürft die Macht der Stände zerbrach. Seitdem die Hohen
zollern ben märfifchen Edelleuten das Fehde- und Raubweſen gelegt,
wenbeten fich dieſe mehr den friedlichen Beichäftigungen des Landbaues
zu. Aber die meiften Rittergüter in der Mark waren weder durch Größe
noch durch Fruchtbarkeit des Bodens fo ergiebig, um ben Anſprüchen
ihrer Befiper genügen zu können. Ihr magerer Ertrag fette den Edel-
mann nicht in den Stand, wit dem Lupus der reichen Handelsherren in
der Stadt oder der großen benachbarten Gutsbeſitzer in Mectenburg und
Sachſen Schritt zu halten. Dazu kam, daß feit der Reformation eine
Menge von fetten Pfründen, Kanonifaten, Dompropfteien, Orbengrittere
190 Imnere Zuftände des brandenburgiſchen Staates im fiebzehnten Jahrhundert.
ftellen, fortfielen, die fonft dem Adel zur Verforgung feiner jüngeren
Söhne gedient hatten. Die Beamtenlaufbahn konnte doch nur ein Heiner
Zeil einfchlagen; fie koſtete auch Geld und Mühe, zum Studiren hatten
verhältnismäßig nur wenige Luft. Alles dies wirkte zufammen, um ben
Adel auf das Beſitztum des Bauernftandes Hinzutreiben, zwar jetzt
richt mehr als Wegelagerer, aber als „Bauernleger”, als Auskäufer der
Bauerngüter. Die adligen Beſiher benußten dazu jede Gelegenheit. Sie
hatten fi das Vorrecht angemaßt, nicht bloß in den abligen Dörfern,
d. h. in Denen, welche einft durch die adlige Herrichaft gegründet waren,
fondern auch in allen denen, wo fie von altersher ein richterliches oder
fonft ein Amt im Namen der Kirche oder des Markgrafen ausübten, die
Bauern für eine beftimmte Summe aus ihrem Beſitze auszufaufen.
Diefe Höfe und Ländereien fügten fie dann als Vorwerke oder Schäfe
zeien ihren Nittergütern Hinzu. So ſchmolzen die freien Bauerngüter
immer mehr zufammen, am rafcheften die Lehnfchulzengüter, die beim
Erlöfchen der Familie auch dem Rechte nach an die Gutsherrfchaft zurück⸗
fielen. Dann kam der dreißigjährige Krieg; er legte eine Unzahl von
Bauernftellen und ganze Dörfer wüft; der Abel riß diefe herrenlofen
Güter an fi) und vermehrte dadurch feinen Beſitzſtand ungemein. Nach
dem Frieden fiedelte er dann Bauern darauf an, die wenig befier als
Zeibeigene waren. Doch aud) die wenigen nidjtabligen Landleute, Die
fi) frei erhalten Hatten, mußten fi) aus Armut oft zu Dienften ver-
ftehen, die leicht in völlige Abhängigkeit ausarteten. Kurz es gab ſchon
faft feinen Bauern mehr, der nicht entweder in einem Edelmann oder in
einer Stadt oder in dem Fürften als Domänenbefiper eine Gutsherr⸗
ſchaft Hatte. Auch konnte ſich der Bauer felten mehr zu Wohlitand aufs
ſchwingen. Denn die Steuern, welche die Stände bewilligten, wurben
größtenteils auf ihn gewälzt; er war es, der für den Adel die meiften
Abgaben aufbracdhte, die dieſer zu zahlen Hatte. Auch in den Städten
fielen die ſchwerſten Laften auf Die ärmeren Bürger. Namentlich ges
nofien die Hausbefiger Freiheit von mancherlei Abgaben, z.B. an vielen
Orten Bollfreiheit, und die Kontributionen, die erft der Krieg, dann der
bewaffnete Friede nötig machte, wurden nicht nad) dem Vermögen, fons
dern nad) der Kopfzahl verteilt.
Da war denn die Art, wie der große Kurfürft zu beſteuern an⸗
fing, ingbefondere die Accife, Die alle nach gerechtem Maße traf, für die
Mafje des Volks eine Wohlthat. Daher kam es, daf die Bürgerfchaft
in vielen Städten den Rat zwang, feinen Widerſpruch gegen die ver-
fafiungswidrigen Maßregeln des Kurfürften fallen zu lafien. Ebenfo war
die Kopffteuer, die der Kurfürft zuweilen erhob, zwar ungeſetzlich, aber
gerecht, denn von ihr war durchaus Feiner befreit. Der Kurfürft ſelbſt
Die Städte. 191 -
zahlte für feine Perjon 1000 Thaler, und fo ein jeder im Lande, der
Geringfte ſechs Groſchen.
Die Lage der Bauern war nicht überall dieſelbe. In manchen
Gegenden, z. B. in der Altmark und in Preußen, gab es noch viele
freie Hofbefitzer, in anderen hatten die Bauern der Gutsherrſchaft
nur ganz beftimmte Abgaben und Handdienſte zu leiſten; in einigen,
3. B. in der Ndermart und in Pommern, waren fie mit ungemefjenen
Zaften überbürdet. Ein wirffames Mittel, fie in Knechtſchaft zu brin-
gen oder zu halten, hatte der Abel an der Verwaltung der Polizei
und des Untergericht® in feinen Dörfern. Welcher Bauer wollte
da gegen ben Edelmam auflommen, wenn er aud noch fo jehr im
Rechte war?
Die ftädtifhe Bevölkerung lebte noch in den Formen bes
Mittelalters; es gab noch einen von der Bürgerjchaft erwählten Nat,
der die Stabt mit Hilfe der Stabtverordneten verwaltete, es gab noch
Zünfte und Innungen. Aber ihre Gelbftändigfeit hatten dieſe Kor-
porationen faft ganz verloren. Der Rat verwaltete das Untergericht,
die Polizei und das ftädtifche Vermögen nur nad) den Anmeifungen
der Regierung, die Stadtverordneten wählte er feit Joachim II. felber
aus ber Gemeinde. Die alten Gefchlechter waren im breißigjährigen
Kriege größtenteils ausgeftorben. Die werigften unter den angejehenen
Bürgern beſaßen nod) die Mittel, die alten Ehrenämter um der Ehre
willen zu verwalten. Denn die Verwaltung foftete jetzt, da die Schrei-
berei das öffentliche und mündliche Verfahren verdrängt hatte, viel mehr
Zeit und Mühe. Übrigens follten ja der Rat fowohl, wie die Stabt-
verorbneten, nichts fein als die gehorfamen Diener des Fürften, der fie
beftätigte.
Nachdem die Städte den beften Teil ihrer Privilegien verloren hatten,
war aud das Bürgerrecht kein ſo wertvolles Gut mehr. Dody hielt man
die Schranken, die eine frühere Zeit darum gezogen, auch jetzt aufrecht;
es koſtete, bis der große Kurfürft eingriff, viel Geld, um Bürger und
Meifter zu werden. Auch fonft bewahrte man das alte Ständewefen
wenigſtens in der Form.
Für jede der drei Klaffen, in die man die Städter unterſchied —
zur erften gehörten die Bürgermeifter und Ratsherren, die Geiftlichen, .
Richter, Lehrer und edlen Familien; zur zweiten die wohlhabenden
Kaufleute und Handwerker; zur dritten Die gemeinen Bürger und
Dienftleute — überhaupt für jeden Stand galten noch immer be
ſtimmte Kleider und Aufwand⸗ Ordnungen, die oft von Polizeiwegen
eingefhärft wurden. Manche Berufsarten hatten einen Makel an fi:
die Schäfer, Wächter, Büttel, hie und da jelbft die Leineweber hießen
unehrlid; eine Unbill, die endlich der große Kurfürft wenigftens vor
- 192 Innere Zuftände des brandenburgijchen Staates im fiehzehnten Sahehundert.
dem Geſetz abftellte, wenn er auch die Vorurteile des Volks noch nicht
ausrotten Tonnte.
Die Regierung eignete fi) damals faft überall in Europa bie
Lenkung der Rationalthätigleit zu; für den hödjften Zweck der Staats-
wirtihaft galt das Geldmachen, und für die beften Mittel dazu hielt
man die Einrichtung privilegieter Fabriken, Zolltarife, Aus- und Ein-
führ« Verbote. Bei biefem „Merkantilfoftem“, das ber franzöflfche Dis
nifter Colbert aufgebracht, erfuhr ber Verkehr im allgemeinen ebenfo
viel Hemmnis als Vorſchub. Aber für Deutfchland und namentlich für
die Marten, wo der große Kurfürft es handhabte, war es infofern ganz
angemefien, als hier die Selbftthätigfeit des Bürgertums erft wieder
geweckt ımb erzogen werben mußte. Der deutſche Handel und Wandel
lag jeit dem dveißigfährigen Kriege zu tief damieder, um fich jelbft
helfen zu können; vielmehr Löfte fi fein alter Hort, die Hanja, die
längft feine Bebeutung mehr hatte, 1669 ganz auf, es blieb mur ihr
Name, ben fortan die Städte Hamburg, Lübeck und Bremen fortführten.
Der Landesherr mußte aljo helfen. Unter feiner Fürſorge erholte fich
denn auch der märfifche Handel einigermaßen. in Naturereignis kam
dabei zu flatten. Im ſechzehnten und fiebzehnten Jahrhundert verloren
ſich nämlich die Heringszüge aus ber Dftfee, wo man ihnen allzuftark
and forglos nachgeftellt hatte, und beſchränkten ſich auf die Norbiee.
Seitdem nahm der Handel mit biefen Fiſchen nad) bem öftlichen Deutſch⸗
land bis Polen hin feinen Hauptweg von Hamburg die Elbe hinauf und
durch bie Marken. Er war auf dieſer Straße ſchon unter Joachim II.
ſo beirächtlich, daß ber Bol bei Lenzen dem Kurfürften jährlich 70.000
Dulaten gebracht haben fol, und im Jahre 1614 verftenerte man dort
eine halbe Million Tonnen Heringe. Unter ben Produkten, welche die
Mark felbft zur Ausfuhr brachte, war altmärkiſches, befonders garbelegener
Bier das bebeutendfte. Bier diente aud) im Lande als Hauptgetränt.
Den Weinbau, ber in der Mark und faft in ganz Norddeuſſchiand einft
fo anfehmlich war, hatte der breißiglährige Krieg bier völlig vernichtet,
und diefe Kultur kam richt wieder auf, weil fie eine ganz befondere
Geſchicklichkeit und Erfahrung erforderte. An die Stelle des Weins trat
jeßt bet vielen ein ſchlimmeres Genußmittel, der Branmtwein. Gegen
Ende des jechzehnten Jahrhunderts von einem Apotheker zu Rordhaufen
erfunden, wurde der Branntwein zuerft als Medizin, bald aber zum
Gaumenkitzel gebraucht. Größere Verbreitung fand er während des
dreißigjährigen Krieges, der aud) die Sitte des Tabakrauchens in ber
Mark bekannter machte. Etwas fpäter, doch noch zur Zeit des großen
Kurfürften, entftanden auch hier ſchon Schenken, wo Thee, Kaffee, Cho-
tolade, Limonade genoffen wurde.
Eine große Plage für den Verkehr war immer bie Unzahl von
Das geiftige Leben. 193
Münzftätten im deutſchen Reiche und ber Mißbrauch gewejen, den die
Zandesherren mit dem Münzrecht trieben. Am ärgften aber wurbe ber
Unfug im breißigjährigen Kriege. Wucherer und Juden zogen das gute
Geld aus dem Verkehr und bradjten dafür beſchnittenes md ſchlechtes
in Umlauf. Zu biefen „Kippern und Wippern“ kamen noch Falfch-
möünger, und bie berechtigten Städte und Fürften nahmen teil an dem
allgemeinen Betruge, indem fie immer leichtere Münzen ſchlugen. Zuletzt
war faft mir faljches ober Kipper- und Wippergeld zu fehen. Diefen
Übelftänden fteuerte in ber Mark das neue Mimzgeſetz von 1666, wor
nad nur der Kurfürft das Münzrecht hatte, und ber Wert der Münzen
feft beftimmt wurbe; ein Joachimsthaler (jo genannt nad) ber böhmifchen
Bergwerksftabt Joachimsthal) oder kurzweg ein Thaler war ſeitdem
etwa gleich vier Mark heutigen Geldes, und 24 Groſchen machten einen
Thaler aus.
And) zur Zeit ihrer größten Blüte, ihrer Macht und Freiheit hatten
die brandenburgijchen Städte nie das Bild der Anmut und Schönheit,
nur eines derben Wohlftandes gezeigt. ALS fie im breißigjährigen Kriege
veröbeten und verarımten, ſchien es, als ob das alte Slawentum mit
feinem Schmuß, feiner Unordnung bier wieder aufgelebt fe. Zum Gluck
war ber ftrenge Treiber da, der wieber Ordnung ſchaffte. Der große
Kurfürft fegte es gegen die Läffigkeit der Bürger doch endlich durch, daß
man es für nüßlid hielt, die Straßen regelmäßig zu reinigen, zu
pflaftern und zu beleuchten, daß man fi) daran gewöhnte, Brunnen an«
auflegen, Baumgärten zu pflanzen, feuerfefte Schornteine zu ſehen und
die Häufer nicht mehr mit Stroh zu decken. Diefer Fortſchritt in der
Kultur geſchah freilich zunächſt nur ba, wohin das eigene Auge bes
Fürſten drang; allmählich machte man indes auch anderwärts bie neue
Mode mit. j
Die ſchlimmſten Übel, die ber breikigjährige Krieg bem deutſchen
Volle angethan, waren jedoch nicht die Berlufte an materiellen Gütern,
auch nicht einmal an politiſchen Rechten, fondern die Schäden, welche
es an feinem Geifte nahm: Die Verwilderung ber Sitten, das Erlöſchen
des Freiheitsſinnes. Ja ſelbſt die Religiofität war entarte. Das
Glaubensleben äußerte fi) überall im Lande vorzugsweiſe in der Un—
duldfamfeit. Bei manchen führte das Elend der Kriegszeit zum voll
ftändigen Unglauben, bei vielen verdidte es noch den Aberglauben, von
dem fi) ohnehin niemand frei hielt. Er war ſchon im jechzehnten
Jahrhundert dicht genug; ſah man doch im Jahre 1559 auf ben Fel-
dern von Berlin am hellen Tage Gefpenfter. Im fiebzehnten Jahr:
Hundert wuchs er mächtig. Nicht nur daß man an Geiſtererſcheinungen,
an Zauberei. und Wunderzeihen aller Art glaubte, daß man fid) durch
die „pafauer Kunft”, die befonders bei dem Kriegsvolt im Schwange
Fierfon, preuß. Geſchichte I. 13
194 Innere Buftände des brandenburgiſchen Staates im fiebgehnten Jahrhundert.
:war, ımverwunbbar zu machen fuchte, daß man Tränke braute, um Per-
onen zur Liebe zu zwingen, und unter allerlei Beſchwörungsformen nad)
verwunfchenen Schäßen grub; — ber Aberwiß fteigerte fi) auch zu ver-
folgungswiätigem Yanatismus. Der Glaube an Heren und Zeufels-
bündner wurde mordfüchtig und zugleich, epidemiſch. Vor ihm war nun
kein Stand, fein Alter, Fein Geſchlecht, nicht Tugend noch Verdienft
fiher. Es genügte, daß eine Yrau unheimlich oder ſonderbar ausſah,
um fie in den Auf einer Here zu bringen. Jeden Unfall ſchob man auf
den Teufel und feine Spießgefellen. Blinder Verdacht, Reid, Hab, Rach-
fucht, alles trieb zur Angeberei. Die Thorheit war fo anſteckend, daß
viele ſich felbft für Genoſſen des Teufels hielten. Und wer als Here
ober Zauberer angeflagt wurde, verfiel der entjeglichften Behandlung.
Man folterte die Unglücklichen jo lange „von Rechtswegen", bis fie von
fi) oder andern alles, was man wollte, eingeftanden, daß fie durch bie
Luft zum Herenjabbat geritten, die hölliſchen Fefte auf dem Blocksberg
mitgemadjt und in des Teufels Namen gezaubert hätten. Dafür wurben
fie dann in allen Formen Rechtens verurteilt und verbrannt. In allen
deutſchen Ländern ging mit furchtbarer Wut dieſe Herenjagd; überall
Ioderten Scheiterhaufen als Opferflammen für den allgemeinen Wahr.
Von 1651—1676 wurden allein im Hennebergfchen 22 Weiber, im Bis-
tum Neiße in dem einzigen Jahre 1651 gar 200 Perfonen, meift alte
Franen, aber auch junge Mädchen, Kinder und Männer, als Heren oder
Herenmeifter verbrannt. Anderwärts ließ damals die Peft ſchon nad;
in den Staaten bes großen Kurfürjten hatte fie überhaupt weniger um
fich gegriffen.
Die geiftige Roheit und die gemeine Sinnlichkeit, weldhe dem Aber-
glauben die meifte Nahrung gaben, zeigten fid auch in der maßlofen
Schwelgerei, der die Deutjchen, wenn fie die Mittel dazu hatten, damals
überall fröhnten. Saufen, Spielen und Fluchen, das war bei den meiften
die Würze des Lebens. Dazu kam mın das feinere und defto gefähr-
lichere Gift franzöfiſcher Unfitten. Ludwigs XIV. Hof war ber Sammel-
platz aller reizenben Lafter und Wollüfte und hierin wie in Pracht und
Eleganz das Mufter der übrigen Fürftenhöfe, die wieder für ihre Wölter
den Ton angaben. So drangen auch in Deutſchland die franzöftfchen
Moden und Sitten und mit ihnen die franzöftfchen Lafter ein; und um
gute Lebensart und feine Sitte an der Duelle zu erlernen, das modiſche
Weſen aus erfter Hand zu erhalten, holte man aus Paris die Meifter
der Bildung, franzöftiche Köche und Friſöre, Schmeider und Tanzmeifter,
Sprachlehrer ımd Guvernanten, oder man reifte felber nach Paris, um
fich das Deutſchtum abzufcleifen.
Friedrich Wilhelm fuchte diefem Unweſen dadurch zu begegnen, baß
er feinen Unterthanen das Reifen nad) Paris verbot. Das half jedoch
Das geiftige Leben. 1%
wenig, und mande ausländifche Weile fand gerade durch das Beiſpiel
des Kurfürften Eingang, der feinen Hof mit modiſchem Glanz und Pruuk
ausftattete und feinem Volle die weftlichen Nachbarn, beſonders bie
Holländer, in vielen Dingen freilich) mit Recht, als Mufter vorſtellte.
Buerft nahm der Adel die frembe Art an, er wurde höflich und modiſch,
dem Adel äffte wieber der Bürgerftand nad, zumal in der Putz⸗ und
Titelſucht. Gelähmt, gebrochen wie ber deutſche Nationalgeift feit Dem
Dreißigjährigen Kriege war, konnte der Kurfürft nicht eimmal hindern,
daß die Ausländerei aud) in der Sprache allgemein Platz griff. Die
vaterlänbiiche Zunge wurde durch eine Anzahl fremder, befonders frau⸗
zöficher Wörter und Wendungen entftellt und bei vielen zu einem
wahren Kauderwelſch· verberbt. Woher follte ihr auch ein wirkſamer
Schuß gegen ſolche Mißhandlung kommen? An den Hochſchulen herrſchte
unumſchränkt die Sprache der Gelehrten, das Latein; in ben vornehmen
Kreifen ber Geſellſchaft, im diplomatifchen Verkehr und an vielen Höfen
galt das Franzöfiiche als zierlichfter ımd ammmtigfter Ausdruck; bort
wie bier begannen die Träger ber Bildumg, die Stimmführer der öffent
lichen Meinung fi ihrer Mutterfpradhe, als einer barbariſchen Mund-
art, faft zu ſchämen. Da ſich fo viele ber fühigften Köpfe von ber
deutſchen Literatur abwandten, fo geſchah es , daß dieſe in der That
nur geringes leiſtete; die Blüten, die fie im ſiebzehnten Jahrhundert trieb,
die ſchönen evangeliicgen Kirchenlieder, z. B. Paul Gerhardts „Befichl
du deine Wege“ und in der Proſa bie philoſophiſchen Werke des My—⸗
ftiters Jalob Böhme, eines Schuhmachers aus Görlitz (geb. 1575, geft.
1624), waren doch nur Ausnahmen und wurden von ber Mafle des
Wertloſen weit übermogen. Das einzige Lob, welches man ben meiften
Schriftſtellern jener Beit erteilen Zaun, ift, daß fie dem Verfall der deut⸗
fen Art und Sprache entgegemarbeiteten. Das Beſte geichah in biejer
Beziehung durch die Dichter, befonbers durch bie „fchlefildje Dichter-
ſchule“. Ihre Erzeugniſſe hatten zwar wenig poetifchen Wert, aber ber
Reinheit und Regelmäßigleit der Sprache nüßten fie mehr als die ge
Vehrten Sprachgejellichaften, die an vielen Orten in Deutſchland denſelben
Zweck verfolgten und deren einer, „ber fruchtbringenben“ in Berlin, der
Kurfürft jelber beitrat. Unter jenen Schlefiern erwarb fi Martin Opitz
(geboren zu Bunzlau 1597, geftorben zu Danzig 1639) das große Ver-
bienft, daß er in feinem Bude „won ber deutſchen Poeterei (1624)
wieber den natürlichen Fluß des deutſchen Verſes zur Geltung brachte
und für ben verwilderten Bersbau fprachgemäße Regeln aufftellte. Neben
ihm gewannen aud) die Schlefier Andreas Gryphius (1616—1664) und
Friedrich von Logau (gef. 1665), ber letztere als Schöpfer bes Sinn.
gedichts, verdienten Ruhm. Auch das Herzogtum Preußen brachte da=
mals eine Dichterſchule von einiger Bedeutung hervor; es gehörten zu
13%
196 Immere Zuftände des brandenburgiſchen Etaates im fiehzehnten Jahrhundert.
ihr die königsberger Dichter Roberthin, Alberti und der berühmte Simon
Dach (geb. 29. Juli 1605 zu Memel, geft. 15. April 1659 als Profeflor
der Poefie zu Königsberg), deſſen Lied „Anmchen von Tharau“ noch heute
gefungen wird.
Bas für Kunft und Wiſſenſchaft geihah, ging im allgemeinen body
mehr von den Landesherren als vom Volle aus; die wahren Site ber
Muſen und Grazien waren nicht die Univerfitäten, die vielmehr in ge—
ſchmackloſer Pedanterie erftarrten, fondern die Fürftenhöfe. In der Mark
hatten ſich die Unterthanen ohnehin nie viel an geiftigen Beftrebungen
beteiligt. Allmählid, wurde bies nun anders. Namentlich der Adel
ließ mit der Zeit die alte Roheit fahren und mwenbete fid) häufiger als
fonft den Studien zu, weil nur durch fie der Weg zum höheren Beamten-
tum ging. So hatte denn jchon der große Kurfürft unter feinen Räten
und Höflingen viele gelehrte Männer, die auf märkiſchem Sande geboren
und erwachſen waren. Joachims I. Wort, „in der Mark feien die Ge—
lehrten fo felten wie weiße Raben“, war alſo jeßt feine Wahrheit mehr.
Wenn aber die Bildung bes Volkes aud) im großen und ganzen nicht
unbebeutende Fortfehritte machte, fo hatte man dies den Schulen zu ver—
danfen, die nad) Einführung der Reformation gegründet worden. Freilich
war aud) in diefem Stüd bie Vermüftung bes dreißigjährigen Krieges
nur fehr ſchwer zu verwinden! Wie viel ſchön Teimendes, wie viel alt
ehrwürdiges hat er nicht zerftört! Cr vernichtete dem deutſchen Volke
auch den beften Teil feiner uralten Bräuche und Luftbarkeiten. Es hatte
ben fröhlichen, frifhen Mut verloren und war auf lange Zeit mähfelig
und ftumpf geworben.
Am werigften Tonnten num geiftige Volksbeluſtigungen gedeihen. In
der Mark hatte man deren zu Anfang bes fiehzehnten Jahrhunderts
kennen gelernt. Damals durchzogen englifhe Schaufpielerbanden ganz
Norddeutſchland, eine foldye kam auch nad) Berlin und führte hier unter
Leitung eines gewifen Hans Stockfiſch Schaufpiele auf, Die als etwas
Neues großen Beifall fanden; denn was man bier von theatralifchen
Weſen bisher gefehen, waren nur kirchliche Darftellungen, die alten geift-
lichen „Myfterien“ (bibliihen Inhalts), und Schulakte, beides durchaus
ernft und meiftens langweilig. Aber dieſer erfte Anfang zu einer öffent-
lichen Schaubühne kam im dreißigjährigen Kriege wieder ab, und nach
dem Frieden: durfte dergleichen nicht wieder eingeführt werden, weil
Friedrid) Wilhelm die Anficht der Geiftlichen teilte, die das Theaterweſen
für umfittlich hielten. Er verbot fogar Faftnachtsfpiele und öffentliche
Luftaufzüge und geftattete mır Mummenſcherze. Dagegen begünftigte er
Beluftigungen, die zugleich nüßten, und führte namentlich Schützenfeſte
und Weihnachtsmärkte ein.
Nicht viel anders wie in der Mark fah es in den Übrigen Provinzen
Das geiftige Leben. 197
des Staates aus; doch bemerkte man in ben Bistümern einen gewiſſen
Bohlftand und Überrefte jener forgfältigeren Kultur des Landes, die einft
unter dem frieblichen Krummftab dem fetten Boben Reichtümer abge—
warn. Hier, wie in Kleve und Weftfalen, hatten ſich die Bauern mit
ihrem Beſitz auch einen großen Teil ihrer alten Freiheit erhalten. Auch
in der Bildung ftanden die Bewohner der neu hinzugelommenen Gebiete
den Märlern, Pommern, Preußen etwas voran, wie denn bie größten
wiſſenſchaftlichen Leiftungen, welche damals in den Staaten des großen
Kurfürften geſchehen find, nämlich die Erfindung der Luftpumpe und der
Elektriſirmaſchine (1650), Thaten eines Magdeburgers, des Bürgermeifters
Dtto don Guericke, waren.
Biertes Bud.
Bom Tode Friedrich Wilhelms des Großen bis zum Regierungs⸗
antritt Friedrich des Großen.
änrfürk Friedrich II.
Der große Kurfürſt hatte von ſeiner erſten Gemahlin, Luiſe von Oranien,
drei Söhne, Karl Emil, Friedrich und Ludwig; nur der mittlere, obwohl
an Körper und Geiſt ſchwächer als die Brüder, überlebte ihn; es ſchien,
als wenn die Natur, wie fie pflegt, die Größe des Waters durch bie
Kleinheit feines Nachfolger ausgleihen wolle. Sie hatte Sriebrid, II.
ftiefmütterlich bedacht, ihm einen ſchwächlichen Körper, der noch durch ein
verwachfenes Rückgrat entftellt wurde, und mittelmäßige geiftige Anlagen,
als herrſchenden Charafterzug aber die Eitelfeit mitgegeben, wie er denn
ſchon als zehnjähriger Knabe einen Orden — de la göndrosit6 — ftiftete.
Daß gleihwohl aus dieſem unbebeutenden Weſen etwas Befleres wurde
als ein hohler Gert, verdankte man dem ausgezeichneten Erzieher des
jungen Prinzen, dem wackeren und Mugen Dandelmann.
Eberhard von Dandelmanın, geboren am 3. Dezember 1648
zu Lingen, hatte fid) durch gründliche Studien und durch Reifen nad)
den damaligen Hauptfigen aller Kultur, nad; England, Holland, Frank⸗
reich und Italien, eine frühreife und vieljeitige Bildung erworben. Seine
Talente, feine Gelehrfamkeit und Welterfahrung empfahlen ihn dem
großen Kurfürften, ber ihn (1663) zum Erzieher feines zweiten Sohnes
wählte. Dandelmann widmete fich diefem Amte mit ganzer Hingebung;
er nahm die mittelmäßigen Fähigkeiten bes Knaben, der damals ſechs
Dandelmann. 199
Jahre alt war (geb. 11. Zuli 1657 zu Königsberg), mit Kraft und Emft
in Bucht, und es gelang ihm, dem Prinzen nicht bloß viele Kenntniſſe,
wie fie ein Fürftenfohn braudjte, beizubringen. fondern auch dem Willen
des Prinzen einen gewiffen Halt und Adel zu geben. Dabei pflegte er
wie ein Vater die Gefundheit feines Zöglings und rettete ihn zweimal
vom Tode, als berjelbe, gefährlich erfrankt, von allen andern ſchon aufe
gegeben war. Selbft fein Meines Vermögen opferte er im Dienfte des
Kurpringen. Friedrich vergalt diefe Treue, indem er ſich willig Dandel-
manns Leitung hingab und defien höherer Einficht und ebelen Abfichten
unbedingt vertraute. Er bedurfte aud) als Kurfürft eines fo tüchtigen
Beraterd. Denn die Erziehung hatte an ihm zwar viel Gutes gewirkt,
aber feine Natur doch nicht von Grund aus ändern können. Er war
gutmätig und wohlwollend, von aufrichtiger Trömmigfeit und wenigftens
in feiner erften Zeit von der Eitelfeit noch nicht fo verbiendet, um nicht
Belehrungen, felbit wenn fie verlegten, dankbar hinzunehmen. Dieſe Züge
traten zuweilen fehr ſchön hervor. Sein Hofprediger Kochius war ein
frenger Eiferer, der Anftößiges wie ungerügt ließ. Einmal führte der
junge Kurfürft felber bei einem Hoffefte eine Maskerade auf, die dem
Geiftlichen unſchicklich ſchien; Tags darauf kam Kochius, feinen Unwillen
au äußern; aber die Hofleute ließen ihn nicht vor. Da predigte er denn
am nächften Sonntag vor dem ganzen Hofe und dem Kurfürften über
den anftößigen Vorgang. Als Antwort ſchickte ihm fein Herr reiche Ges
ſchenle (600 Thaler und eine Amtsbeftallung für feinen Sohn) zum Dank
dafür, daß er ihm ohne Menſchenfurcht öffentlich Die Wahrheit gejagt.
Kochius bewies hier übrigens, wie ernſt es ihm um Die Sadje zu thun
war. Denn als der Hofmarſchall, der des Kurfürften Sendung bradjte,
ſich dabei die Ermahnung erlaubte, Kochius möge den Hof künftig doch
mehr ſchonen, rief Der rebliche Seeljorger: „Ehe daß ich ein pflichtver⸗
geflener ftummer Hund werde, mag Geld und Amt dahin fahren”, und
damit warf er bie Geſchenke Hin und eilte fort. Nur mit Mühe ver-
mochte der beftürzte Marſchall, der fi tauſendmal entſchuldigte und feine
unbefugte Rede wiberrief, den Prediger zu bewegen, daß er bie kurfürft⸗
lichen Gaben annahm.
Aber fo gut auch Friedrichs III. Herz fein mochte, fein Wille war
ſtark nur wo es dem Schimmer galt, und fein Geift blieb ohne höheren
Schwung. Feierlichleiten, Aufzüge, Yormeln voll Prunk und Pomp er»
fühlten feine Seele und bildeten die Freude und das Geſchäft feines
Xebens. Hier befand er fi) in feinem Elemente, niemand verftand es
befier, glänzende Hoffefte zu veranftalten; fein Hofmarſchall, fein Bere
monienmeifter that es ihm in Erfindung und Beobachtung von Regeln
der Gtifette gleih. Er war, wie fein Enkel von ihm jagt, groß in
Heinen Dingen ımd Hein in großen. Denn wenn auch feine Eitelfeit,
200 Kurfürft Friedrich III.
die ihn ſein lebelang zur Erhöhung ſeines Anſehens trieb, ſich als ein
nützliches Motiv für den Staat erwies, fo war doch die Kunſt des Re—
genten, des Staatsmann und des Feldherrn nicht eben feine Sache; er
überließ fie meiftens feinen Dienern. So lange nun Dandelmann bier
feine rechte Hand blieb, ftand es aud) gut um die Regterung.
Es kam zumädjft darauf an, den Kurfürften von den für das Staats-
wohl immerhin bedenklichen Verpflichtungen, die ihm das Teftament feines
Vaters auferlegte, und zugleich aus den Schlingen Öfterreich8 zu befreien.
Das eine gelang: Friedrich III. ftieß fofort nad) feinem Regterungsantritt
jene Verfügung, die eine Art von Länderteilung anorönete, um und fand
feine Stiefmutter und Stiefbräder durch Jahrgelder, Güter und Amter
ab. Im Jahre 1692 wurde diefe Angelegenheit durch ben Erbvergleich
zu Potsdam auf eine für alle Zeile befriedigende Weiſe georbnet.
Der ältefte Sohn Dorotheens, Markgraf Philipp, erhielt die Herrichaft
Schwedt, wo er eine Seitenlinie des Haufes Brandenburg ftiftete, die
1788 ausftarb. Dagegen ließ fi) der Kaifer das Recht, das er hinter
liſtiger Weiſe erfchlichen, nicht wieder nehmen. Vergebens erflärte
Friedrich IIT., er fei als Kurprinz ſchmählich betrogen worden, der öfter-
reichiſche Gefandte habe ihm nichts davon gejagt, daß Schwiebus eine
Entſchädigung für die ſchleftſchen Hergogtümer war, umb ihm durch
falfche Darftellungen ein Verſprechen abgelodt, zu dem er als Kurprinz
nicht einmal befugt gewefen. Er gab endlich nach, trat Schwiebus wieder
ab und erneuerte fogar (1695) die Allianz mit dem Katfer durch einen
Vertrag, der diefem wieder branbenburgifche Hilfstruppen zuficherte,
während er felbft für feine Opfer und Leiftungen mit geringen Entſchä ·
Digungen, — einer Geldfunme (250 000 rheiniſchen Gulden) und der An⸗
wartſchaft auf Oftfriesland, fowie auf die fränkiſche Grafſchaft Limburg
mit der Herrichaft Speckfeld abgefunden wurde; — er handelte fo, weil
er fid) von dem Bündniſſe mit Öfterreich wenigftens für bie Zukunft
große Vorteile verſprach.
Seine auswärtige Politit nützte überhaupt zunächſt mehr anbern
als ihm ſelbſt; aber fie ebnete ihm Die Wege zu dem Biel, das er ſich
in feinem Herzen ftedte. Sie floß übrigens aus wahrer Überzeugung.
Für Deutſchland und für den Proteſtantismus gegen Frankreich, das
war die Richtung, die ihm der große Kurfürft vorgezeichnet und die
Friedrich IT. aus eigener Neigung beibehieltl. Bon ben alten Raͤten
feines Vaters und von Dandelmann unterftügt, hat er ſchon im erſten
Jahre feiner Regierung dem deutſchen Vaterlande und der evangelifchen
Kirche die weientlichften Dienfte geletftet, indem er den furchtbarften Feind
beider, Ludwig XIV., troß aller Lockungen aufs äußerſte belämpfte und
die Pläne ausführte, über denen fein Water geftorben war. Als tur
November 1688 Wilhelm von Oramten in England einfiel und Jakob II.
Krieg gegen Ludwig XIV. %1
vertrieb, waren e8 brandenburgifche Hilfstruppen, die nebft holländiſchen
unter dem Befehl des Marſchalls Schomberg ihm dabet halfen, während
amdere Brandenburger ihm umterbes in Holland ben Rüden deckten;
und als Ludwig XIV. zu derſelben Seit gegen das deutſche Reich ben
angebrohten Raubfrieg unternahm, bie Pfalz mit feinen Heeren über-
ſchwemmte, Kurköln und Kurmainz anf feiner Seite, Baiern ihm geneigt,
Mittel und Süd-Deutfhland ihm offen ftanb, und felbft ber Kaifer,
umwillig über des proteftantifchen Oraniers Erfolg, zögerte, — da war
es wieder der Brandenburger, ber dem Vaterlande entichlofien beifprang
and mit Hilfe der anderen norddeutſchen Proteftanten bie große Gefahr
abwehrte. Er reitete die wichtige Stadt Köln, indem er zeitig branben»
burgifche und —* Truppen hineinwarf, ließ dann im Winter
1688/89 noch 20 000 Mann Brandenburger unter Schäning und Barfuß
an den Rieberrhein marſchiren und Weftfalen vom Feinde jäubern. Nım
kamen auch die Sübbeutfchen in Bewegung, und bie greuliche Berwüftung
ber Pfalz, wo die Franzofen im Frühling 1689 wie Kannibalen hauften,
empörte felbft ben Jeſuitenfreund Leopold. Denn alle Schandthaten des
Dreißigjährigen Krieges wurden bier von ben Franzoſen noch Aberboten;
diefe Nation zeigte jetzt, wie fo oft im ihren Sriegen, welch Brutale
Roheit, welch frecher hinter dem dirnis ihrer äußeren Manier
lichkeit lauerten. Unter Frevelthaten ber ſcheußlichſten Art verwandelten
dieſe Mordbrenner auf Befehl ihres allerchriftlichften“ Königs das mehr“
loſe Land in eine Einöbe.
Aber diefe Maßregel vermehrte nur den Abfchen, wicht ben Schrecen
vor Ludwigs Macht; die öffentliche Meimmg Europas, bie bereit3 anfing
eine Macht zu werden, brandmarkte den Barbaren, und ihre Urteile er»
hielten Nachdruck durch bie große Koalition, welche ſich jept gegen ihn
bildete. Deutfehland, Holland, England, Spanien, Savoien — alle Rad .
barn verbündeten fi}, um den Despoten, der fie alle befchäbigte oder
bebrohte, nieberzuwerfen. Es — um ihn geſchehen, wem ſie einig
blieben und mit Thatkraft handel
——— 1 a nö 1 em Friedrich IIT.
‚ während die Kaiſerlichen Mainz beramten, die Feſtungen
Alan und Rheinbergen und legte fid) daun (Ende Juni 1689)
vor Bomn, bei deſſen Belagerung er viel perſönlichen Mut zeigte.
Hier wie in Mainz verteibigten ſich bie Franzoſen inbes mit großer
Sertnädigleit; fie Bielten biefe wichtigen Mläge bis in ben Herbft;
erft am 12. Ditober 1689 konnte der Knrfürft als Steger in Vonn
einziehen.
Dem guten Anfang entiprad) jedoch der Fortgang des Krieges nicht,
202 Kurfürft Friedrich III.
vielmehr machte der Feind in den nächſten Jahren wieder Fortſchritte;
die Schuld trug hauptſächlich der Kaiſer, der feine Kraft lieber zur
Vergrößerung feiner Hausmacht gegen die Türken verwendete. Denn
(wie der fpanifche Gefandte ſehr richtig bemerkte): „die Taiferlichen Räte
fragten wenig danach, ob ganz Deutfchland zu Grunde gehe, wenn nur
in Ungarn eine elende Hütte erobert werde.“ Dabei ſchien es Ofterreid)
faft darauf anzulegen, daß auch Brandenburg ſich um die Verteidigung
Deutichlands fein Verdienſt erwerbe. Dem obwohl Friedrich III. im
diefem Feldzuge faft doppelt fo viel Truppen geftellt Hatte als alle
anderen Reihsftände, fo gab ihm ber Kaifer doch einen weit Heineren
Anteil an den „Winterquartieren", d. h. an ben SKriegstontributionen,
die das Reich für die Reichstruppen aufbrachte, und ließ nicht zu, daß
die Brandenburger fi) bis ins Jülichſche einquartierten. Die Folge war,
daß im nächſten Frühjahr (1690) der Feind in das ſchutzloſe Zülich eins
fiel und es furchtbar verwüſtete. Aber auch Wilhelm III., jegt König "
von England, belohnte den Kurfürften mit Undank; er zahlte ihm, dem
der Krieg ſchon drei Millionen Thaler getoftet, nicht einmal die ver⸗
ſprochenen Hilfsgelber, obgleich, fein Gefandter in Berlin doch anerkannte,
„Brandenburgs Beiftand habe wefentlich zur Rettung und Freiheit Eng»
lands beigetragen.“ Es war wohl fein gemeines Beifpiel von Pflicht
treue, wenn Friedrich nichtödeftoweriger ben Krieg mit allem Nachdruck
fortfepte und auf die lodendften Anerbietungen Frankreichs endlich) kurzweg
erflärte, „wer ihm noch einmal ein ſolches Schreiben bringe, den werbe
er aufhängen lafſen.“ Die anderen deutſchen Stände dagegen wurben
täffig, Spanien konnte längft fich felbft micht mehr helfen, bie Truppen
Wilhelms II. erlagen dem Talent des franzöftichen Feldherrn, des Mar»
ſchalls von Luremburg — alles dies erhöhte den Wert der brandenburs
giſchen Hilfe. Die Verbündeten fiherten fie fi, indem fie im Vertrage zu
Lennick (bei Brüffel) am 6. September 1690 dem Kurfürften eine monat»
liche Subfidie von 100000 holländiſchen Gulden verfprachen, wovon
Spanien die eine, Holland und England die andere Hälfte übernahmen.
Dafür verpflichtete fich Friedrich III., während des ganzen Krieges
20 000 Mann feiner Truppen auf dem linken Rheinufer zu halten, die
in Verbindung mit dem fpanifch-holländifch-englifchen Heere die Nieber-
lande verteidigen follten. Ähnliche Subfidienverträge ſchioß Wilhelm TIL,
jetzt die Seele der Koalition, mit andern deutſchen Fürften, mit Savoien
und dem Kaifer. Er hielt überhaupt die Bewegung Europas gegen
Ludwig XIV. im Gange, wenn aud die Eiferfucht, die Schlaffgeit und
der Eigenfinn vieler Bundesglieder es nicht zu großen Erfolgen kommen
ließen. Am beften ging’s noch am Niederrhein, wo König Wilhelm felber
den Oberbefehl führte und an den Brandenburgern in feinem Heere
ausgezeichnete Truppen hatte; er geftand ven ihnen, „es jet fchönes
Krieg gegen die Türken, %3
Fußvolk, doch noch tapferer als ſchön“, ımb als er 1695 die Feſtung
Ramitr wieber gewann, fagte er zu dem brandenburgiſchen Feldmarſchall
Flemming in feinem Niederdeutſch: „ES ift ſeker, dat juge Truppen den
größten Part an der Eroberung haben. Ic bin dem Herrn Korförften
fehr obligirt umd ju alle.”
In jener Zeit kämpften die Brandenburger zugleich in ben Nieber«
landen, in Italien und in Ungarn, wider Franzoſen und Türken, wider
des Reichs und des Kaifers Feinde. Sie halfen ben Katferlichen 1694
die lombardiſche Feftung Cafale erobern; fie hatten an allen Siegen über
die Türken einen hervorragenden Anteil. In der glücklichen Schlacht bei
Salankemen (gegenüber der Theißmündung) am 19. Auguft 1691, wo
General v. Barfuß fie führte, bezahlten fie den Steg mit dem jechften
Zeil ihres Heeres, 1000 Mann ar Toten und Verwundeten, und das
Lob bes Faiferlichen Feldherrn, Ludwig von Baden, war ihr einziger
Lohn; der Kaifer wollte nicht eimmal die nötigen Werbegelber hergeben,
um die Lücken in ihren Reihen auszufüllen. Dennoch ließ fid) Friedrich TIL
bewegen, im nächften Jahre wieder 6000 Mann nad) Ungarn zu fchiden,
die dann ſieben Jahre dort blieben, zuleßt, wie hier das ganze kaiſerliche
und Reichsheer, unter dem Oberbefehl des Prinzen Eugen von Savoien.
Der „edle Ritter“, wie ihn das alte Volkslied nennt, entfaltete in dieſen
Turkenkriegen jene außerorbentlichen Feldherrntalente, jene Umficht und
Klugheit, Thatkraft und Rafchheit, bie ihn bald zur ftärfften Säule des
habsburgiſchen Thrones machten; dabei zeigte er fi, obwohl zu Paris
(1663) ımb aus romaniſchem Geſchlecht geboren, ganz wie ein rechter
deutſcher Mann, befonmen und tapfer, heldenkühn und befcheiben, ans
erfennend jedes fremde Verbienft. Er mußte es zu ſchätzen, was ihm
die Brandenbirrger waren; nad) der Schladjt bei Benta (unweit Szegebin)
am 11. September 1697 umarmte er öffentlich den kurfürſtlichen General
v. Schlabrenborf und bezeugte, daß er „nächit Gott ihm und der Tapfer⸗
fett feiner Brandenburger den herrlichen Sieg verdanke.“
Während Friedrich IIT. fo bie Kräfte feines Staates überall für
Deutſchland und für ſterreich opferte, ließ Katfer Leopold die Dinge
am Rhein gehen, wie fie mochten, und bie Sranzofen hätten dort noch
mehr Schaden ftiften Törmen, wenn wicht Ludwig, um bei bem bevors
ftehenden Erlsſchen ber fpanifchen Dynaſtie freie Hand zu haben ımb
feine Kräfte für dies Ereignis zu fparen, ſelber zum Frieden geneigt
gewefen wäre. Deutſchland zog freilich auch jo den fürzeren; denn nadjs
dem fi) Ludwig mit feinen übrigen Gegnern einzeln geeinigt, ſtand es
ihm wieber allein gegenüber und mußte feine Bebingimgen hinnehmen,
wie es für ein Reid, fic) ſchickte, deffen Verfaffung fo elend und beffen
Kaiſer immer bereit war, zwar bie Deutfchen für Ofterreich, aber nicht
bie Ofterreicher für Deutichland fechten zu lafſen. So warb benn am
204 Kurfurſt Friedrich III.
20. Oktober 1697 der Friede zu Ryswick geſchloſſen, in welchem Ludwig
einige feiner Reunionen herausgab, aber Straßburg und die Souveränität
über das Elfaß behielt, auch mit ftillem Beifall des intoleranten Kaiſers
und ber Tatholifhen Reichsfürften, namentlich, des Kurfürften non ber
Pfalz, es gegen den Widerſpruch der Evangelifchen durchſetzte, daß in
der Pfalz die evangelifche Kirche, wo er fie durch feine Morbbrenmer aus⸗
gerottet, wicht wieder hergeftellt werben durfte. Viele taufende der tefor-
mirten Pfälzer mußten nun ihrer fchönen Heimat den Rüden fehren;
Ludwig aber erreichte durch dieſe fchreiende Ungererhtigfeit, die zugleich
für Deutſchland eine Schmach war, zweierlei: er fügte dem verhaßten
Proteftantismus beträchtlichen Schaden zu, und er fäte zwiſchen ben
Evangelifchen und den Katholifchen in Deutfchland Unfrieden, der dieſes
Reich noch ſchwächer machen mußte, als es ohnehin war.
So hatte Ofterreich wiederum dem proteftantifchen Waffenbrüdern,
die ihm überall fo treulich beigeftanden, übel gelohnt und feinen deutſchen
Pflichten gefehlt, und das Haus Hohenzollern war noch nicht mächtig
gerug, ftatt Habsburgs ganz allein Deutſchland zu beihirmen. Fried»
rich III. erflärte öffentlich: „Allein habe er nicht im Selbe bleiben Können,
wie zu eigenem großen Nachteil fein Vater nad) dem nimweger Frieden.
Er habe fi unter allen Reichsfürften zuerft vor den Riß geftellt, Bünd-
niffe gefchloffen und veranlaßt, aud) über 20000 Mann größtenteils
auf eigene Koften gehalten und fic jo gezeigt, ba, wenn man einig
geweſen wäre, die Sache einen befleren Ausgang genommen haben würde.“
Er jelbft gewann für feine außerordentlichen Anftrengungen in biejem
langen Kriege an materiellen Vorteilen durchaus gar nichts. Defto
größeren Nutzen zog der Habsburger; während deutſches Land am Rhein
franzöſiſch wurbe, breitete er fein Donaureich weithin unter den Süd⸗
ſlawen aus; nachdem er zu Ryswid Deutſchland in Schaden gelaflen,
Tonnte er zwei Jahre daranf zu Karlowig die Früchte des Türfentrieges,
den vollftändigen Beſitz Ungarns und Siebenbürgens, fowie den Erwerb
von Slavonien und Sirmien, für fi, einernten.
Eins hatte Brandenburg doch erreicht: die Welt ſah, daß diefer
junge Staat Vortreffliches Leiftete, obwohl ber große Mann dahin war,
der ihn gefchaffen. So konnte Friedrich IM. durch das fteigende Anſehn
feines Haufes wie durch das Bewußtfein für eine gute Sache und mit
Ruhm gekämpft zu haben, fi) ermuntert fühlen nad) dem zu ftreben,
was ihm heimlich ber Zweck feines Lebens fchien: auch äußerlich ben
Königen der Erbe gleich zu fehen. Aber jener moralifche Erfolg konnte
aud dem Lande einigermaßen als Erfa gelten für die Opfer, die es
gebracht hatte, zumal da die übrige Regententhätigfeit des Kurfürſten in
diefer Zeit nicht olme Verdienft war. Denn wenn Friedrich III. aud) in
vielen Dingen ber Schein über das Weſen ging, fo mußte er doch ganz
Ermwerbungen. 205
wohl, wo die wahren Interefien feines Haufes lagen, daß ber Staat fich
mit moralifhen Erfolgen nicht begnügen, fondern zugleich materiell
wachſen müfle, und er machte auch einige Anftalten ihn zu vergrößern,
benupte wenigftens Gelegenheiten, bie fi von ſelbſt darboten. Im
Jahre 1697 war Auguft der Starke Kurfürft von Sachſen zum König
von Polen gewählt worden, er hatte dafür feinen Glauben und große
Geldſummen hingegeben und er bedurfte, um die teure Krone mit An«
ftand zu tragen, nod) größerer Summen. Daher wandte er fi) an feinen
Nachbar, den Brandenburger, ber zwar ebenfalls für glänzende Richtig-
keiten viel Geld verthat, aber doch, wenigftens in feiner erften Zeit, nicht
fo viel verſchwendete, um nicht auch zu nützlichen Dingen noch bie Mittel
zu haben. So Tamen unter DVermittelung eines Juden einige Kaufs
geihäfte zuftande: Sachſen trat für 300000 Thaler die Erbvogtei
über das Reichsftift Duedlinburg und die Reichsvogtei und das
Schultheißenami der Reichsftadt Nordhaufen, für 400.000 Thaler das
Amt Peteräberg bei Halle erb- und eigentümlid; an Brandenburg ab.
Die Dueblinburger und Nordhäuſer waren es freilich nicht zufrieden;
fie ſahen richtig voraus, Daß ihre Rechte und Freiheiten unter dem ab»
foluten Zepter ber Hohenzollern nicht würben beftehen bleiben, aber ihr
Einfprud) Half nichts. Sriebrich ließ fofort zwei Kompanien nad}
Quedlinburg marſchiren, die ſich mit Lift und Gewalt der Stadt bes
mächjtigten und die Huldigung erwirften (1698). Ähnlich verfuhr er
einige Jahre darauf mit Nordhaufen (1703); doch befam dieſe Stabt
fpäter — unter Friedrichs Nachfolger im Jahre 1715 — gegen eine
Geldfumme ihre Freiheit wieder. Die Geldmot bes polniſchen Königs
ſchien Friedrich I. auch in Preußen eine anfehnlicde Stadt verfchaffen zu
tönnen, er forderte von ihm Elbing oder das Geld, wofür es im Jahre
1657 an Brandenburg verpfändet worden, und da er keins von beibem
erhielt, fo zwang er Elbing, nachdem eine Überrumpelung mißglüdt war,
mit Gewalt, brandenburgiſche Beſatzung einzunehmen (10. Rovember 1698).
Doch fehlte ihm die Feſtigkeit, was er in Händen Hatte, gegen die
Kriegsdrohungen Polens zu behaupten; er ließ fi) (1700) vom Kaifer
zu einem Vergleich bereden, Traft befien Die Brandenburger die Stabt
räumten, die nun eine polnifche Garniſon aufnehmen mußte. Die
Bolen gaben ihm dafür die moskowitiſche Krone und andere Kleinobien
ihres Kronfchaßes in Pfand; als fie dann Die Summe body nicht bes
zahlten nahm Sriedrid) 1703 wenigftens das elbingiſche Landgebiet
in Befip.
Noch ein anderer und weit wichtigerer Gewinn fiel dem Haufe Hohen»
zollern durch Augufts Rangerhöhung zu. Kurſachſen war von alteräher
das Haupt der deutſchen Proteftanten geweſen. Diefe Führerſchaft kam
nun, da die Kurfürften von Sachſen feit 1697 Katholiken waren, natur:
206 Kurfürft Friedrich II.
gemäß und thatſächlich an Brandenburg, das ſich jo in ber Stellung,
die ihm der große Kurfürft angewiefen, betätigt und verftärkt ſah.
Friedrich III. verfannte auch hier feine Aufgabe nicht; es that feinem
frommen Herzen und feinem Chrgeize wohl, für ben Beſchützer aller
feiner Glaubensgenofien auf dem Feſtlande zu gelten. Auch erfüllte er
wenigftens gegen bie proteftantiichen Einwanderer, die ihm ber Vater
noch auf dem Sterbebette als heiliges Vermächtnis empfohlen, die Pflicht,
welche jener Ehrenanſpruch ihm auferlegte. Mit offenen Armen und
thätiger Unterftügung nahm er fie auf, woher fie aud) famen. Am
ftärfften floß der Strom ber Einwanderung aus Frankreich, vorzüglid,
aus den lothringiſchen Bistümern Metz, Toul und Verdun, dann auch
aus der Pfalz. Im Jahre 1700 betrug die Zahl der Franzofen allein
im Magdeburgifchen 15000, neben ihnen jaßen ebendort Wallonen und
franzöfijche Schweizer, auch 400 pfälziiche Familien, welche bie feit Tillys
Zeit noch zerftört liegenden Stadtteile anbauten und hier, wie bei Stendal
und Burg, Tabals-, Gemüfe- und Obftbau trieben. Sie alle erhielten
nicht nur Gelegenheit und Beihilfe zur Anfieblung, fondern aud) viele
Privilegien.
Aber fie belohnten auch die Gaftfreundfchaft, Die ihnen der Staat
erwies, reichlich durch das große Kapital an geiftigen und materiellen
Mitteln, welches fie mitbrachten. Man zählte nun ſchon 43 neue Ger
werbe, die fie im Lande eingeführt hatten; denn namentlich von dem
Franzoſen traten zwar viele in das Heer oder in den Beamtenftand ein,
bei weiten die meiften aber waren Induftrielle. Durch fie erhielt manche
Probuftion fogar einen hohen Aufſchwung, insbefondere die Fabrikation
von Geiben-, Leder⸗, Golde und Silberwaren; ımd die Regierung half
ihnen dabei, indem fie Walkmühlen, Prefien, Färbereien und Waren-
magazine anlegte. Die Eingeborenen ſahen freilich zu den Begünftie
gungen, weldje die rührigen Fremdlinge genofien, ziemlich ſchel; doch
Tam aud) ihnen der vegere Verkehr zu gute, und bie Vermiſchung mit
den Einwanderern wirkte wenigſtens in der Haupfftadt, wo fie am
ftärfften war, jelbft auf den Nationalcharakter vorteilhaft ein. Denn zu
ber deutſchen Gründlichkeit und Bieberkeit kam durch das einfließende
franzöfiſche Blut in die Berliner eine große geiftige Beweglichkeit und
Gewanbtheit. Es wuchs in dieſer Stadt micht bloß die Vollsmenge
erheblich, (50 000 Einwohner im Jahre 1709), fondern auch die Rührig-
Teit und das Vermögen. Für den Staat aber war die Gewohnheit, von
überall her Kräfte an ſich zu ziehen und ohne Rückſicht auf Nationalität
und Religion in feinen Dienft zu nehmen, nicht bloß infofern fehr heil⸗
jam, als fie die Schroffheiten des deutſchen und proteftantifchen National
geiftes, die Neigung ſich aus» und abzufchließen, die Unduldſamleit gegen
andere Stämme und Belenntniffe, abjchleifen Half, ohne doch deſſen
Thomaſius. — Brande, 207
rund und Vorzüge zu zerftören, fie nüßte zugleich als eine reiche Duelle
ftet3 frifchen neuen Lebens. Die Nachfolger des großen Kurfürften haben
dem auch diefen weifen Grundfaß, ihr Land allen Talenten zu öffnen,
nicht wieder aufgegeben. &r führte unter Friedrich III. aud) zu einer
Schöpfung, welde für das geiftige Streben im Wolfe außerordentlich
ſegensreich war, zu der Stiftung der Univerfität Halle.
An ber leipziger Hochſchule trieb damals ein arger Keber fein Wefen;
jo wenigftens erſchien er den ftrengen Lutheranern und fteifen Bedanten,
die bier auf den Kathedern thronten. Es war ein junger Doktor der
Rechte, Chriftian Thomafius, der fid) erfühnte, allerlei Neuerungen
aufzubringen: er verteibigte die Reformirten und die gemäßigten Luthe—
raner; er meinte, die Orthodoxen feien unduldfam und zum Teil Heuchler;
er nannte die Weiſe feiner Kollegen Perüdentum; er griff gar die könig⸗
liche Majeftät an, indem er zeigte, die Lehre, die fürftliche Gewalt ftamme
direft von Gott, fei abgeſchmackt, ſei der Vernunft und ber heiligen
Schrift fremd, und behauptete, daß zur Souveränität ſchlechterdings aud)
die Zuftimmung des Volks gehöre; endlich, was nicht die Meinfte Keberei
war, er redete auf dem Katheder und in feinen Schriften nicht Inteinifch,
fondern deutſch! Alles dies reichte mehr als hin, ihn zu ftürzen. Nach-⸗
dem feine gelehrten und frommen Feinde den Krieg mit ber Zunge und
Feder wider ihn eine Weile ausgehalten, riefen fie die Obrigfeit zu Hilfe,
die dem gefährlichen Doktor ein für alle Mal den Mund verbot. Auguft
der Starke wollte ihn fogar ins Gefängnis werfen lafien; Thomafius
entfloh aber (1690) und ging nad) Berlin, an den Hof eines Fürften, der
fi) eine Ehre darans machte, freifinnig zu fein. Friedrich III. nahm
ben ausgezeichneten Gelehrten freudig in feinen Schuß, gab ihm den .
Ratstitel, ein Zahrgehalt und die Erlaubnis, in Halle philofophiiche und
juriftiſche Vorlefungen zu halten. Dieſe Vorträge, voll Geift und Lebendig-
teit und in allgemein verftändlicher Form, zogen bald fo viele Zuhörer
herbei, daß die Wohnung des Gelehrten fie nicht faßte. Auch die deutſche
Zeitichrift, die Thomaſius feit 1688 herausgab, bie erfte in dieſer Sprache,
fond vielen Beifall. Man erkannte e8 dankbar an, daß er bie Wiſſen⸗
ſchaft, indem er ihr eine deutſche Zunge gab, weit mehr in das Volt
brachte, als es bisher möglich war, und daß fie bei ihm ohne Gelehrten-
trämerei doch gründlich blieb und fogar ein neues Feld beichritt; denn
Thomafius war der erfte, der in Deutichland ein wiſſenſchaftliches Natur⸗
recht lehrte. Der Kurfürſt beichloß Daher auf Dandelmanns und des
berliner Geiſilichen Spener Rat, den Keim, den Thomafius in Halle
gepflanzt, in Pflege zu nehmen und dort eine Univerfität zu gründen.
Schon fein Vater hatte ja den Gedanken gehabt, für die Lutheraner im
Magdeburgifchen und in den angrenzenden Landſchaften eine eigene Hoch-⸗
ſchule zu errichten, damit fie nicht im Auslande, zumal in dem unduld⸗
208 Kurfürft Friedeich LIL.
famen Sachſen, zu fubiren brauchten; denn Frankfurt und Duisburg,
waren reformirt und Königsberg zu entlegen. Dieſen Gedanken führte
Friedrich II. aus; er berief den Theologen Frande, den man in Erfurt
feines Amtes entfegt und verbannt hatte, und andere tüdhtige Gelehrte
nad) Halle, erteilte der neuen lutheriſchen Univerfität am 30. Juni 1692
ihr Privilegium, welches der Kaifer im folgenden Jahre beftätigte, und
weihte fie am 20. Juni 1694 mit großer Pracht ein. Ste zählte damals
ſchon 765, zehn Jahre darauf an 2000 Stubirende und wurde für ganz
Deutſchland, am meiften für den preußiſchen Staat, ein höchſt wirffamer
Born der Wiſſenſchaft, brachte überdies durch den Zufluß wohlhabenber
Fremden auch felbft in materieller Hinficht manchen Vorteil.
Wie Thomaflus, fo gereichte namentlich auch Francke der neuen Unie
verfität und dem neuen Vaterlande zur höchſten Zierde; fein Rame leuchtet
mit hellem Glanze durch alle Zeiten. Denn er ift der Stifter jenes
„Siegesdenkmals bes Gottvertrauens und der Menfchenliebe”, des welt
berühmten hallefchen Waifenhaufes. Auguft Hermann Frande (geboren
am 12. März 1663 zu Lübeck) hatte bei dem Studium ber lutheriſchen Theo⸗
logie, die er zu feinem Lebengberuf gewählt, frühzeitig an dem ftarren
Formeltum der Strenggläubigen Anftoß genommen. Er ſchloß fi) daher
derjenigen Richtung in der proteftantifchen Kirche an, die, am entſchiedenſten
von Jalob Spener vertreten, im Gegenfaß zu der dürren Wortflauberei und
dem geiftlichen Hochmut der Theologen auf werfthätige Liebe drang. Die
Pietiften“, wie man Spener3 Anhänger nannte, fehten das Weſen des
Chriftentums in Reinheit und Wärme des Herzens, Innerlichkeit bes
Glaubens, fruchtbringende Frömmigkeit. Im diefem Sinne legte auch
Francke die Bibel aus. Bon Leipzig, von Erfurt verjagt, fand er eine
Zuflucht in Halle, wo feine begeifterten Predigten eben jo fehr das Volt
wie die Studenten hinriſſen. Aber der reichite Segen ruhte auf ben
Werken riftlicher Barmherzigkeit, die der fromme Mann hier unternahm.
Ihn rührte es tief, wie verjunfen in geiftigem und leiblichem Elend die
unteren Volksſchichten waren; er opferte, es zu lindern, feine eigenen ge⸗
ringen Einkünfte und bewog auch andere zu helfen. Die Almojenordnung,
die er in der Vorſtadt Glaucha einführte, fand fo vielen Beifall, daß.
feine Armenbüchfe nie leer ward. In dem felfenfeften Vertrauen, Gott
werde ihm immer barmberziger Menſchen Beiftand erwecken, begann er
nun mit einem Kapital von 4%, Thaler eine dauernde Stiftung; er fing
damit eine Armenfchule an, kaufte für zwei Thaler Bücher und gab einem
Studenten monatlid) einen Thaler, damit er ihn beim Unterricht der armen
Kinder unterftüge. Bald ſchickten ihm auch wohlhabende Bürger ihre
Kinder zu umd bezahlten dafür. Der Ruf der Anftalt wuchs immer
höher, fo entftand allmählich das halleſche Pädagogium. ber ber
bloße Unterricht linderte die Not wenig; Francke beſchloß, die Kinder
Freiherr v. Canftein. — Säläter. 209
ganz in Pflege zu nehmen. Ohne Geld, aber von Gottes Hilfe überzeugt,
legte er am 3. Auguft 1698 den Grundftein zu dem großen halleſchen
Waifenhaufe. „Da war fein Vorrat“, fchrieb er nachmals, „nicht
eime Hütte zu bauen, gejchweige ein Waifenhaus für ein par hundert
Menſchen; aber der Herr hat's mit der That bewiefen, daß er fid) zu der
Sache befennen wolle, und von Woche zu Woche gleichjam zugebrödelt,
was die Rotdurft erforderte, daß die Waifenkinder nicht Hunger gelitten
und bie Bauleute bezahlt wurden. Mit Gott hat es mir noch niemals
gefehlt, aber mit Menfchen und ihren Vertröftungen vielmals; wenn's
aber mit dem einen fehlte, hat Gott den andern erweckt, wenn ſich eine
Quelle verftopft hat, hat ſich die andere eröffnet." Am reichften fteuerte
ber Freiherr von Eanftein bei; diefer edle Mann gab fein ganzes Ver-
mögen ber, um in der Buchhandlung des Waifenhaufes eine große Bibel-
anftalt zur Verbreitung bes göttlichen Worts zu gründen. Neben diefen
Schöpfungen entftanden noch ein neues Pädagogium und Lehrerfeminar,
eine Töchterfchule, ein Krankenhaus, ein Witwenhospital. Die Franckeſchen
Stiftungen erwuchſen faft zu einer Meinen Stadt und haben über Hundert»
taufende von Menfchen Segen verbreitet. Am 8. Juni 1727 ftarb
Frande; die dankbare Nachwelt fehte ihm ein Denkmal mit der In—
ſchrift, die das Geheimnis feiner wunderbaren Leiftungen enthält: „Er
vertraute Gott.“
Was Trande that, geihah ohne befondere Unterftügung des Kur-
fürften,; doch durfte fich Diefer e8 immerhin zum Verdienſt anrechnen,
Märnmer wie Thomaſtus und Frande gefchüßt zu haben. Er bewies auch
gegen Pufendorf, den er 1688 aus ſchwediſchen Dienften förmlich in die
feinigen gezogen, einen ebeln Freiſinn, ließ ihn für die „Geſchichte des
großen Kurfürften“ die geheimften Staatsichriften im Archiv benußen,
und als das treffliche Werk fertig war, belohnte er den DVerfafler, ber in
einer Zeit, wo es Sitte war, den Fürften zu fehmeicheln, mit unerhörter
Bahrhaftigfeit und rücfichtslofer Treue gefehrieben hatte, durch reiche
Gefchente und hohe Ehren. Pufendorf ftarb 1694, 62 Jahre alt; er war
der erfte in Deutfchland, der die Gefchichtfchreibung auf einen höheren
Standpunkt als denjenigen der Chroniken oder fritiflofen Sammelwerke
erhob. Auch auf die Entwicelung bes Staatsrechts haben feine gelehrten
Arbeiten einen fördernden Einfluß geübt.
Die Kunft begänftigte Friedrich II. fehon darum, weil ihre Werke
am meiften in die Augen fallen. Er vermehrte daher mit verſchwenderiſcher
Freigebigfeit die Zahl feiner Hoflünftler, umter denen nun auch ſchon
ziemlich viel Eingeborne waren, wie die Maler Belau aus Magdeburg,
Eitefter aus Potsdam, Geride aus Spandau, und fo bedeutende Talente,
wie Andreas Schlüter”), der „Michel Angelo Deutſchlands“, und
*) Geboren 1662 zu Hamburg.
Bierfon, preuß. Geſchichte I. 14
210 Rurfürft Friedrich TIL
Eofander von Göthe. Manch vorzügliches Kunftwerk ftammt aus diefer
Zeit, vor allen berühmt Schlüter Neiterftatue des großen Kurfürften,
ferner das Zeughaus in Berlin, an welchem Nering und Schlüter, und
das Schloß im Dorfe Lützen bei Berlin (bald Charlottenburg genannt),
an weldem Schlüter und Göthe fid) verewigt haben. Des Kurfürften
Namen trägt die Friedrichstadt in Berlin, die durch Nering gebaut
wurde; als diefer 1695 farb, ftanden hier ſchon 300 Häufer. Die bil-
enden Künfte follten indes in ber Mark aud) eine Anftalt haben, die
für fie wäre, was eine Univerfität für die Wiſſenſchaften; zu diefem
Ende errichtete Friedrich III. 1699 zu Berlin eine „Alabemie der bils
denden Künfte". Die Dicht- und Tonkunft ſchätzte er weniger; fie
fanden an feiner Gemahlin Sophie Charlotte*) eine defto wärmere
Freundin.
„Diefe ſchöne und geiftreiche Fürftin war es“ (mie Friedrich der
Große fagt), „welche die wahre gejellihaftliche Teinheit und Liebe zu
den Künften und Wiſſenſchaften nad) Preußen und Geift und Würde
in die von ihrem Gemahl jo jehr geliebte Etikette brachte.“ Voll Liebe
zur Weltweisheit, in ber fie daheim zu Hannover der große Leibniz
unterwiejen, fo unermüdlid in alle Tiefen und auf alle Höhen der Er«
kenntnis zu dringen, daß Leibniz ihr einft fagte: „es ift unmöglich), Sie
zufrieden zu fielen, Sie wollen das Warum des Warum wifien“; be—
geiftert für Bildung und Aufklärung und von einer Freifinnigteit, die
ihr den Namen der „republifanifchen Königin" verſchaffte; — fo ftimmte
fie freilich wenig zu ihrem zeremoniöfen Gatten, defien Bomp fie nicht
ſchätzen konnte. Aber im Kreife begabter und Fenntnigreicher Männer,
wo man frei von läftigem Formelweſen fi) von wahrhaft rebenswerten
Dingen, befonders von wichtigen Streitfragen des Glaubens und
Wiſſens unterhielt, zumal in ihrem Charlottenburg, wo nichts den Reiz
der äfthettjchen und philofophifchen Gefellichaften ftörte, und niemand
erſchien, der fi) nicht durch Geift und Bildung hervorthat; da fühlte
fie fich glücklich, da gab fie aud) andern manche ſchöne Anregung. Auch
ihre äußere Erſcheinung nahm ein, man rühmte die Würde ihrer Hal-
tung, die lebhaften blauen Augen, die reine zarte Farbe der Haut, das
tohliehwarze Todige Haar. Weniger heilfam war ihr Einfluß in polie
tiſchen Dingen; fie ließ fid) hier zu viel von perfönlichen und Familien-
Intereſſen leiten. Doch mifchte fie fi nur ſehr felten in Staats
ſachen.
) Sie war eine hanndverjche Prinzeſſin, geb. 30. Otibt. 1668 zu Schlotßz Iburg Im
Stift Osnabräd, Tochter des Herzogs, Tpäteren Kurfürften Ernft Auguft don Hannover,
der damals das Bistum Dsnabrük (ais iutheriſcher Mpminiftentor) inne Hatte, und Entelin
der ungidalichen Pfalggräfin Eliſabeth Stuart. Der Kurfürft Hatte fie 1634 (ein Jahr nach
dem Tode feiner erften Gemahlin Eliſabeth Henriette von Heffen-Kaffel) geheiratet.
Dandelmanns Sturz. 211
Alles was bis zum ryswicker Frieden im Staate und nach außen
geſchah, war unter Danckelmanns Leitung vollführt; und ſeine raſtloſe
und nützliche Thätigleit fand bei dem Kurfürſten auch lange die verdiente
Anerkennung. Er erhob ihn 1695 zum oberften Staatsdiener, zum
Oberpräfidenten, und fagte in ber Beftellung: „Dandelmann fei ein
vollftändiges Beifpiel ungefärbter Treue, unabläffigen Eifers in Beför
derung des Ruhms des Kurfürften; er habe allein durch feine Ratjchläge
zu dem Glanze und der Größe des Staates nächſt Gottes Segen das
meifte beigetragen, daher erhebe ihn der Kurfürft zur vornehmſten Würde,
um barzuthun, mit welder Dankbarkeit er die ihm von feiner zarten
Jugend an geleifteten Dienfte erkenne, durch welche er zur Furcht Gottes,
zur Liebe feiner Unterthanen und demnach zu einem gütigen und gerechten
Regimente angeleitet worden.“ Seitdem war Dandelmanns Macht: fait
unbejchräntt; im Staate und am Hofe ging alles durch feine Hand. Er
führte die Geſchäfte, unter deren Überlaft er faft erlag, mit feltener Uns
eigenmüßigfeit und mit Geſchick, und wie hoch er von ihrer Würde dachte,
erhellt daraus, daß auf feine Veranlaſſung feit 1695 alle Iandesherrlichen
Edilte von einem Minifter gegengezeichnet wurden, der dadurch für ihren
Inhalt die Verantwortung übernahm.
Aber fein ftrenger Ernft, fein fchroffes durchgreifendes Verfahren
erbitterte die Höflinge, ber fhulmeifterliche Ton, den er jelbft gegen den
Kurfürften anſchlug, erſchütterte feine Stellung. Freilich hatte er Grund
genug zu hofmeiftern. Denn die Verſchwendung bes Hofes, wo Scharen
von Schmeichlern ſich der Furfürftlichen Yreigebigfeit erfreuten, überftieg
bei weiten Das Maß, welches der Staat geftatten durfte; aber der Kur—
fürft zog es vor, fortwährend die Steuern zu erhöhen, als feine Pradjt-
liebe und Treigebigfeit zu beſchränken. Dandelmann ftemmte fid) nach
Kräften entgegen, body bekehrte er feinen Herm nicht und verfcherzte nur
defien Gunft. ‚Der Kurfürftin war er geradezu verhaßt; es erzürnte fie,
daß er in der auswärtigen Politik öfters dem Intereſſen des Haufes
Hannover entgegenwirfte. So kamen die Hofleute, die unabläffig an dem
Sturze bes umbequemen Minifters arbeiteten, ihrem Biele immer näher.
Am geichicteften operirte dabei ein gewifler v. Kolbe, ein Pfälzer, ber
1688 nad} Berlin übergefiedelt und in den Dienft des Kurfürften getreten
war. Diefer Höfling, durch ein gewandtes ſchmeichleriſches Benehmen,
durch gefällige Formen, die feine geiftige Unbebeutendheit verdeckten,
feinem [wachen und eiteln Herm angenehm und bald unentbehrlich, be-
nutzte an der Spitze des Hofgefindes ſchlau jede Blöße, die Dandelmanns
rauhes Wefen bot, und reizte die Eigenliebe des Kurfürften fo lange, bis
diefer Danckelmanns Verdienſte vergaß und fi) gewöhnte, deſſen unlieb⸗
fame Art als Staatsverbredhen anzufehen. Er äußerte: „Dandelmann
will den Kurfürften fpielen; doc) ich werde ihm zeigen, Daß ich der Herr
14°
212 Kurfürft Friedrich III.
bin.“ Der bedrohte Minifter erkannte, daß er in Ungnade gefallen war;
er bat daher um feine Entlaffung, die er in buldvollen Worten erhielt
(7. Dezember 1697). Aber feine Feinde wollten ihn völlig verderben;
auf ihre Einflüfterungen ließ der Kurfürft am 20. Dezember den reblichen
Mann verhaften, auf die Feftung Spandau bringen, feines großes Vers
mögens berauben und unter den Tädherlichften Beſchuldigungen mit einem
Prozeß verfolgen, der den Zweck hatte, bie ſchreiende Ungerechtigkeit des
Kurfürften zu bemänteln. Dandelmann kam dann auf die Feftung Peiz,
und erft nad fünf Sahren wurde feine Haft gemilbert, erft nach zehn
Jahren ganz aufgehoben, doch durfte er aud) dann nur ar einem be=
frimmten Orte (tin Kottbus) wohnen und erhielt nur einen Meinen Zeil
feiner Eintünfte wieder.
Nach Dandelmanns Sturz famen die Stantsgefchäfte unter die Leitung
des neuen Gimftlings, in die Hände Kolbes, oder wie fein neuer Titel
bald Tautete, des Reichsgrafen v. Wartenberg. Diefer verfolgte num
im Grunde fein anderes Intereſſe als die Befriedigung feiner Habjucht.
Er fättigte fie mit unerhörtem Raube, bezog von ben zahllofen wichtigen
Amtern, die fein Herr ihm erteilte, ein jährliches Gehalt von 100000 Thalern,
fammelte von den Gejchenten feines Herm ımb den Gaben derer, bie
durch ihn etwas erlangen wollten, ein Vermögen von mehreren Millionen.
Um fi) auch für die Zukunft zu fichern, berebete er (1699) den Kur
fürften, ihm urkundlich zu verſprechen, daß er wegen feiner Amtsführung
nie folle zur Rechenfchaft gezogen werben. Darauf geftügt, plünberte er
ſamt fernem Anhange feitdem ſchamloſer dem je.
Während der Hof ein Schauplab ſchmählicher Hofränke und nichtes
nupiger Günftlingsherrfchaft wurde, blieben im Staate die alten Über
lieferungen des großen Kurfürften zwar noch in Geltung, aber ihre wohl⸗
thätige Wirkſamkeit ſchwand in demfelben Verhältnis als die Vergeudung
der Geldmittel des Staates fortſchritt. Es fehlte nun ſelbſt für ſolche
Anftalten an Gelb, die dem Kurfürften befonders wert waren. Bu diefen
gehörte Die „Soctetät der Wiſſenſchaften“, die er am 11. Juli 1700 zu
Berlin geftiftet; es war mır den eifrigen Bemühungen ihres geiftigen
Urhebers und erften Präfidenten, des großen Leibniz zu danken, daß
man die Geldverlegenheiten einigermaßen überwand und dem Stiftungs-
brief die That folgen ließ. Gottfried Wilhelm Leibniz, der Ariftoteles
feiner Zeit, ein Univerfalgelehrter und zugleich ein Genie, der Erfinder
der Differenzialrechnung und der Vater der deutſchen Philofophie, war
von Geburt ein Leipziger, durch fein Amt ein Hannoveraner, aber fein
Wirken galt dem ganzen Deutfchland, er trat überall anregend ımb
fördernd hervor, wo der Wiſſenſchaft ein neuer Dienft zu leiften oder
edle Humanität zu verfechten war. Daher hielt er fich oft in Berlin
auf, wo ein ehrgeiziger Yürft gern den Mäcen des Idealen madjte, und
Erhebung Preubens zum Königreich. 213
wo ber Zweck der neuen Afademie — ausgezeichnete Gelehrte aller Fächer
zu einer Gefellihaft zu vereinigen, um gemeinfam an der Hebung bes
öffentlichen Unterrichts und aller Wiſſenſchaften zu arbeiten — ſich leichter
als in den andern norddeutſchen Hauptjtäbten erreichen ließ. Auf feine
Veranlafſung geſchah es au), daß Friedrich III. in den Stiftungsbrief
die befondere Beitimmung aufnahm: „dieſe Societät foll eine deutſch-⸗
gefinnte und namentlich auch um die Erhaltung der deutſchen Sprache
in ihrer anftändigen Reinigfeit zur Ehre und Zierde der deutfchen Nation
beforgt fein, damit die uralte deutſche Hauptiprache in ihrer natürlichen
Reinheit und Selbftändigkeit erhalten werde und nicht ein ungereimter
Miſchmaſch und Unkenntlichkeit daraus entſtehe.“ Aber gerade die Vor
nehmen und Gelehrten gaben hierin überall in Deutſchland ein fchlechtes
Beiſpiel; „wer nicht franzöfiich Tann, der kommt zu Hofe nicht an", war
in Berlin und anderwärts ein allzu wahres Sprüdwort. Leibniz hatte
noch fpäter zu Magen: „der Miſchmaſch Hat abſcheulich überhand ge»
nommen, jo daß die Prediger auf der Kanzel, die Sachwalter auf der
Kanzlei, ber Bürgersmann im Schreiben und Reden mit erbärmlichem
Franzöſiſch ihr Deutſch verderben." Ebenſo mißmutig war er über die
ewige Geldnot des Hofes, die ben Fortgang des Stiftungswerks ver-
zögerte. Erſt 1710 wurden die Gebäude der Afabemie, ſowie die Stern-
warte der Geſellſchaft fertig, und die Einnahmen blieben kärglich. Am
reichſten flofien fie noch aus dem Kalenberverlag, ben ihr der Kurfürft
übergeben hatte. Hier. leiftete fie auch das Nüplichfte, was von ihr zu
rühmen war; fie führte mit Zuftimmung der Regierung im Jahre 1700
den verbefierten gregorianifchen Kalender ein. Dieſe Neuerung geihah
jo, daß man den Tag nad) dem 18. Februar 1700 als 1. März 1700
rechuete.
Grhebnug Yrentzens zum Königreich.
Seit dem großen Kurfürſten iſt der Fortſchritt das Lebensprinzip
der hohenzollerſchen Monarchie, iſt es hier mehr als anderwärts die
Pflicht eines jeden Regenten den Staat um ein bedeutendes zu fördern.
Ein jeder wird es thun in der Richtung, wohin ihn Fähigkeit und Nei—
gung treiben. Friedrich LI lebte für Glanz und äußere Würde; darin
hat er denn auch dem Staate feine einzige große That geleiftet: er erhob
ihn zum Königreich. ,
Sein Haupt mit einer Königsfrone zu ſchmücken, das war ihm längft
als höchſtes und würdigftes Biel erſchienen. Dahin fpornte ihn immer
wieder das Beifpiel anderer Herrfcher. Drei Fürften an feinen Grenzen,
von geringerer Macht als er, gewarmen damals glänzende reife, fein
Better Wilhelm von Oranien 1688 den englifchen Thron, fein Schwieger-
214 Erhebung Preußens zum Kdnigveich.
vater Herzog Ernft Auguft von Hannover 1692 die Kurwürde, fein
Nachbar Auguft von Sachen 1697 die polnifche Krone. Friedrich II.
beſchloß, nicht Hinter ihnen zurückzubleiben. Denn was er in feinem
Herzen aufs glühendfte wünſchte, das ſprachen viele Stimmen des Aus—
lands ſchon offen aus; wenigftend Ludwig XIV., der Bar Peter und
die Holländer gaben deutlich zu verftehen, daß fie ihn gern für einen
König anfehen würden. Aber mußte er fid) nicht aud) aus ſtaatsmänni—
ſchen Gründen um diefen Titel bemühen? ine ſolche Rangerhöhung
gab der Souveränität doch erft die rechte Weihe, gab dem Wefen, das
der große Kurfürft gefchaffen, erft die redjte Form; denn das Königtum
vereinigte alle Provinzen, alle Unterthanen unter einem gemeinfamen
Namen zu einem neuen Ganzen und ftellte den Fürſten überall dem
Auslande frei gegenüber. Allerdings konnte er die Fönigliche Würde nur
an diejenige Landſchaft Impfen, wo er fouverän war, an das Herzog-
tum Preußen; aber als Zeile des ganzen Töniglichen Staats Löften fich
doc auch die deutſchen Provinzen weit leichter aus der Vaſallenſchaft,
in der fle der Form nach zum beutfchen Kaifer und infofern zum Haufe
Habsburg ftanden.
Eben bier lag freilich die Hauptfchwierigkeit der Ausführung. Ohne
die Zuftimmung bes römifchen Kaifers, der mwenigftens den Deutfchen
jelber noch immer als das weltliche Oberhaupt ber Chriftenheit galt,
ſchien dem Kurfürften die Annahme der Töniglichen Würde ebenfo uns
pafiend, als wenn jemand in eine Gejellichaft träte, ohne geladen zu fein.
Daher ſetzte er alles daran, den Kaiſer für fi zu gewinnen, hielt von
Anfang an zur öfterreichifchen Politik, der er andernfalls ſchwerlich fo
viel nachgegeben hätte, wie er es z. B. in ber fehwiebufer Sache that.
Aber troß dieſes und vieler anderen großen Dienfte, die der Kurfürft
dem Haufe Habsburg erwies, war ber Kaifer nicht gemeint einzumwilligen;
auch ohne jenen Zitel war ber hohenzollerſche Staat ſchon ein gefährlicher
Nebenbuhler; follte Habsburg dem aufftrebenden Emporkömmling, den
es bisher vergebens nieberzudrüden verfucht, nun felbft helfen wieder ein
Stück höher zu Aimmen? Jahrelang dauerten die Verhandlungen, die
übrigens fehr geheim geführt wurden, und der Kurfürft ſah den Wunſch
feines Herzens nod) immer ımerfüllt. Da traten Greigniffe ein, die dem
Eigennuße des Kaiſers abnötigten, was defien Danfbarfeit nicht Ietftete,
und Friedrich II. konnte erfaufen, wo man wicht ſchenken wollte,
Schon daß fich im Jahre 1693 unter mehreren deutſchen Fürften
ein Verein bildete, der ben Zweck Hatte, die neue hannöverſche Kur zu
beftreiten, und daß diefe Unzufriedenen fid) nach dem ryswicker Frieben
immer fefter an Frankreich anfchlofien, war für den Kaifer ein Gegenftand
großer Beunrubigung. Eine andere Sorge brachte ihm das Heraufziehen
des nordifchen Krieges, der zwifchen Karl XII. von Schweden einerjeits
Der wiener Kron-Trattat. 215
und dem Zaren Peter, dem Könige Auguft von Polen und Friedrich von
Dänemark andrerjeits im Jahre 1700 ausbrady und gar leicht nad)
Deutſchland und in die öfterreichifchen Erbländer hinüber greifen konnte.
Zunder zu einem Brande lag bier befonders in Ungarn aufgehäuft.
Xeopold hatte die ungarifche Verfafiung gebrochen, die ungarifchen Pro—⸗
teftanten aufs furchtbarſte bedrückt, felbft die Vornehmen, die Magnaten,
ſchwer verlegt. Ein Aufftand konnte hier jeben Augenblid ausbrechen.
Bei weiten die größte Verlegenheit aber bereitete dem Kaifer der Stand
der fpanifchen Angelegenheiten. Karl II. von Spanien war ohne Nach—
Iommen; mit ihm erloſch der fpanifche Zweig des Haufes Habsburg,
feine Länder mußten nad) dem Rechte an den öfterreichifchen Zweig
fallen; Karls Tod ftand nahe bevor, und Leopold I. jah fid) im Geifte
ſchon als Beſitzer aller der Reiche, die einft unter dem mächtigen Zepter
Karls V. geftanden und nun, vermehrt durch bie großen Erwerbungen
Ferdinands I., Öfterreich zu einer ſchwindelnden Höhe erheben mußten.
Aber es zeigte fi) bald, daß das reiche Erbe nicht fo ohne weiteres an⸗
zutreten war. Auch Ludwig XIV. bewarb fid) darum; er hatte zwar
nur zweifelhafte Rechtsgründe vorzubringen (er war ber Sohn der älteren
Zante und der Gemahl der älteren Schwefter Karls II., die bei ihrer
Verheiratung nad) Frankreich auf die Erbfolge in Spanien verzichtet
hatten, während ihre jüngeren Schweftern, die Mutter und die Gemahlin
Leopolds I., einen ſolchen Verzicht nicht zu leiften brauchten); aber Lud—
wig war gewohnt feinen Willen nad) feiner Macht, nicht nad) feinem
Rechte abzumeflen; er war entſchloſſen, wenigftens einen großen Teil ber
ſpaniſchen Staaten an ſich zu bringen. Die Waffen mußten aljo ent
ſcheiden. Denn Leopold wollte auf keinen Fall feine Anſprüche fahren
lafien. Er weigerte fi) fogar in den Teilungsplan zu willigen, welchen
die Seemächte, England und Holland, vorſchlugen. Wer follte ihm aber
in dem ſchweren Kampfe helfen? Viele deutſche Yürften, namentlich
Batern, waren für Frankreich, andere, wie Kurfachien, in eigene Händel
verwidelt. Die Seemächte wollten wenigftens nicht das ganze Erbe an
Oſterreich bringen. Denn fie mochten weder das Haus Bourbon noch
das Haus Habsburg übermächtig werben laffen. Unter dieſen Umftänden
erhielt ber Beiftand Brandenburgs, das 30000 Mann vorzüglicher
Truppen auf den Beinen hatte, einen unjchäßbaren Wert. So entſchloß
fich der Kaifer zu dem Schritt, gegen ben er fi} fo lange gefträubt, und
ber ihm auch jetzt fehr fauer fiel. Er gab endlich feine Zuſtimmung
zu Friedrichs II. Wunſche. Am 1. November 1700 ftarb zu Madrid
Karl U. und warb defien Teftament eröffnet; kraft defielben war ber
Prinz Philipp von Anjou, Enkel Ludwigs XIV., zum Univerfalerben ein-
geſeht, und Ludwig genehmigte dieſe Beftimmung. Fünfzehn Tage darauf,
am 16. November, unterzeichnete Kaifer Leopold zu Wien den Kron-
216 Erhebung Preußens zum Königreich.
Vertrag, durd) welchen er ſich verpflichtete, ben Kurfürften von Branden-
burg, falls ſich derfelbe zum König in Preußen ausrufen laſſe und Eröne,
aud als ſolchen zu ehren und anzuerkennen, fowie zu befördern, baß
andere Mächte ihn ebenfalls dafür anerfennten. Dagegen ermeuerte
Friedrid) den alten Bund und verpflichtete fi, dem Kaifer, falls wegen
der fpanifchen Erbfolge Krieg entftehe, 8000 Mann Hilfstruppen auf
eigene Koften zu ftellen.
Es war ein gutes Geſchäft, das ber Kaifer hier machte; feine An⸗
erfennung war Friedrich II. zwar ſehr wünfchenswert, aber doch nicht
fo notwendig, daß er nicht auch ohne diefelbe den Königstitel hätte an⸗
nehmen Tönnen; fo war der Preis, den er bafür zahlte, gewiß übergroß.
Und er hielt nicht mır, was er verſprochen; er Teiftete aus freien Stüden
weit mehr; nicht mit 8000, fondern mit 25000 Mann hat er dem Kaiſer
beigeftanden. Freilich die Weitjehenden ahnten ſchon jetzt, daß Preußen
in nicht ferner Zukunft Ofterreich überflügeln werde, und hielten daher
jede Erhöhung Hohenzollerns für einen Schaden, ben Habsburg erlitt.
Prinz Eugen fagte in diefem Sinne: „die Tatferlichen Minifter feien des
Henkens wert, die dem Kaiſer geraten, die preußiſche Krone anzuere
kennen“. Aber auf die Dauer den Lauf der Dinge zu hemmen, wäre
aud ein Eugen nicht imftande gewejen, und Habsburg verkaufte mit
Recht ſehr teuer, was es mit der Zeit umfonft hätte gewähren müſſen.
Übrigens ftand es nicht fo, daß der Kaifer den Kurfürften zum König
erhob, davon war feine Rede. Friedrich als fouveräner Herzog
in Preußen machte fich felbft zum König. Es handelte fi) einzig
und allein um eine Frage ber Etifette; ber Kaifer gab nichts als die
Anerkennung.
Kaum wär der Kronvertrag unterjchrieben, als Friedrich TIL. ſchleu-
nigft alle Anftalten traf, die Krönung mit großer Pracht in Königsberg
zu vollziehen. Am 17. Dezember brach er mit feinem Hofftaat dorthin
auf; das Gefolge war fo zahlreich, daß man in vier Abteilungen reifen
mußte und bis Königsberg 30 000 Pferde Vorſpann gebrauchte. Am
2often langte der Kurfürft dort an und ordnete nun ſelbſt die Bere-
monien und Zeftlichfeiten aufs genauefte. Am 15. Januar 1701, während
die Gloden läuteten, die Kanonen donnerten, rief auf allen Plägen der
Stadt ein Herold unter dem Jauchzen bes Volles aus: „es jei durch die
allmeife Vorfehung dahin gebiehen, daß das bisherige fouveräne Herzog⸗
tum Preußen zu einem Königreich aufgerichtet und defien Souverän
Friedrid) I. König in Preußen geworden.” Den Titel König in Preußen
und nit von Preußen nahm Friedrich darum an, weil ihm mur ber
Öftliche Teil des Preußenlandes gehörte.
Am 17. Januar ftiftete er dem preußiichen ſchwarzen Adlerorden
zum Andenken an die Gründung des Königreichs, befien höchfter Orden
Breubentum. 217
derjelbe fortan war, mit dem Wahliprud; Suum cuique, Jedem das
Seine. Am Dienstag den 18. Januar erfolgte die Krönung; fie geſchah
mit einer nie gefehenen Pracht und Seierlichkeit. Zum Zeichen, daß er
feine Krone feinem Menſchen verdante als fich jelbft, ſehte Friedrich fie
fig) felber auf fein Haupt und krönte ſodann die Königin. Darauf ging
der ganze Zug aus dem großen Gale des Schloffes in bie Kirche; dort
ließ der König nach ber Seftpredigt fi und die Königin durch die beiden
Dberhofprediger, die er zu Bifchöfen erhoben, den reformirten und den
lutheriſchen, feierlichft falben. ine lange Reihe von Zeftlichkeiten ver-
berrlichte das große Ereignis. Sie Tofteten, wie der Krönungsſchmuck,
viele Millionen. Aud) das Volt befam feinen Anteil an der allgemeinen
Luft. Es ergößte ſich an dem Schaugepränge; es fehlte auch nicht der
bei der Kaiſerkrönung übliche Ochſe, der, mit Schafen, Rehen, Fakein
Hafen, Hühnern gefüllt, auf freiem Platze gebraten und mit dem roten
und weißen Weine zweier Springbrunnen dem Volke preisgegeben wurbe.
Noch in demfelben Jahre wurde die neue Königswürde von den
wmeiften Staaten anerkannt, außer dem Katfer zuerft von Polen, England,
Dänemark, von Rußland, Holland, der Schweiz, Savoien, Kurpfalz,
Hannover, dann nad) und nad von den übrigen. Nur der "Bapft pro
teftirte; doc, hatte das natürlich nicht den geringften Erfolg.
Friedrich der Erfte, wie er nunmehr als König hieß, glaubte es
feiner neuen Würde ſchuldig zu fein, die Pracht feines Hofes, der bereits
vorher föniglich eingerichtet war, noch zu fteigern. Er ahmte in jeder
Hinficht die Etifette und den Glanz des verfailler Hofes nad). Die Ver
ſchwendung ging dabei ins maßloſe und die Förmlichkeit ins lächerliche.
Eine Unzahl neuer Hofbebienten aller Grade wurde angeftellt, die, wie
die vielen Tefte, ungeheure Summen koſteten. Selbft darin wollte Fried⸗
rich es Ludwig XIV. gleich thun, daß er an feinem Hofe eine Mätrefie
bielt, aber er that es nur zum Schein; in ber Wirklichfeit fi) oder
feinen Hofleuten Ausſchweifungen zu geftatten war er viel zu religiös
und fittlih. Er hatte zu der fogenannten Mätrefje — es war die Gräfin
Wartenberg, eine ungebildete Frau von niederer Herkunft — weiter fein
Verhältnis, als daß er zu beftimmten Beiten ber Hofetifette gemäß mit
ihr auf und abfpazierte. So weit ging alfo bei ihm bie abgeſchmackte
Bewunderung des franzöflichen Königtums, daß er lieber den Schein
des Lafters annahm, als in irgend einem Stücke von feinem Mufter ab⸗
zuweichen. Und Doc war er in der Politit und Religion, aljo in den
wejentlichen Dingen, ein entjchiebener Gegner Ludwigs XIV.
Die großen Ausgaben, welche die Rangerhöhung des Staates mit
fi) brachte, waren für das Land eine ſchwere Laft; die Unterthanen
mußten fehwer dafür fteuern, daß fie num königlich preußiſch hießen.
Dennoch war der Gewinn weit größer als der Preis, den er foftete. Der
218 Friedrich 1. als König.
Staat erhielt eine eigene Nationalität; die getrennten Stämme, bie zu
ihm gehörten, wurden leichter und raſcher zu einem ganzen Körper ver-
ſchmolzen, fett alle denfelben Namen, als Preußen, alle diefelbe Farbe,
die [hwarz-weiße Fahne, trugen. war das Preußentum entwidelte
ſich nunmehr im Unterfchjied von dem übrigen Deutſchland auch um fo
beftimmter als ein eigenes Weſen; der preußifche Staat trat um fo ent»
ſchiedener in feiner Befonderheit auf. Aber bei der allgemeinen Zerrüttung,
dem unbeilbaren Verfall des deutſchen Reichs, das längft nur noch dem
Namen nad) beitand, war e8 ein Segen für das deutjche Volt, daß unter
den zahlloſen deutfchen Staaten, in die es zerrifien war, einer ſich zw
einem Körper entwidelte, der auf eigenen Füßen ftand und auf eigene
Hand das leitete, was das ganze nicht vermochte, nämlich Deutſchland
mit Kraft und Ehren zu vertreten und, indem er ein Stück Deutſchlands
nad) dem andern an fid) zog, Die Hoffnung gewährte, daß er zuleßt alle
getrennten Glieder wieder vereinigen, und daß fo allmählich aus dem
preußifchen der deutfche Staat erwachſen werde.
Daß aber Preußen diefen Weg einfchlagen mußte, dazu trieb eben
feine neue Würde am fräftigften. Denn um mit Ehren ein Königreich)
zu fein, durfte es nicht ftehen bleiben; es war noch Klein und hatte Doch
ſchon einen großen Namen, es mußte unabläffig ftreben, größer und
mächtiger zu werben, hinein zu wachen in ben weiten Königsmantel.
So erhielt e8 mit der Krone den Sporn zu immer weiterem Fortſchritt.
Um mit Friedrichs des Großen Worten zu reden: „Friedrich I. ſchien
zu feinen Nachfolgern zu fagen: id) habe eudy einen Zitel erworben,
macht euch befien würdig! ic) habe den Grund zu eurer Größe gelegt,
vollendet das Wert!" —
Sriedrich 1. als König.
Dem Teſtament gemäß, deſſen rechtlicher Beftand freilich von den
Gegnern beftritten ward, folgte in Spanien auf Karl II. der Bourbon
Philipp V. Nicht mur die Spanier, auch die Befehlshaber in den Neben-
landen, in Sizilien, Neapel, Mailand, Mantua, Belgien Huldigten ihm,
und Ludwig XIV. war bereit, ihn mit der ganzen Macht Frankreichs zu
ſchützen. Democh unternahm es der Kaifer, ihn aus feinem Beſitz zu
verdrängen und bie fpanifche Monarchie für feinen jüngeren Sohn Karl
zu erftreiten; im Frühling 1701 rücte fein Heer unter dem Prinzen Eugen
ins Feld, zuerft nad) Italien. So entbrannte der ſpaniſche Erbfolge-
trieg. Leopolds einziger Bundesgenofie war anfangs der neue König
von Preußen. Aber bald traten, beſorgt vor ber kolofjal gewachſenen
Macht Bourbons, die Seemächte auf feine Seite, und mit engliſchem
Der fpantiche Erbfolgekrieg. 219
und hollänbifchen Gelde gewann er dann nod) eine Schar von Fleineren
Genoſſen; im Zahre 1702 war halb Europa — Ofterreich, Preußen, das
beutfche Reich, England, Holland, Dänemark, Savoien und Portugal —
gegen Frankreich verbündet, und die Heere diefer Koalition wurden von
den größten Feldherren der Zeit, von dem englifchen Herzog Marlborough
und von dem Prinzen Eugen, befehligt. Das Genie biefer Generale
wog den Vorteil auf, den Ludwig als unumfchränkter Herr der Gefamt-
Traft feines großen Reiches hatte, während die Koalition oft uneinig
war; aber wenigftens im Anfange, ehe noch die Mittel feiner Gegner
reht in Fluß kamen und zuſammenwirkten, Tonnte Ludwig body im
Bunde mit Kurköln und Baiern hoffen, auf feinen ſtärkſten Nachbar,
Deutichland, einen lähmenden Schlag zu thım. Ein großes bairifch-
franzöftiches Heer drang 1703 tief in das Innere von Süddeutſchland
ein und ſchickte fi an, im nächften Jahre Ofterreich zu erobern. Daß
dieſe Gefahr abgewehrt und der Feind aus Deutſchland wieder heraus-
geijlagen wurde, war das Verdienſt der beiden Feldherren Eugen, der
von Stalien, Marlborough, der von den Niederlanden berbeieilte, und
unter den Truppen hauptfächlich der Preußen.
Friedrich III. hatte dem Krontraftat gemäß 8000 und für englifch«
holländiſche Subfidien nod) 15000 Mann geſchickt, die größtenteils in
dem Heere Marlboroughs am Niederrhein ftanden und fämtlic mit hohem
Ruhme ftritten. Es war dort in den Niederlanden im Jahre 1702, daß
die ſchwarzweiße Königsfahne ihre Schlachtenweihe empfing; fie wehte
zum Siege bei der Belagerung von Kaiferswerth, Benloo, Stephanswerth,
Nuremonde, Lüttich), dann 1703 vor Rheinberg, Bonn und Geldern —
Feftungen, welche die Preußen teils allein, teils an der Seite ihrer Ver»
bündeten eroberten. Zugleich fochten fünf NRegimenter Preußen in
Baiern, fie deckten bei Höchftätt am 20. September 1703 den Rüdzug
des Taiferlihen Generals Styrum; mit welcher Tapferkeit, bezeugt der
franzöſiſche Teldherr Villars jelbft: „die franzöftfche Reiterei“, berichtet
er, „durchbrach einen Teil des Nadjtrabs, allein die übrigen Bataillone,
das preußifche Fußvolk, machten feftgeihlofien jedesmal gegen die An⸗
griffe der Neiterei ein fo furdhtbares Teuer, daß fie nicht ein, einziges
Mal durchbrochen werden konnten und von ihr endlich nur nod) begleitet
wurden." Mit einem Verluſt von 900 Mann retteten bier die Preußen
das übrige Heer. J
In allen dieſen Kämpfen, beſonders aber in dem letzten, zeichnete
fich ein junger preußiſcher General durch kaltblütigẽ und zugleich ftür-
mifche Tapferkeit aus, der Fürft Leopold von Anhalt-Defjau, ber
hier, 26 Jahre alt, feine lange Heldenlaufbahn begann. Ein rauber
derber Kriegsmann ohne höhere geiftige Bildung, aber von Natur zu
allem begabt, was der Soldat ımd der Feldherr Teiften follen, und mit
220 Sriebrig I. als König.
Leib und Seele dem Kriegshandwerk ergeben, verband er Verſchlagenheit,
kriegeriſche Einficht und Erfindfamkeit mit ungeſtümem Mute und eifiger
Kälte mitten im Feuer. Glanz, Schein und Formenweſen verachtete er,
wie er fi denn aud) über die Vorurteile der Geburt hinwegſetzte: er
hatte zum Entfegen feiner ftolzen Familie eine Apothekerstochter aus
Deſſau geheiratet und lebte mit feiner Annalieſe ſehr glüdlich. Aber fait
noch wohler als bei ihr fühlte er fid) auf dem Schlachtfelde. Und ſchon
jest war der tapfere Jüngling die Bewunderung von Fremd und Feind.
Sein König erfannte feine Verdienfte, er machte ihn zum Oberbefehls-
haber aller derjenigen preußifchen Truppen, 12000 Mann, die er zur
Verteidigung des deutſchen Reichs am Rheine hielt (1704). Mit diefen
gab Leopold nun dem gejamten verbündeten Heere ein ſchönes Mufter
von Heldenmut.
Marlborough Hatte ſich im Auguft 1704 glücklich mit Eugen ver-
einigt, fie griffen am 13. Auguft bei Höchftätt unweit Donauwörth das .
baieriſch⸗ franzöſiſche Heer an. Ihren linken Flügel führte Marlborough,
ihren rechten Eugen. Unter dem Ießteren fochten die Preußen. Auf
beiden Seiten verfügte man über große Truppenmaflen, über mehr als
50000 Mann; die Schlacht war langwierig und fehr blutig. Marlbo-
zough ftanden die Franzofen unter General Tallard gegenüber, dem
Prinzen Eugen ein anderes franzöfifches Corps unter General Marfin
und die Baiern unter ihrem Kurfürften. Die Stellung der Francos
Bavaren war fehr ſtark und fie ſchlugen fich gut., Endlich fiegte die über
legene Feldherrnkunſt Marlboroughs. Doc daß er fiegen gekonnt, war
vor allem den Anftrengungen ber Preußen zu banken, welche die Schlacht,
als fie faft ſchon verloren war, mit zäher Ausdauer gehalten hatten.
Prinz Eugen erkannte ihnen denn auch öffentlich „ein unfterbliches Lob“
zu, „maßen ich denn“, wie er nach Berlin fchrieb, „mit Augen gefehen,
wie befonder8 von der Infanterie jo hoch als niedere Dffiziere und Ge—
meine mit unerſchrockener Standhaftigfeit wider den Feind gefochten,
defien Gewalt etliche Stunden lang ausgehalten und endlich geſamter
Hand durch ihr ftarkes Feuer benfelben in eine ſolche Konfufion haben
jegen helfen, daß er ihrer Tapferkeit mit großer Präcipitanz entfliehen
und uns das Feld und fomit diefe herrliche Victorie überlaffen müfjen.“
Beſonders rühmte er „die heldenmütige Führung des Generals Fürften
von Anhalt-Defiau, der auf Teinerlei Weiſe feine Perſon geſchont oder
vor irgend welcher Gefahr ſich entfärbt, fondern mit großer Unerſchrocken⸗
heit feine Leute in⸗das bärtefte Treffen geführt, fo daß man ihm ben
Gewinn des vortrefflichen Sieges zu feinem unfterblichen Nachruhm
großenteilg zuzufchreiben hat."
Im nächſten Jahre führte Leopold von Deſſau 8000 Preußen an
der Seite der Öfterreicher nad) Ztalien. Der Oberfeldherr Prinz Eugen
Der ſpaniſche Erbfolgekrieg. 221
ſollte hier der kaiſerlichen Sache vollftändig das Übergewicht verſchaffen,
während Marlborough wieder die Niederlande deckte. Unter dem letzteren
fand eine andere preußiſche Hilfsſchar, welche der General von Lottum
befehligte. Beide Abteilungen hatten großen Anteil an ben Siegen, bie
nun auf beiden Kriegstheatern erfochten wurden, und einer derjelben, bei
Caſſano am 16. Auguft 1705 über Vendome davon getragen, hat eine
beſonders ehrwürbige Erinnerung Hinterlaffen. Denn ber Mari), unter
befien Klängen bie Preußen dort fiegten, wurde als „deflauer Marſch“
in der Armee unfterblich. Ebenſo zeichneten fi) die Preußen in ben
größeren Schlachten aus, bie mit ihrer Hilfe Marlborough am 23. Mat
bei Ramillies, Eugen am 7. September 1706 bei Turin gewann. „Der
Fürft von Anhalt”, berichtete Prinz Eugen nad; Wien, „hat mit feinen
Truppen bei Turin abermals Wımder gewirkt. Zweimal traf ih ihn
im ftärfften Feuer felbft an der Fronte derfelben, und ich kann es nicht
bergen, fie haben an Mut und Ordnung die meinigen weit übertroffen.
Für die Bequemlichkeit folder Truppen muß man ſoviel als möglich
forgen, die Preußen verbienen es, und es ift fein Preis zu hoch, wos
durch ich ihr Ausharren erfaufen kann.“ Zwei Jahre blieb dies Heer
noch in Stalten, und König Friedrich I. bemußte nebenbei diefe Gelegen-
beit, um fid) auch bei dem Papft im Reſpekt zu fehen. Er hieß ein
Reiterregiment gegen den Kirchenftaat ziehen und nötigte dadurch ben
Bapft, gegen die preußiſche Königswürbe wenigftens nicht mehr laut zu
proteftiren. Es hat freilich noch 80 Jahre gebauert, ehe man ſich in
Rom dazu bequemte, ben Marchese di Brandenburg offiziell als preußi-⸗
{hen König anzuerkennen.
Der Krieg beſchränkte ſich nun auf das Land am Rheine. Prinz
Eugen zog nad) den Niederlanden und befiegte im Verein mit Marlbos
rough die Franzofen bei Oudenarde (11. Zuli 1708) und bei Malpla-
quet (17. September 1709). Auch in diefen Schlachten gebührte ben
Preußen, die hier von Lottum, Fink v. Finkenftein und Natzmer geführt
wurden, ber größte Teil des Dates, wie Marlborough und Eugen be
zeugten.
Ludwig XIV. war erjhöpft; er bat um Frieden, wollte auf das
ganze fpanifche Erbe verzichten; aber die Verbündeten verlangten, er folle
felber feinen Enkel aus Spanien vertreiben. Diefe lebte Demütigung
wies ber greife König zurüd. Er harte aus, und das Glück belohnte
feine Standhaftigkeit.
Im Jahre 1710 ftürzte eine Hoflabale das engliſche Whig⸗ Mini⸗
ſterium und damit auch die Politik, die unter Wilhelm III. und nach
defien Tode (1702) unter ber Königin Anna für England maßgebend
gewefen war. Bon nm am leitete die Partei ber Tories den Staat;
fie neigte ſchon aus Haß gegen den Herzog Marlborough, den eifrigſten
222 Friedrich I. als König.
Freund des Krieges, zum Frieden, und als gar 1711 Kaifer Zofef I.;
der ältefte Sohn Leopolds, dem er 1705 in ber Regierung gefolgt war,
ohne Söhne ftarb und Karl VI., eben jener Prätendent bes fpanifchen
Thrones, deutſcher Kaifer wurde, da hatte England in der That nicht
mehr ben Beruf, die Sache Habsburgs wie bisher zu verfechten. Es
unterhanbelte daher und fein Abfall zog auch die Holländer mit; fo war
der große Bund gefprengt.
Friedrich I. erlebte den Abſchluß des Friedens nicht mehr, der ganz
gegen feinen Willen zum Schaden bes Kaiſers war eingeleitet worden.
Er hatte immer getreu bei feinen Verbündeten ausgehalten, unabläffig
Erſatzmannſchaften in die Kriegslager geſchickt; man rief nie vergebens
fein großmütiges, deutſches Herz an. Er vergaß freilich), daß man erjt
fol gerecht fein und dann großmütig; er vergaß befonders, daß feine
Unterthanen für Subfidien nad) Flandern zu ſchicken, damit fie ſich dort
für Holländer und Engländer töten ließen, im Grunde nichts war al
Seelenverfäuferei. Er beſchwerte fein Volt auch dadurch, daß er, um
das ganze regelmäßige Heer im Auslande verwenden zu können, (1702)
in allen Provinzen noch eine Art Landwehr errichtete, eine „Landmiliz“
aller waffenfähigen Mannſchaft vom 18. bis 40. Lebensjahre, welche die
Verteidigung der Grenzen übernehmen follte. Jeden Sonntag mußte
fie ihre Kriegsübungen halten, worüber die Geiftlichen mit Recht jehr
eiferten.
Zu dieſer drücenden Mafregel griff der König aus Bejorgnis vor
den Gefahren, die feinem Lande durch den norbifchen Krieg drohten.
Denn während im Weften des Erbteils ber ſpaniſche Erbfolgekrieg loderte,
flammte es auch im Oſten von Kriegsfeuer; da glänzte noch einmal der
ſchwediſche Kriegsruhm auf, trug von Norden her Karl XII. den Schrecken
feiner Waffen. Im rafchen Siegeslauf zwang er Dänemark zum Frieden,
Rußland zum Rüdzug, Polen und Sachſen zur Ergebung, nötigte im
Bertrage zu Altranftäbt 1706 Auguft den Starken, der poiniſchen Krone,
die ber Schwede einem Privatmann, Stanislaus Lesczynski, geſchenkt,
zu entjagen und fchrieb jelbft dem Kaifer Gejege vor. Denn als er auf
feinem Zuge nad) Kurſachſen im Frühling 1706 bei Steinau die Oder
überſchritt, da ftanden Hier zahllofe evangelifche Schlefier verfammelt und
baten den Schwedenkönig mit Thränen um Hilfe, Magten, wie ihnen ber
Kaifer durch die Jeſuiten ihre Kirchen, 600 allein in Niederjchlefien, ge»
nommen, wie er ihre Geiftlichen verjagt, ihren Gottesdienft verboten
babe, und wie fie nun elendiglich in Wäldern und Einöben fi) ver-
Triechen müßten, wenn fie Kirche halten wollten; viele feien gär, um der
habsburgifchen Tyrännei zu entgehen, ausgewandert oder Tatholifch ges
worden; bie anderen erwarteten nun, daß er fie rette. Karl XII. ver-
ſprach e8, und er war gewohnt, fein Wort zu halten, feinen Willen mit
Erwerbungen. 223
dem Schwerte durchzuſetzen. Seine Drohungen ſchreckten den wiener Hof
und bewirkten, baß bie Proteftanten ber Fürftentümer Liegnitz, Brieg,
Bohlau, Ols, Breslau die Religionsfreiheit, die ihnen der weſtfäliſche
Friede ausgemacht hatte, mm durch Die „altranftäbter Konvention” vom
1. September 1707 wieder erhielten. Mit diefem ſchönen Werfe war
Schwedens kurze Rolle ald Großmacht ausgefpielt. Zwei Jahre darauf
verlor e8 in den ruffifchen Steppen bei Pultawa für immer feinen Kriegs⸗
ruhm und die Herrichaft des.Nordens. Karls XII. Starrfinn vollendete
den Ruin, den feine Tollkühnheit veranlagt; während der „Eiſenkopf“
jahrelang fi in der Türkei abmühte, dem Zaren, ‚feinem Befieger, einen
neuen Feind zu erwedten, fiel daheim feine eigene Macht in Trümmer,
verheerten die neu verbündeten Dänen, Rufen und Sachſen feine deut⸗
fen Provinzen, riß Auguft II. wieder das polnifche Reich an fich.
Es lag nahe, daß aud) Preußen bier eingriff, denn der Krieg tobte
vor feiner Thür. Auch verſprach der Zar einen Anteil an ber ſchwe—
difchen Beute. Aber Friedrich I. blieb parteilos, er wiberftand allen
Lockungen, obwohl er ſich füglich mit dem Nutzen feines Staates hätte
entſchuldigen können. Nur wo ihm ein Recht zuftand, mochte er fi
vergrößern; da verfäumte er die Gelegenheit nicht. Die bebeutendfte Er»
werbung machte er auf folche Weife durch die „oranifche Erbſchaft“. Er
war Wilhelms III., der 1702 kinderlos ftarb, nächſter männlicher Ver
wandter und nad) dem Recht defien Haupterbe. Wilhelm hatte jedoch
durch ein Teftament einen Seitenverwanbten zu feinem alleinigen Erben
und die Generalftanten zu Vollſtreckern diefer Verfügung eingefeßt. Es
gab darüber nun einen langwierigen Streit, doch ergriff Friedrich von
einigen Teilen des Erbes entſchloſſen Befig, zuerft von der Herrichaft
Lingen an der Ems, dann von der Stabt und Grafihaft Mörs (am
linken Rheinufer, gegenüber den Mündungen ber Ruhr und Lippe), einem
Ländchen, das der Kaifer 1707 zu einem Yürftentum erhob. Auch auf
das Fürftentum Neuenburg (Neufchatel) und die Grafihaft Balendis
(Valengin) in der Schweiz hatte Friedrich I. als Prinz von Dranien,
welchen Titel er feit 1702 führte, gegründete Anfprüche, überließ aber,
da noch andere Bewerber auftraten, die Entjheibung den Ständen diefer
Landſchaften. Sie erkannten ihm 1707 als ihren Oberherm an; Doch
hatte der König von Preußen bier im Grunde nur Schuß- und Ehren-
rechte; die beiden Ländchen blieben felbftändig, wurben der preußifchen
Monarchie nie einverleibt. Dur Kauf erwarb Friedrich in demfelben
Jahre die Grafihaft Tecklenburg in Weftfalen; er bezahlte dem Be—
fiber, einem Grafen von Solms-Braunfels, dafür 250 000 Thaler. In
feiner Eigenſchaft als Haupt der deutſchen Proteftanten endlich erwarb
er 1708 die Grafihaft Geyern in Franken; der letzte Befiter vermachte
fe ihm, um fie nicht in die Gewalt eines Katholiten kommen zu laſſen.
224 Friedrich I. als König.
Im ganzen freilich war die auswärtige Politik des Königs wenig
erſprießlich, denn die Subfidienverträge und der fortwährende Kriegszu⸗
ftand legten ohne entſprechende Vorteile dem Lande fehwere Laften auf,
die es um fo härter drücten, da auch ber Hofftaat ungeheure Summen
toftete. Die Vorftellungen der Stände, die wenigſtens in der Provinz
Preußen noch zu murren wagten, blieben ohne Wirkung. Und doch war
Friedrich I. von Natur ein fo gutmütiger Mann. Manche Züge bewieſen
&. Ein Plusmacher ſchlug ihm einft vor, Die 11 Tage, die bet der An-
nahme des neuen Kalenders im Februar 1700 entfielen, den Beamten
am GSolde abzuziehen;.er lehnte e8 mit den Worten ab: „ich will, daß
meine Leute mich nicht chikaniren, ich fie aber aud) nicht.” Seine ver-
ſchwenderiſche Wirtfchaft führte ihm indes dazu, das ganze Volk zu chika⸗
niren. Die Zahl und Höhe ber Steuern mehrte fid) von Jahr zu Jahr:
zu den alten Steuern kamen neue, als SKronftener, Schloßbaugelder,
Kegationsgelder; und felbft die notmendigften Lebensbebürfnifie entgingen
dem Zöllner nicht. Da immer wieder Ebbe in den Kaflen war, fo ver-
fiel man auf die fonberbarften Mittel Geld zu machen. Friedrich trug,
um feinen etwas verwachſenen Buckel zu verbeden, eine große Perücke
oder Abel. Diefe franzöftiche Erfindung war nun am berliner Hofe und
fonft im Lande Mode geworden, ber König legte daher eine Perücken-
fteuer auf und befahl jede Perücke zu ftempeln, während er andererfeits
wieder durch ein Edikt gegen den Luxus eiferte, was fich in feinem
Munde ſeltſam gemig ausnahm. Ein ander Mal erfchien eine Verord-
nung, man folle im ganzen Lande die Schweinsborften ſammeln und
an die Regierung abliefern, bie einen großartigen Borftenhandel beab-
fihtigte und ſich davon viel Gewinn verſprach. Der leichtgläubige König
verſuchte es auch mit der Alchymie. Ein Schwindler, der fi Graf
v. Ruggiero nannte, lockte ihm mit dieſer Hoffnung viel Gelb ab, bis
der Betrug zu handgreiffid) wurde, und ber König feinen Goldmacher in
Küftrin aufhängen ließ (1709). Eine befiere Finanzquelle war der Juden⸗
ſchutz. Beim Regierungsantritt Friedrichs III. gab e8 in der Mark mır
132 füdifche Yamilien, davon 31 in Berlin. Friedrich nahm indeſſen für
Geld immer mehre in feine Staaten auf und ſchützte fie auch gegen bie
Verfolgung des Voltes, das ihnen Schuld gab, in einem Gebete „Alenu*
den Heiland zu läftern. Um bas Jahr 1700 war ihre Zahl in jämt-
lichen Provinzen auf 700 Familien angewachfen, und in Berlin wurbe
ihnen (1712) fogar erlaubt, fich eine allgemeine Synagoge zu bauen, die
erfte dieſer Art in der Hauptftabt. .
Einen anfehnlichen Poften unter den Einnahmen bildeten die aus—
ländifchen Subfidien, aber fie deckten bei weitem nicht die Koften für die
Hilfstruppen. Das Heer verſchlang überhaupt etwa die Hälfte der ge
ſamten Staatseinkünfte; denn es wurbe unabläffig vermehrt, betrug im
Kunft und Wifienfhaft. 225
Jahre 1709, alle Bewaffneten eingerechnet, an 50 000 Mann mit 40 Ge
neralen, nämlich) 23 000 Soldaten in Flandern, 8000 in Stalien, 12 bis
13000 im eignen Lande, 5000 Mann Miliz („Wibranzen“) in der Pro—
vinz Preußen und 2000 Invaliden, für die unter diefer Regierung zuerft
Berforgungsanftalten in den „Snvaliden-Rompanien“ gegründet wurden.
Beim Tode Friedrichs I. belief ſich ber feldbienftfähige Veſtand auf
30000 Mann. Der Sold war höher als Heutzutage; er betrug im
Durchſchnitt für jeden Mann jährlid) 50 Thaler; am meiften Toftete im
Verhältnis die Garde, die der König aus Eitelfeit ſehr prächtig ein-
richtete. Abgefehen von ber wenig zahlreichen Landmiliz beftand das
‚Heer aus geworbenen Leuten, die teils von der Regierung, teils von ben
Gemeinden aufgebracht wurden und gewöhnlich auf drei oder ſechs Jahre
Dienft nahmen. Die Kriegszucht war ftreng, ber Dienft ſchwer, daher
Defertion häufig; nur harte Strafen hielten diefe Söldner zuſammen,
die doch vor dem Feinde jo ruhmvoll fochten. Denn wen der innere
Beruf zum Soldatenhandwerk fehlte, ben riß in der Schlacht das Bei—
fpiel oder der angeftammte Kriegerfinn zu tapferer That fort. Auch die
beſſere Bewaffnung hatte an den Erfolgen bes Heeres einen Anteil; an
Stelle ber Pile und des Lumtenfchlofies traten in diefer Zeit das Bajonett
und das franzöftfche Gewehrſchioß
Schon als Kurfürft hatte Friedrich) mehr für den Glanz als für ben
Nutzen gewirkt, als König leiftete er für die eigentliche Wohlfahrt feines
Volles noch weniger. Er machte einige Anſätze dazu, den Anbau des
platten Landes zu heben, aber fie waren ohne Energie und Erfolg; er
verbot einmal feinen Amtleuten, die Bauern zu prügeln; aber wer ſah
den Herren auf die Finger? Er feßte Preife zur Ausrottung der Wölfe
aus, ſechs Thaler für einen alten, drei für einen jungen Wolf; aber er
erließ zugleih, um feiner Prachtliebe zu fröhnen, Jagdgeſetze, welche die
Schonung des Wildes anbefahlen und dadurch bewirkten, daß fi) na-
mentlich die Wildſchweine zum großen Schaden des Aderbaues übermäßig
vermehrten. Um feinen Jagden noch mehr Reiz zu geben, ließ er jogar,
was fchon fein Vater einmal verjucht hatte, Elenne und Auerochſen aus
Preußen nad) den Wäldern der Mark verpflanzen und verbot‘ fie zu
ſchießen, wie er aud) die Biber an der Elbe ſchützte. Doc) hielten ſich
die Elenne und Ure diesmal nicht beſſer als vordem; fie wollten fi in
der Mark nicht einheimifch machen laffen. 5
Was er für die Gewerbe that, beſchränkte fi) im Grunde auf die
zahlreichen Einfuhrverbote augländifcher Waren und darauf, daß er die
Alademie ber Wiſſenſchaften ermunterte, den Seidenbau zu pflegen, ben
ein Franzofe im Jahre 1698 bei Berlin eingeführt hatte. Diefer neue
Induftriezweig blieb indes ſehr unbedeutend.
Bierfon, preub. Geſchichte. I. . 15
226 Friedrich I. als König.
Unter einer fo läffigen Regierung mußte ein plößlich hereinbrechendes
Landesunglück befto verderblicher wirken. Ein ſolches traf nun in ben
Jahren 1709—11 die öftlichen Teile des Staats, das eigentliche König-
reich. Von Polen her wurbe dort die Peſt eingefchleppt und verheerte
weit und breit bie Oftfeelande zwifchen der Memel und Oder. Andere
Krankheiten — meift von Mangel und Elend bei Mißwachs und Ver:
tehrsftodung erzeugt — gefellten fi Hinzu. Oftpreußen verlor durch
alle dieſe Geißeln 236 000 Menſchen, ein Drittel feiner Bevölkerung; in
Königsberg ftarben 7000 Menſchen, Litauen lag auf weite Streden wüſt.
Einigermaßen half dann bie Natur, indem fie die Fruchtbarkeit ber
Überlebenden vermehrte. Auch das polniſche Preußen und Pommern
litten viel; in Danzig farben damals 32600 Menfchen; in Pommern
waren mande Stäbte ganz verödet. Die Mark blieb von diefer Peft
verſchont, hier hob fid) die Bevölkerung und zugleich der Wohlftand be-
traͤchtlich — eine Folge ber ftarfen Einwanderung und bes gefteigerten
Verkehrs, dem der Lurus des Hofes viel Nahrung gab. Man merkte
dies befonders in Berlin, wo der Ertrag der Accife auf das Vier- und
Fünffache, die Einwohnerzahl von 20000 auf 50000 ftieg, und An—
bau und Verſchönerung, beſonders ber Friedrichsſtadt, gute Fortſchritte
machten.
Am meisten that Friedrich noch für Kunft und Wiſſenſchaft. Er
ftiftete 3. 3. im Jahre 1700 zu Halle eine reformirte Schule, die 1712
in ein Gymnafium verwandelt wurde, beichenkte die königliche Bibliothek
fo reichlich, daß fie ſchon 1702 aud) im Auslande Ruf hatte, und war
immer bereit, nad) Ludwigs XIV. Beifpiel, zur Unterftüßung von Ge—
lehrten und Künftlern Geld zu fpenden. Die Duelle diefer Freigebigkeit
war die Prunffucht, eben daher ſtammte wohl auch das neue Amt, mit
dem er ben Staat bedachte: er feßte 1696 einen Benjor ein, ohne deſſen
Zuſtimmung fortan Feine Drudichrift erfcheinen follte. Doch bedurften
wenigftens die Märker in diefer Beziehung eher eines Sporns, als eines
Baumes; denn noch immer war unter ihnen im Vergleich zu ben Bes
völferungen des weftlichen Norddeutſchlands wenig geiftiges Leben zu
merken; man kaufte und las felten ein Buch, am erſten noch religiöfe
Schriften, mit foldhen wurden denn auch bie Druckereien, deren es nun
in Berlin doch ſchon zehn gab, am meiften bejchäftigt. Für fie war freis
lid) die Zenſur einigermaßen nötig. Denn noch immer herrſchte zwiſchen
Kutheranern und Reformirten fein rechter Friede. Der Kurfürft verfuhr
bier ebenjo, wie fein Water, dem er in ber Duldſamkeit und in ber
Frömmigkeit gli. Auch er verjuchte die Reformirten und Lutheraner
mit einander zu verfchmelzen, und er wurbe darin von den gemäßigten
Zutheranern, bejonders von den Pietiſten, gut unterftüßt. In ihrem
Tod König Friedrichs I. 227
Sinne war es, daß er die Teufelaustreibung und die Privatbeichte für
unverbindlich erklärte.
Wenn Friedrichs I. innere Regierung nur wenig Verdienfte hatte,
fo lag dies daran, Daß er fie ganz dem Grafen Wartenberg überließ,
der die wichtigften Amter wiederum mit feinen Geſchöpfen befeßte. Alle
diefe Günftlinge ſuchten einzig und allein ihren Privatvorteil und küm—
merten fid) wenig um das Interefie des Staates. Erft gegen Ende feines
Xebens gingen dem ſchwachen Könige über ihr Treiben die Augen auf,
und auf Andringen des Kronprinzen ſchickte er (1710) das eine Haupt
der Kamarilla, einen Grafen Wittgenftein, auf die Feſtung, das andere,
Wartenberg jelbft, (1711) ins Ausland. Doc; gab er dem noch immer
geliebten Günftlinge zugleich Beweife feiner Huld. Wartenberg und
defien Frau mußten nad) Frankfurt a. M. ziehen, aber fie durften nicht
bloß die Schäße, die fie in Berlin zuſammengebracht, mitnehmen, fondern
es erhielt der Günftling jogar nod) ein Jahrgehalt von 24000 Thalern;
indes ftarb er ſchon im März 1712.
Auch in feiner Familie hatte Friedrich manchen Kummer; nad) dem
Tode Sophie Charlottes (1. Februar 1705) und zweier Entel ließ er ſich
bereben noch einmal zu heiraten; aber biefe dritte Gemahlin, Sophie
Zuife von Medlenburg- Schwerin, eine frenge Lutheranerin, verbitterte
ihm durch ihre religiöfe Unduldſamkeit das Leben. Sie verfant dann in
Schwermut, die plöglic zum Wahnfinn umſchlug. In diefem Zuftande
überfiel fie eines Tages den König in feinem Zimmer und erfchrecte den
ſchon Fränklichen zum Tode; er glaubte die „weiße Frau“ gejehen zu
haben, jenes Nachtgefpenft, welches, nad) der alten Sage, im Hohen⸗
zollernſchloß ericheint, wann immer bier ein Todesfall bevorfteht.*) Er
ftarb am 25. Februar 1713, aufrichtig betrauert von feinen Untertanen,
die den gutmütigen Fürften troß feiner großen Schwächen liebten und
nachfichtiger über ihn urteilten, als die Nachwelt. Zur Anficht der Späs
teren ſchadete e8 ihm, daß er „in der Geſchichte zwifchen einem Vater
and einem Sohne fteht, deren überlegene Talente ihn verdunkeln.“ Aber
auch in das günftigfte Licht geftellt, zeigt feine Regierung doch immer
*) &8 follte der Geiſt einer Gräfin Kunigunde von Orlamünde fein, die aus Liebe zu
dem Grafen Mbreät von Bollern (um 1350) ihre Kinder getötet Habe, aber, gerade um
diefer Unthat willen von ihm veriämäßt, dann in Verzweiflung durch eigne Hanb geftorben
fe. Aus Race gehe fie nun im Haufe der Bollern, Unheil verkündend, um. — Thatjache
äft nur, daß Kunigunde, eine geborene Herzogin von Meran, bie Witwe bes Grafen Otto von
DOrlamfinde-Plaffenburg, des lehten feine® Stammes, war, daß ihre Güter, darunter die
Bloffenburg, fraft Erbvertrages an bie Burggrafen Johann IT. und albrecht von Nürnberg
felen, und daß fie 1351 ftarb umd in ber alten Kloſterkirche bei Nürnberg begraben Liegt.
Dort findet fid) noch ihr Denkmal; fte ift Im Gewande ber weiben Frauen von Gifterg (dev
Kiftergienfer-Ronnen) abgebilbet,
15°
228 Friedrich Wilhelm J.
einen häßlichen Flecken: daß er das Blut und das Geld feines Volkes
aus Gitelfeit in fremdem Dienfte vergeudete. Giebt es für folchen
Menſchenhandel überhaupt eine Entfhuldigung, fo ift es nicht die Sitte
der Zeit, fonbern ber Preis, ben er befam, — die Königsfrone für
Hohenzollern, ben Preußennamen für den Staat umd neuen Kriegsruhm
für das Heer.
ẽEriedrich Wilyelm J.
Friedrich J. erzielte aus ſeinen drei Ehen nur ein ihn überlebendes
Kind, den Kronprinzen Friedrich Wilhelm, den ihm ſeine zweite Gemahlin
Sophie Charlotte am 15. Auguft 1688 zu Berlin gebar. Es prägte ſich
ſchon in dem Knaben eine jehr beftimmte Eigenart aus, die von dem
Weſen der Eltern weit abwich. Cr ſtrohte von Gefunbheit und Kraft,
aber auch von unbänbdiger Heftigleit und hartköpfigem Eigenfinn; in
allen körperlichen Übungen, vorzüglic in denen, bie zum Kriegsdienft ger
hörten, that er e8 allen Alterögenofien zuvor; aber feine geiftigen Fähig-
keiten beichräntten fi), wie es ſchien, auf gefunden, berben Menfchen-
verftand. Gerab ımd wahrheitsliebend, fchlicht und einfach, haßte er nicht
nur das Gefünftelte und Formelhafte, fondern auch Kunft und Wifjen-
ſchaft, fofern fie nicht handgreiflich müßten und von ſelbſt einleuchteten.
Das geiftreiche und gelehrte Wefen feiner Mutter machte auf ihn ebenjo
wenig Eindruck, wie der zeremoniöfe Prunk feines Vaters; er veradhtete
beides, und feine Erzieher verftanden es nicht, feinen Billen zu beugen.
Sehr frühzeitig, ſchon in feinem neumgehnten Jahre (am 14. Rovember
1706), war er verheiratet worben, und feine Frau — e8 war Sophie,
Tochter des Kurfürften Georg I. von Hannover, fpäteren Königs von
England — bejaß, obgleid, ein Jahr älter (geboren am 26. März 1687),
doch fein Herz ftets ungeteilt; aber einen fänftigenden Einfluß auf fein
bärenhaftes Weſen hatte aud) fie nicht in erheblichem Grade. So blieb
er geiftig ungebildet und fittlich roh. Aber in diefer harten Schale lag
ein Kern deutſcher Biederfeit und Rechtichaffenheit, und wenn er das
Schöne und Angenehme, das Erhabene und Ideale nicht zu würbigen
wußte, fo verftand er ſich um fo befier auf das Nügliche.
Kaum hatte fich Friedrich Wilhelm von dem Leichnam feines Vaters
erhoben und den kindlichen Schmerz zurückgedrängt, jo fchritt er raſch
durch die Scharen der Höflinge in fein Zimmer, ließ fi die Lifte der
Hofbeamtenfchaft geben und durchſtrich fie von oben bis unten. Die
ganze bisherige Wirtfhaft mit ihrem glänzenden Flitter, ihrer verſchwen⸗
derifchen Pracht hörte auf; von 100 Kammerherren blieben nur zwölf;
ohne Rüdfiht und Schonung, ohne Anfehen ber Perſon wurden alle
Befoldungen und Gnadengehälter, die er für überfläffig oder zu hoch
Charalteriſtit. 229
hielt, geftrichen oder verkürzt. Das Leichenbegängnis feines Water war
das legte Vrachtfeft, welches er duldete; fortan wurbe der Hof auf ben
einfachften, jchlichteften Fuß gefeßt und Sparjamkeit die Lofung. Die
Reſidenz nahm ein anderes Geficht an; ernfte Stille auf den Gaflen,
rührige Emfigfeit bei der Arbeit; die Freude wagte jelbft in ben Häufern
kaum fic laut zu äußern. Bald merkte das ganze Land, daß mit dem
neuen Könige eine neue Zeit gefommen war. Schien es nicht, als ob
ein Spartaner den Thron beftiegen? Ein ftämmiger, handfeſter Mann,
nicht hoch von Wuchs und einigermaßen wohlbeleibt, aber robuft und feft
wie ein Turm, das blühende Geficht ernft, aufrichtig, gebieteriſch; die
großen grauen Augen ftandhaft, wachſam und glänzend von beftänbigem
Feuer und Leben; ftarfe Baden und Kiefern, die blonden Hare in einen
langen, ftarfen Zopf gebunden, das Ganze ein Bild derbfter Gefundheit,
entichlofienfter Kraft — jo war Friedrich Wilhelms äußere Erſcheinung,
und fie fpiegelte feinen innern Menſchen wieder. Faſt konnte es feinen
ſchrofferen Gegenja des Charakters geben als zwiſchen Friedrich I. und
feinem Sohne. Jener gutmütig und ſchwach und ein Verehrer bes
glänzenden Scheins; dieſer unerbittlich, von rückſichtsloſer Energie, ein
Veibenfchaftlicher Vertreter des Weientlichen. Und das Weſentliche ſah er
allein in dem unmittelbar Nüplichen. Hurtige, raftlofe Thätigfeit, Orb»
nung in den Geichäften, Ehrbarfeit und Mäßigkeit im Leben verlangte
er von den Unterthanen und war darin felber ein Mufter. Er faßte das
Königtum auf als ein Amt, ihm von Gott gegeben, bie Faulen und Uns
gerechten zur Arbeit und Rechtſchaffenheit anzuhalten, jeden in feinem
Kreife, den Privatmann wit den Beamten. Sic bewußt, das Rechte zu
wollen, bielt er ſich felbft für das Fleiſch gewordene Recht, und jeder
Widerſpruch, gejchweige ein Widerftand gegen feinen Willen erſchien ihm
als Bosheit oder Thorheit; er zerbrach ihn mit eiferner Yauft. So war
er ein Despot, body felten ein ungerechter; denn fein natürlicher Verſtand
Vieß ihm faft immer das Richtige treffen.
Raub und derb griff er den Staat an, ri ihm ben Fiittertand
eines prachtvollen Hofitants ab, der am Marke des Landes gezehrt hatte;
aber dafür verftärkte er die wahren Machtmittel. Das junge Königreich)
ftand dem Namen nad) ebenbürtig neben den alten, aber was bebeutete
Preußen mit feiner Meinen Armee und feinem zerſtückelten Gebiete, feinen
par Millionen Einwohnern und faum 30000 Soldaten neben den ber
nachbarten Großſtaaten Öfterreih, Rußland, Frankreich, die Heere von
100000, 130000, 160000 Mann unterhielten? Sollte es mit Ehren
eine Rolle in Europa fpielen, fo mußte es feine Kräfte aufs äußerfte an-
fparmen und aufs forgfältigfte zu Rate halten, um feine militärtfchen
Reiftungen fehr beträchtlich fteigern zu können. Es fam darauf an, daß
der Staat möglichft viel Soldaten und Geld habe; danad) richtete
230 Friedrich Wilhelm I.
fi) fein Anfehn und feine Geltung in der Well. Das Kriegswejen und
das Finanzwejen waren daher für Friedrich Wilhelm die allerwichtigfter
Angelegenheiten; ihnen widmete er fid) mit bem ganzen Eifer feiner ener=
giſchen Natur. Er hatte übrigens für fie eine angeborne Vorliebe; ſchon
als Knabe ergögte ihn nur das Soldatifche, und er galt früh für geizig.
Seine Neigungen und feine Überzeugungen trieben ihn alfo in biejelbe
Bahn; auch feine Talente lagen in derſelben Richtung. Sie waren
groß, aber durchaus praktiſch; feinem Scharfblick entging nicht bie Meinfte
Unebenheit ober Unregelmäßigfeit im Heerweſen wie im Getriebe der
inneren Verwaltung; er fah jeben blinden Knopf im Heere und jeben
falſchen Voften in den Rechnungsbüchern; wußte mit ungemeinem Ge—
ſchick nicht bloß den alten Beſtand beſſer zu ordnen, fondern auch neue
Geldquellen und Regimenter zu jchaffen, bie neuen und alten aber zu
einer vorzüglichen Kriegsmaſchine auszubilden; denn er war ein ebenfo
guter Ererziermeifter wie Hauswirt. Auch gedachte er nicht, feine Aufe
gabe, feinen Beruf in fremde Hände zu legen; er felbft, der König, ſah
und bearbeitete alles im Staat. „Saget dem Fürſten von Anhalt", fo
äußerte er fich gleich nad) feiner Thronbefteigung, „daß ich felbft der
Finanzminifter und Feldmarſchall des Königs von Preußen bin; das
wirb den König von Preußen aufrecht erhalten.“
Mit der alten Günftlingsherrihaft war es aus; der König, der
alles Recht des Staates in fih fühlte, war auch aller Pflicht eingeben.
Er arbeitete, — nicht wie die meiften anderen Könige zum Schein,
ſondern wirklich.
Nur auf die auswärtigen Angelegenheiten verftanb er fid) wenig.
Es mangelte ihm die nötige Kenntnis der europäifchen Staatsverhältnifle,
vor allem aber die diplomatiſche Kunft, feine Gedanken zu verſtecken und
gewandt zwifchen ben wiberftreitenden Interefien des Auslandes ſich nad)
dem feften Ziele des eigenen Vorteils Hindurd) zu winden. Er war zu
offen und ehrlich, um felbft in einer guten Sache heucheln zu Können; fo
wurde er von dem verfehlagenen fremden Diplomaten leicht hintergangen
und außgebeutet. Gein Herz gehörte Deutſchland und dem Kaiſer; er
haßte alle Ausländerei gründlich, am meiften aber die Franzoſen. Daß
er unter dieſen Umftänden doc erft fpäter in das Schlepptau ber ſchlauen
öſterreichiſchen Politik geriet, daß bie auswärtigen Geſchäfte Preußens
anfangs mit Umficht und gutem Erfolg betrieben wurden, verbantte ber
König dem Augen und geſchickten Minifter Ilgen, den er am ihrer
Epige vorfand und beließ.
