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Full text of "Preussische geschichte"

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Buiizeo, Google 

















Berufe Goſhigte 


Sans Prutz 








GErſter Band 
Die Entfichung Brandenburg - Vreußens 


(von den erſten Anfängen Bis 1655) 





Stuttgart 1900 
3. 6. Cottafhe Buchhandlung Nachfolger 
5.8. 


















Buiizeo, Google 


Vreußiſche Gefhichte 


Sans Pruß 


Erſter Band 


Die Entſtehung Brandendurg- Preußens 
(von den erften Anfängen bis 1655) 





Stuttgart 1900 


3. 6. Cottafhe Buchhandlung Nachfolger 
G. m. b. G. 


Alle Rechte vorbehalten. 





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Wit. QSemeral 
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+ Vorwort. Kr 


Den Standpunkt, von dem aus ber vorliegende Verſuch 
einer überfichtlich zufanmenfaffenden Darftellung der preußiſchen 
Gedichte unternommen wurde, habe ih in der Einleitung 
ausführlich dargelegt und in feiner Berechtigung begründet. 

Daß ich mit jeiner Vertretung mich nicht in der Richtung 
bewege, die auf dieſem Gebiete dermalen vorherrſcht, deſſen 
bin id) mir wohl bewußt. Wenn aber die Beichäftigung mit 
der vaterländiſchen Gefchichte, nachdem fie gegen früher jo er— 
freufih in Aufnahme gefommen ift, die Leitfterne jo oft aus dem 
Auge läßt, denen die Geſchichtſchreibung auch da unverbrüchlich 
nachſtreben ſoll, wo fie ohne gelehrtes Rüftzeug fih an möglichſt 
weite Kreife zu wenden unternimmt, und wenn infolgedefien 
die Differenzen zwifchen ber einmal recipierten Vulgata und den 
Ergebniffen der neueren Forihung immer größer zu werden 
drohen, fo erſcheint es nicht bloß als eine wiſſenſchaftliche, jondern 
als eine patriotijche Pflicht, Menſchen und Dinge, die meift nur 
in einer fünftlihen, d. h. auf einen beftimmten Effekt in der 
Gegenwart berechneten Beleuchtung geſehen werden, einmal ohne 
jede Rüdficht auf die Gegenwart allein in dem Lichte zu be— 
traten, das ihre eigene Zeit auf fie fallen ließ. Man fühlt 
das Bedürfnis — um ein neuerdings oft angeführtes, aber auch 
oft mißdeutetes Wort des Altmeifters der Geſchichtſchreibung zu 
gebrauhen — zu fagen, wie es „eigentlich geweſen ift”. 

Ein Handbuch der preußiihen Geſchichte freilich fonnte und 
follte auch nicht auf diefem Wege entftehen, und den Maßſtab 
eines jolhen möchte ich daher am diefen Verſuch aud nicht an— 
gelegt jehen. Das mir vorſchwebende Ziel und die Natur des 
Stoffes machten eine gewiſſe Ungleihmäßigfeit der Behandlung 
unvermeidlih, indem bas eine in breiterer Ausführung, das 
andere in knapp jfizzierten Umriffen gegeben wurde. Im Mittel: 
punkt des Intereſſes fteht eben durchaus der Staat: er ift und 
bleibt doch das vornehmſte Objekt der Geſchichtſchreibung überall 


IV Vorwort. 


da, wo ſie auf weitere Kreiſe wirken, national anregen und 
politiſch bilden möchte. 

Andererfeits erjcheint e8 gerade in unferen Tagen, wo der 
Kultus der hiſtoriſchen Perfönlichkeit, bloß weil fie hiſtoriſch ift, 
jo jehr in Schwung gefommen ift, berechtigt und nützlich, das 
perjönliche Moment gerade mit diefem politijchen zu verknüpfen 
und an ihm zu meſſen, um fo beider Wechſelwirkung nachzu— 
weifen. Es wird ihm, im Guten wie im Böfen, dod eine 
größere hiſtoriſche Bedeutung zuerfannt werden müflen, als die 
ſozialpſychologiſche Geſchichtſchreibung unferer Tage Wort haben 
will. Der letzteren Berechtigung und Verdienftlicfeit zu ber 
ftreiten bin ich weit entfernt: aber die theoretiihen Erörterungen 
über das Prinzip der Geſchichtſchreibung und ihr daraus herzu⸗ 
leitendes wahres Wejen, die neuerdings mit ebenfoviel Heftigkeit 
wie Breite geführt worden find, haben mich doch nicht davon 
überzeugen fönnen, daß es für die Gedichte wie nur eine 
Methode der Forſchung, fo auch nur eine, gleichſam alleinjelig- 
machende Art der Darftellung gebe. Vielmehr werden entſprechend 
der unendlich bunten Mannigfaltigfeit des geſchichtlichen Lebens 
aud immer verſchiedene Arten der Geſchichtſchreibung als gleiche 
berechtigt, aber ſich gegenfeitig ergänzend nebeneinander beftehen 
tönnen und bejtehen müſſen. Je mehr dies der Fall it, um fo 
fördernder und bildender, um fo erhebender und ftärfender wird 
die Beihäftigung mit der Geſchichte auf die Gegenwart wirken. 

Daß eine zufammenfafjende Darjtellung wie die vorliegende 
nit durchweg auf eigener, von Grund aus neu bauender 
Forſchung beruhen kann, braucht wohl faum bemerft zu werden. 
Die umfangreihen Abſchnitte, wo das der Fall ift, werden ſich 
für den kundigen Leſer auch ohne Velegitelen und Duellencitate 
leicht ergeben. In anderen durften dankbar die Ergebnifje der 
Forfhungen anderer aufgenommen werben, zum Teil unver: 
ändert, zum Teil infolge einer Nachprüfung modifiziert. 

Der dritte Band, welcher die Zeit von 17401815 ber 
handelt, wird Ende bes Jahres 1900, der vierte, der die Dar— 
ftellung bis 1888 fortführen wird, 1902 erjcheinen. 


Königsberg i. Pr., 
Ende Ottober 1899. Hans Prutz. 


Inhalt des erften Bandes. 


Einfeitung 
I. Die Sauptrichtungen "ber "preubifcen Seisict. 
ſchreibung 
1. Die teleologiſche und prattiſch potitifce Tendenz . 
2. Die populär : patriotifche Aendengefäiäigreitung 
Der gefhichtlihe Unterriht . . . 
3. Das perfönlihe Moment in ber Geſchichte 
II. Die Legende in der preußiſchen Geſchichte. 
Erfies Bud. Die Elemente des meenttiäen Staates 
(dis 1598) 1 
I. Der Staat des Deutfcgen Ordens in Preußen. 
1. Die Eroberung Preußens. 1228—1295 . . . 
2. Die Blüte des Ordensſtaates in Preußen. 1295_1382 
3. Der Fall des Ordensſtaates. 1382—1466 . 
4. Die Reformation in Preußen. 1466—1568 
DO. Die Mark Brandenburg . . 
1. Die Marten unter den Anfaltinern, inuabaden 
und Luremburgern (bis 1411) . 
2. Die frankiſchen Hohenzollern in gimdenltz 1a 
bis 1486 . .. 
Friedrich I. 1411— 1438. —_ Friedrich IT. 14381470 
und Albrecht Achilles 1470—1486.) 
III. Brandenburg im Uebergang zur neueren Zeit und 
die erjten märfifhen Hohenzollern. 1486—1535 
1. Johann Cicero 1486—1499 re. 
2. Joachim I. 1499—1585 . B 
IV. Reformation und ftändifches Regiment. 1585_1598 
1. Joachim II. 1585—1571 
a) Die Reformation in der Mart Brandenburg. 1535 
581568. . - 
b) Das Auflommen der ſtändiſchen Mitregierung im 
Innern und bie Politik der Aumartjgaften 1563 
bis 1571... B 
2. Johann Georg 15711598 . 


Seite 
1— 37 


12 22 
1-1 


11— 17 
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23— 37 


38—268 
38—109 
38— 59 
59— 80 
80— 96 
96—109 
110-171 


110—125 


126—171 


172—196 
172—177 
178—196 
197—268 
197—243 


197—228 


228—243 
243—268 


vI Inhalt. 


Bweites Bund. Die erfie hohenzolleruſche Stantsgründung 
und ißr Zerfall. 1598—1640 . . 

I. Die ftaatlihe Neuorganifation der Marken durch 
Joachim Friedrich und die Rüftung zur Erwerbung 
Preußens und Jülich-Cleves. 1598—1608 . 

II. Die Erwerbung Cleves und Preußens und ber 
Anſchluß an die NReformierten durch Johann 
Sigismund. 1608—1619 . . . 

IH. Vollendung und Banferott des ftänbifchen He: 
giments unter Georg Wilhelm. 1619—1629 . 

IV. Die Vernichtung der ftaatlihen Eriftenz Branden- 
burgs durch die deutſche Revolution und den 
europäifchen Krieg. 1629—1640 . 
Drittes Bud. Pie Rettung der Zuhnnft. 1640-1655 . 

I. Die ftändifche Reaktion und die Anfänge Friedrich 
Wilhelms. 1640-1643 . . . 

I. Die Heeresfhöpfung, die bewaffnete Neutralität 
und der Meftfälifche Friede. 1643—1648 . 

IH. Die Friedengerefution und der Verſuch einer 
deutfchen Politif. 1648—1655 . nn 


Seite 


269—377 


269—297 


298—323 


324—345 


346—377 


378—463 


378—420 


421—444 


445—463 


Ginleitung. 


I. Die Bauptrichtungen der preufißchen Gefchicht- 
ſchreibung. 


1. Die teleologiſche und praktiſch politiſche Tendenz. 
(Stengel, Kanke, Dronſen, v. Treitſchae.) 


eit die Jahre 1866 und 1870—1871 den deutſchen 

Staat unter Preußens Führung verwirklicten, gilt 

mandem als vornehmfte Aufgabe der preußifchen Ge: 
ſchichtſchreibung, in der Entwidelung Preußens die zeitig ein- 
jegende Vorbereitung auf die künftige Bildung dieſes deutfchen 
Staates nachzuweiſen. 

Hat doch von deutſchen politifchen Scöpfungen feine jo 
früh, fo ausgeprägt und fo ſelbſt- und zielbewußt die Formen 
entwidelt, die Kräfte bethätigt und die Beftrebungen verfolgt, 
in denen wir das Weſen ftaatlihen Lebens zu fehen gewohnt 
find, wie die zu Brandenburg: Preußen verwachſenen Gebiete. 
Erſcheint Preußen deshalb doch vielen ala der vorzugsweife 
deutſche Staat und von jeher berufen, zu der Stellung auf: 
äufteigen, in der wir es heute erbliden. . 

Der praktiſch politifhe und gewiſſermaßen agitatorifdhe 
Wert diefes Standpunktes ift ermwiefen dur das, was von 
ihm aus nah dem Scheitern der nationalen Bewegung von 
1848—1849 tapfere Männer — ein Ludwig Häuffer, ein 
Adolf Schmidt u. a. — für die Erwedung des deutſchen Volkes 
gethan Haben. Als man dem fi ſelbſt untreu gewordenen 
Staate des großen Friedrih verjtimmt, entmutigt oder gar 
erbittert den Rüden fehrte, haben fie fein Verdienſt um Deutſch⸗ 
lands Vergangenheit und feinen Beruf für Deutſchlande Zu⸗ 

Brus, Dreutiſche Gejchichte I. 


2 Einleitung. 


funft hiſtoriſch erwieſen. So wurde die preußiihe Geſchichte 
in den Mittelpunkt des neu entbrennenden Kampfes um die 
fünftige Geftaltung Deutſchlands geftellt. Dadurch ftieg zwar 
ihre Bedeutung für das nationale Geiftesleben, aber fie wurde 
zugleich aus der Sphäre des ausſchließlich wiſſenſchaftlichen Inter- 
eſſes in die der Tagespolitif verpflanzt, fo daß bei ihrer Behand- 
lung die der legteren entnommenen Gefihtspunfte zuweilen mehr 
einwirkten als die, welche jene allein als berechtigt anerkennt. 

Wie viel dennoch auf diefem Gebiete auch wiſſenſchaftlich 
geleiftet ift, braucht hier nicht in Erinnerung gebracht zu werden. 
Die preußiſche Geſchichtſchreibung hat ihren reich gemefjenen 
Anteil an dem Aufſchwung, den die Geſchichtswiſſenſchaft während 
der legten zwei Menjchenalter bei uns genommen hat. Eine 
Füle neuen Materials ift der Forſchung erfchloflen und ftrömt 
ihr noch in unauögefegt wachſendem Reichtum zu, fo daß ber 
Wunſch erlaubt ift, es möchte mehr für die Verarbeitung als 
für die Veröffentlihung von Material gethan werden. Aus 
einer faum überjehbaren Mafje von Einzelunterfuhungen wächſt 
die preußiiche Gedichte ala eine durch das Feuer Fritifher 
Forſchung geläuterte, wiſſenſchaftlich lebendige Einheit allmäh- 
lich vor unferen Bliden empor. 

Dennoch hat die preußiſche Geſchichtſchreibung den Ein- 
fluß der politifhen Verhältniffe noch nicht überwunden, unter 
denen fie einft begonnen. War es damals weentlih ein prafs 
tiſch politifches Intereſſe, das ihr der Hiftorifer und des ge— 
bildeten Publikums Teilnahme gewann, jo ift ihr von daher 
eine gewiſſe Voreingenommenheit eigen geblieben, die nicht felten 
zu einer beftimmten Tendenz erftarkte. Hatte durch die Beichäf- 
tigung mit der preußiſchen Gedichte der Glaube an Preußen 
als an ben Staat der deutſchen Zukunft neu belebt und zur Be— 
thätigung geftärft werben follen, fo betrachtet man die Entwides 
lung Preußens heute vorzugsmweife von dem Stanbpunft aus, 
den die ſchließliche Erfüllung alter nationaler Hoffnungen durch 
die preußifchen und deutſchen Siege ergibt, als ob fie von ben 
erften Anfängen an auf diefen Ausgang angelegt geweſen wäre, 
und fieht darin nichts als die von einer inneren Notwendigkeit 
beherrſchte folgerihtige Evolution des deutſchen Staates. 


I. Die Hauptrigtungen der preußifchen Geſchichtſchreibung. 3 


In ben vierziger und fünfziger Jahren berechtigt als eine 
Waffe nationaler Propaganda, bejteht eine ſolche Auffaffung 
der preußiſchen Geſchichte nicht, an dem Prinzip der hiſtoriſchen 
Wiſſenſchaft gemeſſen. Denn fie trägt immer etwas in bie 
Vergangenheit hinein, was nad ber Natur der Dinge nit 
darin fein fonnte, und madt fo die volle Sachlichkeit und 
Unbefangenheit des Urteils unmöglih. Denn wer einen Jahr: 
hunderte umfaflenden Entwidelungsgang nit aus ſich felbft 
zu begreifen ftrebt, jondern darin diejenigen Momente auf: 
ſucht, die das fehlieflich erreichte, der Gegenwart angehörige 
Ergebnis vorbereiten halfen, der verzichtet zum voraus auf 
möglichft objektive Erfaſſung der Vergangenheit und wird fie 
nie in ihrem in ſich ſelbſt bedingten und auf fich ſelbſt ge: 
richteten Leben verftehen lernen. Wer die Entwidelung auf 
ein beftimmtes Ziel angelegt fein läßt, wird überall Hin— 
meifungen auf dieſes und Momente zu feiner Erreihung ſehen 
und auch andere ſehen lafjen wollen: er wird darüber bei 
aller fubjektiven Wahrheit objektiv leicht unmwahr werben, in— 
dem er diejem teleologifchen Prinzip zuliebe Thatſachen und 
Menſchen in eine andere Beleuchtung rüdt, als ihnen zufommt, 
wenn man fie allein aus den ihrer Zeit jelbft eigenen Gefichts- 
punften betrachtet. 

Freilich liegt die Neigung zu diefer teleologifchen Betradh- 
tungsmeife tief in der menschlichen Natur begründet. Das Ver: 
hältnis zwifchen der Freiheit des menſchlichen Einzelnhandelns 
und ber Gejegmäßigfeit der menſchlichen Gefamtentwidelung 
enthält ein Problem, das hiſtoriſche Einzelforfhung fo wenig 
wie univerfalgefhichtlihe Spekulation völlig befriedigend löfen 
wird. Mag der Einzelne fehen, wie er ſich mit diefem Welt- 
rätfel abfindet. Und ba werden zu dem Spiel willfürlih wal— 
tender Kräfte, das in der Geſchichte zu herrſchen ſcheint, die 
meiften eine befriedigende Stellung gewonnen zu haben glauben, 
wenn fie fi dasjelbe durch einen vorausbeftimmenden höheren 
Willen georbnet, auf ein von ihm gemwolltes Ziel gerichtet und 
zu feiner Erreichung geleitet denken. Wie fie ſich deſſen Walten 
im einzelnen vorftellen, ift gleichgültig. Je überraſchender aber 
die gefchichtlihen Wendungen find, je gewaltiger bie fie herbei- 


4 : Einleitung. 


führenden Ereignifje und je größer das Erreidte ift, um fo 
mehr wird, wie der Einzelne, fo aud ein ganzes Volf geneigt 
fein, in dem Größten, was ihm geworden, die Verwirklichung 
einer längft obwaltenden höheren Abfiht und die Erreichung eines 
ihm Tängft geſteckten Zieles zu erbliden. Auch das preußiſche 
Volk ift gewöhnt worden, feine Vergangenheit vornehmlich von 
diefem Standpunkte aus zu betrachten. 

Noch ein anderes Moment hat dazu beigetragen. 

Es ift fein Glüd für die preußiſche Geſchichtſchreibung ge— 
wefen, daß ihre wiſſenſchaftliche Begründung in eine Zeit fiel, 
wo auch innerhalb Preußens die politiichen Gegenfäge ſich zu 
äußerfter Schärfe zufpigten und jede Partei aus der Vergangen- 
heit Waffen zur Verfehtung ihrer Sade entnehmen wollte. 
Sachlicher und nüchterner als G. H. Stenzel (1830—1837) 
tonnte man bie preußifche Geſchichte wahrlich nicht auffafien. 
Dem Geihihtfehreiber der fränkiſchen Kaiſer lag nichts ferner 
als politifhe Tendenzmacherei irgend welder Art. Dennod hat 
er fein Werk mannigfach angefochten fehen und unvollendet 
laſſen müfjen, weil felbft feine maßvole Betrachtungsweiſe, die 
jede Beziehung auf die politifhen Probleme der Gegenwart 
vermied, ihn in unliebjame Konflikte zu verwideln und in den 
Nuf des Liberalismus zu bringen drohte. Wenige Jahre fpäter 
ging Leopold Ranke an die Bearbeitung der preußiſchen Ge— 
ſchichte, für-die fich ihm zuerft die eigentlich amtlichen Quellen 
aufthaten, mit jenem nervöfen Eifer, der ihn in jüngeren Jahren 
da zu ergreifen pflegte, wo die Gegenwart fi) mit dem in 
Widerſpruch fegte, was er nach feiner hiſtoriſchen Auffaſſung 
allein als berechtigt anerfennen zu fönnen meinte, und er mit 
feinen religiöfen und politif hen Anfichten auf prinzipielle Gegner— 
ſchaft ſtieß. Man tritt dem Verdienfte von Rankes „Neun 
Büchern Preußiſcher Geſchichte“ (1847) nicht zu nahe, wenn 
man fie weniger als ein geſchichtliches Werk denn als eine gelehrte 
hiſtoriſch-⸗politiſche Parteiſchrift bezeichnet, beftimmt, die alt= 
preußiſche Staats: und Geſellſchaftsordnung mit dem abfoluten 
Königtum von Gottes Gnaden an der Spige gegen ben ans 
drängenden Liberalismus-zu verteidigen. Es fam darin weniger 
der über den Parteien ftehende Hiftorifer zu Worte, als viel 


I. Die Hauptridtungen ber preußiſchen Geſchichtſchreibung. 5 


mehr der Herausgeber der hiftorifch-politifchen Blätter und der 
litterarifche Vorkämpfer der preußiſchen Konfervativen. 

In fpäteren ruhigeren Zeiten ift das auch Ranke nicht ent= 
gangen, und er hat Hand angelegt an die Umgeftaltung eines 
Werkes, das, ein Kind gärender Jahre, ſich allzufehr von dem 
Boden ausſchließlich wiſſenſchaftlicher Betrachtung entfernt hatte. 
Er ſchuf es um zur „Genefis des Preußifchen Staates“ (1874). 
Dabei ftand er unter dem Eindrud ber Ereignifle von 1866 
und 1870-1871. Auch er konnte fih dem Einfluß nicht ent— 
ziehen, den die große Gegenwart auf die Beurteilung der Ver— 
gangenheit ausübte, Nicht mehr ber Verteidiger des Altpreußen- 
tums und der Lobredner des Abfolutismus führt hier das Wort: 
mit Vorliebe geht er jet in der preußiichen Gedichte den 
Momenten nad, in denen fih — unbeabfihtigt und unbewußt, 
gelegentlih und andeutungsmeife — bie 1866 zum Siege ge= 
langte Richtung ſchon früher offenbart hatte. Bereits in dem 
werdenden Staat der Hohenzollern zeigt er den Staat der 
deutſchen Zukunft, maßvoll und vorfihtig, indem er feinen auf 
die Gegenwart ausmündenben Gedankengang mehr anbeutet ala 
darlegt und Perfpektiven eröffnet, die jhärfer zu umreißen und 
ins einzelne auszuführen er dem Lefer überläßt. Auch bier 
waltet alfo eine gewiſſe Hiftorifch-politifche Tendenz, die um fo 
mehr Eindrud machte, als fie derjenigen entgegengejegt war, 
in deren Dienft Ranfe denfelben Stoff zuerit behandelt hatte. 
Ob aber dabei nicht ſelbſt ein biftorifher Genius wie Ranke 
Gefahr gelaufen fein ſollte, in der Vergangenheit mehr zu finden, 
als thatfählih in ihre war, Anfhauungen und Abſichten, die 
nur die Kämpfe der Gegenwart zeitigen konnten, bei Perſonen 
zu ſuchen, deren Denken und Handeln in ganz anderen, nur 
ihrer Zeit eigenen Momenten wurzelten? Solde Anticipationen 
find nicht zu vermeiden, wo man eine geſchichtliche Entwidelung 
nicht aus ſich felbft betrachtet, jondern von einem Standpunkte, 
den erſt fpätere Ereigniffe ermöglichten, und den Maßftab für 
fie dem entnimmt, was erft nad) Durchlaufung anderer Zwiſchen⸗ 
flufen aus ihr geworben ift. Unwillkürlich ſetzt man dabei das 
fpäter Geworbene ala immanent in dem Früheren enthalten 
voraus, und ſtatt dem Kettengange von Urſache und Wirkung 


6 Ginteitung. 


nachzugehen, operiert man mit einem Zmwedbegriff, der bie Ge- 
ſchichte unter den Zwang eines teleologiſchen Prinzips ſtellt. 

Was Ranke gelegentlich als Geſichtspunkt geltend macht, 
von dem aus er lehrreiche Perſpektiven eröffnet und das hiſtoriſche 
Verſtändnis fördernde Parallelen zieht, das beherrſcht von An— 
fang bis Ende ala leitender Gedanke Johann Guftav Droyſens 
„Geſchichte der Preußiſchen Politik“ (1855). Bon den erften 
Anfängen des brandenburgiichen Staates an meint Droyien 
die Fäden aufweifen zu fönnen, welche die Politik der Hohen: 
zollern zu einem im fich geſchloſſenen, ftets auf basfelbe Ziel 
gerichteten Syftem verknüpfen, das die Ereigniffe der jüngften 
Vergangenheit nicht bloß als den natürlichen, fondern aud) als 
den längft gemollten Abſchluß der vorangegangenen Entwidelung 
erſcheinen läßt. Bereits in dem Brandenburg ber erſten Hohen- 
zollern fieht Droyfen rüdfichtlich ihres Verhältniffes zu Deutfch- 
land und ihrer Bedeutung für Deutfchland das verkleinerte 
Vorbild des Preußen, das an die Spige Deutſchlands zu treten 
berufen war. In Friedrich I. und Albrecht Achilles zeichnet er 
Fürften, die ihren Beruf, wenn auch nicht zur Einigung, fo 
doch zur Leitung Deutſchlands in ähnlihem Maße erkannt und 
zu erfüllen geſucht hätten, wie das ihre legten Nachkommen 
erſt wirtſchaftlich, dann militäriſch und ſchließlich politiſch ge 
than haben. Dabei aber muß einmal eine Menge von Dingen 
in den Kreis der Betrachtung gezogen werden, die eigentlich 
hiſtoriſche Bedeutung nicht haben, gelegentlich auftauchende und 
gleichſam nur hingeworfene Ideen, um nicht zu ſagen Einfälle, 
Anläufe und Verſuche, die keinen Fortgang gehabt haben. Es 
muß nicht bloß das Geſchehene und Gethane, ſondern auch das 
Gewollte und Geplante behandelt werden, als ob es in die 
Wirklichkeit getreten und ein die fernere Entwickelung beein- 
fluffendes Hiftorifches Moment geworben wäre, Daher gilt es 
nit bloß dem an fi ſchon recht verfchlungenen Weg nachzu= 
gehen, den die preußifche Politit verfolgt hat, ſondern auch 
allen ben ins Xeere führenden Ab- und Irrwegen und ben ent= 
täufhenden Sadgafien, in die fie gelegentlich geraten ift. 
Schwerer aber noch wiegt die bei folder Behandlung unver: 
meidliche Betonung bes praftifch politifchen Interefies der Gegen: 


I. Die Hauptriätungen der preußiſchen Geſchichtſchreibung. 7 


wart. Sie drängt einem die Frage auf, ob hier nicht ſchon bie 
Formulierung des hiſtoriſchen Problems gegen die Grundgefege 
der Geſchichtſchreibung verftoßen hat, indem fie die erft gefuchte 
Antwort zum Teil vorwegnahm oder doch die Richtung ſchon 
genau bezeichnete, in der die Antwort liegen follte. 

Die feurige Lebendigkeit bes Droyſenſchen Geiftes, der 
fi in padenden Antithefen bewegende Vortrag, die Weite des 
Gefihtskreifes, die patriotifche, nicht bloß preußifche, ſondern 
auch deutſche Begeifterung, mit der des Geſchichtſchreibers Herz 
den Gegenftand umfaßt und den Lefer zu gleih warmer An: 
teilnahme mit fi fortreißt — alles das ſichert dem Lebens- 
werke Droyfens einen Ehrenplag in unſerer hiſtoriſchen Lit: 
teratur. Aber daß das preußifche, das deutſche Volf darin bie 
preußiſche Geſchichte erhalten hätte, deren es bebarf, um feine 
Vergangenheit zu verftehen und fi in Gegenwart und Zu— 
kunft zurechtzufinden, wird niemand behaupten wollen. Denn 
wenn Droyſen vor allem die Momente aufdedt, in denen 
Preußens Beruf für Deutſchland offenbart fein fol, fo ift ſchon 
damit eine völlig unbefangene Würdigung der Vorzeit er- 
ſchwert, ja unmöglich gemadt. Hier liegt die Schwäde von 
Droyfens Werk, das, jelbft in den wichtigſten Partien um 
fritten, bereit8 manche tiefgreifende Korrektur erfahren hat. 
Ihm gerecht zu werben, muß man es als eine nationale po= 
litiſche That auffaſſen, weniger einem wiſſenſchaftlichen als einem 
politiſchen Bedürfnis entiprungen. Bedenkt man, daß Droyfen 
als Schriftführer in dem Verfaſſungsausſchuß des Frankfurter 
Parlaments an deſſen Sifyphusarbeit hervorragenden Anteil 
gehabt und daher aud das Scheitern folder patriotifchen 
Anftrengungen befonders ſchwer zu empfinden hatte, fo darf es 
als ein Beweis feltener Ueberzeugungstreue und tapferften 
Mannesmutes gelten, daß er bie politiſchen Prinzipien, für die 
er in Frankfurt vergeblich geftritten, nun mit den Waffen Hifto- 
riſcher Wiſſenſchaft zu vertreten und als einzige Bürgſchaft für 
Deutſchlands Zukunft zu erweiſen eilte. Seine Geſchichte der 
preußiſchen Politik entiprang unmittelbar aus den politifchen 
Kämpfen jener Zeit, weniger als ein gelehrtes Geſchichtswerk 
denn als ein Programm preußiſcher deutichnationaler Politik. 


8 Einleitung. 


Und die mutige That trug ihren Lohn nicht bloß in ſich 
ſelbſt. Wenn das Wort von dem Hiſtoriker als rückwärts ge— 
wandtem Propheten je bewahrheitet wurde, ſo war das Droyſen 
mit dieſem Werke beſchieden, das mehr als auf die Vergangen- 
heit auf Gegenwart und Zufunft gerichtet war. Seinen Fort= 
gang begleitete die fortjcreitende Erhebung Preußens: in ber 
neuen Aera befann es fich auf feinen deutſchen Beruf, in heißem 
inneren Kampfe ſchmiedete e8 während ber Konfliktszeit die 
Waffen, deren es zu feiner Erfüllung bedurfte, und gelangte 
1866 und 1870 in ſchnellem Siegeslauf an das no fo 
fern ſcheinende Ziel. Demgegenüber ift e8 zu bedauern, daß 
Droyjens Werk, das anfangs jo fnapp und ſachlich und daher 
raſch und eindrudsvoll vorwärts ſchritt, durch die Maſſe des 
zuftrömenden Materials zu Dimenfionen anwuchs, bie feine 
Wirkung auf weitere Kreife beeinträdtigten, da jo der leitende 
Gedanke, den es durchführen wollte, allmählich völlig in den 
Hintergrund trat. So frankt die umvollendet gebliebene Ge— 
ſchichte der preußifchen Politit an einem gewiſſen Widerſpruch 
zwiſchen der Aftualität und praktiſch politiichen Tendenz ihres 
Anfangs und ihrem breit in die Maſſe der Einzelheiten aus— 
laufenden Fortgang. 

Ob aber Droyfen, wäre es ihm vergönnt gemejen, fein 
Werk, wenn au nur in großen Zügen anbeutend, bis auf 
den Abſchluß der Jahre 1866 und 1870 zu führen, in jenen 
triumphierenden Ton eingeftimmt hätte, den wir fo oft von 
denen anſchlagen hören, die in al dem Großen und Herrlichen 
jener Jahre nichts fehen wollen als den vom Schidjal längft 
gewollten, gleihfam naturnotwendigen Ausgang einer Ent— 
widelung von Jahrhunderten? Gewiß nit! Denn aud als 
er es unternahm, den von ihm in fehwerer Zeit vertretenen 
politiſchen Standpunkt hiſtoriſch nit bloß als berechtigt, 
fondern als denjenigen zu erweifen, den die Logif der Ger 
ſchichte als den für Deutſchland gebotenen ergibt, übte er doch, 
dur) Fein Parteivogma befangen, an ber Vergangenheit des 
Staates, der ihm zu dem Größten berufen war, und an ben 
Männern, in deren Hände fie gelegt geweſen war, politiſch 
und moralifh eine unnachſichtige Kritik. Denn nit bloß 


1. Die Hauptriätungen der preußiſchen Geſchichtſchreibung. 9 


belehren wollte er, fondern auch beſſern und durch fein freis 
mütiges Aufdeden des Verfehlten und Verſchuldeten ähnliche 
Sertümer für die Zukunft abwenden helfen. Das bildet bei 
ihm ein ftarfes Gegengewicht gegen den teleologifhen Stand: 
punkt. 

Wo aber biefes fehlt, tritt die von der teleologifchen Be— 
trachtungsweiſe untrennbare Tendenz noch ftärker hervor, und 
aus dem Geſchichtſchreiber wird dann leicht ein eifernder Par- 
teimann. Gegen feinen von ben neueren Bearbeitern ber 
deutſchen und preußiſchen Geſchichte ift diefer Vorwurf lauter 
erhoben worden als gegen Heinrich v. Treitſchke. Und wer 
möchte behaupten, er fei ganz unbegründet! So ſchwer es ift, 
fih dem Zauber der v. Treitſchkeſchen Darftellung zu ent- 
ziehen, die durch Patriotismus, hohen fittlihen Eifer und Be— 
redſamkeit den Lefer gefangen nimmt, fo gern man ber prak— 
tiſch politifchen Weisheit laufcht, mit der das Buch durchſetzt 
iſt, und fo dankbar man fi al des Neuen erfreut, das es aus 
den Schätzen der Archive zu fpenden hat: — aud den gut 
preußifch gefinnten Leſer wandeln gelegentlich doch Zweifel an, 
ob die Entwidelung Deutſchlands und Preußens hier nicht allzu= 
ehr von dem ausſchließlich preußiſchen Standpunkte aus ger 
fehen und fo dargeftellt ift, als ob Preußen eben zu allem be— 
rufen, zu allem befähigt und zu allem berechtigt geweſen jei. 
Das zu erklären reiht die Einfeitigkfeit des vornehmlich be— 
nutzten archivaliſchen Materials nicht aus, Daß ein Autor, der 
die neuefte Geſchichte Deutihlands und Preußens auf Grund 
preußiſcher Staatspapiere jchreibt, alles mit den Augen feiner 
preußiſchen Gemährsmänner fieht, fi mit ihrem Gebanfen- 
gange völlig identifiziert und fo ſchließlich unbewußt ein Par- 
teigänger Preußens wird, — das wird fi) nad) der Natur ber 
Menſchen und der Dinge faum ganz vermeiden laffen. Aber 
v. Treitſchke geht nicht felten auch noch darüber hinaus. Auch 
in der „Deutſchen Geſchichte im 19. Jahrhundert” (1879) fteht 
er ganz auf dem Standpunfte, den er in den fechziger Jahren 
in ben heißen Kämpfen um bie Löfung der beutfchen Frage 
einnahm. Weniger als Hiftorifer denn als Politiker, weniger 
um eine Klare Erkenntnis und gerechte Würdigung ber jüngften 


10 Einleitung. 


deutſchen Entwidelung anzubahnen, ala um die Berechtigung 
und Notwendigfeit des Jahres 1866 zu erweifen, fchreibt er 
die deutfche Geſchichte. Daher kommt bei ihm allzuoft ftatt 
des unparteiifchen Lehrers für Mit- und Nachwelt der gewaltige 
Agitator zu Wort. Durchdrungen von der Unfehlbarkeit feiner 
Theſe ftürmt er in hinreißender Rede kampffroh einher, und 
indem er die Gegner bald mit den fharfen Pfeilen jeines nie 
fehlenden Sarkasmus, bald mit wuchtigen Keulenſchlägen nieder: 
ftredt, entwirft er von der deutſchen Geſchichte in unferem Jahr: 
hundert ein Bild, das fie als eine fortlaufende Offenbarung 
des infallibelen Preußentums erfcheinen läßt. Schon die un: 
befangene Würdigung ber politiſchen und litterarifhen Ent= 
widelung des nicht preußiſchen Deutſchland ift damit kaum ver- 
einbar. Mit Recht ift dagegen namentlih von Süddeutſchland 
ber Einſprache erhoben. Rechten Erfolg aber kann dieſer doch 
erft haben, wenn nun au von jener Seite die Archive er: 
ſchloſſen und aktenmäßige Darlegungen der Eontroverfen Punkte 
gegeben werben. Möchte man damit nicht zögern! Gerade bie 
preußifhe Gedichte würde davon Gewinn haben. Denn je 
länger v. Treitſchkes Darftellung, deren formaler Reiz und 
ſachliches Verdienft zufammen mit ihrem begeifterten Preußen- 
tum weite Zejerfreife feffelt, in diefen Dingen unwiderſprochen 
bleibt und ihre Uebertreibungen zu Gunften Preußens nicht auf 
das richtige Maß zurüdgeführt werden, um fo mehr fteht zu 
befürchten, daß fie gollends die Herriehaft gewinne und das 
Urteil mander aud in den Fragen der Gegenwart befange. 
Ein klaſſiſches Denkmal des kühnen Aufihwungs, den das 
Preußentum nad langer Erflaffung in dem erneuten Bewußt- 
fein feiner Kraft genommen hat, gehört v. Treitfchfes Werk 
ale Symptom und zugleih als Produft einer zeitweilig be 
rechtigten Richtung heute ſchon felbft in gemiffem Sinne ber 
Geihihte an. Darin liegt feine Größe, aber auch feine 
Schwäche. Spätere Generationen werben ſich feiner in dank: 
barem Genuß erfreuen, nicht wenn fie die deutjche und preu— 
ßiſche Geſchichte unferes Jahrhunderts, von allem Zufälligen 
gelöft, rein jahlih vor Augen geitellt haben wollen, fon= 
dern wenn es gilt ein Bild zu gewinnen von ber Kühnheit 


1. Die Hauptrichtungen der preußiſchen Geſchichtſchreibung. 11 


und Kampfesfreude, womit in dem heifeften Ringen um bie 
nationale Wiedergeburt, getragen von dem Glauben an bie 
eigene Unfehlbarkeit das Preußentum fiegesgewiß einher: 
ftürmte. 


2. Die popnlär-patristifche Tendenzgeſchichtſchreibung. 
Der geſchichtliche Unterricht. 


Alein freilich fteht v. Treitfchfe damit nit. Nur kommt 
diefe Richtung bei ihm am ftärfften zur Geltung, weil er an 
Wucht der fahlihen Momente, an rhetoriſchem Schwung und 
überzeugungsvollem Eifer allen ihren Vertretern weit überlegen 
ift. Denn er kämpft auch hier noch den Kampf gegen die deutſche 
Kleinftaaterei, defjen mutige Aufnahme ihm einen Ehrenplag 
gefihert hat unter den litterariſchen Bahnbrechern der deutſchen 
Einheit unter Preußens Führung. Diefer Kampf aber ift aus: 
gekämpft, und die Leidenſchaften, die er entfefleln durfte und 
entfelfeln mußte, wenn er anders glüdlih ausgehen jollte, 
haben ihr Recht verloren und follen beruhigt fein und bleiben. 
Am mwenigften der Geſchichtſchreibung fteht es an, fie wieder 
wachzurufen. Dazu aber gehört vor allem, daß fie auch dem 
„unterlegenen Teile gerecht werde, auch fein relatives Recht an- 
erkenne, bei ihm nicht ſchlechtere Motive vorausfege ala bei 
dem Sieger, und ihm namentlich nit die Befugnis abftreite, 
für feine ehrliche Ueberzeugung auch feine Mittel und Kräfte 
einzufegen. Nur fo werden die ehemaligen Gegner über die 
Irrungen ber Vergangenheit fi in einer Weife verftändigen, 
bei der fein unbeglichener Reft bleibt. Erſchwert aber wirb das, 
wenn ber Teil, zu deſſen Gunften die geſchichtliche Entwidelung 
ausging, darin noch nachträglich eine Art von Gottesgericht 
fieht und die Vergangenheit fo beleuchtet, daß fein Sieg gleich- 
jam als das Vernunftgemäße erfcheint, alles aber, was ihn 
hindern folte, wie eine Auflehnung gegen den Willen des 
Schickſals. 

In dieſen Fehler aber verfallen die populären Darſtellungen 
der preußiſchen Geſchichte nur allzu häufig. Da erſcheint dieſe 
als mit einer zwingenden Logik von jeher gerichtet auf die 


12 Einleitung. 


Einigung Deutſchlands durch Preußen als ihr notwendiges Er- 
gebnis, fo daß die preußiſche Politif nie ein anderes Biel im 
Auge gehabt hätte, als die Wohlfahrt Geſamtdeutſchlands und 
die Interefien Preußens immer mit denen des übrigen Deutjch- 
lands zufammengefallen wären. Ja felbft die Zeiten, mo Preußen 
erwiejenermaßen eine entſchieden undeutſche Politik verfolgt 
bat, werden mit dieſem teleologifhen Syſtem in Einklang ge: 
bracht, indem man fie zu Lehrzeiten madjt, durch die Preußen 
hindurchgehen mußte, um durch Schaden Flug und feines Berufs 
für Deutſchland vollends bewußt zu werden. Diefe Betrahtungs- 
weiſe verfchiebt den Standpunkt der hiſtoriſch-politiſchen Be— 
urteilung natürlich aud den einzelnen gefhichtlihen Momenten 
gegenüber, da fie wichtige Entſcheidungen nicht aus der nüdj- 
ternen Erwägung von Preußens Vorteil herzuleiten liebt, ſon— 
dern aus der vermeintlihen Sorge für Deutſchlands Zukunft, 
die jenen Zeiten und Perfonen fremd war. So lehrt z. B. die 
Ianbläufige Darftellung der Freiheitöfriege, wie jehr dieſe teleo- 
logiſche Betrachtungsweiſe durch Anwendung politifcher Geſichts- 
punkte, die erft einer fpäteren Zeit angehören, bie Ueber: 
lieferung mit legendaren Elementen durchſetzt. Nicht bloß die 
auswärtige, namentlich die deutſche Politik Preußens, auch 
feine innere Entwidelung hat man fo teleologifh behandelt, 
Man fann die Bedeutung, die Preußen durch den Fonfequenten 
Ausbau feines Staates für die Entwidelung des ftaatlien 
Lebens in Deutſchland überhaupt erlangt hat, fehr hoch an— 
ſchlagen und bie frühe Vollkommenheit dieſes Staatsweſens mit 
feinem pflichttreuen Beamtentum, feiner gemiflenhaften Finanz 
und feinem unübertroffenen Heere als in ihrer Art einzig be= 
wundern — und wird darin doch nit Beweiſe dafür finden 
wollen, daß Preußen von Anfang an einen bejonderen Beruf 
gehabt und troß gelegentliher, mehr ſcheinbarer als wirklicher 
Abirrung von dem dadurch vorgezeidhneten Pfade alle Zeit in 
der fortſchreitenden Erfüllung desfelben begriffen geweſen fei. 
Aus einem Menſchenwerk, au dem, ſich ablöfend zwar, aber 
doch nicht immer fi ergänzend und planvol ineinander ars 
beitend, Generationen geſchafft haben, macht man jo auch hier 
die fortſchreitende Entfaltung eines gewiflermaßen durch Prä- 


I Die Hauptrichtungen ber preußifhen Geſchichtſchreibung. 13 


deftination feftitehenden Planes, defien ſchließliche Verwirklichung 
fein menſchliches Irren und Fehlen in Frage ftellen konnte. 
Nun erheben wir Deutſchen gegen andere Völker jo leicht 
den Vorwurf der Selbſtüberſchätzung: verfallen wir aber nicht 
in benjelben Fehler, wenn wir uns und andere glauben machen 
wollen, daß ein Teil unferer Nation, und zwar ein folder, der, 
urfprüngli ohne innere Einheit, im Laufe einer langen Ent: 
widelung Bruchſtücke der verſchiedenſten deutſchen Stämme in 
fi) vereinigte und daher viel mehr als die Verförperung eines 
politifhen Begriffs denn als ein ethnologiſches Ganzes erſcheint, 
vor den anderen gleihjam auserwählt, und daß aus feinen 
Händen ihr Geſchick entgegenzunehmen den anderen von An- 
fang an beftimmt gemejen jei? Wenn dem gegenüber befonders 
bei den Stämmen bes Sübens, welche die Entwidelung Deutſch- 
lands getragen haben, lange bevor aud nur die Elemente des 
fpäteren preußif—hen Staates zufammengefügt waren, gelegent- 
lich eine gewiſſe Empfinblichfeit laut wurde und ſich zu einer 
antipreußiſchen Stimmung verdidhtete, fo war das doch nur 
eine natürliche Reaktion gegen bie Art, wie jener Glaube an 
den bejonderen Beruf, den Vorzug und das Vorrecht des 
Preußentums von anderer Seite als ein Moment fogar ber 
praktiſch politifhen Argumentation geltend gemadt murbe. 
on der populären Geſchichtſchreibung in allen Tonarten variiert, 
ſchlug diefer Glaube zum Teil im preußifchen Volke ſelbſt Wurzel, 
wurde für mande fogar ein Dogma, das fie mit dem Gewicht 
eines ſolchen in den politifhen Kontroverjen der Gegenwart 
geltend machten. Daß dadurch hier und da gegen Preußen 
herrſchende Antipathien nit überwunden wurden, liegt auf der 
Hand: man liefert ihnen damit nur neue Waffen. 
Neuerdings ift in diefer Richtung nun gar ein bedeutender 
Schritt vorwärts gethan und die teleologijhe Behandlungsmweife 
der preußiſchen Gedichte auf dem Wege zu allgemeiner Herr- 
ſchaft, feit die Autorität des preußifhen Staates für fie ein- 
tritt. Denn darauf läuft die Neugeftaltung bes hiſtoriſchen 
Unterrits hinaus, welche die antihumaniſtiſche Reform bes 
höheren Schulweſens von 1892 in Preußen mit fi gebracht 
hat. Sie geht geradezu darauf aus, ſchon das heranwachjende 


14 Einleitung. 


Geſchlecht mit jener unhiſtoriſchen Auffaffung der preußiſchen 
Geſchichte zu durchdringen, nad) der diefe nichts fein ſoll als 
die Evolution einer dem preußifhen Staate immanenten Be— 
fiimmung, und mit dem Glauben an den darin beruhenden 
Vorzug Preußens zu erfüllen. Dazu wird entgegen dem Weſen 
der Geſchichte und der erften Prinzipien aller geſchichtlichen Er- 
kenntnis der geſchichtliche Unterricht mit der Gegenwart begonnen. 
Von ihrer Herrlichkeit, deren die Jugend fich ftolz freuen fol, 
wird mit der Frage, wie und dur wen denn all das Große 
geworben, der neumodiſche Krebsgang ber gefchichtlichen Be— 
trachtung angetreten. Muß da nicht ſchon die Faſſung der Frage 
dahin führen, daß aus der Vergangenheit, die es dem kindlichen 
Verftändnis zu erſchließen gilt, vorzugsweife die Thatſachen er- 
wähnt, die Berfönlichkeiten geſchildert werden, die zur Schaffung 
diefer herrlichen Gegenwart beigetragen haben? Und mit ber 
gleihen Voreingenommenheit und Einfeitigfeit geht es dann auf 
den oberen Stufen weiter: d. h. es werden vorzugsweiſe bie 
Momente aus der Vergangenheit zur Geltung gebradht, die jene 
konventionelle Auffaſſung der preußifchen Geſchichte als zutreffend 
erweifen. Wird damit nicht der Unterricht ſowohl in feiner 
wiſſenſchaftlichen Grundlage, als auch in feinem wiſſenſchaft⸗ 
lichen Ernſt und ſeinem wiſſenſchaftlichen Erfolge gefährdet? 
Denn bei einem ſolchen Verfahren leiſtet man Verzicht auf das 
höchſte wiſſenſchaftliche Prinzip, die Erkenntnis der Wahrheit. 
Ja, ein derartiger hiftorifcher Eklektizismus, aus teleologiſcher 
Voreingenommenheit entiprungen, ftreift hart an bemußte Schön 
färberei und enthält eine Gefahr, die den fo ftarf betonten 
Vorteil einer planmäßigen Stärfung des Nationalgefühls und 
der Vaterlandsliebe bei der Jugend ſchließlich mehr als auf- 
wiegen bürfte. Denn wenn erſt etliche Generationen dieje Art 
von Geihiätsunterriht empfangen haben, wird die Mehrheit 
der gebildeten Preußen von ber Vergangenheit ihres DBater- 
landes eine Vorftellung haben, die fi nur wenig von ber 
unterſcheidet, welche die fo viel getadelte Eitelfeit der Fran- 
zofen fih ehemals von der ihrigen zurecht gemacht hatte. 
Auch verzichtet eine ſolche Behandlung der vaterländifchen 
Gefhihte auf die Benugung gerade der Momente aus ber 





I. Die Hauptrigtungen der preußiſchen Geſchichtſchreibung. 15 


Vergangenheit, bie für die fittlide Ausbildung der Jugend und 
der ganzen Nation befonders wertvoll find. Wenn ein Volk zu 
dem Glauben gewöhnt wird, es fei vor anderen berufen und 
vom Geſchick begünftigt, To entwöhnt es fi) bald jener that- 
kräftigen und pflichttreuen Auffaffung des Lebens und der von 
ihm geftellten Ansprüche, die ber zu haben pflegt, der ſich be— 
mußt ift, fein Leben jeben Tag erft von neuem gewinnen zu 
müflen. Nur allzu leicht wird es forglos dem Genuffe bes 
Erreichten leben, ftatt in ausbauernder Selbſtzucht fein Streben 
auf immer höhere Ziele zu richten. Inſofern wird jene Be— 
handlung der vaterländiſchen Geſchichte, wenn fie nicht mehr 
eine litterarifche Erſcheinung ift, fondern ein ftaatlidh aner- 
fanntes und ſtaatlich angewandtes Moment ber nationalen Er: 
ziehung und Bildung wird, geradezu eine nationale Gefahr. 
Die jüngeren Generationen, welche die Vergangenheit allein 
unter diefem Geſichtswinkel fehen lernen, werben zu einer irrigen 
Wertſchätzung berfelben verleitet, die au ihre Stellung zur 
Gegenwart und ihre Erwartungen von ber Zufunft beein— 
trächtigt. Entgeht ihnen damit doch einer der wirkfamften 
Impulfe zu eigenem pflihtmäßigen Handeln. Es genügt auch 
dafür an die Erfahrungen zu erinnern, welche die Franzofen 
gemacht haben. Der entſchloſſene Brud mit dem bisherigen 
Syftem der Schmeichelei gegen die nationale Eitelkeit, als deſſen 
vornehmfter und unheilvollſter Vertreter Thiers mit feiner plan⸗ 
mäßigen Fälfhung der Geſchichte erſcheint, war zweifellos eine 
der bezeichnendften und fegensreichiten Wirkungen, welche bas 
nationale Unglüd des Jahres 1870—1871 auf die Franzojen 
ausgeübt hat: denn fie fam unmittelbar der Volksmoral zu gute, 

Treiben wir jegt nit einer ähnlichen Gefahr entgegen? 
Denn man wird doch wohl annehmen dürfen, daß die für den 
Geſchichtsunterricht auf den preußifchen höheren Schulen als 
leitend anerkannten Geſichtspunkte diefelben find, welche in den 
für den Unterricht der fünftigen Offiziere beftimmten Grund» 
riſſen entwicelt worden find. Wohl hat es nit an Stimmen 
gefehlt, die mit ernfter Warnung auf dieſe bedenkliche Seite 
der jüngften Unterrichtsreform hinwiefen. Aud hat die hiftorifche 
Wiſſenſchaft laut Einſprache erhoben gegen zine Methode, bie 


16 Einfeitung. 


trog aller fünftliden Wendungen mit dem oberften Geſetz aller 
Geſchichte, der Wahrheit, in Konflikt geraten muß. Aber wie 
man feiner Zeit jene folgenſchweren Neuerungen beſchloß, ohne 
— im Gegenjag zu dem bei allen anderen Wiſſenſchaften be: 
obachteten Verfahren — aud) nur einen einzigen der berufenen 
Vertreter der Geſchichtswiſſenſchaft zu hören, fo find auch jene 
Verwahrungen und Mahnungen ungehört verhalt. 

In einem gewiſſen Grade freilih ijt die Gefahr teleo- 
logiſcher Voreingenommenheit und patriotifcher Mebertreibung 
mit allem Unterricht in vaterländifcher Geſchichte verbunden. 
Aber durch) die offizielle Anerkennung der erfteren und die mittel- 
bare Empfehlung ber legteren ift fie für die Behandlung ber 
vaterlänbifhen Geſchichte auf den preußiſchen Schulen wefentlich 
gefteigert. Weniger wohl als die Darftelung der Thatſachen 
und Verhältniffe wird darunter zunädft bie der hiftorifchen 
BVerfönlickeiten zu leiden haben, an melde die geſchichtliche 
Wahrheit verhüllende oder entſtellende legendare Züge ſich ohne— 
bin fo gern anheften. Gewiſſe Schranken werben der Mit: 
teilung der vollen hiſtoriſchen Wahrheit im Unterricht immer 
gezogen werden, einmal durch die ſchuldige Pietät, dann durch 
die Rückſicht auf die Jugend ſelbſt. Jetzt aber fteht zu befürchten, 
daß ftatt mit geſchichtlich möglichſt ähnlichen Porträts unfere 
Vergangenheit mit lauter bealfiguren bevölfert werde. Am 
meiften bürfte das natürlich) in betreff der Herricher felbft der 
Fall fein, die bei folder Behandlung nur allzu leicht zu weſen— 
lofen Schemen werben. Als Verkörperungen mehr oder minder 
aller menſchlichen Volfommenheiten und als Träger von Ein: 
lichten und Abfihten, mit denen fie ihrer Zeit weit voraus— 
geeilt fein follen, werben fie von dem Boden gänzlich gelöft, 
in dem fie wurzelten, ber ihr Handeln und ihre Erfolge be— 
dingte und ohne den auch ihr geſchichtliches Verſtändnis nicht 
möglich if. Sollten aber einer jolhen panegyriſchen Gejdichts- 
behandlung gegenüber dem Knaben und Jüngling nicht allerlei 
Zweifel auffteigen? Die moderne Jugend, auf die früheren 
Geſchlechtern unbefannte Faktoren in Menge vorzeitig aufklärend 
einwirken, ijt zu gläubiger Auf und Annahme von dergleichen 
nit naiv genug. Sie wird ſich ihre bejonderen Gedanken 


I. Die Hauptrichtungen ber preußiihen Geſchichtſchreibung. 17 


machen, wenn fie eine Reihe von Herrſchern vorgeführt erhält, 
die, von dem erften und älteften bis hin zu dem, ben fie felbft 
als ihren König verehrten, alle auf das gleiche Ziel Hingeftrebt, 
ale ebenfo ehr deutfche wie preußifche Patrioten und womög⸗ 
lich ebenfo- gute Diplomaten wie Adminiftratoren und Sol: 
daten gemefen fein follen. Geht dabei nicht gerade das In— 
tereffantefte verloren, das, was die Jugend am meiften padt, 
der Reiz einer ſcharf ausgeprägten Perfönlichkeit mit ihren 
hervorragenden Eigenſchaften jo gut wie mit ihren Schwächen? 
Wenn der Geſchichtsunterricht beſondere Zwecke, die außerhalb 
ſeines in der Wiſſenſchaft bedingten Weſens liegen, ſo wenig 
wie irgend ein anderer richtig gegebener Unterricht verfolgen 
ſoll und, thut er es dennoch, zum voraus auf den vor allem 
erſtrebenswerten Erfolg verzichtet, To wird auch bie ihm auf: 
gebrungene patriotifhe Tendenz, zumal fie auf ganz beftimmte 
foziale und politifhe Kontroverfen der Gegenwart zugeipigt ift, 
nit nur die erwartete Wirkung nicht ausüben, fondern bei 
manden Schülern Strupel und Zweifel erweden, mande wohl 
gar in einer Richtung anregen, bie der gewünfchten gerabe 
entgegengefegt ift. 


3. Das perfönlidre Moment in der Geſchichte. 


Mit gutem Grunde hat man ehemals auch in Preußen 
den geſchichtlichen Unterricht mit dem Altertum begonnen. Die 
Einfachheit und Klarheit der politiihen und geſellſchaftlichen 
Verhältniffe, um die es fi) da handelt, und der Reiz, den die 
feft in ſich geſchloſſenen und ſcharf ausgeprägten Perſönlich- 
feiten ber griechiſchen und römifhen Gedichte immer von 
neuem auf das jugenblie Gemüt ausüben, läßt gerade dieſen 
Stoff auch heute noch als vorzugsweiſe geeignet erfcheinen, um 
erft Luft und Interejje, dann Sinn und Verftändnis für ges 
Thichtlihe Betrachtung zu erweden. Die heute beliebte Art 
verzitet dagegen darauf, eine SaiteYanzufhlagen, die bei 
Knaben und ZJünglingen befonders leicht und vol wibertönt. 
Und doch läge gerade darin ein befonders wirffames Gegengift 
gegen den begeifterungslofen Skeptizismus und Veſſimiamus, 

Beus, Preubiige Geſchicte I. 


18 Einleitung. 


denen ein Teil unferer Jugend nur allzufrüh verfällt und 
der es unmöglid macht, bei Beginn bes hiftorifhen Unter: 
richts mit der. Gegenwart zu wirklich objeftiver Betrachtung 
von Menjhen und Dingen früherer Zeiten zu gelangen. 
Auch heute noch wird der jugendliche Geift am leichteften 
vom Altertum aus, das, in ſich abgeichlofien, auch aus 
ſich ſelbſt verftändlih ift, den Menſchen als Träger der Ge— 
ſchichte begreifen lernen, in feiner trog ſcheinbarer Selbftänbig- 
feit vielfachen Bedingtheit, feinem Streben und Irren, jeiner 
Größe und feiner Schwäde. Statt deſſen ftelt der Beginn 
mit der Gegenwart und bie vorgefchriebene patriotifhe Tendenz 
auch die großen Männer der preußifchen Vergangenheit unter 
den Zwang der leidigen teleologiſchen Betrachtungsweiſe. Für 
unbefangene Gemüter können fie dabei aber doch kaum gewinnen. 
Denn ein Fürft, der mit feinem Thun und Laſſen einer ver— 
meintlihen Vorherbeftimmung feines Staates dient, führt doch 
nur als Werkzeug aus, was eine höhere Macht feſtgeſetzt hat. 
Er ift nicht in dem Maße um den Erfolg verdient und für 
das Miplingen verantwortlich wie ber, ber feiner Zeit zuerft 
ein neues Ziel fledt, in ihr den Willen und die Kraft erwedt, 
danach zu fireben und diefe zur glüdlichen Erreichung ftärft und 
leitet. So mindert die teleologijche Betrachtungsweiſe der preus 
Bilden Geſchichte gerade die DVerdienfte, die befonders hervor: 
gehoben und der Jugend zu patriotifher Erbauung vor Augen 
gejtellt werben follen. 

Am wenigften follte man die Hohenzollern jo behandeln. 
Sie bedürfen nicht eines jo flach panegyriſchen Tones: ihr 
Wirken braucht nit an einem verwaſchenen Fürftenideal ge 
meſſen zu werden, um vor Mit: und Nachwelt zu bejtchen. 
Vielmehr können fie recht begriffen und gewürdigt werden nur 
aus ihrer befonderen, menſchliche Größe und menſchliche Bes 
ihränftheit eigenartig miſchenden Individualität und deren 
Wechſelwirkung mit den realen Verhältniffen, die ihnen ihr 
Staat mit feinen Bebürfniffen und den biefen entjpringenden 
Aufgaben darbot. Gerade die größten Männer, aud wenn fie 
Throne einnehmen und die Schidjale von Völkern in ihre 
Hand gelegt wiſſen, find fi) der Bedingtheit ihres Willens, 


1. Die Hauptrihtungen der preußiſchen Geſchichtſchreibung. 19 


der Schranken ihres Könnens und der Mangelhaftigfeit ihres 
Thuns am meiften bewußt. Man foll fie deshalb nicht als 
Heroen auffallen und nicht alles, was unter ihnen geleitet ift, 
als ihr perjönliches Werk darftellen. Im Gegenteil wird man 
ihnen um fo mehr gerecht werben, ſie menſchlich um jo befler be= 
greifen und dann auch den Herzen der Nachlebenden und nament⸗ 
li der Jugend um jo näher bringen, je mehr man fie ala 
Menſchen betrachtet und fie au auf dem Throne in ihrer 
menſchlichen Eigenart gelten läßt. Dann wird aud, was fie 
geleiftet, recht zur Geltung fommen und nad) Urjprung und 
Wert voll gewürdigt werden. Auch die Nachwelt wird dann zu 
ihnen ein fozufagen perjönliches Verhältnis gewinnen. Die 
Pflege des Patriotismus aber wird ſich auf diefem Wege ganz 
ungeſucht ergeben, ficherer und wirkſamer als durch eine Ber 
handlung der vaterländiſchen Gedichte, die der Gefahr eines 
gewiſſen Byzantinismus eigentlid dauernd ausgejegt ift. 

Aber auch) das entgegengejegte Extrem gilt es zu vermeiden. 
Gewiß joll man jelbft den größten Herrſcher nicht gelöft wähnen 
oder der Jugend darftellen als gelöft von den allem Menſch- 
lihen anhaftenden Schwächen und Beſchränktheiten, nicht aus 
übertriebenem Patriotismus den Glauben auffommen lafjen, 
ausichließlih aus der eigenen Kraft habe ein jolder fein und 
feines Volkes Schidjal geſchmiedet. Vielmehr wird man den 
Schlüfiel zu jeinem vollen Verftändnis und den Maßftab zu 
feiner gerechten Würdigung finden in einer Haren Einficht in 
die Art, wie jeine Individualität durch die ihm geſchichtlich 
gegebenen, unabhängig von ihm gewordenen Verhältniffe feiner 
Zeit beeinflußt worden ift und mie fie dann wiederum von 
ſich aus beſtimmend auf deren Geftaltung eingewirkt hat. Doch 
ift auch eine Unterjhägung des perjönlihen Moments in der 
Geſchichte möglich und heutigentags üblih. Auch das hängt zu: 
ſammen mit gewiffen Erfeinungen in dem geiftigen und fitt= 
lichen Leben unjerer Zeit. 

Nicht ohne Sorge wird man beobachten, wie die Jugend 
unferer Tage, die für das nächfte Menfchenalter zur Trägerin 
der deutſchen Zufunft berufen ift, fich äußerlich und innerlich 
einer gewiſſen Schablonenhaftigkeit befleißigt und alles ver- 


20 Einleitung. 


meidet, was in dem Einzelnen eine ſcharf ausgeprägte Perſön— 
lichkeit mit einer in feiten Prinzipien wurzelnden Weberzeugung, 
dem daraus entipringenden Mut der eigenen Meinung und der 
diefe zu bethätigen geneigten Kraft eines eigenen Willens ver- 
muten laſſen könnte. Gewiß fol die Jugend nit, wie zur 
Zeit des Tranfenden nationalen Lebens, berufen zu fein glauben, 
von fi aus auf ihre Zeit beftimmend einzumwirfen. Aber fie 
ſoll auch nicht genug gethan zu haben wähnen, wenn fie fi unter— 
ſchiedslos zu williger Aufnahme und Vertretung jeder augenblid- 
lich von den maßgebenden Autoritäten gebilligten Richtung her= 
gibt und dieſe als die bewegende Kraft in dem hiſtoriſchen 
Leben gelten läßt. Seit zuerft Gervinus in ber von ihm ver: 
fündigten demokratiſchen Geſchichtsphiloſophie behauptet hat, 
im Gegenfag zu den vergangenen Jahrhunderten, in denen bie 
Weltgeſchichte fih durch die Wechſelwirkung großer Perfönlich: 
feiten und der allgemeinen Zuftände fortgebildet habe, werde 
fie im 19. Jahrhundert ohne die Macht des Genius, allein 
durch die Meinungen und Leidenſchaften der Maſſe bemegt, 
hat man ſich vielfach gewöhnt, in den von den Maſſen ge: 
tragenen Erſcheinungen, wie ſie ſchließlich am ſicherſten die 
Statiftif fefthält und zum Ausdrud bringt, die lebendigen Mo: 
mente der geſchichtlichen Entwidelung zu ſehen und geht mit 
Vorliebe den wirtſchaftlichen und geſellſchaftlichen Richtungen 
und Strömungen nad, in denen fie fi der hiſtoriſchen Ber 
trachtung darftellen. Bon fih aus aber haben Richtungen und 
Strömungen derart niemals Geſchichte gemacht: Männer be 
herrſchen den Lauf der Zeiten, Männer find es, bie entweder 
allmählich entitandene Strömungen vermöge ber Gewalt ihrer 
ftarfen Individualität zu geſchichtlich wirkſamen Mächten erheben 
oder durch die Fülle der von ihnen ausgehenden Anregungen 
erſt hervorrufen und -in Fluß bringen. 

Auch bei der modernen deutſchen Geſchichtſchreibung ift 
diefe alte Wahrheit allzufehr in Vergefienheit geraten. Im 
Einflange einerjeits mit jener Neigung, die individuelle Ber 
fonderheit, welche die in ſich beruhende und ihr Recht fordernde 
Perſonlichkeit zum Ausdrud bringt, möglichft zurüdtreten zu 
laſſen und andererfeits unter dem Einfluß, den neuerdings die 


1. Die Hauptrichtungen der preußif—en Geſchichtſchreibung. 21 


wirtſchaftlichen Fragen auf das öffentliche Leben ausüben, fieht 
man die vornehmfte Aufgabe der Geſchichtswiſſenſchaft vielfach 
in der Erforfhung und Darftellung jener allgemeinen wirt: 
ſchaftlichen Verhältnifie, An die Stelle des perfönlichen Mo— 
ments, durch das große Männer für das geſchichtliche Leben 
der Völker entſcheidend geworden find, ſetzt man wirtſchaftliche 
Bewegungen und geiftige Strömungen, die doch, wenn fie nicht 
von einer ftarfen, ihnen Geltung zu verſchaffen geeigneten Per- 
fönlichkeit getragen werden, immer nur Begleiterjcheinungen, 
nie jelbftändige Trägerinnen neuen geſchichtlichen Lebens fein 
werden. Daraus ift dann weiterhin die Forderung erwachſen, 
die Geſchichte folle fih weniger mit dem Staat und feinem 
Leben als mit der wirtſchaftlichen Kultur beſchäftigen: ftatt mit 
der Politik wird die Geſchichte mit der Nationalökonomie 
ſchweſterlich zuſammengefügt. Niemand wird die Bedeutung in 
Zweifel ziehen, die der Erkenntnis des wirtſchaftlichen Lebens 
der Vergangenheit für deren volle Neubelebung gebührt. Aber 
fie betrifft doch immer nur eine Seite der Entwidelung: fie 
bahnt den Weg zum Verſtändnis der wirtſchaftlich bedingten 
geſellſchaftlichen Verhältniffe, und auf diefer zwiefahen Grund: 
lage gilt e& dann die Ergründung und Veranſchaulichung der 
Wandlungen des ſtaatlichen Lebens als die eigentlich hiftorifhe 
Aufgabe. Dem gegenüber verfällt die moderne wirtſchaftsgeſchicht- 
liche Richtung in den Fehler, daß fie einer lange Zeit un— 
gebührlich vernadjläfligten Seite nun eine allzu hohe Bedeutung 
beimißt, und was für die Darftellung bes ftaatlihen Lebens 
der Vergangenheit den Hintergrund abgeben foll, in breiter 
Ausführung jelbft zum Gemälde ausgeftaltet. Damit verliert 
fie fi) in das Gebiet der Abftraftionen und läßt den Menfchen, 
der doch zuerft und zulegt ber Träger der Geſchichte if, un— 
gebührlich zurüdtreten gegen die materiellen Verhältnifie. Gewiß 
wirken auch dieſe auf die Geftaltung und die Schidjale der 
fittliden und geiftigen Gemeinfhaften ein, aber fie geben dabei 
doch für den Einzelnen jo wenig wie für die Gefamtheit den 
Ausfhlag. Noch weniger aber ftellen fie das Unvergängliche 
in der geſchichtlichen Entwidelung dar und find daher auch nicht 
geeignet, ben ibeellen Gewinn zu vermitteln, den die Beichäf- 


22 Einleitung. 


tigung mit ihr den Nachlebenden gewähren jol. Im Gegenjag 
zu biefer Auflöfung oder Verflüchtigung der Geſchichte in un: 
perfönliche Richtungen ift es für jeden ein fo natürliches, weil 
piyhologiich begründetes Bedürfnis, die Männer, in denen er 
die Träger einer großen geſchichtlichen Vergangenheit, oft die 
Schöpfer der ihn umgebenden Verhältnifie erblidt, in ihrer 
geiftigen und fittlihen Individualität und der durch fie be— 
dingten perfönlichen Eigenart ihres Handelns vor Augen geftellt 
zu haben. Heute haben wir deutſche Geſchichten, mo die Helden 
der Vorzeit, die, oft von Lied und Sage verherrlicht, als ſcharf 
ausgeprägte Charafterföpfe in der Tradition fortleben, kaum 
genannt oder doch nur wie im Vorbeigehn erwähnt werben, fo 
daß fie, die ala die bemußten Vorkämpfer oder als entſchloſſene 
Gegner neuer Ideen in perjönlihem Handeln den Lauf der 
‚Zeiten beherrſcht Haben, nad) Art eines aufihäumenden Wellchens 
ſich faum über al die Millionen und aber Millionen erheben, 
die mit ihnen gemeinfam der angeblich) nur von dem Geje ber 
wirtſchaftlichen Schwerkraft beherrfchte Strom des geſchichtlichen 
Xebens willenlos mit fi fortführte. Diefe Art der Geſchicht⸗ 
ſchreibung verzichtet auf die Geltendmachung gerade derjenigen 
Momente, die den Lefer am lebhafteften in die Vergangenheit 
verfegen und ihm für fie einen Anteil nicht bloß des Verftandes, 
fondern des Herzens abgewinnen. Nirgends aber jheint ein 
ſolcher Verzicht weniger angebracht ala bei der preußifchen Ge— 
ſchichte, denn ganz bejonders laut und nachdrücklich verkündet 
gerade fie die große Wahrheit, daß Männer den Lauf der Zeiten 
beherrſchen. 

Dieſe große Wahrheit von neuem zur Geltung zu bringen, 
ihrer Bethätigung, in der ſie auf jedem Blatt von neuem ver— 
kündenden preußiſchen Geſchichte nachzugehen und dadurch in 
etwas dazu beizutragen, daß ſie ſich auch in der Zukunft Preußens 
ſiegreich bethätige, damit es Preußen niemals an den Männern 
fehle, deren es bedarf, um den Lauf der Zeiten auch ferner zu 
beherrſchen — das iſt eine der Aufgaben, in deren wenn auch 
unvollkommener Löſung der nachfolgende Verſuch einer preu— 
ßiſchen Geſchichte ſeine Berechtigung zu finden hofft. 





II. Die Legende in der preußiſchen Geſchichte. 23 


U. Die Tegende in der preußiſchen Gefchichte. 


Wenn bemnad) daran feitzuhalten ift, daß die preußiiche 
Geſchichte nicht mit einem anderen Maße gemefjen werden darf, 
wie die jedes anderen Volkes, fondern unter den für bie Ent- 
widelung aller Völker geltenden Geſetzen fteht, fo knüpft fi 
ein bejonderes Jntereffe an die Zuthaten und Ausfhmüdungen, 
welche durch die früh zur Geltung gelangte Vorftelung von 
einem bejonderen Berufe Preußens in fie hineingetragen find. 

So jehr die Forſchung unfere Kenntnis der Thatſachen 
und Zuftände berichtigt und vertieft hat: man kann nicht jagen, 
daß eine planmäßige Säuberung ber Tradition von der fie 
durchſetzenden Legende bereits in Angriff genommen wäre. Ya, 
die bisher gewonnenen Ergebniffe find nur zu einem Meinen 
Teil Gemeingut auch nur der Gebildeten geworden. Man 
fträubt ſich vielfach gegen ihre An: und Aufnahme. Das Volk 
gibt ihm lieb gewordene Vorftellungen nicht leicht auf, mögen 
fie auch längft als hiſtoriſch unhaltbar erwiefen fein. Won denen 
aber, welche die Errungenfhaften der Forſchung zum Gemein- 
gut der Gebildeten zu maden berufen find, tragen mande 
Bedenken, dem Volke feine überfommenen Vorftellungen zu 
nehmen, und halten fi für verpflichtet, es wenigftens auf 
diefem Gebiete vor einer Zmeifel veranlafienden Kritik zu be: 
wahren. 

Auch befigt diefe Legende ja einen gewiſſen Wert, infofern 
fie zeigt, wie ein Volk feine Vergangenheit auffaßt, beurteilt 
und ſich zurecht legt. Cie enthält gewiſſermaßen jelbft ein 
Stüd feiner Geſchichte, fpiegelt eine gewilje Seite feines Seelen— 
Tebens wieder und zeigt in ihrer wechſelnden Geftaltung, wie 
es zu verſchiedenen Zeiten dachte und fühlte. Won diefem Ge— 
fihtspuntt aus kann man die Legende aud als eine Quelle 
hiſtoriſcher Erkenntnis bezeichnen, freilich nicht der Thatſachen, 
fondern der Stimmungen: fie hat ein ausſchließlich oder doch 
überwiegend völferpfychologifches Interefie, und es verlohnt ſich 
daher, fie nad) ihrer Bedeutung für die preußiſche Geſchichte 
einheitlich zu behandeln und die Momente darzulegen, die für 


24 Einleitung. 


die Kenntnis ihres Weſens und bie Beurteilung ihres Wertes 
bejonders in Betracht fommen. 