Zwar durfte auch Ilgen nicht jelbftändig verfahren, aber Friedrich
Wilhelm war verftändig genug, feinen Rat in der Regel zu befolgen. Es
war dies um fo nötiger, als der Staat gerade bei feinem Regierungs-
antritt ſich nach außen hin in fehr ſchwierigen Verhältnifien befand. Noch
Friede zu Utrecht. 231
war ber ſpaniſche Erbfolgefrieg im Gange, und der nordiſche Krieg
Ioderte eben wieder in größter Nähe auf. Friedrich Wilhelm hatte feinen
Grund den erfteren fortzuſetzen; er ſchloß ſich vielmehr den Mächten an,
die zu Utrecht über den Frieden verhandelten. Es lag ihm nur daran,
für die großen Opfer an Gelb und Blut, welche fein Vater in diefem
Kriege gebracht, einige Entſchädigung zu erhalten; dieſelbe wurde ihm
aud durch Englands Unterftügung gegen den Willen Hollands und
Oſterreichs zuteil. Preußen erhielt in dem utredhter Frieden (11.
April 1713) das bisher zu den fpanifchen Niederlanden gehörige Ober-
Geldern (an der Maas); dagegen verzichtete Friedrich Wilhelm, als er
am 15. Mai 1713 dem Frieden beitrat, auf die Teile der oranifchen
Erbſchaft, die in Frankreich lagen, namentlich auf das Fürftentum Orange,
deſſen Zitel er indeflen fortführte. Auch wurde jegt die preußifche Königs-
würde von Frankreich und Spanien anerkannt.
Erwägt man, daß Friedrich I. fraft des Kronvertrags nur verpflichtet
gewefen, dem Kaifer 8000 Mann Hilfstruppen für ben Erbfolgefrieg zu
ftellen, daß er aber ftets weit mehr geleiftet, fo war der Erfaß, den der
utrechter Frieden gab, doch nur geringfügig. Dber-Geldern, oder wie es
eigentlid) feit 1339 hieß, das Herzogtum Geldern hatte fruchtbaren Boden
und eine gewerbfleißige Bevölferung, aber nur geringen Umfang (22 Dua-
dratmeilen mit 50 000 Einwohnern).
Das letzte Stüc der oraniſchen Erbſchaft, welches dem König von
Preußen noch zufam, die Baronie Herftal im Bistum Lüttig, brachte
Friedrich Wilhelm bald darauf mit Gewalt an fi, wie er auch fonft
fein Recht ohne viel Federleſens durchſetzte, wo er die Macht dazu hatte.
Nachdem die Seemächte vom Kampfplage abgetreten waren, fehlten
dem Kaifer die Mittel, die bisher von jenen befoldeten Truppen weiter
zu unterhalten; er war außer Stande, allein die ſpaniſche Monarchie den
Tranzofen abzunehmen; aud) Preußens vertragsmäßige Hilfe hätte dazu
nicht genügt. Karl VI. fügte fid) daher in das Unvermeidliche und
ſchloß im März 1714 zu Raftatt für feine Erblande, im September 1714
zu Baden für das beutfche Reich Trieben, indem er die Bedingungen
des utrechter Friedens annahm. Kraft desſelben wurde das ſpaniſche
Erbe geteilt: der Bourbon Philipp V. behielt Spanien mit den Kolonien,
der Habsburger Karl VI. erhielt die Nebenländer, Belgien, Mailand,
Neapel, Sardinien (das er fpäter an Savoien für Sizilien abtrat). Das
deutſche Reich fuhr dabei am übelften; für alle Leiden des langen Krieges,
in den es die habsburgiſche Hauspolitik geftürzt, empfing es nicht den
geringften Erſatz. Die Jeſuiten am wiener Hofe verhinderten jogar, daß
die ſchmähliche Klaufel des ryswicker Friedens, welche den pfälzifchen
Proteftanten jo ſchweres Unrecht that, zurückgenommen wurde. Deutfch-
land hatte wieder einmal für das Haus Habsburg feine Haut zu Markte
232 Friedrich Wilhelm I.
getragen und dieſem große neue Befigungen erkämpfen helfen, fich ſelbſt
aber Schimpf und Schaden geholt. Es war ein Glück, daß menigftens
der Norboften, Preußen, jein Interefje wahrnahm. Diejer Staat leiftete
denn auch im nordifhen Kriege, indem er zunächſt für fich ſelbſt
arbeitete, ber gemeinfamen deutſchen Sache die erheblichften Dienfte.
Während Karl XII. in ohnmächtigem Trotze nod) immer in ber
Türkei verweilte, machten die nordifchen Verbündeten, Rußland, Polen
und Dänemark, alle Anftalten, den Schweden auch diejenigen Feſtungen
zu entreißen, bie fie noch in ihren deutſchen Provinzen beſaßen. Beibe
Teile lagen dem Könige von Preußen an, fi) in ben Streit hineinzu⸗
mifchen. Triedrid) Wilhelm meinte es anfangs gut mit Schweben; er
war nicht willens, von defien Unglüd Nußen zu ziehen. Anbererfeits
fühlte er feinen Beruf, ſich für fremde Interefien zu opfern. Er wünſchte
parteilos zu bleiben, vor allem aber den Krieg vom beutjchen Boben
fortzubannen. Er erbot ſich daher, die ſchwediſchen Feftungen in Deutſch⸗
land, namentlid; Stettin und Wismar, mit feinen Truppen zu beſetzen
und für Karl XII. bis zum Srieden zu verwahren; ber Krieg follte fi)
auf die außerdeutfchen Länder befchränfen. Damit waren alle einverftan-
den, aud) die ſchwediſchen Bevollmächtigten; nur Karl XIT. nicht. Run
rückte (im Juli 1713) ein ruffifches Heer von 24 000 Mann durch Med-
lenbutg in Pommern ein, verheerte das Land, verbrannte die Stadt
Garz und belagerte Stettin. Wermittelft ſächſiſchen Geſchützes, welches
der König Auguft geſchickt hatte, wurde die Stadt im September bom ⸗
barbirt, und ihr Befehlshaber machte, um fie zu retten, den Vorſchlag,
daß fie bis zum Frieden neutral fein und gemeinfchaftlich vom Herzog
von Holftein, dem Schwager Karls XII., und von dem Könige von
Preußen befeßt werben folle. Friedrich Wilhelm ging mit Freuden
darauf ein; derm es lag ihm alles daran, die Ruſſen ſich nicht in PBoms-
mern einmiften zu laſſen. Daher begab er fid eilig nah) Schwedt, wo
fi) der ruſfiſche Minifter und Feldherr Mentſchikow aufhielt, und ſchloß
bier mit diefem und dem General Flemming, bem Bevollmächtigten des
Königs Auguft, am 6. Oktober 1713 einen Vertrag, nad) welchem er an
Rußland umd Polen 400 000 Thaler Belagernngstoften zahlte, dagegen
follten ihm alle ſchwediſchen Feftungen in Deutihland, zunächſt Stettin,
ala Sequefter, d. h. in Verwahrung bis zum Frieden, übergeben
werben. Demgemäß rücte am folgenden Tage eine preußiſche Befagung
in Stettin ein, die Rufſen und Sachſen aber räumten Pommern. Ob—
wohl nun ber ſchwedter Vertrag für Karl XI. wirffid) vorteilhaft war,
fo weigerte fi) der eigenfinnige und mißtrauifche Fürft dennoch, ihn an⸗
zuerkennen. Dadurch aber wurde Friedrich Wilhelm ganz in das Lager
der Verbündeten getrieben; denn da er num fürchten mußte, feine 400 000
Thaler und fonftigen Koften nicht wieder zu erhalten, fo trat er dem
Krieg mit Schweden. 233
Bündnis der Feinde Schmwebens bei und machte mit Peter I. insgeheim
ab, daß im fünftigen Frieden Stettin und die Odermündungen an
Preußen, Ingermannland und Karelien aber an Rußland kommen follten
(12. Juni 1714).
Die ſchwediſchen Angelegenheiten ftanben ſeitdem hoffnungslos, zus
mal da auch Georg I. von Hannover, feit 1714 König von England,
eine drohende Stellung einnahm. In Schweden dachte man ſchon daran,
Karl XU. zu entthronen. Da endlich verließ diefer die Türkei und er-
ſchien nad) einem Ritte von 14 Tagen ımerwartet in Stralfund (22.
November 1714). Bon bier aus forderte er Friedrich Wilhelm I. auf,
ihm Stettin zurüdzugeben, indem er fo that, als habe Preußen aus jenem
Bertrage gar Fein Recht. Aber Friedrich Wilhelm, der für fein Gelb
beforgt war, aud) um feinen Preis die Ruſſen ober Polen an der Obder-
mönbung dulden wollte, beſchloß nun, den für feinen Staat jo wichtigen
Befiß nicht wieder aufzugeben, und als dann Karl fein Recht mit Gewalt
verfocht und die Injel Uſedom befeßte, die nach preußifcher Erflärung
zum Sequefter gehörte, zog er gegen Schweben das Schwert (April 1715).
Der Ausgang des Kampfes Tonnte kaum zweifelhaft fein. Karl XIL
verteidigte fi) in Stralfund mit aller Tapferkeit gegen das verbündete
Heer ber Preußen, Dänen und Sachſen; aber die Übermacht war zu
groß. Nachdem die Preußen durch die Eroberung Wfeboms und ber
peenemänber Schanze die Waſſerwege für das ſchwere Geſchütz freige-
macht, nachdem fie dann unter Leopold von Deſſau (15. November)
Nügen eingenommen unb Karl XIT., der zur Rettung der wichtigen
Inſel aus Stralfund herbei eilte, zurücgefchlagen hatten, Tonnte dieſes
legte ſchwediſche Bollwerk in Ponmern fid) nicht länger halten, Karl
entfloh nach Schweden, und Stralfund ergab ſich (23. Dezember). Im
nädjften Frühling verloren die Schweden auch Wismar, welches in die
Gewalt der Dänen und Hannoveraner geriet, und fie befaßen num in
Deutſchland Teinen Plaß mehr. Karl XII. bot die lehte Kraft feines er-
ſchöpften Neiches auf, unternahm jeßt einen neuen Feldzug gegen das
daniſche Rorwegen, aber er fand bier (1718) nicht die gejuchte Rache,
fondern ben Tod. .
Imdefien war im übrigen Europa an die Stelle der Kriegsunter-
nehmungen ein Spiel diplomatifcher Verhandlungen getreten, bei welchem
fi) das Verhältnis ber einzelnen Staaten zu einander fortwährend nad)
Zaune ober Berechnung veränderte. Das nordiiche Bündnis lockerte fich
dabei; man verfuchte ganz neue Kombinationen. Der Aufſchwung ber
ruſſiſchen Macht an der Dftfee beeinträchtigte Polen und erfchredte die
Seemächte, aber der Weg zur Niederhaltung Rußlands fchien über
Preußen gehen zu müſſen. Diejer kriegsmächtige Staat war überdies
den hannöverjchen Welfen, den fatholifchen Wettinern und ben Habs—
234 Friedrich Wilhelm I.
burgern gleihmäßig im Wege. Sie faßten den Plan, ihn in großem
Maßftabe zu berauben; Georg I., Auguft IT. und Karl VI. ſchloſſen zu
diefem Zweck am 5. Januar 1719 zu Wien einen Vertrag; nachdem
Preußen niedergeworfen, follte e8 an Hannover feine weftlichen Provinzen,
an Polen feine Souveränität verlieren. Die Nachricht von Karls XII.
Tode änderte indes die Stimmung der englifhen Staatsmänner, und
der Vertrag blieb auf dem Papier. Doc) erhielt der bedrohte König
davon Kunde. Schon 1718 war ein ungariicher Edelmann Namens
Kiement, vordem ein politifcher Agent des wiener Hofes, nach Berlin ge⸗
kommen und hatte dem Könige, indem er Wahres mit Erlogenem mifchte,
eine furchtbare Verſchwörung enthüllt: der ganze Hof fei von dem Kaifer
und dem Polenkönig gewonnen; man wolle ihn, den König, auf ber
Jagd aufheben, ben Kronprinzen Tatholifc erziehen lafien und unter
kaiſerlicher Vormundſchaft auf den Thron fegen. Zum Beweife brachte
er gefäljchte Briefe des Prinzen Eugen und anderer bedeutender Männer
zum Vorſchein. Friedrich Wilhelm glaubte ihm und verfiel in finftere
Schwermut, lange Zeit fprad) er mit feiner Umgebung fein Wort, legte
fid) nie fehlafen, ohne geladene Piftolen zur Hand zu Haben; endlich
wagte es Leopold von Defjau, ihn um die Urfache feines Kummers zu
fragen; es fam zu Erörterungen, die damit endeten, daß Klement feinen
Betrug geftand und (1720 zu Berlin) aufgehängt wurde. Aber fo viel
Wahres war allerdings an feinen Erzählungen geweſen, daß Hannover,
Sachſen und Hſterreich, wenn auch nicht gegen die Perfon des Königs,
ſo doch gegen den preußiichen Staat ein Attentat beabfichtigt hatten*).
Kein Wunder aljo, daß der König die Freundſchaft des einzigen ver-
bünbeten Hofes, ber e8 wirklich mit ihm gut zu meinen fchien, des ruffie
ſchen, nody mehr als bisher fuchte; der Rüdhalt an Rußland nüßte ihm
überdies, wenn Schweden etwa den Krieg in Deutjchland erneuern follte.
Daran dachte num freilich) Die ſchwediſche Regierung feineswegs; die
Königin Ulrike Eleonore, Schwefter und Nachfolgerin Karls XII, beeilte
fich vielmehr um jeden Preis Frieden zu ſchließen. Mit Preußen kam
derjelbe am 1. Februar 1720 zu Stodholm zuftande; Friedrich Wil-
heim zahlte danach an Schweden zwei Millionen Thaler und vermittelte,
daß es Wismar und Vorpommern weftlic der Peene wieber erhielt, da⸗
gegen trat Schweden den Strich VBorpommerns zwiſchen Peene
und Oder, alfo Stettin, bie Odermündungen, Uſedom und
Bollin, auch Damm und Gollnomw an Preußen ab. Im nädjften
Jahre erfolgte die feierliche Huldigung diefer Landſchaft.
So war e8 Friedrich Wilhelm I. geglüct, zu erreichen, was einft
der große Kurfürft vergebens erjehnt hatte: Stettin und bie untere Oder
*) Droyfen i. d. Beitirift f. preuß. Geſch. V. 10. ©. 635 ff.
Friedrich Wilhelms I. Staatsvermaltung. 235
bis ans Meer waren dem Auslande abgerungen, waren preußiich, —
für den Staat, für ganz Deutjchland ein großer Gewinn. Denn mit
diefen 94 Duadratmeilen fruchtbaren Bodens kam zugleich wieder ein
Teil des Ternhaften pommerjchen Volles an das Vaterland zurüd, und
in Stettin hatte Preußen nun einen Fuß am Meere, um an dem Welt
handel ganz anders als bisher Anteil nehmen zu können. Die gebrachten
Opfer waren im Vergleich damit fehr gering; dieſe Ermerbung, bei ber
es fi) im Grunde mır um ein feſtes Zugreifen gehandelt, koftete faft
nur Gelb, im ganzen an fieben Millionen Thaler; aber fie war Doch
eben nur für einen Staat möglid) gewefen, ber einen gefüllten Schatz
und ein tüchtiges Kriegsheer befaß, und Zriebric Wilhelm hatte das
Verbienft, vom erften Tage feiner Regierung an biefe beiden Macht»
mittel ganz ungemein vermehrt zu haben. Auch in Zukunft rüftete er
fein lebelang fo eifrig, als ob es jeden Augenblick losgehen folle. Er
machte Preußen ganz eigentlich zu einem Militärftaat, ohne doch defien
toftbare Kräfte durch einen Krieg ferner aufs Spiel zu fegen; er ſchien
das Gewehr immer anzulegen, ohne abzudrüden. Aber durch feine Arbeit
find jene Mittel gejhaffen worben, die nachher in Friedrichs des Großen
genialer Hand fo Unerhörtes wirkten. Diefe Arbeit, die merkwürdige
Leiſtung eines praftiichen Genies, ift zugleich der Hauptinhalt von Frieb-
rich Wilhelms nüßlichem Leben.
Sriedric Wilhelms I. Staatsverwaltung.
Das deutſche Volt war feit dem 3Ojährigen Kriege immer tiefer in
Knechtſchaft geſunken; faft überall! wurden die Stände, die ihm früher
nod) einen Schein von Freiheit bewahrt hatten, die gehorfamen Diener
der Zürften; wo fie aber Macht behielten, bemußten fie biefelbe haupt»
ſächlich im Intereſſe des Adels. Der Unterfchieb in den einzelnen Landen
war nur, daß in einigen ber Adel mehr, in anderen weniger Vorrechte
befaß; die Maffe des Volks hatte überall bloß zu gehorchen. Sie konnte
es ſchon als einen Gewinn betrachten, wenn fie ftatt vieler Herren einen
erhielt, fie mußte in der abfoluten Monarchie um fo mehr ihr Heil finden,
wenn an ber Spitze ein mohlgefinnter Despot ftand. So war es in
Preußen. Friedrich Wilhelm I. faßte die unumſchränkte Gewalt, die er
von feinem Vater und Großvater geerbt, in ber allerweiteften Bedeutung
des Wortes auf. „Ich bin König und Herr und kann machen, was ich
will”, fagte er und duldete feinen Widerſpruch. „Räfonmir er nicht!“
war die barſche Antwort, mit der er jeden Einwand nieberichlug. Er ver-
langte und erzwang unbedingten Gehorfam. Aber in der Art, wie er
die unumfchränfte Gewalt handhabte, und in ber Richtung feines Willens
236 Friedrich Wilhelms I. Staatsverwaltung.
lag etwas Demokratiſches. Schon fein Privatleben zeigte in feiner
Schlichtheit und rohen Tugend jenes altrömifche republikaniſche Wefen,
das fein Sohn an ihm rühmt*). Friedrich Wilhelm richtete feinen Hof
einfach bürgerlich ein; ftatt Prachtgewänder, melde die alte ſpaniſch-
burgundiſche Etikette dem Fürften damals vorfchrieb, trug er zuerft im
Europa als König ben einfachen Soldatenrock; auch in Speiſe und Ge—
rät, in Rebe und Sitte war er wie ein Soldat ober Bürgersmann, ſchlicht
und recht, ohne Förmlichkeit und Komplimente; und die ftrenge Sittliche
keit, die er bei ben Seinigen einführte, mußte jeden ehrbaren Hausvater
ſehr erbauen. Als Herrſcher ging er jelbft ganz tm Dienfte des Staates
auf. Sein Grundſatz war: dem Wohle des Ganzen müſſe ſich jeder Ein-
zelne unterorbnen. Er that es felbft. Vom frühen Morgen war er auf,
feines Amtes zu warten, und gönnte ſich kaum die einfachften Bequem-
lichkeiten; raſtlos war er bald hier, bald dort, um überall nad) dem
Rechten zu fehen; er kümmerte fi) um das Kleinſte. Unabläffig über
wachte und trieb er die Beamten, daß fie ebenfo eifrig wie er ihre Pflicht
thäten. Sein Auge und feine Fauft waren überall, vom oberften bis
zum niedrigften zitterten alle vor ihm. Ebenſo derb und grob fuhr er
den Offizier an wie den Gemeinen, den Minifter wie den Schreiber, wo
einer feine Schuldigfeit nicht that oder nicht zu tun fehien. Ohne Ums
ftände ſchickte er den Stantsminifter, der ſich verging, auf die Feftung,
wie er ben Thorfchreiber in Potsdanı, der die Bauern am frühen Mor:
gen vor dem Thore warten ließ, mit ben Worten: „guten Morgen,
Herr Thorſchreiber!“ eigenhändig aus dem Bette prügelte. Sein Ver-
fahren wurde freilich bei feiner natürlichen Heftigfeit oft hart und tyran«
niſch, aber e8 brachte die Staatsmaſchine in trefflichen Bug, und fein
ſchwerer Arm beugte den Edelmann fo gut wie die andern Unterthanen
ins Staatsjoch.
Denn wie er vom ganzen Volke dieſelbe Schlichtheit und Arbeitfam-
feit verlangte, die er felbit bewies, jo forderte er auch von allen Ständen
ohne Unterſchied Die gleiche Hingabe an ben Staatäwillen. Daher brüdte
er dem Adel den Daumen feit-aufs Auge, und bie Steuerfreiheit, die
berjelbe für ſich und feine Güter genoß, wurbe jeßt zum Nuben des
Staats durchbrochen. Es erſchien (am 5. Januar 1717) eine Verordnung,
die alle Adels, Schulzen- und Bauern-Lehngüter im Lande zu Allodials
und Erbgütern erflärte, das „Lehnpferd“ aufhob und dafür einem jeden
Rittergut eine fefte Steuer von 40 Thalern, einem jeden Schulzen- und
Bauerngut eine verhältnismäßig geringere Abgabe auferlegt. Gegen
dieſe Verfügung, die freilich ganz revolutionär war und den Feudalſtaat
an der Wurzel untergrub, erhob fid) unter der Nitterfchaft ein großer
*) Oeuvres de Frederic le Grand, Berlin, 1846. I. 126.
Der abfolute Selbſthertjcher. 237
Anwille. Sie wollte nicht, wie ein gewöhnlicher Unterthan, Abgaben
zahlen. Sie war feit Errichtung der ſtehenden Heere in doppelter Weife
bevorzugt worden: erftens nämlich trug fie wegen ihrer Steuerfreiheit
nicht die Laft der Heerestoften, die vielmehr von dem übrigen Volke, bes
züglich von den Hinterfafien des Adels, aufgebracht wurden; und zweitens
erhielt der Adel die meiften Offizierftellen und damit eine gute Verforgung
durd) eben jenes Heer, welches Bürger und Bauer unterhalten mußten.
Bon biefen Vorrechten wollte nun der Abel keins aufgeben. Friedrich
Wilhelm I. ſetzte aber feinen Willen durch. Zuerſt fügte ſich die Ritter
ſchaft in der Mark; anberwärts wiberftand fie länger; bejonders hart⸗
nädig zeigte ſich Die magbeburgifche; fie verffagte den König beim Reichs-
hofrat in Wien (1726), ber ihr denn auch Recht gab umb dem Herzog
von Magdeburg bei Androhung kaiſerlicher Ungnade und Exekution ges
bot, fein ungefehliches Verfahren einzuftellen. Aber der König vom
Preußen kümmerte fid) um biefe Drohung nicht, fondern zwang durch
militärifche Beitreibung der Steuer den widerjpenftigen Adel fein Bor«-
recht fahren zu lafien. Ebenſo vergeblidy. ftemmte ſich der Abel ber
Provinz Preußen gegen ben Willen des Königs. Friedrich Wilhelm
zerbrach die alten Rechte rüdfichtsloes, wo fie mit dem Staatswohl in
Widerſpruch ftanden. Er ſprach dies kurz und bündig und ſehr berb
felber aus. Zugleich mit jener Grundſteuer führte er ftatt mehrerer
alter unzwedlmäßiger Abgaben einen feften Hufenſchoß ein, der ebenfalls
den Adel traf, wem auch zunächſt nur defien Bauern. Der Feld⸗
marſchall Graf Dohna proteftirte dagegen im Namen ber oftpreußifchen
Landitände. Diefe Neuerung fei landesverderblich und höchſt bedenklich;
„tout le pays sera ruine“ hieß es in biefer franzöftich abgefaßten Be—
ſchwerde. Der König fehrieb fpöttifch an den Rand: „tout le pays
sera ruine?“ Nihil Kredo, aber das Kredo, daß die Jun—
ters ihre Autorität Nie pos volam wird ruinirt werben.
Ich ftabilire die Souverainete wie einen Rocher von
Bronce.“ Er fpielte damit auf das liberum Veto des polniſchen
Adels an: nie pozwalam, d. h. ich erlaube es nicht! Und in ber That
hatte der preußiſche Adel von jeher viel Luft, ein Zunterregiment wie in
Polen aufzurichten.
Aud) die Geburtsvorrechte des Adels beachtete Friedrich Wilhelm
wenig. Als ein Mlevifcher Freiherr ſich darüber beſchwerte, daß ein ge
wiffer v. Pabft, der von geringerem Adel war, in der Kirche einen vor⸗
nehmeren Sit einnehme, ſchrieb der König zurüd: „Diefes fein Thorbeit,
in Berlin ift fein Rang, tn Kleve mus feiner fein. wen Pabft über mir
ſitzet in der Kirche fo bleibe ich doch was ich bin, mein extraction bleibt
allezeit." Nach dieſem vorurteilsfreien Grundſatz richtete ſich Friedrich
Wilhelm auch bei der Wahl feiner Beamten. Es galt ihm dabei gleich,
238 Friedrich Wilgelms I. Staatsverwoltung.
ob jemand adlig oder bürgerlich) war, auch zwifchen Lutheranern und
Reformirten machte er feinen Unterſchied; er bejeßte die Stellen nach der
Tüchtigkeit.
Der große Kurfürft hatte die Verwaltung zentralifirt; unter feinem
Nachfolger war fie lockerer geworben; Friedrich) Wilhelm I. zog bie
Bügel wieder feft an. Er verband unb ordnete die Gefchäfte plan-
mäßig, verteilte fie unter beftimmte Abteilmgen, deren Xeiter das
Staatsminifterium bildeten. Er felbft mit zwei Kabinetsräten war der
Mittelpunkt; alles und jedes, was im Staate vorging, follte ihm be—
richtet werben, und er erteilte auf ben Bericht allemal kurz und beftimmt
Beſcheid.
Kein Zweig der Verwaltung war unter Friedrich J. ſo vernachläſſigt
worden, wie das Finanzweſen. Es war hohe Zeit, daß hier Ordnung
und beſonders Sparſamkeit eingeführt wurde. Freilich ging Friedrich
Wilhelm I. dabei vielfach in das andere Außerſte über; er war in
mancher Hinficht geradezu geizig. Er ſchien dann das Geld nicht bloß
als Mittel, fondern auch als Zweck zu lieben. Sein Hof empfand das;
der König ſchaffte allen Lurus ab, ließ ſich täglich ben Küchenzettel vor⸗
legen, ſtrich ober verkürzte zu teure Speifen; dod) hielt er auf anftändige
Küche, jo etwa wie damals ein wohlhabender Bürger oder Gutsbefitzer
zu fpeifen pflegte. Dagegen ließ er fi) manchmal von Miniftern und
Generalen zu Tiſche bitten und aß dort gern die toftbaren Gerichte
und Saucen, die er fich jelbft an feinem Tiſche verfagte. Indeſſen der
Staat hatte den Vorteil von feiner Sparſamkeit. Zu wirklich nützlichen
Ausgaben, wenn fie das materielle Wohl des Landes weſentlich förberten,
hatte und gab er immer Geld ber. Dagegen machte er fi) auch fein
Gewifien daraus, den Unterthanen ziemlich; tief in den Säckel zu greifen,
und hörte öfter auf die Finanzpläne von Plusmachern, als dem Bolfe
lieb war. Der verhaßtefte unter dieſen war ein gemifier Eckardt, ber
ums Jahr 1738 den König veranlafte, die ftäbtifchen Kämmereikaſſen in
Aufficht zu nehmen und deren überſchüſſe einzuziehen.
Um der ganzen Verwaltung fefte Regeln zu geben und ein einheit-
liches Zufammenwirken aller Beamten herzuftellen, vereinigte der König
1723 die bisher getrennten Behörden, das General-Kommiflariat, welches
die Verwendung der Kriegsgefälle beauffichtigte, und das General-Domänen-
Direktorium, welches die Domänen verwaltete, zu einem einzigen Kolles
gium mit dem Titel eines General:Dber-FinanzKriegs- und Domähen-
Direktoriums, kurzweg auch General-Direftorium genannt. Er jelbft
hatte die Inftruftion, die den Geſchäftskreis und die Einrichtung besfelben
zegelte, erdacht und ausgearbeitet; fie war ein Meifterftüc, bewunderns⸗
wert ſowohl durch ihre Zweckmäßigkeit im allgemeinen als durd) die
Klarheit und Sorgfalt, womit fie das Kleinfte wie das Größte ordnete.
Finanzen. 239
Sie machte unabläffigen Fleiß, unausgeſetzte Aufficht zur ftrengiten Pflicht
und forgte für gegenfeitige Überwachung der Beamten, damit überall
nad) Möglichkeit gefpart, die Einkünfte auf alle erfinnliche Weiſe erhöht,
und das beigetriebene Geld ſtets zur Verfügung bereit gehalten werde.
In diefer neuen Behörde, deren Präfident der König ſelbſt war, gipfelte
die ganze Verwaltung. Die Mitglieder teilten unter ſich die Geſchäfte
nad Provinzen und Fächern und hielten täglich Sitzung; jeder Minifter
mußte wöchentlich einmal in der Sitzung erſcheinen und die ihn betref-
fenden Sachen vortragen. Minifter wie Räte mußten im Sommer um 7,
im Winter um 8 Uhr anweſend fein, wenn ein Minifter ohne krank zu
fein ober ohne Erlaubnis eine Stunde zu ſpät kam, fo zahlte er 100 Du-
Taten Strafe; wer zweimal ganz fehlte, wurde faffirt; „denn wir fie be—
zahlen, daß fie arbeiten follen“, fagte der König. Den Schlendrian
ſchaffte er gründlich ab, vertilgte ihn aud) aus den Provinzen, wo die
Kriegs- und Domänenkammern ähnliche Snftruktionen bekamen, die ſämt⸗
lich darauf hinausliefen: Eriparungen zu machen, die Einkünfte zu fteigern,
die Gefälle ftreng beizutreiben, genauefte Rechnung zu legen. Ebenfo
nüglich war die Oberrechenkammer, die er in demfelben Jahre 1723
errichtete. So kamen fefte Ordnung, unabläffige Thätigfeit, forgfame
Überwachung in bie ganze Beamtenfchaft.
. Die gefamten Staatseinfünfte zerfielen in die Kriegs- und in die
Domänengefälle; zu den erfteren, von welchen der Unterhalt der Truppen
beftritten wurde, gehörten die Kontribution, das Kavalleriegeld, die Lehn-
pferdegelder, die Kriegsmetze und die Acciſe.
Die Kontribution wurde hauptfächlih von dem platten Lande
aufgebradjt. Ihr Name bezeichnete urſprünglich mehrere und ganz ver-
ſchiedenartige Steuern, wie Hufen- und Giebelſchoß, Schloßbaugelder,
Gefandtichaftsgelder; einige davon waren nur auf Zeit bewilligt, andere
beftanden nur in einzelnen Provinzen. Der König ſchlug alle zu einer
feften ordentlichen Kontribution zufammen, die im weientlichen eine Grund»
fteuer war und von den Hinterfaflen des Adels und ben Löniglichen
Bauern einkam. Sie wurde auf alle Provinzen gleihmäßig verteilt,
damit man, wie der König vorjchrieb, die Laſt überall mit gleichen
Schultern trage. Sie ergab 1740 fait 2443. 000 Thaler.
Das Kavalleriegeld war eine neue Abgabe des platten Landes
als Entgelt dafür, daß die Reiterei, deren Einquartierung und Ver-
pflegung bis 1716 dem Lande zur Laft fiel, nun in die Stäbte verlegt
wurde. Es machte 1740 etwa 70000 Thaler aus.
Die Kriegsmebe beftand in der Abgabe eines Groſchens vom
Scheffel Weizen oder Malz und 6 Pfennige vom Scheffel Roggen.
Die Lehn- und. Ritterpferdgelder betrugen für jedes Rittergut
240 Friedrich Wilfelms J. Staatöverwaltung.
40 Thaler jährlich, bei ſchlechtem Boden weniger; in der Mark brachten
fie 36.650, im ganzen Staat zulekt 60.000 Thaler.
Die Accife wurde von Friedrich Wilhelm auch in den Städten
derjenigen Provinzen eingeführt, wo fie noch nicht üblich geweſen; nur
mit ber Provinz Geldern machte er hiebei eine Ausnahme. Diefe
Steuer war unter allen bie ergiebigfte, aber fie wurde jegt ſehr drückend,
weil der König ein höchſt läftiges Syſtem Fleinlichfter und peinlichfter
Beauffihtigung vorſchrieb, damit nur ja feine ımverfteuerte Ware dem
Zollbeamten entgehe. Mit ftrengen Strafen verfolgte er jede Umgehung
ber Accife bei den Einwohnern und jeden Unterfchleif bei den Beamten.
Überdies fchraubte er Die Steuerfäße hier noch mehr als bei an-
deren Abgaben in Die Höhe. Acciſe und Lizent brachten ihm zuletzt
1400 000 Thaler.
Zu den Einkünften fam noch die Rekrutenkaſſe. An fie mußte
jeder, der ein Amt, eine Beförderung, Gmabe, Titel oder gerichtliche
Vollmacht erhielt, eine beftimmte Summe entrichten. Daraus entwidelte
fich ein förmlicher Handel mit Titeln und Stellen, wenigftens mit ums
bedeutenderen Amtern. Bern man fonft ein unbefcholtener und anſtän⸗
diger Mann war, konnte man z. B. einen Hofrat3-Titel mit 400, ben
eines Kriegsrats mit 500 Thalern Taufen*). Oft überboten fid) die
titelfüchtigen Bewerber; der König entichteb für ben, ber mehr gab.
Übrigens gingen bie wirklichen Beamten ben bloßen Zitelträgern im "
Range vor. Wollte ein Zube heiraten, fo koſtete auch dies eine Abgabe
an die Rekrutenkafſe. Im ganzen hatte die Judenſchaft für Trauſcheine
und gerichtliche Vollmachten jährlich 4 bis 5000 Thaler an dieſe Kaffe
zu zahlen. Auch Strafgelder mancherlei Art flofien in dieſelbe. Es
war nichts Seltenes, daß der König für leichtere Verbrechen Gnade vor
Recht ergehen ließ, wenn ber Übelthäter gehörig an die Rekrutenkaſſe
zahlte. Oft belegte er auch ein Vergehen ganz willkürlich mit Geldbuße.
So mußte z. B. einmal eine Baronin, die im Witwenftande ein Kind
geboren hatte, ihre Sünde mit 13000 Thalern büßen. Aus diefer
Rekrutenkafje bezog der König die Unfummen, bie ihm feine „langen
Kerle" kofteten.
Sämtliche Staatsausgaben außer denen für das Militär wurben
von den Domänengefällen beftritten; zu dieſen gehörten auch die Ein-
fünfte vom Salz, Berg-, Hütten und Poſtweſen, von den Zöllen unb
vom Stempel.
) Im Jahre 1717 waren bie Preife der Titel geringer, damals zahlte man an bie
Tönigfihe „Babrifentaffe” für einen Hofratstitel 200 Lhaler, für einen blohen Ratstitel 100,
für einen Getretärstitel 50 Thaler König, Berlin IV., 1, 66. Später wurden bie For⸗
derungen erhöht.
Das platte Sand, Al
Das Salz ließ die Regierung in ihren Salinen, namentlich bei
Schönebed und Halle, gewinnen und verkaufte es zu einem beftimmten
Preiſe an bie Unterthanen. Die Einfuhr fremben Salzes war ftreng
verboten. Jeder Hausvater mußte bei hoher Strafe nach der Anzahl
feiner Angehörigen und feines Viehes vierteljährlich ein beftimmtes Maß
taufen. Der Staat gewann damit zuleßt 544000 Thaler.
Ebenfo verhaft wie die Acciſe wurbe dem Volle das Zollweſen, weil
der König die Zölle fteigerte, den Städten die Zollfreiheiten, die fie etwa
noch hatten, nahm und jeden Betrug hart beftrafte.
Die Stempelung wurde auf alle Beſoldungsquittungen und fchrift-
lichen Eingaben bei den Behörden ausgedehnt; jelbft Arme blieben nicht
ausgenommen; bieje Steuer brachte zuleßt 35.000 Thaler.
Das Poftwejen, namentlich von dem Poſtrat Grabe, der auch
Ettrapoften einführte, ſehr verbeſſert, wurde Durch mancherlei Verord⸗
nungen, 3. B. daß verſchlofſene Briefe und Pakete unter 20 Pfund nur
durch die Königliche Poſt durften befördert werden, für Die Stantstaffe
ergiebiger gemacht. Es warf i. 3. 1740 ungefähr 180000 Thaler ab.
Die meifte Sorgfalt aber wendete der König ben Domänen zu.
Gleich nad) feiner Thronbefteigung erhob er (durch Hausgeſetz vom
13. Auguft 1713) alle Krongüter zu einem Familien-Fidei-Rommiß, von
welchem nie ein Stüc veräußert werben follte. Wohl aber vergrößerte
ji es A: alljährlich durch neue Ankäufe. Dabei befferte er unabläſſig
der Bewirtſchaftung, ordnete, fparte, benutzte jede Hilfsquelle. Da
—8 Sümpfe ausgetrocknet, neue Kulturen eingeführt, die alten höher
entwidelt. &r bewährte fich hier als vorzüglichen Landwirt; Die Erträge
boben fi) mit jedem Jahre und warfen zuleßt über 2 610000 Thaler
ab. Die Erbpacht, die man unter feinem Water verfucht hatte, fchaffte
er jedoch wieder ab; er verpachtete feine Güter nur auf Beit, und zwar
immer auf ſechs Jahre. Die Mufterwirtihaft feiner Domänen wirkte
nun durch ihr Beijpiel auch fehr vorteilhaft auf den Anbau bes
ganzen Landes; eben jo wie die zahlreichen Entwäflerungen, bie der
König in fumpfigen Gegenden vornahm. So wurde namentlich das
havelländiſche Luch bei Frieſack durch Abzugsgräben zum großen Vorteil
ber Umgegend nutzbar gemacht (1718—1724). Werner ließ der König
von Polizeiwegen ſchädliche Ziere vernichten, bot z. B. 1731 in der
Mark alle Unterthanen zur Bertilgung der Heufchreden auf — eine
Landplage, die damals hier weniger felten war als heutzutage, — ließ
große Wolfsjagden anftellen, was beſonders in Preußen ſehr notthat,
denn e8 gab dort faft mehr Wölfe als Schafe. Der König ſetzte daher
einen höheren Preis auf die Erlegung eines Wolfs, er ſelbſt zahlte dafür
je 2—6 Thaler, die Städte mußten in ihrem Gebiete das dreifache
geben. Andererſeits vermehrte er freilich die Zahl ber ſchädlichen Tiere
Bierfon, preuß. Geichichte. I. 16
242 Friedrih Wilhelms I. Staatäverwaltung.
Denn aus Leidenfchaft für die Jagd ließ er in feinen Korften die wilden
Schweine und Hirfche fi zu ungeheurer Menge vermehren. Dafür hatte
er das Vergnügen auf mander Jagd in ber Mark und in Pommern
mit feinem Gefolge 1000 bis 1900, ja einmal fogar 3600*) Wildſchweine
zu erlegen, die dann für 3—6 Thaler das Stück von Privatleuten, vor⸗
züglich aber von den Juden gefauft werden mußten. Die Juden konnten
dieſen Zwang nur durch jährliche Abgaben an die Armenhäufer ablöfen.
Strenge Geſetze ſchützten das Wild; aud) Biber, Lüchſe und Fiſchottern
durfte in Königlichen Forſten kein Unterthan erlegen.
Bon dieſer Verirrung abgefehen, war, was ber König als Landes»
vater leiftete, von größtem Werte. Immer beftrebt, alle Klafſen des
Volks gleichmäßig zu belaften, damit feine überbürbet werbe, erließ er
viele Verordnungen, welche die Lage des Bauern erleichterten ; insbeſon⸗
dere fuchte er die harten Frohndienſte, weldye die Bauern ihrer Guts⸗
herrſchaft zu leiften hatten, in einen Geldzins zu verwandeln. Dies ges
ſchah indes doch nur hie und da. Dagegen ſchaffte er den Mißbrauch,
ben die Beamten mit dem Borjpanns-Poftrecht trieben, gründlich ab.
Unter feinem Vater war es aufgelommen, daß jeber Beamte ſich von
den Bauern eine Vorjpannspoft verſchaffen konnte. Friedrich Wilhelm
unterjagte dies ftreng: „Ich will nicht,“ fehrieb er (1717), „daß die
Herren Beamten in den Provinzen mit meiner Bauern Pferden fpazieren
fahren." In einer andern Verfügung (vom Jahre 1715) verbot er, fein
Pächter oder Beamter jolle fich unterftehen, die Unterthanen bei ben
Hofdienften auf dem Lande mit Peitſchen⸗ oder Stockſchlägen zu miß-
handeln ober zur Arbeit anzutreiben. Jeder Übertreter dieſes Geſetzes
ward das erfte Mal zu fechswöchentlichem Karren in ber Seftung, das
zweite Mal zum Strange verdammt. Auch ſonſt ſchützte der König bie
Geringen gegen die VBornehmeren; es follte einem jeben und von jedem
fein Recht geſchehen.
Die Hauptfache war ihm aber, wie er dem Rahrungsftande bes
Volks aufhelfen könne. Es handelte ſich hier um zwei Dinge: Die Be-
völferung zu mehren umd ſie zu bemittelten Leuten zu erziehen. Mit
allem Nachdruck drang er darauf, daß die Gemeinden und Gutsbeſitzer
die wüften Feldmarken, die verödeten Kofftellen wieder mit Bauern bes
feßten, und er ging jelbft mit gutem Beifpiel voran, begünftigte bie
alten Koloniften, zog dur Gewährung vieler Vorteile neue herbei.
Ebenſo eifrig ſuchte er die Bevölkerung der Städte zu Beben. Er erflärte
(1721), e8 nicht mehr mit anfehen zu können, daß die wüften Stellen in
den Städten unbebaut lägen. Er verfprady allen Anfiedlern jeder Nation
auf 15 Jahre Steuerfreiheit, gewährte auch mandjerlei andere Unter-
*) Im Jahre 1729. Babmann, Friedr. Wil. ©. 378.
Bauten unb Einwanderungen. J 243
fügung, und er hatte die Freude, bis zum Jahre 1725 eine Menge ganz
ober teilweife zerftörter Städte wieder neu und ſchöner aufgebaut zu '
fehen, namentlich Krofien, Köslin, Iſerlohn, Kalbe, Kroppftäbt, Wege:
leben, Loburg, Mansfeld, Wittſtock, Oſchersleben, Horichleben, Ermsleben,
Seehauſen, Aſchersleben, Rieſenburg, Luckenwalde, Unna. Ju Stendal
fand er 365 wüſte Feuerſtellen; er belohnte jeden, der hier ein neues
Haus baute, mit einem Amt oder Titel, ſelbſt als Obergerichtsrat,
Advolat, Bürgermeifter, gab auch Geld ber, 3. B. 26000 Thaler für
Lichen, 30000 für Templin, ähnliche Summen für Plettenberg, Breder-
feld, Hamm. Am meiften that er in biefer Beziehung für Berlin; bie
Friedrichsftadt, bie bei feinem Regiermgsantritt nur etwa 300 Häuſer
enthielt, wurde durch ihn um Das fünffache erweitert. Freilich die Mittel
waren tyranniſch gem. Er befahl ganz einfach den Beamten und
Bürgern bier Häufer zu bauen. Ein General (von Derihau), als Dber-
auffeher des Baues, legte ihm von Zeit zu Zeit eine Lifte von Leuten
vor, die feiner Meinung nad) vermögenb waren. Danad) wies ber
König denfelben Baupläge an, ımd fie mußten ihr Geld in Häufer
fteden. Da half auch den Unbemittelten feine Widerrede, und mancher
wuinirte fh; auf Bittſchriften um Erlaß des Baues erwiederte der König
wohl: „ber Kerl hat Geld, foll bauen.“ So erhoben ſich raſch ganze
Straßen; im Jahre 1737 beftand Die Friedrichsftadt bereits aus 1682
Häufern. Auch die andern Stadtteile vergrößerten fi), ımb bie Ein-
wohnerzahl- Berlins wuchs bis zum Jahre 1740 auf 98000 Seelen.
Die Stadt Potsdam ift geradezu eine Schöpfung Friedrich Wilhelms I.
zu nennen. Vorher ein Dorf — fie Hatte 1713 kaum 400 Ein-
wohner — wuchs fie, feit er (1722) fein Leibregiment hierher verlegt
und feine bejondere Fürſorge ihr zugewendet, jo jchnell, daß in zwanzig.
Jahren die Bevölkerung hier auf 20 000 ftieg.
Ein wahrer Wohlthäter wurde der König der Provinz Preußen. Er
fand diefes Land in dem allertraurigften Buftande: ganze Kreife waren
öde und ausgeftorben; 60000 Hufen lagen nod im Jahre 1721 ganz
wüſt. Friedrich Wilhehm bewies hier jo recht Mar, daß fein Geiz mır
eine ſchroffe Form wohlangebrachter Sparfamteit war. Er gab Millionen
ber, um den Zuftand Preußens und Litauens zu verbeflern. Die Kolo-
uiften, die er berief, erhielten von ihm indes außer Geldunterftügungen
noch vielfach andern Vorſchub, vornehmlich, Sicherheit vor der Leibeigen-
ſchaft. Er gab auf dem preußiſch⸗litauiſchen Domänen den Bauern bie
Güter als freies Erbe (1720); boch durften fie nicht ohne Erlaubnis
fortziehen, hatten auch gewifie Handdienfte zu leiften. Die Handwerker
erhielten noch größere Begünftigungen: Reifeloften, Steuer-Freijahre,
unentgeltliches Bürger und Meifterrecht in den 52 preußiſchen Städten.
Im ganzen verwandte der König von 1721—1728 an fünf Millionen
16*
244 Sriedrich Wilhelms I. Stantsverialtung.
Thaler auf Anfegung neuer Einwanderer. Es kamen beren vornehmlich
“viele aus der Schweiz, aus Schwaben, Franken, ber Wetterau und
Niederſachſen; im ganzen bis zum Jahre 1728 an 20000 neue Fa—
milten.
Den größten Zufluß verfchaffte dem Lande aber wieder die Ber-
folgungsfucht fremder Fürften. Die Reformation war im füböftlichen
Deutſchland während bes breißigjährigen Krieges größtenteils aus-
gerottet morben; dennoch hatte Der proteftantifche Glaube felbft unter
dem Regiment ftreng katholiſcher Fürften dort noch viele heimliche An—
bänger. Am meiften war dies in bem Erzbistum Salzburg ber Fall.
Allen Verfolgungen feßte der lutheriſch gebliebene Teil der Bevölkerung,
meift ſchlichte Landleute, ftandhaftes Duden, ftille Ausdauer entgegen.
Zuletzt begnügten ſich die Erzbiſchöfe damit, daß die Proteftanten, ohne
ihre Meinung aufzugeben, fidh äußerlich zur Landeskirche hielten. Im
Zahre 1727 kam aber ein fanatiſcher Eiferer auf den biſchöflichen Stuhl,
der Freiherr von Firmian. Diefer rief die Jeſuiten herbei und ließ
durch diefelben eine ftrenge Inquiſition halten. Um die Lutherifchen vor
den Kutholifchen zu unterfcheiben, wurde befohlen, die Bauern follten
den katholiſchen Gruß „Gelobt ſei Zeus Chrift!" gebrauchen ımd ein
Stapulier, d. 5. einen Schulterrod nad) mönchiſchem Zufchnitt, tragen,
keine religiöfen Zuſammenkünfte Halten umb kein Iutherifches Buch,
namentlich nicht die Bibel, befißen oder gar leſen. Die Lutheraner
wollten aber von ihren Meinungen und Bräuchen nicht lafſen, und es
eiging nun wider fie eine graufame Verfolgung. Dennoch richtete ber
Erzbiſchof nichts ans; als er nachforfchen ließ, wie viel Ketzer wohl in
feinem Sande feien, meldeten ſich troß aller Bebrängniffe 20678 als
Belenner des lutheriſchen Glaubens. Zugleich fandten die Bauern einige
Hausväter aus ihrer Mitte nad) Regensburg und nad) Berlin, um bei
Kaifer und Reich umb bei ber größten proteſtantiſchen Macht in Deutfch-
land um Hilfe zu bitten. Die Borftellungen der evangeliſchen Fürſten
fruchteten aber nichts, Firmian rüftete vielmehr Truppen, um die Ketzer
mit Gewalt katholiſch zu machen, und Kaiſer Karl VI. ſchämte ſich nicht,
unter einem fheinbaren Vorwande ihm zu bemfelben Zweck Soldaten zır
ſchicken. Auch jegt noch blieben die Bauern feft, ſchworen ſich (im
Auguft 1731) mit bem Finger auf das Salz zu, bei ber augsburgiſchen
Konfeffion zu verharren und einander mit Rat und That beizuftchen.
Bewaffneten Aufruhr erhoben fie nicht; ihr leibender Wibderftand rührte
jedoch dem Erzbiſchof Teineswegs; er fuhr fort, fie mit Kerfer und Geld-
ftrafen heimzufuchen und verbot ihnen auch die Auswanderung.
Da trat Friedrich Wilhelm als ihr Beſchützer auf und drohte, bie
Katholiken in feinem Staat genau fo zu behandeln, wie der Erzbiſchof
bie Lutheriſchen. Man wußte, daß Friedrich Wilhelm Wort hielt; der
Die proteftantifjen Salzburger. 245
Erzbiſchof erlaubte daher (11. November) werigitens die Auswanderung;
aber unter ben härteften Bedingungen. Dem weftfälifchen Frieden zum
Troß verfagte er den Auswanderern die einjährige Frift zum Verlauf
ihrer Habe und nahm ihnen die Kinder unter 12 Jahren weg. Mitten
im Binter ließ er die dürftigften unter den Lutheranern, wie fie gingen
und ftanden, durch Soldaten über bie Grenze treiben; zu hunderten
mußten die Unglücklichen, Darunter viele Weiber und Mädchen, zum
Zeil halb nadt ins Elend gehen; die Kinder wurden den Zefuiten in
bie Zuchtſchulen überliefert. Aud) die bairifche Regierung zeigte ihren
katholiſchen Eifer; fie ließ die Ankömmlinge wochenlang troß der ſtrengen
Kälte an der Grenze liegen, ehe fie den Durchzug in barmberzigere
Zänder erlaubte. Die anderen Reichsſtaͤnde und der Kaiſer begnügten
fich mit Redensarten, Friedrich Wilhelm aber erflärte in einer öffentlichen
Belanntmahung vom 2. Februar 1732 alle diefe Auswanderer in feinen
Schuß nehmen zu wollen, er biete ihnen Preußen als Zufluchtsort und
neues Vaterland an und wolle, daß man fie fortan als preußiiche
Unterthanen betrachte. Er erſuchte den Erzbiſchof, fie mit ihren Kindern
ungehindert zu entlafjen, und gab feinem Verlangen durch Drohungen
Nahdrud. Ähnliche Vorftellungen erließ er an den Kaifer und an bie
Tatholifchen Reichsfürften Der Erzbiſchof gab nad), aud) die andern
Kalholilen ſcheulen nun die öffentliche Meimung; fo durften denn die
proteftantifchen Salzburger ihre Güter verfaufen, wobei fie freilich von
den habgierigen erzbiſchöflichen Beamten ehr benachteiligt wurden, und
zogen mm im Frühling 1732 mit Sad und Pad und mit Weib und
Kind aus ihrem fhönen Alpenlande in die Fremde. Friedrich Wilhelm
ſchickte ihnen Bevollmächtigte entgegen, die ihnen täglich für dem
Mann 4, für die Frau 3, für ein Kind 2 Grojchen Reife-Entihädigung
zahlten. Sie gingen faft ſämtlich nach Preußen; ſchon auf der Reije
von ihren evangelifchen Glaubensgenofien überall liebevoll unterftügt,
erfuhren fie in Berlin den rührenbften Willkommen. Die königliche
Familie, Die Geiftlichfeit, die Bürgerfchaft empfingen den eriten größeren,
Zug am Leipziger Thore in feierlicher und gaftlicher Weiſe (9. Juni).
Mehr als 17000 diefer treuen und frommen Leute ließen ſich nun unter
dem hohenzollerſchen Bepter nieber; fie wollten fi) aber nicht zerftreuen,
ſondern fiedelten fi in Maffe nebeneinander in Preußen und Litauen
an, in der Gegend von Memel, Tilfit, Gumbinmen und Infterburg.
Jeder blieb, was er gewefen, Knechte und Mägde im Dienft ihrer
Herrſchaft, Hauslente und Tagelöhner erhielten Gärten und Heinere
der, die Handwerker wurden in den Städten untergebracht, bie Bauern
befamen Bauerngüter umd diejenigen, welche größere Höfe gehabt, konnten
fich Lölmifche Güter, deren eine große Menge feil war, für einen billigen
Preis Taufen. Es brachten auch wirklich gar viele ein anſehnliches
246 Friedrich Wilfelms I. Staatsverwaltung.
Vermögen mit, und der König forgte dafür, daß ihnen aus Salzburg
zugeſchickt wurde, was man dort zurüdbehalten hatte. Sein Gefandter
mußte dem Erzbiſchof das Verzeichnis ber rüdftändigen Güter vorlegen
und diefelben abforbern (1734). So erhielten die Ausgewanderten vom
Erlös ihrer Bauernhöfe (es waren an 2000) etwa vier Millionen Gulden,
wobei fi) der Erzbiſchof doch noch durch ftarfe Abzugsgelder und beffen
Beamte durch Unterfchlagungen fehr bereicherten. Der preußiſche Staat
aber hatte einen ebleren Gewinn: fleißige tüchtige Menfchen, blühende
Fluren und bei dem deutſchen Volke einen neuen Ruhm als Vorkämpfer
und Beſchirmer der Gewiffensfreiheit und des Proteftantismus.
Friedrich Wilhelm ſetzte übrigens feine Bemühungen um den Anbau
Kitauens bis an feinen Tod fort, und am Ende feiner Regierung hatte
das Land, welches er faft leer gefunden, eine halbe Million Einwohner
und fo gute Kultur, wie kaum irgend eine ambere beutjche Provinz.
60.000 Hufen, 12 Städte, 332 Dörfer, 49 Domänengüter waren ner
angebaut. Der Urheber dieſer ſchönen Schöpfung hatte es fid) aber auch
Millionen von Thalern und viele perjönliche Mühe koſten laſſen, hatte
felber nicht nur alles befohlen und angeordnet, fonbern much die Aus-
führung bis ins Kleinfte überwacht.
Nicht ganz fo viel leiftete dieſe Regierung für den Aufſchwung der
Manufakturen. Eine Menge von Lurusgewerben gingen zu Grunde, da
der König allen Lurus an feinem Hofe abſchaffte und die Unterthanen
ihm darin größtenteils nachfolgten Diele Handwerker trieb auch die
Furcht vor gewaltfamen Werbungen aus dem Lande. Dennoch wußte
der König Die Induftrie im ganzen zu fteigern. Er meinte, der Stein
der Weifen liege darin, daß das Geld im Lande bleibe; es komme alſo
darauf an, alle Lebensbebürfniffe durch inländiſche Werkftätten und
Fabriken herzuftellen. Daher vermehrte er bie bereits beftehenden Ein-
fuhrverbote fremder Waren und fügte Ausfuhrverbote einheimijcher
Robftoffe Hinzu, ein damals zweckmäßiges Verfahren, welches denn auch
befonbers die Wollen-Manufaktur fehr förderte. Friedrich Wilhelm
half ihr zunächft dadurch auf, daß er den Unterthanen verbot, anderes
Tuch zu tragen äls märkiſches, und auch das ganze Heer mır mit in-
länbifchen Zeugen befleiden ließ. Um aber brauchbare Waren zu liefern,
gründete er 1713 mit Hilfe bes höchſt einfichtsvollen und geſchickten
Finanzrats Kraut, eines um die Verwaltung auch fonft ſehr verdienten
Minifters, das berühmte Lagerhaus in der Klofterftraße zu Berlin,
eine Tuchfabrik im großen, die befonders feinere Tücher lieferte. Ger
ſchickte Wollenweber aus den Nieberlanden wurden für fie verfchrieben,
das Heer mußte feinen Bedarf von ihr entnehmen, bald fand fie auch
tm Auslande viel Kundſchaft, weil ihre Erzeugniffe vorzüglicd) waren.
Der König zog außerdem eine Menge von Handwerkern ber Wollen
Die Induſtrie. 247
induſtrie, als Spinner, Weber, Färber, ins Land, gewährte Vorteile
aller Art, und da num dieſes Gewerbe bald wirklich allgemein in Aufs
nahme kam, fo verbot er zu deſſen Gunften nicht bloß frembe Wollen-
waren, fondern auch Baummollenzeug, alle gedructen und gemalten
Kattune. Seine Swangsmaßregeln waren auch hier wieder fehr hart.
Auf offener Straße ließ er manchmal ſelbſt Frauen die Kattunkleider
vom Leibe reißen. Übrigens duldete er ebenfowenig an feinem Hofe
etwas Ausländifches. Dadurch erreichte er mit der Zeit, daß die mär-
kiſche Tuchmacherei wieder in ben guten Ruf kam, den fie im Mittel
alter gehabt Hatte. Auch gewannen die Städte eine Menge fleißiger
Anzöglinge. Unter den jetzt einwandernden Handwerkern waren jeit
1732 in Berlin namentlich die proteftantifchen Böhmen zahlreich, die ihr
Baterland um ihres Glaubens willen hatten verlaffen müffen. Es waren
größtenteils Wollenweber und Spinner; fie bildeten bei Berlin und bei
Potsdam die böhmiſche Kolonie, die der König mit vielem Wohl-
wollen behandelte.
Unter den Verordrumgen, die er zum Beften ber Weberei erließ, ift
eine recht bezeichnenb für feine Art; er befahl durch Edikt vom 14. Juli
1723: „Die Höferinnen und andere Händlerinnen auf den Straßen’ unb
Märkten follen nicht Maulaffen feil halten, fondern fie follen bei Strafe
der Konzeffionsentziehung Wolle und Flachs fpinnen, ſtricken oder nähen."
Faulheit war ihm ein Greuel, fie hatte von ihm feine Schonumg zu erwarten.
Ein großer Teil der Fabriken wurde auf fönigliche Rechnung betrieben;
doch gab Friedrich Wilhelm troß feiner Gelbliebe Monopole gern auf,
wenn ihm beren Schäblichkeit für die Unterthanen einleuchtete. Dies be—
wies er in feiner Behandlung des Tabaksbaues, der in dem ungünftigen
Klima der Mark fehr wenig gebieh. Der König gab daher die Einfuhr
und Bearbeitung des Tabals frei. Dadurch hob fid) dieſes Gewerbe,
befonders ſeit 1736 in Potsdam die erfte Schnupftabaksfabrik entftanden
war. Friedrich Wilhelm I. legte äuch den Grund zu der fpäteren aufer«
ordentlichen Blüte der Gefchäftshäufer Splittgerber und Daum; er unter»
ftügte fie in ihren induftriellen und kommerziellen Bemühungen auf das
freigebigfte. Dagegen überließ er den Seidenbau fi ſelbſt; denn alle
feine Verfuche ihn empor zu bringen blieben ohne Erfolg. Ein neuer
und Berlin eigentümlicher Erwerbszweig war die Herftellung der blauen
Farbe, die, 1706 von dem berliner Chemiker v. Diesbach erfunden, im
Jahre 1726 allgemein belannt wurde; der Kronprinz gab ihr damals
ben Namen ,preußiſches Blau".
Für den Handel war durch Zwang nichts auszurichten, die Nach-
barn ließen fich nicht fo bearbeiten wie die Unterthanen; fte feßten dem
preußiſchen Einfuhr:Verboten ähnliche entgegen, und das ſchadete beiden
Teilen. Friedrich Wilhelm beſchränkte fih Darauf, die Schmarotzer⸗
248 Friedrich Wilhelms I. Staatsverwaltung.
pflanzen des Handels zu beſeitigen. Als ſolche betrachtete er die afrifa=
nifchen Befigungen, da fie nichts Reelles einbrachten; er verfaufte fie im
Jahre 1720 an die Holländer für 7000 Thaler, 200 Dufaten und 12 Neger.
Doch jollte jene Schöpfung des großen Kurfürften nicht ganz würdelos
enden. Der preußiiche Befehlshaber von Großfriedrichsburg hatte kurz
vorher fid) nad) Europa begeben und die Fefte dem Negerhäuptling Kuni
zur Behütung übergeben. Als nun’ die Holländer mit ihrem Kaufdoku⸗
ment Tamen, wies Kuni fie zurück und erflärte, die Fahne und. Feftung
nur feinem Herrn übergeben zu wollen. Sieben Jahre lang verteibigte er
Großfriedrichsburg, bi er ber Übermacht erlag. Wie die Faktorei in
Guinea, jo gab Friebrid Wilhelm aud) die Seehanbelsgefellihaft zu
Emden auf; feine Vorgänger hatten freilich von biefer Verbindung nur
Koften gehabt und feine Vorteile. As ſchädlich erjchienen ihm ferner
die Juden, in deren Händen ein nicht unbeträchtlicher Teil des Klein-
handels war, und als gar einige derſelben große Betrügereien verübten,
ließ er bie berliner Zuben (1721) in der Synagoge verfammeln und
durch den Oberhofprediger Jablonsky mit dem Bann belegen, wollte fie
aud) aus dem Lande treiben; durch Geld und durch die Fürfprache ihrer
Sönner erwirkten fie indes fernere Duldung. Im Jahre 1728 belief ſich
die Gejamtzahl der im preußifchen Staate einheimifchen Juden auf
1191 Familien, welche jährlid) 15 000 Thaler Schutzgeld ımd 4800 Thaler
an die Refrutenkafe zu zahlen hatten.
Ales, was ber König für die Mehrung des Nährftandes und für
die Hebung bes Erwerbes that, hatte allerdings eben das Wohl der Unter
thanen felber zum Zwecke; aber zunächft arbeitete er dabei für den Staat:
er fuchte damit die Steuerfraft des Volkes zu ftärfen, weil diefe ihm den
- Wehrftand erhielt. Denn das Heerwefen lag ihm doch am meiften
am Herzen; es war ber eigentliche Mittelpunkt feiner erftaunlichen
Thätigfeit. Für feine lieben blauen Kinder, wie er feine Soldaten nannte,
arbeitete er fo raftlos von früh bis fpät. Er machte den Soldatenftand
zum erften im Staate; alle Prinzen feines Haufes beftinmmte er für Diefen
Beruf; er felbft legte faft nie die Uniform ab. Nur der Degen konnte
nad) feiner Meinung ehren, erheben und auszeichnen. Seine perjönliche
Xiebhaberei, die raſch zur Leidenſchaft wurde, erhielt eine ftarfe Stüße
an feiner politifchen Überzeugung; -in der That lag die einzige Sicher⸗
beit und Gtärfe des Meinen preußiſchen Staates in einem guten Here.
Der Soldat war alſo das zweckmäßigfte Werkzeug zu befien Erhaltung,
und ohne denjelben mußte das Ganze zufammenfallen. Sodann — wer
gehorchte feiner Natur nad; befier als ber Soldat? und blinder Ge—
horſam mußte einem abfoluten Fürften, zumal von Friedrich Wilhelms
Charakter, für die wichtigfte aller Unterthanenpflichten gelten. Auch ar-
beitete er in feinen Bweige der Verwaltung, nicht einmal im Finanzfad),
Kantonfgftem. — Die langen Kerle. 29
jo unausgefegt felber wie im Militärweien. Das Heer zu vermehren
und zur allervolltommenften Kriegsmaſchine auszubilden, das war an
jedem Tage fein Sinnen und Trachten. Und er bat darin Außer
orbentliches geleiftet. Es gab kaum irgend eine neu erſchloſſene Geld»
quelle, die er nicht, ſei es ganz ober teilweife, auf dieſes Feld leitete.
Mit dem Aufblühen der Finanzen hielt daher die Vermehrung des Heeres
gleichen Schritt; ſchon 1715 war es auf 45000 Mann verftärkt; 1721
auf 51.000 Mann; vier Jahre fpäter auf 64.000; zulegt, im Jahre 1740,
zählte es 83500 Mann, darunter 18000 Reiter und 64000 Man
zu Fuß.
Die Rekrutirung geſchah nad) alter Weife, und da Freiwillige fi)
bei weitem nicht in hinreichender Bahl dem Werber ftellten, jeder General
aber dafür verantwortlich war, daß fein Regiment den vollen Beſtand
hatte, fo nahmen die Dffiziere die junge dienftfähige Mannſchaft mit
Gewalt weg, und viele junge Burfche entwichen ins Ausland. Ber--
gebens verbot der König, folche Bürger, Bauern und Dienftboten, die
nicht nad) Angabe der Zivilbehörde Taugenichtſe wären, mit Gewalt
auszuheben. Es gejchah doch, weil es eben notwendig war, und weil
bie Dffigiere wußten, daß der König fie nicht beftrafen werde. Um mm
diefen Mißbräuden gründlich) abzuhelfen, führte Friedrich Wilhelm im
Jahre 1733 das Kantonfyftem und damit eigentlich allgemeine Be-
waffnung ein. Das Land wurde nach Kantonen oder Bezirken ımter die
einzelnen Regimenter und in ben Kantonen die Teuerftellen unter bie ein-
zelnen Haupimannſchaften verteilt. Dieſe refrutirten ſich mm planmäßig
aus ben ihnen zugewiefenen Stellen. Frei von ber Dienftpflicht waren
nur einzige Söhne oder die ihres Vaters Wirtſchaft übernehmen wollten,
ferner die Söhne der Geiftlichen und Staatsbeamten, ſowie alle, welche
ein Vermögen von 6000 Thalern beſaßen, endlich Die erfte Generation
der fremden Einwanderer. Alle übrigen Bürger und Bauern durften
ausgehoben werben. Es ftand ganz; im Belieben der Generale und
Hmuptleute, wie viele und wen fie aus ben Dienftpflichtigen ausheben
wollten, und fie erlaubten fich Dabei die ärgften Eigenmächtigfeiten und
Erpreffungen. Die Offiziere betrachteten ihre Kompanien wie Pachtgüter,
aus denen fie möglichft viel Nutzen für ſich ziehen könnten. Der König
fah ihnen durch die Finger, wofern fie ihm nur eine Leidenſchaft be-
friedigten, die eben fo ſeltſam als verberblich für den Staat war.
Er liebte nämlich über alles möglihft lange Soldaten. Er meinte,
ein recht großer ftattlicher Mann fei vorzugsweiſe für ben Kriegsdienfi
geeignet, und er ging in Diefer Anficht fo weit, daß er über der Körperlänge
faft alle anderen Eigenfchaften vergaß. Schon gleich im Anfange feiner
Regierung erhöhte er das Rekrutenmaß auf 5 Fuß 6 Zoll. Bejonders
aber fein Leibregiment, das potsdamer, mußte die längften Leute haben,
250. Friedtich Wilhelms I. Staatsverwaltung.
die nur in der Welt zu finden waren. Diefe Liebhaberei für „lange
Kerle" artete bei ihm mit der Beit in eine förmliche Sucht und Narrheit
aus. Er, der fonft jo fparfame, faft geizige Monard) opferte Millionen,
um aus allen Eden und Enden der Welt Riefen herbeizufchaffen. Er
bezahlte je mach der Größe hunderte und taufende von Thalern als
Handgeld; für einen befonders langen Refruten zahlte er einmal 5033
Thaler, für einen andern, einen Srländer Namens Kirkland, fogar
7553 Thaler. Diefe Thorheit war der Hauptgrund, warum die Aus-
hebung im Lande felber nicht genügte; denn es kam ja darauf an, vecht
große Soldaten dem Könige vorftellen zu können. So gingen denn un»
geheure Summen, vom Jahre 1713 bis 1735 an 12 Millionen Thaler,
für Werbungen ins Ausland, und die Hälfte des preußifchen Heeres be—
ftand aus Fremden, zum Teil dem Auswurf aller Nationen.
Die Geldopfer waren bier aber bei weiten nicht das Schlimmfte.
‘Der König brad) tiber feine Liebhaberei aud) die einfachſten Gebote des
Rechts und der Sitte. Er erlaubte feinen Werbern die größten Gewalt-
taten gegen feine Unterthanen und gegen Auswärtige, band fid) an
fein Gefeß, verkaufte Amter und Gnaden für ein Gejchent mit langen
Kerlen. Es wurde auf dieſe in Preußen eine förnliche Hebjagd gehalten.
Niemand, wes Standes und Berufs er war, konnte den Späherblicen
und den Fäuften der Werber entgehen, wofern er das Unglück hatte,
ungewöhnlich lang zu fein; er wurde ohne Barmherzigkeit ergriffen und
als Soldat eingekleidet ober mußte fi) durch Gejchenke an die Offiziere
und durch Stellung eines langen Erſatzmannes auslöfen. Gelbft die
Studenten und andere fonft Befreite waren davor nicht ficher; fein Aus-
länder von befonderer Körpergröße mochte mehr in Preußen ftubiren
oder reifen. Mit gleichem Eifer fpürten die Werber in den fremden
Laͤndern umher; wo Überredung und hohes Handgeld nicht half, bemäch-
tigten fie ſich mit Lift und Gewalt ihrer Opfer und fchleppten fie oft unter.
größten Lebensgefahren nad) Preußen. Friedrich Wilhelm kam dadurch
mit allen Nachbarn in die übelften Verwickelungen, oft ganz nahe einent
Kriege. Sonft benutzten die fremden Mächte auch vielfach feine Schwäche,
um ihn durch einige lange Kerle, die fe ihm ſchickten, zu dieſem ober
jenem Verhalten zu bewegen oder in dieſer Wetfe ſich erkenntlich zu zeigen.
So erfreute ihn der Zar Peter zum Dank für das Gejchent eines reichen
Bernfteinfabinets einige Jahre lang mit Sendung großer Kerle. Es ent-
widelte fid) aus ſolchen Bezeigungen ein förmlicher Menſchenhandel.
Friedrich Wilhelm machte ſich in diefem Falle gar fein Gewifien daraus,
feine Unterthanen als Sklaven, als Ware zu behandeln. Auf Bitte der
Zarin Anna, die dagegen vier Flügelmänner geſchickt hatte, ließ er (1731)
eine Anzahl Waffenfhmiede in Hagen aufgreifen und nad) Rußland
transportiren, damit fie dort ihre Kunſt verbreiteten. Kein Gebot
Der Solbatenftand. 251
der Klugheit, Feine Vorſchrift ber Religion hielt bei dem Könige wider
diefe Sucht ftand. Cr meinte, bier wie überall Recht zu thun, glaubte,
die Natur habe die langen Menſchen nur für ihn geichaffen, da Fein an⸗
derer Fürft fie nad) Verbienft würdige. Es war bei dem fonft fo
frommen Manne ganz umfonft, daß man ihm einmal durch einen namen-
Iofen Brief die Bibelftelle 2. Mofe 21 v. 16 ins Gebächtnis rief: „Wer
einen Menſchen ftiehlt ımb verkauft, ber foll bes Todes fterben“; daß
ein andermal ein Geiftlicher — es war der Prediger Rüben in Dueblin-
burg — auf der Kanzel gegen biefen Menjchendiebftahl ſprach. Friedrich
Wilhelms Frömmigkeit hörte in dieſem Punkte vollftändig auf. Übrigens
war Rüben fo ziemlich ber einzige unter ber preußiſchen Geiftlichfeit, ber
fid) mit ſolchem Freimut zu äußern wagte. Die allgemeine Unterthänig«
keit hatte auch diefen Stand ergriffen, er durfte ebenfo wenig „räfonniren“
wie die andern. Er that e8 auch nicht, vielmehr waren es gerabe bie
lutheriſchen Geiftlichen, die dem Volle die Lehre vom leidenden Gehorfam
der Unterthanen und vom göttlichen Recht der Könige am nachdrück-
lichften einprägten. Dadurch beftärkten fie bie Fürſten in ihrer Eigen-
mäcjtigfeit und thaten viel, beren Abfolutie auch tn ber öffentlichen Mei-
nung feft zu gründen.
Die langen Kerle vom Leibregiment hatten es übrigens, wenn fle
erſt im blauen Rode ſteckten, nicht ſchlecht. Site waren bie Günftlinge
des Königs, er gab ihnen zu ihrem Monatsfold von 4 Thalern Zulagen
von 5 bis 20 Thalern, forgte tr allen Stücken für ihr leibliches Wohl-
ergehen, verſchaffte ihnen fpäter nicht ſelten begüterte Frauen oder ver-
forgte fie auf andere Weiſe. Alle übrigen Soldaten erfreuten fi nur
geringer Vorteile; zwar die im Kriegsbienft alt ober unbrauchbar ges
wordenen fanden bei bem Könige leicht Unterftügung, und für die Kinder
verftorbener Soldaten und Offiziere ftiftete er (1734) das große pots-
damer Baifenhaus; das war aber and) alles, bemm mehr zu thun
hatte ber König nicht bie Mittel. Wenig half dem Goldaten das Ber
wußtfein, daß fein Stand der vornehmfte im Staate war; dies entichä-
bigte ihn bei weitem nicht für bie Leiden und Mühen des Berufs. Die
Kriegszucht im preußifchen Heere war furchtbar ftreng. Raub und hart
behandelte der Offizier den Gemeinen, und wer räfonmtrte, mußte breißig
mol Spießruten laufen; thätlicher Widerftand wurde mit dem Tobe bes
ftraft. Überhaupt ftand auf bie meiften Vergehungen ber Tod, zumal
auf Defertion. Der Dienft war höchft mühſam. Yortwährend mußten
die Mannſchaften fi im Marſchiren und Feuern Üben, und bie Kor
porale ahndeten jeden fälfchen Griff oder Schritt mit ihren Hafelftöcen.
Durch unabläffiges Üben und Prügeln machten fie den preußiſchen Sol-
daten zu einer Grerziermafchine von größter Volltommenheit; namentlich
Die Infanterie Ieiftete darin Außerorbentliches, fie bewegte fich weit ge-
252 Friedrich Wilhelms I. Stantsverwaltung.
nauer und ſchoß viel fchneller als jede andere der Welt. Der eigentliche
Schöpfer dieſer erftaunlidhen Ausbildung bes preußiſchen Fußvolls war
Leopold von Deflau, der, jo unäbertrefflich wie unermüdlich im Dreffiren,
hier feine praftifchen Talente bewies; er führte 1718 im ganzen Heere
den eifernen Ladeſtock und den Gleichichritt ein, Erfindungen, die, von
ihm feit 1698 bei den Grenadieren verjucht, ſich bald als ungemein zweck⸗
mäßig bewährten. Mit derſelben peinlichen Genauigkeit wie auf bie
Regeln und Griffe, jah man auf Die äußere Ericheinung des Soldaten.
Das Fußvolk war blau, die Reiterei weiß, die feit 1725 eingeführten
Hufaren rot gefleidet; Maß ımd Schnitt der Uniform war bis ins Hein-
lichte vorgeſchrieben, aud) die äußerſte Sorgfalt im Putzen ber Kleider
und Baffen ftrenge Pflicht, deren geringfte Verfäummis mit dem Stod
ober mit hartem Arreſt beftraft wurde. Diefer Kamafchendienft wie Die
ganze rauhe und geifttötende Abrichtung der Soldaten madjte ben Kriegs⸗
dienft zum Schreden und Abſcheu jedes ftrebjamen Gemütes. Der Hab
und die Furcht waren in den gebildeten Ständen natürlich am ftärfften.
Bumal im Anfange, als die Gewohnheit noch nicht ihre Macht geübt
hatte, war es ein Tag bes Entjeßens und der Trauer, wenn bie vote
Binde, das Zeichen der Aushebung, vom KompaniesChef einer Familie
ins Haus gejchiet wurde. Wer ba fonnte, flüchtete aus dem Lande.
Erft mit der Zeit wurde der Soldatenftand weniger fürchterlich, wurde
es gar Ehre, einen oder mehrere Söhne im Heere zu haben, zumal in
einem geadhteten Truppenteil, wie die Artillerie.
Der Adel allein Tonnte zufrieden fein, dem ihm fait ausſchließlich
wurben bie Offizierftellen eingeräumt. Noch unter dem großen Kurfürften
und unter Friedrich I. war die Hälfte der Heeresbefehlshaber bürgerlichen
Standes geweſen. Friedrich Wilhelm änderte nun dieſes Verhältnis zum
Vorteil des Adels; er that es weniger darum, weil er dieſe Bevorzugung
dem Anfehen des Offizierftandes und zugleich dem urfprünglichen Beruf
der Ritterſchaft ſchuldig zu fein glaubte, als vielmehr, weil verabichiedete
Dffigiere des Adelſtandes leichter bei den Ihrigen auf dem Lande wieder
eine Verjorgung erhielten, denn Penfionen zahlte der Staat nicht. Dazu
tam, daß die Gemeinen größtenteils Knechte vom Lande waren, ber
Junker war ihr Gutsherr, er fchien ſich daher auch zu ihrem milttäri«
ſchen Befehlshaber am meiften zu eignen. Die Offiziere hatten aber in
der Geſellſchaft eine höchſt bevorzugte Stellung; fie fpielten in ihren
Garnifonplägen faft Die Herren, fie rangirten vor allen anderen Ständen
— immerhin freilich mit mehr Recht als anderwärts bie fürftlichen Be
dienten, von denen 3. B. nach der Rangorbnung des Herzogs Wilhelm
von Zei (1691) der Kammerdiener des Fürſten vor dem Pfarrer und
Rettor, der Hausfellner vor dem Advokaten, ber Leibſchneider vor dem
Konreltor und Schullehrer rangirte! Wie dort der Hofbienft, jo galt in
Der Soldatenſtand. 258
Preußen der Kriegäbienft für bie ehrenvollſte und wichtigfte aller Berufs»
orten. Der König bielt ſich zu den Offizteren als ihr Kamerad. Seine
GSünftlinge, überhaupt alle, bie am Hofe etwas vermochten, waren Ge—
nerale und Oberften, Adjutanten und Mafore; fein vertrautefter Freund
der Feldmarſchall Leopold von Deſſau. Bon biefem ging auch ber Ton
aus, der den ganzen Offizierſtand beherrichte. Er teilte ihm feine folda»
tiſchen Tugenden, Geradheit und Chrlichfeit, Blinden Gehorfam und
Zapfekfeit, aber auch feine Fehler mit, nämlich Plumpheit, Grobheit und
Mangel an jeder wiſſenſchaftlichen Bildung. Die Iebtere wurde in dem
Kreife diefer Kriegsleute geradezu verachtet; wer mehr wußte, als feinen
Ramen zu ſchreiben, gar der Gelehrte, hieß ein Tintenkleckſer, Schmierer
und Pebant; und Friedrich Wilhelm ftimmte darin von Herzen ein.
Defto mehr hielt er bei feinen Offizieren anf Gottesfurdht und Sparſam⸗
keit. Spieler und Verſchwender fanden vor ihm keine Gnade. Es war
fonft Sitte geweien, daß bie Oberften als Inhaber der Regimenter die
Fähnriche, Leutnants und Hanptleute ernannten; Friedrich Wilhelm
ſchaffte dieſen Brauch ab, er ſelber behielt ſich das Recht vor, auch die
unteren Offizierſtellen zu beſetzen, und vermochte nun ein von Grund aus
tüchtiges Offiziercorp8 zu bilden. Im anderen Heeren konnte man eine
Dffizierftelle mit Geld erfaufen, im preußiſchen galt nur die Braudjbar-
Teit. Freilich nahm ber König vorzugsweiſe Edelleute, aber der Kriegs
dienft galt damals allgemein als der natürliche Beruf des Adels. Und
bet ben Einwanderern, die einen bürgerlichen Erwerbszweig nicht zu
übernehmen hatten, insbefonbere bei ben franzöftfchen Flüchtlingen, Die
fich dem Soldatenftande widmen wollten, fragte Friedrich Wilhelm nicht
nach der Abftammung. Ihrer viele durften in die Kabettenhäufer treten,
die er von Magdeburg und Kolberg nach Berlin verlegte und als Pflanze
ftätten des Offiziercorps in feine beſondere Obhut nahm.
Der Unterhalt der Truppen wurde in bie genanefte Ordnung ge»
bracht; Waffen, Uniformen, Sold und was ihnen fonft zukam, mit
größter Pünktlichkeit und in vorfcriftsmäßigem Stanbe geliefert. Dies
entſchädigte einigermaßen für die Knappheit, Die in allem herrichte. Zwar
bie höheren Offiziere hatten nicht bloß ein austömmliches Gehalt, ſondern
durch ihren Handel mit langen Kerlen, welche fie bem Könige alljährlich
für fein Leibregiment abließen, auch beträchtliche Nebeneinkünfte. ber
bie unteren Offiziere, welche fid am meiften im Dienfte plagen mußten,
Tonnten bei ihrem Monatsjolbe von 11—18 Thalern nur Tärglich leben.
Der Sold bes Gemeinen, ſeit dem breißigjährigen Kriege fortwährend im
Sinken, war jetzt gar gering; er betrug monatlich zwei Thaler. Außer
dem befamen die Soldaten befttimmte Naturällieferungen ımb wurden auf
Koften der Bürger in den Städten einguartiert, tn Berlin nach Anwei-
fung des neuen Servisreglements vom Jahre 1724.
254 Friedrich Wilhelms I. Staatsverwaltung.
Die Landmiliz, weldye Friedrich I. errichtet hatte, wurde von feinem
Nachfolger als unzweckmäßig wieder aufgehoben; er verachtete ein ſolches
Volksaufgebot, und um ben großen Unterfchied desfelben von feinem
zegelmäßigen Heere hervorzuheben, verbot er (im Jahre 1718) bei 100
Dufaten Strafe, feine Soldaten „Miliz“ ober „Militär zu nennen;
diefe Wörter galten ihm gleid) Schimpfnamen. Doc, führte er fpäter
felbft wieder eine Art von Landmiliz ein, indem er im Berlin, in Pom ·
mern, Preußen und im Mogbeburgifchen LZandregimenter von Ausges
dienten Soldaten bildete und jährlich zu vierzehntägigen Übungen zu»
ſammenkommen ließ.
Viel Sorgfalt verwandte er auf die Feftungen; fein befter Gehilfe
war bier der Ingenieuroberft Walrave. Es wurden vorzüglich die Werke
Weſels, Magdeburgs, Stettins, Memels verftärkt; auch die übrigen
Feſtungen, Pilau, Kolberg, Küftrin, Spandau, Minden, Geldern, in
guten Verteibigungszuftand gebracht. Außerdem gab es noch 23 feite
Plätze: die bedeutendften darunter waren Peiz, Damm, Udermünde,
Demmin, Driefen, Löcknitz, Reinftein, Oberberg, Lingen, Sparenberg,
Orſoy, Lippftabt, Mörs; die Hauptftädte Berlin und Königsberg hatten
nur geringe Befeftigung.
In den Finanzen, der Pflege des Nährftandes und im Heere, in
diefen drei Hauptgegenftänden feiner Thätigkeit ſtellt fi) das praktiſche
Weſen des Königs von der vorteilhafteften Seite bar; doch verlor er die
übrigen Staatsinterefien nie ganz aus den Augen, und was ein bäuris
ſcher, aber gefunder Verſtand, ein rohes, aber bieberes Gemüt heilfames
für fie leiften konnten, geſchah. Am wichtigſten war darunter Die Rechts⸗
pflege. Wenn ſich Friedrich) Wilhelm in der Heftigkeit feiner Leiben-
ſchaften aud) felber zuweilen über das Recht hinwegſetzte, fo war er doch
im Grunde ein. rechtlicher Charakter. Er wollte, daß jedem fein Recht
geichehe, und bet feiner natürlichen Ungebuld, daß es auf der Stelle ges
hehe. Er haßte daher den fchwerfälligen Gang ber damaligen Prozeh-
führung und das gelehrte römifche Recht mit feinen vielen Formalitäten.
Er urteilte lieber auf der Stelle ab, wie die alten biblifchen Könige und
Nichter, damit alles einfach und ſchnell abgemadjt werde. „Die ſchlimme
Zuftiz fchreit gen Himmel, und wenn ich's nicht remedire, fo lade ich
felbft Die Verantwortung auf mich“, mit diefen Worten wandte er fid)
gleich nad) feinem Regierungsantritt an ben Juſtizminiſter v. Katſch und
befahl ihm, das Gerichtsweſen zu vereinfachen, zu verbefiern. Es erſchien
dann aud) eine Reihe von Verordnungen, welche manches Gute ftifteten;
namentlich wurde der Gebrauch der Zortur fehr eingefchränft und der
Unfug des Herenprogefies abgeſchafft, alle richterlichen Erlaſſe fortan im
Namen des Königs und nicht, wie bisher, in dem ber einzelnen Gerichts«
behörden ausgefertigt, endlich einige Zuftizkollegien, befonders das Kammer«
Die Rehtöpflege, 255
gericht, zweckmäßiger eingerichtet. Um alle dieſe Verbeflerungen erwarb
fi, der Juſtizminiſter Cocceji die meiften Verdienfte. Samuel Eocceji
(von Eocg), der Sohn eines Profefjors an der Univerfität Frankfurt a. D.,
erhielt im Jahre 1701 ebenfalls dort eine Brofefiur der Rechte und wurde
dann wegen feiner Tüchtigkeit und Rechtichaffenheit zu verſchiedenen Hohen
Verwaltungs- und Yuftizämtern befördert. Er gehört zu den ausgezeich-
netften Juriften, Die Preußen gehabt hat. Friedrich Wilhelm erfannte
auch feinen Wert und ftellte ihn 1737 an die Spike des ganzen Gerichts-
weſens. Bu rechter Wirkſamkeit kam er indefien erft unter dem folgenden
Könige.
Das wichtigfte aller Rechtsinftitute war für ben König das Fiskalat.
Denn die Fiskale dienten ihm nicht mar zur Ausſpürung von Verbrechen
und Vergehungen, fondern auch zur Überwachung ber Behörden; fie
Hatten alle Gejegwibrigfeiten, die zu ihrer Kenntnis kamen, anzuzeigen,
aber ganz beſonders darauf zu adjten, ob bie zahlloſen Befehle bes Königs
auch pünktlich und vollftändig ausgeführt würden. Da nun Friedrich
Wilhelm denjenigen Fislal am meiften ſchätzte, der die größte Zahl von
Angaben machte, fo fam das Demmzirwejen fehr in Schwung, und bie
Fislale waren als öffentliche Spione ſehr gefürchtet und wegen bes Mif-
brauchs, den viele von ihnen mit ihrem Amte trieben, gehaßt. Wer es
zu arg machte, fiel dann freilich beim Könige auch wieber in Ungnade
und wurde auf die Feſtung geſchickt.
Friedrich Wilhelm betrachtete fid) fo ganz als Inbegriff alles Rechts,
daß er überzeugt war, am beften für feine Unterthanen zu forgen, wenn
er alle wichtigen Rechtshändel felbft entichieb. Cr gebot daher (1717),
alle Urteile in Kriminalfachen, die Leib, Leben, Ehre und Gut angingen,
ihm zur Beftätigung oder Abänderung vorzulegen. Aber über jedes Ver⸗
gehen wie über eine ihm perfönlich angethane Kränkung erbittert und
von Natur jahzornig und hart, verichärfte er faft immer bie Strafe. Er
mifchte fich auch fonft unbedenklich in den Gang bes Rechts, unb da er
ohne tiefere Rechtskenntnis nur nach augenblidlicher Anficht und Stim-
mung entſchied, fein Wort aber Befehl war und auf der Stelle ausge»
führt werden mußte, fo hatte die Art feiner Rechtspflege allerdings etwas
Türkiſches; oder vielmehr felbft ein türkiſcher Paſcha wagte felten unge -
ftraft, was der König von Preußen wagen durfte. Die eiferne Zucht,
die er im Heere aufrecht Hielt, follte im ganzen Wolfe herrſchen; feine
Strafen waren hart bis zur Grauſamkeit. Totſchläger begnadigte er
niemals, wenn auch noch fo gewichtige Milderungsgründe dafür fprachen.
Er hielt ſich unerſchütterlich an das bibliſche Wort: „Wer Menſchenblut
vergießt, des Blut foll auch vergofien werben.“ Aber es gereicht ihm
zu hohem Ruhme, daß er Dabei fein Anfehn der Perſon kannte; Offi-
ziere wie Biviliften, Edelleute wie Bürgerliche traf fein Arm mit gleicher
256 Frie drich Wilfelms I. Gtaatsvermaltung.
Schwere. Selbft die Fürbitte feiner Günftlinge oder frember Mächte bes
wog ihn bier nicht, Gnade für Recht ergehen zu laſſen. Seine Geſetze
gegen das Duell waren furchtbar ftreng, aber fie feßten Feine Ausnahmen
zu Gunſten des Offizierftandes feft und wurden gegen alle mit gleicher
Strenge vollftredt. Er ermahnte in feinem Duellverbot vom Jahre 1713:
„Jeder folle fi) bemühen, die Ehre eines rechtſchaffenen Soldaten mehr
durch Tapferkeit gegen bie Feinde des Königs und des Baterlandes als
in unnützen Händen zu erwerben, ba Gott fi) die Rache vorbehalten
umd dazu Könige und Obrigkeiten auf Erben verordnet habe." Übrigens
ftrafte er Real-Injurien, als Ohrfeigen und Schläge, je nad, Umftänden
mit Gefängnis von 2-6 Jahren. Die ſcheußliche Strafe, daß Kindes
mörderinnen in Säden erfäuft wurden, die fie felbft Hatten nähen müſſen,
führte er wieder ein; aber er fuchte dem Verbrechen dadurch ben wirk-
ſamſten Anlaß zu nehmen, daß er verbot, „es folle ſich niemand unter
fteben, einer Perfon, bie im Rufe ber Schwangerfchaft ftehe, Vorwürfe
darüber zu machen oder fie zu beſchimpfen, bei Vermeidung harter Ber
ftrafung und öffentlicher Abbitte von Selten des Beleidigers." Diefer
edle Bug tft ihm um fo höher anzurechnen, weil ihm gerade bie Verlegung
der Keufchheit fo wie auch der ehelichen Treue amt meiften ein Greuel
war. Auf leichtere fleifchliche Vergehungen ftand Geldbuße; Ehebreche⸗
tinnen wurben auf eine gewiſſe Zeit aus dem Laube verwiejen, Ehebrecher
milder beftraft. Da man wußte, daß der König drafonifche Geſetze
liebte, fo legten ihm die Minifter zuweilen härtere Verordmmgen zur
Unterſchrift vor, als recht ober billig war; fo einmal ein Geſetz, nad)
welchem Bigamie mit dem Tode gebüßt werben follte. Friedrich Wils
heim lehnte es aber ab, indem er hinaufſchrieb: „ba würden viel Leute
fterben müfjen®.
In anderen Punkten zeigte er fich wieder ftrenger, al mar erwarten
durfte, namentlich bei Vergehungen gegen das Eigentum. Überführte
Diebeshehler ließ er ohne Umftände an ben Pranger ftellen, ftäupen,
brandmarken und aus dem Lande weifen; ebenfo erging es ausländiſchen
Dieben und ſolchen Zuben, bie mit geftohlenen Sachen handelten. Wild»
Diebe mußten 6 Jahre auf einer Feftung karren; Wilderer, die in könig⸗
lichen Jagdrevieren betroffen wären, follten gar aufgehängt werben (Ge
feß vom 9. Januar 1728); Bankerotirer wurden als Diebe und Fälſcher
betrachtet und mit dem Pranger, Seftungehaft, Staupenſchlag, Landes:
verweiſung, bei betrüglichem Banterot ſogar mit dem Strange beftraft.
Stand auf Seiten ber Geredhtigfeit auch noch das Geldinterefie des Kö—
nigs, fo war er gegen Diebe und Betrüger ebenfo unerbittlich wie gegen
Totfcjläger. Beamte, die Unterjcjleife machten, wurden aufgehängt. Auch
bier galt ihm ber Vornehme gleich dem Geringen. Ein Kriegs- und
Domänenrat, v. Schlubhut, hatte die falzburger Koloniften in Litauen
Die Rechtspflege. 257
um einen Zeil der für fie beſtimmten föniglichen Gelder gebracht. Das
Kriminalfollegium in Berlin erfannte auf Feftungsarreft. Der König
verſchob feine Entſcheidung, bis er felbft, wie er jährlich zu thun pflegte,
nad) Königäberg reifte, um die Truppen und die Domänen zu befichtigen.
Nach feiner Ankunft forderte er den Kriegsrat vor fi), warf ihm fein
Vergehen vor und fündigte ihm an, er werde ihn hängen lafien. Schlub-
Hut, der Sprößling der älteften und angejehenften ritterjchaftlichen Familie
Preußens, berief fid) auf feine Adelsvorrechte: „Es fei nicht Manier, fo
mit einem preußifhen Edelmann zu verfahren, er werde die fehlende
Geldſumme erftatten." Da übermannte den König der Jähzorn; er ließ
auf der Stelle einen Galgen errichten und den Ritter auffnüpfen (Juli
1231).
Friedrich Wilhelm ging bei ſolchem Verfahren von der Anficht aus,
daß Unterjchleif der Beamten befonders darum fo ſchlimm fei, weil zum
Diebftahl die Untreue gegen ben Brotherrn komme. Aus ähnlicher Er-
wägung floß das fürdhterliche Strafgejeß, welches er 1736 gegen Haus:
Diebe erließ. Sie wurden, werm der Diebftahl durch Einfteigen oder
Einbrud) verübt war oder eine Summe über 50 Thaler betraf, vor der
Thür des Beftohlenen aufgehängt; jo geſchah es z. B. einer Dienſtmagd,
die nur 3%/, Thaler geftohlen hatte. Auf geringe Diebftähle ohne Ein-
fteigen oder Einbrud) ftand vierjährige Feſtungsarbeit.
Des Königs leidenſchaftlicher Haß gegen das Unrecht trieb ihn auch
fonft oft zu übereilten und ungerechten Handlungen, mancher Unfchuldige
wurbe beftraft, weil den König die Hitze fortriß, oder das Mißtrauen in
die Gerechtigkeit der Behörden ihn verblendete. Einmal hatte das Kris
minal-Kollegium einen Musfetier wegen Einbruchs und Diebitahls zum
Tode verurteilt. Nun war der Verbrecher aber ein langer Kerl, daher
überredete defien General den König leicht, das Gericht habe zu hart ent-
ſchieden. Der König ließ zornig die Räte zu fid) fommen, überhäufte
fie mit Schimpfworten, ftieß dem einen mit dem Stod ein par Zähne
ein, prügelte alle zur Thür hinaus, daß fie mit blutigen Köpfen das
Freie erreichten. Hinterher fah er dann wohl feine Übereilung ein; aber
nicht immer war der Schaden gut zu machen. Sogar an Yuftizmorben,
die bei Friedrich Wilhelms eifriger Gerechtigfeitsliebe ſchwerlich ftattge-
funden hätten, falls er ruhiger zu Werke gegangen wäre, fehlte es nicht.
Der Kommandant von Berlin, General v. Glafenapp, berichtete ihm
einmal, die Handwerfsburfchen hätten fi) empört, weil man fie beim
Zurmbau der Betersficche zwingen wollte, auch am blauen Montag zu
arbeiten. Der König, gerade verreift, ſchrieb zurüc: „Rädel aufhenten,
ehe ich heimfomme!" Run fand fid) unter den Handwerksburfchen fein
Rädel, wohl aber hieß ein Offizier fo, der freilich mit jenem Aufftande
sicht das geringfte zu thun hatte, aber nichtsdeſtoweniger zum Tode vor-
Bierfon, preub. Gefchihte I. 17
258 Brlebricg Wilhelms I. Staatsverwaltung.
bereitet wurde. Denm der General war an blinden Gehorfam gewöhnt,
und die Rückkehr des Königs ftand nahe bevor. Indes kam zu rechter
Zeit noch ein Kabinetsfefretär hinzu, der ben Befehl des Königs richtig
deutete: mit Räbel jei der Näbelsführer gemeint. Da ließ Glafenapp
den Leutnant 108 und griff einen aus ben gefangenen Handwerksburſchen
heraus, der rote Hare Hatte und ihm daher befonbers verbächtig ſchien;
den ließ er alsbald aufhängen.
Die ſcharfen Geſetze gegen das Lafter und die barbarifchen Strafen
wirkten indeffen eben wegen ihrer Überzahl und ihres Übermaßes nicht
fo viel, als ber König hoffte. Die fürchterlichen Hinrichtungen mit ihrer
Öffentlichkeit und dem geiftlichen Gepränge wurden zu einem Schaufptel,
das, zu oft wiederholt, die Gemüter eher abſtumpfte als erſchreckte. Da
das Hängen und Köpfen, das Rädern und Stäupen, Brandmarfen und
Verſtümmeln, zumal in Berlin, an der Tagesordnung war, fo gewöhnte
fi, das Bolt daran, und die Furcht wurde ſchwächer. Noch mehr verlor
die Gefängnisftrafe ihre Schreden, denn die Gefängniffe und die Feftung
Spandau wurden nie leer. Doch erreichte der König, daß das Geſetz
überall: wirllich Achtung fand, daß fein Verbrecher durchſchlüpfen konnte,
und daß die Übelthat, fo viel möglich, ſchon hienieden ihren Lohr befanr.
Friedrich) Wilhelm war aber nicht bloß der Richter, ſondern auch
der Budjtmeifter feiner Unterthanen. Er hielt ebenfo ftreng auf gute
Sitten als auf das Recht ımb handhabte die Polizei nicht milder als
das Gefeh. Er zwang ſogar frembe Gefandten erft ihre Schulden zu be—
zahlen, ehe fie Berlin verließen, und gab dann ein Geſetz, daß niemand
fremden Geſandten oder Minderjährigen, felbft nicht minderjährigen preu=
Fifchen Ptinzen, etwas leihen follte. Auch im Kleinften hielt er auf Ord⸗
nung; wer 3. B. öffentliche Laternen befchädigte, wurde mit Geldftrafe
von 200 Thalern beftraft, oder geftäupt und auf 10 Jahre des Landes
verwieſen. Auf Hazardfpiel (mie Landsknecht und Pharao) ftand eine
Geldftrafe von 100 big 400 Dufaten oder Gefängnis. Cbenfo ftrenge
wurde das Volltrinden unterfagt. Das Polizeiweſen war ein Verwal⸗
tungszweig der Kriegs: und Domänenkammern; in Berlin fpielte aber
ber König auch felbft den Polizeidireftor, und das war für die Berliner
unbequem gemig. Keine Unregelmäßigfeit entging dem ſcharfen Blide
des Königs, ber täglich in der Stadt umherfuhr und nad) allem ſah.
Wen er auf ber Straße fand, der ward gemuftert, und mißflel etwas an
ihm, fo wurbe er ſcharf ins Eramen genommen und nach Befinden hart
angefahren oder wohl auch mit dem fpanifchen Rohr durchgeprügelt.
Erſcholl der Ruf: der König kommt, fo wurden die Straßen Ieer, jeder
flüchtete; denn wer konnte wiſſen, ob dem ftrengen Herrn nicht irgend
etwas mißfallen werde. Aber wehe dem, der auf bem Entweichen ertappt
ward; er hatte den Stod doppelt zu fühlen. „Lieben folt ihr mich,
Die Polizei. 259
nicht fürchten!” herrichte der König mit geſchwungenem Rohrſtock ben
Erſchreckten zu. Übrigens meinte er es auch hier im Grunde gut, und
ſolche Aufſicht kam der Stadt zu nutze. Die Berliner gewöhnten fi
an genaue Ordnung und Reinlichfeit auf den Straßen und überhaupt
an forgliche Pflege aller gemeinnügigen Anſtalten. Wohlthätig waren
auch die Polizeiverordnungen, welche den Preis des Fleiſches, Bieres
und Brotes alljährlich) feſtſetzten; fie jchüßten den armen Mann vor
Überteuerung;; ferner die Geſetze gegen die Verfälſchung des Weines,
Biers und Tabals, welche die Gejundheit des Volfs gegen den ſchänd⸗
lien Eigennug gewiffenlofer Kaufleute ficherten; endlich die Geſinde⸗
ordnung, die troßigen und ungehorfamen Mägden mit dem Zuchthaufe
drohte. Auch in das Privatleben feiner Unterthanen griff Friedrich Wil-
helm ohne Umſtände ein: die Gafteseien und Familienfeitgelage wurden
fehr eingeihränft; das Gejundbeittrinten, weil e8 zum Saufen verleite,
bei ſchwerer Strafe verboten; junge Leute, die ihr Vermögen verſchwen⸗
beten, und überhaupt liederliches Gefindel in die Zuchthäufer gebracht;
Taugenichtſe ohne weiteres auf den hölzernen Eſel gefeßt ober mit: dem
ſpaniſchen Mantel an den Pranger geftellt, oder in Ketten und Banden
zum König geholt, der fie dann aud) wohl eigenhändig abprägelte.
Gegen die feilen Dirnen, deren Zahl befonders in Berlin um fo mehr
zunahm, ba den Soldaten das Heiraten fehr erſchwert war, veranftaltete
der König von Zeit zu Zeit durch die Polizei einen allgemeinen Streif-
zug, ber fie mafjenweife in die Zucht- und Spinnhäuſer lieferte, ohne Doc
auf die Dauer viel zu helfen.
Sogar die Mode wurde von Friedrich Wilhelm polizeilich gemaß ⸗
regelt. Es Fam vor, daß er Damen, die in unanftändiger Kleidung er
ſchienen, mißhandelte. Er ſchritt überhaupt energiſch gegen die parifer
Sitten ein. Harbeutel und bunte Kleidung litt er nicht; man durfte
fid) vor ihm nur im fteifen Soldatenzopf und in einfacher deutſcher Tracht
ſehen laſſen. Um die franzöfiſche Mode recht verächtlich zu machen und
zugleich feinen Widerwillen gegen das parifer Weſen aufs ſchärffte aus-
zudrücken, ließ er die Regiments-Profoffe oder Büttelfnechte, welche vom
Volke als unehrlich verachtet wurden, franzöfifch Heiden; fie mußten einen
ungeheuren Harbeutel von Pferbeharen, einen grünen Rod mit gelben
Aufichlägen, gelbe Wefte und Kniefträmpfe tragen. In diefer Tracht er-
ſchienen fie unter dem Hohngelächter des Volks bei einer Revue, die der
König in Gegenwart des franzöfiihen Gefandten abhielt. Leßterer ärgerte
fi) nicht wenig; aber das Volk nahm ſich die Lehre zu Herzen, wurde
von der Nachahmungsſucht geheilt und befam wieder Achtung und Ge
ſchmack für die deutſche Tracht.
Des Königs praktiſche Richtung beftimmte auch die Art ſeiner kirch⸗
lichen Thätigkeit. Er war .ein abgeſagter Feind ſpitzfindiger Dogmen-
17%
260 Friedrich Wilhelms I. Staatsverwaltung.
ftreitigeiten, e8 fam ihm auf die Sache, auf das Wefen an. Frande
und ähnliche werkthätige Seelforger waren Männer nad) feinem Herzen.
Gute Moral und fruchtbare Frömmigkeit hielt er für die Hauptſtücke des
Chriſtentums. Wie er felber den Gottesdienft genau beobadjtete, fo
mußten es auch feine Familie, feine Beamten und Offiziere; für die Sol-
daten richtete er regelmäßige Feldpredigten ein, verteilte auch unentgeltlich
unter Die Soldaten und Armen eine große Zahl von Erbauungsichriften.
Aber Kopfhänger und Muder haßte er; einem Theologen, der befondere
Betftunden einrichtete, unterfagte er es mit den Worten: „Das ift bloße
Heuchelei, davon ich nichts halte." Auch verbot er lange gelehrte Pre—
digten, Die Predigt ſollte ſchlicht und Har fein und nicht über eine Stunde
danern; fonft werde fie langweilig und unwirkſam. Um die Firchlichen
Angelegenheiten in befjere Ordnung zu bringen, gründete er 1713 ein
evangeliſch⸗ reformirtes Kirchen direktorium umd erließ eine Verord⸗
nung, welche Die geiſtlichen und Schulſachen in allen Provinzen gleich-
mäßig regelte. Für jede Provinz wurde ein Kirchen-Infpektor ernannt,
der Die Amtsverwaltung der Geiftlichen und das Vermögen der Kirchen
und Schulen daſelbſt zu benuffichtigen hatte. Die Beratung der Kirchen-
und Schulfachen geſchah in reformirten Gemeinden durch das Presbyte-
rium, eine Verfammlung, die aus dem Prediger und den von ber Ge—
meinde gewählten Kirchen =Vorftehern beftand. Wornehmlich pflegte der
König die alte Einrichtung der Kirchenbuße. Er ordnete fie an gegen
Unzucht, Ehebruch, Diebftahl, Meineid, Fluchen, Läfterung, Frefien und
Saufen, Entheiligung des Sonntags, Ungehorjam ber Kinder, überhaupt
gegen jedes öffentliche Argernis; fie beſchränkte fi) darauf, daß der
Seiftliche den Sünder vor der Gemeinde über feine Reue und Befferung
befrggte und deu Bußfertigen wieber in den Schoß der Gemeinde auf-
nahm. Die Kirchenbuße für gefallene Mädchen wurde aufgehoben.
Die Spaltung der Evaugeliſchen in Lutheraner und Neformirte war
aud) diefem Könige jehr zuwider, umd er duldete nicht, daß fie fi) in
Zank und Verfolgung äußerte. Er behandelte beide Teile mit Unpartei-
licleit, und wenn er den Lutheriſchen mancherlei alte Zeremonien, Über-
refte des Papismus, nahm, fo geſchah es, um menigftens im Gottesdienft
die Vereinigung anzubahnen, was um fo nötiger war, als viele Kirchen
fimultan waren, d. h. abwechſeind von beiden Konfeffionen benupt wurden.
Er jelbft bewies feinen Freiſinn dadurch, daß er feiner Gemahlin ge
ftattete, lutheriſch zu bleiben, umd feine Kinder von Geiftlichen beider
Konfeſſionen in den Religionsfenntniffen prüfen ließ, er that überhaupt
alles, was er konute, um eine Vereinigung herbeizuführen. Cr fchrieb
über diefen Gegenftand, der ihm jehr am Herzen lag, aus Wufterhaufen
am 10. September 1726 an ben hutherifchen Prediger Roloff in Berlin
folgenden denhvürdigen Brief:
Kirchenſachen. 261
„Der Unterſchied zwiſchen unſer beiden evangelifchen Religionen iſt
wahrlich ein Pfaffen-Gezänk. Denn äußerlich iſt ein großer Unterſchied,
wenn man es (aber) examiniret, ſo iſt es derſelbige Glaube in allen
Stücken, ſowohl der Gnadenwahl als heilige Abendmahl; nur auf die
Kanzel da machen fie eine Sauce, eine faurer als die andre. Gott
verzeihe allen Pfaffen, dann die werden Rechenſchaft geben am Gericht
Gottes, daß fie Schulragen aufwiegeln, das wahre Werk Gottes in Un-
einigfeit zu bringen. Was aber wahrhaftig geiftliche Prediger find, bie
fagen, daß man ſich foll einer den andern dulden, und nur Ehrifti Ruhm
vermehren, unfern Negften lieben als ung felbft, zu leben und Chriftlich
zu wandeln und nur auf Ehrifti Verdienſt fid) verlaffen, die werden ge-
wiß felig. aber es wird nicht heyßen: bift du Iutherifch, bift Du refor-
mirt? es wird heyßen: haft du meine Gebothe gehalten? (nicht): bift
du im der Schule ein braver Disputator gewefen? es wird heyken: weg
mit die Leßte ins fewer zum Teuffel. Die (aber) meine Gebothe ge-
halten, kommet zu mir in mein Reich, denn ſoll dir viele Freude will-
tommen fein. Gott gebe uns alle feine Gnade, und gebe allen feinen
Evangeliſchen Kindern, daß fie mögen feine Gebothe halten, und daß
Gott die möge zu teuffel alle ſchicken, die Uneinigkeit verurſachen. Darzu
helfe uns Gott der allmädjtige Vater unfers Erlöfers Jeſu Chrifti durch
feinen bittern Tod. Amen.
Friedrich Wilhelm.“
Nach diefem feinem Glaubensbelenntniffe handelte der König aud),
und es gelang ihm wirklich troß des Widerftrebens der Strenggläubigen
eine größere Annäherung der beiden SKonfeffionen anzubahnen. 1786
mußten die Prediger feharenweife nad) Berlin kommen, um ſich beſonders
im Punkte der Duldfamkeit von ihm prüfen zu lafien; diefe „Priefter-
enten” hatten in der That den beabfidhtigten Nutzen. Doch hielt er auf
Reinhaltung der Lehre und war daher allen Selten abgeneigt, wenn er
fie aud) im ganzen mit Duldung und Schonung behandelte. Zuweilen
ließ er fi) freilich, von feinen Umgebungen zu harten Mafregeln reizen,
falls man ihn überreden Tonnte, eine Sekte ober ein Geiftlicher greife mit
einer Lehre den Staat an. So nötigte er einige Mennonitenfamilien zur
Auswanderung, weil fie ben Soldatenſtand als unchriſtlich verwarfen,
und bie Socinianer erhielten wenigftens feine neuen Rechte. Am meiften
Auffehen machte feine Strenge gegen ben damals weltberühmten Philo—
ſophen Chriftian Wolff. Diefer halleſche Profefjor war mit feinen ortho—
doren Kollegen in einen theologiſchen Streit geraten, und man verflagte
ihn bei dem Könige. Friedrich Wilhelm wollte die Sache unparteiiich
unterfuchen laſſen, als ihm aber feine ®enerale vorftellten, nad) der
Wolffiſchen Philofophie dürfe ein entlaufener Soldat nicht geftraft werden,
weil er feiner Qorherbeftimmung nad) nicht anders habe handeln können;
262 Friedrich Wilhelms I. Staatsberwaltung.
da ergrimmte ber Sriegsherr in bem Könige, und er jagte den gefähr-
lichen Profefior auf der Stelle aus dem Lande (1723). Indeſſen foldye
Fälle übereilten Eifers waren bei ihm in kirchlichen Dingen äußerft
felten; fonft war er hier durchaus tolerant. Das bewies er auch feinen
Tatholifchen Unterthanen gegenüber; er ftörte fie in ihren hergebrachten
Rechten nicht, und nur wenn feine eigenen Glaubensgenofjen im Aus-
lande bebrücdt wurden, fo drohte er den Katholiken in Preußen mit
gleihem Druck, weil ihm dies das wirkſamſte Mittel ſchien, die fremden
Fürſten zu derjenigen Duldung zu nötigen, die er jelbft übte. Denn die
Evangelifchen überall vor Verfolgung zu ſchützen, war ihm heilige Pflicht,
und unabläſſig verwendete er ſich für die bedrängten. Auch that dies not;
denn die Jeſuiten bewirkten noch immer manche Verfolgung, die an die
Greuel des vergangenen Jahrhunderts erinnerte.
Furchtbar war namentlid das blutige Trauerfpiel, das fie damals
in Thorn aufführten. Diefe deutſche Stadt gehörte, wie fait ganz Weft-
preußen, jeit 1466 zu Polen, hatte aber ihre eigene Verfafjung und große
Vorrechte; aud), durch ein Privilegium de3 polnifchen Königs Sigismund
Auguft vom Jahre 1557, die Neligiongfreiheit. Sie war evangeliſch.
Aber im fiebzehnten Jahrhundert errichteten hier die Zefuiten, beſchützt
und unterftüßt von den Polen, die durd) fie zu fanatifchen Katholiken ge—
worben waren, ein Kollegium, verleßten vielfach) die Rechte der Evange—
liſchen, entriffen ihnen mit der Zeit fogar alle Kirchen bis auf eine und
ſchürten auf jede Weiſe den Haß, der zwifchen den Fatholifchen Polen und
den evangelifchen Deutſchen beftand. Num gefchah es, daß bei Gelegen-
beit einer Tatholifchen Prozeffion (am 16. Juli 1724) die Studenten des
Zefuitenkollegiums ſich grobe Mißhandlungen gegen zuſchauende Pro-
teftanten erlaubten. Da fam die Erbitterung des Volks zum Ausbruch);
es erftürmte das Zefuitenneft, begnügte fid) aber mit der Zerftörung des
Hausgeräts. Diefen Vorfall beuteten num die Zefuiten zum Ruin der
Stadt aus. - Sie verflagten die Bürgerſchaft beim polniſchen Hofe; auf
ihren Betrieb rückten polnifche Truppen in die Stadt, und polniſche Be—
vollmächtigte, die der Hof zur Unterfuhung abgeſchickt hatte, erließen ein
furchtbares Urteil. Nicht bloß Harte Geldbußen mußten die Evangeliſchen
tragen; fie verloren auch nod) ihre letzte Kirche und mußten der Heinen
Tatholijchen Minderheit die Hälfte des Rates, der Schöppen und des
Bürgerausfchufles einräumen; außerdem wurben mehrere der Angefehenften
unter ihnen teils mit dem Kerker, teils mit dem Tode beftraft. Vergebens
verwendeten fid) der Rat von Danzig und die Könige von Dänemark,
Schweden, England, befonders eifrig auch Friedrich Wilhelm für die
unglüdliche Stadt. Die Jeſuiten jepten es durdy, daß das Bluturteil
mit aller Härte. vollſtreckt wurde. Am 7. Dezember fielen bie Häupter
der Opfer — es waren der Präfident Rösner und neun Bürger. Sie
Die geiftigen · Intereſſen. \ 263
hatten ſich durch die Mönche von ihrem lutheriſchen Glauben nicht ab-
bringen lafſen und ftarben ftandhaft.
Friedrich) Wilhelm gedachte einen Augenblick, dafür durch Krieg
Rache zu nehmen und den Evangelifchen mit Gewalt Recht zu ſchaffen;
er unterhandelte deshalb mit Peter dem Großen; als aber biefer balp
darauf (im Februar 1725) ftarb, ließ er es bei Vorftellungen bewenden,
weil er meinte, ohne Bundesgenoffen zu einem großen Kriege nicht mächtig
genug zu fein. Sein Wort erwirkte den polnifchen Proteftanten wenigfteng
in der Folge einige Erleichterung.
Auch beim Kaifer Iegte er für deſſen evangelifche Untertanen oft
Fürbitte ein. Der wiener Hof indes Tieß ihm reden und die Sefuiten
falten; hier hatte man es mit feinem Karl XII. zu thun. So kamen
benn in den habsburgifchen Ländern, namentlich in Ungarn und Schle—
fien, immer wieder Glaubensverfolgungen vor; 1727 3. B. ſchloß ber
Kaiſer das evangelijche Witwen- und Waifenhaus, welches ein frommer
Paſtor im Dorfe Glaucha des Fürftentums Ols mit großem Erfolg ge-
gründet hatte; und Friedrich Wilhelm vermochte nichts weiter, als die
verjagten Lehrer und Geiftlichen in feinen Staaten zu verforgen.
Sein eigenes biſchöfliches Amt übte er am liebften durch fromme
Berke aus. Er baute eine große Zahl von Kirchen, z. B. (1722) die neue
Garniſonkirche in Berlin; vollendete ebendafelbft 1733 die Peterskirche,
bie er ſich viel Geld hatte koſten lafjen, um, wie er fi) ausbrückte, zu
weijen, daß er Gott lieb habe; vermehrte auch die Zahl der Geiftlichen,
an denen bisher ein fo großer Mangel war, daß viele in zwei oder drei
Kirchen predigen mußten. Zum Beften der Armen, Gebrechlichen und
Waiſen errichtete er manche höchſt wohlthätige Anftalt, namentlich im
Jahre 1727 die Charits in Berlin, ein großes Krankenhaus, das, vom
Könige mit reichen Einkünften ausgeftattet, gleich im erften Jahre 300
Kranke verpflegte; und fein Beifpiel ermunterte die Privatwohlthätigfeit,
wie denn die Witwe des berliner Bürgermeifters Kornmeſſer 1719 und
bie franzöſiſche Kolonie 1729 in Berlin, der Goldſchmied Schindler 1730
zu Schöneiche, der Tuchmacher Steinbart zu Züllichau, der Prediger
Kuntze zu Landsberg a. W. Waifenhäufer gründeten. Auch die Gemeinden
thaten, was fie konnten. Belief ſich doc, die Einnahme der berlinifchen
Armenkaſſe im Jahre 1715 bei einer im Vergleich zu heute fehr wenig
bemittelten Benölferung von 50000 Seelen auf 13000 Thaler; freilich
genügte fie noch nicht, denn ber Hilfsbebürftigen waren 3243, und der
König mußte ihr einen Zuſchuß geben. Allmählich minderte fih dann
bie Zahl der Armen, weil Fleiß und Sparfamteit zunahmen.
Bon einem Fürften, der wie Friedrich Wilhelm Geiftesbildung ebenfo
wenig ſchätzte als befaß, Hatten Literatur und Kunft nichts Gutes zu-er-
warten. Beſonders die ſchönen Künfte wurden durd) ben Tod ihres
264 Friedrih Wilhelms I. Staatsverwaltung.
Göonners Friedrichs I. hart betroffen; mit der Hofgunft endete ihre furze
Blüte, und da fie im Volke noch nicht feftgewurzelt waren, fo verfielen
fie ganz. Die Verbreitung der Wiſſenſchaft hielt Friedrich Wilhelm fogar
für ſchädlich; denn bei vielem Wiſſen, meinte er, feien die Unterthaner
leichter zum Räfonniren und zum Ungehorfam aufgelegt. Daher verbot
er bei’feinem Regierungsantritt die berlinifchen Zeitungen, und als er fie
dann 1715 doch wieder erlaubte, feßte er ihnen einen Zenfor, durch
den fie fo beſchnitten wurden, daß es fi) nicht der Mühe verlohnte fie
zu leſen. Wollte man etwas von den Vorgängen im Staate wiflen, fo
mußte man ausländifche Zeitungen Iefen, namentlich die holländifchen,
die damals in Europa die freimätigften und angefehenften waren. Wenn
Friedrich Wilhelm das Gelehrtentum veradhtete, jo mag ihn der Umftand
einigermaßen entſchuldigen, daß die damalige deutſche Gelehrſamkeit ımd
Schriftftellerei wirklich in hohem Grade abgefchmadt, pedantiſch und
Ichwerfällig war. Die meiften Gelehrten verdienten den Spott, mit
welchem der König fie bei jeder Gelegenheit überhäufte. Denn ſie
bradjten von den Univerfitäten und aus ihren Büchern nichts als totes
Wiffen zufammen, ftroßten von fremdem Witz ohne eigenes Urteil und
führten über jeden Fall, der ihnen vorkam, einen Schwall von Sentenzen
im Munde, die, aus den Werken der Griechen und Römer entlehnt, zur
Sache meift in feiner vernünftigen Beziehung ftanden. Antwortete ihnen
ber König: „ich will nicht wiffen, was Ariftoteles gejagt hat, fondern
was ihr felber von ber Sache, um bie id) euch frage, für eine eigene
Meiming habt”; fo verftummten die Pedanten in der Regel und be=
ftärkten ihn dadurch in feiner Überzeugumg, dab ein Quentchen Mutter⸗
witz, von gehöriger Autorität unterftüßt, mehr als ein Zentner Schulwitz
vermöge, Die Aademie der Wiffenfchaften wollte er zuerft ganz aufs
heben; fie war in der That, wo nod) fo vieles Nützliche im Schulweſen
fehlte, ein leeres Schaugepränge; da fie ſich aber erbot, zur Ausbildung
von Wundärzten ein anatomifches Theater zu errichten (was auch 1717
geſchah), fo ließ er fie beftehen, entzog ihr aber viele Einkünfte und ber
wies ihr feine Geringihägung, indem er zu ihrem Präfidenten nad) dem
Tode des großen Leibniz feinen Hofnarren, Paul Gundling, einen ge
lehrten Bedanten, ernannte. Diefelbe Ungunft bezeigte er den andern
gelehrten Anftalten. Für die königliche Bibliothek fand er im Etat 1000
Thaler ausgefeßt; weshalb, begriff er nicht; er jelbft las von gedruckten
Sahen mur die Bibel und Kreuzbergers Morgenandaditen; er hielt es
für umndg die Büchermaffen, die in der Bibliothef lagen, noch zu vers
mehren. Er ſtrich aljo die 1000 Thaler und übenwies dieſe Einnahme
einem feiner Generale. Von den Univerfitäten verlangte er, daß fie
recht viel wohlhabende Fremde ins Land zögen, damit die Acciſe fi
möglichft hebe. Gleichwohl leiſtete er ihnen nichts; ja bie Univer⸗
Die geiftigen Intereffen. 265
fitäten wurden nicht bloß in ihrem Vermögen und ihren Rechten eher
geſchmälert als gefördert, fondern auch in der öffentlichen Meinung er-
niedrigt. Denn fie alle traf die Demütigung, die der König einmal (e8
mar am 12. November 1737) der Untverfität Frankfurt a. O. bereitete,
als er diefe Stadt befuchte. Auf feinen Befehl mußte der Magifter
Morgenftern, ein gelehrter Mann, der aber dem Könige als Hofnarr
diente, mit ben Profefforen eine öffentliche Disputation, betitelt: Ver—
nünftige Gedanken von der Narrheit und den Narren, halten. Im Beis
fein des Königs, der Studenten und aller Profefforen, die durch Unter-
offigiere zufammengetrieben wurden, erſchien Morgenftern auf dem Katheder
in einem grelbunten, mit lauter Hafen beftictten Anzuge, einen Fuchs-
ſchwanz ftatt des Degens an der Seite und eine große Perücke auf bem
Kopfe. In diefem Aufzuge mußte er den Beweis führen, daß die alten
Schriftfteller bloß alte Salbader und Narren gewefen, und die Profefforen
Roloff und Fleiſcher mußten ihm opponiren. Der Theologe Mofer wies
ein gleiches Auſinnen von fih. Der König meinte zwar darauf: „Es ift
ja nur erlaubter Spaß. Jeder Menſch Hat feinen Narrn, ich ben Sol»
datennarrn, Ihr den geiftlichen Hochmutsnarrn, ein anderer einen ans
deren.” Aber foldye Auftritte, bie das geſamte Gelehrtentum lächerlich
machen follten, brachten feinem Zeile Ehre. Im Grunde ließ der König
die- Univerfitäten nur um derjenigen Wiſſenſchaften willen beftehen, die
für das praftifche Leben von handgreiflichem Rutzen waren, dieſe allein
achtete er; vornehmlich die Theologie und die Medizin; für fie that er
auch manches, ftellte z. B. das Medizinalweſen 1723 unter eine eigene
Behörde (das Collegium Medico-Chirurgicum zu Berlin) umd legte zum
Nupen der Kräuterhinde auf bem Boden des bisherigen Föniglichen
Hopfen» und Küchengartens vor dem Potsdamer-Thore zu Berlin einen
botanifchen Garten an (1715).
Große Berbienfte dagegen erwarb er ſich un das eigentlihe Volks⸗
ſchulweſen. In den Anfangsgrünben des Chriftentums, des Leſens,
Schreibens, Rechnens ſollte jeder, auch ber allergeringfte feiner Unter-
thanen bewanbert fein. Cr befahl (durdy das Schulgeſetz don 1717)
allen Eltern, die Kinder vom fünften bis zum zwölften Jahre in bie
Schule gu fchidden, ben Geiftlichen, niemand zu Fonftrmiren, ber nicht
wenigftens leſen könne; er fchente ſelbſt feine Koften, um den Clementar-
Unterricht In "Schwung zu bringen, ließ auch feine Rekruten bei den Re
gimentern im Schreiben, Leſen und im Ehriftentum untetrichten. In der
Provinz Preußen, wo das Dorfihulmeien am meiften darniederlag,
gründete er am 1000 neue Dorfichulen und gab im Jahre 1735 dazu
150 000 Thaler der.
So war er immer auf das mittelbar Nüßliche bedacht und wirkte
darin überall Großes; ohne äußeren Glanz, aber‘ auf foliden Grundlagen
266 Auswärtige Berhältniffe.
erwuchs der Staat unter feiner Verwaltung zu einer feltenen inneren
Kraft und Haltbarkeit. Da aber Friedrich Wilhelms heilfame Thätig-
keit frei und ungeftört wirken konnte, verbankte der Staat dem langen
Frieden, den er unter diefem Könige genoß.
Auswärtige Berhältniffe.
Friedrich Wilhelm folgte einem richtigen Inſtinkte, wenn er fi) wohl
hütete, die Waffen, die er zur Verteidigung des Staates immer bereit
hielt, zu Angriffskriegen zu gebrauchen; denn fein wahres Element war
die imere Verwaltung. Die Macjtmittel, die er mit fo vieler Arbeit
zuſammenbrachte und aus Vorficht nicht auf das Kriegsfpiel jeßen mochte,
waren jedoch bereits zu bedeutend, um von den fremden Mächten nicht
veranfchlagt zu werden; man rechnete ſchon mit Preußen als einem an-
ſehnlichen Faktor in den Weltverhältnifien und fuchte den König bald in
diefe, bald in jene Verbindung zu ziehen. Die europälfche Politif war
damals im Grunde eine Kette non Hofintrigen; das perfönliche Intereſſe
der Fürften, ihre Samilienbeziehungen und ihre Launen vereinigten ober
ſchieden die Staaten bald fo, bald anders. Große Beweggründe fehlten
ebenfo ehr wie große Könige. Die Mittel und Wege aber waren krumm
und unehrlich; jedes Kabinet fuchte das andere zu hintergehen und aus-
zubeuten. Hier galt es, der Lift mit Lift, der Gewandtheit mit Gewandt-
heit zu begegnen. Das war fein Feld, auf dem ſich Friedrich) Wilhelm
zu Haufe fühlen konnte, er war fein Diplomat, Seine äußere Politik
hatte baher einen unſichern Gang und wenig Erfolg. Ein beftimmtes
Biel ſteckte fie fi) zwar: Friedrich Wilhelm wünſchte ſehnlichſt für den
nahe bevorftehenden Yall des Erlöſchens ber Kurlinie Pfalz-Neuburg die
Herzogtümer Jülich und Berg zu erwerben. Aber er verftand es nicht,
die rechten Mittel zu wählen. Er meinte von der Gunſt des Kaifers
erlangen zu fönnen, was nur durch fühnes Bugreifen erreichbar geweſen
wäre; baran verhinderte ihn nun feine Rechtlichkeit. Ex Tonnte mit Hilfe
des Auslandes, namentlich Frankreichs und Englands, auf Koften Deutich-
lands größer werden; doch das geftattete feine echt. beutiche Gefinnung
wicht; überdies war ihm alles Franzöſiſche in tieffter Seele verhaßt, und
aud) das Haus Hannover, das in England regierte, mochte er nicht
leiden, obwohl Georg I. von Hannover fein Schwiegervater war. Er hätte
möüffen den natürlichen Gegenfag Hohenzollerns und Habsburgs in Deutſch⸗
land fefthalten und zu feinem Vorteil wenden; aber er war perſönlich
dem Kaifer ergeben. Kurz, er war ein Gefühlspolitifer. Seine Stellung
wurde noch dadurch ſchwieriger, daß er durch feine Rarrheit für lange
Kerle fi mit feinen Nachbarn in fortwährende Händel vermidelte, daß
er im diplomatiſchen Verkehr mit argwöhniſcher Giferfucht auf jede wirk⸗
Hofparteien. 267
liche oder ſcheinbare Kränkung ſeiner Würde achtete, vor allem, daß er
feiner Leidenſchaftlichleit auch da ben Zügel ſchießen ließ, wo es auf
Tältefte Berechnung ankam. So geſchah es, daß er in ber auswärtigen
Politik Haltlos und unfelbftändig Hin und her ſchwankte und gewöhnlich
von benjenigen in feiner Umgebung geleitet wurde, die geſchickt genug
. waren, ihren Einfluß auf ihn ihm felber zu. verbergen.
Niemand vermochte dies beſſer als der General von Grumbkow,
ein Mann von vielfeitiger, wenn auch oberflächlicher Bildung, ein
genauer Kenner der Menjchen und der Höfe. Durch ein jehr gewandtes
und munteres Benehmen gewann er die Gunft, durch die biebere Gerad-
beit und Sreimütigfeit, Die er erheuchelte, gewann er auch die Adhtung
des Königs; zuleßt wurde er ihm ein unentbehrlicher Gefellfchafter, weil
er ben Schwächen feines Herm, die er von Grund aus fannte, fehr ge-
ſchickt fehmeichelte, dann and), weil er einen ganz borzüglichen Tiſch
führte und den König der Mühe und Koften überhob, ein Haus zu
machen und vornehme Fremde glänzend zu bewirten. Der König fpeifte
oft bei ihm und pflegte feinen Gäſten zu jagen: „Wenn ihr feiner als
bei mir eſſen wollt, müßt ihr zu Grumbkow gehen.“ Um ihn dabei zu
-unterftügen, gab er ihm übrigens anfehnliche Tafelgelder. Dieſer Gimft-
ling, ber auch zum Minifter ernannt wurde, wußte ſich nun als Ratgeber
in ber äußeren Politik einen ſolchen Einfluß zu verſchaffen, daß die
fremden Mächte ihn in ihren Sold zu ziehen fuchten, und der gewiffen-
loſe Mann ging darauf ein, verriet den König und den Staat, um mit
fremdem Gelde den großen Aufwand zu beſtreiten, den fein ſchwelgeriſches
Reben erforberte. Doch war er beim Publikum faft nicht weniger be-
liebt als bei feinem Herm; denn nad) feinem Grundſatz „Ieben und
leben lafſen“ bezeigte er fi gegen jedermann freundlich und gefällig;
auch erhielt. er allein noch in Berlin die Überbleibfel des guten Ge-
ſchmads, des feinen Weſens aufrecht, welches ımter der vorigen Regie—
rung bier geherrſcht hatte. Es gab wenige, bie ſchon bei feinen Leb⸗
zeiten ihn als das erkannten, was er war: ein faljcher und treulofer
Selbftling.
Nicht geringeren Einfluß auf den König hatte der Fürft Leopold
von Deffau. Diefer berühmte Kriegshelb war kein glatter Höfling
wie Grumbkow, vielmehr ein rauher Soldat, „ungeſchlacht von Aus—
jehen, ein langer, ſtarkknochiger, hariger Mann wit wolfigen Brauer,
wachſamen, hurtigen Augen; die Geſichisfarbe blänfich, wie wenn Das
Schießpulver nod) in ihm ftedte” ; aber dieſer fehnurrbärtige Degenlnopf
verſtand es wie einer, die Entjchließungen des Königs, wo biefer ſchwankte,
nad) feinem Willen zu Ienfen. Friedrich Wilhelm verehrte ihn wegen
-feiner milttärifchen Verdienſte; auch ftimmten beide in ihrer foldatifchen
und wirtſchaftlichen Weife überein, jo daf es dem Fürften werig Mühe
268 Auswärtige Verhaltniſſe.
toftete, fein Anfehen bei dem königlichen Freunde in allen Dingen geltend
zu machen. Er fprad) allemal zu Gunften des Kaifers, dem er fehr zu=
gethan war, und unterſchied fi) darin von Grumbfow, welcher e8 immer
mit dem Meiftbietenden hielt. Diefen beiden Günftlingen und ihrem
Anhang gegenüber ftand die Partei der Königin Sophie, die bei ihrem
Gemahle ebenfalls viel galt. Sie war eine hochgebildete Frau, gütig, .
tadellos in ihren Sitten; daher allgemein geadjtet und geliebt. Ihren
Einfluß richtete fie vornehmlich auf eine enge Vereinigung der verſchwä⸗
gerten Häufer Hannover und Brandenburg; nichts Tag ihr mehr am
Herzen als eine Doppelheirat zwifchen ihren beiden älteften Kindern, dem
Kronprinzen Friedrich und der Prinzeffin Wilhelmine, mit denen ihres
Bruders, bem nachherigen Prinzen von Wales und deſſen Schweſter
Amalie, herbeizuführen.
Es ſchien anfangs, als werde ihr diefer Plan glüden. Ein Bünd-
nis, weldes im April 1725 zwifchen Spanien und Öfterreid) zuftande
fam, veranlaßte die Höfe von Paris und London ſich ebenfalls mit
einander zu verbünden; die beiden Gruppen ftellten fi) einander feindlich
gegenüber; man hielt einen allgemeinen Krieg für wahrfcheinlih. Da
war e8 nun von höchſter Wichtigkeit, welche Partei der König von
Preußen, der Kriegsherr von 50 000 Mann ſchlagfertiger Truppen, er-
greifen werde. Friedrich Wilhelm war gerabe mit dem Kaifer gejpannt,
weil biefer den Appellationen der magbeburger Ritterfhaft Gehör gab;
er ließ fi) daher von feiner Gemahlin zu einer Reife nad) Hannover
und dort von feinem Schwiegervater zum Bündnis mit ihm bereben.
So wurde in Herrenhaufen bei Hannover am 3. September 1725
ein Vertrag abgefchloffen, kraft deffen Frankreich, England und Preußen ſich
bei einem etwa ausbrechenden Kriege gegenfeitige Unterftügung und für
den Tall des Ausfterbens der Linie Pfalz-Neuburg dahin zu wirken ver⸗
ſprachen, daß die Herzogtümer Jülich und Berg an Preußen kämen.
Nun bot der Katfer alles auf, um Friedrich Wilhelm von feinen
neuen Verbündeten abzuziehen. Er ſchickte zu dieſem Zweck den General
dv. Sedendorf als Gefandten nad) Berlin. Sedendorf war ganz der
Mann für diefen Auftrag. Gewandt und ſchlau wie Grumbkow, als
ein tüchtiger General und angenehmer Gefellfchafter von Friedrich Wil-
helm längft geichägt, ſetzte er fi) jeßt, indem er fic den Eigentümlich-
teiten des Königs genau anpaßte, ganz in deſſen Gunſt. Für feinen
Zweck war ihm jedes Mittel recht; er beſtach Grumbkow und andere
Günftlinge des Königs, und da Leopolb von Deffau ohnebies kaiſerlich
gefinnt war, fo bildete fid) am Hofe eine ftarfe und überaus thätige
öfterreichtiche Partei. Friedrich Wilhelm felbft kam ihr auf halbem
Wege entgegen. Es reuete ihn fhon, in feinem Ärger über ben wiener
Hof fi) auf Die Seite des Auslands geftellt zu haben. Er konnte nun
Hofintrigen. 269
einmal die Franzoſen nicht leiden; er äußerte dieſen Widerwillen derb
genug: „er ſpucke jedesmal aus, ſo oft er einen Franzoſen ſehe.“ Auch
feinem Schwiegervater, einem ſtolzen, pedantiſchen Herrn, war er int
Herzen abgeneigt und zürnte, daß diefer die Verabredung wegen der
Doppelheirat, die man zu Herrenhaufen feftgefeßt, nicht abſchloß. So—
dann befürchtete er, England und Frankreich „wollten ihn nur gebrauchen,
die Kaftanien aus dem Feuer zu holen." Geine gewöhnliche Vorliebe
und Verehrung für den Kaifer drang wieder durch. Am 12. Oftober
1726 unterzeichnete er zu Königs-Wufterhaufen einen Vertrag, in
welchem Öfterreih und Preußen ſich ihren Befipftand gegenfeitig ge-
wäbrleifteten und eintretenden Falls einander mit 12000, bezüglid) mit
10000 Mann Hilfe verjprachen. Friedrich Wilhelm erfannte dabei die for
genannte pragmatifche Sanktion an, d. h. das vom Kaifer 1713 erlafjene
Hauögejeß, wonach befjelben beim Mangel männlicher Nachkommen feine
ältejte Tochter,. Maria Therefia, die gefamten habsburgifchen Länder
erben ſollte. Der Kaifer verſprach dagegen nad) dem Ausfterben von
Pfalz-Reuburg das Herzogtum Berg an Preußen bringen zu helfen;
wobei er wieder mit der alten Falſchheit feines Haufes handelte, denn
die Erbfolge in Jülich und Berg hatte er kurz vorher, int Auguft 1726,
bereit dem Pfalzgrafen von Sulzbach zugefichert, Tür, den Augenblid
war aljo in Berlin die faiferliche Partei fiegreid), ‚und der wiener Hof
ließ es nicht an Geld fehlen, fie in feinem Intereſſe feftzuhalten; fo
wurde ‚namentlid” Grumbfow durd) ein.. Zahrgehalt von 1000 Dukaten
zu fernerem Dienft gewonnen. Doch gab die Königin, das Haupt der
englijch-franzöfijchen Partei am Hofe, ihre Sache noch nicht verloren.
Don beiben Seiten beftürmte man ben König; Die eisen ‚beriefen fi)
auf fein deutſches Gemüt, die andern ftellten ihm vor, Hſterreich und
Spanien wollten dem Broteitantismus wieder zu Leibe, Friedrich Wil:
helm wählte einen vortrefflichen Ausweg; .er- erflärte dem Taiferlichen
fowie dem engliihen Kabinefte, Deutſchland müſſe neutsal bleiben, und
er war. nicht dahin zu bringen, daß er, dem einen Beiftand zum Angriff -
auf den andern veriprad. So ging das. drohende Kriegsunwetter vor-
erft worüber. Dennod) blieb die Möglichkeit, daß es zwiſchen ben Weit-
mächten und. dem Kaifer dad) nod) ‚zum Kampfe kommen werde. Jene
fürchteten, Karl VI. werde feine Tochter an den ſpaniſchen Infanten ver-
heiraten und fp eine neue Univerſalmonarchie heritellen; ber Kaiſer aber
hätte gar zu. gern auf friedlichen oder gewaltfemem Wege alle Mächte
zur Anerkennung, wo möglich ‚zur Gemöhrleiftung, feiner pragmatifchen
Sanktion gebracht. Daher fuhr man. beiderjeits fort, fi um Preußens
Hilfe zu bemühen. In diefer Zeit: ftarb Georg J.; fein Sohn. und Nad-
folger Georg II. ftand ſich mit Friedrich Wilhelm noch weniger gut aß
fein Vater; er nannte feinen Schwager nur den „Unteroffizier, aud)
270 Auswärtige Verhältnifie.
wohl den Erzjandftreuer des heiligen römischen Reichs, was dieſer mit
Titeln, wie „Komddiant”, „Mantelfad" u. dgl. erwieberte.
Die unfreundlihe Stimmung der beiden Schwäger war bem Kaifer
fehr erwünſcht. Denn fie erleichterte es ihm, den König von Preußen
durch leere Verſprechungen hinzuhalten und mittlerweile mit Georg IL
gründlic) zu entzweien — ein Geſchäft, welches Sedendorf mit gewiſſen ⸗
lofer Betriebjamteit volführte. Unermüdlich, den König gegen feinen
Schwager und gegen feine Frau und Kinder aufzuheßen, damit ber
Bruch zwiſchen den verwandten Königsfamilien unheilbar werde, ſchlug
er geſchickt alle Saiten in Friedrich Wilhelms Herzen an, die zu feiner
Abficht ftimmten; den Geiz, indem er vorftellte, die engliſche Heirat
werde viel Geld koften; den Stolz, indem er von der englifchen Hoffart
ſprach, die fid) herabzulaffen meine, wenn fie eine Berfchmägerung mit
Preußen zugebe; den Despotismms, indem er den Widerftand der Gattin
und der Kinder gegen eine andere als die engliſche Heirat wie einen
anmaßlichen Eigenwillen darftellte. Es gelang ihm. Der König wandte
fich immer entfchiedener von der englifchen Partei ab und der öfter
reichiſchen zu; endlich, da Georg II. mit einer ganz Maren und runden
Zuſage in der HeiratSangelegenheit zurüchielt, wurde Friedrich Wilhelm
über ihn fo aufgebracht, daß er fi} am Ende des Jahres 1728 zu
einem Schritt entſchloß, den er gewiß nicht gethan hätte, wem jein
alter Minifter Ilgen noch am Leben geweſen wäre. Aber diejer kluge
Berater war furz vorher geftorben, und Friedrich Wilhelm feitdem ganz
in den Neben des öfterreichifchen Gefandten. So ſchloß er am 23. Der
zember 1728 für ſich und feine Nachkommen den berliner Vertrag;
in demfelben gewährleiftete er die pragmatiſche Sanktion, Dagegen ver⸗
ſprach ihm der Kaifer unter allerlei Klaufeln die Erbfolge in Berg.
Das waren die Hauptpunkte; im übrigen war der Vertrag ein Verteidi—
gungsbündnis; er ſollte aber, jo ward feftgefebt, in allen Stüden null
und nichtig fein, fobald ein Zeil ihn breche. Friedrich Wilhelm gab
damit völlig den herrenhauſer Bund und feine Freundſchaft wit England
und Frankreid; auf und war fortan im Schlepptau Öſterreichs. Yür
ſolche Dpfer erhielt er nichts als eine unbeſtimmte Verheißung, die der
Kaiſer zu Halten im Ernſte gar nicht gewillt war. Vielmehr fuchte ber
wiener Hof dem Haufe Hohenzollern: auch andere Ausfichten auf Macht»
zuwachs zu veriperren, und wirkte deshalb dahin, daß die Kinder Friedrich
Wilhelms an unbedeutende deutjche Prinzen und Pringeffinnen verheiratet
würden. Troh des Widerftrebens der Königin und ihrer Kinder ſetzten
Sedendorf und beffen beſoldete Helfershelfer diefen Plan auch durch.
Auf ihren Betrieb verheiratete Friedrich Wilhelm zunädjft feine zweite
Tochter Luiſe mit dem Markgrafen von Ansbach, dem fie als Mitgift
die Grafſchaft Geyern zubrachte (1729); den anderen erwachſenen Kindern
Der Kronprinz. 271
kündigte er ähnliche unerwünfchte Ehen ar, und ba gerade ihr Wider-
ſpruch ihn in feinem Willen erft recht beftärkte, jo ſchürte Seckendorf bie
Zwietracht tn der königlichen Familie eifriger als je.
Friedrich) Wilhelm glaubte übrigens große Urfache zu haben, mit
den Seinigen unzufrieden zu fein, zumal mit feinem älteften Sohne.
Der Kronprinz Friedrich war mm zu einem Züngling erwachſen, feurig
und geiftvoll, aber in allem, was dem Vater am hödhften galt, deſſen
gerades Gegenteil. Der geiftlofe Gamafchendienft, die knickrige Hofhal-
tung, des philiftröfe und rohe Weſen des Waters ſtießen ihn eben fo
ſehr ab, wie ihn die verbotenen Früchte, die geiftigen Genüſſe der Wiflen-
ſchaft und Kunft umd bie finnlichen der Liebe anzogen. Auch die kirch-
lichen Übungen und Lehrſätze erſchienen ihm als leeres, abgeſchmacktes
Formelweſen. Der König fah dies alles mit Schmerz und Ingrimm.
Er tobte und raſte, wenn eine neue Anregelmäßigfeit im Leben des
Kronprinzen ihm hinterbracht wurde und feine Überzeugung beftätigte,
Fri fei gottlos umd liederlich, ein fchlechter Soldat und ein fehlechter
Wirt. Er begriff nicht, wie viel feine verkehrte Erziehung verſchuldete,
die mit brutaler Gewalt verfucht Hatte, dem anders gearteten Sohn nad)
des Vaters Weſen umzuformen. Der ſchlechte Erfolg feiner Bemühungen
reigte ihn nur zur Wut, nicht zur Überlegung. Er tyrannifirte den Sohn
immer härter, und Gedendorf, ber einen fhärferen Blick hatte und die
große Ratur in dem Züngling ahnte, war allemal bemüht, diefen in noch
ſchwärzerem Lichte erſcheinen zu laſſen. Dennoch war die Königin ein-
mal nahe daran, den ſehnlichſten Wunſch ihres Lebens erfüllt: zu fehen;
im April 1730 traf die lange erwartete förmliche Bewerbung des eng-
liſchen Hofs um die Hand der Prinzeffin Wilhelmine ein, und auch die
Verlobung des Kronprinzen mit feiner engliſchen Bafe fehien ſich zu
verwirklichen. Aber auch jetzt behielten Sedendorf und Grumbkow bie
Oberhand, thre Einflüfterungen brachten den ſchwankenden König wieder
gegen feinen Schwager auf; die Unterhandiungen mit England zerſchlugen
fich noch einmal. Als dann der Kronprinz in Verzweiflung über ben
Drud, unter welchem ihn der Vater hielt, und über bie unmürbigen
Mifhandlungen, die er erdulden mußte, einen Fluchtverſuch machte, der
mißlang und Die Verhältniffe in’ der königlichen Familie bis zur An—
erträglichteit verſchlimmerte, da’ hatte bie kaiſerliche Partei völlig ge-
wonnenes Spiel. Denn um ben Hausfrieden herzuftellen und aus
ihrer harten Lage herauszukommen, fügten fi) die Kinder in des Vaters
Bünde, Wilhelmine heiratete den Erbprinzen von Bayreuth (1731),
und Friedrich erfaufte die Befreiung aus ber Feftung Küftrin damit,
daß er ſich (1782) mit der Prinzeffin Eliſabeth von Braunfchweig-Bevern
verlobte.
Unterdefien war in den europäifchen Verhältniſſen ein Wechſel ein
272 Auswärtige Verhältniffe.
getreten; der König von England hatte die pragmatifche Sanktion ge-
währleiftet, und der Kaifer hielt es nun in feinem Intereſſe, den berliner
und den londoner Hof mit einander wieder auszuföhnen, damit er felbft
an beiden um jo feſtere Stützen fände. Seckendorf mußte daher verfuchen,
das mühfame Werk, welches er mit der Verlobung des Kronprinzen zu
ftande gebracht, wieber rückgängig zu machen. Aber Friedrid Wilhelm
‚hielt feit an feinem gegebenen Worte; Die Heirat wurde vollzogen (1733).
Auch feine dritte Tochter Charlotte vermählte der König bald darauf
den früheren Beftimmungen gemäß, fie wurde die Frau des Prinzen
Karl von Braunſchweig⸗Bevern. Diefe Ehen, von der Politik gefchlofien,
bradjten feinem Zeile Segen; der wiener Hof, der fie geftiftet, gewann,
wie bie Folge lehrte, amt wenigften dabei, daß er bie Jugend bes preußi=
ſchen Thronfolgers unglücklich gemacht hatte. Friedrich Wilhelm aber
gingen ſeitdem allmählic) Die Augen auf über das unmwürdige Spiel, das
der Kaifer mit ihm trieb. Doc; führte er feine auswärtigen Angelegen-
beiten darım nicht geſchickter. Er verfäumte aud die günftigfte Gelegen-
heit, durch einen Fühnen Streich feinem Staate beträchtliche Vorteile zu
verfchaffen, eine Gelegenheit, welche Die Lage Polens damals bot.
Stanislaus Lesezynsfi, der im Jahre 1710 entthronte König von
Polen, war Schwiegervater Ludwigs XV. von Frankreich geworden und
hatte viel Ausfidht, nad) dem Tode Augufts I. mit franzöfifcher Hilfe
Die verlorene Krone wieder zu gewinnen. Öfterreih, Rußland und
Preußen wollten aber einen Yürften mit ſolchem Rückhalt nicht zum
Nachbar haben; und der ruffifche Bevollmächtigte Graf von Löwenwolde
ſchloß daher im Dezember 1732 mit Friedrich Wilhelm einen Vertrag
(u Königs-Wufterhaufen), wonach die drei Mächte einen portugieftfchen
Prinzen zum polnifchen König machen wollten; Preußen follte für feine
Mitwirtung das Herzogtum Berg, fowie für einen feiner Prinzen die
Anwartſchaft auf Kurland erhalten. Diefer Vertrag wurde inbefien in
Petersburg und Wien nicht genehmigt. Die beiden Kaiferhöfe traten
vielmehr, als -Auguft H. ftarb, für defien Sohn Auguft II. auf und
ſchickten Geld nach Polen und Truppen an die Grenze, um die Wahl
desfelben durchzuſetzen. Dafür verſprach Auguft Die Anerkennung der
pragmatifchen Sanktion, worauf der Kaifer um fo höheren Wert legte,
- weil Auguft nit der älteren Tochter weiland Kaiſer Joſefs I. vermählt
war. Der polnifche Reichstag wählte ‘aber Lesczynski; nur eine kleine
Anzahl polnifcher Edelleute rief unter dem Schuß eines bis Warſchau
eingerücten ruffifchen Heeres den Kurfürften von Sachſen zu ihrem
Könige aus. Polen war indes längft nicht mehr in der Verfaffung,
feine Gelbftänbigfeit gegen das Ausland aufrecht zu erhalten. Die Ent-
ſcheidung Tag nit in der Zahl der Stimmen, fondern der Bajonette.
Auch jäumte Ludivig nicht, feinem Schwiegervater mit den Waffen bei-
Der polnifhe Erbfolgekrieg. 273
zuftehen; er fündigte im Verein mit Spanien und Sardinien dem Kaifer
den Krieg an und eröffnete denfelben mit Erfolg zugleich in Deutſchland
und Stalien (Oftober 1733).
Friedrich Wilhelm konnte nun, wenn er feinen Vorteil zu Rate zog,
entweber für Stanislaus eintreten, der von den Rufen in Danzig be-
lagert wurde, konnte Weftpreußen an ſich nehmen, oder, wenn er nicht
mit Frankreich gemeinjame Sache machen wollte, wenigftens verhindern,
daß das deutſche Reich wieder, wie gewöhnlich, als Schildfnappe Habs-
burgs fi) für frembe Interefien in Krieg ſtürzte. Er that feins von
beiden, fonbern ließ fid) von Seckendorf bewegen, auch jet dem wiener
Hofe zu helfen und für den Reichskrieg zu ftimmen. Er bot dem
Kaifer fogar außer den vertragsmäßigen 10000 Mann Hilfstruppen
nod) 30000, wenn er ihm Berg wirklich einräume. Das wurde aber
abgelehnt, Deutfchland und felbft der Kaifer hatten nachher den Schaden
dabon.
Zwar in Polen gingen die Sachen ganz nad) Öfterreih® Wunſch.
Die Ruflen lagerten, 36 000 Mann ftark, unter Anführung des Generals
Münnich vor Danzig und bedrängten die Stadt mit ftürmen und
bombardiren. Die Danziger wehrten fid) zwar tapfer und hartnäckig.
Stanislaus hatte die Beſatzung auf 10000 Mann verftärkt, eben fo groß
war die Zahl der bewaffneten Bürger. Die Belagerung währte ein
halbes Zahr (vom Januar 1734 bis zum Juli). Einmal (im Mai)
landete auch eine franzöfifche Hilfsichar (2370 Mann). Aber Münnich
erhielt fortwährend Verſtärkung; ein ſächſiſches Heer ftieß zu ihm, eine
ruſſiſche Flotte fperrte die Weichfel. Am 21. Juni ergaben fi die
Franzoſen und Polen in der Feſte Weichjelmünde. Nun konnte fi auch
die Stadt felber nicht mehr halten. Stanislaus, als Bauer verkleidet,
verließ fie und entwich durch das danziger Werder auf preußifches Ge⸗
biet und in den Schuß des Königs Friedrich Wilhelm, der ihn im
Schloß zu Königsberg als Gaft aufnehmen ließ. Danzig aber mußte
fid) ergeben (9. Yuli), dem König Auguft huldigen und ſtarke Strafe
gelber zahlen; feine alten Rechte und Freiheiten behielt es, fein Wohl
ftand aber hatte durch biefe furdhtbare Belagerung auf längere Beit
gelitten.
Sehr übel ftanden dagegen bie kaiſerlichen Angelegenheiten in Italien,
wo die Franzofen die Lombardei eroberten, und am Rhein, wo bas
faiferliche und Neichsheer ganz mäßig blieb. Der altersſchwache Prinz
Eugen, der den Oberbefehl führte, war nur noch der Schatten jeiner
früheren Größe, die Reichöfontingente wie immer uneinig und faumfelig.
Es fragte fi), ob der wiener Hof Preußens thatkräftige Hilfe durch
wirkliche Gegenleiftungen erwerben wollte — denn mit Worten ließ ſich
Friedrich Wilhelm nun nicht länger abjpeifen — oder ob der Kaifer mit
Vierſon, preuß. Geſchichte. I. 18
274 Zriedrich Wilhelms I. Familienleben und Ende.
Frankreich auf ſchlechte Bedingungen Frieden fchließen ſolle. Karl VI.
30g das leßtere vor. Er vertrug fi), ohne bie Reichsftände zu fragen,
im wiener Frieden (präliminirt im Oktober 1735) mit dem Haufe Bour-
bon dahin, daß Stanislaus auf Polen verzichtete, dagegen die deutſchen
Herzogtümer Bar und Lothringen erhielt, welche nad feinem Tode an
Frankreich fallen follten; ferner trat der Kaifer Neapel ımd Sizilien für
Barma, Piacenza und Tosfana an Spanien ab; dagegen wide bie
pragmatiſche Sanktion von Spanien und Frankreich anerkannt. So ver
untreute das Haus Habsburg dem beutjchen Reiche abermals eine jchöne
Provinz. Friedrich Wilhelm aber war in feinem deutſchen Gemeinfinn
eben fo fehr wie in feinem preußifchen Selbftgefühl tief gefränkt, er
äußerte ummutig: „der Kaifer traftirt mich und alle Reichsfürften wie
Schubjacks, was ic gewiß nicht verdient Habe." Wenn er jo überdachte,
wie freu er immer zum Kaijer gehalten, wie er ihm jo oft das Intereſſe
feines Staats, die Wünfche feiner Familie zum Opfer gebracht, und wie
ſchnöde er allezeit dafür belohnt worden, da wollte ihm faft vor Grimm
das Herz zeripringen, und erbittert rief er einft (am 2. Mai 1736), in-
dem er auf den Kronprinzen zeigte: „Da fteht einer, der mich rächen
wird!" Sehr bald fiel auch die letzte Hoffnung, bie er, wenn ſchon nicht
mehr auf die Dankbarkeit, doc auf die Rechtlichkeit ſterreichs gejegt
hatte, zu Boden; denn im Januar 1739 ſchloß ber Kaiſer mit Yrank-
reich einen Vertrag, dab Berg ebenfo wie Jülich nad) dem Tode bes
Kurfürften Karl Philipp von Pfalz-Neuburg an Karl Theodor von Pfalz⸗
Sulzbach übergeben und gegen etwaige preußiſche Einſprüche gewähr-
leiftet werben ſollte. Damit brad) Karl VI. ausdrücklich ben berliner
Vertrag vom Jahre 1728; dod) eben dadurch war aud) Preußen feiner
Verpflichtung, die pragmatifche Sanktion zu gewährleiften, entledigt und
hatte für die Zukunft nad) allen Seiten freie Hand.
Seiebric Wilhelms I Familienleben und Eude.
Ber von Dresden oder einem andern der damaligen Fürftenhöfe
nad) Berlin fam und fah, wie hier der König lebte, mußte, wenn anders
er ein gefundes Urteil und ein deutſches Herz hatte, von höchſter Achtung
vor Friedrich Wühelms rauhem, aber ehrenwertem Charakter erfüllt
werben. Hier gab es feinen prunkenden Hofftaat, feine Prachtfefte, feine
Mütrefien, keine koftbaren Truppen von Sängern ımd Zängern, Rammer-
dienen und Lafaien, die anderwärts das Mark des Volks verpraßten.
Hier ging es ſchlicht und recht her, wie in einem ehrbaren wohlhabenden
Bürgerhaufe. Friedrich Wilhelm hatte im Grunde feinen eigentlichen
Hofftaat. Die wenigen Hofbeamten, bie er hielt, waren zum Zeil
Tabetstollegtum. 275
Militir-Offiztere; aud) die unteren Bedienten nahm er teilmeife aus dienſt⸗
thuenden Soldaten. Auf feine Tafel famen für gewöhnlich kein Buder-
wert, feine feinen und ausländiſchen Speifen, außer für bie Königin und
die Prinzeffinnen; dagegen reichlich Wildpret und Fifche, überhaupt gute
Hausmanngtoft und nicht mehr als vier Gerichte; dazu inländifches Bier
oder Aheinwein. So war aud) die ganze Tagesordnung einfach bürger-
lich. Um 5 Uhr im Sommer, um 7 Uhr im Winter ftand der König
auf und las in einem Andachtsbuche. Dann kamen feine Kabinetsräte
oder Sefretäre und hielten Vortrag. Die eingelaufenen Schreiben wurden
eröffnet und vom König furz beantwortet. Darauf konnte jeder, der ein
Geſchäft ober Geſuch hatte, fid) melden und feine Sache vorbringen. Um
10 Uhr ging der König zur Wachtparade, von ba in den Stall (auf der
Breiten-Straße), erteilte Befehle und Tehrte ins Schloß zurüd. Um
12 Uhr fpeifte er mit feiner Familie und den etwa eingeladenen Offi-
zieren ober Fremden. Dann ritt ober fuhr er aus, meiftens nad) der
Friedrichsſtadt, um die neuen Anlagen zu befehen und fonft das Treiben
in der Stabt zu beobachten. Nach feiner Rückkehr erteilte er die Parole,
erledigte noch einige Geſchäfte und ging um 5 ober 6 Uhr in feine
Abendgejellihaft, das fogenannte Tabakskollegium, wo er in der
Negel bis 9 Uhr biieb.
Diefes Tabakskollegium war für gewöhnlich feine einzige Erholung.
Man ſaß bier auf hölzernen Stühlen, rauchte holländifchen Kanafter aus
Thonpfeifen und trank dudfteiner Bier, das fi) jeder felbft aus einem weißen
Kruge einfhentte. Wollte jemand etwas efien, fo ging er in das Vorzimmer,
wo Halter Braten, Butterbrot und Wein bereit ftand. Die Geſellſchaft
war felten zahlreich; Friedrich Wilhelms vertrautefte Generale, Leopold
von Defjau, Grumbkow und Seckendorf gehörten immer dazu: ferner lud
er einige Minifter ein, zumellen auch andere Leute, die ihn gerabe in⸗
tereffirten, 3. B. die Gelehrten Gundling, Morgenftern, Graben zum
Stein; letztere als eine Art von Hofnarren. Denn man unterhielt fich
bier ſehr zwanglos; Schmirren und derbe, oft fabe und rohe Späße
wurden erzählt; am liebften die Gelehrten verjpottet; aber aud) die wic-
tigften Dinge, Angelegenheiten bes Hofs und des Staates geſprächsweiſe
abgethan. Der König fehüttete hier über alles und jebes fein Herz aus,
und die anderen burften fich ebenjo freimütig äußern. Er brachte von
bier manchen bebeutfamen Eindrud mit, der ihn oft in feinen Handlungen
beftimmte; das Tabakskollegtum war daher faft wie ein geheimer Staats⸗
rat, und feine Günftlinge wußten bier durch ein geſchicktes Wort oft mehr
zu bewirken, als fonft ein Mintfter durch lange Vorträge.
Eben fo einfach mußte feine Familie leben; er hielt in feinem Palaft
auf diefelbe Ordnung, bie er in Bürgerhäufern wollte beobachtet wiflen.
Einft trug er dem Propft Reinbed auf, der Königin zu fagen, fie möge
18°
276 Friedrich Wilhelms I. Familienleben.
in Monbijon (ihrem Schloß in Berlin) nicht fo ſpät Geſellſchaft bei fich
haben, der König könne es erfahren und übel nehmen. Auch durfte nie>
mand aus feinem Haufe beim Gottesdienst fehlen. Hoffefte und Zeier-
lichkeiten liebte er nicht, ftatt ihrer hielt er Mufterungen über die Regi—
menter ab. Sonft vertrieb er fid) die Zeit, befonders wenn er frank war,
mit Malen; denn müßig konnte er nie fein. Won wahrer Kunft war
dabei freilich nicht die Rede. Eben jo wenig gab es in Berlin Hof-
ſchauſpiele oder Hoflonzerte. Nur in dem Zirkel der Königin ſchätzte
und übte man. muftfalifhe und andere äfthetifche Unterhaltung. Ste war
aud) die einzige, die am Hofe dem rohen, bäurifchen Weſen ber Generale
fteuerte; im ihrer Gegenwart durfte man nie durch ein derbes oder ge=
meines Wort den Anftand verlegen. Friedrich Wilhelm jelbft Hate alles
Zeremoniel; er machte feine Komplimente und wollte feine hören; natür—
lic) umd geradezu — fo war immer feine Weife, und er gab für die‘
Umgebimg ben Ton an. Kein fhleichender Höflingstritt, fondern der
dröhnende Schritt rauher, kerzengerader Kriegsleute ging durch bie
preußifhe Königsburg. Hier ſprach man nicht franzöſiſch wie an allen
anderen beutjchen Höfen, fondern ehrliches, wenn auch nicht elegantes
Deutſch.
Das Hauptvergnügen des Königs beſtand in der Jagd, der er, wie
alle rohen Gemüter, leidenfchaftlid) ergeben war. Er legte um Wuſter⸗
haufen und Potsdam einen „Parforcegarten“ von mehreren Meilen im
Umfange an, wo er jährlich) zwanzig ober dreißig Mal jagte und dabei
täglich minbeftens 10 Stüd Wildes eigenhändig ſchoß; außerdem hielt er
auch anberwärts oft Jagden ab, befonder8 gern in Preußen, wo es das
mals immer noch Bären, Auerochfen, Elentiere, Wildſchweine und Füchje
in Menge gab.
Friedrich Wilhelm liebte feine Frau und Kinder aufrichtig; er war
feiner Gattin unverbrüdlic treu und that fi) darauf nicht wenig zu
gute. Auch war wirklich feine eheliche Treue bamals an einem Fürſten
eben fo felten, wie feine fonftige Nüchternheit und Mäßigfeit und fein
ganzes bürgerlich) deutſches Weſen. Aber bei aller Liebe war er doch
ein fehr ftrenger Hausvater. Er forberte von Frau und Kindern diefelbe
Untermürfigfeit, denfelben blinden Gehorfam wie von feinen andern
Unterthanen. Nun ftimmten aber die Neigungen feiner Familie keines⸗
wegs mit ben feinigen überein; fte hätte gern aud) ein fo angenehmes
Xeben geführt wie andere Fürſtenhäuſer. Sie vermißte ſchmerzlich alle
höheren Genüffe, und ſelbſt bie erlaubten wurden ihr karg zugemeffen.
Der König gab für den königlichen Marftall, die Kellerei, Livree- und
Tafelgelber im ganzen nur 48 000 Thaler jährlid aus, — eine Keinig-
keit im Vergleich zu den Millionen, die der ungeheure Luxus anderer
Königshöfe koftete. Und doch war es eine fehr zahlreiche Familie, die
Sein Ende. 277
davon unterhalten werden mußte. Denn vierzehn Kinder hat Sophie
ihrem Gemahl geboren, von denen zehn zu Jahren kamen. Indeſſen
mehr als die Sparjamfeit des Hofhalts fiel der Königin und ihren
Kindern die ftrenge Überwachung läftig, der fie unterworfen waren.
Sie durften nichts, auch nicht das Unfchuldigfte, vornehmen, ohne daß
der König es erlaubte, und diefer geftattete bloß, was feinen Ideen von
Schicklichkeit und Ordnung entſprach. So führten fie ein eingezogenes,
genau geregeltes und nüchternes Leben, aber aud) ein unglückliches.
Denn der Zwang, die Entjagung erbitterte fie, und ihre Unzufriedenheit
brachte den König fo auf, daß er zum Haustyrannen wurde, der feine
Anordnungen oft mit rohefter Gewalt durchſetzte. Das Verhältnis ver-
ſchlimmerte fi), als die Kinder fi) ganz natürlich immer enger an bie
Mutter anfchloffen und beſonders in der Heiratsangelegenheit mit ihr ge-
meinfame Sache gegen den Vater machten. Er ſah fie num faft nie,
ohne fie zu befchimpfen und zu prügeln; fo verſcherzte er ihre Achtung
und Liebe; durch Momente herzlicher Zärtlichkeit, die er ihnen gern zeigte,
wenn fie genau feinen Willen thaten und babei froh ausfahen, konnte
dies Mißverhältnis nicht leicht wieder gut gemacht werben.
Friedrich Wilhelm hatte von Haufe aus einen Ferngefunden, kräftigen
Körper; aber feine unruhige Ihätigfeit und die Beſchwerden, denen er
fich fortwährend ohne Schonung unterzog, rieben ihn auf, Er gönnte
fid) feine Bequemlichkeit; Teine Arbeit, keine Reife ging ihm ſchnell genug.
Wenn er die Provinzen bereifte, was alljährlich geihah, ging es im
Fluge dahin, jedem Wind und Wetter zum Trotz, oft auf grundlofen
Wegen und durch eine Unzahl von Geſchäften. Bei einer Infpektions-
reife im Jahre 1730 von Wehlau über Gumbinnen, Ragnit,. Tilfit,
Memel, Heidefrug und zurüd nad) Königsberg machte er in ſechs Tagen
86 Meilen und befichtigte Dabei über 60 Amter und Städte. Solche
Anftrengungen, bie oft vorfamen, bazu die unbändige Leidenfchaftlichkeit
feines Gemüts untergruben allzufrüh feine Gefundheit; er hatte 1734
einen heftigen Anfall von Podagra, der ihn dem Tode nahe bradjte und
von dem er fid) nie wieder ganz erholte. Dieje Krankheit, dazu fein
angeborner Zähzorn, verwirrte zuweilen feinen fonft ſo Maren Geiſt. Es
geſchah in ſolcher unzuredhnungsfähigen Stimmung, daß er einmal mit
Salz geladene Piftolen an feinem Bette liegen hatte, die er auf feine
Bedienten abfeuerte, wenn fie einen Befehl nicht zu feiner Bufriebenheit
vollzogen. In dem entjeglich Falten Winter von 1739 zu 1740 brad)
die Krankheit mit neuer Heftigfeit aus; er erfannte bald, daß fein Ende
nahe war, und ließ den Propft Roloff kommen, um fi) zum Tode vors
zubereiten. Da gab es nun einen harten Kampf zwiſchen dem Autofraten
und dem Seelforger. Friedrich Wilhelm zählte alle feine Sünden aus—
führlich Her, aber behauptete troß alledem recht gehandelt und alles zu
278 Friedrich Wiljelms I. Ende.
Gottes Ehre gethan zu haben. Roloff hinwieder beftand darauf, daß er,
ftatt zu beichten, lieber in fid) gehe und feinen harten Sinn ändere, und
da die zähe Natur nicht nachgeben wollte, jo redete er ihm immer ftrenger
ins Gewiflen, wie er oftmals feine Unterthanen gebrüdt, Todesurteile
geſchärft, auch manche ungerechte Hinrichtung verfügt habe, und wollte
don ben Staatsgründen als Rechtfertigung por Gott nichts wiflen. Ende
lic) fagte Friebrid Wilhelm: „Sr font meiner nicht; Er ſpricht als
ein guter Chrift und ehrlicher Mann mit mir. Ich danke Ihm dafür und
erkenne num, daß id) ein großer Sünder bin.” Diefe milde Stimmung
blieb auch, als ſich das Leiden dann ein wenig beflerte. Ende April
1740 ließ er fid) von Berlin nad) feinem geliebten Potsdam bringen.
Doch bald kehrte die Krankheit mit doppelter Stärke zurüd. Er
ließ nun den Kronpringen von Ruppin herbeiholen und verlebte mit ihm
und feiner übrigen Familie noch einige Tage voll gegenfeitiger Zärtlich-
teit. Der Kronprinz, ber in den legten Jahren die großen Verdienſte,
die rebliche Arbeit des Königs, überhaupt ben eblen Kern in ihm hatte
erfennen lernen und feinen Vater trotz defien früherer Härte wirklich liebte,
war tief betrübt und floß über von aufrichtigen Thränen. Auch der
König hatte num eine beffere Meinung von feinem Sohne, und in feinen
Unterhaltungen ahnte er wohl, was alles in feinem Fri ftede. Sie
verftanden fid nun gegenfeitig, die beiden tüchtigen, wenn auch fo ver-
ſchie denen Naturen. „Ihut mir Gott nicht viele Gnade“, rief der König
gerührt, „daß er mir einen ſolchen Sohn gegeben?" Diefer küßte weinend
die Hände des Vaters, ber ihn umarmte und jchluchzend Hinzufügte:
„Mein Gott, id) fterbe zufrieden, weil id) einen fo würdigen Sohn zum
Nachfolger habe!" Er ordnete dann gefaßt alles an, wie es bei feiner
Beerdigung gehalten werben follte. Zum Tert ber Leichenpredigt befahl
er den Spruch zu nehmen: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft.”
Dem Volke folle gefagt werden, daß er als ein großer armer Sünder
fterbe, der aber bei Gott und dem Heiland Gnade gefucht. Übrigens
folle man ihn in ben LZeichenreben weder verachten noch Ioben und übers
banpt feine „Fagon mit ihm vornehmen‘. Am 31. Mai früh morgens
nahm er zärtlichen Abſchied von feiner Frau und feinen Kindern. Dann
verfammelte er feine Offiziere, Minifter und Räte, dankte ihnen für ihre
Treue, fagte ihnen lebewohl, tröftete noch den fonft fo rauhen, nun zu
Thrãnen gerührten Leopold von Deſſau und übergab dem Kronpringen
die Regierung. Darauf Tieß er fich in fein Bett bringen, betete inbrünftig:
„Herr Zefu, du bift mein Gewinn im Leben und im Sterben“, ſegnete die
Seinigerr und beobachtete dann mit feltener Fafſung durch Bewegung
der Glieder, wie ber Tod immer weiter von feinem Leibe Befik nahm.
Er forderte einen Spiegel, jah ftarr hinein und fagte: „So fieht aljo der
Tod aus! ich granle mir nicht vor dir!" Dann zum Chirurg, ihm den
Innere Zuftände Preußens bei Friedrich Wilhelms I. Tode. 279
Arm reichend: „Wie lange habe id) nod zu leben?" Diefer zudte die
Achſeln und ſchwieg. „Woher weiß Er denn, daß es mit mir aus ift?“
„Euer Majeſtät Puls bleibt aus! er fteht ſtill!“ „Er ſoll micht ftill
ftehen!" rief der König mit leter Kraftanftrengung feiner energtichen
Natur und drohte mit krampfhaft geballter Yauft. Da ftand der Puls.
Er ſank tot aufs Lager.
Innere Zuſtünde FVreutzens bei Sriedricd Wilhelms I. Tode.
Friedrid) Wilhelm war 52 Zahre alt geworben und hatte 27 Yahre
regiert; und welch arbeitfames, entbehrungsvolles Regentenleben! Aber
aud) wie reid) die Frucht, welche es getragen! Er hinterließ den Staat
nicht nur umfangreicher, fondern auch innerlich unendlich ftärker, als er
ihn überlommen. Der Flächeninhalt betrug jet 2145 Geviertmeilen;
die Einwohnerzahl 2486 000 Menſchen in 12317 Dörfern, 34 Fleden,
386 Städten. Das trefflich geſchulte und mit allem Kriegsbedarf reichlich
ausgerüftete Heer zählte 83500 Mann. Die Einkünfte waren ebenfalls
mehr als verboppelt, ja verdreifacht gegen ihren Beftand unter Friedrich I.
Sie waren auf 7371700 Thaler erhöht. Davon wurden 5977400 Thaler
auf das Heerwejen verwendet, 6 bis 700000 Thaler jährlich in den
Schaf gelegt, der Reft, etwa 700000 Thaler, zum Unterhalt des Hof-
ſtaats und der Zivilverwaltung verausgabt. Und obwohl Friedrich Wil-
heim während feiner Regierung an 10 Milltonen auf den Anbau des
Landes verwendet, für 5 Millionen neue Krongüter, für 2 Millionen
Güter für die nachgebomen Prinzen, für 1Y/, Million Silberzeug gelauft
hatte, fo Hinterließ er doch einen Schatz von baren 8 700 000 Thalern
und eine Million an Beftänden in den Generalftaatsfafien.
Er hinterließ aber auch ein fräftigeres, tüchtigeres Volk, als er vor⸗
gefunden. Sein Beifpiel und feine firenge Zucht gewöhnte die Unter»
thanen an ein nüchterne® und arbeitfames, ordentliches und ehrbares
Leben. Thätigkeit und gute Haushaltung wurben unter ihm hervor⸗
ftechende Züge im BVoltscharakter, und fie bewährten die Kraft, die fie
überall haben: fie machten das Volt wohlhabend und glücklich. Eine
andere höchft wohlthätige Folge dieſer Regierung war bie ftrenge Sitt-
lichkeit, die im ganzen herrſchte; ferner Die militäriſche Disziplin, Die
Durch ihn zu einer preußiſchen Nationaleigentümlicjleit wurde. Unter
feiner Regierung war es, daß der Ausdrud Subordination entſtand,
zur Bezeichnung jenes ftrengen Gehorſams, der nicht bloß bie erfte Tugend
des preußifchen Soldaten war, fondern nun auch alle Schichten der
übrigen Bevölferung. durchdrang; er galt in den Schulen und in den
Familien, wie im Heere und in der Beamtenwelt. Auch die Schlichtheit
20 Innere Buftände Preußens bei Friedrich Wilhelms I. Tode.
und Einfachheit, der rechtfchaffene und gerade Sinn bes Königs, dieſe
deutfchen Tugenden Tamen tm Lande mwieber zu Ehren. „Es fand ſich
zu dieſer Zeit unter dem Volle eine Tugend, die ohne Aufheben geübt
ward, die man fo heute nicht wieder findet, nämlich Die allgemeine Treue,
der herrſchende gute Glaube, die Aufrichtigfeit im bürgerlichen Verkehr.
Eine Zufage war damals mehr wert, als jet ein mit allen Yormali=
täten verjehener Kontrakt, und der aufrichtige, derbe Handidlag eines
damaligen biebern Berlinerd galt fo viel als heutzutage Brief und Siegel.
Das half wiederum der Nächftenliebe auf; denn niemand hatte zu be»
forgen, daß er Hintergangen ober beſchwindelt werden würbe, und jo
nahm denn auch ber öffentliche Kredit zu. Ein mutwilliger Schuldner,
ein Mann, der fein Wort brach, ftand in feiner Achtung mehr, er warb
als ein Betrüger verabjcheut.“ *)
Gegen den Lurus hatten auch frühere Fürften gar oft Geſetze ges
geben, aber fie waren im wejentlichen wirkungslos geblieben. Die Be-
fehle Friedrich Wilhelms dagegen wurden befolgt, nicht bloß weil er
ihre Ausführung forgfam überwachte und mit Strafen raſch bei ber
Hand war, fondern hauptfächlich, weil er felbft mit gutem Beifpiel voran=
ging. Dem damals galt das Sprichwort: wie der Herr, jo der Knecht,
aud für das Verhältnis des Fürften zum Wolfe, wenigftens in Hinficht
auf bie äußere Weife des Lebens. Da des Königs Tafel einfach und
mäßig befegt war, fo prangte auch der bürgerliche Tiſch nicht mehr mit
Leckereien des Auslands, aber man fand auf ihm gutes Fleiſch und Ge—
müfe, trefflihe Fiſche, Schinken, Würfte, Brot, Butter und Käfe, alles
reichlich und wohlfeil, — dem man war fleißig und verthat fein Geld
nicht für überfläffige Dinge — umd ſchmackhaft zubereitet; denn die Hauss
frauen felber waren gute Köchinnen. Bemühten ſich doch felbft Frauen
vom erften Range, vor der öffentlichen Meinung, bie der Köntg aufge
bracht hatte, ſich durch ſelbſtthätige Wirtichaftlichkeit guten Ruf zu er-
werben. Gattinnen der Feldmarſchälle und Staatsminifter wetteiferten
mit den Frauen der Bürger und Bauern, ihr Hausweſen ordentlid) zu
beforgen und überall felbft mit Hand anzulegen. Die Hausfrau, welchen
Standes auch immer, war felten, die wicht mit ihren Töchtern und Mägden
mehr beim Spinnrocken ımd in der Küche, als anberwärts verweilte. Es
hätte einer jeden als Schande gegolten, ihr Leinen- und Tiſchzeug nicht
felbft zu verfertigen; bie metften Mübchen hatten davon vor ber Hochzeit
foviel zuſammengebracht, daß fie in ber Ehe feinen Groſchen dafür zu
verwenden braudjten.
Unverzärtelt und unverborben, in der Furcht Gottes und der Eltern
wuchs das junge Geflecht heran. Die einfache, gefunde Koft und Lebens-
e Amiga. a. D. 2, 88.
Sittenzudt. 281
art gaben fefte ımd dauerhafte Körper. Mar trank wenig Branntwein
und Wein, aber vortreffliches inlänbifches Bier, z.B. bermaner und rup⸗
piner. Kaffee ward in Berlin nur an zwei Orten geſchenkt; er war jehr
teuer und nur als Leckerei befannt. Auch das Tabakrauchen hatte noch
wenig Verbreitung, obwohl es in der Mark ſchon 1620 durch englijche
Truppen, die dem Böhmenkönig zu Hilfe zogen, bekannt geworben war.
Dagegen kam befonders durch die franzöftfchen Einwanderer das Schnupfen
in Mode. Kartoffeln, oder wie fie Damals hießen Erbnüfle, waren ſchon
im Jahre 1651 auf der furfürftlichen Tafel zu Berlin erſchienen. Aber
man gab wenig auf diefe Frucht. Im größerem Umfange pflanzte man
fie in Berlin erft feit dem Jahre 1728 und zwar bei der Charits an;
fie dienten aber nur als Viehfutter.
Auch die Vergnügungen des Volks waren fehr einfach und befchräntten
fich auf Privatgeſellſchaften; ſelbſt hohe Familienfeſte, wie Hochzeiten und
Kindtaufen, wurden ohne Pracht und Prunk gefeiert. Öffentliche Schau-
ſpiele gewährten nur die Mufterungen der Regimenter und die zahlreichen
Hinrihtungen und anderen öffentlichen Strafen. Die Schaufpieler waren
verachtet, galten als ehrios, und bie Truppen, die ſich zuweilen einfanben,
waren in der That alles eher als Künftler; fie führten geſchmackloſe
Singfpiele und andere Vorftellumgen auf, an benen die rohen, plumpen
Späße des pöbelhaften Hanswurſt die Hauptſache waren. Außerdem
gab es eine Menge von Marktichreiern, Taſchenſpielern und Gauklern,
Die auf den Märkten das Volk beluftigten. Wenn fie aber unzüchtige
Späße machten oder auf Betrug ertappt wurben, fo ließ fie der König
durch Soldaten aufgreifen und wie andere Bagabumden in Buchthäufer
oder über die Grenze bringen. Dasſelbe Schickſal hatten die Bigenmer
und alle Schwindler und Glücgritter, die nad) Preußen lamen, um das
Voll auszubeuten. Dagegen genoß ein gemiffer von Edenberg, „der
ftarte Mann“, eine zeitlang die Gunft des Könige. Er fam 1717 nad)
Berlin und veranftaliete „Affembleen“, in denen ee feine Künfte als
Herkules, Seiltänzer und Schaufpieler unter großem Beifall des Hofs
und der Berliner zeigte.
Die Mäßigkeit und Strenge der damaligen Sitten verminderte nicht
bloß den Hang zu einem Iodern Leben, jondern auch die geichlechtlichen
Ausfchweifungen. Die Wolluſt durfte fi) wenigſtens nicht offen zeigen.
Jedenfalls hielt man die Ehen gewifienhafter,, man ſah fie für heiliger
an, ald es in fpäteren Beiten geſchah. Auf dem platten Lande ließ der
König fogar Strafregifter über fleiſchliche Vergehungen führen; doch auch
in dieſer Beziehung wirkte jein Beifpiel noch mehr als feine Verord⸗
nungen.
Ebenfo verhielt es ſich mit der öffentlichen Gottesverehrung. Der
König übte fie ſelbſt aufs genauefte, wie er ftreng ‚darauf hielt, daß
282 Innere Zuftände Preußens bei Friedrich Wilhelms I. Tode.
wenigſtens alle, die in feinem unmittelbaren Dienft fanden, fleißig im
die Kirche gingen. Übrigens war der kirchliche Sinn im Volke ohnehin
feftgewurzelt und konnte felbft durch die fteifen und Iangweiligen Pre—
digten, die man damals von den Kanzeln zu hören pflegte, im ganze
nicht erſchüttert werden.
BVielleiht in feinem andern Stüde war der Umſchwung der Sitte,
der nad) Friedrich Wilhelms Thronbefteigung in Preußen eintrat, fo aufs
fallend, al$ in der äußeren Erfcheinung der Menfchen. Das Schminken
und Malen der Geſichter, das Pudern und aller Lurus in der Kleidung
hörte auf. Man gewöhnte fi, wie der König, ein übermäßig gepuptes-
Frauenzimmer für eine feile"Dirne zu halten. Die flitterhafte parifer
Mode kam in Verruf, die einfache deutfche in Aufnahme, oder vielmehr
es bildete ſich eine eigene preußifche Mode auch für die Kleidung.
Denn die Tracht im Bürgerftande näherte fich fehr derjenigen, die im
preußifchen Heere herrſchte. Sie war äußerft reinlich umd ſchmucklos,
die Farbe gewöhnlich blau, der Stoff inländiſches Wollenzeug ober
Zinnen. Elegant waren freilich dieſe Kleider nicht, aber dauerhaft und
wohlfell, und wenn fo ein Bürgersmann in feinem einfachen blauen Tuch -
rock, der langen Wefte, den fnappen, an ben drallen Beinen eng ans
liegenden Hofen daherſchritt, gerade und feft und ein Tritt wie der andere;
nirgends ein Fleck ober Stäubchen, alles rein und nett; auf dem Haupte
den breiedigen Hut und hinten den fteifen Zopf — fo hatte er ein gar
ehrwürbiges und braves Anfehen. Dieſe ehrbare Tracht erhielt ſich lange,
und man nannte jpäter diejenigen, die ihr treu blieben, Friedrichwilhelms-
männer. Jeder, der nur einige Bebentung hatte, trug einen Degen;
anfangs auch Die Schüler, denen ber König es aber ſchon 1715 verbot;
außerdem trugen Gelehrte, Ärzte und Räte einen roten Mantel. Die:
Abdvofaten, Die ber König haßte, weil er meinte, daß fe die Leute bloß.
zur Prozeßſucht verführten, durften ſich nicht anders als ſchwarz kleiden;
dadurch wollte fie der König dem allgemeinen Spotte ausfegen, welde
Anficht dem auch gelang.
Allerdings Hatte dies ganze preußiiche Weſen, das ber König auf
bradjte, auch feine ſehr beträchtlichen Schattenfeiten. Die Tugend, die
in diefem neuen Sparta herrſchte, war nicht bloß ſehr vauh, ſondern
auch, wenigftens in mander Beziehung, mehr äußerlicher Art. Die
Kirchen waren immer vollgepfropft, aber gar viele, die darin ſaßen,
trieb weniger das Bebürfnis ihres Herzens als der Befehl ihres Vor⸗
geſetzten; und auch andere Pflichten wurben oft genug nur aus Bwang ger
leiftet. Und dann — wie ärmlich jah es um allen höheren Genuß des
Lebens, um Kunft und Wiffenihaft aus! Selbſt das Heerweſen drohte
in Hußerlichteiten aufzugehen. Friedrich II. fagt darüber: „Im aueng
der Regierung Friedrich Wilhelms hatte man fid) damit beichäftigt, bei
Endurtheil. 283
den Regimentern Ordnung und Mannszucht einzuführen. Da aber von
biefer Seite nichts übrig blieb, fo wendete man die Aufmerkſamkeit nun
auf ſolche Dinge, die ins Auge fallen. Der Soldat mußte fein Gewehr,
der Reiter feinen Zaum und Sattel, ja jelbft die Stiefel ſpiegelblank
machen. Zuletzt artete die an ſich müßliche Reinlichkeit im Tächerlichen
Mißbrauch aus. Man vernadjläffigte das eigentlich Wichtige über die
Beihäftigung mit Kleinigkeiten.“ Indes eben diefe blanfgepußte Armee
bewies dann gleich in der erften Schlacht (1741 bei Mollwitz), daß fie
nicht bloß die ſchönſte in Europa, fondern auch die tapferfte war und
eben fo wohl zu fiegen als zu pußen wußte.
Und fo muß man aud) von dem Volke fagen, welches Friedrich
Wilhelm erzog, daß es im ganzen und großen wirklich jene derbe Tugend
und Züchtigkeit befaß, auf die e8 dem Könige ankam. Er wollte in
feinen Staaten bloß gute Soldaten, fleißige, bemittelte Bürger und
fromme Chriften haben, und er hat dieſen Zweck in einem Umfange
erreicht, wie ſchwerlich ein Fürſt vor oder nad) ihm. Das aber, was er
feiner Natur nad) nicht geben konnte und wollte, ein reges und ſchönes
geiftiges Leben, das war damals in Deutſchland überhaupt nicht zu
finden; e8 erwuchs erft mit den großen Heroen der deutſchen Literatur
und Philojophie, die bei Friedrich Wilhelms Tode meift noch ungeboren
waren, und mit dem neuen deutſchen Nationalgeift, dem Friedrich Wil-
helm vorarbeitete, indem er feinem großen Sohne die Mittel ſchaffte,
denfelben vor allen Völkern wieder zu Ehren zu bringen. Darum ſchuldet
nicht Preußen allein, fondern das ganze deutſche Volk dieſem Könige
den größten Dank; er war nicht liebenswürdig, aber in hohem Grade
achtungswert, zumal wenn man ihn vergleicht, um bon den ausländi-
ſchen Fürften zu fchweigen, mit bem liederlichen Auguft II. ober dem
ſchwachtopfigen Auguft III. von Sachfen, mit dem fähigen und trägen
Kaifer Karl VI. und dem meiften andern deutſchen Landesvätern jener
Zeit, die nichts thaten als praffen und ſchwelgen und ben Franzoſen
fpielen. Um fo ungerechter urteilte die befangene Mitwelt, wenn fie in
Friedrich Wühelm I. faft nur ben rohen Soldaten, ben jähzormigen
Zyranmen fah; Die unparteiti—hen Nachkommen werben ihn immer troß
aller feiner Schwächen zu den Wohlthätern ber Menſchheit rechnen.
Zünftes Bud.
Sriedrich der Große.
As Luther erftand und die Ketten, die Roms Prieſterſchaft dem
beutfchen Volfe angelegt, mit fühner Hand zerbradh, da ſchien er Deutſch⸗
land zum Vaterlande der Geiftesfreiheit zu weihen. Aber wie bald eilten
Befreier und Befreite, den Glauben wieder in herrifche Formeln zu ban=
nen, wie bald ſchwor auch der Proteftant wieder auf die Worte menſch⸗
licher Meifter! Hie Luther! hie Kalvin! gellte es — und Rom triums
phirte. Oder war es nicht im legten Grunde eben der Settenhaß ber
Evangelifchen wider einander und daher ihre Uneinigkeit, was dem Haufe
Habsburg die Möglichkeit gab, im dreißigjährigen Glaubenskriege Deutjch-
land zugrunde zu richten? So enbete das Seitalter der Reformation,
das fo herrlich begonnen, im allgemeinen Ruin der Nation. Zwar aus
der Welt geſchafft konnte der wahre Proteftantismus, das Recht ber
Vernunft über Menſchenſatzung, nicht wieber werben; aber er war ver—
knöchert in ftarrem Dogmenmefen, und mie der Glaube lag auch das
Meinen und das Wiffen unter der Wucht zahliofer Vorurteile darnieber.
Mit dem geiftigen Bankrot Hielt Schritt der politiſche. Der Reichskörper
war in Auflöfumg, ein Spott ımd Spielball des Auslands, das fi) un-
geftraft an ihm vergriff und bereicherte. In dem glorreichen Kaiferftaat,
der einft der mächtigfte war in der Chriftenheit, trieben jet hunderte von
Landesherren mit taufenden von Hofichranzen und Mätreffen ihr Weſen;
das deutſche Bolt aber war nichts als ein unfreier Haufe, den die Yürften-
ſchaft nach Luft und Laune tn abfolutem Gottesgnadentum beherrichte und
meift ſchmaͤhlich ausſog. In troftlofer Jämmerlichkeit und lächerlicher
Kleinlichleit verſank das deutſche Leben. Nur in Preußen war noch Hoff:
nung; bier herrſchten unter Friedrich Wilhelm I. rohe Tugend und ge»
Friedrichs Erziehung. 285
funder Menfchenverftand und ſchufen etwas Tüchtiges; aber der eifernen
Zucht des Willens fehlte das Bewußtfein hoher, ebler Ziele; unter ihr
geriet der junge preußijche Staat in Gefahr zu erftarren; auch die legte
Hoffnung des deutſchen Volkes ſchien zu verborren. Da erweckte ihm
Gott zum zweiten Male in Norbdeutichland den Retter, den Genius, ber
auf ben Thron dieſes Kriegerftantes wieder das Panier der Geiftesfrei-
beit pflanzte und der Aufflärung in ihrem Kampfe wider die Vorurteile
mächtig Bahn brach, den Helden, den Sieger. über halb Europa, deſſen
Thaten dem deutfchen Nationalleben wieder einen großen Inhalt und
einen Weltruhm gaben, den König, um beffenwillen allein es für bie
Nachkommen der freiheitsftolgen Germanen feine Emiebrigung war, uns
umſchränkten Fürſten zu gehorchen. Diefer Einzige, Friedrich der Große,
indem er Grunbfäße verfündete, Thaten verrichtete, an denen ber deutſche
Volksgeiſt fi) mächtig erhob, ward zum Vorfämpfer einer neuen befferen
Zeit, nicht für Preußen allein, für ganz Deutichland, defien größter Sohn
er geweſen ift.
Es war am Sonntag den 24. Januar 1712 Vormittags um halb
zwölf Uhr, daß zu Berlin dem alten Könige Yriedri I. ein Enkel ge-
boren ward. Der neue Prinz, der dritte Sohn Friedrich Wilhelms und
Sophie Dorotheens, deren zwei erjte Söhne bald nach ber Geburt ge-
ftorben waren, erhielt in ber Taufe nad) feinem Großvater Friedrich und
nad) feinem Paten, dem Kaiſer Karl VI., die Namen Karl Friedrich;
der Vater nannte ihn indes kurzweg Fritz. Seine erfte Erziehung wurde
ganz der Mutter und nad) damaliger Hoffitte einer franzöfljchen Er—
zieherin, der Frau v. Rocoulle, überlaffen, einer aus Frankreich geflüch-
teten Proteftantin, die bereits Friedrich Wilhelms Kinderjahre gepflegt
hatte. Zumächft durch fie, die nur franzöfiſch fprach, gewann Friedrich
eine große Vorliebe für dieſe Sprache; fpäter, als er die Damalige Ge—
ſchmackloſigkeit der deutſchen Sprache mit der Eleganz der franzöſiſchen
verglid), wurbe er in feiner Neigung noch mehr und für immer beftärkt.
Als er in fein fiebentes Jahr ging, wurde ihm der General v. Finfen-
ftein, ein alter frommer Kriegsheld von mafellojer Rechtſchaffenheit und
. verdient durch manche tapfre That, übrigens in feinem Benehmen -foldas
tiſch abgemefien und kalt, zum Oberhofmeifter, der Oberſt v. Kalkitein,
ebenfalls ein zuverläffiger Kriegemann, zum Unterhofmeifter gegeben.
Der eigentliche Lehrer war ein Deutichfrangofe, von ber franzöftichen
Kolonie in Berlin; er hieß Duhan de Jandun und befaß eine mehr⸗
feitige, wenn auch oberflädliche Bildung, beſonders aber viel Geſchmack
für die ſchönen Künfte. Der Erziehungsplen, den der König feitießte,
286 Friedrich der Große.
enthielt folgende Grundſätze: als Säule aller Wohlfahrt müfje man feinem
Sohne eine rechte Liebe und Furcht Gottes, dabei auch Abſcheu vor allen
nicht evangelifchen Lehren beibringen; fodann Begierde zum Ruhme, zur
Ehre ımd Bravour; ferner Liebe zur Ordnung und Sparfamteit; ganz
befonder8 aber wahre Luft zum Soldatenftande. Die Hofmeifter follten
ihm aufs nachdrücklichfte einprägen, daß er vor ber Welt ein verachteter
Menſch wäre, wenn er nicht Soldat würde. In den Wifſenſchaften follte
er nur bag Nötigfte und Nützlichſte Iernen: wenig methobiihe Gram-
matit, wenn er fi nur eine fließende franzöſiſche und deutſche Schreib»
art aneigne; die alte Gefchichte obenhin, die neue und vornehmlich die
preußiſche ſehr genau; ebenjo Geographie, Natur⸗ und Völterrecht; die
Rechenkunſt aber, die Mathematik, Artillerie und Okonomie aus dem
Grunde. Auf dreierlei alfo fam es an: der Prinz follte ein guter Soldat,
ein guter Wirt und ein guter evangelifcher Chrift werden. Um dieſe Ab-
fihten zu erreichen, ging man mın in allen Stüden mit dem Zöglinge
fo zu Werke, als gelte es einen Refruten zu brillen. Er zeigte ſchon im
zarten Alter außerordentliche Fähigkeiten, lernte alles mit ber größten
Keichtigfeit, war munter und gutartig und voll Geift. Aber wie er
heranwuchs, fand er an ber einfeitigen Zucht, in die man ihn nahm,
immer weniger Gefallen. Die wunderlichen Spipfinbigfeiten und bürren
Formeln der damaligen Gottesgelahrtheit, die man ihm als Chriftentum
einzuprägen fuchte, wurden ihm langweilig und verächtlih, und daß er
manchmal zur Strafe Palmen umd den Katehismus auswendig lernen
mußte, machte ihm ben ganzen Religionsunterricht erft recht verhaßt.
Ebenfo wurde ihm die äußere Gottesverehrung durch die vielen religiöjen
und firhlichen Übungen, die er auf Befehl machen mußte, ganz verleidet.
Auch dem geiftlofen Mechanismus der damaligen Kriegsübungen konnte
er feinen Geſchmack abgewinnen. Sein zu allem Schönen und wahrhaft
Großen aufftrebender Geift durchbrach biefen engen Kreis von Gedanken
und Abfichten, zu benen man ihn abridten wollte. Ihn reiste das
Ideale, das ihm Duhan in den ſchönen Wiſſenſchaften und Künften wies.
Die Denker und Dichter der altklaſſiſchen und der franzöſiſchen Literatur
zogen ihn unendlich mehr an, als die ftelfen Pebanten, die ihm Religion
beibringen, ober bie rohen Exerziermeiſter, die ihm als Mufter des Ruhr
mes bienen follten. So wurden bie Bücher feine liebſte Beichäftigung,
und ba die franzöftichen Schriftfteller damals die geiftreichften waren, -
fo wählte er fie zu feiner ausfchließlichen Lektüre. Die Welt aber, die
fie ihm erſchloſſen, war eine ganz andere, als er fie um fich ſah. Dort
herrſchten Phantafie und Witz, und die Sinne ergößten fid) wie Der Geift.
Wie armlich und elend erſchien dagegen das fnappe, enge Soldatenweſen
des berliner Hofes!
Die lebhafte und empfängliche Ratur bes Prinzen konnte fid) ebenfo
Friedrichs Erziehung. 287
wenig mit der Lebensweiſe wie mit ber Geiftesrichtung befreunden, die
Friedrich Wilhelm ihr vorſchrieb. Weil der Vater alle feineren Genüffe
veradhtete, fo follte ihnen auch der Sohn entjagen; nicht bloß die geifti-
gen, Mufit, Theater, heitere Gejelligkeit, wurden dem Prinzen verwehrt,
jeibft jeder Schmuck und Glanz des Haushalts, jede Bequemlichkeit und
Armehmlichkeit in Kleidung und Koft. Alles, was er thun und laffen
follte, jeder Pfennig, den er ausgeben, jede Stunde, die er verwenden
wollte, unterlag der Aufficht und Meinlichen Zucht des Waters. Keine
Abweichung von ber borgeichriebenen Ordnung blieb ohne Rüge ober
Strafe. Dagegen empörte fid) das aufkeimende GSelbftgefühl des jungen
Prinzen um fo mehr, da ihm das Treiben des Vaters wertlos und
umgebildet vorkam. Er war von Natur freifinnig umb gegen fi und
andere freigebig; ber Drud, unter dem man ihn hielt, konnte dieſe
Triebe nicht erfticen, wohl aber erhöhte er den Hang zu einem ungebun⸗
denen, angenehmen Leben, da das Verbot defien Genuß noch füßer
machte. Übrigens fand er, fo wie feine gleichgefinnte Schweſter Wil-
beimine, einen Rüchalt an der Mutter, die auch die Studien und jede
erlaubte Lebensfreude 'begünftigte.
Da war e8 ein Ereignis für ihn, als er im Februar 1728 in Be-
gleitung des Vaters bem üppigen dresdner Hof befuchen durfte. Der
zauberifhe Glanz und die märdenhafte Pracht, die er bier ſah, ent-
zückten feine Sinne; aber der fechzehnjährige Jüngling erlag bier auch
der Verführung, und er gewöhnte fich jeitdem an Ausjchweifungen mit
dem weiblichen Geſchlecht. Hatte er ſchon früher oft Schulden gemacht,
weil ihn ber Vater für einen Prinzen allzu ärmlich hielt, fo nahmen mit
dem loderen Leben auch bie heimlichen Ausgaben erft recht überhand.
Friedrich hatte aber auch etwas Gutes von Dresden mitgebradht, nämlich
eine große Liebe zur Muftl. Durch Vermittelung der Königin kam ber
berühmte Flötenfpieler Duanz von dort nach Berlin und unterrichtete
den Kronprinzen in feiner Kunft, welche Friedrich bald meifterhaft inne
hatte; fie ward ihm für fein ganzes Leben eine unerfchöpfliche Duelle
der Erheitermg und Tröftung.
So entwicelte er fi) im geraden Gegenſatz zu den Abfichten feines
Vaters und wurde nach defien Anficht weber ein guter Chrift, noch ein
guter Soldat und Haushalter, ſondern liederlich und gottlos, ein Ver—
ſchwender und franzöſiſcher Windbeitel, „ein Duerpfeifer und Poet“.
Für den jeltenen Genius, der in diefer Natur ſteckte, hatte Friedrich
Bilhelm fein Auge; er ſah nur, daß fein Sohn in allem das Gegenteil
von ihm felber war, und das reichte vollftändig bin, bemjelben zu ver-
dammen. In der That, dieſem war nicht wohler, als wenn er, von der
Parade heimgefehrt, die Uniform mit dem bequemen Schlafrock ver-
tauſchen und nad) feinen Büchern oder ber geliebten Flöte greifen ober
288 Friedrich der Große.
im Kreife beiterer geiftreicher Genoffen ſich fröhlich unterhalten Tonnte.
Aber dann erſcholl mitten im Iuftigen oder gelehrten Geſpräch plötzlich
der weithinfchallende Tritt des „Alten“. Da hieß es sauve qui peut,
die Freunde flüchteten, die Bücher und Muftfalien, vor allem der bro-
katene Schlafrod flogen bei Seite, der Prinz warf ſich in die Uniform.
Doch nicht leicht entging dem jcharfen Blick des ftrengen Vaters, daß
man fi) hier wieder auf franzöſiſch unterhalten, und die kurze Freude
wurde hart gebüßt. Wenn ſchon fo harmloje Erluftigungen Rügen und
Strafen nad) fid) zogen, wie groß war erſt ber Zorn des Vaters, wenn
er die Ausfchmweifungen feines Fri erfuhr! Er prügelte auf den Sohn
108, wo er ihn ſah. Am fchlimmften wurde e8, als dieſer in der Heirats-
frage dem Willen bes Vaters entgegenarbeitete. Grumblows und Seden-
dorfs Aufheßereien goffen dabei immer l ins Feuer. Der König wurde
halb verrücdt vor Wut. Täglich erneute er die ftürmifchten Auftritte.
Der Kronprinz und feine Schwefter, obwohl num ſchon beide erwachſen,
wurben mit den ärgften förperlichen Mißhandlungen, die Königin mit
den kränkendſten Drohworten überhäuft. Einft, als Friedrich eines Mor-
gend in das Zimmer feines Vaters trat, faßte ihn diefer bei ben Haren,
warf ihm zu Boden und bieb auf ihn mit dem Stode fo lange ein, bis
er fi mübe geprügelt; ein ander Mal hätte er ihn ohne das Herbeis
fpringen eines Kammerdieners erwürgt. Auch vor Fremden flug er
ihn und höhnte dabei: „Wenn mein Vater mic) jo behandelt hätte, ich
wäre taufendmal für eins entflohen, aber Du haft fein Herz und bift
nur ein Poltron.”
Der Gemißhandelte griff endlich) zu dem verzweifelten Mittel, auf
welches ihn der Spott feines Vaters verwies. Als er auf einer Reife
mit dem Könige in die Nähe der franzöfiichen Grenze fam, es war im
Dorfe Steinfurt auf dem Wege von Heilbronn nach Heidelberg am
4. Auguft 1730*), ließ er durch einen ihm ergebenen Pagen heimlich
Pferde herbeifchaffen, um nad) Frankreich, und von dort nad) England
zu feinem Oheim zu flüchten, wohin zu gleicher Zeit fein Freund,
Leutnant v. Katte, von Berlin abreifen follte. Aber feine Umgebung
nötigte ihn zu bleiben und entbedte feine Abficht bem Könige. Bald
darauf (am 7. Auguft in Frankfurt a. M.) erhielt diefer burc aufge
fangene Briefe des Kronprinzen den unmiberleglichen Beweis der beabfid;
tigten Flucht. Nun kannte fein Zorn keine Grenzen. Er fiel über den
Prinzen ber und ftieß ihm mit dem Stock das Gefiht blutig. „Nie hat
das Geſicht eines brandenburgifchen Prinzen ſolche Schmach erlitten“,
rief der Gemißhandelte, ohne doch zu wanken. Auf Bitten der Begleiter
*) Dab die Kataftrophe am vierten erfolgt ift, weift Carlyle nad), hist. of Friedr. IE.
of Prussia, London 1858. Vol. II. 245.
Im Gefängnis. 289
mäßigte ſich der König endlich fo weit, daß er einwilligte, den Kron-
pringen während ber Rückreiſe nicht mehr jehen zu‘ wollen. Doch ſchon
am 12., als fie in Weſel anlangten, ließ er den Sohn vor fid) bringen
und fragte ihn: warum er habe befertiren wollen. Friedrich antwortete
entihloffen: „weil Sie mid) nicht wie Ihren Sohn, fondern wie einen
nieberträchtigen Sklaven behandelt haben.“ „Du bift alfo nichts als
ein feiger Dejerteur ohne Ehre", fagte der König. „Ich habe fo viel
Ehre als Sie”, erwiederte der Prinz, „und nur das geihan, was Sie
mir hundertmal gejagt haben, Sie würden es in meiner Stelle thun.“
Die trefiende Sprache der Wahrheit reizte den König fo, daß er wütend
den Degen zog, um feinen Gohn zu durchbohren. Der General
von der Mojel deckte mit feinem Leibe den Bedrohten und brachte den
König zur Befinnung. Der Gefangene wurde wieder abgeführt und
nad) der Ankunft in Berlin kriegsrechtlich verhört. Er benahm ſich auch
hier mit größter Seftigfeit und Unerfchrodenheit. An feinem Leben lag
ihm nichts mehr; er beflagte nur, daß andere, namentlid) der in Berlin
ergriffene Katte, feinetwegen leiben mußten. Alle, die es mit ihm ge-
halten, felbft in ganz unfchuldigen Dingen, wurden mehr oder minder
hart beftraft; er felbft als Deferteur auf die Feftung Küftrin geſchickt.
Hier jaß er feit dem 4. September in ftrenger Haft. ine zeitlang
dachte der Vater fogar allen Ernftes daran, ihn nad) der Strenge bes
Kriegsrechtes als fahnenflüchtigen Offizier hinrichten zu laſſen; er beftellte
über ihn ein Kriegsgericht, welches am 28. Oktober 1730 zu Köpenid
Sigung hielt. Aber die Offiziere, die es bildeten, erflärten fich zu einem
Erkenntnis über den Kronpringen nicht für befugt, zulegt riß ber Feld⸗
marſchall non Bubdenbrod feine Weite auf und rief: „Wenn Euer
Majeftät Blut verlangen, jo nehmen Sie meins! Jenes befommen Sie
nicht, fo lange ich noch ſprechen kann.“ Dies und die Fürſprache der
andern Generale, auch der fremden Mächte, endlich die nie erloſchene
väterliche Liebe beftimmten den König zur Milde. Gr ließ Gnade vor
Recht ergehen und begnügte fi) mit Gefängnisftrafe Doch hatte
Friedrich noch den bittern Schmerz, daß fein Freund für ihn fterben
mußte. Am 6. Rovember wurde der unglücliche Katte, der fich indes
edel und chriſtlich ergeben zeigte, als Deferteur und Verſchwörer zu
Küftrin enthauptet. Dergebens hatte der Prinz geforbert, man möge
mit der Erehition inne halten und durch eine Staffette dem Könige
melden, daß er, der Kronprinz, bem Tode ober der Thronentjagung ober
dem ewigen Gefängnis fid) unterwerfen wolle, wenn ber Freund ver-,
ſchont bleibe.”) Kattes Haupt fiel; ein Blutopfer mußte der König
haben.
*) Ranfe, Reun Bucher preubtfher Geſchichte I. 318.
Bierfon, preuß. Geſchichte. L 19
290 Friedrich der Grobe.
Diefer Schlag erfchütterte Friedrichs Herz in allen feinen Tiefen;
mit eiferner Fauſt griff ihn das Schickſal an und lehrte ihn, feine
unüberwindlichen Notwendigkeiten anzuerkennen; der Ernft des Lebens
ſenkte fi) in das junge Gemüt des Prinzen. Er unterwarf fi) dem
Willen des Vaters, bereute feinen Anteil an der Schuld ihres Zer—
würfnifjes und richtete fortan feinen Blick nicht nur auf das Schöne
und Angenehme, fondern aud) auf das Nüpliche und Nötige des Lebens.
Nach einigen Wochen durfte er das Gefängnis verlaffen, mußte aber unter
ftrenger Aufficht in ber Stadt Küftrin bleiben und in die dortige Kriegs—
und Domänenfammer als Auskultator eintreten (20. November). Hier
arbeitete er nun regelmäßig und fleißig mit, erhielt von den Räten
Unterricht in Finanz⸗, Handels, Gewerbe- und Bolizeifachen, in der
Landwirtihaft und Domänenverwaltung und eignete fi) einen Schatz
von Kenntniffen in allen wichtigen Verwaltungszweigen an. Mit dem
Verſtändnis ftellte fich rafch auch der Sinn für die Arbeit ein, und man
bemerkte bald, wie er für bie Staatswiſſenſchaften nicht bloß Eifer,
fondern auch ganz ungemeines Talent hatte. Faſt noch mehr erfreute
e8 den König, als man ihm berichtete, der Prinz laffe jetzt auch in re—
ligiöſen Dingen mit fi) reden und gebe feinen Glauben an die unbe-
dingte Gnadenwahl auf; denn diefe Lehre, nad) welcher der Menſch für
feine Handlungen nicht verantwortlich, fei, war dem gefunden Verftande
Friedrich Wilhelms von jeher am verhaßteften. Er entichloß fi mun,
den Sohn wiederzufehen. Am 15. Auguft 1731 beſuchte er ihm in
Küftrin, ftellte ihm mit väterlicher Wärme noch einmal fein Unrecht vor
und fragte ihn, warum er doch einen Water anfeinde, der nur für ihn
arbeite und damit nicht einmal feine Freundſchaft erwerben fünne. Da
ſchmolz die eherne Rinde um des Sohnes Herz, er empfand, daß ihn
der König wirklich liebe, und warf fi ihm mit aufrichtigen Thränen
zu Füßen. Auch der Vater war gerührt; er milderte die Haft bes
Bringen, ber ſeitdem die nächften Amter um Küftrin bereifen durfte, doch
in feiner Lebensweiſe an genaue und läftige Vorfchriften gebunden blieb.
Der Vater wollte ihn gründlid, zur Ordnung, Nüchternheit und Arbeit-
famteit erziehen.
Wenn nun aud) des Prinzen Geift viel zu energijch war, um ſich
wirklich ganz nad) den Abficdyten des Vaters zu formen, wenn er aud)
auf defien Lieblings- Ideen teilweife nur zum Schein einging, fo war
doch die Schule, die er in Küftrin durchmachen mußte, für ihn von
. großem und heilfamem Erfolge. Seine frühere einfeitige Richtung wurde
gründlich gebrochen; er befam Geſchmack am Verwaltungswefen, an mili-
täriſchen Dingen, an der gejamten Politik. Der Umgang mit würdigen
und tüchtigen Männern, die ihn rüdfichtsvoll, aber ohne Schmeichelei
behandelten, wirkte ebenfals ſehr vorteilhaft. Er wurde befonmener,
Seine Heirat. 291
tälter, überhaupt männlicher. Andererſeits bildete ſich nun freilich auch
eine gewiſſe Härte des Gemüts immer mehr in ihm aus, zu welcher die
tyrannifche Zucht des Waters frühzeitig den Grund gelegt hatte.
Es war natürlich, daß der Zwang, die Eingeſchränktheit des Tüftriner
Lebens dem jungen Prinzen jehr mißfallen mußte; er fehnte fi) nad)
freierer Bewegung, nad) ben gefelligen und geiftigen Genüſſen der Haupt-
ftadt, fo knapp dieſe auch unter Friedrich Wilhelms Regiment bemefien
waren. Nun entging e8 ihm nicht, daß er eine angenehmere Geftaltung
feiner Verhältnifje doch nur durch den Vater erreichen könne; er beſchloß
daher, defien Gunft durch ein großes Opfer zu erfaufen. Gr willigte
ein, ihm die Wahl feiner Braut ganz zu überlaffen, nur möge fie weder
häßlich nod) dumm fein. Der König, über dieſe Nachgiebigkeit hoch er-
freut, ſchlug ihm die Pringeffin Elifabeth von Braunfchweig, die damals
fiebzehn Jahre alt war, vor. Der Prinz war e8 zufrieden und durfte
nun (im Yebruar 1732) Küftrin verlaffen. Am 10. März gefhah zu
Berlin die Verlobung. Dafür nahm ihn ber König wieder ganz zu
Gnaden auf, führte ihn als Rat in das Generaldireftorium ein und gab
ihm feinen Dffiziersrang zurüd. Am 12. Juni 1733 erfolgte zu Salz
dalım die Trauung, und Friedrich, führte mın einen eigenen Hofhalt —
anfangs in Berlin, fpäter (feit 1736) auf dem ihm vom Könige gefchentten
Gute Rheinsberg in der Nähe feines Garnifonsortes Neu-Ruppin. Ein
rechtes Eheglüc konnte zwar aus dieſer Heirat nicht erblühen, zumal fie
auch mit Nachkommen nicht gefegnet war. Friedrich hat die Gemahlin, Die
man ihm aufzwang, nie recht geliebt. Sie befaß weder jo viel Schönheit
noch fo viel Geift, um ihn zu fefleln, aber verftändig, tugendhaft, gebildet
und gutmätig wie fie war, gewann fie bald feine Hochachtung. Er geftand
fpäter einem feiner Vertrauten: „Ich müßte ber verächtlichfte Menſch von
der Welt fein, wenn ich fie nicht wahrhaft achten follte; denn fie ift fehr
ſanft, höchſt gelehrig und über die Maßen gefällig, indem fie jedem meiner
Wünſche zuvorzutommen fucht.“ Übrigens war er ihr immerhin mehr zu-
gethan, als er es andern zu fagen für gut fand; auch führte er mit ihr
wenigftens in ben erften zehn Jahren eine wirkliche Ehe.
Zu Rheinsberg, entrüct ber läftigen Nähe des Königs, Iebte er der
ſchönſten Muße, fand fein höchſtes Glück in den edlen Freuden, welche die
Freundſchaft, die Wiffenihaft und die Kunft gewähren. Er umgab fid)
bier mit liebenswürbigen und geiftreichen Männern, gleichgefinnten Seelen,
welche die innigfte Zuneigung mit ihm verband. Der feingebildete Keyjer-
lingk, der ritterliche Fouque, Jordan, der durch Humor, Knobelsdorf, der
durch Kunftfinn erfreute, auch ältere Männer von Geift und Bildung,
Offiziere oder Gelehrte, waren die Genofjen dieſes auserwählten Kreijes.
Es fehlte nicht an finnlichem Vergnügen, aber der geiftige Genuß war der
geſuchteſte. Denn ein ibenler Sinn beherrichte dieſen Verkehr. Poeſie
19%
[4
292 Friedrich der Große.
Muſik und Philofophie waren Friedrich liebfte Erholungen; um ihret=
willen feßte er fid) auch mit berühmten Gelehrten und Dichtern des Aus—
landes in Verbindung, unterhielt mit diefen einen regen und vertrauten
Briefwechſel; denn jeber geiftreiche Denfer war fein Freund. Doc, mehr
als die Menſchen Iehrten ihn die Bücher und fein eigenes Nachdenken.
Mit unerfättlichem Wiffensdurft forſchte er dem höchſten Problemen ber
Menſchheit nach: dem Weſen der Seele und Gottes, dem Verhältnis des
menſchlichen Willens zum Schidfal. Die wichtigften Tragen des Glau—
bens und Wiſſens traten an feine Seele. Er fuchte fie zu Iöfen, indem
er der Leibniz. Wolffifchen Philofophie, die Damals Deutfchland beherrichte,
ihre beiten Gedanken entlehnte; er bildete fi fo eine Miſchung von
Philoſophie und Religion, die ihn beruhigte. „Es genügt mir“, ſchrieb
er 1736 an einen Freund, „daß ich von der Unfterblichfeit meiner Seele
überzeugt bin; daß idy an Gott und an den glaube, welcher gefandt
ward die Welt zu erleuchten und zu erlöfen; daß ich beftrebt bin, mich
nad) Kräften tugendhaft zu machen; daß id) dem Schöpfer die Anbetung
widme, welche das Geſchöpf ihm fehuldig ift, und gegen meine Neben-
menſchen die Pflichten eines guten Bürgers erfülle, nicht als Tönnte ich
mir den Himmel mit meinen Werfen verdienen, fondern in der Über-
zeugung, daß Gott ein Weſen nicht ewig unglücklich machen kann, das
ihm dankbar ift, weil er ihm fein Dafein gegeben."
In diefer Stimmung wandte er fid) der Richtung zu, die damals
jeder freifinnige Kopf nahm. Es galt, aus dem ftarren Formelweien der
herrſchenden Rechtgläubigkeit heraus und zu einer Weltanfchauung zur
tommen, bie vor der reinen Vernunft beftehen konnte. So entbrannte
ein erbitterter Kampf ber natürlichen freien Denkkraft gegen den blinden
Autoritätsglauben. Er begann in England. Hier traten am Anfange
des achtzehnten Jahrhunderts Philofophen auf, die als Prüfftein ber
Wahrheit einer jeden Lehre einzig die mit Erfahrung ausgerüftete Ver—
nunft anerkannten und für zweifelhaft oder falfch hielten, was von diefer
nicht bewieſen werben konnte. Sie forberten daher in religiöfen Dingen
allgemeine Duldung und Vernunftmäßigfeit des Glaubens; in politifchen
verwarfen fie die theologifche Lehre von der Göttlichfeit der unumfchränkten
Monarchie und lehrten das natürliche Recht der menjchlichen Freiheit.
Keiner unter diefen englifchen Skeptikern ging dabei mit jo vieler Wiflen-
ſchaftlichteit zu Werke, als John Lode; doch drang auch feine Wirkſam⸗
feit vorerft nicht über ben Kreis ber gelehrten Welt hinaus. Da war
es nun von den größten Folgen, daß ber bedeutendfte Schriftfteller Frank⸗
reichs, Voltaire, ſich die Lehre Lockes aneignete und es zu feiner Lebens»
aufgabe machte, fie in ber Welt zu verbreiten. Denn die ganze höhere
Geſellſchaft von Europa lebte und webte in der franzöfiichen Literatur,
und Voltaire war ein Meifter des Stils, anmutig und elegant, von
In Rfeinsberg. 293
blendendem Witze und unvergleichliher Gewandtheit. Mit der ſcharfen
Lauge des Spottes übergoß er die unduldfame und fteife Rechtgläubig-
teit, deckte ſchonungslos alle Vorurteile und Mißbräuche in Staat und
Kirche auf, und da er von dem edlen Kerne auch des damaligen Chri—
ftentums feine Ahnung hatte, wie er denn überhaupt zwar ein ſehr
glängender, aber feichter Denker war, fo griff er ohne Unterſchied Die
würdigen und die nichtsnußigen Erſcheinungen des damaligen Kirchen-
wejens an; er verwarf alles Religiöfe als Aberglauben. Indeſſen zu-
nãchſt waren es doc) wirkliche Übel, die er angriff: die Verfolgungsfucht
und Anmaßung der Priefter, welche alle Wahrheit gepachtet zu haben
vermeinten, die übermütige Willkür und Unfittlichfeit der Höfe. Eben
diefe Mißftände empörten den jungen Philofophen von Rheinsberg. Um
fo lieber begrüßte er den berühmten franzöfifchen Schriftfteller als Geiftes-
verwandten, befien Meifterfchaft im ſprachlichen Ausdruck und defien fun=
telnden Wit er Tängft bewundert hatte. Seit Auguft 1736 führte er mit
ihm einen Briefwechſel, einen geiftigen Verkehr, der nicht ohne Einfluß
auf Friedrichs religiöfe Überzeugung blieb. Zwar der bobenloje Frei—
geift, wie jener Franzoſe, wurde er nie; er bewahrte fi) vielmehr ein
jelbftändiges Urteil, und feine deutſche Vernunft ftand dem Glauben an
ein göttliches Dafein und an die Unfterblichleit der Seele mit Ernft und
Kraft bei; aber er verlor immer mehr ben Sinn für das Unterjcheidende
in ben Religionen der Erde. Er jah wie Sofrates ein, daß alle menjc-
liche Weisheit in den oberften Fragen der Erkenntnis ung im Stiche lafle;
und da er nicht glauben, fonbern wiflen wollte, fo fam er über den
Zweifel nicht hinaus. Die Nutzanwendung aber, die er zog, war in
hohem Grade verftändig: er vermarf jede Art von Religionsverfolgung,
er forderte für die andern wie für ſich felbft unbedingte Glaubens» und
Gewifiensfreiheit. So wurde er bei aller Unkirchlichkeit ein Verfechter
dieſes wichtigen proteftantifchen Prinzips, das felbft in feiner Heimat, in
Deutſchland, fo tief darniederlag. Er ließ fi) aud) in den Freimaurer
Orden aufnehmen; es geſchah 1738 insgeheim zu Braunſchweig. Da er
aber die erwarteten bedeutenden Aufſchlüſſe über die Myfterien von Gott
und Welt hier nicht fand, fo zog er ſich bald wieber zurück, hat auch
die Loge, bie er als König 1740 zu Berlin gründen ließ („zu ben drei
Weltkugein“, eröffnet am 13. September) niemals jelbft betreten.
Auch in den ftaatlihen Verhältnifien wollte und fuchte er die Wahr-
heit, und die Anfichten, die er aus dem Studium der Geſchichte und aus
eigenem Nachdenken von der menſchlichen Gejellihaft gewann, legte er
in Schriften nieder, welche ein Denkmal feines treuen Strebens wie feiner
eblen Gefinnung find. Zeigte er ſchon in feiner Abhandlung: „Über den
gegenwärtigen Zuftand von Europa” (1738) eine ſcharfe Erfenntnis der
politifchen Weltlage, jo war fein „Antimacchiavell“ (gebrudt 1739, ver-
294 Friedrich der Große.
öffentlicht 1741) auch für die Völker ein Ereignis. In diefer Schrift
fuchte er den Mackhiavelli, den er für einen Fürftenfchmeichler hielt, zu
widerlegen und predigte über Pflicht und Recht der Fürften die freifin-
nigften Grundfäge. Es war etwas ganz Neues, daß ein Kronprinz im
die Ohren der Tyrannen die Stimme der Menſchlichkeit rief, die den
Mißbrauch verdammte, den fie mit ihrer Gewalt trieben. Die fredhe
Vergeudung der Staatsmittel; die geiftlichen und weltlichen Bedrückungen
des Volles; die Niederträchtigfeit des Menfchenhandels, durch den fo
viele deutfche Fürſten fich fehändeten, indem fie ihre Soldaten für Gelb
dem Auslande verkauften; alle dieſe Schäben des damaligen Staatslebens
geißelte er hier mit ebenfoviel Witz und Ernft, wie fonft die Pedanterie
und Verfolgungsfucht der Gelehrten und Priefter. Er zeigte: „Der Fürft
ift nicht der Herr, er ift der Diener des Volks, er verdankt feine Macht
urſprünglich mit Recht nur der Volkswahl. Sein höchftes Interefie muß
das Wohl der Unterthanen fein. Kein Menſch hat das Recht, ſich
eine unbefhränfte Herrfdhaft über feine Mitmenfhen anzu—
maßen, vermöge deren er über ihr Leben und ihre Güter ver-
fügen und fie unglüdlid) madhen fann, wenn es ihm beliebt.
Die Gefellihaften find nicht dazu gebildet, um der Wut eines Schänd-
lichen oder dem Intereſſe eines Ehrgeizigen zu dienen. Nur bie Tyrannei
der Regierungen bringt die Völker zut Empörung.“
Während Friedrich ſich fo mit dem Geiſte edler Aufklärung durch-
drang, war er zugleich bemüht, fich die Formen und Fertigkeiten anzu—
eignen, die zur Regierungsfunft gehören; er verfäumte über ben theore-
tiſchen nicht die praktiſchen Übungen. Wenn er zu feiner Erholung
Verſe dichtete oder mit feinen Freunden eine ſchöne Gefelligfeit übte,
wenn er zu feiner Belehrung Geſchichte und Philoſophie, Kriegskunft und
Politik ftudirte, fo arbeitete er doch auch fehr emfig als Verwalter feiner
Domäne und als Oberft feines Regiments. Er mußte es fehon um
feines Vaters willen, deſſen Argwohn noch keineswegs ganz bejeitigt war.
Doch gelang es ihm, den König durd) den Fleiß und die Gefchictichkeit,
die er in den militärifchen und Verwaltungsfachen zeigte, zufrieben zu
ftellen. Das Verhältnis zwiſchen Vater und Sohn wurde zuleßt fogar
ein recht inniges; fie lernten ſich beide [häpen und hatten fih im Grunde
immer geliebt.
Im Frühling 1740 endete dies vheinsberger Leben, das dem jungen
Fürften mit ſolcher Glückſeligkeit nie wieberfehrte, der Tod des Vaters
berief ihn auf den Thron, für den er ſich in der Stille jenes reizenden
Hofhalts fo würbig vorbereitet hatte.
295
Sriedrichs Chronbefteigung und erfie Begierungshandlungen.
Dienftag am 31. Mai 1740 war e8, daß die große Königsfonne in
Preußen aufging, die alle Geftirne des Jahrhunderts überftrahlen follte.
Wird fie mit mildem, Harem Lichte ein Zeitalter der Menfchenfreunde
und ber Philoſophie heraufführen? fprießt an ihrem Lächeln ein Leben
auf vol Luft und Pracht? Leicht und heiter ſchien den meiften die Zu-
funft; wie flogen dem neuen Könige die Herzen entgegen, in Erinnerung
an die Leiden feiner zarten Jugend und an die rauhe Zucht, die alle
gebrüdt hatte! Und nun ftatt des alten Brummmbären von Vater der
liebenswürdige Sohn auf dem Throne. Schon fein Außeres ſprach jeden
freundlich an; feine nicht hohe), doch anmutige Geftalt mit der breiten,
erhabenen Bruft, fein jchönes, freies, ausbrudsvolles Antlig mit den
ftrahlenden dunfelblauen Augen. Aber bligten fie nur von dem Feuer
der Jugend, die erft 28 Jahre zählte, oder funkelte nicht noch etwas
anderes, höheres darin, das niemand zu deuten wußte?
AS er von dem Zobbette feines Waters kam, erjchien vor ihm der
alte Fürft von Defjau, umfing mit Thränen feine Kniee und ſprach fein
Beileid, aber audy feine Erwartung aus, daß ihm und feinen Söhnen
ihre Stellen und ihm jelbft die Autorität, die er bei dem verftorbenen
Könige gehabt, verbleiben würden. Friedrich drängte feine ſchmerzlichen
Gefühle zurüd; er fagte dem Fürften die Beftätigung der Stellen zu;
aber von des Fürften Autorität fei ihm nichts befannt. „Nachdem id)
König bin”, feßte er Hinzu, „denke ich auch das Amt eines ſolchen zu
verwalten und ber einzige zu fein, der Autorität befigt." Er fühlte fic)
als König; er ift es ganz umd völlig geweſen vom erften bis zum legten
Augenblic feiner Regierung.
Noch an demfelben Tage begab er ſich nad; Berlin, wo ihn das
Volt mit lautem Jubel empfing; er übernachtete im Schloß. Mit welchen
Empfindungen erwadjte er am Morgen, geweckt von dem Lebehoch eines
Regiments (es war das Glaſenapp'ſche), das ihm unter den Fenſtern des
Schloſſes den Eid der Treue ſchwur! Darauf erfchienen die Generale;
er empfing fie mit der Würde eines Kriegsherrn, der zugleich König ift.
„Sie werden", ſprach er, „in mir einen Herm finden, ber die Armee
nicht weniger liebt und pflegt, als der verftorbene König. Aber an zwei
Dinge will id) Sie erinnern: das eine, die Truppen müflen ebenſowohl
brauchbar fein als ſchön, und das zweite: fie dürfen dem Lande nicht
verderblich werden, das fie beſchützen follen. Gegen einige von Ihnen
liegen Klagen über Härte, Habfucht und Übermut vor; ftellen Sie die-
*) Griedrih II. maß 5 Fuß 5 Boll.
2% Friedrichs Thronbeſteigung und erfte Regierungshandlungen.
ſelben ab! Ein guter Soldat muß ebenſowohl menſchlich und vernünftig
ſein als herzhaft und brav.“ Dann zu den Miniſtern: „Ich denke, daß
das Intereſſe des Landes auch mein eigenes iſt, daß ich fein Intereſſe
haben kann, welches nicht zugleich das des Landes wäre. Sollten fi
beide nicht mit einander vertragen, fo ſoll allemal der Vorteil des Landes
den Vorzug haben." Diefe Sprache eines abfoluten Königs war in Europa
unerhört, und Friedrich II. meinte fie ernft genug. Gleich feine erften
Handlungen waren Maßregeln einer menſchlichen und edlen Gefinnung.
Die grimmige Kälte des vergangenen Winters und das darauf folgende
ſchlechte Frühlingswetter ftellten eine Hungersnot in Ausfiht; ſchon jetzt
war das Getreide teuer und überall knapp. Da öffnete num Friedrich
die königlichen Kormmagazine und ließ allen Dürftigen Getreide zu ge—
ringen Preifen verfaufen, forgte auch durch dauernde Anftalten für die
Unterftügung der Armen. Eine Reihe von Kabinetsbefehlen richtete ſich
fodann gegen die gewaltfame Willkür, gegen das einfeitig Durchgreifende
des bisherigen Regiments. Schon am 3. Juni hob er auf Antrag des
Zuftizminifters Coccejt die Anwendung der Folter ganz und für immer
auf und tilgte fo diefen Schandfleck der damaligen Rechtspflege; nur
ſehr langſam folgte das übrige Deutjchland feinem Beifpiele nad. An
demfelben Tage befeitigte er noch die beftehenden Ehebeſchränkungen,
indem er es jedem freiftellte, in allen nicht in der heiligen Schrift
ausdrücklich verbotenen Fällen fi) ohne Koften und Dispenfationen zu
verheiraten. Am 4. Juni verbot er den Offizieren die gewohnten Bru-
talitäten gegen die Gemeinen und gegen den Bivilftand; ebenjo die ge-
waltfamen Werbungen. Die Laft, welche die königliche Zägerei dem
Lande aufgebürdet, nahm er ab; er verachtete die Jagd als ein rohes
Vergnügen und flug den Schaden, ben der Landmann burd) fie litt,
zu hoch an, um micht gegen ihre Übel einzufchreiten. Cin anderer
Kabinetsbefehl (vom 31. Juli) richtete fi) gegen die Grauſamkeit ge—
wifjer Gerihtsftrafen: jo fchaffte er die Barbarei ab, daß Kindesmörbe-
rinmen — meift unglüdliche verführte Mädchen — einen Sad nähen
mußten, in welchem fie dan erfäuft wurden; er führte ftatt des „Südens“
die Enthauptung ein.
Hebung der Gittlichfeit erwartete er hauptfächlich von den Mächten
der Aufklärung. Um jo mehr hatte er fi) immer in feines Waters
Seele gefhämt, daß die Wiſſenſchaften in Preußen fo ungünftig behan-
delt wurden. Es war eine feiner erften Sorgen hier zu befiem. Er
gab auf der Stelle der Afademie die ihr entzogenen Einkünfte zurück
und bewog den vertriebenen Philofophen Wolff, wieber fein Lehramt in
Halle anzunehmen. Zugleich erging eine ſchmeichelhafte Einladung ar
den berühmten franzöfifchen Gelehrten Maupertuis, die berliner Afademie
der Wiſſenſchaften neu zu geftalten, die denn aud) im Sinne der Aufs
Aufklärung. 297
Märung raſch mit bedeutenden Gelehrten des Auslands beſetzt wurde.
Aber was das meijte, ja ein umgeheures Auffehen in ber Welt machte,
war der Bejcheid, den Friedrich II. (am 22. Juni 1740) auf eine An-
frage des geiftlichen Minifteriums erteilte. Er befahl: „Die Religionen
müſſen alle tolerirt werden und muß die Regierung nur das Auge darauf
haben, daß feine der andern Abbruch thue. In meinen Staaten
kann ein jeder nad) feiner Fagon felig werden.“ Die ganze
Welt erftaunte über dies Königswort; ein folder Grundſatz allgemeinfter
Duldung war bisher nod) von feinem großen Throne verkündet worden.
Ein gewaltiger Beifallsfturm aller Aufgeflärten, einer noch Heinen, Doc)
mächtig aufftrebenden Partei, erhob fich; fie fahen einen der Ihrigen auf
einem Königsthrone. Der große Haufe der Finfterlinge aber, der ge—
krönten wie ber ungekrönten, erſchauderte. Auch Preßfreiheit geftattete er
und. munterte felber den berliner Buchhändler Haude zur Herausgabe
einer literariſch⸗politiſchen Zeitung auf; fie erjchien bereit8 im Juni 1740,
unter dem Titel „Nachrichten von Staats» und gelehrten Sachen". In—
defien das Publitum war für dergleichen noch nicht reif; es fehlte im
Volke durchaus an politifher Bildung; das Beitungsweien gedieh nicht.
Übrigens handhabte Friedrich auch fpäter Feine eigentliche Zenfur; bis an
fein Lebensende verfaufte man in Berlin ungehindert die efelhafteften
Spottſchriften auf ihn, ohne daß er fi) darum kümmerte. Wenn er ab
und zu fi) einmifchte und einmal ein Buch wegnehmen und vemichten
tieß, fo geſchah es jedesmal aus rein jadjlichen Gründen. Er war per-
ſönlich durchaus gleichgiltig gegen ſolche Prefvergehumgen umb ließ die
Schreiber wie die Schreier gewähren.
Eine großartige Sachlichkeit, das war überhaupt vom erften Augen-
blicke an der deutlichfte Charakterzug des neuen Königs. Das erfuhren
alsbald die Freunde und die Feinde des gewejenen Kronprinzen. Jene
umbdrängten ihn in der Hoffnung auf ein Reich der Günftlinge. Sie
wurden bitter enttäufcht; er zeigte fi) Targ im Belohnen, im Erhöhen.
Der Nuben des Staates galt ihm mehr als perſönliche Rüdfiht; nur
Würdigfeit Fam in Anfchlag. Doch freilich zeigte ſich Hier der Fürft in
ihm von einer vorteilhafteren Seite als der Menſch. Nicht mit Unrecht
Hagten manche, daß er undanfbar ſei. Denn nicht allen, die um ihn
ſchwer gelitten, wie der Familie v. Katte, bewies er fi nun erfenntlich.
Mehr that er für feine Angehörigen. Er erleichterte ihr Privatleben
umd zeichnete fie aus, wie es anftändig war für ihn und fie. So erteilte
er (1744) dem älteften feiner Brüder, dem Prinzen Auguft Wilhelm,
als präfumtivem Ihronfolger, den Titel „Prinz von Preußen“ und über-
wies einem jüngeren Bruder, dem Prinzen Heinrich, das Schloß Rheins⸗
berg. Die Königin-Mutter — ebenfalls ein Titel, den er in Preußen
einführte — erhielt die Mittel, in Monbijon ein angenehmes Leben zu
298 Friedrichs Thronbeſteigung und erfte Regierungshanbtungen.
führen und hat ſich immer ſeiner Liebe und Dankbarkeit erfreut. So be—
gegnete er auch ſeiner Frau mit höchſter Achtung und auch mit einiger
Zuneigung; erſt ſeit 1743 oder 1744 wurde ihr Verhältnis ein rein for⸗
males, weil der phyſiſche Zweck der Ehe für ihn nicht mehr erreichbar
war; als Königin hielt er fie immer. Einen politifhen Einfluß aber
räumte er weder feiner Familie noch feinen Vertrauten ein.
Die Befürchtungen derer, die dem Kronprinzen geſchadet, erfüllten
fi) noch weniger als die Hoffnungen feiner Genofien. Die Haupt-
ſchuldigen, Sedendorf und Grumbkow, waren bereit? vom Schauplag
abgetreten; jener hatte 1735 Berlin für immer verlafien; er faß num im
‚der Feftung Graz, in die ihn fein Kaifer für einen ſchlecht geführten
Türkenkrieg geſchickt; Grumbkow war tot. Die anderen behielten, wenn
ſie nur fonft Verdienfte Hatten, ihre Stellen und Ämter, wie wenn nichts
vorgefallen wäre.
Überhaupt irrten ſich Diejenigen, welche gemeint, nun werde alles
ganz anders werden. Nur die Mängel und die lÜbertreibungen der
früheren Staatsverwaltung wurden befeitigt; die gefunden und tücjtigen
Elemente, welche in ihr bei weitem das Übergewicht hatten, blieben un⸗
angetaftet. Es erfolgte hier fein Syſtemwechſel. Sparfamteit blieb an
der Tagesordnung, das Finanzweſen in der gewohnten Regelmäßigfeit;
nur daß die Sparjamfeit nirgends in Geiz ausarte, daß in der Hofe
haltımg ber Anftand und die Würde des Königtums, in dem Staats-
weſen die geiftigen Intereſſen beffer gewahrt würben, biefe berechtigte
Forderung bildete im Grunde den einzigen Unterfchied zwiſchen der neuen
und der alten Weife. Ebenſowenig rüttelte Friedrich an der ſtärkſten
Säule des Staates, an bem Heere. Vielmehr verftärkte er e8 noch, er
richtete neue Regimenter, wodurd in wenigen Monaten ein Zuwachs
von 16000 Mann erzielt warb; die Toftfpielige und unnüße Riefengarde
dagegen ſchaffte er ab; die 3000 langen Kerle, die das potsbamer Leib-
regiment gebildet, wurden teils entlafjen, teils in andere Regimenter ein-
geftellt. Auch das Beamtentum erfuhr feine wefentlichen Veränderungen,
und der neue König fah ebenſo eifrig nach allem felbft, wie der alte.
Er beharrte im Mittelpunkt der Geichäfte als Selbftherricher, und er
zeigte gleich nachdem er die Regierung übernommen, jene unglaubliche
Arbeitskraft, die nicht vor und nicht nach ihm von irgend einem
andern Fürften erreicht worden ift. Durch fie nicht weniger wie durch
fein Genie wurde Friedrich II. im eigentlichften Sinne des Worts die
Seele des Staates.
Soviel jah man nun ſchon, Veränderungen wollte er nicht vor-
nehmen, wenn fie nicht wirkliche Derbefferungen waren. Mit folden
war er aber rajch genug bei der Hand. Für die große Mafle des Volles
wurde ſchon jegt, bejonders in zwei Punkten, viel Gutes gethan. Erftens:
Lebensweiſe. 299
die vielen willkürlichen Eingriffe in den Gang der Rechtspflege hörten
auf; Friedrich ſorgte für unparteiiſche und raſche Juſtiz; aber in deren
geſetzlichen Gang mifchte er fich fonft nicht ein. Zweitens: die bisher
vernadjläffigten Zweige der Induftrie wurden in forgjame Pflege ge—
nommen; er gründete ſchon im Juni eine eigene Minifterial-Abteilung
für Gewerbe und Handelsſachen, die unter dem fehr thätigen DMinifter
v. Marſchall ftand, ımd ermunterte auf alle Weife auch die Lurus-Gewerbe.
Nehmen wir dazu, wie der neue König fofort Die Ideen des Zahr-
hunderts vom Throne verkündet: Aufllärung, allgemeine Religiong-
duldung, ſelbſt Preßfreiheit, wie er Wiflenfhaft und Kunft in ihren Rang
wieder einjeßt, jo ift Mar, daß er feine Aufgabe darin ſah, dem Staate
die alte Solidität zu erhalten, aber die Erftarrung, in die er zu ver»
fallen drohte, zu löſen und in allen Richtungen geiftige Bewegung zu
weden, zu verbreiten. Diefer Aufgabe widmete er ſich mit Leib und
Seele; er regelte feine Xebensweife ftreng nad) den großen Pflichten
feines Amtes; fein anderer Beamter ließ es ſich fo fauer werben wie
der König. Um 4 Uhr fand er auf, dann famen feine brei Schreiber
(die geheimen Kabinetsräte Eichel, Schumacher, Lautenjad) mit ihren
Berichten, bald darauf ebenfo die Minifter; kurz und bündig erteilte er
auf alles Beſcheid und arbeitete mit ihnen bis 10 Uhr, dann mufterte
er die Truppen bis Mittag, fchrieb wieder bis 5 Uhr und erholte fich
Abends in guter Gejellichaft, nicht in einem rohen Tabakskollegium,
fondern im Kreife feingebildeter Freunde wie Keyferlingt, Jordan und
der vieljeitige Algarotti; da ergößte er fi) zwanglos in geiftvollem
Geſpräch mit Laune und Wig, mit Mufit und Poeſie. Leere Feierlich-
keiten und Formeln verachtete er, wie er denn die Huldigung (zu Königs-
berg am 20. Juli, zu Berlin am 2. Auguft) ohne alles Gepränge an-
nahm. Auf der Huldigungsmedaille ließ er fogar das übliche „Won
Gottes Gnaden“ fort; nannte fid) auch auf den Münzen nicht wie feine
Vorgänger Rex Borussiae (König bes Preußenlandes), jondern Borussorum
Rex (König der Preußen). Nicht alle waren mit diefer Einfachheit zu»
frieden, wenn ſchon der Hof zu Charlottenburg — dort wohnte Friedrich
damals — nicht ohne Eleganz gehalten wurbe.
Ließ der König die Freunde auf Feine Weiſe fid) in fein Amt ein-
miſchen, fo war von einer Einwirkung der fremden Geſandten vollends
feine Rebe. „Um einen richtigen Begriff von der neuen Herrſchaft zu
geben“ (berichtet am 2. Oftober der däniſche Gejandte Prätortus aus
Berlin), „jo muß ich fagen, daß der König von Preußen ſchlechterdings
alles felbft thut, und baß, ausgenommen ben Minifter von Boden, der
Sparfameit predigt und damit umgemeinen, ja noch größeren Eingang
findet als unter der vorigen Regierung, Seine Majeftät feinen Rat von
irgend einem Minifter leiden. Ich habe viele Refolutionen und Antworten
300 Friedrichs Thronbeſteigung und erfte Regierungshandlungen.
dom Könige gefehen; fie vereinigen lakoniſchen Ausdruc und bewunbderng-
würdigen Geſchäftsblick. Unglücklicherweiſe ift nicht einer um ben König,
der fein ganzes Vertrauen hätte, und defſſen man fich bedienen Tönnte,
um mit Erfolg die nötigen Einleitungen zu machen.“ Das war freilich
für Preußen vorteilhafter als für das Ausland.
Bon Natur neigte Friedrich eher zu einem friedlichen, von Kunft
und Wiſſenſchaft durchgeiftigten Wohlleben; aber er war Fürft und wollte,
wie er felbft jagt, da er einmal fein Handwerk treiben mußte, darin
nicht? Halb thun. Ein Stüc des preußifchen Staatsweſens, wie er es
überfam, lag ganz darnieder: die auswärtige Politik. Wie viele Tehler
waren hier von Friedrich Wilhelm I. begangen, wie viele gute Gelegen-
heiten verjäumt, wie oft Preußens Gewicht ohne Nutzen für den eignen
Staat in die Schale Öfterreich8 gelegt worden, und wie wenig Achtung
Hatte in Folge defien der vorige König bei feinen Mitfürften gehabt!
Wozu waren aber alle Kräfte des jungen Staats aufs höchſte angeſpannt,
‚wenn nicht fein Anfehen, feine Macht ftiegen? Sein Interefie, fein Lebeng-
‚prinzip forderte Zuwachs an Gebiet, an Einfluß. Die Großmächte Europas
fahen mit Geringſchätzung, die andern alten Staaten mit Neid auf diefen
neuen Emporkömmling; er mußte feine Stellung ſichern, indem er fie
verftärtte, indem er größer und allen andern wahrhaft ebenbürtig wurde.
Dazu trieb Friedrich aber aud) der eigene Ehrgeiz; er wollte nirgends
und nie der Zweite fein. Reizvoll ſchlug des Ruhmes „lockender Silber
Hang“ an das Herz des jungen Königs und tönte dort mächtig wieder.
Er beſchloß, fich einen Namen in der Gefchichte und feinem Staate einen
Rang in der Welt zu erwerben.
Das eine Gute hatte die auswärtige Politik Friedrich Wilhelms
doch gehabt, daß fie feinem Nachfolger ganz freie Hand ließ. Preußen
war durch Feine Allianz nad) irgend einer Seite gebunden; es konnte
jede günftige Gelegenheit lediglich in feinem Intereſſe benutzen, und
Friedrich bewies fehr bald, daß er es verftand, raſch zu handeln. Die
Bewohner der zur oranifchen Erbſchaft gehörigen Herrichaft Herftall
verweigerten ihm, geftüßt auf den Beiftand des Bifchofs von Lüttich,
in befien Gebiet diejes Ländchen lag, die bedingungsloſe Huldigung,
weil Herftall ein Lehen von Lüttich ſei; alsbald ließ Friedrich Truppen
in das Bistum einräcen, kümmerte fi) nicht un die drohende: Ein»
ſprache des Kaifers und nötigte den Biſchof zu einem Vergleich, in
weldjem der König ihm feine an ſich wenig wertvollen Rechte auf Her=
ftall gegen eine beträchtliche Geldfumme (200 000 Thaler) überließ.
Bald darauf bot fid) ihm zu ganz anderm, zu gemaltigem Aufſchritt eine
Gelegenheit; eine von dem Gelegenheiten, welche das politiiche Ausſehen
eines Weltteils umgeftalten, wenn die Zeit einen Fürſten findet, der fo
groß ift wie fie.
301
©rfter ſchleſiſcher Krieg.
Am 26. Dftober 1740 fprengte ein Kurier in den Schloßhof zu
Rheinsberg, er brachte eine wichtige, eine ungeheure Poft. Soll man
ihn vorlafjen? der König lag fieberfranf darnieder. Aber es galt fein
langes Baudern, die Depeihe wird dem Kranken übergeben, und fie
heilt ihn beſſer als alle Medizin. Denn diefe Nachricht beruft ihm zu
wirleifrigftem- Handeln. Kaifer Karl VI. war am 20 ften geftorben. Fried⸗
rich überſah ſchnell und Hell wie der Bliß, was alles aus diefem un-
erwarteten Ereignis folgen fonnte und für ihn folgen jollte. Er ſchüttelte
die Krankheit von fi ab; alle feine Nerven waren feſt und ftraff ge—
ſpannt zu der That, die er fofort befchlofien.
Er fah voraus, daß die pragmatiiche Sanktion, für deren Anerken-
nung ber verftorbene Kaifer jo große Opfer gebracht, feiner Tochter
Maria Therefia wenig nützen werde. Der Kurfürft Karl Albert von
Baiern, Sohn einer Tochter Kaiſer Joſefs I., war von feinen gerechten
Anfprüchen auf das habsburgifche Erbe nie zurüdgetreten; e8 mußte eim
öfterreichifcher Erbfolgefrieg entftehen und Europa fi) fpalten. Frant-
rei, der alte Feind des Haufes Habsburg, würde ohne Bweifel das
feinige thun, um biefe Macht zu ftürzen, die ihm auf dem Feſtlande
allein das Gegengewicht hielt, und England war feit dem vorigen Jahre
im Kriege mit Spanien, dem engen Verbündeten Frankreichs. Es mußte
einen allgemeinen Weltlampf geben, um die Erhaltung oder Bertrümme-
rung, wenigftend um die Schwächung ber öſterreichiſchen Monarchie.
Auf welcher Seite follte Preußen ftehen? Die pragmatiihe Santtion
band es nicht; denn Karl VI. hatte felber die Bedingung gebrochen,
unter der Friedrich Wilhelm I. einft jenes Hausgeſetz gewährleiftete.
Das eigene Interefje war allein maßgebend; und diefes ftand im Gegen-
ſatz zu dem öfterreichifchen. Wie ſchnöde hatte der wiener Hof das Haus
Hohenzollern allezeit behandelt, wie eifrig deſſen Auftommen zu hindern
gefuht! In der That beide waren natürliche Nebenbuhler. Nicht als
ob Friedrich diefe zum Teil dod) immerhin deutſche Macht hätte dem
Auslande opfern mögen; er beſchloß, fich felbft auf ihre Koften zu ver⸗
größern. Die Macht dazu hatte er: ein ftarkes, fchlagfertiges Heer, einen
gefüllten Schag. Er wollte nicht umfonft Herr folder Mittel fein. Auch
an rechtlichen Anfprüchen fehlte e3 nicht. Die ſchleſiſchen Herzogtümer,
auf die der große Kurfürft gegen Schwiebus hatte verzichten müſſen,
und die feinen Nachfolgern zuftanden, weil man Schwiebus ihnen hinter-
rücks wieber entzogen hatte, dies fo wohlgelegene Land Schlefien konnte
und wollte er, ſei es ganz ober teilweife, an fid) bringen. Er mußte
&; denn erft durch eine fo anfehnliche Vergrößerung fam ber preußiiche
304 Schlefien.
fordere er Vertrauen und freundnachbarliches Betragen.“ In Wien ließ
er durch Borcke ſein Ultimatum ſtellen: „er erbiete ſich, die Länder des
Hauſes ſterreich in Deutſchland mit feiner ganzen Macht gegen jeber-
mann, der fie angreifen wollte, zu garantiren und darüber mit dem
wiener Hofe, mit Rußland und den Seemächten eine enge Allianz zu
ſchließen; er wolle feinen ganzen Einfluß für die Kaifermahl des Groß-
herzogs Franz verwenden und diefelbe gegen jedermann aufrecht erhalten;
er fei bereit, ben wiener Hofe, damit er ſich in Verteidigungszuftand
feen könne, eine Summe von zwei Millionen Gulden bar zu zahlen;
er fordere dafür die Abtretung des Herzogtums Schlefien." „Die Könie
gin wird Schlefien niemals abtreten“, war die ftolze Antwort.
Schlefien.
An der Oftfeite des Sudetengebirges und nörblid) vom mährifchen
Geſenke liegt in elliptifcher Geftalt und der Länge nad) von Südoſt nach
Nordweit von der Oder durchftrömt ein ftattliches, fruchtbares Land, uns
regelmäßig nad) Norden und Dften abgedacht, 700 Geviertmeilen im Um⸗
fang; fein „bös Land*)“, fondern reich durch die Mineralſchätze feines
Bodens im oberen, gebirgigen, durch hohen Ertrag an Korn und Flachs
im unteren, ebenen Teile. Es war zu des Tacitus Zeit von deutſchen
Stämmen bewohnt, den Duaden und Lygiern; dann, als in der Völler⸗
wanberung auch hier die alten Bewohner ganz ober teilweife nad) Süb-
weften auswanderten, drangen im fechiten Jahrhundert Slawen und zwar
Polen ein. Schlefien bildete nun lange Zeit einen Zeil des polnifchen
Reiches, welches feit 842 von Herzögen aus dem Geſchlecht des Bauern
Piaſt (am Goplofee) beherrfcht wurde. Im Jahre 965 trat Miesko I.
von Polen zum Chriftentum über und befehrte auch fein Volt. Bald
darauf erhielt Schlefien ein eigenes Bistum, zuerft zu Smogra (unweit
Namslau), feit 1062 zu Wratislaw oder Breslau. Ein Erbfolgeftreit
in dem piaftifchen Fürftenhaufe gab die Beranlafjung, daß Schleften 1163
unter Vermittelung des Kaifers Friedrich Rotbart vom polnifchen Reiche
abgetrennt und einer Geitenlinie der Piaften zuerteilt wurde. Es war
ein Fürft aus diefem Geſchlechte, der Herzog Heinrich von Niederſchlefien,
der am 9. April 1241 auf der Wahlftatt bei Liegnig gegen die Mongolen
fo ruhmreich fiel. Jedoch das größte Verdienſt, welches bie piaftifchen
®) Rad) einer alten, aber jalſchen Etzmologie Tommt das Wort Schleſien (pofniich
Ziezi) von dem polnifen zle „fhlimm“ Her. Die rictige Ableitung {ft von Eleza, dem
früßeren Namen der Heinen Lohe, eines Nebenflufles ber Oder, wo am Berge Slefle ober
Zabotha (ieft Bobten) ein altes Nationalheiligtum ber poiniſchen Benöfterung lag. Dal.
Söafarit, laniicje Alterthümer der Ugeit, Herausgegeben v. Wuttfe, II. 378.
Solefiens ältere Geſchichte. 305
Herzöge, bie nunmehr Jahrhunderte lang über Schlefien regierten, fich
erworben haben, liegt in ihrer ganzen Geiftesridhtung: fie ftrebten deutſch
zu werben; fie ähnelten darin ben flawijchen Herzögen von Pommern.
Auch ging die Germanifirung raſch genug von ftatten; wie dort, fo hier
auf friedlichen Wege, durd) Einwanderung deutſcher Bauern und Bürger,
Edler und Priefter und durd) Einführung deutfcher Sitte und Art. Allmählich
erhoben fich faft alle Sige der 21 Kaftellaneien oder Burggrafſchaften, in
die das Land im zwölften Jahrhundert zerfiel, zu deutfchen Städten, und
fo fammelte fi) aud) um andere Burgen und um viele Klöfter deutfches
Bürgertum. . Übrigens geſchah die Verdeutſchung in Schlefien zwar ohne
Baffengewalt, aber fonft ziemlich) auf dieſelbe Weiſe wie in den wendi-
ſchen Marken. 1261 erhielten die ſchleſiſchen Städte, zuerſt Breslau,
magbeburger Recht; von ihnen und von den Eiftercienferflöftern verbreitete
fich deutfche Bildung über das Land. Schon im vierzehnten Jahrhundert
war die deutſche Sprache die herrſchende.
Seine politifche Selbſtändigkeit bewahrte Schlefien ſich aber nicht;
feine Herzöge ſchwächten durch fortwährende ZTeilungen des Landes in
eine große Zahl von Fürftentümern ihre Kraft jo fehr, daß es dem
Könige Johann von Böhmen gelang, die meiften fchlefifchen Fürften zu
feinen Lehensträgern herabzudrüden. Johanns Sohn, Kaifer Karl IV.,
verleibte dann 1355 Schlefien völlig der böhmifchen Krone ein. So kam
dieſes Land zwar an das beutfche Reich, aber nur mittelbar, als böh-
mifches Lehen. Es teilte nun die Schickſale Böhmens, kam mit diefem
1527 durd) den Tod Ludwigs IT. von Ungarn und Böhmen in Folge
von Erbverträgen und durch Wahl der Stände in den Beil des Erz-
herzogs Ferdinand von Öfterreidh und wurde 1547 mit Böhmen zu einem
habsburgiſchen Erblande erflärt.
Faſt überall in den fchlefifchen Fürſtentümern hatten die Landftände
eine ſehr ausgedehnte Macht: fie beſaßen nicht mır das Steuerbewilligungs-
recht, fondern auch das Recht ber Gefehgebung. Der allgemeine Land-
tag beitand aus den abligen Befigern und aus Abgeordneten der Stäbte
und ber Geiftlichfeit; er ftimmte ftändeweife ab. Seit dem fechzehnten
Sahrhundert verwaltete er die Gefchäfte des Fürftentums durch einen
regelmäßig tagenden engeren Ausſchuß. Angelegenheiten, die ganz
Schlefien betrafen, ordnete der Fürftentag zu Breslau, eine Verſammlung
aller ſchleſiſchen Herzöge und der Abgeorbneten der Ritterjhaften und
Städte. Er war auch der oberfte Gerichtshof des Landes; auf ihn
konnte man fid) von den Urteilen der ftädtifchen und der ritterſchaftlichen
Gerichte berufen.
Unter den deutſchen Ländern, bie Luthers Lehre aufnahmen, war
Schlefien nicht das letzte, und vergeblich fuchte Ferdinand I. hier der
Reformation zu fteuern. Die Bewegung ergriff Fürften und Völker,
Bierfon, preuß. Geichichte. 1. 20
306 Motinis.
Städte und Klöfter; nur wenige der letzteren blieben katholiſch. 1570 be
gann aber bie Reaftion, die Jeſuiten nifteten ſich in Breslau und ander-
wärts ein, und die Habsburger wendeten immer ftärferen Drud an. Er
wurde maßlos, als Ferdinand II. durch Tilly und Wallenftein den Sieg
über feine proteftantifchen Unterthanen gewann. Der dreißigjährige Krieg
veröbete das Land und vernichtete hier die Glaubensfreiheit und das
politifche Recht; dies um fo leichter, da im Laufe der Beit alle piaftifchen
Herzöge ausgeftorben und deren Länder als erledigte Lehen eingezogen
waren. Die Taiferlichen Beamten regierten fortan im weſentlichen unbe
ſchränkt. Der Adel hielt fid, durch Unterdrüdung des Bauern ſchadlos,
den er leibeigen machte; der Birrgerftand war verarmt und ohne Selbftän-
digkeit. Die alte ſchöne Kultur des Landes war dahin; Ackerbau, Handel,
Gewerbe, alle Vollswohlfahrt Tag unter dem fchlechten Regiment ber
Habsburger darnieder. Nur Mönche und Pfaffen gebiehen, emfig be-
müht, den evangelifchen Glauben, dem immer nod) Die Mehrzahl anhing,
überall im Lande auszurotten. Zwar hatte ber weftfälifche, dann der
altranftädter Vertrag dem ſchleſiſchen Proteftanten einige Rechte aus-
bedungen; allein der wiener Hof adhtete fie nicht. Kinder gemifchter
Ehen wurden mit Gewalt katholiſch gemacht, jeber Übertritt zum Pro
teftantismus graufam beftraft, die ottesverehrung der Evangelichen
verboten ober, wo dies zu viel Lärm gemacht hätte, doch auf alle Weife
geftört und beſchränkt, Dagegen das katholiſche Weſen mit ebenfoviel Eifer
gepflegt und gefördert. Kurz, das Jod) der Papiſten laſtete ſchwer auf
dem Lande, und es war ein Wunder, daß noch fo viele dein Proteitan-
tismus treu blieben; e8 war dies dem wohleingerichteten Schulmefen und
der allgemeinen Verbreitung der deutſchen Bibel zu verdanken — durch
beides zeichnete ſich Schlefien bereit8 im fechzehnten Jahrhundert aus.
Aber mit der Zeit gelang es ben Zefuiten fiberall, aud) den Schul—
Unterricht der Evangelifhen zu lähmen; ihre eigenen Schulen, anfangs .
gut beftellt, verfielen, als fie den Sieg errungen und feinen Nebenbuhler
mehr zu bekämpfen hatten; die geiftige Finfternis, bie fiber dem katho—
liſchen Zeile des Volles lag, drohte auch den Überreft des evangelifchen
Geiſteslebens zu verihlingen. Dabei wurde nicht einmal für die mate-
riellen Intereſſen geforgt. Bei dieſer -traurigen Verfafjung des Landes
erſchien Friedrich der Große den Proteftanten in Schlefien als ein Retter
und ſelbſt manchen: Katholiten willkommen.
Aollwit.
Der wiener Hof hatte nicht die geringften Anftalten getroffen, das
Land, in welches die Preußen nun einrüdten, in ordentlichen Verteidi-
gungszuftand zu ſetzen. Es gab in Schlefien damals kaum 8000 Mann
Friedrichs Einzug in Breslau. 307
öfterreihijcher Truppen; fie mußten ſich auf die Beſetzung der wichtigften
Feſtungen, Glogau, Brieg, Neiße, beſchränken. Gern hätten die öfter
reichiſchen Behörden fid) wenigftens ber Hauptſtadt Breslau verfichert,
fie forberten den Magiftrat auf, von dem Befagungsrecht, welches die
Stadt von altersher bejaß, für diesmal abzufehen und öfterreichifche
Truppen aufzunehmen. Der Magiftrat, gut habsburgifch gefinnt, wollte
einwilligen; aber da erhob ſich die Bürgerſchaft, fie war meift evangeliſch
und entſchloſſen, ihr Recht zu behaupten. Rad) einer großen ftürmifchen
Zollsverfammlung erflärte ihr Sprecher, der Schuhmacher Döblin (ein
Katholit, aber Preuße von Geburt) dem Magiftrat, fie wollten feine
böhmifchen Truppen, fie würden die Stadt felbft verteidigen, und alsbald
30g die Bürgermehr bewaffnet und geordnet auf und befeßte bie Thore.
Es war Mar, die Bürgerfchaft hielt es mit den Preußen; viele fagten
ganz offen: „Num werben wir das Zoch der Papiſten abfchütteln‘. Die-
felbe Stimmung herrſchte in ganz Nieberfchlefien vor, wo die Evange⸗
liſchen die Mehrzahl bildeten. Durch gute Mannszucht, durch Teutfeliges
Benehmen gewann Friedrich aud) die Schwanfenden. Ohne allen Wider:
fand nahm er das Land ein, am Neujahrstag 1741 langte er vor
Breslau an, fiherte der Stadt vorläufig Neutralität zu und hielt am
3. Januar unter großem Zulauf und Zubel durd) das Schweibniker-Thor
feinen Einzug. Am Ende des Monats hatte er ganz Schlefien bis hinauf
zum Zabluntapaß in feiner Gewalt, mit Ausnahme ber drei Feftungen
Neiße, Brieg, Glogau, die er vor der Hand nur einſchloß. Es ftand
ihm der Weg durch Mähren, auf Wien frei. Aber er wollte mır Schle-
fin behaupten, nicht die öfterreichiſche Monarchie zertrümmern. Er legte
Baber feine Truppen in die Winterquartiere und wartete ab, ob fich der
wiener Hof nun williger bezeigen werbe. .
Doch auch jetzt lehnte Maria Therefia die preußifchen Anerbietungen
— für die Abtretung Schlefiens oder doch eines guten Stücks bavon
Gewährleiftung ihrer Erbfolge, die Kaiſerkrone für ihren Gemahl, außer
dem fofort zwei Millionen Gulden und 10000 Mann Hilfstruppen —
ganz entfchieden ab. Der Hohmut in Wien war noch ungebrochen.
„Einem Färften“, hieß es dort, „ber dem Katfer das filberne Waſch⸗
becken zu halten habe, komme es nicht zu, ber Tochter bes Kaiſers Ges
ſetze vorzufchreiben." Allzufeſt zählte Maria Therefia auf den Beiftand
der Fremden. Sie rief die Seemächte, ſowie ganz Deutſchland zu Hilfe
gegen den Friebensbrecher.
Es entbrammte nun zumächft von hüben und drüben ein erbitterter
Federkrieg. Der halleſche Zurift Ludewig mußte fehr gelehrt ber Welt
beweifen, daß Preußen ein unzweifelhaftes Recht auf Schlefien habe, wer
nigftens auf das Herzogtum Jägerndorf, welches Ferdinand II. 1622
widerrechtlich dem hohenzollerſchen Haufe entriffen, und auf die Herzog«
20°
308 Mollwiß.
tümer Liegnitz, Brieg und Wolau, welche kraft der Erbverbrüderung vom
Jahre 1537 nad) dem Ausfterben der Piaſten (1675) hätten an Bran-
denburg fallen follen. Dagegen fuchten wiederum die öfterreichifchen Ge—
lehrten zu beweifen, daß alle dieſe Fürftentümer als böhmifche Lehen mit
Recht eingezogen worben feien. Auf beiden Seiten hatte man einen
mehr oder minder guten pergamentenen Rechtsboden; und hier wie dort
foht man mit Gefchid.
Indeſſen der Federkrieg that es nicht, die Waffen mußten entjcheiben.
Denn and) die mäßigften Forderungen des Königs — er wollte fid) mit
Niederichlefien begnügen, wenn man es ihm ohne weiteres abtrete —
fanden mm höhniſche Antwort: „Wenn er auf der Stelle Schlefien
räume, wolle Maria Therefia ihm vergeben und nicht auf Schadenerjaß
beftehen!" Da erflärte er dem englifchen Geſandten erbittert: „Ich will
eher umkommen als von meinem Unternehmen abftehen. Die andern
Mächte follen fi nicht einbilden, daß id) mic, mit Drohungen ein-
ſchüchtern laſſe. Ich werde zeigen, daß id) eher bereit bin als fie, ben
erften Schlag zu thun.“ Übrigens richtete er fi in Schlefien als Be-
fiber ein, nahm die Landeseinkünfte an fi, warb Rekruten, hielt aber
in allem darauf, daß das Volt nirgends bedrüdt, vielmehr jeder in
feinen Rechten geſchützt werde; es verftand ſich von felbft, daß die Evan-
geliſchen ihren Gottesdienft nun frei ausüben durften, er ließ für die ver-
waiften Gemeinden Prediger aus der Mark kommen, verleßte aber auch,
dulbfam wie er war, die fatholifche Kirche nicht.
Mittlerweile fammelte fid) in Mähren ein öfterreichifches Heer, un
die Preußen aus Schlefien hinauszuwerfen. Zugleich erhielt ber König
Nachricht, Ofterreich, die Seemächte, Rußland und Sachſen beabfichtigten,
fi) gegen ihn zu verbünden und feine Länder zu teilen. In der That
war wenigftens Georg II. von England entſchloſſen, die pragmatifche
Sanktion aufs allerfräftigfte zu verteibigen. Friedrich befchleunigte daher
die Eroberung Glogaus, welches ber junge Prinz Leopold von Deffau
in ber Nacht vom 8. zum 9. März mit großer Kühnheit umd geringem
Verluſt erftünmte, und befahl dem alten Deffauer, mit 33000 Mann
von der Mark aus Sadjfen und Hannover zu bedrohen. Er felbft zog
auf Neiße zu, während das öfterreichifche Heer unter General v. Reipperg
von Süden herankam.
Montag Mittags am 10. April — Neipperg wollte fi) gerabe in
feinem Hauptquartier beim Dorfſchulzen in Mollwig zu Tiſche ſetzen —
erhielt er die Meldung, die Preußen feien dicht in der Nähe und in
vollem Anmarſch zur Schlacht. Haftig fuchte er, fo gut es ging, fein
Heer ebenfalls fchlachtbereit aufzuftellen. Doch verſtrich darüber einige
Zeit; aber. bie Preußen rädten nicht, eilig, fondern mit manöverartiger
Genauigkeit an. So Tonnten die Ofterreicher noch ihre Schlachtlinie
10. April 1741. 309
einrichten. Um 1 Uhr ftanden fie einander gegenüber; beide Zeile gleich
an Zahl (jeder hatte etwa 19000 Mann), auf Seiten der Preußen war
die Infanterie und Artillerie zahlreicher, bei den Ofterreichern Dagegen
eine große Übermacht an Reiterei; das Terrain war beiden gleich günftig,
eine ununterbrocdyene Ebene, die der öfterreichifchen Kavallerie guten
Spielraum bot; dagegen gaben ein Bad) und fumpfige Wiefen der linken
preußifchen Flanke eine ftarfe Dedung. Auf beiden Geiten wurben
Fehler in der Aufftelung gemacht; denn Reipperg war ein mittelmäßiger
Zeldherr, und Friedrich noch durchaus ein Neuling. Gegen zwei Uhr
griffen die Preußen an, in der ſchönſten Ordnung, mit fliegenden Fahnen
und klingendem Spiel; ihre Kanonenkugeln eröffneten die Schlacht. Sie
ließ fi) bald für die Angreifer ſehr übel an. Die öfterreichifche Ka—
vallerie, 30 Schwadronen unter dem General v. Römer, ftürmte wie eine
Windsbraut auf den rechten Flügel der Preußen los und hieb deren
Reiterei, zehn Schwadronen Schulenburgs, in wilde Flucht. Vergebens
fuchten Schulenburg und der König felbft die Flüchtigen zu fammeln;
jener fiel, den König, der im dichteften Getümmel focht, bemogen feine”
Dffiziere, das Schlachtfeld zu verlafien und den Dberbefehl an den Feld⸗
marſchall Schwerin zu geben; man bielt alles für verloren. Aber wäh-
rend bie Reiter wie Spreu im Winde zerjtoben, ftand das preußifche
Fußvolk unerſchütterlich, wie aus Stein gehauen, ſowohl die Hauptmacht
auf dem linken Flügel unter dem Prinzen Leopold von Deſſau, als die
Heine abgefehnittene Schar auf dem rechten Flügel, welche der General
dv. Binterfeld befehligte. Die preußifchen Bataillone waren in Pelotons
geteilt, vier Mann hoch; die beiden erften Glieder luden und ſchoſſen
knieend, die beiden andern hinter ihnen ftehend; die Offiziere komman⸗
dirten, die Gemeinen feuerten, alle ruhig und feft wie auf bem Ererzier-
plap, überallhin Front; jede Bewegung genau wie ein Uhrwerk. So
ſchlugen fie fünfmal den Anprall der feindlichen Neiterei, die von allen
Seiten fie anfiel, gelafien ab. Römer fiel, und feine Reiter verfagten
endlich gegen dieſe Feuerfluten, die unaufhörlich aus den preußifchen
Musteten auf fie her rollten. Ebenſowenig richtete die öſterreichiſche In—
fanterie aus, die nun Neipperg felbft heranführte. Ein hölliſches Gewehr-
feuer. (wie er felbft berichtet) empfing ihn; die Preußen ſchoſſen fünfmal,
die Ofterreicher in berfelben Zeit kaum zweimal. Reippergs Heer, war
„burdjlöchert wie ein ‚Sieb“. Und nun nimmt Schwerin fein ganzes
Fußvolk zufammen, in Reih und Glied vorwärts; läßt jämtliche Feld⸗
mufit auffpielen und rückt vor mit fliegenden Fahnen. Ein öſterreichiſcher
Offizier fehrieb darüber ein par Tage nachher: „Ich kann wohl fagen,
mein Lebtage nichts Schöneres gefehen zu haben. Die Preußen mars
ſchirten mit der größten Contenance und fo ſchnurgleich als wenn es auf
dem Paradeplap wäre; das blanfe Gewehr machte in der Sonne ben
310 Moltvig.
ſchönſten Effeft, und dag Feuer ging nicht anders als wie ein fortwäh-
rendes Donnerwetter." Die öfterreichifche Armee wankte, wid) vor dem
nie erlebten Feuer, das in maffenhaften Salven ohne Unterlaß daher—
fuhr. Nach Sonnenuntergang, um dreiviertel auf acht Uhr, trat Neip—
perg den Rüdzug ar.
So hatten bie kriegsungewohnten preußiſchen Infanteriſten die alten
Regimenter Oſterreichs beſiegt. Sie waren alſo nicht umfonft zwanzig
Jahre lang von Friedrich Wilhelm und dem alten Deſſauer gedrillt
worden; die unabläffige Zucht und der eiſerne Ladeſtock hatten ſich vor-
trefflich bewährt, und der Kamaſchendienſt war doch nicht fo wertlos
gewejen; der alte ehrliche Friedrich Wilhelm war herrlich gerächt am
feinen Spöttern. Sein Korporalftod trieb bier ſchöne Lorbern. Aber
es lag auch fo mancher von feinen „lieben blauen Kindern“ tot auf
dem fchneeigen Siegesplatz. Auch ein hohenzollerſcher Prinz, Markgraf
Friedrich) von Schmwebt, war gefallen. Im ganzen hatte ein jedes ber
beiden Heere hier an Toten, Verwundeten, Vermißten über 4000 Mann
verloren.
Doch war mit folhen Opfern der Sieg bei weiten nicht zu teuer
erfauft; wie ander8 und wie viel beffer ftand es jeßt um Preußen!
Friedrid) war alfo nicht der tolle Abenteurer, für den ihn die Welt er=
Märte, als er dem großen Öfterreich Krieg bot. Er Hatte nicht Ielht-
finnig über feine Mittel hinaus geftrebt. Mit Bewunderung ſah Europa
bier eine neue Militärmacht erftehen, die fic mit jeder anderen meſſen
und fiegen konnte. Der junge preußifche Staat hatte fi den Platz der
Ebenbärtigteit unter den Großmächten der Welt erzwungen, den er
beanfpruchte. Man mußte mit ihm fortan als mit einem gleichen
rechnen. Das war noch viel mehr wert, als ber milttärifche Erfolg, den
jener Sieg bradjte, nämlich die Behauptung ganz Schlefiens und die
Eroberung Briegs, welches im Mai fiel.
Die Schlacht bei Mollwitz gab für Europa das Signal zu einem
allgemeinen Kriege; fie war wie eim Funke ins Pulverfaß. Denn bie
Mächte, die gegen Oſterreich feindliche Abfichten hatten, aber erft ab-
warten wollten, wie Friedrichs Unternehmen ſich anlafje, befamen num
Mut und Luft, auch zu handeln. Frankreich ſchloß mit dem Kurfürften
von Batern einen Vertrag, durch welchen es fich verpflichtete, ihn mit
Geld und Truppen zu ımterftäßen, und machte fich anheiſchig, ihm zu
einem Zeile ber öſterreichiſchen Erbſchaft und zur deutſchen Kaiſerkrone
zu verhelfen. Spanien und Sardinien traten biefem Bunde bei; fie
wollten den Dfterreihern in Italien zu Leibe gehen. Auch Sachen,
begierig, am ber habsburgiſchen Beute teil zu nehmen, ſchloß fidh dem
Berbündeten an. Dagegen traten, um das europätjche Gleichgewicht
zwiſchen Habsburg und Bourbon aufrecht zu erhalten, die Seemächte,
Der dſterreichiſche Exbfolgefrieg. 311
England und Holland, für Oſterreich ein, ſchickten Hilfsgelder nach Wien
und verfpradyen Soldaten; um fo weniger dachte Maria Therefia daran,
dem verhaßten Könige von Preußen nachzugeben. Friedrichs Lager bei
Strehlen war unterbeflen der Mittelpunkt eines lebhaften diplomatischen
Verkehrs; von allen Höfen famen die Gefandten; die einen ſuchten ihn
für Ofterreid), die andern für Frankreich zu gewinnen. Er hörte alle
ruhig an; ihre Drohungen, Verfpredjungen, Schmeicheleien blieben gleid)
wirtungslos; er zog allein fein Antereffe zu Rate, und da Maria
Therefia ihm nicht einmal Niederfchlefien, geſchweige das ganze laſſen
wollte, jo verband er fid) am 4. Juni mit Frankreich, das ihm ben
Beſitz von Niederſchleſien gewährleiftete, wogegen er dem Kurfürften von
Baiern feine Stimme bei der Kaiferwahl verfprady und auf Berg zu
Gunſten des Haufes Pfalz verzichtete. Übrigens war er entſchloſſen,
ganz Schlefien zu behalten. Am 10. Auguft ließ er durch den Prinzen
Xeopold von Deſſau die Stadt Breslau befegen und am folgenden Tage
fid) von der Bürgerfhaft und von der fatholifchen Geiſtlichkeit die Hul-
digung leiften. Vor allem aber verftärkte er in Schlefien fein Heer. Aus
den Mitteln dieſer Provinz felbft ließ er mehrere neue Regimenter er-
richten; es war darunter auch ein nad) polniſch-tatariſchem Mufter ges
bilbetes und anfangs meift aus Polen beftehendes Corps Ulanen*), eine
Art Teichter Neiterei, die bisher in der preußiſchen Armee nicht üblich
geweſen.
Mittlerweile wurde Maria Thereſias Lage immer verzweifelter; der
preußifch-franzöfifche Vertrag hatte ihre Feinde kühner, ihre Freunde be—
denklicher gemacht. Am legten Tage des Juli drangen bairifche Truppen
über den Inn; der öfterreichifche Erbfolgefrieg war ausgebrochen.
In der Mitte des folgenden Monats gingen die Franzoſen, 70000
Mann ftark, über den Rhein, um den Kurfürften von Baiern zu unter»
ftügen, der dann im September ben größten Teil bes Erzherzogtums
befegte. Zugleich rücten fächfiiche Truppen an die böhmiſche Grenze.
Der öfterreichiiche Staat fchien verloren; er war es, wenn Friedrich,
wie er es konnte, ſich mit feiner weit überlegenen Streitmadjt, bie hier
63 000 Mann ftart war, auf Neippergs Truppen in Oberjchlefien warf,
auf das einzige Heer, welches Maria Therefia überhaupt beſaß. Er
konnte es vernichten, nad) Wien marſchiren und Öfterreich den Todesſtoß
verfegen; aber er wollte es nicht. Was wäre denn bie Folge der Ber-
trünmmerung dieſes Staates gewejen? Nichts anderes als die Verwirte
lichung ber franzöftichen Pläne. Diefe aber beftanden darin, bie öfter-
reichiſche Monarchie fo zu teilen, daß im Deutſchland drei oder vier
ziemlich gleich ſtarke Mittelmächte entftänden, etwa Baiern mit Böhnten,
®) Kriege und Heldengeſchichte Friedrichs IT., Königs in Preußen. Erfurt 1743, ©. 240.
312 Erſter ſchleſiſcher Krieg.
Tirol und Oberoſterreich, Sachſen mit Mähren und Oberſchleſten, Preußen
mit Niederfehlefien; das Haus Habsburg follte dann Ungarn und ben
Reft der öfterreichifchen Landſchaften behalten. Bei einer folchen Umge—
ftaltung her Karte Europas befam Frankreich; aud) ohne eigene Gebiets-
erweiterung bie Herrſchaft über Deutfchland, über den ganzen Weltteil;
denn wer war dann mächtig genug, ihm die Spitze zu bieten? Zu
jolden Entwürfen gedachte nun Friedrich II. fi) nicht gebrauchen zu
laſſen; er war zu beutfch, er war vor allem zu Mug dafür. „Wie unver-
zeihlich“, rief er aus, „wäre es geweſen, das Joch von Dfterreich zu
brechen und fi) dafür franzöfifche Ketten zu ſchmieden!“ Er beſchloß
daher, auf Maria Therefias Bitten, die fi) jegt in ihrer höchften Be-
drängnis aus Preßburg, wohin fie geflüchtet, friedefuchend an ihn wandte,
einzugehen und mit dem Kriege inne zu halten. Am 9. Oktober 1741
kam zwifchen ihm und ben öfterreichifchen Bevollmächtigten zu Klein-
Schnellendorf (bei Friedland im Waldenburgfchen) in Form eines
Protokolls eine geheime Abmachung zuftande, durch welche ihm Nieder-
ſchlefien nebft Neiße überlaflen wurde, wogegen er verſprach, neutral zu
bleiben. Er erflärte aber ausdrücklich, er binde ſich an diefe Verabredung
nur auf fo lange, als ber wiener Hof fie geheim halten werde; auch
müfje diefer vorläufige Vertrag nor Ende des Jahres in einen boll-
ftändigen verwandelt fein. Daher unterzeichnete er das Protofoll auch
nicht, um für alle Fälle gegen Frankreich ben Schein bewahren zu
innen. Die Ofterreicher ränmten darauf Neiße, die Preußen nahmen
in Oberfehlefien Quartier und ließen Neipperg ungehindert nad) Mähren
abmarjchiren.
Der König verleibte darauf Niederſchleſien feinem Staate ganz und
völlig ein, empfing (7. November) zu Breslau feierlich bie Huldigung
der Fürften und Stände des Landes, deren Privilegien er indes nicht
beftätigte, weil er feine Vorrechte anerkennen wollte, Die ihm und der
Maſſe des Volks ſchädlich wären, und vergab bei dieſer Gelegenheit die
esiten preußiſchen Fürftenhüte, indem er bie ſchleſiſchen Grafen v. Hahfeld⸗
Trachenberg und Schönaic-Carolath in den Fürſtenſtand erhob. Sodann
wurde bie Verwaltung dieſer neuen Provinz in allen Stüren auf preußi ⸗
ſchen Fuß gejept.