Die Erfahrung lehrt, daß jedes Volk aus feiner Ver: 
gangenheit mit Vorliebe die Zeiten und bie Greignifje be— 
tradhtet, die ihm Glüd und Ruhm gebracht. Von den trüben 
Partien feiner Geſchichte wird es meniger angezogen. Nur in 
der Sorge vor drohender Heimſuchung oder auch erft nad) neuen 
Schickſalsſchlägen wendet es ſich den Zeiten früheren Unglücks 
zu, um aus der Erkenntnis von defien Urfahen Sicherung für 
die Zukunft zu gewinnen. Erlebt doch in verfleinertem Maß: 
ftabe jeder einzelne Menſch ähnliches. Auch ift e8 eine glüdliche 
Mitgift, daß in der Erinnerung bie trüben Zeiten, fo ſchwer 
wir unter ihnen gelitten haben mögen, uns nicht bloß fürzer, 
fondern auch weniger trübe erfcheinen, die Tage bes Glüds 
aber noch lichter und glänzender, als fie in Wahrheit geweſen. 
Aber während der Einzelne ſich feine Vergangenheit ruhig von 
einer beglüdend trügerijchen Erinnerung verflären laſſen mag, 
wird ein großes Volf diefer Neigung nicht ungeftraft nachgeben. 
Werden unter ihrem Einfluß dod nicht bloß einzelne Hiftorifche 
Momente gefärbt oder umgebichtet, fondern große, über die 
Lebensſphäre des einen Volfes hinaus wichtige Ereignisreihen 
zuweilen geradezu wahrheitswidrig umgeftaltet. Was hat Franf- 
reich in dieſer Art an der Geſchichte der Revolution und bes 
Kaiſerreiches erlebt! Der wiſſenſchaftlichen Arbeit eines Men: 
ſchenalters und der Kataftrophe von 1870 hat es beburft, um 
den trügerifchen Prachtbau zu zertrümmern, den auf folhem 
Grunde Thiers’ Lügenluft nationaler Eitelkeit zuliebe aufgeführt 
hatte. 

Nicht entfernt jo ſchlimme, aber ähnliche Erſcheinungen 
weift die geſchichtliche Weberlieferung eines jeden Volkes auf, 
und es ift die nicht immer banfbare Aufgabe der Geſchichts— 
forfhung, fie aufzudeden und zu befeitigen. Denn nur dann 
wird die Vergangenheit Lehrerin und Erzieherin der Nachwelt 
fein, wenn fie von diefer gefehen wird, wie fie wirklich war, 
und nit, wie dieſe fie um ihrer eigenen Intereſſen willen 
hätte geftaltet haben mögen. Nicht von dem Standpunkte aus, 
den wir im Zufammenhang des fortſchreitenden Biftorifchen 


I. Die Legende in ber preußiihen Gefchichte. 25 


Lebens einnehmen, jollen wir die Vergangenheit auffafjen: 
recht verftehen wird fie nur, wer fie ohne Rüdfiht auf die 
Folgezeit in ihrem in ſich jelbft bedingten und auf fich ſelbſt 
gerichteten Leben zu erfaflen weiß. Hier liegt alle Zeit das 
eigentliche hiftorifhe Problem, das nur in ihrem Zufammen- 
wirken biftorifche Methode und Hiftoriiche Kunft zu löfen ver: 
mögen. 

Die volfstümlide Geſchichtsbetrachtung Hält fih damit 
nit lange auf. Sie legt fi die Vergangenheit zurecht nach 
den Intereſſen der Gegenwart und greift daraus mit Vorliebe 
gerade diejenigen Momente heraus, mo fie, wenn aud) nur ver- 
möge einer Umdichtung des geſchichtlich Gegebenen, ihre eigenen 
Gefühle, Hoffnung und Furcht, Haß und Liebe, fich ſelbſt recht 
verftändlih zum Ausdrud bringen kann. Die Neigung dazu 
aber wird um fo ftärfer fein, je lebendiger ein Volf den Zu: 
jammenhang zwifhen Vergangenheit und Gegenwart mit bem 
Herzen erfaßt hat, je mehr es die Gegenwart, in der e8 lebt 
und wirkt, als das natürliche und bis zu einem gewiſſen Grade 
notwendige, gleihfam vom Schidjal gemollte Ergebnis der vor: 
aufgegangenen Entwidelung betrachtet. 

Hier liegt die Erflärung dafür, daß gerade die preußifche 
Geſchichte an ſolchen Iegendaren Elementen fo reich it. Denn 
legendar darf man fie nennen, weil fie, wie bie eigentliche, 
fichlice Legende, auch eine erbaulihe Tendenz verfolgen, er 
bauli im patriotifhen Sinn. Sie geben der landläufigen 
Tradition ber preußifchen Geſchichte geradezu ihr charakteriſtiſches 
Gepräge. Ihrem Urfprung nad nur ausnahmameife einmal 
nachweisbar, wie die kirchlichen Legenden, wie diefe bald nur 
Umdichtung hiftorifher Momente, bald freie Erfindung, zus 
weilen aber auch nur auf gewiſſe Beleuchtungseffefte berechnet, 
wurzeln die meiften diejer Legenden eben in ber Vorſtellung, 
daß in ber Entwidelung Preußens eine gewiſſe Präbeftination 
vorwalte, vermöge deren dasjelbe trog aller Hinderungen und 
Irrungen das ihm vom Schidjal nun einmal geftedte Ziel 
ſchließlich doch erreichen mußte. 

Wohl wäre aus diefem bie preußifche Geſchichte umrahmen⸗ 
den und durchſetzenden legendariſchen Rankenwerk manches zur 


26 Einleitung. 


Pſychologie des preußiſchen Volfageiftes zu gewinnen, wenn 
von jedem einzelnen Zweige Zeit und Veranlafjung der Ent— 
ſtehung nachweisbar wären. In jedem Falle aber follte es 
mehr ala bisher gejchehen, feinem unhiftorijchen oder doch nur 
halbhiſtoriſchen Weſen nach weiteren Kreifen zum Bewußtjein 
gebraht und aus dem Beſtande des als hiſtoriſch beglaubigt 
zu Ueberliefernden ausgeſchieden, namentlich überall da außer 
Anſatz gelafien werden, wo die preußiſche Gedichte wifjen- 
ichaftlich behandelt und eine ernfte Würdigung der in ihr wir- 
enden politiihen Momente verjucht wird. Damit ift freilich 
nicht gefagt, daß alle legendariſchen Elemente in der preu: 
ßiſchen Geſchichte gleih wertlos feien. Viele von ihnen ent= 
halten fo gut wie gewiſſe kirchliche Legenden zweifellos einen 
hiſtoriſchen Kern, andere wieber find ohne ſolchen für Zeit und 
Menjchen fo harakteriftiih, daß fie beide beffer veranſchaulichen 
und verftändlih machen als mande ausführliche hiſtoriſche 
Schilderung. Hierher gehören alle jene legendariſchen Beſtand— 
teile der Ueberlieferung, bie in ber fnappen Form der Anef- 
dote hiftorifche Perjönlichfeiten nach ihrer individuellen Eigen: 
art wie in einer Momentaufnahme hell beleuchtet uns vor Augen 
ftellen. Die Regenten, die Feldherren, die Staatsmänner find 
es, deren Bild auf diefem Wege am ficherften auf die Nachwelt 
fommt, namentlid in Zeiten, denen eine regelmäßige öffent- 
liche Behandlung diejer Gebiete noch fremd war. Es genügt 
an Karl Friedrich von VBendendorffs zehn Sammlungen von 
„Sharafterzügen aus dem Leben König Friedrih Wilhelms I. 
nebft verſchiedenen Anekdoten von wichtigen unter feiner Re— 
gierung vorgefallenen Begebenheiten” (1788) zu erinnern und 
an die Weberfülle von ähnlichen Sammlungen für Friedrich den 
Großen, um Umfang und Bedeutung diefer Art von Legende 
in der preußiſchen Gedichte zu veranſchaulichen. Wie nach— 
teilig fie aber auch gelegentlich gewirkt, wie fie die Kenntnis 
verdunfelt und das Verſtändnis erſchwert hat, das lehrt die 
Verwirrung, die bes Biſchofs Eylert (1770—1832) „Charakter 
züge und hiftorifhe Fragmente aus dem Leben Friedrih Wil: 
hemls III.“ (3 Teile, 1846) angerichtet haben, indem fie — 
zum Teil unter dem Einfluß der Selbftgefälligfeit des Autors 


II. Die Legende in der preußiſchen Geſchichte. 27 


— ben König in eine ganz unzutrefiende Beleuchtung rüdten 
und fait zu einem wandelnden Mythus machten, ein Schidijal, 
dem auch die Idealgeſtalt der Königin Luife in der Folge nicht 
ganz entgangen ift. Und welde Fülle von Bildungen ähnlicher 
Art haben wir felbft vor unjeren Augen und Ohren erftehen, 
Boden gewinnen und fi einbürgern fehen im Anſchluß an die 
Heldengeftalt Kaifer Wilhelms und feines herrlichen Sohnes, 
eines Moltke und nicht zulegt des Altreichslanzlers! 
Beſonderes Intereffe beanfpruchen von diejen Legenden die— 
jenigen, in denen die Volksſeele, von dem Eindrud einer ge: 
maltigen Perfönlichkeit tief ergriffen, das von ihr gewonnene 
Bild in freiem Spiel der Phantafie auf Zeiten überträgt, denen 
es fo ganz fremd ift, und fi) dadurch in dem Glauben, ein 
beſonders treues Bild zu geben, mit der Geſchichte vielmehr 
in Widerfprud ſetzt. So hat z. B. die Generation bes preußi= 
ſchen Volkes, die den großen König in den legten freublofen 
Zeiten feiner Herrſchaft nur als vereinfamten Greis gekannt, 
dieſes Bild bereits auf den Einundfünfzigjährigen übertragen, 
wie er aus dem Siebenjährigen Kriege heim kam. Wie er 
ſelbſt feine bevorftehende Nüdkehr in die feit Jahren nicht be— 
tretene Hauptftabt, die ihm ebenfo fremd geworden war wie 
er ihr und wo er feine müden Gebeine demnächſt zu dem legten 
Schlafe zu betten hoffte, in bem befannten ſchwermütigen Briefe 
an d’Argens (25. Februar 1763) fi) ausmalte, fo läßt die 
Legende, indem fie diefes Stimmungsbild wörtlid nahm, ben 
König wirflih unempfangen, unerfannt, in trüber Refignation 
fpät abends in Berlin einfahren. Thatſächlich verlief fein 
Empfang ganz anders. Am Frankfurter Thor war ein Chren- 
bogen errichtet mit lateiniſchen Inſchriften von Ramler. Aber 
obgleich die am frühen Nahmittag erwartete Ankunft Friedrichs 
erſt am Abend des 30. März und bei üblem Wetter erfolgte, 
wurde er doch von dem ganzen Magiftratsfollegium ehrerbietigit 
bemwillfommnet. Den bereit gehaltenen „Prunfwagen“ freilich 
beftieg er, wie Ramler klagt, nicht, jondern fuhr im Reiſe— 
wagen nad dem Schloß, geleitet von den angejehenften Kauf: 
leuten, die prächtig uniformiert waren und an ben Hüten große 
Kofarden trugen mit der goldgefticten Inſchrift, Vivat Fridericus 


28 Einleitung. 


Magnus“. Beim Schein von Wacsfadeln folgten ihm, von 
feſtlich geſchmückten Poftilonen und Poftbeamten begleitet, bie 
Bürgercompagnien bis zum Schloß, wo fie wiederholt ein jubeln⸗ 
des „Bivat dem Könige” anftimmten. 

So verlief Hiftorifh des fiegreihen Königs Einzug in 
Berlin: die Legende wandelt fein Bild, indem fie darauf die 
trübe Vereinfamung und mübe Tobesjehnfucht jpäterer Zeiten 
überträgt. Derfelbe Vorgang ehrt mehrmals wieder. An- 
ſchauungen und Urteile über die Tragweite eines Ereigniſſes, 
die erft im Fortgang der Entwidelung gewonnen fein können, 
werden nachträglich in der Geftalt zum Ausdrud gebracht, in der 
fi) dasfelbe angeblich vollzogen haben fol. In diefem Sinne 
läßt die Legende in der Schlacht bei Leipzig die drei verbün- 
deten Monarchen angefihts ihrer ſiegreich vordringenden Heere 
zu gemeinihaftlihem Dankgebet nieberfnieen, Und wie oft iſt 
von dem „gebrochenen Herzen” des Grafen Brandenburg ges 
ſprochen! Weil er ftarb, ehe Preußen den doch von ihm ge— 
wiejenen Bußgang von Warfhau bis nad Olmüß fortjebte, 
— ftarb (6, November 1850) inmitten der Erregung, melde 
die im Widerfprud mit jeiner Politif und ohne fein Willen 
angeorbnete Mobilmahung hervorrief, und dur den Tod ge— 
bindert wurbe, bie Unterwerfung Preußens unter das vom 
Zaren unterftügte Gebot Oeſterreichs felbft zu Ende zu führen — 
hat man den Grafen Brandenburg völlig unhiftorifch zu einem 
Gegner eben diefer Politif und zu einem das Aeußerſte zu 
wagen entſchloſſenen Vorkämpfer für Preußens Recht und Ehre 
gemacht. Hier ifl, was das Volk in einer erjhütternden Krifis 
vergeblich erfehnte, individualifiert als Wille und Entſchluß auf 
eine hervorragende Perjönlichkeit übertragen, um die Verant: 
wortung für eine tief empfundene Demütigung, deren politifche 
Unvermeiblichfeit uns klar ift, auf das Schidfal abzuwälzen, 
das ben angeblich der Situation allein gewachſenen Mann durch 
einen vorzeitigen Tod abrief. 

Das Charakteriftifche diefer und verwandter Legenden liegt 
weniger in dem hiftorifchen Stoff als in der Art, wie ein an 
ſich ziemlich gleihgültiger Vorgang gleichſam zum Gefäß ge 
macht wird, um die Stimmungen und Gefühle des Volkes 





1. Die Legende in der preußifchen Geſchichte. 29 


großen Zeitereignifien gegenüber aufzunehmen. Im Gegenfag 
dazu ruht bei dem, was man füglid als militärifhe Legende 
bezeichnen kann, aller Ton auf dem Thatfählihen. Daß diefe 
in ber preußiſchen Geſchichte eine hervorragende Rolle fpielt, 
wird niemand wunder nehmen. “ft bei ihr doch das vorbildliche 
Moment von großer Bebeutung: der Bericht von Friegerifchen 
Großthaten foll bei den Hörern die gleichen militäriichen Tugenden 
zur Entfaltung bringen, die der Held ber Erzählung geübt hat. 
Ferner ift jede größere militärifhe Aktion an und für ſich zu 
legendenhafter Ausfhmüdung und Umgeftaltung disponiert, in= 
fofern es nur felten gelingt, die Maffe der dabei ineinander: 
greifenden Einzelmomente genau nad dem fie thatfächlich be 
herrſchenden Raufalnerus aufzufaffen und wiederzugeben. Hat 
es doch felbft im Kriege 1870—1871, wo bei uns alle Be: 
dingungen zu fofortiger und genauefter Ermittelung und ſorg⸗ 
famfter Aufzeichnung der hiſtoriſchen Wahrheit vorhanden waren 
und Sachkenner allererften Ranges dazu zufammenarbeiteten, 
nicht immer gelingen wollen, den Thatbeftand in allen Einzel: 
beiten ſicher zu Eonftatieren: auch da gibt es noch ein gutes 
Stüd Legende mobernften Urfprungs. In viel höherem Maße 
ift das natürlich der Fall, wenn wir ung von der Gegenwart 
entfernen. Zur Befeitigung der noch immer üppig wuchernden 
militärifehen Legende nahm bie Friegsgefhichtliche Abteilung des 
Großen Generalitabes auf Grund eindringendfter Forſchung eine 
neue Darftellung der Kriege Friedrichs des Großen in Angriff. 
Mebler noch fteht es in dieſer Hinſicht mit den Freiheitzkriegen, 
ſchon infolge der großen Rolle, die da das populäre Element 
fpielte, das der Legende einen beſonders günftigen Boden bietet. 

Ein lehrreiches Beiſpiel dafür haben wir in ber Ueber: 
lieferung von dem Gefecht bei Hagelberg (27. Auguft 1813), 
wo ber greife General Hirfchfeld das Girardihe Corps auf: 
trieb. „Welch ein Anblid” — fo berichtet noch Heinrich 
dv. Treitſchke (D. ©. I, 480) nad) Häuſſer — „wie die Bauern — 
Turmärfifhe Landwehren — auf ein dichtgedrängtes Viereck 
franzöſiſchen Fußvolks an der Dorfmauer losſchlugen, ſchweig⸗ 
ſam, unerbittlich, in namenloſer Wut: als das dumpfe Krachen 
der Gewehrkolben endlich verſtummte, da lag ein ſcheußlicher 


30 Einfeitung. 


Leihenhaufen hoch aufgejchichtet bis zum Rand der Mauer, das 
Hirn quoll den Toten aus-den zerſchmetterten Schädeln.” Kein 
Geringerer als Moltke Hat (Militär-Wocdenblatt 1865, eis 
beit 27) nachgewiejen, daß damals nur 30—35 Franzofen den 
Kolbenichlägen der Landwehr erlegen find — denn eben nur 
ſo viel wurden an der berühmten Mauer verſcharrt — und hat 
im Anſchluß daran dargethan, auf welch beſcheidenes Maß über- 
haupt die immer wiederholten Erzählungen über bie Wirkungen 
von Bajonett und Kolben bejchränft werden müffen. 

Aber auch an einzelne Perſonen heftet ſich die militäriſche 
Legende, indem fie zur Erzielung eines größeren Eindruds ent» 
weder die gefeierte Heldenthat über die Wahrheit hinaus fteigert 
oder räumlich und zeitlich) getrennte Vorgänge zu einem Bilde 
vereinigt. Das geichieht 3. B. in der Legende von Frobens 
Opfertod bei Fehrbellin. Thatſächlich wurde diefer zur Linken 
des einen Schimmel reitenden Kurfürften tödlich getroffen, dem 
Leibjäger Uhle aber, der infolgedeflen jeinen Herrn zu einem 
Tauſch der Pferde beftimmte, der Schimmel unter dem Leibe 
getötet, während er felbft unverjehrt blieb. Ebenfalls an die 
Fehrbelliner Schlaht knüpft die durch Heinrich v. Kleift poe= 
tiſch verwertete Legende von dem Prinzen von Homburg an: 
ein übereilter Angriff fol ihm trog des glüdlihen Ausgangs 
des Kurfürften Ungnade zugezogen haben. Daß der Held die 
Armee bald danad) unbelohnt verließ, ift richtig, aber abgejehen 
von Umftänden, die ihn bereits früher den Rüdtritt aus dem 
Dienft hatten erwägen laſſen, war der Grund vielmehr das 
gänzlihe Mißlingen feiner Attade auf die gegen Ende ber 
Schlacht vorbrechenden friſchen ſchwediſchen Truppen, die mit 
einer gänzlichen Deroute der brandenburgiſchen Reiterei endete. 
Es mag unentſchieden bleiben, ob dieſe Entſtellung des Sach— 
verhalts in der Ueberlieferung vielleicht auf eine bewußte Be— 
einfluſſung derſelben von einer intereſſierten Seite zurückzu— 
führen iſt. An Beiſpielen dafür fehlt es anderweitig nicht, und 
bis in unſere Tage verdankt mehr als eine militäriſche Legende 
ihre Entſtehung dem Umſtande, daß von intereſſierter Seite, 
um einen der beteiligten Führer, ſei es in helleres Licht zu 
ſetzen oder aus übertriebener, je nachdem militäriſcher oder 


II. Die Legende in der preußifhen Gedichte. 3 


nationaler Empfinblifeit, von Vorwürfen zu entlaften, in 
berechnender Abfichtlichkeit beftimmte Angaben mit autori= 
tativer Zuverfihtlihkeit jo lange wiederholt wurden, bis fie 
zum Nachteil der hiftorifchen Wahrheit von der Geſchichtſchreibung 
als wohlbeglaubigt aufgenommen wurden. So ift 3. B. das 
Bild des Siebenjährigen Krieges in wejentlihen Zügen zum 
Nachteil des großen Königs verſchoben worden infolge bes 
planmäßigen Einfluffes, den des Königs Brüder und ihre 
Freunde mit einer gewiflen litterarifchen Betriebſamkeit auf die 
Meberlieferung ausgeübt haben. Iſt doch auch die Erzählung 
von des Königs Mutlofigkeit vor der Schlacht bei Lowoſitz aus 
den Memoiren des Prinzen Auguft Wilhelm in die Tradition 
eingeſchwärzt. 

Die Legende iſt alſo nicht immer als ein ſozuſagen natur— 
wüchſiges Produkt aus dem durch große Eindrücke befruchteten 
Boden des Volksbewußtſeins fpontan hervorgewachſen. Wie 
eine Anregung derart aufgenommen wird und meiter wirft, 
bängt freilich ab von der Dispofition der Öffentlichen Meinung. 
Weit entfernt von dem Zuge nach Wahrheit beherrfcht zu fein, 
läßt dieje ſich vielmehr gern täufhen, wenn es gilt, das Bild 
der Vergangenheit den fie erfüllenden Wünſchen und Neigungen 
anzupafien. Daher kann diefe Art von Legendenbildung auch 
auf die politiihe Praris der Gegenwart nadteilig einwirken. 
Denn fie rüdt nicht nur einzelne Perfönlichkeiten oder einzelne 
aus ihrem Zufammenhange gelöjte Ereignifle in ein unrichtiges 
Licht, fondern entwirft von ganzen Ereignisreihen, ja ganzen 
inhaltreihen Zeiträumen ein Bild, has deren Verhältnis zu 
dem weiterhin Gejhehenen ganz anders erſcheinen läßt, ala es 
in Wahrheit gemefen ift. 

Gerade in der landläufigen Ueberlieferung der preußifchen 
Geſchichte ift das vielfach der Fal. Denn auch das preußifche 
Volk verweilt beim Rüdblid auf feine Vergangenheit mit 
orliebe bei den lichten, glücklichen, fein Selbftgefühl zu heben 
geeigneten Zeiten. So bietet ihm dieſe ein Bild dar, ähnlich 
wie aud) das innerlich zerriffenfte und zerflüftetfte Gebirge dem 
fernen Beſchauer als eine in ſchöner Einheit der Linien fried- 
lich gelagerte Kette erfcheint, deren von blauem Duft um— 


32 Einleitung. 


wobene Höhen nichts ahnen laſſen von den Schluchten und Ab» 
gründen, den Steinwüften und Wildbächen, die der Wanderer 
darin zu überwinden hatte. Hierher gehört namentlih, was 
man bie dynaſtiſche Legende nennen möchte. Sie bedingt weient- 
li das eigentümliche Kolorit, das der Eonventionellen Dar: 
ftellung ber älteren preußiſchen Geſchichte eigen iſt. Denn je 
dankbarer ein Volk auf die Verbienfte feines Herrſcherhauſes 
zurüdblidt und je vertrauensvoller es jeine Zukunft in deſſen 
Hände legt, um fo mehr wird es geneigt fein vorauszufegen, 
daß das immer fo geweſen fei und baß jenes innige Verhält- 
nis von jeher und zu allen Zeiten beftanden habe. So hat 
fi) auch das preußifche Volk gewöhnt, bereits die Anfänge der 
Hohenzollern in einem Lichte zu fehen, in dem ſich ihre Ver: 
bindung mit ihrem Volke thatſächlich doch erft ehr viel fpäter 
darftellt. Auch hier überträgt eine fpätere Generation die Ge— 
fühle, die fie erfüllen, auf die früheren Generationen, die fie 
in dieſem Maße gar nicht hegen fonnten, und ſetzt Ueber- 
zeugungen, bie für fie die Summe aus ber Erfahrung von 
Jahrhunderten barftellen, bei ihren Ahnen voraus, die doch nur 
die erften, ſchwer verftändlichen Anfänge diefer Entwidelung 
gejehen haben, ihren Fortgang aber nicht ahnen konnten. Auch 
ohne Umdichtung ber einzelnen Thatſachen erhält die ältere 
brandenburgifch:preußifche Gefhichte dadurch im ganzen ein ſtark 
legendarifches Gepräge. 

Das mag befremblic Elingen. Heimiſch in der Mark aber 
und ihr unlösbar verbunden hat fi) doch vor Johann Cicero 
fein Hohenzoller gefühlt. So Großes Friedrich I. in Befrie- 
dung und Ordnung des zuchtlofer Verwilderung verfallenen 
Landes geleiftet: nicht eigentlih um des Landes und feiner 
Einwohner willen that er es, jondern um in Brandenburg den 
Stüßpunft zu geminnen für die Verwirklihung der ihn er: 
fülenden ehrgeizigen Pläne zur Schaffung eines au Pommern, 
Medlenburg und Sachſen umfaffenden Großſtaats. Als dieje 
Häglich gefeitert, hat die Mark fein Intereſſe mehr für ihn 
und er verläßt fie (1426), um fie nie mehr wieder aufzu: 
ſuchen. Sein ihn als Statthalter vertretender Sohn Johann, 
der Land und Leuten völlig fremd blieb, war froh, als er nad 


II. Die Legende in der preußiſchen Geſchichte. 33 


dem ſchönen Franken zurüdfehren konnte. Dorthin z0g ſich nad 
Jahren jelbftlofen und pflichttreuen Ringens auch Friedrich IL. 
enttäufht umd gebrochenen Mutes zurüd. Albrecht Achilles hat 
die Mark nur betreten, wenn es Gelb daraus zu fchaffen oder 
fi) mit Pommern und Medlenburgern herumzuſchlagen galt, 
und wie die Märker von ihm und feinen habgierigen fränkiſchen 
Begleitern dachten, lehrt das noch lange umgehende böfe Wort 
von den „Hungerfranken“. Erft Johann Cicero ift notgedrungen 
in der Mark geblieben. Nicht ganz fo tyranniſch wie die zeit 
genöffiihe Verleumdung ihm nachſagte, aber doch mit harter 
Strenge hielt Joahim I. das knirſchende Land nieder, von 
dem ihn feit dem Eindringen der Reformation eine unüber- 
brüdbare Kluft trennte und das er trogdem noch im Tode durch 
den den Söhnen abgedrungenen Eid an die alte Kirche zu fefleln 
ſich unterfing. Daß Joachim II. die Reformation eingeführt 
babe, läßt fi nicht behaupten: ohne fein Zuthun war das 
Land der evangelifhen Lehre zugefallen, und wenn er felbft 
auch feit in der Erlöfungslehre Luthers wurzelte, jo waren es 
doch nicht bloß politifche Rüdfihten, die ihn als Vertreter der 
unflaren „mittleren Richtung” veranlaften, alles an bie Er- 
haltung der Firhlichen Einheit zu jegen, die ihm um Bei: 
behaltung der biſchöflichen Verfaſſung, der katholiſchen Kult: 
formen und der päpftlihen Suprematie nicht zu teuer erfauft 
ſchien. Hat er doch durch fein Eintreten für das Interim bei 
feinen in ihrem Gewiſſen beunrubigten Unterthanen eine mit 
gewaltfamer Entladung drohende Erbitterung heraufbeſchworen! 
Was von der märfifhen Reformation, fo weit fie ben Stempel 
feines Geifles getragen, zu halten ift, lehrt zur Genüge die 
Thatſache, daß nod fein Enkel Joachim Friedrich, der die 
Feſſeln der Konkordienformel mutig abgeftzeift, Mißbräuche 
abzufhaffen hatte, wie die Elevation bes Saframents, das 
Aufziehen der hölzernen Taube am Pfingftfeft, das Laufen der 
Jünger am Ofterfeft, die Darftellung der Leiden Chrifti in ber 
Karwoche u. a. m., die allem evangelifchen Denken Hohn 
ſprachen. 

Vergegenwärtigen wir uns dem gegenüber das Bild, das 
von der Thätigkeit und den Erfolgen der erſten Hohenʒollern 

Prud, Preubiſce Gefbihte. I. 


34 Einteitung. 


in den populären Darftellungen, den Handbüchern und Leitfäden 
gegeben zu werben pflegt, jo werden wir feinen legendarifchen 
Charakter nicht in Abrebe ftellen Fönnen. Es wäre dod wohl 
an der Zeit, mit ihm zu breden und aud hier die hiſtoriſche 
Wahrheit zu ihrem Rechte gelangen zu lafien. Mag darüber 
auch der eine oder der andere Herrſcher von feinem trabitios 
nellen Glorienſchein etwas einbüßen: ihre Gefamtheit gewinnt. 
Denn was durch fie erreicht und geleiftet ift, erſcheint um jo 
bedeutender, je mehr wir uns der Schwächen und Irrtümer bes 
Einzelnen bewußt werden, ihnen damit menſchlich näher treten 
und auch die Hindernifje recht würdigen lernen, die fie zu über: 
winden hatten. Ein mutiger Verzicht auf die dynaſtiſche Legende, 
die eine an ſich verftändlihe Pietät bisher gehütet, würde die 
patriotifch anregende Wirkung der Beſchäftigung mit der vater: 
ländiſchen Geſchichte nur noch fteigern. 

Größere Erfolge gewann die hiftorifhe Wiffenfchaft gegen: 
über der politifhen Legende. Schon hat im Vergleih mit der 
font herrſchenden Ueberlieferung mancher Abſchnitt der preu: 
Biihen Geſchichte ein wejentlih anderes Ausjehen angenommen. 
Daß die politifche Legende bei uns üppig ins Kraut geſchoſſen, 
ift begreiflich genug. Denn wo bie ftaatlihe Entwidelung ſich 
im Kampfe feindlicher politifher Prinzipien vollzieht — und 
daß ift Doch eigentlich bei allen großen Entſcheidungen der Fal —, 
da benugt, wie wir aud) in unferen Tagen beobachten können, 
der fiegreiche Teil feine Kraft namentlih, um den unterlegenen 
Gegner auch vor der Nachwelt ins Unrecht zu fegen umd die 
Ueberlieferung fo zu beeinfluffen, daß fein Triumph als das 
für die Gefamtheit Wünfchenswerte und Heiljame erſcheint. 
Der augenblidlihe Erfolg fol maßgebend fein für das Urteil 
der Geſchichte. Und wie ſchwer ift es dann, den Bann der ein: 
mal zur Herrſchaft gelangten Parteitrabition zu brechen und 
der geſchichtlichen Wahrheit zur Geltung zu verhelfen ! 

Ob das Zerrbild der Legende zuzuweiſen ift, das ehemals 
von König Friedrih Wilhelm I. entworfen wurde, mag zweifel: 
baft erſcheinen. Sicher aber gehört ihr zu das zur Zeit noch 
faft allgemein rezipierte Bild Georg Wilhelms und mehr noch 
Adams von Schwargenberg. Als Landesverräter und Partei— 


II. Die Legende in der preußiſchen Geſchichte. 35 


gänger des Kaiſers und der Katholiken verſchrieen, ift letzterer 
durch die neuere Forſchung als ein würdiger Zeitgenoſſe Riche— 
lieus erwieſen worden. Im Kampf mit den Ständen, die ein 
landesherrliches Recht nach dem anderen an ſich gebracht oder 
entwertet hatten, verſuchte er für Brandenburg die erſte Be— 
dingung einer ſelbſtändigen Politik zu ſchaffen, ein ſtehendes 
Heer, und war dem Ziele ganz nahe, als der Tod bes ihm un— 
bedingt vertrauenden Georg Wilhelm einen jähen Umſchwung 
herbeiführte. Perſönlich gegen Schwargenberg erbittert, ſchlug 
fi} der junge „neue Herr” auf die Seite der Stände und ver: 
ſuchte es mit der von ihnen gewollten Neutralität, ohne ben 
Rückhalt eines ſchlagfertigen Heeres, um ſich nad) drei Jahren 
verzweifelten Ningens von ihrer Unmöglichkeit zu überzeugen 
und durch die Rüdfehr zu dem Syftem des verhaßten väter- 
lichen Minifters Rettung zu ſuchen und zu finden. Inzwiſchen 
aber war unter eifriger Mitwirkung der Stände, die, eben 
noch dem Erliegen nahe, über Schwargenberg triumphiert hatten, 
und nit zuleßt durch amtliche Aeußerungen über diefen die 
politifche Legende Fonftruiert und in Umlauf gebracht, die jet 
erft von feinem Andenken genommen wird. Es braudt kaum 
noch hervorgehoben zu werben, wie anders ſich nun auch das Bild 
von dem gemeinhin ftark verzeichneten Anfängen bes Großen 
Kurfürften geftaltet. Auch der Ausgang von deſſen Regierung 
ift legendariſch ausgeſchmückt, wenn im Dienft einer feine Zeit 
erfüllenden politiihen und konfeſſionellen Tendenz behauptet 
und lange geglaubt worden ijt, brandenburgiſche Truppen 
hätten Wilhelm von Dranien auf feinem die Freiheit Europas 
und die Reformation rettenden Zuge nad England begleitet: 
nur um eine Deckung der Niederlande in feiner Abmefenheit 
gegen einen franzöſiſchen Gewaltſtreich handelte es fich bei dem 
betreffenden Abkommen. 

Ein Seitenftüd zu der Schwargenberglegende bietet in ges 
wiſſer Hinficht die traurige Geſchichte der Jahre 1805 und 1806. 
Während für die widerſpruchsvolle und unredliche Politik, die 
Preußens Verhängnis befchleunigte, nach der herkömmlichen 
Auffaffung die Unfähigkeit und Eigenmädhtigfeit von Haugmwig 
verantwortlich gemacht wurde, deſſen Namen in den Augen ber 


36 Einleitung. 


Patrioten wie gebrandmarkt ſchien, hat die Erſchließung der 
arhivalifhen Quellen vielmehr gelehrt, daß diefen faum eine 
befondere Schuld trifft, da er in der Hauptſache nur die vom 
König perfönlich gemollte und ihm vorgezeichnete Politik durch⸗ 
führte. Als politifche Legende ift ferner die Art zu bezeichnen, 
wie man gemeinhin die Kataftrophe des Jahres 1806 in erfter 
Linie und faft allein der Beſchaffenheit der preußifchen Armee 
ſchuld gibt. Dem widerſprechen die zeitgenöffiihen Berichte, 
widerſpricht dag Urteil der fompetenteften Männer, eines Scharn- 
borft, eines Clauſewitz, eines Rüchel u. a., widerjpricht nament= 
lich aud die für feine ganze Zukunft entfcheidende Bedeutung, 
die Bonaparte felbft gerade dieſem Waffengange, als er ihn 
antrat, beimaß. Weder die legendare Vorftellung von dem zu 
hohen Alter der preußifchen Generale, noch die von dem niedrigen 
geiftigen und fittlihen Stande des Offiziercorps ift aus den 
Quellen erweisbar, die geringe numerifche Stärke des Heeres 
aber, ſowie die zweifellos unglüdliche Zujammenfegung bes 
Hauptquartier reichen felbft in Verbindung mit der altmodiſch 
verfünftelten Auffaflung der Kriegführung, die ftatt auf Ver: 
nichtung des Feindes zu denken, auch auf dem Schlachtfelde 
nur Mandverererzitien machte, nicht aus, um die vernichtenden 
Folgen einer verlorenen Schlacht für den ganzen Staat zu er 
Hären. Nun erſt offenbarte fi in der Armee, woran mit ihr 
die Regierung, die Beamtenſchaft, der Adel und das Bürger: 
tum, mit einem Worte das Volk in feiner Gejamtheit krankte, 
die durch eine ſeichte Aufklärung großgezogene faljhe Humani- 
tät mit ihrer leichtfertigen Genuß: und Selbitfuht und dem 
felbftbetrügerifchen Kultus der in lichtem Glorienfchein gefehenen 
Vergangenheit. Es war daher ungerecht und widerſprach dem 
wahren Sachverhalt, wenn damals die Armee allein für die 
Rataftrophe verantwortlich gemacht wurde, die den Staat des 
großen Friedrich zu vernichten drohte Weil dem Volke bie 
Einfiht in die Notwendigkeit, den Nutzen und das Recht des 
Heeres abhanden gefommen war, hatte auch diefes den Glauben 
an ſich ſelbſt und damit trog aller Tüchtigkeit im einzelnen 
die erfte und vornehmfte Bedingung des Gelingens eingebüßt. 
Man fönnte geradezu fagen: am der Legende von der Unfehl- 








IL. Die Legende in ber preußiſchen Geſchichte. 37 


barkeit des fridericianiſchen Preußentums ift Preußen 1806 zu 
ſchanden geworden, und dennoch ift diefer Vorgang ſelbſt als— 
bald wieder durch eine neu emporfprießende Legende verbunfelt 
und entftellt worden! Weber das furdtbare Erwachen aus dem 
einen verhängnisvollen Irrtum juchte man ſich Hinwegzutäufchen, 
indem man fi) alsbald in einen anderen einfpann. 

Wer mit uns der heutigentags ja manchem altmodiſch er- 
ſcheinenden Meinung ift, daß die Geſchichtſchreibung ihre vor- 
nehmfte Einwirkung auf die Gefamtheit der Nation in politiſch 
aufklärender und erziehlicher Richtung zu ſuchen hat, und dag 
fie daher im Streben nad Erkenntnis der Wahrheit und un— 
geihminkter Mitteilung derfelben eine von ihrem Wefen un- 
trennbare moralijhe Pflicht erfüllt, der wird es mit uns im 
nationalen Intereffe für geboten erachten, daß auch die preu= 
Bilde Geſchichte der im Laufe der Zeit in fie hineingeflommenen 
legendaren Elemente mehr als bisher und allmählich ganz ent= 
kleidet werde. 


Erſtes Bud. 


Die Elemente des preußiſchen Staates 
(bis 1598). 


I. Der Sfaaf des Deuffchen Prdens in Preußen. 
1. Die Eroberung Preufens. 1228—1295. 


Nicht den Namen allein verdankt der Staat der Hohen- 
zollern dem urfprünglid) undeutihen Preußen. Erft die Ver: 
einigung mit diefem befähigte ihn, die Schranken bloß reichs— 
ſtändiſchen Dafeins zu durchbrechen und ala Staat eine im 
eigenen Rechte wurzelnde Zukunft zu gewinnen. Denn Preußen 
brachte ihm als koſtbare Mitgift zu eine in ihrer Art einzige 
Vergangenheit, die den werdenden Staat mit ben ftolzeften Er— 
innerungen der deutſchen Xorzeit, ja ber abendländiſchen 
Chriftenheit verknüpfte. 

Faft mit Neid blidte man zur Zeit des ſinkenden Reiches 
von Rhein und Donau nad dem „neuen Deutfchland” an Pregel 
und Memel — einem Krieger: und Beamtenitaat, wie ihn die 
Welt noch nicht gefehen. Obgleich entjprungen aus der Glaubens» 
ſchwärmerei, die in ben Kreuzzügen die Romantik des Mittel- 
alters zu ebenfo glänzender wie vergänglicher Entfaltung bradhte, 
murde der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen das Ur: 
bild militäriſch-politiſcher Organifation im Dienft allzeit ſchlag— 
fertiger Wehrhaftigfeit, und weiſt jo hin auf den Staat, der 
als Erbe feines Namens zugleich fein Weſen nod ausgeprägter 
und noch wirkjamer wiederholen follte. Erinnern doch felbit die 
preußifhen Farben an den mit dem ſchwarzen Kreuze gezeich- 
neten weißen Mantel ber Deutſchordensritter, und ben ein— 
föpfigen Adler, einft des Reiches Abzeichen, führte der Meifter 
des Ordens im Schilde. Daher griff noch König Friedrih Wil- 


1. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 39 


helm III, als es galt, den Helden des Freiheitäfampfes einen 
würdigen Lohn zu ftiften, zurüd auf das Kreuz der deutſchen Herren 
zu St. Marien: nad) ihm bildete er das Eiferne Kreuz. So 
Inüpfen hier ehrwürdige Eymbole der Gegenwart an das Mittel- 
alter und laſſen fi} volle fieben Jahrhunderte rüdwärts verfolgen. 

Denn fiebenhundert Jahre find verflofien, jeit während 
der Belagerung von Accon (1189— 1191) zur Pflege deutfcher 
Kreuzfahrer und Pilger unter Zelten, die man aus den Segeln 
bremifcher und lüubiſcher Echiffe errichtete, unter Aufficht des 
Johanniterordens ein Feldhofpital entftand, als Erneuerung und 
Fortjegung einer ähnlichen Stiftung, die ſeit 1128 in Seru: 
ſalem beftanden hatte. Glänzende Zeiten jchienen dem deutſchen 
Volke aufzugehen. Des Notbart Sohn hatte das Ideal Faijer- 
licher Weltherrſchaft nahezu verwirklicht und rüftete ſich, auch 
im Lande der Kreuzfahrer die deutſche Vorherrſchaft zu bes 
gründen. Ihm vorausziehende deutſche Fürften erweiterten 1197 
jenes Hofpital zu einem geiftlihen Ritterorden, der nad) dem 
Vorbilde der Templer und Johanniter mit den Pflichten des 
Möndtums die des Kampfes gegen die Ungläubigen verband, 
Sollte man dabei nicht vom Kaiſer gebilligte nationale Ziele 
im Auge gehabt, zugleich militärifhe umd politiſche Zwecke ver- 
folgt haben? Es fcheint, als ob der neue Orden beftimmt war, 
als eine Art von Kolonialtruppe die deutſche Hoheit im Often 
zu fügen. Aber ſolche Entwürfe durchkreuzte Heinrichs VI. Tod. 
Doch hat der Orden auch fo Großes geleiflet, Größeres als 
ihm jenfeits des Meeres möglich geworden wäre. Zwar wurde 
er, aus der Abhängigkeit von den Johannitern gelöft, 1199 
durch Papft Innocenz III. reihlic mit Rechten und Freiheiten 
ausgeftattet, erwarb aud in den Bergen um Toron (Tibnin) 
und um fein Haupthaus Starkenberg (Montfort), nordweſtlich 
von Accon, Güter, die er gewinnbringend bewirtſchaftete: aber 
es dort den beiden älteren Orden gleich zu thun, war ihm doch 
nit möglid. Im Abendlande fi ähnlich zu entwideln wie 
die Templer, hinderte ihn jein national deuticher Charakter. 
Stand da nicht zu fürdhten, der Mangel einer feiner Beftim- 
mung entipredenden Thätigfeit würde ihm nad dem nahen 
erlufte Paläftinas ernfte Gefahren bereiten? 


40 Erſtes Bud. Die Elemente bed preufifchen Staates (bis 1598). 


7 Das erkannte weitblidend fein dritter Meifter, ver ſtaats— 
Ehe Hermann von Salza (1210—1239), der Vertraute Kaifer 
Friedrichs II.: er fiherte dem Orden auch für die Zufunft die 
Möglichkeit des Kampfes für den Glauben, in dem bie Be: 
rechtigung feines Dafeins mwurzelte. Zugleich aber bahnte er 
ihm den Weg zur Gründung einer eigenen Territorialherr- 
ſchaft, die ihn unabhängig machte von ber Gunft oder Ungunft 
weltliher und geiftlier Gemwalthaber. Freilich führte nicht 
gleich der erfte Verfuh zum Ziele; wohl aber zeigt er, wie 
auch diefe ritterlih-möndiihe Genoſſenſchaft früh nad Beſitz 
und Macht firebte und dabei aud vor Unrecht nicht zurüd- 
ſcheute. So gewährt er uns die Mittel, um die ſtark legen- 
dariſch gefärbte Erzählung von der nahmaligen Gründung 
des Ordensſtaates auf ihren hiftorifhen Kern zurüdzuführen. 
Denn was der Orden in Preußen erreichte, wird er wohl ähn- 
lihen Mitteln zu danken gehabt haben, wie er fie bei dem 
erften Unternehmen der Art im Burzenlande angewandt hatte. 

Im Jahr 1211 gab König Andreas II. von Ungarn das 
unbewohnte Burzenland im Südoſten von Siebenbürgen bem 
Orden zu Lehen, um es als Mark gegen die wilden Kumanen 
einzuriten und mit Koloniften zu bejegen. Bald erhoben ſich 
ſtatt der anfänglichen hölzernen Schugwehren ftattliche Burgen, 
darunter aud) eine Marienburg, und ſächſiſche und flandrifche 
Einwanderer begründeten eine höhere wirtſchaftliche Kultur, bie 
bei Steuer: und Handelsfreiheit bald fröhlich gebieh. Aber 
der Orden fuchte ſich der Lehensabhängigkeit zu entziehen und 
volle Zandeshoheit zu gewinnen. Der König wollte ihn deshalb 
ausweifen, doch ftellte kirchliche Vermittelung den Frieden noch 
einmal ber. Als dann aber die deutſchen Herren in Verfolgung 
des gleichen Zieles das Land dem Heiligen Petrus zu eigen gaben 
und fo auch den Biſchof von Siebenbürgen in feinen Rechten 
bebrohten, erhoben mit diejem König Andreas und fein that: 
kräftiger Sohn Bela IV. Einſprache, unterftügt von der natio— 
nalen Abneigung des ungarischen Adels gegen die Fremden. 
Das Abkommen von 1211 wurde widerrufen: 1225 mußten die 
Nitter das Burzenland räumen, und alle Bemühungen der römi— 
ſchen Kurie zu ihren Gunften blieben erfolglos. Da war es denn 








1. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 4 


eine glüdliche Fügung, daß eben damals dem Orden ſich die 
Möglichkeit erihloß, den Verſuch zur Gründung einer eigenen 
Territorialherrichaft anderwärts und unter günftigeren Um: 
fänden zu erneuern: die Erfahrungen im Burzenlande ließ er 
dabei nicht unbenußt. 

Unfähig fi der heidniſchen Preußen zu erwehren, ging 
Herzog Konrad von Mafowien Hermann von Salza um Hilfe 
an. Denn dieſe für die Hriftlihe Kultur zu gewinnen, hatte 
Polen fih unfähig erwiefen, und ſehr mit Unrecht ift nad: 
mals Biſchof Adalbert von Prag (983—997) als Apoftel der 
Preußen gefeiert worden. Yon Geburt ein Czeche, ein Genofie 
jener Schwärmer, mit denen der undeutſche Otto III. die theo= 
kratiſchen Ideale des Franzofen Gerbert verwirklichen wollte, 
im Gebränge zwifchen der hierarchiſchen Strenge feines Ober: 
birten und ber Unbändigfeit feiner Landsleute, ging er unter 
dem Schug und im Intereſſe Polens zur Verkündigung des 
Chriftentums nad) Preußen und fand, plan= und ziellos darauf 
108 abenteuernd, von den Seinen verlafen, im Suden nad 
einem rettenden Ausweg an unbefannter Stätte einen nicht 
begehrten Märtyrertod. Erft fpäter ift das unüberlegte Aben- 
teuer zu einer kirchlichen Großthat gemacht, welche die Legende 
bis zur Unfenntlicfeit mit üppigem Rankenwerk ummuchert 
bat. Der heimatlofe Biſchof, der ein verfehltes Leben ohne 
Gewinn für die Kirche ruhmlos beſchloß, wurde zum Preußen: 
apoftel, den das Slaventum, um jeine Anſprüche auch auf 
einen kirchlichen Rechtstitel zu gründen, zu feinem National- 
heiligen machte. Die Deutfhen gedachten feiner erft, als der 
Orden ihn für feinen Vorläufer in Preußen ausgeben konnte. 
Auf feinen Namen wurde die Kathedralkirche des Bistums 
Samland in Königsberg geweiht. Das ermedte wieder den 
Glauben, er fei im Samlande, bis wohin er gar nicht ger 
kommen jein Tann, erſchlagen worden. Schließlich lokaliſierte 
ſich die Sage in dem Maße, daß 1422—1424 der Ordens⸗ 
marſchall Ludwig von Lanfe auf der Höhe des ſamländiſchen 
Strandes bei Tentitten, weſtlich von Fiſchhauſen, eine St. Adal- 
bert gemweihte Kapelle errichtete, für deren Beſuch Papit Eugen IV. 
einen bejonderen Ablaß gewährte. Später verfiel fie, wie Adal: 


42 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifchen Staates (bis 1598). 


bert jelbft feit der Reformation in DVergefienheit geriet. Ein 
Sturm legte fie 1669 in Trümmer, und erft in neuerer Zeit 
hat eine fromme Polin zu Ehren ihres Nationalheiligen dort 
ein hohes eifernes Kreuz errichten laffen. Als Nachfolger Adal- 
berts galt Bruno von Querfurt, ein dem Kaiferhaufe verwandter 
Sachſe: aber obgleich er zur Zeit des Höheftandes Polens unter 
Herzog Boleslaw III. in päpftliher Vollmacht als Erzbifchof 
das Wagnis unternahm, fiel auch er 1009 unter den Streichen 
der heidniſchen Preußen. 

Erſt im ſiaufiſchen Zeitalter wurde die Belehrung ber 
Preußen von neuem in Angriff genommen, einmal von * dem 
ſüdlich benachbarten Mafowien her durch die Eiftercienfer von 
Lekno, dann von Pommerellen aus, einem durch die Weichjel 
von Preußen getrennten polnifhen Teilfürftentum, in das von 
Pommern her die deutſche Kultur Eingang fand. Dort hatte 
1178 Zürft Sambor wetlih von Danzig, am Ausgange eines 
liebliden Waldthales nahe dem Meere, das Klofter Oliva ge- 
gründet ; 1186 wurbe es mit Eiftercienfern aus dem ſchleswigſchen 
Klofter Rye beſetzt, gedieh aber nit und erhielt 1195 einen 
neuen Konvent. Auch gab Sambor dem Ritterorden von Cala- 
trava die Burg Tyman bei Mewe, doch wohl um ſich feiner 
gegen die Preußen zu bedienen. Auch die Komturei der Jo— 
hanniter in Schöned wird einen ähnlichen Urfprung haben. 
Zuerft aber jammelte ein Mönch von Dliva, Chriftian, in dem 
nahen Preußen eine Kleine hriftlihe Gemeinde, die Innocenz IIL 
1210 dem Erzbistum Gneſen unterftellte; 1215 aber wurde 
Chriftian Bifhof von Preußen. Bald jedoch geriet die junge 
Pflanzung hart ins Gedränge: zu ihrem Beſten ließ ſchon 1217 
Honorius IN. in ven Nachbarländern das Kreuz predigen, mußte 
aber jhon 1221 die fiegreihen Kreuzfahrer ermahnen, nicht 
übermütig zu werden, fondern Biſchof Chriftian die ſchuldige 
Chre zu erweifen. Diefer nämlich dachte, fo ſcheint es, in 
Preußen einen ähnlichen Staat zu gründen, wie er in Livland 
unter dem Bifchof von Riga entitanden war. Dazu bot Herzog 
Konrad von Mafowien die Hand: zum Danke dafür, daß Chri- 
ftian dem als Kreuzfahrer ins Land gefommenen Herzog Hein— 
rich von Schlefien erlaubt hatte, die von den Preußen zerftörte 


I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 43 


Burg Kulm wieder aufzubauen, jchenkte er ihm einen Teil des 
Kulmer Landes, 23 Burgen nebft den zugehörigen Dörfern, mit 
allen herzoglihen Rechten und fügte dann noch 100 Dörfer und 
Güter hinzu mit allem, was ihm jelbft in jenem Gebiete ge: 
hörte. Auch verzichtete auf des Herzogs Bitten der Biſchof und 
dag Kapitel von Plock zu gunften Chriftians auf alle Güter 
und Rechte im Kulmer Lande. Chriftian gewann alfo für die 
eine Burg eine umfänglihe Territorialherrihaft. Auch ſollte 
von dem Ertrage der in anderem Eigentum verbleibenden Güter 
dafeldft ihm in Zukunft ein Teil zufallen. Doc thaten von 
den benachbarten Fürften und Großen manche Chriftian ge 
fliffentlih Abbruch, indem fie die Heiden heimlich aufreizten. 
Außerdem mifchte fi im März 1224 Kaifer Friedrich II. ein, 
indem er die neubefehrten Preußen unter Beftätigung ihres 
Befiges, ihrer Rechte und Freiheiten, von jeder anderen fürft: 
lichen Hoheit erimiert, den freien Unterthanen des Reiches 
gleichftellte, jo daß fie nur diefem und der römifchen Kirche 
gehorchen follten. Dagegen erklärte Papft Honorius II. durch 
eine Bulle vom 3. Januar 1225, fie feien allein Chriftus und 
der römifhen Kirche Gehorſam ſchuldig. Gewinn aus diefem 
Streit der höchſten Gemalten hatten natürlich nur die Preußen. 
So ſah Biſchof Chriftian bald feine Erfolge gefährdet. Da 
errichtete er, wiederum nad) dem Vorbild des Schwertbrüber- 
ordens, ben der Nigaer Biſchof zur Bekämpfung der Heiden 
geftiftet hatte, einen geiftlihen Nitterorden. Nah der Burg 
Dobrin benannt und beftimmt, Mafowien zu fügen, wurde 
diefer aud von Herzog Konrad und dem Biſchof von Plod mit 
Land befhenft und erhielt wie die älteren Genoſſenſchaften der 
Art das Recht, Kirchen zu bauen, Pfarrer zu ernennen und 
vom Zehnten freie deutſche Koloniften anzufiedeln. 

Wie es nun aber fam, daß Herzog Konrad um biefelbe 
Zeit auch den Deutichen Orden herbeirief, vermögen wir nicht 
zu jagen. Nach dem Mißgeſchick, das er eben im Burzenlande 
erfahren hatte, ging Hermann von Salza gern auf den Antrag 
ein, fobald er durch ausgefandte Ordensbrüder von ben Ber: 
hältniſſen des Landes einige Kunde erhalten hatte. Mit dem 
Herzog war er ſchnell einig; auch Biſchof Chriftian machte feine 


44 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


Schwierigkeiten: glaubte er doch nad den ihm gewährten Ur: 
kunden ber Herrihaft im Kulmer Lande und fogar eines Teils 
von dem eroberten Preußen fiher zu fein. Ob aber der Orben 
ebenfo dachte, ift zweifelhaft. Sein Verfahren im Burzenlande 
und der von Kaifer Friedrich II. bezeugte Eifer feines Meifters 
für Gewinnung einer Territorialherrfchaft laffen andere Pläne 
bei ihm vermuten. Denn nur einen ſehr befeheidenen Anfang 
bedeutete, was ihm bei der Uebernahme des Kampfes gegen bie 
Preußen von den beteiligten Mächten zunädjft zugeftanden wurde. 
Im März 1226 erlaubte ihm der Kaiſer die Annahme des ihm 
von Herzog Konrad angebotenen Kulmer Landes und verlieh 
ihm für die Gebiete, die er in Preußen eroberte, reichsfürſtliche 
Nehte. Wenn er dabei die Erwartung ausſprach, der Orden 
werde die Sache energifch angreifen und durchführen und nicht 
von dem Begonnenen zurüdtreten, wie andere gethan, die Mühe 
und Arbeit verſchwendet, ohne etwas zu leiften, fo ging das 
wohl auf Biſchof Chriftian und die Kirche. Herzog Konrad 
hatte verfprohen, dem Orden im Kulmer Lande und in der 
Grenzmark zwiſchen Maſowien und Preußen Land zu überlajien. 
Seine Schenkung kann nicht, wie der Orden nachmals behauptet 
hat, das ganze Kulmer Land umfaßt haben, das ja zum größten 
Teil bereits Biſchof Chriftian gehörte. Vielmehr erhielt der Orden 
nad) Ausweis einer päpftlichen Aeußerung von 1230 nur das j on 
früher hergeftellte Kulm nebft einigen anderen Grenzburgen, ſo— 
wie die Anerkennung feines Eigentumsrechtes auf Die Gebiete, die 
er den Preußen abnehmen würde. Ja, es ſcheint ſogar die Rüd- 
gabe des Kulmer Landes an den Herzog in Ausfiht genommen 
zu fein, fobald die Eroberung Preußens beendet fein würde. 

Die Ueberlieferung fehildert die Anfänge des Deutihen 
Ordens in Preußen freilich ganz anders. Da ericheint er for 
fort ala vollberechtigter Eigentümer des Kulmer Landes — eine 
Auffaſſung, die polnijcherjeits ftets beftritten ift und ber auch 
die fihere hiftorifche Begründung fehlt, trog der Urkunden, die 
der Orden zum Erweis feiner Rechte nahmals beizubringen 
gewußt hat. Auch nationaler Eifer, wie er fpäter zwiſchen 
Deutihen und Polen entbrannte, hat die geſchichtliche Wahrheit 
verdunfelt. Kam doch mit der Unerweisbarkeit einer Schenkung 


1. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 45 


des ganzen Kulmer Landes an den Orden die rechtliche Grund- 
lage für den Ordensſtaat überhaupt in Frage. Ohne im ein: 
zelnen klar zu ſehen, läßt die ganz zu gunften des Ordens ge- 
färbte Ueberlieferung doch erkennen, daß der Orden, eingedenk 
des im Burzenlande Erfahrenen, die Gunft der Umftände ohne 
Skrupeln ausnugte und die Hinderniſſe, welche feine Entwürfe 
aud diesmal zu vereiteln drohten, rückſichtslos befeitigte. 

Das Verhältnis, das nun im Kulmer Lande zwifchen Biſchof 
Chriftian und dem Orben beftand, war unhaltbar. Behauptete 
erſterer feine Stellung, fo war der Ordensſtaat unmöglich ; defien 
Verwirklichung hatte den Fall der bifhöflichen Hoheit zur Vor— 
ausfegung. Obenein waren beide in Bezug auf Preußen Neben: 
buhler. Es geſchah wohl ſchon nicht ganz freiwillig, daß Bifchof 
Chriftian auf päpftlihe Vermittelung 1230 dem Orden alles 
abtrat, was er dur Konrad von Maſowien und den Biſchof 
von Plod im Kulmer Lande über das eine Drittel des Landes 
hinaus erhalten hatte: davon folte ihm in Zukunft jeder 
deutihe Pflug zwei und jeder flavifhe ein Maß Getreide ent= 
richten, während er das ihm verbleibende Land — 200 Pflüge 
zu je 3 Hufen — mit Koloniften befegen oder bejegen lafjen 
konnte. Seine bifhöflichen Rechte und Einkünfte blieben un- 
gemindert. Won dem durch ihn in Preußen Eroberten aber 
follte der Orden zwei, der Biſchof ein Drittel erhalten, beide 
mit vollem landesherrlichen Recht. Erfüllte der Orden diefe Be: 
dingung nicht, Jo war der Biſchof beredhtigt, die eben abgetretenen 
Gebiete zurüczunehmen. Im Kulmer Lande war die biihöflie 
Herrſchaft demnach ſchon arg gekürzt: es fragte ſich, ob fie in 
Preußen überhaupt würde auffommen können. 

Wie wenig wußte man bisher von Land und Leuten in 
Preußen! Sie unbefangen kennen zu lernen, hat ber erbitterte 
Kampf der nächſten Jahrzehnte den Deutſchen vollends unmöglich 
gemacht. Ihr Glaubenseifer hat dem überwundenen und jhließ: 
lich ausgerotteten Volt möglichft Schlechtes angebichtet. Einiger: 
maßen befannt war von Preußen den Bewohnern der Oſtſee 
durch ihre nörbliden Handelsfahrten bisher nur die Küfte der 
Halbinfel Samland: nad) ihr nannten fie die Bevölkerung des 
ganzen Hinterlandes Samen, während die Polen fie als Pruzen 


46 Etrſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


oder Preußen bezeichneten. Von diefen rühmten Berichte des 
11. Jahrhunderts Gleihgültigleit gegen den Reiz des Ebel: 
metalls: nichts fei am ihnen auszufegen als ihr Heidentum. 
Etwas genauere Runde von den Preußen vermittelten erft bie 
folgenden Kämpfe. Die Refte feiner Sprache kennzeichnen das 
Bolt als ein indogermanifches, das zunächſt mit Litauern und 
Letten zufammengehört. Es zerfiel in Stämme, die erſt im 
Kampf gegen die Fremdherrſchaft zeitweife gemeinjam handeln 
lernten. Neben den Stammfürften, die wohl als Reiks bezeichnet 
werden, ftand der Adel der Witinge, unter diejen und ben 
Freien die Menge der Hörigen und Sklaven. Erbberechtigt 
waren nur bie Söhne; die Töchter, mit Ausnahme der älteften, 
durften getötet werden. Es herrſchte Vielweiberei: die Frauen 
wurden gefauft und wie Mägde gehalten. Die Lebensweife 
der Preußen kennzeichnete unverborbene Einfachheit: aber dem 
Lob ihrer Gaftfreundfhaft ftand der Tadel der Neigung zum 
Trunf gegenüber. Schrift und geordnete Zeitrechnung waren 
unbefannt. Unerbittlid wurde die Blutrahe geübt. Was von 
ihren Kultbräuchen berichtet wird, zeigt fie als Bekenner einer 
einfahen Naturreligion: in Sonne, Mond und Sternen und 
den fie fonft umgebenden Naturgebilden ſahen fie Offenbarungen 
der Gottheit, die man aud in Hainen und Quellen verehrte. 
Doch war ihnen auch Idolkultus nicht fremd. Das Daſein im 
Jenſeits dachten fie fich dem irdischen Leben entſprechend. Daher 
gab man den Toten allerlei Geräte mit: mit vornehmen Herren 
wurden Waffen und Roſſe, Jagdhunde und Falken, Koſtbar— 
keiten und Schmudjachen, ja ſelbſt Sklaven und Kriegsgefangene 
verbrannt. So hatte der Tod für fie feine Schreden: frei 
willig entzog man fi durch ihn drohendem Unheil. 

{AS der Deutſche Orden die Eroberung Preußens begann, 
hatte er es demnad mit einem fo gut wie unbefannten Feinde 
zu thun. Um jo mehr bewährte fi) die militäriſche Technik, die 
er im Morgenlande ausgebildet Hatte auf Grund der Der: 
quidung von Nitter: und Möndtum. Waffnung und Marie, 
Auffhlagen und Abbrechen des Lagers, Ordnung des Angriffs 
und des Gefechts, alles war auf Grund der Orbdensregel auf 
das genauefte beftimmt. Wie alle Kreuzfahrer waren aud die 


I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 47 


deutfchen Herren durch die Schule der Normannen gegangen, 
deren in Unteritalien und Sizilien entwidelte Kampfweiſe ſich 
in Syrien glänzend bewährt hatte. Sie juhten die Entſcheidung 
nicht in offener Feldſchlacht: an ber Grenze der zunächſt zu er: 
obernden Landſchaft errichteten fie unter dem Schuß eines größeren 
Heeres eilig aus Holz und Erde ein ſchützendes Werk und legten 
eine Befagung hinein, die nad) Abzug der Hauptmacht im Kleinen 
Krieg die Umwohner immer weiter nieverfämpfte. Das fo ge 
wonnene Gebiet wurde die Operationgbafis, von ber aus bie 
nädjfte Landſchaft ebenfo bewältigt wurde, 

Ein Heines Häuflein von Deutſchordensrittern eröffnete 
den Kampf. Konrad von Landaberg, der die Verhandlungen 
mit dem mafowifchen Herzog geführt hatte, Hermann Balk, 
der als Landmeifter das Unternehmen leitete, der Marſchall 
Dietrih von Bernheim, ein Franke, Dietrich von Inteln, einft 
der Kämmerer ber heiligen Elijabeth, der Thüringer Heinrich 
von dem Berge und endlich der in der Gegend von Zeig hei: 
miſche Konrad von Wiltenhof mit Knappen und Knechten, er 
bauten auf der Höhe des linken Weichjelufers die Burg Neffau, 
nachdem Herzog Konrad ihnen Terrain und etlihe Dörfer 
zum Unterhalt angemwiejen hatte. Durch polnijche und deutſche 
Kreuzfahrer verftärkt, festen fie dann über den Fluß und legten 
um den Fuß eines mächtigen Eichbaumes, deſſen Zweige eine 
weite Umſchau erſchloſſen, einen Verhau an, der fie mit ihren 
Tieren und Vorräten vor Ueberfällen notbürftig barg. Glüd- 
lich behauptete fih die Heine Schar gegen den Anfturm der 
Heiden. Unvergänglich lebte die romantijche Baumfefte in der 
Erinnerung fort: jelbft in Gewänder webte man Daritellungen 
davon ein. Als mit Hilfe eines Verräters die benahbarten 
Burgmwälle der Preußen genommen waren, räumten diefe das 
Kulmer Land und der Orden begann feine Befeftigung und Be— 
fiedelung. In der Mitte der durch die Weichſel gebildeten Weft- 
grenze wurbe 1231 die Burg Kulm aufgeführt, zunädft nur 
aus Holz und Erbwerken. Dem befeftigten Eichbaum gegen: 
über entftand 1232 Thorn, wohl nad) dem paläftinif hen Toron 
(S. 39) genannt. Bor ihren Thoren wurden deutſche Ein: 
wanberer mit Haus und Hof und Aderland verforgt. Den 


48 Erſtes Bud. Die Elemente des preußif—en Staates (bis 1598). 


Zuzug zu mehren erhielt Kulm bereits Weihnachten 1233 
deutſches Stadtrecht mit Selbftverwaltung. 

Noch aber galt es unausgefegten Kampf. Schon 1230 
und 1231 machten die Preußen vermüftende Einfälle. Selbft 
Majowien, Kujavien und Pommerellen gefährdeten fie. Immer 
von neuem rief daher die Kirche zum Kreuze und verhieß denen 
bejonderen Lohn, die dem Orden Hilfe braten. So wurde 
die Krifis überwunden: der Orben behauptete das Kulmer Land 
und konnte bald über deſſen Grenzen hinaus ftreben. Bon 
Marienwerder aus begann er die Eroberung des nörblid) be— 
nachbarten Bomefanien. Ein Sieg, den er im Herbft 1233 mit 
polniſcher und pommeriſcher Hilfe an der Sorge, dem ſüdlichen 
Zufluß des Draufenfees, davontrug, unterwarf diefe Landſchaft 
und bahnte den Weg nad) dem öſtlich angrenzenden Pogefanien. 
Bei dem Angriff auf diefes vermieden die Nitter die gefähr- 
lie Sumpfnieberung im Süden des Draufenfees. Auf zwei 
Schiffen, die der ald Kreuzfahrer ins Land gefommene Mark— 
graf Heinrih von Meißen baute — „Pilgrim” und „Fried: 
land“ hießen fie —, fuhren fie die Nogat hinab und errichteten 
1237 auf einer Inſel des dem Draufenjee entfließenden Elbing 
eine Burg diefes Namens, von der aus die pogefanifchen Preußen 
niedergefämpft wurden. Zum Angriff auf Ermeland erftand 
am Haff Balga, gegenüber der (jpäter verfandeten) Durchfahrt 
durch die Nehrung. Auch in Natangen, zu beiden Seiten der 
Paſſarge bis zum Pregel hin, faßte der Orden bereits feften 
Fuß und unterwarf ſüdlich davon jenfeits der Alle das Bar: 
tener Land teilmeife. 

Zehn Jahre nach der Ankunft der erften Ritter ſchien 
Preußen unterworfen. Aber dieſen militärifhen Erfolg des 
Ordens übertrafen noch feine koloniſatoriſchen Leiftungen. Be— 
fämpfung der Ungläubigen und friedliche Kulturarbeit gingen 
Hand in Hand. Dabei offenbart die Wahl der Oertlichkeit für 
die neuen Burgen und Städte fiheren Blid für die Stärke 
geographiſcher Pofitionen. Im allgemeinen folgte der Orden 
den Flußläufen, benußte aber gelegentlich aud preußiſche Wall- 
burgen. So entftand im nördlichen Pomefanien Chriftburg, 
im Ermelande Braunsberg und nahe der Grenze gegen Barten 





1. Der Staat des Deutfchen Ordens in Preußen. 49 


Heilsberg. Natangen wurde durch Kreuzburg, Barten durch 
Bartenftein und das gegen die Wälder Galindiens vorgefchobene 
Nöffel gededt. Städtifches Leben erblühte in Kulm und Thorn, 
den Anotenpunften des deutſch-polniſchen Verkehrs, und in 
Elbing, das die Verbindung über See vermittelte. Stärkerer 
Zuzug deutſcher Bauern wird damals noch nicht erfennbar: die 
herrſchende Unſicherheit erſchwerte die Anfievelung im offenen 
Lande. Auch glaubte der Orden wohl noch, dafür die Preußen 
jelbft gewinnen zu können. Dagegen wurden beutiche und pol⸗ 
niſche Edelleute, oft folde, die als Kreuzfahrer ins Land ge— 
fommen waren und dann ihre Familien und zuweilen ihre ganze 
Sippe nad fi zogen, mit Lehengütern auögeftattet. 
Wichtige Wandlungen aber erfuhr das Verhältnis des 
Drdens zu den ihm umgebenden Gewalten: die Ueberlieferung 
davon ift unflar und widerſpruchsvoll, ja ſcheint geflifientlich 
getrübt. Der Ritterorden von Dobrin (S. 43) war nun über: 
flüjfig, er wurde 1235 mit dem Deutſchen Orden verſchmolzen. 
Was ihm Konrad von Mafowien an Land gejhenkt hatte, gab 
man klugerweiſe an diefen zurüd: man wünſchte ihn in gün— 
fliger Stimmung zu erhalten. Folgenreiher war die Union 
des Deutſchen Ordens mit dem Schwertbrüder- oder Chriftus- 
orden, den Adalbert von Riga geftiftet hatte, um Livland zu 
bewältigen, Ejthland gegen die Dänen zu behaupten und durch 
Unterwerfung Rurlands und eines Teils von Litauen die Ver: 
bindung mit Preußen und Deutfchland zu gewinnen. Schon 
bald nad ber Ankunft der deutfchen Herren in Preußen war 
fie ermogen worden. Aber die Beziehungen Eſthlands zu Däne— 
mark und die Anſprüche der baltiſchen Biſchöfe auf die Landes— 
hoheit über die den Schwertbrübern eingeräumten Gebiete ver: 
zögerten den Abſchluß. Endlich verfügte Innocenz IV. die Ver: 
einigung kurzweg, ala (September 1236) eine ſchwere Nieder: 
lage der Schwertbrüber durch die Litauer und Semgallen dort 
alles in Frage ftellte. Der Deutſche Orden ſtimmte der Ueber: 
laſſung Efthlands an die Dänen zu und nahm in Livland bie 
biſchöfliche Hoheit auf fih, die in Aurland nicht Platz griff.’ 
So waren Preußen und Livland eng verbunden und verfolgten 
politifch einen Weg, mochten fie auch nur zeitweife wirklich 
Prus, Preublide Gelhihte. I. 4 


50 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


einen Staat bilden. Das war befonders wichtig Litauen gegen- 
über, das fi wie ein Keil zwifchen fie ſchob. 

Neue, große Aufgaben waren dem Deutſchen Orden nun 
geftellt. Löſen aber konnte er fie nur unter beftimmten Vor: 
ausfegungen. Vor allem konnte er im Kulmer Lande, auf dem 
bei der Unficherheit feines preußiſchen Befiges feine ganze Stel- 
fung ruhte, eine neben oder gar übergeordnete Gewalt nicht 
dulden. Das Gleiche galt es dann in Preußen zu erreichen. 
Beides hat er Durchgefegt, nicht ohne Verlegung der Rechte 
anderer und nicht ohne Anwendung bedenklicher Mittel. Noch 
bejaß Biſchof Chriftian in einem Dritteil des Kulmer Landes 
landesherrliche Rechte; noch Fonnte er, kam der Orden ben 
eingegangenen Pflichten nicht nach, auch das aufgegebene Gebiet 
zurüdfordern (S. 44). Da wurde er, von abtrünnigen Preußen 
hinterliftig gefangen, feinem Amte auf lange Zeit entrüdt. 
Das benugte der Orden, um ſich zunächft des ganzen eroberten 
preußiſchen Landes zu bemächtigen, ohne das dem Biſchof ge— 
bührende Dritteil auszufcheiden, und Konrad von Majowien 
ſchenkte ihm, wie aus einer päpſtlichen Beftätigung vom 
3. Auguft 1234 erhelt, nun das ganze Kulmer Land nebit allen 
den Preußen bisher entriffenen Gebieten. Sich feiner auf die 
Dauer zu verfihern, gab der Orden — wie er e8 einjt mit 
dem Burzenlande gewollt hatte (S. 40) — das Eigentum daran 
dem heiligen Petrus, und Papft Gregor IX. nahm das an und 
übertrug den Befig gegen Zahlung eines Lehenzinfes dem Orden ; 
nur die Ausftattung der fpäter in Preußen zu errichtenden 
Bistümer behielt er ſich vor. 