Der Bertrag von Klein-Schnellendorf war für Maria Therefia in
hohem Grade vorteilhaft, denn er machte ihr auf der gefährlichiten Seite
Luft. Neippergs Heer konnte auf Wien ziehen und Die überall zerſtreuten
Streitkräfte Öfterreih8 um fi ſammeln. Es wuchs damm auch raſch
durch Buzüge, namentlich aus Ungarn, zu einer bedeutenden Macht art,
bie bald das Feld zu halten imftande war. Die Ungarn wurben ba
mals Habsburgs Retter; mit einem zahlreichen Reiterheere zogen fie aus,
den alten Thron der Habsburger wieder. aufzurichten. ö
Shhlacht bei CHotufig. 813
Im Oktober war Ober: und faft ganz Niederöfterreid, in die Hände
der Baiern und Franzoſen gefallen, im November nahmen dieſe mit den
Sachſen vereint aud) Böhmen ein, und da Friedrich, erzürnt, daß man
den Klein-Schnellendorfer Vertrag doch veröffentlicht hatte, von neuem
zu den Waffen griff und Mitte Dezembers Mähren beſetzen ließ, fo ſah
& um Maria Therefias Sache immer nod übel aus. Der große Unter
ſchied war aber, daß fie jeßt ein ftarfes Heer hatte. In raſchem Kluge
drang dasfelbe unter dem General Khevenhiller längs der Donau hinauf,
jagte die Baiern und Franzoſen vor fi Her und fiel verwüftend in
Baiern ein. Karl Albert war feiner Aufgabe nicht im entfernteften ge—
wachſen; eitel und unfähig zu allem Tüchtigen, vergnügte er fich in Prag
bei feiner Krönung, dann in Frankfurt a. M., wo ihn (am 24. Januar
1742) die Kurfürften als Karl VII. zum Kaifer wählten, mit prunkenden
Feſtlichkeiten. Ebenſo unfähig zeigten fid) die franzöfifchen Generale
Belleisle und Broglie. Überdies beftand zwifchen ihnen und ihren deut-
ſchen Verbündeten viel Eiferfudt und Uneinigfeit. Der einzige, ber
Plan und Ordnung in das Ganze hätte bringen können, König Friedrich,
ward mit feinen Ratſchlägen nicht gehört, weil bie anderen, befonders
Sachſen, ihm nicht trauten. So fam es, daß Die Ofterreidyer in Böhmen
Fortſchritte machten und in Baiern ſich fogar der Hauptftadt München
bemächtigten. Vieleicht wäre Khevenhiller noch weiter vorgedrungen,
wenn nicht Friedrich, obwohl von den Sachſen ſchlecht unterftügt, Wien
bedroht hätte, indem er 5000 Preußen in Öfterreich einfallen und brand-
ſchatzen ließ; Zietenſche Hufarem ftreiften bis Stockerau, vier Meilen vor
Bien. Nun wendete fi die Hauptmacht der Öfterreicher nad) Mähren,
und Friedrich, der bier nur geringe Streitkräfte zur Verfügung hatte, zog
fi, wie die Sachſen, nad) Böhmen zur, während der alte Deſſauer
Dberfchlefien deckte.
Seit Monaten wurde der wiener Hof von deſſen treueftem Werbün-
deten, dem Könige von England, mit Ratfchlägen beftürmt, den gefähr-
lichften Gegner, Friedrich II. in Güte zu befriedigen, damit man bie
Arme gegen bie übrigen frei befomme. Maria Therefia zog es aber vor,
erft noch einmal das Glüd der Schlachten zu verjuchen, und befahl daher
ihrem Schwager, dem Prinzen Karl von Lothringen, dem fie ihr
Heer anvertrant hatte, nachdrücklich anzugreifen. In der Mitte des Mo-
nats Mai 1742 rückte diefer gegen die Preußen, die am fühltchen fer
ber oberen Elbe bei der böhmiſchen Stabt Chrudim lagerten, ins Feld.
Gern hätte er zwifchen ihnen und Prag Stellung genommen, um fie von
den Sachſen und Franzoſen, die bort ftanden, ganz abzuſchneiden; er
marſchirte daher auf Czaslau und Suttenberg zu, aber ‚wie er am
16. Mai in Ronnow, füdöftlih von dem Städtchen Czaslau anlangte,
war ihm Friedrich mit einem Teile des preußiſchen Heeres ſchon zuvor⸗
314 Erſter ſchleſiſcher Krieg.
gekommen und hatte durch einen Gewaltmarſch Kuttenberg erreicht, wäh-
end der andere Zeil, der ihm unter dem Prinzen von Deſſau nachfolgte,
foeben vor Czaslau vorbeimarſchirte. Beide Heere, einander nun fo nahe,
brannten vor Begierde, fi mit einander zu mefien. Prinz Karl hoffte,
den Feind in den Dörfern zwifchen Czaslau und Kuttenberg zerftreut zu
finden und überfallen zu können; er eilte daher noch in der Nacht zum
17ten mit feiner Streitmacht nach Czaslau. Hier aber erfuhr er, bie
Preußen feien bereit8 in einem Lager weiter nördlich vereinigt; in. der
That langte der König eben von Kuttenberg her bei Chotufiß, wo ihn
der Prinz Leopold von Deflau erwartete, an.
Das Dorf Chotufit liegt kaum eine Meile nördlich von Czaslau;
es bildete jeßt (am frühen Morgen Donnerftags den 17. Mai) den Mit-
telpunkt der preußifchen Stellung. Der linke Flügel unter dem Prinzen
Leopold von Deffau breitete fi) nad) dem Butlinka-Bach aus, er beitand
größtenteils aus Reiterei, die aber hier auf vieldurchſchnittenem Boden
fich nur ſchlecht entfalten konnte; den rechten Flügel, gelehnt an die
Czirkwitzer Seen und Teiche, machten die von Friedrich felbft foeben
hergeführten Bataillone aus. Das preußiſche Heer zählte 28000 Mann
mit 88 leichten Geſchützen, das öfterreichijche 30 000 Mann mit 40 Ka
nonen. Um ben Eifer der Seinigen noch mehr anzufeuern, ließ Prinz
Karl bekannt machen, das Avancement folle von jet an ohne Rüdficht
auf die Religion, vielmehr nur nad) der Tüchtigkeit gefchehen. Um 7 Uhr
Morgens marſchirte er heran, da eröffneten die preußifchen Geſchütze auf
der ganzen Linie die Schlacht. Dann warf fid) alsbald die preußiſche
Reiterei des rechten Flügels mit blintenden Säbeln auf die öſterreichiſche;
fie zeigte bier, daß ihr König fie nicht umfonft ſeit Mollwig neir geftaltet
und, eingeübt hatte. Bald wälzt ſich der ungeheure Staubwirbel — der
Boden war jandig, das Wetter heiß und troden — ſchneller und ſchneller
nad) Süden, denn die Ofterreicher fliehen; auch zwei öſterreichiſche Fuß-
Regimenter werden niebergefäbelt. Aber nun rüdt die Kavallerie-Reſerve
des Feindes vor, und die Preußen haben bier Feine friſchen Schwadroner
zur Hand. So hält, ſchwankt der Reiterfampf bald unentſchieden und
wirr bin und ber.
Auch auf der andern Seite erringt der Feind Vorteile, treibt die preußis
ſchen Schwadronen, die vor Chotufitz ftehen, zurück, bringt auch ein Bataillon
vom Regiment Prinz Leopold, welches fich vor dem Dorfe entgegenftellt,
zum weichen; fchon ift er in Chotuſitz umd ſteckt es in Brand. Da wirft
id, den Wankenden, Flichenden der Yeldprediger des Regiments Prinz
Leopold, der junge Magifter Seegebart*), entgegen; er bittet, beſchwört,
ex bringt einen Trupp zum ftehen, fammelt nod) einen; fein begeifterndes
9) Zoadim Friedrich Seegebart, geb. am 14. April 1714 im Magbeburgticen.
Brlede zu Breslau. 315
ort hallt weiter und weiter. Von neuen Kriegsfener erfüllt, Tehren
die Regimenter in die Schladjtlinie zurüd, wo der größte Zeil bes
Fußvolls noch unerjchüttert, aber mit Ieter Kraft hält. Die preußiſche
Infanterie mit ihrem fihern und ſchnellen Feuern und ihrer eifernen
Standhaftigfett thut hier abermals Wunder. Da liegt z. B. ein ganzes
öfterreichifches Regiment, das löwenkühn beranftürmte, niedergeſtreckt in
Reih und Glied, die Musteten neben fi. Wie zuchtlos dagegen die
öſterreichiſche Reiterei! Wo fie fiegt, zerftreut fie fi) alsbald, um zu
plündern.
So wogt der heiße Kampf vier Stunden lang. Da ftellt fich
Friedrich in eigener Perfon an die Spihe feines Fußvolls und macht
auf Front und Flanke des linken feindlichen Flügels mit Kanonen- und
Musketenfener Angriff auf Angriff, bis dieſer weicht. Prinz Karl, um
den Reft feines Heeres zu retten, räumt das Schlachtfeld und tritt um
12 Uhr Mittags den Rüdzug nad) Süden an.
Der Sieg war gewormen, Dank ber Tapferkeit der preußiſchen
Truppen, die für fie um fo ehrenvoller war, als bei ber fehlerhaften
Aufftellung ihrer mehr als die Hälfte mit gefchultertem Gewehr hatten
ftehen, der Meinere Teil alfo die ganze Arbeit allein verrichten müſſen;
Dank auch dem Iutherifchen Gottvertrauen, das ſelbſt den Feldprediger
zum Helden machte. Einen großen Anteil an dem Siege fonnte der
König jedod) fich felber zufchreiben. Der mangelhafte Schladhtplan, den
ihm die Umftände aufgenötigt, war weſentlich durch feine Umficht und
Entjehlofienheit wieder gut gemacht worden. Am meiften aber freute
& ihn, daß feine Schöpfung, die Kavallerie, fid) fo gut bemährt hatte,
wenn aud) die Infanterie es war, bie den Tag entſchied. Der Sieg
Toftete den Preußen 4000 Mann an Toten und Berwimbeten, während
die Feinde an Toten, Berwundeten und Gefangenen über 6000 Mann
und 18 Kanonen verloren; aber er trug eine fehöne Frucht, den Trieben,
den Maria Therefia, obſchon widerftrebenden Herzens, mın anbot. Sie
hörte jet williger auf Englands Ermahnungen und entihloß fich zu
großen Opfern. Friedrich aber, mit ebenfo viel Recht gegen Frankreich
und feine anderen Verbündeten mißtrauifch, wie diefe gegen ihn, auch
von Anfang an gemeint, nur für Preußen, nicht für andere zu arbeiten
und keineswegs Ofterreich zum Nutzen Frankreichs zu unterdrüden, ſchlug
gern in Die dargereichte Hand ein. So kam das Friedenswerk, welches
der preußifche Minifter v. Podewils und der englifche Geſandte Hynd⸗
ford im Ramen Friedrichs und Maria Therefias vorbereitet hatten, zu
Breslau am 11. Juni 1742 glücklich zuftande; diefem Vertrage folgte
dann (am 28. Juli) der förmliche Friedensſchluß zu Berlin. Die Be
dingungen waren im wefentlihen folgende: Öſterreich tritt ganz Nieber-
ſchleſien und Oberjehleften bis zur Oppa, fowie die Grafihaft Glag und
316 Exfter ſchlefiſcher Krieg.
das mährifhe Ländchen Katſcher für immer an Preußen ab; dagegen
verpflichtet fid) der König von Preußen in dem öfterreichifchen Erbfolge-
kriege neutral zu bleiben, auch die Summen, welche holländifche und
englifhe Kaufleute zur Zeit des polnifchen Erbfolgefrieges dem Kaiſer
Karl VI. auf Schlefien geliehen (im ganzen etwa vier Millionen Thaler)
au bezahlen.
Es war ein herrlicher Preis, den Friedrich) fo feinem Staate ge-
wann: bi8 auf den bergigen Gtrid) im Süden mit den Städten Trop-
pau, Zeichen, Jägerndorf, der fortan das öſterreichiſche Schlefien hieß,
gehörte nun ganz Schlefien zu Preußen, ein fo fruchtbares, volkreiches
Land, 680 Geviertmeilen, mit 1,400 000 Einwohnern, die in 161 Städten,
in 5000 Dörfern lebten, gewerbfleißige, tüchtige Menfchen, faft zu zwei
Dritteln Proteftanten und deutſchen Stammes, in Kultur und Charakter,
tin Sitte und Religion den Stämmen verwandt, zu denen fie nun ges
hart wurden. Der preußifhe Staat war durch diefen Zuwachs an
Umfang um ein Drittel, an Volkszahl und Einkünften faft um die Hälfte
vergrößert und konnte nun in der großen Politit ganz auf eigenen Füßen
fteben.
Und welch ein Anfehn hatte der junge König von Preußen fid) ver-
ſchafft! Sein Ruf als Feldherr ftand feit, wenn ſchon wenige ahnten, daß
bier nicht bloß ein militärifches Talent, daß hier ein Feldherrngenie erften
Ranges vorhanden, daß feine bisherigen Thaten nur ein Heiner Anfang zu
einer glänzenden Reihe von Siegen waren. Ebenſo bewunderte man Die
Gewandtheit und Umficht feiner Staatskunſt. Selbft daß er feine Bun-
desgenofſen im Stiche gelafien, erhöhte ihn eher in dem Augen der da=
maligen Diplomatie und Fürftenfchaft, die (mit feltenen Ausnahmen) den
Grundſatz befolgte, Verträge gerade fo lange zu beobachten, als fie dem
eigenen Staat zum Vorteil gereichten. Worin aber die feltenfte Eigen-
ſchaft, das größte Verbienft des Königs beruhte, daS deutete er felbft
an, indem er mit Bezug auf den Friedensihluß fagte: „man müffe
wifjen, zu rechter Zeit inne zu halten.“ Die Selbftbeherrichung,
bie er in der Schule der Leiden, unter ber Zucht Friedrich Wilhelms
und im Gefängnis zu Küftrin gelernt, hier brachte fie dem Stante ihren
erften reichen Segen: die weife Mäßigung drückte dem kühnen und glüd-
lichen Krieger, dem Mugen Staatsmann ben Stempel der wahren Größe
auf. So war es feine Prophezeiung mehr, fondern bereit3 das Urteil
aller Scharfblidenden, jene Transparent-Injchrift, die bei des Königs
feftlihem Empfange zuerft in Zauer am 15. Juni 1742 aufleuchtete:
„Friderico Magno!“
317
Oftfriesiand.
Bald nad) ber Eroberung Schlefiens vergrößerte Friedrid) feinen
Staat noch nad; einer andern Seite, doch auf ruhigem Wege ohne allen
Aufwand von Geld oder Blut, bloß durch rafches Zugreifen. Im Yrühs
ling 1744 nahm er Oftfriesland in Befig.
Der germanifche Volksſtamm der Triefen war einft über die ganze
Nordſeeküfte von der Wefer bis zur Schelde verbreitet; von dieſen Ur-
figen aus befiedelte er auch die Inſeln und Küften des weftlichen Schless
wig. Im fteten Kampfe mit den Fluten, deren er ſich durch Deiche
und Dämme zu erwehren fuchte, verlor er viel Boden; im Süden gegen
die Stämme des Hinterlandes ſchützten die weiten Moore. Nachdem
Karl der Große Friesland mit dem fränkiſchen Reiche vereinigt, folgte
der größere Teil ber Friefen den Geſchicken der Niederlande und ift
jegt holländiſch; das an der Ems belegene Oſtfries land dagegen be—
wahrte bis tief in das Mittelalter ſeine Selbſtändigkeit und kam dann
zum deutſchen Reiche. Noch im vierzehnten Jahrhundert lebten dieſe
Frieſen, ein Volk von Bauern und Fiſchern, nach eigenen Geſetzen, ohne
Fürſten und Adel und berieten ihre gemeinſamen Angelegenheiten in
Vollsverſammlungen beim Upſtalsboom in ber Nähe von Aurich. Innerer
Hader und die Unruhen der feeraubtreibenden Vitalienbrüder begünftigten
um 1400 bie Erhebung von Häuptlingen, welche die Gerichtsbarkeit in
ihrem Bezirk erblich an ſich brachten, fonft aber die Freiheit des Volles
nicht beichränfen Tonnten. Solche Häuptlinge waren die Eirffena zu
GSreetfiel, die 1454 vom beutfchen Kaifer zu Reichsgrafen, 1654 zu
Fürften von Oftfriesland erhoben wurben. Ste erweiterten ihr Laͤndchen,
das zuerft nur ein geringes Gebiet am Ausfluß der Ems umfaßte, durch
die Erwerbung des Harlinger Landes öftlich von dieſem Fluſſe (1604).
Aber fie flürzten fi dadurch in Schulden und in Folge deffen in Streit
mit den Ständen. Oſtfriesland war jeitbem voll Zwift, in den auch
auswärtige Mächte gezogen wurben, wie denn namentlid der große
Kurfürft ſich einmiſchte und 1682 im Taiferlichen Auftrag Emden bejegte.
Diefer Umftand war dann bie Veranlaffung, daß fein Sohn Friedrid) III.
nochmals (1695) die Anwartichaft auf das Fürftentum erhielt. Als nun
am 25. Mai 1744 das Haus Cirfena mit Karl Edzard ausftarb,
ließ Friedrich der Große Traft jenes Rechtstitels auf der Stelle durch
500 Mann Preußen, die zu dieſem Zwede fchon jeit 1740 in Emden
lagen, überall im Lande die preuftfchen Adler und die Beſitzergreifungs⸗
patente anſchlagen. Es waren im Namen ber weiblichen Verwandten Karl
Edzards däntfche Truppen eingetroffen, aber fie machten ſich mm eiligft
davon. Der alte Parteihaber im Lande verftummte jet, die Stände
318 Der zweite ſchlefiſche Krieg.
traten in Aurich zufammen und Huldigten dem Könige von Preußen, ber
dagegen die oftfriefiiche Verfaffung beftätigte.
Friedrid) brachte die Verwaltung, die Rechtspflege bald in Die
befte Ordnung; das Land blühte unter feinem Zepter herrlich auf; es
empfing nur Wohlthaten von feiner Verbindung mit Preußen; eine Menge
vortrefflicher Anftalten und Einrichtungen wurden aus den alten Provinzen
bieher übertragen, und die Gegenleiftung dafür war nicht beträchtlich,
denn die ganze Steuer, die Oftfriesland jährlich dem Könige gab, bes
trug nur 24000 Thaler, und die Refrutenftellung Taufte es wmit
16000 Thalern jährlicd) ab. Doch war diefer Befig (54 Duadratmeiler
mit 97000 Einwohnern) für den preußifchen Staat infofern von Wert,
weil er in Emden nun einen vortrefflihen Nordfeehafen Hatte Die
Dftfriefen wurden bald gute Preußen, fie liebten. und verehrten ihren
großen König aufs höchſte. Als er im Jahre 1751 feinen erften Beſuch
bei ihnen machte, warb er mit einem Jubel empfangen, wie er feinem
der alteinheimifchen Fürſten jemals zu teil geworden.
Der zweite flehfihe Krieg.
Die Nachricht vom breslauer Frieden traf Frankreich und die ans.
dern Feinde Öfterreich8 wie ein Donnerſchlag; man erzählt, der Mar-
ſchall Belleisle, damals die Seele der franzöſiſchen Politik, ſei über die
unerwartete Neuigfeit in Ohnmacht gefallen, der franzöfiiche Premier,
Kardinal Fleury, in Thränen ausgebrochen bei dem Gedanken, daß Frank-
reichs hochfliegende Pläne nun feheitern müßten, und daß fie ſelbſt, die
alten geriebenen Politiker, von einem Neuling fi) hatten Hinter das Licht
führen lafſen. Aber fie mußten ihre Erbitterung nieberlämpfen, mußten
an fi) halten, um nicht Friedrich ganz auf Öfterreich® Geite zu treiben
und jo ihre Niederlage zu befiegeln. Schon jet nannte Fleury den
jungen Preußenkönig l’arbitre de l’Europe, den Schiedsrichter Europas.
Er war es. Von beiden Parteien umworben, entſchied er fi) vor der
Hand für feine, fondern wartete ab, wie ſich die Dinge nunmehr ent-
wideln würben.
Sie nahmen bald eine Wendung, die fein Einjchreiten wieder nötig
machte. Denn die Franzofen führten den Krieg ohne Glüd und Geſchick,
Belleisle wurde nad) tapferm Widerftande aus Böhmen gedrängt; im
nãchſten Frühjahr (1743) verlor Karl VII. fogar fein eigenes Erbland
‚Baiern, von welchem Maria Therefia förmlich Befig ergriff. Auch die
jogenannte pragmatiſche Armee — ein Heer, welches Georg II. im Bunde
mit den Holländern zufammengebracht hatte und nun an den Main
führte — erfocht bei Dettingen unweit Aſchaffenburgs (im Juni 1743)
Vorbereitungen. 319
über die Franzoſen einen Sieg, während das Heer des Prinzen Karl
gegen den Oberrhein heranzog. Noch vor Ende des Sommers war
Deutſchland von den Franzofen gejäubert, und die Öfterreicher griffen
ihrerfeits den Feind in feinem eigenen Lande an; fie drangen ins Elſaß
ein. Auch in Stalten ſchlugen fie ihre Gegner aus dem Felde. Welch
ein Triumph für Maria Therefia! Bon Schlefien abgejehen, war ihr
nun alles wiebergewonnen und Baiern dazu erobert. Vergebens bat
Karl VII. um Frieden; fie gedachte, ihm auch noch dem Bierat der
Katferkrone zu nehmen. Aber mit ihrem Glücke erneuerte fi) der herbe
Schmerz um ben Verluſt Schleſiens und der Rachedurſt für den Schimpf,
den Ofierreich durch einen im Verhältnis fo Meinen Staat wie Preußen
erlitten hatte. „Ihr Schmerz”, jchrieb der englifche Geſandte feinem
Hofe, „tft fehr groß. Alle Übel ſcheinen ihr gering gegen die Abtretung
Schleftens. Ste vergißt die Königin und bricht wie ein Weib in Thränen
aus, wenn fie einen Schlefier fieht”. Diefe Thränen, die fie beim Ab»
ſchluß des breglauer Friedens geweint, brannten auf ihrem ftolzen
Herzen; fie wünfchte nichts fehnlicher, als num auch Friedrich IL, dieſen
Atheiften, dem man alles zutrauen Tönne, zu demütigen und ihm
Schlefien wieder zu entreißen.
In diefer Abficht wurde fie auch von dem Könige von England
beftärkt, dem das Entftehen einer neuen Großmacht feineswegs angenehm,
dem als Welfen und als Kurfürften von Hannover der Aufſchwung
Preußens fogar höchft widerwärtig war. Er hatte den breslauer Trieben
nur darum angeraten und (durch Vertrag von Weftminfter am 29. No—
vember 1742) gewährleiftet, damit Ofterreich erft wieder auffommen könne,
Eiferfüchtig wünfchten die hannöverſchen und Ihrem Könige zu Gefallen
and) die engliſchen Staatsmänner vielmehr, daß das Haus Branden-
burg, wie früher immer, eine untergeordnete Stellung in Europa fpiele;
fie meinten, „wenn Öfterreich jept Frieden mit Batern fchließe, jo werde
der größte Vorteil darin beftehen, daß es Preußen erbrüden könne“, und
Georg II. fchrieb an Maria Therefia die bedeutfamen Worte: „Was
leicht genommen ift, kann auch leicht wieber herausgegeben werben.”
In diefem Sinne war e8, daß Öfterreihh, England und Sardinien am
13. September 1743 zu Worms einen Vertrag mit einander fchlofien,
in welchem fie fid) mit Bezugnahme auf eine Unzahl von Verträgen alle
ihre Befigungen gewährleifteten, Schlefien aber und die Verträge von
Breslau und Veftminfter mit vielfagendem Stillihweigen unerwähnt,
aljo zweifelhaft ließen. Auch die holländifchen Staatsmänner waren der
Anfiht, Maria Iherefia habe das Recht, Schlefien zurüczuforbern, und
Sachſen gewährleiftete dem wiener Hofe durch Bundesvertrag vom
20. Dezember 1742 die pragmatifhe Santtion, ebenfalls ohne Schlefien
auszunehmen. Dabei rüftete Maria Thereſia immer ftärker, und Kure
320 Zweiter fchlefifcier Krieg.
mainz und Kurföln gaben für Gelb Truppen an England und Öfter-
reich, während Sachſen und Rußland ganze Heere verſprachen.
Alles dies beobachtete Friedrich mit fteigender Beforgnis; immer
beftimmter drängte ſich ihm Die Überzeugung auf, er werde zur Behaup-
tung Schlefiens nod) einen Krieg zu beftehen haben. Er war entfchlofien,
eher die andern zu überrafchen, als fid) überraſchen zu laſſen. Auch
hatte er die Zwiſchenzeit vortrefflich benußt.
Schlefien war nun im weſentlichen ganz nad) dem Mufter ber
übrigen preußifchen Provinzen eingerichtet. Auch bier zentralifirten
Kriegs: und Domänenfammern bie Verwaltung der Landesträfte, wäh-
rend die kirchlichen Angelegenheiten von Oberkonfiftorien, die Rechtspflege
von Oberämtern in den Haupfftädten Glogau, Breslau, Oppeln beaufs
fichtigt wurden. Der Abel verlor den größten Teil feiner Macht, und
den Reft derfelben, den natürlichen Einfluß, den er auf dem platten
Lande behielt, zog der Staat dadurch, in feinen Dienft, daß er aus den
adligen Gutsbefigern die Landräte nahm, die mın als fönigliche Beamte
die Polizei in den 48 Landkreiſen handhabten. Die Geiftlichfeit mußte
fid) ebenfalls ganz dem Staate unterordnen; die evangelijche that es
gern, die tatholifche, geleitet von dem milden und verftändigen Kardinal
vd. Sinzendorf, Fürftbifchof von Breslau, fügte fi wenigftens ohne
Biberftreben, weil der König zwar den proteftantiichen Glauben in alle
feine Rechte einfeßte, aber den katholiſchen unangetaftet ließ. Ebenſo ge
noffen alle andern Sekten Duldung, wie denn bie Schwenkfeldianer,
weldye Kaifer Karl VI. im Jahre 1720 durch die Zefuiten hatte vers
treiben Taffen, fon im März 1742 von Friedrich waren zurüdgerufen
worden. Überhaupt erhielt das ſchleſiſche Volt nun nach Menfchenaltern
zum erften Male wieder einen wirklichen Landesvater; der König reifte
felber häufig im Lande umher, unterſuchte den Zuftand aller Nahrungs-
zweige und befierte an jedem. Dabei zeigte er fo viel freundliche Herab-
faflung, erteilte aud) dem Geringften fo bereitwillig Gehör, ſchrieb feine
Verfügungen in fo humanem Tone und Geifte, daß er allgemeine Bu-
neigung gewann. Höchſt wohlthätig wirkte feine Reform des Steuer-
weſens. Die Grundftener war hier bisher fehr ungleich verteilt, daher
drüdend und ungerecht gewefen; ber König erleichterte die Laft, indem
er fie gleichmaͤßig machte. Alle Grundſtücke ohne Ausnahme, fie mochten
der Geiftlichfeit, dem Abel, dem Bauernftande oder als Domänen bem
Landesherrn gehören, wurden befteuert; die Vorftellungen bes Adels und
der Geiftlichkeit, Die fteuerfrei fein wollten, wurden zurückgewieſen. Diefe
neue Ordnung brachte zunächft dem Könige, brachte aber aud) ben
Schlefiern ſelbſt die größten Vorteile, das empfanden fie ſchon damals;
und dieſe Provinz ift dafür den Hohenzollern immerdar fo treu und
ergeben gewefen, wie nur irgend ein altes Stammlanb.
Eroberung Prags. 321
Die Einkünfte der Provinz beliefen fi) im Jahre 1744 auf
3265 000 Thaler, faft ein Drittel der gefamten Staatseinnahme; der
Refruten, die der König — jedoch ohne jede gewaltfame Werbung —
aus Schlefien zog, waren 18000. So lieferte das Land felbft einen
großen Zeil der Mittel zu feiner Verteidigung. Durch Ordnung und
Sparfamteit war aud) der Staatsſchatz, den der erfte Krieg faft geleert
hatte, nun wieder auf 5840000 Thaler") angewachſen, enthielt alſo Geld zu
zwei Feldzügen, An der Vermehrung und Vervolllommmung bes Heeres,
namentlich der Reiterei, arbeitete der König unabläffig; er verbot den
Kavallerie-Offizieren bei Strafe infamer Kaffation, fi je und irgendwo
vom Feinde angreifen zu laffen, vielmehr immer den Feind zuerft anzu=
greifen. Die fchlefifchen Feſtungen wurden verftärtt, zum Zeil nen an-
gelegt. Im Frühling des Jahres 1744 hatte ber König 120000 Mann
ſchlagfertiger Truppen und war in der Verfafjung, das Seinige gegen
das wieder erftarfte Öfterreich verteidigen zu können. Als daher um
diefe Zeit die Überzeugung, Ofterreich werde nad) volfftändiger Befiegung
der Franzoſen über ihn herfallen, bei ihm zur Gewißheit wurde, beſchloß
er, dem Feinde zuvorzulommen, verbündete fi) insgeheim (15. April
1744) zu Schuß und Trutz mit Frankreich und ſchloß dann öffentlich
am 22. Mai 1744 mit dem Kaifer, mit Kurpfalz und Heflen-Kaffel einen
Vertrag (die fogenannte frankfurter Union), des Zwecks, Karl VII. gegen
den wiener Hof zu unterftüßen. Die Franzoſen, fo ermutigt, führten den
Krieg in den Niederlanden und am Rhein nun mit größerem Nachdrud,
während Friedrich, als „Beſchützer des deutfchen Kaiſers und der deut
ſchen Freiheit", Ende Auguft mit 80000 Mann in Böhmen einfiel und
Prag einſchloß. Am 17. September ergab es ſich nad) heftiger Be—
ſchiehung
Dieſe Waffenthat, glänzend an ſich, war noch durch mancherlei
Umſtände für den kriegeriſchen Schwung des Heeres nicht wenig erhebend.
Die Offiziere hatten von neuem einen Prinzen ihres Königshauſes auf
dem Felde der Ehre fallen ſehen: Markgraf Wilhelm von Schwedt war
in den Laufgräben vor Prag geblieben, wie fein älterer Bruder Friedrich
auf dem Blachfeld von Mollwitz. Die Gemeinen befeuerte ein anderes
Beifpiel: beim Sturm auf Prag hatte der Grenadier Krauel zuerft
den Wall erftiegen und nachdem er fich verſchoffen, mit dem Degen
fo lange gefodhten, bis die andern folgten und bas Werk erobert war.
Dofür z0g ihn ber König in feiner gemeinen Montur zur Marſchalls-
tafel, machte ihm zum Leutnant und gab ihm eine fette Pfründe in
Magdeburg. \
Nach der Eroberung Prags fiel ohne Wiberftand ganz Böhmen in
*) Droyſen, Preuß. Politit V. 2, 119.
Fierfon, preuß. Belhichte. L a
322 Breiter fleftider Krieg.
Die Gewalt des Siegers. Aber die Franzoſen unterftüßten Friedrichs
Bewegungen nicht, wie er es doch mit ihnen abgemacht. Anftatt Han-
mover. anzugreifen und dadurch ben golden Strom, ber aus dem eng-
liſchen Schahz / in Öfterreich8 Tafchen floß, zu unterbrechen, ober wenigftens
in Süddeinſchland vorzugehen, ließen fie das Hauptheer der Öfterreicher
ungeftört vom Rhein nad) Böhmen abziehen. Inzwiſchen hatte fich
auch der Dresdner Hof mit dem wiener verbünbet, und fo rückten im
Dftober von Norden her 20.000 Sachſen, von Süden 60000 Öfterreicher
in Böhmen ein. Die Bewegungen der lehteren leitete ein alterfahrener
Strateg, der Feldmarſchall Traun, fo geſchickt, daß er durch feine
Manöver dem Könige raſch Terrain abgewann, und dieſer ſich zuletzt
genötigt ſah, fein durch fehlechtes Herbftwetter, Mangel an Lebensmitteln
und den feinen Krieg mit den Bauern und den leichten ungarischen
Reiten erichäpftes Heer im Dezember aus Böhmen wieber zurüd-
zuführen. Run ging auch Mähren, defien fich ber preußiſche General
von der Marıwig bemächtigt hatte, wieder verloren, und die Ofterreicher
tonnten don dort ans in Oberfchlefien eindringen; bereits forderte Maria
Thereſia fleghoffend alle Schlefer zum Abfall auf. Auf Friedrichs
Befehl jagte indes der alte Deffauer im Januar 1745 den Feind
bier wieber heraus und beſetzte auch ben öfterreichiſchen Anteil diefer
“ Probinz.
Die Heere bezogen nun endlich die Winterquartiere; deſto emfiger
arbeiteten die Federn der Diplomaten. Am 8. Jannar 1745 fchlofien
Ofterreich, Sachſen und die Seemächte im Vertrage zu Warſchau fich
enger gegen Frankreich und Preußen aneinander; am 20. Januar ftarb
Kaiſer Karl VII, und im April vertrug fich defien Sohn Mar Zofef zu
Füflen mit Maria Therefia dahin, daß dieſe ihm Batern zurüdgab, er
aber feinen Anfprüchen an das habsburgſche Erbe entfagte; damit zerfiel
die frankfurter Union. So wurde Friedrich! Lage immer ungünftiger.
Schon waren alle andern beutjchen Yürften für Maria Therefia ge
mwonnen, und mit Englands Hilfe hatte fie auch die ruffiiche Kaiferin
Elifabeth ganz auf ihre Seite gebracht. Bereit dachte fie daran, nicht
nur Schlefien wieder zu erobern, fonbern gar Preußen zu teilen, und
am 18. Mai 1745 in einem Vertrage mit Auguft II. von Sachſen und
Polen, der, angeftachelt von feinem Minifter Brühl, den „böfen Nachbar"
aufs Außerfte haßte, wurde ihr Gedanke zur diplomatiſchen That; die
beiden fegten feft, Sachſen folle Magdeburg, Krofien, Züllichau, Schwie⸗
bus, das Haus Habsburg aber Schlefien und Glatz erhalten.
Die Gefahr für Friedrich, für Preußen war furchtbar;
König fah ihr mit feftem Blick ins Auge; der Übermacht —*
nur auf die eigene Kraft angewieſen — denn Frankreich hatte genug zu
thun, um nur ſich ſelbſt zu verteidigen — blieb ihm ein unerſchuͤtterlicher
Schlacht dei Hohenfriebberg. 323
Halt in feinem Willen. Seine Minifter, fein Hof zagten; er beſchämte
fie mit feiner Seelengröße, indem er ihnen eine fremde vorhielt: „Eine
Frau, die Königin von Ungarn, ift nicht verzweifelt, als die Feinde vor
Wien, ihre Provinzen befegt waren!- Sollten wir nicht den Mut dieſer
Frau haben?" Er war entſchlofſen, alles zu behaupten oder alles zu
verlieren, lieber mit Ehren umterzugehen als ein ruhmloſes, ohnmächtiges
Xeben zu führen. „Es ift feiner unter uns“, fdhrieb er aus feinem
Kriegslager in Schlefien nach Berlin, „der ſich nicht lieber das Rückgrat
brechen ließe, als einen Fuß breit Erbe aufzugeben.” Diefe feine mann-
hafte Gefinnung hatte er im der That feinem ganzen Heere eingeflößt;
jeder Soldat war wie ber König bereit, feine Pflicht zu thun; in
Friedrichs, in Preußens Ehre ſah jeder bie feintge. So ermarteten fie
mit faltem Blut den Feind.
Diefer zog Ende Mai mit feiner Hauptmacht, 75000 Hſterreicher
und Sadjfen unter dem Oberbefehl des Prinzen Karl von Lothringen,
über das Riejengebirge gegen Schweidnitz hin, um Niederfchlefien zu er-
obern, während ungarifche Reiterei in Oberſchleſien längs der Oder
Hinab ftreifte. Die leptere ließ der König durch den Markgrafen Karl
von Schwebt und den Hufarengeneral Bieten zurüdtreiben; er felbft ging
mit 60000 Mann dem Prinzen Karl entgegen und bezog zwiſchen
Jauernik und Striegau ein durch Anhöhen gebectes Lager. Bon hier
aus fah er am 3. Jumi, wie bie Yeinde ımvorfichtig aus den Gebirgs-
päflen und die Höhen bei Hohenfriebberg herab kamen, in der Richtung
auf Striegau marſchirten und dann forglos zwiſchen Hohenfriebberg
und Striegau fid) zur Raſt legten, ihr linker Flügel, die Sachſen,
voran. Hier in ihrem Feldlager gedachte fie der König zu überraichen
und zog hurtig fein Heer näher an Striegau. Als ber Morgen graute,
Freitags dor Pfingften am 4. Juni 1745, gab er den Generalen feine
Befehle zur Schlacht. Der preußiſche Vortrab vertrieb die Sachſen von
den Höhen; fie feßten fid) dann in der Ebene Hinter Gräben, Moräften,
Heden, aber vom preußtfchen rechten Flügel unter dem Prinzen Dietrich
von Deflau und den Generalen Rothenburg, Stille und Winterfelb, die
raſch über das ftriegauer Waſſer famen, heftig angegriffen, mußten fie
nad) tapferem Widerſtande weichen; um 7 Uhr waren fie in voller Flucht.
Nun ftürzte Friedrich auf die Ofterreicher, die fi) unterdeſſen langſam
in Schlachtordnung geftellt hatten. Ein wütender Kanıpf entbrannte.
Bon einem Hagel von Kartätj—hen empfangen, erlitten die Angreifenden
große Verlufte; eins der Regimenter (Bevern) hatte 500 Verwundete,
200 Tote. Dennoch wichen fie nicht. Da entſchied die preußiſche Ka—
vallerie den Tag. Der verwegene General v. Geßler ftellte fi mit dem
pommerſchen Dragoner-Regiment „Batreuth" an ihre Spitze, jagte mit
ihr zwiſchen dem preußtichen-Fußvolf hindurch auf das öſterreichiſche
21%
324 Breiter ſchleftſcher Krieg.
und hieb es nieder. Binnen einer Stunde fprengte er zwanzig Bataillone,
eroberte 66 Fahnen. Um 8 Uhr Morgens war ber Feind überall ge—
fchlagen, feine Trümmer ins Gebirge geworfen. 4200 tote ober ver-
wundete Breußen, 9500 Öfterreicher und Sachſen lagen auf dem Schlacht
felbe. Außerdem verloren die Verbündeten über 7000 Mann an Gefan-
genen, 66 Kanonen, 76 Fahnen.
Furchtbar hatte der Donner der Schlacht an das Riefengebirge ge-
fchlagen; jo weit man ihn hörte im ſchleſiſchen Lande, fielen die Pro—
teftanten ſcharenweiſe auf die Kniee und beteten zu Gott um den Gieg
für die evangeliſche Sache. Welch ein Jubel in Breslau, als jpät Abends
blafende Poſtillone den Sieg verfündeten! Friedrich ſelbſt empfand, daß
bier noch etwas Höheres gemwaltet als tapferer Mut und üiberlegene
Kriegstunft: „Gott hat meine Feinde verblendet und mid, wunderbar
geſchützt“, fagte er zu dem franzöfifchen Gefandten. Nach Berlin meldete
er freudenvoll: „Unfere Kavallerie hat Wunder gethan; alle Corps haben
geſchlagen, alle vortrefflich; auch meine Brüder (die Prinzen) haben wie
Zöwen für das Vaterland gefochten; wir haben Wort gehalten. Die
Welt ruht nicht fiherer auf den Schultern des Atlas, als Preußen auf
einer ſolchen Armee."
Die Engländer ſetzten nun die Diplomatie wieder in Bewegung,
um einen billigen Frieden herzuftellen, Maria Therefia wollte indes noch
einmal das Waffenglüc verfuchen. „Wenn ich morgen", fagte fie, „mit
Friedrich abſchließen müßte, fo würde ic) ihm nod) Diefen Abend eine
Schlacht liefern." Eben errang fie ja auf einer andern Seite einen
Erfolg, der ihrem Stolze fehr fhmeichelte: ihr Gemahl, Franz von
Kothringen, Großherzog von Toskana, wurde (am 13. September 1745)
don ber Mehrzahl der Kurfürften zum Kaifer gewählt; freilich konnte
diefe Würde ohne Macht den unbedeutenden Mann nicht größer machen,
aber fie bot dem wiener Hofe eine Handhabe, um bei Gelegenheit, wie
früher, aus dem Verfall des deutfchen Reichs in der einen oder andern
Weiſe Nutzen zu ziehen. Die „Kaiferin-Königin" forderte alfo eine neue
Schlacht; Friedrich gewährte fie ihr. Zwar feine Lage an der oberen
Elbe in Böhmen, wohin er dem geichlagenen Feinde gefolgt, war ber
dentlich genug; denn im der Hoffnung auf nahen Frieden hatte er fi
darauf beſchraͤnkt, durch den General v. Naſſau Oberfchlefien von dem
ungariſchen Aufgebot (dem fogenannten Infurgenten) und den aufftändi-
ſchen polnifhen Bauern des Gebirgs, den Gorallen, fäubern, Kofel wieder
erobern und den öfterreichiichen Anteil befeen, durch den alten Deffauer
aber bei Halle ein Heer gegen Sachfen aufftelen zu laffen. Er jelbft
wer withätig geblieben, fein eigener Gegner, Prinz Karl, daher im Stande
geweſen, fein Heer wieder bis zur Übermad)t gu verflärfen. Es fragte
fi) num, ob ber öſterreichiſche Feldherr daraus werde Nupen ziehen können.
Schlacht bei Soor. 325
Das preußifche Heer Iagerte, 22000 Mann ftarf;-bei Soor, einem
Dorfe unfern Trautenau, in einer ungünftigen Stellung, bereit nach
Schlefien abzumarfdiren, wenn Prinz Karl mit feinen 33000 Mann es
nicht verhinderte. Dieſer machte den Verſuch; er wollte den König un-
vermutet überfallen, zog fid) in der Nacht zum 30. Septeniber, einem
Donnerftag, nahe an Trautenau heran und befeßte eine wichtige Höhe
Getzt Batailleberg genannt) bei Neu-Rognitz mit einer ftarfen Batterie,
28 Kanonen; von hier überragte fein linker Flügel weit den preußifchen
rechten. So brad) der Morgen an und zeigte dem Könige die ganze,
große Gefahr. Aber fchnell gefaßt erkannte er auch fofort den Punkt
und die Mittel, auf die es num ankam. Sofort mußten fid) die Seinigen
zum Angriff formiren und rechtshin gegen den linken öſterreichiſchen
Flügel abſchwenken; von einem Nebel begünftigt, den die aufgehende
Sonne noch nicht durchbrach, wurde Diefe Bewegung raſch und glücklich
ausgeführt. Dann, ohne Zaubern, ging es die fteilem Höhen hinan, wo
der Feind ftand. Unter einem Kanonen- und Bombenfener, deſſen gleichen
fie noch nie ausgeftanden, ftürzte ſich Die preußifche Reiterei, 20 Schwa-
dronen Buddenbrod’s, General v. Golf voran, in den Grund vor dem
Batailleberg, dann diefen hinauf, den der Feind für unangreifbar hielt,
und auf die 44 Schwadronen des linken feindlichen Flügels, der hier in
drei Treffen hintereinander und neben der großen Batterie fand. Die
heldenmütige That gelang, die öfterreichiiche Kavallerie wurde geworfen
und floh. Nun rücte preußifche Infanterie, ſechs Bataillone, unter dem
verheerenden Teuer der Batterie hinan, gegen die ftarfe feindliche In⸗
fanterie auf der Mitte des Batailleberges; aber von dem entſeßlichen
Teuer gelichtet, wankten ihre Reihen, und die Ofterreicher unter dem Ruf
„Maria Therefia" ftiegen zur Verfolgung hinab. In diefem Augenblid
erichienen dur die Zwiſchenräume der erften preußifchen Linie fünf
friſche Bataillone Preußen unter La Mothe und Bonin mit Hingendem
Spiel, zum Tode bereit, warfen den Feind, erftürmten Berg und Batterie.
Der linke öfterreichifche Flügel war geſchlagen. Mit gleicher unwider-
ftehlicher Tapferkeit eroberten die Preußen num unter den Augen ihres
Königs auch bie anderen Höhen und Gehölze im Bentrum und auf
der rechten Seite. Um 11 Uhr Vormittags war der Sieg erfochten,
Prinz Karl mit Verluſt von 7000 Mann ımd 22 Kanonen auf
dem Rückzuge über die Elbe. Das preußifche Heer zählte 4000 Tote
und Verwundete; unter ben erfteren befand ſich auch ein Schwager
des Königs, der Prinz Albert von Braunſchweig, der an der Spipe
feines Regimentes fiel. „Ich bin nahe daran gemeien -überrafcht zu
werben“, ſchrieb Friedrich noch an demſelben Abende nad) Berlin,
„aber Gott ſei gelobt, alles iſt gut. Die Schlacht war furchtbar, aber
glorreich.
326 Bweiter ſchlefiſcher Krieg.
Vorerſt war der Ruhm der Unüberwindlichkeit der Truppen und
des Feldherrngenies ihres Königs das einzige, was die preußiſche Taktik
und Mannszucht bei Soor errungen hatten. Denn Maria Thereſias
Stimmung blieb kriegeriſch. Die Öfterreicher und Sachfen, durch ruffifche
Verheißungen kuhn gemacht, entwarfen fogar den Plan, gerade jetzt mit
verboppelter Kraft den Krieg zu führen, ihn ins Herz von Preußen zır
ſpielen; während des Königs Heer fid) in Schlefien in die Winterquar-
tiere Iegte, rüfteten fie, um nicht bloß dieſe Provinz, ſondern felbft die
Markt zu ü n. "Die Abfiht war, das ſächſiſche Hauptheer follte
fi) in ‚ber 3 mit Dem Heere des Prinzen Karl vereinigen und
Schlefien dı Mark abfchneiden, ein anderer öſterreichiſcher Heer
haufen, be unter dem General Grünne vom Rhein heimkehrte,
follte dann der Laufib ins Brandenburgifche einfallen und auf
e aber raſch entichlofien dieſen Plan,
er ging er aus Berlin zum Heere
Löwenberg und Bunzlau zufammen,
Vorhut des fächfiih-öfterreichiichen -
dorf (in der Nähe von Görlik),
hren Bunbesgenoffen nicht unterftügt
oifchen Die Heere bes Prinzen Karl
igte jenen, nad) Böhmen zurückzu—
brandenburgifchen Grenze auf das
ückzuziehen. So war Friedrich „uns
inter feine Feinde gefallen und hatte
fprengt. Et bejeßte nun die ſächſiſche
er mit Verwüſtung und Plünderung
ichfifche Landvolk wie einen Befreier
ontributionen ausſchrieb, fo hielt er
ücte unterdes der alte Fürſt von
er Langſamkeit, bis der König, aufs
jemand zu ſchonen, durch beit bie
1, ihm aufs gemefjenfte befahl, ben
ehen. Es geſchah; der alte Defjauer,
durch eine große That feinen Ruhm
zzuſtellen. Mit 33.000 Manrı zog er
der Nähe diefer Stadt, am linken
0 Mann Hinter Moräften, bie ihn
ch weiter weſtlich hatte das ſächſiſche
00 Mann unter dem General v. Ru⸗
. ng hinter Felsſchluchten und Bächen
auf ben fteilen und von Ei8 und Schnee bebeikten Höhen bei Keſſels—
Sqhlacht bei Keflelsborf. 327
dorf inne; es ſchien unmöglich, Diefe Berge, die mit Kanonen geſpickt
waren, zu erftürmen. Dennod) griff Leopold von Deffau ohne ‚Zaubern
on. Um 2 Uhr Nachmittags, Mittwoch den 15. Dezember, rief er fein
altgewohntes „Nun in Gottes Namen!“, ftellte fid) mit .gezogenem Degen
an die Spitze feines Fußvolls und begann den Sturm. Mit gefchultertem
Gewehr, unter den Klängen des Defiauer Marjches Hetterten die erften
ſechs Bataillone hinauf über Eis und Schnee in den mörderifchen Kugel-
hagel, der ihre Reihen furchtbar lichtete. Andere drangen hinauf in das
Dorf; doch jegt vor noch ftärferen Batterien wichen fie wieder. Schon
glaubten die Sachſen und Öfterreiher den Sieg in Händen zu haben.
Aber unerſchrocken führte der alte Fürft die übrige Infanterie feines
rechten Flügels in das Feuer hinein, ließ aud) die Reiterei einhauen,
eroberte Kefjelsdorf, den Schlüffel der feindlichen Stellung, noch einmal
und zwang hier den Feind zur Frcht
Unterdefjen griff auch der li
moraftige Tzſchonengrund von de
Prinz Morik von Deflau, ein g
dem Vater. gleich an Heldenmut
zuerſt in dag moraftige Gewäſſer,
dann die Felſen hinan und wiebe
mußten fie die von Eis und Sch
um auf der. andern Seite, eine
Mimmen; dies alles unter dem |
‚wirt, drangen fie mit lautem €
bald, Reiter und Fußvolk, fid)
alles entjchieden, und. ber alte !
löcherten Mantel ritt vergnügt .c
fongene und 48 Kanonen ber. ©
hatte ber Tag freilich den Sieger
diefe in gedeckter Stellung gefod
Mann tot ober verwundet, von
auf Pirna zurüd. Es war bie |
ftändig — al? Nation — fhlugı
ihnen and) ‚hier feinen Beiltand
doch ‚plünderte es auf dem Wege
erbarmungslos ans.
Friedrich. war auf. dem Morſche n
weiten ber .Ranonendonner hörte. und
brachten ihm ſächſiſche Flüchtlinge die
Am 17ten befuchte er die Wahlftatt.
ritt ex dem alten Fürſten entgegen, fti
Hauptes,, fagte ihm viel Schmeichelhaftes
323 Zweiter jäjlefiier Krieg.
Schlachtfelde umherführen. Das war ein füßer Moment in bem Leben
des greifen Helden*), dieſer wohlverdiente Triumph, mit dem er feine
lange ehrenvolle Soldatenlaufbahn jo ruhmreich abſchloß. Fünfzig Jahre
lang war er ber brandenburgiſchen, der preußiſchen Fahne gefolgt, und
immer hatte er die Preußen zum Siege geführt, jeßt wie ehedem; glor-
reich einft gegen Franzoſen, Baiern und Schweden, glorreidy nun wieber
gegen Sachſen und Öfterreicher. Und hatte er nicht auch am den Siegen,
die fein junger König felbft erfochten, einen Anteil? Gewiß, die ftraffe
Zucht, die mechanische Fertigkeit, der harte Kriegerfinn, die zumal das
preußiiche Fußvolk auszeichneten, waren größtenteils des alten Deſſauers
Werk, der jo lange es gedrillt. Num hatte er bei Keffelsdorf aud) fein
altes Zeldherrntalent neu und fchön bewährt. Auch die Truppen ernteten
die verdienten Lobſprüche ihres Königs, namentlich das pommerjche In—
fanterie-Regiment von Zee, das allein 24 Geſchütze erbeutet und fi)
überhaupt höchſt tapfer geichlagen hatte. Alle Offiziere desſelben er-
hielten den Orden pour le merite, den Friedrich im Jahre 1740 geftiftet
und den er nur an wirklich hochverbiente Kriegsleute vergab. Das Re
giment befam ein neues Siegel mit der Injchrift des Schladhttages, eine
gleiche Auszeichnung, wie nad) der hohenfriedberger Schlacht das Regiz
ment Baireuth, welches in fein Siegel die Zahl 66 (der erbeuteten
Fahnen) aufnehmen durfte.
Der Feldzug war nun entſchieden, ganz Sachſen in Friedrichs Ger
walt, am 18ten z0g er in Dresben ein. Die Kriegsluft der Verbündeten
war gebrochen. König Auguft II. von Polen bat um Frieden, England ,
erflärte, dem wiener Hofe feine Subfidien. mehr zahlen zu wollen, wenn
derjelbe nicht nachgebe; fo ließ denn Maria Therefta ihre ftolzen Pläne
fahren und bot wieder die Hand zum Frieden. Friedrich zeigte auch
jetzt eine weife Mäßigung; er wollte nur das Seinige behalten, nicht das
Glück unnütz herausfordern. Er Hatte in ungleichem Kampfe die Über:
macht der Feinde mit eigener Kraft fiegreid) beftanden, und war es
nicht Ruhm genug, daß er mit Auguft von Sachſen in defien eigener
Hauptſtadt abſchloß, umd der öfterreichifche Bevollmächtigte dafelbft er»
ſchien, um Frieden nachzuſuchen? Sein Kampf hatte einen ehrenvellen
Trieben bezweckt, einen folhen nahm er num an. Derjelbe, am 25. Des
aember 1745 zu Dresden zwiſchen Preußen einerjeits und Sachſen und
Oſterreich andererſeits abgeichlofien, beftätigte in der Hauptſache einfach
den breslauer Frieden; Maria Therefia verzichtete noch einmal feierlich
auf Schleſien und Glag, Friedrich erfannte ihren Gemahl als Kaiſer
an, und Auguft II. zahlte an Preußen eine Million Thaler Kriegskoſten.
Die Preußen räumten nun Sachſen. Das Vaterland begrüßte freudig
) Geboren am 3. Zuli a. Gt. 1676, geftorben am 9. April 1747 zu Deffau.
Die Jahre des Friedens von 1745—1756. 329
die Sieger, die mit den Lorbern auch die Friedenspalme brachten, und
wohl hatte es Grund, feinem jungen Könige dankbar zu fein; fo viel
Ruhm, fo viel Zuwachs an Macht, wie ihm durd) die beiden ſchleſiſchen
Kriege zu teil ward, foftete dem Lande felbft fait nichts. Der Krieg,
nur in Feindesland und in dem füdlichen Schlefien geführt, hatte die
alten Provinzen nicht beſchädigt, hatte ihnen nicht einmal neue Steuern
pder dem Staate Schulden auferlegt, fondern nur den Staatsſchatz er-
ſchöpft. Selbft der. Verluft an Blut war vergleichäweije gering, und die
Anzahl des Heeres eher vergrößert gegen den vorjährigen Beftand; denn
von ben 45000 Gefangenen, die Friedrich in diefem Kriege gemacht,
nahmen fehr viele bei ihm Dienfte. Kurz, Schlefien, dieje große Erwer-
bung, war mit wenig Koften gewonnen; freilid; war Preußen der Einfag
und Friedrich der Spieler geweien.
Am 29. Dezember kam der König in Berlin an, umjauchzt von
unermeßlichem Jubel der Bevölferung, die ihn mit Pracht einholte und
feierlich als den „Großen“ begrüßte. Dafür erkannte ihn nun aud) das
Ausland an. Friedrich aber, von Waffenruhm gefättigt, gedachte fortan
in Ruhe an dem Glücke feiner Unterthanen zu arbeiten; er wußte, größer
als er war, konnte er nur nod) werden im Frieben.
Die Jahre des Friedens von 1745—1756.
Wenn Friedrich in der auswärtigen Politik für feinen erhabenen
Zweck, Preußens Größe und Macht, aud) verwerflihe Mittel, nämlich
Zweideutigkeit und Vertragsbruch, wicht fcheute, jo fonnte er fid) einiger-
maßen damit entjchuldigen, daß in der Diplomatie feiner Zeit überhaupt
& die Regel war, lieber andere zu bintergehen, als fi) täufchen zu
laſſen. Wie oft ift fein ehrlicher Water von dem wiener Hofe über
tölpelt worden! Friedrich meinte nun, ſich berjelben Waffe bedienen zu
dürfen.
In der inneren Politik wenigftens blieb er jenen Idealen getreu,
die er als Kronprinz fic) gebildet und in feinen Schriften verfündigt
hatte: Auftlärung und Duldung, Gerechtigkeit und Gleichheit vor dem
Geſetz, Regſamkeit und Vernunft in allen Teilen des Staats; fein lebe»
lang hielt er hier feſt an ben ebelften Grundfätzen ber Regentenkunſt.
„Die Bürger“, fo fchrieb er noch als Siebzigjähriger, „haben einem
ihresgleichen den Vorrang nur wegen der Dienfte eingeräumt, welche fie
von ihm. erwarteten, nämlich, Aufrehthaltung der Geſetze, Handhabung
der Geredjtigteit, Verteidigung des Staats gegen befien Feinde, Wiber-
ftand gegen Sittenverberbnis und Hebung des Wohlftandes. . . . . Es
giebt kein Wohl als das allgemeine des Staates, mit dem der Fürſt
330 Die Jahre des Friedens von 17451766.
unauflöslid) verbunden ift. Er muß ſich unaufhörlic, zurückrufen, daß er
Menſch, wie der geringfte feiner Unterthanen, und daß er der erfte
Diener des Staats ift.“ Diejen freifinnigen Geift atmen aud) die
Xehren, welche er 1744 dem für volljährig erklärten Herzog Karl von:
Würtemberg auf den Weg mitgab. „Glauben Sie nit“, fo ſchloß
ex feine Grmahnung, „daß Das würtemberger Land Ihretwegen
seihaffen ift, fondern daß die Vorfehung Sie hat geboren werben
lofien, um das Volt glücklich zu machen.“ Seine Perlen der Weisheit
unb des Ebelfinns waren freilich bei dem ſchlechten Herzen jenes Bringen
fortgeworfen. Und doch waren Diefe Perlen echt. Friedrich ſprach ſchoͤn,
aber er. handelte ebenfo. In jedem Augenblicke blieb er ſich feiner
Pflichten gegen den Staat bewußt; er meinte, der Yürft werbe gut genug
bezahlt für fein Amt, um orbentlic) zu arbeiten; darum geizte er mit
der Zeit, und feine Erholungen, würdig an ſich, waren ihm mur Mittel,
um feine Arbeitskraft zu ftärfen.
Er gönme ſich kaum fünf bis ſechs Stunden Schlaf, obwohl ber
Schlaf auch ihm ſüß war. Im Sommer. ftand er um’ drei, im Winter
um vier Uhr auf, las dann im Schlafrock die wicjtigeren Schreiben ber
Behörben und Privatleute, hörte den Armeebericht des Generaladjutanten
und erteilte ihm die Befehle. Darauf folgte eine Baufe, in welcher er
einige Gläſer Wafler und Taſſen Kaffee trank und, im Zimmer auf und
abgehend, ‚auf -jeiner Flöte phantafite, während feine Kabinetsräte ben
Reſt der eingegangenen Briefe in Auszüge brachten. Diefe las er dann
und gab-mündlid oder ſchriftlich auf alle Veſcheid. Dazwiſchen aß er
etwag Ohſt, das er ſehr liebte. und ſich zu allen Jahreszeiten von ſeinen
Gartnern ſchaffen ließ, Dann zog er feine Uniform an, Die er nun bis
zur Nacht nicht wieber ablegte. Darum hielt er.auf bequeme Kleidung,
und ſchwerlich Hätte ein wohlhabender Privatınann fo abgetragene und
geflidte Nöde, Beinlleider und Stiefel angezogen, wie der König ge-
wöhnlig trug.- Zn wenigen. Minuten hatte er ſich gewaſchen, angelleidet
und zart. Dann gab er ben Kommandanten bie Paxole, fchrieb Tas
wilienbriefe, Inß,-erleilte Audienz, ritt. oder ging fpazieren und fpeifte um
12: Upr.-@ Mittag, ſechs Schüſeln in zwei Gängen, gewöhnlich in: Ge
felfiheft von Aeben-Iis zehn Perlonen. Er liebte flart. gemürte und
ledere Epeiſen · der franzoſiſchen und itglienifchen Küche und trank dazu
hm mit. Wafſer gemiſchten Wein. Die Unterhaltung mußte lebhaft
and: geiftaoll. fein; :er ‚jelbft, wigig und kenntnisreich, beteiligte ſich Dabei
durch manches fcharfe Wigwort und hatte es gern, wenn die anderen
ebenin von Geiſt fprüheten; doch wahrte er feine Würde; am wenigften
durfte man ihm mit plumper Schmeichelei kommen. Bon ihm jelbft
börte man nie.etmas Blattes; worauf auch das Geſpräch fallen mochte,
er wußte felbft das Gewöhnlichite ins Bedeutende zu erheben; er abelte
Das Beamtentum. 331
alles.”) Nach der Tafel blies er wieber Flöte, unterzeichnete bie Beſcheide
und Verordnungen, die feine Kabinetsräte hatten ausarbeiten müffen,
ſchrieb auch oft ſelbſt noch einige kurze treffende Worte Hinzu, trank
Kaffee und hörte entweder ſeine ſogenannten Vorleſer, Franzoſen, welche
ihm Nachricht von den neueſten Erſcheinungen der Literatur gaben, oder
ſchrieb an feinen Werten, hiftoriſchen polltifdjen oder philofophifcen
Auffäpen oder Gedichten. Dann folgte die muſikaliſche Unterhaltung.
Bei ben Konzerten, bie er fid) halten ließ, blies er oft felbft die Flöte
oder hörte berühmte Künftler, wie Quantz und Benba, oder Stüde von
Johann Sebaftian Bad. In den erften Jahren beſuchte er gern die
Oper und das Ballet, für welche er von Frankreich und Italien Künftler
von Ruf bezog, 3. B. bie berühmte Tänzerin Barberini. Dann fpeifte
er zu Abend, wieder in Geſellſchaft feingebilbeter und geiftvoller Männer,
mit denen er fid) über Literatur und Kunft, Geſchichte und Philofophie
unterhielt.
So lebte er regelmäßig bes Winters zu Berlin ober Potsdam, bes
Sommers (feit 1747) im Schloffe Sansſouci, und dieſe ſchön geordnete
Lebensweife, die eine emfte und angeftrengte Thätigfeit mit ebler Er-
holung verband, erhielt ihm feine urigemeine geiftige Spannkraft.
Friedrich war ein Gelbftherrfcher wie nur je ein Fürfl. Da war
ſchlechterdings niemand, der ihn beeinflußt Hätte; vielmehr ging alles
Veſentliche von ihn perfänli aus; bie Beamten, auch die oberften,
waren ‚nie mehr als ſeine Bertzenge, die eusführten, was er’ angab.
Sein Scharfblict; feine Menſchenkenntuis Tiehen ihn überall: den-techten
Mann für jebes 'bebeutenbere Amt finden; --feber wurde: nach feinen
Talent und feiner Einſicht gebraucht. Wachſamkeit, Arbörtfamteit, un⸗
beftechliche Ehrlichleit — das waren- Die vornehmſten Eigenſchaften, bie
er ‘vom: jeitien Beamten verlangte, und er ſah ſtreng barauf, daß fie
dieſen Anſpruchen gerrügten. Er bildete · bei! ihuen weder Übergriffe
noch Kachiaͤffigkeiten; beit deutfchen Schlendrian ließ er fo wenig, wie
fein Vater in- Preußert aufkommen. Überhaupt hielt er es immer für
feine- Aufodbe, der tuchtigen Berwaltung, bie er vorfand, ihre ganze
Wirfoinfeit zu fleheen, abet berbei ihre Schrofffelten unb:;den Drud, den
fe Abtei;- zu- vermeiden.‘ Bon oben id unten chatte ein jeder Veamte
biimbitrigs ai gehorchen/ ‘aber ber Kbnig befahl auich mir; was-fühe den
Stant- redt: unb notwenbig war. 'ÜBtigend- wollte net zügleich ehren ·
hafte md gebildete Veantte und behandele die: "werbtenten- wall wii.
render Achtung.
Ann cchemich beine fich ms Siaisirfenuin zut Beta
4) Mömoire du princs de Ligne sur le roi Prödörie 16 Grand, r 31: jemals ön
ientendit de Iuf rien de- vülgaire; il ennoblissoit tout.
332 Die Jahre des Friedens von 1745—1756.
lung derjenigen Landesangelegenheiten, die e8 dem Könige zur Entſchei—
dung vorzulegen hatte. Die Finanz, Handels: und Fabriffachen vers
blieben dem Generaldireftorium. Unter dem leßteren ftanden in den
Provinzen als höchſte Verwaltungsbehörden die Kriegs: und Domänen:
kammern und unter diefen in den Kreifen die Landräte, die indes feit
1743 eine größere Wichtigkeit erhielten. "Dem fie befamen Sitz und
Stimme in den Kammern und erftatteten dem Könige, wenn er die Pros
vinzen bereifte, mündlich Bericht. So lernte dieſer die Verhältnifie der
einzelnen Kreife genauer kennen als bisher, und das war für einen Staat,
in dem der König alles machte, fehr heilfan.
Diefe wohlgeglieberte und ftreng beauffichtigte Mafchine, die preußiſche
Beamtenſchaft, arbeitete denn auch ganz vorzüglich und förderte unaufs
börlid) neue Hilfsquellen im Lande an den Tag; zumal in der neuen
Provinz Schlefien, wo man unter öfterreihifcher Verwaltung es fi und
andern bequem gemacht, aber eben darum aud) wenig geleiftet hatte.
Jetzt herrſchte audy dort preußiſche Thätigfeit, die zwar manchmal in
Vielregiererei ausartete, aber im ganzen äußerjt wohlthätig wirkte.
Dem geſchilderten Charakter des Staates entiprady die Taftenmäßige
Gliederung des Volkes. Friedrich, der fie vorfand, war daher weit ent-
fernt, fie befämpfen zu wollen; er hielt die fcharfe Abjonderung der
Stände vielmehr für nützlich. Denn wenn jeder in jeiner Stelle ver-
harrte, und der Sohn fpäter in die des Vaters trat, jo kam die Ma-
ſchinerie des Staates nicht in Unordnung, und ihre Dauer ſchien durch
die Sitte des Volkes felbft gewährleiftet. Das war der vornehmfte
Grund, warum Friedrich, obwohl er gelegentlid, über Adelſtolz und Titel-
ſucht philoſophiſch ſpottete, dennoch es ungern jah, wenn jemand aus
feinem Kreife in einen andern hinübertrat. Nichts war für den Staat
wichtiger, als tüchtige Beamte, namentlid) aber ein tüchtiges Offiziercorps
zu haben. Als natürliche und befte Bezugsquelle galt hier nun auch dem
Könige der Adel; er meinte, ein bürgerlicher Offizier, der ſich feige ge
zeigt und weggejagt worben, finde immer noch ein Unterfommen, nicht
aber ein abliger, der feiner Geburt halber fein bürgerliche Gewerbe be»
treiben dürfe und in der Regel auch nichts weiter gelernt habe, als den
Kriegsdienft. Darum befige der Adel allerdings von Ratur und dur
Erziehung mehr Ehrgefühl und alfo mehr Tapferfeit als andere Stände.
Auch war es nod) immer Thatfache, daß der Bauer als Soldat lieber
einem Landjunker gehorchte als ſonſt jemandem, daß der Adel überhaupt
mehr Anfehen beim gemeinen Mann hatte. Aus biefen Gründen, denen
bei Friedrich ein ariftofraticher Zug in feiner Natur noch mehr Gewicht
verlieh, geſchah es, daß er die höheren Amter und bie Offizierftellen wo
mögli) nur an Edelleute gab, und aus eben denfelben Gründen fuchte
er den Abel in feinem Befigftande zu erhalten, verbot Bürgerlichen und
Das Heerweſen. 333
Bauern ablige Rittergüter zu erwerben, wie er anbererfeit8 ben Edel⸗
Ieuten verbot, die Bauern auszufaufen. Diefe Bevorzugung des Adels,
irrtümlich wie fie war, fehadete dem Staate erft fpäter, als bie Sitten
und ber Geift des Volkes ſich geändert hatten, und als der kluge
Menſchenkenner nicht mehr auf dem Throne ſaß, der die Tüchtigen von
den Unfähigen zu unterſcheiden wußte. Denn Friedrich verlangte natür-
lid) bei Belegung der Amter, daß zur adligen Geburt noch perfönliches
Verdienft hinzukomme. Einem hannöverjchen Grafen, der für feinen
Sohn eine Dffizierftelle nachſuchte, erwiederte er: „wenn ber junge
Mann dienen wolle, helfe ihm der Titel Graf zu nichts; er werde
befördert werden, wenn er fein Handwerk gut gelernt”, und ſetzte
eigenhändig Hinzu: „die jungen Grafen, melde nichts gelernt haben,
find in allen Ländern ignorants; wenn par miracle ein Graf zu
etwas gut fein könnte, fo müßte er fich nichts auf feinen Titel zu gute
halten, denn das find nur Poſſen. Alles hängt vom perfönlichen Ver—
bienft ab.“
Überhaupt verwendete der König auf das Heerwefen eine ganz
vorzügliche Sorgfalt; fortwährend übte und vermehrte er die Truppen,
nad) dem Grundſatz des DVegetius, daß ber Friede das Studium, ber
Krieg die Ausübung ber Kunſt fei. Die Kriegszucht blieb eifern wie bie
altrömifhe; die Aushebung und Werbung drückend, wenn aud) burd)
Friedrichs ftrenge Ordnung und Auffiht gemildert. Selbft bie vor-
nehmften Generale, z.B. den alten Deffauer, traf ſcharfe Zurechtweiſung,
fobald fie ſich Übergriffe erlaubten. Übrigens wurden die Wohlhaben-
den und mandje Städte, wie Berlin und Potsdam, umd Bezirke, wie
Oftfriestand, von der Kantonspflicht.ganz ausgenommen; Dagegen, um
dem platten Lande nicht zu viel Arbeitsfräfte zu entziehen, jährlich
7—8000 Mann geworben, meift Fremde, oft der Ausmurf aller Länder.
Daher mußte denn aud) die Kriegszucht, die ſolche Leute in Ordnung
und Gehorſam halten follte, barbariſch ftreng bleiben. Won den jungen
Offizieren forderte der König nicht allein untabelhaftes Betragen und
Kenntniſſe, fondern auch Geift. Alle follten mit Leib und Seele dienen;
daher ſah er e8 nicht gern, wenn bie Offtziere heirateten; Huſaren⸗
offiziere durften e8 gar nicht. Die Oberften und Generale follten nicht
nur die Mannszucht aufs ftrengfte beobachten und darin für ihre Unter-
gebenen verantwortlich fein, fondern auch die Eigenſchaft befigen, in
dringenden Fällen ihren Entſchluß auf eigene Hand zu fafſen. Aus-
ſchweifungen, Spiel und Trunk ließ er nirgends einreißen. Bon den
- Gemeinen durfte höchſtens der dritte Mann verheiratet fein. Dagegen
gab es 3. 8. bei ber Garde fogenannte „Liebſtenſcheine“, d. h. der
Kompaniechef erlaubte, daß der Soldat mit einem Frauenzimmer, das
er irgendwo eingentietet, in wilder Ehe lebte. Scheidungen folder Ver-
334 Die Jahre des Friedens von 145-1756.
bältnifie fanden felten ftatt. Won den Kindern der Soldaten, den foge-
nannten „Eiſenkindern“, wurden die Knaben in der Regel wieder Sol-
daten, Die Mädchen, oder wie ber preußiſch⸗litauiſche Ausdrud war, die
„Margellen“, wurden Soldatenliebften.
Jahrlich vom Februar bis Juni bereifte der König die Provinzen und
mufterte überall die Regimenter, führte auch, um die Offiziere im größe-
ren Dienft zu üben, große Feldmanöver ein. Geine eigenen Erfah:
rungen und Erfindungen im Kriegsfach legte er in einem Buche nieder,
das er feinen Generalen zum Studiren mitteilte, übrigens gehetm hielt.
Da die Gleichförmigkeit in allen Äußerlichkeiten viel Einfluß auf dem
mechaniſchen Teil der Taltik hat, fo wurde das Drillen unabläffig fort-
geſetzt. Auf beides, den Heinen wie ben großen Dienft, legte der König
viel Wert. Er war daher bet ben Mufterungen ſchonmgslos ftreng,
furchtbar fchon fein zorniger Ablerblid, und ein donnerndes „Scher Er
fich zum Teufel“ fegte ohme Anfehen ber Perfon den General aus bem
Dienft, defien Regiment nicht zur Bufriebenheit erſchien. ber dafür
waren auch bie Truppen unübertrefflich in Bucht und in militäriicher
Fertigkeit. Die fremden Geſandten ftaunten, wenn fte bei den Übungen
fahen, wie die Schwadronen im vollen Lauf auf das erfte Signal halt
machten umb eine treffliche Ordnung behmpteten, ober wie eine Infan-
terielinie von 19000 Wann vorrüdte, 80 Schritt in einer Minute, fo
gerade, als wenn fie nad) der Schnur abgemefjen wäre. Übrigens richtete
Friedrich alle Übungen zu einem Zwede ein, zum Siege in ber eld-
ſchlacht; auf den Krieg wär alles berechnet. Der ftärffte und ebeifte
Trieb zum Siege, die Vaterlandsliebe, fehlte einem großen Teile feiner
Soldaten, den fremden Geworbenen. Das konnte Friedrich nicht ändern
und war in den Übrigen Staaten nicht anders. Um fo mehr kam es
ihm darauf an und war fein vornehmftes Bemühen, die Triegerifche Tu⸗
gend des Heeres aud) im Frieden aufredjt zu erhalten. Er ſetzte fle in
drei Dinge: Ordnung, Gehorfam und Tapferkeit. Die zum Gewohnheit
gewordene Orbmmmg bewirke, daß in der bringenbften Gefahr bie Ver
wirrung der Preußen doch noch mehr Haltung in ſich habe als der ge—
mwöhnliche Zuftand des Weindes. Der Gehorfam mache, daß niemals
über die Ausführbarfeit einer gebotenen Unternehmung Yin und ber ges
redet, daß allemal auf der Stelle zur Ausführung gefchritten werde, und
daß niemand verzweifle. Die Tapferkeit beruhe darauf, daß bie Offiziere
nur von den Waffen ihr Glück erwarten, nur darin ihren Ehrgeiz finden,
und daß auch der Soldat Zutranen zu fich felbft habe und es als Ehren:
puuntt betrachte, niemals zu weichen. i
Um das Jahr 1750 beftand das Fußvolk aus 48 Feld- und 13
Sarnifonregimentern, zufammen 122 Bataillonen, jedes durchſchnittlich
zu 870 Köpfen, im ganzen 106000 Mann; die Reiterei aus 80 Schwa-
Das Yinanzwefen. 335
dronen Hufaren, jede zu 120 Mann, und 130 Schwadronen Kürafftere
und Dragoner, jede zu 158 Mann, insgefamt etwa 30000 Mann; das
ganze Heer alfo aus 136000 Mann.‘ Der König vermehrte es indes
noch von Zahr zu Jahr. Denn durch) die Eiferjucht der großen, bie
Mißgunſt der Heinen Staaten von allen Seiten bebroht, mußte er immer
Gewehr bei Fuß ftehen; Nachbar und Feind waren für ihm dieſelben
Begriffe; daher bei jeder Steigerung feiner Einkünfte immer fein erfter
Gedanke, ob er nicht ein par nee Regimenter errichten Töne.
Eben deshalb blieb er au im Finanzweſen dem Syftem feines
Vaters treu; er ließ es im weientlichen, wie es war. Aber er fchärfte
dem Generaldirektorium. ein: „Das Plus tft verflucht, welches durch das
Unglück anderer Leute gemacht wird. Und werm in Steuerfachen zwiſchen
einem königlichen Amt und einem Rittergut ein Streit ausbreche, fo folle
das Direktorium lieber dem Könige Unrecht thum als dem Gutsbefiger,
denn was für ihn ein einer Verluft fei, das rette dieſen oft vom Unter-
gang." Er fuchte, wo er konnte, bie Laften zu erleichtern. „Das Herz
biute ihm”, fagte er einmal, „wenn er an zwei Auflagen denke, das
Servis in ben Städten und die Kavalleriegelder auf bem platteri Lande;
er würbe fie fo gern aufheben, aber ber Zuftand der Kaflen geftatte es
noch nicht." Mit den Einkünften Schleftens, die unter feiner Verwaltung
raſch auf 3%, Million Thaler ftiegen, beliefen fid) die gejamten Eimah⸗
men des Staats im Jahre 1752 auf mehr dem 12 Millionen Thaler,
und tm Schage lagen damals ſchon wieder 7 Millionen, zu demen jähr-
lich zwei hinzugefügt wurden; das Ergebnis einer feltenen Sparfanifett.
Für ſich ſelbft nahm der König jährlich nur 190 000 Thaler, davon ver-
brauchte er für Reifen 20000, für Befoldung und Penſton bes Hofftaats
17.000, für die Königin-Wutter 50 000, für feine brei Brüber je 12.000,
für die beiden Schweitern je 3000 Thaler.‘ Er bekümmerte fi um bie
geringften Kleinigkeiten des Staatshaushalts, um, wo es mit: Anftand
möglich war, zu fparen; bie Höffinge meinten bald, er jet faft geiziger
at fein Vater. Aber. er wußte, ‘wie ſauer es dem Volke fiel, die Abgaben
aufzubringen, und hielt es daher für die größte Sünde, mit dem Gelde
bes Landes‘ verſchwenderiſch umzugehen. Er legte aud) feine neuen
Steuerlaften auf, denn die vorhandenen waren ſchon ſchwer gemig.
Überhaupt ging er in der. Pflege der Steuerkraft die Wege feines
Baters. Den Landbau, den er innmer als die Grundlage bes Wohlſtands
im Staate betrachtete, hat er, wo er num konnte, gefördert. Anftebler
aus dem fächfifchen Voigtland, aus‘ der Pfalz und vom Rhein, auch
böhmifche Huffiten wurden herbeigezogen, wüfte Landſtriche in Kultur
genommen. In den Wäldern und Brüchen Pommerns gründete er 59 An-
fiedelungen; bis zum Jahre 1755 hob fid) die Bevölkerung des platten
Landes in dieſer Provinz. von 228559 auf 280 342 Seelen. Im ganzen
336 Die Jahre des Friedens von 1745—1756.
legte er während dieſer Zeit des Friebens etwa 280 neue Dörfer an.
Sehr verbienftvoll war die Entwäflerung des Nieder-Oderbruchs, bie er
in den Jahren 1747 bis 1756 unternahm. Die Berge zwifchen Hoch-
und Niederwrietzen wurden durchſtochen und ein Kanal gegraben, ber
den Strom ableitete. Bald fam hier eine neue Landſchaft zum Vorſchein,
die nun unter dem Einfluß von Luft und Some ein fruchtbares Feld
für den Anbau wurbe und ſich rafd) mit Dörfern bedeckte. Eine Menge
von Edikten folte der Landwirtichaft immer mehr aufhelfen. Der König
befahl z. B., auf dem Lande alle leeren Pläge mit Obftbäumen zu be—
pflanzen, neben den Häufern Gemüfe- und Hopfengärten anzulegen; for-
derte Die Bauern auf, Flachs, Wein, Waid, Kümmel, Anis, Safran,
Luzerne, Rübfen und Kartoffeln zu bauen; fchenfte der Stadt Potsdam
auserlejene Weinſtöcke zum Anpflanzen; befahl, nicht nur in der Mark,
fondern jelbft in Pommern Maulbeerbäume anzupflanzen; ließ — ber
erſte in Deutichland — zur Verbefferung der Schäfereien Merino-Widber
aus Spanien fommen.
Allein dies ftete Treiben und Drängen nüßte body weit weniger,
als er fi) davon verſprach. Es hätte die Lage des Landmanns von
Grund aus umgeftaltet, derjelbe hätte zum völlig freien Marne mit ganz
freiem Beſitz gemacht werden müfjen, wenn eine Kultur, wie der König
fie wünfchte, erblühen follte. Woher follte dem Bauer, deſſen Land, Zeit
und Kraft faft überall ganz oder zum größten Zeil der Gutsherrſchaft
gehörte, woher follte ihm der Trieb kommen, fid) fo eifrig zu bemühen?
Aber ihn zu einem freien Erbbefiger zu madjen — das wäre eine Revo:
Iution gewefen, welche Friebridy nicht unternehmen konnte. Denn woher
die Entſchädigung nehmen für fo ungeheure Opfer, die der Abel hätte
bringen müflen? Mit Gewalt aber deſſen Eigentum und Vorrechte in
einem fo großen Maßftabe zu befchneiden, das ſchien ihm nicht nur un
gerecht, fondern auch für den Staat ſchädlich, weil der Abel es war, ber
die Offiziere lieferte. Überdies war der Sinn des niederen Volkes
jelber auf einen ſolchen Umfturz jet noch nicht gerichtet, war vielmehr
knechtiſch; mußte doch der König nod) im Jahre 1783 den gemeinen
Leuten in Schlefien, welche ihm Bittſchriften überreichten, durch Kabinets-
ordre verbieten, auf die Erde niederzufallen; fie follten nur vor Gott
knieen. Darum beichränfte er fi) darauf, die Lage der Bauern einiger-
maßen zu erleichtern. Er befahl dem Generalbireltorium (1747), gründ⸗
lich zu unterfuchen, ob die Domänenpächter bisher den Bauern hart ges
fallen oder riftlicd) mit ihnen umgegangen und auf ihre Erhaltung
thätlic) bedacht geweien. „Sit der Amtmann“, fagte er, „ein Bauern
plader, fo ſoll er, wenngleich er fonft gut gewirticaftet und richtig
gezahlt hat, aus dem Amte geſchafft und ein anderer, billiger, ehrlicher
Paͤchter aufgefucht werben." Jeder Kammerpräfibent, der über Bitten
Das Landvolt. — Die Städte. 337
der dürftigen Unterthanen um Nachlaß faumfelig und zu fpät berichte,
fole 30 Dulaten Strafe zahlen. Auch befahl er, die Frohnden der
Bauern überall,. fowohl auf den Domänen als auf den adligen Gütern
zu beſchränken; wöchentlich fünf ober gar ſechs Tage für Die Gutsherr-
haft zu ſcharwerken, fei für ben gemeinen Mann unerträglich; da müffe
einmal Durchgegriffen werben, bie Bauern follten wöchentlich nur brei
Tage dienen. Imdefien die Beamten, Domänenpächter und Ebelleute
hielten gegen ben Bauer zufammen, und Die Befehle fruchteten wenig.
Ebenſo vergeblidy bemühte fid) der König, die Adligen im guten zur
Aufhebung der Leibeigenſchaft und der Erbunterthänigkeit zu bewegen,
wie er felbft wenigftens auf feinen litauifhen Domänen vielfach that,
und zur Gewalt konnte er in biejem Punkte eben nicht greifen. Dagegen
febte er eine befiere Behandlung der Landleute durch. Er befahl (1749),
ein Beamter, ber einen Bauer mit bem Stock ſchlage, folle mit ſechs-
jähriger Zeftungsftrafe belegt werben. Er beftrafte einen Grafen Fran-
tenberg zu Gräbigberg, ber feine Bauern tyrannifirte, und jagte dadurch
aud) den andern Heine Despoten in Schlefien einen heilſamen Schreden
ein; unter ihm konnte das alte Junkerregiment nicht fortbeftehen. Eben-
ſowenig durften die Hauptleute und Oberften fortfahren, die Enrollirten
gewifiermaßen als Zeibeigene zu behandeln und für Beurlaubung ihnen
Geld abzuprefien. Mit einem Wort, er duldete überhaupt nicht, daß Ge-
waltjamteiten, fei e8 von den Herrichaften oder den Behörden gegen bie
Unterthanen verübt wurden; man follte ihm nicht durch Bebrüdung die
Leute aus bem Lande ſcheuchen, nicht durch Mißhandlung die Soldaten
aus Reih' und Glied treiben.
Die Städte blieben durchaus unabhängig von der königlichen Ver—
waltung; aber ber König nahm darauf Bedacht, daß jeder bei feinem
Gewerbe beftehen könne. So z. B. verbot er, zu Gunſten königlicher
Domänen den Städten das Recht des Bierausihants zu befchränten;
das fei gottlos ımd ftrafbar, „indem dadurch den Bürgern ihre Nahrung
entzogen und ber Hals abgefehnitten werde.“ In der Beförderung der
Induſtrie, die er die rechte Duelle des Mehrertrags für ben Staat
nannte, faßte er weitere Geſichtspunkte als Friedrich Wilhelm I., info
fern er nicht nur die alten Gewerbe verbefierte, fondern auch neue ein-
‚führte und nicht den Luxus verhindern, fondern nußbar machen wollte.
Damit das Geld, das für fremde Fabrikate ins Ausland ging, im Lande
jelbft verdient werde, zog er auch geſchickte fremde Handwerker und Fa—
brifanten herbei, die Einheimiſchen zu unterrichten und anzufpornen, und
ſchützte die einheimtfche Arbeit durch Verbot fremder Ware. Diefen
Schuß hielt er, wenn Preußen fid) im Warenbezug der Abhängigkeit vom
Auslande entwinden und eine eigene Induſtrie bekommen follte, für
durchaus notwendig. Wie fein Vater, trieb er nicht bloß unabläffig zum
Bierfon, vreud. Geihlähte. I. 22
338 Die Jahre des Friedens von 17451756.
Fleiß, fondern legte auch felbft neue Fabriken an, z. B. 1743 in Reu-
ftabt-Eberswalde eine Eifen- und Stahlfabrit, in der Mark (1753) ganze
Wollfpinner- Dörfer. So kam auch mancher jüngere Induſtriezweig,
namentlid) die Zuderfiederei und die Papierfabrifation, mit geringerem
Erfolg die Seidenfabrifation in Aufnahme. 1741 wurde die Kattun-
druderei, 1744 die Baumwollen-Spinnerei und Weberei eingeführt. Wie
fehr feine Fürſorge bis ins einzelne ging, erſieht man aus Aufzeichnun-
gen, die er zu feiner eigenen Erinnerung einft auf einer Reife in Schlefien
gemacht hat. „Im Schweidnig und Neiße, bemerkte er, fehle es noch
an Biegeldächern, er müſſe daran benfen, fie zu fehaffen; in Schmiede-
berg fühle man ſich von der Kaufmannſchaft gedrüdt, bie Sache ver-
diene Überlegung. In Pleß fei eine neue proteſtantiſche Kirche nötig,
an anderen Stellen Kirche und Schule zu weit entfernt, um von den Ein-
wohnern benußt zu werden. Er denkt daran, wie das ſchlechte Land hie
und da zu verbefiern, das Holz, deſſen man fonft einmal entbehren werde,
mehr zu fehonen fei. Er merkt fid an, wo es in den Gärten an Ge—
müfe oder an Obftbäumen fehle. Striegau bedürfe einer Manufaktur;
er wiſſe nichts anderes als etwa Vitriol dafelbft bereiten zu laſſen; aber
beſonders gebreche es in Dberfchlefien an Induſtrie. In Gleiwig lafle
ſich eine Fabrit von Halbbaummwolle und Halbleinen anlegen; in Tar-
nowi würden Kunftichreiner befhäftigt werden können; für Waren, wie
die nürnberger, zu benen es an Holz nicht fehle, würden Krakau und
Teſchen einen guten Markt darbieten. Wie ein Hausvater, der fein Bes
fitztum im erften Frühjahr durchſchreitet, um fi) die Arbeiten des Som-
mers zu überlegen, bemerkt er an jeber Stelle woran es gebricht, und
was ſich thun laffe.” *)
Hungersnöte, wie fie zu umferer Zeit z. B. in der Provinz Oſt⸗
preußen eingetreten, konnten unter Friedrichs bevorinundendem Regiment
nicht vorfommen. Er beherrichte, wie ſchon fein Water gepflegt, durch
ſtets gefühlte Speicher die Getreidepreife und hielt fie in beftimmten
Schranken; der Scheffel Roggen follte nie weniger als 16 Grofchen und
nie mehr als 1 Thlr. 8 Gr. gelten. Diefe Grenzen Kat derfelbe denn auch
in der That während der ganzen langen Regierung Friedrichs d. Br. felbft
nad) Mißwachs und im Kriege nur felten und wenig**) überfcjritten.
Manchmal freilich ſchadete dieſe unabläffige Einmifhung. Denn
um nur das Geld im Lande zu behalten, wurde ber Unterthan oft ges
*) Ranke, Reun Bücher preubiicher Geſchichte, III. 413.
*) Rämtic) im Juni 1740 1 haler, 12 Groſchen.
nm 1762 4 hl. jletes Gelb (etwa 2 Thle. gutes Geld). °
„ . 1972 1 She. 18 Gr.
Sogar im fiebenjährigen Kriege ftieg der Roggen (aufer im Jahre 1762) im Preife
nie zu 2 Thir. guten Geldes.
Induſtrie. — KRechtspflege. 339
zwungen, ftatt guter ausländifcher Ware ſchlechte einheimifche zu kaufen.
Der Handel, der feiner Natur nad) freie Bewegung liebt, gebieh daher
anter der übereifrigen obrigfeitlichen Bevormundung weniger, als wohl
gefchehen wäre, wenn man ben Unterthanen jelbft größeren Spielraum
gelafjen hätte. Doc; waren die Erfolge der Regierung felbft hier nicht
unbebeutend; die allgemeine Handelsbilanz foll fogar z. B. für das Jahr
1752 eine Gefamtausfuhr des Landes von etwa 22 Millionen Thaler,
eine Gejamteinfuhr von 17 Millionen ergeben haben. Das Beite, was
Friedrich zur Beförderung des inneren Verkehrs that, waren feine Kanal»
bauten. Er ließ in den Jahren 1743 bis 1745 den 4)/, Meile langen
plauenfhen Kanal von ber Havel über Genthin in die Elbe, in den
Jahren 1744 bis 1746 ben 6'/, Meile langen Finow- Kanal zur Ber-
bindung der Havel mit der Oder anlegen, baute 1740 ben Swinekanal
und 1746 bie Stadt Swinemünde. Hiedurd) und durch Ermäßigung der
Dberzölle hob ſich der Oderhandel und beſonders die Stadt Stettin ganz
ungemein. Der überfeeiihe Handel aber, zu deſſen Gunften er Emden
zum Freihafen machte (1752) und eine afiatifche und eine bengaliiche
Handelsgeſellſchaft ftiftete, wollte nicht aufblühen.
Benn Zunahme des Wohlftandes und ber Bevölferung ein günftiges
Zeugnis für die Regierung ift, fo muß man jagen, Friedrichs Be—
mühungen um die Pflege des Nährftandes waren überaus heilfam und
fegensreih. Denn daß der Wohlftand beträchtlich wuchs, erfieht man
aus ber obenerwähnten Steigerung des Steuerertrags, da neue Auflagen
nicht hinzugelommen waren; aud die Eimvohnerzahl ftieg in den alten
wie in den neuen Provinzen ſehr bedeutend; fie betrug 1756 im ganzen
preußiſchen Staate fünf Millionen.
Das größte Verdienft in ber inneren Verwaltung erwarb fi Fried-
rich um die Rechtspflege. Er fand fie ganz verwahrloft, zumal auf
dem platten Lande. Dort hatten die Löniglichen Amtleute die Juſtizver⸗
waltung gepachtet und übten fie meiftens ohne Sachkenntnis umd nur
als Erwerbsquelle. Es gab z. B. in der Neumark nicht einen einzigen
verpflichteten und rechtskundigen Gerichtsverwalter. Sie erhöhten will-
kürlich die Sporteln, und ihr corpus juris war ber Stod. Sie famt
ihren Gerichtsverwejern Iebten vom Raube. Die Obergerichte waren
auch vol Mißbräuche; die ſchlecht befoldeten Räte legten fid, auf Neben-
verdienſte, die Richter verfchleppten Die Aften; die Abvofaten waren
großenteils unmifende Menſchen. Diele hatten ihre Stellen gefauft.
Die Prozeſſe waren Tangwierig und koſtbar; in ber Regel verlor ber
Arme, gewann der Reiche. Friedrich Wilhelm I. hatte gemeint, dieſen
Zuſtand dadurch verbeſſern zu können, daß er willürlic in den Gang
der Rechtspflege eingriff und felbft entfchieb. Aber damit half er doch
nur in einzelnen Fällen, und zuweilen machte fein Einjchreiten die Ver
PR
340 Die Jahre des Friedens von 17451756.
wirrung nur ärger; es beburfte-einer gründlichen Reform. Diefe nahm
num Friedrich II. vor. Er beauftragte den Zuftizminifter Coccefi, ben
Berfall der Zuftiz bis in die Wurzeln zu unterfuchen und abzuitellen.
Cocceji, troß feiner 70 Jahre ungemein rüftig und energifch, legte ſchon
im März 1746 feinen Entwurf vor; derfelbe ging auf drei Punkte, Um-
bildung der Kollegien, des Verfahrens und der Gefeßgehung, und er-
langte in allen Stüden die volle Zuftimmung des Königs. Die Reform
wurde nun zuerft in Pommern, wo die Mißbräuche himmelfchreiend
waren, fobann in ben anderen Provinzen eingeführt, und die Landftände
gaben bereitwillig eine Geldbeihilfe für die Koften des Werkes her. Bu-
nädjft erſchien 1747 ber Codex Fridericianus, ein Gefeßbuch, welches
die neue Gerichtsorbnung enthielt. Die Obergerichte wurden danach
mit lauter gelehrten, erfahrenen und zuverläffigen Richtern befet, Die
bei hinreichender Bejoldung fid) ganz ihrem Amte widmen Tonnten;
die Untergerichte kamen wieder in die Hände wirklicher Zuriften. Neu
war das Inſtitut der Ausfultatoren und Referendarien. Die Gebühren
wurben ermäßigt und feftgeftellt, die Prozeſſe rafch und ohne Schifanen
erledigt.
Der Haupterfolg der Coccefiichen Reform beftand jedoch darin, daß
fie den preußiichen Zuriftenftand gleichſam neu begründete, ihn auf feine
eigentliche Beftimmung hinwies und ihm bie Möglichkeit verichaffte,
feinem Berufe zu leben; ferner darin, daß die Rechtspflege von der Ber
waltung getrennt und nur wiſſenſchaftlich Befähigten anvertraut wurde.
Friedrich enthielt fi den Gerichten gegenüber jeder Eigenmächtigkeit.
„Ich habe mic) entfchloffen”, fprady er, „den Gang ber Prozeſſe nie zu
ftören. Die Geſetze müffen ſprechen und der Souverän ſchweigen“. In
der That kam e8 ausnehmend felten vor, daß er ein gerichtliches Urteil
abänderte, und dann nur in ben Fällen, wo er überzeugt war, man
babe ungerecht entſchieden, oder das Gefeß fei zu hart. Und wenn er
bier zuweilen eingriff, fo geichah es allemal zu Gunften der Armen und
Gedrücten gegen die Großen und Reichen; wie er 3. B. nicht dulden
wollte, daß man einen armen Wilddieb um eines. gefchoffenen Hafen
willen auf zwei Jahre ins Zuchthaus ftede, während Die Geſetze gegen
weit größere Verbrechen viel milder waren. Überhaupt behielt er allein
fid) das Recht vor, die graufamen Strafen, welde die Gerichte nad)
Lage ber Gejeßgebung damals erfannten, zu beftätigen oder zu ber»
werfen. Er mollte die Gründe jebes Todesurteils ſelbſt prüfen, er allein
willkürliche Verhaftung und Einfperrung, wenn fie nötig war, verfügen;
„feinen Beamten und Miniftern wollte er die gefährliche Waffe der
Eigenmacht nicht anvertrauen, wie in ben anderen Staaten feiner Beit
geihah, wo Minifter, Mätrefien, Hofleute oder ber erfte befte Beamte
über Xeben, Freiheit und Eigentum des Staatsbürgers verfügten. Die
Rechtsbflege. 341
Feſtungskommandanten durften durchaus keine Gefangene annehmen ohne
einen von dem Könige eigenhändig unterzeichneten Befehl, durch welchen
die Natur und Dauer der Haft genau vorgeſchrieben war. Dies war
damals in keinem andern Staate der Fall und ein Mittel, daß ſich
niemand hierin die geringfte Ungerechtigkeit erlauben durfte.“ *) Übrigens
übte Friedrich felbft jene ftrenge Gerechtigkeit ohne Anfehen der Perſon,
die er den Richtern zur Pflicht machte. Er ſchärfte den Juſtizbehörden
ein, die Rechtsſachen nicht nur zu entfcheiden, fondern auch in Ausfüh-
zung zu bringen und ſich dabei auch dur königliche Verord—
nungen nidt ftören zu lafjen. Denn ihre höchſte Pflicht fei
die Zuftiz, auf die-fie gefhmworen.
Diefe neue Rechtsordnung ficherte alfo Perfonen und Eigentum
gegen Willkür und gewaltfame Eingriffe der Verwaltung, indem fie jeden
unter die alleinige Herrihaft der Geſetze ftellte. So gab fie dem Unter-
than das Gelbftgefühl und das Bewußtfein eines Rechtsdaſeins und
machte den preußifchen Staat, der bis dahin ein Militärftaat war, auch
zu einem Rechtsftaat. Die Juſtiz befam alfo zugleich einen politifchen
Beruf; eben darum nahmen die Stände überall im Lande einen lebendigen
Anteil daran. Sie priefen das Unternehmen des Königs als ein herr⸗
liches vaterländiſches Wert. occeji entwarf 1749 aud) ein allgemeines
beutfches Landredit, das, in der Vernunft und Landesverfaffung gegründet,
die Herrſchaft des römifchen Rechts bejchränfen und ein zeitgemäßes
deutfches Geſetzbuch darftellen follte. Das war der Anfang des fpäteren
„preußifchen Landrechts“, deſſen Vollendung der hochverdiente Mann nicht
mehr erlebte. Von feinem Könige mit Ehren überhäuft und zum Groß-
Tanzler erhoben, ftarb er im Zahre 1755. Friedrich fagt von ihm die
ſchönen Worte, die ihn und jenen ehren: „Soccefi war wie Tribonian
für die Gefepgebung und das Glüd ber Menſchen geboren.“ **)
Denfelben Grundfag: „Gleichheit vor dem Geſetz“ hielt ber König
aud in den kirchl ich en Verhältniſſen feit. Die Religionen wurden alle
von ihm gebuldet, und fie follten gleiche Duldung unter einander üben.
Ich bin neutral“, fagte er, „zwiihen Rom und Genf; wer den andern
beeinträchtigt, wird verurteilt." Die Reformirten, bisher in Schlefien
ausgejchlofien, erhielten hier jetzt Religionsfreiheit, ebenſo wie die Luther
raner. Die atholifche Geiftlichkeit in Schlefien wurde nicht bebrüdt, aber
mit ihrer Herrichaft war es vorbei; fie mußte fid, in das Staatsweſen,
wie e8 in Preußen war, ſchicken lernen, und dies wurbe ihr erleichtert,
weil ber gemäßigte, friebliebende Mann, der auf dem Biſchofsſtuhl von
Breslau faß, die Duldfamkeit des Königs auf jede Weife unterftüßte.
*) Gchloffer, Gef. d. 18. Jahrh. IL. 274.
=) Oeuvres IV. 2.
342 Die Jahre des Friebens von 17451756.
So bildete ſich zwifchen beiden Zeilen ein gutes Einvernehmen. Gern
erlaubte der König den Katholiken auch den Bau einer katholiſchen
Kirche zu Berlin (die Hedwigskirche). Aber gehorchen mußte ihre Geift-
Yichfeit ihm eben fo gut wie die evangelifche. Als das Domtapitel in
Breslau fi, feinen Beftimmumgen über den Nachfolger des Biſchofs
(1743) widerſetzte und in Briefwechfel mit Rom und Wien trat, wurden
die Domherren ſcharf verwarnt: „Ich habe und will euch im Gewiffen
und in ber Religion nichts thun“, ſprach er zu den Verſammelten,
„aber wenn ihr fortfahrt, mit dem Auslande zu fonfpiriren und meinen
Willen nicht zu thun, fo babe ich Yeitungen, ungehorfame Leute dort
einzufperren. Wenn ich euch alle auf einmal fortgejagt hätte, fein Hahn
würde danach gefräht haben.“ Cr fehte feinen Willen dur; nach
langem Sträuben wählte das Kapitel, als Singendorf 1747 geftorben
war, den Domherrn Grafen Schaffgotich zum Biſchof. Eben fo wenig
durften die katholiſchen Geiftlihen in Schlefien ihre früheren Rechte
über Evangelifche behalten; hinfichtlich der gemifchten Ehen beftimmte
der König fon 1743, daß die Söhne in der Religion des Waters,
die Töchter in der Religion der Mutter erzogen würden; übrigens
ftellte er es durchaus jedem frei, ſich zur Tatholifchen oder zur evan-
geliſchen Kirche zu befennen. Die übergroße Anzahl der Tatholifchen
Feiertage wurde beſchränkt. Außer den Sonntagen follten die Katho—
liken nur noch 13, die Evangeliſchen 9 Feſttage feiern. Die Evan-
gelifhen in Schlefien erbauten fi bis zum Jahre 1750 fiber 200 neue
Kirchen; dennoch ftieg ihre Zahl bei weitem nicht wieder jo hoch,
als fie vor dem breißigjährigen Kriege gewelen; zu große Verheerungen
hatte die kirchliche Reaktion unter dem habsburgiſchen Zepter hier an=
gerichtet.
Obgleich nun der König unparteiifche Gerechtigkeit gegen beide
Kirchen übte, fo wußte er doc) gar wohl, daf nur die evangelifche ihn
von Herzen liebte, und daß fein Staat weſentlich ein proteftantifcher war.
Aus politiſchen Gründen beharrte er denn aud) an der Spike bes pro-
teftantifchen Deutſchlands. Ihm felbft waren die Glaubensmeinungen
gleihgiltig, aber als Staatsmann erfannte er, wie unendlich wichtig fie
für Die Menfchheit feien. Er hielt darauf, daß das Volk in feinem religiöfen
Slauben nicht erjhüttert würbe, und er ſchickte einmal einen Buchhaͤndler
auf ſechs Monate nad) Spandau, weil berfelbe eine beutjchgeichriebene,
alfo deni großen Publikum zugängliche Spottfchrift gegen die chriſtliche
Religion verbreitet hatte. Doch konnte der Theologe Edelmann es in
Berlin unter allen Deutfchen zuerft wagen, (1747) drudten zu laffen, Jeſus
ſei ein bloßer Menſch geweſen, von Gott, mit vortrefflihen Gaben aus⸗
gerüftet, um eine Religion der Liebe und Vernunft zu lehren; die Welt
fei ewig, die Seele unfterblid, und ein Teil Gottes; es gebe weber Engel
Das Kichemegiment. 343
noch Teufel; die Bibel fei von Menſchen gefehrieben; die Gründe unferer
Erkenntnis beruhten allein in der Vernunft, in der Erfahrung und Wahr-
fcheinlichfeit. Diefe und andere rationaliftiiche Lehren durfte Edelmann
verfündigen, ohne daß Friedrich, wie die Geiftlichen verlangten, ihn da-
für beftraft hätte. Seine Schriften wurden dann zwar als gemeinjhäd-
lid) verboten, Edelmann felbft aber fonft nicht behelligt; er lebte ruhig
in Berlin bis an feinen Tod (1767).
Ein Staat, deffen Lebensprinzip die unbedingte Hingebung aller an
den Fürften, als an die Seele des Staates, war, konnte nicht wohl die
Preßfreiheit geftatten. Eine folche verträgt ſich überhaupt nur mit Ge—
meinwejen, in denen das Volk der Bevormundung von oben her wirklich
entwachlen ift. Dies war in Preußen jo wenig wie anderwärts auf
dem europäifchen Yeftlande der Fall, etwa Holland ausgenommen. Dü-
her kam Friedrich IT. fehr bald von jener unbefchränften Entzügelung
der Prefie, die er bei feinem Regierungsantritte verfucht hatte, wieder
zurüd und führte aufs neue die Zenſur ein. Schon 1743 erjchien die
Haube- und Spenerjche Zeitung in Berlin ftatt mit dem früheren Motto:
„Wahrheit und Freiheit!" mit der Umfchrift um den preußiſchen Adler
„Mit Königlicher Freiheit.” Aber zu Senforen wollte der König nur
vernünftige Männer, die nicht jede Kleinigkeit aufmußten, und er ließ fie
ihr Amt mit jo großer Freifinnigfeit üben, daß man fpäter glaubte,
es habe unter ihm immer völlige Preßfreiheit beftanden, was doch nicht
der Tall war. Freilich im Vergleich zu den andern Staaten ımd zu
den beiden folgenden Regierungen war Friedrichs Zenfur faſt Preß⸗
freiheit zu nennen.
Bei dem traurigen Zuftande, in welchem ſich damals das geiftige
Xeben ber Deutjchen befand, bei der Geſchmackloſigkeit und Roheit faft
aller ihrer. literarifcden und Künftlerifchen Erzeugnifte, war es bem Könige
nicht zu verübeln, daß er die feine franzöfifche Bildung, die er felbft be⸗
faß, ber einheimifchen vorzog. Er traute den Deutfchen auch fein Ins
terefle für Literatur zu; in der That war ein ſolches felbft in Berlin fo
gering, daß eine Literaturzeitung, Die 1750 von Formen herausgegeben
ward, aus Mangel an Lefern eingehen mußte. Da er es nun weder
für möglich noch für wänfchenswert hielt, bie Deutfchen in den Wiflen-
ſchaften und Künften zu Franzoſen zu machen, fo überließ er fie hier
ihrer eigenen Weife. Aber fein Beijpiel — die Thatſache allein, daß
ein fo großer König jelber fchriftftellerte, felber Mitarbeiter an der ber-
liner Aademie war und feine Erholung nur in äfthetifchen und philo-
ſophiſchen Beftrebungen fuchte — Die hohe Achtung, die er ben fremden
Gelehrten und Künftlern erwies, alles dies bewirkte vieleicht mehr, als
Kabinetsbefehle vermocht hätten, daß der Sinn für geiftige Beftrebungen
allmählich erwachte, daß ſich fähige Köpfe auf jene Dinge warfen, bie
344 Die Jahre des Friedens von 1745—1756.
Friedrich dem Großen fo teuer waren. Der König felbft ahnte von
diefer langſamen Erhebung des Nationalgeiftes nichts; doch wo er ein
höheres Streben wahrnahm, unterftüßte er es bereitwillig. So begün-
ftigte er 3. B. das Unternehmen des Prediger8 bei der Dreifaltigfeits-
firhe zu Berlin Johann Julius Heder, ber hier im Jahre 1747
eine Schule von ganz neuer Art anlegte, eine „ökonomiſch⸗mathematiſche
Realſchule“ mit dem Zwed, junge Leute für das Handelsfach oder für
Künfte, Gewerbe, Landwirtſchaft auszubilden. Man pflegte damals folche
neue Anlagen durch Lotterien emporzubringen, fo geſchah es auch bei
der Gründung diefer Anftalt. Der König erteilte ihr den Namen einer
töniglichen Realſchule und erwies ihr mancherlei Wohlthaten; nach
ihrem Vorbilde find fpäter alle anderen Realfchulen entftanden, die heute
im deutſchen Schulwefen einen fo breiten und wohlverdienten Plaß ein»
nehmen. Im ganzen freilich geſchah zu dieſer Zeit für die Schulen und
Univerfitäten ſehr wenig; Friedrich ließ bei ihnen faft alles beim alten.
Defto eifriger bemühte er fi) um die Akademie der Wiſſenſchaften, bie,
durch Maupertuis umgeftaltet, im Jahre 1744 ihre Sihung eröffnete
und fi) num auch mit philofophifchen Forſchungen beichäftigte. Ste war
wefentlich franzöſiſch, und ihre Denkichriften erichienen in diefer Sprache.
Es gab indes unter ihren Mitgliedern außer den Franzofen und franz
zöſiſch gebildeten Schöngeiftern doch auch manche tüchtige deutſche Ger
lehrte, wie den Mathematiker Euler und den Raturforſcher Lieberkühn,
der Die eleftrifchen Berfuche Lubolfs und Winklers weiter verfolgte.
Einer der fleißigften und literarifch bebeutenbften Mitarbeiter war Friede
rich II jelber. Er ſchrieb in dieſer Zeit die Geſchichte feines Hauſes
und Landes, 1746 bie Gefchichte feiner Zeit und der beiden erften
ſchleſiſchen Kriege; Werke, an denen namentlich die große Treue und
Bahrhaftigkeit der Darftellung zu rühmen ift. Indem nun Friedrich
dadurch zeigte, daß fich der Degen mit der Feder gar wohl vereinigen
lafie, brachte er die Schriftftellerei als folche zu Ehren — und das war
immerhin ein Verdienft auch um Die deutfche Literatur. Einer der beften
Dichter, die Preußen überhaupt hervorgebracht hat, Ewald v. Kleift,
ber berühmte Sänger bes Frühlings, dichtete damals und war ein preußi-
ſcher Offizier. Auf anderem Gebiete, als gelehrter Schriftiteller, that
ſich in dieſer Zeit zu Berlin der Geiftlihe Süßmilch hervor, der Be
gründer einer wifjenfchaftlichen Statiftik.
Friedrich beſaß zu viel Sinn für die Kunft, als daß er nicht gleich
nad) feinem Regierumgsantritt ſich beeilt hätte, feine Umgebung durch fie
zu ſchmücken. Zahlreiche Schönbauten gaben Berlin, welches jept (im
Jahre 1750) 113.000 Einwohner zählte, bald das Anfehen einer euro⸗
paiſchen Hauptſtadt. Schon 1742 wurde das von Knobelsborf in eblem
Stile erbaute Opernhaus mit einer Graunſchen Oper eröffnet. Dann
Seifige Iutereſen 345
wurde das Afademiegebäude, das Invalidenhaus, die katholiſche Kirche,
die neue Domkirche (1750), der Palaft des Prinzen Heinric) gebaut; der
Tiergarten, der bisher mehr einem Jagbrevier gli), durch Knobelsdorf
1741 in einen geihmadvollen Park umgewandelt, und auf dem Weinberg
bei Potsdam erhob fi) (1746) nad) einem gleichfalls von Knobelsdorf
entworfenen Plane inmitten prächtiger Parkanlagen ein Schloß, welches
Friedrich anfangs 1a Vigne (den Weinberg), dann fein „Sansſouci“
nonnte. Am meiften indes kam die Mufit in Aufnahme. Der König ver-
wenbete auf die italieniſche Oper und die franzöftfche Bühne viel Gelb.
Damit auch in den Schulen die Singefunft beffer als bisher betrieben
werbe, führte er (1746) im ihnen drei Gingftunden wöchentlich) ein.
Übrigens drang bie Liebe zur Kunft nicht tief in das Volk; fie beſchränkte
fid) mehr auf den nächſten Kreis, der den königlichen Hof umgab.
Als Privatmann hat Friedrich viel Unglüd gehabt. &r befand fi
nod) im jüngeren Mannesalter, als er bereits die Hoffnung auf Bater-
freuden aufgeben mußte; ein häugliches Glück war ihm verfagt. Er ver-
mißte e8 freilich nicht fehr; fein Herz war für Frauenliebe nicht gefchaffen.
Defto empfänglicher war er für die Freundſchaft; bei dieſer fuchte er
Freude und Troft. Aber die Reihen der Jugendfreunde, an benen er
mit faft zärtlicher Zuneigung und mit unerfchätterlicher Treue hing, lich⸗
tete allzurafch der Tod. Bis zum Jahre 1746 waren Suhm, Keyſerlingk,
Camas, Jordan, Dühan geftorben; bald folgten Golz, Stille, Rnobels-
dorf. Er fühlte fi) wie verwaift. Der einzige, den er in feinem Mannes»
alter nicht nur achten, ſondern auch lieben lernte, ber ihm ein wirklicher
Freund wurde, war der Marquis d’Argens, ein Mann von eblem Herzen
und feiner Bildung ımb bem Könige aufrichtig ergeben. Dagegen machte
Friedrich mit Voltaire, den er fo hoch fchäpte, fchlimme Erfahrungen.
Er berief ihn 1750 zu ſich, erhob ihn zu feinem Kammerherrn, überhäufte
ihn mit Ehren und Geſchenken. Aber Voltaire zeigte in Berlin die ganze
Haßlichkeit feines Charakters. Seine Gitelfeit, Eiferjucht, Habſucht und
Rachgier erregten fortwährend die ärgerlichften Auftritte; er fuchte jebes
fremde Verdienſt zu unterbrüden und ftiftete am Hofe allerlei Ränfe an.
Da er auf Friedrichs wohlwollende, doch ernfte Borftellungen nicht hörte,
fo fiel er 1753 in Ungnade und ging wieber nach Frankreich zuräd.
Dort vergalt er des Königs Iangjährige Freundſchaft dadurch, daß er
beffen Gedichte, die er ihm geftohlen, veröffentlichte und überdies in
einer niederträdjtigen Schmähfchrift defien Charakter verfeumbete. Auch
Dies verzieh ihm der König; fie traten fpäter wieder mit einander in
Briefwechfel, der erft mit Voltaires Tode aufhörte. Friedrich brauchte
Agn als Grammatiler und Stiliften. „&8s ift recht Schade“, ſchrieb er
ſchon 1749 an Algarotti, „daß eine fo nichtswürdige Seele mit einem
jo herrlichen Genie verbimben fein Tann; allein ich Habe feiner zum
346 Die Jahre des Friedens von 1745—1756.
Studium der franzöſiſchen Sprache nötig, Man kann Schönes von
einem Böfewicht lernen. Ich will fein Franzöſiſch, was geht mid) feine
Moral an!" Dennoch begann Friedrich nad) ſolchen Erfahrungen, fein
Gemüt immer mehr zu verichließen. Er gewöhnte fid) auf perfönliche
Verhältniffe zu verzichten, und fand feine Befriedigung bald nur noch
in der unermüdlichen Arbeit für den Ruhm und bie Wohlfahrt feines
Volkes; er hatte nur noch eine Leidenſchaft: Preußens Ehre und Glüd.
Selten hat ein Menſch ein jo lebendiges und ftarfes Pflichtgefühl gehabt
wie er. „Ein Fürft“, fagte er im feinem politifchen Zeftament 1752,
„der aus Schwäche ober um feines Dergnügens willen das edle
Amt verfäumt, das Wohl feines Volles zu befördern, ift nicht allein
auf dem Throne unnüß; er macht fid) fogar eines Verbrechens ſchuldig.
Denn nicht dazu ift der Fürft zu feinem hohen Range erhoben und mit
der höchſten Gewalt betraut, um ſich mit dem Marke des Volkes zu
mäften und im Glücke zu fehwelgen, während das Volt leidet. Der
Fürſt ift der erfte Diener des Staates und gut genug bezahlt,
um bie Würde feiner Stellung aufrecht zu erhalten, aber man verlangt
von ihm, daß er nachdrücklich zum Wohle des Staates arbeite.“
Ein König von folder Gefinnungs- und Handlungsweife durfte wohl
die Volksſouverãnität verfünden und doch felber unumſchränkt herrichen.
Für einen ſolchen König trug man aud die Laften gern. Sie waren
in Preußen hart genug: welche ſchwere Steuern, welch drüdenber Kriegs-
dienft! Aber das Geld und die Kinder des Volks dienten einzig und
allein echt vaterländifchen Bweden: Preußens Ruhm und Größe. Aller
dings, Die Stärke des Heeres war für den Heinen Staat unnatürlich hoch
(150000 Mamn im Jahre 1755); aber alles, was Friedrich für Aufs
Härung, Duldung, Gerechtigkeit, Gleichheit vor dem Geſetze that, warb
nur dadurch möglich, daß er allen alten Vorurteilen waffenftart trogte.
Bar er doch mit feinen Ideen der Zeit boransgeeilt, als er Die Aufklärung
auf den Thron erhob. Wie haßte ihn Die ganze alte Geſellſchaft, die
unfähigen und unwürdigen Fürften, die auf den meiften andern Thronen
jaßen, mit ihren geiftlichen und weltlichen Schranzen und Schmarotzern!
Sie wanden fid) unter den Geißelhteben feines bittern Spottes, dem er
rückfichtslos Die Bügel fchießen ließ; fie waren beihämt von feinen
Thaten; fein ganzes Wejen war eine ungeheure Neuerung und eine ftete
Drohung für fie. Und mn der Neid der großen Mächte ringsum! Wie
Hätte gegen ſoiche deindſchafl Preuden beftehen mögen ohne ein über-
mäßig großes Heer! Das fühlte Friedrichs Volt gar wohl; es fragte
nicht danach, ob es wie alle anderen Deutſchen in der Form der Des⸗
potie beherrſcht wurde, das verftand ſich Damals in Deutſchland von felbft;
es war zufrieden, daß es — ein feltener Fall — gut regiert wurde.
Denn barin eben lag ber unermeßliche Unterſchied zwiſchen Friedrichs
Der fiebenjährige Krieg. 347
Abfolutie und derjenigen faft aller andern deutfchen Fürften, daß er alles
für fein Volt, dieſe aber alles für ſich thaten; daß feine Herrſchaft edel
und ruhmreich, die Herrſchaft jener ſchmachvoll und erbärmlic) war; daß
in Berlin ein tüchtiger König, anderwärts ein Haufe von Günftlingen,
Schrangen und Gunftdamen regierte. Und dann bie reichen Ehren, Die
der Staat durd) ihn erwarb, waren nicht ſchon fie der Opfer wert, die
gebracht wurden? Es entbrannte eine preußiſche Vegeifterung, die fiber
manche Leiden binweghalf und zu größeren Leiftungen befägigte. Kurz,
Friedrich war ein rechter Volkskönig und wahrer Vater des Vaterlandes,
der feines gleichen nirgends hatte. Mit Recht nannten ihn feine Preußen
Friedrich den Einzigen.
Der iebenjährige Brieg.
Durch Friedrichs Genie und feines Volkes Tapferkeit war das Ziel
erreicht, welches der große Kurfürft einft feinem Hauſe vorgeftect, und
welchem Sohn und Enkel mit Anftrengung und Talent und mit Glüd
ugeftrebt hatten: der norbbeutiche Staat als Hort des Proteftantismus
auf dem Kontinent war feftgeftellt, Brandenburg-Preußen eine Groß⸗
und Weltmacht geworben. Diefes Ereignis, obwohl aus der Ratur der
Dinge und Menjchen hervorgegangen, erweckte body, wie jedes große
Neue, zunächft nur den Widerſpruch und Wiberftand aller der Mächte,
die ein Interefie an dem ortbeftehen des Alten hatten ober zu haben
vermeinten. Es war natürlich, daß Diefe fi) wider den Einbringling
und Emportömmling vereinigten, und notwendig, daß leßterer aud) gegen
alle zufammen feinen Platz behauptete. Diefes fachliche Berhältnis er⸗
hielt nım dadurch einen ganz bejonbers fchroffen Ausbrud, daß es ſich
fofort in ein perſönliches umſetzte. Denn zu einer Beit, wo fait alle
Staaten despotiſch verfaßt waren, kam es im ber Regel weit mehr auf
die Stimmung ber Fürften als auf die Imterefien ber Staaten an.
Und es traf fi) damals, daß im größten Teile Europas beides zu
Ungunften Preußens zufammenfiel. Das Auflommen dieſer neuen Groß ⸗
macht, zumächft und am meiften auf Koften Ofterreichs geſchehen, war
doch and) ein Nachteil für die beiden anderen Hauptmädjte des Feſt ⸗
landes, für Frankreich und Rußland. Denn jenes büfte feinen alten
und ihm bisher fo vorteilhaften Einfluß in Deutſchland ein, wenn hier
der Rorben von Preußen wie der Güben von Öfterreidy beherricht warb;
Rußland aber konnte nicht hoffen, fo ungeftört nach dem Weften vorzu«
dringen, wenn es bier auf zwei deutſche Hauptmächte, ſtatt auf eine ſtieß.
Die deutfchen Kleinftanten endlich mußten fürchten, allmählich von einer
Macht verſchlungen zu werden, die fi in Deutſchland fo erfolgreich aus-
348 Der fiebenjährige Krieg.
breitete. Selbit Schweden durfte fid) von ihr bedroht fühlen, fo lange
«3 nod) ein Stück von Pommern befaß.
Um fo energifcher konnten fid) auf dieſem Boden nun die perfüns
lichen Leidenfchaften bewegen. Die europäifche Fürſtenſchaft hafte Fried-
ri) den Großen; feine geiftige Überlegenheit erbitterte, feine felbftver-
geflene Regententhätigkeit beſchämte ſie; die freifinnigen Grundfäße, die
er in politifchen und religtöfen Dingen verfündigte, erregten ihren Abs
ſcheu und ihren Schreden. Bei den föniglidhen und kaiſerlichen Höfen,
die bisher die Mittelpunkte der hohen Politik geweien, fam noch der
Ärger Hinzu, daß man nicht bloß einen neuen Rebenbuhler in der Welt
habe, fondern daß ber Kollege in Berlin fo widerharig fei und Iedig-
lich auf eigenen Füßen ftehen wolle. In der That, Friedrich der Große
wußte feine Würde, wenn aud) fein Staat die Fleinfte unter den Groß—
mädjten war, überall aufrecht zu erhalten; ohne glänzenden Aufwand
fpielte feine Diplomatie dod) eine große Rolle. „Denke Er, daß ic) mit
100 000 Bann Hinter Ihm ſtehe“, ſchrieb er einem feiner Gejandten,
der fid) über die farge Befoldung beflagte, die dem Anfehen des Staats
Abbruch) thue. Die Franzoſen waren feit hundert Jahren gewohnt an
deutſchen Höfen die Gönmer und Beſchützer zu ſpielen; damit Tamen fie
in Berlin ſchlecht an. Die Ruffen hätten den König von Preußen gern
wie einen polniſchen Satrapen behandelt; damit war es auch nichts.
Ebenſowenig konnte in Berlin von einem Anfehen des deutſchen Kaifers,
d. h. des wiener Hofes, die Rede fein. Friedrich trat ihnen allen voll
Selbftgefühls entgegen; er wid) nicht einen Zoll breit von feiner Würde
und feinem Vorteile ab.
Aber nicht nur unbequem war er allen, fie fürchteten ihn aud. Er
galt für ehrgeizig, für ebenfo unternehmend als unruhig und unzuver-
läffig, für einen Mann, der rücfichtslos in der Wahl der Mittel nur
feinen Zwed verfolge, für einen ſehr gefährlichen Mann, der zu allem
fähig, von dem man fich des Schlimmften verjehen dürfe, der mit feinem
vollen Schatz und überftarken Heere immer bereit fei, die Nachbarn an⸗
aufallen und zu berauben. Sie hatten ja erfahren, wie Hug und gewandt
diefer Eroberer feine Macht brauchte, wie fein Glüd feinen Fähigkeiten
glei) war, und fie meinten, er laure nur darauf neue Gewaltjtreiche zu
vollführen.
Kurz, die erlauchte Gefellihaft betrachtete ihren ruhmgekrönten Mit
fürften voll Mißtrauens und Mißvergnügens. Friedrich wußte es wohl,
aber er veradjtete fie zu gründlih, um ſich mit ihnen auf freundlicheren
Fuß ftellen zu mögen. Von Natur zu ftahlichtem Wi geneigt, erfparte
er feinem der Machthaber, ob gekrönt oder ungefrönt, die beikenden
Spottreben, die ihm in reicher Fülle auf die Zunge famen. Er fpielte
den Satyr mündlich und ſchriftlich gegen alle und jeden. Es war aud)
J
Europaiſche Verſchwdrung gegen Friedrich ben Großen. 349
ſchwer, nicht zu ſpotten, wenn man betrachtete, wie es damals um die
Regierungen Europas ſtand. In Frankreich ein Ludwig XV., der, nur
ſeinen Vergnügungen lebend, den Staat kopfloſen Miniſtern und einer
Favoritin, der Marquiſe von Pompadour, überließ; in Petersburg eine
Kaiſerin Eliſabeth, bei der die Trägheit und die Liederlichkeit um die
Herrſchaft ſtritten; in Wien die Bigotterie der Maria Therefia und die
Wechſelgeſchafte ihres Strohmanns, des Katfers; in Schweden eine bru-
tale und unfähige Adelsherrihaft; in Sachſen ein Fürft, der als ſolcher
abfolut nichts that und feinen Minifter Brühl das Land ruiniren ließ;
an den übrigen: beutfchen Höfen meiftens Pfaffen und Junker oder Günft-
linge beiderlei Gefchlechts am Ruder, oder gar biebere Landesväter, wie
jener Karl Friedrich Wilhelm von Ansbach (1723—1757), der einmal
feiner Mätreffe zum Spaß einen Schornfteinfeger vom Dache ſchoß, weil
fie den Mann gern wollte herunterpurzeln fehen, und der nachher ber
Bungernden Witwe bes Ermordeten als Entihädigung fünf Gulden gab.
Sollte da ein fo geiftreicher und wißiger Fürſt wie Friedrich an ſich
halten und nicht dieſe Menfchen geißeln, wie fie e8 verdienten! Ratür-
Hd) wurde jebes bittere Wort denen, die es traf, hinterbracht; fein Spott
reigte fie zur Wut und entflammte die Rachſucht, die um fo Heftiger auf
Ioberte, da die mächtigften unter den &etroffenen Weiber waren.
Niemand ſchürte den allgemeinen Haß gegen Friedrich II. eifriger
als Maria Therefin; fie bildete den Mittel: und Vereinigungspunkt aller
feiner Widerfacher. Niemand hatte auch fo viel Grund zur Feindichaft
wie fie. Den Kampf um ihres Vaters Erbe hatte fle gegen die alten
Mächte Europas glücklich beftanden; im aachener Frieden 1748 war ber
öſterreichiſche Erbfolgefrieg ehrenvoll für fie beenbigt worden; außer einem
Heinen &ebiete in Ztalien, Parma und Piacenza, das fie an Spanien
abtrat, hatte fie das Ihrige glücklich behauptet. Rur dem Könige von
. Preußen, diefem Staate, ben Habsburg bisher ald Vaſallen zu betrachten
pflegte, war fie erlegen; nur an ihn hatte fie Schlachten und eine Pros
vinz verloren; auf ihre Koften war er groß und berühmt geworben.
Und was für ein Verluft war jene Provinz! Zog Friedrich nicht aus
den ſchleſiſchen Domänen jegt zehnmal fo viel und aus ganz Schleften
zwei Millionen Thaler mehr als einft ihr Vater, und 40000 Soldaten,
wo biefer kaum 4000 erhalten? Dies alles ſchien ihr auf Die unge
rechtefte und gehäffigite Weiſe entriffen zu fein. Und wer konnte wifjen,
ob der böfe Nachbar nicht wieder einmal über fie herfalle; er rüftete ja
von Jahr zu Jahr ftärter. Und nicht bloß Habsburgs Größe und Macht
und ihr eigener Ruhm, aud) die Tatholiiche Religion, bie ihr ebenfo ſehr
am Herzen lag, hatte durch Friedrich ſchwere Einbuße erlitten. Denn
war nicht Schlefien ſchon auf beſtem Wege geweien, ganz katholiſch zu
werden? nun triumphirte dort wieder ber Proteftantismus! Alles, was
350 Der fiebenjährige Krieg.
ihr ſchlimmes je zugeftoßen, war ihr von Friedrich II. gelommen, von
diefem abfcheulichen Zreigeift; wie haßte fie dieſen böfen Dämon ihres
Lebens, ihres Haujes! Ihn zu demütigen, zu vernichten, mindeftens das
Berlorene wieber zu erobern, das war ihr fefter Entſchluß. Darum
brachte fie die Verwaltung ihrer Staaten in beffere Ordnung, namentlich
die Finanzen und das Heer, welches auf 200 000 Mann erhöht wurde.
Darum trieb fie ihre Diplomaten zu verboppelter Emfigkeit, um bie
beiden VBorbedingungen, bie fie fid) ftellen mußte, zu verwirklichen: fie
wollte den Frieden nicht ohme weiteres brechen, fondern unter irgend
einem guten Vorwande; und fie wollte nicht allein angreifen, dazu
war Öfterreid) einem Friebrid) dem Großen gegenüber nicht ftarf genug,
fondern im Bunde mit mehreren, mit Übermadjt. Sie arbeitete alfo
daran, einen großen europäifchen Bund gegen den gefährlichen Empor-
tömmling zufammenzubringen.
Da bot ſich ihr nun zuerft Rußland als Bundesgenoffe bar. Die
Kaiferin Elifabeth, erbittert durch Friedrichs Spottreden und angetrieben
von ihrem Kanzler Beſtuſchef, dem Öfterreich beftochen hatte, ſchloß mit
ihr ſchon 1746 ein enges Bündnis, in welchem fie der Kaiferin-Königin
Schlefien wieber zu erobern verfprad), falls Friedrich einmal ſterreich
oder Rußland oder Polen angreifen ſollte; und auch der ruſſiſchen Nation
ſuchte Elifabeth ihren Haß gegen Preußen mitzuteilen, wie fie denn
(1753) den Senat in Moskau die Erflärung abgeben ließ: „man müſſe
ſuchen, das aufftrebende Preußen wieder zu dem früheren mittelmäßigen
Zuſtande zurücdzubringen." Der dritte im Bunde war Auguft von
Sadjjen und Polen, oder vielmehr fein Günftling Brühl, der Friedrich
den Großen mit ber ganzen Kraft feiner Meinen Seele hakte und dem
wiener Hofe beim Ränkeſchmieden eifrig handlangerte. Gern hätte
Maria Therefia ihren alten Freund, den König von England herbei
. gezogen; aber fo abgeneigt biefer feinem Neffen auch war, in England
entſchied nicht die Laune des Fürften, fondern das Interefie bes Staates,
und zu dieſem ftimmte die Unterdrüdung des proteftantifchen Preußens
keineswegs.
Dagegen gelang dem wiener Hofe eine Verbindung, die niemand,
auch nicht Friedrich der Große, für möglich gehalten hatte; fo ſehr
wiberfprad) fie aller politiſchen Vernunft: Frankreich wurbe bafür ges
wonnen, Preußen zu Gunften Öfterreichs zerftören zu helfen. Zwar lag
& im franzöſiſchen Intereſſe, Preußen wieder zu einem Mittelftante
berabzubräden, aber doc mur in dem Falle, daß Habsburg bavon feinen
Nuten zog. Dennoch. geſchah das Unerwartete; ein Meifterftüd ber
Diplomatie, welches der öfterreichifche Kanzler, Graf Kaunitz, Maria
Therefias rechte Hand, zuftande gebracht hatte. Freilich Toftete es viele
Mühe; die franzöſiſchen Staatsmänner wollten ſich nicht überreden lafſen,
Bund zwiſchen Öfterreih und Frankreich. 351
der uralte Gegenſatz zwiſchen ben Häufern Bourbon und Habsburg fet
nur ein Vorurteil, Frankreichs jahrhundertelanges Ringen mit Öfterreic)
- ein Irrtum geweſen; Kaunitz fannte aber die Hebel, die hier anzu—
wenden waren. Auf feinen Rat vergaß fid) die ftolze Kaiferin, Die
fittenftrenge Maria Therefia fo weit, daß fie die Vermittelung der Pom—
padour in Anſpruch nahm, ihr Artigfeiten erwies, Gefchenfe machte. Es
bieß fogar, fie habe eigenhändig an fie gejchrieben. Wie ftach dies
gegen Friedrichs Verhalten ab, der jener Perſon immer feine Berady-
tung bezeigte und feinem Gefandten verbot, ihr Beſuche abzuftatten, was
doch alle übrigen Gejandten thaten. Ludwig XV. felbft, der feine Auss
ſchweifungen durch Frömmelei gut zu machen meinte, wurde dadurch
don Preußen abgemwendet, daß man ihm vorftellte, Friedrich fei ein
Gottesleugner, und Preußens Unterdrüdung ein Gewinn für den Kathos
lizismus.
Den Ausſchlag gab aber das Verhältnis zu England. Im Jahre
1755 brachen zwiſchen den Engländern und den Franzoſen in Nordamerika
und zur See Feindſeligkeiten aus, welche die Vorboten eines Krieges
zwiſchen dieſen beiden Nationen waren. Georg II. lag nun alles daran,
ſein geliebtes Kurfürſtentum Hannover durch eine Hilfsmacht decken zu
lafſen. Er wandte ſich an Oſterreich, aber Maria Thereſia wies ihn ab,
weil ihr jet die Freundſchaft Frankreichs wichtiger war. Er wandte
fid) num an Preußen. Friedrich wußte zum großen Teil von ben öfter
reichiſchen Entwürfen und Umtrieben, namentlich fannte er die Verhand⸗
lungen zwifchen den Höfen von Wien, Dresden und Petersburg; „ein
beſtochener jächfifcher Kanzelift, Namens Mentel, hatte ihm Abfchriften
davon verihafft. Eben darum rüftete er ja jo unabläffig, weil er ben
Sturm heraufziehen fah. Als nun Georg II. ihm ein Bündnis antrug,
fo ging er darauf ein, weil er meinte, e8 werde den Frieden in Deutſch⸗
land ſicher ftellen. Denn die Engländer hatten durch ihr Gold bei ber
ruſſiſchen Kaiferin viel Einfluß, und was Frankreich betraf, fo ſchien es
allzu unwahrfcheinlih, daß es zu HÄſterreichs Nuhen wirklich mit ihm
bredjen werde. Er ſchloß alfo zu Weftminfter am 16. Januar 1756
mit England einen „Neutralitätspertrag”, fraft deſſen beide Teile
fi) Beiftand gegen jeden Angriff in Deutſchland verſprachen. In Paris
ſchrie man nun abgeihmadter Weife über den „Abfall des Königs von
Preußen“, der feine alten Verbündeten, die Franzoſen, verlafie; man
war dort feit entſchloſſen, Deutſchlands Neutrafifirung nicht zu dulden;
unter feiner Bedingung wollte man darauf verzichten, den König von
England in feinem hannöverjchen Beſitz anzugreifen. So gelang e8 ‚denn
Kaunitz jebt, Ludwig XV. dahin zu bringen, daß er (an 1. Mai 1756 zu
Berfailles) mit Maria Therefia ein förmliches Verteidigungsbündnis
einging, defien Spige gegen Preußen gekehrt war. Nun durfte Maria
.
352 Der fiebenjährige Krieg.
Therefia hoffen, mit franzöflichem Gelde auch Schweben, die deutſchen
Fürften und befonders Rußland ins Feld zu bringen. In der That,
die ruffifche Kaiferin gab unbedenklich die Freundſchaft mit England
auf; ihr Haß gegen Friedrich II. war fo leidenſchaftlich, daß fie amt
liebſten ſogleich losgeſchlagen hätte. Dies verhinderte Kaunitz indeffen;
man fam überein, in biefem Jahre die diplomatiſchen und militärtfchen
NRüftungen zu vollenden und im nächſten Frühjahr den König von allen
Seiten anzugreifen. Maria Therefia fah ſchon im Geiſte ihre alten
Teilungsplaͤne verwirklicht und den verhaßten König von Preußen zu
einem bloßen Markgrafen von Brandenburg herabgebrüdt. Denn nad)
ihrem Entwurfe follte Schlefien mit Glatz an Ofterreich, das Königreich
Preußen an Polen, dafür Kurland und Semgallen an Rußland, Magdes
burg an Sachſen, Pommern an Schweden kommen; Frankreich aber
durch das Herzogtum Luremburg oder Kleve belohnt werben, während
die ſpaniſchen Bourbonen für Parma und Piacenza Belgien bekämen.
Die Abfiht war, Rußland follte angreifen und der Kape die Schelle an
hängen, Ofterreich als Bunbesgenofie folgen, die Franzoſen (die ihren
Krieg gegen England zur See jchon jegt eröffneten) würden dann, nebft
den Schweden, Beiftand leiſten; Sachſen wollte fid) erft auf den Turnier-
plag wagen, wenn der Ritter im Sattel warte.
So verſchwor fi) Europa gegen Preußen; eine Todesgefahr auch
für den Proteftantismus, für ganz Deutſchland, defien aufbämmernde
Aufflärung ben Duntelmännern, befien Grenzmarken dem Auslande über:
liefert werben follten. Es fragte ſich für Friedrich, nicht ob der Krieg
zu vermeiden, fonbern wie er am beften aufzunehmen fei. Bor die Wahl
geftellt, abzuwarten, bis das Neb fid) rings um ihn jchließe, oder rafch
und fühn jelber anzugreifen, entſchied er fi für das letztere; dem er
felbft war fampfbereit, jeber Augenblid aber, den er den Feinden zur
Vollendung ihrer Rüftungen ließ, vermehrte deren Kraft und erſchöpfte
die feinige. So erhob er fid, wie ber gereizte Löwe zu einem Haupt ⸗
ſchlage. Wenn er Kurfachfen überfalle, dann ſterreich bebränge, fo
werde die Hauptlaft des Krieges auf deſſen Verbündete fallen, er jelbft
aber den Vorteil haben, den Krieg in Feindesland zu führen und für
Preußen die Streitmittel zu gewinnen, welde Sachſen an Oſterreich
geben wollte. Dann werde fih, fo hoffte er, die furdhtbare Ver⸗
ſchwörung gegen ihn in Rauch auflöfen. Er griff zu den Waffen aus
Vorſicht.
Denn dies — der Wunſch nach einem ſichern Frieden, und nicht
Ruhm⸗ ober Eroberungsſucht — war es, was jetzt ihn trieb. Gern hätte
er ben Degen in der Scheibe gelaflen; jenen verhängnisvollen Vertrag
von Weitminfter war er ja eben darum eingegangen, weil er gemeint
hatte, dadurch fid) und Deutſchland vor Krieg zu behüten. Und noch
Firma, 353
jet mochte er nicht jede Hoffnung aufgeben. Bielleicht würde Oſterreich
fi) noch im legten Augenblicke befinnen; er verfuchte es; zweimal lie
er durch feinen Gefandten am wiener Hofe in freundlicher Weife Auf-
Härung über den Zweck der öfterreichifchen Rüftungen verlangen und
fragen, ob die Truppen, die man in Böhnten zufammenziehe, vieleicht
gegen ihn gerichtet feien; ob ihn die Kaiferin-Königin wenigftens darüber
beruhigen wolle, daß fie ihn weder in diefem, noch im folgenden Jahre
angreifen werde. Aber Maria Therefia erteilte nur ungenügende und
ausweichende Antworten (21. Auguſt). Da war er entjchieden: „Beffer
zuporzufommen als fi) zuvorfommen zu laſſen“, ſchrieb er dem Könige
von England. Am 29. Auguft 1756 brad) er mit 67000 Mann und
224 Geſchützen in Sachſen ein. Der Krieg begann.
Kurſachſen, ein Land faft jo groß wie Schlefien und noch bevölferter
und wohlhabender als diejes, mußte ſchon feiner geographifchen Lage, der.
böhmiſchen Päffe wegen, fi) bei jedem Kriege zwifchen Preußen und
Öfterreich im Beſitz ber norddeutſchen Großmacht befinden, wenn diefe
mit Ausfiht auf Erfolg kämpfen ſollte. Seine Beſetzung war daher
ebenfowohl eine militärifhe wie eine politifche Notwendigkeit. In viers
zehn Tagen war fie vollbracht; die ſächſiſchen Truppen, 17000 Mann,
befehligt vom Feldmarſchall Rutowski, zogen fi in ein verfchanztes
Lager bei Pirna zurüd. König Auguft mit Brühl und dem Hofftaat
flüchtete auf den Königftein, von wo er alle Anträge Friedrichs, ſich mit
ihm zu verbünben, entſchieden abwies und feine Sachſen ermahnte, für
ihn bis zum legten Blutstropfen zu kämpfen. Friedrich ſchloß nun das
ſächſiſche Heer bei Pirna ein und zwang unterbefien alle Kräfte des
Landes in feinen Dienft. Es wurden ftarfe Lieferungen beigetrieben,
aber gute Mannszucht gehalten und auch fonft das ganze ſächſiſche Land
fo behandelt, als wäre es eine preußiiche Provinz. Verwaltung und
Handel gingen ihren Gang; ben ſächſiſchen Unterthanen wurde, wo fie
es bedurften, Brot und Satkorn geliefert. Die Beamten wurden durch
Handſchlag in Pflicht genommen oder, wenn fie fi weigerten, entlaffen
und durch Preußen erjeßt.
Die Einfhließung des ſächfiſchen Lagers dauerte jedoch länger, als
Friedrich erwartet Hatte. Es war fehr feit, geihügt durd) die Höhen
zwiſchen dem Sonnen- und Königftein, und Friedrich wollte nicht ftürmen
laffen, weil er die ſächſiſchen Truppen ſchon als feine eigenen anfah; er
befahl, fie durch Hunger zur Ergebung zu nötigen. Unterdeſſen hatte
Maria Therefia, hocherfreut, daß der Verhaßte ihr den lange gewünſchten
gierfon, preub. Geſchichte. I. 23
354 Der fiebenjährige Krieg.
Vorwand gab, Europa gegen ihn in Waffen aufzubieten, ihre Rüftungen
beſchleunigt und ſchickte nun ein Heer ab, welches verſuchen follte, bie
Sachſen zu befreien. Der Feldmarſchall Bromne, Oſterreichs namhaf-
tefter General, rücte mit 33000 Mann und 94 Geſchützen längs der
Elbe nach der ſächſiſchen Grenze vor. Friedrich ging ihm, nachdem er
eine Abteilung feines Heeres bei Pirna zurückgelaſſen, mit einer andern,
24 000 Mann und 100 Geihügen, entgegen; er traf ihn am 30. Sep⸗
tember beim böhmiſchen Städtchen Lowoſitz am rechten Elbufer. Eilig
bejeßte er in der Nacht ben Schlüfjel der feindlichen Stellung, zwei vor
derfelben liegende Höhen, links den Lobofch- und rechts den Homolfaberg,
und befahl Morgens 7 Uhr bes 1. Dftobers den Angriff. Ein dichter
Nebel verhüllte ihm anfangs die Aufftellung der Öfterreicher; erft als
derjelbe gegen Mittag fiel, kam es zu einer regelmäßigen Schlacht. Nach
einem heftigen, doch unentſchiedenen Neitergefechte ftürmten die Ofter-
reicher tapfer ben Loboſchberg, das preußifche Fußvolk trieb fie aber mit
Gewehrfeuer, dann, als es fi) verſchoſſen, mit gefälltem Bajonett und
mit Kolbenfhlägen zurüd. Nun drangen die Preußen bis Lowoftg nad,
das mit öſterreichiſchen Truppen überfüllt war, ftecten die Stadt in
Brand und jagten den Feind hinaus. Um 3 Uhr Nachmittags trat
Browne. mit Verluft von 3000 Mann, 3 Kanonen, 3 Fahnen, 700 Ge
fangenen den Rüdzug an. Die Sieger verloren 3300 Mann an Toten
umd Vermundeten; „das find nicht mehr die alten Öfterreicher!" meinte
Friedrich, und von feinen eigenen Kriegern fagte er: „Nie haben meine
Truppen ſolche Wunder der Tapferkeit getan, ſeitdem 1 die Ehre habe
fie zu kommandiren.“ Die Folgen dieſes Siege waren für ihn fehr
günftig; er hatte Die aus dem beiben erſten ſchleſiſchen Kriegen über-
Tommene Anſicht von ber Unbeftegbarkeit der Preußen und von ber über
legenen Feldherrnkunſt ihres Königs von neuem beftätigt, das Heer
wieder für den Sriegsruhm begeiftert und, was zunächft am wichtigiten
war, Sachſen behauptet und dem ſächſiſchen Heere die Hoffumg auf
Beiftand abgeichnitten.
Dieje braven Truppen bduldeten bereit? die äußerfte Not, während
ihr König und Brühl es ſich an nichts fehlen liegen, und die Welt ſich
über das eingefchlofiene „ſächſiſche Pilet” Iuftig machte. Endlich, da ein
Verſuch am 11. Dftober aus dem Lager herauszubrechen und mit
Browne, der fid) zu dieſem Behufe bis Schandau herangewagt, in Ver—
bindung zu treten, vollftändig mißglücte, fo waren zwar die immer
ſchmählich vernachläſſigten und jetzt durch Hunger, Kälte und Näffe er-
ſchöpften Truppen noch zum Widerftande gegen bie Preußen bereit, aber
mit Recht erflärte ihre Generalität, es ſei unmöglich mit ben durd)
72 ftündigen Hunger abgematteten Soldaten, den völlig unbrauchbaren
Bferden, ohne Brot, Futter, Geſchütz und Munition durch die preußifchen
Rapltulation zu Pina. 355
Berhaue zu dringen, und jelbft wenn das gelänge, fich weiter zurüdzus
ziehen; ein folhes Unternehmen würde das Meine Heer nur unnütz auf
die Schlachtbank führen. Rutowski knüpfte daher mit dem preußtichen
General Winterfeld, der die Belagerer befehligte, Verhandlungen ar.
Diefer ließ fofort 72000 Pfund Brot für die ausgehumgerten herbeis
ſchaffen. König Auguft aber wollte den Beſchluß des Kriegsrats nicht
beftätigen, befahl vielmehr den Angriff, obgleich er ſelbſt ſich wohl hütete,
den fichern Körigftein zu verlaffen. Als man ihm aber fagte, auch ber
Königftein könne leicht ausgehungert werden, gab er nad), und fo wurbe
die Kapitulation zu Pirna am 15. Oktober abgefchloffen. Das
ganze fächftfche Heer, noch) 14000 Mann mit 49 Kanonen, wurde kriegs⸗
gefangen; die Offiziere wırrden auf das Verſprechen, nicht ferner gegen
Preußen dienen zu wollen, ſamt dem Könige und dem Hofftaat entlafien,
die Gemeinen in das preußifche Heer geftedt. Brühl reifte mit feinem
Könige nad) Warſchau, wo er fortfuhr zu ſchwelgen und Schätze zu
fammeln. Sachſen aber mußte die fÄhlechte Politik feines Fürſten ſchwer
büßen; auf fein Land fiel die Laft des Weltkrieges, der nun entbrannt
war, fehwerer.
Seit Menjchenaltem hatten die Sachſen von ihrem Fürftenhaufe
ſchweren Schaben und eine arge Mifregierung erlitten. Man durfte an«
nehmen, daß fie feine Anhänglichkeit an eine Familie haben könnten, die
weber auf ihre Achtung noch auf ihre Liebe Anſpruch befaß, die nicht
einmal die Religion ihres Landes und ihrer Väter fi) bewahrt Hatte.
Ohne Bebenten verleibte daher Friedrich die ſächſtſchen Truppen feinem
Heere ein. Aber die Sachen blieben ihrem Fürſtenhauſe unerſchütterlich
treu und hielten es im Herzen mit Öfterreich, obwohl befien Truppen
auch im ber Folge viel übler in Sachſen hauften als bie Preußen; fie
liefen einzeln oder mafjenhaft davon ober fochten fchlecht, brachten ihrem
neuen Kriegsherrn alſo mehr Radjteil als Nupen. Übrigens hatte ihre
Ausdauer bei Pirna der Sache Oſterreichs ſehr wefentlich genüßt. Denn
Maria Therefia, die andernfalls Böhmen verloren hätte, erhielt nun Seit
ihre Kriegsrüftungen zu beendigen. Es war nicht das erfte und nicht
das letzte Mal, daß Sachſen zu größtem eigenem Schaden die Habs—
Burger rettete. Und doch betrachtete man in der wiener Hofburg nach
dem alten dort herrſchenden Grundſatze ſolche Aufopferung im Grunde
nur als Pflicht,
Die preußifchen Heere bezogen nun in Sachſen und Schlefien die
Binterquartiere, und die Muße bis zum nächſten Feldzuge wurde beider-
ſeits mit Rüſtungen und mit einem erbitterten Federkriege ausgefüllt.
König Auguft erfüllte die Welt mit feinen Klagen; Katfer Franz richtete
ein drohendes Abmahnungsſchreiben (Dehortatorium) an Friedrich, der
von feiner „Empörung“ abftehen folle, und an bie preußifchen Dffiziere,
23°
356 Der fiebenjährige Krieg.
die er aufforderte, ihren König zu verlaffen. Natürlich hatte dies feinen
Erfolg. Der deutiche Reichstag zu Regensburg beſchloß (am 17. Januar
1757) mit einer Majorität von 60 Stimmen, die von Frankreich erfauft
waren, ben Reichserefutionskrieg gegen den „Friedensſtörer“, und der
Kaifer fegte dann noch einen neuen Trumpf hinauf, indem er an Friedrich
den Großen eine mit ber Acht drohende „Citation“ erließ”). Diefelbe
follte dem preußifchen Geſandten in Regensburg „infinuirt” werden.
Diefer aber, ein Herr v. Vlotho, der ſchon früher den Reichstag ver-
höhnt hatte, indem er darauf beftand, durch das Diktiren einer 15 Bogen
ftarfen Schrift die alterprobte Schreibgeduld der Reichstags - Pedanten
zur Verzweiflung zu bringen, warf den taiferlichen Notar, Doktor April,
der ihm die „eitationem fiscalem* überbrachte, zur Thür hinaus (14. Of:
tober). Übrigens bewies Friedrich II. durch den Abdruc der Akten des
geheimen Archivs in Dresden, deren er fid) gleich bei feiner Ankunft da-
ſelbſt troß des perſönlichen Widerſtandes der Königin von Polen bemäd;
tigt hatte, daß fein Kriegszug nichts anders als eine That der Notwehr
war. Wiplinge fagten, der Krieg fei von Friedrich IT. aus Vorficht,
von den Gegnern aus Spekulation unternommen.
Es ſchien do, als wenn Maria Therefia ganz richtig ſpekulirt
hatte. Welch eine uͤbermacht brachte fie ringsum gegen Preußen ins
Feld! Am 22. Januar 1757 fiherte ihr die ruſſiſche Kaiferin vertrags⸗
mäßig gegen Subfidien und ben Befig Oftpreußens ein Hilfsheer zu.
Am 1. Mai ſchloß Frankreich mit ihr einen ähnlichen Vertrag, worin es
fid) verpflichtete, ihr 105 000 Mann Sranzofen und 10000 Baiern und
Bürtemberger als Hilfstruppen zu ftellen, auch jährlih 12 Millionen
Gulden Subfidien zu zahlen. Ihrerſeits verſprach Maria Therefia,
80000 Soldaten aufzubringen, und trat an Frankreich einige Stüde
Belgiens ab. Im Falle des Gieges follten Schlefien, Glatz und Kroffen
an Oſterreich; Magdeburg, Halberftadt und der Saalfreis an Sachſen;
Stettin an Schweden; Kleve und Obergeldern an Kurpfalz; Luremburg
*) Die Citation lautete: „. . . . Alſo heiſchen und Laden Wir Ihn, Churfurſten zu
Brandenburg, von Römih-Kalferlicher Macht, auch Gerichts. und Rechtswegen, hiemit
ernfttich und wollen, dab derſelbe innerhalb zwey Monaten demnächſt nach Infinutt» oder
Verfündigung biefer Unfer Kaiferlichen Ladung — felbft oder durch einen gevollmächtigten
Anwald an Unferm Kaijerlichen Hofe, welder Orten derjelbe alsdann feyn wird, — er
feine, um zu fehen und zu hören, daß Ex, Churfurſt zu Brandenburg, oberzehfter Urſachen
wegen in Unfere und des Reichs dt mit Verluſtigung aller von Uns und dem Held
habenden Lehen, Gnaden, Privilegien, Erpectationen und Preyheiten mit Urthel und Hecht
geiprodien und erfläret werde, oder aber erheblich beftändige Urfachen, ob er einige Hätte,
warum fothane Erflärung nicht geſchehen folle, dagegen in Rechten fürzubringen und darauf
der Sachen und aller deren Gerichtstäge und Termine bis zum Beſchluß und endlichen Ber
ſcheid abzuwarten ... . . Darnach weiß Er, Churfürft, fid zu richten“, jhlob das Schrift»
ſtac (22. Auguft 1757). Schäfer, ber fiebenjährige Krieg, I. 445.
Reichsexelutions · Beſchluß. 357
und Belgien für Parma und Piacenza an die fpanifchen Bourbonen
fallen. Später trat aud) der ſchwediſche Reichstag, durch franzöfiiches
Geld beitochen, dem Bunde förmlich bei und verſprach gegen Subfidien
ein Heer von 25000 Mann.
Ebenfo leicht ließen fid) die Fürften der deutſchen Mittel- und Klein-
ftaaten erfaufen; gern hätten fie fowohl von Frankreich als von Eng-
land Geld genommen; die meiften indes verkauften fi) oder vielmehr
ihre Landesfinder an Frankreich. Der Herzog von Würtemberg zog
während dieſes Krieges 7500 000 Livres, Kurpfalz 11 300 000, Kurköln
7300000, Baiern (bis 1768) 8700000, Sachſen (von 1750-63)
8768 882, Baireuth 1 100000, der Herzog von Zweibrüden (bis 1772)
4379 000, Hefiendarmftadt erhielt 1759 ein Almofen von 100 000, Kurs
mainz 500 000, Walded 50000, Lüttich, Mecklenburg, Naſſau⸗ "Soar-
brüden zufommen etwa 3.000.000. Sehr große Summen empfing Öfter-
reich, nämlich (von 1757—1769) 82652479 Livres. Maria Therefia
verwendete aber dieſes Geld wenigſtens im Intereſſe ihres Staates; die
anderen Fürften trieben einfach Menfchenhandel, verkauften ihre Unter-
thanen zu Bmweden, die dem Vorteil Deutſchlands ober ihrer engeren
Heimat ganz fremb waren. Auch die Schweizer dienten dem Auslande
für Sold, zogen das Geld aber für fi; bei den Deutfchen zogen es die
Fürften und verpraßten e8 mit ihren Günftlingen und Beifchläferinnen,
während ihre armen Soldaten als Kanonenfutter dienten und, wenn fie
nicht in der Fremde eingefeharrt wurden, nachher als zerichoffene Krüppel
betteln gingen. Mußte da nicht jeber wahre Vaterlandsfreund für den
König von Preußen Partei nehmen, für den großen Gegner dieſer er-
bärmlichen Geſellſchaft, die fid) unter Habsburgs Aufpicien verſchwor, um
DOftpreußen ruffiich, ganz Pommern ſchwediſch, Lurxemburg fpanifch zu
maden! In der That war die öffentliche Meinung nicht bloß in
Preußen, deſſen Volk feinem Heldenfönig mit Begeifterung anhing, ſon⸗
dern aud) in dem übrigen proteftantifchen Deutſchland für Friedrich ge-
ftimmt; um fo mehr, da der Bapft diefen Krieg für einen Religions-
krieg erflärte und den Tatholiichen Mächten erlaubte, ihre Geiftlichkeit
zu dieſem Zwecke zu befteuern.
Obgleich nun Friedrich offenbar die Sache ber Freiheit und des
Proteftantismus verfocht, jo blieben die Engländer dod) anfangs unthätig,
and in Deutichland ftanden nur einige Heine Staaten, Braunfchweig,
Baden, Hefien-Kaffel, die thäringifchen Herzogtümer und Schaumburg-
Kippe auf Preußens Seite oder vielmehr auf Englands, denn dieſes
zahlte ihnen das Geld, wofür fie ihre Soldaten zur Verteidigung Han-
novers abſchickten. Friedrich war alfo in der Hauptſache auf feine
eigenen Kräfte angewieſen. .
Auch erkannte er volllommen die Größe der Gefahr; er mußte, daß
358 Der fiebenjährige Krieg.
es ein Kampf um das Dafein war, der ihm bevorftand. Zu den Vor-
bereitungen, die er traf, gehörte aud) eine Art Teftament, welches er zu
Berlin am 10. Januar 1757 niederſchrieb. Es war eine geheime In—
ftruction, in der er feinen Minifter Grafen Finckenſtein anwies:
„Im Yale, daß ich getötet werde, follen die Angelegenheiten ganz
ohne die geringften Änderungen ihren Lauf behalten, und ohne daß man
bemerken kann, daß fie ſich in andern Händen befinden; in diefem Yale
muß man die Huldigung an den Prinzen von Preußen Hier wie in
Preußen und Schlefien beichleunigen. Wem id) das Unglüd hätte, vom
Feinde gefangen zu werden, fo verbiete ih, daß man auf meine Berfon
die geringfte Rüdficht nehme, oder daß man im allergeringften darauf
achte, was ich etwa aus der Gefangenfchaft fehreibe. Wenn mir ein
foldes Unglüd begegnet, fo will id mid für den Staat
opfern, und man fol alsdann meinem Bruder Gehorfam leiſten,
welden fo wie die Minifter und Generale ich mit ihrem
Kopfe dafür verantwortlicd made, daß man für meine Ber
freiung weder eine Provinz noch Löſegeld anbiete, daß man
vielmehr den Krieg fortſetze und alle Vorteile benuße, ganz
fo als hätte ic) niemals in der Welt eriftirt. Zum Zeichen, daß
dies nach Marer und reifer Überlegung mein fefter und ernfter Wille ift,
zeichne ic mit meiner Hand und drüde mein Siegel darauf.
Friedrich.“
Nicht um ſeine Perſon, nur um den Staat war ſeine Sorge; das
war die Geſinnung, mit der er nun — im Frühling 1767 — in den
Krieg wider halb Europa zog.
Das Spiel ſchien ſehr ungleich. Von allen Seiten rückten die
Feinde heran; 175000 Oſterreicher (darunter 13 000 bairiſche, würtem⸗
bergiſche und ſächſiſche Söldner), 105000 Franzoſen, 32000 Mann
Reichstruppen (darunter 10000 von Frankreich gemietete Baiern und
Würtemberger), 100 000 Ruffen, 22.000 Schweden, im ganzen 434 000
Mann. Diefer uͤbermacht hatte Friedrich nur 200 000 Manıt gegenüber
zu ftellen; freilich gehörten fie ihm unbedingt und waren die beften Truppen
dieſer Zeit, ſowie er der größte Feldherr des Jahrhunderts. Natürlich
wartete er die aus allen Himmelsrichtungen langjam und ohne rechten
Plan herantommenden Scharen der Feinde nicht ab, fondern führte nad)
feiner Art den Krieg in der Dffenfive. Seine Mittel waren zu gering,
um die entlegenen Provinzen Dftpreußen und Kleve zu verteidigen;
er mußte fi) auf die Behauptung Niederdeutſchlands . beichränfen.
Hannover follten die Engländer deden helfen; er felbft übernahm die
wichtigfte Aufgabe, nämlich die Verteidigung Sachſens, Schlefiens, der
Marken. Als die befte Verteidigung ‚betrachtete er mit Recht den An-
griff. In drei Kolonnen brach er daher im April nad) Böhmen ein.
Schlacht bei Prag. 359
Die Öfterreicher zogen ſich auf Prag zurüd. Vor dieſer Stadt nahm
der öfterreichijche Oberfeldherr, Karl von Lothringen, mit 72000 Mann
eine ftarf verſchanzte Stellung, zur linken den Bisfa- und Taborberg,
. davor ftelle Hügel, rechts die Höhe von GSterboholi mit Zeichen und
Sümpfen. Freitag am 5. Mai Morgens 10 Uhr griff Friedrich mit
64.000 Mann ihn hier an. Während die preußifche Reiterei unter Zieten
nad) heftigem Kampfe die feindlihe in die Flucht trieb, arbeiteten fid)
die Infanteriebataillone durd) den Schlamm und über die Stege zu ben
Höhen von Sterboholi heran; aber rottenweife ftürzten fie zerichmettert
vor den Batterien nieder, und der öſterreichiſche Unterfeldherr, Browne,
warf fie dann mit feinen Grenabieren völlig zurück, bis er jelbft tötlich
verwundet wurde. Vergeblich fuchten Schwerin und Fouqus die gefchla-
genen Bataillone wieber zu ordnen. Hier war es, wo der 7T3jährige
Schwerin vom Pferde ſprang, fich felbft an die Spike eines Regiments
ftellte, eine Fahne ergriff mit den Worten: „Heran meine Kinder!" und
fie in den Kartätſchenhagel führte. Fünf Kugeln ftrecten ihn tot nieder,
die Sahne bedeckte den fterbenden Helden. Hier ward dem ritterlichen
Touque die rechte Hand zerſchmettert, in die linfe nahm er den Degen
und führte feine Scharen weiter.
Auch Prinz Heinrich, Bruder des Königs, fprang vam Pferde und
befeuerte die Seinigen; an der Spike des Regiments Itzenplitz erftieg er
eine feindliche Gefhüghöhe, den Taborberg. Aber die Entjcheidung brachte
Friedrich felber. Mit 12 Bataillonen feines linken Flügels marſchirte er
heran und trieb die öſterreichiſchen Grenadiere vom Schlachtfelde; dann
durchbrach aud) des Königs Schwager, Prinz Ferdinand von Braun»
ſchweig, ber einige Regimenter des rechten Flügels herbeiführte, das
feindliche Sentrum. Die Ofterreicher traten nun überall den Rüdzug an,
um 8 Uhr Abends war die mörberifche Schlacht beendet.
Sie koſtete dem Gieger 13 000 Mann, die tot oder verwundet auf
der Wahlftatt lagen, und den Felbmarfhall Schwerin, den Bater feiner
Soldaten und erfahrenften Feldherrn feiner Zeit. Friedrich der Große
fagt von ihm: „Schwerin allein war mehr als 10000 Dann wert.
Sein Tod machte den Siegeslorber welf, der durch ein zu koſtbares Blut
erfauft war. Diefer Tag fah die Säulen des preußifchen Fußvolls
fallen.” Auch das Offiziercorpg hatte ſchwer gelitten; dem Beifpiel der
Generale hatten die unteren Befehlshaber nachgeeifert; man fagte da—
mals, es habe, wie bei Lowoſitz der Soldat, fo bei Prag der Offizier
das meifte gethan.*) Bon den Öfterreihern wurden ungefähr auch
13000 Mann getötet oder verwundet, und fie verloren ebenfalls einen
®) Die Feldzüge der Preußen wider die Sachſen und Ofterreicher, wider bie Franzoſen
und Reichstruppen, wider die Ruſſen und Schweden, Brankfurt 1760 II. 38.
360 Der fiebenjährige Krieg.
vorzüglichen Feldherrn, den Marſchall Browne. Sie büßten außerdem
5000 Gefangene, 60 Kanonen und eine Anzahl Fahnen und Stan—
darten ein.
Das geſchlagene Heer warf fi) vol Verwirrung nad) Prag, wo
nun 50000 Mann lagen. Dennoch unternahm es der König, diefe fefte
und weit ausgebehnte Stadt zu belagern. Denn wenn fie fiel, ftand ihm
der Weg nad) Wien offen, wo der Schreden jo groß war, daß man
bereit Vorkehrungen traf, die Archive fortzuſchaffen. Aber Prag hielt
fi), weil das nötige Belagerungsgeihüg nicht raſch eintraf, und weil
dann Entſatz kam. Der Mann, der ihn brachte, der in diefer Not und
überhaupt in diefem Kriege die habsburgifche Monarchie rettete, war der
öſterreichiſche Feldmarſchall Graf Leopold v. Daun.
Daun hatte nad) dem aachener Frieden das Heerweſen Öfterreicys
auf einen befieren Fuß hergeftellt, was ſchon in der Schlacht bei Lowoſitz
zu merken war. Don feiner Kaiferin nun zum Sriegsführer berufen,
zeigte er ſich durch Charakter und Fähigfeiten ganz geeignet, Oſterreichs
natürliche Vorteile zur Geltung zu bringen. Höchſt bedächtig und vor—
fihtig in feinen Maßregeln wollte er nie etwas aufs Spiel feßen, gab
fid) aber auch nie eine Blöße; ein gelehrter und überaus behutjamer
Feldherr, aber für diefen Krieg der rechte Mann. Denn er wußte, es
kam darauf an, Zeit zu gewinnen, ben Krieg in die Länge zu ziehen, da—
mit ſich die ungeheure Übermacht entwickeln und den Heinen preußiſchen
" Staat erdrüden könne. Der ftürmifchen Genialität Friedrichs ſetzte er
eine zähe, müchterne Kriegführung entgegen; er kannte die Überlegenheit
des Königs im Entwerfen und Durchführen großer, geiftvoller Pläne;
fein Siel war daher nicht jowohl, Friedrich zu fchlagen, als vielmehr fi)
nit von dieſem fchlagen zu lafien. Denn das an Hilfsquellen reiche,
alte, feftftehende Ofterreich, zumal mit halb Europa im Bunde, konnte den
Krieg länger aushalten als dag viel ärmere, junge, aufftrebende Preußen.
Eben darım mußte Friedrich, ſchlagen und immer wieder ſchlagen, und
jedes Mal fiegen; denn Bögerung verzehrte die materiellen Mittel feines
"Staates, und eine verlorene Schlacht warf ihn an den Rand des Unter»
ganges. So lagen in ber That die Dinge. Eins freilid) wog den Unter-
ſchied an Geld und Menfchenzahl auf: in feinem eigenen, an Hilfsmitteln
unerſchöpflichen Geiſte und in der Stärke und Größe feines Charakters
fand Friedric) ftets den Erfaß für die Ungunft des Geſchickes, für die
Mängel feiner äußeren Lage. Dod) war es richtig, einem ſolchen
Schlachtenmeifter gegenüber eine Feldihlacht zu vermeiden; ein Hannibal
mußte nit den Bauderkünften eines Fabins befämpft werden. Darum
liebte es Daun, unangreifbare Stellungen zu wählen und fi) durch
nichts herauslocken zu laſſen. \
So that er aud) jeßt, als Friedrich mit einem Teile feines Heeres
Kollin. 361
{34000 Mann) von Prag herbeieilte, um den Gegner, ‘den er allzu
gering achtete, zu fhlagen und dadurd) die Übergabe jener Stadt zu
beſchleunigen. Er verſchanzte fid) mit den 60000 Mann, die er von
allen Seiten an ſich gezogen, auf den Bergen bei Kollin am linken
Ufer der oberen Elbe. Am 18. Juni (einem Sonnabend) griff der
König an, und mit folhem Erfolg, daß Daun ſchon den Rückzug an-
ordnete; aber die preußifche Neiterei unter Zieten unterftüßte den An-
griff der Infanterie nicht gehörig, und diefe felbft hatte feine Reſerven
mehr, weil ein Zeil de3 Fußvolks (unter v. Manftein) vorjchnell in den
Kampf eingetreten war.*) So ging durd) mancherlei Fehler und Miß-
griffe, am denen der König felbft die wenigſte Schuld hatte, der halb-
gewonnene Sieg wieder verloren; der preußifche Angriff wurde abges
ſchlagen, bie Preußen von den ſchon erftürmten Höhen wieder herunter
geworfen. Mit neuem Mute hieben die Öfterreicher und bejonders die
ſächſiſchen Söldner ein, die hier wie bei Pirna das Haus Habsburg
tetteten. Der König bemühte ſich vergebens, feine weichenden Scharen
zu ſammeln; mit wenigen Leuten ritt er gegen eine öfterreichiiche Batterie
vor, bis er von einem Begleiter gefragt wurde, ob er allein fie nehmen
wolle. Da hielt er an, betrachtete durch fein Glas bie Stellung des
Feindes, ritt gelafjen nad) feinem rechten Flügel hin und gab den Bes
fehl zum Rückzuge, der bei der heldenmütigen Tapferkeit der Truppen
des linken Flügels, namentlid, Bietens, ungeftört erfolgte. Faſt 14 000
Preußen lagen in ihrem Blute auf dem Schladhtfelde, darunter faft das
ganze erfte Bataillon Leibgarde, in Reih und Glied tot, wie einft vor
Pyrrhus die römischen Legionen. Daun auf feinen Höhen Hatte nur
8000 Tote und Verwundete. Hocherfreut blieb er ftehen, wo er war,
zufrieden, daß er gefiegt. Dieſe Thatſache: Friedrich der Unüberwind-
liche endlich, werm auch durch große Übermadht, geichlagen, Oſterreich
zum erften Mal Sieger über ihn, erregte in Wien und bei allen Feinden
Preußens einen ungeheuren Zubel, in der Umgebung des Königs und
in feinem Heere eine tiefe Beftürzung, eine um fo tiefere, weil dieſe Nieder-
lage fo unerwartet fam. Maria Therefia veranftaltete glänzende Triumphs
fefte und belohnte ihr Heer mit reichen Geſchenken, ftiftete aud zum An—
denken dieſes großen Tages den Therefienorden.
Friedrich felbft war anfangs tief erfchüttert; in Nimburg, wo fi
feine Truppen ſammelten, ſaß er auf einer Brummenröhre wie Marius
auf den Trümmern von Karthago; in trübem Sinnen zeichnete er mit
dem Stock Figuren in den Sand, und als er den einen Überreft feines
erſten Bataillons Leibgarde vorbeimarfchiren ſah — vor wenig Stunden
*) Bol. M. Dunder, Aus der Zeit driedriche d. Gr. und Friedr. Wilh. III, Leipzig
1876, &. 49 fi.
362 Der fiebenjäßrige Krieg.
noch das prachtoollfte der Welt — da rollten über fein Antlig ftille
Thränen. Es war feine erfte Niederlage, und wie mußte fie auf die
Zukunft wirfen! Lange faß er fo trauernd da; fein Gefolge ftand
ſchweigend um ihn. Da trat ein alter Hufar heran, reichte ihm einen
Trunk Waſſer und ſprach treuherzig: „Trinken Sie, Majeftät, und lafjen
Sie Bataille Bataille fein! Es ift mır gut, daß Sie leben! Unſer
Herrgott giebt uns ſchon noch einen Sieg." Der wohlgemeinte Troft-
ſpruch freute den König; er faßte fi, fand feine philoſophiſche Ruhe
wieder. Sein elaftijcher Geift erhob fid) raſch von dem ſchweren Schlage.
„Wie fehr würde der große Kurfürft erftaunen“, konnte er fi, fagen,
„wenn er feinen Urentel mit den Ruflen, den Öfterreichern, mit faft ganz
Deutfejland und hunderttaufend Franzoſen im Handgemenge jähe? Ich
weiß nicht, ob es mir eine Schande fein wird zu unterliegen; aber‘
das weiß ih, daß wenig Ruhm dabei fein wird, mic) zu erbrüden.“
Übrigens war er entjchlofien und wußte ſich fähig, die Scharte von
Kollin wieder auszuwetzen. Zunächſt freilich fah er ſich in die Ver—
teidigung gedrängt, und auch in ihr zeigte er fi) als Meifter. Da die
Belagerung Prags nun aufgehoben werden mußte, fo benußte er bie
Langſamkeit Dauns und des Prinzen Karl und brachte fie durch einem
höchſt geſchickten Rückzug nad) Sachfen wenigftens um die andern Früchte
des folliner Sieges.
Mit dem größeren Teile des Heeres follte der Prinz Wilhelm von
Preußen das nördliche Böhmen behaupten; er ließ fi) aber vom Feinde
berausdrängen und erlitt überdies auf feinem Rückzuge in die Laufig.
beträchtliche Verluſte. Friedrich machte ihm darüber öffentlich) die bit-
terften und härteften Vorwürfe. Als er (am 29. Zuli zu Baupen) vor:
der Armee des Prinzen erſchien, ließ er Die Generale dor fid) kommen
und einen Kreis fchließen; dann mußte fein Adjutant auf den Prinzen
zutreten und folgende Erflärung abgeben: „Seine Majejtät befiehlt mir,
Eurer Königlichen Hoheit zu melden, daß er Urſach hat, mit Ihnen
ſehr unzufrieden zu fein, und daß Sie verdienen vor ein Kriegsgericht ges
ftellt zu werden, weldes Sie und alle Ihre Generale zum Tode verur-,
teilen würde, aber daß Seine Majeftät die Sache nicht jo weit treiben
wolle, da er in Ihnen nicht den Bruder vergefien kann.“ Darauf ritt
der König, ohne den Prinzen eines Blickes zu würdigen, weg. Übrigens
mar diefe Strafe wohlverdient. Denn Prinz Wilhelm war ein fanfter
und liebenswürdiger Mann, aber ohne feines Bruders Energie und Geift,
und wenn aud) perfönlid) tapfer, doch ohne Befähigung zu dem Yeld-
berrnamt, welches er übernommen; der König hatte ihm daher den
General Winterfeld zum Berater gegeben, aber der Prinz defien Rat»
ſchläge oft nicht befolgt, weil er Winterfeld haßte. Er nahm fid) die
erlittene Kränfung jehr zu Herzen; fie foll feinen bald darauf erfolgter
Großjägersborf. — Haftenbed 363
Tod verjchuldet haben. Er ftarb, noch ehe ein Jahr verging, zu Dranien-
burg, ohne vorher, wie er ſehnlichſt gemünfcht, in einer Schlacht feine
Hingebung zeigen zu können. Friedrich wollte ihn feine 10 Mann mehr
anvertrauen. In Preußen galt nun einmal fein Anjehen der Perſon;
Friedrich war auch darin groß; er duldete ſchlechterdings nicht, daß
irgend wer, fei er ein gemeiner Soldat oder Prinz von Geblüt, ben
Staat durd) feine Unfähigkeit beſchädigte. Denn feine und feiner Unter
thanen Rettung beruhte einzig und allein darauf, daß Prinzen, Generale
und Gemeine allzumal vor dem Gejeß der Not gleich waren. ſterreich
konnte es eher aushalten, daß feine Geſchäfte von hohen Adligen und
Prinzen fehlecht geführt wurden, und Prinz Karl hatte dort nicht zu
fürdten, daß es ihm gehen merbe, wie Friedrichs Bruder; aber in
Preußen mußte ein jeder faſt das Übermenfchliche Ieiften, wenn das
Ganze follte gerettet werben.
Kollin war die Lofung für die andern Mächte, die preußifchen
Staaten jegt mit allem Eifer anzufallen. In Oftpreußen rüdten, alles
nad) ihrer Art verwüftend, die Ruſſen ein, 100000 Mann mit 300 Ka-
nonen, unter dem Feldmarſchall Aprarin. Friedrich konnte ihnen dort
nicht mehr als 30000 Mann entgegenftellen, die der greife Feldmarſchall
Lehwald befehligte. Sie griffen am 30. Auguft die ruſſiſche uͤbermacht
bei Großjägersdorf (gwifchen Wehlau und Infterburg) an, wurben
aber nad) tapferem Kampfe befiegt und mußten dem Feinde diefe
Provinz überlafien. Unterbeffen drangen 100000 Franzofen unter greu-
lichen Verwüſtungen über die Weſer; es befehligte fie der Marſchall
d'Eſtroͤes, ein General von geringem Wert. Allein ihm ftand ein noch
unfähigerer Yeldherr gegenüber, der Herzog von Cumberland, Sohn
König Georgs II. Dur die Schuld dieſes Prinzen erlitt das hans
növerjche Beobadhtungsheer (54.000 Mann) am 26. Zuli bei Haſten⸗
bed unweit Hameln eine Niederlage. Zum Unglüd taugte das han=
növerjche Minifterium, dem die Regierung Hannovers an Stelle des in
England refidirenden König-Kurfürften oblag, nicht mehr als der Gene-
ral. Es beftand, wie faſt immer, feit die Dynaftie nach London über-
gefiebelt war, aus jelbitfüchtigen Junkern und beſchränkten Zuriften. Diefe
Männer gaben nun feige und eigenmügig Ehre, Vaterland und die Mit:
bürger preis, um die Landgüter der adligen Herren und ihre eigene
Beamtenbespotie zu reiten, und überlieferten durch eine Kapitulation ben
Franzoſen das ganze Land; der Herzog von Gumberland, der feit Haften-
bed den Kopf völlig verloren hatte, beftätigte diefe | himpfliche Ergebung,
indem er am 8. September mit dem Feinde die Konvention zu Klofter
Seven abſchloß, von weiterem Kampfe abftand umd fein Heer auflöfte,
Die Tranzofen konnten nun das Land in aller Ruhe ausfaugen; fie ver
übten denn aud) gegen die unglüdlichen Hannoveraner allerlei Schand⸗
364 Der fiebenjährige Krieg.
thaten, und ihr neuer Befehlshaber, der Herzog von Richelieu, ging dabei
mit dem Beifpiel zuchtlofer Ausfchweifung voran; er raubte und erpreßte
Hunderttaufende, und von dem Vermögen derer, die er in Deutſchland
an den Bettelftab gebracht, bezahlte er in Paris feine Schulden und ließ
fid) ein prachtvolles Luſtſchloß bauen. Ein anderes franzöfifches Heer
unter dem Prinzen Soubife ftieß zu dem Reichsheer, weldyes der Prinz
von Hildburghaufen in Franken fammelte; beide ſchickten ſich nun an,
durd Thüringen nad) Sachſen vorzudringen.
Der König verjuchte mittlerweile in der Lauſitz bie Öfterreicher,
den nächſten und gefährlichften Feind, zu einer Schlacht zu bringen.
Daun vermied eine ſolche; als dann aber der König nad) Sachſen 308,
um die Franzofen und das Reichsheer abzuwehren, überfielen die Öfter-
reicher unter Nadafty am 7. September beim Dorfe Moys (in der Nähe
von Görlig) eine preußifche Heeresabteilung unter Winterfeld und bradjten
ihr eine Niederlage bei; Winterfeld felbft, Friedrichs Liebling, erhielt eine
tötliche Wunde. Die Niederlaufig, Niederichlefien, die Mark ftanden nun
den Ofterreichern offen; fie ſchickten auch eine Streifpartie unter Haddik
nad) Berlin, welche (am 16. Oktober) eine Vorftadt befeßte, aber dann
nad) Erhafhung einer Geldfumme rafch wieder abzog, da es hieß, der
König komme. Auch die Schweden ſetzten fid) in Bewegung; 22 000
Dann ftark, gingen fie über die Peene und brandichapten in Vorpommern
und in ber Udermart. Es war feine Provinz mehr, wo nicht Feinde
ftanden. „Der Untergang des Haufes Brandenburg", fehrieb damals
der englifche Gefandte Mitchell nach London, „ift wahrſcheinlich, und
damit fällt die Freiheit der Menſchheit zu Boden. Nur bie
Wahl bleibt, ob man ein Slave Oſterreichs oder Frankreichs ſein will
— welche jammervolle Ausſficht!“
Auch Friedrichs Familie hielt alles für verloren. Sie war mit die—
ſem Kriege von vornherein nicht einverſtanden geweſen; ſie glaubte, er
gehe weit über Preußens Kräfte. Hatte doch Prinz Heinrich ſchon im
Dftober 1756 dem Könige erklärt: er ſehe feinen Grund, die Sache aufs
äußerfte zu treiben; Friedrich fei nicht der erfte Fürft, der eine Provinz
habe abtreten müſſen. Jetzt meinten die Verwandten alle, mit dem Haufe
Hohenzollern fei es aus.
In diefer fchredlichen Lage — feine fämtlichen Länder von über—
mädjtigen Feinden überzogen und zum Zeil widerſtandslos in deren
Händen; fein Heer geihwäht und entmutigt durch die Schlacht von
Kollin, durd) die Verlufte in der Lauſitz, zu erjchöpft durch Entbehrungen
und Märjche, um den überall vordringenden zahlreichen Gegnern überall
die Spitze zu bieten; feine Brüder, feine Feldherrn ohne Vertrauen, ja ohne
Hoffnung auf die Möglichkeit eines günftigen Erfolges; er felbft außer
dem öffentlichen aud durch häusliches Unglüd (den Tod feiner Mutter
Die Reichdarmee. 365
am 28. Juni) ſchwer getroffen; rings Trübfal und Ruin — ftand Friedrich
allein aufrecht gegen das halbe Europa, nur die Kraft feines Geiftes
gegen das Unglüd, entſchloſſen zu fiegen oder zu fterben, und ehe er das
von ihm gefchaffene Reich aufgebe, fi mit dem Schwerte in der Hand
unter defien Trümmern zu begraben: „Ein wahrer, ein echter König,
groß wie je einer, der in der weiten Vorzeit auf einem Throne ſaß;
ein König, defien Andenken unter den Preußen, unter den Deutjchen wird
genannt werden, fo lange ihre Spradye noch das Wort Groß bewahrt,
fo lange nod) ein Deutſcher Gefühl für dieſes Wortes Bedeutung haben
wird.“ *)
Der Triumph der Feinde fchien gewiß; Friedrich war bereit, wie
Cato und Brutus fi) eher das Leben zu nehmen, als ihn zu verherr⸗
lichen. Die Philofophie, die dem Schickſal fi) beugt, war nicht für ihn;
er wies ſolch Anfinnen zurüd. Voltaire riet ihm, fi) philofophifch ins
Unvermeibliche zu fügen und nachzugeben. Der König antwortete: „Vol⸗
taire in feiner Einfiedelet kann fid) in Frieden den Tugenden des Weifen
bingeben; aber ic), vom Schiffbrudy bedroht, muß dem Sturme troßend
als König denken, leben und fterben."
Diefe großartige Gefinnung, eherne Eingeweide und ein ftählernes
„Herz wider das Unglüd, dieſe bewundernswürdige Selbſtbeherrſchung
hielt ihm Auge und Sim Mar; und während er zum Kampfe auf Leben
und Tod ging, behielt er foviel Seelenruhe, um fi in den Augenbliden
der Muße mit wiſſenſchaftlichen Dingen zu befchäftigen. Als er auf
feinen Märfchen durch) Leipzig fam (am 15. und am 26. Oktober), unter
hielt er fi) dort ein par Stunden lang mit dem berühmten Profefior
Gottſched über franzöfifche und deutſche Literatur und ſprach einem Ge—
lehrten glei), der jein Iebtag nichts anders getrieben. In feinem großen
Geifte fand er denn auch die Mittel zu feiner Rettung — und damit
zur Rettung Preußens und ber beften SInterefien Europas. Zunächſt
beſchloß er Sachſen zu verteidigen, welches die vereinigten Franzoſen und
Reichstruppen von Thüringen aus bedrohten.
Die Reichsarmee, die den Exekutionsbeſchluß des regensburger
Reichstags ausführen ſollte, befand ſich, wie zu erwarten war, in elender
Verfaffung, ſchlecht ausgeräftet und von unfähigen Generalen geführt,
aud) unluftig und zuchtlos. Es waren die Truppen ber Reichsftände,
die gegen Preußen Partei genommen, hauptſächlich Baiern, Pfälzer,
Würtemberger, außerdem ſchwäbiſche, fränkiſche, oberrheiniſche Kontin⸗
gente; ein buntes Gemiſch, zum Zeil das fchledhtefte Gefindel, das man
hatte einfangen können. Jeder Reichsgraf und Prälat ftellte fein Dutzend
Leute, die Beſchaffenheit kümmerte ihn wenig. Am beften waren noch
*) Stenzel, preub. Geſch, V. TI.
366 Der fiebenjährige Krieg.
die Truppen der größeren Kleinftaaten. Aber aud) fie hatten mehr Luft
zum Davonlaufen als Friedrich den Großen zu befriegen. Es zeigte ſich
fogar ein Geift unter ihnen, der in Deutſchland ganz neu war, obwohl
man fi) eher wundern mußte, daß er fo ſpät Fam. Das Volk in ben
Kleinftanten fing an zu Täfonniren, es wollte nicht länger verkauft
werden! Als der würtemberger Despot in Stuttgart dem franzöſiſchen
Kommiffär 4000 Soldaten übergab, empörten fie ſich gegen diefen Men-
ſchenhandel und zogen in hellen Haufen nad) Haufe. Sie meinten, fie ſeien
nicht dazu da, für das Ausland fi totſchießen zu laſſen. Ahnliches
geihah in Baden. Die meiften diefer braven Leute gingen ſcharenweiſe
nad) Franken, um fi) dem Freicorps des preußtfchen Oberften v. Mayr
anzufchließen, der dort gerade alles in Schredten feßte. Auch die anderen,
die von den Franzoſen und Öfterreichern mitgejchleppt wurden, nahmen
jede Gelegenheit wahr, zu Friedrich dem Großen überzulaufen. War er
doc) der einzige, dem zu dienen troß aller Gefahr und Beichwerde für
diefe faft vaterlandslofen Deutſchen noch rühmlich ſchien. Das deutſche
Volk, wenigftens die Proteſtanten, war überhaupt gut preußiſch gefinnt.
Und die Franzoſen forgten dafür, daß fich diefe Gefinmung befeitigte.
Denn wohin fie famen, plünderten und mißhandelten fie ihre deutſchen
Bundesgenofien, beſonders die proteftantifchen Thüringer und Sadjien, -
Franken und Schwaben, ebenfo wie die hanmöverfchen und heſſiſchen
Keber, bis aufs Blut, verbrannten bie Dörfer, befubelten die Kirchen.
„Auf 100 Lieues in der Runde“, fehrieb einer ihrer Generale, „ift das
Land verheert, als fei Teuer vom Himmel darauf gefallen.“ Daher
wurde denn auch in vielen proteftantijchen Reichslanden, felbft in Wür-
temberg, von ben Geiftlichen für den König von Preußen gebetet. Er
galt für die Schugwehr des Proteftantismus gegen bie Papiften von
Wien und Paris. Die Gebildeten, auch in den Tatholifchen Ländern,
bewunderten längft den großen König. Die Freimaurer jämtlicher deut⸗
ſchen Provinzen boten ihm ihre Hilfe an, „da das Augenmerk feiner
Feinde nur dahin gerichtet fei, erft ihn als den mächtigſten Beſchützer
des deutſchen und beſonders proteftantifchen Volkes Hein zu machen, um
nachher die deutſche Freiheit umzuftürzen." Doch nahm er den Antrag
nicht an. Am größten war natürlich, die Begeifterung in Preußen felbft;
die Pommern insbejondere errichteten auf ihre Koften Landmilizen und
berittene Freiſcharen, welche bei der Verteidigung der Landesfeftungen
und im Meinen Kriege gegen bie Schweden und fpäter gegen die Ruflen
- treffliche Dienfte leifteten. „Alte Edelleute, die ſchon feit Jahren auf ihren
Gütern zurüdgezogen lebten, nahmen die Schwerter wieder von ber
Band ımd traten als Offiziere bei diefen Milizen ein.” Selbſt in Kur⸗
ſachſen betete man für Friedrichs Steg; denn die franzöfiſch-reichsländi⸗
ſchen Truppen hauften hier greulich.
Roßbaqh 367
Dieſes Heer war, 64 000 Mann ſtark, unter dem Befehle Soubiſes
und Hidburghaufens an die Saale gerüct und Iagerte zwilchen der
Unftrut und der Saale ſüdlich von Merjeburg, in jener Ebene, die fo
viele Schlachten gefehen hat. Ihnen gegenüber nahm der König, ber
mit 22000 Mann von Leipzig herangezogen war, eine Stellung zwiſchen
den Dörfern Roßbach und Nebra. Die Franzoſen, namentlich der
Flügel, den der Marſchall Broglie befehligte, Hatten eine ſehr vorteil-
hafte Stellung. Der König machte daher eine Bewegung, welche die
Gegner für einen Rüdzug nahmen. Sie wurden übermütig, glaubten,
er fuche ſich aus ihren Händen zu reiten, und gaben ihre Stellung auf,
um das preußifche Lager bei Roßbach einzufchließen. Sonnabend den
5. November früh Morgens begannen fie den Iinten Flügel der Preußen
zu umgehen; fie wollten Friedrich den Großen wie in einem Sad fan-
gen. Bom Dad) des Schlofjes in Roßbach jah Friedrich diefem Manöver
zu, das ihm anfangs unglaublich fchien; fehr vergnügt ftieg er dann
hinab und verzehrte mit vielem Appetit fein Mittagsmahl; ebenſo gemäch-
lich, fpeiften feine Soldaten; das preußifche Lager ftand unbeweglich.
Die Franzoſen hielten diefe Gemütsruhe für dumpfe Verzweiflung. Um
1 Ahr ftieg Friedrich, wieder auf den Turm und beſah ſich den rings»
bherumgiehenden Feind, um 2'/, Uhr befahl er die Zelte abzubrechen und
in Schlachtordnung zu treten. In einem Augenblid war e8 gethan —
„io plöglich”, jagt ein franzöſiſcher Berichterftatter, „wie wenn ſich im
Opernhaus die Scene verändert.” Dann fehte ſich das Heine Heer in
Mari), des Königs fchneidigfter General, v. Seydlitz,) mit der Reiteret
voran, links ab, verdeckt durch einen fehmalen Höhenzug. Um 3/, Uhr
war er am Feinde und ftürzte wie ein Donnerwetter drein. Ohne ihnen
Zeit zum Aufreihen zu lafjen, fiel er mit feinen 38 Schwadronen auf
die 52 der Feinde und fprengte fie wie Spreu vor dem Winde ausein-
ander; in paniſchem Schreden flohen fie bis über die Unftrut. Unterdes
eröffnete der König mit der preußifchen Infanterie auf die franzöfiſche
und reichsländiſche vom Janushügel aus ein entſetzliches Kanonenfeuer,
dem, wie bei Mufterungen, ein regelmäßiges Musfetenfeuer folgte. In
einer Viertelſtunde waren aud) hier die Feinde Über den Haufen geworfen,
und Seyblig vollendete ihre Niederlage, indem er mit feiner Reiterei in
ihren Rücken einhieb. Um ſechs Uhr befand fich das ganze franzöftich-
deutſche Heer auf der Flucht, mer bie Finfternis des Abends rettete die
Beftegten vor völliger Vernichtung. „Unfer größtes Glück“, berichtete
Hildburghaufen an den Kaifer, „war, daß es Nacht wurde; fonften wäre
bei Gott nichts davongekommen.“ Die Preußen, von denen übrigens
mr die Heinere Hälfte wirflicd) zum Schlagen gelangt war, verloren nur
H Friedr. Wilh. v. Sepblih geb. 3. Behr. 1722 zu Kalkar bei Kleve, geſt. 7. Ron. 1773.
368 Der fiebenjährige Krieg.
165 Tote und 376 Verwundete. Unter den Ießteren befand ſich auch
Prinz Heinrich. „Der Prinz", fchrieb der Feldmarſchall Keith an feinen
Bruder, „ift, obwohl nicht gefährlich, verwundet; dieſe Familie kann nicht
lange leben, jo ſehr feßt fie fi) der Gefahr aus. Der König war an
dem gefährlichften Poften." Die Zeinde ließen 700 Tote, 2000 Ver-
wunbete, 5000 Gefangene auf dem Schlachtfelde. Einige taufend andere
fielen auf der Flucht in preußifche Hände oder wurden niebergefäbelt,
manche von den erbitterten Bauern wie Wölfe totgeſchlagen; die übrigen
eitten in voller Auflöfung nad) Franken zurüd. Prinz Soubiſe jelbft,
von einem pommerfchen Dragoner, der ihn lebendig fangen wollte, hart
verfolgt und braun und blau geſchlagen, verdankte nur der Schnelligkeit
feines Pferdes feine Rettung. Alle deutſchen Völkerſchaften, groß und
Hein, Freund und Feind, Proteftanten und Katholiken, waren mit dieſem
Siege über die Franzoſen fehr zufrieden und betrachteten ihn als einen
Nationaltriumph. Denn die Franzoſen Hatten durch ihre Verachtung
alles Deutichen, durch den Übermut, womit fie Deutichland geſellſchaftlich
wie politiſch und militärifh zu mißhandeln gewohnt waren, durch den
Vorzug, ben die Türften ihnen überall vor den Eingebornen einräumten,
fi) beim ganzen deutſchen Volle verhaßt gemacht.
Nachdem diefer Feind vor der Hank befeitigt und Sachſen gerettet
war, eilte Friedrich mit feinem Heinen Heere troß der ſchlechten Wege in
Geſchwindmärſchen nad) Schlefien, das feiner Gegenwart dringend bes
durfte. Diefe Provinz hatte der Herzog Auguft Wilhelm von Bevern,
ein Better der Königin, mit 30000 Mann beden follen; aber er hatte
fo viele Fehler begangen, daß bie Öfterreicher die wichtige Feftung
Schweidnitz erobern und ſich in einer Mafle von 90000 Mann durch
Dberfchlefien und die Grafſchaft Glatz ins Niederſchleſiſche ergießen konnten.
Am 22. November ließ er ſich gar bei Breslau eine Niederlage bei—
bringen und Tags darauf gefangen nehmen. Die Refte des geichlagenen
‚Heeres führte Bieten dem aus Sachſen heraneilenden Könige zu. Da
am 24. November auch Breslau in die Hände der Oſterreicher geriet,
fo ſchien Schlefien für Maria Therefia wieder gewonnen, fie rebete in
öffentlichen Anſprachen die Schlefier bereits als ihre Unterthanen an;
die fatholifche Bevölkerung, beſonders die Geiftlichkeit, war ihr ohnehin
geneigt ; viele Beamte leifteten ihr die Huldigung, voran der Fürft-Bifchof
Graf Schaffgotich, der dem Könige, feinem Wohlthäter, jet mit ſchnö—
deſtem Undank lohnte.
So galt es denn für Friedrich, Schleſien durch einen großen Schlag
von neuem zu erobern; zwar zählte ſein Heer, auch nach der Vereinigung
mit Zieten (am 1. Dezember in Parchwitz) nur 32 000 Mann, und die
Öfterreicher unter Karl von Lothringen und Daun hatten eine faſt drei-
fache übermacht und eine gute Aufftellung; aber Friedrich war feſt ent
Leuthen. 369
ſchlofſen fie anzugreifen, „und wenn fie auf den Kirhtürmen von Breslau
oder auf dem Zobtenberg ftänden". Es war ein Wagftüd von äußerfter
Gefährlichkeit; doch den Heldenmut, der ihn jelbft erfüllte, wußte er
feinen Truppen mitzuteilen; die Sieger von Roßbach glähten von frifcher
Begeifterung, die bei Breslau Geſchlagenen brannten, es jenen gleich
zu thun. Nachmittags am 3. Dezember vor dem Abmarſch von Parch-
wiß verfammelte Friedrich die höheren Offiziere um ſich: „Ich werde",
fprad) er, „gegen alle Regeln der Kunft das faft dreimal ftärfere Heer
des Prinzen Karl angreifen, wo id) es finde. Es ift hier nicht die
Trage nad) der Zahl der Feinde ober nad) der Wichtigkeit ihres ge-
wählten Poftens; alles das, hoffe id), wird die Herzhaftigfeit meiner
Truppen und die richtige Befolgung meiner Anordnungen zu überwinden
ſuchen. Ich muß diefen Schritt wagen, oder es ift alles verloren. Wir
müſſen den Feind ſchlagen oder ung alle vor feinen Batterien begraben
lafien. So denfe ich, fo werde id) handeln. Machen Sie diefen meinen
Entſchluß allen Offizieren des Heeres befannt; bereiten Sie den gemeinen
Mann zu den Auftritten vor, welche bald folgen werden. Kündigen Sie
ihm an, daß id) mid) berechtigt halte, unbedingten Gehorfam von ihm
zu fordern. Wenn Sie bebenten, daß Sie Preußen find, fo werben Sie
fid) gewiß dieſes Vorzugs nicht unwürdig machen. Iſt aber einer, der
ſich fürchtet, alle Gefahren mit mir zu teilen, der kann noch heute feinen
Abſchied erhalten, ohne von mir den geringften Vorwurf zu leiden." Er
hielt etwas inne. Keiner rührte fi), begeiftertes Schweigen war rings
die Antwort; nur einem, dem tapfern Major v. Billerbed, fuhr es laut
heraus, was alle dachten: „Das müßte ja ein infamer Hundsfott jein!*
Mit freundlichem Lächeln fuhr der König fort: „Schon im voraus hielt
id) mic) überzeugt, daß Feiner von Ihnen mid) verlaffen würde; ich rechne
alfo ganz auf Ihre treue Hilfe und den gewifien Sieg. Sollte ic)
bleiben und Sie für Ihre geleifteten Dienfte nicht belohnen können,
fo muß es das Vaterland thun. Gehen Sie in das Lager und wieber-
holen Sie den Regimentern, was Gie jet von mir gehört.” Dann
des Eindruds gewiß, den feine Worte in jedem Herzen gemacht, ſprach
er mit kurzem, fejtem Kommandoton: „Das Kavallerieregiment, welches
nicht fofort, wenn es befohlen wird, ſich unaufhaltſam auf ben Feind
ftürzt, laſſe ich ſogleich nach der Schlacht abfigen und made es zu
einem Garnifonregiment. Das Bataillon Infanterie, das, es treffe,
worauf es wolle, zu ſtocken anfängt, verliert Fahnen, Säbel und Borten
der Montirung. „Nun, meine Herren“, embete er, „leben Sie wohl;
in kurzem haben wir den Feind geichlagen oder wir ſehen uns nie
wieder!"
AS der König dann gegen Abend durch das Lager ritt und mit
einzelnen Leuten jedes Regiments freundlich ſprach, empfing ihn überall
Bierfon, preuß. Geſchichte I. 2
370 Der fiebenjährige Krieg.
begeifterter Jubel. Die alten Krieger drängten fi) um ihren König, mit
dem fie jo manche heiße Schlacht gewonnen, und ſchworen ihm Sieg
oder Tod zu. Einem pommerfchen Regiment von befannter Tapferkeit
fagte er: „Nun Kinder, wie wird's ausfehen? Der Feind ift nod) ein-
mal jo ftarf als wir!" „Lat man goot fin”, antworteten die Soldaten,
„do fin doc keene Pommern mang! ju meet woll, wat wi könne.“
„Freilich weiß ich das“, erwiderte der König, „ſonſt könnte ich die
Schlacht nicht Kiefern. Nun fchlaft wohl. Morgen haben wir den Feind
geſchlagen, oder wir find alle tot!" „Man too!" rief das Megiment.
In diefer Stimmung marfcjirten fie am 4ten dem Feinde entgegen.
Prinz Karl ftand mit mehr als 80000 Mann und 208 Geſchützen in
einer jehr feften Stellung an der Lohe bei Breslau. Daun riet, fie nicht
zu verlaffen. Aber Prinz Karl und die meiften andern Generale meinten,
es ſei unter ihrer Würde mit einer fo ungeheuren Übermacht einer Hand
voll Volks, diefer „berliner Wachtparade“ gegenüber, hinter Verſchan—
zungen ftehen zu bleiben. Sie gingen daher bis über die Weiftrig dem
Könige entgegen; als der fie jo keck ins offene Feld kommen fah, ſprach
er freudig: „Der Fuchs ift aus feinem Loche gegangen, nun will ic)
feinen Übermut beftrafen." Am folgenden Tage, Montag den 5. De-
zember, ftellte Prinz Karl fein Heer in Schlacjtreihe, die Linie war eine
Meile lang; fie erſtreckte fi) von Nipern (nordweſtlich von Breslau)
über Frobelwitz nach Leuthen und Sagſchütz. Es war dag erfte und
das letzte Mal, daß die Öfterreicher e8 wagten, bei hellem Zage und zu
offener Feldichlacht Friedrich dem Großen entgegen zu gehen.
Kampfesfroh, geiftliche Lieder fingend, rüdten die Preußen an:
„Gieb, daß ich thu mit Fleiß, was mir zu thun gebühret, Wozu mid)
dein Befehl in meinem Stande führet; Gieb, daß ich's tue bald, zu der
Seit, da ich's fol, Und wenn ich's thu, fo gieb, daß es gerate wohl!”
Der Geift mußte erfegen, was der Zahl gebrach; e8 waren ihrer nicht
mehr als 32000 Mann mit 166 Geichüßen.
Der König entfaltete an diefem Tage die ganze Größe feines Feld⸗
herrngenies. Er wählte die ſchiefe Schladhtorbnung, mit der einft Epa-
minondas bei Leuftra die Spartaner befiegte. Durch verftellte Bewe—
gungen gegen den rechten feindlichen Flügel hielt er diefen in Unthätig-
keit, während er in Wirflichfeit den linken bedrohte. Er erfand dazu eine
Stelungsart, nicht unähnlich der macedonifchen Phalanx, indem er feine
Hauptfraft auf feinem rechten Flügel vereinigte, in einen Heinen, tiefen
und dichten Schlachtkörper, der, aus der Ferne gejehen, einem höchſt un
ordentlich zufammengeftellten Menfchenhaufen glich. So ſchob er aufmar-
ſchirend einen Trupp nad) dem andern in Keilform nad) rechts dicht an-
einander. „Die guten Leute paſchen ab", jagte Daun, „laſſen wir fie
ziehen!“ Da, auf Friedrichs Wink, entwirrte fid) plötzlich der lebendige
Leuthen. 371
Knäuel zu fehönfter Ordnung und fiel mit ungeheurer Wucht auf ben
linken öfterreichifchen Flügel. Mit äußerfter Genauigkeit und Rafchheit
wie auf den Übungsplage ward jeder Zug des Feldherrn von feinen
Soldaten ausgeführt. Um 1 Uhr erfolgte der furdhtbare Anprall. Die
Kriegswut der Preußen war fo heftig, daß der Feind bald zu wanken
begann. Buerft wichen die Würtemberger und Baiern, die, von ben
Ofierreichern ins Vordertreffen geſchoben, wenig Luft hatten, der Kaiferin
als Kanonenfutter zu dienen. Dann ſchlugen Morik von Deſſau mit
dem Fußvolk und Bieten mit der Reiterei aud) die ehe warfen
ein Regiment aufs andere, während der König jelbft das Dorf Leuthen,
wohin fic jet endlich der rechte öfterreichifche Flügel zog, eroberte. Die
ganze Schlachtreihe des Teindes wurde fo von den Preußen aufgerollt,
von allen Seiten hieb ihre Reiterei in Die verwirrten feindlichen Maflen,
ſchoß ihr ſchweres Geſchütz Breſche. Um 4%, Uhr war Friedrichs Sieg
überall entſchieden, und das große öſterreichiſche Heer zertrümmert. Die
früh anbredjende Nacht war der einzige Schuß der Fliehenden. Bis in
die Nähe von Lifſa drangen die Preußen nad).
Es war ein glorreicher Tag, glorreich durch die Leiftung des fieg-
reichen Feldherrn — „das Meifterftück des großen Friedrich“ hat Napo-
Teon I. diefe Schlacht genannt —; glorreich durch die unerhörten Erfolge —
der Feind hatte 10000 Tote und Verwundete, 21000 Gefangene, 116
Kanonen, 59 Fahnen verloren; glorreic, durch die moralifche Größe des
Heinen preußiſchen Heeres. 5000 Mann waren ihm getötet ober verwundet,
aber die Gefallenen biuteten und farben mit der nämlichen Begeifterung,
mit der fie fochten. Ein gefangener bairijcher General ftieß auf einen
preußifchen Grenadier, der in feinem Blute ſchwamm; beide Füße waren
ihm abgeſchofſen, aber er rauchte ruhig Tabak. Der Baier wunderte fich,
der Preuße verjeßte Taltblütig: „Ick ſterw for Fritze!“ Ein anderer
preußiſcher Grenadier verlor fein Bein; er ftüßte ſich auf fein Gewehr
als Krüce und ſchleppte fih an die vorbeimarſchirenden Gefährten.
„Fechtet als brave Preußen!" ſchrie er, „ſiegt oder fterbt für euren
König!" Waren je die Thaten ber alten Griechen und Römer bemwun-
dernäwürbiger? Und als das Heldenheer gefiegt und in der dunkeln
falten Winternacht auf dem gewonnenen Blutfelde ftand, da fiimmte ein
Grenadier das Lied an: „Nun danket alle Gott!" und Regiment auf
Regiment, zuletzt dag ganze Heer fingt mit: „Nun danket alle Gott!“
Unterdefjen war der König mit einigen Bataillonen nad) Lifja voran—
geeilt, um bier bie Bräde über die Weiſtritz zu beſetzen. Das Städtchen
war voll Ofterreicher, der Körig begab ſich mit wenigen Begleitern aufs
Schloß. Da war er mitten unter den Feinden; feine Freiheit ftand auf
dem Spiel. Boll Geiftesgegenwart rief er den Erftaunten zu: „Guten
Abend, meine Herren! Sie haben mic) hier wohl nicht vermutet. Kann
240.
372 Der fiebenjährige Krieg.
man bier auch noch unterfommen?" Verblüfft bücten fie ſich ehr—
furchtsvoll; bald darauf fam das Gefolge des Königs und nahm fie ger
fangen.
Der wichtigſte Erfolg der leuthener Schlacht war für die Preußen .
die völlige Wiebereroberung Schlefiens. Schon am 19. Dezember ergab
fi) Breslau mit 17000 Mann; nur Schweibnig hielt ſich etwas Länger.
Die Verfolgung des gejchlagenen Heeres betrieben Bieten und Fouqué fo
eifrig, daß Prinz Karl nur 37000 Mann und zwar im elendeften Zu=
ftande nad) Böhmen zurüdführte; er legte nun endlich den Oberbefehl
nieder.
Auch auf den anderen Kriegsſchauplätzen endete der Feldzug günftig.
Die Ruſſen zogen fid) bald nach der Schlacht bei Großjägersdorf wieder
aus Preußen zurüd, und der Feldmarſchall Lehwald wurde nun ander-
wärt3 verwendbar; er ging mit feinem Heinen Heere nad) Pommern und
vertrieb dort die Schweden, eroberte ſogar Schwediich- Vorpommern bis
auf Stralfund und Rügen. Nod) wichtiger war der Umfchlag, den die
Kriegsangelegenheiten in Hannover erhielten. Der König Georg II. bes
ftätigte den ſchimpflichen Vertrag von Klofter Zeven nicht, beſchloß viel-
mehr den Krieg fortzufeßen und wurde darin von feinem großen Minifter
Pitt aufs Fräftigfte unterftügt. Pitt ſah ein, wollte England feinen
Krieg gegen die bourboniſchen Mächte mit Erfolg führen, fo mußte es
ihm zu Lande eine befjere Wendung geben; Amerika, das war Pitts An-
ficht, mußte in Deutſchland erobert werben. Auch hielt er es für „uns
ehrenhaft, ben wundervollen Mann zu Grunde gehen zu laffen, welcher
Englands Bundesgenofje und gegen feine Abſicht und Erwartung durch
feinen Anſchluß an England in eine fo gefährliche Lage gefommen jei.
Friedrich ftehe da als das unerjchütterte Bollwerk Europas wider die
mädhtigfte und boshaftefte Verbindung, die jemals die Unabhängigkeit
der Menſchen bedrohte, und fei — was für England das Wichtigfte —
allein noch im Stande, den Franzofen in Deutſchland die Spihe zu
bieten.“ So dachte aud) das englifche Parlament. Georg II. erbat ſich
daher von Friedrid dem Großen einen Feldherrn für das wiederherzu⸗
ftellende hannöverſche Bundesheer und zwar als folhen ihren beider»
feitigen Verwandten, den bisher preußifchen General Prinz. Ferdinand
von Braunfhweig.‘) Gem willigte Friedrich ein, und fo übernahm
denn Yerbinand fofort den Dberbefehl über die von England beſoldeten
Hannoveraner, Heſſen, Braunfchweiger und vereinigte fie mit englifchen
und einigen preußifchen Hilfsſcharen zu einem neuen, tüchtigen Heere.
Ferdinand war der befte, geeignetite Mann für diefen ſchwierigen Poſten
9 Er war ein jüngerer Bruder der Königin Eltabeth, Gemahlin Friedrichs bes
Großen, und am 12. Januar 1721 geboren. Geftorben iſt er am 3. April 1192.
Ferdinand von Braunſchweig. 373
als Befehlshaber eines fo gemijchten Heeres; er wußte mit feinem Takt
die verfchiedenen Elemente, die e8 bildeten, jedes nad) feiner Natur zu
behandeln, und feine Unparteilichfeit, feine Milde und Uneigennügigfeit
. gewannen ihm rafch aller Herzen. Er beſaß Feldherrntalente, angeborene
und in der Schule Friedrichs gebildete, und er hatte das Glück, mas
ihm an foldyen noch etwa fehlte, in einem Gehilfen zu finden, der nichts
fein wollte, als fein ungenanntes Werkzeug, Es war fein Privat
jefretär Philipp Weftphalen*), ein militärifhes Genie, das bald bie
Seele der Kriegführung Ferdinands wurde. Dem Prinzen war die Auf-
gabe geftelt, Hannover zu ſchützen; es zeigte ſich bald, daß er noch mehr
vermochte.
Das Zahr 1757 Tief ab; wie reich an flaunenswerten Schaufpielen
und Wechſelfällen war diefer ewig denkwürdige Feldzug gemefen! 700000
Krieger der gebildetften und friegerifcheften Nationen der Welt auf deut⸗
{chem Boden in Waffen gegen einander; ein Bündnis faft aller Groß—
mädjte gegen den einzigen Mamt, und es hatte ihm nichts anhaben
können. Geine Staaten waren gerettet, Kurſachſen behauptet; im zahl-
reichen Treffen und in fünf Hauptſchlachten hatten die Preußen glorreich
mit der Übermacht gerungen und meiftens gefiegt. Friedrich hoffte,
Marta Therefia werde nun zum Frieden neigen; aber fie beharrte um
fo fefter bei ihrem Vorſatz, weil Elifabeth von Rußland und Ludwig XV.
fortfuhren, die Kräfte ihrer Staaten der öfterreichifchen Politit zum Opfer
zu bringen. Bon beiden Seiten wurde im Winter eifrig geräftet. Die
Gegner Tonnten dies hei der Größe ihrer Staaten leichter; Friedrich er-
hielt die erforderlichen Mittel nur durch den nachdrücklichſten Wirfeifer.
Das Befte mußten natürlich feine eigenen Staaten leiften und thaten es
aud) mit opferfreudiger Hingebung ; namentlid) Pommern und die Mark
zeichneten fich dabei aus, wie fie denn auch bie tüchtigften Soldaten
lieferten. Auch leifteten fie nicht bloß für die Feldarmee dag ihrige; nad)
dem Borgange Bommernd wurde noch von den Ständen Magdeburgs,
der Kurmark und Oftpreußens eine freiwillige Landwehr errichtet, die
bejonders in Pommern ſich fehr nützlich machte. Sie hat dort unter
Wedell und Belling aufs tapferfte gegen die Schweden und Rufſſen ge=
fochten und höchſt wirffam die Feftungen geſchützt. .
Aber der König durfte feine Völker nicht durch Überbürbung
erſchöpfen; fie waren ohnehin ſchwer belaftet und litten durd) die Ver—
wüftungen des Krieges viel. Deshalb erhöhte er die Steuern nicht, die
bereits im Frieden auf Kriegshöhe geftanden hatten. „Wenn es fein
9) Cr Sieb eigentlich Weftphal und war Sohn eines Poftneifters; 1764 wurde er
geadelt. — Dal. über ihn die Einleitung zu feiner „Geſchichte der Feldzüge des Herzogs
Ferdinand von Braunfhweig-Lüneburg“, Herausgegeben von feinem Entel &. d. Weitphaen,
Berlin 1859.
374 Der fiebenjährige Krieg.
x
muß“, meinte er, „will ich lieber feinblihes Land als meine armen
Unterthanen treten." Er bebrüdte alſo die Feinde.
Zu diefen gehörte teils offen, teils insgeheim aud) die katholiſche
Geiſtlichkeit in Schlefien; fie erfuhr daher manche Härte. Doc) war der
Drud, der fie traf, jehr unbedeutend gegen die ſchwere Laſt, melde "
Sachſen, Anhalt, deſſen Regenten ſich zweideutig benommen, Mecklenburg⸗
Schwerin und überhaupt alle diejenigen Länder erbuldeten, die, gegen
Friedrich verbündet, in feine Gewalt gerieten, und die er num lehrte,
wie er fi) in feinem Berliniſch ausdrüdte, „menagements für einem
großen Nachbarſtaate zu haben“. Denn die Not zwang ihn zu Maß—
regeln, die er aus freien Stüden nie gethan hätte. Namentlich Sachſen
mußte ihm die Mittel an Geld, Getreide, Pferden, Rekruten liefern, die
nod) fehlten. Leipzig, welches ſchon 1756 eine halbe Million Thaler
gezahlt, mußte jeßt wieberum 900000 Thaler entrichten. Ebenſo wur-
den im Verhältnis die anderen Städte befteuert. Die Lieferungen von
Kriegsbedürfnifien aller Art nahmen fein Ende; an 13000 Mann
murden als Rekruten ausgehoben. Man berechnete fpäter, daß Friedrich
während des fiebenjährigen Krieges im ganzen aus Sachſen mohl
70000 Rekruten und an Kontributionen, Lieferungen von Lebensmitteln
und anderm Bedarf 40 bis 50 Millionen Thaler gezogen habe.) Auch
Medienburg-Schwerin mußte büßen, was fein Fürſt verbrochen. Der
Herzog hatte vor allen eifrig auf die Achtserklärung gegen Friedrich ge—
drungen; jetzt war er entflohen und ließ feine Unterthanen leiden.
Friedrich hat aus dieſem Lande während des Krieges über acht Mil-
lionen Thaler**) und 16000 Rekruten gezogen. Er hielt aber hier wie
überall ftreng auf Ordnung, litt feine Erprefiung im Einzelnen, Teine
Plünderung und machte den Drud erträglidy, indem er ihn auf das
Ganze verteilte, während feine Feinde, wohin fie famen, eben fo ftart
erpreßten, aber außerdem plünderten und unnüß zerftörten. Ein ſächſiſcher
Schriftfteller jener Zeit bemerkt: „Das weiß id}, daß die Bedrückungen
und Plünderungen der Öfterreiher und Reichstruppen in Sachſen alle
Herzen von ihnen abwandten, und man öffentlich ſagte, man wolle
lieber die ordentliche Laſt der Preußen als den beſchwerlichen Troft der
Befreier tragen.“ Den übelften Ruf im Brennen und Sengen, Plün-
dern und erftören hatten die Kroaten und Panduren; die Rufen und
beſonders die Franzofen machten es faft noch fchlimmer, hauſten in der
Regel barbariſch. Die Kriegführung der Preußen war im Vergleich da-
) Berhältnismäßig mehr Hatte der Schwedenldnig Karl XIT., als er vom September
1706 6i8 zum Eeptember 1707 Sachſen beiekt hielt, dieſem Lande entnommen, nämlid, in
Geld und Geldeswert 23 Millionen Thaler und 12000 Retruten. Vehſe, Geh. d. Höfe
d. Haufes Sachſen IV. 322.
*) Boll, Geh. Medlenburgs II. 307.
1758. 375
mit milde und menſchlich zu nennen; bei ihren Einfällen in Feindesland
begnügten fie fid) mit ftarfen Brandſchatzungen, die namentlich in den
fränfifchen Bistümern durch preußiſche Parteigänger, wie den Oberſt
Mayr, oft beigetrieben wurden.
Ein anderes trauriges Mittel, wozu Friedrich die Umftände nötigten,
war das Prägen leichten Geldes; das thaten auch andere deutſche Für-
ften, die ſich nicht wie er mit der Not entſchuldigen konnten.
Eine dritte ſehr ergiebige Hilfsquelle floß ihm aus feinem Bündnis
mit England. Hier hatte der Sieg bei Roßbach ungeheuren Jubel er-
regt; das ganze englifhe Wolf erglühte voll Bewunderung für ben
großen König; es feierte ihr wie einen Abgott, diefen Helden des Pro-
teftantismus, wie ihn Pitt nannte. Mit Freuden bemilligte das Parla-
ment im April 1758 die Erneuerung des Bundes dahin, daß England
nicht nur die Befoldung des hannöverſchen Heeres übernahm, fondern
aud an Friedrich für die Dauer des Krieges jährlid, ein Hilfsgeld von
670.000 Pfund Sterling (4'/, Million Thaler) zahlte.
Durch raftlofe Thätigkeit hatte Friedrich im Winter 1757/58 die
Lücken in feinem Heere ausgefüllt. Er ſetzte feinen Feinden, die im
ganzen Diesmal 316 000 Streiter aufitellten, 175 000 Mann Feldtruppen
entgegen; darunter war das hannöverfche Heer von anfangs nur 30 000
Mann, welches Prinz Ferdinand befehligte. Der letztere eröffnete ben
Feldzug. Mitte Februars überfiel er die Franzoſen, die unter dem
Oberbefehl des Grafen Clermont, von Goslar bis zur Ems zerftreut,
im Winterquartier lagen. Sie leifteten nirgends wirkſamen Widerftand,
fondern zogen ſich mit großem Verluſt bis über den Rhein zurüd. Fer—
dinand ließ ihnen aud) dort feine Ruhe, ging über den Fluß, griff am
23. Zuni bei Krefeld mit 33000 Mann Elermonts 47000 an und
ſchlug fie aufs Haupt. Auch Elermonts Nachfolger, Contades, und ein
anderes franzöſiſches Heer, daS unter Soubiſe am Main ftand, richteten
nichts aus. Weftfalen bis zum Rhein, Niederſachſen und Heflen bis zur
Lahn blieben von ihnen befreit.
Unterbefien hatten Die Preußen Schweidnig wieber erobert (17. April)
und waren dann durch Oberſchleſien in Mähren eingefallen, um Olmüß
zu belagern. Dieje ſtarke Feftung ließ ſich aber mit jo unzureichenden
Mitteln, als Friedrich gegen fie zur Hand.hatte, nicht einnehmen, und
das dfterreichifche Heer unter Daun und Laudon gewann Zeit, das
preußijche Lager fo zu umftellen, daß die Zufuhr aus Oberjchlefien ab-
gefehnitten wurde. Der König fah fid) (am 1. Zuli) zum Rückzuge ge
nötigt; er war in der fchwierigften Lage, ohne Schießbebarf und Lebens-
mittel einem überlegenen Feinde gegenüber, der alle Päfle aus Mähren
nad Schlefien verfperrte und ſicher hoffte, ihn auf dem Marſch durd)
das gebirgige Land zu vernichten. Was Friedrich rettete, war wieder die
376 Der fiebenjährige Krieg.
Erfindfamteit und die Stärke feines Geiftes. Er ſchlug plötzlich den
Weg nad) Böhmen ein, gewann dadurch einen Vorfprung, und als nun
Daun folgte, Laudon von der einen, bie leichte öſterreichiſche Reitere
von allen Seiten drängte, ſchlängelte er fi), immer zum Fechten bereit,
durch meifterhafte Wendungen Schritt vor Schritt durch Feinde und
Hohlwege, über Berg und Thal, famt feinem unermeßlichen Wagenzug
unbefhädigt hindurch. So fam er am 9. Auguft glücklich über Königin-
gräß und Friedland nad) Landshut in Schlefien und brachte alle feine
4000 Wagen, Geihüb und Gepäd, Kranken und Verwundeten
wohlbehalten heim. Ein Rückzug, der hochberühmt ift in der Kriegs—
geſchichte.
Der König wandte ſich nun gegen einen Feind, der ihm bisher
noch nicht vor die Augen gekommen war, die Rufen. Im Januar
bereit8 waren fie, diesmal befehligt vom Grafen Fermor, wieder in
DOftpreußen eingerüdt; doch behandelten fie das Land jet mit etwas
mehr Schonung, weil fie e8 bereit3 als einen Zeil ihres Reiches betrad)-
teten. Auch mußten die Stände fofort — am 24. Januar (alfo am
Geburtstage des Königs!) — in Königsberg der ruffifchen Kaiſerin den
Huldigungseid leiſten. Daß fie es thaten, daß manche, in denen nod)
der Geift Kaldfteins und Rodes ſich regen mochte, e3 fogar anſcheinend
gern thaten, hat Friedrich der Provinz nie vergefien; er hat Beit feines
Xebens Oftpreußen mit feinem Fuße mehr betreten. Vier Jahre lang,
big zum Frühling 1762, hat die Provinz unter dem ruſſiſchen Doppel=
adler geftanden. Das Volk fügte fi) ımter die neue Herrichaft,
weil e8 eben mußte; aber immer erfehnte es ben Augenblick der Be—
freiumg*).
Nachdem Fermor von Dftpreußen im Namen Eliſabeths Befig er—
griffen, zog er langſam und planlos durch das polnifche Weftpreußen,
wo ihm nur Danzig die Thore ſchloß, der Dder zu. Anfangs Auguft
fielen feine Horden wie ein Heuſchreckenſchwarm auf die Neumark. Sie
verübten hier die furchtbarften Greuel; namentlich die Koſaken und Kal
müden plünderten, fengten, marterten, ſchändeten, mordeten ohne Unter
ſchied des Alters und Geſchlechts, verbrannten eine Unzahl Dörfer und
) Ein Prediger in Tollmingkemen erhielt, wie bie andern Geiftlichen der Provinz,
dem Befehl, ein großes ruffifces Weit zu feiern; er that e8 in folgender Weije: „Mir Ift*,
fprad) er, nochdem er die Kumzel beftiegen, „mir ift befohfen den heiligen alerander zu
jeiern. Es mag ein guter Mann geweien fein; allein ich kenne ihn nidt und ihr kenut
ihn nicht. Deshalb Laffet uns, lieben Brüder, die Gtelle der Heiligen Schrift 2. Timoth. 4,
2. 14: „„Wegander der Schmied Hat mir viel Bdfes bewieſen, der Herr bezahle ihm nad
feinen Werten⸗ · zum Tert fir unfere Heutige Betragtung nehmen.” (J. D. €. Preub,
Seiebrih d. Gr. 2. Aufl. Berlin 1837, I. 272.) Diefer tahne Prediger war ber als
nũtauiſcher Dichter berühmte Donaleitis.
. Bornborf. 377
die Stadt Küftrin, da fie die Feſtung, welche der Oberft Schad von
Wuthenow aufs tapferfte verteidigte, nicht zu erobern vermochten. In—
grimmig eilte Friedrich von Schlefien herbei, dieſe Wilden zu zlchtigen
und fein Land vor gänzlihem Ruin zu retten. Am 12. Auguft fchrieb
er aus Liegnitz an den General Grafen Dohna, der jenfeit der Ober
Iommandirte und zu ſchwach geweſen war, die Neumark zu retten. „Wir
müffen nun anfangen die Ruſſen tüchtig abzuprügeln, und wenn Ihr
über die Oder gehet, fo jaget allen Euren Offizieren: Meine Devife wäre
fiegen oder fterben, und derjenige, welcher nicht jo bächte, möchte dies=
feitS bleiben und könnte ſich zum Teufel fcheren." Am 22. Auguft war
er bei Küftrin, wo er fi) mit den Truppen Dohnas vereinigte. Diefe,
meift oftpreußifche Regimenter, fahen beffer aus, als die feinigen, hatten
aber auch nichts geleiftet; „meine fehen aus wie die Grasteufel“, fagte
Friedrich, „aber fie beißen.“
Fermor ftellte nun fein Heer, 52000 Mann, bei Borndorf (nörd⸗
lich vom Einfluß der Warthe in die Oder) auf. Mit 32000 griff ihn
Friedrich) am Freitag den 25. Auguft Morgens 9 Uhr an. Er befahl,
feine Gnade zu geben, fondern die Barbaren famt und ſonders nieder
zumachen; doch verachtete er den Feind zu ſehr, wenn er auf einen
leichten Sieg hoffte. Einige preußifhe Bataillone wurden anfangs fo-
gar zurüdgetrieben. Aber Seydlig mit der Reiterei leiftete hier wieder
Großes; feinem Anfturm erlag erft die Kavallerie, dann die Infanterie
des Feindes; gegen Mittag war der ruffiiche rechte Flügel teils nieder-
gehauen, teils in Moräfte gedrängt, wobei es ſich zeigte, daß die Ruffen
Teichter zu befiegen als vom Felde zu treiben waren. Sie ftanden wie
die Mauern und ließen ſich ftumpffinnig abſchlachten. Auch auf dem
anderen Flügel — wo Dohnas Negimenter zum großen Teil die Flucht
ergriffen — rettete der Scharfblick und die Entſchloſſenheit des tapfern
Seydlitz die Schlacht; mit 61 Schwadronen, welche jeit 12 Stunden im
Sattel waren, ftürzte er fid) auch dort auf die ruſſiſche Reiterei und
warf fie auf ihr Fußvolk, bis der Feind um 8, Uhr Abends vom
Schiachtfelde wich. Mangel an Schießbedarf hinderte die Sieger, ihn zu
vernichten. Doch war das Morden jo wütend geweien, daß dieſe Schlacht
zu ben blutigften gehört, die je gefochten wurden; bie Rufen verloren
an. Toten und Verwundeten 18000 Mann, die Preußen 10000. er:
mor, der die Brücken über die Mützel abgebrochen fand, blieb nots
gedrungen an dieſem Flüßchen ftehen, bis er eine andere Rüdzugslinie
gefunden hatte; in der darauf folgenden Nacht zog er fi unbemerkt
norbwärts ab und ging langfam durch Hinterpommern nad) Polen zus
rüd. Friedrich mußte ihn entkommen laffen, weil feine Reiterei zu ab»
gemattet war und die Infanterie feine Munition mehr hatte, Übrigens
378 Der fiebenjährige Krieg.
rief ihn die Bebrängnis feines Bruders Heinrich), den er als Wächter
Sachſens zurücgelaffen, dorthin.
Diefer Prinz”), der an Talent wie an feiner Geiftesbilbung dem
Könige nahe fam, war unter allen Generalen gerade für einen Ber-
teidigungsfrieg am meiften befähigt; denn er befaß eine ungemeine
Geſchicklichkeit, fich felbft feine Blöße zu geben, aber die Blößen des
Gegners zu benußen. So ergänzten die Brüder einander, der jüngere
mit feiner Augen Umficht, vorfichtigen Beſonnenheit; der ältere mit feiner
kühn andringenden Willenskraft und gewaltigen Lebendigkeit. Den gan—
zen Sommer hinburd hatte Prinz Heinrich mit einem fleinen Heere
Sachſen glüdlid) gebedt; es zog fi mun aber eine zu große Übermadit,
das Hauptheer der Ofterreicher unter Daun und das neugebildete Reichg-
heer unter dem Prinzen von Bweibrüden, gegen ihn zufammen und
drohte ihn in feinem Lager bei Dresden von vorn und im Rüden an—
zugreifen. Auf die Kunde von Friedrichs eiliger Armäherung aber wid)
Daun fofort in ein feftes Lager bei Stolpen zurüd und beichränfte ſich
feinerfeit8 auf die Defenfive, die er mit gewohnter Behutfamteit führte.
DVergebens fuchte ihn der König zu einer Schlacht herauszuloden; jener
folgte ihm zwar, wie er öftlid) in die Lauſitz ablenkte, aber ftets auf den
Bergen in unangreifbaren Stellungen.
Hier beging nun der König die Unvorfichtigkeit, dicht vor dem hoch⸗
gelegenen öfterreichifchen Lager bei Hochkirch (unfern Bauten) am Norb-
abhange des laufiger Gebirges, in einer fo gefährdeten Stellung, daß
alle Generale widerſprachen, ein Lager zu beziehen, und hielt eigenfinnig
daran feit; er veradjtete den Yeind, der doch doppelt jo zahlreich war
(60 000 gegen 30.000), und meinte, Daun würde auch jegt nicht wagen,
ihm anzugreifen. Aber auf Antrieb feines Unterfeldherrn, General
Lascy, entſchloß ſich Daun wirklich die Gunſt der Umftände zu benußen.
In der Nacht vom 13. zum 14. Dftober brad) er mit feinem Heere in
aller Stille gegen das preußiſche Lager auf, wo Friedrich mit feinen
Kriegern ſorglos ſchlief. Raſch waren die Wachen überwältigt, bie
Oſterreicher ſtanden mitten im Lager, fielen über die Schlaftrunfenen
her und richteten auf die Preußen deren eigene Geſchütze. Nur Bieten
mit feinem Hufarenregiment wurde nicht überrumpelt, er hatte vorſich⸗
tiger Weife nicht wie die andern abjatteln lafſen und griff nun tapfer
an. Defto volftändiger war bie Überrafdjung bei allen übrigen Truppen-
teilen. Aber jeßt bewährte fi) wieder bie preußifhe Mannszucht.
In diefer entjeglichen Not wäre gänzlicher Untergang das Los jedes
andern Heeres geweſen; denn was halfen bier Mut und Tapferkeit?
9 Geboren am 18. Januar 1726 zu Berlin, geftorben am 3. Huguft 1802 zu
Rheinsberg.
Hochtirch. 379
aber die Mannszucht half. Kaum hatte das Kriegsgeichrei ſich durch
das Lager verbreitet, jo fprangen die Soldaten halb nadt aus den Zel-
ten heraus; in der dichten Finfternis der Nacht ergriffen fie ihre Waffen,
ftellten fi in Reih und Glied. In wenig Augenblicden ftand ber größte
Teil des Fußvolls und der Reiterei in Schlachtorbnung, warf auch
hie und da den Feind zurück. Stundenlang wittete ber erbitterte Kampf
Mann gegen Mann. Bmweimal eroberten und verloren die Bataillone
Keiths die große Batterie mitten im Lager, welche die Preußen, wie fie
zu den Fahnen eilten, reihenweife zu Boden ftredte. Hier fiel Keith,
fiel Prinz Franz von Braunfchweig, ein Schwager des Könige. Von
vom und im Rücken angegriffen, mußten die Preußen diefen Schlüffel
ihrer Stellung, fowie das in Brand geratene Dorf Hochkirch aufgeben.
Nur den Kirchhof verteidigte der Major v. Lange, ein zweiter Leonidas,
gegen alle Angriffe einer achtfachen Übermacht. Ebenſo Bielt Major
v. Möllendorf einen Hohlweg beim Dorfe Drefa. Um 7 Uhr Morgens
zerteilte fid) der Nebel, der bisher das Gewühl von Fremd und Feind
bedeckte. Friedrich, der gleich allen andern fi) dem ftärkften Teuer aus—
gejeßt hatte, befahl nım ruhig ımd gefaßt den Rückzug; das Heer mar-
ſchirte in größter Ordnung ab und ftellte fich eine Meile vom Schladht-
felde wieder in Schlahtordnung auf. Daun aber verichanzte ſich in
feinem Lager und ließ den ambrofianifchen Lobgefang anftimmen. Ihm
waren 6000 Mann tot oder verwundet und 1000 gefangen; die Preußen
dagegen hatten 9000 Mann au Toten, Verwundeten und Gefangenen
und 101 Geſchütze verloren, dazu zwei ihrer beften Generale, nämlich
Keith, der gefallen war, und Morik von Deſſau, der eine Verwundung
erlitten ‚hatte, an welcher er (1760) ftarb.
Friedrich, nie größer als nach einen Unfall, weil dann die ganze
Stärke feines Charakters und die Vielgewandtheit feines Geiftes ins
Mittel traten, machte alle Pläne zunicht, die Daun auf feinen Sieg
bauen konnte. Diefer hatte gehofft, ihn von Schleſien, wo ein öfter
reichiſches Heer Neiße belagerte, abzuhalten, und während Laudon dieſe
Provinz erobere, felbft ganz Sachſen zu befegen. Daraus wurde nichts.
Friedrich kam ihm durd) Gewaltmäride im Bogen um Görlik zuvor,
ließ bei Hirfchberg den Prinzen Heinrich gegen ihn zurüd und gelangte
glüctih nad) Neiße, deffen Belagerung mun aufgehoben werden mußte.
Nachdem er Schlefien vom Feinde gejäubert, eilte er dann raſch wieder
nach Sachſen, wohin mittlerweile Daun marſchirt war, und befreite auch
dieſes Land. Die Öfterreicher gingen darauf in die Winterquartiere nad)
Böhmen und Mähren; und der einzige Gewinn, den Daun von dem
Überfall bei Hochtirch zog, war ber geweihte Hut und Degen, welchen
ihm der Papſt für den Sieg über die Ketzer jchentte.
Ebenſo wenig glücte e8 den Ruffen und Schweden; jene waren im
380 Der fiebenjährige Krieg.
Oktober wieder in Pommern eingebrochen und belagerten Kolberg, Tonnten
es aber nicht nehmen und kehrten nad) entjeglichen Verwüſtungen wieder
in ihre Quartiere in Polen zurüd, Die Schweden aber, die nun auch
wie Räuberbanden den Krieg führten, wurden von Dohna mit leichter
Mühe aus der Uckermark nad) Stralfund zurücgefcheucht. Am Ende des
Feldzugs ftand man auf dem alten Fleck. Friedrich war immer noch
unbefiegt; man hatte ihm weder Schlefien noch Sachſen entreißen können,
und für Oftpreußen und Kleve fand er reichen Erfah in Sadjfen, Meck—
lenburg, Schwebifc-PBommern, Anhalt und Weſtfalen.
Alle Teilnehmer biefes vermüftenden Krieges waren geneigt zum
Frieden, nur Maria Therefia nicht. Eben hatte fie vom Papft (Kle-
mens XIII.) für ihre Verdienſte gegen ben Ketzerkönig den Titel „Apo-
ſtoliſche Königin“ erhalten. Aber fie bedurfte dieſes neuen Anſporns
nicht einmal; denn fie war überzeugt, Die Übermadht müffe enblid) ob-
fiegen. Sie wendete daher alles an, um den Kriegseifer ihrer Verbün—
deten meu zu beleben. Dies gelang ihr auch. In Frankreich fah zwar
jedermann außer dem Könige, der ganz in den Händen feiner Umgebung
war, das DVerkehrte einer Politif ein, die Frankreichs Kräfte in Habs-
burgs Dienft vergeudete; e8 wurde in Paris fogar Mode, den König
von Preußen zu bewundern; aber der Hof beharrte in feinem blinden
Haffe, und die Nation hatte damals nur zu gehorchen. Ähnlich ftand es
in Rußland, defien Staatsmänner und Feldherren nicht viel Luft hatten
für Ofterreich zu kämpfen, auch vorausfahen, daß nad) dem Tode der
Kaiferin Elifabeth, welcher bei ihrer Trunkſucht und fonftigen Lieberlich-
feit nicht fern fchien, Die Politif des Staates ſich völlig ändern würde.
Indefien Maria Therefia beſtach die ruffifchen Großen und gewähr-
Teiftete dem ruſſiſchen Staate überdies ben Beſitz Dftpreußens. Sie
befoldete auch mehrere deutſche Reichsfürſten; andere wurben, wie die
Schweden, von Frankreich erfauft. Kurz, der große Bund blieb beftehen.
Er ſchickte im Frühling 1759 zufammen 350 000 Mann ins Feld, näm—
lich 109000 Öfterreicher, 76000 Auffen, 12000 Schweden, 28 000
Mann Reichstruppen, 10000 von Frankreich) befoldete Sachſen und
115000 Franzoſen. Dagegen Tonnte Friedrich mit der äußerften An-
ſpannung feiner Kräfte und bei härtefter Bedrückung der eroberten
Lander nur 130 000 Mann eigener Truppen aufftellen, während das Heer
des Prinzen Ferdinand auf 75000 Mann gebracht wurde. Dieje Un-
gleichheit der Zahl war befto gefährlicher, weil ſich im preußifchen Heere
bereit8 ein fühlbarer Mangel an tüchtigen Offizieren und alten Soldaten
zeigte. Die überall zufammengebrachten Werblinge konnten troß der Be—
geifterung, weldye Friedrich bei feinen Soldaten erregte, doch die Kern-
truppen nicht erjeßen, die auf jo vielen Schladhtfeldern verfcharrt Tagen;
nod) weniger waren die mit Gewalt in Feindesland Ausgehobenen ein
Minden. 381
guter Erfaß für die Preußen. Andrerjeits hatten die Feinde, namentlich
die Ruſſen und Öfterreicher, in diefem Kriege viel gelernt und nahmen
an Kriegstüchtigkeit zu, während es ihnen an Refruten nie gebrach.
Ferdinand von Braunſchweig eröffnete aud) Diesmal den Feldzug.
Er griff am 13. April 1759 das franzöſiſche Heer Broglies bei Bergen
(in der Nähe von Frankfurt a. M.) an, wurde zwar zurückgeſchlagen,
hinderte aber die Fortſchritte der feindlichen Hauptmacht unter Contades
und nötigte fie durch geſchickte Wahl der Stellungen, an der Wefer eine
Schlacht anzunehmen, in der er fie vollftändig befiegte. Diefe Schlacht,
am 1. Auguft bei Minden 45000 Franzofen von 37 000 Verbündeten
geliefert, wurde vornehmlich durd) die Tapferfeit de3 englifhen, hannö—
verſchen und Heffiichen Fußvolf3 gewonnen, welches binnen zwei Stunden
drei Schlachtreihen feindlicder Reiterei und das Zentrum des Gegners
durchbrach. Die Franzofen verloren dabei über 7000 Mann und wären
ganz vernichtet worden, hätte nicht der englifche Reitergeneral Lord
Sadville fid) feige und Eopflos benommen. Sie mußten num nicht bloß
ihre Entwürfe auf Weftfalen und Hefien fahren lafien, jondern auch bis
zum Schluffe des Jahres fi) wieder über den Main und Rhein zurüde
ziehen.
Während Ferdinand von Braunſchweig im weſtlichen Deutſchland fo
glücklich und ruhmvoll kämpfte, ging es den Preußen im Oſten ſehr ſchlecht.
Es kam darauf an, auch diesmal die Vereinigung der ruſſiſchen und öfter
reichiſchen Heere zu verhindern, nad) welcher Maria Therefias Feldherren
in den vorigen Feldzügen vergebens geftrebt hatten. Friedrich fandte
daher den General v. Wedel mit unbedingter Vollmacht, gleichſam als
Diktator, zu den preußifchen Truppen, die zwiſchen Dder und Warthe
den aus Poſen heranziehenden Ruffen gegenüber ftanden. Er follte den
Feind aufhalten, während der König jelbft von Sachſen aus den Ofter-
reichern Schach biete. Aber Wedel, obwohl wegen feiner ftürmifchen
Tapferkeit ein Liebling Friedrichs, zeigte ſich als Feldherr ungeſchickt
und einſichtslos. Mit feinem kleinen Heere von 28000 Mann griff er
am 23. Zuli die ruffifche Hauptmacht, 72 000 Mann, die unter Soltitow
bei dem Dorfe Kay (unfern Züllichau) fehr vorteilhaft aufgeftellt war,
ungeftüm an, wurde aber, jo tapfer feine Truppen aud) kämpften, von
der Überzahl zurückgeſchlagen, und jet war die Bereinigung Soltitows
mit dem öflerreichijchen Heere, welches der Kroatengeneral Laubdon*) eilig
durch die Lauſitz berbeiführte, nicht mehr abzuwenden; fie erfolgte am
) €o, ober auch Laudohn, ſchrieb er felbft feinen Namen. Er war aus Liefland,
aus einer Familie, bie bort urfprünglid; ans Großbritannien eingewanbert unb mit ber
ſchotiiichen Familie Zoubon verwandt geweſen fein fol. Val. Wraxall, memoirs of the
eourts of Berlin, Dresden cet. 1799, I. 839.
382 Der fiebenjährige Krieg.
3. Auguft; das verbündete Heer verſchanzte ſich, 88000 Dann ftark, am
rechten Dderufer bei Frankfurt.
Sofort verließ der König Sachſen, übergab Schlefiens Wacht feinem
Bruder Heinrich und eilte mit dem Kerne feines Heeres nad) der Neumark.
Am 12. Auguft führte er dasſelbe (48000 Mann) gegen die Höhen
zwiſchen Srankfurt und Kunersdorf, auf denen das faft doppelt jo
zahlreiche ruffifch = öfterreichtiche Heer gelagert war. Schon hatten die
Preußen durd) das Kartätjchenfener hindurch und über die meiften Höhen
und Batterien hinweg, vor denen fie taufende ihrer Brüber, darunter
auch den Dichter Major Ewald von Kleift, gelaflen, den ganzen linfen
ruffifchen Flügel bezwungen und mehr als 80 Kanonen erobert; ihr Sieg
war gewiß, wenn ber König inne hielt. Dem die Truppen, erſchöpft
von einem Eilmarſch von 6 Meilen, von einem vielftändigen Kampf in
größter Sonnenglut, und gelihtet durch den Kugelhagel, konnten zwar
den Gegner befiegen, aber nicht vernichten. Doc) eben biejes verlangte
der König; er ſchnitt felbft den ſchon flüchtenden Ruſſen bie Rüdzugs-
linie ab und befahl einen meuen Angriff. Das brachte die Ruffen zur
Verzweiflung; vom Terrain unterftügt, wehrten fie den letzten Anfall ab,
und Laudons frifche Truppen, die im entſcheidenden Augenblicke den er-
matteten Preußen in die Geite fielen, neigte die Schale völlig. Todes«
müde erliegt das preußiſche Heer, gerät in Unordnung, in Flucht. Um—
fonft ſucht fie der König zu ſammeln, der unerſchüttert im ftärkften Feuer
ausgehalten. Bwei Pferde wurden unter ihm erichoffen, und nur ein
goldenes Etui hielt eine Musketenkugel ab, die ihn ſelbſt erreichte. Ver—
zweiflungsvoll rief er: „Kann mich denn keine verwünſchte Kugel treffen?“
Ein Rittmeifter v. Prittwitz riß ihn emdlid) aus dem Gewühl heraus und
vettete ihn vor der Gefangenſchaft. Er war wie betäubt, hielt alles für
verloren. In ber That, es war ein furchtbarer Schlag. Die Preußen
büßten bier 17 000 Mann an Totert und Verwundeten und 1400 an Ge—
fangenen ein; ihr Heer war faft aufgelöft.
Auch die Ruſſen und Ofterreicher hatten 16 000 Tote und Verwun⸗
dete; aber wenn fie ihren Sieg bemußten, wie ſchlimm ftand es dann um
Preußen! Doch zum Glüd war dies eben einer ber Unterfchiede zwiſchen
Friedrich dem Großen ımd feinen Gegnern, daß er Siege zu benußen
verftand, und fie nicht. Soltikow fchrieb feiner Kaiferin: „Noch einen
ſolchen Sieg, und ich bringe dir die Botſchaft davon mit dem Stabe in
der Hand allein.“ Er meinte übrigens nicht mit Unrecht, die Auffen
hätten genug geleiftet; Daun müſſe nun feinerfeitS aud) etwas thun. Da
Dies nicht geſchah, fo blieb er ebenfalls unthätig, und Friedrich gewann
Zeit, ſich wieber aufzurichten. Schon wenige Tage nad) der fürdjterlichen
Niederlage war er wieder ganz der alte, voll Gelbftvertrauen und That»
Traft, entjchlofjen mit den gefammelten Trümmern feines Heeres diesſeit
Kunerdorf. Magen. 383
der Oder eine neue Schlacht zu wagen. „Ich will mich den Feinden in
den Weg ftellen”, jchrieb er am 16. an d’Argens, „und mic, töten laffen,
um meine Hauptftadt zu reiten. Wenn ich mehr als ein Leben hätte, ich
würde es für mein Vaterland opfern.“ Die Feinde rüdten aber wicht
vor, und er fonnte von allen Seiten, aus Pommern, Sadjjen, felbft vom
Heere des Brinzen Ferdinand Verftärfungen an ſich ziehen, Geſchütze aus
feinen Feftungen kommen laſſen, kurz fein Heer wieder in guten Stand
feßen. Im September gingen die Ruſſen enblic nad) Niederjchlefien,
wichen aber dem Könige, der ihnen folgte und hier eine Schlacht anbot,
aus und Tehrten im Dftober nad) Polen zurüd, weil auch Daun aus der
Lauſitz wieder nach Sachſen zurücgegangen war.
Eben bier trafen den König noch fehr empfindliche Verlufte. Nach
der funersdorfer Schlacht hatte er dem Befehlshaber von Dresden, bem
‚General v. Schmettau die Weifung erteilt, im Außerften Notfall, jedoch)
unter günftigen Bedingungen die Stadt zu räumen. Als nun Schmettau,
der zur Berteidigung der großen Stadt nur über 5000 Mann unſicherer
Truppen verfügte, von Haddik mit 28000 OÖfterreichern und Reichs—
foldaten belagert wurde, übergab er am 9. September die Stabt gegen
freien Abzug der Befagung. Auch die Vorräte und die Kriegstafie von
5, Million Thaler rettete er dem Könige. Die Umftände hatten fich
aber für diefen inzwijchen fo viel günftiger geftaltet, daß er über. Schmet-
taus allzu eilfertige Befolgung feines Befehls jehr ungehalten war. Das
Übrige Sachſen wurde durd) die Tapferkeit des Generals v. Wunſch, der
die Reichötruppen und Haddik abwehrte, und beſonders durch die vor⸗
trefflichen Maßregeln des Prinzen Heinrich, der Dam durch meifterhafte
Bewegungen bei Dresden fefthielt, für den König behauptet. Diefe
Xeiftung des Prinzen war um fo banfenswerter, al& er Damals körperlich
— an Gicht und Hämorrhoiden — viel litt und feine Seele voll trübfter
Beſorgniſſe vor der Zukunft war. Auch der König war zu biefer Zeit,
wie fehr oft während des Krieges, krank. Er hatte bie Gicht in der
linken Hand, im Knie und rechten Fuß, außerdem bag Fieber. Nichts-
deſtoweniger läßt er fi) Ende Dftober in diefem Yuftande von zwei
Soldaten in einer Sänfte von Sophienthal in Schlefſien nah, Sachſen
fchleppen und erjcheint mit feinem Heere im Fluge vor Meiben! Als er
im Sachſen ankam, war ihm bier noch nicht genug gefchehen; Die Ofter-
reicher follten auf der Stelle genötigt werden, nad Böhmen zurückzu⸗
gehen, umd er ſchickte daher den General von Fink mit 13000 Mann
in Dauns Rüden. Fink aber ließ fi in feiner allerdings fehr un-
günftigen Stellung im Gebirge bei Maren, fübweftlid von Pirna, von
Daun, ber ihn mit 36000 Mann Öfterreicher und Reichstruppen um-
ftellte, einfehließen und gab ſich nad) kurzem Kampfe gefangen (21. No»
vember). Ein preußijches Kriegsgericht verurteilte Fink dafür zu ein
384 Der fiebenjährige Krieg.
jähriger Feftungsftrafe. Am 3. Dezember überwältigten die Öfterreiher
nod) eine andere preußifche Heeresabteilung, 1400 Mann unter dem
General Dieride, bei Meißen und zwangen fie troß heftigen Wider
Standes zur Ergebung. Dresden mit feiner Umgebung konnte nun nicht
wieder gewonnen werben; es war vergebens, daß Friedrich mitten im
ftrengen Winter Dauns Heer gegenüber bei Wilsdruf ein Lager bezog;
beide Zeile litten fehr von der Kälte, ohne etwas auszurichten; Friedrich
mußte fid) begnügen, daß das ganze übrige Sachſen in feiner Gewalt
verblieb.
So endete ber Feldzug doch weit weniger nachteilig, als man nad)
der funersdorfer Schlacht erwarten mußte. Allein Friedrichs Macht
beftand hauptſächlich in jeinen Heeren, feiner Perfon und feinem Geifte;
nun war er felbft zwar troß förperlicher Leiden, troß der Gicht, die ihn
marterte, troß des Ergrauens feiner Hare, des Ausfallens feiner Zähne
nod) immer der ungebeugte Held voll fchnellfräftigiten Geiftes; aber bie
Truppen waren jo arg gelichtet, daß ihre Vernichtung durch einen letzten
Feldzug erwartet werden fonnte. Die Feinde rüfteten daher aufs neue
mit altem Hafe, und im Frühling 1760 ftanden dem hannöverſchen
Bundesheer von 75000 Mann wieder 115000 Franzoſen, dem Könige
felber 130.000 Oſterreicher, 120000 Ruffen, 20000 Reichsſoldaten,
10090 Schweden gegenüber. Diefen 280 000 Mann follte er mit 90.000
die Spiße bieten; auch diefe Zahl hatte er wieder nur mit der größten
Anftrengung, nur durd) härteften Drud, namentlich auf das unglückliche
Sadjjen, erreicht. Die Lieferungen an Geld, Lebensmitteln, Pferden waren
ungeheuer; der Drud fteigerte fi hier und in den anbern eroberten
Ländern mit jedem Jahre. Aber was follte Friedrich; machen? Seine
Gegner beherrfchten mehr als CO Millionen Menjchen*), er ſelbſt kaum
fünf; überdies waren Kleve und Dftpreußen nicht in feiner Gewalt. Wollte
er nicht untergehen, jo mußte er, was er in Händen hatte, unbarmherzig
ausnützen. Es mangelte ihm denn auch nicht an Geld, er verftand es ſogar,
immer über die Koften feiner Yeldzüge hinaus etwas übrig zu behalten.
Sein Budget lautete jo: Preußen bringt für die Armee 4 Millionen
Thaler auf, Sachfen und das übrige eroberte Gebiet 7, England, defien
Gold mit Kupfer verjept wird, 8, das Münzregal 7, macht 26 Millionen;
das Heer koftet 25 Millionen ; bleibt dem Könige noch 1 Million. Schwerer
hielt es immer Die nötige Mannfchaft zu beſchaffen. Er überſchwemmte
daher das ganze deutjche Reich mit feinen Werbern, die offen oder heim-
) Rad meiner Sqhahung hatte damals Frankreich etwa 22 Millionen Einwohner
Rußland 20, Öfterreic) 14, die wider Preußen ftehenden deutſchen Reichelander (mit Muse
{hub von Kurfadhfen, weiches 1680 000 Einwohner zählte) zulammen 5%/,, das fhmeblice
Reh 20. Millionen.
1760. 385
lich durch alle Mittel Menſchen zu erhafchen fuchten. Und der Ruhm der
preußiſchen Waffen war fo groß, die Verheißungen der Werber fo lockend,
daß gar viele aus Tranfen, Schwaben und vom Rhein jelbft ohne Hand⸗
geld kamen; andere wurden, bejonders in Sachſen, mit Gewalt ausge»
hoben, aud) feindlicye Gefangene ohne weiteres ins preußifche Heer geftedkt.
Wie kam e8 nun, daß ein ſolches Gemiſch zufanmengeraffter Re-
fruten doch zu fo vorzüglichen Soldaten wurde und Thaten vollführte,
die den nächſten Feldzug ruhmvoll machten wie je einen? es war nicht
der Korporalftod‘, nicht die eiferne preußifche Mannszucht allein, die an
ihnen jo Großes leiftete; fondern ein Edleres, Friedrichs begeifternde Per⸗
fönlichfeit und der Zauber friegerifcher Ehre, der um die ſchwarzweiße
Sahne ſchwebte. Und dann, der Kern des Heeres war doch eingeboren,
und was für ein trefflicher Geift bejeelte ihn! Die Veteranen, fo viele
ihrer noch übrig waren, teilten ihren alten Spartanerfinn raſch den
Neulingen mit. Die Bauernjungen, die in Pommern und Brandenburg
vom Pfluge geholt wurden, die halberwachienen Kabetten, die Knaben
der pommerfchen und märkiſchen Junker, die man zu Offizieren machte,
weil ihre tapfern Väter und Brüder im Spital oder auf den Schlacht-
feldern lagen, — wie ftritten fie alsbald fo wader; es war, als hätten
fie ihr lebtage nichts anderes gethan als marſchiren und fechten! Wahr:
lich, nicht Friedrich der Große allein, wie fpäter Napoleon verfleinernd
fagte, fondern eben fo gut fein preußifches Volt hat den fiebenjährigen
Krieg geführt und gewonnen. Er ftellte ben Geift, die Brandenburger
und Pommern ftellten jene ſchlachtenfrohen Heldenſcharen ing Feld, die
den anderen Preußen zum Mufter dienten. Auch die fremden Deutjchen
in feinem Heere erfüllten fi) rafch mit preußifcher Gefinnumg. Für fie
war Preußen das kriegeriſche Gemeinweſen deutſcher Nation,
das ſich zu Deutſchlands Ruhm mit Franzoſen umd Rufen, mit Schweden
und Ungarn, Kroaten und Panduren und allen den andern Slawen
Öfterreihs herumſchlug. Wenn irgendwo, fo war Deutfchland damals
im preußifchen Lager.
Friedrich pflegte fonft ſelbſt den Feldzug zu beginnen; diesmal
nötigte ihn die Heine Zahl feiner Streitmacht abzuwarten, was die Feinde
tun würden. Sie begannen mit einem Angriff auf Schlefien; Laudon
fiel mit 50 000 Mann in die Grafichaft Glatz ein und bedrohte von hier
aus zugleich die Feftungen Glatz, Schweidnig und Breslau. Bon den
Scharmägeln, die hierbei vorfielen, verdient eins erwähnt zu werben, weil
es jo recht den Geiſt der preußifchen Truppen bezeichnet. Am 15. März
1760 traf Laudon auf das pommerfche Infanterieregiment von Man—
teuffel, welches auf dem Marjche von Neuftadt in Oberfchlefien nad
Neiße begriffen war. Er wollte es abjchneiden und ließ es zu dieſem
Zweck vorn von einem Dragoner-Regiment, hinten von einem Küraffier-
Bierfon, preus. Geſchichte. L 26
386 Der fiebenjährige Krieg.
regiment, in der Seite von einem Hufarenregiment, im ganzen von 5000
Reitern angreifen. Er bot ihm Kapitulation an, drohte und veriprach.
Manteuffel führte den Laiferlichen Offizier vor die Front und teilte die
Botſchaft mit: „Wir wollen eud) was... ... * war die Antwort der
Pommern. Nun von allen Seiten im offenen Felde angefallen, ver⸗
teidigte fi) das Regiment Schritt vor Schritt vorwärts, zwei Meilen
weit, biß es in Steinau im der Nähe von Neiße ankam. Hier fehrte
Laudon endlich um, weil er zwiſchen zwei Feuer zu kommen fürdhtete.
Das Gefecht hatte ihm 300 Mann, dem tapfern Regiment nur 140
Mann gekoftet.
Als Friedrich den Einfall der Öfterreiher in Schlefien erfuhr, be-
fahl er von Sadjfen aus dem General Youqus, der mit 13000 Mann
vor Breslau ftand, ben Feind wieder nad) Böhmen zurüczujagen; ein
Auftrag, der bei jolhem Mißverhältnis der Kräfte Übermenfchliches ver-
langte. Doch ging ber ritterfiche Fouqus dem Yeinde fofort auf den
Leib; er wurde aber (am 23. Juni Morgens 2 Uhr) bei Landeshut
von Laudon mit dreifacher Übermacht (31000 gegen 10000) von allen
Seiten angegriffen und nad) ſechsſtündigem, verzweifeltem Kampfe über-
mannt. Nur ein Meiner Teil ſchlug fid) durch; 3000 Preußen lagen tot
oder verwundet, 4000 wurden gefangen, darunter aud) ber heldenmütige
Fouqus, der, ſchwer verwundet, fein Leben nur der Treue feines Reit
knechts Trautſchke verdankte. Fouqus machte hier wie überall feinen
Namen de3 preußifchen Bayard wahr. Laudon aber beflecte feinen Sieg,
der ihm übrigens auch 3000 Tote und Verwundete Toftete, durch barba=
rifche Behandlung der wehrlofen Stabt Landeshut, wo die Öfterreicher
auf ihres Feldherrn Erlaubnis nicht bloß plünderten, fondern aud), wür-
dige Nachfolger der Tillyihen, die greulichften Schandthaten verübten.
Nun fiel auch Glatz; der Kommandant d'O (der dafür Friegsrechtlich zum
Tode verurteilt wurde) übergab diefe Feſtung faft ohne Schwertftreich,
mutlos teils wegen der Schwäche ihrer Beſatzung, teils wegen der Ein-
verftändniffe, welche Laudon mit den Zefuiten umd überhaupt mit den
Katholiken in der Stadt unterhielt.
Jetzt follte Prinz Heinrich Schlefien gegen bie Ruffen im Norboften
und gegen die Öfterreicher im Südweſten ſchützen; er hielt wenigftens
beide hin, entjegte Breslau, das vom General v. Tauenpien tapfer ver-
teidigt wurde, und verhinderte überhaupt hier weitere Unfälle; bei feinen
geringen Mitteln kein Meiner Erfolg.
Der König fuchte inzwifchen Daun, der mit weit überlegenen Streit
kräften in Sachſen ftand, zu einer Schlacht zu bewegen, was ihm jedoch
nicht gelang. Auch die Belagerung von Dresden (14. bis 30. Juli)
mißglücte, wenngleich da8 Bombardement in ber Stabt große Ver-
heerungen anrichtete. Zuletzt entſchloß er fi), auf die Nachricht, die
Liegnif. 387
Auffen näherten fich Schleften wieder, jelbft dorthin zu gehen. Ein denf-
würdiger Mari! Vor ihm z0g das öfterreichifhe Hauptheer unter
Daun, begierig, Schlefien vor ihm zu erreichen und bie Vereinigung mit
Laudon und Soltitow zu bewerfftelligen; hinter ihm Lascy mit einem
andern öfterreihifchen Heere. Durch meifterhafte Bewegungen fam er zwar
glücklich nad) Schlefien, aber bei Sauer vereinigten ſich alle öfterreichifchen
Truppen, 100000 Mann; bei Neumarkt, nicht weit davon, ftanden
20 000 Ruffen unter dem General Tſchernitſchew; dazwiſchen bei Liegnig
Friedridy mit 30000 Mann. Die Öfterreicher gedachten, ihn hier wie
in einer Falle zu fangen, mindeftens ein Geitenftüd zu Hochkirch zu
liefern. Die Naht zum 15. Auguft heftimmten fie zu dem Überfall.
Friedrich erhielt aber noch am Abend vorher Nachricht von dieſem Plane,
verließ mit derfelben Heimlichfeit wie ber Feind fein Lager, ftellte fein
Heer in der Nacht um 12 Uhr auf den Höhen in Schlachtordnung und
erwartete den Feind. Es war eine ftille fternhele Sommernadjt. Die
Soldaten lagerten mit dem Gewehr im Arm und unterhielten ſich durch
Erzählungen; die Offiziere gingen Tpazieren, die Generale ritten beobach⸗
tend umher. Der König —
„Auf einer Trommel ſaß der Held
Und daqte feine Schlacht
Den Himmel über fi zum Belt
Und um fid ber die Radt.*
Es fing eben an zu dämmern, als Laudon mit 35000 Mann an⸗
rückte, um den Überfall rechts zu beginnen, während Daum mit dem übrl-
gen Heere an der Katzbach links und Lascy vom Schwarzwaſſer her im
Rüden angreifen follten. Er war fehr erftaunt, fo plößlich auf den
König zu ftoßen, faßte ſich aber ſchnell und marjchirte unter dem feind-
lihen Feuer auf. Dem er rechnete auf Dauns und Lascys Hilfe. Jener
aber wurbe durch den rechten preußiichen Flügel unter Bieten an der Kap-
bad) feitgehalten, und Lascy konnte nicht über das ſchwarze Wafſer
Iommen; unterdeſſen warf ſich Friedrich mit den 15000 Mann feines
Hinten Flügels auf den doppelt fo ftarten Feind und ſchlug ihn nad) zwei»
flündigem Kampfe in die Flucht. Um 5 Uhr Morgens trat Laudon
mit Verluft von 4000 Mann an Toten und Verwundeten, 6000 an &e-
fangenen, 82 Kanonen, 28 Fahnen den Rückzug an. Die Arbeit war
gethan, die Morgenſonne beleuchtete den blutigen Wahlplag, auf dem
auch 1400 Preußen tot ober verwundet lagen. Sie beichien zugleich
‚einen angenehm rührenden Auftritt. Der König hielt vor dem Regiment
Bernburg; es war bei Dresden wegen zu geringer Leiftung herabgeſetzt,
feiner Ehrenzeichen, Borten und Seitengewehrs, entkleidet worden; jetzt
hatte e8 mit bergweifelter Tapferkeit gefochten, die verlorene Ehre wieder
zu erfämpfen. Der König blidte es gerührt an. Vier alte Soldaten
2
"388 : Der fiebenjäßrige Krieg.
traten heraus, fielen ihm in ben Bügel und umfahten flehend feine Kniee.
„Ya Kinder, ihr follt fie wieder haben!“ antwortete Friedrich. Das
Regiment war begnadigt, erhielt feine Ehrenzeichen wieder und von
* Könige ein öffentliches Lob.
Darauf ſetzte ſich Friedrich mit dem ganzen Heere und der ganzen
Beute, allem Geſchütz, allen Gefangenen und Verwundeten wieber in
Mari. Um 9 Uhr morgens war das müde, mit dem ungeheuren Troß
belaftete Heer in vollem Zuge nad) Parchwitz gegen bie Ruſſen, die nun
Schlefien wieber ränmten. Die Furcht vor dem Könige lähmte dann
auch die Bewegungen ber Öfterreicher wieder.
Inzwiſchen legte fi (am 26. Auguft) eine rufftfc-ichwebtiche Flotte,
faft 40 Segel ſtark, vor Kolberg und bombardirte die Stadt, die zugleich
von der Lanbfeite mit 15000 Mann beftürmt wurde. Allein ber tapfere
Kommandant, Dberft v. d. Heyde, flug, unterftüßt von der wackeren
Bürgerjchaft, umter welcher ſich ſchon jeßt der Schiffer Joachim Rettel-
bed, damals ein junger Mann, durch patriotifchen Eifer auszeichnete, alle
Angriffe tapfer ab, und zuletzt brachte der General Werner, ber aus
Schlefien berbeieilte, Entjag (18. September). Dagegen glüdte dem
Feinde ein Handftreid) auf Berlin. Ein ruffiihes Streifcorps unter
Zottleben, das hier am 7. Dftober erſchien, wurde zwar von der Heinen
Beſatzung zurücgefchlagen, die Ruſſen erhielten aber Verftärkung, außer-
dem kam ein öfterreichijches Heer ımter Lascy heran, der Feind zählte
nun 42000 Mann; jo mußte die umbefeftigte Stadt am 9. Dftober
Tottlebens Bedingungen annehmen: den Eimvohnern wurde Sicherheit
des Eigentums und der Perfon, auch Freiheit von Einquartierung aus«
gemacht; dagegen zahlte die Stabt den Ruſſen 1 700 000 Thaler. Zott-
leben, ber dem Könige insgeheim zugethan war, hielt gute Mannszucht;
mar Tönigliche Vorräte ließ er, wie er mußte, ausräumen. Der reiche
Kaufmann Gotzkowsty erwarb fi) damals um feine zweite Vaterftadt*)
Berlin große Berbienfte; durch fehr beträchtliche Geldopfer, bie er freie
willig darbrachte, rettete er wichtige öfferttliche Anftalten, wie das Lager-
haus, vor dem Unheil, das fie fonft betroffen hätte; er war es auch, der
für Die Stadt jene günftigen Bedingungen hatte erwirfen helfen. BWäh-
rend die als Barbaren verrufenen Ruffen fi, in Berlin wie zivilifirte
Leute benahmen, hauften die Ofterreicher und deren ſächſiſche Sölbwer
in ben Vorſtädten und befonders in Charlottenburg wie Wilde; nur
*) Er war in Komik (1710) geboren. Goptowsty hat and der Stabt Leipzig wäh.
zend bes Krieges große Woflihaten erwieſen. Racmals am er felbft in Rot, da Half ihm
Teiner; weder Ipig noch Ephraim, bie großen Häufer, die er einft unterftügt, noch Die
Magiftrate und Raufmannfeeften von Berlin und Leipzig ftanden ihm bei. Der König
hatte ihm ſchon vorbem 150.000 Thaler gegeben und hieit dies für gemug. Aura, Bohr
towato maqhte (1766) ohne feine Schuld Bankot und ftarb (1775) in Armut,
Zorgan. 389
Botsdam, wo Efterhazy befehligte, wurde mit Schonung behandelt.
Übrigens machten ſich die Feinde auf die Nachricht „Der König kommt!”
ſchon am 12. Oktober ſchleunigſt davon unb zogen verwüftend, bie Ruffen
durch die Neumark nad) Polen, die Ofterreicher durch die Mittelmart
nad) Sachſen. Dorthin wendete ſich auch Daun, entfehlofien, in Ver—
bindung mit den Reichstruppen biefes Land zu behaupten; borthin zog
auch Friedrich, ebenfo feft entfchloffen, e8 wieberzugewinnen, denn Sachſen
war feine befte Vorratsfammer, und ber Winter nahte heran. Verlor
er die Schlacht, die er fuchte, fo wollte er zum Lepten fchreiten. „Ich
betrachte den Tod“, fehrieb er damals an d'Argens, „wie ein Stoiter.
Nie werde ic) mic) zu einem nachteiligen Frieden zwingen laſſen; feine
Überredung wird mid) je dahin bringen, meine Schande zu unterzeichnen.
Entweder laſſe id) mich unter den Trümmern meines Paterlandes be—
graben, oder, wenn das Schickſal, welches mid) verfolgt, diefen Troft für
zu füß hält, werbe id) meinem Unglück felbft ein Ende machen. Nach—
dem ich meine Jugend meinem DBater, mein reiferes Alter meinem
Baterlande geopfert, glaube ich mit Recht über mein Alter verfügen zu
können. Habe ich für andere gelebt, jo will ich für mich fterben. Wenn
man alles verloren und Feine Hoffnung weiter hat, dann tft das Leben
eine Schande und der Tod eine Pflicht.“
In dieſer Stimmung ging er auf ben Feind los. Daun ftand,
durch Lascy verftärtt, mit 65000 Mann und 400 ſchweren Geſchützen
in einer fehr feften Stellung auf den Höhen zwiſchen dem Dorfe Süptig
und der Stadt Torgau, Sümpfe und Gräben vor fi. Hier griff
ihn der König mit 44000 Mann und 250 Kanonen Montag am 3. Ro-
vember Nachmittags 2 Uhr an. Sein rechter Flügel — 16000 Mann
unter Sieten — follte die Süptiger Höhen umgehen und fo den Öfter
reichern ben Rückzug verlegen, ber linke Flügel, 28000 Mann, vom
Könige felbft geführt, den Feind inzwifchen durch heftigen Anfturm im
Zentrum und näher an Torgau zum Weichen bringen. Daun empfing
die bergan marjchirenden Preußen mit einem Gefchüßfeuer, wie es feit
Erfindung des Pulver nicht erlebt worden war. Hunderte von Kanonen,
wie auf. einen Punkt gerichtet, fprühten unaufhörlich Tod und Verberben.
Es war ein Bild der Hölle, die fi zu öffnen fchien, ihren Raub zu
empfangen). Die älteften Srieger beider Heere hatten nie ein foldyes
Feuerſchauſpiel geſehen; felbft der König brach in bie Worte aus: „Welch
furchtbare Kanonade! hat man je eine ähnliche gehört?" Auch war bie
Wirkung über alle Borftellung gräßlich. In einer halben Stunde lagen
die 5500 Grenabiere, bie ber König herangeführt, in ihrem Blute, nad)
dem fie dreimal Sturm gelaufen; dem Könige felber wurden zwei Pferde
*) Worte des Mugenzeugen d. Archenholz, ebenjähriger Krieg, ©. 366.
390 Der fiebenjährige Krieg.
unter dem Leibe getötet, eine Gewehrkugel traf feine Bruft, wurbe aber
durd) den mit Sammet gefütterten Pelz aufgehalten, fo daß fie ihn nur
leicht verwundete und betäubte. Kaum wieder zu ſich gelommen, rief
er: „An meinem Leben liegt heute am wenigften. Laßt uns unfere
Schuldigleit thun! Weh dem, ber fie nicht thut!“ Cr griff mit dem
Fußvolk immer von neuem an; man rüdte im Kartätfchenfeuer immer-
fort zufammen, um bie Lücen auszufüllen. Die Dunkelheit brach ein,
die Kräfte waren erjhöpft; Daun ſchien den Sieg zu behalten. Er
fertigte Eilboten nad) Wien und Warſchau ab, fein Glück zu melden.
Aber er hatte zu früh triumphirt. Denn als Bieten den Kanonen-
Donner der Schlacht ſchwächer werden und fic entfernen hörte, ſchloß er
daraus, daf des Königs Angriff mißlungen fei, und brach num aus
feinem Hinterhalt 108, marſchirte vor, in Dauns Rüden, griff Abends
5 Uhr den linken Flügel auf den Süptitzer Höhen an. Es galt hier ben
Schlüffel der feindlichen Stellung. Das erkannten bie preußifchen Gene-
tale, die in der Nähe fanden, die Untergebenen Bietens, Möllendorf und
Saldern, wie bie von des Königs Flügel, Hülfen und Leſtwitz. Raſch
befegte Möllendorf einen Paß, der hinaitfführte, und mit Saldern vereint
drang er bon vom burd das brennende Dorf Suptitz, während von
hinten teten felber gegen die Anhöhen ftürmte, Die es beherrichten.
Hülfen umd Leſtwitz endlich fammelten einige Truppen des linfen
preußifchen Flügels, und da bem erftern alle feine Pferde totgeſchoſſen
waren, umd Alter und Wunden ihn verhinderten zu Fuß zu marſchiren.
fo ließ fich der tapfere Degen auf einer Kanone ins feindliche Feuer
ſchleppen. So wurden die Höhen in ber Dumtelbeit, wo ber Preuße
ſich oft nur nach dem fleten Wirbel feines. Deſſauer-Marſches orientirte,
nad) hartem Kampfe erftirmt, und Bietens, Salderns, Hüljens Vete⸗
ranen ſchlugen alle Angriffe Bascys, ber fie wieder erobern wollte,
ftandhaft zurüd. Um Halb zehn Uhr Abends war ber Sieg für bie.
Preußen entichieben. Won ber Dumfeldeit begünitigt, führte Daun fein
geihlagenes Heer über eilig bergeftellte Schiffbrüdten auf das rechte
Elbufer hinüber.
Die Verwirrung in ber finftern Nacht war groß. Scharen von.
Freund und Feind isrten auf dem Schlachtfelde umber, auf den Hähen und
im torgauer Walde. Hier lagerten in der Heibe bei zahlloſen Feuern
hunderte von Verſprengten, blaue Preußen und weiße Oſterreicher, frieb-
lich neben einander; fie wußten nicht, wer geftegt habe, unb waren über-
eingefommen, fid) bei Anbruch des Tages derjenigen Macht zu ergeben, bie
das Feld. würde behauptet haben. Friedrich jelbft verbrachte die Nacht
in der Kirdye des nahen Dorfes Elsnig; hier ließ er ſich feine Wunde ver⸗
binden und ſchrieb dann auf den Stufen des Altar feine Befehle für
den morgenden Tag. Wie entlaftete fich fein Herz, als bei Aufgang der
1760/1761. 391
Sonne die Niederlage bes Feindes zu fehen war! Und für Hans Joachim
v. Zieten*), den braven märfifchen Landjunker, war es der Gipfel des
Glücks, da der König ihn vor der Front umarmte und die Soldaten jubelten:
„Es lebe der König! es lebe unfer Fritz! es lebe Bieten, unſer Vater, der
König ber Hufaren!"
Die Ofterreicher verloren in diefer mörberifhen Schlacht 12.000
Tote und Verwundete, 8000 Gefangene, 45 Kanonen, 29 Fahnen; der
Verluſt der Preußen betrug im ganzen 14000 Mann. Der Preis des
Sieges war Sachſen, das mit Ausnahme Dresdens wieber in preußifche
Gewalt fiel.
Nicht glüdlicher führten Friedrichs Feinde auf den anderen Schau-
plägen den Krieg. Die Schweden wurden von ben Freilcharen des
unternehmenden Oberften v. Belling und des ebenjo kühnen Generals
Berner wieder über die Peene gedrängt, und die Franzofen fanden an
dem Prinzen Ferdinand und deſſen tapferem Neffen, dem Erbpringen Karl
von Braunſchweig, fo gewandte Gegner, daß fie troß ihrer Überzahl
im weftlichen Norddeutſchland nur geringe Fortſchritte machten. Nichts:
deftomeniger gaben Maria Therefia und ihre Verbündeten die Hoffmung,
ben König von Preußen doch noch zu unterdrüden, nicht auf, zumal da
die politifchen Verhältnifie Europas für ihn jet noch ungünftiger wur-
den, als fie es längft fehon waren. Am 25. Oktober 1760 ftarb nämlich
König Georg II. von England, Friedrichs einziger Freund umd Bei
ftand unter den Königen und Kaifern. Sein Nadjfolger, Georg II.,
war ein Mann von ſchwachem Charakter und beſchränktem Verftande,
der fid) völlig von einem unmürbigen Günftlinge, dem Lord Bute, Teiten
ließ. Beide haften Friedrich, weil er ein großer Mann und ein Frei-
geift war, und es gelang dem Minifter Pitt nur mit Mühe, die eng-
liſche Politif vorläufig noch in der Richtung zu Kalten, die fie bisher
verfolgt hatte. Das Übelfte war, daß die inländifchen Hilfsquellen, aus
denen Friedrich feine Streitmittel bezog, mehr und mehr verfiegten.
Seine Erbftaaten waren verheert und konnten zum Zeil die Abgaben
nicht mehr aufbringen. Die andern Länder, über die er Macht hatte,
waren durch fünfjährige Ausſaugung erſchöpft. Der vorjährige Feldzug
hatte 27%, Million Thaler. gefoftet, der beuorftehende bedurfte wicht
weniger. Die Schraube mußte alſo wieder angetrieben werben, um neue
Mittel Heranszuprefien. Eben auf feine Erihöpfung rechneten ja bie
Feinde; gegen bas Elend des Krieges blieben fie taub; zu ihrer Herrſcher⸗
höhe drang es nicht.
„So gingen in Deutſchland Bürger und Bauern zu Grunde, während
*) Geboren am 28. Mai 1699 zu Wuftrom bei Ruppin, geftorben am 27. Januar
1786 zu Berlin. -
392 Der fiebenjährige Krieg.
Fürften und Beamte reich wurden, denn fie benutzten für ihre felbftfüch-
tigen Zwecke auch fogar das allgemeine Elend. Neben den unzähligen
Heinen Tyramen, ihrem Hofgefinde, ihren Schranzen und Knechten fteht
nur ein einziger Fürft, der ahnt, was wahre Größe ift und verleiht,
ber feine Regentenwürbe fühlt und, wo er fann, das Wolf gegen gierige
Kaſten und beſchränkte Pfaffen in Schuß nimmt! Auch Friedrich übte
freilich, Gewalt und Bedrückungen; aber er ftand auch ganz allein gegen
halb Europa; er führte blutigen Krieg, aber er teilte auch alle Gefahren,
alle Mühfeligfeiten, alle Rot ber geworbenen Soldaten, die nur er
allein zu begeiftern und mit Patriotismus zu erfüllen verſtand. Maria
Thereſia und ihr hoher Adel folgten dem Grundfape, dem Öfterreich
feine Größe verdankt, fie zögerten, fie zauberten, fie ließen Das Elend
des Krieges ſich verlängern, feft überzeugt, daß ber letzte Fiſchzug um
fo reicher ausfallen werde, je trüber das Wafler geworben fei. Kaiſer
Franz wucherte und fpielte eine Nebenrolle in Wien, wie feine Reichs-
armee in Deutſchland; die Franzoſen lagen indefien als Hilfe deutſcher
Geſetzvollſtreckung noch im April 1761 von Frantfurt bis Gotha verteilt.
Städte und Dörfer des Reichs veröbeten, Getreide, Rindvieh, Pferde
waren in Mitteldeutichland kaum mehr anzutreffen. Das Elend hatte
den höchften Grad erreicht; die immer mehr wachſenden Schulden faft
aller Gemeinden von Weftfalen, Hefien, Gotha raubten auch fogar, die
Hoffnung einer befferen Zukunft. Während das Volk in Elend unter-
ging, floffen reichliche franzöfifche oder engliſche Subfidien in die
Schatullen der Fürften, und dieſe zogen fogar (wie 5. B. ber Landgraf
von Heffen) von ben Engländern für jebes Glied ihrer verftümmelten
Soldaten ein beftimmtes &elb; die Verftüinmelten ſelbft betteiten hernach
als Invaliden bei ihren verarmten Mitbürgern.* *) \
Während des Winters 1760/61 hielt ſich Friedrich zu Leipzig auf,
beihäftigt mit den Vorbereitungen zu dem neuen Feldzuge und nach
feiner Art jeben Augenblick, den ihm bie Sorge und die Arbeit feines
Berufs übrig ließen, mit Tünftlertfichen Genuß. oder wiffenſchaftlichem
Studium ausfüllend. Damals (Mitte Dezember) lernte er hier audy ben
Dichter Gellert kennen und: ſchaͤzen, der ihm feine hübſche Zabel vom
Maier vortrug. Diefer Aufenthalt in Leipzig follte auf lange Zeit fir
Friedrich die letzte Erholung geweien fein. Schwerer und ſchwerer wurde
mit jebem Jahre die RKot und Laft des Srieges.
Far nãchfien Friching (1761) ruckten wieber 410 000 Mann (160000
Franzoſen, 130000 Öfterreicher, 100000 Ruſſen, 18000 Reichsfoldaten,
12.000: Schweden) gegen ben großen König at. Da bie Koalition auf
Friedrichs Mangel an Streitkräften als auf ihren wirfamften Bundes»
*) Schloſſer a. a. D. II. 387.
Lager bei Bungeliif. 393
genoffen zählte, fo wechielte fie mit ihm feine Gefangenen mehr aus.
Dennod) ftampfte Friedrich noch immer die Erfaßmannfchaften gleichlam
aus ber Erbe hervor; in unglaublicher Schnelle war die Armee Tampf-
bereit. Zwar die Zahl der alten Soldaten in ihr war mır noch gering,
gleihwohl bewährten ſich die Neulinge, vermiſcht mit den Veteranen, die
Geworbenen ober gewaltſam Ausgehobenen, vermifcht mit den geborenen
Preußen, weit befier, als man hätte vermuten follen. Der Grundfag
ſchien richtig, dem Friedrich feinen Generalen ſtets einzuprägen fuchte,
13 preußifche Bataillone feien allemal 30 feindlichen überlegen. Ex brachte
im ganzen diesmal 171.000 Dann zufanmen, nämlich 75000 Mann des
hannöverſchen Bundesheeres und 96000 Mann feiner eigenen Truppen.
Die Aufgabe war wieber diefelbe, Ferdinand von Braumfchweig hatte
Die Franzoſen abzuwehren, Friedrich nahm die andern, namentlich die
Ruffen und Öfterreicher, auf fi. Jener eröffnete ben Feldzug; mitten
im Winter Anfangs Februar überfiel er die Franzofen in ihren Winter
quartieren und trieb fie an ben untern Main zurück; doch gewannen fie
während bes folgenden Monats ihre Stellungen wieder. Dagegen er
holten fi die Reichstruppen nicht fo raſch von dem Gehreden, ben
ihnen ein ähnlicher Streifzug des preußifchen Generals Syburg einjagte.
Er warf fie im April aus Thüringen und bem Vogtlande bis nad)
“ Bamberg zurücd und bradjte aus Franken eine Million Thaler erhobener
Kriegsitenern, 4000 Gefangene, 16 Gefüge mit nach Sachſen, was
den Mut der Neulinge im preußiſchen Heere nicht wenig hob. Die
Hanptfache blieb immer, die Ruffen und Oſterreicher abzuwehren, Die
abermals fi, in Schlefien vereinigen und dieſe Provinz erobern wollten.
Friedrich ließ daher den Prinzen Heinrich mit dem kieineren Teile des
Heeres zur Verteidigung Sachſens zurück und eilte mit ben übrigen
Truppen Anfangs Mei in 9 Tagen — dem ſchnellſten Marſche dieſes
Krieges — von Meißen nad) Schweidnitz. Hier bewies das alte Wort
ſich wahr, daß Die Kraft bes Heeres in den Füßen ftede.