So büßte Biſchof Chriftian feine Landeshoheit vollends 
ein, und e8 ging fogar die Rebe, der Orden habe feine Löfung 
aus der Gefangenſchaft vereitelt. Als er dann aber, nad um: 
ſtändlichen Verhandlungen mit Erlaubnis der römijchen Kurie 
freigefauft, Taute Klagen erhob, da mußte er erleben, daß 
St. Peter es um des eigenen Vorteil willen auch hier mit 
dem Stärkeren hielt. In dem angeftrengten Prozeß unterlag 
‘er: brachte der Orden doch Urkunden bei, nach denen Konrad 
von Mafowien ihm von Anfang an das ganze Kulmer Land ge: 
ſchenkt hatte, Als Chriftian ſich dabei nicht beruhigte, ſchalt 


I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 51 


man ihn einen Eindringling und Störenfried. Innocenz IV. 
ftellte ihm frei, eines von den drei neu abgegrenzten preußifchen 
Bistümern zu wählen: er verweigerte es, um ſich nicht feiner 
älteren Rechte zu begeben, und befam nun eine legte Frift ge— 
ftellt, nach deren Ablauf er des biſchöflichen Amtes verluftig 
gehen follte. 

Auch das Verhältnis des Ordens zu den Polen war weſent⸗ 
lic) geändert. Konrad von Majowien hatte ihm auch die dem 
Kulmer Lande öjtlich benachbarte Löbau abtreten müffen, obgleich 
er fie früher felbft den Preußen entriffen hatte. Sie wurde 
eine Duelle endlojen Streites zwifchen beiden. Noch ſchwerer 
bedroht ſah fih Smwantopolf von Pommerellen. Denn ber 
Orden mußte ji diefer Landſchaft bemächtigen, um die Ver— 
bindung mit dem Reiche herzuftellen.. So war Swantopolf 
ſchon 1238 ebenjo wie Kafimir von Kujavien bei Strafe des 
Bannes verboten worden, ohne Erlaubnis des Ordens mit ben 
Preußen Frieden zu ſchließen. Crbittert durch diefe Mediati- 
fierung ftörte er die Schiffahrt der Ordensſchiffe auf der Weichfel, 
und als fi 1242 die Preußen erhoben, ergriff auch er die 
Waffen. 

Der Aufſtand ſtellte alles in Frage. In den nördlichen oder 
niederen Landſchaften hielten ſich zunächſt nur Elbing und Balga, 
im Kulmer Lande nur Thorn, Kulm und Rehden. Zu Tauſenden 
ſollen die deutſchen Anſiedler und die im Chriſtentum verharren⸗ 
den Preußen hingemordet worden ſein. Um ſich in Flanke und 
Rüden frei zu machen, brachte der Orden gegen Swantopolk durch 
Ueberlaſſung eines Teils der Löbau deſſen Vetter Herzog Konrad 
von Krakau mit ſeinen Söhnen Boleslaw von Maſowien und 
Kaſimir von Kujavien in Waffen und drang ſelbſt in Pommerellen 
ein. Swantopolk bat zwar um Frieden und ftellte ſeinen Sohn 
Meftwin als Geifel, erſchien aber bald wieder im Felde, brachte 
dem Orden eine Niederlage bei und fam bis unter die Mauern 
von Kulm, erlitt jedoch auf dem Rückzug an der Weichſel eine 
arge Schlappe. Dennod fiel er in Kujavien ein, verjuchte 
dem Orden die Weichfel zu jperren und fogar Elbing zu über- 
rumpeln. Inzwiſchen aber erhielt der Orden auf jeinen Hilfe 
ruf Zuzug aus Deutihland, der namentlich Rommerellen heim- 


52 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


fuchte. Da beugte fi Smantopolf, erhob ſich aber gleich 
wieder, weil man ihm die Freilafjung feines nad Deutſchland 
abgeführten Sohnes Meftwin verweigerte. Mit den Preußen 
vereinigt, zerftörte er das wichtige Chriftburg in Pomeſanien; 
doch baute es der Orden unter dem Schug eines Kreuzfahrer: 
heeres alsbald wieder auf (1247) und jchlug einen neuen An— 
griff blutig zurüd. Nun endlich bequemte ſich Smantopolf 1248 
zum Frieden. 

Damit war das Schidjal des Aufftandes entſchieden. Unter 
Vermittelung des päpftlihen Legaten Jakob von Lüttih und 
des Biſchofs Heidenreich von Kulm machten die Pomefanier, 
Ermeländer und Natanger am 7. Februar 1249 zu Chriftburg 
mit dem Orden Frieden. Von einem vollen Siege der Nitter 
kann demnach nicht geſprochen werden. Auch ift die Zahl von 
Kirchen auffallend ein, zu deren Bau die Ermeländer und 
Natanger die Mittel aufzubringen verſprachen, während es in 
Pomejanien damit augenſcheinlich günftiger ftand. Aber bie 
Preußen entjagten der Vielmeiberei und dem Kauf der Frauen 
und gelobten ihr Leben der chriſtlichen Sitte anzupaſſen. Da— 
für behielten fie Freiheit und Eigentum und durften innerhalb 
der Schranken des Fanonifchen Rechts vollgültige Ehen fliegen, 
vor Gericht zeugen, die Ritterwürde erwerben und nad polni- 
ſchem Recht leben. Nur in den unzugänglichen Teilen Erme- 
lands und Natangens wurde der Widerftand erſt während ber 
nächſten drei Jahre bewältigt, nicht ohne gelegentlichen Verluſt 
für den Orden. Ya, als eine deutſche Abteilung bei Kreuzburg 
zufammengehauen war, erhob ſich Swantopolf von Pommerellen 
noch einmal. Aber neue Kreuzfahrericharen eilten herbei. Da 
madte 1253 Smwantopolf endgültig Frieden, deſſen Bruch er 
mit 2000 Mark und der Uebergabe feiner Hauptſtadt Danzig 
büßen follte. 

: Der zehnjährige Aufftand hatte die Schwächen bes Ordens 
offenbart. Es fehlte die Einheit der militäriſchen und der kirch— 
lichen Zeitung, der erobernden und der befehrenden Thätigkeit. 
Was da notthat, konnte auch die Kirche nicht leiften. Damit 
verlor Biſchof Chriftian jede Ausfiht. Schon war er von Rom 
ber zur Ruhe verwiejen. Vergeblich verwandte fi) das General: 


1. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 53 


Kapitel der Eiftercienjer für ihm bei der Kurie. Auch die Iegte 
Friſt zur Wahl eines der drei preußifchen Bistümer ließ Chriftian 
unbenugt: er hat an der Weiterführung der durch ihm begonnenen 
Belehrung der Preußen feinen Anteil. gehabt und wird es vor- 
gezogen haben, ſich im der Stille eines Klofters über die er- 
littene Unbill zu tröften. Nun hatte ber Orden von der Kirche 
Hinderung nicht mehr zu fürdten. Denn daß auch in den 
Bistümern von Kulm, Pomefanien und Ermeland ein Dritteil 
des Landes zur Ausftattung des Bifchofs diente, zwei Dritteile 
dem Orden verblieben, that nichts bei der engen Verbindung 
der Bistümer mit der kirchlich-ritterlichen Organijation des 
Ordens. Als Innocenz IV. 1246 einer der preußiſchen Diözeſen 
einen geiftlihen Bruder des Ordens jelbft vorjegen wollte, er: 
hob der Erzbifhof von Niga als Metropolit Einſprache. 
Wieder nahm die Kurie die Partei des Ordens und erklärte 
fichlihe Zenfuren, die der Erzbifchof etwa gegen ihn verhängen 
würde, zum voraus für ungültig. Bald darauf erhob ein Macht⸗ 
ſpruch Innocenz' IV. einen Deutſchordenskleriker Heinrich von 
Stritberg zum Biſchof von Ermeland. 

Die Folonifatorifhe Thätigfeit des Ordens nahm nun 
rafcheren Fortgang. Der Friede mit Pommerellen und ein 
vorteilhafter Handelevertrag mit Polen öffneten deutſchen Kauf: 
leuten und Anfieblern den Weg nach dem Ofen.) Die Gewährung 
mehrjähriger Freiheit auch von kirchlichen Abgaben zog viel 
Anfiedler nah dem Kulmer Lande. Bon den Städten erhielt 
Elbing 1246 lübiſches Recht. Die Verbindung mit Kur und 
Livland aber vermittelte über See namentlich Lübeck: mit ihm 
ermog ber Orden daher die Gründung einer Stadt an ber 
ſamländiſchen Küfte. Sie unterblieb, aber in Gemeinjchaft mit 
dem Biſchof von Kurland baute der Orden 1252 am Ausgange 
des kuriſchen Haffs die Burg Memel, die bis 1328 zu Kurland 
gerechnet und von dort aus verwaltet wurde. Doc) blieb dieſe 
gefährdet, jo lange das dazwiſchen liegende Samland nicht 
unterworfen war. Seine Eroberung war die nächſte militärische 
Aufgabe. Wieder wurde in Deutſchland das Kreuz gepredigt, 
und im Winter 1254—1255 kam ein Heer von 60 000 Mann in 
das Land, Der bebeutendfte Teilnehmer war König Dttofar II. 


54 Erſtes Bud. Die Elemente tes preußiihen Staates (bis 1598). 


von Böhmen. Aber aud) der brandenburgifche Markgraf Otto 
hatte ſich angeſchloſſen, nit minder bie Ritterſchaft Sachſens, 
Meißens, Thüringens, des Nheinlandes und Oeſterreichs. Won 
Balga aus brach man in das Samland ein, zerftörte etliche 
preußifche Burgen und erzwang die Stellung von Geijeln. 
Dann erritete man an der füdlihen Grenze auf der Höhe 
über dem rechten Pregelufer aus Holz und Erde einen feiten 
Platz, der nad) der gewaltigen Kreuzfahrerfefte Montroyal im 
füdlihen Paläftina Königsberg genannt wurde — ein Namen, 
der jpäter fäljhlih auf die Teilnahme des Böhmenkönigs an 
diefem Zuge zurüdgeführt wurde. Bereits 1257 wurde ber 
proviforifhe Bau in etwas veränderter Lage und beträchtlich 
erweitert in Stein ausgeführt: in ihm follte dereinft die Wiege 
des preußiſchen Königtums ftehen. Bis zum Ausgang ber 
fünfziger Jahre bejchäftigte den Orden vornehmlihd Samland. 
Wer von den einheimifhen Edlen ſich willig beugte, erhielt 
Landgüter mit umfänglichen gutsherrlihen Rechten. Nur in 
der Nordoftede der Halbinjel, wo Preußen und Kuren ſich be— 
rührten, drang ber Orden noch nicht durch. Wohl aber unter- 
warf er von Wehlau aus, am Zujammenfluß von Alle und 
Pregel, das Gebiet von Nadrauen. 

Nun waren aber diefe dreißig Jahre an dem Orden ſelbſt 
nit fpurlos vorübergegangen. Mit jeinen urjprünglichen 
Pflichten war der Beruf eines Eroberers und Landesherrn nicht 
ohne weiteres vereinbar. Die Kämpfe in Preußen koſteten 
größere Opfer an Menſchenleben, als er bei feiner beſchränkten 
Mitgliederzahl bringen fonnte. Deshalb erlaubte Papſt Ale— 
rander IV. 1256 die Aufnahme neuer Genofjen ohne vorher: 
gehendes Noviziat und verhieß 1257 den als Anhänger ber 
Staufer gebannten Nittern, die dem Orden beitraten, Löſung 
vom Bann. Das drohte eine Loderung der ftrengen Zucht. 
Dazu Fam die Entfernung Preußens von dem Sig der Ordens- 
leitung in Accon, ber fie eine dauernde Einwirfung auf das 
Ordensland unmöglich machte. Der preußiſche Zweig war nicht 
nur wie felbftändig, fondern hatte auch die Zufunft des Ordens 
in der Hand. War do 1251 in die Regel die Beftimmung 
aufgenommen, zur Abhaltung eines Generalfapitels in dem 


I Der Staat des Deutſchen Ordens In Preußen. 55 


preußiſchen Haupthaufe zu Elbing follte die Anweſenheit von 
je acht Brüdern aus Balga und Chriftburg genügen, über bie 
Verhältniffe Preußens aber alljährlich nad} Accon berichtet und 
alle zwei bis brei Jahre ein Bruder geſchickt werben, um 
mündlich genaue Mitteilungen zu machen. 

Diefer Widerſpruch zwiſchen der urfprünglichen Beftimmung 
und der thatſächlichen Stellung des Ordens blieb nicht un= 
bemerkt. Mit feinen Erfolgen wuchs die Zahl feiner Gegner. 
Die Weltflucht der Ritter, hieß es, fei eitel Schein: der Regel 
zum Trog führen fie ein weltliche Leben und fegen bie In— 
terefien des Glaubens ihrem eigenen Vorteil nad, ja hindern 
mohl gar jelbftfüchtig den Mebertritt der Heiden. Solde Be: 
ſchuldigungen zu widerlegen, ſchildert der Guardian des Thorner 
Klofters, wie eifrig der Orden durch Heranziehung von Predigern 
und Lehrern, namentlid; auch der preußifchen Epradje kundigen, 
die Chriftianifierung betriebe. Begründeter war wohl ber Vor- 
wurf der Härte gegen bie Befiegten, mochte fie auch oft durch 
deren Haltung verjchuldet fein. Hatte doch Papft Alerander IV. 
dem Orden erlaubt, die Preußen, die ji des Kampfes gegen 
ihre noch unbefehrten Landsleute oder der Arbeit beim Burgbau 
weigerten, durch Wegnahme ihrer Kinder Dazu anzuhalten. Solcher 
Zwang fteigerte natürlich das Wiberftreben und bereitete jchließ- 
li) der Herrſchaft des Ordens eine furchtbare Krifis. Seit 
fie die alte Freiheit und ben Glauben der Väter dem Unter: 
gange verfallen jahen, jcheinen die Preußen nur auf den Augen 
blick gemartet zu haben, wo fie fi mit Ausſicht auf Erfolg 
zum Verzweiflungsfampfe erheben Eonnten. Er ſchien gefommen, 
als der Meifter von Livland auf dem Zuge zum Entſatz der 
St. Georgsburg im Memelthale am 13. Juli 1260 bei Durben 
durch den litauiſchen Stamm der Samaiten eine blutige Nieder: 
lage erlitt. Dielleiht um die an ihren Ketten Rüttelnden 
dur Schreden zu bändigen, ließ da der Vogt von Ermeland 
und Natangen in der Burg Lenzen preußifhe Edle, die als 
Gäfte bei ihm weilten, einfperren und verbrennen, weil einige 
ihm nad dem Leben geftanden haben follten. 

Alsbald erhoben fi die Preußen in Samland, Natangen, 
Barten, Ermeland und Pogejanien, aber nit mehr in ver- 





56 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


einzeltem Losſchlagen, bald hier, bald da, ſondern einheitlich 
nad einem vereinbarten Plane. Nicht umfonft hatten fie des 
Ordens militärifhe Organifation und kriegeriſche Technik jo 
lange vor Augen gehabt. Auf einem der Orbenshäufer oder in 
Deutſchland erzogen war mander preußifche Edle felbit ritter- 
lich geſchult, wie Heinrih Monte, der Führer der Natanger 
und, wie es ſcheint, zeitweife das Haupt der ganzen nationalen 
Erhebung. An demjelben Tage, den 20. September 1260, fam 
der Aufruhr überall zum Ausbruch. Der Orden war völlig 
überrafcht. Die Hleineren Burgen gingen faft fämtlich verloren. 
Don den größeren wurden ſchließlich nur wenige behauptet. 
Braunsberg und Heilsberg fielen troß verzweifelter Gegenmwehr; 
Marienmwerder wurde zerftört, Chriftburg niedergebrannt. Auch 
Kreuzburg in Natangen und Röffel in Barten mußten auf: 
gegeben werden. Daß aber Balga trog der Niederlage des zum 
Entfag eilenden Ordensheeres (Januar 1261) ſich hielt, jicherte 
menigftens die Verbindung ber öftlihen und der meitlichen 
Landſchaften und zugleich mit Deutſchland. Auch Elbing blieb 
dem Orden. Aber bis tief in das Kulmer Land hinein ftreiften 
die Empörer und vernichteten die Kulturarbeit von Jahrzehnten. 
Ein DOrdensheer, das ihm den Weg fperrte, jchlug Monte im 
Juli 1263 in offener Feldſchlacht. Die Entiheidung aber mußte 
in Samland fallen. Auf drei Seiten von den Haffen und dem 
Meere bejpült, ermöglichte es, nur von Oſten angreifbar, nad 
allen Richtungen Hin den Verkehr. Erſt unlängft unterworfen, 
hatte es unter ber Ordensherrſchaft wenig gelitten. Daher 
fonzentrierten die Aufftändijhen monatelang alle ihre Kräfte 
gegen Königsberg, beftürmten es von der Land- und Flußfeite 
ber und ſuchten es duch Sperrung des Pregels auszuhungern. 
Aber es hielt ji, und als er dann 1265 dur die Anlage 
von Tapiau au die bisher ungeihüßte Südoftede der Land» 
ſchaft zwifchen Deime und Pregel gededt Hatte, konnte der 
Orden bier der Zukunft getroft entgegenjehen, zumal ihm die 
livländiſche Ritterſchaft kräftig unterftüßte. Auch aus Deutjch- 
land ſtrömten immer neue Kreuzfahrerſcharen zu, während die 
Preußen allmählich zuſammenſchmolzen. 

Seit 1264 machte der Aufſtand keine Fortſchritte mehr: 


I. Der Staat des Deutfhen Ordens in Preußen. 57 


bald ging es rüdmwärts mit ihm. Dann lähmte ihn vollends 
* die Uneinigfeit der Führer. Nun gewann der Orden von Königs— 
berg und Balga aus wieder Terrain. Jeden Schritt vorwärts 
fiherte er durch Herftellung der alten und Aufführung neuer 
Burgen. Die Aufftändifhen wien in die unzugänglihen Wald: 
regionen des Inneren und braden von bort nur nod in ein= 
zelnen Meberfällen hervor. Die gehoffte auswärtige Hilfe fam 
nit. Der Litauerlönig Mindowe griff das Orbensland wider 
Erwarten nit an. Auch Smwantopolf von Pommerellen blieb 
ruhig, und als nad) feinem Tod (1266) feine Söhne Wratis- 
lam und Meftwin dem Aufftande durch Sperrung der Weichſel 
und Einfälle in das Kulmer Land Luft machen wollten, wurden 
fie ſchnell zum Frieden genötigt. Seine deutſchen Lehensleute 
zum Ausharren zu ermuntern, gewährte ber Orden ihnen Be: 
freiung von der Landwehr jenfeits der Weichjel. Doch hatte er 
fh aud vor übermächtigen Verbündeten zu hüten. Forderte 
doch Dttofar II. von Böhmen ala Lohn für feine Hilfe Galindien 
und das Land ber Jadzwinger. So hätte er Preußen von 
Süden umfaßt und der böhmischen Herrſchaft den Weg gebahnt. 
Infolge des milden Winters 1267—1268 aber fam er gar nicht 
über Thorn hinaus: nur den Frieden zwifchen dem Orden und 
Meftwin von Pommerellen vermittelte er. 

Auch ohne von einem entjheidenden Schlage getroffen zu 
fein, erlahmte der Aufftand. Nun wurde noch Heinrih Monte 
1273 in den Wäldern Natangens, während feine Leute der Jagd 
nachgingen, von ftreifenden Rittern überraſcht und aufgefnüpft. 
Bon Königsberg, Balga und Elbing auf der einen, Rehden, 
Chriftburg und Marienwerber auf der anderen Seite breitete 
der Drben feine Herrichaft von neuem aus. Die im Wider: 
ftand Beharrenden fahen fi immer enger umftellt, fammelten 
ſich in den feenreihen Wäldern des ſüdlichen Pogefanien, ftreiften 
wohl noch einmal bis Heilaberg und felbft bis Elbing, bis der 
Ordensmarſchall Konrad von Thierberg 1274 fie vollends be: 
wältigte. Bon einem Friedensſchluß wie 1249 war jegt nicht 
die Rede. Durch den fünfzehnjährigen Widerftand hatten die 
Preußen alles verwirkt: nur das Recht der Eroberung galt. 
Die wenigen, die ben Fall ihrer nationalen Sache überlebten, 


58 Erſtes Bug. Die Glemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


bargen ſich teils in den Sumpfwäldern des Südens, teils bei 
den Litauern, um von dort aus den Kampf gegen den Erb» 
feind aufzunehmen. Die im Lande blieben, verfielen in Knecht⸗ 
ſchaft und trugen als Hörige und Hinterſaſſen der deutſchen und 
preußifhen Gutsherren ſchwere Fronden. Daher flammte ihr 
Haß gegen die Sieger zuweilen noch in verzweifelten Thaten 
auf, während dem Orden neue Feinde in ben benachbarten 
Stämmen erftanden. So wurden die Nadrauer niedergefämpft, 
indem die Ritter von Tapiau aus erft das Pregelthal und 
dann einerſeits die Inſter und amdererfeits die Angerapp aufs 
wärts vordrangen. Gegen die nörblid) davon figenden Schalauer 
fuhr man vom Kurifhen Haff aus den Memelftrom hinauf. 
Ein mühfeliger, wechſelvoller Kleiner Krieg entbrannte mit 
den Sudauern, die, dur die preußiiche Seenplatte gededt, 
längs der Südgrenze ſaßen. Allmählich machte von ihren Edlen 
einer und der andere feinen Frieden mit dem Orden und über: 
fiebelte in den von der Natur mehr begünftigten Teil Preußens. 
Schließlich wurde ein großer Teil des Volks in die norbmweft- 
liche Edle des Samlandes verpflanzt, die hinfort der Subauifche 
Winkel hieß. Sudauen war entvölfert und ſchied mit feinen 
von dunklen Wäldern umgebenen Seen ald „Wildnis“ den 
Drden von feinen jüböftlihen Nachbarn. 

Ganz unſicher war noch die Grenze im Norden und Often, 
wo die Thäler des Memel und Pregel und ihrer Zuflüffe den 
Kitauern und namentlich ihrem mweftlihen Zweige, den Sa— 
maiten, bequeme Einbrudeftraßen darboten. Hier konnte ber 
Orden fi nur durch einen dauernden Angriffsfrieg ſchützen. 
Diefer aber verſchärfte den religiöfen und nationalen Gegen- 
ſatz zu töblicher Feindſchaft. So knüpfte fih unmittelbar an 
die Bewältigung Preußens der Beginn ber Litauerfämpfe, bie 
ein Jahrhundert lang des Ordens Kraft üben und ftählen, 
ſchließlich aber fein Verhängnis werben follten. Als Stützpunkt 
für die Litauerfahrten erftand 1289 im Memelthale die Burg 
Sandeshut, nahmals Ragnit genannt. Dft genug aber drangen 
die leichtbeweglichen Litauer plöglid bis an die Küfte des 
Meeres vor. Das ermedte bei den Neften ber altpreußifchen 
Nationalpartei neue Hoffnungen. Sie hatte zur Zeit des Baues 


1. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 59 


von Ragnit daran gedacht, den Neffen Smwantopolfs von Pom—⸗ 
merellen, Witlam von Rügen, an die Spige eines neuen Ber 
freiungsfampfes zu ftelen. Auch fam es 1295 in Natangen 
nod einmal zum Aufftand. Im Samlande erhoben fih die 
gefnechteten Hinterjaflen gegen ihre vom Orden begünftigten 
preußiſchen Herren und richteten ihre Wut befonders gegen 
Kirchen und Priefter — ein lettes Auffladern des Heidentums. 


2. Die Blüte des Ordenskantes in Preußen. 1295—1382. 


Sich des Gemwonnenen in ruhigem Genuffe zu erfreuen, 
wäre mit der Beitimmung des Ordens unvereinbar geweſen. 
In dem Kampf gegen die Ungläubigen wurzelte feine Kirchliche 
und weltlihe Ausnahmeftellung. Obenein bereitete gerade da= 
mals das klägliche Ende der Kreuzzüge den geiftlichen Nitter- 
orben eine ſchwere Krifis, der die Johanniter beinahe, die 
Templer völlig erlagen. Es war ein Glüd für die deutſchen 
Herren, daß fie gegen die Litauer den Heidenfampf vor der 
Welt Augen fortfegen konnten. Aber der Schwerpunkt ihrer 
Thätigfeit lag andermärte.-! Sie waren Herren eines Landes 
geworben, deflen natürliche Hilfequellen es planmäßig zu ent 
wideln galt. Seine vielfahen Beziehungen, einerſeits zu den 
Staaten des Nordens und Oftens und amberjeits zu dem 
deutſchen Mutterlande, machten fie zu Trägern einer Politik, 
die nit auf das Schwert allein gegründet fein konnte. Sie 
wurden bie Vertreter ber deutſchen Interefien gegenüber dem 
Slaventum und den Skandinaviern: auf ihnen beruhte in den 
baltijhen Landen die Zukunft Deutfchlands.: 

Dazu mußte der Orden im Inneren aus einen geſchickten 
KRolonifator ein im großen Stil waltender Zandesherr werden 
und Rechte und Pflichten eines folden um fo gemifienhafter, 
aber au um fo fraftvoller üben, je weniger er urſprünglich 
dazu berufen war, nach außen hin aber mit weit ausgreifender 
Hand die Fäden der allgemeinen Politik zu leiten ſuchen. Nur 
fo konnte das Ordensland zum Orbensftaat werden. So galt 
es, die aus dem Geifte der Kreuzzüge geborene ritterlich-mön— 
chiſche Genoſſenſchaft mit einem Inhalt zu erfüllen, der die 


60  Erftes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bi 1598). 


Ergebnifje der mittelalterlihen Aufklärung gleihfam vorweg: 
nahm und in der militäriſchen, politiſchen, gejellihaftlihen und 
wirtſchaftlichen Organijation verwertete. Erleichtert wurde ihm 
das durch die Abrundung, die fein Territorialbefig gerade da- 
mals erfuhr. 

Auch in Livland ftrebte der Orden ſich der biſchöflichen 
Hoheit zu entledigen. Daraus entiprang Streit mit dem Rigaer 
Erzbiſchof; aber die Bedrohung durch die Litauer nötigte beide 
wieder zufammenzugehen. Zum Bruch fam es endlich über die 
Stadt Riga. Schon 1274 Hatte König Rudolf fie dem Orden 
unterftellt, ohne daß diefer fein Recht zur Anerkennung bringen 
Tonnte. Als er aber 1297 den abwejenden Erzbiſchof vertrat, 
ſchritt der Orden gegen angebliche Uebergriffe der Bürgerſchaft 
ein. Der Erzbiichof ergriff die Partei der Stadt; dafür wurde 
er von ben Rittern gefangen genommen. Du riefen die Rigenfer 
die Litauer zu Hilfe, die das Land weithin vermüfteten. Aber 
erſt um den Preis weiterer Zugeftändniffe erlangte der Erzbiſchof 
die Freiheit. Mit der Stadt Elagte er gegen den Orden am 
römiſchen Hofe. Der Prozeß ſchwebte noch, als das Nigaer 
Erzbistum zum zweitenmal erledigt wurde. Da erwarb ber 
Orden 1305 das von den Litauern zerftörte Klofter Diinamünde 
und drohte die Stadt von der See abzufchneiden. Dieje ver: 
anlaßte einen neuen Litauereinfall, während der neue Erzbischof 
den Orden in Avignon als Verfolger und Verächter der liv- 
ländiſchen Kirche denunzierte. Da aber bald darauf Clemens V. 
ftarb und der päpftlide Stuhl zwei Jahre unbeſetzt blieb, be— 
hauptete der Orden feine Stellung. 

Größer noch war der Erfolg, den er um dieſelbe Zeit 
durch die Ermwerbung Pommerellens gewann. Diefes hatte 
Swantopolf 1266 fo unter feine Söhne geteilt, daß Wratislam 
die nördliche, Mejtwin bie ſüdliche Hälfte erhielt. Bald lagen 
beide im Streit, und Meftwin fuchte Schuß gegen den Bruder 
unter brandenburgifher Lehenshoheit. Markgraf Konrad legte 
eine Befagung nad Danzig. Nach Wratislams Tode aber wollte 
Meftwin fi ihm wieder entziehen, doc wurde fein Angriff auf 
Danzig von den Brandenburgern abgeſchlagen. Da wandte er 
fi an Herzog Boleslam von Großpolen, und dieſer nahm 1272 


I. Der Staat des Deutfchen Ordens in Preußen. 6 


Danzig ein. Für den weftlihen Teil feines Gebietes jedoch, 
Schlawe und Stolp, blieb Meftwin brandenburgiſcher Vaſall 
aus Sorge vor ſeinem ländergierigen Neffen Witzlaw von Rügen. 
Dann aber ſetzte er 1282 wieder Herzog Boleslaws Nachfolger, 
Przemyslaw von Großpolen, zum Erben ſeines ganzen Gebietes 
ein. Dadurch ſah ſich der Orden bedroht: ihm hatte nämlich 
Meſtwins Oheim Sambor, den jener allmählich aus ſeinem 
Beſitz verdrängt hatte und der mit der Kirche vielfach haderte, 
1276 die Landſchaft Mewe zu eigen gegeben, ſüdlich von Dirſchau, 
zwiſchen Weichjel und Ferfe. Die Schenkung war aud) 1282 
vom Papft beftätigt worden : aber von dem mächtigen Großpolen 
befehügt, hatte Meftwin die Uebergabe bisher verweigert. Da 
erloſch mit Meftwins Tod 1294 das pommereliiche Fürftenhaus. 
Zugleich entbrannte in Polen neuer Thronftreit. Während in 
einem Teil Wenzel II. von Böhmen, Ottofars II. Sohn, die 
Herrihaft gewann, wurde Meftwins bisheriger Beſchützer 
Przemyslaw im Sommer 1295 zum König von Großpolen und 
Herzog von Pommerellen gekrönt, konnte aber den Wiberftand 
der Kujavier unter Wladislam Lokietek nicht brechen. Wohl 
aber brachte er Danzig troß des Widerftandes der deutſchen 
Bürgerfhaft in feine Gewalt. Aber ſchon 1296 wurde er 
ermordet, und nun gewann der Böhmenkönig die Oberhand. 
Um fi Pommerellens zu verfihern, begünftigte er das dort 
reich begüterte Haus des Palatin Swenza, dem er die Statt- 
halterſchaft in Danzig übertrug. Ebenfo verfuhr fein jugendlicher 
Nachfolger Wenzel III, der zugleich um des Ordens Gunft warb, 
aus Sorge vor Wladislam Lokietek, defien Anhang wuchs. 
Deshalb fuchte Wenzel III. aber auch bei den Anhaltinern von 
Brandenburg Anlehnung, die ihre Anſprüche auf Oftpommern 
noch nicht aufgaben. Im Auguft 1303 ſchloß er mit ben 
Markgrafen Otto IV., Hermann und Waldemar einen Vertrag, 
durch den er ihnen, gegen Herausgabe der von feinem Vater 
verpfändeten Mark Meißen, Oftpommern überließ. Aber nad) 
Wenzels III. Ermordung (Auguft 1306) fand Wladislam Lokietek 
faft in ganz Polen Anerkennung, und verweigerte nicht bloß 
die Auslieferung Oftpommerns, fondern verfolgte auch die 
Swenza und trieb fie vollends zum Anſchluß an die Deutfchen. 


62 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


Einen Teil ihres pommerelliſchen Beſitzes hatten biefe bereits 
dem Orden verkauft; nun huldigten fie unter Berufung auf 
Wenzels II. Vertrag im Sommer 1307 für ihre übrigen Län— 
dereien, die von Tuchel und Neuenburg bis nad) Rügenwalde 
reichten, den Brandenburger Markgrafen. Ganz ähnlich handelte 
Wladislaw Lokietek. Als Dtto IV. von Brandenburg mit jeinem 
Neffen Waldemar ſich 1308 im weftlihen Pommerellen feitjegte 
und aud von den deutjch gefinnten Danzigern in ihre Stadt 
aufgenommen wurde, in deren Burg des Polenfönigs Leute 
bald hart belagert waren, da erbat er für dieje vom Deutſchen 
Orden Hilfe. Eifrig griff diefer zu: er übernahm, die eine 
Hälfte der Danziger Burg zu verteidigen gegen Erjag der Koften. 
Raum aber hatten die Ordensritter die Brandenburger gemein= 
ſam mit den Polen verdrängt, als fie mit diefen Händel be: 
gannen. Erft occupierten fie die eine Hälfte der Burg; dann 
nahmen fie einen polnifchen Anführer gefangen und nötigten 
ihm die andere Hälfte als Pfand für die Zahlung der Kriegs: 
koſten ab. Darauf überfielen fie in der Nacht des 14. No- 
vember 1308 die Stadt jelbft, ſchlugen den Widerftand ber 
Bürgerfhaft blutig nieder und zerftörten die ſchützenden Holz— 
wehren, die fie gegen die Burg gebedt hatten. 

Es ſcheint, als ob der Orden durch rückſichtsloſes Zugreifen 
gut machen wollte, was er in Riga dur allzu peinliche Wah⸗ 
tung bes Scheines verfehen hatte. Als Wlatislam Yofietel 
berbeieilte, war e8 zu ſpät. Nur gegen 10000 Mark Silber 
wollte der Orden Danzig herausgeben. Diefe Summe fonnte 
der Pole nicht aufbringen. Nun beſetzte der Orden auch Dirſchau 
und Schweg: im Frühjahr 1310 war er Herr Pommerellens: 
Bon den Brandenburgern hatte er nichts mehr zu fürchten: 
denn ein Kampf zwiſchen ihnen beiden wäre bloß den Polen zu 
gute gefommen. So fehlofien die Markgrafen den Vertrag von 
Soldin (13. September 1309), nad) dem fie dem Orden bie 
Gebiete von Danzig, Schwetz und Dirſchau überließen, dagegen 
als Herren von Stolp, Schlawe und Rügenwalde anerkannt 
wurden. Als dann auch der piaftifhe Herzog von Glogau und 
Witzlaw II. von Rügen zum Verzicht beſtimmt waren, ſchloſſen 
der Markgraf und die deutſchen Herren am 12. Juni 1310 einen 


1. Der Staat de Deutſchen Ordens in Preußen. 63 


neuen Vertrag, nach dem Waldemar zugleih im Namen jeines 
Mündels, des Markgrafen Johann aus der ottonifhen Linie, 
den thatjählich bereits am den Orden gefommenen Gebieten 
gegen Zahlung von 10000 Mark Silber nohmals ausdrüdlich 
entfagte. Erſt als diefer Pakt am 27. Juli 1310 von Hein- 
rich VII. beftätigt und die Zahlung geleiftet, dem Orden aber 
der neue Befig vom Kaifer verbrieft war, war bie pommerelliſche 
Frage gelöft. Die Zukunft in dem bisher halb polnischen Lande 
gehörte der deutfchen Kultur, für die ein Kampf zwiſchen dem 
Orden und den Brandenburgern verhängnisvoll geworben wäre. 
Denn Brandenburg war noch nicht ftark genug, um bie Grenz= 
hut im Nordoften wahrzunefmen. Hat Waldemar doch felbft 
Stolp, Schlawe und Rügenwalde 1316 gegen Geld an Herzog 
Wratislaw IV. von Pommern-Wolgaft abgetreten: die Zeit war 
noch nicht gefommen, wo der Brandenburger Adler ſich an der 
Dftfee einniften konnte. 

Die Eroberung Pommerellens ſchloß den Ordensſtaat äußer- 
lich ab. Es erfhien nun vollends als unnatürlih, daß der 
Meifter des Ordens nicht dort feinen Sig hatte, fondern feit 
dem Verluſte Accons (1291) gemöhnlih in Venedig weilte. 
Dort hatte der Doge Rainer dem Orden zum Dank für die 
Hilfe, die er der Nepublif 1252—1258 gegen Genua geleiftet 
hatte, die Kirche della Trinitä gebaut, neben der ein ftattliches 
DOrbenshaus entftanden war. Aber wegen des Streites mit 
dem Erzbifhof von Riga und der pommerelliiden Frage war 
bereits Meifter Gottfried von Hohenlohe 1302 nad; Preußen 
geeilt. Doch ift zweifelhaft, ob ſchon damals die Verlegung 
feines Siges nad) dem Ordenslande erörtert wurde. Sicherlich 
hatte Hohenlohes Rüdtritt vom Amte nichts damit zu thun, 
ebenfowenig wie nachher fein Widerruf, der heftige Streitig- 
feiten im Orben veranlaßte. Die Kräfte des Ordens in Preußen 
zu fongentrieren, erforderte ſchon feine Sicherheit. Das Eid: 
ſal der Tempelherren enthielt in jedem Fall eine eindringliche 
Warnung. In Preußen fonnte der Orden jedem Gewaltſtreich 
der Art zuverfichtlich begegnen. 

So nahm denn etwa ein Jahr nach der Eroberung Danzigs 
Siegfried von Feuchtwangen feinen Sig in Preußen, aber nicht 


64 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


in dem bisherigen Haupthaufe Elbing, fondern der auf ben 
rechten Ufer der Nogat gelegenen Marienburg. Eine Burg war 
dort zur Sicherung der Wafferftraße wohl ſchon während des 
Vordringens von Pomefanien nah Pogefanien errichtet; die 
unter ihrem Schuß entſtandene Anfiedelung erhielt ben 27. April 
1276 Stadtrecht. Nefidenz des Hochmeifters wurde die Marien: 
burg wohl wegen ihrer Lage: fie bezeichnete ungefähr die Mitte 
des Orbenslandes und hatte durch die Wafferftraßen nad allen 
Seiten hin bequeme Verbindungen. Doch mußte fie ihrer neuen 
Beſtimmung erft dur einen großartigen Um: und Ausbau 
angepaßt werben, ber fie zu dem allgemein bewunderten Meifter- 
werk der Ordensbaufunft machte. 

Damit fand die Entwidelung äußerlih ihren Abſchluß, 
die unter ben Zelten des deutſchen Felbhofpitals von Accon 
begonnen hatte (S. 39). Der fefte Halt des Ordens war 
dabei feine Negel. Nicht beredinet auf fo großartige Verhält: 
niffe, vereinigte fie doch glücklich Dehnbarkeit in der vielge- 
ftaltigen Praris mit Strenge in den Prinzipien. So fonnte 
fie das Grundgeſetz eines eigentlich verfaſſungsloſen Staates 
werden. Zufammengefegt aus Abfchnitten der Regeln der 
Templer und der Dominikaner, fpiegelte fie die Doppelnatur 
des geiftlihen Nitterordens wieder. Mag au die Form, in 
der fie vorliegt, erft der Zeit angehören, wo die Eroberung 
Preußens vollendet war: in ben leitenden Gefihtspunften ift 
der urfprüngliche Beftand fiher bewahrt. Die Dehnbarkeit auf 
die geänderten Verhältniffe ficherte die ergänzende „Gewohn- 
heit“. Indem der Orden fo die alten Formen mit einem neuen 
Geift erfüllte, erwies er feinen hiftorifhen Beruf. Die Ordens— 
ämter erhielten, ohne die urfprünglich den beſchränkten Ordens— 
zweden entjpredhende Bedeutung zu verlieren, einen weitum— 
faffenden militärif hen und politifhen Inhalt und wurden Organe 
eines Staates, der weltliche Ziele mit weltlihen Mitteln ver: 
folgte. Aus dem Haupte einer möndifch:ritterlihen Genofjen- 
ſchaft, deren Beruf fi) in Armen= und Krankenpflege, frommen 
Uebungen und dem Kampf gegen die Ungläubigen erfchöpfte, 
wurde der Meifter das Haupt einer hierarchiſch gegliebderten 
Beamtenrepublif und einer Landesverwaltung, welde die ver— 


I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 65 


ſchiedenſten Aufgaben zu löfen hatte, und darüber hinaus ber 
Träger einer verantwortungsvollen auswärtigen Politik. Der 
Ordensmarſchall, urfprünglich ber Leiter des dauernden Eleinen 
Krieges gegen die Ungläubigen, war nun der Kriegaminifter 
eines ausgefprohenen Militärftaates und der Generalſtabschef 
eines alle Zeit jhlagfertigen Heeres, das der Zuzug von Kreuz: 
fahrern aus aller Herren Ländern zeitweife zu einer Glaubens: 
armee ber abendländiſchen Chriftenheit verftärkte. Der Treßler 
aber, einft ber Verwalter des beſcheidenen Vermögens, das dem 
Orden aus milden Gaben und frommen Stiftungen zuwuchs, 
konnte nun dem Finanzminifter eines großen Staates verglichen 
werden. Und im Eleinen wiederholt ſich diefe Doppelnatur in 
jedem Ordensbruder: zugleich Mönd und Ritter, ift er als 
Mitträger des Ordensſtaates je nachdem Soldat oder Ver: 
waltungsbeamter oder Diplomat. 

Jedem ber zwanzig Bezirke des Landes ftand ein Kom— 
tur vor. Die Brüder feines Konvents waren feine Räte und 
Gehilfen in der Verwaltung, feine Offiziere im Felde. Kleinere 
oder entferntere Bezirke leitete ein Ritter ohne Konvent als 
Pfleger. Die Verwendung des Einzelnen hing allein ab von 
feiner Tüchtigkeit. Aber felbft das größte Verdienft gab fein 
Recht auf ein höheres Amt, und nicht felten finden wir be 
währte Vorfteher wichtiger Komtureien, ja felbft Inhaber hoher 
Ordensämter nachher in untergeordneten Stellungen. No 
lebte in ben Brüdern des Deutſchen Haufes idealer Sinn und 
begeifterte fie zu felbftlofer Unterordnung unter den Willen der 
Oberen und zu metteifernder Hingabe an das Wohl der Ge- 
famtheit. So verfügte diefer Staat über ein Beamtenperfonal 
von unvergleichlicher Brauchbarkeit. Denn jeder einzelne war 
bier zugleich Herr und Diener, Regent und Unterthan, Offizier 
und Soldat. Daher wurde die Gejamtheit als Trägerin der 
Öffentlichen Gewalt von lebendigſtem Staatsbewußtfein erfüllt. 
War doch jene privatrehtlihe Auffaffung des Staates, in der 
das Mittelalter befangen blieb, hier ſchon dadurch ausgeſchloſſen, 
daß der einzelne Orbensritter befiglos war und perſönlich feinen 
Anteil hatte an den nugbaren Rechten, in denen jene Zeit das 
Weſen des Staates jah. Auch der Wille des Einzelnen bedeutete 

Prutz, Preußiſche Geſchichte. J. 


66 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (Bid 1598). 


bier nichts: gemeinfames Ermägen und Beraten gab den Aus: 
ſchlag. Gern und fleißig Rat zu ſuchen und gutem Rat willig 
zu folgen, war jedem Bruder geboten; denn da ift Heil, mo 
viel Rat ift. Hier entipringt die fittliche Kraft dieſes kriegeriſchen 
Beamtenftaates in feiner Blütezeit, liegt aber auch die Wurzel 
bes Uebels, dem er nachmals verfiel. Denn es fam eine Zeit, 
wo ein geiftlicher Ritterorden auch bei ber vollfommenften Organi= 
fation die dem Staate geftellten Aufgaben gerade feiner Doppel- 
natur wegen nicht löſen konnte und umgeftaltet werben oder 
untergehen mußte. Bis dahin aber hat ber Orden in Preußen 
Großes für Deutfchland geleiftet. 

[So Großes die Deutichen als fiegreihe Träger ihrer Kultur 
in fremden Landen geleiftet haben, das Größte hat doch der 
Deutſche Orden durch die Eroberung und Germanifierung 
Preußens geleiftet. Raum jonftwo ift dabei fo zielbewußt und 
planmäßig, mit jo ausdauerndem Kraftaufwand und durch— 
ſchlagendem Erfolge gehandelt worden. Als eine Grenzmark 
größten Stils wurde Preußen organifiert. Ein Net von feiten 
Plätzen überjpannte das Land, die, nahbarlih aufeinander 
angewiefen, ſich gruppenmweife zu Verteidigungsſyſtemen zu= 
ſammenſchloſſen. Die Ordensburgen trugen dabei einen weſent⸗ 
li anderen Charakter als die Schlöffer und Feten des mitt- 
leren Deutichland, die auf Höhen angelegt fi mit ihren Mauern 
der Form des Bergplateaus anſchloſſen. Der Orden führte feine 
Häufer im Viered auf: ihre Mauer ift die Außenmauer von 
Bohn: und Wirtihaftsgebäuben, deren Anlage und Verteilung 
der mönchiſchen Ordnung des ritterlihen Lebens entſprach: fie 
waren und blieben befeftigte Klöfter. Außer Mauern und Gräben 
ſchützten die wichtigeren auch noch eine oder mehrere Vorburgen. 
Die Grenze, namentlid gegen Litauen, bedten Gräben und 
Verhaue, die nur an wenigen, durch befondere Werke geiperrten 
Stellen einen Zugang freiließen. Noch heute finden fid Spuren 
biefer „Landwehr“, Nefte alter Schüttungen, bie ſich ehemals 
meilenweit hinzogen, niedrige Wälle, auf deren Krone immer 
nur ein Mann hinter dem anderen zu gehen Platz hatte, wäh: 
rend den Fuß dichtes Gehölz unzugänglich machte. Weiter zurück 
lagen in dem Waldrevier befeftigte Blodhäufer, Vorwerke der 


I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 67 


dann folgenden Burgen. In deren Nähe befanden fih zumeilen 
„Fliehhäuſer“, beftimmt, beim Hereinbrechen feindliher Raub- 
ſcharen die benachbarten Anfiedler mit ihrer beweglichen Habe 
aufzunehmen. Der Ordensmarſchall hatte dafür zu forgen, daß 
überall das nötige Kriegsgerät bereit war. Meber die Beſchaffen⸗ 
heit des feindlichen Landes und die Abfihten und Bewegungen 
feiner Bewohner unterrichtete den Ordensmarſchall ein zahlveiches 
Perſonal von Kundſchaftern und Leitsleuten. Sie lieferten auch 
genaue Beihreibungen der Wege, die bei einem Zuge gegen 
die Litauer benugt werben fonnten, gaben Auskunft über die 
Breite der zu paffierenden Brüche, die beim Weberbrüden ober 
Durchwaten der Flüffe zu beachtenden Verhältniffe, die zum 
Lagern geeigneten Pläge und die Möglichkeit des Fouragiereng, 
aber aud über die von den Feinden befegten oder zu Hinter: 
halten benugten Punkte — furz über alles, was zu willen 
wünſchenswert war, um ſowohl vor einem Handſtreich des Feindes 
fiher zu fein, wie überrajchend in das feindliche Land einbrechen 
und mit ber Beute ſchnell wieder hinter die ſchutzenden Grenz- 
wehren eilen zu Eönnen. 

Aber auch die friedlichen Aufgaben der Kultur hat diefer 
Militärftaat in bemunderungsmwürdiger Weife gelöft. So Großes 
Staufer, Welfen und Zähringer als Städtegründer geleiftet 
haben: der Deutfche Orden übertrifft fie ale durch die Zahl der 
von ihm geſchaffenen Site bürgerlicher Selbftverwaltung. Als 
das Städteweſen im den deutſchen Landen alter Kultur verfiel, 
wurde Preußen die Wiege neu erblühender fommunaler Freiheit. 
Von den nahezu fechzig Städten, die zwiſchen 1233 und 1416 
in Preußen entitanden, waren etwa zwanzig — obenan Kulm, 
Thorn und Elbing — Orte älteren Urfprungs, die der Orden 
mit Stadtrecht bewibmete, die übrigen find, auf das ihnen zum 
voraus verliehene Stadtreht Hin von Unternehmern begründet, 
allmählih herangewachſen. Davon waren, entipredhend ber 
Herkunft der erften Einzügler, die Binnenftäbte meift mit magde- 
burgifchem, die an und nahe der See gelegenen mit lübiſchem 
Recht begabt. Was das deutſche Städtewejen bisher an Er- 
gebniffen für die wirtſchaftliche und foziale Kultur gezeitigt 
hatte, das wurde mit einemmal in das ftädtelofe Preußen ver: 


68 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


pflanzt. In dem offenen Lande aber wurde eine zahlreiche 
deutſche Bauernſchaft ſeßhaft, indem der Orden teils ſelbſt, 
teild durch Unternehmer Dörfer meift nah kulmiſchem Recht 
gründete. Ihre Einwohner zinften bald Naturalien, bald Geld 
und leifteten Scharwerfebienfte, blieben aber vom Kriegsdienſt 
frei. Die wenigen preußiſchen Bauern dagegen hatten auch 
diefen zu leiften. Was es an preußifchen Edelleuten gab, waren 
Nachkommen der während des großen Aufftandes treu gebliebenen, 
die dafür ungefähr durch die Stellung der deutſchen Edelleute 
belohnt worden waren. Auch polnische Adelige ſaßen im Ordens» 
land, namentlich in den Polen benachbarten Landſchaften. Die 
überwältigende Mehrheit des in Preußen angefiedelten Adels 
war deutſcher Abkunft. Militäriſch galt für ihn die allgemeine 
Dienftpflit, die er je nad) dem Umfang bes ihm verliehenen 
Gutes in voller ſchwerer Ritterrüftung oder in leichterer Waff- 
nung leiftete. Dafür hatte er auf feinen Gütern umfangreiche 
grundherrliche Rechte und in Vollmacht und Vertretung bes 
Landesherrn die niedere Gerichtsbarkeit über feine Hinterjaffen. 
Er vornehmlich kennzeichnete Preußen als Rolonialland Ge: 
ſamtdeutſchlands. Denn in ihm waren wie im Orden felbft alle 
Landſchaften und ale Stänme Deutſchlands in buntefter 
Miſchung vertreten: dadurch wurde Preußen gleichſam Gemein- 
befig des deutſchen Volkes. 

Doch hat auch der internationale Zug, der allen Kreuzs 
fahrten eigen war, denen nad) Preußen nicht gefehlt. Nament: 
lid) haben jeit dem Verluft Accons 1291 außer Jtalienern und 
Spaniern Angehörige aller Völker des Meftens ihren Glaubens- 
eifer und ihre Abenteuerluft dort zu befriedigen gefucht. Ja 
in fürftlihen und ritterlihen Kreifen gehörte e8 zum guten 
Ton, dort gefochten und den Ritterfhlag empfangen zu haben. 
Eine Zeitlang erfhienen Engländer und Schotten faft regel: 
mäßig als Kriegagäfte, und Heinrich von Derby, fpäter König 
Heinrich IV., 308 zweimal nad) dem Ordenslande (1390—1391 
und 1392). Auch Franzofen fanden fi ein: Baucicaut hat 
unter dem Ordensbanner gefohten. Ungarn, Dänen, Böhmen, 
Niederländer und Lothringer erſchienen mehrfach. Von deutſchen 
Fürftenhäufern gibt es kaum eines, das nicht durch einen oder 


1 Der Staat des Deutſchen Orbens in Preußen. 69 


den anderen Sprofjen unter den Preußenfahrern vertreten wäre. 
Das fteigerte das Interefje des deutjchen Adels an dem Kolonial- 
lande, mit dem auch Bürger und Bauern Deutſchlands ähnlich 
verfnüpft waren. So fand das deutſche Volk die Einheit, die 
ihm daheim verloren ging, wieder in der Oftmarf an Pregel 
und Memel, welhe die militärifchen Tugenden feines Adels im 
Bunde mit ber Thatkraft feines Bürgertums und der Arbeits- 
freudigfeit feiner Bauern mit Blut und Eifen nicht bloß, ſon— 
dern auch mit Schweiß und Geiftesarbeit erfauft hatten. Hier 
fehlte daher auch noch ber Gegenfag der Stände, umd Abel, 
Bürger und Bauern lebten in Frieden und Eintracht unter bem 
Regiment der Rittermönde. Das kam zunächſt der wirtſchaft— 
lien Entwidelung zu gute. Wo wäre damals ein Rieſenwerk 
durchzuführen geweſen wie die Trodenlegung der Niederung 
zwiſchen Weichjel und Nogat, die vierzig Duabratmeilen frucht⸗ 
barften Aderlandes für ben Anbau gewann? Wo eine fo heil- 
fame Reform, wie die Einführung von einheitlihem Maß und 
Gewicht (1335—1336)? Mit Staunen blidte man im Neid 
nad dem „neuen Deutſchland“ im fernen Nordoften, mo alles 
gedieh, was man baheim vermißte. Cin waffentüchtiger, be— 
güterter Adel, vol Vaterlandsliebe und Gemeinfinn, ein ges 
werbthätiges, an dem wachſenden Weltverfehr lebhaft beteiligtes 
Bürgertum, voll bereditigten Selbitgefühls, und ein tüchtiger, 
wirtſchaftlich gedeihender Bauernftand im Befig ungeminderter 
Freiheit verbanden ſich dort zu einer Gemeinjhaft des Lebens, 
deren Wert und Segen ihnen um jo mehr zum Bemwußtfein 
kam, je mehr fie im Gegenfag zu dem mißgünftigen Polentum 
ſtolz ihr Deutſchtum betonten. 

Für Polen war der Orden längft ein gefürchteter Nachbar 
geworben. Zubem jah es fi, feit dem Verlufte Pommerellens 
von der Oſtſee abgeſchnitten, wirtſchaftlich ſchwer geſchädigt. 
Nun hatte Wladislam Lokietek das Reich in der Hauptſache 
wieber geeinigt, mochten aud Mafowien und Kujavien felb- 
ftändig bleiben und die fchlefiihen Piaften ſich Böhmen an— 
ſchließen. Auch rechnete er auf päpftliche Hilfe, denn die Kurie 
mißgönnte dem Orden feine ftolze Unabhängigkeit in firchlichen 
Dingen. Seit die Bistümer Pomefanien, Kulm und Samland 


70 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


mit Orbensflerifern bejegt wurden, war bie preußiſche Landes⸗ 
fire ganz in des Ordens Hand, zumal er auch in den bifchöf- 
lichen Gebietsbritteilen als Landesherr gebot. Nun weigerte 
er die Zahlung des Peterspfennigs, die früher wenigftens vom 
Kulmer Lande geleiftet worden war. Den Unwillen ber geld: 
bebürftigen Kurie nährten die übrigen Gegner des Ordens, und 
fo erlangten die Prozeffe politiihe Bedeutung, die der Erz 
bifhof von Riga wegen Dünamünde (S. 60) und Wladislam 
Lofietel wegen Pommerellens in Avignon gegen den Orden 
anftrengten. Aber des Ordens Sachwalter waren gewandte 
Juriſten und gejhicte Diplomaten. Durch Zuwarten, Vermeiden 
jeber ernftlihen Erörterung und genaue Erfüllung aller For: 
malitäten, deren Mißachtung ihren Klienten ins Unrecht ver- 
et hätte, ermübeten fie Gegner und Richter. Erging ſchließ— 
li ein ungünftiger Sprud, jo mußten fie feine Vollftredung 
aufzuhalten oder ihn wohl gar in das Gegenteil zu wandeln. 
So ermirfte 1319 Hochmeifter Karl von Trier perjönlih in 
Avignon dem Orden die Beftätigung des Kaufs von Düna- 
münde. In betreff PBommerellens verurteilte zwar 1320 Jo— 
hann XXII. den Orden zur Herausgabe an Polen und Zahlung 
von 3000 Mark Koften, ließ den Spruch aber unvollftredt, als 
der Orden ihm den Peterspfennig vom Kulmer Lande bewilligte. 

So griff Polen jhließlih zu den Waffen im Bunde mit 
Litauen, befjen König Gedimin 1325 feine Tochter Wladislams 
Sohn Kafimir vermählte. In Marienburg verfannte man bie 
Gefahr niht: mit Wratislam von Pommern, Georg von Ruß: 
land, Semomwit von Majowien und Heinrid von Braunſchweig 
wurden Bündniffe gejhloffen, während Polen die Hilfe Ungarns 
gewann. Ein neues politisches Syftem tauchte damit im Often 
Europas auf. Im Zentrum ftand der Ordensjtaat, um den 
die übrigen Mächte freundlih und feindlich gravitierten, jegte 
fi) aber zugleih dem Papfttum mutig entgegen: troß Bann 
und Interdikt verweigerte er den Peterspfennig und hielt an 
Ludwig dem Bayern feit. 

Sühneverfude und Stillftände zögerten den Ausbruch des 
Krieges bis 1327 hin. Als er erfolgte, griffen aud) die Rigenfer 
wieber zu ben Waffen und riefen Gedimin zu Hilfe. Deshalb 


I. Der Staat des Deutfchen Ordens in Preußen. 71 


ſchloß ein Ordensheer die Stadt ein, und im Frühjahr 1330 
mußte fie fih nun doch unterwerfen. Auch in Polen drang der 
Orden 1332 erobernd ein, indem er durch erneute Bewilligung 
des Peterspfennigs vom Kulmer Lande die Kurie von der Unter: 
ſtützung Wladislams abhielt. Den Krieg gegen Litauen aber 
ftellte er hinfort als einen ihm duch feine Regel gebotenen 
Kampf gegen die Ungläubigen dar: bald organifierte er ihn 
als eine Fortjegung der Kreugzüge. Darüber ftarb hochbetagt 
König Wladislaw 1333, und fein Sohn Kafimir, von feinen 
Schwägern Olgierd und Kynftut, Gedimins Söhnen, ungenügend 
unterftügt, war fehließlich froh, erneuten Friedensmahnungen 
mit Anftand nachgeben zu fünnen. Im Juli 1343 traf er 
mit Hodmeifter Dietrih von Altenburg in Kaliſch zufammen 
und trat nicht bloß das Kulmer Land und Pommerellen, jondern 
aud die erfterem ſudweſtlich benachbarte Michelau ab. 
Inzwifchen war in Efthland im Frühjahr 1343 ein Auf: 
ftand der einheimifhen Bauern, der die deutfche Kultur und 
die däniſche Herrſchaft bedrohte, mit Hilfe des Ordens nieber- 
geſchlagen. Diefes mächtigen Schuges wünſchte man fi dort 
aud) ferner zu verfichern, zumal 1345 das benachbarte Livland von 
einem Litauereinfall heimgefucht wurde. Infolgedefien überließ 
König Waldemar IV. von Dänemark Eſthland für 19 000 Mark 
dem Orden, der auch die Anrechte feines Schwiegerfohnes, des 
Markgrafen Ludwig von Brandenburg, um 6000 Mark erwarb. 
Für den Orden galt e& den neuen Beſitz gegen die weſtwärts 
ftrebenden Ruſſen zu fügen, die ihrerfeits mit Litauen zus 
jammenhielten. Dort Herrfehten jeit Gedimins Tod (1. Ok— 
tober 1341) in Eintraht feine Söhne Olgierd und Kynftut; 
während erfterer fi gegen Preußen wandte, fuchte legterer mit 
den Rufen von Pſkow Livland heim. Um jo dringender be= 
durfte der Orden einer ficheren Verbindung zwifchen Kur, Liv: 
und Eſthland einer: und Preußen andererfeits. Dazu mußte er 
von Memel und Ragnit den Memel und feine Zuflüſſe aufwärts 
dringen und durch ein Syftem von Befeftigungen den Samaiten 
den Weg verlegen, um das breite und jumpfige Niederungs- 
land allmählich zu bewältigen. Zwei Menfchenalter hat dieſer 
Kampf ihn vorzugsweife beihäftigt: ein durchſchlagender Erfolg 


72 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiihen Staates (Bid 1598). 


iſt ihm nicht beſchieden geweſen, ja nit einmal ben Einfällen 
der Litauer hat er ein Ende machen können. Dennod hatten 
die Litauerfahrten für ihn eine hohe Bedeutung: fie galten 
als Fortfegung des Kampfes für ben Glauben. Zubem führten 
fie zahlreiche Kriegsgäfte in das Land, abenteuer: und beuteluftige " 
Ritter aller Nationen, befonders natürlich deutfche, und erhielten 
fo die Verbindung zwifchen dem Koloniallande und dem Reiche. 
Auch wurden fie für den Orden und feine Unterthanen eine 
trefflide Schule des Krieges, die fie zu fchlagfertiger Waffen- 
bereitſchaft bildete. Freilich lag darin aud eine Gefahr, weil 
fie den Charakter ernfter kriegeriſcher Aktionen allmählich ein- 
büßten und zu wüften Raubfahrten entarteten. 

Man unterfchied zwei Arten biefer „Reifen“, außerorbent- 
lie und gewöhnliche oder große und Fleine. Nur erjtere waren 
Kriegszüge: längere Zeit vorher angefagt, wurden fie vom 
Hocmeifter felbft oder vom Ordensmarſchall befehligt. Auf den 
Sammelplägen erſchienen dann die Komture und Ritter der 
Grenzburgen, oft aud der Meifter von Livland, dann die abligen 
Landſaſſen und die ftädtifhen Wehrmannſchaften mit Kriegs— 
materialien und Vorräten. Daher war der Troß oft groß, und 
man wählte zum Einbrud in $eindesland den fihereren und 
bequemeren Waflerweg. Häufig wurde von ſolchen Zügen längere 
Zeit vorher nad) Deutſchland und weiterhin Kunde gejandt und 
die Ritterfchaft zur Teilnahme eingeladen. Dann wurde auch 
wohl der Ehrentifch gehalten, d. h. ein Prunkmahl, zu dem 
von den erfhienenen Rittern die berühmteften durch Heroldsruf 
geladen wurden. Dabei ging es hoch her, wie überhaupt die 
Teilnahme fremder Fürftlichfeiten an den „Reifen“ rauſchende 
Feftlichleiten und üppige Gelage veranlaßte, bei denen man es 
einander zuvorzuthun ſuchte an auserlejenen Speifen, köſtlichen 
Getränfen und prachtvollem Geräte. In Bezug auf das eigent= 
lich Militärifche, die Marſchordnung, das Gefeht u. ſ. w. hatte 
fi) ein beftimmter Brauch herausgebildet, von dem nur aus 
bejonderen Anläffen abgewichen wurde. Im allgemeinen aber 
entſprach bei der Natur des Striegsfchauplages und der Kampf: 
art des Feindes die Kleinheit oder Hinfälligfeit des Erfolges 
nicht der Größe der aufgewandten Mittel. 





1. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 73 


Wichtiger für die Friegerifhe Schulung des Ordens waren 
die kleineren „Reiſen“. Sie waren Sade allein der Komture 
der Grenzburgen und follten die Litauer von des Ordens fteter 
Kriegsbereitichaft überzeugen. Sie fanden gewöhnlich von den 
dazu geeigneten Grenzburgen aus zweimal im Jahre ftatt: denn 
nur ftarfer Froft oder Sommerbürre machte die Sumpfwälder 
mit ihren Bächen und Fliegen paffierbar. Aber gerade diefe 
„Reifen“ entarteten früh zu wüften Raubfahrten und felbft rohen 
Menſchenjagden. Wie heute fürftlihem Beſuch zu Ehren ein 
Hof Jagden veranftaltet, fo veranftaltete der Orden für vor- 
nehme Fremde folhe Reifen, die fo zu einem Sport herab- 
gewürdigt wurden. Die Fiktion freilich beftand, es handle ſich 
um eine ritterlihe Glaubensthat. Sie ſollte auch die Grau— 
famfeiten rechtfertigen, die man babei verübte. „Was in tut 
we, das tut uns wol“, befennt ein zeitgenöffiicher Dichter und 
erzählt, wie bie Ritter in dem litauijhen Grenzlande mit 
Mord und Raub und Brand haufen, „den Chriften zum Ge— 
winn, den Heiden zum Berluft”. Die Männer werden nieber= 
gemacht, Weiber und Kinder gefangen und zujammengebunden 
wie Koppeln von Hunden in die Knechtſchaft geführt. 

Merkwürdig fontraftiert damit die Pflege, welche die geis 
ftigen Interefien im Orden fanden. Freilich wirkten da per: 
jönlide Momente mit. Der Hochmeifter Lothar von Braun 
ſchweig (1331—1335), der zuerit in dieſer Richtung thätig 
war, wird als Sohn Alberts des Großen (} 1279), deſſen 
Schweiter Helene mit Hermann von Thüringen, dem Sohne 
der heiligen Eliſabeth, vermäßlt war, dur jeine Beziehung 
zu dem dichterfreundlichen Hof auf der Wartburg auf ähnliche 
Beftrebungen bingewiejen fein. Er überfegte aus dem Lateis 
niſchen ein poetijches Leben der heiligen Barbara und veran- 
laßte, wohl zum Zwed der durch die Regel gebotenen Vor— 
lejungen bei den gemeinjamen Mahlzeiten, Paraphrajen der 
Bücher Daniel und Hiob. Auch fehlten in den Büchereien des 
Ordens nit ältere Dichtwerke, deren Vorwurf der Kampf für 
den Glauben war, wie Barlaam und Joſaphat, das Rolandelied 
u. a. m. Noch bewahrt die Königsberger Bibliothek etliche reich 
ausgeftattete Handichriften, die Lothar von Braunſchweig an- 


74 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifchen Staates (bis 1598). 


fertigen ließ. Damals bearbeitete Heinrich Hesler die Offen- 
barung Johannis, ein Kartäufer Philipp widmete fein Leben 
der Jungfrau Maria dem Orden, und Nikolaus von Jeroſchin, 
der aud) das Leben des heiligen Adalbert befang, erzählte im 
Anſchluß an das Werk Peters von Dusburg die Orbensgefchichte 
in einer Reimchronik, zu deren Weiterführung ihn Lothars 
Nachfolger, Dietrich von Altenburg (1335—1346), ermunterte. 
Bald danach verdeutſchte Nikolaus, der Kuftos der preußiichen 
Minoriten, auf Wunſch des Ordensmarſchalls Siegfried von 
Dahenfels (1347—1359) die Heinen und großen Propheten 
und die Apoftelgefchichte. 

So eriheint das halbe Jahrhundert nach dem Frieden von 
Kaliſch als die glüdlichfte Zeit des Ordens. Dauernd verjüngt 
durch den Zuftrom tüchtiger Kräfte aus dem deutſchen Adel, 
denen der weiße Mantel eine ftattlihe Verſorgung verhieß, 
waltete er, jede Fähigfeit an der rechten Stelle verwendend, 
feines hohen Amtes in jhönem Gleihmaß der Kräfte und über: 
wand fo die Gefahren, die feine Doppelnatur mit fi brachte. 
Zugleih Mönde und Ritter, Soldaten und Beamte, Kaufleute 
und Diplomaten, waren die Deutf—hen Herren in ihren hervor= 
ragendſten Vertretern Staatsmänner, unübertroffen an iel: 
jeitigfeit der Erfahrung, Weite des Blicks und Kühnheit des 
Handelns. Yndem fie alle die gleiche Schule durchmachten, im 
Dienfte derfelben Jdeale und unter dem Einfluß derjelben Tra= 
dition gebildet wurden und wirkten, entwidelten fie eine Poli= 
tif, die, unabhängig von dem Wechſel der Perfonen, in der 
Erfahrung von Generationen wurzelte und ſich doch dem Wandel 
der Zeiten geſchickt anpaßte. Die Frage aber war, ob der 
Orden auf diefer Höhe dauernd erhalten werben fünnte Wie 
nahe Tag jedem feiner Glieder die Verſuchung, auf das Recht 
der Gefamtheit hin fich felbft Vorteile zu ſchaffen und feinen 
eigenen Willen für den Geſamtwillen auszugeben! Steiner wohl 
von den Meiftern hat dieſe Gefahr jo klar erfannt und jo vor- 
ſorglich abzuwenden gefucht, wie der edle Winrich von Knip— 
rode (1351—1382), an deſſen Namen fih die herrlichften Er— 
innerungen aus der Blütezeit des Ordens Enüpfen. 

Wenn Winri von Kniprode nachgerühmt wurde, er habe 


I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 75 


die Gebietiger in Chrbarfeit und die Brüder in frommer Zucht 
gehalten, über Rittern und Edelleuten gerecht gewaltet, Bürger 
und Bauern löblidh regiert, Witwen und Waifen verforgt, nicht 
minder aber aud) die Litauer mit Krieg heimgefucht, zerftörte 
Ortſchaften wieder aufgerihtet und fefte Burgen erbaut, im 
übrigen jedoch fi des Krieges nach Möglichkeit enthalten, fo 
daß der Orden ſich unter ihm des beften Rufs erfreute: jo läßt 
ihn diefe Fülle des Lobes als das Ideal eines Fürften er: 
feinen, mag auch ein Teil davon auf Rechnung des Gegen- 
fages kommen, in dem gleich die nächſtfolgenden Zeiten zu der 
jeinen ftanden. Bezeichnendermeije wird des Meifters Wirken 
innerhalb des Ordens vorangeftellt, gewiß weil gerade in dieſer 
Hinſicht bald fo vieles fo anders wurde. Wenn Winrid die 
Statuten durch Beftimmungen ergänzte, die den Ordensbeamten 
ſchonende Behandlung der Unterthanen zur Pfliht machten, jo 
zeigt das, daß ſchon damals über Ausfchreitungen der Art ge- 
klagt wurde. Ebenſo führte er regelmäßige Vifitationen ber 
DOrdenshäufer ein. Um die Brüder beffer für ihre Thätigfeit 
als Beamte vorzubereiten, errichtete er in Kulm eine Afabemie, 
wo namentlih die Rechte gelehrt werden follten. Sie krönt 
den planmäßigen Ausbau bes preußiihen Schulweſens durch 
den Orden. Schon ſeit Beginn des 14. Jahrhunderts waren 
neben den elementaren Volksſchulen auch Pfarrſchulen und 
ftädtifche Anftalten entftanden, auf denen Latein gelehrt wurde, 
wie bie jhon 1300 erwähnte Ratsſchule zu Elbing. Der Biſchof 
von Ermeland hatte in Wormbitt eine Anftalt zur Ausbildung 
feiner Hofjunfer und in Heilsberg ein Seminar für junge 
Geiftlihe preußiicher Abkunft errichtet. Auch auf diefem Ge— 
biet hatte Preußen das Mutterland bereits eingeholt. Das 
bezeugt auch das Erblühen der preußiihen Geſchichtſchreibung, 
die dem ihr gebotenen großen Stoff gerecht wurde. 

Eine ſolche Pflege der geiftigen Intereſſen aber war doch nur 
möglich zu einer Seit, wo bes Landes Kräfte kriegeriſch weniger 
in Anſpruch genommen waren. Geruht haben die Waffen frei- 
lich auch unter Winrich von Kniprode nicht. Denn noch er: 
füllte die eine oder die andere Grenzlandſchaft gelegentlich ein 
plöglicher Litauereinfall mit den Schreden des Heidenkampfes. 


76 Erſtes Bud. Die Elemente bes preußiſchen Staates (bis 1598). 


Andererjeits ließ troß des Friedens von Kaliſch König Kaſimir 
feine Gelegenheit unbenugt, um dem Orden zu fhaben. Denn 
die Wiedergewinnung Bommerellens und des Kulmerlandes blieb 
die Sehnſucht aller polniſchen Patrioten. Die Ausfiht darauf 
war damals freilich gering. Sa, in harter finanzieller Bedräng⸗ 
nis mußte Kafimir von dem Orden 40 000 Gulden leihen gegen 
Verpfändung des Landes Dobrin, des auf dem rechten Weichiel- 
ufer gelegenen Teils von Kujavien. Diefer Handel, durch den 
der Orden fi wie ein Keil zwiſchen Kujavien und Maſowien 
einſchob, wurde die Quelle enblofen Streites zwilchen ihm und 
Polen. Auch weil der Orden ihn gegen bie Litauereinfälle 
nicht ficher ſtellte, klagte Kafimir gegen ihn in Rom, ala ob da 
eine Bernadläffigung der Pflicht des Kampfes gegen die Heiden 
vorläge. Denn gern benußte die Kurie jede Gelegenheit, um 
den auf feine Unabhängigkeit fo ftogen Orden ihre Autorität 
fühlen zu laſſen. So blieb auch unter Winri das Verhältnis 
zu Polen unfreundlih, troß des glänzenden Empfanges, ben 
der Meifter dem König bei einem Beſuch in Marienburg be— 
teitete, 

Wie grundlos die polnifhen Beſchuldigungen gegen ben 
Drden waren, lehrt die Geſchichte der Litauerfämpfe jener 
Zeit. Daß Winrich den politifchen Vorteil feines Staates über 
den eitlen Ruhm des Glaubensfampfes fegte, Fonnte ihm nur 
kirchlicher Mebereifer zum Vorwurf maden. Stellte doch ſchon 
damals die Verſchwägerung Kaſimirs mit dem litauiſchen 
Fürftenhaufe den Orden vor die Möglichkeit einer Union Polens 
und Litauens. Um fo mehr ſuchte Winrih den Litauern den 
Weg das Memelthal abwärts zu verlegen. Heftiger entbrannte 
daher der Kampf. Zweimal fiel Kynſtut in die Gefangenſchaft 
der Ritter, gewann aber durch Lift die Freiheit wieder. Im 
Frühjahr 1362 drang der Meifter mit dem Marſchall Hennig 
Schindekopf, der ſchon als Komtur von Ragnit der Schreden 
der Litauer geworden war, bis nad) Kowno vor, eroberte und 
zerftörte e8. Ja bis Wilna, Olgierds Hauptftadt, famen die 
Deutſchen gelegentli. Streit im litauiſchen Fürftenhaufe er= 
ſchloß ihnen noch größere Ausſichten. Waidot, ein Sohn Kyn— 
ftuts, zerfiel mit dem Vater, ſuchte den Schuß des Ordens und 


1. Der Staat des Deutjhen Orbens in Preußen. 77 


empfing in Königsberg die Taufe, um dann am kaiſerlichen Hofe 
als „Litauerfönig” Hilfe für feine ehrgeizigen Entwürfe zu 
werben. Deshalb brachen Olgierd und Kynftut im Januar 1370 
plöglih mit einem gewaltigen Heer in Preußen ein. Die Ab- 
teilungen, die auf verſchiedenen Wegen das Land verwüftend durch⸗ 
flogen, vereinigten ſich am Haff, über deſſen Eis fie in ſchnellem 
Ritt Samland erreichten. Aber durch den Komtur von Ragnit 
und feine Kundſchafter war der Orbensmarjhall rechtzeitig ge— 
warnt. Ein Nachtmarſch brachte das Ordensheer von Königsberg 
am Morgen des 17. Februar 1370 nah dem Ordenshauſe 
Rudau, nahe der Nordfüfte Samlands. Am Mittag entbrannte 
dort eine furchtbare Schlacht: zu ſpät wurden die Litauer inne, 
daß fie es nicht mit eilig zufammengerafften Haufen, fondern 
der ganzen Streitmacht des Ordens zu thun hatten. Ihrem 
Anfturm waren fie nicht gewachſen: zu Taufenden wurden fie 
auf der Flucht zufammengehauen. Aber auch der Orden hatte 
ſchwere Verlufte: auch der Ordensmarſchall war gefallen, in 
übereifriger Verfolgung von einem feindlichen Geſchoß getroffen. 
Dennod war die Schlaht bei Rudau nur durch die Maffen der 
Streiter von früheren und fpäteren Litauerlämpfen verfchieben: 
fo fehr Dichtung und Sage fie gefeiert, das Verhältnis ber 
beiden Gegner war dur fie nicht geändert und ber Krieg 
dauerte in ber alten Weife fort. 

Günftigere Ausfichten erfchloffen fih dem Orden, ala 1377 
Dlgierd ftarb und fein Sohn Jagal, beftrebt dag ganze Land 
zu gewinnen, um feine Freundſchaft warb. Heimlich traf Jagal 
auf einem Jagdausflug mit dem Bevollmächtigten des Hoch— 
meifters zufammen: er verfpradh gegen Preußen und Livland 
nit? zu unternehmen, wenn er auch Kynftut zum Schein 
Heeresfolge leiftete. Zum Kampf gegen diefen gewährte er dem 
Ordensheer Durchzug; ſcheinbare Feindfeligfeiten follten Kynſtut 
tãuſchen. Da fiel dieſer 1381 plötzlich über den verräteriſchen 
Neffen her und nötigte ihn zur Flucht nad) Witebsk. Bald aber 
ftand derjelbe, von dem Orden unterftügt, in Waffen. Zugleich 
brach gegen Kynftuts Sohn Witowd ein Aufruhr aus. Ein 
wechſelvoller Kampf entbrannte. Da machte Jagal Vergleiche: 
vorſchläge. Thöricht begab ſich der greife Kynftut mit feinem 





78 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (Bid 1598). 


Sohn in das Lager des Neffen: er wurde gefangen und endete 
bald im Kerker. 

Während feinem Verhältnis zu Polen und Litauen dauernd 
ernfte Verwickelungen drohten, ftieg unter Winrich von Kniprode 
der Einfluß des Ordens auf die Geftaltung der baltiſchen An: 
gelegenheiten. Dazu wirkte die eigentümliche Doppelftellung der 
größeren Stäbte Preußens. Seit der Mitte des 14. Jahr: 
hunderts erſcheinen erft Thorn, Kulm und Elbing, dann auch 
Danzig, Braunsberg und Königsberg als Glieder der Hanfa 
und nahmen als jolde an der auswärtigen Politif der Hanfa 
teil wie freie Städte, während fie mit ihren inneren Angelegen- 
beiten von dem Landesheren abhängig blieben, fi auch wohl 
darauf beriefen, um fi läftigen Anforderungen ber Hanja zu 
entziehen. Dieſes Doppelverhältnis erlangte um fo größere 
Bedeutung, je mehr ber Handel der preußiichen Städte erblühte 
und die Hanja zur Trägerin einer eigenen See- und Hanbele- 
politif emporwuchs. Die preußifchen Städte waren namentlich 
an den ffandinavifhen Intereſſen der Hanfa, befonders dem 
Heringsfang und Heringshandel intereffiert. Als es nad dem 
Ueberfall Wisbys durd) Waldemar IV. 1361 zum Krieg der 
Hanfa gegen Dänemark kam, leifteten die preußifchen Städte 
troß der Neutralität des Ordens dazu wenigftens finanzielle 
Beihilfe, indem fie das Pfundgeld einführten. Dann aber in 
den Stillſtand nicht ausdrücklich eingeſchloſſen, fahen fie ihren 
Handel durch die Dänen empfindlich gefhädigt und drangen 
auf baldige Erneuerung des Krieges. Als diefelbe 1368 erfolgte, 
nahmen die preußifchen Städte mit 500 Mann und fünf Schiffen 
daran teil und erhielten in dem Stralfunder Frieden vom 
24. Mai 1370, der den Höheftand der hanſiſchen Macht im 
Norden bezeichnet, ihren Anteil an dem Heringsfang in Schonen 
wieder. Wie leicht aber fonnte auch einmal die auswärtige 
Rolitif des Ordens mit der der Städte in Widerſpruch geraten! 
Würden die Städte die ohne fein Zuthun gewonnenen Rechte 
und Reichtümer dem Orden in jedem Falle für feine Zwecke 
zur Verfügung ftelen, nit vielmehr, in fo wichtigen Fragen 
der Zugehörigkeit zum Ordensſtaate entwöhnt, ein foldes Ver- 
langen als Eingriff in ihre Gerechtſame abweijen? 


I. Der Staat des Deutſchen Drdens in Preußen. 79 


Uebrigens vertrat auch der Orben ſelbſt feine Städte energifch 
nad außen. Verletzungen der hanſiſchen Privilegien in Eng- 
land veranlaßten Klagen der preußiſchen Städte und ſchließlich 
Repreffalien gegen die engliſchen Kaufleute in Preußen, bie 
dann wieder entiprehende Gegenmaßregeln in England zur 
Folge hatten. Da die Hanfa unthätig blieb, wurde Winrich 
von Rniprode zum Eingreifen veranlagt. Dennod wurden nad 
Eduards IN. Tod (1377) in England preußiihe Schiffe und 
Waren als feindliche behandelt, und erſt 1379 fam ein Ver- 
glei zu flande, der den preußiſchen Städten Schadenerſatz 
verhieß. Erneute Streitigkeiten aber veranlaßten einen fürm- 
lichen Zol- und Handelskrieg. Da ergriff Winrich ernfte Map: 
regeln gegen England. Aber erft das noch energifchere Vorgehen 
feines Nachfolgers Konrad Zöllner von Rothenftein bewirkte 
eine befriedigende Löfung des Konfliktes. Aehnliche Differenzen 
gab es 1379 mit Franfreih, doch mies auf des Hochmeiſters 
Erſuchen König Karl VI. feine Küſtenwächter alabald an, Leute 
und Schiffe des Ordens und der Hanfa nicht mehr zu beläftigen. 
Auch ſchenkte er dem Orden eine koſtbar gefaßte Partikel des 
heiligen Kreuzes, wie einige Zeit zuvor Kaifer Karl IV., der 
nicht zu feinen zuverläffigen Freunden gehörte, ihm eine Reliquie 
der heiligen Katharina geſpendet hatte, von ber aus dieſem 
Anlaß ein koſtbares, aus Silber getriebenes und vergoldetes 
Bildnis bergeftellt wurde. 

So hat Winrich von Aniprode, weithin als Haupt eines 
mächtigen Staates gefeiert, länger als ein Vierteljahrhundert 
feines fürftlichen Amtes gewaltet, mehr Staatsmann als Krieger, 
um eine friedliche Zukunft bemüht. Das lehrt namentlich auch 
jeine litauiſche Politit. Den Befig des Ordens im unteren und 
mittleren Memelthal zu fihern beftrebt, wollte er doch zugleich 
die alte Feindſchaft befeitigen und ein friedliches Nebeneinander 
beider Völker ermöglichen. Schon wurden die Litauerfahrten, 
deren Widerfinn und Roheit ihm nicht entgangen fein fann, 
gelegentlich auch in weiteren Kreifen abfälig beurteilt: man 
erfannte den fundamentalen Widerſpruch, an dem ber Orden und 
fein Staat frankten. Hier entiprang wohl aud) des Hochmeiſters 
Bemühen, mit der Kirche des Ordenslandes in gutes Einver: 


80 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


nehmen zu kommen. Den alten Zwiſt mit dem Erzbifhof von 
Niga beglich er, indem er der Herrſchaft über die Stadt ent- 
fagte, doch behielt der Orden fein feftes Haus und durfte die 
Bürger auch in Zufunft zum Kriegsbienft aufbieten. Streitig- 
feiten mit ben Bifchöfen von Samland und von Ermeland 
wurden beigelegt. Auch ließ die Kircenfpaltung dem Orden 
unbequeme hierarchiſche Tendenzen damals nit auffommen, 
und auch von feiten des Reiches ift Preußen in feiner Weife 
als ihm zugehörig oder gar untergeordnet in Anſpruch ge— 
nommen worden. Unabhängig von den höchſten kirchlichen und 
weltlichen Gemwalten, in dem jelbftbegründeten Recht fiegreicher 
Eroberung und fiegreiherer Kulturarbeit wurzelnd, gefeftigt 
durch die praftifhe Bewährung feiner den Verhältniffen meifter- 
haft angepaßten Organifation, ein Militär: und Beamtenftaat, 
der doch feine von den Aufgaben ftaatlicher Friebensarbeit ver= 
fäumte, getragen von dem einmütigen Zuſammenwirken ber eins 
ander jonft überall befämpfenden Stände — fo erſchien Preußen 
damals den Stammesgenofjen daheim ala das „neue Deutſch- 
land“. Und doch war aud in ihm bereits ein Berfegungsprozeß 
im Gange, deſſen zerftörende Wirkungen der erfte Sturm von 
außen furdtbar offenbaren foltte. 


3. Der Fall des Ordensfantes. 1382—1466. 


Der Orden blieb nicht unberührt von der Auflöfung des 
gejamten mittelalterlihen Lebens. Wurzelte fein Staat doch 
in deſſen firhlichen, gefelihaftlihen und wirtſchaftlichen Ver— 
hältniffen, deren fortichreitender Verfall aud ihm ergreifen 
mußte. Die Emanzipation des Staates von der Kirche, die 
Ausbildung nationaler Monardien und das Auffteigen des 
Bürgertums zufammen mit der Wandlung bes wirtiaftlichen 
Lebens entzogen ihm die bisherigen Bedingungen bes Dajeins. 
Adel und Nittertum verloren die leitende Stellung mit dem 
militärifehen Uebergewicht. Dem Fußvolk und den Feuerwaffen 
gehörte die Zukunft. Zwar ging der Orden gerade auf diejem 
Gebiet mit der Zeit und hielt fein Kriegsweſen auf der Höhe. 
Neben ber ſchwergerüſteten Neiterei der Ordensritter und des 


1. Der Staat bes Deutſchen Ordens in Preußen. 81 


dienſtpflichtigen Lehensadels bildeten ſeine Heere die zu Fuß 
fechtenden ſtädtiſchen Aufgebote, und auch durch Berufsſoldaten 
hat er ſie zeitig ergänzt. Genueſiſche Schützen warb er bereits 
1394, burgundiſche 1397, und zu Anfang des 15. Jahrhunderts 
Schweizer. Cine „Bombarde” brauchte er ſchon 1381 gegen 
eine litauiſche Feſte. Die preußifhen Flüſſe befuhren zinnen— 
gekrönte Kriegsſchiffe; jpäter ftellten ihm die Seeftäbte ftattliche 
Slotten. Nur hoben ſolche Fortſchritte doch den Widerſpruch 
nit auf, an dem er innerlich krankte. 

Zu Armut, Gehorfam und Keufchheit verpflichtet, lebten 
diefe Rittermönde in Reichtum, Herrſchaft und Weppigfeit. 
Hatte die Ordensregel einft für eine pflihttreue Regententhätig- 
teit den Rahmen abgegeben: den erftarfenden weltlihen In: 
terefien erlagen bie Gebote ritterliher Tugend und Frömmig: 
feit. Und doch blieb der Rechtstitel für die ganze Stellung 
des Ordens ber Kampf gegen die Ungläubigen. Durften aber 
die zu greulihen Menſchenjagden entarteten Litauerreifen als 
ein folder gelten? Schien nit vielmehr diefes ritterliche 
Treiben nur ein Deckmantel für bie Befriedigung jeder Be— 
gierde? Wenn es fpäter von ben Gebietigern hieß, fie fagten: 
Was ift kulmiſch Recht? Wir find euer Net! — fie zwängen 
die Schöffen zu Urteilen nad ihrem Willen, vergewaltigten 
ehrbare Leute, mißachteten die verliehenen Handfeften, be— 
reicherten fi widerrechtlich, vernadjläffigten ihre kirchlichen 
Pflichten, Tebten in Unkeuſchheit und ließen die preußifchen 
Bauern bei heidniſcher Abgötterei: fo handelt es fi do um 
Webelftände, die erſt allmählich jo ſchreiend wurden, den An- 
fängen nad} aber ſchon zu Ende des 14. Jahrhunderts vorhanden 
waren, wie ja auch die Reformbeftrebungen Winrichs von Knip- 
rode zeigen. 

Auf die zunehmende Unkirchlichkeit des Ordens allein, 
die er mit der ganzen Zeit teilte, wird das nicht zurüdzu: 
führen fein. Doch rüdten ihn fchon feine Konflikte mit dem 
Papittum gelegentlich in ein befonderes Licht, und die Kurie 
trug fi mit dem Gedanken an feine „Reformation“. Welcher 
Art fie fein würde, ließ fi erraten. Gewiß hätte Polen gern 
die Hand dazu geboten. Unvergeſſen war dort, was man 

Prus, Preußilhe Gebihte. 1. 6 


82 Erſtes Bud. Die Elemente bes preußifhen Staates (bis 1598). 


durch den Orden verloren hatte, und dauernd fürdhtete e8 neue 
Verlufte. Aber die Erfenntnis feiner Weberlegenheit nötigte 
die erfehnte Vergeltung zu vertagen. Die Art, wie er nad 
Kynftuts Tod den Hader Witomds mit Jagal benugte, um 
fi) eines Teild von Samaiten zu bemädtigen, mußte den 
alten Haß der Litauer noch fteigern. Und nun wurde nad 
dem Tode Ludwigs des Großen von Ungarn und Polen eben 
diefer Jagal, getauft und Ludwigs jüngerer Tochter Hedwig 
vermählt, als Wladislam II. König von Polen. Mußte er 
aud feinen Vetter Witomd als Großfürften von Litauen jelb- 
ftändig laſſen, fo entitand doch ſchon durch diefe Iodere Ver: 
einigung beider Reihe eine Macht, in der fi die alte Feind: 
{haft der Polen mit dem tödlichen Haß, welder die ftets 
befämpften und nie überwundenen, jahraus jahrein wie wilde 
Tiere gehegten Litauer erfüllte, zu leidenfhaftlihem Streben 
nad) Vernichtung des Ordens verband, und das zu einer Zeit, 
wo das Slaventum auf der ganzen Linie gegen die Deutichen 
anftürmte. Zudem nahm die Bekehrung der Litauer dem Orden 
mit dem Glaubensfampfe den Redtätitel, auf dem feine Aus: 
nahmeftellung beruhte. 

Zum Glüd konnte der Orden fi) noch rechtzeitig aus dem 
Handel löfen, der ihm der Inſel Gotland wegen in einen 
Kampf mit den fkandinavifchen Reihen zu verwideln drohte. 
Dort hatte die Entthronung des Schwedenkönigs Albrecht von 
Medlenburg durch Margarete von Dänemark und Norwegen 
einen Krieg veranlaßt, in den mit der Hanſa auch Danzig, 
Elbing und Thorn gezogen waren. Ihn benugten däniſche und 
deutſche Seeräuber, um, angeblid als Parteigänger Albrechts, 
fi auf Gotland, einft dem Knotenpunkt des norbifchen Handels, 
einzuniften und thaten von da aud den preußifchen Seejtäbten 
ſchweren Abbruch. Deshalb jandte der Orden im Frühjahr 1398 
gemeinfam mit den preußiſchen Ständen 4000 Mann auf 
84 Schiffen dorthin und nahm die Infel nad) dem Abzug ber 
Seeräuber in Beſitz, die Albrecht von Medlenburg, obgleich 
darüber zu verfügen nicht berechtigt, ihm um eine beträdhtliche 
Summe verpfändete, Unmöglich konnte die Königin Margarete 
auf ein jo anfechtbares Gejhäft Hin eine ſolche Macht fich dort 


I. Der Staat des Deutfhen Ordens in Preußen. 83 


feftjegen laffen. Jahrelang wurde deshalb verhandelt. Doch 
kam es troß der Mäßigung des bedächtigen Meifters Konrad 
von Jungingen ſchließlich zum Bruch. Die Dänen eroberten 1403 
Gotland bis auf Wisby; von dort aus gewann der Orden 
es 1404 zurüd, nahm dann aber die früher abgemwiejene Ver: 
mittelung der Hanſa an und wich wegen bes drohenden Krieges 
mit Polen und Litauen jchließlih fo weit zurüd, daß ein 
Unternehmen, das ihn hätte zum Herrn der Oſtſee machen 
tönnen, als gewöhnlicher Pfandhandel endete. Albrecht von 
Medlenburg, der feine angeblichen Rechte auf die Inſel erft 
dem Orden verkauft hatte, überließ fie dann Margarete. 
Daraufhin von den drei nordiſchen Reichen bedroht, gab Konrad 
von Jungingen Gotland auf, als er im Juni 1407 durch den 
von Lübeck vermittelten Vertrag von Helfingborg mit 9000 No— 
bein wenigftens für die dort aufgeführten Bauten entſchädigt 
wurde. 

Diefer Ausgang jhädigte des Ordens Anjehen auch bei 
feinen Unterthanen. Verzichtete er doch auf eine Politik, die, 
wie der Eifer der Stände bei dem erften Zuge nach Gotland 
gezeigt, aller Beifall hatte. Bei dem Kampf mit Litauen und 
Polen lag das anders. Was fonnten die Stände Preußens 
da gewinnen? Die Polen benachbarten Landidaften, wie Pom- 
merellen und das Kulmer Land, hatten nur Schaden davon zu 
erwarten. Zudem ſcheint dort die Ordensherrſchaft bereits 
läftig empfunden zu fein. Der in Preußen heimisch gewordene 
Adel war von dem Orden jo gut wie ausgeſchloſſen, und die 
wenigen, die Aufnahme fanden, kamen nicht in die höheren 
Aemter, fondern mußten fi mit dem Dienft bei dem Hoch— 
meifter, den Gebietigern und den Landesbiihöfen begnügen. 
Die dadurch erzeugte Verftimmung wuchs von Geſchlecht zu 
Geſchlecht. Auch blieb der heimifche Adel an politiſcher Bildung 
und Regſamkeit gegen die Städte zurüd. In dem benachbarten 
Volen aber jahen die Herren ihre Standesgenofjen immer größere 
Rechte gewinnen. Daher richtete fi denn auch der Ritterbund 
der jogenannten Eidechſengeſellſchaft, der 1397 im Kulmer Lande 
entitand, nicht, wie ähnliche Verbände in Deutſchland, gegen 
die Städte, fondern verfolgte von Anbeginn eine Polen freund: 


84 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


liche Richtung. Dabei hatte der Adel Anteil an der Verwaltung, 
infofern gewiſſe Leiftungen nur auf Grund feiner Bewilligung 
gefordert werden konnten. Infolge diefer ſtändiſchen Entwidelung, 
die im Kulmer Lande am meiteften gediehen war, übten bie 
zu Ständetagen vereinigten Vertreter des Adels und der Städte 
gewohnheitsrechtlic auf gewiſſe Zweige des Staatslebens be- 
ftimmenden Einfluß, zunächſt auf das Steuerweſen und fo auch 
auf bie Geſetzgebung und in bejonderen Fällen ſelbſt auf die 
auswärtige Politik. 

Auch das Verhältnis des Ordens zu den Städten war 
almählich gewandelt. Hatten die Städte gelegentlid) ſogar eine 
von der des Ordens abweichende auswärtige Politik verfolgen 
dürfen, empfanden fie Einſchränkungen, die ihnen auf anderen, 
minder wichtigen Gebieten auferlegt wurden, um jo ſchwerer, 
am meiften die, welche ihren Handel behinderten. Nun konnte 
ber Orden von ben Naturallieferungen, die ihm von den Inter: 
thanen zugingen, doch nur einen Heinen Teil felbft verbrauchen; 
den Ueberſchuß vertauſchte er gegen ausländiſche Produfte. 
Diefes kaum anfehtbare Gefhäft aber erweiterte er allmählich, 
indem er aud) anderweitig erworbene Vorräte erportierte und 
fremde Artikel über den eigenen Bedarf hinaus importierte und 
im Lande mit Gewinn verkaufte. So machte er ſchließlich als 
ein über riefige Mittel verfügender Großfaufmann dem Handel 
feiner Städte erdrüdende Konkurrenz. An der Spitze ftand 
der Großfchäffer zu Marienburg, der in den preußifchen Städten 
jeine Schäffer und in den Handelszentren des Auslandes feine 
Kieger ala Kommiffionäre und Agenten hatte. Namentlich der 
Getreidehandel nad Skandinavien und England wurde faft 
Monopol des Landesheren. Die damit betrauten Beamten 
umgingen, fo Elagte man, ungeftraft die Landesgejege, indem 
fie von ihren Schiffen das Pfundgeld nicht zahlten, eine zuerft 
1361 in den hanſiſchen Häfen erhobene Abgabe, Ausfuhrverbote 
mißachteten und für ihre Forderungen zum Nachteil anderer 
Gläubiger ein Vorzugsreht beanſpruchten. 

Wirtſchaftliche Konflikte, foziale Gegenfäge und politifche 
Differenzen hatten aljo die ſchöne Einheit bereits geftört, zu 
der die Bevölkerung Preußens verbunden gemefen war, als in 


1. Der Staat des Deutigen Ordens in Preußen. 85 


Wladislam IT. vereinigt die Todfeindſchaft der Litauer und der 
Nationalhaß der Polen endlich ihre Zeit gefommen fahen. Die 
Tüchtigkeit des Ordens beftand die Probe jo wenig wie bie 
Treue jeiner Unterthanen: fo führte ein unverjchuldetes Miß— 
geichick im Felde zu einer folgenſchweren Kataftrophe im Innern. 
Was einjt das Glüd Preußens geweſen, daß es ftatt eigen- 
nügigen Dynaftien einer in ben Dienft einer großen bee 
geftellten Genofjenfhaft unterthan war, mwurbe jegt fein Ver: 
hängnis. Es verbitterte den Konflikt zwiſchen Herrſchern und 
Unterthanen und machte aus dem Kampf um ein politifches 
Prinzip ein mwüftes Ringen um materielle Interefjen. Indem 
eine in überwundenen Anfhauungen mwurzelnde Genoſſenſchaft, 
deren Glieder die der Gejamtheit zuftehenden Befugniſſe für fi 
perſönlich nugbar machten, die ihr Recht heifchenden Stände 
um jeden Preis niedertreten wollte, trieb fie fie in das Lager 
des Grbfeindes und verkürzte in heillofer Werblendung den 
Geſamtbeſitz der deutſchen Nation um ein koſtbares Stüd, 
Lagen die Gründe für den Zufammenftoß zwiſchen Polen 
und dem Orden in der Gejhidhte der legten anderthalb Jahr: 
hunderte: den Anlaß gaben neue Streitigkeiten über wichtige 
Grenzgebiete. Um 50 000 ungarifche Gulden hatte 1391 Herzog 
Wladislaw von Oppeln einen Teil der Herrſchaft Dobrin, an 
der Mündung der Drewenz in die Weichjel, dem Orden ver: 
pfändet und dieſer 1392 bejegt. Wladislam II. hatte das ge— 
ſchehen laffen müflen, weil er, in Streit mit Witomd, es mit 
dem Orden nicht verderben mochte. Erft als Witomd und ber 
König verjöhnt war, verfändigte fi der Orden 1404 mit 
ihnen dahin, daß er gegen Erftattung der Pfandfumme Dobrin 
herausgab und dagegen Samaiten erhielt. Schon war aber 
ein ähnlicher gefährlicher Konflikt entftanden. Nach langen 
Verhandlungen hatte im Sommer 1402 König Siegmund von 
Ungarn als Markgraf von Brandenburg die Neumark für 
63200 ungarifche Gulden dem Orden verpfändet, für den fie 
wegen der Verbindung mit dem Reiche befonders wichtig war. 
Dagegen erhoben nicht bloß der Adel des Landes und Polen, 
ſondern aud) die Pommernherzöge und Siegmunds luxemburgiſche 
Verwandte Einfprade. Insbeſondere forderte Wladislaw II. die 


86 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


Herausgabe des auf einer Negeinfel gelegenen feften Hauſes 
Driefen, das der von ihm Iehensabhängige Befiger ebenfalls 
dem Orden überantwortet hatte. Die Verhandlungen Tiefen 
erkennen, daß es Polen nur um einen Vorwand zu thun war, 
um im rechten Augenblid loszuſchlagen und den Revandefrieg 
zu beginnen. Das vereitelte die vorfichtige und verſöhnliche 
Haltung Konrads von Jungingen. Defien Nachfolger aber, 
fein Bruder Ulrich (1407—1410), zog thatenluftig dem un— 
fiheren und unehrlien Frieden den Krieg vor. Al daher 
Witomd, obgleich Vermittler in der Driefener Etreitfache, einen 
Aufftand der Samaiten unterftügte und Wladislam II. feine 
Partei nahm, erklärte er am 6. Auguft 1409 beiden ben Krieg. 
Schnell eroberte der Orden das Dobriner Land: da ſchloß 
der Polenkönig Anfang Oktober einen neunmonatlihen Waffen: 
ftilftand auf Grund des gegenwärtigen Befigftandes. Ver: 
mittelungsverfuche Wenzels von Böhmen blieben erfolglos. 
Preußen war von fieberhafter friegerifcher Thätigkeit erfüllt; 
aber wir hören nicht, daß man irgendwo verjucht habe, ſich 
den ſchuldigen Leiftungen zu entziehen. Das polniſche Heer 
verftärkten barbariſche Scharen, Samaiten und Rufen, ja jogar 
Tataren — angeblih 30000 Mann, die Witomd herbeirief. 
So wurde der Orden wieder der Vorfämpfer des Deutſchtums 
und der Kultur gegen Heidentum und Barbarei. Sein Haupt: 
heer jammelte er im ſüdweſtlichen Teil des Landes zwifchen 
Schwetz und Engelöburg, wo einerjeits die Meichjel von Thorn 
bis zur Mündung ber Brahe gegen Kujavien, andererjeits die 
Dremenz gegen das Tobriner Land die Grenze bildete, um 
fi) dahin zu wenden, wo die Feinde diefe meftöftliche Linie 
überfchreiten würden. Mit dem Ablauf des um zehn Tage 
verlängerten Waffenftilftandes, während defien der Ungarnkönig 
Siegmund nochmals zu vermitteln verfucht hatte, ging Wladis— 
law am 30. Juni mit dem Reichsheer bei dem Kloſter Gzer: 
winsk nächſt Plod über die Weichfel, vereinigte fi mit dem 
längs bes Narew heranziehenden Witowd, überfchritt am 9. Juli 
bei Zautenburg die Grenze des öftlichen Kulmer Landes, um weſt⸗ 
wärts über die zur Weichjel fließende Trewenz in das Herz des 
Landes einzubrehen. Sengen und Brennen bezeichnete feinen Weg. 


I. Der Staat deö Deutfhen Ordens in Preußen. 87 


Ulrich von Jungingen hatte den Angriff weſtlich von ber 
Weichſel auf Pommerellen erwartet. Doc; dedte er bie Dremenz: 
linie nod) rechtzeitig. Der König fand die Furt über die obere 
Drewenz bei Kauernik geſperrt und ftarf bejegt. Da trat er 
ſcheinbar den Rückzug auf Lautenburg an, ſchwenkte aber 
plötzlich links, nad Norden, ab und erreichte jo am 13. Zuli 
Gilgenburg, das greulich verwüftet wurde. Auf biefe Kunde 
eilte das Ordensheer durch einen Nachtmarſch unter Sturm 
und Regen heran und ftieß am 15. Juli früh bei Grünfeld 
und Tannenberg auf die Polen, die norbwärts vorgerüdt waren 
und am Laubenfee lagerten. Hätte es fie angegriffen, bevor 
fie aus dem wald: und fumpfreihen Hügelland in die Ebene 
kamen, wäre ihm der Sieg nicht entgangen. Aber die Ermüdung 
der Truppen und ber ritterliche Brauch, dem der Angriff auf 
den ungeordneten Feind nicht für ehrenhaft galt, beftimmten 
die Führer zu warten. So kamen die Polen ins Freie und 
ftellten fi in Schlachtordnung, auf dem reiten Flügel Witowd 
mit den Litauern und barbarifchen Hilfevölfern, auf dem linken 
die Polen. Aber erft auf eine förmliche Herausforderung des 
Hocmeifters befahl der König um Mittag den Angriff. In 
der Senkung zwifchen den von ihnen bejegten Terrainwellen 
prallten die Reihen zufammen. Nach einer Stunde blutigen 
Ningens wandten fih die Litauer zur Flut. Auch die Polen 
wankten, und als der linke Flügel des Ordensheeres, von der 
Verfolgung der Litauer zurückkehrend, ſich auch gegen fie wandte 
— es war etwa drei Uhr nachmittags —, da ftimmten bie 
Deutſchen fiegesfroh das „Chrift ift erftanden” an. Aber die 
Polen hielten ftand. Konnten fie doch bei ihren minbeftens 
35 000 Mann, den Deutihen, die etwa 19 000 Mann zählten — 
14.000 Reiter und 5000 Mann zu Fuß —, immer neue Mann— 
haften entgegenwerfen, während dieſe längft ihre legten Ne: 
ferven eingefegt hatten. Als die Polen zum Angriff übergingen, 
unterbrüdte ein Zeil ber preußiſchen Landritter, voran die 
Genofien des Eidechſenbundes, ihre Banner und eilten davon. 
Da fprengte der Hochmeifter felbft mit etlihen Fähnlein gegen 
das feindliche Zentrum, mo Wladislam neben dem Reichsbanner 
hielt: er wurde mit ihnen zufammengehauen. Nun wandten 





88 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


ſich auch die übrigen zur Flucht. Die einen warfen fih auf 
die Wagenburg: mit reicher Beute fiel fie in die Hände der 
Sieger. Die anderen wurden, von den die Gegend bededenden 
Seen und Sümpfen behindert, niedergemacht oder gefangen. 

Die Blüte des Ordens bedte das Schlachtfeld. Bon den 
Gebietigern lebten nur noch einzelne. Glänzend hatte die 
Tapferkeit der deutſchen Herren fih bewährt, und doch fehlte 
es jegt nicht am ſolchen, die, nur auf ihre eigene Rettung 
bedacht, die ihnen anvertrauten Burgen feige verließen und, 
Geld und Gut zufammenraffend, nad) Ablegung des Ordensfleides 
ins Reich flohen. Der Landadel, voran der längit zu Polen 
neigenbe des Stulmer Landes, eilte durch jchnelle Unterwerfung 
des Sieger Gunſt zu gewinnen. Vor allem glaubten die 
Städte die Zeit der Freiheit gefommen. „Nirgends fonft” — 
fo ruft ein Chronift aus — „hat man größere Untreue und 
ärgere Unzuverläffigfeit erlebt.” Mochte das zum Teil der 
Eigenart entipringen, die Kolonialbevölferungen anzuhaften 
pflegt: es enthielt doch eine vernichtende Kritif der Ordens: 
herrſchaft. Zudem trat hier der Staat den Unterthanen nicht 
in dem Sproß eines den Wandel der Zeiten überbauernden 
Herrſchergeſchlechts perjönlich entgegen, fondern in einer Ger 
noſſenſchaft, die mit ihnen nichts gemein hatte, da fie ſich aus 
der Fremde ergänzte. Jetzt hoffte man diefe vielföpfige Fremd: 
herrſchaft und die ihr entfpringenden Uebel loszuwerden, die 
durch fie erlangten Vorteile aber umverfürzt zu bewahren. Der 
Selbſtſucht der einen begegneten die anderen mit gleich hartem 
Eigennug. Würde das auch gejchehen jein, wenn die Herrſchaft 
bei einem im Lande heimifch gewordenen Fürftengejchlecht gelegen 
hätte, das in dem Staat nicht, wie der Orden, bloß eine Ver— 
forgung, ſondern zugleich mit feiner Vergangenheit feine Zus 
funft und feine Ehre zu verteidigen hatte? Aufgaben, wie fie 
der Staat damals zu löfen hatte, war ein geiftlicher Nitter- 
orden nicht gewachſen. Das bewies der Fortgang. Wenn der 
Ordensſtaat die Krifis, die mit der Schlacht bei Tannenberg 
hereingebroden war, ſchließlich noch überdauerte, jo lag das 
nur zum Teil daran, daß der Polenkönig den Sieg nicht zu 
benugen verftand, hauptfächlic aber daran, daß der Zwang 


I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 89 


der Not alle Gewalt in die Hand eines Mannes legte. Als diejer 
dann aber ben geretteten Orden auch innerlich neu geftalten, jein 
Neformator werden wollte, da wurde er als Tyrann und Ver: 
räter verfchrieen, entjegt und in elender Kerferhaft begraben. 

Dffen lag das Land vor dem Sieger. Selbit die Marien- 
burg war auf eine Verteidigung nicht eingerichtet. Mit ihr 
wäre ber Punkt gefallen, um den die Elemente des Wider: 
ftandes fich allein jammeln fonnten. Aber erft am 25. Juli fam 
Wladislam dort an. Inzwiſchen hatte der Komtur von Schwetz, 
Heinrih von Plauen, der, mit der Dedung Pommerellens 
beauftragt, nit mit bei Tannenberg gefochten Hatte, alles 
von Truppen Vorhandene gefamntelt, Proviant herangeführt, 
die der Verteidigung hinderliche Stadt niebergebrannt und die 
Einwohner in die Burg aufgenommen. Zum äußerften Wider: 
ftand entſchloſſen, wußte er Ritter, Söldner und Bürger mit 
dem gleihen Mut zu erfüllen. Zum Statthalter erhoben, waltete 
er wie ein Diktator: fo wurde er der Retter der Marienburg 
und des Orbensftaates. 

Während der hohe Klerus, voran die Biſchöfe von Kulm, 
Ermeland und Pomefanien, den Polen huldigte, der Landadel 
ſich ihm dienftbefliffen beugte und aus den Spolien des Ordens 
reich verforgen ließ und die Städte, obenan Elbing, dieſem 
Beifpiel nacheiferten, die wichtigfte aber, Danzig, fi) etwas 
zurüdhielt, um möglichſt große Privilegien herauszufchlagen, 
hielt Plauen die Marienburg jo lange, bis Mangel, Krank: 
heiten und Entmutigung bie unbisziplinierten Scharen ber 
Belagerer aufzulöjen anfingen. Auch wollte Witomb den König 
nicht zu mächtig werden laffen und drang auf Frieden. Am 
22. September zog Wladislaw ab und kehrte in das Dobriner 
Land zurück. 

Und ihm auf dem Fuße folgend, gewannen bie Ordens: 
ritter das Land wieder. Willig fehrten die meiften Orte zum 
Gehorjam zurüd, auch die größeren Städte, Danzig, wie es 
ſcheint, nicht ohne — freilich vergeblih — verſucht zu haben, 
die ihm vom Polenfönig gewährten Privilegien vom Orden 
beftätigt zu erhalten. Alsbald nahm man in Marienburg die 
Reorganifation des Ordens in Angriff. Sein Retter wurde 


90 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (Bis 1598). 


zum Meifter erhoben. Ebenda aber entjprang ein Gegenjag, 
der zu ernften Konflikten führen mußte. Blieb der Orden, wie 
er fi) eben gezeigt Hatte, jo war an feiner Spige kein Pla 
für einen Mann von fo ernft idealem Sinn, unerjchrodener 
Konfequenz und rüdjichtslojer Thatkraft wie Heinrich von Plauen. 
Schon an dem paffiven Widerftand der an dem alten Schlen- 
drian hängenden Brüder mußte er ſcheitern. Gelang es ihm 
aber den Orden emporzureißen, fo ergab das die Notwendigkeit 
einer Reform, die von feiner bisherigen Geftalt nur wenig 
übrig laſſen konnte. An dem Verſuche, ihn ohne radikale 
Wandlung lebensfähig zu machen, ift Heinrich” von Plauen 
tragifch zu Grunde gegangen. Das war ein Verhängnis auch 
für das Land. Denn Plauen begriff, dab es vor allem bie 
Kluft zu überbrüden galt, die ſich zwifchen Landesherrn und 
Unterthanen geöffnet hatte. 

Bei der Auflöfung der militärifhen Organifation des 
Landes war der neue Meifter für die Fortfegung des Krieges 
faft ausfchlieglih auf die aus Deutſchland zugezogenen Gäfte 
angewieſen. Diefe aber nötigten ihn, nad dem erften Heinen 
Mißgeſchick mit Wladislam zu unterhandeln. Den weiteren 
Ruſtungen ftellten ſich fteigende finanzielle Schwierigkeiten ent= 
gegen. Die unabgelohnten Söldner erwiejen fih als unzuver— 
läſſig. Hilfe von auswärts war nicht zu hoffen. Dod war 
aud Polen des Krieges müde. So fam am 1. Februar 1411 
in Thorn der Friede zum Abſchluß. Das Dobriner Land follte 
dauernd, Samaiten zunächſt für die Lebenszeit Wladislaws II. 
und Witowds bei Polen bleiben, über die anderen Streitpunfte 
ein Schiedsfprud ergehen. Das entiprad ja den gegebenen 
Machtverhältniſſen, war aber verhängnisvol für den Orden. 
In Samaiten verlor er das Gebiet, wo er im Kampfe gegen 
die Ungläubigen feine Exiſtenzberechtigung noch erweifen konnte, 
und die Möglichkeit der Verbindung mit Livland. Ein Geheim- 
vertrag verpflichtete ihn, für die Freilafjung ber zahlreichen 
Gefangenen binnen Jahresfrift in vier Terminen 100 000 Schod 
böhmiſche Groſchen, etwa 4500000 Mark, zu zahlen — eine 
Summe, die bei der Verarmung Preußens durch den Krieg 
unerſchwinglich war. 


I. Der Staat des Deutihen Ordens in Preußen. 9 


An diefem Vertrage ift der Orden während bes nächſten 
Menſchenalters elend zu Grunde gegangen. Denn das einzige 
ſichere Rettungsmittel anzuwenden, hinderte der Nitter ver: 
blendete Selbſtſucht, der fi die Unzufriedenheit mit dem neuen 
Meifter unheilvoll verband. Als ftrenger Rächer der ſchnöde 
verlegten Orbenspfliht trat Plauen unter die Brüder, nicht 
ohne Härte und Gemaltthätigfeit. Auch die Unterthanen fühlten 
feine eiferne Hand. Die Art, wie fein Bruder, der Komtur des 
Ordensſchloſſes zu Danzig, die zweideutige Haltung der reichen 
Stadt während bes Krieges ftrafte, indem er den fonft um ben 
Orden mwohlverdienten Bürgermeifter Konrad Letzkau nebſt einigen 
Ratsherren töten ließ, wurde dem Meifter zugerechnet. Dabei 
zwang ihn die finanzielle Not, die jener Geheimvertrag herauf: 
beſchwor, die Anfprüche an die Unterthanen unerhört zu fteigern, 
Scheine auszugeben und einen allgemeinen Schoß auszuſchreiben, 
der auch den Aermſten traf. Die wachſende Unzufriedenheit 
fand im Eidechſenbund, defien geheime Wünjche bei Tannenberg 
offenbart waren, eine organifierte Vertretung. Schon bot die 
Unpünktlickeit in Zahlung bes Löfegeldes Wladislaw und 
Witowd Anlaß, mit neuem Krieg zu drohen. Der Schiedefprud 
Siegmunds über Driefen fiel gegen den Orden aus, und 1412 
wurde die Neumark Polen als Pfand. für die rüdjtändige 
Zahlung zugeſprochen. So von Deutichland abgeſchnitten, mußte 
der Orden erliegen. Da appellierte Plauen an die Opferwillig⸗ 
feit des Landes, und die Stände gewährten ihn bie nötigen 
Mittel. Sahen fie doch, wie er aud) die Ordensbrüder heran- 
zog und ihre KRoftbarkeiten zum Einſchmelzen abzuliefern nötigte. 
Aber immer neue Anforderungen erhob Polen: es wollte nicht 
befriedigt fein, es wollte den Krieg. 

Gewiß war es politiſch und militäriſch richtig, wenn Plauen 
da nicht wartete, bis Wladislam angriff, ſondern losſchlug, 
ehe jener diplomatifh den Orden vollends ifoliert und fertig 
gerüftet Hatte. Bor allem aber galt es, den Kampf zur Sache 
des Volkes zu machen und diefes mit dem Orden neu zu ver— 
nüpfen. Dazu gewährte Plauen den Unterthanen über das 
Herlömmliche hinaus Anteil am Landesregiment. Zwanzig 
Vertreter des Adels und fiebenundzwanzig der Städte jollten 


92 Erſtes Yu. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


alljährlih in Elbing als Landesrat tagen. Aber eben das 
wurde ihm vom Orden als Verbrechen angerechnet: jeder Ritter 
jah dadurch die Macht gekürzt, die er als Träger der Staats— 
autorität zu eigenem Vorteil zu üben gewohnt war. Sie alle 
waren deshalb gegen den Krieg, und Plauen konnte fein Vor— 
baben durchführen nur im Gegenſatz zu dem ihn umgebenden 
Rat der Gebietiger. Das verftieß gegen bie Negel und ließ fein 
Regiment vollends als tyrannifch erfheinen, während man ihn 
den Unterthanen gegenüber ſchwächliche Nachgiebigfeit vorwarf. 
Dennod wurden drei Heere aufgeftelt. Kaum aber war das 
eine unter dem Ordensmarſchall Michael Küchmeifter von Stern: 
berg, einem perſönlichen Gegner des Meifters, in Majowien 
eingedrungen, als die Rebellion offen ausbrach. Der Marſchall 
führte das Heer nad) Marienburg zurüd, und während Plauen 
in aufflammendem Zorn die Meuterer gebührend zu ftrafen 
dachte, wurde er am 14. Oftober 1413 rechtswidrig feines 
Amtes entjegt. Wenn zur Begründung aud) Beſchwerden des 
Landes über feine Mißregierung angeführt wurden, jo waren 
fie wohl nicht von deſſen Vertretern, jondern von feinen Feinden 
im Orden erhoben, um den Gemaltftreih mit dem Schein der 
Volfefreundlichkeit zu umgeben, wie aud) der Krieg gegen Polen 
ihm durch Sterndeuter und Wahrjager gottloferweife aufgerebet 
fein folte. 

Mit dem Sturze feines Helden war bes Ordens Schidjal 
befiegelt: er wollte nicht gerettet fein, wollte nicht in ritter- 
lihem Kampf ehrenvoll untergehen, fondern, mühjelig ein un— 
fiheres Dafein friftend, fi von dem durch ftete Furcht ger 
ſchürten Haß der Polen gemwiffermaßen zu Tode quälen laffen. 
Schon im nächſten Frühjahr mußte Plauens Nachfolger Michael 
Küchmeiſter demütig um Frieden werben. Dabei jollte eine 
Verſchwörung entdedt fein, durch die Plauen, nun Komtur der 
Engelsburg, mit Polens Hilfe das Meiftertum hatte wieder: 
gewinnen wollen. Die Gemwalthaber fürdhteten ihn aljo noch. 
Daraufhin wurde er fieben Jahre in der Danziger Burg und 
dann in Brandenburg am Haff in Haft gehalten — wie uns 
würdig, lehrt ein Brief, worin er klagt, man habe ihm feinen 
Wein und Met und Honig fortgenonimen; ihm fehlen Brot, 


I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 93 


Fleiſch und Fiſche, und für einen Rod und Mantel dankt. 
Erft 1429 wurde er Pfleger in Lochftädt zwiſchen Pillau und 
Königsberg; dort ftarb er in demfelben Jahre. Bon dem ger 
planten Verrat ift nie etwas bewiefen worden. 

Auch feine Gegner wurden ihres Sieges nit froh. Mit 
Polen dauerte der Zuftand zwiſchen Krieg und Frieden fort, 
zehrte am Mark des Landes, entwürbigte den Orden nad) außen 
und untergrub fein Anſehen nad) innen.. Auch der Stillftand, 
der 1420 mit Rüdfiht auf die Huffitengefahr. in Breslau ver- 
einbart wurbe, befjerte nichts. Entmutigt dankte Küchmeifter 
1422 ab. Auch jein Nachfolger Paul von Rußdorf konnte 
weder die Zucht im Orden herftellen, noch die Unterthanen ge: 
winnen, nod das Verhältnis zu Polen befiern. Als es mit 
diefem doch endlich zum Kriege kam, machte er 1423 zu Melnofen 
gleich wieder Frieden, als die Stände es verlangten und fernere 
Hilfe verweigerten. Samaiten und Galindien wurden nun end: 
gültig aufgegeben, die Beftimmung aber, daß dem Teil, ber 
den Frieden bräche, feine Unterthanen nicht beizuftehen brauchten, 
gab den Ständen für den Fall eines neuen Krieges das Recht 
des Abfalls. Auch den Landesrat Plauens mußte Paul von 
Rußdorf in geänderter Geftalt erneuern: neben ſechs Gebietigern 
folten je fechs Vertreter der Prälaten, des Adels und der 
Städte die Regierung in allen wichtigen Fragen beraten, 
namentlid in der Ordnung bes Münzwefens, deſſen Zerrüttung 
Handel und Verkehr aufs ſchwerſte ſchädigte. Dazu wurden bie 
weftlihen Landſchaften durch die Huffiten Heimgefucht, die 1433 
bis Danzig famen. Und eben drohte ein neuer Krieg mit Polen, 
als der Tod Wladislams II. 1434 eine friebliche Wendung herbei: 
führte. Sein Nachfolger Wladislam III. ſchloß mit dem Orden 
1435 den fogenannten ewigen Frieden zu Brzesc, der mit dem 
dermaligen Beſitzſtand aud alle Streitpunfte fortbeftehen lich. 

Sofort entbrannte nun der Kader im Innern wieber 
heftiger. Im Orden veranlaßten landsmannſchaftliche Verbände 
Parteiungen. Paul von Rußdorf und der Deutſchmeiſter Eher: 
hard von Saunsheim erhoben Öffentlich gegeneinander die ärgften 
Anklagen und riefen die Unterthanen teils zu Richtern, teils 
zu Zeugen auf. Um fo einmütiger hielten bieje zufammen, 


94 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


wie die Städte längft geſchloſſen handelten. Namentlich traten 
fie den fiskaliſchen Künften entgegen, durch die der Orden feiner 
Finanznot abzuhelfen fuchte. Dabei hatten jeit 1439 Elbing, 
Kulm und Thorn die Führung. Am thätigften war bie Oppo— 
fition im Kulmer Lande und in Pommerellen. Dort verbanden 
fi) auch zuerft Landadel und Städte zu gemeinfamem Handeln, 
bei dem man ſchon damals auf Polen rechnete. Daraus erwuchs 
im März 1440 der Marienwerderer Bund, der die Städte und 
Adligen des Kulmer Landes, eines Teils von Pommerellen, 
der Gebiete Ofterode, Chriftburg und Elbing und der Bistümer 
Niefenburg und Ermeland, das heißt beinahe des ganzen weft 
lihen Preußens, einigte zur Abwehr jeder von der Landes» 
berricaft drohenden Gewalt. Paul von Rußdorf beftätigte ihn 
wohl in der Hoffnung, darin einen Rüdhalt gegen die Oppo— 
fition im Orden felbft zu gewinnen: um fo heftiger wurde er 
von den Brüdern angegriffen. 

So herrſchte in Preußen bereits ein latenter Bürgerkrieg, 
und dem 1449 erhobenen Meifter Konrad von Erlichshauſen 
huldigten die Stände erft, nachdem er die von ihnen diftierte 
Wahlfapitulation angenommen hatte. Als dann aber der 
meuternde Orden ihn zum Verbot des Marienwerberer Bundes 
nötigte, begann der legte Aft in dem Todesfampf des Ordens» 
ftaates. Dem Auflöfungsbefehl weigerte der Bund den Gehorfam, 
Gewalt drohte er mit Anſchluß an Polen zu beantworten. Daß 
der Orden darauf gegen ihn beim Kaiſer klagte, war ein offenes 
Bekenntnis feiner Ohnmacht. Und ſchon ritt Gabriel von Baijen 
an den polnifhen Hof, um im Namen des Kulmer Landes wegen 
der Uebergabe zu unterhandeln. Daß der Orden die Einhebung 
einer für die gemeinfame Verteidigung beftimmten Bundes: 
umlage verbot, jteigerte die Erbitterung, zumal aud bie 
päpftlihe Kurie mit kirchlichen Strafen drohte Dennoch 
wartete der Bund den Ausgang des Prozeſſes am kaiſer— 
lichen Hof ab. Dabei hat der Orden verräterijchen Ueber— 
fall der zu Hofe reifenden Bundesgejandten jo wenig geſcheut 
wie die Vorlegung gefälihter Urkunden. Durch Beltehung 
erwirfte er jchließlih, daß der am 1. Dezember 1453 er— 
gehende Spruch den Bund als widerrechtlich auflöjte, die 


I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 95 


Glieder zu ſchweren Geldftrafen und die Häupter zum Tode 
verurteilte. 

Die Antwort war die Ergebung an Polen. Durch Ver: 
jagung der Orbensbefagungen gaben Thorn, Kulm und Danzig 
das Zeichen zum Aufftand. Schnell war das Land für den 
Orden fo gut wie verloren. Aber es lebte in diefem noch einmal 
die alte kriegeriſche Tüchtigkeit auf. Dreizehn Jahre lang hat 
er lich des Aufruhrs ermwehrt. Im Often, wo die polniſchen 
Sympathien und die Organijation zu gemeinfamem Widerftand 
fehlten, behauptete er feine Herrſchaft. Und daß er im Weiten 
unterlag, bewirkte nicht die Ueberlegenheit der Gegner, fondern 
die Erjhöpfung feiner finanziellen Mittel, die dem Abfall der 
Unterthanen den der zu ihrer Bekämpfung gemorbenen Söldner 
folgen ließ. Die Ordensburgen, die ihnen 1455 für den rüd- 
ftändigen Sold verpfändet waren, verkauften biefe 1456 den 
Polen. Zwar kehrte Marienburg 1457 unter dem Bürgermeifter 
Bartholomäus Blume noch einmal zu dem rechtmäßigen Heren 
zurüd, wurde aber von den Polen wieder genommen. Blume 
endete unter den Beil des Henkers. Dennoch famen des Ordens 
Gegner auch jegt nicht zum Ziel. Als 1466 ber zweite Thorner 
Friede den unter beiipiellojer Verwüftung des Landes geführten 
Krieg beendete, ging zwar der weftliche Teil Preußens unter 
feierlicher Verbriefung feiner Freiheiten und Rechte in polnifche 
Schughoheit über, die Danzig und Thorn nahezu republifanifche 
Freiheit ficerte, im öſtlichen aber blieb die Herrihaft dem 
Orden, jedod unter der Hoheit Polens, dem fein Meifter als 
Vaſall Huldigen follte. 

Wie lange konnte ein fo unnatürliher Zuftand dauern? 
Woher jollte Weitpreußen, nun das gelobte Land ftändifcher 
Selbftregierung, außerhalb jedes größeren ftaatlichen Verbandes 
und innerlich vielgeteilt, die Kraft nehmen, um dem Drude des 
nun doppelt zuverfichtlihen Polentums zu widerftehen? Schwer 
bat es den Abfall vom Orden und von der deutfhen Sade 
gebüßt. Mochten Danzig und Thorn dank ihrer kommerziellen 
Macht ihre Freiheit behaupten: fie haben doch nicht hindern 
tönnen, daß ein Jahrhundert jpäter der Lubliner Reichstag 
(1564), trog der feierlichen Zufagen Kaſimirs IV., das Land zur 


96 Erſtes Buch. Die Elemente des preußifchen Staates (bis 1598). 


polniſchen Provinz herabdrückte. Damit verfiel es aud) der 
katholiſchen Reaktion. Und mit der Katholifierung ging die 
Volonifierung Hand in Hand. Beiden aber folgte echt polniſches 
ſoziales und wirtfhaftliches Verfommen. Erſt nad) zwei Jahr: 
Hunderten follte Friedrich der Große das Land aus dem jelbft 
verjhuldeten Elend erlöfen und einer befjeren Zukunft ent- 
gegenführen. 

Dieſem Schickſal ift Oftpreußen entgangen, obgleich es in 
troſtloſer Erſchöpfung, durch Weftpreußen von dem Mutterlande 
getrennt, wie eine Inſel in das Meer des Slaventums vor= 
geſchoben lag. Daß es deutſch blieb, ift des Ordens Verbienit: 
bedroht, gebrüdt und mißhandelt, vettete er dennoch feine 
Nationalität. Indem er fih in zähem paffiven Widerftande ein 
halbes Jahrhundert allen Polonifierungsverfuchen, gütlich locken— 
den fo gut wie roh mit Gewalt drehenden, widerſetzte, dedte 
er gleihfam mit feinem Leibe die einft durch ihn in das Land 
gekommenen deutſchen Edelleute, Bürger und Bauern, bis ihnen 
die Reformation eine neue Gemeinſchaft mit dem Mutterlande 
erihloß, die trog der räumlichen Entfernung ungerreißbar 
werben follte. 


4. Die Reformation in Preußen. 1466-1568. 


Mit der Lehensabhängigkeit des Ordens war den polnijchen 
Eiferern nicht genug gethan. Indem fie bei ihm auf die Er: 
füllung der Zufage drangen, bis zur Hälfte feiner Mitglieder 
polnifche Edelleute aufzunehmen, dachten fie auf einem Ummege 
auch Oftpreußen zur polnifchen Provinz zu machen. Zum Schutz 
dagegen berief der Orden 1497 Herzog Friedrih von Sachſen 
zum Hocdhmeifter, um fid) wieder Teilnahme im Reiche und ein 
mächtiges deutſches Fürftenhaus zur Hilfe zu gewinnen. Diejer 
beftritt die Nechtsverbindlichfeit des Thorner Friedens, der 
erzwungen und vom Kaiſer und Papft nicht beftätigt jei, und 
verweigerte die Huldigung. Daß Polen ſchließlich auf eine Er- 
örterung dieſes Standpunftes einging, war immerhin ein diplo= 
matifher Erfolg. Sonft aber blieben die auf die Wahl des 
fähfifhen Prinzen gefegten Hoffnungen unerfüllt, und als 


I. Der Staat des Deutfhen Ordens in Preußen. 97 


Friedrich in Deutſchland, wo er perſönlich um Hilfe warb, ſchwer 
erkrankte, ſchwanden die Ausfichten vollends. Da Ienfte die 
Blide der um fein Kranfenbett verfammelten Gebietiger Hiob 
von Dobenel, der Biſchof von Pomejanien, auf einen der Söhne 
des finderreihen Markgrafen Friedrich von Brandenburg-Ans: 
bad, der eben um Aufnahme in den Orden warb, den Herzog 
Georg von Sachſen treffend ein Hofpital für die jüngeren Söhne 
deutſcher Fürften und Edellente genannt. Denfelben empfahl 
namentlich feine Verwandtſchaft mit dem polnifhen Königshaufe, 
das ihm als Orbenshaupt gegenüber Rüdficht nehmen zu müfjen 
ſchien. 

Am 17. Mai 1490 als dritter Sohn Friedrichs von Bran— 
denburg⸗Ansbach, des zweiten Sohnes Albrecht Achills, aus feiner 
Einderreihen Ehe mit der Jagellonin Sophie geboren, durch feine 
Mutter Neffe eines Königs von Böhmen und Ungarn und dreier 
Könige von Polen, drüdte Albrecht von Jugend auf der Wider: 
ſpruch zwiſchen fo erlauchter Verwandtſchaft und dem wirtſchaft⸗ 
lichen Elend des deutſchen Kleinfürftentums jener Zeit. Ihn dur) 
eine ftandesgemäße Verforgung zu löfen, verhieß am erften der 
geiftlihe Stand. Man befahl den Anaben dem Kölner Erzbiſchof 
Hermann IV. von Hefjen (1480—1508), der ihm eine Pfründe 
gab, an weiterer Förderung aber durch den Tod gehindert wurde. 
Auch eine ähnliche Anknüpfung in Würzburg ſchlug fehl. Da 
verfuchte Albrecht fein Glüd als Soldat: mit dem Vater focht er 
1508 und 1509 für Kaifer Marimilian vor Padua und Roverebo. 
Ruhmlos und Frank heimgekehrt, warb er aud) am Hofe feines 
Oheims Wladislam von Böhmen und Ungarn vergebens um 
eine Stellung. So beftimmte ihn der Vater zum Eintritt in 
den deutſchen Orden. Der aber ſuchte gerade Erjag für den 
ſterbenden Friedrich von Sachſen und trug dem unbewährten Jüng⸗ 
ling, der eben erft um Aufnahme warb, das Meiftertum an in 
der Hoffnung, durch die Rückſicht auf ihm den König zu ſchonen— 
derer Behandlung Preußens zu beftimmen. So fam es zu einem 
förmlichen Pakt zwifchen Markgraf Friedrih von Ansbach und 
dem Orden, nad) dem Albrecht am 13. Februar 1510 zu Zichillen, 
einer ſächſiſchen Ordenspropftei, zugleich) mit dem Ordensgewand 
bie Zufage der Nachfolge in dem Meifteramte erhielt, 

Brus, Preußifhe Geſchichte. I. 


98 Erſtes Bud. Die Elemente des preußif—en Staates (Bis 1598). 


Ohne geiftige oder fittlihe Gemeinihaft, nur um bes 
äußeren Vorteils willen geeinigt, ſollten beide Teile arg ent- 
täuſcht werden. Schon diefe Meifterwahl, die dem Buchſtaben 
ebenjo wie dem Geifte der Regel widerſprach, erwies die Un- 
haltbarkeit des Ordens und vollzog innerlich feine Säfularifation. 
Bon den Schwierigkeiten der Aufgabe, die er übernahm, indem 
er Preußen von der polnifchen Zehenshoheit zu befreien verſprach, 
hatte Albrecht feine Ahnung. Durch wirtſchaftliche Not, Steuer: 
drud und ftändifchen Hader erſchöpft, war das Land voll gärender 
Unzufriedenheit; der Orden, einft der Träger fittliher Ideale 
und reifer politifher Praris, ohne Begeifterung und ohne 
Pflichtgefühl, unkriegerii und voll Selbſtſucht: — unabwend- 
bar j&hjen der Verluft der foftbaren Kolonie, die der Adel mit 
feinem Blute, die Bürger mit ihrer Arbeit, die Bauern mit 
ihrem Schweiße zum Gemeinbefig Deutſchlands gewonnen hatten. 
Albrecht aber nahm ſich ihrer weder ala Soldat nod) ala Ver- 
walter an, fondern begnügte fih in der Ferne mit jeiner ſo— 
zuſagen diplomatiſchen Bedeutung, indem er vielgeichäftig immer 
neue politiihe Kombinationen verfuchte, um Polen den Wunſchen 
des Ordens geneigt zu ftimmen oder flimmen zu laſſen. Man 
mag es feiner Unerfahrenheit zu gute halten, wenn er bie 
ſchönen Worte Kaiſer Marimilians ernft nahm und darin felbft 
durch wiederholte Enttäufhungen nicht belehrt wurde. Auch 
hatte an diefer diplomatijchen Aktion größeren Anteil ala er 
feldft fein älterer Bruder Kafimir, der bei König Sigismund 
wenigitens erreichte, daß die Aufnahme polniiher Edelleute 
zunächſt nachgelaifen wurde, während die preußiſchen Stände 
1513 die Regentſchaft baten, im Intereſſe des Friedens auf 
jede Wenderung des Thorner Friedens zu verzichten, zumal ihn 
mande von ihnen hätten bejhmwören müſſen, jo daß fie in 
Gewiſſensnot zu geraten fürchteten. Stellten damit nit aud) 
fie die Losfagung vom Orden in Ausfiht? Dennoch wurde 
mit Kaiſer Marimilian eine nordiſche Allianz gegen Polen 
geplant, die außer deutſchen Fürften und Seeftädten Dänemark 
und den Großfürften von Moskau dem Orden verbinden jollte, 
während nah dem Thorner Frieden Polen vom Orden Hilfe 
gegen Rußland verlangte. Da er aber zur Verwirklichung 


I. Der Staat des Deutfhen Ordens in Preußen. 99 


feiner Abfichten auf Ungarn der Freundichaft der Jagellonen 
beburfte, ließ Marimilian nicht bloß dieſen Plan fallen, 
fondern gab Polen gegen Preußen freie Hand, indem er durch 
den Wiener Vertrag vom 22. Juli 1515 den Orden förmlich 
aus dem Verbande bes Reiches entlieh. 

Eben damals aber ſchien das Schickſal dem ratlofen Meifter 
in dem Sadfen Dietrid von Schönberg ben erfehnten Helfer 
zuzuführen. Seine nie verfiegende Beredſamkeit, fruchtbare 
Phantafie und unverbefierliher Optimismus fpiegelten Albrecht 
glänzende Zufunftsbilder vor und verleiteten ihn troß feiner 
Hilflofigkeit zu einer offenfiven Haltung, durch die Preußen 
nit bloß der polnifchen Hoheit entzogen, fondern zu leitender 
Stellung erhoben werden follte. Der Einfluß dieſes Abenteurers 
trübte fein Verhältnis zu dem Orden und untergrub die Grund- 
lagen feiner Stellung. Das Werben um ruffifche Hilfe fteigerte 
das Mißtrauen Polens und erfhwerte die Verftändigung. Er— 
reiht wurde nichte, und felbft Markgraf Kafimir verwarf dies 
Treiben und erklärte, Albrecht feinem Schickſal überlaffen zu 
müffen, befam aber darauf den Vorwurf zu hören, eigentlich 
babe er doch den Bruder zum Eintritt in den Orden veranlaßt. 
Das Verhältnis zu Polen wurde immer übler: ohne Kriegs- 
erflärung befand man ſich mit ihm bereits im Krieg, während 
die Oppofition der Stände wuchs. Als Albrecht Ende des Jahres 
1517 von vergeblihem Hilfewerben nad Preußen fam, waren 
alle Mittel erjhöpft. Das Land drohte mit Abfall, der Orden 
mit Aufruhr, während der unerſchöpfliche Schönberg Albrecht 
durch immer neue Projekte über die verzweifelte Lage hinmeg- 
zutäuſchen, bald Rußland, bald England, bald Franfreih und 
Schottland, bald den landloſen Dänenkönig Chriftian II. als 
Retter verhieß und mit dem Munde oder auf dem Papier mit 
Armeen und Geldfjummen operierte, von denen nit ein Mann 
und nicht ein Grofchen vorhanden oder je zu bejchaffen war. 
Bon Albrechts politifher Einfiht, ja von feiner moraliſchen 
Feinfühligfeit gibt e& feinen hohen Begriff, daß er jahrelang 
für fi und fein Land auf den von einem ſolchen Schwindler 
gezeigten Wegen das Heil juchen konnte. Ging ihm doch ſelbſt 
das Gefühl feiner fürftlihen Würde darüber verloren: er ließ 








100 Erftes Bug. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


feinen Gefandten vor dem Moskauer Großfürften einen Fußfall 
thun und war es zufrieden, daß deſſen Gejandten ihn jelbit 
nur mit einem Neigen des Hauptes grüßten. 

Endli aber war ſelbſt Dietrih von Schönberg mit feiner 
Weisheit zu Ende, nachdem aud der Thronwechſel in Deutſch— 
land den gehofften Umfchlag nicht bewirkt hatte, und nah neun 
Jahren vergeblihen Ringens blieb Albrecht ſchließlich doch nichts 
übrig, ala unter den denkbar ungünftigften Umftänden zu den 
Waffen zu greifen. Kläglich war denn auch der Verlauf diejes 
„Reiterkrieges”: unter greulicher Verwüſtung des Landes, 
Brandihagungen, Ueberfall offener Pläge, Erftürmung fefter 
Schloſſer ſchleppte er fih hin. Denn eine Schlacht durfte Albrecht 
nicht wagen. Dazu kam drüdender Geldmangel, und was man 
mit Not und Mühe durch Brandfhagen und Einſchmelzen der 
Kirchengeräte erſcharrte, das wurde durch nugloje Miffionen 
und vergeblihe Werbungen im Reiche verzettelt. Entfegliches 
hat das arme Preußen während ber anderthalb Kriegsjahre 
gelitten. Erreicht aber war nichts, als Albrecht, zur Fortjegung 
des Kampfes unfähig, im April 1521 mit Polen in Thorn 
einen Stilftand ſchloß. 

Seine Lage war verzweifelt. Der Orden verweigerte ihm 
weitere Mittel, die Unterthanen lehnten die Uebernahme jeder 
neuen Laſt ab und verlangten Frieden mit Polen um jeden 
Preis. Tief entmutigt, ohne Unterthanen, ohne Freunde, ohne 
Geld, mit unfürftliger Not ringend, zog Albrecht wieder ins 
Reich, um Hilfe zu werben. Wieder kehrte er mit leeren Händen 
heim, um fich zu überzeugen, daß im Lande vollends nichts zu 
haben jei. Im Frühjahr 1522 trat er eine neue Bittreife nad 
Deutſchland an, indem er die Verwaltung des Landes abermals 
in die Hände des Bifhofs von Samland legte, Georga von 
Polentz, des Sprößlings eines im Meißenſchen heimiſchen ſäch— 
ſiſchen Geſchlechts. Mehr denn zehn Jahre älter als Albrecht 
(geb. 1477 oder 1478) hatte Polen in Bologna die Rechte 
ftubiert, ala Sekretär am Hofe Papft Julius II. gelebt, dann 
unter Marimilian 1508 und 1509 in Italien gefochten und 
dort im Feldlager Albrechts Bekanntſchaft gemacht, war nad 
deſſen Meifterwahl in den Orden eingetreten und Hausfomtur 


I. Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 101 


von Königsberg und 1519 Biſchof von Samland, 1521 au 
Adminiftrator des Bistums Pomefanien geworden, ein Mann 
von klarem Blid und ruhigem Urteil, praftifhem Sinn und 
befonnener Thatkraft. Bei ihm lag die nächſten Jahre die Ver— 
tretung der Landesherrſchaft den auffälligen Unterthanen gegen- 
über fo gut wie dem ungebuldigen Andrängen ber römiſchen 
Kurie, die eine Reformation bes Ordens im altkirchlichen Sinne 
betrieb. Aus diefen Schwierigkeiten zeigte Poleng den Ausweg: 
er wurde der Reformator Preußens und bahnte die Verwand- 
lung des Ordensftaates in ein weltliches Herzogtum an, mag 
aud gleichzeitig unabhängig davon in Albrechts religiöfem 
Denken ein Wandel eingetreten fein, der ihm das, was ohne fein 
Zuthun geihah, annehmbar machte und fo alle Schwierigkeiten 
unverhofft glücklich Löfte. 

Als Albreht 1522 Preußen von neuem verließ, hoffte er 
feine Hilfe mehr für den Orden. Für fich felbft hoffte er die 
ftandesgemäße Verforgung, die ihm der Orden nicht gewährte, 
als Führer jei es des kaiſerlichen, fei es bes päpftlichen Heeres 
gegen die Türken. Auch bei Franz I. von Frankreich hat er 
fi bemüht. Dazwiſchen verſuchte dann Dietrih von Schön- 
berg wieder ihn dur eine feiner großen Kombinationen zu 
einer europäifchen Role zu erheben. Politifh war Albrecht zu 
Ende. Auch finanziell hatte er mehr wie abgewirtſchaftet und 
wußte nicht mehr, wie er jein heimatlojes Wanderleben beftreiten, 
noch weniger, wie er die aufgefummten 82 000 Gulden Schulden 
bezahlen jollte. In verzweifelter Stimmung weilte er 1522 
auf dem Reichstage zu Nürnberg: aud fein Gedanke, den 
deutſchen Adel zur Hilfe gegen Polen zu gewinnen, war mit 
der Kataftrophe des zum Führer beftimmten Sidingen hinfällig 
geworben. Da hörte er Andreas Dfiander das Evangelium 
verfündigen und wurde tief davon ergriffen. Mächtig zog es 
ihn zu den Freunden ber neuen Lehre. Sie fehien ihm beffer 
begründet ala die Fatholifche, der man nad feiner Meinung 
duch Verbrennen anftößiger Schriften nicht aufhelfen konnte. 
Damit erhielt fein Leben erft reiten Inhalt und gründete ſich 
auf den Feljen des evangeliſchen Glaubens. Mit Recht hat 
Albreht nachmals Dfiander feinen geiftigen Vater genannt. 


102 Erſtes Bud. Die Elemente bes preußifgen Staates (bis 1598). 


Und von hier aus erſchloß fi ihm zuerft die Hoffnung, aus 
dem politiſchen Wirrfal gelöft zu werden. Von dem Stand: 
punfte des Evangeliums aus ging ihm der Widerfinn des geiftz 
lien Rittertums um fo flarer auf, als er offenbar nie ein 
überzeugter Anhänger desſelben geweſen, fondern bloß aus 
irdifchen Rüdfichten ihm beigetreten war. Schon Dietrich von 
Schönberg hatte empfohlen, Luthers Rat zu erbitten, während 
diefer mit der genialen Sicherheit ſeines Blicks das hier geftellte 
Problem bereits fühn gelöft hatte. Vom 28. März 1523 datiert 
feine Schrift: „An die Ritter deutſches Ordens, daß fie falſche 
Keuſchheit meiden und zu der rechten ehelichen Keufchheit greifen 
ſollen“, die den Widerfinn der Negel nachwies und die Säku— 
larifation des Ordens empfahl, damit „eine recht ordentliche 
Herrſchaft“ entftehe. Das ſei in Preußen leicht, weil die Ritter 
des neuen Staates „geborene Amtleute“ feien und jelbft ver 
forgt würden, dort alſo „nit die elende Not vorhanden fei, 
die manden Bettelmönd im Klofter halte, nämlich des Bauches 
Sorge”. Lebhaft griff Albrecht den Gedanken auf. Bereits 
im Juni 1523 ſchickte er den Magifter Deden heimlich nad) 
Wittenberg, um Luther die Regel vorzulegen und feine Vor— 
ſchläge zur Reformation des Ordens entgegen zu nehmen. Die 
Antwort fann nicht ungünftig gewejen fein. Denn fon im 
September erſchien Albrecht jelbft in Wittenberg: er möge, 
fo riet ihm Luther, fih von der Negel losfagen, ein Weib 
nehmen und Preußen zu einem weltlichen Fürftentum machen. 
Melandthon ftinmte bei. Albrecht — jo berichtet Luther — 
ſchwieg, aber lächelte. Ob es ein befriedigtes Lächeln der 
Zuſtimmung war oder ein Lächeln der Reſignation — wer 
weiß es? 

Aus Preußen lauteten die Berichte immer troftlofer. Die 
Stände verweigerten jede Hilfe. Zwang hätte den Ausbrud 
gebracht. Schon date Albreht dem Lande ven Rüden zu 
kehren. „Verhungerns willen,“ fo ſchrieb er an Polens, „kehre 
er nit zurüd, da er als geborener Fürft zu Brandenburg ſich 
ja von feinem Väterlichen erhalten und die anderen in Preußen 
in der Brühe figen lajien Fönne” — Worte, deren kraſſer 
Egoismus zeigt, daß ihm noch jede Gemeinjhaft mit dem feiner 


I. Der Staat des Deutfhen Ordens in Preußen. 103 


Obhut befohlenen Volke fehlte. Sie galt es zu ſchaffen. Und 
das hat nicht Albrecht gethan, ſondern Poleng, der eine nicht 
ganz ohne fein Zuthun entftandene populare Bewegung ftärkte 
und leitete, den fi äußernden Volkswillen entſchloſſen vollzog 
und fo eine vollendete Thatſache ſchuf, die Albreht um jo 
bereitwilliger acceptierte, als fie feinen perfönlichen Interefien 
entiprad. So ijt die Reformation in Preußen — und zwar 
eigentlich dort allein — als Volksſache vollzogen. Und was 
wollte das fagen zu einer Zeit, wo Luthers Lehre noch nirgends 
wirklich fiegreid war, da bisher nur das Bürgertum fi für 
fie erklärt hatte? Zuerft in Preußen ift wirklich reformiert 
worden, und zwar in der dem urſprünglichen und echten Zuther- 
tum entſprechenden Weife. Denn noch war der Reformator nicht 
an fi felbft irre geworden und zurüdgejchredt vor den Kon— 
fequenzen, die ſich aus jeiner Freiheitsthat ergaben. Beglüdt 
forieb er im Frühjahr 1525 im der Vorrede zu dem Georg 
von Polent gewidmeten Konımentar zum Deuteronomium: 
„Welch ein Wunder ift es, wie das Evangelium, in Ober: und 
Niederdeutichland, wo es zuerft verfündigt wurde, abgelehnt 
oder angefeindet, gleich einem mit fehwellenden Segeln dahin- 
fliegenden Schiff nach dem fernen Preußen geeilt ift, das bisher 
von dem Dunkel der alten Kirche bevedt war.” Ihrem ur- 
fprüngliden Weſen getreu, hat die Reformation dort genau 
den Weg verfolgt, den ihr Luther, nicht ohne eine diplomatiich 
feine Benugung der allgemeinen Lage und der befonderen Ver- 
bhältniffe des Ordenslandes, vorgezeichnet hatte. 