Es gelang ihm nun in Schlefien durch geſchickte Stellungen ımb
vorfichtige Züge die Gefahr doch bis tief in den Sommer hinein zu ver⸗
zögern; erft am 15. Auguft Konnte Laudon mit feinem Heere bei Jauer
zu dem ruffiicjen ſtoßen. Friedrich hatte nun mit ſeinen 57000 Mann
132000 Öfterreicher und Ruffen gegen ſich; Rettung durch eine Zeld-
ſchlacht, fonft fein Tiebftes Mittel, durfte er diesmal nicht verfuchen.
Denn fein feines Heer war das größte und befte, das er überhaupt
noch hatte; er durfte es nicht aufs Spiel-fehen, ſelbſt ein Sieg hätte
«3 einer ſolchen uͤbermacht gegenäber ruinirt. Sein erfinderifcher Geift
gab- ihm Die befte Auskunft; er bejchloß, fid) mit den Beinben gleichjem
an einem Punkte feftzunageln und fo fein Land zu decken. Sonft nicht
gewohnt ſich zu verſchanzen, bezog er jet am 20. Auguft bei Bun zelwitz
394 Der fiebenjährige Krieg.
(nördlich von Schweidnitz) ein Lager, das er mit unerhörter Gefchwin-
Digfeit zu einer ungeheuern Feſtung umſchuf. Den ganzen Bezirk in
einem Umfange von zwei Meilen überfäete er mit Schanzen, Geſchützen,
Palliſaden, durchwühlte er mit Minen, Wolfsgruben und Gräben; fo
wurden die natürlichen Schwierigfeiten des Bodens — ein Wald, ein
Moraft und das Striegauer Waſſer, auch mehrere Hügel, wie der Wür-
bener Berg — außerordentlich verftärtt. In brei Tagen und Nächten
war das Werk gethan, das Heine Heer bis an die Zähne verſchanzt —
ein Meifterftücd der Kunft, in welchem fid) die Lehren ber Taftit mit
denen der Befeſtigungswiſſenſchaft wie nie zuvor vereinigt zeigten. Richts-
deftoweniger hätte Laudon es gern angegriffen, weil er meinte, 57.000
Mann könnten ſich bei der großen Ausdehnung ihres Lagers nicht gegen
einen allgemeinen Angriff von 132000 Mann halten; Buturlin, der
ruſſiſche Befehlshaber, wollte aber nichts wagen, und fo begnügte man
fid) die Preußen einzufchließen. Friedrich konnte es kaum glauben, er
hielt fi) immer fampffertig. In Erwartung eines nächtlichen Angriffs
ließ er die Truppen am Zage raften, jede Nacht aber Gewehr bei Fuß.
ftehen. Das Gepäd wurde Abends nad) den Höhen von Würben geſchickt
und kam Morgens zurüd. Es war ein mühfeliges Leben. Denn die
drückende Hitze vermehrte die Schwere bes Dienftes, und dazu fam Mangel
an Lebensmitteln, bejonders an Schlachtvieh und Gemüfe, nur Brot war
hinreichend vorhanden. Getreulich teilte der König die Entbehrungen.
und Anftrengungen der Seinigen; fein Hauptquartier war in einer
Schanze, wo feinem Nachtlager oft jelbft das Stroh fehlte. Die Preußen,
bielt auch in diefer Not das Pflichtgefühl aufrecht. Drei Wochen ftanden
die Heere einander jo beobachtend gegenüber; ba nötigte der aud im
werbünbeten Lager ausbredjende Mangel die Rufjen zum Abzuge (10. Sep-
tember). Buturlin ließ 20000 Mann unter Tſchernitſchew bei ben
Dfterreichern zurück und ging mit den übrigen nad) Poſen; dort aber.
ta ihm eine preußifche Streifſchar unter General v. Blaten zuvor und
verbrannte ihm Die Magazine, fo daß er noch tiefer nach Polen hinein
mußte. Nach Buturlins Abzug glaubte fi) Laudon, obwohl noch an
Zahl ben Preußen weit überlegen, doch zum Angriff zu ſchwach; er trat
daher ebenfalls den Rüdzug an und verſchanzte ſich feinerjeits bei Freie
burg (weitlih von Schweidnitz).
Der König. war gerettet; body follte dieſer Feldzug nicht ohne einige
empfindliche Unfälle für ihn endigen. Als er. nämlich, mm Laudon von
Schweibnig abzuziehen, eine Bewegung nad Glatz hin machte, übers
rumpelte jener plötzlich die Feſtung Schweidnitz (im ber Nacht vom
30. September zum 1. Oktober). Sie war, wie alle preußifchen Feſtungen,
von wenigen und meift untüchtigen Leuten bemannt; denn Friedrich
tonnte nicht viele, und bejonders nicht bie guten Soldaten entbehren, er
Scweibnig. Kolberg. 395
brauchte fie im Felde. Um fo leichter gelang es Laudon bei der Nadj-
läffigfeit des Kommandanten v. Zaftrow und mit Hilfe eines Einver-
ftändnifjes, welches er mit den in Schweidnitz befindlichen Kriegs—
Yefangenen angelnüpft, bie Feſtung zu erfteigen und nad) zum Zeil
heftiger Gegenwehr zu erftürmen. Die Öfterreicher plünderten nun bie
unglüdliche Stadt mehrere Stunden lang — eine Barbarei, die von ben
Ruſſen in Laudons Heer nicht nachgeahmt wurde. Der Befit biejes
Stügpunktes ermöglichte es nun dem Ofterreichern, zum erften Mal in
diefem Kriege ein regelmäßiges Winterquartier am ſchleſiſchen Gebirge zu
beziehen.
Einen andern Erfolg gewannen die Feinde in Pommern, wo nad)
viermonatlicher Belagerung und hartnädiger, tapferfter Verteidigung bie
Feſtung Kolberg endlich durd) Mangel an Schießbebarf ımd an Lebens⸗
mitteln gezwungen wurde, fid) (am 16. Dezember) dem ruffiſchen Gene»
tal Romanzom zu ergeben. So konnten jet bie Ruffen im öftlichen
Teile Hinterpommerns Winterquartiere nehmen. Den Engländern wäre e8
ein leichtes geweſen, Kolberg zu fügen; fie hätten nur einen Zeil ihrer
Seemacht in die Oſtſee zu ſchicken brauchen; allein aus Furcht vor Han⸗
delsſtockungen ütberließen fie während des ganzen Krieges das baltifche
Meer dem Feinde. Auf ben übrigen Kriegsthestern änderte fi) die Lage
nicht. In Sachſen machten weber Daun noch bie Reichsarmee, die vom
Bringen Heinrich fehr gefickt in Schach gehalten warden, irgend welche
Fortſchritte. Mit den Schweden führte Oberft v. Belling ben Tleinen Krieg
jo glücklich, daß: fie zuießt immer wieber auf ihr eigenes Land weſtlich der
Peene beſchränkt blieben. - Die Franzoſen endlich, die unter Soubiſe vom
Niederrhein, unter Broglie.vom Main her: vorgedrungen waren, trieb Prinz
Ferdinand troß- ihren Überzahl (100 000 gegen 60.000) abermals aus
Braunſchweig und Weſtfalen zurück, nachdem ex ihnen in einer hartnädigen
zweitägigen Schlacht am 16. ‚und. 16. Zuli 1761 bei Billinghaufen
an ber Lippe eine Riederlage beigebracht. Unfähig zu fiegen, bezeichneten
fie ihren Rückzug durch völlige Verheerung und Pländerung jener Länder.
Schweiduih' und. Kolbergs Fall waren zwei harte Schläge für. die
vielgeprüften Preußen; ‚aber. ein weit furchtbareres Unheil bedrohte fie
gegen das Ende biefes Jahres; ein Unheil, von ben fid) der Staat
wahrfcheinlich nie mehr erholt hätte, wenn. es. nicht durch Gottes Fügung
wäre abgewendet worben. Ein Elender, der ſchleſiſche Baron v. War⸗
kotſch, ber ben König trog mancher Wohlthaten haßte, weil dieſer dem
Junkerregiment in Schlefien im Wege war, entwarf den Plan, ihn den
Dfterreichern in die Hände zu fpielen. ‘Die Gelegenheit ſchien günftig.
Friedrich hatte in ſeinem Hauptquartier zu. Woiſelwitz bei Strehlen, in
der Nähe der Güter des Barons, um feine perfönliche Sicherheit unbe-
forgt, nur 13 Mann. feiner Leibwache bei ſich. Warkotſch verriet dies
396 Der fiebenjährige Krieg.
dem zunãchſt bei Strehlen ftehenden Kroatenhauptmann Walliſch vom
Regimente Laudon. Es wurde verabredet, Walliſch ſolle in der Nacht
zum 1. Dezember heimlich eine Abteilung Oſterreicher nach Woiſelwitz
ſchicken, um ſich der Perſon des Königs zu bemächtigen. Ein katholiſcher
Pfarrer der Umgegend, Namens Schmidt, vermittelte den Briefwechſel
zwifchen Warkotſch und Walliſch. Aber der Jäger des Barons, Mathias
Kappel, der die Briefe zwifchen den Verſchworenen hin- und hertrug,
ſchöpfte Argmohn; er übergab daher einen Brief feines Herm nicht an
Schmidt, fondern an den Iutherifchen Ortspfarrer, Gerlach, der ihn da»
mit zum Könige ſchickte. So wurde der verräterifche Anfchlag noch in
der lehten Stunde (Abends am 30. November) entdeckt und Friedrich
gerettet. Warkotſch und Schmidt flohen nad) Ofterreich, wo der erftere
fein Leben durch ein Jahrgehalt friftete, welches ihm Maria Therefia
zahlte; Kappel erhielt vom Könige zur Belohnung eine einträgliche
Förfterftelle bei Oranienburg.
Der Feldzug des Jahres 1761 Hatte ohne Schlachten Friedrichs
Lage doch ungünſtiger geftaltet als irgend einer ber vorhergehenden; ein
Stüd von Schlefien, ein Stüd von Pommern war verloren und das
1759 eingebüßte Stück von Sachſen nicht wiebergewonnen. Auf einen
engeren Kreis als je eingeſchränkt, ſchien ber König nicht einmal die
geringe Streitmacht mehr aufbringen zu können, die er noch im Früh
ling bes verwichenen Jahres ins Feld geftellt hatte. Denn die Er-
ſchoͤpfung feiner Länder nahm mit jedem Monat zu, und die Hilfsquelle,
die bisher aus dem englifchen Schape floß, war verfiegt. Im Herbft 1761
verbrängte Bute den großen Pitt aus dem Miniftertum, kündigte bem
Könige von Preußen den Subfidienverträg und beraubte diefen jo eines
beträchtlichen Teils feiner Geldmittel. Maria Therefla und bie ihr ver-
bündete Zürftenfchaft, zu ber jeht auch der König Karl III. von Spanien
als Bunbesgenofie Frankreichs trat, fahen ſchon im Geifte ihren großen
Gegner aus feinen Wunden fi, verbluten, und fo ſicher war die Katjerin-
Königin ihres Erfolges, daß fie einen Teil ihrer Truppen verabjchiebete,
weil fie Griparungen machen wollte; denn ſchon längft bezahlte fie aus
Mangel an barem Gelbe faft nur mit Papier. Auch die Hoffnung, bie
Friedrich eine zeitlang hegte, daß die Türken und Tataren einen Krieg
gegen Öfterreich und Rußland beginnen, und daß fid) dann die gebrüdten
Proteftanten Ungarns erheben würben, verwirffichte ſich nicht. Dennoch
biieb er ungebeugt; er rüftete mit alter Thatfraft. In biefem fehlime
men Winter 1761/2 war e8, daß er eine neue Truppe, die „reitenbe
Artillerie", die er ſchon im Winter 1758/9 erfunden, allgemein in fei-
nem Heere einführte. Die andern Mächte konnten ihm Dies aus Gelb-
not nit nachmachen. Überhaupt ſpannte er die Mittel, die ihm noch
übrig blieben, aufs Außerfte an, um feine auf 60000 Mann zuſanmen ⸗
Tod ber Katjerin Eliſabeth. 397
geſchmolzene Streitmacht nach Möglichfeit zu verftärken, immer ent-
ſchloſſen, bis auf den letzten Fußbreit zu fechten; für ben Fall bes Er—
liegens trug er Gift bei fih. Auf alles gefaßt, blieb er mutig; denn
noch hatte er Soldaten, jo wenige es aud) waren. „Nehmen fie mir
Rand und Leute und lafjen fie mir meine Regimenter“, pflegte er zu
jagen, „jo gebe ich nichts verloren.“
Übrigens unterftüßte ihn die Waterlandsliebe feines Volkes fo eifrig,
daß in ber That zum Verzweifeln fein Grund war, fo lange Friedrichs
Geiſt noch aufrecht und Preußen nicht vertilgt war. Die Landleute
zumal, bie ihr alles im Kriege verloren und nur ihre Kinder noch übrig
hatten, wetteiferten faft, die Söhne als Soldaten bei bem Heere zu
haben; ohne Murren ımd oft mit ftolzer Freude gab ber Vater einen
nad) dem andern hin. Ein fiebzigjähriger Schäfer im Halberftädtiſchen
rühmte fi ſechs Söhne im Dienft des Königs zu haben; als er jetzt
auch den fiebenten, legten geben follte, fagte er: „Herr Hauptmann, ſag
Er mir ehrlich: brennt e8 dem König auf den Nägeln? — Nun, dann
nehm’ Er ihn in Gottes Namen!" in anderes Beifpiel: in der Grf-
ſchaft Ravensberg fanden fid), als die Franzoſen das Land in Befib ger
nommen, 50 preußiiche aus bem Ravensbergifchen gebürtige Dejerteure
ein, weil fie nun, da ihre Heimat nicht mehr im Beſitz des Königs war,
ihrer Pflicht 108 zu fein meinten. Aber die Bauern belegten dieſe
Sahnenflüchtigen mit dem Bann, die Kirche verfagte ihnen Beichte und
Abendmahl, das väterliche Haus die gaftliche Schwelle. Ste mußten zw
den Fahnen zurüdtehren.*) Ebenſo patriotiſch bewies fid) der Abel; ber
ſonders der pommerjche. Immer von neuem lieferte er Nachſchub für die
Lücken im Dffiziercorps; er am wenigften jparte mit feinem Blute.
Die Standhaftigfeit des Königs ward belohnt; am 19. Jannar 1762
erhielt er eine große Glückspoſt: ferne erbitterte Feindin, die ruffiſche
Kaiferin Elifabeth, war endlich (am 5.) geftorben. Diefes Ereignis ver-
änderte die ganze Lage der Dinge. Denn Eliſabeths Neffe und Nach-
*) Auch die Markaner, belonders bie Gauerländer, zeichneten fich durch opferfreubigfte
Baterlandsliebe ans, die ihnen wie ben Ravensbergemm um fo höher anpuerönen wor, da
fie meift in Geindeshand waren. Cine Tages ericien im preubiücen Feldlager vor dem
Könige ein Tanger Bug dom Bauerburidjen, wahre Gnafsfinder an Gröbe. „Wer feib
ige?“ fragte ber König. „Sauerländer.” „Was wollt ihr?“ „Dienen.* „Wer Hat euch
Hergefäjtätt“ „Unfere Bäter“ ¶ Wie viele find umtertmegs befertiett" „Reimer. Wie
Hätten ja fomft nicht au Zommen brauchen — tr Haben auh mas mitgebrugtt mb
bamit Holte ber Sprecher einen ſchweren Beutel aus dem Duerfadt und zählte dem ger
rahrten Könige einige hundert Thaler auf den Tijc. — Dieier Geichichte Haben fich
unendlich oft mod) die Rinder und Kindesfinber in ben Dörfern ber Graficaft Mark er-
freut, und das Ende war immer, da ber alte Erzähler, melft ein narbenvoller Invalide,
mit Thranen fein „bat Fridericus Rep“ vief, und Arok und Mein voll Begeifterumg
einftimmte, .
398 Der fiebenjäßtige Krieg.
folger, Peter III. von Holftein-Gottorp," war ein leibenfchaftlicher Ber-
ehrer und Bewunderer Friedrichs des Großen; er ftellte fofort alle Feind⸗
feligfeiten ein, wechſelte mit dem Könige die Gefangenen aus und ſchloß
troß alles Abmahnens der anderen Fürften, ſogar Englands, defien Mi-
nifterium fich nicht ſchämte, ihm einen Zeil Preußens anzubieten, am
5. Mai einen Frieden mit Preußen auf den Stand vor dem Kriege. Er
verhandelte jelbft um ein Bündnis; er wollte mit Friedrich Hilfe das
Herzogtum Schleswig, auf welches er Familienanſprüche hatte, ben
Dänen entreißen. Beide Fürften überhäuften fi mit Freundſchafts-
und Ehrenbezeigungen. Peter ließ fogar die Truppenabteilung, die unter
Tſchernitſchew in ber Grafſchaft Glatz lagerte, zum Heere bes Königs
ftoßen. Am 22. Mai folgte Schweden dem Beifpiele Rußlands und
ſchloß Frieden mit Preußen. Friedrich äußerte ſich dabei ſehr wegwer-
fend: „er wife eigentlich) gar nichts von einem Kriege mit den Schwe-
den; Belling, der mit ihnen Händel gehabt, würde ſich wohl mit ihnen
vertragen." Auch dieſer Friede wurde auf den Stand vor dem Kriege
bergeftellt. Die Königin von Schweben, Friedrichs Schwefter, deren Ge—
mahl bei feiner völligen Abhängigkeit von dem ſchwediſchen Adel ben
Krieg nicht hatte verhindern können, war jetzt die Vermittlerin. Friedrich
ließ denn auch dem ſchwediſchen Reichsrat erflären, daß er bloß um ihret=
willen die Sachen auf dem alten Fuße laſſe.
Wiewohl er nun auf einer Seite Luft befommen hatte, fo blieben
doch auch in diefem Jahre noch Feinde genug zu befämpfen: 155 000
Öfterreicher und Reichsſoldaten, und 140000 Franzofen. Der König
verteilte feine Streitkräfte — es waren diesmal, abgefehen von den
70000 Mann des Prinzen Ferdinand, 120000 eigene Soldaten — fo
daß 42000 unter dem Prinzen Heinrich gegen das öſterreichiſch- reichs⸗
ländifche Heer in Sadyfen, 78.000 unter ihm felbft gegen die Ofterreicher
in Schlefien aufgeftellt wurden. Es kam hier darauf an, um jeben
Preis Schweidnitz wieberzuerobern. Daum dedte es aber mit 88.000
Mann, die er auf den Bergen bei Reichenbach hinter ftarten Verjchan-
zungen aufgeftellt hatte, und ließ ſich durch feine Bewegung der Preußen
von der Feftung abziehn. Wergebens entjandte der König den Herzog
bon Bevern, den er wieder zum Heere zurüdberufen, mit 14000 Mann
nad) Oberjchlefien und ließ Troppau einnehmen; auch als eine andere
preußifche Schar verheerend in Böhmen einfiel, rührte Daun ſich nicht.
Friedrich ſchickte ſich daher an, ihm durch eine Schlacht zu vertreiben.
Schon hatte er alles vorbereitet, als General Tſchernitſchew, der mit
feinen 20000 Ruffen ihm bei der bevorftehenden Schlacht helfen follte,
die beiden unwilltommene Meldung brachte, Peter III. fei am 9. Juli
von feiner Gemahlin entthront worden, und die Ießtere befehle ihm, mit
feinen Truppen fofort daS preußiſche Heer zu verlafien; zugleich trafen
Burlersdorf. 399
Nachrichten ein, daß die neue Kaiſerin die Feindſeligkeiten gegen Preußen
wieder aufnehmen wolle. Friedrich faßte fich indeſſen ſehr bald, er be—
redete den ruſſiſchen General, ſeinen Abmarſch noch einige Tage zu ver—
zögern und dem Kampfe, wenn auch nur als Zuſchauer, beizuwohnen,
damit Daun, der von dem Umſchwunge der Dinge in Rußland noch
feine Kenntnis hatte, verhindert werde, den gegen die Ruſſen aufgeſtellten
Zeil feines Heeres anderwärts zu verwenden. Sofort befahl er dann
(am. 21. Zuli) den Angriff. Der Schlüffel der feindlichen Stellung waren
die Höhen von Burkers dorf nebft dem Paß don Leutmannsdorf; fie
zu erftürmen wurben bie beften preußifchen Regimenter unter Anführung
der Generale v. Möllendorf und Graf v. Wied verwendet. Aud) ftritten
fie mit gewohnter Tapferkeit; weder die fteilen Abhänge, nod) die Wälle
und Wolfsgruben, Palifaden und Kanonen, bie aus jedem Berge eine
Feftung machten, konnten die Tortichritte der Preußen aufhalten. Denn
heute", hatte der König gejagt, „muß es biegen oder brechen". Wo
feine Pferde hinantonnten, fehleppten die Soldaten jelbft die Kanonen
hinauf. In vier Stunden waren Höhen und Paß erobert. Daun trat
mit Verluft von 3000 Mann an Toten und Verwunbeten, 1000 Ge—
fangenen, 14 Gefhügen den Rückzug in das Gebirge an. Den Preußen,
deren Heer dem Feinde diesmal an Zahl ziemlich gleich geweſen war,
toftete der Sieg nur 1500 Tote und Verwundete.
Der König hatte überdies die Genugthuung, daß feine Preußen
allein die Arbeit gethan; denn die Auffen ftanden während des ganzen
Kampfes ruhig in ihren Lager. Sie waren überhaupt in den wenigen
Wochen ihrer Anwefenheit nie gebraucht worden: fein Ruſſe blutete für
den König von Preußen; er wurde nad) wie vor allein mit feinen Fein-
den fertig. Am folgenden Tage zog Tſchernitſchew, für feine Gefällig-
keit reich befchentt, nad) Polen ab, und bald darauf zerftreuten fid) auch
die Beforgniffe, die Friedrich vor Rußlands neuer Politik gehabt hatte.
Katharina II., obwohl al Frau verächtlich und befledt durch das Ver-
brechen des Gattenmordes, war wenigftens durch hohe Klugheit ber Krone,
die fie an fid) geriffen, würdig; fie erkannte ſehr bald, daß für Ofter-
reich zu fechten nicht im Intereſſe Rußlands liege, und da fie felbft der
Ruhe beburfte, um fi) auf ihrem Throne feftzufeßen, beftätigte fie den
Friebensvertrag und ließ alle noch in Hinterpommern und Oftpreußen
bejegten Pläge fofort räumen. Doc nahm fie auch für Preußen nicht
Partei, und fo hat Friedrich den Ruhm, nad) Englands Abfall und
Rußlands Rücktritt den Krieg ohne irgend einen Bundesgenoſſen doch
fiegreic) beendet zu haben.
Bunädjft betrieb er nun die Belagerung von Schweibnig. Diefe
Feſtung fiel jedoch nicht fo raſch, wie er gehofft. Sie hatte eine aus—
erleſene Beſatzung von mehr als 12000 Mann, war mit allen Bebürf-
400 Der fiebenjährige Krieg.
aiffen und mit ſtarken Schußwerken verjehen und hatte in dem Kom⸗
mandanten Guasco einen Befehlshaber, der ihre tüchtigen Verteidigungs-
anftalten jehr gut zu handhaben wußte. Die Preußen anbererfeits lei»
fteten überhaupt im Belagern immer weit weniger als in offener Feld⸗
ſchlacht; denn Friedrichs lebhaften Geifte fagte ein langſames Verfahren,
das doch gerade im Feftungsfriege gut angebracht ift, nicht zu; dagegen ent
ſprach ein ſolches ganz der bedächtigen Natur der Sfterreicher. Dies
Verhältnis beftätigte ſich auch jet. Daun griff, um Schweibnig zu ent⸗
jeßen, den Herzog von Bevern, der mit 7000 Mann und 88 Geſchützen
bei Reichenbach ftand, bier am 16. Auguft mit 48000 Mann und
184 Geſchützen an, wurde aber, da Bevern ſich ſehr tapfer und einfichts-
voll verteidigte, auch vom Könige die nötigen Verftärkungen erhielt, mit
einem Verluſt von 1000 Mann gefcjlagen und zog ſich wieber in das
Gebirge zurüd. Nichtsdeſtoweniger hielt fid) Guasco noch zwei Monate
lang, weil der König, durchaus darauf beftand, die Feſtung folle fid) auf
Gnade oder Ungnade ergeben. Erft am 9. Oftober ergab fid) der tapfere
Kommandant; er ſamt feiner ganzen Bejaßung (mod 10000 Wann)
wurden friegögefangen.
Unterdeffen wußte Prinz Heinrich in Sachſen, der immer ruhmvoll
in feinem fehwierigen und undankbaren Amte aushielt, mit großem &e-
ſchick den Heinen Krieg gegen die Öfterreicher und Reichstruppen durche
zuführen. Die unternehmenben Generale Seyblig, Kleift und Belling
feßten dem Feinde in vielen Gefechten ımabläffig zu, fielen in Böhmen
ein und brandſchatzten bis Eger. Zweimal zog fid) die Reichsarmee vor
ihnen aus Sachſen zurüc und überließ Franken ben preußifchen Huſaren;
zweimal gab ihnen die öfterreichifche Heeresabteilung Böhmen preis,
denn der Reichsfelbherr, der italienifche Prinz Serbelloni, betrachtete den
Dienft als Nebenfache; er war ein vornehmer Mann und ſehr phleg-
matiſch, hörte oft die wichtigften Rapporte im Bette an, ein Bud) in
der einen, eine Taſſe Chofolade in der anderen Hand, beantwortete die
Berichte kaum und hatte beftändigen Streit mit dem Hoffriegsrat in
Bien, der noch jehlechtere Pläne machte als er. Endlich war man body
in Wien feiner müde, und Haddik kam an feine Stelle. Diefer und fein
Unterfeldherr, der Prinz von Stolberg, drängten num die Preußen eine
zeitlang zurüd, bis Prinz Heinrich, auf Seydlitz' Anregung plöglid, (am
29. Dftober) die Hauptmacht ber vereinigten Reichstruppen und Dfter-
reicher unter dem Prinzen Stolberg bei Freiberg angriff und nad)
gweiftündigem Kampfe in die Flucht flug. Das Hauptverdienft auch
bei der Ausführung hatte der General Seydlitz, der an ber Spike der
Neiterei, dann des Fußvolks, die leichten Truppen der Oſterreicher über
den Haufen warf, das Reichsheer aus feinen Verſchanzungen trieb, auch
die regelmäßigen Regimenter ber Öfterreicher aus dem Felde ſiug und
1762. 401
ben Feind weithin verfolgte. Stolberg verlor 7400 Mann (barumter
4400 Gefangene), Prinz Heinrich nur 1400.
Bald nad) diefem glänzenden Siege langte Friedrich jelbft in Sachſen
an, das mın, mit Ausnahme Dresdens, vom Feinde gejäubert murbe;
diefer zog fi) nad) Böhmen zurüd, verfolgt von Kleift, der dort aber-
mals einen glücklichen Streifzug unternahm. Dieſer Kieift, ein geborner
Pommer (aus Stavenow), gehörte mit Mayr und Belling zu den aus—⸗
gezeichnetften Parteigängern der Armee. Man nannte ihn den grünen
Kleiſt, weil er Oberft der grünen Hufaren war umd 1760 noch ein Ba»
taillon ſogenannter grüner Kroaten errichtet hatte. Sein Name wurde
jedt weithin ein Schrecken der deutſchen Feinde Preußens. Denn kaum
war er wieder in Sachſen, als ihn Friedrich (Mitte November) mit
30000 Bann auf einen neuer Streifzug, diesmal ins Reich, ſchickte; er
wollte dadurch die Reichsſtäude, die ohnehin bes Krieges müde waren,
zur Neutralität zwingen. Kleiſt brady alfo verheerend in Franken ein,
brandſchatzte Kulmbad), Bamberg, Windsheim, Rotenburg, nahm (am
29. November) Nürnberg ein, erhob auch hier ftarfe Kriegsfteuern und
tieß feine Hufaren bis in die Rähe von Regensburg ftreifen; fie tränkten
ihre Rofie in der Donau. Da mußten die unfchuldigen Bürger und
Bauern im Reid; wieder für bie Sünden ihrer Landesväter büßen, die
ſich an Frankreich und Ofterreich verkauft hatten. Bon ihren großen
Bundesgenoffen befamen dieſe Kleinen mın Feine Hilfe. Oſterreich ſchloß
vielmeht (am 27. November) mit Preuhen einen Waffenftillftand auf
ruhige Haltung der Winterquartiere in Sachfen und Schlefien und über
ließ das Reich feinem Schickſal und den preußiſchen Hufaren, die zwar
die Barbarei nicht verübten, weldhe man von Kroaten und Panduren,
Ruſſen und Franzofen gewohnt war, aber body arg genug hauften.
Auch die Franzoſen hatten wieber fehr unglüdlich gefochten. Im
Juni warf fie Prinz Ferdinand über die Diemel bis nad) Kafjel zurüd,
amd nachdem er ihren jächflichen Söldnern bei Lutternberg am rechten
Zulda-Ufer (23. Zumi) eine Niederlage beigebracht, ſchlug er fie felbft bei
Bilhelmsthal (24. Juni). Sie zogen dann alle ihre Truppen vom Nieder
and Oberrhein her zufammen und drangen mit großer Übermadht zur
Ohm und Lahn vor; aber’ au) jeßt hielt er ihnen fo geſchickt den Wiber-
part, daß er vor ihren Augen Kaſſel belagern und (am 31. Oktober)
einnehmen konnte. Mit dieſer Waffenthat ſchloß hier der Feldzug, deſſen
Erfolge dem verräteriſchen Lord Bute höchft unangenehm waren.
Ebenſo unglüdlic lief für Die Franzoſen der Seekrieg ab, ben fie
in Verbindung mit den Spamiern gegen England führten. Die Bour-
bonen machten daher Frieden mit Georg III. Am 3. November 1762
wurde ber Vertrag zu Fontainebleau abgeſchloſſen. Die Engländer
gewannen darin ſehr bedeutende Vorteile (den Beſitz Kanadas und
Bierfon, preuß. Geſchichte. L 26
402 Der fiebenfährige Krieg.
anderer überſeeiſcher Länder), ließen aber den König von Preußen treuloß
im Stich. Denn fie machten rückſichtlich Deutfchlands nur aus, daß beide
Zeile ihre bisherigen Verbündeten auf keine Weife mehr unterftüßen
follten. Das hannöverſche Bundesheer löſte fi) nun auf, und die Fran⸗
zoſen räumten langſam bie Plätze, bie fie in Deutſchland befept hatten.
Da num kein franzöſiſches Geld mehr in die Säckel der mit Öfter-
reich verbündeten deutſchen Fürften floß, fo fiel für diefe der Hauptgrund
zum Kriege fort, und fie hörten jet auf die Klägen ihrer Unterthanen,
die Kleiſts verheerender Streifzug zur Verzweiflung brachte. Zwar Öfter-
reich hatte, als es Deutſchland zum Kriege gegen Friedrich, hetzte, ſich
verbindlich gemacht, den Krieg nicht eher aufzugeben, als bis das Reich
völlig ſchadlos geftellt und bie Neichsftände, die ihr Kontingent zum
Reichsheere geſchickt, die Vergütung aller ihrer Koften erhalten hätten.
Aber warn hatte das Haus Habsburg jemals dergleichen wirklich ger
leiſtet? Es dachte auch jegt nicht daran, und eben um fich aus biefer
Verlegenbeit herauszuziehen, hatten die Öfterreicher ſchlauer Weife jenen
einfeitigen Waffenſtillſtand gefchlofien, ber den Preußen erlaubte, durch
Verheerung des Reichs dieſes zum Sonderfrieben zu zwingen. In ber
That riefen bie meiften Reichsftände, namentlich Pfalz und Baiern, ihre
Truppen vom Reichsheere ab und baten um Frieden. Auch Medlenburg,
Mainz, Würzburg, Bamberg erflärten fi für neutral. So fam die
Kaiferin-Königin von ihrer Verpflichtung gegen das Reid) los.
Friedrich, der nun niemand mehr zu befämpfen hatte als Öfterreid),
durfte mit leichtem Mut in die Zukunft jehen. Er ließ wieder ſtark
werben, befteuerte Sachfen nad) Möglichkeit, nahm einen Zeil der ent»
lafienen Truppen bes Herzogs Ferdinand in Sold und machte den Ent:
wurf, den nächſten Feldzug mit 200000 Mann zu eröffnen, bie in
Sachſen, Schlefien und am Rhein (gegen die öfterreichijchen Niederlande)
zugleich wirken follten, während eine Abteilung von 25000 Mann die
noch feindlichen Reidjsftände, zumal ben Despoten von Würtemberg züch-
tige. Aber bie Öfterreicher verloren jeßt die Zuft, ben Kampf fortzufegen.
„Ste Hatten, wie fie pflegten, bisher mit phlegmatifcher Klugheit im
Trüben gefiſcht, ihr reiches Land hatte wenig gelitten; andere hatten für
fie gefochten und gezahlt, und ihr guter Kaifer Franz als Bankier die
Konjunkturen benutzt.“ Diefe Zeit war vorüber; fremdes Blut und Geld
ftand ihnen nicht mehr zur Verfügung; es galt num, allein den Kampf
weiter durchzufechten. Aber wie follte Maria Therefia hoffen, ben großen
König mit eigener Kraft zu befiegen, den fie im Bunde mit halb Europa
nicht hatte überwinden können? Cr ftand ihr jeßt nad) fieben ſchweren
Feldzügen furdjtbarer als je gegenüber, benn fie war mın mit ihm allein
auf dem Plan. hr Haß beugte ſich der Klugheit, der Notwendigfeit;
fie entſchloß fi zum Frieden. Der Kurprinz von Sachſen übernahm die
Friede zu Hubertsburg. . 403
Vermittelung. Friedrich ging gern darauf ein; er hatte ja immer den
Trieben gewollt, freilich nur einen ehrenvollen; einen ſolchen erlangte er
num. Im Februar 1763 kamen die drei Bevollmächtigten von Preußen,
Oſterreich und Sachſen (die Hofräte von Hergberg, Kollenbach und
Fritſch) auf dem Schloffe Hubertsburg (zwifchen Meißen und Leipzig) "
aufammen und ftellten den Frieden auf der Grundlage feit, die Friedrich
verlangte: nämlich auf den Stand vor dem Kriege. Am 15. Februar
1763 wurde die Friedensurkunde unterzeichnet, die Ofterreicher räumten
Glatz, die Preußen verließen Sachſen.
Doc) ehe Friedrich diejes Land dem Könige Auguft II. zurüdgab,
Heß er bier noch die rückſtändigen Kriegsftenern eintreiben, und mit
folder Härte, als gelte es den letzten Thaler, den letzten Wispel Korn
berauszuprefien; im Kriege hart geworden, blieb er es aus Gtaatd-
räſon. Auch befahl er, um in feinen Staaten den großen Verluft an
Menſchen zu erſetzen, die preußifchen Soldaten follten fid) in Sachſen
raſch noch Frauen oder Bräute nehmen. Hierin gehorchte man gern,
denn die Sachſinnen waren bei den preußifchen Kriegern fo beliebt, wie
diefe bei jenen. So zog denn im Frühjahr 1763 eine große Menge
von Weibern und Mädchen mit den Preußen aus dem Lande; fie trugen
das ihrige bei, Friedrichs verheerte Länder wieder zu bevölfern. Auch
viele ſaͤchſiſche Schulmänner wurden mitgenommen. Kurz, Friedrich fuchte,
fo lange er noch in Sachſen die Gewalt hatte, von hier aus möglichit
viel‘ für Die Wieberherftellung feines eigenen verwüfteten Landes zu thun,
und wenn fi) die Sachſen nad) feinem endlichen Abzuge jehnten, fo
haben fie dann erleben müſſen, daß das erfte, was ihr lange entbehrter
Auguft II. that, darin beftand, daß er dem erjchöpften Wolfe neue
Steuern auflaftete.
Friedrich war der legte Preuße, der aus Sadhjfen ging. Am 30. März
fpät Abends erſchien der vielgeprüfte Heldenkönig wieder in den Ring-
mauern Berlins. Aber er war nicht mehr der heitere, muntere Fürft, der
einft' Die Freude fuchte und verbreitete; ernft und ftil ging er dem lauten
Jubel der Berliner aus dem Wege, bie feit dem frühen Morgen die
pruchtigſten Vorbereitungen zu einem Triumphzuge für ihn veranftaltet
hatten. Ihn verließ die Sorge nicht mehr; fie wechſelte nur die Geftalt:
hinter ihm lag Kampf, vor ihm Mühfal. Aber die Nation jauchzte auf
voll ftolzer Freude im allgemeinen Friedens-Oankfeſt. Frohlockend warb
in allen Kirchen Preußens gebetet: „Sie haben mid) oft bedrängt von
meiner Jugend auf, aber fie haben mich nicht übermocht!"
Der Krieg war beendet; doc; welche Opfer hatte er gefordert! Er
Toftete dem Erdteil über eine Million Menſchen; alle Staaten, die an
26·
404 " Der fiebenjärige Krieg.
Abm teil genommen, nur Preußen nicht, waren mit ungeheuren Schulben
belaftet, die hernach noch den Urenfel brüdten. England hatte in Amerika
viel erreicht und in Europa viel genüßt, aber aud) feine Staatsſchuld
von 12 auf 146 Millionen Pfund vermehrt. Dagegen bezahlte Frank⸗
reich die Schande, Die es fo reichlich Davon getragen, mit 677 Millionen
Livres, Ofterreich feine Niederlage mit 100 Millionen Thaler Schulden.
Nord⸗ und Mitteldeutfchland waren verwüftet, am wildeften, wo die Fran⸗
zofen gehauft; ein Offizier fchrieb 1762, daß er fieben Dörfer in Heſſen
durchritten und darin nur einen einzigen Menfchen gefunden habe; dies
war ein Prediger, ber ſich Bohnen kochte. Sachen, Anhalt, Medien-
burg waren ausgefogen, Brandenburg, Pommern, Schlefien, Böhmen
mehr oder weniger verheert; zahllofe Dörfer und Städte zerjtört ober
ausgeraubt, hunderttaufende von Menſchen in Armut und Elend gebracht.
Und der Zweck diefes ganzen Krieges, die Abficht des großen Bundes
europätfcher Fürftenfchaft war dennoch vollftändig geſcheitert; man hatte
Friedrich dem Großen nicht ein Dorf nehmen können; man hatte mit
aller Übermadjt doch nur Schimpf und Schande geerntet, denn Friedrich
blieb unbezwungen, und fein Ruhm eine Beihämung für feine Wider
ſacher. Das alſo war da8 Ende aller der Umtriebe und Anftrengungen,
das bie Frucht von Maria Therefins Haß, jener Kaiferin, die man in
Öfterreich als die frömmfte und tugendhaftefte Fürftin Europas feierte.
Man hat den fiebenjährigen Krieg mit dem bdreißigjährigen ver-
glichen; war's doch beide Male im wejentlichen ein Kampf zwiſchen Rord⸗
und Süddeutſchland, und beide Male vom Haufe Habsburg verurſacht
und genährt. Aber wie anders in allen übrigen! Damals das Ausland
fiegreih, und Deutfchland von den Fremden erniedrigt, zertreten, zer⸗
ſtückelt; jetzt deutſche Kraft triumphirend über Nuffen und Schweden,
Franzofen, Ungarn und Kroaten; — damals das deutſche Rational-
bewußtfein verfommen und verloren, jeßt aufitrebend, voll neuen Lebens.
Denn diefe Großmacht, die fo trefflich die allerſchwerſte Feuerprobe bes
ftanden, war eine rein deutſche, und Friedrichs Ruhm ein deutſcher
Ruhm. Im ihm, dem großen Manne des Jahrhunderts, ber die Be—
wunderung der gebildeten Welt, das Staunen der fernften Völfer war,
mußte fich jeder Deutſche erhoben fühlen. Mit ihm fiegte nicht Preußen
allein, fiegte auch das deutſche Volk, fiegte die neue über die alte Beit.
Friedrichs Sache war ja zugleid) die Sache des Fortſchritts und der
Aufklärung. Der Geift der Deutichen, von allem dem Außerordentlichen,
daß fie erlebt, in feinen Tiefen aufgeregt, nahm jetzt einen großartigen
Schwung; es folgte jene geiftige Revolution, die unfere klaſſiſche Litera-
tur gebar. Aber wenn im proteftantifchen Deutſchland nun die wunder
vollen Blüten der Poefie, die reichen Ernten der Kunft und Wiſſenſchaft
auffproßten, fo fol man nicht vergefien, daß der beite Tau, ber fie be
Bom Hubertöburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Großen. 405
feuchtete, das Blut und der Schweiß von Friedrichs und feiner Preußen
flaunenswerten Thaten war, daß die Sturm- und Drangperiode der
deutichen Literatur ihre befte Kraft aus dem großartigen Pathos zog,
welches vom fiebenjährigen Kriege her — biejer Heroenzeit Preußens —
die Zugend des proteftantifhen Deutfchlands burchbebte. „Der erfte
wahre und höhere Lebensgehalt“, jagt Göthe, „am durch Friedrich
den Großen und die Thaten bes fiebenjährigen Krieges in die deutſche
Poefie.“
Vom hubertsburger Frieden bis zum Tode
Eriedrichs des Großen,
Der Ruhm, den der fiebenjährige Krieg dem preußifchen Volle ge-
bracht, war ein edles Gut, aber auch der Preis war groß. Man be
rechnet, daß Preußen dieſer Krieg eine halbe Million Menfchen (darumter
180.000 Soldaten, 1500 Dffiziere, 31 Generale) und 125 Millionen
Thaler gekoftet hat. Friedrich) handelte weile, daß er den Frieden an-
nahm, fobald er es mit Ehren konnte. Denn „die Ruhe”, fagte er felbft,
„war für Preußen nötiger als für die übrigen Staaten, weil es faft
allein die Laſt des Krieges getragen. Es glich einem Menfchen, ber von
Wunden zerriffen, von Blutverluſt erfchöpft und in Gefahr war, unter
dem Drude feiner Leiden zu erliegen; ber Staat bedurfte einer Leitung,
die ihm Erholung gab, ftärfender Mittel, um ihm feine Spanntraft
wiederzugeben, Balſam, um feine Wunden zu heilen. Der Adel war
erihöpft, die Meinen Leute ruinirt, eine Menge von Ortſchaften ver-
brannt, viele Städte zerftört; eine volllommene Anarchie hatte die Ord-
nung ber Polizei und Regierung umgeworfen; bie Finanzen waren in
größter Verwirrung, mit einem Worte die allgemeine VBerwüftung war
groß." Am ſchwerſten hatte das platte Land gelitten. Denn gegen Ende
des Krieges mußte man, um ben fortwährenden Abgang bei den Regi-
mentern zu erjeßen, ſelbſt Burſchen von 14 und 15 Jahren als Rekruten
einziehen. In vielen Gegenden konnten die Felder aus Mangel an Hän-
den nicht beftellt werben; anberwärts betrieben Frauen und Greife bie
Gefchäfte des Acerbaues. Unter dem pommerſchen und brandenburgifchen
Adel gab e8 Familien, welche zwanzig und mehr Mitglieder in dieſem
furchtbaren Kriege verloren hatten”), Frauen, Die zugleich über ben Ver—
luſt von Vätern, Männern, Brüdern und Söhnen trauerten. Das Geld,
d. h. das fchledjte, vom Münzjuden Ephraim Hergeftellte, war im üÜber-
fluß vorhanden, aber um fo wertlojer, da die Lebensbedürfniſſe knapp
waren und in ungeheuren Preijen ftanden; um ein Pfund Fleiſch zu
*) € fielen 5 B. 19 von Kamele, 20 von Belling, 54 von Kleift.
406 Vom Hubertsburger Frieden bis zum Tode Friedrichs bes Großen.
holen, mußte man faft mit einem ganzen Sade voll „Ephraimiten" auf
den Markt gehen. Sehr übel wirkte dann noch die Herabſetzung dieſes
ſchlechten Geldes, die bald nach dem Frieden eintrat und Hunderte von
wohlhabenden Leuten an ben Bettelſtab bradjte.
Alle diefe Wunden zu heilen, in dem verwüfteten Staate eine friſche
Sat der Kultur zu beftellen, und doch zugleich in jedem Augenblicke
bereit zu fein, die errungene Großmadhtftellung zu verteidigen, dieſe harte
und fehwere Arbeit hat der alternde König noch 23 Jahre lang mit
beifpiellofer Gewiflenhaftigfeit, wenn auch von Irrtümern nicht frei, ver⸗
richtet.
Ohne. Anleihen zu machen und ohne die Steuern in Preußen zu er⸗
höhen, hatte Friedrich den Krieg durchgeführt; am Ende besjelben waren
alle feine Feinde und Nachbarn tief verjhuldet, er allein hatte nad
Geld; nad) fo vielen Feldzügen, die ihm aus den Kaſſen feines eigenen
Staates im ganzen 90 Millionen Thaler gekoftet, behielt er doch den
legten Thaler in der Tafche. Diefe Thatſache ift einer der ftärkften
Pfeiler geweien, auf denen fein Anſehen bei den andern Fürften rubte.
Er that daher alles, um das Ausland in dem Glauben, Preußens Kraft
ſei nicht erſchöpft, noch zu beftärken, und begann fofort nad dem Frieden
toftbare Prachtbauten, 3. B. den Bau des neuen Palais bei Sansſouci,
welcher 3000000 Thaler koſtete und im Jahre 1770 vollendet war.
Dabei erreichte er zugleich den Zweck, viele arbeitölofe Leute zu beſchäf⸗
tigen und zu ernähren. Aber aud) unmittelbare Wohlthaten ließ er feinem
Volke reichlich zufließen. Die Vorräte, die er zum neuen Feldzuge ge⸗
ſammelt, 40 000 Scheffel Getreide, 60000 Pferde, wurden an mittellofe
Landleute zur Beftellung des Ackers gegeben. Diele Landesteile erhielten
auf einige Jahre Steuererlaß, andere außerdem bare Unterſtützung,
Schleſien allein drei Millionen Thaler. Dem verarmten Adel wieder
aufzubelfen, der ihn ja aud in allen Schlachten fo wacker gedient hatte,
gab er gern nad) und nad) Millionen her. Ebenſo wenig ermüdete er in
feinen Verſuchen, die &ewerbe zu befördern, munterte auf, und fpendete,
wo es notthat, mit vollen Händen Geld; felbft Fehlſchlaͤge entmutigten
ihn darin nicht, wie denn ber fruchtlofe Verſuch, eine Uhrenfabrik in
Berlin anzulegen, dem Könige von 1766-1775 über 141000 ‚Thaler
toftete. Zum Wiederaufbau abgebrannter Städte gab er ebenjo reichlich,
und als einmal (1785) die Greiffenberger ihm dafür ihren Dank aus-
ſprachen, antwortete er: „Ihr Habt nicht nötig euch dafür bei mir zu
bedanten; es ift meine Schuldigkeit, meinen verunglüdten Unterthanen
aufzuhelfen; dafür bin ich da.“
Dagegen legte er aber auch gleich nad; dem hubertsburger Frieden
feinen Unterthanen eine Laft auf, die fie fehr empfindlich drückte und
bei vielen das Andenken an die Wohlthaten diefer Regierung tief in
Die Regie, 407
Schatten ftellte; das war die neue Accifeverwaltung, die ſogenannte
Regie. Friedrich wußte zu gut, was gerade für feinen Staat das Geld
bedeute: Preußen hatte unter ben andern Staaten feinen aufrichtigen
Freund, alle betrachteten es noch; mit Mißtrauen, einige mit Haß; es
mußte ewig auf Kriegsfuß ftehen, bedurfte immer eines übermäßig großen,
ftets fehlagfertigen Heeres und eines vollen Schatzes. Aber zu dieſen
Keiftungen, zu feinem Range als Weltmacht ftimmten feine materiellen
Mittel ſchlecht; die Staatseintünfte mußten daher noch gefteigert werben.
Unter ben Berfuchen, bie zu dieſem Zwecke geſchahen, war auch die Ein-
führung ber königlich, preußiſchen Lotterie (1763); aber e8 bedurfte er-
giebigerer Dnellen. Der König beſchloß daher, befonders die Accife, auf
welche die Erhaltung bes ftehenden Heeres ſchon von dem großen Kur
fürften begründet worden war, ftärfer auszubeuten, und da man in
Frankreich damals die Kunft am beften zu kennen fhien, dem Wolle
durch geſchicklte Steueroperationen ohne Schaden viel Geld abzunehmen,
fo holte er darüber den Rat des franzöftichen Staatsökonomen Hel-
veiius ein (1764) umd berief dann aus Frantreich einen Steuerfünftler,
be Laımay, der num mit 200 feiner Landsleute nad) Preußen kam und
eine neue „General-Adminiftration ber königlichen Gefälle" einrichtete
(1766). Es gelang ihm wirklich, die Steuern in beflere Ordnung zu
bringen; aber bie Accife wurde zugleich auf alle Arten von Waren aus—
gebehnt und erhöht, und härter als dieſe Mehrabgabe drückte die ge—
Höffige Art der Eintreibung. Denn unter diefen Franzoſen gab es der
Gauner nicht wenige, die, wenn fie die föniglichen Kaffen füllten, zugleich
ihre eigenen Taſchen bedachten. Am umerträglichiten war, daß die Regie»
beamten überall die Häufer nach fteuerpflichtigen Waren durchſuchen
durften; die Pladerei der Unterthanen war groß.
Am fehwerften laftete ber Steuerbrud auf den Lurusbebürfnifien.
Der König meinte, wenn er ſolche Artikel fehr verteuere, dem Wolfe
eher eine Wohlthat zu erweifen. Daher behnte er das Monopolwefen,
das in den damaligen Staaten üblich war, namentlich auf den Kaffee
und Tabak aus. Mit diefen Waren, handelte fortan die Regierung
allein; bie Kaufleute mußten ihr biefelben zu einem beftimmten Preiſe
abnehmen. Das erregte die meifte Unzufriedenheit. Denn Kaffee und
Tabak wurden nicht bloß teurer, jondern von den Kleinhändlern auch
oft verfchlechtert. Es begann ein heimlicher Krieg des Publikums gegen
die Zollbeamten. Riemand machte fi) ein Gewiffen daraus, die Accife
zu betrügen, und der Schmuggel blühte. Denn ber von Hamburg ein-
gefcjwärzte Kaffee koſtele 4%, Silbergroſchen das Pfund, der Tönigliche
aber 1 Zhaler (= 24 Groſchen). Die Zollbeamten ihrerjeits, bie
„Kaffeeriecher*, ſchnüffelten überall nad) eigenmächtig, d. b. ohne Gteuer-
zettel, gebranntem Kaffee umher und vergalten den allgemeinen Haß und
408 Vom Hubertöburger Frieden bis zum Tode Friedrichs bes Großen.
Spott durch um fo ftrengere Beauffichtigumg, oder wo es anging, durch
Erprefiungen. Kamen dann Klagen über die hohe Kaffeeftener, fo ant»
wortete der König: „Die Leute möchten ſich doch wieber an das Bier
gewöhnen, wie ihre Väter; er felber fet in feiner Jugend mit Bierfuppe
erzogen worben; Bier fei viel gefünder als Kaffee." Diefes ausländiſche
Getränt war aber bereits ein Bedürfnis aller Stände, auch des Arten -
Mannes geworben.
Übrigens waren die finanziellen Ergebniffe nicht einmal groß; der
Staat zog aus der Regie zulept jährlich doch nur eine Mehreinnahme
von 11/, Milton, aus der Tabaksverwaltung 1200000 Thaler. Weit
bedeutender als diefe künftliche Steigerung der Staatseinkänfte war bie
natürliche, die fi) aus dem Zuwachs der Steuerfraft ergab. Und Bier
bat fich Friedrich, wirfliche Verbienfte erworben. Was er vor dem fieben-
jährigen Kriege für die Hebung des Nährftanbes gethan, wurde nun wieder
aufgenommen; namentlich, fuchte er Die Einwanderung zu befördern. Es
find unter feiner Regierung an 250 000 Koloniſten ins Land gekommen,
neben nichtsnutigem Gefindel and) ſehr viele brauchbare Leute, bie
mandje wüfte ®egenb in blühende Kultur brachten. Bit großen Koften
unb reichen Erfolge ließ er z. B. feit 1767 die Brüche an ber Varthe
und Nehe, von 1777 bis 1782 den dFinerbruch bei Ziefar, feit 1778 den
Drömling in der Altmark anbauen. Er war es aud), ber ben Kartoffel-
bau in Preußen allgemein machte. Er ließ ihn von den Kanzel herab
empfehlen, ſchenkte einzelnen Ortſchaften ganze Wagenladımgen von Kar«
toffeln zur Ausfat und bewirkte Halb mit Überredung, halb mit gwang,
daß biefe Frucht fett 1770 maffenhaft angepflanzt wurde. Bur Unter
ftüßung des hilfsbedürftigen Adels gründete er in den einzelnen Pro-
vingen (zuerft 1770 in Schlefien) fogenannte „Landfeaften", d. h. Krebit-
verbände der Nittergutsbefiger mit dem Zweck, ſich gegenfeitig in
Gelbverlegenheiten beizuftehen; als Mittel diente Die Ausgabe von Pfand-
briefen, welche, auf die verſchuldeten Güter ausgeftellt und mit 5 Prozent
verzinft, von ber Landſchaft wie bares Geld in den Verfehr gegeben
wurden. Diefe Einrichtung rettete eine Menge von Familien vom Unter-
gange und war eine große Wohlthat für ben Adel, die ben andern
Ständen nicht ſchadete, und Die er verdiente. Denn das foll mar nie
vergefien, daß ber preußiſche Adel, beſonders von Brandenburg und
Pommern, dem Staate ganz außerordentlich große Opfer an Gut und
Blut gebracht hatte und daher Anſpruch auf Dankbarkeit befaß. Friedrich
gab feinen Offizieren Ruheftandsgehalte bloß nach Gutbünken, dieſe
waren alſo reine Gnadenſache; daher erflärt nur der Patriotismus bes
Adels und bdefien Waffenluft feine Bereitwilligfeit zu dienen, ba ber
Dienft hart, der Sold befonders in den unteren Stellen Targ, die Alters-
Abel und Bürgerftand. 409
verſorgung ganz unficher war. Nur bie Ehre entſchädigte, denn ber
Dffigier rangirte vor jedermann.
Unbillig aber war es, wenn Friedrich nicht bloß auf alle Weife die
Errichtung adliger Majorate begünftigte, fondern auch ben Verlauf
abliger Güter an Bürgerliche geradezu verbot und, um biefe noch ficherer
von ſolchen Käufen abzuhalten, verorbnete: fein bürgerlicher Käufer eines
Nittergutes folle die damit verbundenen Ehrenrechte — Patrimonial-
Gerichtsbarkeit, Patronat über Kirche und Schule, Kreisftandſchaft,
Jagdrecht — erlangen. Es floß bei ihm biefe Bevorzugung des Adels
aus berjelben Anficht von defien ftaatlichem Beruf, die ihn Dazu bewog,
die höheren Verwaltungsämter und Offizierftellen wo möglich nur mit
Edelleuten zu beſetzen. Wurden doch gleich) nach dem Frieden die bür-
gerlichen Offiziere, die fid) während des Krieges bei den Regimentern
heraufgebient hatten, größtenteils verabfchiedet; nur ausnahmsweiſe ber
hielt Friedrich Offiziere dieſer Art im Dienft, fofern nämlic) deren Bor-
gejehte ihre Verdienſte bezeugten; und dann pflegte er fie zu abeln.
Ebenfo waren und blieben die Kabettenhäufer bloße Adelsinftitute. Der
König verfiel hier in denfelben Fehler, der feine ganze Stellung zu ber
deutſchen Geſellſchaft Tennzeichnete: er hielt das Urteil, das er in feiner
Jugendzeit fich gebildet, aud im Alter feſt. Damals freilich, war der
Adet wirluch an Bildung, Fähigkeit und Reichtum allen andern Ständen
überlegen und daher die befte Stüße des Staates. Mit ber Zeit hatte
aber das Bürgertum den Adel in allen Beziehungen erreicht, in vielen
überholt; ging doch aus dem britten Stande jeßt gerade bie große
geiftige Bewegung hervor, welche in Philoſophie und Dichtkunſt Deutich-
land an die Spike ber Nationen ftellte. Bon diefem Umſchwung der
Dinge hatte Friedrich feine Ahnung.
Dagegen leiftete er dem Mittelftande nicht wenig durch feine Förde⸗
zung des bürgerlichen Gewerbes. Um Schleftens Linneninduftrie, bie
er das Peru der preußiſchen Könige zu nennen Tiebte, noch zu verbeſſern,
legte er Hier Spinnfchulen an und erzielte fo immer größeren Abjap;
ſchleſiſche Leinwand ging ſchon damals bis nad Amerika. Was man
in Preußen brauchte, follte man hier felbft erzeugen und außerdem einen
uͤberſchuh an das Ausland verfaufen, diefem dagegen möglichft wenig
Baren und möglichft viel Geld abnehmen: das war ber leitende Ge—
danke des Merkantilweiens, wie er es verftand, daher trieb er unauf-
hörlich, neue Fabriken zu errichten und die alten zu verbeflern. Schon
1761 war in Berlin die erfte Porzellanfabrit (nad dem Wufter ber
meißner) errichtet worben, fie verjah bald das ganze Land mit ihren
trefflichen Erzeugnifien; allmählich) wurden in den Haushaltungen bie
zinnernen Geräte durch Porzellan und Fayence verdrängt. Auch bie
Spipenflöppelei, zuerft 1743 von den Mädchen im potsdamer Waifen-
410 Bom huberisburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Großen.
hauſe ‚betrieben, blühte raſch auf; ebenſo die Geiben-, Sammet⸗ unb
Kattunmanufaktur. Die königliche Papiermühle in Eberswalde verſchenkte
der König, da es ihm bei allem dieſen Unternehmungen nur darauf an⸗
kam, die einheimiſche Induſtrie zu heben. Zu dieſem Zwecke ſandte er
auch einen Beamten nach England, um. den Bau der Dampfmaſchine zu
ftudiren, und fiedelte dieje Erfindung nach Preußen über.
Das geſamte Hüttentvejen erhielt durch den Mintfter v. Heinitz, ber
Bergbau in Oberfchlefien durch ben Grafen v. Reben einen hohen Auf
ſchwung. Die Rührigleit der preußiſchen Induftrie nahm denn auch fo
du, daß es im Jahre 1785 16500 Wabrikanten gab, welche Arbeiten tm
Werte von 30/, Million Thaler lieferten, wovon 11 Milltonen auf
Schlefien, 9 auf die Mark Brandenburg fielen. Das Zunftweien ftanb
bei dem Könige in großer Mißachtung; er erkannte es noch an, wie er
denn 5. B. im Jahre 1769 die Zahl ber Butterhänbler in Berlin be-
fiimmt feftfeßte (27 bei einer Bevölkerung von damals 132 000 Men⸗
fen); aber oft verleßte er es and), befonders um bas Meiſterwerden
zu erleichtern. Feind jedes Müßigganges und jeber Verſchwendung,
ſchaffte er bei ben Handwerkern den „blauen Montag“ ab, wie. bet den
Katholiken die überfläffigen Yeiertage.
Zum Beften des Handels legte der König 1765 in Berlin bie
königliche Bank an, bie den Kaufleuten zu billigen Zinſen Geld vorſchoß;
Provinzialbanken dienten demfelben Bwede in den Provinzen. 1772 er-
richtete er die Seehandlungs-Geſellſchaft in der Abficht, unter
preußifcher Flagge einen Handel nad) Spanien und anderen auswärtigen
Platzen einzuleiten; fie erhielt den Alleinhandel mit Salz und Wachs und
mußte ihren Gewinn zu gemeinnäßigen Unternehmungen verwenden. Für
den Binmenhanbel wurde namentlich der Bau bequemer Waſſerwege eifrig
fortgefeßt. So ließ er in den Jahren 1764 bis 1766 den johannisburger
Kanal bauen, ber nun in einer. Länge von 12 Meilen die mafurtfchen
Seen verband. Zum Beften der Memelichiffahrt Iegte er 1778 den
Gilge-Kanal an. Unter feiner Regierung ift in Preußen fo viel für den
Flußverlehr gethan worden, wie unter ber feinigen.
Aber immer ordnete ber König das Intereſſe des Handels der alls
gemeinen Wohlfahrt unter; Getreideausfuhr z.B. war nur dann erlaubt,
wenn in Berlin der Scheffel Roggen 1 Thaler, in Pommern oder Magde-
burg 18 Groſchen koſtete. Durch ſolche Beſchränkung und durch feine
Magazine rettete er in den Hungerjahren 1771 und 1772 fein Volt vor
der Hungersnot, die ringsum in den Nachbarſtaaten wütete.
Das Heer koftete unter Friedrich dem Großen im Verhältnis bei weitem
mehr als heut; es verſchlang °/,, fpäter */, der Staatzeinmahmen; den⸗
nod) hatte der König für jedes nützliche Unternehmen ftets Geld, fchentte,
unterftüßte, vergütete immerfort mit vollen Händen. Im ganzen hat. er
Verwaltung. Rechtöpflege, 411
in. ſolcher Weiſe während ber 20 Jahre von 1763 bis 1788 vievund⸗
zwanzig Milliouen Thaler für Beförderung des Ackerbaues, des Handels
und ber Gewerbe hergegeben. Und woher kamen dieſe großen Summen,
die er dem Volle ſpendete? Sam Teil eben aus dem Ertrage der ver⸗
haßten Regie, zum größeren Teile aber aus den Erjparungen, die der
König in ſeinem eigenen Haushalt machte. Er hatte ſich fo zu fügen
ein Gehalt als König von 1200 000 Thalern ausgeworfen — eine Heine
Summe, wenn man fie mit den Zivilliſten ber anderen Fürften verglich.
Damit beftritt er feinen Hofftant. Aber er verbrauchte bavon fehr wenig,
ſchränkte feine perfönlichen Ausgaben ein, wo er nur Zonnte; je älterer
wurde, befto einfacher und kärglicher beftelkte er feinen Haushalt, behalf
fic) zulegt mit zwei Leibpagen, während andere Fürſten deren hunderte
hatten, ftrid an dem Vetrage der Küchenzettel, was ihm zu viel fchien,
gab feine glänzenden Leite, kaufte ſich feine prächtigen Kleider und kam
mit dem ſechſten Zeil jener Summe aus"). Das übrige verwendete er
zur Verbeſſerung des Landes. „Da Preußen arm iſt“, ſprach er, jo
muß der Regent dieſes Landes fparfam fein und in feinen Angelegen⸗
beiten bie ftrengfte Drbnung halten. Giebt er das Beifpiel der Ver⸗
ſchwendung, jo werben feine Unterthanen, die arm find, ihm nachzuahnen
ſuchen und ſich ruiniren.
Überhaupt wurden die Fehler, die ſich in dem Syſtem feiner Ber-
waltung fanden, durch die perjönliche Sorgfalt des Königs zum Teil
wieder gut gemadjt. Auch durfte er troß Regie und Adelsbegünftigung
mit Recht zu eimigen umzufriedenen Unterthanen jagen: „Man folle ihm
das Land zeigen, wo es befier wäre, da wolle er mit ihnen hingehen.”
Wegen zweierlei Dinge ift Sriedrich der Große in ganz Europa beim
gemeinen Manne berühmt geweſen: als fiegreicher Kriegähelb unb als
gerechter Richter. Unter den entfernteften Nationen, in Portugal und
Sizilien priefen bie Bünteljänger, ftelten die Puppenthenter die Ge—
ſchichte vom Windmüller bei Sansfouci dar, der den König von Preußen
*) Ein Fremder, ber 1770 Friedrichs Kleiderlaunner zu befehen Gelegenheit Yatte, ſah
da zwei blaue Röde mit roten Auficlägen und zerriffenem Futter, zwei mit Schnupfiabar
überfäete gelbe Weiten, drei Bar gelbe Hofen, ein faft unbenußtes, aber 10 Jahre altes,
blaues, fülbergeftictes Kleid, weldes fo zu fagen Friedrichs Bratenrod war. Arnim, Bere
traute Geſchichte des preuß. Hofes III. 69. — Wie ber König in feinem Hofhalt aud; bei
Reinigkeiten auf größte Sparfamteit ah, dafür folgendes Zeugnis bei Preuß Friedrich d. Gr.
1. 142): ls 1784, 9. Robember, eine Heine „Extra-Gonfumtion* bei ber Eöniglichen
Hofläe „in Summa* mit 25 Thlr. 10 Gr. 11, Pf. angegeben war, ſchrieb Friedrich
danmter:
ngeftollen dan ongefer 100 aufter ſeindt auf den Tiſch geivehen Koften 4 Taller bie
Kuchen 2 Thaler, quapen Leber 1 Thaler der Fichſch 2 Thaler. Die Kuchen auf Rufiſch
2 Thaler macht 11 Thaler, das übrige geftohlen ba ein Chen mehr Heute ift geivehen
Hering und Erpfien fan 1 Thlr. Koften alfo was über 12 ift impertinent geftohlen. Bd.”
412 Bom hubertaburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Groben.
mit · dem berliner Kammergerichte bedrohte, und vom Waſſermüller Arnold
bei Bommerzig, um den fo viele vomehme Herren auf bie Feſtung famen.
Der alte Zeig mit feinem Krückftock warb durch fie der populärfte Fürft
in der weiten Welt. Was war das für ein Zubel, als das Volk in
Liſſabon ihn einmal leibhaftig vor fi) jah! es war aber nur der Schiffs-
Tapitän Nettelbeck, den fie faßten und im Triumph durch die Straßen
trugen. Run wifien wir zwar, daß Friedrich in der Sache des Müllers
Amold in Wirklichkeit fich fehr vergriff; die füftriner Richter, die den Mann
verurteilten und die Mühle verkaufen ließen, thaten nach dem Geſetz,
und der Graf Schmettau, dem fie für rücftändigen Zins den Erlös zu—
ſprachen, und ber Großkanzler und die berliner Rammer-Gerichtsräte,
die das Urteil beftätigten, verleßten keineswegs Das Recht. Denn bie
Behauptung des Müllers, daß ihm von einem Dritten durch Anlegung
eines Karpfenteich® das Waſſer entzogen und er dadurch in bie Unmög—
Hohleit verfeßt fei, den Zins zu entrichten, war eine Unwahrheit, obgleich
fie vom Könige auf falfchen Bericht eines Offizierd hin geglaubt wurde.
Zu fp&t erkannte er nachmals, daß wenigftens hier der Meine Mann
gegen den großen Unrecht gehabt habe. Aber die edlen Ahfichten bes
Königs, feine ftrenge Gerechtigkeitsliebe leuchten ewig hell auch aus biefer
Übereilung hervor, und gerade dieſer Fall trug nicht wenig dazu bei,
die Machtigen zu ſchrecken und das Vertrauen bes Volles, das jener
potsdamer Winbmäller einer Drohung des Königs gegenüber in ben
Borten „es giebt noch Richter in Berlin!“ fo einfach ſchön ausſprach,
aufs ftärkfte zu befeftigen. In der That, Friedrichs Rechtapflege war
bes höchften Lobes wert. Hier hörte bei ihm jede Vorliebe für Perſonen
oder Stände auf, und er war allemal geneigt, eher dem Armen und
Geringen beizwipringen. Zu wiederholten Malen fchärfte er ben Richtern
ein, durchaus ohne Anfehen der Perſon zu richten, es fei Prinz, Ebdels
mann ober Bauer*). Auch ließ er bekannt machen, jedermann könne zu
jeber Zeit ſich perſönlich an th richten, werm ihm Unrecht geſchehe. Er
betrachte fi) als Anwalt der Armen und Gebrücten, und während er
den Adel fonft vielfach begünftigte, duldete er doch nie, daß derſelbe ſich
*) In dem Protololl, das er (am 11. Degember 1779) über den Müller Arnoldſchen
Fall aufnahm und allen Gerichten zuicidte, heißt ed: „Die Zuftigfollegia müflen nur
wiffen, daß ber geringfte Bauer, ja der Bettler eben fowohl ein Menſch ift mie Se. Mar
jeflät und bem alle Zuftig widerfahren muß, indem vor ber Juſthz alle Leute gleich find,
«8 mag fein ein Prinz, der gegen einen Bauer Ylagt, oder auch umgelehet, fo iſt der Pring
vor ber Zuftig dem Bauer glei und muf mad; der Gerechtigkeit verfahren werden ohne
Anfehn der Perfon. Darnach mögen fich die Zuftigtollegien in allen Mrovinen num zu
richten Haben, und wo fie nicht mit der Zuftig ohne alles Anfehn ber Perſon und des
Standes gerade durchaehen, fondern bie natürliche Billigkeit bei Geite jehen, fo follen fle
& mit Se. Mojeftät zu tum kriegen. Denn ein Juftiztollegium, das Ungerechtigkeit
ausübt, ift gefährlicher und fhlimmer als eine Diebesbande.“
Das allgemeine Landrecht. 413
Übergriffe gegen die anderen Stände erlaubte. Er ftrafte unnachfichtlich,
wenn ihm foldhe Fälle zu Ohren kamen, und dadurch wurde befonders
die Lage der Bauern erleichtert. Sie befanden ſich faum irgendwo in
einem fo erträglichen Buftande wie in Preußen, hatten nirgends fo viel
Schuß gegen die Unbil der Beamten und Edelleute wie hier.
Ganz konnten Friedrichs vortreffliche Abfichten, die auf Befreiung
der Bauern gingen, freilich nicht erfüllt werden, weil dazu eine völlige
Erneuerung des geſellſchaftlichen Zuſtandes notwendig geweſen wäre Er
überzeugte ſich durch eine Probe ſelbft davon. Am 23. Mai 1768 erließ
er von Kolberg aus ben Befehl: „ES follen abfolut und ohne das ges
ringfte Räfonniren alle Leibeigenſchaften ſowohl in Töniglichen als adligen
und ftädtifchen Dörfern von Stund an gänzlich abgeſchafft werden.“
Die Stände widerfpracdhen einmütig: „es ſei die fogenannte Leibeigen⸗
Thaft in Pommern und überhaupt in Preußen mır eine Gutspflichtigteit,
die ohne Ruin der Gutsbeſitzer nicht könne aufgehoben werben; auch
werde die Folge fein: Wegziehen der Bauern, Entvölferung bes Landes,
Austreten der waffenfähigen jungen Mannſchaft.“ Da ließ es Friedrich
in einem Bezirk (im Amte Balfter in der Neumark) verjuchen, hob bie
Leibeigenſchaft auf und machte die Bauern zu Eigentümern der Höfe
und Inventarien. Alsbald ging ein großer Teil der Freigelaffenen auf
und davon nad) der Weichjel, nach der Ober, überhaupt dahin, mo
befierer Abſatz der Produkte und befferer Lohn zu finden war. Biele
verkauften fogar ihr Vieh und entwichen mit dem Erlös. Kurz, bie
Prophezeiung der Stände traf ein, und ber König erneuerte biefen Ver⸗
ſuch, der fo fhlecht abgelaufen war, wicht wieber. Aber wenn er bie
großen Mipftände des Yeudalweiens, die noch auf dem platten Lande
berrfchten, nicht abſchaffen konnte, ſo bemühte er ſich wenigftens fie zu
mildern; 1773 entband er den Landmann von allen neuen Frohnden.
Ein bleibendes Denkmal jeiner Yürforge für eine gute Rechtspflege
ift das allgemeine preußiſche Landrecht, das er gegen Ende feiner
Regierung durch den Großlanzler Carmer ausarbeiten ließ. Diefes neue
Geſetzbuch war das erfte, welches is deutſcher Sprache erſchien, und das
Ergebnis der gründlichften Unterfuchungen, ber gewiflenhafteften Be-
mühungen und eines freifinnigen Geiftes. Carmer, felbft ein ausgezeich-
neter Zurift, bediente ſich dabei der Hilfe eines vorzüglichen Fachmanus,
des durch gebiegenes Wiſſen, wie durch unermübliche Wirkſamkeit hervor⸗
tagenden Geheimrat? Svarez. Im April 1784 legte Carmer auf Befehl
des Königs den Entwurf auch dem Publikum zur Prüfung vor. Zugleich
wurden für diejenigen, die Verbeſſerungen angeben würden, Prämien von
50 und 24 Dutaten ausgefeht. Den Abſchluß des Ganzen erlebte Fried⸗
rich ſelbſt nicht mehr; es trat erft 1794 in Kraft und bildet noch jept
eine Haupt-Örundlage des in Preußen geltenden Rechts.
414 Bom Bubertsburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Großen.
Die materiellen Intereſſen des Staates nahmen einen fo großen
Teil der Einkünfte in Anſpruch, daß für bie geiftigen werrig übrig blieb.
Es erſchien zwar glei; nad) dem Frieden ein vortreffliches „General⸗
Landſchulreglement·, aber bie beabfichtigte allgemeine Verbeſſerung bes
Volksſchulweſens wurde aus Mangel an Gelbmitteln Dann doch wieder
unterlafien. Was der König nicht Teiftete, übten unter feinem Schutze
patriotiiche Märnmer aus; ber Minifter v. Zedlitz, die Geiftlichen Büſching,
Heder, v. Felbiger, v. Rochow erwarben ſich um das Schulweſen große
Verdienfte. Mehr that ber König für die Künfte, namentlich die Ton—
kunſt, in der er felbft ein Meifter war; bie Oper und das franzöfiſche
Schaufpiel exhielten, Iepteres wenigftens bis zum Begirm bes batrifchen
Erbfolgekrieges 1778, aus dem Töniglichen Privatfäcel beträchtliche Zu—⸗
ſchufſe. Unter ben vielen Bauten, die er in dieſer Zeit aufführen ließ,
zeichnen ſich außer dem neuer Palais’ zu Potsdam namentlich die beiden
Kirchtürme auf dem Gensdarmenmarkt zu Berlin aus; fie wurden In
den Jahres 1780—85 errichtet; ferner ebemdafelhft das Bibliotheks⸗
gebäude (1777), die Köntgsbrüde (1778). Seinen treuen und hochver⸗
dienten Feldherren Schwerin, Winterfeld, Keith, Seydlitz fette er auf dem
Wilhehnaplah in Berim Bildſaulen zum ewigen Bebächtnis- ihrer ruhm⸗
vollen Thaten und zur Racheiferung für bie Überlebenden ; nad) feinem Tobe
Kamen noch die Oeukmäler ietens und des alten Deflauers Hinzu — in
Europa die erfte und lange Zeit die einzige Heldengallerie biefer Art.
In die kirchlichen Dinge mijchte ſich Friedrich nur Infofern ein; als
er jeden Übergriff einer Sehe in das Rechtsgebiet der andern zurückwies.
Wenn nur dem Staate gegeben wurbe, was be3 Staates war, jo durfte
men glauben, was man wollte. Doch verfannte er den Wert der Reli»
giofttät für dem. Staat und für das Glück ber Menfchheit keineswegs,
umd auch er forderte, daß bie Jugend in wahrer Gottesfurcht erzogen
wärde. Bu wieberholten Malen hat er den Schulmeiſtern eingefchärft,
daß fie der Jugend Religion beibringen follten. Unter aller vorhandenen
Religionen. ieh er die proteftantifdje für bie vergleichsweiſe efte: Auch
wolltener; dah der: proteftentifche Charakter. des States nicht erfchüittert
werde. Daher gab er ein wihtiges Biolamt felten und ungern einem
Katholiken, während er in der Armee zwiſchen den beiden Konfefftonen
feinen Unterfchied machte. Juden ließ er gar nicht zu einem Amte zur.
Den von ber Akademie 1763 zum Mitglied vorgefdjlagenen Philoſophen
Mendelsſohn ſtrich er eigenhändig von der Lifte aus. Aufnahme in das
Land weigerte er um des Glaubens willen niemandem. Bei ihm fanden
alle beshalb Verfolgten Schuß. Er duldete in feinen Staaten fogar bie
Jeſuiten, und als Papft Klemens XIV. deren Orden aufhob, durften fie
in Preußen bleiben, weil fie fi) damals um den fatholifchen Jugend»
unterricht einige Verdienſte erwarben; unter Friedrichs Regiment war
Friedrichs Stellung zur deutſchen Literatur, 415
nicht baran zu benten, daß Pfaffen Schaden ftiften könnten. Übrigens
betrachtete er ſich als oberften Biſchof ſowohl der Katholiten als der
Proteftanten, und. wie er (1773), um die Arbeitszeit zu verlängern, ben
dritten Feiertag der hohen Fefte und von ben herfömmlichen vier Buß⸗
tagen im Jahre drei aufhob, fo ftrich er auch von den 35 latholiſchen
Feſttagen 17 ab, wozu der Papſt feine Einwilligung geben mußte.
Bezeichnend ift auch eine andere Verordnung; er änderte nämlich
das eingeführte Kirchengebet: „Laß Dir, o Gott, empfohlen fein Ihro
Majeftät, unfern teuerften König" dahin ab, daß es fortan hieß:
„Lab Dir, o Gott, empfohlen fein, Deinen Knecht, unfern König.“
Kirchliche Frömmigkeit beſaß Friedrich ber Große nicht; er ging faft nie
in eine Kirche und fpottete über die meiften Glaubensfagungen; aber er
war darum nicht ohne Religion. „Mein Syſtem“, ſchrieb er einft, „ber
fteht darin, daf ich das höchfte Weſen anbete, welches allein gut, allein
barmherzig und deshalb allein meiner Verehrung würdig ift; daß ich bie
Lage der unglüdlichen Menjchen, die mir befannt find, erleichtere, alles
übrige aber dem Willen des Schäpfers unterwerfe, der über. mid) ver⸗
hängen wird, was ihm gut ſcheint, und von dem ich, gejchehe auch, was
da wolle, nichts zu fürchten habe.“ Die allgemeinften. religiöſen Wahre
beiten hielt er auch ſpäter feit; aber Die beſonderen Meimmgen der ein-
zelnen Belenntuiſſe, die fein Verſtand ſich nicht aneignen Tonnte, waren
ihm teils gleichgiltig, teils laͤcherlich.
Die allgemeine Deut und Gewiffensfreiheit; die er geſtattete, durfte
fich aud) in der Prefie äußern, nur nicht gegen den Staat. Doch went
man in Büchern und Zeitungen ihr perjönlich angriff, fo ließ er es ruhig
geſchehen. Gegen keinen Zürften find fo viele Gchmähfchriften erſchienen
wie gegen Friedrich dem Großen, : und zwar vor befien Augen im Berlin
ſelbſt. Er kümmerte ſich nicht darum oder lachte darüber, wie er that,
als er einmal in der Jaͤgerſtraße zu Berlin an einem Haufe einen großen
Auflauf traf und als Urſache eine Karikatur dort angejchlagen bemerfte,
die ihn mit einer, Kaffeemühle auf dem Schoß darſtellte. Er lachte und
Vieß dag ‚Bild niedriger hängen, damit bie-Lemte es heffer ſehen könnten.
Das Volt jubelte ihm zu und zerriß das. Bild.
Friedrichs Vorurteil gegen beutfche Literatur bonnte durch feine Be
kanntſchaft mit fo mäßig begabten Geiftern wie ‚Gottfheb und Gellert
zwar erjhüttert, aber nicht außgerottet werben; überbie mar er, wie er
felbſt fagte, num eim zu alter Kerl, um ſich die nee deutſche Bildung
noch anzueignen. Denn er ſprach und ſchrieb gut frangöfifch, aber ſchlecht
deutſch. Doc) bedauerte er diefen Mangel; er vergaß nie, daß er ein
deutſcher Fürft war. „Was ift“, ſchrieb er 1785, „rühmlicher für einen
Deutſchen, als rein deutſch ſprechen und ſchreiben!“ Noch in feinem
fpäten Greifenalter bejchäftigte ihn der Gedante, wie ber beutjchen Lite-
416 Vom hubertsburger Frleden bis zum Tode Friedrichs des Großen.
ratur aus ihrer Verkommenheit wohl aufzuhelfen ſeil. Gr verfaßte 1779
eine Abhandlung darüber, ein gut gemeintes Schriftchen, das aber be
weift, wie ganz unbelannt er mit dem großen Aufſchwung war, ben bie
Sprache, bie er verbeſſern wollte, bereit3 genommen hatte. Freilich die
deutfchen Auffäge, die allein ihm zu Geficht kamen, nämlich bie Berichte
feiner Juſtiz⸗/ Finanz⸗ umd anderer Kollegien, waren nod) immer in
jenem barbarifchen Stil voll langathmiger, holpriger Perioden, der feinen
Schönheitsfiun von jeher fo ſchwer beleidigt hatte. Dennoch gab er ſich
gern der Hoffnung Bin, daß einft auch die Mufen in Preußen ihren Sitz
aufſchlagen würden. „Einft werden wir“, fo heißt es in jener Abhand⸗
Img, „unfere Haffiichen Schriftfteller haben; jeder wird fie Iefen, um fi
daran zu bilden, unjere Nachbarn werben deutſch lernen, an ben Höfen
wird man es mit Freuden ſprechen. Schon Die Hoffnung macht wich
glücktich, daß Kumft und Wiffenſchaft, wie vormals in Griechenland und
in Stalien, dereinft in Preußen ihre Wohnftatt finben werben.” Der alte
Mann geftand es nicht gern, aber es ging ihm nahe, daß er ſich um bie
gelehrten und ſchönwifſenſchaftlichen Arbeiten feiner Nation fo werig ber
Kimmert hatte. Auf feine Beranlaffıng wurde in Königsberg eine
„beutfche Gefellfchaft" geftiftet, welche die Ausbildung der Mutterſprache
zu ihrem Haupizweck Hatte; andy befahl er, den deuſchen Unterricht in
den Schulen Hinfort zweckmäßiger zu betreiben. Mehr als dieſe wenigen
Einzelheiten wirkte immer bie Anregung, die er bem deutſchen National»
geift durch feine Großthaten gegeben hatte.
Answärtige Angelegenheiten.
Die erfte Teilung Polens.
Der hubertsburger Frieben beendete zwifchen Preußen und Öfter»
reid) den Krieg, aber nicht die Feindſchaft. Die beiden Staaten waren
natürliche Rebenbubler, fo lange jeder eine beutiche Großmacht blieb.
„Kape bleibt Katze, was fe auch thun mag“, pflegte Friedrich von dem
wiener Hofe zu fagen; er traute ben Öfterreichern niemals.‘ Auch zu: ben
andern Großftaaten hatte Preußen fein freumbliches Verhältnis; es ſtand
einfam de, nur auf ſich felbft geftügt, und ba es in Hinficht auf feine
materiellen Mittel, auf Bevölterumg und Landgebiet bei weitem bie Heiufte
unter ben europäifchen Großmächten war, fo enthielt Diefe Vereinzelung
große Gefahren. Zu ſchwer war der Kampf mit halb Europa geweien,
als daß Friedrich ſich ihm noch einmal hätte ausfeen mögen, und
da von allen feinen früheren Feinden Rußland ſich ihm am gefähre
lichſten erwiefen, fo fuchte er jetzt befien Freundſchaft. Im Jahre 1764
Die exfte Teilung Polens. 417
ſchloß er mit der Katferin Katharina ein Bündnis zu gegenfeitiger Unter-
ftügung in Notfällen. Dadurch kam er nun zwar, was ihm zunächſt
das Wichtigſte war, ans feiner Iſolirung heraus; aber das Verhältnis,
in welches er eintrat, hatte freilich auch fein Bedenkliches. Denn Preußen
konnte von feinem Bunbesgenoffen nicht Nupen ziehen wollen, ohne feiner-
feits demfelben Vorteile zu gewähren. Es fragte ſich, ob die Intereſſen
beider Staaten überall gehörig zujammenftimmten, und bies war doch
teineswegs ber Fall. Friedrich wußte es wohl, aber er mußte die Dinge
nehmen, wie fie lagen; übrigens war er Teineswegs gemeint, ſich mehr
benußen zu laffen, aß billig wäre Er machte die Freundſchaft mit
Rußland zu eimem Faktor der preußiſchen Politik, aber er war nicht der
Wann, aus der Freundſchaft eine Vaſallenſchaft werden zu lafien. Er
brauchte für feine Stellung in der Mitte Europas eine Rückendeckung im
Dften; gerade deshalb konnte er nicht darauf verzichten, auf den Oſten
mitgeftaltend einzuwirten. Und eben jept bereiteten ſich bort die größten
Veränderungen vor.
Rußlands gewaltige Raturkraft, Hug geleitet und. ſcharf geſpornt
von einer herrfchfüchtigen Fürftin, die fid) gem die Semiramis des Ror-
dens nennen ließ, drängte immer gewaltiger gegen die ſchwachen Boll-
werle von Mittel- und Südeuropa, gegen Polen und bie Türkei. Fried⸗
richs Bachſamkeit entging Teiner der begehrlichen Blice, die Katharina II.
zunächft auf Polen warf. Diefer große, aber verrottete Staat ſchien zum
warnenben Beifpiel auserfehen, wohin bie ungezügelte Herrichaft von
Edelleuten und Prieftern ein Volk führen muß. „Lange bevor bie treu-
Iofe Politik der Nachbarn dort gewaltſam in die Dinge eingriff, war das
enbliche 208 dieſer zerrütteten Staatsverbindung mit Sicherheit voraus:
zuſehen: erlag fe nicht einem gewaltfamen Stoße von außen, jo mußte
fie an dem Prozeſſe innerer Zerſetzung zu Grunde gehen, den der Mangel
aller gefunden geſellſchaftlichen Bildung und jeder ftaatlichen Organiſation
langfam, aber ſicher vorbereitete. Ein Volk von Sklaven, tumultuariſch
geleitet von einer leichtfertigen und abentenernden Ariftofratie, in welcher
fi) die Untugenden der Barbarei mit Laftern der Ziviliſation verſchmol⸗
zen, rohes Sarmatentum und überfeines, verfaulendes Franzoſentum ar
einander geliebt, — das alles unter einer fogenannten republifanichen
Verfaffung, weiche bie Anarchie der Cinzehwillfür (das liberum veto
jedes der hunderttauſend Gdelleute) und die Gedanken und Gejehes-
verwirrung auf ben Thron erhob, wer wollte von biefem unheilbaren
Bufte eine gedeihliche Entwidelung erwarten?“ *) Dean aud) die Mög-
lichkeit der Beſſerung fehlte, der Kern jeder Volkskraft, das Bürgertum.
Hier gab es keinen Mittelftend, nur Herren und Kuedhte. Handel und
*) Häuffer, beutiche Geſchichte I. 138.
‚Bierfon, prenf. Geſchichte. J. 27
418 Bom Hubertßburger @rieben bis zum Tode Friedrichs bes rohen.
Wandel lag in den Händen der Juden, die mit dem Adel und der ka—
tholifchen Geiftlichfeit um die Wette das leibeigene Bolt ausbenteten.
In dem Staate wie in den Haushaltungen. berichte jene wüfte „polnifche
Wirtſchaft“, die in der ganzen Welt berüchtigt ift. Ein Wahllönig ohne
Macht, ein Reichstag, ber feinen Beſchluß faflen Tomte, ohne die ganze
Nation in wilder Parteiung zu fpalten — das waren bie Lenker des
Reichs: fie hatten feit Jahrhunderten nichts gethan, Polen aus den Zus
ftänden bes Mittelalters heraus zu führen. Darum mußte e8 nun,
morſch geworden, in Trümmer fallen.
Schon in ber Mitte des fiebzehnten Jahrhunderts war den Nach-
barn der fehr natürliche Gedanke gefommen, Dies ohnmächtige, zerrüttete
Reid) unter ſich zu teilen. Sie waren aber damals noch bei weiten
nicht groß genug, einen ſolchen Biffen verfchlingen und verdauen zu
können. Geitdem hatten fie in materiellem und geiftigem Wachstum
noch größere Fortſchritte als Polen Rückſchritte gethan. Namentlich
waren mittlerweile Rußland umd Preußen Großmächte geworden, und
das letztere bedurfte nicht bloß im allgemein deutſchen Intereffe, ſondern
was die Hauptſache war, um feiner ſelbſt willen wenigſtens desjenigen
Stücks von Polen, das durd) Naturrecht und Rotwendigfeit zu Deutfch-
land und Preußen gehörte, nämlich des polnifchen Weſtpreußens, eines
deutſchen Landes, das die Polen nur nad) dem Rechte der Gewalt be
faßen. Seit Oftpreußen mit Brandenburg vereinigt war, ſeit es einen
brandenburgifch-preußtfchen Staat gab, war die Ausfüllung der Lüde nur
eine Trage der Zeit, und Friedrich der Große hatte ſchon als Kronprinz
die Erwerbung Weftpreußens als dringend notwendig erkannt.
Dennod war Rußland für Polen ein viel gefährlicherer Feind; es
wollte nicht eine polnifche Provinz, es wollte ganz Polen an fid) reißen
ober biefes Neid) doch mindeftens in völlige Abhängigfeit von fi)
bringen. Dies war ſchon Peters des Großen Abficht, fie vererbte auf
feine Nachfolger, und Katharina II. war feft entichloffen fie durchzu⸗
führen. Welche ungeheure Gefahr für das ganze Abendland! Die furdt-
bare, eroberungsfüchtige ruſſiſche Macht, durch Polens Befip oder Beherr-
{hung zum Koloß gewachſen, ftand dann an der Schwelle Deutichlanbs,
des Herzens von Europa. „Es könnte dann wohl“, ſchrieb Friedrich
feinem Bruder Heinrich, „den Öfterreichern Schmerz und Neue bereiten,
daß fie dies barbarifche Volt nad) Deutfchland gerufen und es ben Krieg
gelehrt haben; aber ihre Leidenschaft und ihr Haß Hat fie über die Folgen
verblendet, und wie die Sachen jetzt ftehen, fehe ich feine Rettung mehr,
als daß man mit der Zeit einen Bund der größten Staaten bildet, un
fi) dieſem gefährlichen Strome entgegenzuftellen.” Allein dazu war in
der That feine Ausfiht. Bon dem fchlaffen Regierungen Frankreichs
und Englands konnte Friedrich für fid) nichts Gutes, von dem neid- und
Die erfte Teilung Polens. 419
haßerfüllten wiener Hofe konnte er nur Schlimmes erwarten. Das einzig
Richtige unter den damaligen Umftänden war, Preußen teil nehmen zu
lafien an der Beute, die Rußland erftrebte.
So faßte es denn auch Friedrich auf. Sein Bund mit Katharina
gewahrte ihm einigen Einfluß auf die ruſſiſche Politik; er bemußte diefen
fehr gewandt dazu, Rußlands ungebuldige Eroberungsfucht zu zügeln
und möglichft zu feinem eigenen Vorteil zu wenden. Katharina II. hatte
nad) dem Tode Augufts II. die Wahl des polniſchen Edelmanns Sta-
nislaus Poniatowski zum Könige von Polen erzwungen (1764) und ge-
brauchte nun ihren Einfluß, um die Lage der Diffidenten in Polen zu
verbeffern. Als natürliche Schirmherrin der Griechifch» Katholtfchen for-
derte fie für dieſe und, hierbei von Friedrich unterftäßt, auch für bie
Evangeliſchen gleiche Rechte mit den Römiſch-Katholiſchen. Darüber
entbrannte in Polen der Bürgerkrieg; ein Zeil bes Adels tonföberirte
ſich gegen, ein anderer für die Rufen und deren Schüßlinge. Katharina
ließ Truppen in das Land einrücen und befiegte die Konföberirten. Zu-
gleich bedrohte fie das osmaniſche Reich, und da es ſich emporraffte, um
Polen und ſich felbft gegen die moskowitiſchen Übergriffe zu ſchützen
(1768), entriß fie ihm in einem glücklichen Kriege die Moldau und bie
Waliachei, und ſchien nicht geſonnen, dieſe wichtigen Länder wieder heraus-
zugeben. Damit griff fie aber dem habsburgiichen Donaureiche an bie
empfindlichfte Stelle; außer der polntfchen brannte mın aud) die türkische
Frage; die eine wie die andere gefährdete Deutſchlands Sicherheit und
den Frieden Europas. Kam es zum Kriege zwiſchen Rußland und
Öfterreih, fo mußte Friedrich kraft des Vertrages von 1764 dem erfteren
eimen bewaffneten Beiftand leiſten; dazu hatte er aber gar feine Luft.
Es war ihm ſchon beſchwerlich genug, daß er in Gemäßheit jenes Ver⸗
trages an Rußland, feit es mit der Türkei im Kriege war, ein Hilfsgelb
(Hihrlic) 480 000 Thaler) zahlen mußte. Er verfuchte deshalb eine Ans
näberung an den wiener Hof; in der That konnte die ruſſiſche uͤbermacht
nur durch feftes Bufantmenhalten ber beiden deutſchen Großftaaten zurüd-
gebrängt werben. Daher veranlaßte er den jungen Kaifer Joſef II. ihm
einen freundſchaftlichen Befuch zu machen, welcher am 25. Auguft 1769
zu Neiße ftattfand. Friedrich fprach bei dieſer Gelegenheit die beher-
zigenswerten Worte: „Wir Deutichen haben lange genug unter einander
unfer Blut vergofien; es ift ein Sammer, daß wir nicht zu einem beſſeren
BVerftändnis kommen können.” Im folgenden Jahre erwiberte er biefen
Beſuch zu Reuftabt in Mähren. „Fir Ofterreidy“, ſprach Joſef verbind⸗
lich, „giebt es fein Schlefien mehr.”
Es blieb indes bei ſchönen Worten. Denn wenn Sofef II. aud)
nicht umbin konnte, den großen König zu bewundern, fo haßte er ihn
Pro
420 Vom Hubertsburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Großen.
im Grumde doch faum minder, als Maria Therefia felber e8 that.*)
Das gegenfeitige Mißtrauen wurde nicht gehoben; body erreichte Friedrich
durch dieſe Annäherung an Ofterreic, den beabfihtigten Zweck, Rußland
einzufchächtern und es für einen Vorſchlag, den er ſchon im März 1769
zur Löſung der öftlichen Wirren hatte thun laffen, williger zu machen.
Damals hatte er durch feinen Gejandten in Petersburg bemerflich ge
macht, die Differenzen mit Oſterreich wären zu heben, wenn Rußland
den Zürken einen billigen Frieden zugeftehen und fi mit Preußen und
Öfterreich zu einer Teilung Polens verbinden möchte.“) Damals war
Katharina nicht darauf eingegangen. Jetzt aber, da Öfterreich in betreff
der Donaufürftentümer eine drohende Haltung annahm, da die Türken
zum Widerftande neuen Mut faßten, und in Polen die Konföberirten fi
wieber erhoben, fing fie an ihre Anfprüche herabzuftinmen.
Den entſcheidenden Anſtoß gab dann, daß Marta Therefia (im No—
vember 1770) ein Stück polnifchen Gebiets, den Zipſer Kreis, bejeßte.
Die Zarin brachte nım ihrerjeits — zunächſt in einem Gefpräch mit dem
Prinzen Heinrid) von Preußen, der im Januar 1771 Petersburg befuchte
— den Gedanken einer Teilung Polens auf die Bahn. Friedrich förderte
benfelben weiter, vermittelte auf Grund desſelben zwiſchen Wien und
Petersburg. Dort wie hier mußte man diefen Ausweg als das Mleinere
von zwei Übeln, die zur Wahl ftanden, anerkennen. Am 5. Auguft 1772
ſchloſſen bie drei Mächte den Zeilungsvertiag. Kraft desjelben nahm
Rußland Litauen (2000 Duadratmeilen), Ofterreidh Galizien (1300),
Preußen aber das untere Weichfelland, Weftpreußen und den Netzediſtrikt
(645 Duadratmeilen), in Beſitz. Den polnifchen Reichstag und König
zwangen fie durch Waffengemalt zur Einwilligung. So gelang e8 Yried-
rich dem Großen, ben Frieden zu erhalten, das osmanifche Reid, und
den größten Zeil Polens aus Rußlands Klauen zu erretten und feinen
eigenen Staat um eine höchft wichtige Provinz zu vergrößern. Sein
Anteil war äußerlich zwar der Heinfte, aber durch Lage und Beſchaffen—
heit des Landes ungemein wertvoll. Weftpreußen mit Marienburg, El—
bing, Kulm, Romerellen und Ermland (body ohne Danzig und Thom,
die noch polniſch blieben), dies &ebiet ſchloß die Lücke zwiſchen Oftpreußen
und dem Kerne der Monarchie und brachte der inneren Kraft des Staates
einen beträchtlichen Buwads. Denn diefe neue Provinz war fruchtbar
und ziemlich gut bevölfert, und die 600 000 Einwohner, bie darin Iebten,
waren großenteil$ Deutfche.
So warb „Neubeutfcjland“, das der Habsburger Kaifer Friedrich III.
einft ruhig hatte den Polen ausliefern laſſen, durch den hohenzollerſchen
*) Maria Thereſia und Zofef II., Correfponbenz, Heransg. d. Arneth, I. HOF. u. a.
Bol. Beer, Erſte Zheilung Polens II. 39 f.
Die erfte Teilung Polens. 421
Friedrich dem Vaterlande wieder zurückgebtacht. War die Teilung Polens
auch ein Gewaltftreich, das deutſche Volt hat doc, allen Grund Friedrich
dem Großen dafür dankbar zu fein; Weftpreußen felber fegnet den Tag,
da Friedrich es wieder deutſch machte. Ganz Europa, am lauteſten
Frankreich und England, jchrie Beter über die unerhörte Gewaltthat der
drei Oſtmächte, und da man Friedrich für den Urheber hielt, während
er doch nur der Vermittler war, fo fiel auf ihn am meiften das Ge—
bäffige der That. Aber war es fo ſchlimm, daß ein deutſcher Fürft den
Bolen 1772 ein deutfches Land fortnahm, welches fie 1466 von Deutjch-
land abgerifien hatten? und werm bies nicht anders gefchehen Tonnte,
als daß zugleich polnifche Länder an Rußland und Ofterreich Tamen, wo
fonft lag die Schuld davon als in dem Unverſtand der Polen, weldhe
die Rufen ins Land gerufen, in der Zerrüttung ihres Staats, der nicht
mehr lebensfähig war, und in der Unthätigfeit der Weftmächte, welche
der ganzen Entwidelung müßig zugejehen hatten, anftatt rechtzeitig ein-
gugreifen! .
Schon am 13. September 1772 nahm Friedrich Weftpreußen in
Beſitz; am 27. ließ er fi) in Marienburg buldigen. Er nannte ſich
feitdem nicht mehr König in Preußen, fondern König von Preußen, '
weil er nun auch den weitlichen Teil befaß. Ein Jahr darauf genehmigte
der polnifche Reichstag diefe Abtretung, verzichtete auch auf dem der⸗
einftigen Rüdfall Preußens nach dem Erlöſchen des brandenburgiſchen
Haufes; ebenſo auf die Oberlehnshoheit über Bütow und Lauenhurg und
auf bie Einlöfung des Amtes Draheim. Im Mai 1775 ließ Friedrich)
auch zu Inowrazlaw im Nepebiftrilt die Huldigung vomehmen. Gleich)
in ben erften Zahren baute er zur Sicherung des Gewonnenen eine neue
Feſtung, Graudenz, die 1776 fertig war. Er hatte übrigens die Grenzen
gegen Polen etwas weiter ausgedehnt, als er eigentlich durfte. Er that es
nad) dem Beifpiele Oſterreichs, beffen Beherrſcherin die Teilung Polens
zwar beflagte, Doch zugleich möglichft ausnutzte. „Sie weinte und heute“
(fagte Friedrich der Große von Maria Therefia), „aber babei riß fie ein
weit größeres Stüd an fi), als abgemadjt war.“
Die neue Provinz „Weitpreußen“ wurde fehr ſchnell auf preußifchen
Fuß eingerichtet und aller der Wohlthaten teilhaftig, welche die alten
Lande unter Friedrichs Zepter genofien: Gewiflensfreiheit (die vornehm-
li) den zahlreichen und bisher gedrüdten Proteftanten erwünſcht war),
raſche und unparteitfche Rechtspflege, befleres Schulweſen (das hier ganz
im argen gelegen) und eine Verwaltung, die, wenn fie vom Lande an
Steuern und Rekruten viel verlangte, dagegen aud) alle Erwerbszweige
belebte und neue Hilfgquellen eröffnete. In letzter Beziehung wirkte außer
der Einführung der Poſt namentlich der bromberger Kanal jehr
beilfam, den Friedrich binnen eines Jahres (1772—73) zur Verbindung
422 Bom huberisburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Groben.
der Brahe bei Bromberg mit ber Netze bei Nakel, alſo ber Weichſel mit
der Oder, erbauen ließ. Er toftete 750000 Thaler, aber er hob bie
Binnenfhiffahrt‘ nicht nur in Weftpreußen, fondern aud) in den weiter
weftlic) gelegenen Provinzen ehr beträchtlich, und der wichtige polniſche
Getreide- und Holzhandel kam nun großenteils in preußifche Hände.
Auch der ähnlich nüßende Kraffohllanal zwifchen den Flüffen Elbing und
Nogat ftammt aus Friedrichs Zeit (1783). In den Städten wurde den
Evangeliſchen und Deutſchen das Übergewicht, wo fie es verloren, wieder
zurückgegeben, und die Zefuitenfollegien in Gymmaften verwandelt. Auf
dem Lande begann das Kolonifiren, wie es die Hohenzollem überall ge-
pflegt, wohin fie vordrangen. Friedrich hat in diefen Gegenden 1400
deutſche Familien angefiebelt. Doch auch das eingeborne Landvolk fand
Urfache, den Herrfcjaftswechfel zu fegnen. Friedrich ſchaffle bie perfän-
liche Leibeigenfchaft der Bauern, die an vielen Orten beftand, ſamt ihren
barbariſchen Sitten ab, und indem er zahlreiche Elementarſchulen erridh-
tete und die Herrſchaft des Gefehes an die Stelle ber früheren Adels-
und Priefterwilltür jeßte, hob er das niedere Volk allmählich) aus der
geiftigen Stumpfheit empor, in welche es, ſeitdem das Land zu Polen
' gehörte, verfunten war. Bald kam das deutſche Weſen hier wieder in
Blüte, und die alte polniſche Wirtſchaft zog fich vor ihm immer weiter
an die Grenzen zurüd.
Die Kulturfiege, die Friedrich hier erfocht, gehören zu den fehönften
Erinnerungen an feine Seit; aber ber Dank für fie gebührt zum großen
Teil aud) den eifrigen und umfichtigen Gehilfen, die er bei dieſem Werke
hatte, den beiden Präfidenten v. Domhardt und dv. Brentenhof,
zweien Beamten, die um MWeftpreußens Hebung und Germanifirung bie
größten Verbienfte gehabt haben. Namentlich hat Brentenhof viel ge-
leiſtet.) Ein Mann von großem praftifchem Geſchick, ungemeiner Ar-
beitskraft und bingebendem Eifer, war er bei der Wiederherftellung ber
Neumark und Pommerns nad) dem flebenjährigen Kriege des Königs
rechte Hand. Der Wiederaufbau der Ortſchaften, die Aufhilfe des Guts-
abels, die Entwäflerung der Brücher, die Herbeiziehung von Kolomiften,
alle Arten von Landverbefierungen wurden hier mit feiner Hilfe ins
Werk gefeßt, und viele gingen von ihm felbft aus. Ebenſo wirkte er
dann nad) der Teilung Polens im Nepediftrikt; er Hat aud) den Bau
des bromberger Kanals entworfen und ausgeführt. Achtzehn Jahre
lang, von 1762, wo er aus deſſauiſchem Dienfte übergetreten war, bis
an feinen Tod im Jahre 1780, nüßte er fo dem preußifchen Staate,
und er feßte dabei fein Vermögen zu. Der einzige Lohn, den er hinter-
9) Bol. Leben des Franz Sqhonberg d. Brentenhof, Kal. Preuß. Geheimen Ober-
Finanz, Kriegs: und Domainenrathe (von Meihner), Leipgig 1782.
Der batrifäje Erbfolgekrieg und der deutjche Fürftenbun. 423
ließ, war Friedrichs anertennende Äußerung, „es gehöre unter die Bor-
züge feiner Regierung, einen Diener wie Brenfenhof gehabt zu haben.“
Der bairiſche Erbfolgehrieg und der deutſche Fürſtenbund.
Als Joſef II. nad) dem Tode feines Vaters Franz I. 1765 zum
deutſchen Kaifer gewählt wurde — Friedrich der Große gab ihm gem,
wie er es im hubertsburger Frieden verfprochen, feine Stimme, denn
was bedeutete damals jene Würde? — da gedachte der junge Fürft
große Dinge mit feinem neuen, hochklingenden Titel auszuführen, ein
ftarfes deutſches Kaifertum herzuftelen und das Reich zu reformiren.
Er fand aber jehr bald, daß dieſer fchöne Traum fich nicht verwirklichen
Heß. Auch der Hleinfte Verfuh, in den Wuft der Reichsverhältniſſe
Drdnung zu bringen und bie verknöcherten Formen zu beleben, fcheiterte.
Seine Reformen vermehrten nur den unermeßlichen Ballaft von Akten,
den bie Schreiber bes Reichshofrats und Reichslammergerichts ſeit Jahr⸗
Hunderten aufgehäuft. Auch der Heinfte Landesherr wollte fein Titelchen
feines fouveränen Rechts ober Unrechts aufgeben; die großen dachten
ohnehin nicht daran. Nachdem er fi einige Jahre in diefem Hoffnungs-
Iofen Beginnen vergeblid, abgemüht, gab Joſef feine redlichen Abfichten
notgedrungen auf und fehlug fid auf die große Heerftraße, die feine
Borgänger feit Rubolf I. gegangen waren; er beſchloß, da er dem
Reiche nicht helfen konnte, das Kaifertum zum Nuben feines Haufes
auszubeuten, wie Habsburg es immer und mit fo viel Erfolg gethan.
Darin traf er mit den alten Überlieferungen der wiener Hofburg und
mit der Politik des Minifters feiner Mutter, des Grafen Kaunitz, zu⸗
ſammen. In Wien konnte man es nicht verjchmerzen, daß man in
Schlefien nicht nur eine ſchöne Provinz, ſondern auch einen großen Teil
des alten Einflufjes auf Deutſchland verloren, daß fi) neben Dfterreich
eine andere deutſche Großmacht gebildet hatte. Man beichloß, fih für
Schleſien an einem anderen deutſchen Lande zu entichädigen, und als im
Zahre 1777 bie bairiſche Linie des Haufes Wittelsbach mit dem Kur-
fünften Mar Joſef ausftarb, ſchien dies eine vortreffliche Gelegenheit,
um Baiern zu erwerben. Bivar gab es noch eine pfälifche Linie
Wittelsbach, und fie war erbberechtigt. Aber Joſef II. bewog das
Haupt berjelben, den Kurfürften Karl Theodor von der Pfalz, ihm einen
großen Teil von Baiern abzutreten; dagegen wollte er deſſen uneheliche
Kinder mit Titeln, Einkünften und Ländereien verforgen, auch zum
Beften der verſchwenderiſchen Hofhaltung des Kurfürften ein gutes
Stüc Geld hergeben. So wurden bie Baiern, wie eine Herbe Vieh,
424 Bom hubertsburger Frieben bis zum Tode Friedrichs des Großen.
verhandelt. Im Januar 1778 beſetzten die öſterreichiſchen Truppen das
Land. Joſef U. meinte, jo die ſchleſiſche Erpedition Friedrichs bes
Großen kopiren zu können.
Er hatte aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Jede Ver—
größerung Öfterreih® in Deutf—hland war ein Nachteil für Preußen;
Friedrich ſchritt Daher ein, er veranlafte ben mächftberedhtigten Erben,
den Herzog Karl von Bfalz-Siweibräden, gegen ſterreichs Gemaltthat
zu proteftiren und Preußen um Hilfe anzurufen, und als feine Verhand⸗
lungen mit dem wiener Hofe nicht# fruchteten, zog er, obgleich ſchon hoch⸗
betagt, das Schwert und brach mit einem Heere in Böhmen ein (6. Juli
1778). Die Öfterreicher, die hier raſch ihre Truppen verſtärkten, bes
zogen eine fefte Stellung zwifchen Prag und der oberen Elbe. Bu einem
bedeutenden Bufammenftoß Tam es aber nicht; denn Maria Therefia,
nım alt ımd friedfertig, mochte ſich und ihre Völker nicht wieder in bie
Schrecken eines großen Krieges ftürzen, fah auch ein, wie ungerecht
diefer bairifche Handel war. Auf ihren Befehl mußte Kaunitz die abge-
brocjenen Unterhandlungen mit Zriebrid) dem Großen wieder anknüpfen.
Auch das Ausland mifchte ſich hinein, Rußland drohte, Frankreich ver
mittelte. Zuletzt gab Joſef II. nad). So ward am 13. Mai 1779 der
Friede zu Teſchen geſchloſſen, in welchem Hlterreich mit einem Heinen
Teile Baierns, dem fogenannten Innviertel, abgefunden wurde, alles
übrige aber wieber herausgeben mußte. So war Zofefs Plan gejcheitert,
und Friebrid, hatte Baiern gerettet.
Diefer bairifche Erbfolgekrieg — Kartoffelfrieg nannten ihn die
Soldaten, weil es bei Streifzügen und Fouragtrungen geblieben war —
koftete dem preußifhen Staate doch 29 Millionen Thaler und 20000
Mann, welche durch Seuchen im Lager und auf ben Märjchen in
Böhmen umgelommen waren. Dafür hatte Preußen eine große moralifche
Eroberung gemacht; «8 ftand als Schüßer der Heinen deutſchen Fürften
gegen bie habsburgiſche Vergrößerungspolitik ba. Selbft katholiſche
Stifter fleten nun in Berlin um Hilfe, weil Joſef II. fortfuhr, macht⸗
loſe Reichftände zu vergemwaltigen. Hatte früher öſterreich die Reichs-
ftände in fein Schlepptau genommen, jo fiel diefe Rolle nun Preußen zu.
Friedrich der Große übernahm fie mit gewohnter Thatkraft. Es mochte
ihm wohl feltfam vorkommen, jegt in feinem Alter den Schirmherrn
jener verrotteten Reichsverfaffung zu fpielen, die man abgeſchmackter
Weiſe die deutſche Freiheit. nannte und Die er fein lebelang verachtet
hatte; aber er that es gern, weil er dadurch den leitenden Einfluß in
den deutjchen Dingen in bie Hand bekam. Übrigens wenn mar, wie es
doc) fein follte, mit dem Katfertum den Begriff des mächtigen Schußes
für die Kleinen und Schwachen und einer ftarten Anwaltihaft für das
Bol verband, fo mußte man geftehen, Friedrich der Große entiprad)
Der bakstfäe Erbfolgelsieg. 425
dieſem kaiſerlichen Wefen am allerbeften. Denn er war doc; ber einzige
deutſche Fürft, der in feinem Staate einen gewiſſen Rechtszuftand, eine
geficherte Wirkfamleit der Gerichte einführte und aufrecht hielt; er, ob»
wohl Proteftant, oder Freigeiſt, wern man will, doch ber einzige, ber
jelbft die katholiſchen Kirchengäter und Orden, die Damals von den an
gejehenften Tatholifchen Regierungen auf das gemwaltthätigfte behandelt
wurden, in feinen Landen ungefränft ließ; er endlich der einzige, der
den nieberträchtigen Menfchenhandel, welchen eben jet wieder fo viele
deutſche „Lanbesväter“, namentlich die von Hannover, Hefjen-Kafiel,
Ansbach, Zerbft, mit ihren gebuldigen Unterthanen betrieben, nicht nur
mit Worten an den Pranger ftellte, ſondern auch mit wirkſamer That
befämpfte. Er verweigerte im Jahre 1777 ben als Kanomenfutter nad)
Amerifa vertauften Truppen den Durchzug durch feine Staaten und er-
ſchwerte dadurch dieſen Menjchenhandel jo, daß das Geſchäft ing ſtocken
geriet, wie denn namentlich ein von England mit dem Herzog von
Würtemberg beabfihtigter Lieferungsvertrag mm, wegen ber Sperrung
des Rheins bei Wefel, nicht zu ftande kam. Friedrich that dies zumächft
freilich, um Deutſchlands Wehrkraft daheim zu behalten ımd weil er mit
der von England befämpften jungen Republit fympathifirte — er zuerit
von allen unbeteiligten Souveränen hat fie anerkannt, hat ihren Ge—
fandten Benjamin Franklin empfangen und mit ber Union einen Freund»
ſchafts· und Handelsvertrag voll freifinniger und humaner Grundfäße
geihloffen (10. September 1785) —; aber er befeindete jene Seelen-
verfäuferei Doch aud darum, weil fie eben fein Herz empörte. Auch
war es nod) in frifchem Angebenfen, wie nachdrücklich er in einem an-
dern Falle ſich der Bevöllerung eines deutſchen Kleinftantes wider fürft-
liche Willküur angenommen. Als kurz nach bem fiebenjährigen Kriege
der Herzog Karl von Würtemberg die Verfafiung feines Landes und
Die Gerechtſame der proteſtantiſchen Kirche in demfelben verlept hatte,
wurde er von den würtembergiichen Ständen vergebens bei bem Reichs-
bofrat in Wien verkllagt. Da wandten fie fih um Hilfe nad Berlin.
Sofort ließ Friedrich) dem Reichshofrat erklären, er fordere ein rafches
und unpartetifches Erkenntnis in der würtembergifchen Sache, und feinen
Gejandten in Stuttgart, den Grafen Schulenburg, wies er an, „wenn
der Herzog bei feinem Stück beharre, in hohem Tone zu ihm zu fprechen -
und ihm bie Zähne zu zeigen“ (Juli 1766). Dies half; ber Herzog
lenkte ein, vertrug fid) mit feinen Ständen und ftellte die würtem⸗
bergifche Verfafjung wieder her. Dann hatte die Rettung Baiernd ge:
zeigt, daß Friedrich jo gut die Fürftern wie das Volk in ihrem Rechte
zu ſchützen verftand. Kurz, gegenüber ber revolutionären Politik, die
Kaifer Joſef mit löblichem Reformeifer, aber ohne Friedrichs prattiſches
Genie, daher in überftürzender Haft verfolgte — „ein guter Kopf“,
426 Vonm Huberköburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Großen.
fagte Friedrich von ihm, „Schade, daß er immer den zweiten Schritt
thut, ehe er dem erften gethan Hat“ — gegenüber dem tumultuariſchen
Reformiren in Öfterreid), wo Joſef nad) feiner Mutter Tode (1780)
das unterfte zu oberft Tehrte, um im nu die zahliofen feudalen und
priefterlihen Mißbräuche auszurotten; gegenüber den Angriffen, die ber
Kaifer, um das Kaifertum zu ftärken, gerade nur auf die wehrlofen
Reichsglieder verſuchte — mußte Friedrichs freifinnige und kühne, aber
zugleich befonnene und gerechte Art den Deutfchen im beften Lichte einer
echt konſervativen Politik erfcheinen.
So erlebte man es, daß der Friedensbrecher von 1740, der Gründer
einer Großmacht, für welche die Feſſel des Reichsverbandes nicht mehr
vorhanden war, vierzig Jahre Darauf Die Aufgabe erhielt, das alte deutſche
Reich gegen den Kaifer zu vertreten. Es war dies eine natürliche Folge
von ber Nebenbuhlerſchaft der beiden deutſchen Großſtaaten und von ber
Politik Joſefs II, Vergrößerung auf Koften des Reichs zu fuchen.
Der Kaifer feinerfeits, durch den Fehlſchlag von 1779 belehrt, nicht
abgefhredt, ging mın gefchicter zu Werke, er gewann Rußland für
feine Pläne in Deutſchland, indem er Katharinas II. Anfchläge auf das
türfifche Reid) zu unterftüßen verſprach. Friedrich war wieder vereinzelt;
um jo eifriger fuchte er eine Stüße der preußifchen Macht in Deutfch-
land ſelbſt herzuftellen; er arbeitete an einer Union der deutſchen Fürften,
deren Haupt Preußen fein follte. Dod) bedurfte es eines fehr dringenden
Anlafjes, um den fhläfrigen Gang der Meinftantlichen Diplomatie in
den Zug und nad; ber Richtung zu bringen, die Friedrich verlangte.
Im Januar 1785 trat ein öſterreichiſcher Plan ans Licht, der die Klein-
ftaaten mit Entjeßen erfüllte und fo fein angelegt war, daß er ſchien
gelingen zu müſſen. Joſef II. machte nämlich dem Kurfürften Karl
Theodor von Baiern den Vorſchlag eines Ländertawfches; er follte
Baiern an Oſterreich abtreten und dagegen bie .öfterreichif—hen Nieder-
lande mit dem glänzenden Titel eines Königs von Burgund erhalten.
Rußland unterftügte den Vorſchlag, Frankreich trat demfelben wenigſtens
nicht entgegen; Karl Theodor, prunkfüchtig und eitel, übrigens ohne
rechtmäßige Leibeserben und baher nur um die Verforgung feiner Baftarbe
befümmert, war dazu bereit; kurz Baiern wurde jetzt doch noch eine
+ öfterreichifche Provinz, wofern nicht Preußen wiederum dazwiſchen trat.
BVerzweiflungsvoll meldete der Herzog Karl von Pfalz-Zweibrüden dieſe
neue Gefahr nad) Berlin: „Eure Majeſtät“, ſchrieb er an Friedrich den
Großen, „find allein im Stande, die umfafjenden Entwürfe eines Fürften
aufzuhalten, deſſen verzehrender Ehrgeiz und Habgier mit feiner Macht
zunimmt. Ihre Großmut und erhabene Weisheit geben Ihnen den
Willen, Ihre Macht die Mittel dazu. Achtungsvoll und dringend flehe
id) Sie an, bie Vernichtung eines Fürftenhaufes abzuwenden, das Eure
Zweite Rettung Baierns. 427
Majeſtät ſchon einmal fo großmütig gerettet haben." Friedrich war
hurtig genug mit der Hilfe bei der Hand. Diefe ſchöne Gelegenheit,
im Bunde mit allen landesfürftlichen Sympathien, die ſich durch Ofter:
reichs Gewaltfchritte ſchwer verlegt fühlten, im Bunde zugleich mit der
Voltsftimmung, welche über das ſchnöde Verhandeln von Land und
Leuten empört war, im Intereſſe endlich des europäifchen Gleichgewichts,
das dur einen ſolchen Zuwachs ber öfterreichiichen Macht geftört
wurde, aljo mit ben beften Rechtstiteln die Hegemonie in Deutjchland
zu übernehmen — diefe Gelegenheit ließ er fich nicht entichlüpfen. Er
ſchickte fofort einen energiſchen Proteft gegen den beabfichtigten Länder
tauſch nach Wien, nötigte dadurd) den Kaifer und den Kurfürften, den
Tauſchplan abzuleugnen, was fie ungefchiet genug thaten, und betrieb
troß feiner 73 Jahre mit jugendlichem Feuer den Abſchluß eines „deut⸗
{hen Fürftenbundes“ zur Verteidigung ber beutfchen Reichs- und
Rechtsverhältniffe. Die erſchreckten Mittel- und Kleinftaaten gingen
gern darauf ein. Am 23. Juli 1785 erfolgte zu Berlin die Unterzeich-
mung dieſer neu geftifteten Union, bie, nad) Art der ſchmalkaldiſchen
eingerichtet, mur den Zwed hatte, ihre Mitglieder gegen wilffürliche
Beichlüffe des Reichsoberhauptes zu fichern. Außer Preußen, dem
Haupte diefes Vereins, nahmen teil: Hannover, Sachen, Kurmainz,
Weimar, Gotha, Zweibrüden, Braunſchweig, Baden, Heffen-Kaflel, An-
halt, Ansbach und einige andere Kleinftanten; namentlich die wehrlofen
Heinften drängten ſich fcharenweife unter Preußens Ägide. Eine wirf-
liche Verbefferung der Reichsverhältniffe, eine Heilung der deutſchen
Zerriffenheit wurde mit diefem Fürftenbunde weder beabfichtigt noch her-
beigeführt; aber ben Zweck, ben Friedrich Damit verfolgte, Hat er vollftändig
erreicht: Oſterreich mußte abermals feine Pläne auf Batern fahren laffen;
mit Joſefs Übergriffen in Deutſchland war es vorbei, und Preußen
ftand da im Glorienfchein eines Horts der deutjchen Reichsverfaffung,
weldje die Nation damals, fo fonderbar es uns heute ſcheinen mag, als
ein der Erhaltung wertes Gut betrachtete. Allerdings war jene Der-
faſſung troß ihrer Erbärmlicjfeit doch das einzige politifche Band, weldyes
die beutjchen Völker noch einigermaßen zufammenhielt. Infofern machte
fich Friedrich durch die Stiftung des deutſchen Fürftenbundes in der That
um Deutfjland verdient. Es war das lehte politifche Werk in feinem
ruhmvollen Regentenleben.
So ſchloß durch eine ſeltſame Fügung die Politik, die im Verkehr
der Völker immer die Madjt über das Recht geſetzt, die jo viel Alt-
hergebrachtes über den Haufen geworfen, mit einer Konfervirung des Alt-
beftehenden, deren Motiv wie Rechtsgefühl ausjah. Doch verdient ber
Retter Baierns, der Stifter des Fürftenbundes ebenfowenig das Lob der
Moraliften, wie der Eroberer Schlefiens und Weſtpreußens ihren Tadel.
428 Bom hubertsburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des rohen.
Denn dieſe urteilen nad) einem Geſetzbuch, welches, wenn es für Die
Staaten gelten follte, der natürlichen Entwidelung der Dinge Gewalt
anthäte. Aber die oberfte Pflicht der Könige ift ihre Pflicht gegen ben
eigenen Staat, und Preußen mußte wachſen um zu leben. Wenn ſein
Wachstum heute dieſen beſchädigte, morgen jenem aufhalf, jo kann man
das eine bedauern, ſich über das andere freuen, aber man wird von
dem Urheber —* Wachstums nur ſagen dürfen, er habe in beiden
Fällen feine Pflicht gethan. Es ift wahr, Friedrich handelte gegen aus⸗
wärtige Mächte ohne Achtung vor Verträgen und ohne Berüdfichtigung
ihrer Wohlfahrt, er beraubte Öfterreich, zerftückelte Polen, täufchte Frank»
rei, er demütigte und verlegte halb Europa, er war in ber That ein
böfer Nachbar; aber er war es nur darum, weil er mit mehr Klugheit
und Kraft jene Interefienpolitif trieb, die jeder andere Staat aud) vers
folgte oder doch anftatt einer dynaſtiſchen hätte verfolgen ſollen. Er
that, was fach und zeitgemäß, was für Preußen damals nötig und
nützlich war — er regierte fein politiſch unreifes Vol nicht wie ein Ton-
ftitutioneller König von England, fondern als ein aufgeflärter und wohl
meinender Despot, und hantirte Die fremden Mächte nicht wie ein Zurift,
fondern als Schöpfer eines Großſtaats. So erwarb er fich den dauern⸗
den Dank feines Volles, welcher den einzig richtigen Maßſtab für die
Güte eines Regenten giebt. Nur wer Friedrichs Zwecke nicht billigt, oder
leugnet, daß er dieſe erreichen mußte und auf feinem anderen Wege er-
reihen konnte, nur der wird Friedrichs Politik als gewaltthätig, willkür⸗
lic) und gewiffenlos verdammen; die gerechte Gejchichte urteilt über Friedrich
den Großen mit Jean Paul: „Es ift leichter, ein großer als ein recht⸗
ſchaffener König zu fein“, und febt Hinzu: „er war beides." Es ift
leichter, bewundert als gerechtfertigt zu werden; ihm ift beides zu teil
geworden.
Eriedrichs Des Grotzen Ende.
Die große Königsfonne ging nun zur Ruhe, das Leben glänzte und
funtelte nicht „mehr in Sansſouci; einer nach dem andern waren bie
alten Freunde dahin gefterben, und die wenigen Genofien ber Jugend
waren altersſchwach und ftumpf geworden; aber die Sorgen blieben.
Friedrich felbit bereiteten allerlei Krankheitsfälle vor, das abgetragene
Futteral feiner Seele, wie er ſich ausdrückte, zu verlafien. Seit er feine
Vorderzähne verloren, hatte er auch die treue Flöte fortlegen müflen.
Die heiteren Späße feiner Franzoſen waren verhallt. Er kam aud) von
feiner Bewunderung des franzöfiichen Weſens zurüd: „Ich will feine
Franzoſen mehr", ſchrieb er 1777, „fie find gar zu liederlich und machen
Fuedrichs des Großen Ende. 429
lauter liederliche Sachen.“ Eigentlich hatte er Die Franzoſen im allges
meinen nie fehr gern gehabt; nur die einzelnen glänzenden Köpfe unter
ihnen waren ihm wert gewejen; aber jeßt fehlten auch diefe. Freudlos
und düfter ging's zuleßt an feinem Hofe her. Der forgenvolle, grämliche
König, nur in feiner Arbeit lebend, ſuchte und fpendete fein Vergnügen;
er bieß in feiner eigenen Familie nur der „alte Sauertopf‘. Nur hin
und wieber ergößte ihn ein intereffanter Befuch, 3. B. Mirabeau's (am
25. Januar 1786). Seine Hunde waren nod) feine einzige Freude; fein
altes Herz hing an ihnen mit einer Bärtlichfett, Die es für keinen Men⸗
chen mehr empfand.
Aber dieſer alte, abgelebte und einſame Menſch verrichtete feine
Königsarbeit fort und fort mit derſelben Pflichttreue und dem nämlichen
Aufwande von Geift und Kraft, wie in den Tagen feiner Jugend. Als
ihm im Jahre 1782 die Gicht feine rechte Hand unbrauchbar machte, da
lernte ber fiebzigiährige Greis noch mit der linken leſerlich fchreiben.
Die Schwächen des Alters, die Gebredhen des Leibes bezwangen ihm
den großen Willen niemals. „Ein König von Preußen”, ſprach er,
„barf nicht ſchlafen.“ Er kannte wohl diefe feltene Monarchie. Sie
war fein Staat, ben gleichfam bie Ratur hatte erwachſen laſſen, „ſon⸗
dern eine äußerft fünftliche und fehr zufammengefeßte, auf tiefe Berech-
nung gegründete Mafchine, in der alle Teile genau in einander griffen,
für welche ber Fürft zugleich Schöpfer, Trieblraft und immer wacher
Auffeher war.
Da faß der alte Meifter, der wundervolle Mann des Krieges, wie
ihn der große Pitt nannte, mm im viele Jahre langen Frieden in
jeinem Sansſouci und rechnete von früh bis fpät und ſah nad), daß bie
Zähne des Künftlichen, vielfach abgeftumpften Räderwerks volllommen in
einander griffen,- daß die Reibung nicht zu ſtark würde, oder wohl gar
die Zapfen aus ben Löchern wichen; immer half er Stodungen nad),
änderte aber im Wefentlichen nichts, dem er würde das Ganze ver-
nichtet haben, das noch Dauer verſprach, ſondern fuchte nur noch die
Bewegung zu erleichtern und zu befchleunigen, ohne doch bie Federkraft
zu erhöhen, bemm dieſe war fehon auf das Außerfte geipannt. Er war's
jelbft. Aber ſchon ein Blick des alten Zauberers, eine ftrenge Formel
beflügelte alle und fpornte zur äußerften Anftrengung. Da ſaß er bis
zuleßt, fein immer waches, durch die Nacht dringendes Auge abwechſelnd
um ſich her werfend und auf die Mafchine heftend, ohme ber Liebe Freu⸗
den, ohne des Glaubens Tröftungen, ohne der Hoffnung Süßigkeit zu
bedürfen, wie ein Gott, und ſchoͤpfte den Urquell feiner Thatkraft aus
fi, zur unabwendbaren Erfüllung feiner Pflicht, ‚der Erhaltung der all-
gemeinen Ordnung und des Rechts für alle, vom Könige bis zum Bauer,
und zum Schuße der Unterdrücten gegen ihre Dränger, eins der größten
430 Vom HubertSburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Großen.
Wunder der Welt, welches den Sterblichen erfchienen, um ihnen zu zeigen,
was die Allmacht des göttlichen Schöpfers vermag, und die Bruft mit
Glauben und Demut zu erfüllen.“ *)
Auch vergötterte ihn fein Voll. Fremde, die nad) Berlin kamen,
3. B. Georg Forfter, konnten es nicht begreifen, daß hier „alles bis auf
die gefcheiteften, einfichtspollften Leute den König wie närrifd) anbetete“,
und Wieland in Weimar meinte: „Friedrich ift ein großer Mann, aber
vor dem Glüd unter feinem Stock zu leben bemahre uns der Himmel!“
Und allerdings war ber preußifche Staat eine Despotie, wenn aud) die
befte. Aber die anderen deutſchen und feftländifhen Monarchien waren
allefamt eben auch Despotien und Teineswegs die. beften. Und went
man aus ben fchönen Worten, die Friedrich kurz vor feinem Tobe
ſprach: „Ich bin es müde, über SHaven zu herrſchen“, eine Anklage
gegen ihn felbft hat machen wollen, jo war das eine große Ungerech-⸗
tigfeit. Friedrich hat den Sklavenſinn, der in dem deutſchen Unterthan
ſteckte, wicht gefchaffen, er fand ihn vor als einen Grundpfeiler bes ab»
ſoluten Staates; hätte er den Staat umftürzen und mit einem unmln-
digen Volle die Gewalt teilen follen, die niemand fo gut zu gebrauchen
verftand wie er? Ein fo thörichter Gedanke lag ebenjo wenig in den
Bedürfniffen der Zeit, die vielmehr einen aufgeflärten und edlen Despo-
tismus verlangte, wie in den Neigungen des Philofophen von Sansfouci.
Aber indem Friedrich die Unwiffenheit und die Vorteile befämpfte, die
Köpfe aufklärte und die Geifter regfamer machte, hat er das feinige dazu
gethan, die Dummheit der Völker zu brechen, welche bie ftärffte Stüße
ihrer Knechiſchaft ift. Der Inſtintt des Volles felbft, das den alten
Fritz mit feinem Krückſtock zu feiner Lieblingsfigur gemacht Hat, irrt
might.
Ein Augenzeuge*"), der (am 21. Mai 1785) in Berlin den König
ſah, erzählt: „Der König fam von einer Revue durch das Hallefcje-Thor.
Er ritt auf einem großen, weißen Pferde. Er trug bie einfache, blaue
Montirung mit roten Aufichlägen, Kragen und goldenem Achſelband,
alt und beftaubt, die gelbe Wefte voll Tabak; dazu hatte er ſchwarze
*) Stengel a. a. 0.1.5. Einleitung.) — Anders betrachteten freilich manche preukiiche
Geiſtliche ihren König. „Sriebrid) II. ift zur Höfe gefahren" — fo follen gar 1786 zwei
fettiner Prebiger von der Kanzel herab den Tob des Landesvoters berfünbet Haben.(?) (Mira-
beau de la monarchie Prussienne sous Fröd6rie le Grand, Londres 1788, 1. 238). —
Dagegen gab eb ah foldje, welde die Ehrfurcht dor ihm bis zur Wlaßphemie trieben:
WS Feiebrich der Große einft in Potsdam bei dem Kinde eines Dffiiers Pate ftand (ev
Abit Viſchof Cplert), ſprach der Geiftliche bie Taufformel fo: „id taufe did) im Ramen
Friedrihs des Großen." „Sei Er kein Rare!” herrſchte diefer ihn an, „laufe Er, wie
Seines Amtes IR!"
v. d. Manih, Nachlaß 1. 18 ff.
Urteile über Friedrich ben Großen. 431
Sammethofen an und einen alten dreiedigen Montirungshut auf, mit
der Spige nad) vorn. Hinter ihm waren eine Menge Generale, dann
die Abjutanten, enblic) die Reitknechte. Das ganze Rondeel (jet Belle:
Aliance-Plat) und die Wilhelmstraße waren gedrückt voll von Menfchen,
alle Fenfter voll, alle Häupter entblößt, überall das tieffte Schweigen
und auf allen Geſichtern ein Ausdrud von Ehrfurcht und Vertrauen, wie
zu dem gerechten Lenker aller Schickſale. Der König ritt ganz allein
born und grüßte, indem er fortwährend den Hut abnahm. Er beobach-
tete dabei eine jehr merkwürdige Stufenfolge, je nachdem die aus den
Venftern ſich verneigenden Zuſchauer es zu verdienen ſchienen. Durch)
das ehrfurchtsvolle Schweigen tönte mır der Hufſchlag der Pferde und
das Gefchrei der berliner Gaffenjungen, die vor ihm hertanzten, jauchzten,
die Hüte in die Luft warfen oder neben ihm berfprangen und ihm ben
Staub von den Stiefeln abwiſchten. Bei dem Palais ber Prinzeffin
Amalie (die er zu beſuchen kam) war die Menge noch dichter, der Vor⸗
hof gebrängt voll, doch in der Mitte, ohne Anweſenheit irgend einer
BVolizei, geräumiger Pla für ihn und feine Begleiter. Er Ienkte in ben
Hof hinein, die Flügelthüren gingen auf, und die alte, lahme Prinzeffin,
auf zwei Damen geftüßt, bie Dberhofmeifterin Hinter ihr, wankte bie
flachen Stiegen herab ihm entgegen. Sowie er fie gewahr wurbe, ſetzte
er ſich in Galopp, hielt, fprang raſch vom Pferde, zog den Hut, um⸗
armte fie, bot ihr den Arm und führte fie die Treppe hinauf. Die Flüs
gelthüren gingen zu, alles war verſchwunden, und noch ftand bie Menge
entblößten Hanptes, fehweigend, alle Augen auf den Fleck gerichtet, wo
er verſchwunden war, und es bauerte eine Weile, bis ein jeder fich ſam⸗
melte und ruhig feines Weges ging. Und doch war nichts gejchehen:
feine Pracht, fein Feuerwerk, Feine Kanonenſchüſſe, feine Trommeln und
Pfeifen, feine Muſik, Fein vorangegangenes Ereignis. Nein, nur ein
dreiundfiebzigjähriger Mann, ſchlecht gekleidet, ftaubbebect, kehrte von
feinem mühſamen Tagewerf zurüd. Aber jedermann wußte, daß biefer
Ate auch für ihn arbeite, daß er fein ganzes Leben an dieſe Arbeit ge⸗
jet und fie feit 45 Jahren noch nicht einen einzigen Tag verfäumt
hatte. Jedermann ſah auch die Früchte feiner Arbeiten, nah und
fern, rund um fid) her, und wenn man auf ihn blidte, jo regten ſich
Ehrfurcht, Bewunderung, Stolz, Vertrauen, kurz alle edleren Gefühle des
Menſchen.“
Dieſes treue Leben lief nun ab. Schon ſeit Jahren peinigte ihn
die Gicht, im Frühling 1786 bildete ſich bei ihm bie Waſſerſucht aus;
er Tomte nicht mehr liegen, mußte Tag und Nacht ſitzend auf dem Stuhl
zubringen, er litt unendlich), aber ohne Klage und ohne die Regierungs-
geihäfte im geringften zu unterbrechen. Die Kabinetsräte, bie ſonſt erſt
um 6 Uhr Morgens erſchienen, wurden jegt vielmehr ſchon um 4 Uhr
432 Bom Hubertsburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Grohen.
gerufen. „Mein Zuftand“, fagte er ihnen, „nötigt mich, Ihnen bieje
Mühe zu machen, die für Sie nicht lange dauern wirb. Mein Leben
ift auf der Neige; die Zeit, Die ich noch habe, muß ic) benußen; fie ger
hört nicht mir, fondern dem Staate." Noch am 15. Auguft, der Krant-
beit faft ſchon erlegen, beforgte er feine Regierungsgeihäfte; am folgen-
den Tage fehritt die Auflöfung näher; in ber Nacht darauf, 2 Uhr
- 20 Minuten früh, Donnerftag am 17. Auguft 1786 brad) fein Auge auf
immer.
Erſchütternd ging bie Trauerkunde vom Tode bes größten Fürften
durch die Welt. „Wann wird wieder ein jo großer König das Zepter
führen?“ fprad) der Feind, Fürft Kaunig in Wien. — Damals wurde
von den Aftronomen ein neuer Stern entdeckt; mit Begeifterung nahmen
ihn alle Akademien als „Friedrichs Ehre" in ihre Karten auf. Wenn
am Himmel ein Stern vergeht, fo glänzt fein Licht noch lange in bie
weiten Yernen; fo war e8 aud mit Friedrich. Er war längft tot, als
entlegene Völker ihn noch zu den Wundern der Erde rechneten. Im
Jahre 1787 reifte Göthe in Sizilien; aus Galtanifetta berichtet er:
„Wir mußten von Friedrich II. erzählen, umd die Theilnahme der Ein«
wohner an diefem großen König war fo Iebhaft, daß wir feinen Tod
verhehlten, um. wicht, durch eine ſo unſelige Nachricht unfern Wirthen ver-
haßt zu werben."
Friedrich Hatte gewünfcht, im Garten vom Sansſouci neben feinen
getreuen Hunden begraben zu werben; ber Nachfolger erfüllte jedoch biefen
Wunſch nicht, fondern ließ die Leiche in der Gruft Ber Garniſonkirche
zu Potsdam beiſetzen. Laufende eilten. von nah und. fern herbei, dem
großen Toten das Geleit zu geben. Die Gedärhtnisrede wurde im
ganzen Lande über bie Bibelſtelle 1. Chronica 18, 8 gehalten: „Ich habe
dir einen Ramen gemacht, wie die Großen auf Erden Ramen haben.“
Er felbft aber durfte in feinem Teſtamente von ſich jagen: „Seitbem ich
zur Führung ber öffentlichen Geſchäfte gelangt bin, habe ich mit allen
Kräften, welche die Natur mir verliehen hat, und’ nach Maßgabe meiner
geringen Ginfichten mic, beftrebt, ben Staat, weichen ich die Ehre gehabt
babe zu regieren, gluͤcklich und blühend zu madhen. Ich habe Geſede
und Gerechtigleit herrſchen laſſen; ich habe Ordnung und Pünktlichkeit
in die Finanzen und in die Armee jene Zucht gebracht, wodurch fie vor
allen übrigen Truppen Europas den Vorrang erhalten hat." &r hätte
hinzuſetzen Können: „ic, habe eine neue Kriegsfumft begrümbet, indem ich
zuerſt die Waffen dem Terrain anpaßte und den Kreis der großen Dpe-
rationen erweiterte, umd eine neue Politik, indem id) den Regenten für
den erften Diener des Staats erflärte." — Und was für ein Erbe Hinter-
ließ er! Aus einem Lande von faum 2200 Duadratmeilen und 2!/, Mil-
lionen Einwohnern war ein Staat von 3600 Duabratmeilen mit beinahe
Innere Zuftände Preußens unter Friedrich dem Großen. 433
6 Millionen Bewohnern geworden, aus einem Heere von 83.000 ein Heer
von 200000 Mann; es gab 800 neu angelegte Ortichaften; die Ein-
Tünfte waren von 7%, auf 22 Millionen Thaler*) gehoben und ber
Staatsſchatz mit 55**) Millionen Thaler gefüllt. Mehr als dies: Preußen
war aus einer Mittelmacht eine Großmacht geworben, und glänzendfter
Kriegsruhm, ftarfes Selbftbewußtfein, kräftige Nationalität — dieſe Er-
rungenfchaften waren Güter, die ihm nie mehr fonnten ganz verloren
gehen, weil aud) im Unglüc die Erinnermg art Friedrich den Großen
ein nie ruhender Sporn fein mußte, die erftiegenen Höhen der Ehre und
Macht wieder zu gewinnen. — „Meine letzten Wünſche“, fo ſchließt
Friedrichs Teftament, „in dem Augenblide, wo id) den legten Haud) von .
mir gebe, werben für die Glücfeligfeit meines Reiches fein. Möge es
ftetS mit Gerechtigfeit, Weisheit und Nachdruck regiert werden, möge e8
durch die Milde feiner Gefege der glüclicjite, möge es in Rückſicht auf
die Finanzen der am beiten verwaltete, möge es durch ein Heer, das nur
nad) Ehre und edlen Ruhme ftrebt, der am tapferften verteidigte Staat
fein! DO möge Preußen in höchſter Blüte bis an das Ende
der Zeiten dauern!" —
Innere Zufände Freußens unter Friedrich dem Großen.