Seit dem Sommer 1523 wirkte in Preußen ber ehemalige 
Franzisfanermönd Johannes Briesmann. Durch ihn iſt Poleng 
gewonnen worden: bereit? Weihnachten 1523 bekannte er fi 
in einer Predigt von der Kanzel des Königsberger Domes zu 
dem Evangelium und erließ im Januar 1524 als „Biichof 
allein durd Gottes Gnade” ein Mandat, das die Taufe in 
deutſcher Sprache vorjehrieb und den Geiftlihen das Stubium 
der Schriften Zuthers empfahl. Bald jandte Luther als „Evan- 
geliften” Amandus dorthin: durch ihn dem Evangelium ges 
wonnen, follten Adel und Volk vom Hochmeifter fordern, daß 
er fih vermähle und den Zwitterftaat in eine rechtmäßige Herr— 


104 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifgen Staates (bis 1598). 


ſchaft verwandele. Allmählich — fo inftruierte Luther Bries- 
mann am 4. Juli 1524 — müſſe man fie dahin bringen, zu 
diefer Erkenntnis anleiten, mit biefem Verlangen erfüllen und 
ſchließlich beſtimmen, den Meifter zur Erfüllung ihrer Forderung 
Scheinbar zu zwingen. Poleng möge fi} vorläufig zurüdhalten 
und erft ber fcheinbar ohne fein Zuthun vollendeten Thatſache 
fi) fügen. Genau fo verfuhr man. Die Faftengebote wurden 
aufgehoben; der deutſche Kirchengefang wurde eingeführt; das 
evangelifche „Königsberger Vaterunſer“ erfhien, und in feinem 
Traftat „Bon breierlei heilfamer Beichte“ widerlegte Bries- 
mann die katholiſche Beichtlehre. Die Heiligenbilder wurden 
bejeitigt, und am Ofterfeiertag beftieg Polentz wieder die Kanzel, 
um ganz evangelifh zu predigen. Als das erregte Volt am 
zweiten Oftertage das Franzisfanerklofter im Löbenicht bedrohte, 
wurde es glücklich beſchwichtigt. Keinen Augenblid ſonſt wurde 
der friebliche Verlauf der Reformation in Preußen gefährdet. 
Der Bann, der Polen traf, blieb ohne Wirkung. Zum dritten: 
mal nahm dieſer Pfingften felbit das Wort und that die Un- 
verbindlichfeit ber Monchsgelübde dar. 

Eben in jenen Tagen war Albrecht wieder bei Luther. 
Damals wurde verabredet, die Bewegung gewähren zu laſſen. 
Albrechts Unentſchloſſenheit ſagte das zu. Damals erjdhienen 
in Königsberg der hitzige Poliander und der geiſtvolle Speratus. 
Schon griff die Bewegung auf das flahe Land hinaus; aber 
die katholiſchen Prediger wurden nicht befeitigt, fondern mußten 
nur die neubeftellten neben fi dulden. Und ganz wie Luther 
gemollt, baten die im Juli zu Königsberg verfammelten Stände 
Albrecht, fih zu vermählen und ein mweltliches Fürftentum zu 
errihten. Das ſchien die Lehensabhängigfeit von Polen zu 
verbieten. Während der Sieg der Reformation zu Ende des 
Jahres 1524 friedlich entſchieden war, wurde die politifche 
Lage immer fehmwieriger. Ihr entiprad die, wenn nicht zwei— 
deutige, jo doch äußerft unflare Haltung Albredts. Zum 
Märtyrer feines Glaubens zu werben, fehlten ihm Neigung und 
Fähigkeit. Daß er das Geſchehene billigte, hinderte ihn doch 
nicht, päpftlichen Bedrohungen gegenüber Voleng, deifen Namen 
alles dedte, gelegentlich zu verleugnen, und die Einfiht, daß 


I. Der Staat des Deutfchen Ordens in Preußen. 105 


er feine landesherrliche Stellung, die allein in dem Meifter- 
tum beruhte, durch die Reformation verloren habe, hat ihn 
nit abgehalten, um Frieden mit Polen auf Grund der alten 
Ordnung zu werben. Als das unerreihbar ſchien, wollte er 
das Meiftertum, das ihm nicht gehalten, was er davon erwartet 
hatte, nieberlegen, Land und Leute dem Memeler Komtur Erich 
von Braunſchweig überantworten und fi in den lohnenderen 
Dienft der franzöfifhen Krone begeben. 

Das aber wollte auch Polen nicht, zumal feine unkluge 
Hartnädigfeit den Orden dod zum Krieg zu treiben brohte 
und aud Danzig und Thorn rüfteten. Nun war im Laufe der 
Unterhandlungen der Gebanfe aufgetaucht, die Lehensabhängig- 
teit, deren der Orden fi weigerte, auf die Perſon feines 
Hauptes zu beſchränken, jo daß Albrecht Preußen als weltliche 
Herriaft von Polen zu Lehen nähme Ihn nahm König 
Sigismund auf, als er in dieſem kritiſchen Moment durch 
Achatius von Zehmen, den Hauptmann von Stargard, Albrecht 
heimlich erſuchen ließ, das Meifteramt an niemand als ihn 
jelbft abzugeben: er werde ihn „dafür mit Land und Leuten, 
auch mit einem Dienftgeld freundlich verforgen und verjehen“. 
Die Zuftimmung der preußifhen Stände war gewiß, fobald 
die neue Ordnung fie nit weiter beſchwerte und ihre Rechte 
und Freiheiten nicht fürzte: zog man jo doch — ganz im Sinn 
Ruthers — nur die politifche Konfequenz aus der Reformation. 
Mit ungewöhnlicher Entſchloſſenheit griff Albrecht zu. Aber auch 
hier gaben feine perfönlichen Interefien den Ausſchlag. Doch 
mindert das nicht die Bedeutung feines Schritte. Eine ab» 
ſonderliche Verkettung der Umftände fügte es, daß Preußen, 
deſſen Löfung von der polniſchen Hoheit Albrecht hatte erreichen 
follen, jeßt, nachdem es im Ringen darum dem Evangelium 
gewonnen war, biejes nicht beffer fihern fonnte als unter dem 
Schuß Polens. Vom Reiche, wo eben mit dem Bauernfriege 
das Verhängnis der Reformation hereinbrah und bie habs— 
burgiſche Weltmacht ſich zu rüdfichtslofefter Reaktion rüftete, 
hätte es nur Anfeindung und Verfolgung zu gewärtigen gehabt. 

Albrecht war in Ungarn, bei König Ludwig Hilfe gegen 
Polen zu werben, als in Krakau die Wendung eintrat, bie des 


106 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (did 1598). 


Achatius von Zehmen Miffion eingeleitet hatte. Alsbald machte 
er fi dorthin auf den Weg. Nachdem für die Verftändigung, 
um die man fi) jahrelang vergeblich bemüht hatte, endlich die 
Formel gefunden war, wurde man jchnell handelseinig. Unter 
Zuftimmung der Bevollmächtigten des Ordens und der preußi- 
ſchen Stände wurde Preußen als in feinem Haufe erbliches 
weltliches Herzogtum Albreht von Polen zu Lehen gegeben. 
Am 10. April 1525 fand die feierliche Belehnung ftatt und 
leiftete Albrecht den Vaſalleneid. Am 11. wurben den preußi- 
ſchen Ständen ihre Privilegien beftätigt, welche ihre Libertät 
auf Koften der Landesherrihaft befeftigten und gegen etwaige 
Eingriffe des Tehensherrlihen Schuges fiherten. Am 12. ver: 
ſchrieb der König Albrecht eine Jahresfubvention von 4000 Gul- 
den, und am 13. ritt der neue Herzog heimwärts. Auch dort ging 
nun alles nad Wunſch: zwar fträubten fi die Stände, nament= 
lich die durch die Not der legten Jahre verbitterten Stäbte, 
anfangs gegen die Anerkennung ber neuen Ordnung, aber ſchon 
Ende Mai war fie aud von ihnen volljogen. 

Dreiundvierzig Jahre (1525—1568) hat Albrecht als Herzog 
gemwaltet, minder ſchwer bebrängt zwar, aber im ganzen doch 
jo wenig befriedigt und glüdlih, wie in den vierzehn Jahren 
feines Meiftertums. Auch am Ziele feines nicht jelbftlofen und 
deshalb erſt recht forgenvollen Strebens hat er fich deſſen doch 
nie recht freuen können, nie das Gefühl der Sicherheit des 
Befiges gehabt. Mannigfache Gefährdung von außen, Sorge 
vor den Folgen der auf ihm lajtenden Reichsacht, finanzielle 
Bebrängniffe, Hader mit den Ständen, kirchliche Streitigleiten 
ließen ihn des neuen Dafeins nicht froh werden und braten 
jein Bemühen um Preußens Wohlfahrt um den rechten Segen 
und die rechte Frucht. Seine größten Erfolge lagen in dem 
Gebiete der Landeskultur. Die ſüdlichen Gebiete Preußens, die 
„als Wildnis“ überfommen waren, machte er urbar und fiedelte 
Bauern und Edelleute dort an. Aber der eigentlich fürſtliche 
Zug geht jeinem Walten ab, dem etwas Mühjeliges und Klein— 
liches anhaftet. Zudem machten Mangel an Urteil und Scheu 
vor Uebernahme einer Verantwortung ihn abhängig von feiner 
Umgebung, jeine liebenswürdige Menſchenfreundlichkeit aber, 


I Der Staat des Deutſchen Ordens in Preußen. 107 


feine gelehrten Liebhabereien und Fünftlerifchen Neigungen und 
namentlich die mit den Jahren wachſende Vorliebe für theo— 
logiſche Diftinftionen überlieferten den bald allzu Arglofen, 
bald allzu Befangenen der Ausbeutung durch eigennügige Streber, 
hartherzige religiöfe Eiferer und gemifienloje Abenteurer. Daß 
ein Mann wie der Schwindler Scalihius, der dem Haufe der 
Scaliger von Verona entiproffen fein wollte, eine Zeit in 
ſchrankenloſer Gunft ftehen und den Landesprivilegien zum 
Trotz ein Willfürregiment führen konnte, beweift jeine unfürfts 
lie Urteilslofigfeit. Und dann veranlaßte im Zufammenhang 
damit fein unfluger Eifer für die heftig angefochtene Lehre des 
von ihm in Königsberg aufgenommenen Andreas Dfiander einen 
Rampf, der kirchliche und politifche Momente unheilvoll vermiſchte 
und erſt lange nad} des eigentlichen Anftifters Tod (1552) mit der 
Hinrichtung des Hofpredigers Johannes Funfe und zweier Räte 
(1566) ein blutiges Ende fand, zugleich aber eine tiefe Demüti- 
gung des in feiner Macht heillos gefürzten Fürſtenrechts zu 
Gunften der triumphierenden Stände zur Folge hatte. In der 
Bevölkerung Preußens aber erwedten dieſe Vorgänge, welche 
die Interefien der ftändifchen Libertät mit denen des rechten 
Glaubens verhängnisvol verquidten, leidenſchaftlichen Eifer für 
das reine Luthertum, der auch politifch bedeutſam wurde. AU 
das bedrückte Albrechts zu trübem Grübeln geneigtes Gemüt. 
Und dazu Fam ſchweres häusliches Leid. Die Kinder, die ihm 
feine däniſche Gemahlin gebar, ftarben bis auf eine Tochter 
vor ihm, und von dem unheilbaren Wahnfinn, in dem er den 
Vater fih hatte zu Ende trafen fehen, entdedte er nad dem 
furchtbaren Geſetze der Vererbung die ſchrecklichen Spuren früh 
in dem einzigen Sohne wieder, den ihm jeine zweite braun- 
ſchweigiſche Gemahlin ala Erben des Herzogtums geſchenkt hatte. 

Schwer hat der forgenbeladene Fürft am Leben getragen. 
Und da nun wurde ihm jein evangelifher Glaube der im 
Sturm von Not und Trübjal bewährte Anker. Danıı brachte 
in das freudlofe Einerlei nie recht gelohnten Sihabmühens 
Erholung und Erhebung die Beihäftigung mit den verjchiedenften 
geiftigen Interefien, wiſſenſchaftliche und künſtleriſche Be— 
ftrebungen. Auf diejem Gebiet hat Albrecht wirklich Bleibendes 


108 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifgen Staates (bis 1598). 


geſchaffen. Auch hat feine weiche Natur, der die Fähigkeit des 
energiſchen Widerftandes abging, vornehmlich da ihre liebens- 
würdigen Seiten entfaltet. Der evangeliſchen Ueberzeugungs- 
treue und dem wiſſenſchaftlichen Sinn Albrehts entiprang ber 
große Gedanke zur Gründung einer Univerfität in Königsberg, 
die wohldurchdachte planmäßige Vorbereitung erfprießliden Wir- 
tens für fie buch die Pflege erft des Volksunterrichts und dann 
des höheren Schulmejens. So knapp feine Finanzen waren, 
immer hatte er eine offene Hand, wo es begabten Landeskindern 
die Erwerbung höherer Bildung in der Fremde zu ermöglichen 
oder Männer der Wiſſenſchaft für Preußen zu gewinnen galt. 
Er ermöglichte die Errihtung einer Buchdruckerei, pflegte bie 
Muſik durch Gründung einer Kapelle und die Veröffentlihung 
von Kompofitionen und hat in einer für jene Zeit ungewöhn- 
lichen Weife durch die Berufung und Belhäftigung ſüd- und 
weſtdeutſcher Baumeifter und Maler den bildenden Künften im 
fernen Nordoften eine Stätte bereitet. So erihloß er durch 
perfönlies Eintreten fein der Verbindung mit dem Mutter- 
lande entrüdtes Herzogtum bem befruchtenden Strom deutſchen 
Geifteslebens, wie er e8 durch einen umfänglichen Briefwechſel 
mit den Männern der Wiſſenſchaft dauernden Anteils an der 
fortſchreitenden Geiftesfultur verſicherte. Dadurch hat er e& 
befähigt, inmitten ber mächtig amdrängenden Gefahr der 
KRatholifierung und der Polonifierung evangelifh und deutſch 
zu bleiben. 

So unklar, unfertig und in mander Hinfiht unerfreulich 
die Zuftände in Preußen fein mochten — eine Fülle verheißungs- 
voller Anfänge zu folgenreiher Entwidelung knüpfen fi an 
Herzog Albrecht. Auch den Zeitgenoffen erſchien er daher als 
der Träger und der Bürge für die Zufunft des Landes, nament: 
lich feines evangelifhen Glaubens. Dem hat einmal Georg 
von Polentz faft rührend Ausdrud gegeben, indem er eine 
Mahnung an Albrecht vor polniſchen Nadjftelungen mit ben 
Worten begründete: „So etwas €. F. G. Durchlaucht geſchähe, 
würden wahrlich nicht elendere und betrübtere Leute in der 
ganzen Chriftenheit jein als wir armen Preußen diefes Fürften- 
tums,“ denn „wir würden fhwerlid bei dem Evangelium 


I. Der Staat des Deutfchen Ordens in Preußen. 109 


bleiben können, fondern mit Gewalt und Tyrannei davon ge: 
drungen und abgehalten werden.“ 

Den großen Männern wird man Albrecht nicht zuzählen: 
doch hat er Großes ermöglicht. Kommen body in mweltgefchicht: 
lichen Krifen zuweilen gerade ſolche Naturen zu ſegensreichſtem 
Wirken: ohne felbftändige, in eigener fhöpferifcher Kraft be— 
ruhende Bedeutung bringen fie, mehr paſſiv als aktiv, aus— 
gleihend, mildernd und vermittelnd, oft freilich unter Verzicht 
auf das von härteren Naturen verfochtene Prinzip, doch das 
zur Zeit Grreihbare in Sicherheit und legen jo inmitten fürs 
mifher Kämpfe den Grund für die allmählich fortfehreitende 
und gefundende Entmwidelung fpäterer Zeiten. 

Ein müber Mann hat Herzog Albrecht ahtundfiehzigjährig 
1568 jein Zeben beſchloſſen. Trüb und forgenvoll blidte er in die 
Zukunft feines Haufes und Landes. Sein einziger Sohn und 
Erbe, Albrecht Friedrih, ein unreifer fünfzehnjähriger Jüng- 
ling, war förperlich hinfällig und geiftig ſchwach und beſchränkt. 
So ſchien den Ständen die Zeit gefommen, um den Sieg, den 
fie 1566 mit Polens Hilfe über den Vater gewonnen, dem 
Sohne gegenüber auszunugen und zu vollenden. Die mittel: 
mäßigen Gaben des jungen „blöden Herrn“ verfümmerten unter 
der Tyrannei ber die Vormundſchaft führenden adligen Regi— 
mentsräte. Sein Gemüt verdüfterte unter dem Drud eines 
elenden Lebens in fteter Angft vor Gift und der ihn innerlich 
verzehrenden Wut über den frechen Uebermut feiner Aufjeher 
und Peiniger. Das ſchwache Licht feines Geiftes erloſch ſchließ⸗ 
lich in dem aufreibenden Wiberftreit zwiſchen feinem fürftlichen 
Recht und diefem unfürſtlichen Dafein. Ein unglüdlicher Fall 
machte ihn vollends elend. Dennoch hatte man ihn, um die 
Selbftändigfeit des Herzogtums zu erhalten, verheiratet: aber 
fein Sohn, nur Töchter entiprangen ber Che mit Marie Eleonore, 
der älteften Tochter des Herzogs Wilhelm von Cleve. Durch 
die Vermählung mit zweien von ihnen bereiteten die branden- 
burgifchen Hohenzollern die wirkſame Geltendmadhung des Rechts 
vor, das ihnen nad dem Tode Albrecht Friedrichs auf das 
Herzogtum zuftand. 


I. Pie Mark Brandenburg. 


1. Die Marken unter den Anhaltinern, Wittelsbadyern und 
Zuremburgern (bis 1411). 


Aus Brandenburg ift ein deutſches Kolonialland. Ein 
Jahrhundert früher als in Preußen war bort die deutſche Herr⸗ 
{haft begründet, doch hatte der Kampf länger gedauert, mehr 
geſchwankt und daher nicht ein ähnlich feftgefügtes Staatsweſen 
hervorgebracht. Die territoriale Erweiterung und ber ftaatliche 
Ausbau gejhahen hier mehr ſtoßweiſe, getragen nicht von einer 
halb geiftlihen, halb weltlihen Genoſſenſchaft unperſönlichen 
und im Grunde ftabilen Wefens, fondern Dynaftien mit wechſeln⸗ 
den Richtungen, in denen wieder die Befonderheit der einzelnen 
Fürften die Entwidelung wechſelnd beeinflußte. Während das 
Ordensland eine Welt für fi) bildete, wurden die nahmals 
zu Brandenburg vereinigten Gebiete durch die Zugehörigkeit zum 
Reiche in politifche, dynaftifhe und kirchliche Rämpfe gezogen, 
die fie um fo mehr der Gefahr der Zerfplitterung ausjegten, 
als auch die flavifhen Nachbarſtaaten zeitweilig ftarfe An— 
ziehungskraft auf fie übten. Doc) erwedte das in der Bevölkerung 
früh das Bemußtfein des Deutſchtums. Das aber wurde ihre 
Rettung, als fie zur Zeit ſchrankenloſer ftändifcher Libertät, 
von fozialen und wirtſchaftlichen Gegenjägen zerjpalten, ebenfo 
ber leitenden Autorität wie der Vertretung nad) außen entbehrte. 

Jenſeits der mittleren Elbe feiten Fuß zu fallen, hatte 
zuerft König Heinrich I. verjucht. Aber die Nordmark, die 
er 928 durch die Eroberung Brandenburgs gründete und bie 
Seinen 929 durch den Sieg bei Lenzen, den die ſächſiſche 
Stammjage ftarf übertrieb, behaupteten, ging troß der fefteren 
kirchlichen Organifation durch das den älteren Bistümern Bran— 
denburg und Havelberg übergeordnete Erzbistum Magdeburg 


I. Die Mark Brandenburg. 111 


zu Ende der Regierung Ottos II. (9382—983) wieder verloren. 
Nur das links von der Elbe gelegene Gebiet, die fpätere Alt: 
mark, blieb deutſch und wurde aud in ben nächſten hundert 
Jahren nur bis zur Havel erweitert. Erſt ald gegen bie Mitte 
des 12. Jahrhunderts der Sachſe Lothar den nationalen Kampf 
gegen die Wenden für die deutfhe Kultur wieder aufnahm, 
begann auch für die Lande zwiſchen Elbe und Oder eine neue 
Zeit. Zum Lohn für die ihm auf der Romfahrt geleifteten 
Dienſte verlieh Lothar die 1133 durch den Tod des Grafen 
Konrad von Plögfau erledigte Norbmark feinem Landsmann 
Albrecht von Ballenftädt aus dem Haufe Anhalt, der fein 
Anrecht darauf Schon früher mit Waffengewalt geltend zu machen 
verfuht Hatte. Wohl hat Albrehts Sinn auf höhere Ziele 
geftanden, und nicht ohne ein Gefühl der Enttäufchung verzichtete 
er jhließlih darauf, die Welfen aus dem jähfifchen Herzogtum 
zu verbrängen. Aber für die Nordmarf war es eine glücliche 
Fügung, daß er auf diefen beſcheidenen Wirfungsfreis beſchränkt 
blieb. Wohl fteht Albrecht der Bär — fo nannte man ihn 
im Gegenſatz zu Heinrid) dem Löwen — an Glanz der Er: 
ſcheinung zurüd gegen den erften großen Staufer und den legten 
großen Welfen, aber jein Lebenswerk hat, anders als das jenes, 
ihn weit überdauert und ift einer von den Pfeilern der deutſchen 
Zukunft geworben. 

Bon dem Fortgange der Chriftianifierung und Germani— 
fierung der Mark haben wir fein jo anfhauliches Bild wie von 
der Preußens. Da hier weber fo planmäßig vorgegangen, noch 
dauernd jo große Kräfte eingefegt wurden wie dort, jo be— 
fremdet die Schnelligkeit, mit der fie ſich vollzog. Anderthalb 
Zahrhunderte nach der Ankunft der Anhaltiner ift Brandenburg 
faft völlig deutſch, ohne daß eine fo ftarfe deutjhe Einwanderung 
und eine jo rüdjichtslofe Germanifierung nachweisbar wären, 
wie fie die Schnelligkeit diefer Wandlung eigentlich vorausfegt. 
Man hat deshalb vermutet, die Deutſchen haben öftli der 
Elbe zwar Wenden als herrichendes Volk vorgefunden, daneben 
aber zahlreiche ihnen unterworfene Germanen, welche nun mit 
den ftammverwandten Eroberern gemeinjame Sade machten. 
DoH trat ja gerade zur Zeit Albrechts des Bären durch den 


112 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


Tod des Abodritenkönigs Heinrich bei den Wenden eine Ber: 
jplitterung ein, die ihre Widerftandsfraft minderte, ja manchen 
ihrer Fürften die Freundfhaft des benachbarten Markgrafen zu 
ſuchen und der Ausbreitung des Chriftentums und der deutſchen 
Kultur Vorſchub zu leiften veranlaßte. Durch die Eroberung 
der Priegnig faßte Albrecht im Winter 1136—1137 auf dem 
rechten Ufer der Havel feften Fuß. Der zu Brandenburg 
herrſchende Pribislam aber, der famt feiner Gemahlin Petruffa 
Chrift geworden war, ſchenkte nicht bloß Albrechts erftgeborenem 
Sohn Dtto, den er aus ber Taufe hob, die Landſchaft Zauche 
(bei Belzig), fondern fegte, jelbft Einderlos, den Markgrafen 
zum Erben ein. Auch fiel, als er 1150 ftarb, fein Land wir: 
ih an diefen, wie es heißt, dank der Entſchloſſenheit Petruffas, 
die der drohenden wendiſchen Reaktion geſchickt zuvorkam. Erft 
diefe Erwerbung gab Albrehts Wirken ſowohl nah der krie⸗ 
geriſchen wie nad) der koloniſatoriſchen Seite eine fichere breite 
Bafis. Kaum hatte er einige benachbarte Stämme unterworfen, 
als er Boten nad) dem Niederrhein und Utrecht jandte und 
Koloniften herbeirief, um mittels der bei ihnen alteinheimifchen 
Technik die waſſer- und fumpfreihe Mark für den Aderbau zu 
erobern. Sie wurden der Kern eines Bauernitandes, der, durch 
Zuzug aus anderen Teilen Deutſchlands vermehrt, gegen Zins 
und Dienft mit Land verjehen, dem Boden bald reihen Ertrag 
abgewann. Auch die Städte, wo von den Wenden meift nur 
die ärmften als Fifher zurüdgeblieben waren, wurben neu bes 
völfert und bald Sige mannigfacher gewerblicher und fommer: 
zieller Thätigkeit. Bereits durch Albrecht erhielten Brandenburg, 
Salzwedel, Tangermünde, Werben, Angerburg und Oſterburg 
Stadtreht. Auch deutſche Edelleute kamen ins Land. Bon 
dem Markgrafen als alleinigem Herrn des eroberten Landes 
gegen Uebernahme des üblichen Nitterbienftes mit Burgen und 
Gütern verfehen, wurden fie militäriſch der wichtigſte Rüdhalt 
des Deutſchtums, im Vergleih mit dem die Tempelherren und 
Sohanniter, die ebenfalls Niederlafjungen errichteten, nur eine 
untergeordnete Rolle fpielten, ſchon meil hier der ritterliche 
Glaubenskampf gegen die Kulturarbeit zurüdtrat, und dann bie 
Miffion im Rahmen einer feiten Firhlihen Organifation von 


I. Die Mark Brandenburg. 113 


einem gebildeten und praktiſch geſchulten Klerus fortgeführt 
wurde. Die Bistümer Brandenburg und Havelberg erftanden 
neu und gewannen feit der Erhebung Norberts zum Erzbiſchof 
von Magdeburg (1126) in den Prämonftratenjern wertvolle 
Bundesgenofien. Aeltere Kirchen und Klöfter wurden ftattlicher 
ausgebaut, neue entjtanden in Menge, wobei den wendijchen 
Feldfteinbau der von den niederländiſchen Einwanderern mit» 
gebrachte Ziegelbau erjegte. 

Nur einmal drohte Albrechts Thätigkeit eine ernfte Gefahr. 
Der Hevellerfürft Jacze, der zu Köpenick ſaß, bemächtigte fi 
Brandenburgs, das er als Verwandter Pribislaws beanspruchte. 
Aber im Bunde mit Wichmann von Magdeburg, deſſen ebenjo: 
fehr von nationalen und weltlich-fürſtlichen wie großen kirchlichen 
Gefihtspunkten ausgehendes Wirken auch jenem Grenzlande zu 
gute fam, gewann Albrecht die Stabt bereits im Juni 1157 
mit ftürmender Hand zurüd. Auch haben die Wenden Hinfort 
nicht mehr verfucht, die deutſche Herrſchaft abzufhütteln. In 
der Sage war Jacze ihr letzter Vorfämpfer: von der Aus— 
fihtslofigfeit ferneren Widerftandes überzeugt, fol er ſich haben 
taufen laffen. Was an Wenden im Lande blieb, büßte feine 
Volksart jchlieplich ein, denn auch der wendiſche Adel verfiherte 
fi gern der ftändifhen und wirtſchaftlichen Vorzüge feiner 
deutſchen Standesgenoffen. 

Albrehts Tod (18. November 1170) änderte nichts an 
diefen Verhältniffen. Doch zog der ältefte von feinen fieben 
Söhnen, Otto J. (1170— 1184), zur Förderung des Kulturwerks 
die Ciftercienfer ins Land, die von dem Klofter Lehnin aus die 
Sumpflandigaft ſüdlich von Brandenburg urbar machten. Mit 
Heinri dem Löwen befämpfte er Pommern und machte es, 
wie nad) fpäteren Vorgängen angenommen werben muß, lehens= 
abhängig: nur fo konnte die Marf militärifch gefiert und 
durch die Verbindung mit der Oſtſee wirtſchaftlich gehoben werben. 
Der Sturz des Welfen und die Zerſchlagung des ſächſiſchen 
Herzogtums erhoben Brandenburg dort im Norboften zur führen- 
den Macht, zumal dem Markgrafen mit der Aufficht über die 
Slaven zwijchen Oder und Peene die Vertretung der deutfchen 
Nechte auf die Oftfeeküfte in erfter Linie zuftand. Dem that 

Pruß, Preußifhe Geſchichte. 1. 8 


114 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


& auch nicht Abbruch, daß die Söhne Ottos I., die ihm nach— 
einander folgten, Otto II. (1184—1205) und Albrecht IL. 
(1205—1220), 1196 vom Erzbiihof Ludolf von Magdeburg 
genötigt wurden, ihre reits von der Elbe gelegenen Lande von 
ihm zu Lehen zu nehmen. 

Einen bedeutenden Fortfehritt für Brandenburg bezeichnet 
die gemeinjame Regierung der Söhne Albrechts II, Johannes I. 
(1220—1266) und Ottos II. (1220—1267), die anfangs unter 
Vormundſchaft des Magdeburger Erzbifhofs ftanden. Bon dem 
BWendenfürften Borwin fauften fie die Gebiete Barnim und 
Teltow und erweiterten die Mark jo bis zur Oder. Dort 
ftiftete Johann das Ciftercienferklofter Chorin. Durch fie erhielt 
Spandau und dann um 1232 Köln an ber Spree und etwas 
fpäter das benachbarte Berlin Stadtreht. In wechſelvollem 
Kampf ſchüttelten fie die Magdeburger Lehenshoheit ab. Bor 
allem aber entwidelten fie das Verhältnis zu Pommern weiter. 
Seit dem Rüdgange der Macht Dänemarks infolge der Schlacht 
bei Bornhöved (1227) haben fie die von Kaiſer und Neid 
vernachläffigten baltiſchen Intereſſen Deutichlands vertreten, 
wofür Kaifer Friedrich II. ihnen 1231 die Lehenshoheit über 
Pommern betätigte. Sie zur Anerkennung zu bringen, bedurfte 
es freilich eines mehrjährigen Krieges. Erſt durch den Vertrag 
von Kremmen im Juni 1236 beugte fi ihr Herzog Wratislam 
von Pommern: Demmin, trat die Lande Stargard, Berent und 
Wuſtrow ab, das heißt den größten Teil von Medlenburg- 
Strelig, und fiherte dem Markgrafen für den Fall feines 
tinderlofen Todes die Nachfolge in feinem gejamten Befige zu. 
Das Herzogtum Wolgaft, das Johann als Mitgift feiner Ge— 
mahlin, einer Tochter Waldemars II. von Dänemark, bean- 
ſpruchte, occupierte Wratislans Vetter Barnim, und erſt 1250 
Tam es zu einem Vergleich, nad) dem auch diefer die branden- 
burgifche Lehenshoheit anerfannte und ftatt Wolgaft die Uder- 
mark jeiner Tochter, die Johann vermählt wurde, als Mitgift 
überließ. 

Auch nah Dften und Süden wurde die Mark damals ber 
trächtlich erweitert. Herzog Boleslaw von Liegnig wurde 1253 
das Gebiet von Lebus abgefauft, wo Frankfurt an der Ober 


I. Die Mark Brandenburg. 115 


entftand. Die Oberlaufig, von der Otto III. einen Teil durch 
die Ehe mit einer Tochter Wenzels von Böhmen erworben hatte, 
brachte bereits König Ottofar II. 1255 vollends an Brandenburg. 
or allem aber faßten die Markgrafen damals jenfeits der Oder 
in der „neuen Mark” feften Fuß, wo fih unter dem Schuß 
der in Küftrin heimijchen Tempelherren bereits deutiche Edel: 
leute angefiedelt Hatten. Jet wurde das Land von Przemyslaw 
von Polen, dem es die pommerelliihen Herzöge ftreitig machten, 
als Mitgift feiner einem Sohne Johannes vermählten Tochter 
Brandenburg überlaffen. Wie ein Keil zwiſchen Polen und 
Pommern einfpringend, ftärfte es deſſen Offenjivfraft gegen 
beide, da es Pommern nun aud von Often her fallen und die 
Oſtſee bei Danzig erreihen fonnte. Daher wurde zu feiner 
Sicherung alsbald eine große Anzahl von Städten gegründet, 
wie Landsberg an der Warthe, Königsberg, Bärwalde, 
Soldin u. a. m. 

Auch waren die Anhaltiner in Brandenburg auf die un: 
geteilte Erhaltung ihres ftattlichen Beſitzes bedacht, der für das 
Neich ſchon fo viel bedeutete, daß nad) dem Tode Wilhelms von 
Holland die Erhebung Dttos III. auf den Thron erwogen war. 
Um aber auch ihre zahlreihen Söhne zu verforgen, vereinbarten 
die Brüder 1258 die Zerlegung ihres Landes in zwei gleiche 
Teile, deren jeder ald ein Ganzes an eine der von ihnen ſtam— 
menden Linien fommen und ihnen die gemeinfame Verfolgung 
einer Hauspolitif ermöglichen jollte, während das mit der Marf 
verbundene Erzfämmereramt und die auf ihr beruhende Kur 
immer von dem Gefchlechtsälteften geführt wurde. Längere - 
Zeit hat fi das bewährt. Nachdem der ältefte von Johannes 
fünf Söhnen, Johann IL, bereits 1281 geftorben war, regierten 
feine beiden jüngeren Brüder, Otto IV. mit dem Pfeil und 
Konrad, von Stendal aus ihren Anteil. Ihr jüngfter Bruder 
Heinrich gewann in der Mark Landsberg zwiſchen Elbe und 
Mulde und der jähfiihen Pfalzgraffhaft eine Verforgung, 
während ber nächſtältere Erich 1277 von einer Partei im Dom: 
fapitel zum Erzbifchof von Magdeburg gewählt wurde. Für 
ihn focht Otto IV., ein fampffroher Ritter und auch ala Minne— 
fänger gefeiert, wider den von den Gegnern erhobenen Grafen 


116 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


Günther von Schwalenberg, wurde aber 1278 befiegt und ge— 
fangen. Kaum losgefauft, griff er von neuem zu den Waffen. 
Bei der Belagerung Staßfurts empfing er Die Wunde am Kopf, 
die ihm den Beinamen „mit dem Pfeil” eintrug. Aber erft 1283 
kam Erich zum Ziel. Heftige Kämpfe hatten Otto IV. und Kon- 
rad mit Pommern zu beftehen, das ſich der Lehenshoheit zu ent- 
ziehen verfuchte, nad) mehrjährigen Kämpfen aber (1280—1284) 
auch noch Stargard, Pyrig und Garz in der Markgrafen Ge: 
malt laffen mußte. Erſt König Rudolfs Eingreifen im Sommer 
1284 ftellte den Frieden her. Doch hatte er nicht lange Beftand. 
Denn nad) der Trennung Bommerns in die Herzogtümer Stettin 
und Wolgaft (1295) verband fi) Bogislam von Wolgaft mit 
dem den Deutſchen bitter verfeindeten Polenkönig Wladislam 
Lofietef, dem auch das durch das Ausfterben feines Herzogs: 
hauſes erledigte Pommerellen zufiel. Während des mehrjährigen 
Krieges hatte die Mark durch wiederholte Einfälle Bogislaws 
und feiner polniſchen Verbündeten zu leiden. Doch behaupteten 
fih die Markgrafen nicht bloß, fondern gewannen fogar durch 
ihre von den ftreitenden Parteien veranlaßte Einmifhung in 
die pommerellifhen Händel diefe Landſchaft jamt dem wichtigen 
Danzig und damit in ben baltiſchen Landen eine weithin ges 
bietende Stellung. 

Diefe Zeit bezeichnet den Höheftand der brandenburgifchen 
Macht im Mittelalter. Ihm folgt jchnell ein tiefer Fall. Auch 
der anhaltiniſche Beſitz wurde zerfplittert. Es entftand eine 
Menge anhaltinifcher Linien mit entiprechend Heinen Territorien, 
mag die Sage auch übertreiben, die von einer Zufammenkunft 
von neunzehn Markgrafen von Brandenburg berichtet. Dann 
ſchwand das Haus ſchnell. Von der Nachkommenſchaft Ottos III. 
(r 1267), die zu Salzwedel jaß, lebten 1305 nur noch Mark: 
graf Hermann und jein jugendlicher Sohn Johann V., während 
die Johanns I. zu Stendal in Otto IV. mit dem Pfeil und 
dem jungen Waldemar, dem Sohn des 1304 verftorbenen Kon: 
rad, ihre einzigen Vertreter hatte. Diefer legte aber jchien zu 
großen Dingen berufen. 

Sein unſcheinbares Aeußere barg nicht bloß eine ftählerne, 
in allen ritterlihen Künften geſchulte Kraft, ſondern auch einen 


I. Die Mark Brandenburg. 117 


kühnen, meitblidenden ftaatsmännifchen Geift. Frühreif warf 
ſich Waldemar fampfluftig der Uebermacht entgegen, wußte aber 
auch fi der Lage geſchickt anzupaſſen. In den Kämpfen mit 
Pommern und Polen bereits bewährt, trat er an die Spike 
feines Haufes, als er nad) dem Tode Hermanns von Salzwedel 
für_ defien jehsjährigen Sohn Johann, defien Schweiter er 
heiratete, die Regentichaft an ſich riß. Als bald danach Otto IV. 
ftarb, war er Herr von ganz Brandenburg. Klug gab er das 
unhaltbare Pommerellen auf, indem er e& gegen 10000 Mark 
Silber dem Deutichen Orden überließ, der, von den Polen herbei- 
gerufen, fi) bereits Danzigs, Dirſchaus und Schwetzs bemächtigt 
hatte. Schlawe, Rügenwalde und Stolp überließ er 1313 
Wratislam von Wolgaft. Denn ein jehmeres Unwetter zog ſich 
gegen ihn zufammen. Als er Stralfunds Freiheit gegen Witzlaw 
von Rügen fügte, verfudhte biefer im Bunde mit Dänemark, 
Schweden und Polen, mit Sachſen-Lauenburg, Braunſchweig 
und anderen Fürflen die Macht der Anhaltiner von Branden= 
burg zu brechen. Aber obgleich er beim Angriff auf das Land 
Stargard, das Heinrich von Medienburg als Mitgift der Tochter 
Albrechts III. von Brandenburg erhalten, dann aber vertrags- 
widrig trog des Mangels an männlicher Nachkommenſchaft nicht 
herausgegeben hatte, 1316 bei Fürftenfee und dann von den 
in der Priegnig eingebrocdhenen Feinden nochmals bei Granjee 
geihlagen wurde, rettete er doch 1317 im Frieden zu Templin 
dur den Verzicht auf jenes Gebiet den fonftigen Befigftand 
feines Haufes, den er damals nad) dem finderlofen Tode feines 
Schwagers Johann V. endgültig in feiner Hand vereinigte und 
1319 durch die Erwerbung von Kroſſen, Zülihau und Schwiebus 
vergrößerte. Bald danad) (am 14. Auguft 1319) ftarb er, erft 
28 Jahre alt, zu Bärwalde in der Neumark nach kurzer Krank: 
heit, ohne Kinder zu hinterlaſſen: in ber Gruft zu Chorin fand 
er feine Ruheſtätte. 

Für Brandenburg war das ein ſchweres Verhängnis. Cs 
entfprah dem Wejen der Mark, daß auch dort bie fürftliche 
Landeshoheit ſchneller und vollftändiger ausgebildet war als 
anderwärts, nicht im Widerftreit mit Kaifer und Reich, fondern 
auf Koſten ber bepoffebierten und unterworfenen Wenden. Nur 


118 Erftes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


in ber Altmark gab es einzelne reichsunmittelbare Herren: ſonſt 
waren Edelleute und Städte dem Markgrafen unterftellt, und 
nur die Biſchöfe von Brandenburg und Havelberg empfingen 
Land und Rechte direft vom Kaiſer. So war der Branden: 
burger Markgraf in ungewöhnlidem Maße Herr in feinem 
Lande, unabhängig von oben und gebietend nad unten. Das 
kam auch der auswärtigen Politik zu gute und fügte die innere 
Entwidelung vor dem ftörenden Einfluß des Reis. Die Mark: 
grafen waren ftets oberite Richter, oberfte Kriegsherren und 
oberfte Eigentümer des Grund und Bodens: dieſe Zentralis 
fation förderte die Sicherheit ebenſo wie das wirtſchaftliche 
Gebeihen des Landes. Das Heerweien beruhte auf der Dienft- 
pflicht der bei der Anfiedelung mit Rittergütern verforgten Edel— 
leute und der dem Markgrafen perfönlich verpflichteten Dienft- 
mannen. Die Dorfgründungen waren gewöhnlich vertragsmäßig 
Unternehmern überlafjen, die für ihre Mühemwaltung durd) das 
erblihe Schulzenamt belohnt wurden, mit dem der Vorfig im 
Dorfgeriht und der Bezug eines Drittels der eingehobenen 
Gefälle, aber auch die Verpflichtung zum Ritterdienft verbunden 
war. Die angefegten Bauern erhielten ihre Grundftüde erb- 
und eigentümlich, bedurften jedoch zum Verkauf und zur Ver— 
pfändung der Zuftimmung des Grundheren und entrichteten 
dem Landesheren den Hufenzins, der Kirche den Zehnten und 
leifteten hier und da Spannbdienfte. Ihre Lage war aljo be- 
ſonders günftig. Dem entſprach das fröhliche Gedeihen der 
Landwirtſchaft, welche die einft von Wald, Sumpf und Moor 
bedeckte Mark in blühendes Aderland verwandelte. Auch bie 
Städte waren fehnell gediehen. Teils mit dem einft Branden: 
burg verliehenen, teils mit magdeburgiſchem Recht bewidmet, 
von jelbft gewählten Räten regiert und wohlhabend durch Handel 
und Gewerbe, zogen fie ein felbitbewußtes Bürgertum groß. 
So ftanden den Markgrafen auch reiche Mittel zur Verfügung, 
deren Verwendung in der älteren Zeit Fein ſtändiſcher Einſpruch 
ftörte. Nocd waren die in Brandenburg vereinigten Gebiete 
mehr äußerlich zufammengefügt als zu voller Lebensgemeinſchaft 
verwachſen, und hielten an der alten landſchaftlichen Sonderung 
feft. So fam das landjtändifche Wefen hier ſpäter und weniger 


U. Die Mart Brandenburg. 119 


als anderwärts zur Geltung. Zuerft Otto I. und Johann II. 
mußten Gelobewilligungen der Stände durch Ueberlafjung ein: 
zelner Hoheitsrechte erfaufen. Das gefhah in den folgenden 
Triegerifhen Zeiten häufiger, wo namentlid die Kämpfe mit 
Pommern immer neue Opfer verlangten und die Stände ber 
einzelnen Landſchaften es als vorteilhaft erfannten, fürftliche 
Anliegen der Art nur gemeinfam auf einem Landtage zu er: 
ledigen. Wurden fie von alteröher befragt, wenn es fih um 
Krieg, Verträge, Erbteilungen u. a. handelte, jo machten fie 
jegt die Fürften gerade in den enticheidenften Momenten von 
ihrem guten Willen abhängig, ja die der Altmark fegten es 1282 
durch, daß ihnen als Pfänder für die Nefpektierung ihrer Rechte 
die drei Zandesfeftungen überliefert wurden und das Recht zu 
gewaffnetem Widerftand und zum Webertritt zu einem anderen 
Herrn ausdrüdlich zuerfannt wurde. 

Die Zeiten, die Waldemars Tod folgten, begünftigten die 
Erweiterung der ftändifhen Rechte, da bie einzelne Teile an 
fi reißenden Nahbarfürften die Herren, Prälaten und Städte 
für fi zu gewinnen fuchten. Als letzter männlicher Sproß der 
Anhaltiner war Heinrich II. übrig, der Sohn Heinrichs von 
Landsberg. So ſuchte Waldemars Witwe Agnes, auf die als 
Tochter des Markgrafen Hermann die Rechte der Salzwebeler 
Linie übergegangen waren, die Herrichaft zu gewinnen, fand 
aber nur in der Altmark und einem Teile der Mittelmark An- 
erfennung. Als fie aber Herzog Otto von Braunjchweig heiratete, 
erflärte fi ihr Beſchützer Rudolf von Sachſen-Wittenberg für 
den jungen Landsberger Markgrafen. Gegen ihn, die Hauptftüge 
Friedrichs von Defterreih, veranlafte, wie es feheint, Ludwig 
ber Bayer Herzog Wladislem von Pommern-Wolgaft, der 
Aufforderung etlicher Städte folgend, als Bormund Heinrichs II. 
ſich der Neumark zu bemädtigen. Nun trat auch Heinrich von 
Schleſien mit Anfprüchen hervor und fand gegen Ueberlaffung 
der Oberlaufig und des Görliger Landes die Hilfe Johanns von 
Böhmen. Der Tod Heinrichs II, mit dem die Anhaltiner er 
loſchen, fteigerte die Verwirrung. Sachſen ſuchte fih in der 
Zaufig und Mittelmarf einzuniften. Agnes flüchtete unter bie 
Xehenshoheit des Magdeburger Erzbiſchofs, der die Laufig an 


120 Grftes Bud. Die Glemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


Friedrih von Meißen gab. Die Stände der Udermarf und der 
Priegnig riefen den Schug Medlenburgs an, einige udermär- 
fifhe Städte den Dänemarks und Pommerns, das fih nun 
mühelos der brandenburgijchen Hoheit entzog. Erſt ala er 1322 
über Friedrih von Defterreich gefiegt hatte, konnte König Lud⸗ 
wig der Bayer, den Agnes wiederholt um Hilfe angerufen 
hatte, das größte norddeutſche Reichsland für fein Haus ge- 
winnen. Nur die Altmark überließ er 1323 Agnes und ihrem 
zweiten Gemahl auf Lebenszeit: mit dem übrigen branden- 
burgifchen Lande belehnte er 1324 feinen achtjährigen Sohn 
Ludwig, für ben er die Regierung führte. 

In feinem territorialen Bejtande arg gekürzt, fam Bran- 
denburg an bie Wittelsbacher. Die Mark Landsberg und die 
ſächſiſche Pfalzgrafſchaft fielen an Braunſchweig, das nad Agnes’ 
Tod auch die Altmark behauptete. Daß er von der Udermark, 
die zum Teil an Medlenburg verpfändet war, wenigftens ein 
Stüd zurüderhielt, verdankte Markgraf Ludwig nur dem Schuge 
feines Schwiegervaters, des Dänenkönigs. Die von Wratislam 
von Pommern occupierten udermärkifhen Gebiete dagegen 
wurden nur zum Teil wiebergewonnen, wie benn auch die bran= 
denburgifche Lehenshoheit über Pommern, die König Ludwig 1324 
beftätigte, nicht zur Geltung fam. Schlimmer noch war die wüfte 
Agitation, die dur König Ludwigs Kampf mit dem Papfttum 
ins Land fam. Biſchof Stephan von Lebus veranlaßte den 
Pommern verbündeten Polenkönig Wlabislam Lokietek 1325 zu 
einem verwüftenden Einfall, während der Propft Nikolaus von 
Bernau, der die Bürger von Berlin hindern wollte, dem jungen 
Markgrafen zu Huldigen, von dem Volk verbrannt wurde. 
Dafür traf die Stadt das Interbift, von dem fie fi} erft nad 
Jahren durch hohe Geldbuße löfte. Der Krieg mit Pommern 
dauerte fort. Ihn beendete, während die Mittelmarf 1328 
von Rudolf von Sachſen geräumt wurde, erft 1338 ein Friede, 
nad dem die Herzöge Dtto I. und Barnim die no in ihrer 
Gewalt befindlichen Teile der Neumark bis auf ein Kleines 
Stüd herausgaben, dagegen aus der brandenburgijchen Lehens⸗ 
hoheit entlafjen wurden; beim Erlöfchen ihres Geſchlechts aber 
folten die Brandenburger in Pommern folgen. 


I. Die Mark Brandenburg. 121 


Aber auch jet war dem Lande nur furze Ruhe vergönnt.‘ 
Der Bruch mit den Luremburgern, den Kaifer Ludwig durch 
die Vermählung der widerrechtli von ihrem Gatten getrennten 
Margarete von Tirol mit dem Markgrafen Ludwig verſchuldete, 
brachte neue ſchwere Stürme über die Mark. Beruhte doch auf 
ihr vornehmlih die Machtſtellung der Wittelsbacher, obgleich 
fie bisher kaum Anhänger gewonnen hatten, jo freigebig fie 
Ianbesherrlihe Güter, Rechte und Einnahmen verjchleudert 
hatten. Daß das Land, das von den Reichsangelegenheiten bis- 
ber faum berührt war, jegt für die ihm fremden wittelsbachſchen 
Intereſſen ſchwer belaftet wurde, erbitterte allgemein. Zum 
Ausbruh kam es, als der Markgraf, zur Abwehr der Luxem⸗ 
burger rüftend, nicht bewilligte Steuern gewaltſam eintrieb und 
die Münze reduzieren ließ. Da beichloffen 1345 Ritter und 
Städte auf dem Berliner Zandtage, auf Grund des ihnen ein: 
geräumten Widerfiandsredhtes fi zu gemeinfamer Verteidigung 
zu erheben, und wählten je zwei Abgeorbnete, die ſich an den 
Hof begeben und die Regierung beauffihtigen follten. Die Er: 
hebung bes Luxemburgers Karl und feine allgemeine Anerfennung 
nad) Ludwigs des Bayern Tod fteigerte die Krifis aufs äußerfte. 
Die Gegner der Wittelsbacher Fannten die Mipftimmung des 
Volkes, das die glüdlichen Zeiten des legten großen Anhaltiners 
zurückſehnte, und bebienten ſich ihrer mit ungewöhnlicher Ver: 
mwegenheit. Gerade in den Tagen, wo das wie eine wunder⸗ 
bare göttliche Fügung erfcheinen mußte, tauchte 1348 am Hof 
des Magdeburger Erzbiſchofs ein greifer Pilger auf, der Mark— 
graf Waldemar zu fein behauptete. Ueber die Ehe mit feiner 
Bafe Agnes im Gewiſſen beunruhigt, wollte er das Gerücht 
von feinem Tode trügerifh haben ausfprengen laffen, um als 
Bußer nah dem heiligen Lande zu pilgern. Der Erzbifchof 
erklärte fi durch die vorgebrachten Beweife von feiner Echt: 
beit überzeugt, Rudolf von Sachſen, der alte Feind der Wittels— 
bacher, und der Graf von Anhalt pflichteten bei und ergriffen 
die Waffen, um den Heimgefehrten in ber Herrſchaft herzu— 
ſtellen. Wie ein Lauffeuer flog die Kunde durch das Land: je 
elender die Gegenwart war, um fo lieber glaubte man die 
Wundermär, die Erlöfung von der Wittelsbacher Mißregierung 


122 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


verhieß. Die Nahbarfürften folgten dem Beifpiel des Erzbifchofs. 
Bald war um den geheimnisvollen Alten ein mächtiger Bund 
gejammelt, dem Medlenburg, Pommern, Holftein und Däne- 
marf beitraten. An der Spige ftand Karl IV., der nad) manchen 
Anzeichen, wenn auch nicht gerade Urheber, doch Mitwiſſer des 
Betruges, an feiner weiteren Infcenierung hervorragend beteiligt 
war. Denn daß es id) bei der angeblichen Wiederkehr des acht⸗ 
undzwanzig Jahre verſchollenen Waldemar nicht um einen jener 
merkwürdigen Fälle gehandelt hat, Die vereinzelt erwiefenermaßen 
vorgefommen find, fondern um einen Betrug, den fein Held 
wohl faum aus eigenem Antrieb unternahm, fondern auf Ver— 
anlafjung und im Dienft derer, die bei der Verdrängung der 
Wittelebadher gewannen, kann nad) allem, was wir mwifjen, 
kaum zweifelhaft fein. Den größten Vorteil an dem Gelingen 
Hätte augenfcheinlich Karl IV. gehabt. So fam er denn auch 
jelbft nad) der Mark, traf in Müncheberg mit dem angeblichen 
Waldemar zufammen, erkannte ihn nad) einer nur zum Schein 
angeftellen Unterfuhung ala echt an und belehnte ihn mit ber 
Markgrafſchaft, nicht ohne fih dafür durch Weberlaffung der 
Niederlaufig belohnen zu laſſen. Ludwig geriet hart ins Ge— 
dränge: nur einen Meinen Teil bes Landes behauptete er, 
dank namentlih der Treue der Städte Briegen, Belit und 
Mittenwalde. Auch das von Anfang an ausſichtsloſe Gegen- 
tönigtum Günthers von Schwarzburg machte ihm nicht Luft. 
Da erbot er fi zur Annahme des Schiedsipruds des Königs 
Magnus von Schweden. Den zu vermeiden erklärte ſich Karl IV. 
zum Frieden bereit. Der Anerkennung durd die Wittelsbacher 
fiher, hatte er an dem angeblihen Waldemar fein Intereſſe 
mehr: daher fiel eine neue Unterfuchung gegen deſſen Echtheit 
aus, und im Februar 1350 beftätigte der Vertrag von Baugen 
die Wittelsbaher im Befig der Mark. 

Aber noch beharrten einige Gegner Ludwigs und meigerten 
die Räumung ber occupierten Gebiete. Das wirtſchaftliche Elend 
war noch gewachſen. Nie dort heimiſch und tief verftimmt durch 
ben eben erlebten allgemeinen Abfal wandte Ludwig der Mark 
den Rüden. Ende des Jahres 1351 überließ er fie feinen Stief- 
brübern Zubwig dem Römer und dem unmündigen Otto gegen 


U. Die Marl Brandenburg. 123 


Bayern und Tirol. Erfterer eroberte in den nächſten Jahren 
das Land vollends wieder und bejtimmte die Anhalter Grafen 
durch Geld, den Sachſenherzog durch Abtretung Zoſſens und 
die Pommernherzöge durch die eines Teils der Udermarf, den 
Abenteurer endlich fallen zu laſſen. Diejer fand am Hofe zu 
Deffau ein Afyl und ift dort 1357 geftorben. Aber Ruhe war 
dem Lande noch nicht beſchieden. Der Streit innerhalb des 
Wittelsbacher Haufe, erft um die Kurwürde, dann um bas 
Erbe des 1361 verftorbenen Ludwigs des Nelteren, bahnte der 
ſchleichenden Politik Karls IV. den Weg zur Ermwerbung der für 
Böhmen fo lodend gelegenen Mark. Der Kaifer gemann Ludwig 
den Römer zu einem Vertrag, durch ben für den Fall des 
tinderlofen Todes ber beiden Brüder die Nachfolge feinem 
Sohne Wenzel gefidert wurde. Obenein vermählte er nad 
Ludwigs Tod den jungen Otto feiner Toter Katharina. Als 
dieſer fi den eingegangenen Verpflichtungen dennoch zu ent- 
ziehen ſuchte, erfehien er 1373 mit Heeresmacht im Lande und 
zwang ihn zu dem Vertrag von Fürftenwalde, durch den er 
gegen eine halbe Million Goldgulden die Herrſchaft ihm ſchon 
jegt abtrat. 

Zunächſt Fonnte das Land mit dem Taufch zufrieden fein. 
Denn die Art, wie Karl IV. in Vertretung des unmündigen 
Wenzel waltete, wies alle die Vorzüge auf, die fein hausväter: 
lich fürforgendes Regiment in Böhmen auszeichneten. Zwar 
machte er feinen Verſuch, die ſtändiſchen Nechte wieber einzu: 
ſchränken, fondern acceptierte die unter den Wittelsbachern 
entftandene Ordnung, jo nachteilig fie für den Landesheren war. 
Nur die Bistümer Brandenburg und Havelberg beraubte er 
ihrer bisherigen Reichsunmittelbarkeit. Adel und Städte aber 
behielten das Vefeftigungsrecht, die Polizei, die höhere und die 
niedere Gerichtsbarkeit und das Bündnisredt: fie waren dem⸗ 
nad ein durchaus autonomer Faktor, mit dem es wie mit einer 
ſelbſtändigen Macht zu paftieren galt. Die Mark erblühte von 
neuem. Bon Karls Sorge für die Ordnung der Bejigverhält- 
niffe und die Abwägung von Rechten und Pflichten zeugt fein 
1375 angelegtes Landbuch, das einen für jene Zeit ungemöhn: 
lichen ftatiftiihen Einblid erſchließt in die wirtſchaftlichen Ver: 


124 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bid 1598). 


hältniffe des Adels, der Städte und der Bauern. Handel und 
Verkehr gewannen durch Erleichterung ber Schiffahrt auf Elbe 
und Ober und Herftelung freundfhaftliher Beziehungen zu ben 
Hanfaftädten, namentlich Lübeck. Der Handelsweg von Böhmen 
und deſſen Hinterländern nad} der Oftfee ging durch die Mark. 
Um fo mehr mußte Karl wünſchen, dieſe dauernd eng mit 
Böhmen zu verbinden. Leichten Herzens opferte er dem ihre 
ftaatlihe Selbftändigkeit, indem er im Mai 1374 die Stände 
beftimmte, die Union des Landes mit Böhmen gutzuheißen, 
wenn auch unter Vorbehalt des Rüdtritts für den Fall, daß 
die Unteilbarfeit und Unveräußerlichfeit des Kurlandes verlegt 
würde. Aber auch darüber war Karl IV. ſicher leicht Hinwegzu= 
kommen. Schon durch jein Teftament von 1377 gab er den 
Hauptteil der Marf nebit der Kur feinem zweiten Sohn Sieg- 
mund, die Neumark und die Laufig dem dritten Johann. Da— 
durch ftürzte er das Land in neues Elend. Der in die Ferne 
ſchweifende Sinn Siegmunds nahm fein Intereſſe an ihm: für 
feine Entwürfe fam es nur jo weit in Betradt, ala es die 
Mittel zu ihrer Verwirklichung lieferte. Bereits 1388 verpfändete 
er die Mark, fo weit fie ihm gehörte, um mehr ala eine halbe 
Million Goldgulden feinen beiden Vettern Jobft und Prokop 
von Mähren: war fie binnen fünf Jahren nicht ausgelöft, ſollte 
fie famt der Kur: und Erzkämmererwürde ihnen erblich ver- 
bleiben. Aber obgleich die Zahlung nicht erfolgte, verweigerte 
Siegmund die Meberlafjung des Landes. Erft 1397 ſetzten die 
beiden Mähren bei König Wenzel ihre Belehnung damit durch; 
nur ihr Kurrecht anerkannt zu fehen, gelang ihnen nit. Die 
Neumark aber, wo er jeinem 1396 geftorbenen Bruder Johann 
gefolgt war, verpfändete Siegmund 1402 an den Deutſchen 
Orden: fie entging dem traurigen Geihid, das die Nachbar: 
ande demnächſt traf. Denn au Zobft von Mähren fah in 
der Mark nichts ala ein Objekt zu weiteren Geldgeſchäften. 
Nachdem er 1393 einige Städte um 12000 Goldgulden an 
Markgraf Wilhelm von Meißen verpfändet, diefe Summe dann 
aber ebenſowenig wie jpäter aufgenommene neue Darlehen 
zurüdgezahlt hatte, überließ er troß bes Proteftes der Stände 
dem Markgrafen die Statthalterihaft, damit er fi daraus 


I. Die Mark Brandenburg. 125 


allmählich bezahlt made. Jobſt aber juhr fort, landesherrliche 
Rechte und Schlöffer zu verpfänden und zu verfaufen. Der 
Adel tummelte fih in wüſten Fehden und trieb Raub und 
Wegelagerei. Während die Meinen Städte arge Willkür bul- 
beten, entzogen fi die größeren ber Autorität der Landes- 
herren. Ein Zuſtand völliger Frieblofigkeit trat ein, der das 
Zand um fo ſchwerer traf, als die abligen Herren auch die 
Nahbarfürften anfielen und, wenn die ihnen Einhalt thaten, 
förmliche Kriege gegen fie führten. Alle aber übertrafen an 
Frevelmut die Brüder Hans und Dietrid) von Duigow. Jeder 
Verſuch der Statthalter, dem ein Ende zu machen, offenbarte 
von neuem die Ohnmacht der Staatsautorität. Nur wer ftarf 
genug war, ſich ſelbſt zu helfen und fein Recht mit gewaffneter 
Hand verteidigte, genoß einiger Sicherheit. Deshalb fuchten 
ſelbſt die Städte zeitweife das Bündnis der räuberifchen Burg: 
herren und nahmen fie ala Feldhauptleute zur Ausfechtung ihrer 
Fehden in Dienft. Darüber verfiel der Wohlitand des Landes 
vollends. Ein Krieg aller gegen alle herrſchte. Das war das 
Ergebnis der ins Schranfenlofe gehenden Ausbildung der ftän- 
diſchen Freiheit. Der völlige Ruin des Landes ſchien unab— 
wendbar. Bom Reihe war Rettung nicht zu hoffen: die Ab- 
fegung Wenzeld und die Ohnmacht Ruprechts machten ihm jede 
Einwirkung unmöglid. Daß endlih Siegmund und Jobſt 1409 
einander auch noch ala Gegenfünige gegenübergeftelt wurden, 
drohte neues Unheil. Da ftarb zum Güd für das Rei und 
für die Mark Jobſt im Januar 1411: Siegmund wurde nun 
nad erfolgter Verftändigung mit Wenzel allgemein als König 
anerfannt und erhielt als Erbe bes Vetters die verpfändete 
Mark zurüd. Einer Gefandtihaft, die infolgedefien im Früh: 
jahr 1411 bei ihm in Ungarn erſchien, verhieß er endlich Her: 
ftelung der Ordnung: damit beauftragte er Friedrich VI. von 
Hohenzollern, den Burggrafen von Nürnberg, der jeit zwei 
Jahren als vertrauter Rat in feinem Dienfte ftand. Eine neue, 
befiere Zeit begann endlich für das arme Land, das, auf die 
Bahn zurüdgeführt, die es unter ben Anhaltinern jo glüdlich 
verfolgt hatte, aud für das zerbrödelnde Reich bald wieder 
eine hohe Bedeutung erlangen follte. 


126 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


2. Die fränkifden Hohenzollern in Brandenburg. 1411—1486. 
Ertedridg I. 1411—1438 (1440). 


So folgenreich die Berpflanzung der Hohenzollern nad) Bran= 
denburg wurde, jo wenig hatten die daran Beteiligten das Be- 
mußtjein davon oder die Abficht dazu. Dennoch hat die teleo- 
logiſche Betrachtungsweiſe der preußiſchen Geſchichte gleich dem 
erſten hohenzollernſchen Markgrafen politiſche Beſtrebungen zu: 
geſchrieben, die ihn als eine politiſche Idealfigur erſcheinen 
laſſen, voll deutſchnationalen Gefühls und ſelbſtloſer Hingabe 
an Kaiſer und Reich, und ſelbſt auf Kaiſer Siegmund iſt ein 
Abglanz davon gefallen, als hätte er durch Uebertragung der 
Mark auf den Burggrafen von Nürnberg für die Zukunft des 
Reichs in nationalem Sinne ſorgen wollen. Verſetzt man aber 
damit den erſten Hohenzollern in Brandenburg nicht in eine 
Sphäre, in die er fi gar nicht erheben konnte? Ungeldſt 
von dem Boden der Zeit, in dem er mit jeinem Handeln mwur- 
zelte, und gemefjen an ihren politiihen Ideen, büßt er freilich 
den gleihfam prophetiihen Zug ein, der ihn als Vorläufer 
für das deutſchnationale Streben feiner fpäten Nachkommen 
erſcheinen läßt, gewinnt dafür aber den Ruhm eines nüchtern 
erwägenden und entſchloſſen handelnden Realpolitifers, der die 
Lage klar erfaßt und ihr mit möglichit geringen Opfern mög: 
licht große Vorteile abzugewinnen weiß, fo fern auch jeine 
Erfolge dem Ziele noch blieben, das fein Chrgeiz ſich geftedt 
hatte. Nur fo wird man den mühjfeligen Anfängen ber Hohen 
zollern in Brandenburg gerecht werden, ſowohl rüdfihtlich ihres 
Wertes für die Tynajtie als auch ihrer Einwirkung auf die 
Geftaltung der deutſchen Dinge. 

Hat doch nicht einmal eine befondere fürftliche Intereffen- 
gemeinſchaft Friedrich VI. von Nürnberg mit Kaijer Siegmund 
zufammengeführt. Aus finanziellen Gründen trat jener in ben 
Dienft des Luremburgers. Durch feines Vaters Abdankung 
war im Frühjahr 1397 Friedrich VI. in Ansbach, jein älterer 
Bruder Johann, der Gatte einer Echwefter Kaifer Wenzels und 
Siegmunds, in Baireuth zur Herrihaft gelangt. Als Gemahl 


N. Die Mark Brandenburg. 127 


Elifabeths von Landshut, der „Ihönen Elfe”, mit deren Bruder 
Herzog Heinrich von Bayern befreundet und durch feine Schwefter 
Elifabeth der Schwager Ruprechts von der Pfalz, war Burggraf 
Friedrich tief in die ſüddeutſchen Händel verwidelt und hatte 
ihnen Opfer bringen müſſen, die feine Mittel überftiegen, ohne 
durch das Anjehen aufgewogen zu werden, das er daraus ge- 
wann. Durch eine Fehde mit der Reichsſtadt Rotenburg finan- 
ziell ruiniert, löſte er jeine Hofhaltung auf und z0g zu feinem 
Bruder Johann. Dort traf ihn 1409 des Ungarnfönigs Sieg: 
mund Einladung, in feinen Dienft zu treten. Worurteilslos 
genug, die Stellung eines von unfürftlicher Sorge bebrängten 
Landesherrn gegen die eines einflußreihen Beamten im Dienft 
eines mächtigen Königs zu vertaufchen, zog er nad Ungarn 
und fand dort auch das gejuhte Glüd. Offenbar hat er 
ſich um ungarifche Angelegenheiten verdient gemadt: denn 
mit Zuftimmung der ungariſchen Magnaten wurden zum 
Lohn 20.000 Gulden für ihn auf Preßburg und Komorn ein- 
getragen. 

Da ſtürzte bie Erneuerung des Schismas und die Erledigung 
des deutſchen Thrones durch den gleichzeitigen Tod Papft Ale— 
randers V. (4. Mai 1410) und König Ruprechts (18. Mai 1410) 
Kirche und Reich in Verwickelungen, die dem Ehrgeize Sieg- 
munds lodende Ausſichten erſchloſſen. Auch jeßt.vertraute ber- 
ſelbe die Vertretung feiner Intereſſen dem Hohenzollern an. 
Das Reid) und die nationale Wohlfahrt kamen dabei nicht in 
Frage: nur für das Haus Luremburg galt es möglichft großen 
Gewinn zu madhen. Zur Führung der brandenburgiſchen Kur— 
ftimme bevollmädtigt, wählte Friedrich mit dem Pfälzer und 
dem Trierer Kurfüriten im September 1410 feinen Herrn in 
Frankfurt zum König und erflärte aud alsbald in feinem 
Namen die Annahme der Krone. Cr war beteiligt an den 
Verhandlungen, welche die Dreijpaltung des Reiches abwandten 
und nad) dem Tode Jobſts von Mähren zur Verftändigung 
zwiſchen Siegmund und Wenzel von Böhmen führten. Doch 
handelte er dabei immer nur als Bevollmäctigter jeines Herrn 
und gemäß ber ihm erteilten Inftruftionen: nicht er hat Sieg: 
mund bie deutiche Krone zugewandt, Tann aljo dabei auch nicht, 


128 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


wie man gemeint hat, von nationalen Gefihtspunften aus— 
gegangen fein. 

Wohl aber lag der Gedanke nahe, den jo Bewährten da 
zu verwenden, wo es zur Wahrnehmung ber Luremburger Haus: 
intereffen befonderer Umſicht und Thatkraft bedurfte. Durch 
den Tod Jobſts von Mähren (18. Januar 1411) war die 
Mark Brandenhurg an Siegmund zurüdgefallen, ohne wirklich 
in feinen Befig zu fommen. Hatten ſchon die Anhaltiner den 
Troß des Adels und das Selbftbewußtfein der Städte kaum 
niedergehalten und ſich durch feindliche Nachbarn ringsum be— 
droht gefehen: in den folgenden troftlofen Zeiten war das Land 
zuchtloſer Verwilderung und einer Zerfplitterung verfallen, die 
mit feiner ftaatlichen Organifation feinen territorialen Zufammen- 
hang zu vernichten drohte. Ueppiger als irgendwo im Reiche 
war das Raubrittertum dort ins Kraut geichoffen, doppelt ver= 
hängnisvoll für das Land, weil e8 den benachbarten Fürften 
erwünſchten Vorwand gab, ſich davon ein Stüd nah dem 
anderen anzueignen. Das geihah durch den Magdeburger Erz⸗ 
biſchof in der Altmark, durch die Medlenburger Herzöge in der 
Priegnig und durch die pommerjhen in der Udermarf, während 
die Neumark fi im Pfandbefig des Deutſchen Ordens befand. 
Handel und Wandel lagen danieder, und in dem Ningen um 
bes Lebens Notdurft war felbft dem Bürgertum der Gemeinfinn 
verloren gegangen, fo daß aud) von den Städten jede nur auf 
ihren eigenen Vorteil dachte. Das Land, auf dem die Kur 
ruhte, vor völigem Ruin zu retten, bedurfte es eines ganzen 
Mannes. Siegmund jelbft war von anderen Sorgen vollauf 
in Anfprud genommen. Schon eine dauernde Anmwefenheit in 
der Mark war für ihn unmöglid. Auch hier folte ihn der 
Hohenzoller vertreten. Wenn Siegmund aber bereits im Ja— 
nuar 1411 Gefandten der märkiſchen Städte in Ofen den Burg- 
grafen als ihren künftigen Herrn bezeichnete, fo hat er damals 
doc) ſicherlich nicht daran gedacht, Friedrich zum Markgrafen 
zu erheben: dem bewährten Diener ſollte nur ein neues wid) 
tiges Amt aufgetragen werden. Aber die Natur diejes Amtes 
und die Anſprüche, die es an die Mittel Friedrichs ftellte, er- 
forderten einen reihen und gut verbürgten Lohn. Das erklärt 


U. Die Mark Brandenburg. 129 


die ungewöhnlichen Formen, in denen der Burggraf mit ber 
Bermaltung der Mark beauftragt wurde. Am 8. Juli 1411 
übertrug Siegmund, wie er am 11. den Ständen des Landes 
kundthat, Friedrihd VI. die Hauptmannfhaft in den Marken 
erblih und unwiderruflih, jo daß die Luremburger fie nur 
gegen 100000 Gulden zurüdzunehmen berechtigt fein follten. 
Dafür trug der neue Hauptmann die Koften der Regierung und 
der Landesverteidigung, jo weit die Zandeseinfünfte fie nicht 
dedten. Nur für die erften Aufwendungen erhielt er eine Bei—⸗ 
hilfe, indem Siegmund ihm die 1410 und 1411 fälligen Reichs: 
fteuern, Judenſteuern und Opferpfennige überließ, was bei der 
Unſicherheit ihres Einganges wenig bebeutete. Das war fein 
Kauf und noch weniger ein Pfandgejhäft, das ſich beliebig 
rüdgängig maden ließ. Aber in jeiner privatrechtlihen Auf- 
faſſung des Staates ſchätzte das Mittelalter den Wert fürft- 
licher Herrſchaft num einmal nach ihrem Ertrage und bie damit 
verbundene Laſt nah dem Aufwand, den fie erforderte. In 
ihrem damaligen Zuftande nun ftellte die Mark einen Geld- 
wert faum bar: war bod von ben einträgli—en Stüden ber 
Landeshoheit eines nad) dem anderen verloren gegangen. Ihre 
Inhaber aber dachten nicht daran, fie ohne entſprechende Ent- 
ſchädigung herauszugeben. Namentlih von feiten bes Adels 
war auf Entgegentommen nicht zu rechnen: fein unbejchränftes 
Herrenreht den Bauern gegenüber, der bequeme und einträg- 
liche Brauch der Selbfthilfe gegen Standesgenofien und Städte 
und die geſchickte Benugung der Verwidelungen mit den Nach⸗ 
barfürften gab diefen Herren eine Selbftändigfeit in finanzieller, 
militärifcher und politifher Hinficht, wie faum fonft wo im 
Reiche ihren Standesgenofien. Den bier drohenden Widerftand 
zu breden, ſah Siegmund für fi feine Möglichkeit, zumal 
feine Mittel anderwärts vollauf gebunden waren. Da trat 
Friedrich für ihm ein: er ftelte ihm zur Rettung der Mark 
feine Kraft zur Verfügung, war aud bereit, feine eigenen 
Mittel daranzufegen unter der Bedingung, daß, was dadurch 
erreicht wurde, durch die erbliche Belafiung der Hauptmann- 
i&aft feinem Haufe zu gute käme. Es war ein durdaus un- 
politifches Geſchäft. Weber die Interefien des Reiche noch die 
Prug, Preußifhe Geſchichte. 1. 9 


130 Erſtes Bug. Die Elemente des preußifgen Staates (bis 1598). 


großen kirchlichen Fragen kamen dabei in Betradht, fondern 
allein die Zukunft ber Marken. Auch findet fi feine Spur 
von weitergehenden Plänen des Königs, namentlich nicht von 
der Abficht zur Uebertragung auch der Kurwürde auf Friedrich. 
Wohl aber erhielt dies Geſchäft höhere Bedeutung durd die 
Stellung der Männer, die es eingingen, und durch das, was 
beide zur Vertretung ihrer gemeinfamen Intereſſen in biefer 
Angelegenheit weiter thun mußten. Dahin gehört bereits die 
Verbindung, die Siegmund zwijchen dem neuen brandenburgi- 
ſchen Hauptmann und Herzog Rudolf von Sachſen vermittelte. 
Als ſich infolgedefjen Friedrichs Sohn Johann mit Barbara, 
des Sachſenherzogs Tochter, verlobte, verihrieb Siegmund dem 
jungen Paare auf die Marf eine Auzfteuer von 50 000 Gulden. 
Das Land konnte alfo nur gegen 150 000 Gulden zurüdgeforbert 
werden: hei ber fteten Gelbnot ber Quremburger durfte die 
Hauptmannſchaft baher bereits ala dauernder Beſitz der Hohen- 
zollern gelten. Doc blieb fie nur ein Amt und verlieh ihrem 
Inhaber feine im eigenen Recht wurzelnden Befugniffe. Wenn 
Siegmund um jene Zeit auch die Verlobung der einzigen Tochter 
des Burggrafen mit Herzog Albrecht von Defterreich vermittelte, 
fo geſchah das, weil eine fo ungewöhnliche Stellung feines erften 
Minifters ihm felbft zu gute fam. 

Bedenkt man, wie in der Mark die landesherrlihen Güter 
und Gerechtſame an die ſchloßgeſeſſenen Herren gefommen waren, 
und daß dieje nichts fo fehr anftrebten ala ihre Behauptung, 
fo begreift man, daß im diefen Kreifen die Ernennung des 
Nürnberger Burggrafen zum Landeshauptmann übel vermerkt 
wurde. Daher fand Wend von Sleburg, den Friedrich am 
21. Juli 1411 zum Unterhauptmann beſtellte und beauftragte, 
für ihm die Huldigung der Stände zu empfangen, die Landes: 
tegierung zu führen und die verpfändeten Schlöffer, Güter und 
Renten einzulöfen, bei feinem Erjheinen nirgends Gehorjam 
und mußte unverridteter Sache umkehren. Nicht beifer verlief 
ein zweiter Verſuch 1412, obgleich ihm Siegmund durch eine 
eindringlide Vermahnung der Stände zu Hilfe fam. Sollte 
feine Autorität nicht gleich vettungslos Schiffbruch leiden, jo 
mußte Friedrich ihr Anerkennung erzwingen. Daß er Sieg: 


I. Die Mark Brandenburg. 131 


munds Beamter blieb, wenn aud) ein befonders bevorzugter, 
fteigerte die Schwierigkeiten. Dachten die märkiſchen Junker 
doch nit daran, was der König ſelbſt nicht erreicht oder nicht 
zu fordern gewagt hatte, feinem Untergebenen zuzugeftehen: 
fie meinten ihn heimſchicken zu können, wie erſt feinen Unter: 
hauptmann. Crklärte doch der einflußreiche Kaſpar Gans Edler 
zu Putlig, die Hauptmannfchaft über Altmark und Priegnig 
fei von Jobſt von Mähren ihm übertragen und für Iegteres 
Gebiet auch von Siegmund belaffen worden. Bald genug jedoch 
follten die frehen Reben verftummen, mit denen die Herren 
ſich über den zu erwartenden „Nürnberger Tand“ Iuftig machten. 

Im Juni 1412 erjhien Friedrih in der Marf. Gleich 
zeigte fi) mancher gefügiger. Hatte ſich ihm doch ein ftattliches 
Gefolge, zum Teil — wie die Herzöge Rudolf und Albert von 
Sachſen — freiwillig angejchloffen. Auf den 10. Juli beſchied 
er die Stände nad) Brandenburg: aber ſchon vorher nahmen 
ihn Berlin und Cöln, Spandau und Nauen auf und hulbigten 
ihm gegen Beftätigung ihrer Freiheiten. Auf dem Landtage 
folgte die Mehrheit der übrigen Städte diefem Beifpiel. Um 
fo feder trat der Adel auf. Kajpar Gans zu Putlig erklärte 
erſt die Fönigliche Verleihungsurfunde prüfen und mit feinen 
altmärkiſchen Genofien Rüdiprade nehmen zu müſſen. Auf 
feinen Antrieb verweigerte der Adel der Altmark und Priegnig 
Friedrich die Anerkennung, und wohl oder übel mußten die 
Städte ein Gleiches thun. Auch ein Teil der Mittelmark ſchloß 
fi) an, während der andere ſamt der Udermark zu Smwantibor 
von Pommern hielt, den dort einft Jobft von Mähren zum 
Hauptmann beftellt Hatte. Nur in einem Teil der Mittelmark 
drang Friedrich alfo dur, und jelbft dort fehlte es nicht an 
Oppofition. Ihre Häupter waren die Brüder Dietrih und 
Hans von Quitzow. Vorübergehend von Jobſt von Mähren mit 
der Hauptmannfchaft betraut, hatten fie allen, die nad ihnen 
dazu berufen waren, burd) Widerſetzlichkeit jeder Art die Führung 
des Amtes unmöglich gemacht und die fo bewirkte Löfung aller 
Ordnung benugt, um ſich nicht bloß auf Koften der geiftlihen 
Stifter, der Städte und Dörfer zu bereichern, fondern auch 
die Nachbargebiete, namentlih das Magdeburgifche, räuberiſch 


132 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (6i8 1598). 


heimzuſuchen. Jetzt errichteten fie einen Adelsbund, um dem 
„Nürnberger“ die Huldigung und die Herausgabe der ihnen 
verpfändeten Schlöfler zu verweigern. Siegmunds erneute Mah— 
nung verhallte ungehört. Denn noch rechneten die Herren auf 
Hilfe von den fürftlihen Nachbarn, die fich feit Jahren auf 
Brandenburgs Koſten bereicherten. Dem aber beugte Friedrich 
im Herbft 1412 durch eine Neihe von Verträgen vor, bie er 
zur Begleihung alter Streitigkeiten und zu gemeinfamem Ein= 
ſchreiten gegen rebelliſche Unterthanen und Friedensbrecher mit 
Erzbifhof Günther von Magdeburg, mit den Herzögen Bern: 
hard von Braunſchweig-Lüneburg und Heinrid von Braun: 
ſchweig und ſchließlich auch mit dem Grafen Albrecht von An: 
halt einging, der anfangs feines Haufes Anrecht auf die Mark 
geltend zu machen gedacht hatte. Dagegen brachen die Söhne 
Herzog Swantibors von Pommern-Stettin, Dtto und Kafimir, 
im Oftober 1412 ein, wurden aber auf dem Kremmer Damm 
in blutigem Kampf zur Umkehr genötigt, und da nun auch ber 
Magdeburger Erzbifhof den Einfällen der Quitzows Fraftvoll 
entgegentrat, zog es bald mander von den Schloßherren vor, 
Frieden zu mahen. Auch die Städte und Mannen der Priegnig 
hulbigten, und Ende des Jahres war Friedrid) Herr der Mark, 
fo weit fie nicht in der Gewalt der ‘Pommern oder dem 
Deutſchen Orden verpfändet war. Noch aber ftanden bie Quitzows 
und Kaſpar Gans zu Putlig in Waffen. Sie wurden auf ben 
17. Januar 1413 vor des Burggrafen Hofgericht geladen. Zwar 
erſchienen fie nicht: aber von ihren Anhängern eilten nun doch 
mande fi mit dem neuen Heren zu verftändigen. Auch er= 
leichterte diefer ihnen das möglichſt. Anfang Mai 1413 be: 
willigte er der Mehrzahl der Herren in Berlin einen Vergleich, 
nah dem fie — für fie die Hauptfahe — die verpfändeten 
Schlöffer vorläufig behielten, aber jpäter auszuliefern verſprachen, 
auch ſich verpflichteten, Friedrich als vollberehtigtem Vertreter 
des Landesherrn zu gehorhen. Selbft die Brüder Quitzow und 
Kafpar Gans zu Putlig traten dem Abkommen bei, bewilligten 
ſogar die fofortige Auslöfung etlicher für den Burggrafen be: 
ſonders wichtiger Pläge. 

Damit war der Streit im Prinzip zu Gunften Friedrichs 


U. Die Mark Brandenburg. 133 


entſchieden. Nur reichten feine Mittel nicht aus, um bas Ein— 
löſungsgeſchäft in größerem Maßſtabe durdzuführen. Er mußte 
zur Ausftelung von Schuldfcheinen feine Zuflucht nehmen und 
eben erft eingelöfte Echlöffer von neuem verpfänben, freilich 
nur an zuverläjfige Leute. Daß aber dem räuberifchen Treiben 
des märkiſchen Adels überhaupt ein Ende gemadht wurde, war 
erft feinem Zuſammenwirken mit feinen Nachbarn zu banken, 
namentli mit den jungen Herzögen von Pommern-Wolgaſt, 
den Söhnen feiner Schwefter Veronika, und ihrem Vormund, 
Herzog Wratisfam VIII., und mit Günther von Schwarzburg, 
dem Erzbifchof von Magdeburg. Des legteren Gebiet ſuchten die 
Quitzows immer wieder heim, unbefümmert um fein Bündnis 
mit dem Burggrafen. Auch Putlik hatte die Hand dabei im 
Spiel. Erſt als diefer im November 1413 von feinen Gegnern 
gefangen und feitgefegt wurde, fonnten die verbindeten Fürften 
hoffen, durch eine, fraftvolle That dem Quitzowſchen Unweſen 
ein Ende zu maden. Dur eine Waffenruhe und Vermittelung 
eines Stillftandes auch mit dem Erzbifchof wurden die Genoffen 
der Raubritter, die von ber Schulenburg, von dem Kneſebeck, 
von Jagom u. a., in Sicherheit gewiegt. Schnell traf Frieb- 
ri die nötigen militärifchen, finanziellen und biplomatifchen 
Vorbereitungen und vereinbarte mit Erzbifhof Günther und 
Herzog Rudolf von Sachen den Operationsplan, um die Frevler 
von allen Seiten zugleich zu faſſen und das Entlommen ber 
Häupter zu hindern. Vergeblich erboten fi) die Quitzows jegt 
zu Vergleihsverhandlungen. Dagegen erhielt Rathenow, das 
bisher zu ihnen geftanden, gegen Zufage der Huldigung die 
erbetene Gnade, da man fo ben Gegnern einen wichtigen Stüß- 
punkt entzog. In ben erften Tagen des Februar 1414 erfolgte 
dann der Angriff. Vor dem feiten Golzom, dem Raubneft des 
den Quitzows verbündeten Wichard von Rochow, erichien Herzog 
Rudolf von Sachſen. Der Erzbiihof von Magdeburg ſchloß 
Hans von Duigow in Plaue ein. Friedrich felbit Tegte ſich 
mit der Hauptmacht vor das Schloß Friefad, um Dietrich von 
Quitzow zu bewältigen, und eine vierte Abteilung berannte das 
von einem Quitzowſchen Hauptmann verteidigte Veuthen. Dank 
dem ſchweren Geſchütz, das man gegen fie fpielen ließ, waren 


134 Erſtes Bud. Die Elemente des preufifhen Staates (bis 1598). 


in drei Wochen alle vier Pläge genommen, zuerit Frieſack und 
dann nad) Furzer Beftürmung durch die Sachſen Golzow. Plaue 
erlag dem gemeinfamen Angriff Friedrichs und der Magde— 
burger: Hans von Duigom wurde auf der Flucht gefangen. 
Als die fiegreihen Fürften dann vor Beuthen erfjienen, ergab 
ſich auch dieſes. 

Nun beugte ſich alles in Gehorſam. Zum erſtenmal konnte 
Friedrich auf einem Landtage zu Tangermünde feine landes— 
herrlichen Gerechtſame ohne Widerſpruch üben. Dort wurden 
auch die Quitzow und ihre Mitſchuldigen abgeurteilt: ſie büßten 
ihre Lehen und Eigengüter ein und verblieben, ſo weit ſie nicht, 
wie Dietrich von Quitzow, entkommen waren, in ſicherem Ge— 
wahrſam. Dann erließ er dort mit Zuſtimmung der Stände 
am 20. März 1414 einen Landfrieden: er faßte kurz zuſammen, 
was zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe und der Sicherheit von 
Leib, Leben und Beſitz des Einzelnen in Deutſchland von alters 
her Rechtens war, und gab jeden Friedensbruch um ſo ſicherer 
ſtrenger Vergeltung preis, als er alle Einwohner zu unnach— 
fihtigem Einfchreiten dagegen verpflichtete. Prälaten, Städte 
und Mannen mußten Verzeichniffe der in ihrem Sold ftehenden 
Bewaffneten einreichen und wurden für fie verantwortlich ge 
madt. Damit griff hier ein neues Syflem bes öffentlichen 
Rechtes Platz. Indem Friedrich die Erhaltung der öffentlichen 
Sicherheit und die Beſtrafung aller, die fie ftörten, für bie 
vornehmfte Pflicht der Herrichaft erklärte, die Pflicht, in ber 
ihr Wefen und ihr Recht eigentlich wurzelte, verband er jeden 
Sandftand, in feinem Machtbereich und mit feinen Machtmitteln 
die gleiche Ordnung durchzuführen, wollte er ſich nicht durch 
die Unterlaffung felbit eines Kapitalverbrechens ſchuldig machen. 
Ohne die innere Autonomie der Stände zu Fürzen, traf er doch 
ihre politiſche Macht an der Wurzel. Für ſtändiſche Einungen 
blieb fein Platz: das zeigte gleich die ftrenge Beftrafung bes 
Herrn Werner von Holzendorf, der dem megelagernden Dietrich 
von Quitzow Vorſchub geleiftet Hatte. 

Ein Friedenszuftand, wie fie ihn lange nicht gekannt, 
herrſchte in der Mark, bald auch von denen gepriefen, die ihn 
zunächſt als eine Schädigung ihrer Selbftherrlichkeit befämpft 


I. Die Mark Brandenburg. 135 


hatten. Daß der Burggraf im übrigen die Rechte der Stände 
und ihren Einfluß auf die Landesangelegenheiten achtete, über- 
wand manches Vorurteil. Verdankte man ihm doch auch Frieden 
mit den Nachbarn: jelbit die Pommernherzöge hielten ſich jegt 
vorfihtig zurüd. So konnte Friedrich nach zwei Jahren das 
Land zum erftenmal verlaffen. Zur Regentin beftellte er feine 
Gemahlin Elifabeth, gab ihr aber in dem gejchäftsfundigen 
Johann von Waldow, dem fpäteren Biſchof von Brandenburg, 
einen bewährten Gehilfen und gewann ihr Herzog Ulrich von 
Medlenburg-Stargard und die Fürften Balthafar und Chriftoph, 
Herren von Werla, durch befondere Dienftverträge zu Beihügern 
gegen die unruhigen Stettiner Herren. 

Aber nicht die Angelegenheiten von Reich und Kirche 
führten Friedrich zu Siegmund und mit diefem nad) Konftanz. 
Sein Anteil an ihnen ift nur gering: auch erfcheint er dabei 
wieder ganz als Beamter des Kaiſers, nicht als Fürft mit eigenen 
politifhen Zielen. Für ihn gingen die märkiſchen Angelegen- 
beiten jetzt allen voran. Denn jeine Stellung in der Marf 
blieb unnatürlih und unfiher, fo lange er ihr nur ala Ver: 
treter Siegmunds gegenüberftand und fürftlih walten follte 
ohne eigenes fürftliches Recht. Erklärten doch mande Schloß: 
herren fophiftifh, die verpfändeten Güter und Burgen einzu= 
löfen ſei der König, nicht fein Statthalter berechtigt. So mußte 
Friedrich ſuchen, aus einem Beamten felbft Inhaber fürftlichen 
Nehts, aus einem Hauptmann Landesherr zu werben. Auch 
für Siegmund empfahl fi das. Da er die Landeshoheit über 
die Mark ohnehin nicht mehr in Händen hatte, gab er mit 
dem Verzicht darauf nichts auf. Wohl aber bedurfte er eines 
ihm ſelbſtlos ergebenen Parteigängers unter den Reichsfürſten. 
Niemand hatte bisher feines Hauſes Intereffen jo eifrig ver- 
treten wie ber Burggraf: ihn galt es ſich dauernd zu verbinden. 
Auch war Siegmund ihm von Herzen zugethan und liebte ihn 
wie feinen leiblihen Sohn. Doc betrachtete er ihn zugleich als 
„Seine Kreatur” und verlangte von ihm bebingungslofe Hin- 
gabe. Selbft ohne Sohn, meinte Siegmund wohl gar für das 
Reich nicht beffer ſorgen zu können, als wenn er ihm zur Nach— 
folge auf den Thron verhalf. 


136 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bi 1598). 


Auf ſolche Erwägungen läßt das Abkommen ſchließen, das 
der Kaiſer am 30. April 1415 mit Friedrich vollzog. Friedrich 
erhielt das Land, dem er bisher ala Hauptmann vorgeftanden, 
ſamt der Kur- und Erzfämmererwürbe, trat aljo in die Rechte 
ein, die dort Siegmund bisher gehabt hatte. Doch gefhah das 
nicht zum Lohne für die Verdienfte, die er fih um jeinen 
faiferlihen Herrn erworben, fondern allein aus Rückſicht auf 
die Wohlfahrt der Mark, melde, „wie landfundig, gedachter 
Friedrich durch feine Vernunft, mit feiner Macht, Arbeit und 
Wagnis ſowie aud mit großen Aufwendungen und Koften in 
einen fo vortrefflihen Zuftand des Friedens gebracht” und der 
dieſes Glück erhalten werben jollte. Weiter beſtimmte ein Ver- 
trag vom 3. Mai 1415, falls Friebrih VI. mit Siegmunds 
Geheiß und Willen römiſcher König würde, follte er die Mark 
ohne Entſchädigung herausgeben, während die Luremburger fie 
jederzeit um 400000 Gulden zurüdfaufen könnten. Durch 
dieſen Vorbehalt entzog man Wenzel und den böhmiſchen Ständen 
das Recht des Einfpruds gegen den Vertrag. Denn von 
Karl IV. mit Zuftimmung der beiderfeitigen Stände Böhmen 
einverleibt, konnte die Mark eigentlich nicht ohme Gutheißen 
derſelben Inftanzen wieder davon getrennt werden. Praktiſche 
Bedeutung aber hatte die Klaufel nicht, da die Luremburger 
dem Ausfterben nahe und die Rücktaufſumme aufzubringen 
außer ftande waren. Obenein blieb das Abkommen vorläufig 
geheim. Dagegen ftimmten die Kurfürften durch ihre Willebriefe 
der Erhebung Friedrichs zu und nahmen ihn in ihr Kollegium 
auf. Der feierlide Akt der Belehnung durch den Kaifer er: 
folgte aber erft bei einer fpäteren Anmefenheit Friedrichs in 
KRonftanz, am 18. April 1417, mit dem üblichen pomphaften 
Beremoniell. 

Als Landesherr Fehrte Friedrich im Herbft 1415 in die 
Mark zurüd. Ungeſtört war die Ruhe dort inzwijchen nicht 
geblieben. Dietrih von Quitzow hatte jeine Räubereien erneut 
und Nauen niedergebrannt. Auch die Medlenburger und bie 
Pommern hatten die Grenzgebiete heimgeſucht. Aber wie bie 
Verhältniffe gewandelt waren, zeigte bie energiſche Gelbft- 
hilfe der Städte gegen ſolche Beläftigungen. Des Markgrafen 


M. Die Mark Brandenburg. 137 


Erſcheinen ftelte die Ordnung vollends her. Am 21. Oftober 
empfing Friedrich in Berlin die Huldigung der Stände gegen 
Beſtätigung ihrer Rechte und Freiheiten. Und fo fiher fühlte 
ex fi} bereits in feiner neuen Stellung, daß er fie alsbald zur 
Grundlage weiterer Entwürfe machte. Damit aber änderte ſich 
jein Verhältnis zu Siegmund, auf dem doch alles beruhte, was 
er biöher erreicht hatte. Wie leicht konnten die Pflichten eines 
kaiſerlichen Minifters mit den fürftlichen Interefien kollidieren! 
Und war von ihm zu verlangen, daß er die Zukunft feines 
Haufes dem Vorteil der Luremburger opferte? Daran hinderte 
ihn ſchon die ernfte Auffaffung feiner Herrfcherpflihten. Land 
und Leute waren ihm von Gott anvertraut, und für fie 
zu forgen mit Hintanfegung jeder perjönliden Neigung und 
jeder anderen Verpflichtung war ihm ein religiöjes Gebot. 
Freilih hat er nicht vergefien, was er Siegmund ſchuldete. 
Aber einmal waren die Verhältnifie ftärker als er, und dann 
beſchleunigte Siegmund den Konflift durch die übermäßigen 
Anfprüde, die er an feine Dankbarkeit ftellte. 

Wie heute in der Weberlieferung, jo wird es bamals im 
Verlauf einer verwidelten diplomatiſchen Aktion nicht leicht 
gewejen jein, in Friedrichs I. Anteil daran das reichsfürſtliche 
Handeln von dem bes erjten Faiferlihen Rats zu fondern. In 
beiden Eigenſchaften handelte er, wenn er ſich des Deutichen 
Ordens annahm und jelbit nad) Marienburg ritt, um den 
Meifter zur Annahme der Bedingungen zu vermögen, von denen 
Siegmund die Hilfe gegen Polen abhängig machte. Doch ge: 
lang ihm das jo wenig wie die Vermittelung eines Stillitandes 
zwiſchen dem Orden und dem Polen verbündeten Herzog Bogis- 
law von Pommern:Stolp. Seinen eigenen Streit mit ben 
Herzögen von Stettin, die auf feine Klage wegen Einbehaltung 
der udermärfifchen Gebiete die Reichsacht getroffen hatte, er— 
lebigte ein Vergleich, der ihm bie entfremdeten Lande zurüd- 
gab. Mit dem Herzog von Medienburg verftändigte er ſich über 
die unklare lehensrechtliche Stellung ber Herren von Werla. Die 
Bündniffe mit dem Herzog von Braunſchweig-Lüneburg und bem 
Erzbifhof von Magdeburg erweiterte er. Aber ſchon jhweiften 
feine Gedanken in die Ferne. Der Plan eines um die Mark 


138 Erſtes Bug. Die Elemente des preußiſchen Staates (bi? 1598). 


als Hauptland gruppierten nordoſtdeutſchen Großftaats ftieg in 
ihm auf. Ihm diente bereits im Mai 1416 die Vermählung 
feines Sohnes Johann mit Barbara von Sachſen: da fomohl 
deren Vater, Herzog Rudolf, wie jein Bruder ohne Sohn war, 
ſchien Sachſen in abfehbarer Zeit mit der Mark vereinigt werden 
zu müflen. Pommern und Medlenburg folten unter branden- 
burgiſche Lehenshoheit gebeugt werden. Dieje Angelegenheit zu 
betreiben, ritt Friedrich, nadhdem er wieberum ein Jahr in ber 
Mark geweilt hatte, im Herbft 1418 abermals nad Konftanz. 

Er fand Siegmund in übler Lage. Bon dem Konzil war 
nichts mehr zu hoffen. Die rheinifchen Kurfürften jtanden dem 
König feindlich gegenüber; fein Bund mit England drohte 
kriegeriſche Verwidelung mit Franfreih. Mehr denn je brauchte 
Siegmund einen zuverläffigen Nüdhalt. So ging er bereit: 
willig auf Friedrichs Plan zur Gründung eines großen Staates 
im Norboften ein: konnte er ſich davon doch auch Vorteil gegen 
Polen veripreden. Ein Erlaß vom 17. Juli 1417 hatte den 
Pommernherzögen die Lehensabhängigfeit von Brandenburg in 
Erinnerung gebracht. Sie antworteten mit neuen Feindfeligfeiten. 
Mecklenburg, ähnlich bedroht, ſchloß fi ihnen an. Ueberall 
erhob man ſich zur Abwehr des hohenzollernſchen Machtſtrebens. 
Auch Erzbifhof Günther griff zu den Waffen und leiftete ſogar 
neuen Raubthaten Dietrichs von Quitzow Vorſchub, während 
die Herren von Werla fih als „Fürften der Wenden” unab- 
Hängig machten. Alle bisherigen Erfolge Friedrichs ftanden auf 
dem Spiele. So glaubte Siegmund feiner ganz fiher zu fein: 
um ber eigenen Stellung willen ſchien Friedrich zu ihm halten 
zu müflen. Am 2. Dftober 1418 ernannte ihn ber Kaifer, 
den die Türfennot nad Ungarn rief, zum Reichsverweſer. Das 
fegte vollftes Einverſtändnis beider voraus und bot Friedrich 
Gelegenheit, feine eigenen Entwürfe wirfjamft zu fördern. Aber 
gerade dabei offenbarte ſich die Unvereinbarfeit der Stellung 
eines erften Faiferlihen Minifters mit ber eines Reichsfürften. 
Denn eben in den Fragen, zu denen er als Reichsverweſer 
zunächſt Stellung zu nehmen hatte, kollidierte Friedrih mit 
den Mächten, auf die er mit feinen Entwürfen beſonders an— 
gewieſen war. Voran ftand Polen, bei dem Siegmund ungarifche 


I. Die Marl Brandenburg. 139 


und böhmifche Interefien auf Koften der deutſchen Rechte zu 
fördern gewohnt war. That Friedrich das aud), fo arbeitete er 
ſich jelbit entgegen; wenn nicht, fo verfeindete er fi Sieg: 
mund. Hätte der Kaifer den zu Hoch geftiegenen Günftling 
unſchädlich machen wollen, ohne felbft zu handeln: — er hätte 
kaum einen befieren Weg einſchlagen fünnen. 

In dem Streit über die Ausführung des Thorner Friedens 
von 1411 hatte Siegmund erft dem Orden feine Hilfe an— 
geboten, fie aber an unannehmbare Bedingungen gefnüpft. 
Hinterher ergriff er Polens Partei und fperrte dem Orden den 
Zuzug aus Deutſchland. Für Brandenburg aber war ein übers 
mädhtiges Polen eine dauernde Gefahr. Deshalb nahm ſich der 
Markgraf mit dem Papfte und ben rheinifhen Kurfürften des 
Ordens an, forderte aber dadurch erft recht die Feindfchaft 
König Wladislams II. heraus, welcher hinfort in allen Gegnern 
der Hohenzollern feine natürlichen Verbündeten jah. Und nun 
ftand bereits im Frühjahr 1419 ein weit verzweigter Fürftenbund 
gegen Friedrich in Waffen. Mit den Herzögen vonjMedienburg, 
von Pommern-Stettin und Pommern-Wolgaft vereinigte er bie 
von Braunſchweig⸗Lüneburg, Sachſen-Lauenburg und Holftein- 
Stormarn und die Herren von Werla. Auch der Erzbiſchof von 
Magdeburg mochte nicht müßig bleiben und ſelbſt die Hanfa- 
ftäbte erhoben ſich drohend. Zum Glüd für Friedrich aber fiel 
Herzog Johann von Medlenburg-Stargard in die Hände bran- 
denburgiſcher Mannen: das nötigte feine Verbündeten Ruhe zu 
halten und ermöglichte Rudolf von Sachſen die Vermittelung. 
Da trieb des Markgrafen Parteinahme für den Orden aud 
Polen in die Reihen feiner Gegner. Ihm ſchloß ſich Herzog 
Erid von Pommern-Stolp an, der die nordiſche Unionskrone 
trug, und aud Siegmund knüpfte mit ihm an. Durch Auf- 
teilung bes Ordensſtaates dachte man bie Machtverhältniffe im 
Norden umzugeftalten. Die deutichen Herren follten, nad) Cypern 
verpflanzt, ihrer urjprünglihen Beltimmung wiedergegeben 
werben. Auch die Tage der Hohenzollern in der Mark ſchienen 
gezählt. Da führte der Tod Wenzeld von Böhmen und ber 
Ausbruch des Huffitenaufftandes einen Umſchwung herbei. Denn 
die Sorge vor der Unterftügung der böhmischen Aufrührer dur 


140 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


Polen trieb Siegmund wieder auf die Seite deö Ordens, und 
diejer konnte mit dem Schiedsfprud zufrieden fein, den der 
Kaifer am 6. Januar 1420 zu Breslau in feinem Streit mit 
Polen abgab. Um den Markgrafen zum Kampfe gegen die 
Huffiten freizumaden, vermittelte Siegmund zwifchen ihm und 
dem Herzog von Braunfchmweig-Lüneburg. Aber an dem Einfall 
der Pommernherzöge in die Mark im Frühjahr 1420 nahmen 
polniſche Hilfstruppen teil. Doch erfocht Friedrich, der auf die 
Kunde davon nad der Mark zurüdgeeilt war, am 25. bis 
27. März über beide einen entiheidenden Sieg. Alsbald zer— 
fiel der große Bund: der Magdeburger Erzbiſchof ſchloß Frieden, 
und für Polen trat Siegmund vermittelnd ein, um Wladis- 
law Il. zur Hilfe gegen die Huffiten zu gewinnen oder doch 
wenigitens von deren Unterftügung zurüdzuhalten. 

Diefe Anknüpfung hatte unerwartete Folgen. Eines neuen 
Kampfes mit feinen norbdeutfhen Gegnern gewärtig und in 
Süddeutſchland namentli durch Herzog Ludwig von Bayern= 
Ingolſtadt angefeindet, jah der Markgraf den ſicherſten Weg 
zur Löfung aller Schwierigkeiten in ber Verftändigung mit 
Polen. Freilich bebeutete das einen völligen Syſtemwechſel: er 
wurde ein Gegner des Deutihen Ordens und Bündner Polens, 
und zwar in dem Augenblid, wo Wladislaws Vetter, Witowd 
von Litauen, die böhmiſche Krone annehmen und als Haupt. 
der Huffitiichen Keger den Kampf gegen die Luxemburger be— 
ginnen wollte. Dennoch warb der Markgraf für feinen zweiten 
Sohn Friedrih um Wladislams Tochter Hedwig, damals die 
Erbin der polnifchen Krone. Gewiß hatte da Siegmund, dur 
die Oppofition der rheinifchen Kurfürften bebrängt, Grund, über 
den Undank feines vertrauteften Rates zu klagen. In einem 
Zorn und Schmerz atmenden Briefe vom 28. Februar 1421 
erinnerte er diefen an alles, was er ihm ſchuldete: er appellierte 
an jeine Chrenhaftigfeit, an feine Vernunft und Weisheit, 
denen fein Vorhaben ebenjo wenig entjpräde wie der Treue 
gegen Kaifer und Reid. 

Der Appell fam zu ipät. Im Frühjahr 1421 zog der 
Markgraf nad Krakau. Der Verlobung feines Sohnes Fried: 
ri mit Hedwig von Polen folgte am 8. April der Abſchluß 


I. Die Mark Brandenburg. 141 


eines polniſch⸗brandenburgiſchen Schutz- und Trugbündniffes. 
Aber obgleich ihm dieſes die Unterftügung Polens gegen ben 
Orden auferlegte, bewirkte Friedrih doch zunädft die Ver- 
längerung bes Stillftandes bis zum Januar 1422. Zugleich 
fandte er feinen Sohn zur Erziehung an den polnifchen Hof 
und fperrte dem Orden den Zuzug durch fein Land, ſchickte 
jedoch Polen die ſchuldige Hilfe nicht, weil er Siegmund gegen 
die Huffiten unterftügen mußte, dieſelben Huffiten, für bie 
Polen⸗Litauen eben die Waffen ergreifen wollte. Noch unflarer 
wurbe feine Stellung, als ihn Siegmunds nun fteigende Feind: 
ſchaft im Reiche zu engem Anſchluß an die rheinifchen Kur: 
fürften nötigte: drangen diefe doch auf Ausrottung ber huffi- 
tifchen Ketzerei, ließen den Oberbefehl dazu dem Markgrafen 
übertragen und nahmen ſich des Ordens eifrig an. 

Friedrich war in heillofe Widerſprüche geraten: jeder 
Partei irgendwie verpflichtet, mußte er fi von allen Unzu: 
verläffigfeit und Doppelzüngigfeit vorgeworfen jehen. Er rüftete, 
angeblid zum Zuge nad Böhmen: ließ fi) aber fagen, gegen 
wen er die Waffen zunächft zu führen haben würde? Um im 
Nüden gevedt zu fein, machte er nun auch mit den Quitzows 
Frieden: Tonnte doch die kriegeriſche Erfahrung der übel bes 
rufenen Herren ihm bald von Nugen fein. Dietrich von Quitzow 
war 1417 geftorben: im Juli 1421 verfchrieb Friedrich feinen 
beiden Söhnen und ihrem Oheim Hans als Erjag für die ihnen 
abgeſprochenen Güter die Burg Lenzen, nachdem fie unter 
Burgſchaft angejehener Herren fi ihm unterworfen hatten. 
Augenfheinlih meinte er feinen Mann und fein Schwert ent- 
behren zu fünnen. Wofür aber wollte er alles das einfegen? 
Deutſche Politit war es doch nicht, wenn er auf dem Nürnberger 
Reichstage gemeinfam mit Polen alle dem Orden günftigen 
Beſchlüſſe Hintertrieb. Als dann aber Witomd von Litauen 
den für den Orden unverhofft günftigen Frieden von Melnofen 
(27. September 1422) vermittelte, war das eine Niederlage 
nicht bloß Siegmunds, der in dieſer Sache Schiedsrichter fein 
wollte, ſondern auch — und in noch höherem Make — Friedrichs, 
mochte er den Vorgang als Bündner Polens oder als Reichs: 
fürft anfehen. Ganz übel aber wurde Friedrichs Lage, als es 


142 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


Siegmund gelang, den rheiniſchen Kurfürftenbund zu fprengen. 
Keinem feiner Verbündeten hatte er das Schuldige geleiftet: 
alle wünſchten ihm das Heimzuzahlen. Die Gelegenheit dazu 
fand fi bald. 

Auf Grund der Ehe feines älteften Sohnes Friedrich mit 
Barbara, Herzog Rudolfs Tochter, nahm er nad) dem Finder: 
loſen Tod von Rudolfs Bruder Albreht von dem Herzogtum 
Sachſen Beſitz. Siegmund aber verlieh es im Januar 1425 
Friedrid) von Meiben. Sollte der Hohenzoller an die Waffen 
appellieren? Dann wären mit dem Wettiner von Meißen und 
dem Kaifer alle feine Widerſacher im Felde erſchienen. Die 
Pommern und die Medlenburger würden ſich beeilt haben, ihre 
Unabhängigkeit fiher zu ftellen. Dabei konnte er aud auf 
Polen nicht mehr reinen. Eilte Wladislaw II. doch das Unrecht, 
das er durch Begünftigung der Huffiten begangen, durch ein 
Bündnis mit Siegmund wieder gut zu machen. So ftand biefer 
an der Spige einer Koalition, die alle norddeutſchen Gegner 
Friedrichs mit dem Polenkönig und Eric) von Pommern einigte. 
Und ſchon war der ſchlaue Luxemburger dabei, mit dem polniſchen 
Verlöbnis ben legten Rüdhalt Friedrichs zu Fall zu bringen. 
Da fuchte diefer einen Ausweg (Januar 1424) durch Anſchluß 
an den Bingener Bund der Kurfürften, der zwar Siegmund 
im Reichsregiment von fi abhängig machen, aber doch auch im 
Intereſſe des Huffitenkrieges, der über alle diefe Wirren ganz 
in Stillftand geraten war, zwijhen ihm und dem König ver: 
mitteln wollte. Aber Siegmund verlangte Auflöfung des polz 
niſch⸗ brandenburgiſchen und bes Bingener Bundniſſes und Auf: 
hebung des polnifchen Verlöbnifjes, das heißt Unterwerfung auf 
Gnade und Ungnade. Als Friedrich das ablehnte, ließ er ihn 
wegen feines Streites mit Zubwig von Bayern-Ingolſtadt vor 
das Hofgericht laden und machte — ein Akt ärgfter Perfidie! — 
dem Polenfönig und feinem litauifChen Vetter die bisher ge— 
heim gehaltenen Urkunden über die Belehnung Friedrichs mit 
der Mark befannt, um zu beweiſen, daß der Hohenzoller gar 
nit Herr, jondern nur Pfandbefiger derfelben fei und jeden 
Tag wieder daraus entfernt werben fünne. 

Ales ſchien fh gegen Friedrich verſchworen zu haben. 


1. Die Mark Brandenburg. 143 


Denn au die Hoffnungen, die er auf das polnische Verlöbnis 
gefegt, wurden Hinfällig, als im Herbft 1424 dem greifen 
Wladislam feine junge dritte Gemahlin einen Sohn gebar. 
Obenein griffen die Pommern zu den Waffen. Bald ftanden 
auch die Medlenburger im Felde. Polen leiftete ihnen Zuzug. 
Mit allen verfügbaren Mannſchaften eilte da Friedrich ſelbſt 
zur Rettung der Mark, mußte aber vor der Uebermacht weichen 
und nad einem mißlungenen Angriff auf das fefte Vierraden 
mit Zurüdlaffung von Gefhüg und Gepäd fi durch eilige 
Flucht in Sicherheit bringen. Selbft der Befig der Mark ftand 
nun auf dem Spiel, und die Großmachtspolitik, zu der Friedrich 
die Ueberfhägung feiner Kraft verleitet hatte, drohte das Ver: 
hängnis feines Haufes zu werden. Nur ein jchneller Friede 
konnte e8 abwenden, Entſchloſſen fügte ſich Friedrich dieſer 
Notwendigkeit und machte jo die Fehler wieder gut, die er in 
übereilter Jagd nah Land: und Herrihaftsgewinn begangen 
hatte. Noch im Frühjahr 1426 zog er nah Wien, um fi 
Siegmund zu unterwerfen, Daß jein Befig ungemindert blieb, 
wird er fürftliher Fürfprade zu banken gehabt Haben. Der 
Verziht auf die polniſchen Pläne und den norboftdeutichen 
Staat war felbftverftändlid. 

Eben darin aber ſcheint fo jehr der Angelpunkt von Friebe 
richs ganzem Denken und Streben gelegen zu haben, daß hinfort 
auch die Mark ein Interefje mehr für ihn hatte. Heimiſch ge 
worden war er dort nicht. Aud die Märker hatten fi zwar 
feiner ftarfen Hand gebeugt, aber ein näheres Verhältnis zu 
ihm hatten fie nicht gewonnen und fahen finfter auf fein frän- 
fifches Gefolge. So glücklich Friedrih als Hauptmann in dem 
verwilderten Lande begonnen hatte: Talent und Neigung zogen 
ihn doch mehr zu den Kombinationen der großen Politif als 
zu ben Heinen und wenig gelohnten Mühen bloß lanbesväter: 
lichen Waltens. Auch mochte ihn der Widerſpruch zwiſchen 
Wollen und Vermögen, an dem er geicheitert war, verjtimmen 
und verbittern. Statt fein Haus ſchnell zu der Höhe der Macht 
zu erheben, hatte er ihm beinahe eine Kataftrophe bereitet. 
Man begreift, daß er mit alledem nichts mehr zu thun haben 
mochte: unmutig fehrte er der Mark den Rüden. Noch vor 


144 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


Antritt der Reife nad Wien übergab er feinem Sohne Johann 
die Regierung. Sein Wirken galt hinfort den fränkiſchen Ge— 
bieten und einer vorfihtig abmwägenden Teilnahme an den 
Reichsangelegenheiten. 

Nicht in der Sorge für die Mark um ihrer jelbit willen 
hatte Friedrich I. fein Genügen gefunden: fie war ihm nur 
Mittel zum Zwed gewefen. Aber diefe einfeitige Betonung der 
auswärtigen Politik hatte einen Widerſpruch auch in die innere 
getragen. Er drohte Land und Leute in Wirrfale zurüdzus 
werfen, denen fie eben entrifjen ſchienen. Friedrichs Stellung 
in der Mark hatte auf den Städten beruht: ihnen hatte bie 
neue Ordnung Befreiung von ber Quitzowſchen Beſchwerung, 
den Landfrieven und wirtſchaftliches Gebeihen gebracht. In 
ihren inneren Streitigkeiten hatte Friedrich mehrfach gegen das 
ariftofratifhe Ratsregiment die Partei der Bürgerſchaft ges 
nommen. Da hatte er aud) Dank geerntet, indem die Städte 
ihm ſowohl gegen die rebelifhen Schloßherren wie die Nach— 
barn mit Mannſchaften und Geld beiftanden. Der Adel aber 
hatte fih nur dem Zwange gebeugt. 

Diefen Berhältniffen nun brachte Friedrichs Erfigeborener, 
Johann, Fein Verftändnis entgegen. Ohne des Vaters geiftige 
Beweglichkeit und Thatenluft und ein Freund behaglicher Ruhe, 
Tieß er die Dinge gern gehen. Das erfannten die abligen Herren 
bald und gewannen jcnell ihre alte Freiheit zurüd. Selbft- 
hilfe wurde wieder üblih, und an den Grenzen erneute fich der 
Fehdezuftand. Johann aber legte fih auf das Vermitteln. 
Finanzielle Bebrängniffe nötigten ihm zu neuen Verpfändungen, 
die ihn von den adligen Herren abhängig machten. Gemwährte 
er doch den Schloßgejeilenen der Altmark jogar Befreiung von 
dem Hofgeriht des Landes: nur vor dem Landesherrn felbit 
folten fie zu Recht ftehen. Bald litten die Stäbte unter der 
erneuten Zuchtlofigfeit des Adels und wandten fi von einem 
Negimente ab, das fie nur ſchädigte. Im Gegenfag zu bem 
Vater erſchien ihnen Johann als Städtefeind, zumal vielfadhe 
Kriegswirren ihn nötigten, militäriih und finanziell hohe An: 
ſprüche an fie zu maden. 

Denn auch die Nahbarn, die Friedrich in Reſpekt gehalten, 





I. Die Mark Brandenburg. 145 


erneuten die Feindfeligfeiten und, vom Statthalter ohne Hilfe 
gelafjen, verftändigte fi von den bedrohten Städten bald die 
eine und die andere auf eigene Hand mit dem Feinde. Prenzlau 
hatte 1424 die mit dem Rate ftreitende Volkspartei den Pom= 
mern überliefert: daß Johann nad) der Wiebereroberung ftreng 
einſchritt, brachte ihn erft recht in den Auf eines Städtefeindes, 
gegen den man ben Vater anrief und zwar, wie es ſcheint, mit 
Erfolg. Dabei ftelte auch diefer an die Städte immer neue 
Anforderungen, indem er bald einen Ketzerſchoß, bald Mann: 
ſchaften gegen die Quffiten verlangte. Dabei wirkte die geiftige 
Bewegung, die von dem Huffitentum ausging, auch auf die 
Bevölkerung der Mark ein. In den niederen Kreifen regten ſich 
demokratifcher Freiheitsdrang und unruhige Neuerungsluft, vor 
denen Johann fogar auf einige Zeit aus dem Lande wid, bis 
der Biſchof von Lebus, Chriftoph von Rotenhan, ein fränkiſcher 
Edelmann von gewinnender Milde und biplomatifcher Gewandt: 
beit, das Unwetter beſchwor und die Städte fogar zur teilmeifen 
Erfüllung der Forderungen für das Reich bewog. Dennoch 
juchten die Huffiten im Herbft 1429 und fehlimmer noch im 
Frühjahr 1432 das Land verwüftend heim. Johann ſcheint 
nichts zur Abwehr gethan zu haben. Mit Berlin, das ſchon 
als Hauptftabt galt, war er fo verfeindet, daß er nad Spandau 
überfiebelte. Geradezu verhängnisvoll aber drohte ihm 1430 
ein Konflitt mit Frankfurt zu werden. 

Dur feine Verfude, Frankfurt unter die Jurisdiktion 
des marfgräflichen Hofgerichts zu beugen, ſahen ſich alle mär- 
kiſchen Städte bedroht: am 1. Februar 1431 verbanden fi 
Berlin, Brandenburg und Frankfurt zu gegenfeitigem Schuß 
auch gegen den Landesheren. Sie rechneten auf hanſiſche Hilfe, 
ſuchten auch mit der Nitterfhaft Verftändigung. Gelang fie, 
fo war das Bündnis der Unterthanen gegen den Landesheren 
fertig und die Mark trieb ähnlichen Kämpfen entgegen, wie fie 
damals Preußen zerriffen. Dann war auch hier die territoriale 
Einheit gefährdet. Denn dem Beifpiel der drei mittelmärkifchen 
Städte folgten die der Altmark und Priegnig, nicht bloß zum 
Schu gegen Raub und Fehde, fondern auch zu gemeinjamem 
Beſchluß über fürftliche Geldforberungen. Ueberall ftieß Jo: 

Pruß, Preußiſche Geſchichte. I. 10 


146 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


hann auf Widerſetzlichkeit, und feit Berlin und Köln 1432 
durch eine gemeinfame Rats: und Gerihtsverfaflung fich zu einer 
einheitlihen Doppelſtadt verbunden hatten, durfte er vollends 
nit hoffen, ihrer Herr zu werden. So erlitt in der Mark das 
monardifche Element ſchwere Einbuße: das republikaniſche ge: 
wann an Geltung und das Land ſchien einer Entwidelung zu 
verfallen, wie fie früher das Verhängnis Schwabens geworben 
war. Für Entwürfe, wie fie Friedrich I. gehegt hatte, fehlten 
jegt alle Vorausfegungen. Selbft in voller Auflöfung, konnte 
die Mark auf die Nachbargebiete Feine Anziehungskraft ausüben. 
Glüd genug, wenn man feinen Beligftand wahrte. So über: 
ließ denn auch der Friebe, der den Grenzkrieg mit Pommern 
und Medlenburg beendete, die Entiheidung über die Lehens— 
hoheit dem Kaifer, und nad) dem Ausfterben der Herren von 
Werla 1436 ergaben fi) die Stände des Landes unter Nicht: 
achtung der brandenburgiſchen Anfprühe an Medlenburg. 

Markgraf Friedrich verfolgte diefe Vorgänge mit wachſen⸗ 
der Sorge. Augenſcheinlich war fein Erftgeborener dem Pla, 
auf den er ihm geftellt hatte, nicht gewachſen. Und doch winkte 
am erften dort im Nordoften feinem Haufe eine große Zukunft. 
Wie er da zu helfen fuchte, zeugt ebenfofehr von des Vaters 
teifer Einfiht, wie die Fügſamkeit der Söhne den ſchönen 
Familienfinn erkennen läßt, der im Gegenfag zu mandem 
deutſchen Fürftenhaufe die Hohenzollern auszeichnete und eines 
der wertvollſten Unterpfänder ihrer Zukunft war. 

Am 7. Juni 1437 beſtimmte Friedrich I. über feine Lande. 
Von feinen vier Söhnen follte der ältefte, Johann, der ſich in 
der Mark fo wenig bewährt hatte, Baireuth, der dritte, Albrecht, 
Ansbach erhalten. Unter ausdrücklichem Verziht Johanns auf 
das ihm nach der Goldenen Bulle zuftehende Erbrecht auf die 
Kur wurde diefe mit der Mark dem zweiten Sohne, Friedrich, 
zugeſprochen, in dem ber Vater am meijten von feiner eigenen 
Geiftesart gefunden zu haben feheint. Die Altmark aber follte 
diefer nach fünfzehn Jahren dem dann erft zu männlichem 
Alter gelangten jüngften Bruder, ebenfalls Friedrich ge: 
heißen, überlafien. Zwiſchen den beiden brandenburgifchen Linien 
der Hohenzollern jolte dann die Kurwürde nad) der Folge des 


U. Die Mart Brandenburg. 147 


Seniorats wechſeln, alfo jedesmal dem Geſchlechtsälteſten zu— 
ftehen. Im Frühjahr 1438 verließ Johann die Mark, und dieſe 
wurde durch eine von dem Vater in Gemeinfhaft mit Johann 
und Albrecht abgegebene Erklärung dem jüngeren Sohne Fried: 
rich zur Regierung überwiefen. Doc war deſſen Stellung, wenn 
er auch zunächſt unter des Vaters Autorität waltete, gleich von 
Anfang eine jo felbftändige, daß fie durch den erft am 21. Sep- 
tember 1440 erfolgten Tod Friedrichs I. feine weſentliche 
Aenderung erfuhr. 


Eriedrich I. 1438—70 und Albrecht Achilles 1470—86. 


Leicht war die Aufgabe nicht, vor die Friedrich II. ſich 
geftellt jah: feine befonnene Thatkraft, die ein erftes Mißlingen 
nit entmutigte, hat fie in der Hauptſache gelöft. Freilich 
halfen ihm dabei die allgemeinen Verhältniffe. Die Thron: 
ftreitigfeiten in Böhmen, der Verfall der ſtandinaviſchen Union 
und der Zuſammenbruch der DOrbensherrihaft in Preußen 
wandten Störungen ab, wie fie feines Vaters innere Politif 
vielfach behindert, die auswärtige durchkreuzt hatten. So konnte 
er gut machen, was fein Bruder verfehlt hatte. 

Mit Medlenburg ſchloß er ſchon im Beginn des Jahres 1438 
Frieden. Den Vergleih mit Pommern-Stettin befiegelte die 
Zermählung Herzog Joahims mit einer Tochter Johannse. Der 
Streit über die Lehenshoheit blieb fpäterem Austrag vorbehalten. 
Neue Berwidelungen aber drohten mit Sachſen. Denn in Aus— 
fiht auf das Thüringer Erbe erftrebte Kurfürft Friedrich der 
Sanftmütige in Mitteldeutf—hland eine gebietende Stellung. 
Dur die Erhebung feines jüngften Bruders Siegmund zum 
Biſchof von Würzburg niftete er fi in Franken ein; auch die 
Lauſitz, die feit Kaifer Siegmunds Zeit im Pfandbefig bes 
edlen Geſchlechts derer von Polenz war, wollte er an fih 
bringen, gewann auch wirklich Kottbus. An beiden Stellen 
traten ihm die Hohenzollern entgegen, und da die Städte Magbe- 
burg, Halberftadt, Quedlinburg und Aſchersleben fi Fried⸗ 
rich II. anſchloſſen, die Laufiger Stände feinen Schu anriefen 
und Böhmen für ihn rüftete, fo nahm der Safe im Frühjahr 


148 Erſtes Buch. Die Elemente bes preußifhen Staates (bis 1598). 


1441 einen Vergleich an, der ihm das inzwifchen frei gewordene 
Thüringen ließ, fonft aber den alten Befitftand berftellte. Seine 
Toter Ratharine gab er dem Markgrafen in die Ehe: ber 
Politik geopfert, hat die Fürftin neben dem ungeliebten Ge: 
mahl, der die polniſche Hedwig nicht vergaß, ein freublofes 
Leben geführt. Auch den Streit mit Medlenburg über das 
wendiſche Fürftentum ber Werla beglich Friedrich IL, indem 
er fi mit der Zufage der einftigen Erbfolge in Medlenburg 
begnügte und die Huldigung empfing. 

Diefe Verwidelungen waren für Friedrich II. nicht ohne 
Vorteil: fie berechtigten ihn die Zügel ftraffer anzuziehen und 
den Adel unter dem Zwange bes militärifhen Dienftes an Ger 
horſam zu gewöhnen. Selbithilfe und Fehde duldete er nicht, 
achtete aber feinerjeits die im Herkommen begründeten Rechte 
des Adels. Mußte er mit feinen Anſprüchen über das Uebliche 
hinausgehen, fo beftimmte er die Herren auf ben häufiger ge— 
haltenen Landtagen gütlich zur Bewilligung. Auch gewann die 
Art, wie er feine Herrfhaft äußerlich eindrucksvoll barftellte, 
manden Edelmann dem Hof: und Heerdienfte. Zuweilen frei- 
lich mußte aud er außerordentliche Bewilligungen erfaufen 
dur Zugeftändniffe an den ganzen Stand. 

Dazu nötigte ihn namentlich dad Bedürfnis eines ficheren 
Rückhalts gegen die Städte. In drei Bündniffe gegliedert, traten 
diefe ihm zuverfichtlicher entgegen, ſobald die Sorge vor neuen 
feindliden Cinfällen ſchwand. Wußten fie doch des jungen 
Heren Vater geneigt, ihre Partei zu nehmen. Das erklärt die 
anfänglihe Zurüdhaltung des Markgrafen: fobald der Vater 
die Augen geſchloſſen, gab er fie auf. Erfüllte die Zeit 
doc der Kampf zwijhen dem monardifhen Prinzip, das fi 
der Zukunft der deutſchen Territorien bemächtigen wollte, und 
den republikaniſchen Kleinftaaten, die, in der Demokratie bes 
deutichen Einungsweſens wurzelnd, zulegt vornehmlih Träger 
des nationalen Lebens geweſen waren, zwiſchen Fürften und 
Städten. In ihm haben Friedrich II. und fein Bruder Albrecht 
als Feinde des Bürgertums eine hervorragende Rolle geſpielt. 
Doch gewann erſt dadurch die hohenzollernſche Herrfhaft in 
den Marken eine feite Grundlage: entbehrte fie doch des rechten 


I. Die Mark Brandenburg. 149 


Inhalts, ſo lange die Städte die auf Koſten der fürſtlichen 
Landeshoheit erworbenen Rechte, namentlich die faſt völlige Ab⸗ 
gabenfreiheit, behaupteten. 

Begünftigt wurde Friedrich dabei durch Parteiungen in den 
Städten: fo konnte er durch Teilung herrſchen, namentlich auch 
in der Doppelhauptftadt, die Johann ſcheu gemieden Hatte. 
Die Union von 1432 (S. 146) befriedigte dort nicht: befonders 
ſcheinen die Köllner fi benachteiligt gefühlt zu haben. Dann 
ftritt die Gemeinde mit dem patrizifhen Rat, dem auch 
Friedrich wegen Kürzung feiner landesherrlichen Rechte zürnte. 
Zum Schiedsrichter aufgerufen, nahm er die Partei des Volkes. 
Durch Auslieferung der Stadtſchlüſſel als Herr anerkannt, 
entjeßte er den Rat und hob die Vereinigung ber beiden Städte 
auf. Jede erhielt ihren befonderen Rat, der, aus den Gewerken 
und der Gemeinde gewählt, der landesherrlihen Betätigung 
unterlag. Aud durften fie hinfort feine Bünbniffe eingehen 
ohne des Markgrafen Genehmigung; die beftehenden wurden 
aufgelöft. Schlieglih mußten fie am 24. Auguſt 1442 durch 
eine urkundliche Erklärung fih dem Markgrafen auf Gnade 
und Ungnade überantworten, anerkennen, daß die höhere fo: 
wohl wie die niedere Gerichtsbarkeit jamt der Ernennung der 
Richter von alters her dem Landesherrn zuftehe, und ihm zum 
Bau eines feften Haufes Terrain zwiſchen den beiden Städten 
abtreten. Dort wurde am 31. Juli 1443 der Grundftein zu 
dem Berliner Schloffe gelegt: Friedrich felbft that den erften 
Hammerfhlag. Um ben Neubau fammelte fi) bald eine Schloß: 
gemeinde von fürftlihen Dienftleuten, und auch von den für den 
Hofdienft gewonnenen märkiſchen Edelleuten zogen mande in 
die Stadt. Zu fpät erkannten die Bürger, welchen Fehler fie 
begangen hatten: mit dem inneren Frieden hatte der Mark: 
graf ihnen die Unfreiheit gebracht. 

In dem Schidfal Berlin-Rölns aber ſchien das aller mär- 
kiſchen Städte entſchieden. Daher fühlte fich felbft die Hanſa 
bedroht, deren Tage die märkifhen Yundesglieder nur noch 
jelten beſuchten. Zufammenfünfte, die Friedrich II. veranftaltete, 
ließen ein gemeinfames Vorgehen ber norbbeutichen Fürſten be 
fürdten, wie es im Süden unter Albrecht Achill im Werke 


150 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifgen Staates (bid 1598). 


war. So verſchärften ſich die Gegenfäge. Doppelt ſchwer trug 
man nun in Berlin und Kölln an der neuen Herrſchaft, als 
deren Wahrzeihen das Schloß raſch emporwuchs. Darüber ver: 
gaßen Gemeinde und Geſchlechter die alte Feindſchaft: letztere 
erhielten die Leitung der Stadt zurüd. Bald gab es neuen 
Hader mit dem Markgrafen, befonders wegen des Schloßbaus, 
gegen ben beide Städte Verteidigungsmwerfe aufführten. Schnell 
erhitzten ſich die Leidenfchaften: man warb auswärts um Hilfe, 
namentlich bei der Hanja. Wohl mahnten die übrigen mär- 
kiſchen Städte zur Nachgiebigkeit und erboten fi zu Ver— 
mittelung. Unter dem Bürgermeifter Bernd Ryke beharrten die 
Berliner in ihrem Trog und brachen fehließlich, wie es feheint, 
durch einen Zwiſchenfall gereizt, übereilt los. Als nämlich die 
marfgräflihen Yauleute, um die Gräben des neuen Schloffes 
zu füllen, die Spree ftauten, erhob fi die Bürgerſchaft und 
ftürmte die alte hohenzollernſche Nefivenz, das hohe Haus (in 
der Klofterftraße, wo heute das Staatsarchiv fteht), verjagte 
die Beamten, erbrach das Archiv und verftreute den Anhalt. 
Dann zog fie durch einen eilig aufgeführten Verhau den Schloß: 
bau in die ftädtijche Befeftigungslinie. Friedrich bewies die 
äußerfte Langmut: er forderte Schadenerjag und Genugthuung, 
und erft als fie verweigert wurden, ergriff er Repreflalien. Da 
lenkte man raſch ein, zumal felbft die zur Hilfe geneigten mär— 
kiſchen Städte nichts thaten aus Furcht vor den benachbarten 
Fürften. Klug ftellte Friebrih die Sache der Entſcheidung der 
Stände anheim, vor denen er gegen die Rebellen Klage erhob. 
So vermied er das Odium, das eine ftrenge Vergeltung ihm 
eingetragen hätte, und knüpfte das Intereſſe der Stände an 
das des Landesherrn. Auf einem Landtage in Spandau er- 
folgte der Spruch: der widerfpenftige Rat machte einem von 
Friedrih ernannten Platz, und am 19. Juni 1448 unterwarfen 
ſich Berlin und Köln von neuem den Ordnungen von 1442. 
Die Hauptfhuldigen, meift den Geſchlechtern angehörig, traf 
Verluſt ihrer Lehen oder Geldbuße. Bernd Ryke wurde ver: 
bannt: als er von Sachſen aus neue Umtriebe begann, fol er 
von einem übereifrigen Diener Friedrichs getötet worden jein. In 
Berlin und Köln aber Fehrten nun allmählich friedliche Zuftände 


1. Die Mark Brandenburg. 151 


wieder, welche die letzten Irrungen bald in Vergeſſenheit brachten 
und den einftigen Gegnern ein ehrlihes Zufammenwirken im 
Dienft der allgemeinen Wohlfahrt ermöglichten. 

Nun beugten ſich aud die übrigen märkiſchen Städte in 
willigem Gehorfam. Damit war in der Mark die Einfügung 
ber republifanifh organifierten Bürgergemeinden in den wer- 
denden Staat im mefentlichen vollendet, während im Weften 
und Süden der Kampf darum erjt begann. Für die ftaatliche 
Konſolidierung der Mark war das ein Glüd. Die Städte waren 
bier nur noch fommunale Körperſchaften, die fih innerhalb der 
von dem Landesgeſetz gezogenen Schranken jelbft verwalteten, 
aber nit mehr Trägerinnen eines eigenen öffentlichen Rechts. 
Denn auch die Gerichtsbarkeit, fo weit fie ihnen blieb, übten 
fie nur als Beauftragte des Landesherrn. Die Räte wurden 
in ihrer Amtsführung ftreng beauffihtigt. Ihre finanziellen und 
militärifchen Kräfte aber machte Friedrih den allgemeinen 
Zandeszweden in einem bisher nicht gefannten Maße dienftbar. 
Die Einnahmequellen, die im 14. Jahrhundert zum Nachteil des 
Landesherrn an die einzelnen Stäbte verzettelt waren, kamen 
in der Hauptſache an dieſen zurüd. Was aber bebeutete in 
jener Zeit eine Steigerung der Einkünfte auf das Vier- ober 
Zünffahe für die fürftlihe Maht! Dafür aber hob Friedrich 
den Wohlitand der Städte duch die Pflege von Handel und 
Verkehr und ftärkte ihre Wehrbaftigfeit, indem er fie für ihre 
Befeftigungen forgen und ihre Bürgerfchaften in Schügengilden 
organifieren ließ. Diefe neue Ordnung zu befeftigen, half er 
fpäter den Geſchlechtern wieder zur Herrſchaft und gewann fo 
das früher oppofitionele Patriziat zu einer ber vornehmften 
Stügen des erftarfenden Fürftentums. 

Mochten die. märkifhen Städte den Verluft der Freiheit 
fo bald verfchmerzen: die übrigen Städte des Nordens und Oftens 
ſahen in Friedrich II. den glüdlichen Vertreter eines feindlichen 
politifhen Prinzips. Daraus entftanden Streitigkeiten mit den 
fähfifhen Städten, obenan Magdeburg, und den pommerſchen 
unter Stettin. Mit Halle hatte er einen langjährigen Rechts: 
handel, weil es ihm 1457 auf einer Reife den Durchzug nur 
gegen ein Wegegeld geftatten wollte. Da der Erzbiſchof von 


152 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


Magdeburg und Herzog Wilhelm von Sachſen fi) der Stadt 
annahm, des legteren Bruder, Kurfürft Friedrich, aber auf 
des Markgrafen Seite trat, wäre es darüber beinahe zum 
Kriege gekommen. 

Friedrich II. foht das wenig an. Er hatte für die Herr- 
ſchaft feines Haufes in der Mark einen Grund gelegt, feiter 
gefügt als ſonſt in irgend einem Reichslande. Hier war der 
Uebergang von dem ftändifchen Staate des Mittelalters zu dem 
Obrigfeitsftaat der neueren Zeit bereits im Zuge. Mochte die 
Form des erfteren noch beftehen: der Inhalt war gründlich ge 
wandelt. Ohne feine Standesvorrechte einzubüißen, war der 
Adel an den Landesheren gefeffelt, jeit er den Heer und Hof⸗ 
dienft ſuchte und aud die Zandesangelegenheiten in dieſem 
Sinne behandeln lernte. Die Städte hörten auf politifche 
Körperfhaften zu fein und fanden in der Unterorbnung unter 
das Wohl der Gefamtheit eine neue und wirfjame Gewähr des 
eigenen Gebeihens. Damit löften fih hier Adel und Städte 
aus dem Verbande, der fie im Gegenſatz zu dem Fürftentume 
mit dem Adel und den Städten ganz Deutſchlands geeinigt 
hatte. Indem fie fih auf den Boden ftellten, der ihnen mit dem 
Landesherrn gemeinfam war, durchbrachen fie die Schranfen des 
abftraften Standesgefühls, das, gleihfam heimatlos, ſich nicht 
an eine beftimmte Landſchaft band, und faßten den Gedanken 
einer territorialen Gemeinfhaft. Damit entitand zuerft etwas 
wie ein Landesbemußtjein, die erfte Regung des jener Zeit noch 
fremden Staatsgefühle. Sogar gegenüber ber Geiftlichfeit be- 
thätigte fich diefer im Widerſpruch mit ber Univerfalität der 
Kirche. 

Auch diefe Hat Friedrich II. der landesherrlihen Autorität 
gebeugt. Mitſchuldig an der üblen Rolle, die das Reich zur Zeit 
des Bafeler Konzils fpielte, ließ er fi doch die Anerkennung 
der kirchlichen Reftauration von der Kurie durch Zugeſtändniſſe 
vergelten, die für die ftaatliche Konfolidierung der Mark wichtig 
wurden. Bereits der Landtag von 1445 hatte ihm die Befug- 
nis eingeräumt, vor das geiftliche Gericht gebrachte weltliche 
Saden an ſich zu ziehen unter der Bedingung ihrer Erledigung 
binnen ſechs Wochen. Al er dann, der erſte von den deutſchen 


II. Die Mark Brandenburg. 153 


Fürften, auf Grund des Wiener Konkordats 1447 mit dem Papft- 
tum feinen Frieden machte, erlangte er von ihm in dieſem 
Punkte weitere Zugeftändniffe. Sein Bevollmächtigter, Friedrich 
Seffelmann, ein Rulmbader von Geburt, der in Kadolzburg, 
der Refidenz ber fränfifchen Hohenzollern, Pfarrer geweſen und, 
in Bologna gebildet, des Markgrafen Veichtvater geworben 
war und nun als Bifchof von Lebus und Kanzler eine be= 
deutende Thätigfeit entfaltete, erwirfte bei Nikolaus V. ein 
Privileg, wonach fein geiftliher Richter einen Märker in welt: 
lichen Dingen weiter als zwei Tagereifen von feinem Wohnort 
vor Gericht ziehen durfte. Dann beitimmte 1459 Pius IL, es 
ſollten die furfürftlien Unterthanen in weltlihen Dingen fi 
überhaupt nur vor des Kurfürften Gericht zu verantworten 
haben. Nun exit konnte deſſen oberftrichterlihe Autorität ſich 
vol entfalten, und bereits 1460 verfügte Friedrich, es follte 
binfort fein Weltliher einen anderen vor ein geiftlihes Gericht 
ziehen; fände er aber vor dem angerufenen weltlichen binnen 
ſechs Wochen nicht Recht, fo jollte er ſich an das markgräfliche 
Landgericht wenden, das alle Mittwoh an der Brüde bes 
Schloſſes zu Tangermünde zu urteilen bereit fei. Das bebeutete 
einen großen Fortjchritt auch gegenüber der mit der landes: 
herrlichen bisher konkurrierenden Gerichtsbarkeit der Schloß: 
herren und der Städte. Daß er eigentlih auf päpftlihe Ver: 
leihung zurüdging, war bald vergefien, zumal der märkifche 
Klerus auch im übrigen in eine fonft nicht gewöhnliche Abhängig: 
keit von dem Fürftentum fam. Zum weiteren Lohn nämlich 
für feine Fügſamkeit gewährte Nikolaus V. Friedrich am 
10. September 1447 das Recht, für die drei märkiſchen Bis- 
tümer Brandenburg, Havelberg und Lebus jedesmal den ihm 
genehmften Kandidaten zu benennen. Das begrüßte Friedrich 
mit Recht als „eine merklihe Befreiung und Begnadung“. 
Denn es ſchloß jeden Widerftreit zwifchen den Landesbiſchöfen 
und dem Landesherrn aus und fteigerte feine moralifche Autoriz 
tät der Geiftlichfeit gegenüber. Das aber war nichts Geringes 
in einer Zeit, wo der Klerus nad) glüdlicher Abwehr der Reform 
es ärger trieb als je. Ja, von ſich aus hat Friedrich eine Art 
von Reformation der märkifchen Kirche durchgeführt. Die Dom— 


154 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifgen Staates (bis 1598). 


fapitel zu Havelberg und Brandenburg machte er wieder zu 
Pflanzitätten kirchlicher und wiflenihaftlicer Bildung. Er ge: 
wöhnte bie verwilderte Kloftergeiftlichfeit wieder an Zucht und 
Sitte. Andererfeits aber bewirkte er auch eine ftrengere Heili- 
gung des Sonntags zum Schuß aller dienenden Leute gegen 
unziemlihe Anforderungen ihrer Herrichaften. Denn in feiner 
ftrengen Gläubigfeit empfand er es als eine Gewiſſenspflicht, 
alle zu gleich ernften Anſchauungen und zu gleichem Eifer in 
ihrer VBethätigung zu gewinnen. Bon feinen Regentenpflichten 
dachte er ähnlich wie fein Vater, der ſich ſchön ale „Amtmann 
Gottes am Fürftentum” bezeichnet hatte. So ftiftete er 1440 
den Schwanenorden, defien Glieder, Männer und Frauen, hrift: 
fie Gefinnung bethätigen und ihm Land und Unterthanen in 
Einung und friedlihen Stand zu bringen helfen jollten, indem 
fie namentlih den Adel durch das Vorbild eines wahrhaft 
adligen, Unfitte und Unrecht meidenden Lebens verebelten. So 
verbanden fich bei Friedrih, der 1453 auch nad Rom und 
dem Heiligen Lande gepilgert war, kirchliche und politifche, 
diplomatiſche und patriotifhe Motive. Das gab feinem Walten 
den Glanz eines gewiſſen heiligen Eifers, der in dem Glauben 
an feinen Beruf wurzelt und der Erfüllung desfelben gewiß ift. 
Manderlei Hinderung freilich bereitete ihm die Unfähigkeit 
jeines jüngeren Bruders Friedrih. Noch vor Ablauf der von 
dem vorforglichen Vater beftimmten Frift (S. 146) trogte ihm 
diefer 1447 die Regierung der Altmark und der Priegnig ab, 
zeigte fich ihr aber nicht gewachjen. Der Adel fiel dort in 
das alte Raubmwejen zurüd und veranlaßte neuen Streit mit 
dem benachbarten Medlenburg. Ein wüfter Fehdezuftand drohte 
den eben wieder erblühenden Wohlftand der Städte zu Grunde 
zu rihten, jo daß endlich Friedrich II. felbft eingreifen mußte. 
Gründlihe Beſſerung aber brachte erft des jüngeren Friedrich 
Tod 1463: da er feinen Sohn hatte, fiel das Land an den 
älteren Bruder und die Marken wurden wieder vereinigt. 
Doch wurde Friedrih II. au in die großen politifchen 
und firhlihen Kämpfe der Zeit gezogen. Treu ftand er zu 
feinem Bruder Albrecht, der darin eine fo hervorragende Rolle 
fpielte. Zudem wurde die Mark ſchon durch ihre Lage von den 


I. Die Mark Brandenburg. 155 


großen nationalen Gegenfägen berührt, die im Norden und 
Oſten miteinander rangen: ala Bollwerk des Deutfhtums war 
fie zugleich von Nord, Süd und Oft dem erneuten Anfturm ber 
Slaven ausgejegt. Und nun war ber Gegenfag zwiſchen Ger: 
manen und Slaven, verquidt mit den großen Fragen ber 
kirchlichen und politiſchen Reform, damals das treibende Mo: 
ment in der gejichtlihen Entwidelung. Im Nordoften drang 
Polen, im Südoften Böhmen fiegreih vor, jenes im Bunde 
mit den rebelliihen Unterthanen des Deutſchen Ordens, dieſes 
getragen von dem Huffitentum, bas in Georg von Podiebrad 
die Hand nad) der deutfchen Krone ausftredte. Beider Anprall 
traf zunädjft die Mark. Denn jegt entfannen fih die pom- 
merſchen und mecklenburgiſchen Fürften plöglich ihres Slaven— 
tums, um fi durch den Anſchluß an Polen der deutſchen und 
brandenburgiſchen Hoheit zu entziehen. Wurde der Verluft 
Deutſchlands nicht ganz fo groß, wie zu befürchten ftand, jo 
war bas weſentlich das Verdienft Friedrichs II. 