In einem patriarchalifch regierten Staate nehmen die Unterthanen
raſch den Ton des Hofes an, am erften Die Bewohner der Hauptftabt,
und da in der Regel das Kleine und Schlechte leichter und angenehmer
nachzuahmen ift als das Gute und Große, jo kann man ſich nicht wun-
dern, wenn Friedrichs Einfluß auf die Weiſe feines Volks, zunächft der
Berliner, weniger heilfam wirkte, als er jelber e8 wünfchte. Die Ber-
liner waren von jeher aufgemecteren Geiftes als die anderen Preußen;
fie hatten eine Meinung für fi) und äußerten fie, wenn's ging; wes-
halb ſchon Friedrich Wilhelm I., der fein Räfonniren vertragen konnte,
zu fagen pflegte: „Die Berliner taugen nichts". Als mm Friebrid U.
ans Ruder kam mit feinem geiftvollen Weſen, feinem ungebundenen Wiß,
da wurde es bald Mode, im Denken und Urteilen, im Reben und
Schreiben das Kühne und Neue, Feine und Blendende dem ſchlicht
Berftänbigen und Rüchternen vorzuziehen. Die geſchmackloſen Scharteken
und feichten Abhandlungen, die noch in den vierziger Jahren erjchienen
waren, verſchwanden, aber fie madjten vielfach nur leichtfertigen Schriften
*) Nämlih 6Y, Million Grundfteuer, 515 Million von den Zöllen und ber Regie,
10 Willionen von den Domänen und Forſten.
*) Genau 55202003 Thaler. Riedel, der brandenburgijch / preußiſche Staatshaushalt
in den beiden Iegten Jahrhunderten, Berlin 1866, ©. 121.
Bierfon, preub. Geſchichte. 1. 2
434 Innere Zuftände Preußens unter Friedrich dem Großen.
Platz; an die Stelle der philiftröfen, aber ehrbaren Rede trat oft nichts
als ein ſchlüpfriger Witz, der auch die ehrwürdigſten Dinge in den Kot
308. Freche Spötter hielten ſich für Schöngeifter, urteilten keck über
alles und jedes ab. Eben dieſe Zügellofigfeit der Prefie veranlaßte den
König, fie durch Verordnung vom 14. April 1748 wieder zu beſchränken,
indem er den Druck anftöhiger Aufſätze und Schmähfchriften verbot; doch
handhabte er die Benfur fo milde, daß nur das Argſte fern gehalten
wurde. "
Die Anregung, die er dem Nationalgeifte gab, trug indes auch ge-
funde und eble Früchte. Es bildeten fic) -tüchtige Köpfe; es erfchienen
wertvolle gelehrte Arbeiten, namentlich, im Gebiete der vaterländiichen Ge—
ſchichte: Beckmann's märkiſche Hiftorien (1750), Dreyhaupt’s Beichreibung
des Saalfreifes, Lenz’, Hertzberg's, Gerden’s diplomatische Quellenſchriften,
Buchholtz' Geſchichte der Kurmark (1759), Pauli's preußifhe Geſchichte;
es erſchienen feit 1750 fogar äfthetifche Schriften: eine Fritifche Mufit-
zeitung, Die erfte in Preußen, eine Literaturzeitung von Ramler und
Sulzer, das erfte gute kritiſche Blatt diefer Art in Deutſchland.
Einen befonders wichtigen Abſchnitt in der Geſchichte des geiftigen
Lebens machte dann der fiebenjährige Krieg. Der Gejchmad für Lektüre
drang durch ihn erft tief in das Publikum. Namentlich der berliner
Bürger kümmerte fi) angelegentlicher als je um Zeitungen und Flug-
ſchriften; man wollte immer das Neuefte vom Kriegsſchäuplatz wiflen,
man intereffirte ſich für die öffentlichen Angelegenheiten ebenfo ſehr als
für die eigenen. Damals entftanden denn auch in Berlin die „politiſchen
Kannegießer, die im biefigen Luftgarten das Schickſal der Staaten und
Nationen im voraus entſchieden, Blut wie Waflerftröme vergoffen und
im Sande ungeheure Pläne, Lager und Entwürfe zu fehredlichen Be—
Tagerungen zeichneten." Indeſſen die Neugier weckte doch auch eine edle
Wißbegierde, und die Teilnahme an den wechſelvollen Schickſalen des
großen Königs pflanzte in das Volk den erften Keim zum Gtaatsbür-
gertum. Geſchichtliche, geographifche, politiihe Kenntniſſe ftiegen im
Wert, und der Buchhandel hob fid) ungemein. Die Luft zu leſen er-
hielt fi aud) als der merfwürdige Krieg beendet war; fie artete fogar
allmählich faft zur Sucht aus. Der Aufihwung, den die deutſche Lite-
ratur damals überhaupt nahm, förderte natürlich diefen Trieb. Belefen-
beit wurde in Kreifen ein Lob, wo man vordem nur von Dingen des
Haushalts geredet. Bald nahm auch das weibliche Gefchlecht daran teil;
es gab felbft eine Dichterin, die Schuhmacherfrau Anna Luife Karfy”),
die in Berlin nicht wenig Auffehen machte. Sogar Mägde und Bediente
fingen an zu leſen; allerorten entftanden Leihbibliotheken, die ſtark bes
*) Geboren 1722 auf dem Meierhof Hammer bei Schwiebus, geftorben 1791 in Berltn.
Literatur. 435
nußt wurden, fowie eine Unzahl von literariſchen Zeitjchriften und Leſe—
geiellihaften. Neben dem Guten und Schönen, was hieraus floß, zeigte
fich freilich) auch) manche üble Folge; es gab jetzt viel mehr Wiſſen im
Volle, aber dieſes Wiſſen war doch zum größten Zeil oberflählih und
unverbaut. .
Ein ähnlicher Umſchwung erfolgte im Schulmejen; man trieb nicht
mehr fo pebantifch und einfeitig die alten Sprachen, man führte neben
den toten auch die lebenden ein und neben den Sprachen die Realten;
aber ehe man bie rechte Mitte fand, verging doc) einige Zeit, und in-
zwiſchen brachte man es nur zu einer ungrünblichen Vielwiſſerei.
Im ganzen jedoch war der Fortſchritt fehr bedeutend. Viel trug
zur Klärung der Köpfe, zur Veredelung bes Geſchmacks die „allgemeine
deutſche Bibliothek“ bei, eine kritiſche Beitichrift, melde, feit 1765 in
Berlin von. dem Buchhänbler Nikolai herausgegeben, das Publikum über
gute und ſchlechte Erzeugnifle der deutfchen Literatur belehrte. Sie war
die Fortfegung der berühmten „Literaturbriefe”, die, in den Jahren 1759
bis 1765 bei Nikolai in Berlin herausgefommen, bier zuerft ein Fritifches
Tribunal errichteten. Der vorzüglichfte Mitarbeiter an denfelben war
anfangs Leſſing, der Schöpfer der wiflenfchaftlichen Kritik und der Er-
meuerer ber deutſchen Profa — in beiden Richtungen ein bahnbrechendes
Genie; durd) Anteilnahme an jener Zeitfhrift und durch öfteren, Tängeren
Aufenthalt in Berlin damals dem preußtfchen Kreife angehörig. Ehen
hier dichtete er auch fein Luftipiel „Minna von Barnhelm“, die ebelfte
poetiſche Frucht des fiebenjährigen Krieges, ein wahrhaftes National-
drama (1764). Berlin war nun einer ber Hauptbrennpunkte - aller
geiftigen, namentlich aber ber äfthetifch » literarifchen Beftrebungen; es
308 als große Stabt und als Hauptftabt bes gefeierteiften Königs eine
Menge fremder Talente an, die fich freilich auf die Länge bier felten
heimisch fühlten, weil e8 ihnen an Aufmunterung von oben fehlte. Die
deutſche Mufe ging unbelohnt und „ungeehrt von .des großen Friedrichs
Xhrone“, obwohl fie ihm doch nicht bloß in der baroden Geftalt ber
Karſch näher getreten war. Dafür wurde bie deutſche Mufe aber auch
keine Hoffe; fie bewahrte fich ihre eble Selbftändigkeit; an dem Heinen
Fürften, der ihr in Weimar einen freien, ſchoͤnen Si bereitete, fand fie
einen Fremd und Pfleger, der feine Bedeutung nicht fich, ſondern ihr
verdankte.
Es war doch ein ſehr anſehnliches Kontingent, das Preußen zu dem
Heere deutſcher Geiſter ſtellte, welches damals in der Wiſſenſchaft und in
der ſchönen Literatur ſo reiche Lorbeeren errang. Unter den ſechs Dichter⸗
fürſten, welche als die Heroen deutſcher Schriftverfafjung gelten, waren
zwei geborene Preußen: der erhabene Dichter der Oden und bes Meffias
Friedrich Gottlieb Klopftoc (geboren 1724 in Dueblinburg), der zuerft
98°
436 Innere Zuftände Preußens unter Fuiedrich dem Großen.
die drei Hauptelemente unſerer Geftttung, den deutſchen Geiſt, das chrift⸗
liche Gefühl und den antik-klaffiſchen Formenfinn zu einem ſchönen, har⸗
moniſchen Ganzen verſchmolz, und der Entdecker der reichſten Quellen
der Poeſie Johann Gottfried Herder (geboren 1744 zu Mohrungen in
Dftpreußen). Um bie Afthetit erwarb fh Johann Winckelmann
(geboren 1717 zu Stendal) als Erflärer ber antiken Schönheitsmufter
und Begründer der Kunftgeichichte kaum geringere Berdienfte. Dieſe
Männer blühten und wirkten freilich nicht in der Heimat. Eigentlich
preußiſche Dichter waren Ewald v. Kleift (geboren 1715 zu Zeblin in
Pommern) und Gleim, ber Sänger ber „Lieder eines preußifchen Gre—
nadiers“. Gleim (geb. 1719, geft. 1808) machte ſich auch als Mäcen
verdient; er bildete in Halberftadt ben Mittelpunkt eines poetiſchen
Freundſchaftsbundes, zu welchem auch Ramler in Berlin (ein gebomer
Kolberger) gehörte. Eigentümlich in feiner Art war der Humoriſtiker
Theodor v. Hippel aus Gerdauen in Oftpreußen. Würdig reiht fich
dieſen deutſchen Dichtern ein litauifher an, Chriſtian Donaleitis
(geboren 1714 zu Lasbinelen bei Gumbinnen, geftorben 1780 zu Tolle
mingtemen), der Dichter bes „Yahres“, des einzigen in litauiſcher Sprache
geichriebenen Kunftepos. — Bahlreicher als die Poeten waren in Preußen
die wiſſenſchaftlichen Größen: in ber Theologie Spalding in Berlin,
berühmt als lichtvoller Kanzelrebner, die Rationaliften Semler in Halle
und Zeller in Berlin, welche die Bibel in einer freifinnigen Weiſe er⸗
Härten und auf den Geift, auf die Sittenlehre des Chriftentums bag
Hauptgewicht legten; ferner jener geiftuole Myftiter Hamann (geboren
1730 zu Königsberg, geftorben 1788 zu Münfter), den man den Magus
des Rordens genammt hat; in der Rechtsgelehrſamkeit Cocceji, dann
Garmer und Sparez; in ber Anatomie Sieberlühn; in ber Chemie
Bott, Marggraf, v. Kleift, Roſe; in ber Mathematit Euler, Lambert,
Lagrange; in der Raturgeſchichte Reinhard Forſter, der Weltumfegler; in
‚ber Kriegskunft der König ſelbſt, Stille, Gaudi, Tempelhof, Struenſee;
in der Statiftik, Gefchichte und Topographie Büſching, Zimmermann,
Dohm; in der Pädagogik Heer, Meierotto, Rochow, der große hallefche
Philologe F. A. Wolf, und viele andere, deren Namen and Beftrebungen
man in Denina's „gelehrtem Preußen“) findet; endlich bie Philoſophen
Garne, Engel, der Philofoph für die Welt, und der Jude Mofes
Mendelsfohn, ben feine Glaubensgenofien als einen Reformator ihrer
Bildung feiern.
Aber unendlich größer als biefe in ihrer Art bedeutenden Männer
iſt der eine Preuße, auf. defien Schultern die ganze deutſche Philofophte
fteht und bem fie es vornehmlich zu danken hat, daß fie ber Forſchung
®) La Prusse litteraire sous Frederic II par Pabbé Denina, 8 T. Berlin 1790, 91.
Kant, 437
aller andern Nationen voraus ift: der Königsberger Immanuel Kant.
Er gehört aud) ganz und gar feinem Vaterlande an, in welchem er am
22. April 1724 geboren war; er fam kaum je über das Weichbild feiner
Vaterftadt hinaus, wo er auch (am 12. Februar 1804) ftarb. Die
Denter Englands und Frankreichs hatten es tn der Weltweisheit nicht
weiter als bis zum Zweifel gebracht; in Deutſchland war die Philoſophie
gar nur in methodiſchem Geſchwätz und in fpißfindiger Dialektik be-
ſchloſſen. Kant, feit 1750 Profefior in Königsberg, deckte das Ungründ-
liche und Unwifienfchaftliche in der beutfchen, das Unbefriedigende in der
auslãndiſchen Philofophie auf und reformirte die Erkenntnis. Denn
indem er die Denkkraft in allen ihren Gründen und Außerungen einer
ſcharfen und erjchöpfenden Prüfung unterwarf und an die Stelle einer
falſchen die wahre Logik fegte, ftellte.er den Boden feft, von dem aus
men beitimmte Erkenntniſſe finden könne: Sodann fonderte er in ber
Metaphufit ſcharf und genau Die Gebiete des Glaubens und des Wiſſens
von einander, womit er ber Theologie ebenfo fehr müßte wie der Philo-
ſophie, und-Iehrte aud) die anderen Wiſſenſchaften in echt wiſſenſchaftlicher
Weiſe behandeln, namentlich die Afthetit, die Moral, die Raturlehre.
Die Hauptwerle, in denen er feine kritiſche Philofophie veröffentlichte,
find die „Kritik der reinen Vernunft“ (1781), die „Kritik der
praftifchen Vernunft" und die „Kritik der Urteilsfraft” (1790). Es war
eine ungeheure Ummälzung, die Kant durch feine kühne und fichere
Methode: in. der gefamten Wiffenfchaft hervorbrachte. Sie war nicht
minder groß: und folgenreich als einft in der Naturkunde die That feines
Landsmannes Kopernikus.
Während die Wiſſenſchaften in Preußen ſchön erblühten, gedieh bie
Kunft nur langſam. Zwar Berlin, wie es der Mittelpunkt der Auf-
Bärung war, zeichnete ſich auch durch gar manches aus, was das Leben
ſchmuckt, beſonders durch viele ſchöne Werke der. bildenden Kunft, aber
bei weitem Die meiften derſelben rührten vom auständifchen Meiftern ber.
Die einzigen wahren Künſtler ımter den einheimtichen waren der Maler
Antoine Pesne, der 1757 ftarb, und der Kupferſtecher Daniel Chodo-
wiecky, ber „preußifche Hogarth“ (geb. 1726 zu Danzig, geft. 1801
zu Berlin). Beſſer ſtand es um die Zonkunft: Eine. ähnliche groß-
artige Erhebung wie in ber deutſchen Literatur fand Damals in ber
beutichen Muſik ftatt, und einer der bebeutendften Meifter diefer Kunft
wurde im Preußijchen geboren, fiedelte dann freilich ins Ausland über,
namlich Georg Friedrich; Händel (geboren am 23. Februar 1685 zu
Halle, geftorben. 1759 zu London), wie fein größerer Zeitgenoß Sebaftian
Bad, ein Schöpfer der erhabenften kirchlichen Tongedichte. Lehterer
wirkte eine zeitlang in Berlin, ebenſo wie Duanz. Berlin felbit durfte
fich eines anderen berühmten Komponiften rühmen, des königlichen Kapell-
438 Innere Buftände Preußens unter Friedrich dem Großen.
meifters Graun, der jeit 1742 hier feine anmutigen Opern fchrieb.
Zange haben diefe fanften, fehönen Graunfchen Melodien das berliner
Publikum entzüdt; es wußte fie beinahe auswendig; fie milderten ben
Sinn, läuterten den Geſchmack, fie drangen aud) tief ins Volk und wurden
„Gaſſenhauer“, was gewiß nicht das kleinſte Lob für fie if. 1754 führte
Graun in der Domkirche zum erften Male fein Meifterwerk, den „Tod
Jeſu“, auf. Er ftarb am 8. Auguft 1749. Neben ihm wirkten Benda
und Kirnberger, fpäter (ſeit 1776) der Königsberger Reihardt als
verbienftvolle Kapellmeifter und Komponiften. Der König felbft, der ein
fo eifriger Liebhaber der Mufit war und in den Konzerten bei Hofe oft
mitwirfte, gab diefer Kunft Würde und Anfehen; er hielt auch auf einen
reinen und edlen Geſchmack, auf Natur und Empfindung, wie e8 bem
befannt ift, daß feine Hauptftärfe auf der Flöte in den ſchmelzenden und
rührenden Adagios beruhte, die er meifterhaft und, wie Kenner ver-
ficherten, unübertrefflich vortrug. Seine Lieblinge waren die Werke von
Graum, Haſſe, Händel, Bad. Daß ein fo großer König die Muſik mit
folcher Vorliebe und Sachkenntnis behandelte, war der wirfjamfte Sporn
für bedeutende Virtuofen, im feine Dienfte zu treten; denn die Beſoldung
war bei Friedrichs Sparſamkeit nur gering. Dennod machten fi auch
ſehr gefuchte Tonkünftler eine Ehre daraus, ihm anzugehören, und feine
Kapelle und Oper war immer vortrefflich befeßt. Sängerinnen, wie bie
Aftroa und Mara, Sänger, wie Salimbeni und Porporino, bezauberten
damals das: berliner Publitum. „Kunftreifen” zum Nebenerwerb waren
unter der Würde diefer Künftler, jo jchledht fie auch im Vergleich zu ans
deren Höfen bezahlt wurden; Porporino wies eine ſolche Aufforderung,
als man fie ihm einmal machte, ftolz zurüd: „Meine Stimme gehört
mir Gott ımd dem Könige." Dies änderte fi) erft in den letzten
Jahren Friedrichs des Großen, als er vom Alter gehindert wurde, fi
thätig am der Muflt zu beteiligen; erft dann riß allmählich ein fchlech-
terer Gefchmad und eine weniger würdevolle Behandlung der Muſik ei.
Das Beifpiel des Hofes erweckte den Stun für mufilaliſche Unterhaltungen
auch im Publikum; es wurde in Berlin unter den vornehmen Leuten
Mode, fi) zu den Liebhaberkonzerten und mufſikaliſchen Afembleen, melde
ſeit 1740 von ben königlichen Tonkünftlern eingeführt waren, herbeizu⸗
drängen; 1749 entjtand bier ſogar eine „mufitübenbe Geſellſchaft“ von
Dffizieren, Edelleuten und Beamten, deren Biwed war, ſich durch Ausübung
der Tonkunſt gemeinfchaftlich zu vergmügen. Mit dem Aufſchwung ber
deutfchen Literatur kam auch das deutſche Schaufpiel empor, und wie Die
Tüchtigkeit der Darfteller und des Dargeftellten zunahm, fo wuchs bei
dem Publikum das Intereffe. Seit 1771 gab es zu Berlin eine bleibende
deutfche Bühne. Auch fonft drang die Kunft mehr und mehr ins Leben
der Menge ein; man fand Gefallen an jeder Art von Bierat; namentlich
Die Berliner. 439
die Gmaillemalerei fam in Mode; doch waren faft alle bildenden Künftler
nichts weiter als Handwerker, und was fie lieferten, war höchftens
Mittelgut.
Regelmäßige Straßen, ſchöne große Pläße, zahlreiche Prachtgebäude
machten die Hauptitadt Friedrichs des Großen zu einer der jchönften
. Städte in Europa; ber große Fremdenverkehr, die Zunahme ber ein-
heimifchen Bevölkerung und die Umwandlung in eine Fabrifftadt, die
damals ftattfand, erhoben fie faft fchon zum Range einer Weltjtadt.
Der Charakter der Bewohner hatte ſich ebenfo fehr verändert, aber nicht
zu feinem Vorteil. Berlin war die franzöfirtefte Stadt in Deutſchland.
An Stelle der bärenhaften, biederen altdeutſchen Sitten aus Friedrich
Wilhelms I. Zeit trat ein ſchimmernder ausländiicher Firnis, der eine
tiefe moraliſche Verderbnis umhüllte. Die heitere Lebensfreude, Die
feit 1740 einzog, artete raſch in üppige Genußſucht, die Aufklärung in
zügelloſe Treigeifterei aus, und die Ungründlichleit im Denken und Reben
ging Hand in Hand mit der Grundfaßlofigfeit im Handeln. Zuerſt ent»
arteten bie höheren Stände. Sie gaben fi) ganz der Augländerei hin,
die der Hof trieb. Wer nicht franzöfiich ſprechen oder radebrechen Konnte,
war nicht hoffähig, konnte fi bald auch in weniger vornehmen Kreifen
nicht fehen lafjen. Mit der Sprache äffte man die Denkart, die Moden
und Manieren, dann die after der Parifer nach; auch das Unfittlichite
galt als elegant, wenn es frangöfiich war. Nach umd nad) wirkte das
Beifpiel der Vornehmen auf die ©eringeren; immer allgemeiner ver«
drängten fremde Weijen die altväterijhe Art. Man wurde gemanbter
und beweglicher, aber auch leichtfertiger und feichter. Da es Mode war,
felbft das Ehrwürdigfte und Heiligfte zu bewigeln, jo verlor ſich die
religiöfe Gefinnung, und dann die Moralität. Man erlag um fo leichter
der Verſuchung, weil der äußere Wohlftand wuchs. Die materiellen
Mittel vermehrten ſich hier fogar im fiebenjährigen Kriege; während die
Provinzen ſchwer durch ihn litten, floß der Hauptſtadt gerade in biefer
Zeit viel Geld zu. Ein fehr beträchtlicher Teil der Kriegsbebürfnifie
ward aus Berlin bezogen; bier waren Die Werfftätten, die Fabriken in
raſtloſer Zhätigkeit, Uniformen, Wagen u. dgl. zu verfertigen; bier
wurden fortwährend Naturallieferungen und Wechſelgeſchäfte für das
Heer beforgt. Es bildete ſich ein zahlreicher Stand von Bankiers. Bes
fonders nahm Die Judenſchaft an Zahl und Wohlftand zu, ſehr wider den
Willen des Königs, der ihre Vermehrung vergebens durch allerlei be
ſchränkende Verordnungen zu hemmen bemüht war. Auch gar viele an-
bere Leute wurden ſchnell reich. Der leichte Gewinnft aber verführte zur
Üppigfeit, und nachdem man die Annehmlicjkeiten des Lurus kennen ge»
lernt, wollte man ihnen auch dann nicht entjagen, warn die Mittel ver-
fiegten. Die Genußſucht mit der Freigeifterei im Bunde erzeugte viel-
440 Innere Zuftände Preubens unter Friedrich dem Großen.
mehr einen Materialismus, der zur ftärfften Triebfeder alles Handelns
das Geld machte. Schwere Verbrechen kamen freilich nicht gerade häufig
vor; denn obwohl der König ZTodesurteile ſelten milderte, fo wurden
doc) bei einer Bevölkerung von mehr als fünf Millionen jährlid im
Durchſchnitt nur 14 Hinrichtungen vollftredt. Aber die fleineren Fehl-
tritte mehrten ſich auffallend; es wurde weniger gemordet als ehedem,
aber mehr betrogen.
Vielleicht die ſchlimmſte Veränderung trat im Familienleben ein.
-Zuerft "fand das weibliche Gefchlecht an dem modifchen Wejen in Klei-
dung und Lebensart Gefallen. Es vergeudete Zeit und Geld in Putz⸗
und Muſilſucht; ernfte Häuslichfeit, Arbeitfamfeit und jungfräuliche Zucht
kamen in Abnahme. Die Männer trieben andern Aufwand; fie fuchten
in Weinſchenken, welche mafienhaft entftanden, im Praſſen und Spielen
ihr Vergnügen. Verſchwendung umd' Unordentlichteit auf beiden Seiten;
fo wurden viele Ehen unglüdlid). Einen übeln Einfluß hatte in dieſer
Beziehung aud) das Junggefellenleben des Königs. Man glaubte, Tried-
rid) verachte die Ehe und das häusliche Glück, weil er don feiner &e-
mahlin getrennt lebte. Um fo mehr machte ſich in Berlin und ander-
wärts in Preußen jener Wachtſtubenton breit, der die Würde der Frauen
nicht kennt. Die große Leichtigfeit, Ehen zu feheiden und wieber zur
knüpfen, untergrub ebenfalls die Stellung der Hausfrau; bazu der Man«
gel an Gottesfurdt und die Zügellofigkeit im Denken: jo kam es, daß
die echten Pflichten ‘der Ehe ganz allgemein verlegt oder doch mißachtet
wurden. Verführung und Ehebruch waren an ber Tagesorbmmg. Es
war in jener Zeit, daß in Berlin die Mätrefien und Kebsweiber, bie
Cicisbeos ımd Galane entftanden, die man jonft hier faft nur dem Namen
nad) gefannt hatte. Außerdem mehrte ſich die Zahl der feilen Dirnen
in erſchrecklicher Menge und zwar hauptſächlich durch die Umwandlung
der Reſidenz in eine Fabrifftabt. Es ftellte fid) eine fehr zahlreiche Fabrik:
bepölferung ein, mit allem dem fittlichen und leiblichen Elend, welches
überall ihre Begleitung zu fein pflegt. Die Fabrifherren äußerten wohl
felber, fie könnten darum ihre Ware fo billig ftellen, weil die Arbeite-
rinnen nur einen fehr geringen Lohn erhielten, aber dabei beftänben, da
fie dag Fehlende abends reichlich als Dienerinnen der Wolluft ermürben.
Mit Trauer und Zom fahen die alten „Friedrich-Wilhelms⸗Männer“,
deren Reihen immer dünner wurden, wie die Zucht und Gitte der Väter
verſchwand, wie die Hebjagd nad) Geld und Genuß alles hinriß, wie
die Beifpiele- von Betrügereien und Deruntreuungen, von Schulden-
machen und Bankrotten, von Ausjchweifungen aller Art fid) rings um
fie von Jahr zu Jahr vermehrten. Die ebenfo große Bunahme der
Verfeinerung des Schönheitsfinnes und der Bequemlichkeit ſchien da-
gegen doc ein zweifelhafter Gewinn. Welch ein Unterjcjied ſchon im
Sittenverberbnis. 441
Außern gegen die gute alte Zeit! War man jonft zufrieden mit dem
wohlfeilen und gefunden bernauer, ruppiner ober Stadtbier und ergößte
fi, wenn es hoch kam, an einem guten Glaſe unverfätfchten Franten-
weins, Sekt, Pikardan oder Klaret, jo verlangte der verwöhnte Gaumen
jetzt nach Rheinwein, Champagner, Burgunder. Das Bier mußte den
ausländifchen Getränten weichen, es wurde ſchlecht, umb der gemeine
Mann griff daher lieber zum Branntwein, defien jhädlicher Genuß nun
immer mehr auffam. Aud) in den Wohnungen zeigte ſich der Lurus.
Es ward Bebürfnis, faft zu jeder Verrichtung befondere Orter im Haufe
zu haben; man verlangte immer bequemere, weitläufigere Wohnungen;
fie follten auch eleganter fein. Daburd) ftiegen die Mieten unverhäftnis-
mäßig; die Klagen über ihre Teuerung und über den Häuſerſchwindel
wurden ſchon damals laut. Selbſt in ben Zeiten der Dinge wurde ge—
neuert; jonft hatte man um 12 Uhr zu Mittag gegefien, jebt aß man
um 1, ja um 2 Uhr. Auch das alte, dauerhafte Hausgerät mußte
weichen; es madjte modernen Möbeln Platz, die alle zehn Jahre von
einer neuen Mode wieder verdrängt wurden. Bejonderen Anftoß er-
tegten den Anhängern des Alten die neuen Kleidertrachten. Dem Bei
fpiel des Hofes folgend erſchienen mın die vornehmen Frauen und
Mädchen in ungeheuren Reifröcken umb den anderen Erforderniffen der
pariſer Etitette. Rad) dem fiebenjährigen Kriege fand die fremde Tracht
ber Hofdamen und ber Schaufpielerinnen aber aud) int Bürgerftande
Rahahmung. Da jah man bie Berlinerinnen ‘mit entblößten Brüften,
in Inappen Korjetten, engen Schuhen, theatralifchen Friſuren, geſchminkt
und mit Scönheitpfläfterchen befebt. Ahnliche Veränderungen gingen
in dem: Aufzuge ber Männer vor. Statt der fteifen Böpfe trug man
nun nach Franzofenart große Harbentel, auf dem gepuderten Haupte ein
Heine dreieckiges, mit Trefien bejeßtes Hitchen, nad) Soldatenmanier
keck rechtshin ins Auge gedrücdt. Der Adel trug darauf eine weiße
Feder, der Bürgerftand eine ſchwarze. Der Rod war vom kurzer Taille,
mit langen Schößen, breiten Innen, großen Knöpfen und je nad) dem
Geſchmacke des Einzehten von: heller, heiterer Farbe, pfirfichblüten,
feuerrot, blau, gelb oder weiß, auch wohl beftidt und betreßt. Eine
toftbare parifer Wefte galt als unerläßlich für einen mobifch gefleideten
Mann; desgleicjen recht feine Leibwäſche; dazu ein Feiner Galanterie-
degen mit einer farbigen Schleife; feidenes Taſchentuch; in der Rechten
ein Wignonftöckhen mit Bernfteintnopf — fo fah eim berliner Stußer
jener Zeit aus.
Noch bis zum fiebenjährigen Kriege beitand in der Kleidung und
Lebensweiſe der Berliner ein ſcharfer Standesunterihied. Alle adligen
Märnmer trugen Degen und breiedige Hüte mit weißen Straußenfedern,
und namentlid) dieje Federn und bei Mastenfeften der roja Domino
442 Innere Zuftände Preußens unter Beiedrih dem Großen.
waren ausſchließliches Vorrecht des Adels. Durd) den Krieg aber änderte
fid) die pefuniäre Lage der verſchiedenen Stände jo.bedeutend, daß dies
auf ihre Lebensweife nicht ohne großen Einfluß bleiben fonnte. Dem
Kaufmann, Fabrikanten und Handwerker ftrömte ein reicher und fchneller
Erwerb zu, während der Sold des Beamten durch die Entwertung des
Bapiergeldes, in welchem berfelbe gezahlt wurde, und das Gut des Edel⸗
manns durch die Verheerung des Krieges fehr beträchtlichen Abbruch er
fitt. Die vornehmeren Klafjen mußten fi daher aufs äußerſte ein-
ſchränken; der Bürger dagegen machte großen Aufwand; und da Handel
und Wandel fid) nad) dem Frieden im ganzen noch viel mehr hoben, fo
behielt der wohlhabende Mittelftand feine Iururiöfere Lebensweiſe bei. Es
galt nun nicht mehr für unfdidlih, wenn ein Kaufmann oder Hand»
werfer ben Aufwand eines Gelehrten, Beamten ober Adligen trieb; viels
mehr fuchte ein jeder dem andern es im Luxus zuvorzuthun. Der Flitter-
ftaat, der Prunk überhaupt nahm überhand. Reichte das Geld nicht
bin, fo war Kredit da. Selbft das Gefinde erhöhte feine Anſprüche an
das Leben; es wurde ſchwer, im Äußern Herm umd Diener, Frau und
Magd zu unterfcheiden; und die Mittel zum Aufwand verjchafften ſich
die Kleinen auf ebenjo leihtfinnige Weiſe wie die Großen.
Da feufzten wohl manchmal die wenigen Anhänger des Alten, die
Zeitgenoſſen und Böglinge des ehrlichen, ſchlichten Friedrich Wilhelm,
über die Verberbtheit der neuen Generation. Die Söhne waren Stutzer,
Spieler, Säufer, Wollüftlinge und Windbeutel geworden, die Töchter
aber ſchlechte Hauswirtinnen und Modenärrinnen oder noch etwas Schlim⸗
mered. Der Schwarm don Fremden, die aus allen Himmelögegenden
bier zufammentamen, verwiſchte die nod) übrigen ſchwachen Grundzüge
des ehrwürbigen Charalters der alten Berliner, zumal durch die Ver-
heiratungen mit den Landestöchtern, wodurch ein Miſchmaſch in dem
Generationen entftand, der buntfchedig und luftig genug war”).
Auch Friedrich) der Große bemerkte mit Kummer, wie anders es jetzt
um feine Berliner ftand. Er hatte das Franzoſentum in Mode gebracht,
bis er den übeln Folgen zulegt felbft nicht mehr Einhalt thun konnte.
Er äußerte einmal in feinen alten Tagen: „er würde einen Finger drum
geben, wenn die Berliner wieder fo fittenrein würden, wie fie es unter
feinem Vater gewejen“, und mandmal, wenn er zur Karnevalszeit im
berliner Schloß am Fenſter ſtand und mißmütig die Geden und Mode⸗
närrinnen draußen beobachtete, oder wenn er troß aller Regie den Lurus
immer wachſen fah, jo hörte man ihn oft jagen: „Die Berliner taugen
nichts." Dasſelbe hatte ſchon Friedrich Wilhelm I. gejagt, aber aus
anderem Grunde, weil ihm die Berliner nicht willig genug zu pariren
*) König a. a. O. V. 2, 311.
Die Berliner, 443
ſchienen. Diefen Fehler wenigftens Hatte fein Sohn nicht zu rügen.
Die Berliner verehrten ihn ja faft wie ein göttliches Weſen. „Die
Preußen“, ſchrieb 1772 Lord Malmesbury von Berlin aus, „glauben in
ihrer Eitelfeit, ihre eigene Größe in der Größe ihres Monarchen zu er-
bliden. ‚Ihre Unwiflenheit und ihr Mangel an Grundfäßen erftict in
ihnen jeden Begriff von Freiheit, Selbjtgefühl und Oppofition."
Malmesbury beurteilt hier das ganze Volt nach der Hauptftadt;
was die Unterthänigeit anbetrifft, jo hat er Recht. Überall in preußi-
ſchen Landen gehorchte man dem Könige mit gleicher Unbedingtheit. Sonft
aber war in den Sitten und Gewohnheiten nicht allzuviel Übereinjtinmung.
Die Franzöfirung und die Gittenlofigfeit drangen befonders in ben ent
legenen Provinzen bei weitem nicht fo tief in das Volk, fie blieben mehr
in den vornehmeren Klafjen der Gefellichaft, im Kreiſe der Edelleute,
Beamten und Offiziere. Die lepteren bildeten unbeftritten den erften
Stand im Staate, der ja ein Militärftant war. Sie gehörten übrigens
dem Adel an und genofien ſchon darum große geſellſchaftliche Vorrechte,
die ihnen von ben Bürgerlichen in der Regel auch bereitwillig zugeftan-
den wurden. Denn noch war bie öffentliche Meinung in Deutichland
teineswegs fo aufgeflärt, daß man ben angebornen Reſpelt vor adligen
Namen und Titeln hätte abſchütteln Können. Der märkiſche und pom⸗
merſche Adel war freilich wenig begütert, fein Befiktum oft mur ber
Degen, aber man wußte, daß er ihn unter dem großen Könige mit Helden«
mut und Aufopferung geführt. Der Dffizierftand war daher in ber
eriten Zeit nad; dem fiebenjährigen Kriege beim Volle keineswegs un»
beliebt. Auch hielt der König ihn fcharf im Zaume; er duldete feine
Übergriffe. Ebenſo wenig ließ er im Heere die Berfahrenheit und Ver⸗
weichlihung aufkommen, die ihm an dem neuen Geſchlechte fo jehr miß-
fiel, und als gutes Mittel, die alte Tüchtigkeit wieberherzuftellen, erichien
ihm die Drefiur, durch die fein Vater ein fo brauchbares Heer geichaffen
hatte. Er ſah daher ftreng darauf, daß in Kleidung und Haltung der
Truppen, wie in ihren Bewegungen alles bis auf bie geringfte Kleinig«
feit genau vorichriftsmäßig war, und ba feinem ſcharfen Blicke bei den
jährlichen Mufterungen nichts entging, eine mangelhafte Leiftung einer
Truppe aber jofort an dem Befehlshaber durch ſchimpfliches Fortjagen
geahndet zu werben pflegte, jo war der Dienft mühjam genug. Fort
während wurde gepußt und ererziert, ererziert und gepußt; allerorten
Militär, — unter faum ſechs Millionen Menſchen beinahe eine Viertel»
million Soldaten; — da mußte freilich dem italientfhen Dichter Alfieri,
der 1770 Berlin befuchte, die Hauptftadt wie eine große Kajerne und
der ganze preußifche Staat wie eine ungeheure, ununterbrochene Wacht»
ftube vorkommen.
Vergleicht man die Berichte, welche fremde Beſucher damals über
444 Innere Zuftände Preußens unter Geiebrid) dem Großen.
den Charakter der Berliner entwarfen, fo ift es intereflant zu fehen, wie
jeder etwas anderes zu tadeln weiß. Dem Engländer mißfällt der Mangel
an Oppofition gegen die unumſchränkte Regierung, dem Ztaliener das
uniforme foldatiiche Weſen; Hamann, der fromme Schwärmer, nennt
Berlin, weil es voller Zreigeifterei, ein „Babel“; Georg Forfter fpricht
von der „Prafferei, faft Gefräßigfeit“ der Berliner (einer Untugend, die
man heute ihnen wohl ſchwerlich Schuld geben würde); in einem ftimmen
fie alle überein, daß die Sittenlofigkeit hier groß fei. Ohne Zweifel er-
ſchien fie noch weit größer, als fie wirflid) war, weil fie fid) fo breit
machen durfte, weil fein Friedrich Wilhehn feinen Stock fiber fie ſchwang.
Übrigens bejaßen die Berliner von · damols - auch manche gar löbliche
Eigenſchaft: man rühmte an ihnen die Geſchliffenheit, die Liebe zur Ge—
ſelligkeit, die Zreiheit im Umgange, ben fcharfen Blick auf die Gegen-
ftände, welche fie umgaben, und befonders den Hang zum Mitleiden und
zum Wohlthun. Es war: ein leichtfinniges, -feivoles Bollchen, aber gut=
berzig und nachſichtig gegen andere wie gegen ſich felbft, dulbfam gegen
Andersgläubige, aufgeklärt und milde und voll reger Baterlandsliebe ;
dabei rührig und voll Intereſſe für alles Bedeztende; nur mit Gauflern,
Bundermännern, Kraftgenies und Schwärmern durfte man ihm nicht
kommen; fie fanden hier felten ihre Redyumg; dazu war man in Berlin
ſchon zu kritifch, wenn auch font hier der Wahlſpruch galt: „Leben und
leben lafien“:
Einſichtsvolle Baterlandsfreunde Tonnten freilidy der übrigen Nation
nur Glüd dazu wünfchen, daß fie zwar wicht fo zivilifirt wie bie Hanpt-
ftadt, aber and) nicht fo.entartet war; daß fie fidh eim gutes Stüd bes
alten Eruftes, ber alten Ehrbarkeit bewahrt hatte; frz, daß die: Provinzen
troß des. allgenzeinen Prenßentums, : welches: fie: verband und weiches fich
cam beftimmteften. in der Verehrung bes Künigs ausdrückte, doch bei
weiten nicht in dem Berhäktniß zu Berlin ftanden, wie ehva Frankreich
zu Paris, und daher ihre guten Eigentümlicjleiten trotz bes Einfluffes
der. Refidenz im großen und: ganzen: feftzuhukten vermochten.
Sechſtes Bud.
Berfall der alten Ronardie,
Friedrich Wilhelm II.
Eriebrich der Große hinterließz feine Kinder. 8 folgte ihm daher auf
dem Throne fein Neffe Friedrich Wilhelm, der Sohn bes 1788 verftorbenen
Prinzen Auguft Wilhelm. Das war freilich fein Mann, der bie ſchwere
Rolle eines Königs von Preußen würbig hätte weiter fpielen können.
Friedrich Wilhelm Il. oder Wilhelm der Diele, wie das Volk ihn nannte,
war ein „jeelenguter" Mann, ein aufrichtiger Menfchenfreund, weichherzig
und wohlwollend; aud) eine ftattfiche Erſcheinung von ſechs Fuß Höhe;
aber diejes weiche Herz wurde allzuſehr won der Sinmlichteit beherricht,
und in biefem großen Körper wohnten ein mittelmäßiger Verſtand und
ein ſchwacher Gharafter. So fiel er, unfähig ſich felbft zu beherrichen,
früh Günftlingen in die Hände, bie das Edlere in ihm, Die großherzigen
Anregungen, denen feine Natur zugänglich war, einen gewifjen ritterlichen
@eift, der in ihm ftecte, irre führten. Und da das Alter — er war
bei feinem Regterungsantritt 42 Jahre alt (geboren am 25. September
1744) — fein Urteil nicht reifer gemacht hatte, fo blieb er aud) al
König ein Werkzeug ber Leute, welche die Schwächen biefes Gefühls-
menſchen zu nüpen wußten. Schon als Kronprinz war er Ausfchweifungen
mit bem anbern @efchlecht ergeben gemefen, und weber bie Ehe*), noch
die herzliche Zumeigung zu einer Jugendgeliebten, der ſchönen und gut⸗
) &x war zuerft verheiratet mit Eliſabeth von Braunſchweig; dann, nad) Trennung
diejer Ehe, mit Briberite Suife von Heflen-Darmftabt, bie ihm fünf Kinder, darunter den
Ahronfolger, gebar.
446 Friedrich Wilhelm II.
artigen Friderike Enke (Tochter eines Kammermufifus), hatte ihn von
diefem Fehler geheilt. Jetzt trat der Hang nad) ſolchem Genuß noch
ungefcheuter hervor; eine Gumftdame löfte die andere ab; nur das DVer-
hältnis zur Ente, die er zum Schein mit feinem Kammerdiener Rieß ver-
heiratet hatte und fpäter zur Gräfin Lichtenau erhob, blieb ein
dauerndes, weil es fi) auf wahre gegenfeitige Freundichaft gründete. Es
wäre gut für ihn gewefen, wenn dieſe Schwäche feine andere Folge ge—
habt hätte, als das Ärgernis, welches fie gab; denn einigermaßen ent-
ſchuldigten ihn die Sitten der Zeit, auch fah es in dieſer Beziehung da⸗
mals an anderen Höfen noch bei weitem ſchlimmer aus, und vor allem,
politifchen Einfluß gewährte er den rauen, bei denen er Berftreuung
fuchte, niemals. Aber dadurch wirkte dieſer Hang fehr ſchädlich, daß er
viel dazu beitrug, den König geiftig wie Teiblicy zu entnerven, ihn der
ernften Arbeit zu entfremben, ihn der Gegenwehr gegen bie Stimmungen
und Eingebimgen des Augenblids zu entwöhnen. Dazu gejellte ſich nun
eine andere Schwäche. Keinen lieberen Gefährten hat die Sinnlichkeit,
als den Moftizismus. So war es auch bei Friedrich Wilhelm. Das
Romantifche reizte ihn in jeder Geftalt; aber werm es ſich mit dem Re—
ligiöſen verquickte, jo war es für ihm unwiberftehlih. Hier war er für
ſchlaue Berechnung ein leichtes, bereites Opfer. Auch größere Geifter,
als er war, ließen fi) damals von jener Richtung der Zeit ergreifen, die
an den Wundern des Mesmerismus, an den Seltiamfeiten Caglioftros,
an ben Geheimlehren ber Breimaurerlogen Gefallen fand.
So kam es, daß während feine Sinne die Freude fuchten, fein Geiſt
umnebelt, fein Wille geleitet wurde von zwei Günftfingen, deren Ränke
nur um fo gefährlicher waren, weil fie fich in den Mantel der Frömmig⸗
keit hüllten. Der eine war ber Major. Rudolf v. Biſchoffswerder“),
ein Höfling von glattefter Form, aber dabei em feiwer Intrigant, ber
bie reizbare Phantafie und die romantifchen Anmwanblungen des Königs
mißbrauchte, um ihm durch die Vorfptegelungen übermenjchlicher Ber-
mögen zu imponiren. Geheimnisvoll, myftifch-feierlich trat er ihm in ben
Stunden entgegen, wo jener, vom Genuß ermübet, nach Höherem ver-
langte, und enthällte ihm bie Myfterien eines Drbens, befien übernatür-
liche Weisheit fo alt wie bie Pyramiden Ägyptens fei, des erhabenen
Ordens der Gold» und Roſenkreuzer. Dieſer Orden war eine Art
freimaureriſchet Brüderſchaft, die im Gegenſatz zu den freigeiftigen Jlu⸗
minaten in ber Kirche die Strenggläubigteit, im Stante den Abſolutismus
und die Legitimität verfocht. Jefuitiſch wie feine Zwede waren and)
feine Mittel, und das wirffamfte darunter war der Myftizismus. Diefes
) Geboren 1741 in Thüringen und aus färhflfem Dienſt 1778 in preubtſchen
getreten.
Günftlinge. 447
Mittel machte fi) Bifhoffswerder zu nuße, nachdem er, damals noch
Adjutant des Prinzen von Preußen, in den Orden eingetreten war und
dann (1781) Friedrich Wilhelm jelbft zum Eintritt bewogen hatte, Wie
er den Prinzen umgarnt hatte, fo wußte er ihn aud) als er König war,
in dem Nebe feftzuhalten. Auf feine Zauberbeſchwörung erjchienen die
Geifter, die Stimmen ber Luft, die Bilder im Spiegel, und befräftigten
das Wort des Meifters. Wenn dann der tolle Spuk verfchwand, fo
nahm der ſchlaue Menfchentenner wieder jene unergründliche Zurückhal⸗
tung an, bie den König längft hatte ahnen laſſen, daß er es hier mit
einem tiefen und großen Geifte zu thun habe. Gefichert wurde das jo
gewonnene Anfehn durch die Uneigennüßigteit, welche Bifchoffswerber zur
Schau trug; er vermied es, für fi) etwas zu erbitten ober fichtbar jene
Macht zu üben; e8 wurde ihm, was er wünſchte, von felbft zu teil. Er
verftand fid) eben auf Die Kunft, nichts zu fcheinen und viel zu fein.
Dabei unterftüßte ihn aufs beite der zweite Günftling bes Königs,
ber ©eheimrat Chriftoph Wöllmer oder, wie er mm hieß, v. Wöllner*).
Er war ein Menſch von noch größerer Gewandtheit und Schlauheit wie
Biſchoffswerder; geiftig begabter und kenntnisreicher, aber auch der durch⸗
triebenfte Heuchler und räntevolifte Selbftling. Von Haufe aus Theolog,
hatte er wie ein Chamäleon die verſchiedenften Masten getragen; erft
Hauslehrer und Reifehofmeifter eines jungen Ebelmanns v. Ihenplitz,
dann defien Schwager und nun, durd) feine vornehme Frau gefördert,
die Dorfpaftorei mit Staatswiſſenſchaften, bie Provinz mit Berlin ver-
tauſchend, Domänentat des Prinzen Heinrich, daneben eine zeitlang fen-
timentaler und aufgeflärter Schriftfteller; darauf Mitglied, bald Seele
des Rofenkreuzerordens, in welchem er mit Biichoffswerder und dem
Prinzen von Preußen vertraut wurde. Seht verlegte er fih auf die
Frömmeki; denn Friedrich Wilhelm fühlte das Bedürfnis, feine fleiſch⸗
lihen Sünden durch kirchliche Frommheit gut zu machen, unb hier bot
fi, für Wöllner die befte Handhabe, auf den Prinzen Einfluß zu ge:
winnen. Schon als Orbenshaupt war er dieſem ehrwärdig; es gelang
ihm, gleichſam deſſen geiftlicher Rat und Beichtvater zu werden. Nach
Friedrich Wilhelms Thronbeſteigung kam auch er mm zu Madit; er
wurde Töniglicher Zinanzrat, vermochte aber in der That, da er das Ohr
des Königs hatte, in allen Sachen oft mehr als die Minifter. Sein Biel
war leitender Minifter zu werben; und zwar nahm er für fich die Ein-
wirkung auf die innere Politit in Ausfiht, während Biſchoffswerder
mehr die äußere zu beeinfluffen ſuchte. Die beiden Günftlinge und
) Sohn eines Sandpfarrers, geboren 1732 zu Döberif bei Spandau. gl. über ihn:
Martin Philippfon, Geſchichte des preußiſchen Staatsweſens vom Tode Friedrichs bes
Großen bis zu den Breiheitstriegen I., Leipzig 1880, ©. 69 ff-
448 Friedrich Wilhelm IT.
Ordensbrüder arbeiteten einander getreulih in Die Hände, der eine als
Hoftheofoph, der andere als Hoftheolog, beide die Häupter eines Schwarms
von jelbftfüchtigen Hofichranzen und Dunkelmännern; das waren jeßt Die
Näte und Diener des preußiſchen Königtums.
Dennod empfing die gedanfenlofe Menge den neuen Herrſcher, wie
fie pflegt, mit Jubel; und der Anfang feiner Regierung ſchien ihr Recht
zu geben. Zriebri II. hatte die deutſche Sprache und Mufe gering ge
ſchätzt und unbillig die franzöftfche bevorzugt. Friedrich Wilhelm II.
ſchaffte hier erwünſchte Wandlung; er feßte bei Hofe und in der höheren
Gefellichaft das Deutfche wieder in fein Recht ein; die Höflinge, die fo
lange franzöfiſch parlirt, mußten num wieder der Mutteriprache die Ehre
geben. Er zeigte auch zu dem deutſchen Geſchmack das Vertrauen, das
bisher auf dem Throne gefehlt Hatte. Auf Antrag des Minifters
v. Heiniß ftellte er die feit langen Jahren eingegangene Akademie der
Künfte wieder her.
Noch allgemeiner merkbar war eine andere Beflerung bes Beftehen-
den, durch welche der neue König die öffentliche Gunft, die ihm entgegen
getragen wurde, zu verdienen fuchte. Friedrichs bes Großen Regiment
war in mancher Beziehung hart geweien; den Nachfolger trieb ſchon
feine Herzensgüte wohlzuthun. Er hob die verhaßte franzöftiche Regie
jamt dem Kaffee- und Tabalsmonopol auf, entließ die franzöftichen Zoll-
beamten und erfeßte fie durch Inländer. Auch einzelne andere Schroffe
heiten des herrſchenden Merkantilſyſtems wurden gemilbert, und der
Steuerdrud ein wenig erleichtert. Ebenſo fuchte man in den übrigen
Zweigen der Verwaltung zu beflern. Bisher hatte der König perjönlich
bie ganze Kriegsvermaltung geführt, jetzt wurde ein Kriegsbirektorium
geihaffen, defien Leitung der Herzog Karl von Braunſchweig (Reffe des
berühmten Prinzen Ferdinand) und der Feldmarſchall v. Möllendorf er-
hielten. Verordnungen erſchienen, welche das Werbeweien im Auslande
befier ordneten, gewaltfames Prefien von Refruten, fowie die rohe Ber
handlung der gemeinen Soldaten unterjagten.
Auch für das Erziehungsweien geſchah manches Gute. Unter Lei-
tung des alten Minifters v. Zeblik, der auf feinen eigenen Gütern wahre
Mufterfchulen eingerichtet hatte, wurde ein „Oberſchulkollegium“ aus
praftifchen Schulmänmern errichtet, welches in den gejamten öffentlicher
Unterricht mehr Plan und Zufammenhang bringen, namentlich aud) die
verſchiedenen Bildungsarten, die Haffifche für das Gelehrtentun, die reale
für den Bürgerftand, bie elementare für das niebere Volt Mlarer von
einander fondern und jebe nad) ihren Bedürfnifien behandeln ſollte
(Februar 1787). Ein anderes königliches Edikt (vom 9. Dftober 1787)
verfügte die Aufhebung des Jeſuitenordens und die Einziehung der lie-
genden Gründe besfelben und überwies die Einkünfte von biefen teils
Mirabeau über Preußen. 449
an die katholiſchen Schulen, teils an die Univerfitäten Halle und Frante
furt aD.
Aber alle dieſe Maßregeln berührten nur die Oberfläche bes übels.
Es handelte fid) um ganz anderes, es galt den Staat von Grund aus
neu zu geftalten.. Denn biefe Großmacht ‚Preußen: feßte, um fich zu
halten, einen Herrſcher voraus von- Friedrichs des Großen Gaben. Kein
Heinerer Beift Tomte den Mangel des Staats an natürlicher Kraft er-
ſetzen. Die alte Monarchie hatte fi in dem Augenblide
überlebt, da Friedrich geftorben war. Einſichtige Zeitgenoſſen,
wie Mirabeau, fragten mit Recht: .,Kann man hoffen, daß alle Nach—
folger Friedrichs fo umermüblich fein werben wie er, dak- fle jährlich,
gleich ihm, in allen Teilen des Staats Die Iufpeltionen vomehmen, daß
fie alle Berichte über jedes einzelne‘ Regiment leſen und prüfen, daß
weder her Einfluß eines Höflings, noch eines Freumbes, noch einer Ge»
liebten einen Augenblick das Intereſſe des Heeres überwiegen, ober nie
mals irgend eine Parteilichleit, Genuß .oder Iatrige auf die Leitung des
Ganzen. eimwirken werben?" „Wenn nach dem Tode dieſes Fürſten“, fo
hatte ein anderer frangöfifcher Schriftfteller prophezeit, „mern nad; Fried⸗
rich dem Großen, deffen Genie allein dieſes unvollkonnmene Gebände ers
Hält,. ein ſchwacher König ohne Zalent‘ folgt, fo wird man in wenigen
Jahren das preußiſche "Militär entarten amd. in. Verfall. geraten ſehen;
may. wird dieſe ephemere Macht in die Stellung zurückkehren ſehen, welche
ihre wirllichen Mittel ihr anweiſen, und. fie wird vielleicht einige Jahre
Ruhmes ſehr teuer ..bezahlen müfſen“) -Rım folgte in ‚ber That ein
ſchwacher König ohne Talent. Am fo mehr hätie der weile Rat Mira
beaus ‚befolgt werden. müffen: es follte ‚Die militärtfce. Sftavsrei ver-
ſchwinden, das: Mexkantilſyftem mit feinen nachteiligen Wirkungen beſei⸗
tigt, die feudale Scheidung der Stände gemildert, daS einſeitige Vorrecht
des Adels in bingerlichen umb militäriſchen Intern: aufgehoben, Privi⸗
legien und Monopole vernichtet, das ganze Syſtem der Beſteuerung oer-
änbert, dem Volke die Laſten abgenommen werden, bie. feine Brobultion
henunten, Verwaltung, Rechtspiltge und Schulweſen eine neue · Förderung
erhalten, die; Zenjur fallen, überhaupt dem alten Soldaten⸗ und Beamten⸗
ſtaat ein frijcher Autrieb politiſchen und geiſtigen Lebens mitgeteilt
werben."”*) Aher ſolche Stimmen verhallten unbeachtet; man wiegte fich
in Preußen in ſtolzer Selbſttäuſchung; man hielt ‚die alte Monarchie für
unübertrefflih, obwohl nur der alte Monarch es geweſen war; am
wenigften fühlte Friedrich Wilhelm II. den Beruf und die Kraft zu einer
jo großartigen Reform. Er beſaß nicht einmal die Energie, die ver-
*) Guibert, (Euvres militaires I. 90.
*®) Mirabeau, De la monarchie Prussienne I. 191. IV. 343 etc,
Rierfon, preub. Geſchichte. I. 2
450 Friedrich Wilhelm II.
einzelten Meinen Berbeflerungen, die er bei feiner Thronbefteigung vor-
nahm, wirfich durchzuführen; er fam aus ben Anläufen nicht heraus,
und da ſich denn bald zeigte, bak man ungeftraft an bem überlieferten
Staatsweſen Finzelnheiten nicht verändern fonnte, daß z. B. bie Ab-
ſchaffung der Regie und des Kaffee und Tabakmonopols einen Ausfall
in den Einnahmen herbeiführte, der von felbft ſich nicht bedte, fo griff
man zu neuen Künfteleien, bie faft ebenjo drückten und doch weniger
leifteten. Kurz, die Maßregeln der neuen Regierung waren nichts als
eine wohlmeinende Pfufcheret. Sie Ienfte aber bald in eine Bahn ein,
die gerabezu verderblich war.
Zu den ſchlimmſten Schäden des damaligen Lebens gehörten ohne
Zweifel die Srivolität des Meinens und die Verkommenheit des Glau-
bens; fie erzeugten nicht bloß Gleichgiltigkeit gegen alles Kirchliche und
freche Religionsfpötterei, fonbern auch jene Gottlofigteit im Handeln, bie
man unter dem neuen freigeiftigen Geſchlechte jo häufig wahrnahm. Die
umgezügelte Aufffärung hatte in der That zu einem „Aufkläricht“ geführt,
einem wibrigen Gemiſch von Flachheit und Gemeinplägen, vor weldem
ſchon 1769 dem ebelften Vertreter der wahren Aufflärung, Leffing, ein
Efel ankam, wenn er fah, wie unverſchämt jeder Windbeutel in Berlin
feine Sottifen gegen das Unverftandene wie gegen das Unverftändliche
der überlieferten Religionslehren vorbrachte. Cine Regierung, welche das
Bolt wieber zur alten Glaubenseinfalt und Frömmigkeit erzogen hätte,
würbe ſich ben Dank aller Urteilsfähigen erworben haben. Friedrich Wil-
helm II. ftrebte nad) biejem Verdienſte. Aber er meinte, durch bloße
Machtſprũche und polizeiliche Maßregeln herftellen zu Tönnen, was mır
durch weile Bucht und durch ein erbauliches Beifpiel zu erwirken war.
Am 3. Juli 1788 ernannte er Wöllner zum Minifter ber Zuftiz und der
geiftlichen Angelegenheiten. Beblig mußte fein Amt niederlegen, und am
9. Zuli erihien ein Religionsedikt, welches allen Geiftlichen und
Xehrern befahl, fofort zur alten Rechtgläubigfeit zurüczufehren und nur
die orthodore Kirchenlehre zu verkündigen. Es bezeichnete den Charakter
diefer Orthodorie, daß man daneben das Kirchengebet für den König
wieder in ben alten höfifchen Stil veränderte: der König wurde nun
Gott nicht mehr als befien Knecht, fondern als Se. Majeftät anempfohlen,
und bie Bitte, daß ihm Gott Königliche Gedanken, heilſame Ratſchläge
u. f. w. geben möge, wurbe fortgelafien. Die Hauptjache war, es wurde
die ftrengfte Überwachung der Pfarrer und Lehrer und die Zurückweiſung
aller Kandidaten angeorbnet, welche irgendwie von dem alten Lehrbegriff
abwichen. Während das Religiongebikt die Gewiſſen zu fetten beftimmt
war, follte das Benfuredift (vom 19. Dezember 1788) die Prefie
Inebeln; die Freiheit berfelben, foweit fie unter Friedrich dem Großen be=
ftanden, wurde aufgehoben, und Die Benfur Finſterlingen anvertraut,
Religionsebitt. — Benfur. 451
welche alle Schriften, wifjenfchaftliche wie populäre, in denen aud) mır
eine Spur don Freifinn zu finden war, mit gleicher Strenge umter-
drüdten. So gedachten Wöllner und feine Genofien der Aufklärung
Meifter zu werben.
Aber das Gute, was man beabfichtigte, wurde verfehlt und nur
neues Übel angerichtet. „Wer find“, fo fragte man fid) in den Kreifen
des Unglaubens, „wer find dieſe Leute, die ung Religion predigen und
felber jo gottlos leben? Ein König, der öffentlich Ehebruch treibt und
dann, nicht zufrieden mit feinen Mätreſſen, ſich noch ein Kebsweib zur
linken Hand antrauen läßt”); ein Gaufler Biſchoffswerder, ein Pharifäer
Wöllner — ſolche Menfchen wollen die Richter über die Sitten und den
Glauben fein? Es find Splitterrichter, heuchleriſche Frömmler und Mucker!“
Ein allgemeiner Unwille erhob ſich unter den Freigeiftern gegen Die kirch-
Tide Reaktion, und ftatt den Unglauben auszurotten, nötigte fie ihn nur,
fi, wo es nüßlich ſchien, in die Maske religiöfer Heuchelei zu hüllen.
Die Wirkungen des Benfurebitts waren nicht befier. Dem die
Schandblätter und Schmähſchriften, die man mit Recht fern halten wollte,
Tamen auf Ummwegen dod) unter das Bublitum; es las fie nur um fo bes
gieriger, weil fie verboten waren; und bie ernften, tüchtigen Werke, die
den großen Haufen weniger anzogen, hatten nun oft aud) noch mit einer
engherzigen und unverftändigen Zenſur zu kämpfen.
Übrigens wurde ber Minifter bei feinen Maßregeln wider die Preſſe
gar nicht felten von feinen eigenen Beamten im Stiche gelafien. So er-
ſchien einmal in Berlin eine Schrift, Die mit den Worten ſchloß: „Wehe
dem Lande, befien Minifter Eſel find!" Entrüſtet ließ Wöllner den
Henfor kommen; es war der Konfiftorialrat Cosmar. „Befehlen Euer
Ercellenz vielleicht“, verantwortete ſich dieſer, „baß ic) ftatt ‚Wehe dem
ande‘ hätte follen drucken laſſen: ‚Wohl dem Lande, befien Minifter
Eſel find‘?" Wöllner ſuchte ſich zu helfen, indem er ihm mißliebige
Bücher, welche die Benfur beftanden hatten, aus eigener Machtvollklommen⸗
heit verbot. Aber die Verleger reichten nun gegen den Benfor eine Klage
auf Schabenerjag ein, und das Urteil des Kammergerichts fiel zu Uns
gunften des Minifteriums aus.
Das Mißvergnügen über den Abfall des preußiichen Königtums
von der Sache der Aufflärung war namentlich in den höheren Ständen
*) Ein Fraulein Julie von Bob, im Mat 1787. Cie belam vom Könige den Titel
Gräfin von Ingenheim, ftarb aber jhon im März 1789. Ehefreu zur Tinten Hand wurde
dann (im April 1790) eine Gräfin Sophie v. Dönhoff; diefe gebar dem Könige zwei Kinder,
die ben Titel Graf und Gräfin v. Brandenburg erhielten. Da fie ſich in pofitifge Dinge
miſchte und dem Könige überhaupt Tätig wurde, fo veriwies er fie fhon 1792 wieder vom
Hofe. Vol. Neumundfecigig Jahre am preudiſchen Hofe. Mus den Erinnerungen ber Oben
Hofmelfterin Sophie Gräftn o. Bob. Leipzig 1876, ©. 124 ff.
29°
452 FZriedeich Wihhelm U.
groß; die Maſſe des Volkes hatte bald noch andere Gründe, mit dem
neuen Regenten unzufrieden zu ſein. Die Bürger klagten über neue und
ſchlechter verteilte Steuern an Stelle der wenigen, die abgeſchafft worden,
über die Fortdauer der Monopole, über die nutzloſe Vermehrung des
Adels, dem ber König bei feiner Thronbefteigung im Jahre 1786 eine
große Zahl neuer Mitglieder durch Ernennung zugefellt hatte. Die Bauer
Hagten, daß der Edelmann fie wieder überbürden und prügeln dürfe, und
daß die gefegliche Feftitellumg ihrer Hofdienfte, welche Friedrich der Große
eingeführt, aber nicht vollendet hatte, wieder in Verfall fomme. Die tüch-
tigen alten Beamten jahen mit Schmerz, wie die Regierung vom Staats»
gedanken abwidh, bie Amter nur nad) Gunft beſetzte und die wichtigften Ge-
ſchäfte vernadhläffigte oder falſch angriff. Je größer die Erwartungen ge-
wefen, mit denen das Publikum den neuen König empfangen — wie hatte
man ihn angefungen und beweihräuchert, Friedrich Wilhelm den „Viel⸗
geliebten — befto herber war nun bie Enttäuſchung; der BVielgeliebte
ward ein Vielgefhmähter, und diesmal hatte die öffentliche Stimme mehr
Recht. Wie erinnerte man ſich jet mit Reue daran, daß man an dem
Vorgänger fo manchmal und jo boshaft gefrittelt. Die jetzige Mikregie-
rung und beſonders Wöllners Geiftesdespotie in einem Kulturitant wie
Preußen ſetzte den Segen der fridericianifchen Dent-, Preß- und Rechts⸗
freiheit erft in volles Licht. Zwang im Gebiet des Glaubens und Meinen
bat immer am meiften empört. Jetzt fah man recht, was man verloren.
Mit gleichem Ungeſchick behandelte der König die auswärtige Politik. .
Es ſchien, als wenn hier die Überlieferungen Friedrichs bes Großen, be-
ſonders der Grundjaß, fi in feinen Bund oder Krieg einzulafien, bei
welchem nicht etwas Reelles zu gewinnen fei, fowie der Gegenſatz zu Ofter-
reich, in Kraft bleiben würden. Wirklich überließ Friedrich Wilhelm die
Leitung der auswärtigen Angelegenheiten anfangs dem alten Minifter
v. Hergberg, einem StaatSmanne aus Friedrichs Schule. Aber abge-
jehen davon, daß Hertzberg bei weitem nicht das praftifche Talent feines
großen Meifters befaß, fein Einfluß vermochte auf die Dauer wenig gegen
die Herrfchaft, welche die Kamarilla über den König ausübte. In einen
Staate wie Preußen kam eben alles auf die Perjönlichfeit des Fürften an.
Hertzbergs Lieblingsgedanke war, die glorreiche Rolle eines Schiebsrichters
der europätfchen Angelegenheiten und des Gleichgewichts, die Friedrich der
Große gejpielt hatte, dem Nachfolger zu erhalten, ja noch zu erhöhen.
Der erite Anlauf, den Die neue Regierung dazu nahm, fiel, wie es fchien,
ungemein glücklich aus.
In Holland lagen damals die alten Parteien der ariſtokratiſchen
Republitaner und der monarchiſchen Dranier wieder mit einander in er-
bittertem Streite; jene, durch die Erfolge der jungen norbameritanifchen
Republik zu neuer Freiheitsluft gereizt, ftrebten die Macht und das Recht
Feldgug nad Holland. 453
des Erbftatthalters zu verringern, diefe waren bemüht, fie vielmehr, nach
dem Wunſche ihres Hauptes, Wilhelms V., und beſonders feiner ſtolzen
und herrfehfüchtigen Gemahlin, einer Schwefter des Königs von Preußen,
noch über die gefeßlichen Grenzen zu erweitern. Die Dranier fuchten, wie
immer, bei England eine Stüge, die Gegner Iehnten ſich an Frankreich.
Die Parteiung, die das Land entzweite, ging im Mai 1787 von Demon-
ftrationen zu Gewaltthätigfeiten über und trieb einem Bürgerfriege zu.
Friedrich Wilhelm, von feiner Schwefter mit Bitten um Hilfe beftürmt,
war doch zuerft nicht geneigt, ſich mit Waffengewalt einzumifchen; er
fuchte zu vermitteln. Da unternahm die Prinzeffin- (im Juni 1787) eine
Reife mitten durch das aufgeregte Land, auf welcher fie an ber Grenze
der Provinz Holland von der Bürgerwache in ungeſchickter Weiſe ange-
halten und zur Umkehr genötigt wurde; dieſen unbebeutenden Vorfall
ftellte fie mm ihrem Bruber als eine ſchwere Beleidigung dar, und
Sriedrich Wilhelm glaubte, feine königliche und ritterlihe Ehre gebiete
ihm bier einzufchreiten. In drohendem Tone verlangte er fofort von den
holländifchen Behörden Genugthuung, und als diefe im Vertrauen auf die
Hilfe, welche Frankreich verſprach, ausweichend antworteten, ließ er
(13. September 1787) preußifche Truppen, einige zwanzigtaufend Mann
ſtark, unter dem Feldmarſchall Herzog Karl von Braumfchweig bei Nim—
wegen und Arnheim in Holland einmarfchtren. Die Bürgerwehren und
Zreifcharen, welche die Patrioten, d. h. die republikaniſche Partei, hier
zuſammengebracht, erwieſen ſich als ganz unfähig, e8 mit regelmäßigen
Truppen aufzunehmen; feit lange war das Volk des Krieges ungewohnt,
die Feftungen in Verfall, und da Frankreich fich zurückhielt, fo fiel faft
ohne Schwertftreich das ganze Land in die Gewalt der Preußen; binnen
vier Wochen hatten fie alle wichtigen Punkte befebt, den Aufftand unter-
drüct und die Regierung des Erbitatthalter8 wieder hergeftellt.
Mein hiermit endete aud) die Unternehmung. Nachdem fie der oranis
ſchen Partei das Heft in die Hand gegeben, fehrten die Steger, bie übrigens
eine mufterhafte Mannszucht gehalten hatten, wieder heim; der König er-
Härte, er habe nur für die Ehre feiner Schwefter zu den Waffen gegriffen
amd verzichte, da er feinen Zweck erreicht, auf jeden andern Vorteil.
Das war freilich fehr großmütig, aber weber gerecht noch verftändig;
denn die Kriegsfoften betrugen viele Millionen; was Friedrich der Große
fo ſorgſam eripart, was das preußifche Volk jo mühfam erarbeitet hatte,
war alfo für fremde Intereffen vergeudet, um eine problematiſche Beleis
digung zu rädjen, bie ben preußiſchen Staat nichts anging. Der einzige
Nupen beftand in der Beftätigung der hohen Meinung, bie man im
In⸗ und Auslande von der Macht Preußens hatte, und in der Tripel-
Allianz, welche tm folgenden Jahre zwifchen den Regierungen von Preußen,
Holland und England gejchloffen wurde. Aber felbft diefer Gewinn war
454 Friedrich Wilhelm UI.
nur ſcheinbar; in der That haben die neuen Verbündeten Preußen ſehr
wenig genützt, und die moraliſche Wirkung des holländiſchen Siegeszuges
iſt ſogar verderblich geweſen. Denn jener wohlfeile Triumph über Spieß-
bürger und ungeübte Soldaten beſtärkte die preußiſchen Offiziere in der
Einbildung von ihrer abſoluten Unüberwindlichkeit und in ihrer Verach-
tung des Bürgers und jeder Art von Volkswehr. Der Herzog vom
Braunfchweig hielt fich feitdem für einen Cäfar an Feldherrnkunſt. Der
Übermut und die Verblendung des militärifchen Preußentums jener Zeit
hießen nun vollends feinen Gedanken an eine Reform des Kriegsweſens
aufkommen.
Noch ungeſchickter benahm fid der König bei dem zweiten und ſehr
großartigen Anlauf, den die Herkbergifche Politik 1790 that, jebt gegen
Preußens Nebenbuhler, ſterreich. Diefer Staat befand fid) damals durch
Schuld der unruhigen Neuerungsfucht Joſefs II. im Zuftande tieffter Zer-
rüttung; feine belgifchen Provinzen waren im offenen Aufftande, Ungarn
in beftigfter Gährung. Dazu hatte fi) Joſef II. vergrößerungsluftig in
einen Krieg mit den Türken geftürzt, der Die Mittel des Reiches aufs
zehrte, ohme entiprechende Vorteile zu bringen, während feine Bundes=
genofien, die Ruflen, die größten Erfolge errangen, bie Krim, die Donaus
fürftentümer eroberten und fid) den Weg nad) Konftantinopel öffneten.
Sein einziger aufrichtiger Freund endlich, fein Schwager Ludwig XVI.
von Frankreich, war felber Hilfebedürftig, lag im Kampfe mit dem eigener
Volke. Im Notfall war auch auf Rußland wenig zu rechnen, denn diefe
Macht war felbft ſehr gefährdet; ihr drohten ein wütender Aufftand in
ihren neuen polnifchen Provinzen, der Ingrimm der übrigen Polen, der
Haß ber Schweden, die fid) eben jetzt anſchickten, ihre verlorenen Be—
fißungen in Finnland mit den Waffen wieder zu gewinnen. Die preu-
Bifche Negierung war nicht blind gegen die großen Vorteile, welche dieſe
BVerhältniffe, wenn man fie gut benußte, ihr verjchaffen mußten. Herk-
berg meinte mit Recht, „noch nie fei der Moment günftiger geweſen für
eine Erhebung Preußens auf Koften der äfterreichiichen und ruſſiſchen
Mad." Sein Plan war, „während in Franfreich der revolutionäre
Vulkan unberührt und nicht genährt von auswärtiger Einmiſchung in ſich
felber austobe, follte die vereinigte Macht Mitteleuropas, die Seeſtaaten,
Schweben, Polen und die Pforte, ſich unter preußifcher Leitung und mit
Begünftigung der Volksbewegungen in ben belgifchen, ungarifchen, polni=
chen Ländern gegen das zerrüttete Öfterreich und gegen Rußland wen-
ben.“ So konnte Preußen die Nebenbuhlerfchaft des einen, die drohende
Übermadht des andern für immer brechen und trat dann in Deutichland
die öfterreichifche, in Polen die ruſſiſche Erbſchaft an.
Friedrich Wilhelm ging auf dieſe fühnen Entwürfe ein; man
empfing zu Berlin Abgefandte der Polen und der Ungarn, man unters
Bertrag zu Reichenbach. 455
handelte mit Schweden, ſchloß im Anfang des Jahres 1790 einen Bund
mit der Türkei und mit Polen; zugleich wurden die umfafjendften mili=
tärifehen Rüftungen vorgenommen, um rechtzeitig aus der biplomatifchen
Verhandlung in den Krieg hinüber zu treten. Im Sommer bes Jahres
1790 ſchien nun dieſer, zunächſt zwifchen Preußen und Ofterreich, aus⸗
brechen zu müſſen. Denn die Konferenzen der Gefandten beider Mächte,
welhe Ende Zuni zu Reichenbach (bei Glatz) begammen, führten zu
feinem für Preußen günftigen Ergebnis. Hertzberg verlangte, Oſterreich
folle feinen empörten Unterthanen und den Türken einen billigen Frieden
gewähren, den Polen ein Stück von Galizien zurücgeben; Preußen jelbft
follte für feine Vermittelung von Polen die Städte Danzig und Thorn er-
halten. Natürlich) waren Die Beteiligten nicht geneigt, das Geforderte
ohne Not zu gewähren, zumal da aud) die Seemächte jene Vergrößerung
Preußens nicht umterftügten; und als es nun darauf ankam, das kühn
Begonnene thatträftig durchzuführen und alle Schwierigkeiten mit dem
Schwerte zu durchhauen, ba ſchlug der König plöglich um. Das biplo-
matifche Ringen mit den ſchlauen und zähen Ofterreichern ermüdete ihn,
nachdem er es faum angefangen. Um fo williger lieh er fein Ohr den
Einflüfterungen der pfäfftfchen und junkerlichen Kamarilla, die ihm vor-
ftellte, wie bedenklich es fei, fid) mit den revolutionären Parteien einzu-
laſſen; man wies auf die bebrohlichen Fortſchritte hin, welche Die Revo—
Iution in Frankreich machte; man pries die Reaktion, welche jet nach
Joſefs II. (am 20. Februar 1790 erfolgten) Tode in Oſterreich zur
Herrſchaft fam. Und freilich war der neue Kaifer Leopold II. ein Mann,
mit dem Friedrich Wilhelm eher ſympathiſiren konnte. Leopold war
in allem feinem Bruder und Vorgänger unähnlich; ein feiner, gejchmeis
diger Bolitifer, der mit großer Schlauheit ſich aus den Schwierigkeiten,
die feinen Thron umgaben, heranszumideln verftand; unter dem Anfchein
der Sreifinnigfeit ein gründlicher Reaktionär und Zejuitenfreund; übrigens
ein Wollüſtling und ein Frömmler. Es geſchah, was Hertzberg längſt
gefürchtet; der König warb unentſchloſſen, ſchwankte, ließ im entſcheidenden
Augenblid feine hochfliegenden Pläne fallen und ging in die Nehe der
Gegner, die ihn unter dem Scheine, ſich die Friedensbedingungen vor-
ſchreiben zu laſſen, um alle Früchte feiner bisherigen Politik brachten.
Sie faßten ihn bei feiner Großmut, ſchmeichelten ihm mit dem Gedanken,
er vermittele zwiſchen Öfterreich und ber Türkei den Frieden, ohne fich
für feine ehrenvollen Bemühungen mit einem materiellen Vorteil bezahlen
zu laſſen. Er gab nad) und willigte in einen Vertrag (zu Reihen»
bad am 27. Zult 1790), der den Frieden auf den Stand vor dem
letzten Türkenkriege feftjeßte, aber alle anderen europäiſchen Fragen un
erledigt ließ. Preußens Einmiſchung hatte aljo weiter nichts bewirkt,
als daß die Öfterreicher auf Eroberungen in der Türfei verzichteten, die
456 Die Feldzüge gegen die frangöftfe Revolution.
fie ohnehin ſchwerlich hätten behaupten fönmen. Auch wurde die Welt
durch, Friedrich Wilhelms umzeitige Großmut nicht getäuſcht; fie ſah, er
hatte aus Mangel ar Ausdauer und Energie den Rückzug angetreten
und wieder einen großen Zeil von Friedrichs II. Schabe für nußlofe
NRüftungen vergeudet. So bildet der reichenbacher Vertrag den Wende-
punkt der preußifchen Politik; bis 1790 fortwährend im Auffteigen, ſinkt
fie jeßt; die Rolle eines Schiedsrichter8 Europas war von dieſem Augen
blide an ausgefpielt; die Welt wußte, daß ber Nachfolger Friedrichs
des Großen deſſen gebietende Stellung zu behaupten nicht vermochte.
Zunãchſt in den deutfchen Dingen zeigten fi, die übeln Folgen, Sachen
entzog fi) der Führerſchaft Preußens; der Fürftenbund Töfte ſich that-
ſächlich auf. Kurz, eine ſchwere moralifche Niederlage, erfauft durch die
Toftfpieligften Kriegsvorbereitungen, das war das Ende des großartigften
Planes, den Preußen je verfolgt hatte. Der König merkte bald felber,
wie fehr er zu Reichenbach überliftet worden war; aber er maß die
Schuld nicht fi, fondern feinem Minifter bei und hielt feine Niederlage
nur für die umvermeidliche Folge der Herkbergchen Politik, gewiſſer⸗
maßen für eine gerechte Strafe, weil er mit der Revolution geliebäugelt.
Die Ereigniſſe in Frankreich beftärkten ihn vollends in dem Entſchluß,
die Überlieferungen feines Vorgängers, die Gegnerſchaft mit Öfterreich,
die Verfolgung rein preußifcher Interefien, aufzugeben und eine neue
Richtung einzufchlagen.
Die Seldgüge gegen die franzönfde Revolution.
Der Abfolutismus, der im fiebzehnten Jahrhundert in Frankreich
zur Herrichaft kam, beugte zwar den ganzen Feudalſtaat unter das Joch
des Königs, aber er ließ ihn beftehen. Die mittelalterlichen Mifbräuche
in Staat und Kirche, die Ausbeutung des Volls durch die bevorrechteten
Stände, blieben in Kraft; es fam nur ein neuer Mißftend hinzu, die
Bevormundung aller von oben herab, und eine neue Laft, die Erhaltung
eines verſchwenderiſchen Hofes mit einer Unzahl von Beamten und eines
toftipieligen ftehenden Heeres, welches meiſt zu bloßen Sabinetöfriegen
gebraucht wurde. Nun waren Dies Übel, die anderwärts in Europa auch
beftanden, aber in Frankreich wurden fie auf die Spitze getrieben. Der
Hof wirtjchaftete mit den Mitteln des Staats im der finnlofeften Weiſe,
übte einen Despotismus, wie er fchlimmer faum bei den knechtiſchen
Nationen des Orients je geweſen, und hielt den Adel und bie Geift-
Hichfeit dadurch fhadlos, daß ihnen erfaubt warb, ihrerfeits die Mafle
des Volles umgeftört zu bedrüden und auszufaugen. Nirgends in der
Welt handelte man fo ſchamlos wie hier nach dem Grundſatz, daß das
Die franzofiſche Revolution. 457
Bolt zunächſt um des Königs, ſodann um ber Edelleute und Priefter
willen da fei. Unter Ludwig XIV. war doch noch mandjes gefchehen,
woran bie Nation fid) erfreuen konnte, einzelne Verbeſſerungen in ber
innern, glänzende Erfolge in der auswärtigen Politif. Seine Nachfolger,
der Regent Philipp von Orleans und der König Ludwig XV., leifteten
weder nad) außen noch im Innern das geringfte Gute; fie vernadh-
läffigten und verbarben die Geſchäfte; Schmach auf Schmach, erft im
fiebenjährigen Kriege, dann in den andern Welthänbeln, häufte fich über
den Staat. Alle Zweige ber Verwaltung kamen in Verfall, die Finanzen
waren in Serrüttung, die Rechtäpflege parteiifch, denn der Reiche und
der Bornehme ftegten faft immer über den Armen und Geringen; ber
öffentliche Unterricht lag in den Händen umviffender Mönche; die Amter
gehörten durchgängig dem Meiftbietenden oder dem Günftlinge. Endlich
— für die Regierung vielleicht am verderblichften — das Heer litt unter
nicht geringeren Mißbräuchen als die übrigen Organe des Staats. Die
Soldaten haften oder veradjteten ihre adligen Offiziere und waren empört
über das Prügeliyftem, das man nad) preußifchem Muſter bei ihnen
eingeführt. Obwohl nun der Staat durch und durch faul war, fo unter
gruben die Machthaber body felbft die ftärffte Stüge, die er noch hatte,
nämlid) die Meimmg von dem göttlichen Recht der herrfchenden Ge—
walten. Die Freigeifterei, die fredjfte Religionsipötterei war gerade in
den Kreifen der vornehmen Gefellichaft zu Haufe. Sie verband fich mit
der ärgſten Sittenlofigkeit; der Hof, ber Abel, die hohe Geiftlichkeit
überboten ſich in ſchandbaren Ausfhweifungen. Sein menſchliches, fein
göttliches Recht war ihnen heilig und ehrwürdig; fie traten Menfchen-
würde und Religion mit Füßen; fie wetteiferten gleihfam durch Wort
und That fid) eben fo fehr die Verachtung als ben Haß des Volles zu
erwerben. Apres nous le deluge! rief der entartete König Ludwig XV.,
der mit feinen Drgien die vornehme Welt Frankreichs bis ins Mark ver-
Während die bevorrechteten Stände fid in einem Pfuhl von Gott⸗
loſigkeit und Sünde wälzten, ſtach gegen ihren maßlofen Zurus, ihre un
erfättliche Gerußfucht umb gedantenlofe Verſchwendung das Elend des
Vollkes grell ab. Es war eben fo maßlos wie dort die Üppigfeit. Denn
nicht genug, daß zwei Drittel des gejamten Grundeigentums fich in den
Händen der Krone, des Adels und der Geiftlichfeit befanden, der Bürger
und Bauer, der das letzte Drittel befaß, mußte auch noch alle Laften
des Staats tragen, deſſen Vorteile jenen zufielen.
Sole Zuftände mußten. den Wiberfpruch jebes Denfenden heraus
fordern, und die Lehren der Aufflärer fanden nirgends fo allgemeinen
Beifall wie in Frankreich; denn fie richteten ſich ja nicht bloß gegen die
tirchlichen, fondern auch gegen die gefellihaftlichen Vorurteile. Unter
458 Die Feldzuge gegen die franzdfiſche Revolution.
den revolutionären Schriftftellern, die in ber Mitte des Jahrhunderts
auftraten, war nun einer, ber, voll Schwärmerei für politifche und foziale
Ideale, e3 verftand, fie in voltstümlicher Sprache und mit hinreißender
Begeifterung darzuftellen, ein Sohn des Volkes, Jean Jacques Rouffeau
(geb. 1712, geft. 1778). In feiner berühmten Schrift: „Über den Ges
ſellſchaftsvertrag“ beſprach er den Urfprung und ben Zweck des Staates
und ftellte den Grundſatz auf, nad) Vermmft und Gefchichte fei der alle
gemeine Volkswille die einzig beredhtigte Grundlage jeder Stantsver-
faffung. Begierig nahm die Nation dieſe Lehre auf; aber es bedurfte
eines Beifpiels, eines praftifchen Vorgangs, um fie zu überzeugen, daß
und wie die Theorie verwirklicht werden könne, die fid) auf jenen Lehr
faß erbaute.
Diefes Beifpiel gab- Amerika; Rouſſeau's demofratifches Ideal, ſo⸗
weit es Menſchen möglich, verwirklicht zu haben ift die Leiftung der
nordamerifanifchen Revolution; fie ift die Mutter der franzöftfchen. Von
ihrem Könige mit Unterdrüdung bedroht, erhoben fid) 1773 die englifchen
Anfiedelungen in Nordamerika, das puritanifche Maſſachuſetts voran, für
ihre Freiheit und jeßten der Lehre vom göttlichen Recht ber Könige das
Bewußtſein vom natürlichen Recht der Wölfer entgegen, erflärten ſich
1776 zur Republit der Vereinigten- Staaten von Nordamerifa und er-
kampften nad) zehnjährigem Ringen unter des großen Waſhington Leitung
ihre Unabhängigkeit. Da ſah man Beiipiele republifanifcher Tugenden,
die an die Blüte der Freiſtaaten des Altertums erinmerten; einen ges
wählten Vollsführer, der die Lorbern des Feldherrn und Staatsmanng
beſcheiden auf den Altar des Vaterlandes nieberlegte und, ein zweiter
Eineinnatus, nachdem er das Land gerettet, ſtill in Die Reihen feiner
Mitbürger zurüdtrat. Wie wirkte nun dies erhebende Schaufpiel auf Die
alten Völler Europas? In Deutſchland fang man e8 an; Klopftod vor
allen begrüßte in jenem Freiheitsfampfe „die Morgenröte eines nahenden
großen Tages". Aber zu Thathandlungen fam es in Deutſchland nicht.
Und dod) gab es auch hier arge Mikftände. Friedrich ber Große erkannte
fie wohl; er fah mit Beforgnis in die Zukunft; ihm ahnte, daß auch im
Europa die Sklaven bald würden an ihren Ketten zerren. „Ich fürchte“,
fprad) er einmal zu feinem Großneffen Friedrich Wilhelm, „nad, meinem
Tode wirds pele-möle gehen.. Überall liegen Gährumgsftoffe, und leider
nähren fie die regierenden Herren, vorzüglich in Frankreich, ftatt fie
zu beruhigen und auszutilgen. Die Maffen fangen ſchon an von unten
auf zu drängen, und wenn dies zum Ausbruch fommt, ift ber Teufel
los!“ *)
*) Eylert, Eharafterzüge und hiſtoriſche Fragmente aus dem Leben Friedrich Wul-
Helms IlI. I. 455 fl.
Die frangöfifhe Revolution. 459
In der That, überall, wo das Volt mit dem Gedanken eines ges
maltfamen Widerftandes gegen verhaßte Machthaber vertrauter war, als
in Deutſchland, erfüllten fid) die oppofitionellen Parteien mit neuem
Eifer; in Holland, Belgien, Ungarn, Polen rührten fid) die Maflen;
aber dieſe Bewegungen wurben um fo leichter erftickt, weil fie nicht von
der Gejamtheit der Völker ausgingen, und weil fie größtenteils Sonder-
intereffen dienten. Hier entzündeten die Funken, bie über ben Ozean
berflogen, nur Rebellionen, welche auffladerten und raſch erlofchen; in
Frankreich entzündeten fie eine Revolution, die zum Weltbrande ward.
Denn in Frankreich waren nicht nur die Übel am ärgften und allge»
meinften; man ftand aud) im innigften und lebendigften Verkehr mit
jener Republif und ihrem Freiheitsfampfe. Frankreich hatte ja ein großes
Verdienſt um deſſen glüclichen Ausgang; es war der Bımdesgenofie der
Kolonien gegen die Engländer geweſen. Die ebelften Zünglinge feiner
vornehmen Gefchlechter, der junge Marquis de Lafayette voran, hatten
Seite an Seite mit den Yankees gefochten; ein hochadliger franzöfiſcher
Marſchall war des Bürgergenerals Wafhington Kriegskamerad gewefen.
Enthuſiaſtiſch, voll unflarer Freiheitsideen und befonders vol Haß gegen
die Briten, die fo oft über Frankreich triumphirt, waren fie ausgezogen;
begeiftert von dem Bilde einer echten, leibhaftigen Republif und voll
Haß gegen jede Tyrannei kehrten fie heim. Sie wurden die Vorhut des
großen Heeres, das bald aud) in Frankreich die Theorie der Revolution
praktiſch anwendete.
Es bedurfte nur eines geringen Anſtoßes, um den morſchen Staat,
deſſen Grundlage fo unterwühlt war, zum Fall zu bringen. Dieſen An—
ftoß gab der König ſelbſt. Ludwig XVI. (ſeit 1774 auf dem Throne)
war ein gutherziger, wohlmeinender, fittenreiner Mann, aber von ſchwachem
Willen und beſchränkter Einſicht. In feiner äußeren Erfcheinung linkiſch
und fehwerfällig, in feinem Benehmen philiftrös, vermochte er den Fran⸗
zoſen nicht zu imponiren; er war ihnen lächerlich und darum verächtlich.
Übrigens haßten fie in ihm den Bourbon; die Sünden der Dynaftie
Tonnten fie dem unſchuldigen Erben nie verzeihen.
Die ſchlechte Verwaltung, die unfinnige Verſchwendung hatte den
Staatshaushalt fo zerrüttet, daß ein Staatsbankrot unvermeidlich ſchien.
Der König wußte daher feinen anderen Rat, als ſich an die Nation zu
wenden; er berief 1787 eine Berfammlung von Notabeln aus den Ver-
tretern des Adels unb ber Geiftlichfeit und ließ ihr die Lage des Reiches
vortragen. Der Abjolutismus hatte ſich damit für infolvent erflärt; bie
franzöftiche Ariftofratie gedachte in feine Stelle einzurüden; ihr ſchwebte
als Ideal eines Staatswefens die parlamentarifhe Regierung Englands
vor, in welcher der Abel die Hauptrolle fpielte. Die „Rotabeln“ lehnten
alfo die Vorlagen der Krone ab und forderten, wie die öffentliche
460 Die Feldzüge gegen die franzdfiſche Revolution.
Meinung, daß eine wahre Nationalvertretung, daß Reichsſtände, gewählt
bon "dem geſamten Wolfe, einberufen würden. Der König gab nach,
und-nun begann im ganzen Lande eine ungeheure Wahlbewegung, die
alle Köpfe mit Politik und alle Herzen mit Begeiſterung erfüllte. Der
Reichstag war nad) Ständen berufen, Adel, Geiſtlichkeit und „dritter
Stand“ (d. h. Bürger und Bauer). Aber das Volt wollte von dieſer
bisherigen Teilung des Staats nichts wiffen. Eine Flugſchrift des Abbe
Sieyes ſprach es kühn aus: „Was ift der dritte Stand? Er ift das
Volt, er foll der Staat fein.“ Am 5. Mai 1789 traten die Reichs⸗
ftände zu ihrer erften Sitzung in Verfailleg zufammen, und fofort ent-
brannte der Streit über ben Punkt, der alles entjchied: ob nad) Köpfen
oder Ständen abgeftimmt werben folle. Der „britte Stand“, geführt
vom Grafen Mirabeau, drang fühn und feft vor, erflärte fi) am 17. Juni
zur „Nationalverfammlimg*. Die freifirmigen Abgeordneten des Adels
und der Geiftlichfeit gingen zu ihm über; feine Beharrlichkeit begeifterte
das Volt, und der König wagte nicht, mit Gewalt einzufchreiten. Als
er dann, von feiner Gemahlin Marie Antoinette überredet, ſich der de—
mofratifhen Strömung entgegenzuftellen verfuchte, brach ein Aufftand
in Paris aus, die Truppen verfagten den Gehorfam, und das Voll er-
ftürmte die Baftille (14. Juli). Der Sieg der Nationalverfammlung
über den Hof, wie des Bürgertums über das ancien rögime, war damit
entſchieden, und fie nahm nun eine gründliche Erneuerung des Staates
vor. Boll ebler Begeifterung legte der liberale Teil ber Ariftofratie
felbft dem morſchen Feudalweſen die Art an die Wurzel und veranlaßte,
daß in der denfwürdigen Nachtſitzung vom 4. Auguft alle mittelalterlichen
Feudallaſten und fonftigen Mißbräuche: Leibeigenihaft, Zinspfliht ar
„tote Hand“, Patrimonialgerichtsbarteit, Jagdrecht, Behnten, ſtädtiſche
und provinziale Privilegien, Standesvorrechte, Ungleichheit der Be-
fteuerung, Amterfauf, Zunftzwang — famt ımb fonders abgeſchafft
wurben. Immer weiter griff mın ber Brand. Mit dem Feudalſtaat
fiel die Hierarchie, mit dem Abfolutismus die Bevorrechtung: Am
13. Februar 1790 erfolgte die Aufhebung aller Klöfter und geiftlichen
Orden, das Verbot willfürlicher Verhaftsbefehle, die Befeitigung aller
äußerlichen Zeichen der Standesunterſchiede. reiheit, Gleichheit, Brü-
derlichfeit war fortan die. Loſung. Dem einmütigen Willen des Volks,
mit dem die Truppen gemeinfchaftliche Sache machten, Tomte der Hof
nicht Widerftand Ieiften; die Anläufe, Die er dazu von Zeit zu Beit
nahm, vermehrten nur die Erbitterung des Volks und die Zahl und die
Macht derer, welche eine volllommene Demokratie erftrebten. Sie
drangen ſchon 1791 dur; denn die DVerfafjung, die man in biefem
Sahre entwarf, berubte auf der unbedingten Anertenmung der unverjähr-
Die Emigranten. 461
baren Menfchenrechte und auf der Souveränität des Volkes; fie machte
den König zum bloßen Beamten der Nation.
Auf diefem Punkte war die Revolution angelangt, als die Ein«
miſchung des Auslands Öl ins Feuer goß und zum Teil verjchuldete,
daß jene ebenfo maßlos und greuelhaft wurde, wie es Die Zuftände des
ancien r&gime gewefen waren. Denn fie bot den Demagogen den hoch—
willtommenen Vorwand, die jafobinihe Sache zur Sache der Nation zu
machen und alle Gemäßigten als Feinde Frankreichs und Verräter des
Baterlandes darzuftellen. Auch gab es in ber Zhat ſolche Verräter;
jene Einmiſchung wurde wirklich von einem Zeile der Franzofen felbft
berbeigerufen.
Während die Mehrzahl des franzöftfchen Adels und Klerus ſich mit
dem Volke zu einem gemeinfamen Staatsbürgertum verbrüderte oder
wenigftens gute Miene zum böfen Spiel machte und ſich in die Beit
ſchickte, wanderten die übrigen, Prinzen und Grafen, Marquis und Barone,
Biſchöfe, Abbes u. f. w., voll Erbitterung aus und erfüllten die Nachbar
länder mit ihren Klagen und Verwünſchungen. Nirgends fanden dieje
Emigranten fo gute Aufnahme, als an den zahlreichen deutſchen Fürften-
höfen, wo biefelbe ariftofratifche und pfäffiſche Wirtſchaft herrſchte, die
in Frankreich) zu Fall gefommen war. Man bemitleidete fie als uns
glückliche Opfer eines nichtswürdigen Pöbels; man beratfchlagte, wie
ihnen zu helfen fei, und fürdhtete, daß am Ende aud) das deutſche Volt
auf die galliſchen Sprünge kommen möchte. Welche Gefahr für das
verrottete „heilige deutſche Reich“ mit feinen 289 Landesherrichaften, und
feinen Millionen gefnechteter und ausgefogener Unterthanen, wenn das
Zatobinertum jenfeit des Rheins ſiegreich blieb! Die ganze Fürften-
haft Deutſchlands, ja Europas ftand auf einem Vulkan, ber fie jeden
Augenblid mit ihren Thronen in die Luft fprerigen konnte; und mit den
alten Staaten war die Kirche, war der Beftand der ganzen höheren &es
fittung in Frage geftellt. So fahen die Meinen weltlichen und geiftlichen
Fürften am Rhein und Main die Sache an. Aber was Tonnten fie
thun? Sie bewirteten ihre Vettern aus Frankreich, ließen fie auf ihren
Gebieten Rüftungen vornehmen, befonders in der „Pfaffengaffe am
Rhein“, in Worms und in Koblenz, und hofften auf ihre großen Ohme
in Wien und Berlin.
Kaifer Leopold und Friedrich Wilhelm waren nun beide dem demo—
kratiſchen Wefen, den revolutionären Ideen von Herzen abhold, aber die
Snterefien ihrer Staaten waren hier ganz verichieben. Leopold hatte
allerdings Grund, gegen die franzöfiiche Revolution aufzutreten; denn
als deutſchem Kaifer Tag ihm ob, die Anterefien ber Reichsftände zu
ſchützen, von benen manche im Elſaß ımd in Lothringen begütert waren
und durch die. Abſchaffung des Feudalweſens in Frankreich Schaden
462 Die Feldzüge gegen die frangöftige Revolution.
erlitten hatten, und als Bruder der unglüdlihen Marie Antoinette konnte
er ben Fall des franzöfiichen Königtums nicht gleichgiltig mitanfehen.
Für Preußen dagegen war jene Ummälzung von Nußen, meil fie bie
alte Allianz zwiſchen Frankreich und ſterreich befeitigte. Friedrich Wilhelm
verkannte dies nicht; aber der Umſturz von Thron und Altar in Frankreich
ſchien ihm doch auch eine allgemeine Gefahr. Er ging daher auf Leopolds
Lockungen ein, ber ihm vorftellen ließ, „es jei hohe Zeit, daß die Fürften
Europas bald die Augen öffneten, dab fie ihren politiſchen Streitigfeiten“
(d. 5. dem Aufftreben Preußens auf Koftens ſterreichs) „und den Kas
balen der Diplomaten“ (d. h. Herberge) „ein Ende machten, weil fie
offenbar dadurch ihrem neuen Feinde, der Revolution, zur Beute gemacht
würden. Man müfle fi) gegen diefe neuen Ideen feit und eng ver-
einigen.“ Solidarität der konſervativen Intereſſen — das war das Stich-
wort, womit Leopold feinen kurzſichtigen Nebenbuhler zu ködern wußte.
Biſchoffswerder vermittelte; der erfte Erfolg der wiener Politit war der
Vertrag zu Reichenbach geweſen, der zweite war die Befeitigung Herk-
bergs. Der König entzog ihm (1. Mai 1791) die eigentliche Geſchäfts-
leitung und nötigte ihn dadurch abzutreten.
Nun erft nahm Leopold eine feindliche Haltung gegen das revolu-
tionäre Frankreich an. In einer perfönlichen Zuſammenkunft zu Pill»
nitz (Auguft 1791) beſprachen die beiden Monarchen dann zu Lubwigs
Rettung Schritte, indem fie eine bewaffnete Einmiſchung in die franzö-
ſiſchen Dinge in Ausfiht nahmen. Ein förmlicher Bundesvertrag (vom
7. Februar 1792) befiegelte das Einverftändnis ber beiden Mächte, fie
gewährleifteten in demfelben einander den Befiftand und verpflichteten
FÜ zu gemeinfamer Abwehr, falls auf fie felbft oder auf das beutiche
Neich ein Angriff gerichtet würde. Obwohl mın Leopold weit davon
entfernt war, bem Drachen der Revolution wirklich mit dem Schwerte
zu Leibe zu gehen, fo waren doch ſchon feine diplomatiſchen Umtriebe
ganz geeignet, den Zorn der Nation, die er bedrohte, herauszufordern,
und die Parteien, die in Paris auf die Errichtung einer demokratiſchen
Republik hindrängten, wetteiferten mit einander, den Volfsgeift zur Wut
„gegen bie Fremden, gegen die Könige Europas, gegen bie entarteten
Söhne Frankreichs, gegen alle Tyrannen und Tyranmenknechte" zu er-
bigen. Ein girondiftiihes Miniſterium nötigte Ludwig XVI. zum Bruch,
trieb den Staat zum Kriege mit Öfterreich; im April 1792 erfolgte
Frankreichs Kriegserflärung.
Leopold TI. war damals ſchon geftorben; fein Sohn Franz I.
(jeit dem 1. März 1792 auf dem Throne) war nod) weit weniger der
Mann dazu, in dem Kampfe zwifchen den alten Yeudalftaaten und dem
neuen revolutionären Frankreich eine ehrenvolle Rolle zu fpielen. Won
allen den Fürften, Die Europa gegen die „Beft der Demokratie" ſchützen
Preußens Bund mit Oſterreich. 463
wollten, die widerwärtigfte Erſcheinung: ein vollendeter herzlofer Selbft-
ling mit der Miene eines Frommen; Hein an Verftand und Willen,
außer wo es bie Unbeichränftheit feiner fürftlichen Gewalt und überhaupt
feinen perfönlichen Vorteil betraf, denn für diefen hatte er einen ſcharfen
Inftinkt und verfolgte ihn mit zäher Ausdauer; ohne anderes Intereſſe
für den Staat, als fofern diefer feinen Abfolutismus bedeutete; vol
Hab, Mißgunft, Rachſucht unter der Maske eines gemütlichen Despoten;
grob aus Berechnung, weil er bemerkt hatte, daß ihn die Wiener darum
für einen derben Biedermann hielten; fo war der „gute Kaifer Franz"
beſchaffen, der in der Verſtellungskunſt für jet zwar nur erft ein An-
fänger war (er zählte, da er den Thron beftieg, erft 24 Jahre), aber im
übrigen ſchon jegt diefem Bilde glich, welches den gereiften Mann ab-
fpiegelt. Ohne Luft und Fähigkeit zu den Gefchäften der Regierung
überließ er dieſelben feinen Höflingen, unter denen der Baron v. Thugut,
ein geift- und charakterlofer Schwäßer, bald die erfte Rolle fpielte. Die
Verwaltung kam denn auch unter Thuguts Leitung in einen Zuftand ber
Verwirrung und Erſchlaffung, der an bie ſchlimmſten Beiten weiland
Kaifer Karls VI. erinnerte.
Es war fein Zweifel, wenn die deutſchen Großmächte raſch und
energiſch den Krieg begannen, welchen die franzöfiiche Demokratie ihnen
fo leichtfertig erflärt hatte, fo war er wirflich ber militärtiche Spazier-
gang, für den ihn die übermütigen berliner Garbeoffiziere hielten. Denn
die franzöfifchen Truppen, die zwifchen Paris und der deutſchen Grenze
lagen, waren in dieſem Augenblide faft aufgelöft, ohne Bucht und Ord⸗
nung, zum Zeil in offener Meuterei gegen ihre Offiziere. Die Regierung
war noch ganz ungerüftet; bie Revolution hatte vorerft nur ein Chaos
geihaffen, in dem fidy noch niemand zurecht fand. Aber Dfterreich und
Preußen ließen die koftbare Zeit unbenupt. Anftatt fofort dem Feind
ins Land zu fallen, beratichlagte man höchft methodiſch Hin und her über
den beften Kriegsplan. Zum Oberbefehlshaber beftellte man den Herzog
Karl von Braunſchweig, einen Feldherm, dem es an Einficht in die
Verhãltniſſe nicht fehlte, der aber nicht die raſche, durchgreifende Ent-
fchloffenheit befaß, das, was er für richtig erkannte, auch ins Werk zu
jegen. Übrigens mißbilligte er, im Grunde eben fo jehr ben Kreuzzug
gegen Frankreich wie den Bund mit Öfterreidh, weil beides ein Abfall
von ben Überlieferungen Friedrichs bes Großen war; aber er fügte fi;
aud) trugen die wohlfeilen Zorbern, die er 1787 gegen die holländiſchen
Republifaner gepflüct, nicht wenig bazu bei, ihm bie Widerſtandskraft
der franzöfifchen Demokratie, wennſchon er fie nicht ganz verfannte, doch
geringer erjcheinen zu lafien, als fie immerhin war.
Am 19. Zuli 1792 tagte zu Mainz eine glänzende Berfammlung:
ber König von Preußen, ber neugefrönte deutſche Kaifer, ber König von
464 Die Seldgüge gegen bie frangöftidie Revolution.
Neapel (Franz' II. Vetter), die Kurfürften von Trier und Köln und viele
andere deutjche Fürften und Prälaten, dazu eine Unzahl von Miniftern,
Generalen, Prinzen und ber ganze Troß der Emigranten, ber alles mit
aufgeblafenen Prahlereien und lügnerifchen Berichten über die Lage
Frankreichs erfüllte. Hier hielt zum letzten Male das „heilige römifche
Reich” eine folenne Galavorftellung; die alte Welt gegen die neue; ein
Triumphfeft vor dem Siege — man hatte feine Ahnung davon, daß
man mit einem Volk in Waffen werde kämpfen müffen: man rechnete
nur mit den Kräften, die man kannte. Es war von Marie Antoinette
ein Schreiben eingetroffen, in welchem die Königin bat, Europa möge
den Jakobinern, die das franzöſiſche Königtum immer härter bedrängten,
endlich ein ftarfes, drohendes Halt zurufen. Die Verbündeten erließen
infolge defien*) in der Form einer Proflamation des Herzogs Karl von
Braunſchweig als des Dberbefehlshabers ein „Manifeft an die franzöfifche
Nation" (25. Juli). Diefes Manifeft kündigte, wie ſich ein franzöſiſcher
Hiftorifer ausdrüdt, „den Franzofen allen Jammer einer feindlichen In-
vafion offen an und überdies Die Rückkehr des Despotismus und bie
Race." Es drohte, Paris und alle Orte, die ſich wiberjegen würden,
dem Erdboden gleich zu machen. Aber diefe Sprache ſchüchterte bie
Franzoſen nicht ein, fondern entflammte fie zur Wut. Frankreich ant ⸗
wortete mit einem andern Manifeft; es war ein Lieb, das feine Söhne
feitbem auf hundert Schlachtfeldern zum Siege begeifterte, die Mar-
feillaife, die Hymne und das Tedeum der Revolution. Die Erbitterung
des Volls erhöhte nur die Macht der demokratischen Partei und ſtürzte
vollends den Thron; der König wurde als „heimlicher Freund und Ges
noß des Auslands, als Verräter des Vaterlandes und der Volksrechte“
abgefegt und eine jafobinifhe Regierung hergeftellt. Bei den Verbün-
beten Hingegen folgten den großen Worten Teineswegs große Thaten;
ihre Heere rückten nur ſehr langfam vor; erft am 19. Auguft über-
ſchritten die preußifchen Truppen die franzöſiſche Grenze und marſchirten
in die Champagne ein. Hier, auf franzöſiſchem Boden, ſah man
bald, wie ſchwierig der Feldzug fein würde, den die Emigranten fo leicht
dargeftelt. Zwar fielen ein par fefte Plätze, Longwy und Verdun, doch
von Sympathie unter den Eingebornen .war feine Spur zu bemerken;
defto größer zeigten ſich bald die Hinderniffe, Die das ungünftige Herbft-
wetter bereitete: grunblofe Straßen, im Heere durch Näffe und Kälte,
Hunger und Strapazen bie Ruhr. Am übelfterr wirkte die fehlerhafte und
widerſpruchsvolle Oberleitung. Der König befahl, fühn und raſch vor-
wärts zu marfchiren; der Herzog ging vor, aber langſam und unentſchloſſen.
Mittlerweile gab die franzöfiſche Regierung ihrem Heere in dem
) Bgl. 8. v. Rante, die Revolutionskriege, 1875, ©. 259.
Kanonade von Balmy. 465
General Dumouriez einen Führer, der es verftand, die zerfahrenen
Truppen wieder in Ordnung und in eine zuperfichtliche Haltung zu
bringen. Er feßte fi) in den Päffen des Argonnerwaldes feft, und ob»
gleich er hier, leichtfertig auf fein immerhin bebeutenbes Feldherrntalent
pochend, einige Fehler beging, aud) eine Schlappe erlitt, fo waren body
die Fehler feiner Gegner noch größer. Der Herzog von Braunfchweig
ließ ſich die beften Gelegenheiten entſchlüpfen und verdarb mit feiner Bes
dächtigfeit, was die Gunft der Umftände ihm faft aufzwang. Die Fran—⸗
zofen, ungefähr 60000 Mann, ftanden zwiſchen St. Menehould und
Valmy, dort ber Oberfeldherr Dumouriez, hier, von ihm getrennt, der
General Kellermann, der auf einem Höhenzuge eine Stellung genommen
hatte, die fefter ausſah, als fie war. Morgens 7 Uhr, den 20. Sep-
tember, erreichte Ießteren hier die Vorhut des preußifchen Heeres, welches
etwa 40 000 Mann zählte. Sie waren in befter Stimmung, kampfmutig
und voll Zuverfiht; fo begannen fie die Kanonade, die unter den Neu—
lingen Kellermanng raſch eine große Verwirrung anrichtete. Aber anftatt
anzugreifen, wie der König riet, blieb der Herzog allzu vorfichtig ftehen;
bis zum Abend kanonirte man auf einander, in der Nacht zog fich dann
Kellermann auf das Hauptheer, zu Dumouriez, zurüd. Diefes an fi)
ganz unbedeutende Gefecht, das eigentlich) nur eine Demonftration war,
bildete gleichwohl den Wendepunkt des Krieges. Denn wie wichtig in
moralifcher Hinficht war dies Ergebnis! Die Armee Friedrichs des
Großen hatte alfo nicht gewagt, diefem Heere von Reulingen auf den
Leib zu gehen; das war für die Franzofen faft fo viel wie ein Sieg;
ihre jungen Soldaten hatten in der Ranonade gelernt, „daß nichts im
Kriege fo gefährlich ift, als es ausſieht.“ Noch kurz zuvor voll Angft
und Schreden vor den alten berühmten Truppen, die gegen fie zogen,
waren fie jet mit einem Selbftvertranen erfüllt, das bis zum Hochmut
ging. Andrerſeits ſchlug nun bei einem Zeile der Umgebung des Königs
der frühere SKriegseifer in völlige Unluft um; man hatte wohl einen
Spaziergang nad) Paris, aber nicht einen beſchwerlichen Feldzug durd)
nietiefen Kot, unter ftrömenbem Regen, ohne Brot und geſchwächt durch
Krankheiten unternehmen wollen. Diefe Stimmung benußte Dumouriez,
um zum Schein Friebensunterhandlungen anzufrüpfen und ben Feind fo
lange binzuhalten, bis er felbft fi) verftärft hatte, die Lage des preußis
chen Heeres aber, angefichts des Brotmangels und der Ruhr, ſehr be—
denflid, geworden war. Am 80. September mußte ber Herzog von
Braunſchweig den Rüdzug aus der Champagne nad) Luremburg arts
treten, den Dumouriez nicht ftörte, weil er meinte, Preußen werde nun
von dem Bunde mit Ofterreich zurücktreten und den Krieg aufgeben.
In derfelben Hoffnung machte die Regierung zu Paris, wo foeben
eine neue Rationalverfammlung, der „Konvent“, zufammengetreten und
Vierſon, preuß. Geſchichte. L 30
466 Die Feldzuge gegen bie frangdfiihe Revolution.
die Republik hergeftellt war, vielfache Werfuche, durch Schmeicheleien und
Freundſchaftsverſicherungen Preußen zu gewinnen, und wenn aud) Fried>
rich Wilhelm felbft feft blieb, fo fand in feiner Umgebung und tim Heere
die Meinung dod) immer mehr Anhänger, der Krieg nüße nur den Öfter-
reihern, denen es mehr um irgend eine materielle Erwerbung als um
die Sache ber Legitimität zu thun fei und die gleichwohl bie größere Laft
auf Preußen zu wälzen fuchten. Auch die Rüftungen des deutſchen Reichs
waren durchaus unzulänglic geweſen; in ben geiftlichen und weltlichen
Kleinftaaten am Rhein gab e8 große Worte genug, viel Dünkel, überall
Soldatenfpielerei, aber nirgends ein tüchtiges Heer, dagegen im Volke
viel Unzufriedenheit mit den alten ftaatlichen und gefellichaftlichen Ber-
hältnifien; mit ſolchen Bitteln in den Kampf gegen. das revolutionäre
Frankreich eingetreten, erlagen fie faft ohne Schwertſtreich. Anfangs
Oltober überfielen 18000 Srangofen unter dem General Euftine die Bis-
tümer Speier und Worms, nahmen fie ohne Mühe ein und rüdten
dann vor Mainz. In Eopflofer Angft flüchteten der Kurfürft und die
Vornehmen aus biefer wichtigen Yeftung, ımd die werigen Kreistruppen,
die darin lagen, Hatten zum Unglück einen eben fo feigen Befehlshaber.
Am 29. Oktober war Mainz, ber Schlüfjel zu Mitteldeutichland, in Frank⸗
reichs Händen. Entjeßen ergriff alle die Heinen Höfe vom Breisgau bis
nad) Weſtfalen himmter und von der Rheinpfalz bis nach Thüringen;
überall in den zahllofen Refidenzen ber beutichen Vaterlaͤndchen ging's
an ein haftiges Einpacen, um mit den geheiligten Perſonen der Landes⸗
väter auch den Troß des Hofftaates und die Schäße in Sicherheit zu
bringen. Der Schred war um fo größer, als die Franzofen nicht bloß
den Krieg, ſondern auch die viel gefährlichere Brandfadel der Revolution
bineintrugen. Namentlich in Mainz ſchien das Jakobinertum feften Fuß
zu faflen, und eine Schar deutfcher Aufklärer ſchloß hier Brüderſchaft
mit den neufränkiichen Republifanern. Aber die Franzoſen forgten dafür,
daß die Sympathien, bie fie bei dem weſtdeutſchen Volle gefunden, raſch
wieber erftarben. Denn ſie raubten und plünderten, wohin fie kamen,
ımd während fie die Volksfouveränität verfündeten, vereinigten fie die
befeßten deutſchen Lande mit Frankreich. Ihr übermütiges und gewalt-
thätiges Weſen verbitterte dem deutſchen Bürger und Bauer die Wohl-
thaten, die fie ihm aufdrangen. Diefe Wohlthaten waren übrigens groß
und dauernd; der ganze Augtasftall von Mißbräudyen warb ausgefegt:
bie Lehnslaften, Behnten, Frohnden, die Leibeigenſchaft, das herrſchaft-
liche Jagdrecht, — alle diefe feubalen Übel wurden in den eroberten
Kändern mit einem Schlage (durd) Dekret des Nationallonvents vom
15. Dezember 1792) abgeichafft.
Unterbefien hatte fi) Dumouriez von der Champagne nad) Belgien
gewandt, die öfterreichifche Truppenmacht, die hier ftand, bei Jemappes
Die erſte Koalition. 461
befiegt und um die Mitte Dezembers ganz Belgien eingenommen. Zus
gleich) brachen in Frankreich die legten Dämme, die nod) den wilden
Strom der Revolution eingeengt. Die jakobiniſche Partei des „Berges“,
geführt won Danton und Robespierre, riß der Gironde allen Einfluß aus
den Händen und fehte die Anklage, die Verurteilung und (am 21. Jas
nuar 1793) die Hinrichtung des unglüdlichen Ludwig XVI., als eines
Hodjverräters am Volle, durch. Damit hatte der Konvent alle Brüden
zum ancien regime unwiderruflich hinter ſich abgebrochen. „Zod allen
Fürften! Vernichtung allen Monarchien! Untergang allen Borrechten!
Freiheit und Gleichheit auf Erden!“ war fein Fehderuf an das alte
Europa. Auch ohne jene Unthat hätten fi die Herricher von Preußen
unb Sfterreid; genötigt geiehen, den Krieg mit Nachdruck fortzuſetzen;
man mußte den Franzofen die deutſchen Länder, die fie erobert, wieder
abnehmen; man wollte fi) dann für bie aufgewandten Koften an einer
franzöſiſchen Provinz oder in Polen entſchädigen; übrigens, da Ludwig XVI.
nicht mehr zu er war, fo gedadjte man u die inneren Angelegen
heiten Frankreichs auf ſich beruhen zu laſſen. Ähnliche, mehr oder we⸗
niger jelbftfüchtige Beweggründe trieben jegt auch England auf den Kampf-
plaß; die folge Ariſtokratie, die dort regierte, hafte und verabſcheute
zwar das demofratifche Treiben jenfeit des Kanals, aber hauptſächlich
war es ihr doch um eine Schwächung der politifchen Macht Frankreichs
und um Groberungen zu thun; außerdem jollte die Erhitzung des alten
Sranzofenhafies beitragen, John Bull vor Reformgelüften zu behüten.
Daher verbündete ſich England nicht bloß mit den dentihen Mächten,
fondern betrieb auch den Anſchluß ber übrigen europäiſchen Monarchen
an diefe große Koalition; zuerft traten, vom Konvent bebroht, die
omberen Nachbarn Frankreichs bei, nämlidy Holland, Spanien unb bie
italieniſchen Fürften. Die franzöfiiche Republick ſchien erliegen zu müffen;
dem zugleich entbrannte in ihrem Inmern ein wütender Bürgerkrieg in
der Bendee, bie fid dem Schreckensregiment, das nun in Paris anhob,
nicht fügen wollte.
Der Feldzug von 1798 wurde denn and), wenigftens auf deuticher
Seite, mit Erfolg eröffnet. Ein öſterreichiſches Heer unter dem Herzog
von Koburg fiegte bei Neerwinden über Dumouriez und eroberte Belgien
wieder. Die Preußen drängten am Mittelrhein die Franzoſen wieder
auf die linke Seite des Stroms und belagerten Mainz. Überall zeigten
fid) die deutſchen Truppen, wo die Führung nicht allzu fehlecht war, ben
Gegnern noch immer überlegen. „Man muß fih“ — fagt ein preußi-
ſcher Offizier, der damals mitgefochten*) — „die franzöftiche Armee jener
Zeit nicht fo denken, wie wir fie fpäter in ihren glänzenden Perioden
*) Balentini, Erinnerungen ©. 26.
468 Die Feldzlige gegen bie framdfiſche Revolution.
haben kennen lernen. Die zerlumpten Rarmagnolen, ohne wahren mili-
tärifchen Geift und Haltung, die ung Schimpfreden und matte Kugeln
(unerwiedert) täglich über ben breiten Rhein zufendeten, flößten auf feine
Weiſe Reſpekt ein. Es war aud) nicht ein Soldat in der Armee, ber
ſich nicht feiner inneren Überlegenheit bewußt und des Erfolgs ficher ges
fühlt Hätte, wenn es dazu kommen würde, fich ernftlich mit ihnen zu
meffen.“ Aber eben die Führung taugte uichts. Der Herzog von Braun-
ſchweig war von feiner zopfmäßigen Bebächtigkeit nicht abzubringen, ver-
fäumte wieder mandje gute Gelegenheit, und mas er etwa flug ausge
fonnen, fcheiterte dann an dem Ungehorfam jeines Unterfeldherrn, des
öfterreichifchen Generals Wurmfer, der nur mit Widerwillen ſich und feine
Truppenabteilung unter preußifchen Dberbefehl geftellt ſah.
Doc wurde (anı 23. Juli) Mainz wieber erobert nnd der deutſche
Boden vom Feinde gefäubert. Dafür kamen die geflücjteten Landes»
väter mit ihren Höflingen und allen Mißbräuchen des alten Staats-
weſens wieder zurüd; eine wüßte Reaktion trat ein und eine grimmige
Verfolgung aller, die man im Verdacht renolutionärer Umtriebe hatte.
Inzwiſchen waren die Öfterreicher nebft einigen Reichstruppen aus Bel-
gien fiegreich auf franzöftiches Gebiet vorgedrungen und eroberten Balen-
ciennes. 250 000 Mann geübter Truppen — Öfterreiher, Preußen, Eng-
länder, Hannoveraner, Hefien und andere Reichskontingente — ftanden
nım von ber Mündung der Schelde bis an den Near bin, zum Marſch
auf Paris bereit. Aber bie Koalition verfcherzte den Sieg, indern fie
zauderte. Es lag dies zum Zeil an der langſamen, unentſchlofſenen und
uneinigen Oberleitung ber Heere, aber nod) weit mehr am dem Mangel
an Übereinftimmmg in der Koalition felbft; fie war in fidh felber ge
fpalten; jede der verbünbeten Mächte verfolgte Sonderinterefien, fo warb
der Gang des Ganzen gelähmt. In Wien war man neidiid auf den
Machtzuwachs, den Preußen in Polen erftrebte; auch in Berlin blicte
man mehr nad) Often als nach Weiten, der franzöftiche Krieg ward, da
Deutfchland befreit war, mit jedem Tage unerwünfchter. Friedrich Wil-
beim Tieß daher feine Truppen bei Mainz ftehen und wartete ab, was
feine Verbündeten thun würden. Sie belagerten Die Seefeftung Dütr-
kirchen, welche England für fid) beanspruchte; fie richteten im franzöfifchen
Flandern bie öſterreichiſche Herrihaft ein; an den Zug nad Paris
ſchienen fie nicht zu denken; warum follten es die Preußen? Go ver-
geudete man bie Zeit. Mittlerweile begann bie fürchterliche Thatkraft des
Konvents, ber ſchon jebt hunderte von „Ariftofraten und Volksfeinden“
zur Guillotine lieferte, zu wirken: das Maffenaufgebot, da8 er angeorbnet,
kam in Fluß. Buerft verftärkte ſich die Rordarmee ımd rang den Öfter-
reichern im September einen Zeil Flanderns wieder ab. Am Mittelrhein
fiegten zwar die Preußen über ben General Moreau bei Pirmaſenz
Die zweite Teilung Polens. 469
(14. September) und eroberten die Verſchanzungen in den Vogeſen,
einen Teil der Weißenburger Linien (26.—28. September); aber
fie hielten dann inne, weil jet die polnifchen Angelegenheiten Die Auf⸗
merfjamfeit ihres Königs faft völlig in Anſpruch nahmen.
Die zweite Teilung Polens.
Die entjepliche Lehre, welche die Ereigniffe des Jahres 1772 den
Polen gegeben hatten, war an ihnen nicht ganz verloren; fie fahen den
Abgrund, in den ihr Staat fallen mußte, wenn die rechten Mittel zur
Rettung nicht ergriffen würben. ALS foldje erkannten die wahren Vater
landsfremde eine gründliche Reform des Staats und den Bund mit
Preußen, mit derjenigen Macht, welche nad) den Überlieferungen Srieb-
richs des Großen den meiften Willen hatte, das Vorbringen Rußlands
zu hemmen. Sie jeßten aud) beides ins Wert; am 3. Mai 1791 ver-
tündigten und beſchworen der König und der Reichstag zu Warſchau
eine neue, zeitgemäße Verfaffung, welche die alten Schäben heilen konnte:
das liberum veto wurde abgefchafft und eine exrbliche, Tonftitutionelle
Monarchie hergeftellt, in welcher der König eine ſtarke erefutive Gewalt
und ber Reichstag nur die gejeßgebende hatte. Auch manche andere
Mißbräuche fielen fort: die willfürliche Behandlung der Bauern, die Be-
drüdung der Diffidenten. Mit Preußen war ſchon im März 1790 ein
Berteibigungsbändnis gefchloffen.
Aber die Rufen gaben ihr Spiel darum nicht verloren, und fie
fanden unter den Bolen felbft die wirfamften Gehilfen. Bon jeher
waren bie polniſchen Magnaten gewohnt, den Thron nad) ihrem Privat
vorteil für Amter und Würden und befonbers für Geld zu vergeben;
& war fein jo weiter Schritt vom Verlauf der Krone zum Verhandeln
der übrigen ftaatlichen Intereſſen; und diefen Schritt machten aud) jept
viele. Zu diefen Derrätern gehörten gerabe bie einflußreichſten; der
Kronfeldhere Branidi und der Staroft Potocki ftanden öffentlich an der
Spitze der ruffifchen Söldlinge; der König felbft, Stanislaus Poniatowski,
and viele vom hohen Abel hielten e8 insgeheim mit ihnen, während fie
vor den Augen des Landes die Patrioten fpielten. Die ruſſiſche Partei
bildete num unter Führung Potocki's und Rzewuski's eine Konföberation,
welche (zu Targomwicz 14. Mai 1792) gegen die neue Konftitution Ein-
ſpruch erhob, den Bürgerkrieg entzündete und den Schuß der Ruffen für
die alte „polnifche Freiheit” anrief. Fünf Tage darauf rüdten 100 000
Ruſſen in das Land ein.
Ber follte ihnen die lang’ erftrebte Beute ftreitig machen? Deutjch-
land fonnte es. Aber feine Hauptmächte ſchickten ſich foeben an, ben
470 Die zweite Teilung Polens.
Kampf mit der franzöfifchen Revolution aufzunehmen, und Katharina II.
ſetzte alle Mittel ihrer gejchidten Diplomatie in Bewegung, um dieſen
2egitimitätseifer immer heftiger anzuftacheln. Übrigens war in Berlin
die Freundichaft mit Polen bereit ein übermimbener Standpunkt, und
die Polen hatten diefe Veränderung, über die fie dann fehr ergrimmt
waren, felber verfchuldet. Won Anfang an machte die preußiſche Re—
gierung fein Hehl daraus, daß fie für ihren Beiftand einige Vorteile
erwarte: fie wünfchte die deutſchen Städte Danzig umd Thorn als Preis
ihrer Freundſchaft, und diefe Erwerbung war in ber That für das Ge—
deihen der Provinz Weftpreußen und namentlich des preußifchen Weichjel-
handels eine Lebensfrage. Aber die Polen lehnten dies Verlangen aufs
entfchiedenfte ab (1790). Um jo weniger hätte es fie befremben follen,
daß Preußen dann aud) ihnen nichts leiftete. Dennoch, würde die Kluge
beit den preußiſchen Staatsmännern geboten haben, Rußlands Abſichten
entgegenzutreten, hätten nicht eben Die Polen felbft ihrem furdjtbaren
Feinde tn die Hände gearbeitet. So mußte ſich das Geſchick des unglück⸗
lichen Landes erfüllen. Zwar brachten die wahren Baterlandsfreunde ein
Heer auf, welches unter Kosciusko mit großer Tapferkeit focht, namentlich
bei Dubienfa (am Bug, füdöftlich von Lublin) — 17. Zuli —; aber die
ruſſiſche Übermacht fiegte, und was ſchlimmer war, der König Stanislaus
trat bald darauf jelbft zur Targomiczer Konföderation über. Ganz Polen
fiel nun in die Hände der Ruffen, der Reichstag hob die neue Berfaflung
wieder auf und ftellte die alte, elende Wirtjhaft wieder her. Konnte
Preußen, aud) wenn es nicht anderwärts beſchäftigt geweſen wäre, die
Verteidigung einer Nation übernehmen, die ſich felbft verriet? Vielmehr
handelte es ſich nur darum, ob Polen völlig in Rußland aufgehen oder
ob es zwiſchen Rußland und Deutfchland geteilt werden folle; Preußen
mußte fi) für das letztere entfcheiden.
Es verabrebete aljo mit Rußland eine abermalige Teilung (23. Ja-
mar 1793) und ließ ebenfalls Truppen in Polen einrüden. Buerft
(Ende Februar) wurde Großpolen, dann (im März) Danzig beießt. Im
den Erflärungen, welche Katharina und Friedrich Wilhelm über Die Ger
waltthat abgaben, hieß es, um den Bruch des Völferrechts zu beichö-
nigen: „Sie müßten aus Rüdfiht auf die eigenen Staatsinterefſen
in dem Nachbarlande die übelgefinnten Aufwiegler und Ruheſtörer
unterdrücken und bie Ordnung wiederherftellen; Polen ſei von ber
jakobiniſchen Seuche angeſteckt, und fie glaubten es nicht beffer heilen
zu Können, als wenn fie Die Grenzprovinzen ihren Staaten einver⸗
leibten umd fo gegen das Gift der revolutionären Meinungen jhügten.*
Durd) preußifches und ruffiiches Geld wurde dann ein Teil der polni»
ſchen Reichstagsabgeordneten gewonnen, durd) Drohungen ein anderer
Teil eingeſchüchtert. So geihah «8, daß ber in Grodno verfammelte
x
Zweite Teilung Polens. 471
und von ruſſiſchen Truppen umgebene Reichstag am 22. Juli 1793 in
die von Rußland und am 23. September besjelben Jahres auch in die
von Preußen geforderten Abtretungen einwilligte. Durch diefe zweite
Zeilung Polens erhielt Rußland die öftliche Hälfte Polens, nämlich
Litauen, Podolien und die Ukraine (4000 Duadratmeilen); Preußens
Anteil waren außer Danzig und Thorn die Gebiete von Poſen, Gneſen,
Kali, Kujavien — etwa das heutige Großherzogtum Pofen —, ferner
Lentſchitz, Sieradien und ein Teil der Woiwodſchaften Krakau, Rama
und- Plock, im ganzen ungefähr 1000 Quadratmeilen mit 1 100.000 Eins
wohnern. Dieje neue Befigung wurde unter dem Namen „Sübpreußen“
fofort dem preußiſchen Staate einverleibt. Ihr Wert beruhte nicht zum
wenigften darin, daß Preußen num im Oſten wohl abgerundet war und
eine befiere Grenze gegen Rußland hatte.
Sertfchung der Zeldzüge gegen die frauzöſiſche Revolution.
Friedrich Wilhelms II. Eifer für den Kampf gegen die franzöfiſche
Demokratie war jeit dem üblen Ausgange bes Feldzuges in ber Cham—
pagne jchon erheblich abgekühlt; wenn derfelbe jegt noch mehr erkaltete,
jo war der Unmwille über Ofterreih daran Schuld, deſſen Diplomatie
dem preußiſchen Intereſſe in Polen entgegengearbeitet hatte. Zwar er-
Tante es nun die Teilung, da fie gefchehen war, an; aber die Eifer-
ſucht und das Mißtrauen blieben. Auf den Gang des franzöfiſchen
Krieges hatte dies einen fehr übeln Einfluß. Nach der Abreife des
Königs handelten Wurmfer und der Herzog von Braunfchweig eine kurze
Zeit lang im Einvernehmen und errangen denn auch einige Erfolge.
Vereinigt eroberten fie (11. bis 14. Oktober) die Weißenburger
Linien völlig und trieben die Franzoſen bis unter die Mauern von
Straßburg. Dann aber erneuerte fi der alte Zwieſpalt. Keiner der
beiden Feldherrn unterftüßte den andern; Wurmfer blieb bei feinem
Eigenfinn, feiner Unbefonnenheit, der Herzog von Braunſchweig bei feiner
unentſchloſſenheit und übermäßigen Bedächtigkeit, zumal da die Nadj-
rihten aus Berlin feine rechte Gewißheit gaben, ob der König den
Krieg fortfegen werde. Doc gewannen die Preußen noch einen ſchönen
Sieg. Sie ftanden, 20000 Mann ftark, darunter einige taufend Sachſen,
bei Kaiferslautern. Hier wurden fie am 28. November von der
franzöſiſchen „Mofelarmee" unter Hoche mit doppelter Zahl angegriffen,
ſchlugen aber alle Angriffe an dieſem und an den beiden folgenden Tagen
mit glängender Tapferkeit ab. Mittags den 30ften trat Hoche ben Rüd-
zug an. Nur 800 Deutfche, aber 3500 Franzofen waren gefallen; das
war jebod) ber einzige Vorteil; denn der Herzog benußte den Sieg nicht.
42 . Bortfegung ber Belbzüge gegen bie franzofijche Revolution.
Ebenſo wenig that Wurmſer etwas Erfprießliches. Zuletzt mußten beide
ihre Stellung in den Vogeſen und die Belagerung Landaus aufgeben,
weil der Feind fid) übermädhtig verftärkte, und die deutichen Truppen
durch eine Reihe von Heinen Gefechten, durch ungünftige Witterung und
mangelhafte Verpflegung viel litten. Zuerſt trat Wurmfer den Rückzug
an, er ging (am 30. Dezember) bis auf das rechte Rheinufer zurück;
die Preußen, nun auch zum Rüdzug genötigt, hielten fidy wenigftens
auf dem linken Wfer; fie bezogen die Winterquartiere zwijchen Nahe
und Rhein. J
Ebenſo erfolglos endete dieſer Feldzug auf den andern Kriegsſchau-
plägen, namentlich in Belgien. Dadurd wurde die Mißſtimmung zwiſchen
den Verbündeten noch größer; fie fchoben fid) gegenfeitig die Schuld zu.
Der Herzog legte unmutig den Dberbefehl nieder. „Wenn eine große
Nation wie die franzöfiiche" (jchrieb er dem Könige) „durch Schreden
und Begeifterung zu großen Thaten geführt wird, fo follte ein einziger
Wille, ein einziger Grundſatz alle Schritte der Verbündeten leiten. Allein
wenn ftatt deſſen jedes Heer für ſich ohne feften Plan, ohne Einheit,
ohne Grundfag und ohne Methode handelt, dann müſſen die Ergebnifie
fo fein, wie wir fie erlebt haben.“ Übrigens meinte er, biefer Krieg jei
überhaupt gegen Preußens Vorteil. Diefelbe Anficht herrſchte im Heere,
im Volle, im Miniftertum; nur der König mochte fid) aus falſchem
Ehrgefühl noch nicht entſchließen, die Waffen tiederzulegen. Aber der
Staatsſchatz war erfchöpft, die Finanzen zerrüttet; auf eigene Koften
konnte Preußen den Kampf nicht mehr fortjegen. Anftatt nun zurüd-
autreten, wie es des Staates wohlverftandenes Intereſſe gebot, ließ fich
Friedrich Wilhelm II. herbei, feine Truppen den Seemächten, England
und Holland, zum ferneren Kriege gegen Frankreich zu vermieten; ein
preußifches Heer von 62400 Mann unter dem General Möllendorf ward
für 50 000 Pfund Sterling monatlid) den Seemächten zur Verfügung
geftelt, „um die von der Revolution bedrohte bürgerliche Geſellſchaft zu
beſchũtzen“; etwaige Eroberungen follten den Seemächten gehören. Dies
ber Inhalt des wmrühmlichen Vertrages, den der preußifche Minifter
v. Haugmwiß, ein Staatsmann von Thuguts Unfähigfeit und Charakter
Iofigfeit, am 19. April 1794 im Haag auf Befehl feines Königs abſchloß.
Die auseinanderftrebende Koalition war alfo für eine Weile nod)
zufammengehalten und immerhin war ihre Sache, wenn man auf bie
Macjtmittel fah, noch keineswegs ausfichtslos. Zwar die Überlegenheit
der Zahl war jet auf Frankreichs Seite, und bie Zahl wurde noch ge-
wichtiger durch die Heftigfeit der Leidenfchaften, welche diefe Hunbert-
taufende bewegten. Nicht mehr ein bemoralifirtes Militär, fondern bie
ganze ungeheure Kraft einer großen, in allen Tiefen ihres Geiftes auf
gewählten Nation warf fid), für Vaterland und Freiheit, für den Ruhm
179. 413
und die Selbftändigfeit des Ganzen wie bes Einzelnen begeiftert, dem
Auslande entgegen. Aber diejes Vollsheer beftand doch nod) größten
teils aus Neulingen. Der Bauer, Handwerker, Kaufmann, den der
Konvent bewafinete, war doch nicht fofort ein Soldat; vorerft kam er
an Kriegstüchtigfeit, bejonders an Ordnung und Marſchfähigkeit, dem
britiſchen oder deutſchen Soldaten nicht gleich. Die Männer, die an der
Spige der Republik ftanden, fuchten den Mangel an Schulung bei den
Truppen auf andere Weiſe zu erſetzen. Frankreich revolutionirte feine
Kriegskunft wie feine Politit. Der Kriegsminifter Carnot ſchuf die
neuen Elemente in Verbindung mit den alten Truppenteften zu Meineren
beweglichen Truppentörpern um, den fogenannten Halbbrigaden, in denen
verfchtedene Waffengattungen vereinigt waren, und wies fie an, den
Feind durd) zahllofe einzelne Schläge zu verwirren, zu ermüden und
feine Verbindung zu zerreißen, bis der Moment gekommen fei, mit einem
legten gewaltigen Stoße die Kraft des Gegners zu zertrümmern. Mit
revolutionärer Energie ſchritt Carnot andrerjeit3 gegen bie Auswüchſe
ber Demokratie im Heerweſen ein. Bu taufenden bejeitigte er bie un=
fähigen Offiziere, die aus der Wahl der Truppen hervorgegangen waren,
und brad) fo den Talenten freie Bahn, raſch arbeiteten fie ſich zu den
höchften Stellen empor. Aber die neuen Mittel und die neuen Männer
brauchten doch Zeit, um zu wirken; für jegt war die größere militärifche
Züchtigkeit noch bei den Heeren der Verbündeten. Allein die Gründe,
die bisher ben Koalitionskrieg unfruchtbar gemacht hatten, beftanden
fort, und fo blieben auch die Folgen die nämlichen.
Der Feldzug des Jahres 1794 begann in ben Niederlanden; hier
ftanden jet von den Ardennen bis nad) Dünkirchen 300 000 Franzoſen
unter einem jungen tüctigen Feldherrn, Pichegrü; die Verbündeten
ſtellten ihnen 160 000 Mann Öfterreicher, Preußen, Reichstruppen und
Engländer entgegen. Der Anfang war glücklich, fie brachten ben Fran-
zoſen eine Schlappe bei und eroberten die Feftung Landrecies (30. April).