Aus Sorge vor Kurſachſen (S. 147) hatten die Stände 
der Laufig ſich auf drei Jahre in den Schuß Friedrichs begeben. 
Streitigkeiten in dem reihen Haufe der Polenz, das die Laufiger 
Landgrafſchaft in Pfandbefig hatte, ermöglichten diefem 1445 
die Erwerbung von Kottbus und 1450 den Kauf ber Polenz- 
ſchen Rechte auf die Laufig famt der Stadt Lübben und der 
Herrſchaft Peig. Während ihm die Stände, froh, wie e8 ſcheint, 
der Löfung von Böhmen, ohne Weigern huldigten, befegte der 
ſächſiſche Kurfürft auf Grund einer Verſchreibung, die ihm im 
Namen des jungen Königs Ladislaus, des nachgeborenen Sohnes 
Kaiſer Albrehts II. und Enkels von Siegmund, Kaifer Fried: 
ri III. ausgeftellt hatte, Senftenberg und Hoyerswerda und 
bedrohte Kottbus. Vergeblich proteftierten bie Stände, vergeblich 
erklärte der Markgraf, jedem rechtmäßig gefrönten König von 
Böhmen die Auslöfung der verpfändeten Lauſitz geftatten zu 
wollen: infolge bes gleichzeitig erneuten Streites zwijchen dem 
ſächſiſchen Kurfürften und feinem Bruder Herzog Wilhelm, für 
den ber Markgraf Partei nahm, kam es doch zum Krieg, den erft 
im Juni 1450 die Vermittelung des Erzbiſchofs von Magdeburg 
beendete. Die Lauſitz behielt Brandenburg, Kurſachſen Senften- 


156 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


berg und Hoyerswerda. So ließ es auch der endgültige Friede 
im Januar 1451, doch erneute er die Erbverbrüderung zwiſchen 
Hohenzollern und Wettinern, die gegenüber der erftarfenden 
nationalen Bewegung in Böhmen zufammenhalten mußten. 
Die Frage nad der Zukunft der Laufig blieb offen. 

Dagegen gelang es Friedrich, durch Wiebervereinigung der 
Neumark mit Brandenburg den Polen einen Damm entgegen- 
zuwerfen. Dur den Handel von 1402 (S. 124) mit dem 
Ordenslande vereinigt, war die Neumark der Ausbeutung durch 
die Zuremburger entgangen und eines geordneten und geſetz⸗ 
lichen Regiments teilhaftig geworben. Hatte der Orden ſich doch 
gerade dort um gutes Einvernehmen mit den Ständen bemüht, 
um fih für den Fall eines Bruchs mit Pommern die Ver- 
bindung mit dem Reiche zu fihern. Aber das Recht der Hohen- 
zollern, als Nachfolger der Luremburger das Pfand einzulöfen, 
war wiederholt anerkannt worden; dennoch verfuchte der Orden 
mehrfach, das wichtige Gebiet endgültig an fich zu bringen. 
Einen Antrag der Art, bei dem der Orden fi) auf feines 
Vaters angebliche Geneigtheit zu diefem Geſchäft berief, hatte 
Friedrich IL. abgelehnt: jener habe daran wohl denken Fünnen, 
da er viele Länder gehabt, er jedoch, der nur ein Land fein 
eigen nenne, bürfe fi) darauf nicht einlaffen. Nun aber mußte 
der Orden mit dem drohenden Aufftande feiner Unterthanen 
und dem Eingreifen Polens reinen. Konnte er da die Neu— 
mark zu behaupten hoffen? Schon warb König Kaſimir dort 
um Anſchluß, indem er dem Lande eine Stellung verhieß, wie 
fie nachmals Weftpreußen erhielt. Diefe Gefahr beſchwor ber 
Orden und ficherte fi) zugleich alle Vorteile, die ihm der 
Befig der Neumark gewähren konnte, wenn er das Land vor 
Ausbruch des polnischen Krieges an Brandenburg zurüdgab. 
Im Februar 1454 erbot er fih dazu um die Summe von 
40000 Gulden. Friedrich griff zu, und die Stände, obgleich 
zum Teil Polen geneigt, leifteten ihm nad Betätigung ihrer 
Privilegien im April 1454 die Huldigung. 

So wurde Polen hier der Weg nach Weften verlegt. Dem 
Orden Waffenhilfe zu leiften, durfte Friedrich freilich nicht 
wagen: hätte er dann doch die Pommern fofort in Flanke und 


U. Die Mark Brandenburg. 157 


Nüden gehabt. Ein Vermittelungsverfuch blieb erfolglos. Ver— 
geblih warb er im Reihe Hilfe für den Orden und mahnte 
Dänemark, eine Flotte nad der Weichjel zu fenden. Er eilte 
jelbft nad) Preußen, um die meuternden Söldner zu beſchwich- 
tigen. Aber das Verhängnis des Ordens ließ fi nicht auf: 
halten. Um fo wichtiger war es, bie Neumark endgültig von 
ihm zu löſen. Am 15. September 1455 überließ er fie zu 
Mewe dem Markgrafen für „bie merklichen Dienfte, Gutthaten, 
viele Mühe, Zehrung, Koften und Schaden, die er zum Beten 
des Ordens in ben Kriegsnöten gethan“, mit allen dazu ge: 
hörigen Landen, Städten, Schlöffern und Rechten „zu rechtem 
Erbe erblih”, fo daß er fie früheftens nad) Friedrichs Tod und 
dann nur gegen Zahlung von 100000 Gulden follte zurüd- 
fordern dürfen, und erhielt dafür — worauf es ihm vor allem 
anfam — freien Durhmarfd nah Preußen. 

Polen jah darin einen Aft der Feindſchaft. Nun hatte 
es Friedrich aber auch durch fein Eingreifen in der Lauſitz mit 
Georg von Podiebrad verborben, der nad} des jungen Ladislaus 
Tod die Stellung eines Gubernators mit der eines Königs 
von Böhmen vertaufcht hatte und durch feine glänzende Perjön- 
lichkeit ben nationalen Afpirationen der Czechen ungeahnte 
Kraft verlieh. Schon lag diefer auch mit Albrecht Achilles in 
Streit. Im den Hohenzollern jah er das Haupthindernis für 
die Gewinnung ber beutfchen Krone. Während er daher Albrechts 
Feinde nad Kräften unterftügte, ließ er durch ben Oberftburg- 
grafen von Prag, Sdenko von Sternberg, den er mit dem in 
brandenburgifchem Befig befindlichen Kottbus belehnte, Friedrich 
in der Zaufig bedrohen, der obenein dem von ihm verjagten Herzog 
Balthafar von Sagan Zuflucht gewährte. Vergeblich beftritt der 
Markgraf die Zuftändigfeit des böhmifchen Hofgerihts: Kottbus 
wurde ihm abgefprohen. Ja im Oftober 1461 fiel Podiebrad 
verwüftend in die Zaufig ein. Von Kurſachſen ohne Hilfe ge: 
laſſen, konnte Friedrich fie nicht behaupten. Und nun ſchickte 
fi Polen an, um der Neumark willen mit Böhmen gemein- 
fame Sade zu machen. Im Frühjahr 1462 trafen die beiden 
Könige in Glogau zufammen. Da blieb Friedrich nichts übrig, 
als die Laufig gegen Zahlung der Pfandjumme an Böhmen 


158 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


zurüdzugeben, das ihm die durch Kauf erworbene Laufiger 
Herrihaften Kottbus, Peitz und Teupitz als Lehen belieh. 
Selbft in Pommern mußte Friedrich II. vor dem Slaven- 
tum weichen, zumal dort auch die Städte alles daranfegten, 
den Befieger ihrer märkiſchen Schweftern dem Lande fernzu: 
halten. Als nämlich 1464 das Stettiner Haus erloſch, wollte 
er Pommern:Stettin als erledigtes brandenburgifches Lehen 
einziehen. Der Verlauf im einzelnen ift nicht Har. Während 
es ſcheint, als ob der Markgraf im Stettiner Rat eine Eleine 
Partei gewonnen hatte, ſuchte doch nah manchem Anzeichen 
gerade Stettin zwiſchen den ftreitenden Fürften volle Unab- 
hängigkeit zu gewinnen, ähnlich wie es in Pommerellen eben 
Danzig gelungen war. Der Adel war zumeift gegen die bran- 
denburgifche Herrihaft: der Stamm der pommerjchen Herzöge, 
bieß es da, fei gar nicht erlofchen, fo lange die Wolgafter Linie 
beftehe; nur Wratislam X. und Erih II. könne man als 
Herren anerkennen. Schon daß man ben brandenburgifchen 
Anfprüden das flavifhe Geſamterbrecht des fürftlihen Haufes 
fo entgegenftellte, zeigt, wie jehr au Pommern bereits ber 
Anziehungskraft des erftarfenden Polentums folgte. Vermittelte 
doch Herzog Erich II. unter eigenen pefuniären Opfern ben 
Vertrag zwiihen Rafimir von Polen und den meuternden Söld- 
nern des Deutichen Ordens, der diefen unbefiegt in bie Gewalt 
feiner Gegner lieferte. Die deutſchen Dftfeelande ftanden zur 
Verfügung Polens. Was nützte es da, daß Kaiſer und Reich im 
Frühjahr 1465 Brandenburgs Reht auf Bommern-Stettin an- 
erkannten? Sie gegen Polen durchzuſetzen, hatte Friedrich feine 
Ausfiht. So entſchloß er fih im Einverftändnis mit feinem 
Bruder Albrecht zu einem Vergleih. Im Januar 1466 über: 
ließ er duch den Vertrag zu Soldin Stettin den Wolgaftern 
und erhielt dafür die Lehenshoheit und das Heimfallsrecht 
Brandenburgs von neuem anerkannt. Hinterher aber ver— 
weigerten ihm die Wolgafter ſowohl wie bie Stände Pommerns 
unter Vortritt Stettins die verſprochene Erbhuldigung: nur 
ihren rechtmäßigen Herren, das heißt den Herzögen von Wol- 
gaft, wollten fie dieſe ſchuldig fein, und die Roftoder Zuriften 
ftimmten bem in ihren Rechtsgutachten bei. Aber nicht genug 


1. Die Mart Brandenburg. 159 


damit: im Oktober 1466 nahm Kaifer Friedrich das Stettiner 
Erbe als Reichslehen in Anſpruch und erklärte alle darüber 
bisher getroffenen Abmachungen für ungültige. Froh den 
Hobenzoller los zu fein, hulbigten die Pommern den Wol- 
gaftern. 

Sollte Friedrich das ruhig hinnehmen? Die Gefahr einer 
böhmifchpolnifhen Kooperation war befeitigt, das zweibeutige 
Spiel Georgs von Podiebrad endlich enthült: ſchon hatte er 
feine Krone gegen den Anfturm der von Rom wider ihn ges 
besten Orthodoxen zu verteidigen. Ihn gegen ben Kegerfönig 
zu gewinnen, bem fein Bruder Albrecht eng verbunden war, 
bot bie Kurie jegt Friedrich die böhmifde Krone. Gewiß war 
das für biefen feine geringe Verfuhung. Welche Ausfihten 
erſchloſſen fi, wenn die böhmiſche Macht in den Dienft der 
hohenzollernſchen Politik geftellt wurde! Zunächſt freilih wäre 
eine neue Erhebung aller Feinde zu erwarten geweſen, die mit 
der Mark den fränkifchen Hausbefig gefährden fonnte. Dazu ftand 
der mögliche Gewinn in feinem Verhältnis. So lehnte Fried: 
rich auf dringendes Anraten Albrehts die Krone ab. Wie 
recht er gethan, Iehrte der Ausgang des Krieges mit Pommern. 

Während feine Verbündeten Heinrich von Medlenburg und 
Fürft Ulrich von Wenden Treptow eroberten, brach Friedrich 
1468 mit zwei Heerhaufen in das Stettiner Gebiet, zwang 
Garz zur Huldigung und Aufnahme einer Befagung, nahm 
Vierraden und Löcknitz und wurde erft durch den Widerftand 
von Greifenhagen aufgehalten. Als dann aber Herzog Wratis- 
law X. Treptow zurüdgewann und verheerend in das Medien- 
burgiſche einfiel, nahm er die Vermittelung Polens und ber 
Hanfa an. Im Januar 1469 wurde zu Prenzlau der Soldiner 
Vertrag erneut. Aber wiederum wurden die Pommern wort: 
brüchig: ftatt die Erbhuldigung zu leiften, erneuten fie die Feind» 
feligfeiten. Seine ganze Kraft wandte Friedrih nun gegen 
Uedermünde, um von borther den Stettinern den Seeverkehr 
zu fperren. Aber die Belagerung zog fi in die Länge; bie 
Lebensmittel wurden fnapp. Auf die Kunde vom Anmarſch 
eines Entjagheeres hob Friedrich die Belagerung auf und eilte 
unter Zurüdlafjung fogar des Gefchüges nad) der Mark, die 


160 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


von den nahdringenden Feinden mit Raub und Brand heim- 
geſucht wurde. Nur um einen hohen Preis — die Unterwerfung 
unter den Schiebsfpruch des Polenkönigs in betreff der branden- 
burgifchen Lehenshoheit über Pommern — erhielt er Waffen: 
ruhe bis Ende Auguft 1469. Sie wurde um acht Monate ver= 
längert, als man ſich auf einem Tage zu Petrikau nicht einigen 
konnte und ein Rechtsgutachten der Krafauer Juriſten einzu- 
holen beſchloß. 

Friedrich II. war des Kampfes müde. Seine ernfte, pein: 
lich gewifienhafte, faft ſchwermütige Art fand fi in der Politik 
mit ihren jähen Umfchlägen nicht zurecht. Sein moralifcher 
Idealismus, der überall mit der rauhen Wirklichfeit kollidierte, 
fühlte ſich zurüdgeftoßen von den Menjhen und Dingen, bie 
ihn umgaben. Er fehnte ſich aus einem Beruf, den er mehr 
aus Pflihtgefühl als aus Luft an ihm und dem gehofften Er: 
folge übernommen hatte. Auch plagten ihn allerlei körperliche 
Gebrechen. So erbot er ſich gegen ein Jahrgeld von 6000 Gulden 
und Meberlaffung der Plefienburg in Franken feinem Bruder 
Albrecht die Mark abzutreten. Deſſen thatenfroher Sinnesart 
freilich entſprach das nicht: aber vergeblich riet er dem Bruder 
auf dem Plag auszuharren, auf den ihn das Schidjal geftellt 
hatte. Auch die märkifhen Stände ftimmten zu. So z0g 
Friedrih im Frühjahr 1470 nad) Franken; aber niht einmal 
ein Jahr Hat er die erjehnte Ruhe genofjen: bereits am 
10. Zebruar 1471 ftarb er. 

Müde und enttäufht haben die beiden erften hohen- 
zollernſchen Markgrafen das ihnen befohlene Land verlaffen. 
Heimiſch hatten fie ſich dort nicht gefühlt, wie fie mit ihren 
fränkiſchen Räten und Dienern auch der Bevölkerung fremd 
geblieben waren. Nicht bloß perjönliche und landſchaftliche, auch 
politifhe Momente verſchuldeten das. Die Intereſſen des frän- 
kiſchen Beſitzes gravitierten in einer ganz anderen Richtung als 
die der Marken: mas dieſe förderte, war jenen beinahe ver- 
hängnisvoll geworden. Weber in Franken nod in den Marken 
hatten die Hohenzollern ihr Ziel erreicht, ja fie durften froh 
fein, ihre Stellung notdürftig behauptet zu haben. Jetzt ſchienen 
fi günftigere Ausfihten zu eröffnen. Seit dem Tode Jo— 


I. Die Marf Brandenburg. 161 


hanns (1464) Herr bes ganzen fränkiſchen Hausbefiges, kam 
Albrecht nun auch in Brandenburg zur Regierung. Aber während 
man erwartet, duch bie Einjegung einer folgen Hausmacht 
inmitten ber großen kirchlichen und politifhen Wirren der Zeit 
die Hohenzollern zu einer gebietenden Stellung auffteigen zu 
jeden, hat die Regierung Albrechts vielmehr duch ihre Miß- 
erfolge erft recht gezeigt, daß die Verbindung der Mark mit 
den fränfifchen Landen unnatürlic und nachteilig fei. Der 
treuefte Vorkämpfer des abiterbenden Reichsgedankens, hat 
Aldredt in mühjamem, aber vergeblihem Ringen einfehen 
müſſen, daß die Zukunft feines Haufes, follte fie auf höhere 
Ziele gerichtet fein, vorbehaltlos auf die Mark gegründet werben 
mußte. Und mit weitblidender Fürforge hat er von da aus feinen 
Nachkommen ihre Bahn vorgezeichnet. Darin vor allem, ja 
vielleicht darin allein liegt feine gefhichtliche Bedeutung: erft 
durch ihn ift das Schickſal der Hohenzollern unlöslich mit dem 
der Mark verknüpft und dadurch beider Zukunft beftimmt worden. 

Nicht eben glücklich haben die Zeitgenofien nad dem Bor: 
gang des ſchönredneriſchen Enea Silvio Albrecht den Beinamen 
Adhilles gegeben. Bon dieſem hatte er jo wenig, wie etwa 
Kaiſer Friedrich III. von einem Agamemnon. Perjönlihe Tapfer- 
feit, noch dazu an das Haudegentum ftreifend, und militäriſche 
Begabung machen noch lange feinen Peliden. Wohl galt 
Albrecht für den ftreitbarften deutſchen Fürften feiner Zeit, wie 
fein Leib mit unzähligen Narben bebedt war: im Grunde aber 
war er doch mehr ein verſchlagener Diplomat und ein fürforglicher 
Hausvater von ungewöhnlicher finanzieller Betriebſamkeit. Ob: 
gleih er in dem großen kirchlich-politiſchen Intriguenfpiel jener 
Jahre den Beinamen bes beutjchen Fuchjes erhalten hatte, er= 
ſcheint er doch aud da als der Mann der niedrigen Gefichts- 
punkte, der Heinen Mittel und der augenblidlihen Aushilfen. 
Nur Deutſchlands Armut an ftaatsmännifchen Talenten macht 
es begreifli, wie ein Fürft von fo ausgeſprochenem Sinn für 
das Kleine und fo beſchränkt ritterliher Denkweife, in ben 
Mittelpunkt der Reichspolitik geftellt, eine Role fpielen Fonnte, 
die weit über feine Fähigkeiten hinausging. Iſt dadurch doch 
das Befte, was er bejaß, die Begabung für die Bermaltung, 

Pruß, Preußtide Geſqhichte. I. 


152 Ernes Bug. Tie Eiemente des preusiiien S:cates Sis 1598. 


an der rehten Berhätigung aebindert worden, zumal jein leicht⸗ 
lebiger Optimismus ihm die Tinge meiit alzu günitig jeben lieb. 

Der Mark blieb aud Albrecht ein fremder. Nur drei: 
mal hat er länger dort geweilt und zwar zjumeift in finan— 
ziellen Geihäiten. Seine ñskaliſchen Tendenzen aber wurden 
den Märfern dadurch nicht erträglider, das er für iie die 
taijerlihe Autorität einjegte. Sonit trat eine Aenderung zu: 
nädit nit ein: Albrecht ernannte den bewährten Senelmann 
zum „Regierer an jeiner Statt”, in Gemeinſchaft mit jeinem 
Sohne Johann, der ion jeinem Oheim Friedrih zur Seite 
geitanden hatte, daher auch alles mit deiien Augen jah und 
namentlich feine Feindihaft gegen die Städte teilte. Auch 
wurde deren Ippofition die Quelle finanzieller Verlegenheiten. 
Um dieſe dreht ſich eigentlich in den nädjten Jahren die Ent: 
widelung der Marfen. Selbit ihr territorialer Bejtand wurde 
von hieraus gefährdet, da einzelne Grenzlandigaften ih dem 
fislaliſchen Trud, der die hohenzollernihe Herrihaft wie eine 
Fremdherrſchaft erſcheinen ließ, durch Abfall zu den Nachbar: 
fürften zu entziehen fuchten. 

In Erinnerung an die Finanznot Friedrichs IL, der frei— 
lich nad jeiner Meinung nit Haus zu halten veritanden, 
war Albrecht bei jeinem erften Ericheinen in der Mark im 
Herbft 1471 angenehm überrafcht durch die Größe und Wohl: 
habenheit bes ftädtereihen Landes. Ta die Städte bereitwillig 
buldigten, fo meinte er jeine leeren Kaſſen hier bequem füllen 
zu fönnen. Sein fräntifches Gefolge aber, daheim knapp ge: 
halten, griff bei den Gaftereien, welde die Stadträte zum 
Willkommen anrichteten, mit anjtößiger Gier zu, während es 
ben Adel durch feinen Hochmut beleidigte. Tamals fam das 
böfe Wort von den „Hungerfranfen“ auf. Auch mußte bie 
Beftätigung ber Privilegien gegen den Braud durch hohe 
Ranzleigebühren erfauft werden. Auf einem Landtage zu Berlin 
aber — im Januar 1472 — forderte Albrecht gar zur Dedung 
der durch den pommerfchen Krieg aufgefummten Schulden von 
124000 Gulden 100 000 Gulden, zu deren Aufbringung vier 
Jahre von jeder Tonne Bier und Wein zwei Groſchen ent: 
richtet werden follten. Doc drang er damit nicht dur und 


U. Die Mark Brandenburg. 163 


war es ſchließlich zufrieden, daß die Städte 50000, Prälaten 
und Nitterjhaft 30000 Gulden aufbrächten, 44000 aber er 
felbft trüge. Diefe zu befchaffen, legte er unter Berufung auf 
ein Eaiferlihes Privileg von 1456, das jeinem Haufe nad) 
Gutdünken neue Zölle zu erheben geftattete, auf alle in Tonnen 
gehandelten Waren, aljo auch auf Fiſche, Heringe, Talg, Thran 
und Honig, ein Tonnengeld. Ein Sturm des Unmwillens erhob 
fih: Handel und Verkehr würden zu Grunde gerichtet, die un- 
entbehrlichſten Xebensmittel unerträglid) verteuert werden. Na— 
türlich beftritt Albrecht das, erklärte aud jede Widerrede für 
unzuläffig, da es fih um einen faiferlihen Zoll handle, dem 
jedermann im Reiche fih zu fügen habe. Dennoch wurde die 
Zahlung vielfach verweigert, obgleich des Kaifers Recht zur 
Verleihung folder Privilegien füglich nicht zu beftreiten war. 
Daher erging der Spruch der übrigen Stände, den beide Teile 
angerufen hatten, im März 1473 gegen die Städte Kaum 
aber hatte Albrecht dem Lande den Rüden gelehrt, jo wurde 
das Tonnengeld wieder vielfach verweigert, ja mande Städte 
leifteten auch die fonft üblichen Zahlungen nit. Wo er durdh- 
zugreifen verſuchte, ftieß Johann auf fo entjchloflenen Wider: 
fand, daß er zurüdwid. Bald wußte er nicht, wie er auch 
nur bie dringendften Bebürfniffe befriedigen ſollte. Die Mittel 
zur Ausrichtung feiner Hodzeit mit Margarete von Sachſen 
aufzubringen war unmöglid. In den Städten waren Tumulte 
und lärmende Demonftrationen an ber Tagesordnung. Wußten 
ſchon demgegenüber der getreue Seflelmann und der Haupt: 
mann Buſſo von Alvensleben feinen Rat, fo ftieg ihre Bedräng⸗ 
nis noch, als die Pommern zu den Waffen griffen und die 
Grenzlandſchaften verwüftend heimfuchten, die Städte aber die 
Heeresfolge verweigerten. 

Die pommerſche Frage hatte inzwifchen neue Wandlungen 
erfahren. Kaifer Friedrich hatte die früher beftrittene (S. 159) 
brandenburgifche Lehenshoheit anerkannt und 1470 zugleich mit 
der Mark aud das Fürftentum Stettin, Pommern, Kafluben, 
Wenden und Rügen Albrecht übertragen. Der Widerjpruch der 
Herzöge Eri I. und Wratislaw wurde abgewiefen: Albrecht 
follte fein Recht erzwingen dürfen. Doch hatte dieſer damals 


164 Ernes Bach. Die Elemente des preufücen Staates (his 1599). 


andere Sorgen. In dem Kampf um die böhmiiche Krone, der 
nad) dem Tod Georgs von Podiebrad (22. März 1471) zwiſchen 
dem ungariihen Rationalfönig Matthias Corvinus und des 
Polenfönigs Kafimir Sohn Wladislam entbrannt war, war 
ein großer Zeil von Schleien in die Hände der Ungarn ge: 
fallen. Nun hatte Albrecht allen politiigen und kirchlichen 
Gegenwirkungen zum Trog jeine Tochter Urjula im Jebruar 1467 
dem zweiten Sohne des Königs Georg, Heinrich von Münfter: 
berg, vermäßlt, und im Frühjahr 1472 verlobte er die jugend- 
fihe Barbara mit Heinrid von Glogau, deſſen Herzogtum, 
blieb die Ehe finderlos, an die Hohenzollern fallen ſollte. Da— 
gegen erhob ſich, ungariſcher Hilfe icher, der wilde Hans von 
Sagan: feinen von Brandenburg belehnten Bruder Balthajar 
hatte er der Herrſchaft beraubt und getötet. Run verkaufte 
er fein Land an Kurſachſen, ohne Rüdicht auf die Rechte des 
Glogauer Vetters. Alsbald regten jih aud die Pommern 
wieder. Wratislam forderte in den an Brandenburg gefallenen 
Gebieten die Huldigung; in Garz hatte er Verbindungen an= 
gefnüpft, um es bei erfter Gelegenheit zurüdzugewinnen. In 
der Mark aber wuchs die Gärung: nad geheimer Verabredung 
leifteten die Städte weder die geforderten Zahlungen nod) mili= 
täriihen Zuzug. Daher wurde unter Vermittelung Medien: 
burgs und bes Kaiſers am 31. März 1472 zu Prenzlau wieder 
einmal über Pommern paftiert: Wappen und Titel nebit den 
ihnen früher überlafienen Schlöffern und Städten blieben den 
Hohenzollern; aud ihre Lehenshoheit wurde anerfannt, doch 
ſollten die Herzöge ihnen nur dur Handſchlag Treue geloben, 
die Stände aber Huldigen. Dieſes Abkommen fand 1473 die 
Zuftimmung des Kaijers. 

Wie wenig es nad) Albrehts Sinn war, lehrt der Eifer, 
womit er nun gegen die vorging, deren Oppofition ihn am 
energifhen Handeln gehindert hatte. Mit König Chriftian I. 
von Dänemark, feinem Verbündeten gegen Pommern, plante 
er bie Nieberwerfung der dem Fürftentum feindlichen Gemalten 
im Lande. Die weltlihe Macht der Bifchöfe ſollte gebrochen, 
ihr Einfommen auf einen beſcheidenen Satz reduziert, das 
übrige dem Landesherrn zur Verfügung geftellt und die Selbft- 


I. Die Mark Brandenburg. 165 


regierung der Städte aufgehoben werden, indem die Ernennung 
des Rats ſowie die Ordnung von Zoll, Steuer und Gericht 
an ben Landesheren fam. Sol Streben lag im Zuge der 
Zeit: ähnliches war eben durch das verjüngte nationale König- 
tum in Frankreih, in Burgund durch Karl den Kühnen ges 
ſchehen. Daher ftand Albreht dabei auch nicht allein: ber 
Burgunderherzog, Kaifer Friedrich wollte mittfun. Auch Eng- 
land und Schottland und felbft die dynaſtiſchen Verwidelungen 
in Italien waren mit in die Kombination gezogen. Aber ber 
Bruch des Kaifers mit Herzog Karl und das Entbrennen des 
Neußer Krieges vereitelte alles. Dann führte die Kataſtrophe 
des Burgunders eine Niederlage des Fürftentums überhaupt 
herbei. Won teilmeifer Säfularifation der Kirchengüter und 
der Beugung der Städte unter die fürftlihe Wilfür war auch 
in der Mark zunächft nicht die Rede. Vielmehr gab Albrechts 
erneute Bedrängnis durch auswärtige Feinde auch feinen ein= 
heimischen Gegnern bald Gelegenheit, zugleih mit ihrem Haß 
ihre Furt vor ihm zu bethätigen. Der Anftoß dazu fam 
wieber von Pommern, 

Im Einverftändnis mit jeinem Oheim Wratislam dachte 
Bogislam X., der 1474 feinem Vater Erih II, in Stettin 
folgte, den läftigen Prenzlauer Vertrag von 1472 zu zerteißen. 
Der Augenblid ſchien gekommen, als im Februar 1476 Heinz 
rich XI. von Glogau ftarb und feine jugendlihe Witwe Bar- 
bara dur Hans von Sagan bes ihr zuftehenden Landes be= 
raubt wurde; nur Kottbus rettete Johann von Brandenburg 
für feine Schwefter. Hinter dem Saganer aber ftand auf der 
einen Seite Matthias Corvinus, der von Schlefien aus jeden 
Augenblid über die Mark herfallen konnte, auf der anderen ber 
Deutſche Orden, der, gegen Polen rüftend, den Markgrafen 
durch Rüdforderung der Neumark unliebfamft überrafhte. Im 
Lande felbjt aber dauerte die Unzufriedenheit an: die Städte 
weigerten Geld und Mannſchaften, des Augenblids gewärtig, 
mo ein allgemeiner Zufammenbrud fie von ber fräntifchen 
Herrſchaft befreien würde. In diejer Bedrängnis rief Johann 
den Vater herbei. 

Im Frühjahr 1476 kam Albrecht zum zweitenmal in das 


166 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


Land. Die Entfheidung der Waffen zu fuchen, wagte aber 
aud er nicht, Tondern nahm feine Zuflucht zu diplomatiſchen 
Künften. Judem er von den Städten bie einen durch Zu: 
geftänbniffe gewann, konnte er die anderen durch Zwang beugen. 
Gern löften fie den ftrittigen Zoll um ein Pauſchquantum ab. 
Den jungen Pommernherzog Bogislam X. trennte er von 
feinem Friegsluftigen Oheim durch die Ausficht auf die Hand 
feiner Nichte Margarethe. Mit Hans von Sagan vermittelten 
die Stände des Herzogtums Glogau einen Stillftand. Die 
Anerbietungen des Ungarnfönigs dagegen lehnte Albrecht ab, 
obgleich fie die Ermerbung Glogaus verhießen. Vielmehr ſchloß 
er fi noch enger an deſſen Gegner, indem er die junge Witwe 
Barbara Wladislam, dem Sohne des Polenkönigs, verlobte. 
Schwer mußte die Mark das büßen. Kaum war Albrecht nad 
Franken zurücgefehrt, ald Hans von Sagan und ungarische 
Scharen über das Land herfielen, das Johann trog der Hilfe 
Bogislams X. bis Frankfurt verwüften fehen mußte. Als 
gleichzeitig Matthias Corvinus in Defterreih eindrang und 
Ende 1477 den Kaifer zu einem Frieden nötigte, der ihn als 
König von Böhmen anerkannte, da blieb aud dem Markgrafen 
feine Wahl,. ala durch ſchleunigen Abſchluß eines Stilftandes 
weiteres Unheil abzuwenden. 

Nun aber ſchlug Wratislam von Pommern los. m erften 
Anlauf nahm er Garz, Vierraden, Königsberg in der Neumark 
und Arnswalde. Bald ftreiften die Bommern bis Küftrin. Da 
hielt ſich auch Bogislaw X. nicht mehr zurüd und nahm Löcknitz. 
Kaum wußte Johann, wo zuerft abwehren, helfen, retten. Die 
ftäbtifhen Mannſchaften erſchienen nicht und die adligen Lehens— 
leute gingen davon, jobald er den Rüden kehrte. Die Zahl 
der Feinde aber wuchs: Medlenburg wollte Pommern helfen, 
Sachſen fi) auf Koften Brandenburgs vergrößern, ber Deutiche 
Orden trat förmlich unter den Schuß des Ungarnfönige. Hans 
von Sagan lehnte die Verlängerung des Stillftandes ab, und 
binter den Pommernherzögen erhob ſich die Hanja, um die ftädte- 
feindlichen Hohenzollern zu demütigen und die Freiheit ihrer mär- 
kiſchen Genoffinnen herzuftelen. Alles ftand auf dem Spiel. 
Wieder eilte da auf den Hilferuf des ratlofen Sohnes, Ende 


II. Die Mark Brandenburg. 167 


Juni 1478, Albrecht herbei. Glänzend hat er fi da bewährt. 
Sein Verdienft war es, wenn die Mark erhalten, die Zukunft 
feines Haufes gerettet wurde. Und nicht diplomatifchen Künften 
dankte er diefen größten Erfolg feines Lebens, jondern plan- 
vollſtem und thatkräftigjtem militärifchen Handeln. Die Friedens- 
anträge der Pommernherzöge, die auf den Wegfall der bran- 
denburgiſchen Lehenshoheit Hinausliefen, wies er berb zurüd: 
höchſtens wenn er hinter Schloß und Niegel ſäße, meinte er 
bitter, hätte man ihm fo ehrenrührige Vorſchläge zu machen 
wagen dürfen. Auch die Städte befannen fi auf ihre Pflicht 
und bemilligten feine Forderungen, wofür er gern einiges von 
dem Verlangten nachließ. Auch der Adel, Johann gegenüber 
fo lau und unzuverläffig, ſcharte ſich thatenluftig um den ge— 
feierten Kriegshelden. Seit Menſchengedenken war das Land 
nicht fo einmütig, noch nie jo kampfgerüſtet geweſen: 14 000 Mann 
zu Fuß und 6000 Reiter rüdten ins geld. Und meifterhaft 
waltete Albrecht feines Feldherrnamtes. Schnell warf er Pom- 
mern nieder. Ohne fih um das vergeblich beftürmte Greifen- 
hagen zu kümmern, drang er von der Neumarf aus bis Pyrig 
vor und ſchloß dort Herzog Bogislaw ein. Zwar entlam diefer, 
mußte fi aber bald danach, am 23. Auguft, in dem Schlofje 
Daber ergeben. Gegen Anerkennung des hohenzollernſchen Erb: 
rechte, Herausgabe der occupierten Orte und Freilafjung der 
Gefangenen erhielt er Frieden. Aber fein Oheim Wratislaw 
weigerte die Uebergabe von Garz. Dies galt es fchleunigit zu 
bewältigen: denn ſchon hatte auch der Ungarnkönig den Krieg 
erflärt und rüftete fih mit Hans von Sagan Pommern zu 
helfen. Aber trog jorgjamfter Vorbereitung — die bis in das 
Einzelne ausgearbeitete Dispofition Albrechts für diefe Aktion 
it erhalten — mißlang der Angriff. Da vermittelte Ende 
September Polen einen Stillftand auf neun Monate. 
Inzwifchen war Hans von Sagan im Felde erfehienen: feine 
ungariſchen Hilfstruppen richteten fi für den Winter in ber 
Lauſitz ein und ftreiften von da weithin. Den Winter ver: 
brachte Albrecht daher in wachſamer Defenfivftellung, während 
Land und Leute den Frieden herbeijehnten. Aber nah dem 
Tod Wratislams (13. Dezember 1478) Herr ganz Pommerns, 


168 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1599). 


wollte Bogislam X. von der Anerkennung der brandenburgifchen 
Anſprüche vollends nichts wien. Zudem drohte König Mat: 
thias loszuſchlagen, nachdem er fi) (September 1478) mit 
Wladislam verftändigt und mit Mähren und Schleſien auch 
die Laufig erhalten hatte. Den Kaifer hatte er bereits ge- 
demütigt; von dem beutfchen Fürften warben die meiften um 
feine Gunft; Sachſen war bereit mit ihm gegen Brandenburg 
zu gehen; die Kirche feierte in ihm dem Feldherrn ber Chriften- 
heit im Kampf gegen die Türfen: weil er ihm entgegen war, 
traf Albrecht die Erfommunifation. 

Wohl empfahl manches fih mit dem Ungarnkönig zu ner: 
fländigen: Albrecht konnte der beiten Aufnahme bei ihm ſicher 
fein. Aber er hätte fein politiſches Syſtem aufgeben, jeine 
Vergangenheit verleugnen müflen und dennoch nieht volle Sicher⸗ 
heit gewonnen. So harrte er aus, während das Land eifrig 
weiter rüftete. Zu dem geplanten Angriff auf Stettin zwar 
kam es niit, aber 9000 Ungarn, die von Schlefien durch die 
Mark dem Orden gegen Polen zu Hilfe ziehen wollten, wurden 
gründlich zurückgewieſen. Als dann aber die Türken Ungarn 
bedrohten, mußte König Matthias die im Weften verfolgten 
Pläne aufgeben und Albrecht hatte von ihm nichts mehr zu 
fürdten. Nun machte auch Bogislam X. am 2. Juli 1479 
zu Prenzlau Frieden. Garz behielt er zwar, empfing aber 
Pommern als Lchen, für das er mit Hand und Mund Vafallen- 
treue gelobte. Auch verzichtete Barbara gegen 50 000 Dufaten 
auf das Herzogtum Glogau. Als jedoch Matthias anderweitig 
darüber verfügen wollte, griff Hans von Sagan zu den Waffen 
und bemädhtigte ſich Kroſſens, nahm aber 1485 einen Vergleich 
an, nad) dem ber größere Teil des Herzogtums ihm als erb- 
liches böhmifches Lehen verblieb, während Krofien, Schwiebus 
und Züllihau an Barbara kamen. Daß er dem zuftimmte, 308 
Johann des Vaters herben Tadel zu. „Hans ift für ſolche 
Fragen,” meinte Albrecht, „noch zu jung: es wäre uns lieber, 
er hätte einftweilen wilde Schweine gejagt.” Auch gelang es 
1482 duch einen Vertrag zu Camenz, die der Herzogin Bar: 
bara um 90000 ungariſche Gulden verpfändeten Gebiete um 
Sommerfeld und Bobersberg zu vermehren, freilich unter An: 


1. Die Mark Brandenburg. 169 


erfennung der ungarifchen Lehenshoheit und des Nechts auf 
Wiebereinlöfung durch die Krone Ungarn. 

Bald nad; dem Abſchluß mit Pommern und Ungarn war 
Albrecht nad) Franken zurüdgeritten. Wohl durfte er ſich des 
Erfolges freuen. Ueberall erlitt Deutſchland damals territoriale 
Einbuße und mußte fehen, wie Polen und Böhmen, Dänen 
und Ungarn, Burgunder und Franzofen fi) auf feine Koften 
vergrößerten: gerade an dem gefährbetften Punkte war fein" 
Befigftand durch Albrecht, der feine Märker mit ftarfer Hand 
zu Pfliätbewußtfein emporriß, glüdlich gewahrt worden. Wenn 
je, jo hatte Brandenburg eben damals jeine Beftimmung als 
deutſche Mark erfüllt. Aber der langandauernde Kriegszuftand 
hatte Zucht und Orbnung gelodert, und auch nad Herftellung 
des Friedens bedurfte e8 unnadhfichtiger Strenge, um Fehde 
und Raub auszurotten und bie Sicherheit der Landſtraßen 
berzuftellen. Andererſeits ſchwand mit der Kriegenot aud bie 
Dienitwilligfeit der Stände wieder. Etliche Städte wollten 
felbft die Landbede nicht zahlen: auf Johanns Klage verurteilten 
fie im Herbft 1480 die Stände zur Zahlung. Unter allerlei 
Borwänden jedoch leifteten fie biefe nicht, jondern bemühten 
fih erft um Erleichterung, dann um Gewährung einer mehr: 
jährigen Frift. Nun meinten aud die übrigen Städte und bie 
Ritterſchaft vorläufig nichts zahlen zu müſſen. Da wollte 
Albrecht zur Gewalt greifen: ein neuer Stäbtefrieg wäre ent- 
brannt, hätte er bei den benachbarten Fürften Hilfe gefunden. 
So fam es zu einer Verftändigung, die der Verlegenheit ber 
Städte Rechnung trug, aber auch dem Rechte der Landesherr: 
ſchaft Genüge leiſtete. 

Immerhin ſchädigte dieſer Ausgang das fürſtliche Anſehen. 
Die bürgerlihen Gemeinden entzogen ſich der Aufſicht, der 
Friedrich II. fie unterftelt Hatte, und Albrecht ließ das ge 
ſchehen, wenn fie nur feinen finanziellen Bedürfniſſen einigers 
maßen nachkamen. Damit aber ftellte er jelbft das wieder in 
Frage, was für die Marken der vornehmfte moraliie Gewinn 
aus der Heimfuchung bes Pommernfrieges war, das buch die 
gemeinfame Not erwedte Gefühl der Zufammengehörigkeit. 
Ja, indem er dem Sonderftreben ber einzelnen Teile Spiel 


170 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


raum gab, erſchwerte er die Erreihung des Zieles, in deſſen 
Eonjequenter Verfolgung feine Bedeutung vornehmlich beruhte, 
die ſtaatliche Zuſammenfaſſung der märkiſchen Gebiete ala der 
eigentlichen Bafis für die Zukunft feines Haufes. 

Ihr diente das Achilleiſche Hausgefeg vom 24. Februar 1473, 
das die Erbfolge im Hohenzollerngefchlecht ordnete. Indem es 
gemäß den VBeftimmungen der Goldenen Bulle für die Kurz 
-fürftentümer die Unteilbarfeit der märkiſchen Lande und der 
an fie fallenden Gebiete ausſprach, ficherte es die Einheit 
Brandenburgs, deren Erhaltung, wie die legten Verwidelungen 
gezeigt, auch im Intereſſe des Reiches und der deutſchen Kul— 
tur lag. Indem Albrecht ferner verfügte,, da die Mark feinem 
Erfigeborenen zufallen und in deſſen Haufe ftreng nad dem 
Rechte der Erfigeburt vererben follte, verknüpfte er fie unlös- 
bar mit der Zukunft feines Geſchlechts, das dort den Schwer: 
punkt feines Dafeins finden folte. Die Hohenzollern hörten 
auf Fremblinge in der Mark zu fein und gaben ſich ihr end: 
lich zu eigen: aus fränkiſchen Fürften wurden fie märkifche. 
Doch auch den fränfifhen Befig ſicherte Albreht vor Zer— 
fplitterung: er follte in höchſtens zwei Teile auseinanbergehen. 
So brad die Dispositio Achillea mit dem privatrechtlichen 
Standpunkt, der das fürftlihe Erbrecht in Deutſchland bisher 
beherrſchte. Sie zuerft brachte die jener Zeit noch fremde Vor: 
ftellung zur Geltung, daß die Herrſchaft über Land umd Leute 
nicht behandelt werden dürfe wie ein privater Grundbefig, den 
der Vater unter feine Kinder austeilt. Vielmehr offenbart fi 
darin bereits die Erkenntnis, daß die öffentliche Gewalt ber 
Einheit und einer gewiſſen Fülle des Beſitzes nicht entbehren 
Tann, wenn fie anders ihren Beruf erfüllen fol, weil der Staat 
ein lebendiger Organismus höherer Ordnung ift und nit auf 
dem Wege einfacher Abfpaltung immer neue, ihm gleiche Orga— 
nismen erzeugen kann. Die Möglichkeit zum Staat zu werden, 
ift Brandenburg erft durch Albrecht gegeben worden. 

Zugleich aber übte Albrecht Achill durch diefes Hausgeſetz 
unbewußt doch auch eine Kritik an feinem eigenen fürftlichen 
Streben, das, nad) entgegengejegten Richtungen auseinander 
gehend, der Einheit und darum des rechten Erfolges entbehrt 





I. Die Mark Brandenburg. 171 


hatte. Durch feine fränkifhen Lande in alle das Reich erfüllende 
Wirren gezogen, in engitem Anſchluß an den Kaifer, in dem 
er noch immer ben Träger der höchſten Gewalt verehrte, und 
fo tiefer als wünſchenswert in die große Politik verflochten, 
Hatte er in der Mark zunächſt nur eine finanziell wertvolle 
Zugabe zu dem hohenzollernſchen Hausbefig gejehen. Deshalb 
Hatte er fie der Obhut feines älteften Sohnes überlaflen, von 
deſſen Gaben er feldft nicht Hoch dachte und deſſen Bebräng- 
niffe er als felbftverfchuldete gering achtete im Vergleich mit 
den eigenen Mühen und Sorgen. Erit während der großen Krifis 
der Jahre 1477—1479 Hatte er in ihr das Hauptland jehen 
gelernt, auf das die Zukunft feines Haufes gegründet werben 
mußte, ſollte fie anders den unberehenbaren Schwankungen 
entzogen werben, bie fie während ber legten zwei Menſchenalter 
bedroht hatten. Dann erſt konnten die märkiſchen Hohenzollern 
ihren eigenen Weg gehen, mit dem Lande verwachſen, in dem 
Albrecht ſelbſt ein Fremdling geweſen und geblieben war. 

So ift Albrecht Achill denn auch der legte hohenzollernſche 
Markgraf von Brandenburg, der, fern von der Mark, in Franken 
feine Ruheftätte gefunden bat. Am 11. März 1486 wurde er 
in Frankfurt am Main, wo er noch an der Wahl Marimilians 
zum römiſchen König teilgenommen hatte, von einem fanften 
Tod ereilt. Zn dem Klofter Heilborn, wo fo viele feiner Vor— 
fahren ruhen, ift er beflattet worben. 


III. Brandenburg im Mebergang zur neueren Zeit 


und die erffen märkiſchen Bohengollern 
1486—1535. 


Iohann Cicero 1486—1499. 


mei Menſchenalter hatten die fränkiſchen Hohenzollern in 
der Mark gemwaltet. Entſprachen ihre Erfolge den Abfichten, mit 
denen fie in das Land gefommen, und ben Erwartungen, die 
von ihnen gehegt worden waren? 

Die Frage wird im wejentlihen zu verneinen fein. An 
Eifer und Hingebung, an Mühe und Sorge hatte es feiner 
von ihnen fehlen laſſen. Daß nicht mehr erreicht war, hatte 
namentlih der Dualismus verſchuldet, zu dem ihre Politik 
durch die Zufammengehörigfeit des alten fränfifhen Haus— 
befiges und der Marf verurteilt war. Berlangte diefe zu vollem 
Gedeihen Löſung von der Reichspolitik, jo gewann jener Ber 
deutung allein durch energifches Eingreifen in fie. Daran find 
Friedrich I. und Albrecht geſcheitert. Es ift des letzteren Ver— 
dienft, da Abhilfe geihaften zu Haben. Bebeutete die Trennung 
der Mark von dem fränfiihen Hausbeſitz doch nichts anderes, 
als daß die Hohenzollern, bisher Fremblinge in Brandenburg, 
binfort zuerft diefem gehörten. 

Tas änderte auch ihr Verhältnis zu Land und Leuten. 
Mit Johann wurden die Hohenzollern Märker. Der Gegenjag 
ſchwand, in dem fie mit ihren fränfifhen Räten und Dienern 
zu den Einheimifchen ftanden. Hatte es doch zumweilen faft den 
Anſchein gehabt, als wollten fie fi} bei der Knappheit der 
Mittel in ihrer Heimat an dem Wohlftande der Mark erholen. 
Das böje Wort von den „Hungerfranfen” hatten Albrehts 


IU. Brandenburg im Uebergang zur neueren Seit. 173 


fisfaliiche Maßregeln nicht widerlegt. Jetzt gründeten die Hohen: 
zollern ihre Zukunft auf die Mark. Freilih wußte dort nun 
die ftändifche Oppoſition, daß auch die Mittel der fränfifchen 
Hohenzollern nit mehr gegen fie verwendet werden fonnten, 
und ftrebte um fo mehr nah Gewinnung größerer Freiheit. 
Ihre älteren Rechte hatten die Stände ohnehin im weſentlichen 
behauptet: nicht bloß bie legislative Thätigfeit der Markgrafen 
war an ihre Zuftimmung gebunden, ſondern aud die gefamte 
Steuerverwaltung Bing von ihnen ab, da auch die Einhebung 
durch ftändiihe Beamte geſchah. Und nun hatte bie Art, wie 
Albrecht den auffägigen Städten gegenüber bei ihnen fein Recht 
ſuchte und fand, fie als gleichberechtigten Faktor neben ben 
Landesherrn geftellt. So ſah fih Markgraf Johann von inneren 
Schwierigkeiten bedrängt, die auch die Geltung Brandenburgs 
nach außen minderten. Anwartſchaften, die noch Albrecht glüd- 
lid} verteidigt hatte, gingen verloren. Im Reich ſank das An- 
fehen der Hohenzollern. Doc wurden fie auch von den Krifen, 
die dasfelbe erfütterten, weniger in Mitleidenfchaft gezogen. 

Albrechts größter Erfolg war die Behauptung der Lehens- 
hoheit über Pommern geweſen. Johann büßte fie ein unter 
dem Drud berjelben Kombination, die feinen Water fo ſchwer 
bedroht hatte. Daß man ihn 1486 zur Königswahl nit hin= 
zugezogen hatte, obgleih aud er — wie der Pole Wladislam 
— König von Böhmen hieß, wollte ſchon Matthias von Ungarn 
Brandenburg und Sachſen entgelten lafien. Während er Kaifer 
Friedrich III. in Oberöfterreih bebrängte, fuchten feine Reiter- 
geſchwader die Marf vermüftend heim. Johann war froh, ihn 
zu begütigen. Uebler war die Rolle, die er nad) Matthias’ 
Tode fpielte. Recht that er, wenn er feiner ſächſiſchen Gemahlin 
Margarete Erbrecht auf Ungarn nicht verfolgte: für die Hohen— 
zollern war dort nichts zu gewinnen. Aber indem er das Ver: 
löbnis feiner Tochter Barbara, der verwitweten Herzogin von 
Glogau, mit Wladislam, dem polnifhen Böhmenfönig, daran 
gab, um diefem die Ehe mit Matthias’ Witwe zu ermöglichen 
und jo den Weg aud zum ungariihen Thron zu bahnen, be= 
günftigte er, was er um jeden Preis zu hindern ſuchen mußte: 
Ungarn und Böhmen waren in einer Hand. Trug Wladislam 


174 Erſtes Bud. Die Elemente deö preußifhen Staates (bis 1598.) 


dann einft noch die polniſche Krone, jo konnte das Brandenburgs 
und Deutjchlands Verhängnis werden. Wohl fuchte Johann 
fih mit Wladislaw gut zu fielen. Auch machte ihm dieſer 
einige Zugeftändniffe. Indem er auf den Rückkauf von Kroſſen, 
Zülihau und Sommerfeld verzichtete und Johann an der Er- 
werbung von Zofien nicht zu hindern verſprach, wurde ein alter 
Streitpunft bejeitigt und die bejorgliche Geftaltung der Dinge 
im Süboften den Hohenzollern wenigſtens erträglih gemacht. 
Als aber ſpäter Wladislam nah Verftoßung feiner Finderlos 
gebliebenen Gemahlin Johanns Tochter ehelichen wollte, in der 
Hoffnung, durd die Geburt eines Eohnes den Anfall Böhmens 
an Friedrich IH. abzuwenden, da genügte. des Iegteren Ein— 
ſpruch, um den Markgrafen zu einem Verzicht auf diefen Plan 
zu beftimmen. Denn wie fein Vater, jo konnte auch Johann 
fi vom Haufe Habsburg nicht losmachen und erfuhr wie jener 
deffen Undank — zunädft in Pommern. 

Dort hatte feit dem Prenzlauer Vertrage vom 2. Juli 1479 
Herzog Bogislam X. die fürftlihe Autorität auf Koften der: 
ſtändiſchen Selbftherrlichkeit befeftigt und erweitert. Doch wuchs 
aud die alte Abneigung gegen Brandenburg, zumal bei ber 
Unfruchtbarkeit von Bogislams Ehe mit Margarete, Fried: 
richs II. Toter, der Heimfal des Landes an die Hohenzollern 
drohte. Da ftarb Margarete 1489, und ber Herzog vermählte 
fi) mit der polnifhen Königstochter Sophie: die Söhne, die 
fie ihm ſchenkte, fiherten auf Generationen ben Beftand feines 
Geſchlechts. Um fo mehr eritrebte Bogislam die Aufhebung der 
brandenburgifhen Lehenshoheit, und nicht bloß Polen, jondern 
aud König Marimilian leiftete dem Vorſchub, indem er, wie 
gelegentlich jhon fein Vater (S. 159), die Reichsunmittelbar— 
teit Pommerns behauptete. Diefem zwiefahen Drud mußte 
Johann nachgeben. Im Februar 1492 tagten Bevollmächtigte 
beider Teile zu Königsberg in ber Neumarf. Polens und des 
römiſchen Königs fiher, wollten die Pommern es auf Gemalt 
anfommen laſſen, zumal bei dem Reichtum ihres Landes an 
natürlichen Verteidigungsmitteln und feften Städten ein Anz 
griff kaum glüden fonnte. Auch hatte Johann die märkiſche 
Ritterſchaft und einen Teil der ſtädtiſchen Mannſchaften Herzog 





III. Brandenburg im Uebergang zur neueren Seit. 175 


Heinrich dem Nelteren von Braunſchweig gegen feine Haupt: 
ftadt zu Hilfe geſchickt. Für den Verzicht auf die ftrittige Lehens- 
hoheit aber bot Bogislam Anerkennung des hohenzollernſchen 
Nachfolgerehts beim Erlöfchen feines Haufes. Nach längerem 
Zögern ging Johann darauf ein: im März 1493 erfolgte der 
Abſchluß. 

Gewiß minderte das die brandenburgiſche Macht. Aber 
es war doch auch ein Gewinn, daß an der Nordgrenze der 
Mark endlich ein zuverläſſiger Friedenszuſtand Platz griff. Zu— 
dem verpflichteten ſich beide Teile einander gegen aufrühreriſche 
Unterthanen Waffenhilfe zu leiſten. Gerade das war für Jo: 
hann von Bedeutung: nun erit durfte er hoffen, die märkiſchen 
Städte zu bewältigen. Er hatte die Demütigungen nicht ver 
geflen, die fie ihm noch als Vertreter bes Vaters bereitet hatten. 
Die Verfügung über ihre finanziellen und militäriſchen Mittel 
zu gewinnen, that um jo mehr not, als unter Albrecht auch der 
Adel wieder unabhängiger geworden war. Beanſpruchten doch 
viele Schlofherren das Recht des Geleits ber ſtädtiſchen Waren— 
züge durch ihr Gebiet, ja jogar das der Selbfthilfe und ber 
Fehde, und gewährten landflüchtigen Verbrehern aus den Nach— 
bargebieten Schuß und Hilfe. Bereits 1482 hatte Johann des— 
halb namentli in der Priegnig ein ftrenges Strafgericht ge: 
halten, indem er eine Anzahl von Raubburgen brad und etliche 
Wegelagerer auffnüpfte. Dauernde Abhilfe aber war doch nur 
in Gemeinjhaft mit den benachbarten Fürften zu ſchaffen. Wie 
einft Friedrich I. ſchloß Johann deshalb nicht bloß mit dem 
Erzbifhof von Magdeburg, mit Heflen und Sachſen, fondern 
auch mit Lüneburg, Ungarn und Pommern Verträge, melde 
die landfriedensbrecheriſchen Adligen des bequemen ausländifchen 
Nüchalts beraubten. Dennoch jtanden gegen die Städte Adel 
und Geiftlicfeit mit dem Landesherrn zujammen, ſchon aus 
finanziellem Interefje, weil die Umlage der dem Landesherrn 
bewilligten Steuern im wejentlihen von ihnen abhing und daher 
meiftens zum Nachteil der Städte ausfiel. 

Diefes Verhältnis offenbarte fih von neuem, ala im 
Februar 1488 die Stände auf einem Landtage zu Berlin dem 
Markgrafen die Bierziefe, die unter Albrecht jo heiß umftritten 


176 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bi 1598). 


war, auf fieben Jahre bemilligten. Bon jeder Tonne Bier 
ſollten die Städte zwölf Pfennige erheben, aber nur ein Drittel 
des Ertrages behalten und auf ihre Befeftigungen verwenden. 
Die Städte der Altmark widerſprachen, obenan Stendal, wo 
eine Erhebung der Gewerke den Widerftand der Gemäßigten 
niederſchlug. Aehnliches gefhah in anderen altmärkiſchen 
Städten. Als aber Johann zu gemwaffnetem Einfchreiten rüftete, 
Tieß man es nirgends auf einen Kampf anfommen. Am 25. März 
unterwarf fih Tangermünde, mußte die Bierziefe gleih für 
vierzehn Jahre zufagen und büßte die freie Ratswahl ein. In 
Stendal endeten einige von den Leitern der Bewegung unter 
dem Schwert des Henfers; von der erhöhten und gleich vier= 
sehn Jahre zu zahlenden Abgabe büßte die Stadt ihr Drittel 
ein; Münzreht und Gerichtsbarkeit wurden ihr genommen. 
Knieend mußte bie Bürgerfhaft Johann huldigen. Aehnlich er= 
ging es dann den übrigen altmärkiſchen Städten. Die Adligen 
wurden für die Verlufte reichlich entſchädigt, die ihmen die 
Streifzüge der Aufftändijchen bereitet hatten. Dennoch erneute 
fi der Widerftand, als 1495 nah Ablauf ber fieben Jahre, 
für welde die Bierziefe bewilligt war, die Stände die Be: 
willigung für bie gleiche Zeit wiederholten. Namentlich Frank: 
furt mußte erft durch Strenge zur Fügſamkeit gezwungen werben. 

Im allgemeinen waren die Gegner der Bierziefe die nie— 
deren Stände, die Gewerke, gewejen, während, wie das Bei- 
ſpiel Stendals zeigt, die ſtädtiſche Ariftofratie ber Geſchlechter 
fi fügen wollte. Daher war der Ausgang bes Streites zu: 
glei ein Sieg der legteren und hatte innerhalb der Städte 
eine ariftofratifhe Reaktion zur Folge. Ihre Träger fuchten 
gegen die murrenden niederen Stände einen Rüdhalt bei dem 
Landesherrn. Damit ſchwand der alte Bürgerfinn, und erftaun: 
lich ſchnell gewöhnte man fi daran, alles Heil von der Obrig- 
feit zu erwarten. Dazu bewirkten die großen wirtſchaftlichen 
Wandlungen tiefgreifende Aenderungen in der Verteilung von 
Armut und Reichtum. Der Rückgang der Hanfa zog die mär— 
tiſchen Städte in Mitleidenfhaft. Die ländliche Bevölkerung 
fing ‘an fi wirtſchaftlich von ber ftädtifchen zu emanzipieren. 
Das beförderte Johann, indem er von dem Landtage den 


II. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit. 177 


Bauern das Recht zuerfennen ließ, ihr Getreide in den Städten 
ftatt wie bisher zu dem von dem Rate normierten, zu bem 
von ihnen feftgefegten Preiſe feil zu bieten. Auch fonft er 
laubte er fich jeßt manchen Eingriff in die inneren Angelegen- 
heiten der Städte: die freiere Verfügung über ihre Mittel aber 
madte ihn auch unabhängiger von den Ständen überhaupt. 
So wurden 3. B. binfort die Steuern von fürftlihen Ein- 
nehmern verwaltet und den Ständen blieb nur das Recht der 
Kontrolle. 

Um dieſe Anfänge ftrafferer ftaatliher Ordnung konſe— 
quent weiter zu entwideln, hätte es aber einer Fraftvollen 
organiſatoriſchen Jnitiative bedurft: dieſe fehlte Johann. Einen 
Cicero hat man ihn genannt — zutreffend doch höchſtens in— 
fofern, als er mehr ein Mann des Wortes als der That war. 
Damals mußten die Marken, jolten fie gebeihen, von ihrem 
Regenten etwas anderes verlangen als ben fchöngeiftigen Kul- 
tus des Humanismus. Denn in einem fo armen und in feiner 
Gefamtentwidelung nod jo wenig vorgeſchrittenen Lande blieb 
diejer immer nur ein Firnis. Wurde doch die Univerfität zu 
Frankfurt an der Oder, durd die Johann dem Humanismus 
eine Stätte zu bereiten dachte, als fie unter feinem Nad- 
folger ins Leben trat, vielmehr eine Hochburg der katholiſchen 
Orthoborie, beftimmt, ben befreienden Geift der neuen Zeit 
fern zu halten. Zu den großen originalen Geiftern gehörte 
Johann nit. Ihm fehlten der weite Blid, die Gabe um: 
faſſender Kombination, die geiftige Beweglichkeit und die Energie 
des Handelns, die feinem Vater und Großvater eigen geweſen, 
aber aud die zähe Ausdauer, mit ber fein Oheim Friedrich IL. 
ähnlich ſchwierigen Verhältnifien doch noch bedeutende Erfolge 
abgerungen hatte. So ging die Regierung des erften märkifchen 
Hohenzollern nicht eben glänzend zu Ende. Bon den Vorteilen, 
welche die Löjung von Franken verheißen hatte, war kaum 
einer verwirklicht. Im Inneren war eine Zoderung eingetreten, 
die eine weitere Auflöfung befürchten ließ. Eine feite Hand 
that not, ſollten die miteinander in Widerftreit geratenen 
Kräfte zu gemeinfamem Streben nad einem Ziel zufammen- 
gefaßt werden. 

Prutz, Preußifhe Geihihte I. 12 


178 Erſtes Bud. Die Elemente bes preußiſchen Staates (bis 1598). 


Yoahim I. 1499—1535. 


Gerade das aber ſchien am menigiten zu erwarten, als 
Johann am 9. Januar 1499 zu Arneburg ftarb und in dem 
Klofter Lehnin beigejegt wurde, um fpäter in den von ihm 
errichteten Dom zu Köln an der Spree überführt zu werben. 
Denn fein Erbe Joachim I. war noch nicht fünfzehn, deſſen 
jüngerer Bruder Albreht gar erit zehn Jahre alt. Die vor: 
mundſchaftliche Regierung, die nötig ſchien, hätte Joachims 
Oheim, Friedrich von Ansbach, gebührt. Als eifrigen Anhänger 
Kaiſer Marimilians aber wollten die Reichsfürften ihm nicht 
zu einer Stellung fommen laffen, in ber er ihren Reform— 
beftrebungen vollends hinderlich werden konnte. So wurde ihm 
nur die Führung der brandenburgifhen Kurftimme bis zu Jo— 
achims achtzehntem Jahre, die Regierung diefem übertragen. 
Den märkiſchen Ständen fonnte nichts Erwünſchteres geſchehen: 
nun hofften fie volle Unabhängigkeit zu gewinnen. 

Eine arge Enttäufhung ftand ihnen bevor. Noch nie war 
in der Mark der Begriff der Herrſchaft jo weit gefaßt, noch 
nie jo konſequent daraus die ftaatlihe Praris in Verwaltung 
und Gefeggebung abgeleitet worden. Ein Geift ftrenger Orb: 
nung und Sachlichkeit faßte den zerbrödelnden Staat durch 
die überlegene Kraft eines eiſernen Willens zu neuer Gemein: 
ihaft zufammen. Dabei entbehrte Joachims I. Walten nit 
eines volfstümlichen Zuges. Sol ihm doch der Vater, in Er: 
fenntnis ber eigenen Fehler, beſonders empfohlen haben, den 
Adel kurz zu halten und an Bedrüdung der Unterthanen zu 
hindern. Joachim verglich den Staat dem menſchlichen Körper: 
die Bauern entſprächen den Füßen, die Bürger dem Herzen 
und die Edelleute dem Kopf, das Gedeihen des Ganzen aber 
hinge ab von der Gejundheit des Herzens. Sie zu ſchaffen 
und zu erhalten, war er bejonders bemüht: feinem ganzen 
Regiment gibt das ein ausgeſprochen bürgerliches Gepräge. Er 
veradhtete den Prunf, in dem feine Mitfürften fih gefielen, 
und das phantajtifhe ritterlihe Treiben, das Marimilian in 
Mode gebracht hatte. Selbit den Charakter feiner auswärtigen 





IN. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit, 179 


Politik hat das beftimmt. Seinem hausbadenen Sinn, der bei 
allem, was er unternahm, erft den Gewinn berechnete, wider: 
firebte der Zug ins Abenteuerliche, den Marimilian in die 
Reichspolitik brachte. Faſt demonftrativ hielt er ſich davon fern. 
Ein etwas fchwerfäliger, gelehrter Herr, ein Bücherfreund und 
eifriger Aftrologe, blidte er auf die geiftig minder gut Aus- 
gerüfteten mit Geringihägung herab. Wenn er dennoch im 
Reihe etwas galt und mehrfah den Ausſchlag gab, jo dankte 
er das dem Einfluß, den fein Haus eben damals durch eine 
Reihe von glüdlihen Fügungen gewann. 

Sein Bruder Albrecht, der in den geiftlihen Stand trat, 
wurde 1513 Erzbiſchof von Magdeburg und Biſchof von Halber- 
ſtadt, 1514 Erzbifchof von Mainz und Erzfanzler. Das fteigerte 
die Geltung der Hohenzollern ſowohl in ber Reichs- wie in 
der allgemeinen Politik, freilich au die Feindfchaft der Wet: 
tiner und ber Wittelsbacher. Denn diefe hatten um den Mainzer, 
jene um den Magdeburger Stuhl geworben. Dem Markgrafen 
Friedrich, Joachims fränkifhem Oheim, der dort den ganzen 
Hausbefig im feiner Hand vereinigte, verdanften die Hohen- 
zollern wichtige verwandtichaftliche Verbindungen. Durch feine 
Gemahlin Sophie Schwager Wladislams von Ungarn und 
Böhmen und Siegismunds von Polen, hatte der betriebfame 
Fürft, deffen reicher Kinderfegen und kriegeriſche Neigungen 
mit feinen beſchränkten Mitteln wenig ftimmten, feinen zweiten 
Sehn Georg am ungarifhen Hof fein Glück verfuchen laſſen; 
dur die Ehe mit Matthias Corvinus’ Schweiter bradte er 
es au zu Anjehen und Einfluß. Und ein Bruder Georgs, 
Albrecht, fand die geſuchte jtandesgemäße Verforgung, als ihn 
der hartbedrängte Deutſche Orden um feiner jagellonifchen Ver— 
wandtihaft willen zum Meifter wählte. Deshalb wünſchte auch 
Marimilian ein gutes Verhältnis zu den Hohenzollern und fah 
es Joachim I. Hug nad, daß er fich feinem Werben um thätige 
Beihilfe verfagte. 

Für die Mark war das ein Glüd: fie gewann jo Ruhe, 
um fic) zu erholen, zu Eonjolidieren und zu organifieren. Hier 
liegt Joahims Verdienft. Weber Diplomat noch Krieger, hatte 
er troß der Verſchloſſenheit feines unfcheinbaren Weſens etwas 


180 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


vom Organifator, mochte ihm auch der eigentlich ſchöpferiſche 
Zug abgehen. Er war mehr zu dem beihaulichen Leben des 
Gelehrten beftimmt als zu dem verantmortungsvollen Fürften: 
amte. Daraus entjpringt ber ernfte und trübe, nicht felten 
finftere Zug, der ihm anhaftete. Er war weniger ber Mann 
friſch zugreifenden Handelns als des geſchriebenen Wortes und 
liebte es, ſelbſt auf die realjten Verhältniſſe bezügliche Ver: 
fügungen mit — oft wenig glüdlih gewählten — klaſſiſchen 
Citaten aus allgemeinen Sägen herzuleiten und theoretifch zu 
begründen. Das meinte Sabinus, wenn er ihm nachrühmte, 
er habe die Philofophie aus dem Staube der Schule in die 
Praxis des Staatslebens hinübergeleitet. Wie mußte auf einen 
folgen Mann die Reformation wirken, welde die gläubig über- 
fommenen Grundlagen jeines ganzen geiftigen und fittlichen 
Dafeins in Frage ſtellte! Je mehr er fühne Entſchlüſſe und 
große Wagniffe ablehnte, um fo tiefer erbitterte ihn der Abs 
fall fo vieler von dem, was feinem von feinem humaniſtiſchen 
Zweifel angefränfelten Denken unantaftbar heilig war. Sein 
finfter verſchloſſener Ernft wurde zu rückſichtsloſer Unduldſam⸗ 
keit und gemwaltthätigem Fanatismus. 

Im Gegenjag zu feinen Vorgängern hat man Joachim I. 
wohl als Städtefreund bezeichnet: mit Unrecht, wenn Stäbte- 
freundſchaft fi äußert in Begünftigung der bürgerlichen Selbft: 
regierung oder gar bes Aufitrebens ber niederen Stände. Piel: 
mehr brachte Joachim durch feine Städteordnung vom 18. Juli 
1515 die landesherrlihen Rechte den Städten gegenüber erft recht 
zur Geltung. Ihr verdanken die märkifhen Städte, daß fie 
vor den Stürmen bewahrt blieben, welche die Nachbargebiete 
in der Folgezeit heimſuchten. Auch hier wurde aus dem Be: 
griff der Obrigkeit eine bis ins Kleinfte eindringende ftaatliche 
Auffiht abgeleitet; die Gewerke blieben vom Stadtregiment 
ausgefhloffen: Teugnete doch Cicero den Beruf des niederen 
Volkes zur Uebung ftaatliher Autorität. Wohl aber hielt 
Joachim die im Rate figenden Patrizier zu gemilienhafter 
Pfichterfülung an. Den Aemtern, die zu beffeiden fie als ein 
Net ihres Standes beanſpruchten, durften fie fih nun auch 
nicht entziehen, wenn bamit ihnen unbequeme Laften verbunden 








Ill. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit. 181 


waren: fie wurden zur Nebernahme gezwungen. In den ſtädtiſchen 
Finanzen mußte peinlihe Ordnung herrihen. Dazu wurde 
entweder bem Rate eine Vertretung der Vürgerfchaft beigefellt 
ober ber abtretende Rat mußte dem neu gewählten Rechnung 
legen. Auch fteuerte Joahim der Verſchwendung, die in den 
bürgerlichen Kreifen eingerifjen war und den Gegenjag zwiſchen 
arm und reich gefährlich verſchärfte. Der allgemeinen Wohl- 
fahrt willen wollte er auch den einzelnen Bürger zur Beſſerung 
feines Vermögensftandes anhalten: deshalb wurde das Beleihen 
ſtädtiſcher Grundftüde verboten, der Verkauf erſchwert und die 
rechtzeitige Wieberbefegung verlafjener angeorbnet. Innerhalb 
diefer Schranken aber erfreuten fi) die märkiſchen Städte voller 
Sreiheit: To haben fie, ohne daß Joahim hindernd eingriff, 
unvermerft der Reformation eine Stätte bereiten können. 

So hat JZoahim das märfifhe Städtewejen an eine feite 
Norm gebunden: die DVertreter der Bürgerfchaften wurden 
Organe bes landesherrlihen Regiments. Als folhen übertrug 
Joachim ihnen nicht jelten aud die Gerichtsbarkeit, mit Aus- 
ſchluß natürlich des Adels, feiner Hofleute und Beamten unter 
Vorbehalt feines beifernden Eingreifens, während er unnüge 
Appellationen von ihrem Sprud an fein Gericht mit Strafe 
bedrohte. Auch die Sorge für die Wehrhaftigkeit der Städte 
vertraute er den Räten an, die dazu befondere „Mufterer“ zu 
beftellen und zu bejolden hatten. Auch für die Sicherheit des 
Verkehrs folten die Städte zunächſt felbft forgen, um nicht 
gegen jeden wegelagernden Edelmann erft die Hilfe des Landes» 
herrn anrufen zu müſſen. Sonft wollte Joachim die Privilegien 
des Adels erhalten jehen. Namentlich duldete er feine Min- 
derung ber gutöherrlichen Rechte durch die Bauern, ſchützte dieſe 
freilich auch gegen unrechte Gewalt, Meinte er doch als Fürft 
von Gott zum oberjten Hüter alles Rechts beftellt zu fein, bei 
dem auch der Niedrigfte Schuß zu finden ficher fein müfle. Aber 
nicht in patriarhaliihem Sinn that er das: ihn erfülte die 
römifcherechtlihe Anſchauung, die in dem Herrſcher die Duelle 
alles Rechts und jeden Geſetzes fah. 