Aber die Uneinigfeit der Generale und ber Diplomaten, ſowie die Ein-
mifhung des Kaiſers Franz, der fi) im Hauptquartier zu Brüffel bes
fand, und feiner Höflinge, verdarb alle.weiteren Unternehmungen. Nicht
viel beffer ging es am Mittelrhein her. Dort warf Möllendorf mit
feinen Preußen nad) einem neuen Stege bei Kaiferslautern (23. Mai)
die Franzojen aus ihren Verſchanzungen in die Vogeſen zurüd, und als
der franzöftfche Befehlshaber Dejatr dann noch einen Verſuch machte,
wieber bis zum Hardtgebirge vorzubringen, ſchlug ihn der Hufarenoberft
v. Blücher durd) einen kühnen Reiterangriff zwiſchen Kirweiler und
Edesheim zurüd (28. Mai). Das war der erfte Sieg, den der nadj=
malige „Marjcall Vorwärts“ felbftänbig gewann. Schon damals hatte
er den Ruf eines raftlos anftürmenden Reiterführers und war mit feinen
414 Die dritte Teilung Polens.
ofen und braunen Hufaren der Schreden der Franzoſen; bewundernb
nannten fie ihn le roi rouge. Aber die Diplomatie lähmte wieber jeden
Fortſchritt des fiegreichen Heeres. Die Seemächte verlangten, daß die
Preußen nad Belgien marſchirten; in Berlin beftand man darauf, bie
Truppen am Mittelrhein zu laſſen; fo verging bie Beit in unerjprieh-
lichen Verhandlungen. Auch Oſterreich ſuchte nur nad) einem ſchickllicher
Vorwande, ſich diefem Kriege zu entziehen; es führte ihm ohne Nach-
drud; es wollte wie Preußen feine Kraft für die polnifchen Angelegen-
heiten verwenden, die eben wieber zu einer Einmifchung dringend aufe
forderten. So fam es, baf die Verbündeten aus den meiften Stellungen
in Flandern und Belgien verdrängt wurden. Der öſterreichiſche General,
Prinz von Koburg, gab fogar freimillig einen Sieg auf, den ihm feine
Truppen bei Fleurus (26. Juni) errangen, und zog fid) aus diplomati—
ſchen Gründen bis hinter die Mans zurück. Es war unter diefen Um»
ftänden fruchtlos, Daß die Preußen unter Hohenlohe und Blücher zum
dritten Male bei Kaiferslautern in einer Reihe von Gefechten (18.
bis 20. September) glänzend fiegten. Die Friedenspolitiker ließen es
unbenutzt und bie Hſterreicher gingen immer weiter zurück, im Oftober
bis über den Rhein. Die Koalition fiel offenbar auseinander; der Keil,
ber fie fpaltete, war Polen.
Die dritte Seilung Voleus.
Von dem großen Reiche der Jagellonen, das ſich einft vom balti—
ſchen bis zum ſchwarzen Meere über ein Gebiet von 13000 Duadrat-
meilen erftredte, war nunmehr nur ein Drittel übrig, und auch dieſen
Reft beherrſchte der Erbfeind, Rußland, durch fein Geld und durd) feine
Bajonette. Imgrimmig trug die Nation ihr ſchweres Geſchick. Im
März 1794 raffte fie ſich in wilden Aufruhr empor, verjagte ‚bie Ruffen,
ſchickte fi) an, das Reich in den alten Grenzen wieder herzuftellen. So
fiel eine neue Rriegslaft auf Preußens Schultern, und es ‚hatte jegt nicht
bloß die Beute von 1793 zu verteidigen, es mußte auch fuchen, fie noch
möglichft zu vergrößern. Denn daß der ſchwache Überreft des polniſchen
Staats den Ruffen exliegen würde, war unzweifelhaft. Man mußte alſo
den Ruſſen zuborlommen. Im Mai.1794 rücten daher 50 000 Preußen
ein, befiegten am 6. Zuni die Scharen Kosciustos bei Szezekocyn und
bemächtigten fid) Krafaus. Der König felbft eilte auf den Kriegsihauplag
und belagerte Warſchau. Aber die Unentjchloffenheit der Kriegsleitung,
Mangel an Lebensmitteln, Krankheiten und die Unficherheit aller Ver⸗
Tehrömittel in dem weiten und ſchlecht fultivirten Lande hemmten bie
Zhätigfeit des Heeres; dazu fam ein Aufftand im Pofenfchen, aljo im
Die dritte Teilung Polens. 415
Nüden bes Heeres; es mußte endlich (im September) die Belagerung
Warſchaus wieder aufgehoben werben; Friedrich Wilhelm kehrte mißmütig
nad) Sübpreußen zurücd, wo der Aufftand raſch unterbrüct wurde. Die
Frucht feiner Anſtrengungen erntete Rußland; dem die polniſche Volks⸗
erhebung war durch den Einfall der Preußen zwar nicht niebergeworfen,
aber doch fehr geichwächt worden; auch krankte fie bereit an innerer
Zwietracht, an dem Hader zwiſchen der demokratiſchen und der ariftor
tratiſchen Partei; jo wurde ben Ruffen, bie nun mit einem großen Heere
unter Suworow einrüdten, der Sieg nicht allzu ſchwer. Mit wenige
gewaltigen Schlägen zertrümmerten fie Kosciustos Streitmacht; bei
Maciejowice am 10. Oktober warb die letzte Entſcheidungsſchlacht ges
liefert. Die Tapferkeit ber Bolen konnte fie nicht retten; die Übermacht
fiegte, Koscinslo felbft ward verwundet und gefangen, und Polens Unter
gang war nım befiegelt. Am 4. November nahm Suworow Praga mit
Sturm und ließ dort 20000 Menſchen ohne Unterſchied des Alters und
Geſchlechts niedermetzeln; dann ergab fid) auch Warſchau. Der König
Stanislaus mußte die Krone niederlegen und als ruſſiſcher Penſionär in
Petersburg leben.
Jetzt änderte Rufland feine Sprache gegen den alten Bumdesgenofien;
anftatt fi, wie früher, mit Preußen über die poluiſchen Dinge zu einie
gen, ſchloß es mit Oſterreich (am 3. Januar 1795) einen ZTeilungs-
vertrag, kraft defien Rußland wieder den Löwenanteil, über 2000 Duadrat«
meilen, Ofterreic), welches nichts gethan hatte, das Gebiet von Krakau
(1000 Duadratmeilen), Preußen aber ben Überreft, Mafovien, das Gebiet
von Warſchau und Bialyſtok — etwa 900 Duabratmeilen mit einer
Million Einwohner — erhalten follte. Außerdem verabredeten die beiden
Kaiferftaaten, auch in der türfiichen Angelegenheit gemeinfam vorzu ⸗
gehen und nad) beiden Richtungen ihren Willen nötigenfalls mit ben
Baffen durchzuſezen. Die drohende Stellung, welche fie annahmen,
war vornehmlich auf Preußen berechnet. Dieſer Staat hätte das pol
nifhe Reich in den Grenzen von 1798 gem als ein, wenn auch
ſchwaches Bollwerk gegen die immer weiter vorrüdende moskowitiſche
Weltmacht beftehen lafjen. Allein durch ben franzöfifcgen Krieg ge
ſchwächt, wagte Preußen es nicht, in einen neuen und größeren Kampf
einzutreten. Nachdem fi) der König lange gefträubt, trat er jenen Ab-
machungen über die dritte Teilung Polens bad) endlich bei (24. Di-
tober 1795). Die neuen Befigungen wurden unter dem Namen Reuoft-
preußen dem Staate einverleibt.
Aber der gerechte Unwille über die Treulofigkeit feiner Verbündeten
trug viel dazu bei, ihn zum Austritt aus der Koalition und zum Frieden
mit Frankreich zu beftimmen. Dazu bewogen ihn indes nod) andere und
ganz gewichtige Gründe: die Erihäpfung der Finanzen, die Weigerung
416 Friede zu Bafel.
Englands, ferner Hilfsgelder zu zahlen, die Ohnmacht oder die Saum—
feltgfeit der einen deutſchen Fürften, welche nad) Frieden fehrieen, ohne
hinreichende Mittel zum Kriege aufzubringen, die Berrüttung der Koali=
tion, im der jedes Mitglied bloß ſelbftſüchtige Zwecke verfolgte, endlich
die Priebensverhandlungen, die ber bourboniſche König von Spanien
und der habsburgifche Großherzog von Toskana mit dem „Wohlfahrts-
ausfhuß* in Paris, alſo mit den rögicides von 1793, eröffneten, endlich
der Verdacht, ber in der That durchaus begründet war”), daß Thugut
heimlich mit den Franzoſen um einen Sonberfrieden verhandele. So
entfchloß er fi) denn, fo gut e8 ging, mit der franzöfiichen Republik
Sieden zu madjen. Am 5. April 1795 wurde derſelbe durch ben preußi=
ſchen Bevollmächtigten Freiherrn v. Hardenberg zu Bafel abgeichlofien.
Preußen überließ darin den Franzoſen, was fie erobert hatten, nämlich
das linfe Rheinufer und damit aud) 43 Duadratmeilen preußifchen Ge—
biet3; allerdings nur vorläufig; die endgiltige Feftjegung darüber wurde
einem allgemeinen Frieden vorbehalten. Dagegen verbürgte Frankreich
für den Tall, daß es in demfelben feine Grenze bis an den Rhein
ausdehne, Preußen eine Entſchädigung im inneren Deutſchland. Rord-
deutſchland ward für neutral erflärt; auch andere deutſche Reicheftände,
die Preußens Vermittelung anrufen würden, follten einen billigen Frieden
erhalten. Cine Demarkationstinie von Ems bis Münfter und rings um
die heſſiſchen und fränkifchen Kreislande machte die dahinter liegenden
Länder ſchon jeßt parteilos.
So hatte Friedrich Wilhelm II. fi) in einen verderblichen und koft-
fpieligen, über feine Kräfte gehenden Krieg geftürzt, um einen Frieden
zu fehließen, ber die Großmachtſtellung Preußens in einem fehr zwei⸗
deutigen Lichte erfcheinen ließ. Das war die bittere Frucht der reichen⸗
bacher Komvention. Gleichwohl hielten nicht bloß Die unfähigen Räte
des Königs, Haugwitz, Luchhefini, Lombard u. a., fondern felbft bedeu-
tende Staatsmänner, namentlid; Hardenberg, den bafeler Frieden für
ficher, ehrenvoll und vorteilhaft! So weit war die preußifche Diplo-
matie von ber Höhe Friedrich des Großen herabgefunten. Es zeigte
fi) aber bald, daß Preußen durch jenen Separatfrieden nicht bloß an
europäifcher Geltung, fonbern auch in ber Meinung Deutfchlands viel
verloren hatte. ſterreich, durch ftarfe englische Subfidien mit neuem
Kriegseifer erfüllt und vol Hoffnung, durch militärtiche Leiftungen
feiner Vergrößerungsluſt irgendwo, am liebften in Deutſchland felbft,
dienen zu können, unterließ nichts, die Mipftimmung der Deutfchen
gegen Preußen aufzureizen. Cingriffe, die der König in bie Rechte
einiger fränkifcher Reichsritter that, boten dazu eine neue Veranlafjung.
*) 0. Spbel, Geſchichte ber Revolutionsgeit 17891795, Bd. III. (1860) ©. 498 fi.
Sriedri Wilhelms II. Ende. 417
Im Zahre 1769 war die hohenzollerſche Linie Baireuth ausge
ftorben, und der Markgraf Karl Alerander von Ansbach hatte beide
Länder unter feiner Herrſchaft vereinigt; da er indes der letzte feines
Stammes war, fo trat er biefelben (116 Duabratmeilen mit 420000 Ein⸗
wohnern) am 2. Dezember 1791 gegen ein Jahrgehalt von 500000 Gulden
an ben König von Preußen ab, der am 3. Januar 1792 Befih ergriff”).
Die neue Regierung eignete fid) bald Hoheitsrechte über Die Reichgritter,
die hier angejefjen waren, ſowie über bie Reichsftadt Nürnberg an (welche
übrigens 1796 jelbft ihre Unterwerfung anbot) und erregte dadurch bei
den übrigen Reichsftänden nicht wenig Unwillen, ben Oſterreich für ſich
zu benutzen wußte. So diente Kleines und Großes, den Zwieſpalt
Deutſchlands zu erweitern.
Sriedrid Wilhelms II. Ende,
Bern fonft eine neue Erwerbung an das hohenzollerfche Haus kam,
pflegte ihr Zuſtand ſich raſch zu verbefiern; bie preußiiche Verwaltung war
berühmt wegen ihrer Pflichttreue und Unbeftechlichteit. Aber bie fchlaffere
Art, mit der Friedrich Wilhelm II. die Zügel der Regterung hielt, übte
aud) auf das Beamtentum einen nachteifigen Eiufluß. Überdies beſaß
er nicht das Talent, die rechten Männer zu feinen Dienern zu wählen.
Die Einwohner der Provinz „Neuoftpreußen” fanden daher an der neuen
Regierung wenig zu loben. Anftatt die Hilfsquellen der neuen Gebiete
möglihft nußbar zu machen, verſchleuderte der König polnifche Güter,
die dem Fiskus zugefallen waren, ohne Wahl an feine Höflinge und
Günftlinge und ließ die Minifter fchalten wie fie wollten. Er mochte
nicht gern genirt fein und genirte darım auch feine Diener nicht; Tein
Wunder, daß fie den Staat zu ihrem Privatnutzen ausbeuteten. So
tam es, daß troß der großen Landerwerbungen der Staat bei bem Tode
des Königs mit einer. Schuldenlaft non 48 Milkionen Thaler beſchwert
war. Und dabei hatte man doc wieder bie alten drückenden Yinanz-
Kinfte anwenden müſſen; das Tabalsmonopol war 1797 aufs neue ein-
geführt worben.
Reformen von irgend welcher Erheblichteit waren nirgends zuftande
gefommen; die Übel, an denen alle alten Staaten krankten, blieben auch
in Preußen, wie fie waren. Im Gefolge der Günftlingsherrichaft hatte
fich nun fogar ein neuer Mißbrauch eingefchlichen, nämlich Unter
*) Damals wurde der in Ansbach und Baireuth beftehende rote Adlerorden zum
weiten Hausorben bes Königreichs Prenben erklart.
478 " Friedrich Wilgelms II. Ende.
ordnung ber Staatszwede umter rein perfönliche Interefien der niedrig-
ften Art.
Allerdings gab es ımter ben älteren Staatsbienern, unter ben
Beamten aus Friedrichs Schule gar manche, weldye die alte Tüchtigfeit
und Integrität ihres Stanbes fich bewahrt hatten. Bit Schmerz und
Umvillen betradjteten fie diefe ſchlimme Wirtſchaft. Aber fie waren
machtlos. ME im Jahre 1796 einer von ihmen, der Kriegsrat Zer-
bont in Petrikau, dem wegen feines Adelsſtolzes verhaßten Mintfter für
Schleften, Grafen Hoya, freilich im unpaffender Sprache, gewiſſe Miß—
griffe und Ungejeplidjleiten vorwarf, Heß ihn der König, bei welchen
Hoym ſich befchwerte, auf die Feſtung ſetzen, ohne den Grund oder Un-
grund der wiber Hoym erhobenen Anfchuldigumgen zu unterfuchen. Es
ftellte fi) heraus, daß Berboni mit einigen patriotiſch gefinnten Män-
nern einen geheimen Bund, „bie moralifche Vehme“, geftiftet hatte,
welche den Zweck verfolgte, alle im Staat und in ber Gefellichaft
vorkommenden ımb ftraflos gebliebenen Ungerechtiglkeiten aufzufpären
und ans Licht der Dffentlichfeit zu bringen. Dies genügte, um Ber-
boni dem Könige als einen fehr geführlichen Jakobiner erfcheinen zu
lafſen.
Mit den andern Bweigen ber Verwaltung verfiel and) das Heer-
weſen. Schen im Zahre 1795 beftanden bie Dffiziercorps ganzer Regie
menter aus Imvaliben an Körper und Geift. „Es kam vor, daß ſämt⸗
liche Offiziere von Reiterregimentern vom Oberlieutenant aufwärts vor
lauter Schmerbãuchigkeit, Gicht und Häntorrhoiden nicht mehr zu Pferde
fteigen, oder wenigftens es nicht mehr zu Pferde aushalten konnten.
Der Geiſt ber friedrichſchen Ara war aus dem Heere entwichen und mit
ihm die moralifche Zucht. Geblieben war aber Der tote Mechanismus,
die Puder⸗ Sopf- und Kamajchengual und bie brutalfte Fuchtelei: wo
der Reiſende innerhalb Preußens einen Grerzierplag betrat, konnte er
Dffigiere und Korpsrale auf die Schultern und Meine ber Rekruten
losihlagen fehen ımb bas ‚Ihr verfluchten Hunbelerle, das Donner-
wetter foll euch zerſchmeißen!“ fchallte ihm unaufhörlich in Die Ohren.*)*
Zwar fanden fid) unter den Offizieren jener Zeit auch viele achtungs-
werte; es fehlte nicht am guten geiftigen Beftrebungen; namentlich in
Berlin und Potsdam wurden mit großer Emfigkeit kriegswiſſenſchaftliche
Studien getrieben, Die freilich meift nur einem eiteln Theoretifiren Vor⸗
ſchub leifteten**); und Hunderte von Offizieren ſuchten geiftige Erhellumg
und Erhebung in den Yreimaurerlogen**). Aber es war bies doch ber
*) Martens, Dentwurdigkeiten aus dem kriegeriſchen und politijchen Reben eines alten
Dffsiers, ©. A.
*) Rede, Memoiren I. 118.
“ee, Giöte bei Barnhagen, Denkwürbigkeiten 2. Aufl. II. 328.
Friedrich Wilhelms IT. Tod. 478
fleinere Teil und gerade der Teil, der den Ton nicht angab. Auf die
Mehrzahl paßte das Bild, welches ein Beitgenoffe (v. Cölln) übertreibend
von allen entwirft; er berichtet: „Der Offigierftand, ganz dem Müßig-
gange Hingegeben und den Wiſſenſchaften entfremdet, hat es im der
Genußfertigleit am weiteften gebradjt. Sie treten alles mit Füßen, diefe
privilegirten Störenfriebe, was ſonft heilig genannt wurbe, Religion,
eheliche Treue, alle Tugenden der Häuslicjteit.“ Übrigens hatte fid das
Sittenverberbnis, wenigftens in ben Refibenzen, allen Ständen mitge-
teilt*), wenngleid) die Vornehmen es am wüſteſten trieben. Das ſchlechte
Beiſpiel, welches ber König durch feine in geſchlechtlichen Dingen lare
Moral gab, beftärtte in dieſer Richtung; zumal da das Gerücht, wie es
pflegt, was ſchlimm war, ins Maßloſe und das Vergnügen zur Orgie
vergrößerte. Daß der König in allen andere Stüden eher einfach als
üppig lebte, kam dagegen bei den Wenigften in Betracht.
So konnte denn der Vaterlandsfreund es nur für ein Glück erachten,
daß dieſe Regierung ſich raſch ihrem Ende zuneigte. Friedrich) Wilhelms
Körper war mict fo widerfianbsfähig, wie er ausfah. —
‚ber Feldzüge. beſonders des polniichen, hatten ihn ſehr angegriffen; es
bildete ſich ſchon im Jahre 1795 ber Keim einer ſchweren Krankheit in
ihm aus. Bald zeigte ſich die Wafferfucht. Vergebens nahm man die
verfchiedenften, zum Zeil feltjamften Kuren mit ihm vor; vergebens
gaben ihm feine Roſenkreuger aurum potabile, „trinfbares Gold“, ein
Nach langen Leiden, in denen ihn Die Lichtenau mit aufopferader Hin⸗
gebung gepflegt hatte, ftarb er am 16. November 1797, 53 Jahre alt.
Er hinterließ den Staat in Verfall, tief verſchuldet, von feiner
Großmachtſtellung berabgefunten, obwohl das Länbergebiet, bejonders
durch die polnifche Beute, von 3524 auf 5636 Duadratmeilen, die Ein⸗
wohnerzahl don 5660 000 auf 8687000 angewachſen war. Aber ber
Zuwachs glich einer ungefunden Aufgebunfenheit, und Warſchau, das
Danaergefchent, war mır ein Pfahl im Fleiſche des Staates, der in Ge—⸗
fahr ſtand, durch den polnifchen Balaft mehr an feinem Deutſchtum ein⸗
zubüßen, als er an Machtmitteln gewann.
*) Bergl. Vertraute Briefe (von Can) I. 111, 141. Varnhagen, Tagebüder, I. 334.
Some, Rüdel II. 33, 29.
Sriedrich Wilhelms NIT.
„Man kann fic) jept gar nicht mehr vorftellen“, ſagte nachmals ein
Zeitgenoſſe, der alte Schadow, „wie mwohlthätig auf das üippige Leben
des Vorgängers das Beiſpiel Friedrich Wilhelms II. fam, die ftille
Häuslichfeit, die Schönheit und Brapheit der Königin." In der That,
der junge Monard) und feine Frau Luife führten mit einander ein Leben
vol inmigfter Zumeigung, voll Sittenreinheit und ehrbarer Zucht, wie es
damals auf den Thronen unerhört war. Einfach und mäßig, ſchlicht
und wahrhaftig — jo war der Kronprinz unter der ernften Zeitung feiner
Erzieher erwachſen; und fo blieb er als König. Es war etwas Bürger
liches in ihm; feine Art, feine Neigungen hatten das Biebere, Gemütliche
eines wohlmeinenden Mannes aus dem Mittelftande. Er fühlte fich nir-
gends wohler als im Kreife feiner Familie, wo e8 ohne Prunk ımd fteife
Etikette Herging. Da faß er ftillvergnügt bei Frau und Kindern und
feinem Freunde, dem General von Ködrig, dem die Königin nach Tiſche
wohl felber die geftopfte Pfeife und den bremmenden Fidibus reichte. So
ein Bild gefiel dem Bürgersmann; König und Königin wuchfen ihm
ans Herz. Auch die andern vorherrichenden Büge in dem Charakter
Friedrich Wilhelms II. ftimmten zu jener Schlichtheit: feine nüchterne
Verftändigfeit, fein ftrenges Pflichtgefühl, feine Liebe zur Sparfamteit,
Ordnung und Gerechtigkeit.
Aber wennſchon höchſt achtungswert als Menſch und ein mufter-
bafter Hausvater, jo befaß er doch zu feinem fchmwierigen Königsamte
nur mäßige und in manchem Stück mangelhafte Fähigkeit. Er war nun,
da er den Thron beftieg, 27 Jahre alt (geb. zu Potsdam den 3. Auguft
1770); ein ſchöner Mann von fehlanfem, hohem Wuchs, militärifcher
Haltung, ernftem, mildem Geſichtsausdruck; aber nod) immer Mebte feinem
Weſen die Schüchternheit an, zu der die pebantifch ftrenge Art feines
erften Lehrers Behniſch den Grund gelegt hatte. Sie verließ ihn nie
ganz; ſelbſt in feiner Sprechweife war etwas Linkiſches; abgebrochen und
ungelent famen die Worte heraus, meift im Infinitiv. Und diefe Nebe-
form bezeichnete auch ganz treffend den Fleck, wo es ihm fehlte: es ger
brach ihm an Selbftvertrauen, an raſcher, fühner Entſchlofſenheit und
durchgreifendem Willen, überhaupt an bedeutender Perjönlichkeit; ein
Mangel, den gerade feine Beicheidenheit verſchlimmerte. Die Anlagen
feines Geiftes, der von Natur einen Inftinft für das Rechte und Richtige
der Dinge und Menſchen hatte, waren durch feine Erziehung nicht be
irãchtlich entwickelt worden; eine umfafjende und großartige Anſchauung
der Dinge hatte fie ihm nicht gegeben. Seine Auffafjung der Welt und -
Königin Luiſe. 481
Boltsverhältnifie war daher oft unflar und einfeitig. Er fühlte dies
und war um fo eher geneigt, fremdem Urteil mehr als dem jeinigen zu
folgen. Aber feiner Vorliebe für ehrbare Mittelmäßigfeiten, wie Ködrip,
Haftrow u. a., kam nur feine Abneigung gegen alles Große und Geniale,
Ungewöhnlide und Energifche gleich, und baher hörte er oft auf Rat-
f&läge, die ſchlechter waren als was er felbft meinte. Anbrerjeits be»
wirkte feine Unentfchiebenheit, daß er feinen Rat ganz und Tonfequent
befolgte. Sein Lieblingswort war „talniren“, weil die Sache feiner
Natur fo ſehr entſprach; nämlich fo Tange es ging, in ben einmal breit
getretenen Geleifen ruhig und ehrbar fortzumandeln. Jeder „Ellat" war
verpönt und auch dieſes ein Lieblings- und Stichwort; es follte abſolut
nie ein EHat ftattfinden; „wer fchrie, befam Recht, damit er nur ſtill
fei; der Diener, der nicht gewandt genug war, den Ekllat zu erfticen,
befam Unrecht." *)
Während Köcrik und die Männer feines Schlages fein höheres
Glück für den preußiichen Staat wußten, als Ruhe und Frieden von
außen, Verträglichkeit im Innern, um „imgeflört ihre Spielpartie und
ZTabakspfeife genießen zu Zönnen“, bejaß die Königin Luiſe, geborne
Prinzeffin von Medlenburg - Streliß, einen ebleren Geelengehalt. Sie
war „bie ſchönſte Königin und eine nod) ſchönere Seele." Sie prangte
damals in reizendfter Jugendblüte, 21 Jahre alt”), „eine Schönheit
erſten Ranges, von hoher und ſchlanker Geftalt, edler Fülle, anmutoolifter
Haltung und Bewegung. Ihr Gefichtsichnitt mit Ausnahme der etwas
zu ftumpfen Nafe, von hellenifcher Reinheit und belebt durch große blaue
Augen, welche die Klarheit ihres Geiftes und die Wahrheit und Güte
ihres Charakters ftrahlend ausbrüdten.“ „Das war nun freilich“, er-
zählt ein Beitgenoffe, „das war eine Fran, Die wie ein ganz überkrdifches
Wefen vor einem fehwebte, in einer englijchen Beftalt und von honig«
füßer Beredſamleit, mit der fie allen die Strahlen ihrer Holbfeligfeit zu⸗
warf, fo daß jeder wie in einem zauberiſchen Traume glauben mußte,
diefes lebendige, regſame Feenbild fei in ihn verliebt, und er dürfe nun
auch in fie verliebt ſein.““*) Dem Zauber, bem in ihrer Nähe alles,
aud) das Sremdefte erlag, hätte am wenigften der König wiberftanden,
der fie fo zärtlich liebte. Aber fie hielt es für ihre Frauenpflicht, fih in
die Staatsſachen nicht zu mifchen, und fie verehrte ihren Gemahl zu ſehr,
um zu zweifeln, daß er jelbft am beften wiſſe, was feines Amtes fei.
Der Kronprinz hatte Friedrich geheißen, ber König ließ ſich Friedrich
=) d. Lang, Shen aus meinem Leben II. 56.
*) Geboren am 10. Mär 1776 zu Hannover, wo ihr Bater, Prinz Karl, bamals
noch nicht veglerender Herzeg von Eteelig, den Poften eines Gouverneurs bekleidete.
“9. Lang a. a. D. 4.
Vierſon, preuß, Geſchichte I. 3
482 Stiedrich Wilhelm III.
Wilhelm nennen; er meinte mit Recht, dieſer Name laſſe fi auf
Preußens Throne leichter tragen. Gr meinte aber aud), die berühmte
Maſchine, die Friedrich ber Große Hinterlaffen, Tönne fo bleiben, wie fie
eben war; unb barin irrte er ſich ſehr. Don Roft überall zerfreffen,
Tonnte fie jo Großes nicht leiften, als Die Beit jet verlangte. Eine
gründliche Heilung bes ganzen Staatslörpers, eine Umgeftaltung jener
Maſchine in einen lebendigen, von dem Geift des ganzen Volks erfüllten
Organismus — das that not. Aber Friedrich Wilhelm hatte zu fo
großen Dingen vorerft ebenfo wenig den Willen als die Kraft. Er hate
alles Revolutionäre von Grund feines Herzens, und als revolutionär war
ihm alles verbächtig, was dem herfömmlichen feubalen und abfoluten
Weſen des Staats zu nahe trat. Übrigens war man auch im Rolle
über den eigentlichen Sitz bes Übels feineswegs im Maren. Wan wiegte
fid) noch immer in der Einbildung von der Vortrefflicheit des Staates
und befonder8 des Heeres; man war voll Dünfels auf eine Großmacht-
ftellung, die doch ſchon bedenklich ſchwankte. Die Lorbern Friedrichs des
Großen verblendeten ben König, aber auch die Nation. „Ein richtiger
Atpreuße von damals, Dffizier oder Beamter glei) viel, ging einher wie
jener indiſche Brahmane, welcher alles Ernftes überzeugt war, daß er
Feuer genug in feinem Bauche habe, um damit nötigenfalls die ganze
Welt zu verbrennen.“ Allerdings fehlte e8 nicht an Ausnahmen. Unter
den Beamten vom alten Schlage war mehr al8 einer, ber wie Zerboni
dachte und ben Unterichied zwiſchen dem Einſt umd Jetzt gar wohl be-
griff. Ganz von felbft hatte ſich in der legten Zeit Friedrich Wilhelms II.
erft innerhalb der Staatsdienerſchaft, dann von hier weiter ſich verbreitend
auch innerhalb des Bürgertums eine Oppofttionspartei gebildet. An fich
Hein und ohne Einfluß, hatte fie alles vom Kronprinzen gehofft. Jetzt
da er ben Thron beftiegen, war fie voll Erwartung. Vorzüglich wünjchte
fie die Säuberung der Minifterien und Oberbehörden von allen Elementen,
die dem Staate zum Nachteil oder zur Unehre gereichten.
Aber von ihren Erwartungen wurben nur wenige erfüllt. Friedrich
Wilhelm III. begnügte fi), gegen einige der fchreiendften Mikftände ein-
zuſchreiten, und auch dies that er mit Halbheit. Die ihm perjönlich ver-
haßte Gräfin Lichtenau ließ er fofort nad) dem Ableben feines Vaters
verhaften und dann aus der Stabt verweifen; eine mehr harte als ge-
rechte Maßregel. Den Kriegsrat Berboni begnadigte er; aber den Mi—
nifter, welchen diefer angeflagt hatte, jowie Die meiften andern hoben
Beamten, über bie man ſchon geglaubt hatte ein Strafgericht hereinbrechen
zu fehen, ließ er unangefochten. Da half es denn wenig, daß er durch
ein Rundſchreiben den Behörden die Entfernung träger, unfähiger oder
unredlicher Beamten, eine befiere Aufficht und Sparjamteit in der Ver-
waltung, Ordnung und Rührigkeit in allen Bweigen des Staatsweſens
Sans d. Selb. 483
anempfahl. So erfchien auch eine Kabinetsorbre, die den Offizieren aufs
ftrengfte das „Brüsfiren“ ber Bivilperjonen verbot. Aber andrerjeits be-
ftärkte der König den Hochmut der Offiziere, indem er fie im Range den
Bivibeamten unverhältnismäßig voranftellte.
Nur in einem Stücke befierte er gründlich. Er entzog dem Mucker⸗
tum bie Hofgumft, an -bder es ſich genährt hatte. Er war aufrichtig
fromm, aber feine Religiofität zeigte fich in praftifchem Chriftentum,
legte das Hauptgewicht auf die Moral. Er hob bie orthodore Prüs
fungstommiffion und das Religionsedikt auf und entließ deren Urheber.
„Srüher ift kein Religiongedift im Lande geweſen“, fchrieb er an Wöllner,
„aber gewiß mehr Religion und weniger Heuchelei.“ Auch Biſchoffs-
werber verlor feinen Einfluß auf die Staatsangelegenheiten. Der König
war zum Entfegen ber Dunkelmärmer fogar freifinnig genug, dem Philo⸗
fophen Fichte, den die ftrenggläubigen Theologen aus Jena vertrieben,
den Aufenthalt in Berlin zu geftatten (1799). „Wenn es wahr ift“,
meinte er, „daß ber Fichte mit dem lieben Gott in Yeinbfeligfeiten be
griffen if, fo mag dies der liebe Gott mit ihm abmachen. Mir thut
das nichts.“
Auch für die materiellen Interefien des Landes geſchah einiges
Bute. Das Tabalsmonopol wurde aufgehoben und doch durch Orb»
nung und Sparfamfeit das Finanzweſen allmählich in befferen Stand
gejett.
Indefien das war auch alles; man blieb im ganzen mit dem Nach—
befſern Doch nur auf der Oberfläche.
Die Enttäuſchung der „Gutgefinnten“, wie fie fi nannten, war
groß. Aber immer noch meinten viele, es liege nur daran, daß ber
König nicht wiſſe, wie es in Wahrheit um mandye feiner höchften Diener
amd Räte beftellt fei. Ein Freund Zerbonis, der Dberzollrat von Held,
unternahm e8, dem Könige biefe Einficht heizubringen.
Hans von Held (geboren 1764 zu Auras bei Breslau) war ohne
Zweifel einer ber beften Batrioten, bie in der Ießten Zeit ber alten
Monarchie namhaft geworden find. Der Ruhm und die Wohlfahrt des
preußiſchen Staates galten ihm alles, und er haßte leidenſchaftlich, was
diefen Gütern Abbruch that. Von jeher ein Eiferer für Wahrheit und
Recht — ſchon als Student in Frankfurt a. D. und Halle hatte er eine
Art Tugendbund, ben „Konftantiftenorden", geftiftet, den er jedoch fpäter
als unpraftifch wieder aufgab —, in feinem Amte zugleich von jeltener
geipäftlicher Tüchtigfeit und durchweg ein ehrenhafter Charakter, ertrug
er es nicht, daß Perſonen, die er für Stantsverderber hielt, ungeflört
in den wichtigſten und einflußreichften Ämtern ſitzen follten. In Poſen,
wo er 1793 als Ober⸗Aceiſe- und Zoll-Rat angeftellt worden, Hatte er
viel Ungefepliches mitanfehen müſſen; aber als er darüber ſich zu freie
31°
484 Sriedrich Wilhelm III.
Außerungen erlaubte, war er 1797 zur Strafe nach Brandenburg a. H.
verſetzt worden. Auch Zerbonis Schickſal bewies ihm dann, daß es ein
nutzloſes Opfer ſei, mit ungeſchloſſenem Viſir gegen die Machthaber auf-
zutreten. Er beſchloß deshalb, lediglich die Thatfachen ſprechen zu laſſen.
Unter der vorigen Regierung war ein Amtmann und Domänenpäcter
in Krotofhin, Namens Fruenſon, burd die oberften Behörben der Ver—
waltung und der Zuftiz aus feinem Befiß gebracht worden. Die beiden
Minifter v. Hoym und v. Goldbed, auf deren Verfügung dies geſchehen,
hatten damit nad) Helds Überzeugung ſchweres Unrecht verübt und zwar
in einer Weife und aus Motiven, daß dieſer Fall ſich ganz bejonders
eignete, ben Mißbrauch, ben fie mit ihrem Amte getrieben, darzuthun
und dem Könige über ihre Unwürdigkeit die Augen zu öffnen. Er ver-
ſchaffte ſich alſo die Fruenſon'ſchen Prozeßalten und machte den Fall
zum Gegenſtande einer Schrift, die er im Winter 1800 zu 1801 heim⸗
lid) und anonym bei dem Buchhändler Frölich in Berlin druden ließ.
Die für ihn beftimmten Abdrücke ſchickte er zum Einbinden nad) einer
benachbarten fähfiihen Stadt. Der Buchbinder gab ihnen (wohl anf
Helds Anweifung) ſchwarzen Umfchlag und ſchwarzen Schnitt und auf
dem Rüden als Aufſchrift in filbernen Buchſtaben die Namen jener beiden
Minifter. Von diefer Ausftattung erhielt die Schrift dann den Namen
„das ſchwarze Bud”. Der wirkliche Titel lautete fo: „Die wahren
Zatobiner im preußifchen Staate ober aftenmäße Darftellung der böſen
Ränke und betrügerifhen Dienftführung zweier preußifchen Staats-
minifter.* Darunter, ftatt des Drudortes: „Nirgends und überall“ und
die Jahreszahl 1801.
Von biefer Schrift ſandte Held — immer anonym — Anfangs
Februar 1801 drei Gremplare mit der Poſt nad; Berlin, eins an dem
König, eins an deſſen Vertrauten, den General von Köckritz, das dritte
an ben Minifter Grafen von der Schulenburg, der für einen Gegner der
Angegriffenen galt. Zu gleicher Zeit follten die übrigen Eremplare unter
das Bublitum Tommen und fo mit einem Male der Sturm losbrechen.
Zu diefem Zwecke hatte Frölich die ganze Auflage nad) Leipzig geihafft;
von dort follten die Abdrücde in Die Welt gehen. Aber ein faljcher
Freund Helds verriet den bebrohten Miniftern, was im Werke war.
Sie mußten rechtzeitig den König gegen das Pamphlet und den Skan⸗
balmadjer, ber es in bie Welt gefeßt, einzunehmen und durften zur
Unterdrüdung bes öffentlichen Ärgerniffes ihre Maßregeln treffen. Das
Bud) wurde Tonfiszirt, der Verleger, ben man bald ermittelte, verhaftet
und nun auf den Autor gefahndet. Held hätte ſich durch die Flucht
retten können; aber da er und Frölich einander Verſchwiegenheit gelobt,
fo blieb er. Sein Vertrauen täufchte ihn; Frölich nannte den Verfaffer,
und nun wurde auch Held in Verhaft genommen und wegen Schmähung,
Oppofitionsſchriften. 485
der Miniſter und Verlegung der Ehrfurcht gegen den König in Unter—
ſuchung gezogen. Das Ende war, daß FIrdlich auf ein halbes Jahr,
Held auf anderthalb Jahre auf die Feftung fam. Als man Held ab»
führte und er am Töniglichen Schloß in Berlin vorbeifam, rief er, die
Arme zum Himmel erhebenb: „nun, Schidfal, du wirft Richter fein!" —
Borerft hatte er nur die Genugthuung, daß bie öffentliche Meimmg, bie
freilich wenig vermochte, für ihn Partei ergriff. Denn wenn auch die
meiften Sendungen feines Buches in die Hände ber Polizei fielen, einige
drangen doch durch und machten großes Auffehen. Indes gelang es den
Miniftern aud) von dieſen Eremplaren wieder die Mehrzahl in ihre Ge-
walt zu befommen, und in kurzem war bie Brandfchrift fo felten ge-
worden, daß man fie feitdem faft als verjchollen betrachten konnte.
Das Bud, begann mit einer Einleitung, in der fi) der Verfaſſer
an ben König wendete, in einer Sprache, die von unerhörter, ja ftellen-
weije übermäßiger Zreimütigkeit war. Kein Wunder, daß fie ihren
Zweck verfehlte. So ungeftäm durfte zu Friedrich) Wilhelm III. fein
Unterthan reden.
Held berief fi) darauf, daß, was er gejagt, wahr fei. Er verfaßte
in Kolberg, wo er bie ihm biftirte Strafe abbüßte, eine Rechtfertigungs-
ſchrift, in welcher er neue Thatfachen wider v. Hoym und v. Goldbeck
beibrachte, ımd er ſchickte diefe Schrift, der man ben Namen „das
ſchwarze Regifter“ gegeben hat, im Jahre 1802 dem Gerichte ein.
Doch Half ihm dies nichts. Daß jene Minifter fi) unter der vorigen
Regierung mandjes hatten zu Schulden kommen laflen, bezmweifelte der
König wohl nicht; aber er Hatte ein für allemal entſchieden, die alten
Geſchichten follten nicht wieder aufgerührt werben. Nichts in ber Welt
haßte er nun einmal fo fehr, wie einen „Mat“; darım und aus Pietät
gegen das Andenken feines Vaters, der jene Verwaltungsfünden zuge-
laſſen, blieb er dabei, auf das Materielle der Held'ſchen Denunziation
nicht einzugehen, aber deren Form als ftraffällig zu betrachten. Übrigens
befeidigte ihn nicht bloß der Ton, in welchem Held ſprach. Es mißfiel
ihm überhaupt, es galt ihm als eime nicht zu duldende Überhebung,
wenn ein Unterthan ihm in Staatsfachen ungefragt die Wahrheit fagte
und Lehren gab. i
Es erſchienen damals, heimlich gedruckt, noch andere Broſchüren,
welche das Mißvergnügen der Oppofitionspartei fundgaben; eine, be-
titelt „das gepriefene Preußen“, richtete ihre Angriffe jogar unmittelbar
gegen den regierenden König felber. Aber fie erbitterten ihn nur und
betehrten auch in feiner Umgebung niemanden; es blieben Stimmen tn
der Wüfte.
Am wenigften wurde an dem Heerweien und an ber äußeren Bolitit
etwas geändert. Der König beließ die unfähigen Männer, die Preußen
486 Jena.
hier bisher fo übel beraten hatten, den Minifter von Haugwitz, den Ka—⸗
binetsrat Zombard u. a., in ihren einflußreichen Stellen, wie er dene
überhaupt die Staatsdienerſchaft, die er vorgefunden, im großen und
ganzen beibehielt. Für das beftehende Syftem, welches er durch ein
beffere8 zu erſetzen fich nicht getraute, ſchienen ihm dieſe Leute, weil fie
Erfahrung hatten und den Geſchäftsgang kannten, immerhin die brauch-
barften Diener zu fein. Überdies hatte er, wie vor allem Neuen, fo ins«
befonbere vor neuen Gefichtern eine faft unübermindliche Scheu. So trieb
benn bie alte Monarchie haltlos der großen Kataftrophe zu, umwillig und»
unvorbereitet in ben Weltkampf, der rings fie umbrandete.
Iena,
Der rafende Freiheitsichwindel der Revolution hatte ausgetobt;
Frankreich war müde der Greuel, die im Namen der Republik an feinen
Kindern verübt wurden; fchon war es auch der Republit felber müde.
Aber geblieben waren die Kriegsluft, die Raub- und Ruhmgier, welche
die Revolution im Kampfe mit dem Auslande entzündet hatte. Und
wenn es nur gar wenige Republifaner mehr gab, fo waren befto mehr
Soldaten da, die Geſchmack an dem Handwerk fanden, nachdem fie es
einmal ergriffen. Der Jakobinismus lag in den Ießten Zügen, aber er
hinterließ ein ungeheures Material von Kriegs-, von Machtmitteln und
die Nation in Feindſchaft mit aller Welt. So ſchlug die Demokratie in
ein Säbelregiment und die Republif in ein Cäſarentum wm. Denn
ſchon war des glückliche Soldat da, der bie Erbſchaft ber Revolution
anzutreten und mit ber gewaltigen Kraft feines Genies den Sieg an
feine Fahnen und im Heere ganz Frankreich an feine Perſon zu fetten
verftand.
Am 5. Oftober 1795 gab es in Paris wieder einmal eine Erplofion :
der Kern ber parifer Bürgerichaft ftürmte gegen ben Konvent, deſſen
Kredit ſchon fehr gefunten war. Es galt, ihn vollends zu ftürgen. Aber
der Konvent, obgleich ſchon in halber Auflöfung, bot dem Sturme mutig
Trotz und ernannte auf des Abgeordneten Barras’ Vorſchlag zum Führer
der Truppen einen jungen Artillerieoffizier, Napoleon Bonaparte. Die
Wahl traf den Rechten. Der junge Offizier bemächtigt ſich eines Parks
Kanonen und ſchmettert mit großer Ruhe die Vollsmafje nieder. Auf ih
geftügt werfen dann Barras und ein par andere fid) zur „Direltorial-
regierung“ auf. Bonaparte wird zum Dank im nächften Frühjahr al&
General nad) Italien geſchickt. Er war damals erft 26 Jahre alt (geb.
am 15. Auguft 1769 zu Ajaccio in Korfita); eine ımfcheinbare Geftalt,
Hein, fehr hager, ein längliches olivengelbes Geſicht; aber „die ſchatf
Rapoleon. 487
ausgeprägten Züge, das lebhafte, forfchende Auge, das draftiihe Ge—
berbenfpiel verrieten eine Feuerſeele und die breite, gedankenſchwere Stirn
einen Denker"; und bie Truppen lernten bald ihren jungen General als
den Kriegsgott erkennen, ber er war. Denn mit dämoniſcher Gewalt
wußte er Berfonen und Verhältniſſe ftets feinen Zwecken dienftbar zu
machen; das größte praktiſche Genie, welches Frankreich und Ztalien
je erzeugt haben, vereinigte er mit dem euer unb ber Gejchmeidigteit
bes Südländers eine eiferne Willenskraft; dabei war er troß feiner
Jugend vol Erfahrung und Menſchenkenntnis und obmohl fein Glücks—
ftern eben erft aufglimmte, feft überzeugt, daß derfelbe über alle empor⸗
flammen und niemals untergehen werde. Sein Heer glaubte ihm; führte
er es nicht wundergleic von Sieg zu Sieg über jedes Hindernis unauf-
haltſam dahin? Die Sardinier, die Ofterreicher wurben gefdjlagen, über
ben Haufen geworfen, Oberitalien erobert, Mittel- und Süditalien nieder-
geſcheucht. Mit Schreden jah die Welt eine neue furchtbare Macht er-
ftehen, aus dem Chaos ber Revolution die legte, entſetzliche Geburt:
den Bonapartismus, ein Ungetüm, das des Gegners Heere ſchlug, bie
DVölfer töberte, die Regierungen entzweite und einſchüchterte, alle aber,
Freund und Feind, an der Furcht und an der Selbſtſucht faßte und mit
eigener, ſchnödeſter Selbftfucht ausnutzte. Im nächften Feldzug errang
Bonaparte, Macchiavelli und Cäfar in einer Berfon, noch glänzenbere
Triumphe. Er trug feine fiegreihen Trikoloren aus Italien in bie
Alpenländer, bis in das Herz der öfterreichifchen Monarchie und erreichte,
dant der Engherzigkeit, Feigheit und NKurzfichtigfeit Franz' II, ben
Frieden von Gampoformio. „Lieber dem Yeinde eine Provinz opfern
als das Volt bewaffnen, denn dies hieße den Thron umftürzen“, meinte
Kaifer Franz und trat (im Oktober 1797) das linke Rheinufer, bie
Niederlande und Oberitalien an Frankreich ab, wogegen er als Schmer-
zensgeld Venedig erhielt.
Der Kongreß zu Raftatt follte dann aud) zwiſchen Frankreich
und dem beutfchen Reiche Frieden fchaffen. In diefer Diplomaten»
verſammlung fpielten die Franzoſen num auf empörendfte Weiſe die
Herren. Die elende Verfaſſung Deutichlands mit den hunderten von
LZandesfürften, fowie die jämmerliche Politit der beiden: deutichen
Großſtaaten erleichterte ihnen das Spiel. „Wenn der deutſche Reichs-
körper nicht eriftirte, fo müßte man ihn ausdrücklich zu Frankreichs
Nugen erſchaffen“, fchrieb Napoleon damals höhnend, aber wahr, nad
Paris.
Die Dinge geftalteten fi zwar wieder „für Deutichland etwas
günftiger. Denn während Napoleons Abweienheit, den das Direktorium
zur Eroberung Agyptens abgefandt, trat Sfterreich abermals in ben
Krieg ein, und Rußland ſchickte ein Heer zu Hilfe. Raſch trieben Erz-
488 Jena.
berzog Karl und der Ruſſe Suworow den Feind aus Deutfchland, aus
Italien. Da kehrte (Oftober 1799) Napoleon aus Ägypten zurück; ganz
Frankreich jauchzte ihm als dem Manne der Zeit zu. Er eilte nach
Paris, ftürzte (10. November) mit Solbaten die Regierung und ließ ſich
zum „erften Konful der Republik” ernennen; in der That war er mm
ihr unumſchränkter Herr geworben, wenngleich er es noch für nützlich
bielt, den neuen Despotismus mit alten republikaniſchen Formen und
Redensarten einigermaßen zu verhüllen. Die Einfichtigeren erkannten
zwar ſchon jeßt die ſchrankenloſe Selbftfucht, die maßlofe Herrſch- und
Ruhmgier und bie eifige Menfchenverachtung dieſes „Konfuls“; bie
Menge aber freute ſich, daß nım eine „ftarke Regierung” dem ewigen
Hin- und Herſchwanken der öffentlichen Verhältniffe ein Ende machen,
Ordnung und Geſetz feft herftellen und Frankreich zugleich) mit Ruhm
und Beute bereichern werbe.
Diefer Mann ftand jet alſo an der Spitze aller Kräfte einer großen
Nation den Herrſchern Europas gegenüber. Es bezeichnet ihre Ber-
blendung, daß fie die Gefahr nun für geringer hielten. Er war doch
ber Bezwinger der Revolution; freilich, ein Parvenü, aber die Revolu⸗
tion beenbigt zu haben, dies Verdienſt adelte den Advokatenſohn. So
ſah namentlid) der berliner Hof die Dinge an. Auch fprad) der fran-
zöſiſche Diktator fo gemäßigt, redete fo gut von feiner Friebenstiebe
und befonder8 von feiner Freundſchaft für Preußen. Friebric Wilhelm
hielt alfo fefter als je an feiner Politit der „freien Hand“, der Reutra-
lität, bes Abwarten. Sie galt ihm in dieſem Weltkampfe für die größte
Weisheit. Schon im vorigen Jahre, als Preußens Beitritt zu der
„zweiten Koalition“, die England zufammengebracht, von jedem wahren
Staatsmann hätte für notwendig erflärt werben müfjen, wiberftand ber
König dem Andringen Rußlands und OÖſterreichs und blieb parteilos.
Seine Höflinge nannten das abwartende Klugheit, was „im letzten Grunde
doch nur Meinmütige Unentfchlofienheit und Mangel an großftaatlihem
Selbftvertrauen“ war. Der franzöfiche Gefandte in Berlin, der Muge
Sieyes, ſchrieb damals fehr treffend an Talleyrand: „Der König von
Preußen faßt die fehlechtefte aller Entſchließungen, die, ſich für feine zu
entſcheiden. Preußen will allein bleiben; das ift jehr bequem für Frank⸗
reich: es Tann während. diefer preußiichen Betäubung mit ben andern
fertig werden. Mit Unrecht jagt man, Berlin ſei ber Mittelpunkt der
europäiſchen Unterhandlungen; die ganze Weisheit des berliner Hofes
befteht darin, mit Ausbauer und Hartnäckigkeit eine paffive Rolle zu
fpielen." Friedrich Wilhelm beharrte auch jeht dabet, nichts zu thun .
Die Meinung, man werde ihn in Ruhe laffen, wenn er bie andern nicht
ftöre, ging bei ihm bis zum Aberglauben. Er konnte ſich jagen, Preußen
bedürfe des Friedens, um ſich innerlich ganz neu zu geftalten und fo erft
Preußens Reutralitäts-Politik, 489
in rechten Verteidigungszuftand zu ſetzen. Aber eben dieſe Neugeftaltung
unterließ er; e8 blieb im wefentlichen alles beim alten.
Inzwiihen war Katfer Paul von Rußland aus der Koalition ge-
ſchieden, hatte fogar zu Napoleons Freude in Verbindung mit Schweden
und Dänemark, um Englands Seehegemonie zu beſchränken, die „nordifche
Neutralität“ errichtet und drängte nun Preußen in diefelbe Richtung;
Friedrich Wilhelm trat (1800) ber nordiſchen Neutralität bei, ſchien alfo
auf die Lehre der Franzofen, Preußen und Frankreich feien natürliche
Verblndete, mehr als bisher zu geben. Ihn beftärkte darin das Miß—
geſchick, das über ſterreichs Waffen waltete. Es hatte mutig ausgehalten,
aber das Glüd warf bem erften Konful bei Marengo (Zuni 1800) den
Sieg in ben Schoß; er eroberte die Lombardei, und aud in Süddeutſch-
land gewannen bie Yranzofen eine große Schlacht (bei Hohenlinden).
Die Frucht diefes Feldzuges war ber Friede zu Lünenille (Februar 1801),
in welchem Ofterreich und das deutſche Reich die Bedingungen des Siegers
annehmen mußten: Ztalien (außer Venedig), Holland und die Schweiz
Tamen als Tochterrepublifen, dag ganze deutſche Rheinland der linken Seite
als Provinz in Frankreichs Hände. Friedrich Wilhelm ging nun einen Schritt
weiter auf dem neuen Wege, ben feine Politik eingefchlagen; er beſetzte
(1801) zum Schuß der Rorbfeetüfte Hannover und ließ es fi) gefallen, wie
die andern größeren beutjhen Fürſten, die durch den Lüneviller Vertrag
Einbuße erlitten, auf Koften der Meinen Reichsftände, befonders durch
Säkularifirung geiftticher Güter, entichädigt zu werben; ber regensburger
Reih8-Deputations-Hauptjchluß vom 25. Februar 1803 ordnete
unter Frankreichs und Rußlands Vermittelung dieſes Geſchäft, das durch
die ſchamloſe Selbfſtſucht, durch das Feilſchen und Zugreifen der meiſten
Beteiligten noch widerwaͤrtiger wurde. Preußen erhielt babei- zum Lohne
für feine Fügſamkeit gegen Frankreichs Politik eine nicht unbeträchtliche
Vergrößerung: es hatte Geldern, Mörs und einen Teil von Kleve ver-
loren, 43 Duadratmeilen mit 127 000 Einwohnern, und befam für biefe
linksrheiniſchen Befigungen einen Erſatz im inneren Deutſchland, der das
Vierfahe an Umfang und Bevölkerung betrug, nämlich die Bistümer
Hildesheim und Paderborn, ben größten Teil vom Bistum Münfter mit
diefer Stadt, Erfurt und andere kurmainziſche Gebiete in Thüringen,
die Grafihaften Treffurth, Untergleihen, das Eichsfeld, bie Abteien Her-
ford, Quedlinburg, Elten, Efjen, Werden, Kappenberg und bie Reichsftäbte
Mühlhaufen, Roröhaufen und Goslar — im ganzen ein Gebiet von
178 Duadratmeilen mit mehr als einer halben Million Einwohner und
einer Stantseinnahme von vier Millionen Reichg-Gulden.
Aber wog biefer materielle Gewinn ben Verluft an Ehre und An-
fehen auf, den die Großmacht Preußen durch ihre ſchwachmütige Haltung
erlitten hatte? Zwar weber im beutfchen Wolfe noch in den deutſchen
4% Iena.
Regierungen lebte ein rechtes Gefühl von der Schmach, in die Deutſch-
land verfanf, da es alfo vom Auslande behandelt warb. Viele ſahen
fogar, und mit Recht, eine Wohlthat darin, daß man mit der beutjchen
Kleinftanterei gründlich aufräumte, daß fo viele Heine Feudalweſen und
Pfaffenſtaaten verfchwanden, daß, werm es zur Ginheit nicht kam, doch
nun beren Hindernifje ſich verminderten; aber die Hand, die dem Reichs-
gefpenft an fein Scheinleben griff, war eine fremde, und felbft wer nur
Sreuße, nicht aud) Deuticher fein mochte, hätte es für eine Veſchädigung
der vaterländijchen Intereſſen halten follen, daß nunmehr ein Neuntel
des Flächenraums (1155 Quadratmeilen) und ein Siebentel der Benölfe-
rung (3%, Million) von Deutſchland abgerifien und zu Frankreich ge—
ſchlagen waren, und daß die größeren Staaten, die übrig blieben, Baden,
Würtemberg, Baiern, von nun an im Bunde mit Frankreich, mit der
Macht fanden, durch die fie waren vergrößert worden.
Dennoch; beharrte Preußen fort und fort in behaglicher Selbftzufrieden-
beit oder redete fi) doch ein, daß dag Stilffigen unter den gegebenen Ber-
hältnifien eine Rotwendigteit fei. Der König ermannte fid) auch dann nicht
zu einer That, als Napoleon eine neue Demütigung über Deutſchland ver-
böngte, Die gerabe auch den preußiſchen Staat beihimpfte und beſchädigte.
E ſchickte fid) an, Hannover, welches die Preußen noch 1801 wieder ge
räumt, felber zu befegen, ba er auf anderen Punkten dem Könige von
England nicht beifommen konnte. Nun forderten die Klugheit und die
Ehre gleich dringend, da Preußen diefe Verlegung ber norddeutſchen
Neutralität, diefen Bruch des bafeler Friedens nicht dulde. Es durfte
die Franzoſen nicht in das Gerz feines Machtgebietes, nicht in ben Befig
der Weſer⸗ und Elblinie kommen laflen; es mußte feine Truppen wieder
nad) Hannaver werfen, um den Krieg von feiner Thür fer zu halten
ober ihn im beflerer Lage annehmen zu können. Aber Friedrich Wil⸗
heim IIT. haßte überhaupt Die Kriegsgedanfen, meinte auch nicht die
Mittel zu einem Kriege mit Frankreich in Händen zu haben, ımb
wähnte, ihn durch Nachgiebigkeit vermeiden zu können. Er überließ
daher Hannover feinem Schickſal. Die feige und unfähige Regierung
dieſes Landes überlieferte es ben Franzoſen ohne Schwertſtreich (Juli
1803). Was Preußen nicht wagte, konnte dem deutſchen Reiche natüre
lich nicht von fern in den Sinn kommen. Es lag im Sterben, und die
Heinen &emeinwejen darin, weldje fo eben die Heineren verjchlumgen
hatten, bildeten darum noch feine Macht, weil fie die Macht über das
Recht ſetzten. „Wem Deutſchlands Unabhängigkeit und Selbftändigteit*,
ſchrieb 1804 der Reichsritter Freiherr vom Stein, „wenn diefe für bie
Nation fo wohlthätigen großen Zwecke erreicht werden follen, fo müfjen
die Meinen deutſchen Staaten mit den beiden großen Monarchien, von
deren Eriftenz die Zortbauer des deutſchen Namens abhängt, vereinigt
Dritte Koalition. 491
werben, und die Vorſehung gebe, daf ich dieſes glüdliche Ereignis er-
lebe." Das hatte lange Wege.
Nachdem die preußifche Neutralitäts-Bolitit fo vor aller Welt in
threr Ohnmacht aufgededtt worden, fuchte der König das Anfehen feines
Staats durch ein entichiedeneres Anlehnen an Frankreich, zu kräftigen,
unb da Rapoleon ihn vor der Hand noch brauchte, fo fehienen beide
eine zeitlang auf freundſchaftlichem Fuße mit eimander zu ſtehen. Am
18. Mai 1804 warf Napoleon die republitantichen Formen ganz bei
Seite und ließ fich zum erblichen Kaifer der Franzofen ausrufen. Preußen
und Öfterreich wetteiferten, ihn wegen dieſes Schrittes zu beglückwünſchen;
das legtere nahm aber davon Veranlaffung, ſich ebenfalls mit der Kaifer-
würde zu ſchmücken, was um ſo ratjamer ſchien, ba es mit dem deut⸗
fchen Kaifertum zu Ende ging. Am 14. Auguſt 1804 erflärte Franz IL
feine öfterreichifchen Staaten zu einem erblichen Kaiferreih. Auch
Friedrich Wilhelm III. ward der Vorſchlag gemacht, ſich in ähnlicher
Beife zu erhöhen; man riet ihm, ben Ramen eines Kaiſers von Preußen
anzunehmen; er wollte jedoch aus Beſcheidenheit davon nichts wifien.
Trotz aller Bean der Höfe lag indes ein neuer
Krieg in der Luft. In ihrem Hergen fühlten bie eumopäifchen Yürften
Haß und roll gegen ihren neuen Kollegen, diefen Emporlömmling, der
aus einem namenlofen Artilerieleutnant Kaifer geworben war, und ber
vielen unter’ ihnen fo ſchwere Nackenſchläge gegeben hatte. Am feinb-
lichften war die Stimmung in Wien, wo man bie größten Berlufte er-
litten. Auch ber junge und ehrgeizige Kaiſer Alerander I. von Rußland
grollte über die weite Ausbreitung der franzöfiichen Macht. So wurde
es ber britifchen Regierung nicht ſchwer, dieſe beiden Mächte zu einer
„dritten Koalition“ zu bewegen, welche Frankreichs Übergriffen noch ei
mal mit den Waffen in der Hand entgegentreten ſollte. Beide Parteien
bemühten ſich wieder um bie Hilfe Preußens, und jet war für biefen
Staat der letzte Moment gelommen, fi) aus feiner ſchiefen Stellung
aufzurichten. Nur durch den Beitritt zum Koalition konnte er noch ge
rettet werden. Es gab in der Umgebung bes Königs Stimmen gemug,
die dazu .rieten; fein Vetter Prinz Louis. Ferdinand ftand an der Spitze
diefer Partei, die den Krieg gegen Frankreich wünſchte; auch die Königin
neigte dieſer Richtung zu. Aber noch eifriger flüfterten die Mutlofen,
die Politiler bes Richtsthuens ihre Ratſchläge, und der König jelbft
hatte feine Luft, mit feinem bisherigen Syſtem zu breden. Gr meinte,
weil er fich bis jept fo ohne Krieg durchgewunden, jo werde ihm folches
fid) Durchwinden auch in Zukunft möglich fein. Nur zu einem Mittelmege
zu diplomatiſchem Flickwerk gab er feine Zuftimmung: Preußen verjuchte
zwiſchen Paris und Petersburg einen Ausgleich anzubahnen. Damit
492 Jena.
verdiente es fi) nirgend Dank; beide Teile waren zum Sriege ent-
fchlofien, der dann im Spätfommer 1805 ausbrad).
Preußens Schwert Tonnte jetzt die eine oder die andere Wagſchale
fenfen. Rußland meinte, durch eine Verbindung von trogiger Drohung
und Viebfofender Schmeichelei ben König in die Koalition hineinzwingen
zu können. Napoleon Iodte mit dem Beſitz Hannovers. Preußens
höchſte Intereſſen wiejen ins Lager der Verbündeten; die niedere Selbft-
fucht trieb, zu Napoleon überzugehen, — für eins von beiden mußte
man fid) entſcheiden. Hardenberg, feit 1804 an Haugwitz' Stelle Minifter
des Außern, erfannte dies wohl; aber nicht er, fondern bie Brivatratgeber
des Königs, der Kabinetsrat Lombard, der General Köcrig, der Graf
Haugwitz, hatten befien Ohr, und fie hatten es, weil fie mır anrieten,
was der König zu hören wünſchte: Neutralität, Neutralität um jeden
Preis‘). So verblieb denn Friedrid Wilhelm hartnädig bei einer Po—
Titif, die jeder Einfichtsvolle verurteilen mußte, die „mweber die rechte Kraft
zum Guten, noch den Mut des Schlechten" befaß, die ſich unentichloffen
bald hierhin, bald dorthin neigte, und die zulegt an ihrer Schwäche und
Halbheit zugrunde ging. Denn während der König von Preußen ftil
aß, geihah es, daß Napoleons Heere, von Baiern, Würtemberg, Baden
verftärft, längs der Donau vordrangen, die fchlechtgeführten Ofterreicher
in einer Reihe von Schlachten überwältigten und Anfangs November
Bien erreichten. Nicht einmal die Verlegung bes preußifchen Gebiets,
der Durchzug franzöfticher Truppen durch Ansbach, brachte den König
zu einer That; auch nicht des Zaren perjönlihe Einwirkung. Alerander
Tam ſelbſt nach Berlin und ſchloß mit Friedrich Wilhelm in empfind-
famfter Weife ein Bündnis; in der Nacht vom 3. zum 4. November
1805 am Sarge Friedrichs des Großen in Potsdam fehworen fie ein-
ander Freimndſchaft. Aber nun in diefem letzten, allerletzten Augenblide
wirklich loszuſchlagen, dazu fehlte e8 dem Könige doch wieber an Ent-
ſchlofſenheit. Vielmehr beſchränkte er ſich darauf, ben Grafen Haugwitz,
den er fchon im Dftober dem Minifter Hardenberg in ber Leitung des
Äußeren an die Seite gefeßt hatte, an Napoleon abzuſchicken, damit er
diefem Vorftellungen mache, und begab ſich felbft dann aufs Land nach
feinem geliebten Schloß Paretz, um bier, wie er e8 gern hatte, fi)
idylliſch zu erholen.
So ging die Gelegenheit zur Rettung unwiederbringlich verloren.
Napoleon beſetzte Wien, drang in Mähren ein, um dort das ruffiiche
öfterreichtiche Hauptheer zu fehlagen. In dieſem Augenblice erfchien
Haugwiß bei ihm; Napoleon gelang es leicht, dieſen ſchwachmütigen
*) Bgl. Denkwurdigkeiten des Staatskanglers Pürften v. Hardenberg, herausg. von
2. v. Rante, Leipzig 1877, II. 188 ff. u. a.
Schwaͤche und Dunkel. 493
Diplomaten, der ohnehin von feinem Könige friedfertige Weifungen
empfangen hatte”), durch leere Verhandlungen binzuhalten, bis er am
2. Dezember in der „Dreifatferfchlaht" bei Aufterlig die Verbündeten
befiegt hatte. Kaifer Franz bat jegt um Frieden (4. Dezember); er er»
hielt ihn (zu Preßburg 26. Dezember), aber unter den härteften Bedin-
gungen: Ofterreich wurbe aus Italien völlig, aus Deutſchland faft ganz
hinausgedrängt; mit den deutjchen Provinzen, die es einbüßte, wurden
Napoleons Vafallen, die Herricher von Baiern, Würtemberg, Baden be»
lohnt. Die Koalition war gefprengt, die Ruſſen zogen in ihr Land
zurüd. Auf Haugwitz aber machte Napoleons Glüd einen fo übermäls
tigenden Eindruck, daß er ſich die empörendfte Behandlung gefallen ließ,
um dann (am 15. Dezember zu Schönbrunn) eigenmächtig einen Vers
trag zu unterzeichnen, deſſen Schimpflichleit er gar nicht einmal zu fühlen
ſchien: er willigte in die Abtretung preußifcher Provinzen, Ansbach,
Wefel, Kleve, Neuenburg, und zum Entgelt follte Preußen das Kurfürften
tum Hannover, da8 Eigentum des Königs von England, mit dem es in
Frieden lebte, nehmen dürfen. ALS dieſer Vertrag, ber Preußen in ers
niebrigenber Weiſe einen Biffen für die Habgier zuwarf, am berliner
Hofe eintraf, „Ichäumte nicht nur die Kriegspartei auf, fondern trat
fogar der König für einen Augenblid zornvoll aus feinem Phlegma
heraus." Allein Lombard und der preußifche Gefandte in Paris Marquis
Luccheſini ſchläferten diefe Aufwallung wieder ein, und auch Hardenberg
war furzfichtig genug, die Annahme des Vertrages und die Abrüftung
anzuraten. Friedrich Wilhelm ſuchte wieder nad) einem Mittelweg
zwiſchen Ja und Nein, nahm den Vertrag nicht eigentlich an, lehnte ihn
aber auch nicht ab und ſchickte, während er fein Heer auf den Friedens»
fuß ſetzte, Haugwitz nad) Paris, um mit dem Kaifer aufs neue zu unter
handeln. Dieſe haltlofe Schwäche, Diefes ewige Schwanken veranlaßte
Napoleon zu den bitterften Außerungen: „der preußifche Hof ift ebenjo
falfch als dumm“, fchrieb er damals an einen feiner Brüder; Preußen
wurde ihm zugleich verächtlic, und verhaßt. Er überhäufte es von nun
an mit Demütigungen und nötigte den König durch Drohungen zu
einem Allianz-Bertrage (15. Februar 1806), ber für diefen nod) ſchmäh-
licher war als der ſchönbrunner; denn es kam noch ein Artifel Hinzu,
der bie preußifche Politik an die franzöſiſche kettete und den Bruch mit
England gebot. Hardenberg, der immerhin eine würdigere Richtung
verfolgte, mußte nun an Haugwitz völlig den Platz räumen. Aber wenn
Friedrich Wilhelm nicht wagte offen zu wiberftehen, fo fuchte er doch
durch heimliche Unterhandlungen aus dem bonapartijchen Netze zu ent-
kommen. Er ſchloß ohne Wiſſen des Minifteriums einen Bundesvertrag
) v. Schön, Aus ben Papieren u. f. w. IV. 543.
494 Jena.
mit dem ruſſiſchen Katfer und unterhielt mit diefem — ebenfalls im
ttefften Geheimnis — einen Briefmechfel, der ganz anders lautete als
die öffentlichen und offiziellen Depeſchen, welche nad) Petersburg geſchickt
wurden.
Mit diefer Schwäche und Charakterlofigfeit der Regierung bildete
der Dünfel in den oberen Schichten des Volks einen um fo widerwärti-
geren Gegenfag. Vor allen ber Offizierftand zeigte ſich in feiner Mehr-
zahl jeder politifchen Bildung und Einficht bar; dieſe Gifenfreffer, ſchaden⸗
froh über die Niederlage der Öfterreicher, meinten, „das könne den Blau-
röcken mie begegnen, jo ausgeklopft zu werben wie bie Weißröde."
„Generäle wie ber Herr von Bonaparte” — fagte ber General v. Rüchel
auf einer Parade in Potsdam — „hat die Armee Sr. Majeſtät mehrere
aufzuweiſen.“ Er felbft, Rüchel, hatte doch nur Ererzier- und Verwal⸗
tungstalent und war ein tapferer Soldat, aber kein Feldherr. Am
ärgften bramarbaftrten natürlich die jüngeren Offiziere. Der adlig-
foldatijhe Übermut trat bei ihnen, zumal bei den eben aus ben
Kabettenhäufern entlafienen, Halb komiſch und halb wiberlich zu Tage;
er war der häßlichfte Charakterzug des Preußentums jener Zeit und
machte es bejonders den Bewohnern der neuerworbenen Provinzen
verhaßt. Ein Zeitgenofje, der es in den Jahren 1803 bis 1806 in
Münfter beobachtete, melbet darüber:*) „Die langen Degen in wagrechter
Lage an ber Seite, fahen die bartlojen Kerlchen mit bem gewaltigen
Sturmhut auf dem Heldenhaupt aus, wie mit einer Stecknadel auf-
gefpießte Brummfliegen. Diefe Knaben-Dffiziers ftolzirten in langer
Front auf dem Prinzipalmartt umher und unter den Lauben mit einer
Unverfhämtheit und Brutalität, bie felbft die Verftänbigen unter ben
preußifchen Beamten empörte. Wer ihnen in den Weg kam und nicht
bei Zeiten auswich oder nicht mehr ausweichen konnte, wurde mit dem
Rohrſtock oder mit dem Degenknopf bei Seite geftoßen, und Frauen und
Jungfrauen, die das Unglüd hatten, in das Bereich diefer entarteten
Zugend zu geraten, wurden durch die jchamlofeften Neben und felbft
durch Handgriffe infultirt. Diefe Bande führte in Wein- umb Speije-
häuſern und bei den Konditoren das große Wort. Wir werben, lärmten
fie, den Franzofen und ihrem Bonaparte ſchon zeigen, um was es fi
Handelt, wenn fie uns zu nahe kommen. Er foll uns kennen lernen!“
Wie ſtach dagegen das Benehmen des wirklich verdienten Kriegsmanns,
der damals in Münfter Tommandirte, des Generals v. Blücher, ab!
Er war gegen jedermann und beſonders gegen ben Bürger und gegen
die niederen Leute Die verkörperte Humanität,. baher auch ber einzige
) Meine Wallfahrt durchs Leben, v. e. Sechsundſechiger I. 285. Del. v. Lang
a. 00.1 65.
Die preußtigen Offigtere. 4%
populäre Offizier, den es dort gab. Doch teilte auch er die Meinung
von der Unüberwindlichkeit der Armee. Es kam mun die Beit, fie zu
‚erproben.
Durch die erbuldeten Demütigungen hatte Friedrich Wilhelm nichts
erfauft als noch fchlimmere Kränfungen. Denn Napoleon, heimlich vor
Begierde brennend, die berühmten Soldaten Friedrichs des Großen zu
{lagen und die Schande von Roßbach glänzend zu tilgen, juchte den
Krieg; er trat daher immer feindfeliger gegen Preußen auf, fchaltete
rüdfichtlos in den deutſchen Dingen, gab Kleve und Berg feinem
Schwager Joachim Mürat, wie er Holland in ein bonapartiſches König-
reich verwandelte. Dann folgte gar die Stiftung des Rheinbunds
(12. Zuli 1806). Sechzehn deutſche Fürften, voran Baiern, Würtem⸗
berg, Baben, Hefien » Darmftadt, Rafjau, trennten fid von dem bis—
herigen Neichöverbande . und erkannten den Kaifer Napoleon als Pro—
teftor, d. 5. als ihren Herm an. Damit Löfte fi das deutſche Reich
völlig auf, Franz II. legte (am 6. Auguft 1806) fein Amt als deutſcher
Kaiſer nieder. So zerfiel Deutfchland in drei Staaten: Preußen, Ofter-
rei) und den Nheinbund. Der Iebtere war bereits in franzöfticher Ge—
walt, Öfterreidh eben zu Boden geſchlagen, die Reihe kam an Preußen.
Napoleon ließ ihm Feine Wahl mehr; er verhößnte und beirog es; bot
Hannover den Engländern, Preußifch-Polen den Ruffen an, wenn fe mit
ihm Frieden nad feinem Wunſche ſchlöffen, und mahnte heimlich bie
Heinen norddeutſchen Fürften ab, fich um Preußen zu ſcharen, obwohl
er die preußiſche Hegemonie in Norddeutſchland anzuerkennen verſprochen
Hatte. Aufs äußerfie gebracht, entſchloß fich nun Friedrich Wilhelm doch
zum Schwerte zu greifen; aber jet zog er es ebenfo unzeitig, als er es
früher hatte fteden Laffen.
Denn mit welchen Mitteln ging er in ben furdtbaren Kampf?
Wie ftand es in der. Wirklichkeit mit dem preußiſchen Heere, das fo hoch⸗
mütig auf die Lorbern Friedrichs des Großen pochte? Es war hart-
nädig bei einer abgelebten Kampfweife und Wehrverfaffung verblieben.
„Die Offiziere aufwärts zählten manche treffliche Männer, im ganzen
war es aber eine wurmftichige Geſellſchaft. Ihre Stellen waren ihre
Pfründen, die im Kriege nichts einbrachten, fie liebten daher den Trieben."
Die meiften Generale waren Invaliden, ihr Körper abgelebt und ge-
brechlich, ihr Geift in totem Formelweſen erftarrt. Alle höheren Gene-
tale zählten 70 Jahre und mehr, alle Stäbsoffiziere zwifchen 50 und
60 Jahren. Nun wäre freilich das Alter an ſich fein Fehler geweſen,
eher ein Vorzug — pflegte doch Napoleon zu jagen: gebt mir alte Offt-
ziere und junge Soldaten! Allein da in Preußen die Stellen nur dem
Adel zugänglic, waren, und bei der Wahl Friedrichs Blick fehlte, vielmehr
Anciermität und Gonnerion entſchieden, fo mangelte es gar ſehr an
4% - Ina.
Talenten, oder fie blieben unbeachtet. Ebenfo fehlten Kenntnis und Bile
dung. Die meiften Offiziere hatten ja ſchon im zarten Alter, als Knaben
von zehn, elf Zahren das Patent erhalten und feitbem wenig anderes
gelernt als die Außerlichfeiten bes Paradedienftes. „Diefe herkömmliche
Einrichtung, Kinder als Kombattanten dem preußijchen Heere einzuver-
leiben, deffen Paniere ihren ſchwachen Händen anzuvertrauen und dafür
ihnen die Anwartſchaft auf die Offizierftellen zu erteilen, war freilich
für die Eltern fehr bequem. Sie konnten ihre Söhne, nachdem deren
Unterricht kaum begonnen, ſchon aus dem Haufe und aus ihrer Zucht
entlafien und ſich durch einige Thaler monatlicher Zulage von aller
Sorge für eine fernere Erziehung bderfelben loskaufen. Auch hatte der
Knabe ben Vorteil früher zu den Befehlshaberftellen hinaufzurüden; jo
tonnte ein Offizier, der 40 Jahre alt war, dem Staate meiftens eine
Dienftzeit von 30 Jahren anrechnen."*) Mit den gemeinen Soldaten
war es nicht Müger beftellt. Sie waren größtenteils zu alt, meift Fa—
wmilienväter, die ins Feld; in den Krieg zu ziehen nicht viel Luft und
Eifer haben konnten. Sold, Ausrüftung und Bewaffnung waren fehr
mangelhaft, die Verpflegung elend, der Mann erhielt täglich 2 Pfund
ſchlecht gebacknes Kommißbrot und wöchentlich 1 Pfund Fleiſch; die
Uniformen vom loſeſten Tuch und fo knapp und eng, daß die Soldaten
fid) darin kaum rühren konnten. Von der neuen Kriegskunſt verftand
man nichts, man kannte und ſchätzte nur die veralteten Drilltünfte, ben
Kamafchendienft, die Griffe und Regeln des Exercitiums, Die vor
50 Jahren gut geweſen. „Die Zopf- und Pubderquälerei ging ins Un»
glaubliche. Genaues Gleihmaß der Zöpfe eines Regiments war ein
Hauptziel der preußifchen Kriegskunſt.“ Die Ererzierpläge hallten wieder
von wüſten Flüchen, von raftlofem Gefuchtel. Es war empörend zu fehen,
wie halberwachfene Offiziere für den geringften Formfehler alte Soldaten
oft halbtot prügeln durften. Und doch troß aller eingeprügelten Parade
fertigfeit bewegte fi) das Heer im Felde nur langjam. Denn nad)
alter Mode waren die Soldaten mit ſchwerem, zum großen Teil un-
nüßem Gepäck (beſonders Putzzeug) bepadt, und die Offiziere führten
einen ungeheuren Troß mit fi. ALS ein verftändiger junger Offizier
ben General v. Rüchel darauf aufmerfam machte, daß bei der Infan-
terie aud) die Subalternoffiziere ritten, wodurd unter andern Nachteilen
ein Geſchleppe von 50 Luruspferden bei jedem Regiment entſtand, ſchnarrte
Herr v. Rüchel: „Ein preußijcher Edelmann geht nicht zu Fuß." — So
zogen denn die Truppen wie bie Lafttiere bepackt, ſchlecht gekleidet,
ſchiecht ernährt und viel gefuchtelt dahin, ein ſchwerfälliger, geiftlofer
Haufen. Auch ihre Zufammenfegung war noch die alte. Die Soldaten
*) Gneifenau, Verlehrte Welt, bei Perk Lehen Gneifenau's I. 380.
Verrottung des Heeres und des Staates. 497
gehörten zu einem großen Zeile dem Auswurf aller Nationen an, den man
durch Werbung unter die preußifchen Fahnen gebracht und durch Prügel
zu Ererziermafchinen gedrillt hatte; die Eingeborenen waren dem Pöbel
entnommen, dem ländlichen und ftädtifchen Proletariat, auch für fie ſchien
der Korporalsſtock noch immer ein notwendiges Übel. Bon Vaterlands-
liebe, von Begeifterung war bei ſolchen Leuten nicht die Rebe, fie konnten
in dem Militärbienft nur eine Laft ſehen. Woher jollte ihnen ſelbſt das
rein militärische Ehrgefühl fommen? Sie konnten nie Offiziere werden,
ftanden unter dem Stod, wurden gemißhandelt von ihren Befehlshabern
und verachtet” oder gehaßt von den Zivilperjonen. Eine großartige Ber-
fönlichteit, wie Friedrich der Große, hatte felbft aus ſolchem Stoff noch
etwas Tüchtiges gemacht; aber fie fehlte jeßt auf dem Throne.
Ebenſo morſch wie das Heer waren die andern überlieferten Einrich-
tungen de3 Staats. Die Monarchie hatte auf allen Gebieten die frühere
Spannkraft eingebüßt, war ſchlaff und welt geworden. Das Volt aber, aus-
geihloffen von allem Anteil an der Lenkung der vaterländifchen Geſchicke, in
allem und jedem von einer unfähigen Regierung bevormundet, bejaß zwar
noch den Nationalftolz aus Friedrichs Zeit, aber nicht mehr dag freudige Zu⸗
trauen zum Könige, der offenbar feinem fehwierigen Poften wenig gewachſen
war. Übrigens fam damals in Preußen nichts darauf an, was das Volt
meinte und dachte; es hatte bloß zu gehorchen, es follte nichts fein als eine
willenlofe Maffe von Steuerzahlern und Refrutenlieferern, und es war denn
aud) nichts weiter. In den vornehmen Kreifen herrichten Frivolität und Ge—
nußſucht, in den untern eine entjeglihe Stumpfheit und Gleichgiltigteit.
Der Bürger und Bauer hatte wenig Liebe für den Staat, in weldjem nur
Kaften und Pflichten fein Teil waren; und wenig Liebe für das Heer, welches
er eher für eine Landplage anfah und für eine bloße Verforgungsanftalt
des hochmütigen Adels. Es war alfo ein verrottetes Heer und ein ver
rotteter Staat, diefe „Monardjie Friedrichs des Großen", die nun in die
Arena trat, mit bem gewaltigen Kaiferreihe zu ringen, mit den fieg-
gewohnten Streitkräften Napoleons, die ebenfo an Geift, wie an Zahl ihr
weit überlegen waren. Denn weld) ein Abftid) zwiſchen den Invaliden,
die das preußifche, und den jungen talentvollen Feldherren, die das fran-
zöflfche Heer befehligten! ein ebenfo großer wie zwifchen den zerprügelten
preugifchen Söldnern und den ruhmbegierigen franzöfifchen Soldaten,
deren jeder „in feinem Torniſter den Marſchallſtab“ hatte.
Zu alle dem kam noch, daß es auch an Geld fehlte. Trotz löblicher
Sparjamteit hatte Friedrich Wilhelm III. die Schulden, die fein Pater
Hinterlaffen, noch nicht tilgen, geſchweige denn Überjchüffe ſammeln können,
er mußte vielmehr — unerhört in Preußen — Papiergeld machen; am
1. Juni 1806 wurden zum erften Male in Preußen Treſorſcheine
ausgegeben. War es unter diejen Umftänden dem- Könige ſehr zu ver-
Bierfon, prenb. Geſchichte. 1. E22
498 Jena.
argen, daß er bem Kriege fo lange aus bem Wege ging, als es ſich mır
irgend thun ließ? Wohl aber gereicht es ihm zum ſchweren Vorwurf,
daß er bei Zeiten nichts that, Staat und Heer von Grund aus zu refor-
miren. Es hat ihm an Aufforderungen dazu feineswegs gefehlt. Der
Freiherr vom Stein, den der König zum Finanzminifter gemacht, reichte
ihm durch Vermittelung der Königin (Anfangs Mai 1806) eine Dent-
ſchrift ein, in welcher ein Hauptübel ber Regierungsmafchine, nämlich
die Macht des Kabinetsrats, gejchildert wurde. Er bewies, wie ver=
derblich diefe königlichen Geheimfchreiber wirkten, die, ohne Verantwort⸗
Tichkeit und ohne Verbindung mit den eigentlichen Behörden, doch durch
ihren perfönlichen Einfluß in allen wichtigen Staatsſachen bie letzte Ent-
ſcheidung gaben; er bedte namentlich die Unfähigkeit und völlige Frivo—
lität Lombards auf; er zeigte auch, wie unheilvoll die Thätigkett des
Grafen Haugwig war. Er verlangte die Entfernung dieſer ſchädlichen
Ratgeber und fügte einen Entwurf zu einer zwedmäßigen Emeuerung
der Staatsverwaltung bei. „Sollten Ew. Majeftät“, fo enbete er, „fi
nicht entſchließen, die vorgeichlagenen Anderungen vorzunehmen, ſoilten
Sie fortfahren unter dem Einfluß des geheimen Kabinets zu handeln, ſo
ift zu erwarten, baß ber preußiſche Staat entweder ſich auflöft ober feine
Unabhängigkeit verliert, und daß die Achtung und Liebe der Unterthanen
ganz verjhwinden. Die Urfachen umd die Menjchen, die uns an ben
Rand des Abgrundes gebracht, werben uns ganz hineinftoßen...... . “
Die Antwort des Königs war eine ärgerlihe Abweiſung; Steins Schritt
blieb ohne andere Folgen, als daß ihm der König grollte. Ebenſo wenig
hörte er auf andere einfichtsvolle Ratſchläge, welche eine Reform des
Heerweſens anempfahlen. Der Major von dem Kneſebeck Iegte ſchon im
Sommer 1805 einen Plan vor, der ben Zweck hatte, die Armee in einer
volkstũmlichen Weiſe neu zu geftalten, aus dem veralteten Solbheer ein
zeitgemäßes Vollsheer zu ſchaffen. Aber die Militärbehörde wies ihn
ab mit der Bemerkung: „es erjcheint ganz unbegreiflich, wie jemand
einer fiegreichen Armee, die fo lange für ganz’ Europa ein unerreichbares
Mufter geweſen ift und bleiben wird, eine totale Veränderung ihrer Ver⸗
faffung zumuten kann, welche fie zu einer bloßen Lanbmiliz rebuciven
würde." Im Juli 1806 fchrieb Blücher aus Münfter einen dringenden
Brief an den König, der gegen die Haugwitziſche Wirtſchaft gerichtet
war. Am 2. September überreichten die Prinzen Heinrich, Wilhelm und
Louis Ferdinand gemeinfam mit Stein und einigen Generalen ein ehr:
erbietiges Gefuch, welches ebenfalls auf Befeitigung des unfähigen Kabi-
net3 und des Minifters Haugwitz drang. Aber die Bittfteller erreichten
nichts; fie wurden barſch angefahren und zornig abgewiefen. Denn troß
feiner Unentſchloſſenheit und feines Phlegmas beſaß Friedrich Wilhelm III.
doch eine ungemeine Empfindlichkeit für alles, was feinem unumſchränkten
14. Oftober 1806. 499
Königtum zu nahe zu treten ſchien; er war fein Despot, aber ein Abfo-
lutift, und ſolche ungewöhnliche Schritte verftießen nach feiner Meinung
ebenfo fehr gegen den abjolutiftiichen Charakter des Staates, als gegen
das Herfommen. Und dod) hatte er der ungeheuren Übermacht des fran-
zöffchen Kaiſerreichs nicht einmal einen tüchtigen Beiftand von Bundes—
genofjen .entgegenzufegen. Kurſachſen half mehr aus Furcht, auch betrug
deſſen Truppenmadjt nur 20000 Mann. Rußland verſprach Hilfe, aber
fie war noch nicht zur Stelle. Die eigene Armee, die am 10. Auguft
mobil gemacht wurde, zählte doch im Dftober et 130 000 Mann Zeld-
truppen, bie Feftungen waren zerfallen oder in den Händen unfähiger,
abgelebter Kommandanten. Die jchlehte Politik bes Königs trug nun
auch beim Auslande ihre bitterften Früchte: Öfterreich bielt fi) zurüd;
England blieb unthätig. Immer nod) fahen ja die Mächte an der Spike
der preußiſchen Regierung den ebenfo unzuverläffigen wie unfähigen Mi-
nifter; wer mochte zu Friedrich, Wilhelms Politik Vertrauen Haben, fo
lange er eigenfinnig darauf beharrte, die Geſchäfte durch den Grafen
SHaugwiß leiten zu laffen!
Während Preußen, wie Napoleon ſich ausdrüdte, Tächerliche Bor-
bereitungen traf, rüftete er ſelbſt mit gewohnter Thatkraft. Ein Zeil
feiner Heere ftand noch vom vorigen Jahre her in Süddeutſchland; auf
feinen Befehl ftießen die Truppen der Rheinhundfürften dazu. In Franken
vereinigte er (Ende Septembers) feine Heeresmaſſen. 220000 Mann
(ein Fünftel davon Rheinbundstruppen) führte er nad) Thüringen, wo
die preußifche Hauptmacht ftand. Unter ihm befehligten feine beften
Generale, Soult, Ney, Bernadotte, Augereau, Berthier, Lannes, Mürat,
Kefebure, Davouft. Am 7. Oktober erhielt er zu Bamberg das preußiſche
Ultimatum, welches von ihm forderte, daß er Süddeutſchland räume und
Norddeutſchland der preußifchen Hegemonie überlaffe; er wies es höhnifch
zurüc und ſetzte feinen Marſch auf Sachſen fort. Am 7. Dftober ſchlug
er eine Meine preußijche Truppenabteilung unter dem General Tauentzien
bei Hof; am 10. eine andere bei Saalfeld, wo deren Führer, ber ritter-
liche Prinz Louis Ferdinand, einen braven Reitertod fand. Diefe Scharen
bildeten die Vorhut des preußifchen Hauptheeres, das unter dem Dber-
befehl des Herzogs von Braunſchweig die Päfje des thüringer Waldes
nad) Sachſen bin verteidigen ſollte. Es war mit ben 20000 Sachſen
100 000 Mann ftart und ftand, weithin verzettelt, von Eiſenach bis
Jena. Der Oberbefehlshaber, nunmehr 71 Jahre alt, war jet noch
viel unentſchloſſener und unluftiger als einft in der Champagne; die
Unterfelöherren, Hohenlohe, Rüchel u. a., waren auch nicht die Leute, es
mit Napoleon und feinen Marſchällen aufzunehmen; Blücher hatte wenig
Einfluß; der König, ber ſich felbit im Hauptquartier befand, war ohne
Feldherrngaben. Es gebrach der Leitung an Einheit und Energie, an
32°
500 . Jena.
Umfiht und Einfiht; man beriet im Hauptquartier hin und her, und
jede Stunde vermehrte die Verwirrung. Am 14ten hatte der größere
Zeil der Armee unter dem Herzog von Braunfchweig bei Auerftädt,
der Meinere unter dem Fürften Hohenlohe bei Jena Stellung genommen;
beide von einander getrennt und außer Zufammenhang mit einander.
Hier griff fie der Yeind an, 100000 Mann ftart gegen 70000; bei
Auerftädt kommandirte Dapouft, bei Jena Napoleon. Auf beiden Schlacht-
feldern fochten die Preußen und Sachſen tapfer, aber in Konfuflon und
mit ben Fehlern der Unerfahrenheit. Sie konnten die Mißgriffe ihrer
Generale nicht gut machen. Überdies wurde der Herzog von Braun»
ſchweig im entſcheidenden Augenblicke durd) eine Kugel getroffen, die ihm
beide Augen zerftörte. Es fehlte an jedem einheitlichen Dberbefehl; jeder
einzelne Führer traf Anordnungen auf feine Hand; die Truppen wurden
ſtückweiſe ins Gefecht gebradht, die Kraft des Ganzen planlos verbraucht.
So endete die Doppelſchlacht mit einer gänzlichen Niederlage. Die Trüm—
mer des geſchlagenen Heeres flohen der Elbe zu.
Der Verluft auf dem Schladhtfelde jelbft war zwar groß — 12000
Mann tot und verwundet, 15000 gefangen — aber nicht unerhört,
und auch der Feind hatte 7000 Mann eingebüßt. Die Waffenehre des
preußifchen Soldaten war nicht befledt; die Franzoſen ſprachen felber
ihre Vermunderung aus, „wie Truppen, die fo kärglich gehalten, die ge—
prügelt würden, die, wenn fie invalid oder zum Krüppel gejchoffen wären,
betteln müßten, fi) dennoch fo tapfer ſchlügen.“ Und die preußiſchen
Dffiziere? die Zahl ihrer Toten und Verwundeten — 270 — bewies,
daß e3 jenen Junkern von 1806 nicht an Mut gebrach. „Man ſah“
(erzählt ein franzöſiſcher Geichichtsfchreiber), „man fah unverhältnismäßig
viel Offiziere auf der Erde liegen, die ihre thörichten Leidenfchaften edel
mit ihrem Leben bezahlt hatten.“) Und wenn jene adligen Knaben,
denen man die preußifchen Banner anvertraut, nicht Die Kraft hatten für
fie zu fechten, fo hatten fie doch die Kraft, für fie zu fterben. Mancher
Fähnrich von zehn, elf Jahren Hat fid) da in feiner Verzweiflung mit
feiner Fahne ummidelt und ift in die Saale gefprungen.
Alfo diefe Niederlage bei Jena war weder ſchimpflich noch unerhört,
aber was nun folgte, war beides. Ein panifcher Schreden, jo maßlos
wie vorher der Hochmut, ergriff fofort faft alle höheren Offiziere. Weil
die Armee befiegt worden, glaubten fie diejelbe vernichtet, und weil der
Staat auf die Armee gebaut war, hielten fie auch ihn für unrettbar ver-
Ioren. Unter ihren wie dom Schlage gerührten Händen löfte fi das
Heer denn aud) vollftändig auf, und der König, ebenfalls von jener vor-
gefaßten Meinung befangen, überließ Die Truppen, ftatt, wie er gefollt,
*) Thiers, histoire du consulat et de l’empire VII. 84.
Die Kapitulationen. 501
fie durch feine Gegenwart zu ermuntern und um fid) zu ſammeln, fi,
jelbit und ihrem Schreden; er floh in der Hoffnung, daß feine Generale
das Möglicye leiften würden, und wähnte, ben Siegeslauf Napoleons
aufhalten zu können, indem er einen Unterhändler mit der Bitte um
Waffenſtillſtand, um Frieden an ihn abſchickte. Aber da der König alles
verloren zu geben ſchien, fo thaten es auch die Generale, die nun ftatt
feiner hätten handeln follen. Defto rafcher riß die Demoralifation auch
unter den Gemeinen ein. Scharenweife verließen die Soldaten auf die
Nachricht, daß ihre Heimat vom Feinde befeßt fei, die Fahne, verkauften
ihre Pferde und Waffen und gingen nad Haufe. „Wir haben lange
genug gedient“, fagten fie wohl mit bitterem Hinweis auf die harte,
zwanzigjährige Dienftzeit, „wir wollen nun heim; es giebt ja junge Leute
genug, welche die Sadje ausmachen Tönnen."*) Diefe Gleichgiltigfeit des
geringen Mannes gegen das Schickſal des Ganzen zeigte fi in mehr
als einem Regiment und vereitelte die Anftrengungen tüchtiger Offiziere.
„Was foll man“ (ſchrieb damals einer derfelben), „mit Bauern machen,
ins Feuer geführt von Edelleuten, deren Gefahren fie teilen, ohne je
deren Leidenfchaften und Belohnungen zu teilen?" Um fo ſchmachvoller
war das kopfloſe Benehmen der meiften Führer, die, ftatt einfach ihre
Pflicht zu thun, politischen Erwägungen Gehör gaben und meinten, aller
fernere Widerftand nüße bei der eigentümlichen Natur Diejes abgelebten
Militärftants, den fie jet auf. einmal als mangelhaft erfannten, doch
nichts und könne nur ohne Nußen viele Menfchen unglücklich machen.
So kam es, nicht aus Verrat, aud) nicht, abgejehen von einigen wenigen
Elenden, aus eigentlicher Feigheit, fondern aus jener Betäubung, die den
Selbftzufriedenen, wenn ihn plöglid) ein ungeheures, ein nie für möglid)
gehaltenes Unglüc betrifft, zu lähmen pflegt, daß nicht bloß die inva=
liden, fondern auch die rüftigen unter den Zruppen= und Zeftungs-Kom-
mandanten ſich überjtürzten, die Mittel zum Widerftande, welche noch
reichlich vorhanden waren, dem raſch nachdringenden Sieger preiszugeben.
Und die ihnen untergeordneten Offiziere hinwieber wurden durch die zur
Gewohnheit gewordene Pflicht des blinden Gehorjams gelähmt. So fam
& zu jenen ſchändlichen Kapitulationen, mit denen jelbft Männer, die im
Dienfte grau geworden und unter Friedrich dem Großen oder in ben
Revolutionskriegen ſich immer ehrenhaft benommen, nun auf einmal ſich
und den Staat beichimpften. Ohne Schwertitreich überlieferte der Prinz
von Dranien, dem freilid, nur feine hohe Geburt den Generalsrang ver-
Ihafft hatte, am 16. Dftober das wichtige Erfurt mit 11000 Mann
und großen Vorräten; der Oberft v. Benefendorf am 25. Spandau; das
Unglaublichfte leiftete jedod, Fürft Hohenlohe, der, von feinem General»
*) Hbpfner, der Krieg von 1806, 1807.
502 Jena.
ftabschef Oberſt v. Maflenbad) aufs übeljte beraten, ſich am 28. bei
Prenzlau mit 11800 Mann einem viel Neineren Franzoſentrupp ergab,
weil deſſen Befehlshaber, Mürat, dem leichtgläubigen und Teichtfertigen
Maſſenbach vorlog, er habe 64000 bei ſich. Die Soldaten weinten und
fluchten, aber es fehlte der Mann, der ihren Unwillen richtig vertreten
hätte; die Subordination hielt jedes andere Gefühl zu Boden. Ebenſo
ſchimpflich Tapitulirte am 29. Oktober der 81 jährige General v. Romberg
in Stettin; und geradezu verräterifch am 1. November der Oberft v. In-
gersleben in Küftrin, der feine Feſtung mit 3000 Mann ohne weiteres
einem franzöfifhen Infanterieregiment übergab!
Damit war die Reihe der Schändlichkeiten noch nit zu Ende.
Neue Kapitulationen folgten, als ſich die Kunde von Hohenlohes Waffen-
ſtreckung verbreitete. Sie gab das Signal zu vielen andern Nichtswürbig-
keiten. „Der Fürft Hohenlohe hat mit ber Armee kapitulirt“, fagte fich
mancher verzagte Truppenführer, „was will denn ic) machen.” „Der
König hat Feine Armee mehr", ſagte ſich der pflichtvergeffene Komman-
dant, „was helfen ihm bie Feftungen?" So vermehrte jene ſchnöde
That den Kleinmut in allen Herzen, die Verwirrung in allen Köpfen.”)
Es ging alfo weiter im Wettlauf der Schande. Am 8. November lieferte
der General Franz v. Kleiſt (an der Spitze von 19 Generalen, die zu-
jammern 1300 Jahre zählten) die Hauptfeftung Magdeburg mit 24.000
Mann und ungeheuern Vorräten aus; die jüngeren Offiziere und bie
Soldaten wüteten, aber auch hier lähmte die Subordination den Willen.
Am 22. ergaben ſich die Generale v. Schöler und Lecoq in Hameln.
Diefe That war das Übermaß militäriſcher Schmach. Denm Hameln
war wohlbefeftigt. und mit 10000 Mann tüchtiger Truppen und reichen
Vorröten verjehen, und einen ſolchen Pla überlieferte der ſchwachmütige
16 jährige Kommandant v. Schöler einem nur 6000 Mann ftarfen, ohne
Belagerungsgeſchütz heranziehenden Feinde, ohne eingeſchloſſen oder auch
nur angegriffen zu fein. Er that e8 auf Betrieb feines Untergebenen,
bes Generals dv. Lecoq. Diefer Nichtswürdige begab ſich jelbft ins feind-
liche Hauptquartier und biftirte dort die Kapitulation, durch welche die
Beſatzung Triegsgefangen ward. „Furchtbar war die Verzweiflung der
Soldaten und ihr Ingrimm. Sie fchoffen ihre Patronen dem feige
Kommandanten in die Fenfter, zerfchellten ihre Gewehre an den Steinen;
weinend nahmen bie alten Brandenburger Abſchied von ihren Offizieren.
Im Regiment von Hand ftanden zwei Brüder Warnawa, Soldatenjöhne;
fie feßten einander die Gewehre auf die Bruft, drüdten zugleich ab; fie
wollten die Schmac ihrer Waffen nicht überleben. Ja wir waren ein
treues ſtarkes Kriegsvolf; o hätten Männer an unferer Spike geftanden!*
H Bol. v. d. Marwih' Bericht bei Höpfner, ber Krieg von 1806, 1807. I. 196.
Die Unterjogung. 503
fo ruft, der dies erzählt und der es hatte mit anfehen müſſen, ein
preußifcher Offizier, Adalbert v. Chamiſſo, traurig aus.
Nicht viel weniger ſchimpflich als Maſſenbach, Ingersleben, Schöler
und die andern, ergaben fich fpäter die meiften ſchleſtſchen Komman-
danten. Es war wie wenn eine förmliche Epidemie unter diefen vor-
nehmen Zopfträgern ausgebrochen wäre, denen die Sorge für Heer und
Staat oblag. Der König hat fie nachmals nicht eben hart beftraft;
aber elend und vergeffen, wie fie e8 verdient, find die meiften von ihnen
geftorben. Freilich, ein großer Teil der Schuld fällt auch bei diefen Kapitu⸗
lationen auf Friedrich Wilhelm felber, der ganz untaugliche Mänmer auf
Poſten von der größten Wichtigkeit geftellt oder belaflen hatte — zu⸗
weilen felbft ungeachtet ihres Eingeftänbnifies, daß fie dem Amte nicht
gewachſen jeien! Hatte doch der General v. Romberg bei Ausbrud) bes
Krieges ihm gefchrieben: „er habe feinen Poften als Kommandant von
Stettin nur als eine Art von Verſorgung angefehen und fei zu alt und
kränklich, um demſelben in fo ernfter Zeit vorzuftehen; er bitte daher,
ihm einen Nachfolger zu geben.” Aber der König erfüllte die verftändige
Bitte nicht. Er wählte ſich ſchlechte Diener, er Tonnte fich nicht wundern,
wenn er fehlecht bebient wurde. Nur wenige ımter den Kommandirenden
retteten 1806 ihre Ehre; darunter Blücher, der fi) tapfer von Jena bis
Kübel durchſchlug und erft nach hartnädigem Widerftande und aus
Mangel an allen Kriegsvorräten (am 6. November zu Ratkau) der Über-
macht ergab.
Aber nit bloß die Zunter, bie fi) bisher als die Haupt⸗
pfeiler des Staates gefpreizt, brachen wie dürre Binjen im Winde; auch
die anderen Stüßen, das Beamten- und Gelehrtentum, die
ganze höhere Gefellfhaft bis tief in ben Bürgerftand hinab
hat fid) damals mit Schmach bededt. Zur feelenlofen Mafchine
beftimmt, ging die Verwaltung ruhig ihren Gang weiter, wenig befüm-
mert, ob fie für dieſen oder jenen Souverän arbeite, ob die Spike
Friedrich Wilhelm ober Napoleon hieß; und gewohnt, alles Heil von
oben zu erwarten, erfticten die hohen Beamten fogar die Regungen des
gefunden, kräftigen Geiftes, der troß alledem noch im Wolle, wenigftens
im fogenannten gemeinen Volke, lebte. Als man in Berlin von der ver-
Iorenen Schlacht und vom Herannahen der Franzofen hörte, wollten die
Berliner eine Freiſchar bilden, und es meldeten ſich junge Leute zum
freiwilligen Eintritt in das Heer. Aber der Gouverneur der Stadt,
Minifter Graf v. Schulenburg-Kehnert wies dieſe patriotifchen Anerbie-
tungen verdrießlid) zurück und veröffentlichte jenes berüchtigte Plakat:
„Ruhe ift die erfte Bürgerpflicht. Ich forbere hierzu alle Einwohner
Berlins auf!" Sein Nachfolger, Fürft Hatzfeld, fehärfte dann dieſe
Pflicht allen nod) einmal ein; ja um nicht den Zorn Napoleons auf
504 Jena.
ſich zu ziehen, unterließ er ſogar, einem ausdrücklichen Befehl des Könige
zuwider, die in Berlin lagernden großen Vorräte an Gewehren und
anderm Kriegsbedarf nad) den Feftungen fortzufchaffen! Ebenſo ging
es anderwärts. Nur Stein verlor die Faflung nicht, fondern that,
was er konnte, rettete wenigftens die Staatskaſſen, indem er fie nad)
Königsberg bringen ließ. Übrigens gab die Umgebung des Königs felber
ein ſchlechtes Beifpiel, fie war fo mutlos wie die andern, und Friedrich
Wilhelm entließ aud) jegt die verberblichen Ratgeber, Haugwig, Luchefini
und Lombard, nicht, ſchützte und ehrte vielmehr den letzteren, als fid) in
Berlin und Stettin die Vollswut gegen denſelben richtete, durch ein
ſchmeichelhaftes Handfchreiben. So fanden denn die Franzoſen bei ihrem
Einmarſch in Berlin (am 24. Dftober) zwar eine dumpfe totenähnliche
Stile, aber feinen Widerftand, und Napoleon, der am 27ften einzog
und Dabei bereit8 von einer Anzahl deutſcher Bedientenfeelen das ge—
wohnte Vive l’Empereur hörte, fonnte die Verwaltung ohne weiteres für
fid) benußen. Sieben Minifter des Königs und die Beamten leifteten
ohne Widerftreben den Eid der Treue.
Beſonderes Auffehen machte der Abfall des damals berühmten Pro—
feſſors Johannes Müller, des Geichichtichreibers der Schweiz. Diefer
Gelehrte, feit furzem preußifcher Beamter, hatte gegen Bonaparte amt
lauteften geeifert; jet beweihräucherte er den großen Saifer, der ihn
durd) ein par Schmeichelmorte gewonnen. Auch viele andere deutfche
Gelehrten, 3. B. die Profefjoren der Univerfität Leipzig, befehrten fich
im Handumdrehen und feierten nun Napoleon als den Helden des Zeit⸗
alters. Um die übrige gebildete Geſellſchaft ftand es nicht viel befier.
Zwar fo tief wie in Süd- und Weftdeutichland riß in Preußen das
Franzöſeln nicht ein; ganz fo maffenhaft ließen fi) hier die Weiber von
den franzöfifchen Kriegern nicht befiegen; aber doch gaben ſich auch hier
fehr viele den Franzofen mit einer Leichtigkeit Hin, über welche dieſe
felbft erftaunten.*) Aud) ein großer Teil der Bourgeoiſie franzöfelte,
kroch und verriet. Napoleon gewann fie, indem er in Berlin und andern
eingenommenen Städten eine Art Stadtbehörde mit demokratiſchem An-
ſtrich und eine Nationalgarde einrichtete. Die Schlaffheit der Vater—
landsliebe unter den fogenannten Gebildeten zeigte fid) dabei in be—
ſchämender Weife. Denn obgleid) jene beiden Inftitute feinen an-
dern Willen haben durften, als ber Franzoſe ihnen vorſchrieb, jo
fpielten Die meiften Bürger doch gern mit, und bie wohlhabenden
Kaufmannsföhne in Berlin brüfteten ſich damit, zu Pferde und
in prächtiger hellgrüner Uniform als freiwillige Schüßen dieſen
Dienft zu verfehen. Sehr unpatriotifh benahmen fich auch die
H A. 8. v. Albden, Fugenderinnerungen, ©. 236.
Die Unterjodung. 505
Zuden*). Einer von ihnen, ein gewiffer Lange (ber eigentlich Davidfon
oder Dawifon hieß) wurde Soldfchreiber ber Franzofen und gab in
Berlin Ende 1806 ein Schandblatt, den „Telegraphen“, heraus, in
weldyem er alles Preußifche mit Beſchimpfungen begeiferte. Aber auch
bei manchen chriſtlichen Preußen ging die Kriecherei jo weit, daß jelbft
Franzoſen fi) daran ärgerten. Einer demmzirte dem franzöfiſchen Kom«
mandanten in Berlin einen großen föniglichen Holzvorrat. „Laßt es
liegen“, antwortete ber Franzoſe, „Damit euer König übrig behalte, um
end) Schurken daran aufzuhängen*). Ähnliches geſchah an manchen
Orten in den Provinzen. Ein Präfident in Niederſchleſien ſchickte aus
feinem Departement den Franzojen Lieferungen entgegen, die fie noch
gar nicht gefordert, und er begann jeinen Kammerdekreten die Worte:
„Bir Napoleon von Gottes Gnaden u. f. w.“ an bie Stirn zu feßen;
& mußte ihm diefer Übereifer ausdrücklich unterſagt werden.
Unterbeffen floh der König mit feiner Yamilie und den Reften feines
Heeres über die Oder, vergebens auf Napoleons Großmut hoffend, den
er durch Haugwig hatte um Frieden bitten lafjen. Statt deſſen erichöpfte
der Sieger das Land durch Zwangslieferungen und überhäufte bie ge-
ftürzte Monarchie mit Schimpf und Schande, ließ aus den Schlöfſern
die beften Kuuftwerfe, vom Brandenburger» Thor in Berlin die Sieges-
göttin, vom Sarge Friedrichs des Großen den Degen rauben und nach
Paris ſchaffen, und entehrte ſich durch niedrige Schimpfreden, die er in
feinen Bülletins gegen die Königin Luife als „Anftifterin des Krieges“
ausftieß. Hierin wurde er übrigens von einem deutſchen Fürften noch
überboten; fein Satrap, der König Friedrid) von Würtemberg, trieb die
Gemeinheit der Gefinming fo weit, daß er einen würtembergiſchen Zenfor
abfeßte, weil der ehrenwerte Mann jene mieberträchtigen Schmähungen
in den würtembergiichen Beitungen nicht wollte abbrudten laffen. über⸗
haupt betrugen fi) Napoleons deutſche Handlanger gegen die Befiegten
im ganzen noch ſchlimmer als feine Franzofen. Zwar Scheußlichkeiten,
wie bei ber Eroberung Lübecks (am 5. November) find damals nur
von Soldaten ber fogenannten großen Nation begangen worden. Die
Frangofen leifteten dort in umnfäglicher Beftialität und Barbarei das
Außerſie. Aber an Zahl die meiften Greuel find in dieſem Sriege doc)
von den rheinbündtichen Truppen verübt worden. Beſonders die Würtem-
berger, Baiern und Heflen-Darmftädter quälten ihre deutſchen Brüder
in den Duartieren, zumal in Schlefien, bis aufs Blut**); im Plündern
®) ©. vertraute Briefe (d. Clin) II. 86, u. Alöden a. a. O. 223.
e) Behfe, Geh. d. preuß. Hofs, VI. 40.
=) Bergleige Wolfgang Menzel, Dentwürdigkeiten, Bielefeld und Leipgig 1877,
Seite 29.
506 Jena.
wetteiferten fie mit ihren franzöftfchen Genofien, und ber bairijche General
d. Wrede nahm in Ols das herzogliche Silberzeug mit, als ob er bereits
ein franzöſiſcher Feldmarſchall geweien. Die Diener waren eben wie der
Herr. Ohne Spur von Edelmut und Ritterlichfeit handelte Napoleon
aud) gegen den Herzog von Braunfchweig. Er trieb ben blinden, tod»
kranken reis, der fid) von Jena auf einer Bahre hatte heimtragen laffen,
mit Mleinlihen Schmähungen weiter: „er Terme feinen Herzog von Braun-
ſchweig, nur einen preußifchen General Braunfchweig." Der unglückliche
Fürſt mußte aus feinem Erblande flüchten, doch ſtarb er ſchon am
10. November zu Dttenfen bei Altona, wo er auf demfelben Friedhof,
der Klopſtocks &ebeine birgt, begraben wurde. Was wollte indes das
Leiden des Einzelnen, fo tragiſch es war, gegen das große Traueripiel
rings beſagen, gegen das koloſſale Unglück der deutſchen Nation? Der
Süden verfnechtet, der Norben erobert; die geiftigen Güter, Selbftändig-
feit und Ehre, verloren, bie leibliche Wohlfahrt ruinirt. Denn aud) bie
materiellen Interefien traf jeßt ein ſchwerer Schlag: die Kontinental-
jperre, die Napoleon am 21. November von Berlin aus gebot und bie
den Handel des europäifchen Feftlandes mit dem feemächtigen England
zu vernichten beftimmt war.
So lag ber alte preußifche Staat im Staube. Und erhob ſich wiber
den Yeind ein Wehllagen des Voll, ein umenblicher Aufſchrei bes
Schmerzes und der Rache? Noch nicht. Seit Jahrhunderten gelehrt,
den Staat als eine fürftliche Anftalt zu betrachten, Die den Regierenden,
nicht den Regierten gehörte, und gewohnt, nur auf Kommando zu han=
deln, hielt das Volt fi) ftil, wie e8 Die Behörde ihm befahl: „Ruhe ift
die erfte Bürgerpflicht!" Der Bürger empfand wohl gar einige Schaben-
freude, als die übermütigen Garde („Gensdarm“-) Offiziere, die einft
meinten, fid) alles und jebes gegen ihn herausnehmen zu bürfen, jetzt in
Mäglichen Zuftande, befchmußt und abgeriffen als Cefangene burdh bie
Hanptftadt transportirt wurden. Der verhaltene roll gegen bie ftolzen
Privilegirten, gegen die Junker und hohen Beamten war mın entfeflelt.
„Wer e3 nicht erlebt hat“, fagt ein Ohrenzeuge,*) „Lam es kaum noch
glaublich finden, is welchen Ausdrücken der Ingrimm preußiſcher Patrioten
gegen das Militär wütete, mit welcher haßerfülkten Verachtung bie einft
gepriefenen Namen, auf denen ber Borwurf des Verrats haftete, genannt
wurden." Gewiß, wäre ein großer Yührer aufgetreten, Die Vaterlands⸗
liebe hätte ſich beſſer geäußert; fie war im Volke, befonbers auf dem
Lande, doc rege und ber manmhafte Sinn defielben ftart genug, wm
einen tüchtigen Widerftand zu entzünden. Aber der König wuchs noch
nicht mit feinem Unglüd, und was er von dem Betragen fo vieler feiner
*) Barnhagen, Dentwürbigkeiten 2. Aufl. I. 417.
zur. 507
Beamten und Unterthanen hörte, konnte ihn nicht erheben. Er jah das
Heil nur in gewöhnlichen Mitteln, verließ fid) auf die Truppen, die noch
in der Provinz Preußen ftanben, und befonders auf den Zaren, der mit
einem Heere herannahte. Daher berief er zwar endlich (29. November)
an Haugwitz' Stelle den einzigen Mann, der vielleicht noch helfen
tonnte, den Minifter v. Stein; als aber diefer das Amt nicht an«
nehmen wollte, falls die geheime Kabinetsregierung beftehen bleibe, und
troß wiederholter Aufforberungen immer darauf zurückkam, „das Minifte-
rium könne nichts Tüchtiges leiften, wenn es nicht eine wirfliche Macht
erhalte, e8 müfſe auch dem Lande gegenüber verantwortlich fein und
dürfe nicht durch unverantwortliche geheime Räte, durch bie Schreiber
des Kabinets, durch ein blind gehorchendes Werkzeug der Krone lahm
gelegt werben” —; da fprubelte der abfolutifttiche Geift des Königs
heftiger als je auf, und es erfolgte jenes merkwürdige Handfchreiben,
welches gleichjam bie Devife für ben Verfall der alten Monardjie ift:
„Sie find“, fehrieb Friedrich Wilhelm zu Königsberg am 3. Januar 1807
an Stein, „Sie find ein widerfpenftiger, troßiger, hartnädiger und un-
gehorfamer Staatsbiener, der, auf fein Genie und feine Talente pochend,
weit entfernt das Befte bes Staates vor Augen zu haben, nur durch
Gapricen geleitet, aus Leidenschaft und perſönlichem Haffe handelt...
Benn Sie hr refpeftwibriges und unanftändiges Betragen nicht zu
ändern Willens find, fo kann fid) der Staat feine große Rechnung auf
Ihre ferneren Dienfte machen." Stein bat mm um feinen Abfchied, und
der König erteilte ihm benfelben in Ungnaden (4. Januar).
Sit.
Seit der dritten Teilung Polens war der Schwerpunkt des preußi-
ſchen Staates weit ab vom Herzen: Deutſchlands und tief nach Often
gerückt, lag das Zentrum des Staatsgebiets auf polniſchem Boden, halb: -
wegs zwifchen Berlin und Warſchau, in Pofen. Diefer Umftand beftegelte
jebt Preußens Unglüd. Denn um in der noch unbezwungenen Ofthälfte
feines Reiches einen Feldzug mit Erfolg zu führen, hätte ber König
Aber deren ganze Kraft verfügen müfjen. Aber die polniſchen Regimenter
waren unzuverläffig, die polnifchen Bevollerungen bereit zum Aufftande.
So zerrannen ihm hier die Streitmittel unter ben Händen, und 25000
Manır war alles, was er am der Weichjel bem raſch nachbrängenden
Feinde entgegenfeßen konnte. Napoleon wußte dieſen großen Vorteil zu
benußen; ſchon Ende November 1806 war er in Pofen, wo ſich bie
Polen überall für ihn erhoben; er verſprach, ihr Reich wieder herzuftellen,
und gewann dadurch ihre eifrigfte Hilfe So warb ihm der Winter
508 Tilfit.
feldzug, den er vor fich hatte, ungemein erleichtert. Was blieb dem
Könige, der die meiſten feiner deutſchen Provinzen vom Feinde über-
ſchwenunt, bie polnifchen im Abfall fah, übrig, als ſich unbedingt feinem
mächtigen Bundesgenofien in die Arme zu werfen? Was blieb ihm
anderes wenigftens von dem Augenblide an übrig, da er aus Kleinmut
oder Kurzfichtigfeit von feinen Kernvölfern, den Märkern, Pommern,
Schleſiern, bei denen es nod) jo viele Mittel zum Widerftande gab, ge-
flohen war, ftatt im Geifte Friedrichs des Großen ſich eher unter ben
Trümmern des Vaterlandes begraben zu lafien?
Es zeigte fi) bald, daß er feine Sache damit verloren hatte. Denn die
Ruffen, die ihm in der Mark ober in Schlefien, wenn er fid) irgendwo dort
gehalten, ohne Zweifel zu Hilfe gelommen wären, glaubten den Staat
nicht retten zu können, deſſen beften Zeil er fo eilfertig aufgegeben. Es
half daher zu nichts, daß die 25000 Mann in der Provinz Preußen
unter Leftocg mit großer Tapferkeit die Weichjellinie behaupteten, daß
bier, wo ber König Stand hielt, au die hohen Befehls-
haber der Feftungen und Truppen den Mut nit verloren.
Friedrich Wilhelm mußte fie unter den Oberbefehl des ruſſiſchen Generals
Bennigjen ftellen, der endlich im Gefolge des Zaren mit 60 000 Mann
in Preußen erſchienen war, und Bennigjen kommandirte verfehrter Weife
jofort zum Rückzuge. Dann rieb derfelbe durch zweckloſe Märſche die
Truppen auf, während die fchlechte ruffiiche Heeresverwaltung den rufft-
ſchen Soldaten nötigte, das Land ärger als der Feind zu verwüften.
Mehr und mehr zeigten diefe Bundesgenofien ihre Unluft an dem Kriege,
den fie für einen ihnen eigentlid, fremden Krieg hielten; fie drängten
immer weiter zuräd. Auch hatten fie nad) ihrer Art viel weniger Trup⸗
pen im Felde als auf dem Papiere; denn außer dem Bennigjenfchen
Heere trafen nur noch 55000 Mann unter Burhöwden ein. Den ge:
famten Oberbefehl übertrug Kaifer Alerander dem 76jährigen Feld—
marſchall Kaminskoi, defien Kränflichfeit ihn bald unbrauchbar machte,
- dann nach defien Tode dem noch unfähigeren Bennigjen. An diefer er
bärmlichen Leitung fcheiterten die Anftrengungen der Truppen. Bei
Preußiſch-Eilau am 7. Februar 1807 bot Bermigjen dem Feinde
endlich die Stimm; er zählte 60000, Napoleon 80000 Mann. Mit ge-
wohnter Bähigteit wieſen die Rufen in einem langen und heftigen, am
folgenden Tage erneuerten Kampfe den franzöfijchen Ungeftüm ab; als
fie gegen Mittag wankten, im entjcheidenden Augenblide traf Leftocg mit
6000 Preußen ein. Diefe Schar hatte vier Meilen auf verſchneiten
Begen marſchiren müſſen, um das Schlachtfeld zu erreichen; nun ftürzte
fie fi, geführt vom General Scharnhorft, unwiderſtehlich auf den Feind
und warf ihn wieber zurüd. Die Erfchöpfung beider Zeile ließ ben
Ausgang bes Kampfes zweifelhaft; jedes Heer hatte 20000 Tote oder
Feldzug von 1807. 509
Verwunbete und doch nicht den Sieg. Napoleon war betroffen, es war
die erfte Schlacht, die er nicht gewonnen; er fuchte die Gegner biplo=
matiſch zu überwinden, fie zu trennen und bot dem Könige einen
Separatfrieden an. Priedrid Wilhelm war aber zu rechtlich, um darauf
eingugehen; er blieb ohne Bedenlen feinem Bundesgenoſſen treu. Beide
Heere legten fi) nun in Winterquartiere, die Verbündeten nordöftlich,
die Franzoſen ſfüdweſtlich der Pafſarge.
Unterdeſſen fuhr die unfähige preußiſche Büreaukratie, die bürger-
liche wie die militäriſche, fort, die noch übrigen Wehren des Staates
dem Feinde auszuliefern. Nirgends zeigte ſich diesmal das Volk ſo eifrig
und aufopferungsluſtig wie in der Provinz Schlefien; es hätte ſich hier
durch allgemeine Volksbewaffnung der kraftvollſte Widerftand organifiren
laſſen; aber die Regierenden, der Minifter Graf Hoym und der General
v. Lindener, dachten nur an Ergebung. Graf Hoym — eben jener, um
den ber wadere v. Held ſich ins Unglück geichrieben — Hoym bezahlte
bier dem Könige die Thorheit, ihn allen Anklagen zum Troß im einem
fo wichtigen Amte belafen zu haben. Man forderte ihn auf, aus der
zahlreich verfügbaren wehrhaften Mannſchaft der Provinz Bataillone zu
errichten; er antwortete: „ſolche Aufgebote feien nur ſchädlich; er ſchau—
dere, wenn er bloß daran denke“. "Ein nad) der Provinz Preußen bes
ftimmter Refrutentransport von 8300 Mann war wegen ber aufftändie
hen Bewegungen im Poſenſchen wieder umgefehrt; man fragte den
Minifter, wohin mit den Leuten? Statt fie in die Landesfeftungen zu
jenden, wo es an Mannſchaft jehr gebrach, befahl er fie nach Haufe zu
ſchicken. Hoym und die ihm Gleichgefinnten hemmten fogar, was andere
zum Beften bes Vaterlands unternahmen. Es war da ein patriotifcher
Mann, Graf Püdler, der aus eigenem Antrieb eine Art von Landwehr
ins Leben zu rufen fuchte. Aber ftatt ihn, wie der König befahl, zu
unterftügen, arbeiteten ihm Die Behörden aus Feigheit und Dummpeit
eher entgegen. Derzweiflungsvol nahm er fid) das Leben. Ähnlich wie
Hoym benahm fi) v. Lindener. Ihm waren die Feſtungskommandanten
untergeben; ftatt fie zu ermutigen, ließ er fie merken, daß er alles für
verloren erachte, und ermahnte fie, fid) nur fo lange zu halten, als es
„ohne unmeife zu fein“ geichehen könne. So ging Schlefien verloren,
wie die anderen Provinzen. Aud) hier fielen die Feſtungen ſchimpflich,
zum Zeil durch Verräterei; zuerft Glogau; dann Breslau, mo die Gene
tale v. Kraft und v. Thile, und Schweidnitz, wo v. Hade fommandirte.
Zu fpät Hatte der König einen tüchtigen Mann, Graf Götzen, nad)
Schleſien geſchickt; er fand nur noch einen Zeil der Mittel zum Kriege
vor, die bier jo reichlich vorhanden gewefen; doch richtete er wenigftens
den einen Krieg ein. Wie e8 nur am der ſchlechten Leitung lag, wenn
der Staat jo raſch und vollftändig zufammenbrady, das bewies das Beis
510 Ailfit.
ſpiel Koſels. Dieſe Feſtung hatte nur geringe Vorräte und eine mäßige
Beſatzung, die noch dazu teilweiſe aus Polen beſtand; ſeit Ende Januars
belagert, wurde ſie überdies durch Krankheiten heimgeſucht, und viele
Polen deſertirten; dennoch hielt ihr Befehlshaber, der alte Oberſt Neu—
mann und nach deſſen Tode der Oberſt v. Puttkammer, tapfer aus, und
Koſel blieb unbezwungen. Ebenſo behaupteten ſich die Feſtungen Glatz
und Silberberg. Aber am hellſten leuchtete der Ruhm von Kolbergs zer⸗
ſchofſenen Wällen, wo das getreue und kraftvolle pommerſche Volt die
rechten Führer, Schill, Nettelbeck und Gneiſenau, fand.
Es gab unter den jüngeren Offizieren der preußiſchen Armee ſchon
vor der Kataſtrophe von Jena wackere Kriegsmänner genug, aber die
Subordination hielt dieſe beſſeren Elemente in ihrem eiſernen Bann. Jetzt
da alles aus den Fugen ging, konnte der Einzelne zur Geltung kommen.
Unter den Subalternen, die e8 wagten auf eigene Fauſt zu handeln, ge-
wann feiner jo großen Ruhm als der Dragonerleutnant Ferdinand
v. Schill. Sobald er in Kolberg von einer bei Auerftäbt empfangenen
Bunde genefen war, begann er gegen die Frauzoſen, die in Hinterpom⸗
mern eingedrungen, den Heinen Krieg. Die Eigenfchaften eines Partei-
gängers befaß er in vollem Maße: tapfer bis zur Verwegenheit, voll
Unternehmungsgeift und patriotiſchet Begeifterung, immer bereit, fein
Leben in die Schanze zu ſchlagen, wußte er feinen kühnen, leichten
Reitersſinn auch den Soldaten und Freiſchärlern einzuflößen, die er bei
Kolberg um ſich gefammelt. Allein fo raſtlos auch Schil dem Feinde
mit Heinen Streifzügen zufeßte, nod) größeren Anteil an Kolbergs Ruhm
bat doch ein ſchlichter Bürger, Jo achim Nettelbed. Schon im fieben-
jährigen Kriege hatte er an der Spige der braven Bürgerſchaft die Stadt
ehrenvoll verteidigen helfen. Jetzt war er faft fiebzigjährig, aber noch
friſch wie ein Jüngling. Durdwettert von Stürmen der See und des
Schickſals, erprobt in Gefahren und Abenteuern aller Art, war er immer
derſelbe geblieben, derb und ehreufeft, ein kerniger Mann und voll Ge-
meinfinns, jetzt in feinem väterlichen Gewerbe, in feiner Brennerei, wie
vordem auf feinem Schiff, in Kolberg wie in Dftinbien, immer ein
rechter Preuße von altem Schrot und Korn. ALS im Januar 1807 die
Franzoſen fi) um die Stadt legten, war es der alte Nettelbeck, der in
die Breſche trat. Denn ber Kommandant, Major v. Lucadou, war feiner
Aufgabe in feiner Weiſe gewachien. Dazu kam, daß die Verteidigungs-
mittel ungenügend waren, und daß zwiſchen Zivil und Militär hier wie
anderwärts ein ſchlechtes Verhältnis herrichte. Es ftand alfo um dieſe
Feſtung übel genug, und man hörte ſchon bie und da von Kapituliren
reden. Aber Nettelbeck ließ ſolche Gedanken nicht auflommen. Er bes
feuert, bewaffnet die Bürgerjchaft, treibt fie zum Schanzen und Ver—
palifadiren, forgt, daß Die Umgegend durch die Schleufen unter Wafler
Kofberg. Graudenz. 511
gefeßt und daß hinreichend Proviant in die Stadt geſchafft wird, und
fhreibt an den König um einen fähigeren Kommandanten.
Am 29. April langte ein folder an; e8 war der Major v. Gnei=
fenau, der bier zuerſt feine geniale Schöpferfraft bewies. Raſch ſtellte
er zwiihen Garniſon und Bürgerihaft das geftörte Vertrauen wieder
ber, belebte oder erhöhte bei allen die Tampffreubige Begeifterung, kaufte
auf dem Seewege, welcher offen blieb, von Schweden ımd Engländern
Geſchütz und Munition und wußte täglich mit geringen Mitteln Neues
und Großes dem Feinde in den Weg zu ftellen. So ſchlug er alle Stürme
monatelang ab, obwohl die Bomben und Granaten die Befagung furcht⸗
bar lichteten und die halbe Stadt zerftörten. Die Bürgerichaft unter-
ftügte ihn dabei aufs wirkſamſte, jeder gab willig fein Letztes her; allen
voran der alte Nettelbeck. „Nettelbeck“, fchrieb Gneiſenau damals, „ift
allgegenwärtig; zündet der Feind durch feine Hanbikgranaten ein Haus
an, fo fteht er mit der Spike bes Schlauches hoch oben auf der gefähr-
lichſten Stelle. Er geht nicht von bannen, bis das Feuer darmieber ift.
Greift der Feind ein Außenwerk an oder die Verfchanzungen, fo ſitzt er
zu Pferde, reitet, der Giebenzigjährige, kühn wie ein Süngling, ermuntert
im beftigften Teuer die Truppen, holt Munition herbei und ift ebenjo
ſchnell bei dem Feſtungskommandanten, um ihm Bericht über das Ge—
fecht abzuftatten. Iſt das Gefecht vorüber, fo jdfafft er Lebensmittel für
die ermatteten Truppen hinaus. Zeigt fih ein Schiff, worauf man Bu-
fuhr von Kriegs» oder Mundbebürfntfien erwartet, fo tft er der Erfte am
Bord und der Erfte zurücd, um Kunde davon zu bringen. Auf den
Böden und in den Häufern ber Bürger hält er Revifion, um alles leicht
Entzündliche dort wegzufchaffen. Der Kommandant hat ihm die Obhut
über die Überf_hwemmung gegeben, und wehe dem, der aus Eigennutz
ober üblem Willen das Waſſer um eine Linie vermindern wollte! Wo
an den vielfachen Schleufen etwas Waffer durchficert, wird er es ges
wahr. Keine Maus dürfte die Dämme durchlöchern und er würde es
ſogleich wittern; überall zeigt er Einficht, Mut und Patriotismus; dies
alles thut er umfonft, und er ift nicht reich. Spiegelt euch daran, ihr
Deutfchen!*
Ebenſo glorreic hielt fi Sraudenz. Da befehligte zwar auch
ein Greis, aber einer von Blüchers und Nettelbecks markiger Kraft; der
dreiundfiebzigjähre General L’homme de Courbidre, von Geburt ein
Holländer, aber ein Friedrichſcher Preuße von Gefinming und That, ein
Beteran aus dem fiebenjährigen Kriege. Er hatte nur 4500 Mann bei
ih, und die Frangofen ließen nicht ab zu drohen, zu lügen. Doch ihre
Iberredungstünfte wie ihre Kugeln waren bier verloren. Ihr Anführer
Savary meinte feine Aufforderung zur Übergabe durch die Lüge zu ver-
ftärfen, ganz Preußen fei bereits in franzöfticher Gewalt, es gebe feinen
512 zuft.
König von Preußen mehr. „Nun fo bin id) König von Graudenz”,
antwortete ihm der alte Degenfnopf und verteidigte fich kaltblütig weiter.
Aber ſolche Männer befehligten in den Plätzen erften Ranges nicht, die Daher
fämtlic) übergingen ; fo aud), wenngleich zuletzt, Danzig. Diefe Feftung
war für den Gang des bevorftehenden Feldzuges von größter Wichtigfeit, fie
bedrohte Napoleons Rüden und Flanke. Demmod) verjäumte Bennigfen,
rechtzeitig genügende Schritte zu ihrer Rettung zu thun, insbefondere fie
mit Schießpulver zu verjehen, woran e8, wie in Kolberg, fehlte, und
General v. Kaldreuth, der in Danzig fommandirte, ſchlug fi zwar
wader, aber ohne Gneifenaus Erfindfamfeit und Kühnheit. So gelang
es den Belagerern, ihn (am 25. Mai) zur Kapitulation zu nötigen, die
freilich unter ehrenvollen Bedingungen zu ftande kam. Am 27ften z0g
die Befagung ab (12000 Mann), durch zehnwöchigen heftigen Kampf
auf zwei Drittel ihres früheren Beftandes herabgebradjt. Der franzö-
fie Befehlshaber Xefebure wurde dafür von Napoleon mit dem Titel
„Herzog von Danzig" belohnt; die Stadt aber erlitt num von den Fran-
zofen Jahre lang eine harte, willfürliche Behandlung.
Die Ruffen, die fo wenig zur Verteidigung Preußens thaten, waren
defto eifriger im Plündern und Verwüſten. Sie machten das Land zur
Einöde, zum Teil aus angeborener moskowitiſcher Raub: und Zerſtoͤrungs⸗
ſucht, zum Zeil um ihre eigenen Grenzen durch Wüften zu decken. Was
nüßte es dem unglücklichen Könige von Preußen, daß Alerander gegen
ihn von Freundfhaftsverfiherungen überftrömte und fentimental ſchau—⸗
ſpieleriſch, wie er war, ihm Treue bis in den Tod ſchwor? Was nüßte
es ihm, daß jener die Wiederherftellung der preußifchen Monarchie im
Vertrage von Bartenftein (26. April) noch einmal feierlich verſprach?
Eine einzige verlorene Schlacht genügte, ihn umzuftimmen.
Napoleon hatte die Zeit der Ruhe gut bemußt; er eröffnete ben
Sommerfeldzug mit 200000 Mann, während die Berbündeten ihm
höchſtens 120000 Streiter entgegenftellen konnten. Dod) blieben die
erften Zufammenftöße unentſchieden; ein blutiges Treffen bei Heilsberg
am 10. Zuni 1807 endete fogar vorteilhaft für die Verbündeten. Vier
Tage darauf aber, am 14. Juni, erlag das ruffifche Heer in einer furdt=
baren Schlacht bei Preußifih-Friedland der franzöfiichen Kriegskunſt
und Übermadjt. Es räumte das Schlachtfeld, auf dem dod) nod) mehr
franzöſiſche als ruffifche Leichen lagen, und befchleunigte feinen Rückzug nad)
der Memel. Nun mußte aud) Leftocq, ber Königsberg beſetzt hatte, folgen
und am 16ten rückten die Franzoſen in dieſe Ießte Hauptftadt Preußens
ein. Die Schlacht bei Friedland entſchied den ganzen Krieg; denn der
Widerwille der Stodruffen, die von Anfang an bes Zaren Einmifchung
in die deutfhen Dinge gemißbilligt hatten, ſprach fi) jet laut und
drohend aus: „Warum ſollen wir ung“, murrten fie, „nod) ferner für
Abfall Aleranders. 513
die perfönliche Freundſchaft unfers Kaifers mit dem König von Preußen
ſchlagen?“ Sie feßten dem Kaiſer fo lange zu, bis er nachgab und feine
Intereſſen von denen Preußens trennte. Er ließ mit dem Feinde einen
Waffenſtillſtand jchließen und Friedensunterhandlungen anfnüpfen. Fried⸗
rich Wilhelm, ohne Mittel, den regelmäßigen Krieg allein weiter zu führen,
und zu beroifchen, verzweifelten Entjchlüffen nicht geartet, mußte fich
darein ergeben, anzunehmen, was der Zar für ihn ausmachen werde.
Sein Vertrauen auf defien Redlichkeit wurde ſchmählich betrogen.
Merander machte den Frieden, aber einzig und allein auf Preußens
Koften und zu Rußlands und Frankreichs Nutzen. In einer perfönlichen
Bufammenkunft (am 25. Zuni in einem Floßpavillon auf der Memel zu
Tilſit) verftändigten fid) die beiden Kaifer über die Geſchicke Europas;
durch Schmeicheleien, mehr noch durch große Anerbietungen wußte Ra-
poleon den ehrgeizigen und charafterlofen Mann zu gewinnen; er blen-
dete ihn durch das glänzende Bild einer Teilung ber Welt in ein
Kaiſertum des Orients und ein Kaiſertum bes Occidents; er forderte ihn
auf, das ſchwediſche Finnland und die türkifchen Donaufürftentümer an
fich zu bringen; nad) diefer Beute war Rußland längft begierig geweſen.
So fiel Alerander ab. Es war dann frucjtlos, daß er am folgenden
Zage bei einer zweiten Unterredung feinen Freund mitbrachte. Statt
milder zu werden, behandelte Napoleon diefen vielmehr mit übermütigem
Hohne. Welche bitteren Worte mußten der König und feine Vertrauten
von den Siegern, ja felbft von den Bunbdesgenoffen hören! Friedrich
Bilhelm leerte den Wermutskelch des Unglücks und der Beichimpfung
bis zur Neige; er geftattete, daß die Königin Luiſe von Memel nad)
Tilſit kam, um durch bewegliche Bitten den harten Sieger zu rühren.
Die edle Fürftin brachte dies große Opfer; fie erſchien (am 6. Zuli)
vor dem kaiſerlichen Piebejer, der fie fo pöbelhaft behandelt hatte, als
Bittende, weil fie glaubte, zum Beften des Staates zu handeln. Aber
fie täufchte fi. Napoleon kannte Feine Großmut. „Wie konnten Sie
Krieg mit mir anfangen?” fragte er fie Höhnifch. „Dem Ruhme Friedrichs
war e3 erlaubt“, antwortete Luiſe, „uns über unfere Kräfte zu täufchen;
wir haben ung getäufcht; fo war es beſchloſſen.“ Auch ber König be»
nahm ſich vor feinem Überwinder mit Würde. Er trug fein ſchweres
Geſchick mit ſtummem Schmerze.
Am 7. Juli 1807 ſchloß der Zar mit Napoleon ab: Rußland ver-
lor nichts, e8 gewann noch den bisher preufifchen Kreis Bialyſtok.
Preußen aber mußte die Hälfte feines Gebietes, nämlich alle feine Pro-
vinzen weſtlich ber Elbe, fowie alle polnifchen Erwerbungen abtreten;
jene erhielt Napoleons jüngfter Bruder Jerome als „König von Weft-
falen*, diefe famen unter dem Titel eines Herzogtums Warſchau am den
König von Sachſen; Danzig wurde dem Namen nad) eine „freie Stadt“
Bierfom, preuß. Geſchichte. L 3
514 zu.
unter ſachfiſch⸗ polniſchem Schupe, in ber That eine franzöfiſche Teftung.
Mit ſchwerem Herzen unterzeichnete Friedrich Wilhelm am 9. Juli dieſen
Vertrag. Und Napoleon fügte dann noch weitere Machtgebote Hinzu,
amerfehwingliche Kriegstoften, Eintritt in das Kontinentalfyftem und an-
dere Opfer, mit denen der König nicht einmal erlangte, daß die Fran
zoſen, wie es ausgemacht war, am 10. Oktober 1807 fein Gebiet
räumten; 150000 Mann ftark, Iagerten fie noch bis Ende 1808 in dem
unglüctichen Lande, um beffen legte Kraft auszufaugen.
Das war der Friede zu Tilfit, das Ende der alten preußiſchen Mo-
nardjie. Won 5700 Duadratmeilen mit 9750000 Einwohnern behielt
Preußen nur noch 2870 Duadratmeilen mit 4600 000 Bewohnern; von
feinem Ruhme nur die Erinnerung; von feinen Anftrengungen nichts als
die Außerfte Erſchöpfung und die tieffte Schmad. Das alte feubal-
abſolutiſtiſche Syſtem hatte moraliſch und materiell einen völligen Bankrot
gemadit. s
Drud von ®. Bernftein in Berlin.
Buiizesoy Google .
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BOUND
JuL 7 1950
—D——
Filmed by Preservation 1989
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