Hier entiprang feine bedeutendfte Schöpfung, das Kammer⸗ 
gericht. Handelte es fi) dabei aud) nur um die Neugeftaltung 


182 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (His 1598). 


und Erweiterung eines bereit beftehenden Inftituts, fo ift doch 
deſſen fernere Entwidelung in den neuen Formen und unter 
den neuen Bedingungen für die Ausbildung der landesherr: 
lichen Gerechtſame und bie ftaatlihe Organifation der Marfen 
von ber größten Bedeutung geworden. Durch die Anerfennung 
des marfgräflichen Gerichts als desjenigen, an das alle Märker 
fi) wenden fonnten, wenn fie bei dem für fie zunächſt zuftändigen 
geiftliden, adligen ober ftädtifden Gericht ihr Recht nicht 
fanden, hatte bereits Friedrich II. die einheitlichere Geftaltung 
der Rechtspflege angebahnt (S. 153). Unter dem wachſenden 
Einfluß des römijhen Rechts, das jeit 1515 auf Grund päpft: 
licher Erlaubnis auch an der Frankfurter Univerfität gelehrt 
wurde, leitete Joachim, beraten von dem gefeierten Leipziger 
Juriſten Wolfgang Kettwich, der 1506 Rektor zu Bologna ge— 
wejen war und nun in feine Dienfte trat, um fpäter als 
Kanzler der Träger der gejamten Regierung zu werden, eine 
weitere Reform des Gerihtsmejens ein. Während das alte 
Kammergericht, im deutſchen Rechte wurzelnd, ein Volksgericht 
mit ungelehrten Beifigern gemefen war, das unter dem Bor: 
fit des Markgrafen oder des von ihm beftellten Vertreters ge- 
urteilt hatte, plante er jegt im Einflange mit ber Entwidelung 
des deutſchen Gerichtsweſens überhaupt ein Kollegium von ges 
Iehrten, für ihren Beruf vorgebildeten Richtern, drang damit 
aber nicht dur. Gegen den im März 1516 fertiggeftellten 
Entwurf, der allein die Prälaten und ihre Leute dem neuen 
Gericht nicht unterftellte, erhob fi gerade von diefer Seite 
Widerſpruch, aus Furt, ein Gericht, von deſſen zwölf Bei: 
figern acht dur die Stände und nur vier fowie der Vor- 
figende durd den Markgrafen ernannt werden follten, könnte 
zu einem Organe ber fürftliden Wilfür werden; der Markgraf 
folte nicht daran teilnehmen dürfen und in jedem Falle an 
den Spruch der Mehrheit gebunden fein, aud) die Berufung an 
das Reichefammergericht freiftehen. Eine Verftändigung und eine 
förmliche Publikation des Entwurfs hat wohl nicht ftattgefunden. 
Doch ift das neue Kammergericht auch jo in Wirkſamkeit ge 
treten, zunächſt freilich nur als ein fubfidiäres oder fakultatives, 
an das fih, wenn es alle Vierteljahre in Tangermünde zu: 








III. Brandenburg im Uebergang zur neueren Zeit. 183 


fammentrat, diejenigen wandten, bie anderwärts fein Recht 
fanden, während die einem anderen Gerichte nicht unterworfenen 
Adligen überhaupt vor ihm ihren Gerihtsftand hatten. Da 
fi nun ber legteren Zahl dauernd vermehrte, da der Marl: 
graf immer mehr Adlige von den ordentlichen Hof: und Land» 
gerihten ausnahm, von der erfteren Freiheit aber in immer 
weiteren Kreifen Gebrauch gemacht wurde, jo wuchs fein Ge— 
ſchäftskreis ſchnell, und in demſelben Maße fteigerte ſich feine 
Autorität, obgleich es der ftändifchen Anerfennung noch ent: 
behrte und auch eine Mitwirkung der Stände bei der Ernennung 
der Beifiger nicht erfennbar iſt. Auch überzeugte man ſich bald 
von der Meberlegenheit diefer gelehrten Richter über die fonft 
urteilenden ungelehrten. Den Charakter eines in höherer oder 
letzter Inftanz urteilenden Obergerichts aber hatte das Kammer: 
gericht in jener Zeit noch nicht, vielmehr unterftanden ihm zu: 
nächſt nur die Sachen, in denen nad) altem Herfommen ber 
Landesherr als oberfter Richter perfönlich in erfter und legter 
Inſtanz zu urteilen hatte. Aber eben das verlieh ihm einen 
gewiſſen volfsfreundlihen Charakter, zumal neben dem die 
Intereſſen des Staates wahrnehmenden Generalfisfal zur Ver: 
tretung der Parteien vier Profuratoren und etliche Anwälte 
beftellt waren, von denen einer aus öffentlihen Mitteln be— 
foldet wurde, um die Prozefje der Armen unentgeltlich zu 
führen. Erſt die Thätigfeit eines folden ſtändigen Gerichte 
von gelehrten Berufsrichtern ermöglichte die Weiterbildung bes 
Rechts duch Aufftellung beftimmter, für alle ähnlichen Fälle 
geltender Rechtsgrundſätze. So fette hier die Entftehung 
eines einheitlichen märkiſchen Landrechts ein: bereits 1527 
konnte in der Joadimica das bis in unfere Tage in der Mark 
geltende eheliche Erb: und Güterrecht gefeglich feftgelegt werden. 
Damit that Brandenburg einen großen Schritt vorwärts 
in der Entwidelung zum Staat. Namentlih dem Adel gegen: 
über gewann die landesfürftlihe Gewalt. Für Selbjthilfe blieb 
fein Raum: das ritterliche Fehdewejen hatte ein Ende. Das 
aber bedeutete auch eine foziale Ummälzung. Daß die davon 
Betroffenen diefe abzuwehren fuchten, veranlaßte einen legten 
Ausbruch der alten ritterlihen Unfitte. Auch die Weberlieferung 


184 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


ift davon beeinflußt: fie hat Joachim I. in dem Maße zum 
Adelsfeind gemacht, daß fie ihm Graujamfeiten andidtete, die 
hiſtoriſch unerwieſen find. Joachim felbft hat bereits üblen 
Nachreben der Art entgegentreten müffen. Die lügnerifchen Aus: 
fireuungen feiner Gegner zu widerlegen, gab er in einem aus— 
führliden Schreiben vom 14. Februar 1504 feinem Oheim 
Friedrich von Ansbach wahrheitägetreuen Bericht von dem Ge— 
ſchehenen. Uebel habe es zu Beginn feiner Regierung um den 
Sandfrieven geftanden. Auch feine wiederholten Strafan- 
drohungen hätten feinen Eindrud gemadt. Dennoch habe er 
etliden Herren, die außer Landes geflohen, auf Fürbitten 
ihrer Verwandten die Heimkehr erlaubt, nachdem fie einen 
Teil ihres Raubes herausgegeben. Bald aber habe das alte 
Spiel wieder begonnen: nicht bloß die Städte feien dadurch 
geſchädigt worden, ſondern auch die benachbarten Fürften ; Herzog 
Georg von Sachſen und andere hätten Abhilfe verlangt. Da 
babe er einige von den Schuldigen richten laſſen. Durch deren 
Geftändnifje fompromittiert, feien andere geflüchtet und hätten 
feine Kaufleute ausgeraubt, ja ihn jelbft frech) verhöhnt, indem 
fie etlihen Gefangenen die rechte Hand abhieben und durch 
einen derjelben ihm förmlich abjagten. Da habe er endlich den 
Hauptfig der Raubgejellen, das fefte Buchholz, erftürmen laſſen; 
auch fei ein Teil des Naubes dort vorgefunden worden, während 
die Schuldigen felbft entkamen. So drüdte er denn aud ein 
Auge zu, wenn die Städte, die ſich gegen jolhe Feinde felbft 
helfen follten, darin gelegentlich zu weit gingen, und die Frank: 
furter blieben unbehelligt, als fie einen Naubritter, Hans 
Bomftorf geheißen, dingfeft machten und enthaupten ließen. 
Solche Konflifte waren unvermeidlih in dem Entſcheidungs— 
tampf zwifchen dem untergehenden ſtändiſchen Staat des Mittel: 
alters und dem ſich allmählich geftaltenden neuen Obrigfeits= 
ftaat. Daß er des letzteren nicht eben genialer, aber konſe— 
quenter Vertreter war, darin liegt die Bedeutung Joachims I. 

Noch eine andere Epifode aus feiner Regierung hat die 
Ueberlieferung in ein faljches Licht gerüdt. Im der Sorge für 
Handel und Verkehr, der die Einführung einheitlihen Maßes 
und Gewichts ſowie allerlei marktpolizeiliche Verordnungen ent⸗ 


III. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit. 185 


fprangen, nahm Joachim fi) auch der Juden an, bie unter 
den noch unentwidelten Verhältnifien jener Zeit bejonderen 
Nugen ftifteten. Aber nicht umfonft hatte in der erften Hälfte 
des 15. Jahrhunderts die Kirche, um die durch den Huffitis- 
mus erneute Anfechtung ihres reihen Befiges abzulenken, bie 
Menge gegen die Juden gehegt. Auch aus der Mark waren 
fie 1446 durch Friedrich II. vertrieben, der an ihnen fein In— 
terefje mehr hatte, da die einft in die marfgräfliche Kaſſe fließen- 
den Einnahmen aus dem Judenſchutzgeld u. a. längft an bie 
Städte gelommen waren. Aber fehon 1447 hatte er reihen 
Juden gegen entſprechende Zahlung wieber Aufenthalt gewährt, 
und da die Erlaubnis dazu alle drei Jahre von neuem erfauft 
werden mußte, fic jo eine bedeutende Einnahmequelle erichloffen. 
Deshalb war es ſchon unter Johann namentlih in den alt= 
märfifhen Städten zu antifemitifchen Ausſchreitungen gelommen, 
hier und da gar das Verlangen nad Ausweifung der Juden 
erhoben worden. Denn gern hätte mancher adlige Herr ſich 
auf diefe bequeme Art feiner jüdifhen Gläubiger entledigt. 
Dennoch erneute Joachim am 10. Dezember 1509 den Juden 
in den Städten des Havellandes, der Altmark und der Priegnig 
ihre Schugbriefe. Da kam im Februar 1510 aus der Gegend 
von Nauen die Kunde von einem Monftrangdiebftahl. Bald 
follte die Entweihung einer Hoftie durch jüdiſche Frevler er- 
wieſen fein. Unter dem Drud der erregten öffentlichen Meinung 
mußte Joachim den Brandenburger Rat mit der Unterſuchung 
beauftragen. Mit Hilfe der Folter waren die Angeklagten 
natürlich bald überführt, und 39 Juden wurden verbrannt, 
ihre Glaubensgenoſſen aber jämtlid des Landes verwiefen. 
Hier wi Joahim augenjcheinlih der vereinigten Oppofition 
des Adels und der Städte. Wo er es bloß mit einem von 
beiden Teilen zu thun hatte, war der Ausgang ein anderer, 
zumal die Städte dankbar die mancherlei Vorteile erfannten, 
bie ihnen die neue Ordnung gewährte. Selbit die Bierzieje 
bat Joachim ohne Schwierigfeit weiter bewilligt erhalten gegen 
das Verſprechen, fie mit allen fonftigen Zumutungen ähnlicher 
Art zu verfhonen. Nur noch zur Ausftattung einer Prinzeffin, 
zum Empfang ber Belehnung durch den Kaiſer, zur Landes: 


186 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


verteidigung und zur Leiftung des dem Reiche ſchuldigen Dienftes 
ſollten die Städte finanziell herangezogen werben dürfen. 
Große Gefichtspuntte und neue Jdeen waren Joachim I. 
fremd. Aber mit praftifhem Sinn und ausharrender Stetig- 
keit hat er im Innern doch Bedeutendes erreicht. Uebler ge— 
ftaltete fi die auswärtige Politif unter dem Einfluß feiner 
am Kleinen haftenden und von augenblidlihem Gewinn an— 
gezogenen Geiltesart. Was Brandenburg unter ihm an Gebiet 
zuwuchs, entftammte Anfprüchen, die bereits feine Vorgänger 
erworben hatten. Aus dem Erbe der Herzogin-Witwe Barbara 
von Glogau erhielt er 1515 Kroffen und Züllihau, und 1524 
wurde nad) dem Ausfterben der Grafen von Lindow die Graf- 
ſchaft Ruppin als erledigtes Zehen eingezogen. In den großen 
Fragen der Zeit aber kam Joachim bei feiner engen und främer- 
haften Auffaffung nicht zur Freiheit zielbewußten Handelns. 
Als fein Vetter Albrecht, 1511 zum Meifter des Deutſchen 
Ordens gewählt, zur Abfchüttelung der polniſchen Lehenshoheit 
rüftete, nötigte ihn Joachim 1517 auf das dem Orden ge— 
wahrte Recht zum Rückkauf der Neumark zu verzichten. Aber 
den jhönen Worten, mit denen er benjelben auf feine und 
anderer Reichsfürſten Hilfe vertröftete, folgte feine That. Denn 
daß er den deutichen Hilfsvölfern des Ordens den Weg durch die 
Neumark freigab, wollte doch wenig bedeuten. Wohl aber zog 
es ihm die Feindſchaft Polens zu, das ihn als geheimen Förderer 
des Ordens anflagte. Thatjähli dachte Joachim nicht daran, 
beruhigte ſich vielmehr allzuleicht bei der Entſcheidung, die der 
Eigennug Marimiliansg auch dort im Intereſſe bes Haufes 
Habsburg herbeiführte, indem er eine deutſche Kolonie, die 
noch unzählige Fäden mit dem Mutterlande verknüpften, aus 
ihrer natürlihen Verbindung riß und Polen überlieferte. 
Dod fehlte auch Joachim I. nicht ganz die Neigung zu 
weit ausgreifenden Projekten, die dem Großvater und Urgroß- 
vater eigen geweſen, nur daß er, in höherem Maße noch als 
jene, ftatt auf dem Wege fühnen Handelns auf dem der künſtlich 
fombinierenden Intrigue fein Ziel zu erreichen dachte. Auch 
fehrt bei ihm der Gedanke wieder an die Errichtung eines 
norddeutſchen Staates an ben Ufern der Dftjee. Obgleich er 





II. Brandenburg im Uebergang zur neueren Zeit. 187 


den Erbvertrag mit Pommern von 1493 noch 1501 erneut 
Hatte, forderte er 1523 nad) dem Tod Bogislams X. von defien 
Söhnen, den Herzögen Georg und Barnim X., Anerkennung 
der Lehenshoheit: fie follte ihm zu Größerem den Weg bahnen. 
Als Gemahl Elifabeths, der Tochter König Johanns von Däne- 
mark, die er 1502 als fiebzehnjähriges Mädchen heimgeführt 
hatte, wurde er von ben nordiſchen Verwidelungen berührt. 
Aber vergeblich hatte fein Schwiegervater bei ihm um Hilfe 
‚gegen Lübeck und das aufſtändiſche Schweden geworben, indem 
er ihm 1508 für den Fall, daß er jelbft oder fein Sohn Chris 
flian ohne männlichen Erben fterben follte, die Nachfolge in 
dem feinem Haufe gehörigen Teile von Schleswig und Holftein 
zuſicherte. Als dann Kaiſer Marimilian für feinen Enkel Karl 
von Spanien um bie deutſche Krone warb, erweiterte er 1517 
die brandenburgiſche Anmwartihaft auf die vom Reiche zu Lehen 
‚gehenden Teile Holfteins. Eifrig griff Joahim zu. Welche 
Ausfihten eröffneten fih damit feinem Haufe, deſſen Nachfolge 
recht in Medienburg und in Pommern bereits anerfannt war, 
während es eben auch im Preußen feiten Fuß fallen wollte! 
Was Friedrich I. den wibderftrebenden Verhältniffen nicht ab: 
zuringen vermocht hatte, das ſchien Joachim durch eine glüd- 
lie Fügung mühelos zu teil zu werden. Unter folden Um: 
ftänden gewann Pommern durch jeine zentrale Lage boppelte 
Bedeutung, und auch feiner fuchte Joachim ſich deshalb zu ver- 
gewiſſern. 

Aber die Nachfolger Bogislaws X. wieſen ſeine Anſprüche 
ab, und bald danach benutzte Karl V. die Gelegenheit, durch 
erneute Anerkennung der Reichsunmittelbarkeit Pommerns dem 
Markgrafen die Unzuverläffigkeit zu vergelten, deren er ſich durch 
fein widerſpruchsvolles und Hleinlich eigennüßiges Verhalten bei 
der Kaiferwahl 1519 ſchuldig gemacht hatte. Dann durchkreuzte 
die Entthronung jeines Schwagers Chriftian II. von Dänemark 
auch die Hoffnungen auf Schleswig-Holftein. Das fein Vetter 
Albrecht von Preußen Vajall Polens werden mußte, veränderte 
die Machtverhältniſſe im Often noch weiter zu feinem Nach— 
teil. Bor allem aber ſah fi Joachim durch den Fortgang des 
Religiongftreites zu engitem Anſchluß an den Kaifer genötigt: 


188 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


zur Ausrottung der Kegerei zu helfen war ihm heilige Ge— 
wiſſenspflicht. Alles, was den Kaifer daran hindern fonnte, 
ſuchte er zu vermeiden. 

Im eigenen Lande die Herrſchaft der alten Kirche zu 
erhalten, ſchloß er im Juli 1525, als mit dem Bauernkriege 
die ſoziale Revolution drohte, in Defjau ein Bündnis mit 
feinem Bruber Albrecht von Mainz und den Herzögen Georg 
von Sachen und Heinrid von Braunſchweig, die feinen Haß 
gegen das Luthertum teilten. Mit Erbitterung ftemmte er 
fih dem Zuge der neuen Zeit entgegen und ordnete dazu die 
Zukunft feines Haufes dem Syſtem kirchlicher Reaktion und 
ſpaniſchen Abjolutismus unter, das ber Sieg Karla V. in 
Deutſchland zur Herrihaft bringen mußte. Auch ließ es der 
Kaiſer an lodenden Verſprechungen nicht fehlen. Waren die 
gewünſchten Dienfte geleiftet, jo blieb der Lohn aus. So ge: 
währte König Ferdinand feine der Vergünftigungen in betreff ber 
böhmischen Lehen Brandenburgs, die er zur Zeit des Werbens 
um die Krone verjprohen hatte, noch erlangte bes Kurfürften 
jüngerer Sohn Johann (geb. 1513) die ihm lodend gezeigte reiche 
Braut — eine Tochter des dem Kaiferhaufe verwandten ſpa— 
niſchen Marcheſe Zenetti; die Nechtung Albrechts von Preußen 
aber mußte der Kurfürft als eine perfönliche Kränkung empfin= 
den. Wohl lehnte ſich fein Selbftgefühl zuweilen gegen ſolche 
Behandlung auf und er verfughte, feine politische Selbftändig- 
teit wieberzugewinnen: aber die unbarmherzige Logik der That— 
ſachen zwang ihn immer wieder in die alte Stellung zurüd. 
Kirchlich dem Kaifer aufs engfte verbündet, Fonnte er ihm auch 
politiſch nicht entgegen fein. So gab er auch feine pommerſchen 
Entwürfe auf, da fie nur im Widerfpruh mit dem Kaifer 
hätten durchgefegt werden können. 

Am 26. Auguft 1529 ſchloß er in dem kurfürftlichen Jagd: 
haus Grimnig bei Joahimsthal mit den Herzögen Georg und 
Barnim X. einen Vertrag, durch den er ben Verzicht auf die 
Lehenshoheit über Pommern erneute und bie Fünftige Erbfolge 
für fein Haus zugefichert erhielt. Auch dabei waren firdlide 
Rüdfihten beftimmend. Joachim entſchloß ſich zu diefem Opfer, 
weil „allenthalben im heiligen Reihe und anderswo Aufruhr 


II. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit. 189 


und Widerwille herrfhte und ihm Schädigung an Land und 
Leuten, Gebieten und Unterthanen von umliegenden Fürften und 
Herren drohten”. Vermutlich aber entiprang feine Nachgiebig⸗ 
keit auch dem Wunfche, die pommerſchen Verwandten nicht in 
das Lager der Proteftanten zu treiben. Waren doch ihre Städte 
der neuen Lehre bereit zugefallen. Aber auch hier wartete 
Joachims eine Enttäufhung. Denn kaum hatte Georg, ein 
eifriger Katholif und unlängft durch die Ehe mit Joachims 
jüngfter Tochter Margarete (geb. 1507) vollends an bie alte 
Kirche gefeflelt, 1531 die Augen gefchloffen, als jein Sohn 
Philipp fih mit Barnim X., der längft für das Evangelium 
gewonnen war, wegen ihres förmlichen und feierlichen Ueber- 
tritts einigte und denfelben unter Beirat Bugenhagens Ende 
des Jahres 1534 auf einem Landtage zu Treptow vollzog, 
troß heftiger Oppofition von feiten des Klerus und eines Teils 
des Adels. 

So gli) Brandenburg immer mehr einer Infel des alten 
Glaubens inmitten des Iutherifhen Norddeutſchland. Sie zu 
erhalten war Joachims leidenſchaftliches Begehren. Selbit bie 
Anwartſchaft auf einen Teil von Schleswig-Holftein fegte er 
daran, und machte im Frühjahr 1529 Frieden mit Friedrich J. 
von Dänemark, dem glüdlihen Gegner feines entthronten 
Schwagers Chriftian II., obgleich er Tegterem bedeutende Sum⸗ 
men geopfert hatte. Um ſo eifriger drängte er zu fchneller 
Gemwaltthat gegen die kirchlichen Neuerer. Sein Auftreten auf 
dem Augsburger Reichstage (1530) war am wenigften das 
eines Vermittlers.. Daß die Kirche gewiſſer Reformen bebürfe, 
gab er zu; fie durchzuführen aber fei allein Sache der Kirche 
ſelbſt. Die Einheit der Kirche wollte er erhalten ſehen, da 
fonft Spaltungen, Aufruhr und Empörung hereinbrechen würden. 
Auch für die politifche Einheit des Reichs hielt er die Einheit 
der Kirche für unentbehrlih. Als die Lutheraner in ihrer ab- 
lehnenden Haltung verharrten, braufte er heftig auf, und die 
Neben, in denen er fih — nad) Blut dürftend und nad) Krieg 
und Schwert verlangend, wie Brentz berichtet — weiterhin 
erging, mißbilligte jelbft fein Bruder Albrecht. Diefer altkirch— 
liche Eifer änderte nun aber allmählich nicht bloß jein Ver- 


190 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


hältnis zu Land und Leuten, fondern auch die Stellung feines 
Haufes zu Deutſchlands Volk und Fürften. Und da entbehrt 
fein Schickſal nicht einer gemiffen Tragik. Ohne Verftändnis 
für die geiftigen und fittliden Kräfte, die Luthers befreiendes 
Wort in der deutſchen Nation zu forticheitender Bethätigung 
gewedt hatte, jah er feinen Beruf in ihrer Bekämpfung und 
Erdrüdung. Das bradte in fein Dafein einen Zmwiefpalt, der 
die Hleinliden und harten Züge feines Weſens nur noch ſchärfer 
bervortreten und ihn um jo mehr vereinfamen und verbittern 
ließ, als ihn dabei doch nie das Gefühl verlafjen zu haben 
ſcheint, er ftreite für eine verlorene Sache. Man hat nicht 
das Net, an der Ehrlichkeit feiner Motive, an der Echtheit 
der von ihm bethätigten Weberzeugung zu zweifeln: darum aber 
fann fie doch aud dur die ihm eigene Rüdfihtnahme auf 
gewiſſe materielle Interefien beeinflußt worden jein, wie er 
1514 befondere Beförderung des Ablaßhandels in der Mark 
zugefagt hatte, um von Papft Leo X. das Patronat über die 
Domkapitel zu Havelberg und Brandenburg übertragen zu be— 
tommen, das ihm in der Ernennung bes Dompropftes ein 
Mittel in die Hand gab, die Oppofition der Domherren nieber- 
zuhalten. Auch kam der Eifer, mit dem er fih Tetzels 
annahm, mejentli den Finanzen feines Bruders, des 
Mainzer Erzbiſchofs, zu gute. In der Hauptſache aber ſcheint 
Joachims Haltung in diefer größten Frage feiner Zeit doch 
aus einem Irrtum des politifchen Urteils erklärt werden zu 
müffen, das, in engherzigem Egoismus befangen, in jeber 
jelbftlos wagenden Begeifterung eine Verirrung und eine Ge— 
fahr witterte. 

Im Frühjahr 1506 war die Univerfität zu Frankfurt an 
der Ober feftlich eröffnet worden. Bereits Johann Cicero hatte 
die Einleitung dazu getroffen. Den vornehmften Anteil daran 
aber hatte der zu Bologna gebildete Lübecker Kanonikus und 
Biſchof von Lebus, Dietrich von Bülow, der Hofmeifter des 
Kurprinzen und nachmals erjte Kanzler der neuen Hochſchule. 
Nach der Stiftungsurfunde follte diefe den Kultus des gött— 
lihen Namens und das Heil des rechten Glaubens ausbreiten 
und im Intereſſe des Reichsfriedens die Kenntnis der kirchlichen 








II. Brandenburg im Uebergang zur neueren Zeit. 191 


und kaiſerlichen Gejege fördern, wie ja zur Regierung des 
niederen Volles nichts nüglicher fei als möglichfte Vermehrung 
der Zahl der Rechtsgelehrten. Dazu follte fie Söhnen des 
Adels und des höheren Bürgerftandes auf dem Boden bes 
Humanismus die Bildung geben, die fie dem Lande ala Be: 
amte zu dienen befähigte. Thatſächlich aber trat dieje Beftim: 
mung bald zurüd gegen den Beruf der neuen Univerfität zur 
Hüterin des rechten Glaubens, den fie durch leidenſchaftliche 
Parteinahme gegen die Wittenberger Bewegung bethätigte. 
Bereitete fie doch Tegel im November 1517 einen pomphaften 
Einzug und verlieh ihm im Januar 1518 nad dem billigen 
Triumph einer fiegreihen Disputation über den Ablaß bie 
theologiicge Doktorwürde. Das war wohl nicht bloß das Werk 
ihres erften Rektors Konrad Wimpina, ber ala einer der erften 
gegen Luther Fitterarifh in die Schranken getreten war, ſon⸗ 
dern wird auch der noch befangenen öffentlichen Meinung ent: 
ſprochen haben. Aber während dieje ſich ſchnell wandelte, be— 
harrte unter dem Einfluß feiner eifrig Fatholiihen Näte, des 
Kanzlers Kettwich, des als furfürftliher Sekretär fungierenden 
Brandenburger Domdechanten Thomas Krull und des Sten- 
daler Dompropftes Wolfgang Rodorfer, Joachim unbeugfam 
auf dem altkirchlichen Standpunkt. Feſſelte ihn doch aud das 
Intereſſe feines Haufes durch die hohe kirchliche Würde feines 
Bruders Albredt an das Papfitum. Hier liegt wohl aud der 
Schlüffel zu der üblen Rolle, die er bei den Verhandlungen 
über die Wahl eines römifchen Königs gefpielt hat, indem er 
durch die Zufage großer Vorteile fi erft von Frankreich und 
dann von Marimilian gewinnen ließ, um, ala der Thron er- 
lebigt war, wieder für Franz I. einzutreten, vielleicht in ber 
Hoffnung, zwiſchen den ftreitenden Parteien felbft die Krone zu 
gewinnen. Sein Verhältnis zu Karl V. war daher zunächſt 
fehr geipannt: erft der Haß gegen die Reformation hat fie zu= 
fammengeführt. Joachims Schuld war es nit, wenn ber 
Raifer, von auswärtigen Verwidelungen bedrängt, immer von 
neuem unterhandelte, ftatt die Keger mit dem Schwert in den 
Schoß der katholiſchen Kirche zurüdzuzwingen. Durch das Bünd- 
nis, das er im Februar 1533 zu Halle mit feinem Bruder 


192 Erſtes Bud. Die Elemente bed preußiſchen Staates (bis 1598). 


Albrecht und den Herzögen Georg von Sachſen und Erich und 
Heinrich von Braunfhweig einging zu gemeinfamer Defenfive 
gegen die Schmalfaldener, aber aud aus Beſorgnis vor Auf: 
ruhr und Ungehorfam des gemeinen Mannes, fteigerte er bie 
Gefahr eines Religionskrieges. 

Aber ſchon wankte ihm daheim der Boden unter ben Füßen. 
In der Mark gewann die neue Lehre ſchnell Anhang, obgleich 
nod 1527 die Stände mit Joahim gemeinfam feierlih er- 
Härten, bei der Lehre und Verfaffung der Kirche bleiben zu 
wollen. Namentlich im Bürgertum fielen ihr immer weitere 
Kreife zu. Wie weit auch hier neben den kirchlichen foziale 
und wirtſchaftliche Reformtendenzen mitwirkten, ift nicht recht 
erſichtlich. Gefehlt jedoch hat es daran fiher nit. Zu be: 
denklihen Unruhen freilid fam es, wie es ſcheint, nur in 
Stendal, das unter den altmärfijhen Städten eine gemifle 
führende Stellung einnahm. Im Sommer 1530 ftürmte 
das Volk dort die Häufer der Geiftlihen, die den Gejang 
lutheriſcher Lieder hindern wollten. Einſchreitende kurfürſtliche 
Beamte wurden bedroht. Schließlich braden die Meuterer in 
das Rathaus, und erſt militärifches Einfchreiten unter dem 
Kurprinzen ftellte die Ordnung her. Die Stadt wurde ftreng 
beftraft, den zum Tode verurteilten Anftiftern jedod das 
Leben geſchenkt. Dieſes Strafgericht machte Eindrud: nirgends 
mehr wagten die Anhänger ber neuen Lehre hervorzutreten, 
und dem äußeren Anſchein nad blieb die Mark unberührt 
von ber Iutherifchen Kegerei, während bie zunehmende Verödung 
der Mefien, das Ausbleiben ber Opfergelder und die Ent» 
leerung der Klöfter zeigten, daß auch hier die Tage der alten 
Kirche gezählt feien. Die Frankfurter Hochſchule verfiel, wäh— 
rend Wittenberg herrlich erblühte und aud von zahlreichen 
Märkern aufgefudht wurde, unerachtet des von Joachim er- 
lafjenen Verbots. 

Wie aber fonnte Joachim hoffen, fein Volt der neuen 
Lehre fernzuhalten, wenn dieſe nicht bloß bei manden feiner 
Näte, wie dem trefflihen Euftah von Schlieben, dem Hof: 
marſchall Adam von Trotta und Kurt von Ploto, Sympathien 
fand, fondern in feinem eigenen Geſchlecht Anhang gewann? 








MI. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit. 198 


Daß der preußiſche, daß die fränfijchen Vettern ihr zufielen, 
mochte er noch verjchmerzen: aber in leidenfhaftlihem Zorn 
braufte er auf, ala er erfuhr, daß feine däniſche Gemahlin ſich 
dem Zuthertum zugewandt und 1527 das Abendmahl in beider: 
lei Geftalt genofien habe. Durch ihre Mutter eine Nichte Fried- 
richs des Weifen und Johanns des Beftändigen, eine Schweiter 
des entthronten Dänenkönigs Chriftian IL., der fein politifches 
Abenteurertum durch den Schein des Martyriums für die neue 
Lehre zu bdeden liebte, war Elifabeth früh dem Evangelium 
gewonnen worden. Daß ihr Gemahl, dem fie fünf Kinder ge— 
ſchenkt hatte, zwei Söhne und zwiſchen ihnen drei Töchter, ihr 
offenfundig die ehelihe Treue brad und damit den fittlichen 
Wert des von ihm fo leidenjchaftlich vertretenen Glaubens jelbft 
in das übelfte Licht fegte, war wenig geeignet, dieſe Entwidelung 
aufzuhalten. Um ſo ſchwerer dachte Joachim fie dafür büßen zu 
laſſen. Als fie die reuige Rückkehr zu der alten Kirche ablehnte, 
wollte er fie, heißt es, wegen Ketzerei prozeffieren laſſen: Elifa- 
beth meinte ernftlih für ihr Leben fürchten zu müflen. Auch 
ihre Verftoßung, ihre lebenslängliche Einſchließung wurde er: 
mogen. Da floh fie im März 1528 nad) Sadjfen, wo Johann 
der Beſtändige, ihr Oheim, fie erft in dem Nonnenklofter Prettin 
bei Dommitzſch und dann in dem benachbarten Schloſſe Lichten⸗ 
burg unterbrachte. Joachim war außer fi: in der Flucht der 
an Leib und Xeben bedrohten Gemahlin jah er eine ihm per: 
ſönlich angethane Schmach, durch die feine kirchlichen und poli— 
tiſchen Widerſacher ihn vor der Welt bloßſtellen wollten, und 
es fehlte nicht viel, ſo hätte er gegen die Mitſchuldigen und 
Beſchutzer Eliſabeths die Waffen ergriffen. Und Eliſabeth blieb 
nicht die einzige Abtrünnige in feinem Haufe. Seine jüngfte 
Tochter Margarete, die Witwe Georgs von Pommern, jcheint 
durch den Einfluß der Mutter ebenfalls ſchon für das Luther— 
tum gewonnen gemwejen zu fein: fie veranlaßte bald danach den 
Uebertritt ihres zweiten Gemahle, des Fürften Johann von 
Anhalt. Daß der Gatte ihrer Schweſter Elifabeth, Herzog 
Erich von Braunſchweig, den Lutheranern Duldung gewährte, 
ließ auch feinen Abfall befürchten. Aehnlich dachte, wie er 
nachmals befannt hat, Kurprinz Joachim, mochte er das auch 
Prug, Preustihe Geihicte. I. 18 


194 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


vor dem Vater ängftlich verbergen. Nur feine ältefte Tochter 
Anna, die Gemahlin Herzog Albrechts von Medlenburg, die 
einft Philipp von Heflen verlobt und dann dem Klofter beftimmt 
geweſen war, fehrte zur Freude des Vaters von ber lutheriſchen 
Irrlehre, die fie eine Zeitlang befannt hatte, zur katholiſchen 
Kirche zurüd. In immer weiteren Kreifen jah Joahim die ver- 
haßte Neuerung um fi greifen. Selbft für das Herzogtum 
Sachſen war nad dem Tode Herzog Georgs zu fürchten, da 
fein zum Nachfolger berufener Bruder und defien Söhne ihr 
ebenfalls zuneigten. 

Troß alledem meinte Joachim Haus und Land an das 
alte Kirhentum feſſeln zu fünnen. Eigenfinniges Beharren bei 
der eigenen vorgefaßten Meinung, ſchroffes Abweifen ber fi 
aufdrängenden befieren Einfiht und deſpotiſche Unduldfamfeit 
gegen das Selbftbeftimmungsreht anderer gaben bei ihm den 
Ausſchlag. Nicht genug, daß er jeinem Erftgeborenen Joachim, 
ala feine Gemahlin Magdalene, die Tochter Georgs von Sachſen 
(28. Dezember 1534), geftorben war, in Hebwig, des Polen: 
konigs Tochter (März 1535), eine ftreng Fatholifche, undeutiche 
Braut aufnötigte, während der zweite, Johann, der Schwieger: 
john Heinrihs von Braunſchweig wurde: noch durch fein Tefta- 
ment verpflichtete er beide Söhne „unverrüdt bei dem alten 
Hriftlihen Glauben zu bleiben” und „nichts dagegen, weder 
heimlich noch öffentlich, zu thun“. Nicht bloß für fi felbft 
mußten fie das „an eines rechten geſchworenen Eides ftatt” 
ihm geloben, fondern jollten aud) ihren Nachfommen und Erben 
die gleiche feierliche Verpflihtung auferlegen. Selbft die Miß— 
achtung des Achilleiſchen Hausgeſetzes, deren Joachim ſich ſchuldig 
machte, wird hier entſprungen ſein. Denn indem er durch ſein 
Teſtament die Mark fo teilte, daß Johann die Neumark, Stern- 
berg und Kottbus, Krofien und Peig erhielt, alles übrige aber 
famt der Kur dem Erftgeborenen verblieb, glaubte er wohl 
ihnen im Intereſſe ihres Haujes eine Gemeinfamfeit des Han— 
delns aufzundtigen, die zufammen mit dem ihnen ebenfalls ge: 
botenen Verbleiben in dem Hallenfer Bündnis, ihren Ueber: 
tritt zu der neuen Lehre um fo fiherer zu hindern ſchien, als 
bie Teilung eines Kurlandes mit ber Goldenen Bulle in Wider: 





II. Brandenburg im Webergang zur neueren Zeit. 195 


ſpruch ftand und daher nur mit Zuftimmung bes KRaifers aufs 
recht zu erhalten war: es galt für fie aljo fi feiner Gunft 
und Gnade zu verfihern. Karl V. ſcheint ohne weiteres zu— 
geftimmt zu haben: verhieß ihm doch des Kurfürften Teftas 
ment die Behauptung einer Stellung in Norbdeutfchland, die 
faft ſchon für verloren Hatte gelten fünnen. Die märkiſchen 
Stände find um ihre Zuftimmung offenbar nicht befragt. Was 
aber hätten fie auch gegen eine Maßregel einzumenden haben 
follen, die mit der Teilung auch eine Minderung der landes- 
herrlichen Gewalt, ihnen ſelbſt alſo größere Unabhängigkeit 
verhieß? Was wäre aus Brandenburg, was aus den Hohen- 
zollern geworden, wenn es Joahim I. gelungen wäre, ihre 
Entwidelung in die von ihm gewollte Bahn zu bannen? Wird 
man nicht aus der Gemwaltjamkeit, mit der er auch die Zukunft 
von Haus und Land von feinem Gebote abhängig maden 
wollte, vermuten dürfen, daß ihn tief innerlich bereits die 
Vorahnung des nahenden Umfchlags überfam, des Umfchlags, 
den nit abwenden zu können für ihn nicht bloß eine uner: 
träglihe Demiltigung bedeutete, fondern der Vernichtung feiner 
ganzen fürftlichen Erxiftenz gleichgefommen wäre? Längft war 
Joachim I. ein Frembling in feiner Zeit, deren Zeichen er 
nicht verftand, nicht verfiehen wollte. Bon feinen fürſtlichen 
Genoſſen fah er einen nad) dem anderen der Kegerei verfallen, 
von den Stüßen, welche die von ihm als durch Gott gejegt 
verteidigte kirchliche und politifhe Ordnung getragen, eine nad 
der anderen zuſammenbrechen. Sollte er wirklich geglaubt 
haben, jeine willfürlihen und rechtswidrigen Beftimmungen 
fönnten den Gang der Dinge aufhalten und das Verhängnis 
abwenden? 

Raum fünfzig Jahre alt, ift Joachim I. am 11. Juli 1535 
geftorben. Der Tod war ein Glüd für ihn: er erfparte ihm 
eine Enttäuſchung und überhob ihn eines ausfichtslofen Kampfes, 
in dem er nicht bloß äußerlich erlegen, ſondern auch innerlich 
gebrochen fein würde. Und in dieſer Hinficht möchte man feinen 
Tod als ein Glück bezeichnen aud für fein Haus und fein 
Land. Ihnen wurde die Selbftbeftimmung wiebergegeben, bevor 
die ſchon aufs höchfte gejpannten kirchlichen und politifchen 


196 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


Gegenjäge gemwaltfam zufammenftießen. Sie gewannen bie 
Möglichkeit, rechtzeitig und friedlich, ohne tiefe Erfhütterung 
im Innern und ohne ſchweren Konflift nad) außen, in die 
neue Ordnung der Dinge hinüberzulenfen, in der auch fie end- 
lich alle Bedingungen für ein rafcheres Gedeihen und eine lid: 
tere Zukunft gewinnen follten. 


IV. Reformafion und ſtändiſches Regiment. 
1535—1598. 


1. Joachim II. 1535-1571. 


2) Die Reformation in der Marf Brandenburg. 
1535—1563. 


Wie in allen Marken waren auch in. Brandenburg Chriftiani= 
fierung und Germanifierung Hand in Hand gegangen. Das 
bedingte Befigftand und Einfluß der Kirche, deren Anſprüche 
auch in der Folge zu den beſchränkten Mitteln des wenig be= 
güterten Landes nicht in dem richtigen Verhältnis ftanden. 
An diefem hatten außer den drei märfifhen Bistümern Bran- 
denburg, Havelberg und Lebus Anteil noch Meißen für die 
Laufig, Kammin für neu» und udermärfifche Landſtriche und 
Verden und Halberitadt für die Altmark. Ihnen unterftanden 
außer zahlreihen Stabtlirhen und ländlichen Pfarreien 
35 Mönchs- und etwa 25 Frauenklöfter, meift askaniſche Grün- 
dungen. Sie belafteten Land und Leute materiell und ent— 
zogen einen großen Teil des ländlichen Befiges allen öffentlichen 
Zweden, erzeugten aber auch fittlihe und geiftige Nachteile. 
Den geiftliden Stand fuchten auch hier viele nur um weltlicher 
Vorteile willen: fie betonten mehr als ihre geiftlihen Pflichten 
die ihnen zuftehenden weltlichen Rechte. Daher gab auch der 
Wandel des märkiſchen Klerus zu Klagen Anlaß. Geiftig ftand 
er niedrig: theologijches Studium war unbefannt, der Vorwurf 
der Unbildung offenbar berechtigt. Infolgedeſſen war das kirch- 
liche Leben in der Mark mehr ala anderwärts veräußerliht und 
zu unverftandenen Formeln und abergläubijchen Bräuchen ver- 
flüchtigt. Das bezeugt das Weberhandnehmen der Wallfahrten, 
befonders die gößendienerifche Verehrung des heiligen Blutes 


198 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


zu Wilsnad, fowie die üppige Entfaltung des Marienkultus. 
Das änderte au der Einfluß nicht, den die Markgrafen feit 
Friedrich II. auf die Beſetzung der Bistümer ausübten. Doc 
wurde die Mark von einzelnen der reformatoriſchen Richtungen 
des Mittelalters tiefer berührt. Waldenfergemeinden gab es 
zu Ende bes 14. Jahrhunderts in Angermünde, Königsberg, 
Dramburg und Prenzlau. Obgleich auf Handwerker, Bauern 
und Tagelöhner beſchränkt, überdauerten fie wieberholte Ver: 
folgungen und gewannen fpäter im Anſchluß an die böh- 
mifchen Brüdergemeinden neue Kraft. Die Verbrennung eines 
ihrer Lehrer zu Berlin im April 1458 leitete eine neue Ver— 
folgung ein, vor der viele nad Böhmen und Mähren ent: 
wichen. Dennod wird fi in manden Kreifen eine Gefinnung 
erhalten haben, welche. die von Wittenberg ausgehende An— 
regung lebhaft aufnahm. Auch in der Geiftlichkeit fehlte fie 
nit. Die Reform der Auguftiner, die in der zweiten Hälfte 
bes 15. Jahrhunderts Andreas Proles angebahnt hatte, war 
danf dem Eingreifen der landesherrlichen Autorität namentlich 
den Klöftern der Mark zu gute gelommen. Bebeutender wirkte 
Johann von Staupig ein. Auf einer märkiſchen Provinzial- 
ſynode zu Biefar, die eine Beſſerung des kirchlichen Lebens 
beriet, wurde am 12. Juni 1512 Luthers Traktat: Omne, quod 
natum est ex Deo verlejen, der ohne prinzipiellen Gegenfag 
zu Rom bereits eine Reinigung der Lehre auf Grund der 
Heiligen Schrift und die Reform des Klerus forderte. So 
wurde dieſe hier ſogleich in legale Bahnen gelenkt, freilich auch 
ihr Ziel nur niedrig geftedt. Statt des Prinzips griff man 
Nebendinge auf. Daher war die märkiſche Reformation gleich 
ihrer Anlage nad allem Ertremen abgewandt, dem altkirch- 
lichen Radikalismus fo gut wie dem neukirchlichen: einer ge: 
wiſſen mittleren Richtung folgend, begnügt fie ſich mit Abftellung 
der augenfälligften Mibftände und läßt dem Einzelnen fo viel 
Freiheit, als ohne Konflift mit der noch zu Recht beftehenden 
Autorität möglich ift. Auf diefem Boden ftand auch Joachim II. 

Doch hatte diefe Halbheit noch andere Gründe. Unter 
dem Drude materieller Sorgen war die Bevölkerung Branben- 
burgs geiftig im allgemeinen zurüdgeblieben. Langfamer als 


IV. Reformation und ftänbifges Regiment. 199 


die des benachbarten Sachſen wurde fie von Luthers Wort er- 
griffen, obgleich fie bei der Unterordnung Wittenbergs unter 
das Bistum Brandenburg der Sache doch gleich nahe genug 
ftand und die Univerfität Frankfurt jofort leidenschaftlich gegen 
Zuther Partei nahm. Wußte diefe Doch des Landesherrn ganze 
Autorität hinter fi und war dafür deſſen befonderer Gunft 
und Gnade gewiß. Um fo vorfitiger mußten die anders 
Denkenden handeln. Wo man dem Wittenberger Neuerungen 
zufiel, fam das daher nicht in beftimmten Handlungen, ſozu⸗ 
jagen pofitiv, zum Ausdrud, fondern in dem ungeftraft mög- 
lichen Unterlafjen bisher beobachteter kirchlicher Bräuche. Schon 
1521 blieben z. 8. in Berlin der Rat, die Gilden und bie 
Schulen der Fronleihnamsprozeffion fern. Es griff ein ge 
wifler neutraler Zuftand Plag: das entzog Joachims I. Eifer 
jeden Vorwand zum Eingreifen und ließ die neue Lehre in der 
Stille gedeihen. 

Dabei Inüpfte fie vielfah an verwandte ältere Anſätze. 
Zuerſt ſchlug fie Wurzel, wo das Huffitentum eingewirkt hatte, 
in den Kurſachſen benachbarten laufigichen Gebieten, in Rottbus, 
Guben, Ludau, Kroffen und Sommerfeld, in erftgenannter Stabt 
durch Johann Briesmann, der ihr nachmals in Preußen bie 
Stätte bereitete. Unter dem Laufiger Adel verfuchte Nidel 
von Mindwig zu Sonnenwalde eine ähnliche Role zu fpielen 
wie in den rheinpfälziſchen Landen Franz von Sidingen. Er 
befriegte den altkirhlihen Biihof von Lebus, Georg von 
Blumenthal, und trat dem Kurfürften entgegen als Verteidiger 
des Kölner Bürgers Wolf Hornung, mit deſſen ſchöner Frau — 
einer Tochter des Kölner Bürgermeifters Thomas von Blanten- 
feld und Schweiter des Rigaer Erzbiſchofs Johann von Blanken- 
feld — Joachim in doppelt ehebrecheriſchem Verhältnis ftand. 
Schließlich kam der ffandalöfe Handel auf dem Klagewege gar 
vor das Reichskammergericht. Luther, der vergeblich zu Gunften 
der Kurfürſtin Eliſabeth zu vermitteln verſucht hatte, gab ihm 
1528—1530 noch größere Deffentlichleit. Das ließ Joachims I. 
Feindſchaft gegen feine Lehre doch in einem neuen Lichte er 
‘einen, die inzwiſchen in den Nachbargebieten weiter um ſich 
griff und durch eine Menge unkontrollierbarer Kanäle aud in 


200 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


die Mark eindrang. Im Februar 1524 erging ein Mandat 
gegen Luthers Bibelüberfegung, die von Fehlern wimmeln und 
beftimmt fein jolte, durch Fälſchung die chriſtliche Glaubens- 
einheit zu ftören. Mit dem Bauernkrieg glaubte Joachim dann 
den von den Neuerern erftrebten Umfturz der kirchlichen und 
ſtaatlichen Ordnung hereinbreden zu fehen. Er war zu un: 
barmherziger Strenge entſchloſſen. Indem er das Wormfer 
Edikt erneute, wies er Ritterſchaft und Städte an, fid) fampf= 
bereit zu halten, da „bie Zutterifhe und andere Lehre und 
Predigt etwas raſch und höchlich zugenommen“. Zum Glüd 
wandte die ſchnelle Bewältigung der fränkiſchen und thüringifchen 
Bauern dieſe Gefahr von der Marf ab. Wie unbarmherzig 
würde Joahim eine Erhebung erftidt haben, für die er bie 
Wittenberger Kegerei verantwortlich machte! Als eine Gefahr 
für bie kirchliche, ftaatliche und gejellfchaftliche Ordnung würde 
er das Luthertum mit Stumpf und Stiel auögerottet haben. 
So blieben die geheimen Wege zur Verbreitung der neuen 
Lehre auch weiterhin gangbar. 

Trotz des ergangenen Verbotes zogen die märkiſchen Stu: 
denten zahlreih nad Wittenberg, bejonders die Altmärker. 
Immer augenfälliger wurde bie kirchliche Gleichgültigkeit des 
Bürgertums. Kirchliche Stiftungen und Spenden famen außer 
Mebung. Von den entliehenen kirchlichen Kapitalien wurden 
die Zinfen nicht gezahlt. Adlige und Bürger unterliegen die 
ſchuldigen Dienfte für die geliehenen kirchlichen Güter. Sie 
verweigerte zuerit offen 1524 ber Erbherr auf Altenhaufen, 
Matthias von der Schulenburg, indem er gleichzeitig für feine 
Güter einen lutheriſchen Geiftlihen beſtellte. Das bewirkte 
eine weitere Verarmung der märkifhen Kirche. Unter deren 
Drude traten alle Firhlihen Mißſtände nod mehr hervor. 
Beſondere Erregung ſcheint jedoch dadurch nicht veranlagt zu 
fein: die Reformation war hier weniger Sade des Gemüts 
als des Verſtandes und wurde weniger von dem Standpunkt 
bes opferfreudigen Glaubensmutes als bem des praftiichen 
Vorteils aufgefaßt. So wenig wie für die alte Kirche ereiferte 
man fi für die neue. Gern warf man bie bisher für jene 
getragenen Laſten ab, hütete fi aber bei der befannten Ge— 





IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 201 


finnung bes Landesherrn fi förmlich für die legtere zu ver— 
pflihten. In einer Art von Indifferentismus oder Neutralität 
wartete man ben Ausgang ab und lebte fi allmählich in bie 
entfpredende neue Ordnung ein. So fam damals bereits in 
der Mark jene mittlere Richtung auf, die mit Unrecht für das 
perfönliche Werk Joachims II. gilt, in Wahrheit von ihm vor- 
gefunden und in kirchlichen und weltlihen Dingen eingehalten 
worden ift. 

Ob fie möglich geworben wäre, wenn Joachim I. ben 
gewaffneten Zufammenftoß der Neligionsparteien nod erlebt 
und jein der alten Kirche entfremdetes Land zu zwingen ver- 
fucht hätte, feine Mittel dennoch für dieſelbe einzufegen? Ein 
ſchwerer Konflikt wäre unvermeidlich gemwejen. Ob darin das 
Land oder der Landesherr unterlegen wäre? Daß in feinen: 
Haufe, in den verſchwägerten Fürftengefchledtern die Neuerung 
Anhang gewann, hat weder den katholiſchen Eifer noch bie 
Siegeszuverfiht Joachims I. gemindert. Um fo größeren Ein- 
drud machte es auf fein Volk, fo fehr das Strafgeriht, das 
im Auguft 1530 Stendal traf, zum Verharren in der zumwar: 
tenden Haltung mahnte. Damit rechnete Joachim, als er Haus 
und Land für alle Zukunft an das Papfttum zu binden unter= 
nahm. Blieben feine Söhne, durch die Teilung beide der freien 
Bewegung beraubt, durch ihren Eid moralifh und durch bie 
Zugehörigkeit zu dem Halliihen Bunde politiſch an die alte 
Kirche gefeflelt, dem ihmen aufgezwungenen Syftem treu, fo 
behauptete Kom im Herzen Norddeutſchlands eine wichtige 
Poſition. 

Aber Joachims J. Berechnungen trafen nicht zu: gerade 
das von ihm ausgeklügelte Syſtem ermöglichte dem Nachfolger 
die Beibehaltung jenes neutralen Mittelftandes, den jede Partei 
für fid in Anſpruch nehmen und zu ihren Gunften beuten 
tonnte, der aber die ſchließliche Entſcheidung dem Fürften ent= 
zog und je nachdem feinen Unterthanen oder feinen Nachbarn 
überließ. Und eben das entſprach der Denkweiſe des neuen 
Kurfürften, dem bei allen Gaben des Herzens und des Geiftes 
doch bie des Entſchluſſes und überzeugungstreuen Handelns 
abging. Joachim U. war fein Mann der Jnitiative, des konſe— 


202 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


quenten Beharrens. Seine weiche, finnliche, ruhigem Behagen 
geneigte Natur mied die Konflikte: es wiberftritt ihr, für eine 
Meinung einzutreten, bie gegnerifche zu befämpfen und fo einen 
Prinzipienſtreit heraufzubef wären. Verhüllung der Gegenjäge 
hinter dehn- und beutbaren Formen und Formeln, denen jeder 
den ihm zufagenden Inhalt geben konnte, Umgehung der ent: 
ftehenden Konflikte und das Werben um die gleiche Weitherzig- 
feit und Nachſicht, um nicht zu jagen Zarheit, bei den Gegnern: 
das find die Züge, die Joachims II. kirchliches Handeln kenn- 
zeihnen und fein politiihes Syftem beftimmt haben. Zum 
Glaubenshelden war er nicht berufen: politifcher Vorteil und 
dynaſtiſcher Gewinn gingen ihm über verflärendes Bekenner— 
tum. Hat er doch zwei feiner Söhne zur fatholifhen Kirche 
zurüdfehren laflen, um das Erzbistum Magdeburg zu gewinnen. 
Wohl fteht er mit diefem Synfretismus nicht allein: bei ben 
erften fürftlihen Beichügern ber Reformation hat auch fonft 
meift niit die wie durch Erleuchtung über fie gefommene Ge- 
wißheit von ber Wahrheit der lutheriſchen Lehre entſchieden. 
Dazu fehlte in dem Bildungsgange dieſer Herren jede Voraus: 
jegung. Auch waren die Anfänge der Reformation in fi zu 
widerſpruchsvoll, um einen derartigen Eindrud zu machen: 
weltliche, politifche, ja felbft materielle Momente gaben den 
Ausschlag zu ihren Gunften. Cine Sache des Glaubens für das 
arme, von der alten Kirche fich felbft überlafiene Volt, wurde 
fie von diefem erfaßt mit der Wärme eines endlich wieder kirch— 
lich mächtig ergriffenen Herzens: für die Mehrzahl der deutſchen 
Fürften war fie zunächſt eine Sache der Politik, bei ber fie 
mehr ihrem Vorteil als religiöjer Begeifterung folgten. Yanz 
delte Albreht von Preußen mejentlih anders? Gerade mit 
ihm weift Joachim II. Aehnlichkeit auf, nur daß er, in feiner 
heiteren Leichtlebigfeit vom Glüd begünftigt, wie jener bei 
jeiner ſchwerlebigen Art vom Mißgeſchick verfolgt, ſich geſchickt 
durch alle Schwierigkeiten hindurchwand. So hat er ohne 
Herrichergröße, ja ohne bejondere Gaben in fait vierzigjähriger 
Regierung den Grund gelegt für die Zukunft feines Haufes. 

Im Gegenjag zu der Starrheit des Vaters Fennzeichnet 
ihn unruhige Beweglichkeit. Ohne den nüchternen, auf gute 





IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 203 


Wirtſchaft und forgjames Haushalten gerichteten Sinn jenes 
war er von leichtlebiger Sorglofigkeit, die den Augenblid genoß 
und fi in dem Glanze höfiſchen Prunfes fonnte Auch in 
der Politif handelte er als Sanguinifer, mit jener naiven 
Zuverfiht, die am Erfolge nicht zweifelt. Wohl machte ſolch 
fürſtliches Walten auf die Zeitgenofien Eindrud. Es hatte aber 
doch feine üblen Seiten. Daß die ihm angeborene „große 
Kuriofität” zu thörichter Leichtgläubigkeit ausartete und ihn 
verleitete, ſich mit allerlei Schwindlern einzulafjen, die bald 
den Stein ber Weifen zu finden, bald Gold.zu machen, unzeitige 
Erze zur Reife zu bringen oder in den märkiſchen Seen Perlen 
zu fiſchen ober Salzbergwerke zu erichließen veripraden, um 
nach Verwirtſchaftung des ihnen dazu anvertrauten Geldes zu 
verfhmwinden, war noch nicht jo ſchlimm und findet bei manchem 
Fürften der Zeit fein Seitenftüd. Wohl aber hat die finanzielle 
Zerrüttung, die feine Verf wendung verſchuldete, nicht bloß 
Brandenburgs Aktionsfähigkeit nad) außen beeinträchtigt, fon- 
dern auch feine inneren Verhältniffe übel beeinflußt. Ihre 
pekuniäre Beihilfe zu gewinnen, wurden den Ständen auf Koſten 
der lanbesfürftlichen Gewalt verhängnisvolle Zugeftändnifie ge: 
madt. Und das wird doch nicht dadurch entſchuldigt, daß 
Joachim infolge der Teilung nur über fünf Siebentel (das 
heißt 500 Duabratmeilen ftatt 700) des märkifchen Gebiets 
verfügte, während die ihm als Kurfürften obliegenden Ver— 
pflichtungen eine entiprehende Minderung nicht erfuhren. 
Wohl eriheint im Vergleich mit ihm fein Bruder Johann 
von Küftrin als eine proſaiſche, fait unfürftlihe Natur, als 
ein Großgrundbefiger, der tüchtig intenfive Landwirtſchaft trieb 
und fein Land bis in das Hleinfte Detail gut und rechtſchaffen 
verwaltete: aber feine Sparjamleit fteigerte feinen Einfluß und 
fein mwohlgefülter Schag kam aud Kurbrandenburg zu gute. 
Im Innern wirkte er nad Art des Vaters als Organifator, 
wie feine Polizeiverordnung für die märkiſchen Städte zeigt. 
Befonders aber überragte er den Bruder in ber religidjen 
Frage. Unbeirrt durch den ihm abgedrungenen Eid, ohne auf 
einen Anftoß von außen zu warten, der ihn entſchuldigen konnte, 
ar und mutig trifft er die Entſcheidung, die er nad) der in 


204 Erftes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


ihm gereiften Weberzeugung zu treffen in feinem Gewiſſen ge— 
drungen war. Obgleich gelegentlich ſchwankend — wie er 
3. 3. 1551 von dem Bunde gegen den Kaifer plötzlich zurüdtrat 
und Karla V. Partei nahm —, vermieb er doch die oft zwei— 
deutige Halbheit und die nach allen Seiten fompromittierende 
Friedensliede Joahims und vertrat erfolgreicher und würdiger 
als jener die „mittlere Richtung“. In ihm war etwas von 
der Härte des Vaters, während Joachims weiche Natur von 
den Verhältniffen abhängig blieb. Diejer Gegenjag mag bie 
Differenzen erzeugt haben, die anfangs zwiſchen den Brüdern 
herrſchten, eine Folge der dur die Teilung verurjachten 
Doppelregierung. Die Vermittelung der märkiſchen Stände jo 
wenig wie die des Hallifhen Bundes führte zu vollem Einver- 
ftändnis: aber es geſchah wohl nit nur aus Unmut darüber, 
wenn Johann die Erneuerung bes legteren ablehnte, obgleich 
man in Wittenberg damals von feinem der Brüder etwas für 
das Evangelium hoffte. Daß Johann übrigens in feinen Ent- 
ſchließungen von den aſtrologiſchen Berechnungen feines Stern: 
deuters Petrus Anemiander abhängig war, ift doch ein Moment 
nur von pſychologiſchem Intereſſe, das den praktiſch politiſchen 
Wert der von ihm verfolgten Richtung nicht herabmindert. 
Bei Joachim II. dagegen handelte es ſich auch der Refor— 
mation gegenüber mehr um eine perfönliche ala um eine prin- 
zipielle Entſcheidung. Früh hatte ihn wohl die Mutter auf die 
neue Lehre hingewieſen. Schon der Vierzehnjährige (geb. 1505) 
beſuchte, wie er fpäter erzählte, auf der Heimreife von dem 
Frankfurter Wahltag (1519), zu dem er den Vater begleitet 
hatte, in Wittenberg den „deutſchen Propheten“ und lernte 
von ihm ben „Ufus“. Doc kann das nit den Sinn haben, 
den er fpäter hineinlegte, wenn er, ohne an dem Glauben ver 
Kirche irre zu werben, damals bereits begriffen haben will, daß 
allein der Sohn Gottes und fonft nichts die Genugthuung vor 
Gott geleiftet habe und er nur durch ihm die Vergebung der 
Sünden und das ewige Leben empfangen und heilig und ge: 
recht werben könne. Bon ber Wertlofigfeit der Elöfterlichen Ge: 
lübde mag er überzeugt gewejen fein, als er 1521 feine Schwefter 
Anna, einft die Braut Philipps von Heflen, beftimmte, der 


IV. Reformation und ſtandiſches Regiment, 205 


nbeillofen Kappe” zu entjagen und Albreht von Medlenburg 
zu heiraten. Aber nod im Herbit 1525 bezweifelte die Mutter 
feine Feſtigkeit im Glauben: auch hat er ihr mutiges Bekennt⸗ 
nis nicht geteilt. Doch jandte er 1532 geheime Botſchaft an 
Luther, um Unterweilung in betreff bes Laienfelches, fand 
auch auf dem Wege zum Türkenkrieg Gelegenheit, fih in 
Wittenberg ſowohl mit dem Reformator wie mit der Mutter 
zu beſprechen. Alſo war er doch wohl ſchon damals innerlich 
entfhieden, ſchwieg jedoch aus Scheu vor dem Vater. Aber 
er ſchwieg auch noch, als ihm diefer durch ein feierliches Ge: 
löbnis an die alte Kirche band. So war er freilich nicht der 
Mann, um den Weg zur Löfung der feine Zeit erſchütternden 
Konflikte zu zeigen, wohl aber befähigt, in geſchmeidiger An: 
pafjungsfähigfeit ſcheinbar unausgleihhare Gegenfäge zu ver= 
einigen. Die entſcheidenden Anftöße empfing er ftets von 
anderen, und es war ein Glüd, daß ihm Männer zur Seite 
traten, die ihn überjahen, auf höhere Ziele richteten und dazu 
führten. 

An ihrer Spige fteht Euftah von Schlieben. In Frank: 
furt a. ©. und Bologna gebildet, hatte er troß feiner evan- 
gelifhen Neigungen bereits dem Rate Joahims I. angehört. 
Daß er fi der bejonderen Gunft des Nachfolgers erfreute, 
zeigt Die Neberweifung des reihen Amtes Zofjen im Auguft 1536. 
Richtig erfaßte er Joachims II. Verhältnis zur evangelifchen 
Lehre: er entwarf das Programm für feine Firchliche Politik. 
Schon Philipp von Heffen hatte dem Kurfürften geraten: wolle 
er fi den Evangelifhen nicht offen anſchließen, jo möge er 
wenigftens die Predigt der neuen Lehre freigeben, die zu hin: 
dern er fih doch nicht ausdrücklich verpflichtet habe. Auch 
Schlieben empfahl, die Bewegung gewähren zu laſſen: für bas 
Weitere werde der ihr geneigte Biihof von Brandenburg, 
Matthias von Jagom, forgen. Doc folle er ſich Feiner der 
beiden Neligionsparteien anſchließen, ſondern unabhängig 
zwifchen ihnen bleiben und die Berufung eines Konzils fordern. 
Eintreten für das Evangelium war das allerdings nicht: er— 
ſchien es vielleicht eben deshalb mit dem dem Vater geleifteten 
Eide vereinbar? Jedenfalls ftimmte folhe Halbheit zu dem 


206 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifgen Staates (biß 1598). 


kirchlichen Syſtem, das Joachim ſich zurecht gemacht hatte. Er 
hielt eine Reform der Kirche für möglich ohne Aenderung ihres 
Wefens und ohne Spaltung. Auch wer die Verdienftlichfeit der 
guten Werke leugnete und fich zu Luthers Rechtfertigungslehre 
befannte, konnte, fo meinte er, mit der geichichtlich gewordenen 
äußeren Form der Kirhe ihre biſchöfliche Verfaſſung beibe- 
halten. Seinem am Aeußeren hängenden Sinn fagte der 
Pomp des fatholifhen Kultus zu. Innerlich Zutheraner, blieb 
er äußerlich Katholif, vieleiht nur um nicht durch offenen 
Uebertritt die katholiſchen Eiferer gegen ſich zu entfefleln. Des— 
halb unterblieb auch die geplante Heimkehr feiner Mutter: 
forderte fie doch Zuficherung freier Religionsübung, die mit 
diefem Syitem nicht vereinbar war. Hatte doch ſchon die Mög- 
lichfeit diefes Zugeftändniffes in Polen, von wo Joachim gleich im 
Herbft 1535 die ihm vom Vater aufgebrungene Braut geholt 
hatte, und bei König Ferdinand Iebhafte Beunruhigung und 
ſelbſt Drohungen hervorgerufen. 

So gebot aljo in der Mark ein Fürft, der die weſent— 
lichſten Dogmen feiner Kirche verwarf, ohne weitere Konfequenzen 
daraus zu ziehen, über ein Volk, das feine evangelifche Ueber— 
zeugung zum Ausdrud brachte, indem es die der alten Kirche 
ſchuldigen Dienfte und Leiftungen einftellte, dieje jo unvermerft 
ihrer weltlihen Mittel beraubte und Kultus und Seelſorge 
nad dem Vorbilde Wittenbergs umgeftaltete. Und während er 
fo in Brandenburg die Reformation gewähren ließ, bemühte 
fih Joahim im Reihe den Zufammenftoß hintanzuhalten und 
durch ein Konzil, von dem er Zugeftändniffe hoffte, die Ein: 
heit der Kirche zu retten. Daher fam die Leitung ber kirch— 
lichen Neugeftaltung, wie Schlieben gewollt, an Matthias von 
Jagow (geb. 1480), der infolge feiner Nominierung durch 
Joachim I. jeit 1526 dem Brandenburger Bistum vorftand. 
Ein Tugendfpiegel war er nicht: Albrecht von Mainz machte 
ihm feines Wandels wegen ernfte Vorhaltungen, und Joachim I. 
ſchritt ein, als er die Güter des von den Mönden zum Teil 
verlaffenen Klofters Leitzkau für feine Tafel einziehen wollte. 
Denn au hier fhmälerte das Umfichgreifen des Luthertums 
die biſchöflichen Einkünfte. Die Notwendigkeit einer Neuregelung 


IV. Reformation und ftändifches Regiment. 207 


diejer Verhältnifje mag mit einem Wandel in des Biſchofs reli- 
giöfem Denken zufammengetroffen fein. Darum durfte Luther 
dem Matthias von Jagow wohl das Lob evangelijcher Gefinnung 
erteilen: er ließ die neue Lehre gewähren, machte aber wie der 
Kurfürft die Entſcheidung von dem Erfolge abhängig. 
Joachim II. hat nur das Verdienft, dies Gehenlaſſen 
durch fein Bemühen um Erhaltung des Friedens im Reiche 
ermöglicht zu haben. Bei ihm überwog der Diplomat gegen 
den Bekenner: unbedenklich erfaufte er einen politiſchen Vor: 
teil durch ein Zugeftänbnis in firhlihen Dingen. Was wäre 
da wohl aus ber Reformation in der Mark geworben, hätte 
fie nit ſchon unter Joachim I. trog alles Gegendruds bie 
Bevölkerung in der Hauptfache gewonnen gehabt? Dieje hatte 
die Entſcheidung bereits gefällt. Ein Webriges that Markgraf 
Johann. Er berief einen lutherifhen Geiftlihen, Heinrich 
Frame, zum Hofprediger und gab den Bürgern von Kottbus 
und Königsberg gleich bei der Huldigung im Januar 1536 
den Mebertritt ausdrüdlih frei. Schon 1537 hielt Jakob 
Stratner, den er von feinem fränkiſchen Vetter, Markgraf 
Georg, erbeten hatte, in der Neumark eine Kirchenvifitation. 
Oftern 1538 empfing Johann zu Küftrin öffentlich das Abend- 
mahl unter beiberlei Geftalt. An den Biſchof von Lebus 
wurden die neumärkiſchen Zinfe nicht mehr gezahlt; fie fürm- 
lich abzufchaffen war unmöglich, weil ein Teil bes Lebuſer 
Sprengels unter Joachim II. ftand. Das führte zu ungefunden 
Verhältniffen, indem rechts von ber Ober erlaubt war, was 
links verpönt ober doch nur gebuldet blieb. Joahim erlaubte 
bald die Anftellung evangeliſcher Geiſtlicher, bald verbot er fie; 
bier ließ er die Neuerung gewähren, dort erzwang er eine 
katholiſche Reitauration: in der vom Hof als „Dom“ benugten 
Dominikanerkirche aber blieb der Kultus katholiſch. Gleich 
widerſpruchsvoll wählte Joahim feine Räte. Noch maltete 
Wolfgang Kettwich des Kanzleramtes: das fonnte die Katho— 
liken beruhigen. Die Frankfurter Univerfität aber, bisher bie 
fefte Burg der Altkichlichen, erhielt 1536 in Melanchthons 
Schwiegerjohn, Georg Sabinus, einen lutheriſchen Lehrer, der 
die evangeliſchen Prinzipien mit der biſchöflichen Verfaſſung 


208 Crftes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


und ben alten Kultformen verjöhnen und fo die Einheit der 
Kirche retten zu fönnen meinte. Um fich der höchiten gelehrten 
Autorität im Lande vollends zu verfihern, ließ Joachim ben 
Kurprinzen Johann Georg zum Rektor der Univerfität wählen. 
Dann wurde im Juni 1538 auf Empfehlung Melanchthons 
der Sohn eines Treuenbriezener Notars, Johannes Weinleben, 
der in Bologna und Wittenberg ftubiert hatte, ein Mann von 
ungewöhnlidem Talent für die Verwaltung, als „weſentlicher 
(das heißt wirklicher) Hofrat und Hofdiener” beftellt. Neben 
ihn trat Matthias Thomas, des Sabinus Jugendfreund und 
Studiengenofje. Größere kirchliche Bedeutung hatte die Be: 
zufung des Sachſen Georg Buchholzer und des Ansbachers 
Stratner. Jener wurde der erſte proteſtantiſche Propft von 
Berlin, diefer eröffnet die Reihe der proteftantifchen General- 
fuperintendenten der Mark. 

In folher Umgebung erſchien Joachim den Altgläubigen 
wie ein Abtrünniger. Daß er es nicht war, bewies er, als 
er in dem Entwurf einer märkiſchen Kirchenreform, den der 
Dechant des reorganiſierten Berliner Domſtifts, Rupert Elgersma, 
ihm vorlegte, wohl an der ungenügenden Betonung der Recht⸗ 
fertigungslehre, nicht aber an ber Beibehaltung der katholiſchen 
Formen Anftoß nahm. Ein perfönlicer Konflift mit Luther 
war nicht ohne Einfluß darauf. Bon einem Schügling Albrechts 
von Mainz angegriffen, hatte Luther derb dreingefchlagen und 
auch feines Gegners Gönner nicht geſchont. Joahim erhob 
vergeblich beim jächfifchen Hofe Beſchwerde. Sein Mann war 
Luther überhaupt nicht. Wohl aber berief er im April 1538 
Melandthon zu einer Beratung. Sie befeitigte den Fatholis 
fierenden Elgersmaſchen Reformentwurf: denn Melanchthon ent⸗ 
ging es nicht, wie das Volk in der Mark in Sachen des Evan- 
geliums feinem Herrn weit voraus war und „wunderbar nad) 
der neuen Lehre bürftete”. So wollte man die firchliche Neuerung 
auch ferner gewähren lafjen, ihr aber nicht ausdrücklich bei— 
treten. Sole Halbheit war Joachim um fo genehmer, als 
die politiihe Lage jeinem Bemühen um friedliche Verftändigung 
der Religionsparteien eben Erfolg verhieß. 

Unter dem Drud neuer auswärtiger Verwidelungen fonnte 


IV. Reformation und ftänbifhes Regiment. 209 


der Raifer an Gewalt gegen die Proteftanten noch immer nicht 
venfen. Als daher Joahim im Mai 1538 in Baugen die 
böhmifchen Lehen von König Ferdinand empfing, gewann er 
diejen für den Verfuch zu einer Verftändigung ohne die Kurie. 
Die Schmalfaldener, die Kurfürften — außer dem Mainzer 
— ftimmten bei. Auch der Kaiſer war einverftanden und bereit, 
neben dem Pfalzgrafen Ludwig Joachim ſelbſt als Vertreter 
der Proteftanten zuzulaffen. Daß diefer noch nicht ausbrüdlich 
übergetreten war, ſondern die Formen der alten Kirche feft- 
hielt, empfahl ihn befonders. Bei den Evangelifchen aber er- 
regte eben dies ernfte Beſorgniſſe, obgleich der Frankfurter 
Anftand vom 19. April 1539 die Einftellung der vom Reiche: 
Tammergericht gegen Proteftanten eingeleiteten Prozefje und 
für den nädjten Reichstag die Bildung einer Kommiffion von 
Theologen und Laien verfügte, die durch eine „Löbliche chriſt⸗ 
liche Vereinigung” ben religiöfen Frieden herzuftellen verſuchen 
ſollte. 

Immerhin waren die Proteſtanten zunächſt vor Gewalt 
geſichert. Und nun that auch Joachim II. endlich einen Schritt 
vorwärts. Ergaben ſich doch aus der Unklarheit der kirchlichen 
Verhältniſſe in der Mark Mebelftände, die aud auf andere Ge: 
biete ftörend einwirkten. Nicht bloß, daß „Kirche und Satra- 
ment dahinfallen und die Kirche zum Deſolat“ werde, ftand 
nad Joahims Worten zu befürdten: für eine ganze Reihe 
von ftaatlihen und geſellſchaftlichen Inftituten war die bis- 
herige Grundlage in Wegfall gefommen. Noch war an bie 
Stelle der geſchwundenen kirchlichen Autorität feine neue ge: 
treten als Hüterin von Sitte und Zucht, von Ehe und Fa- 
milie. Wo die Bevölkerung ehemals bei Bifhöfen und Pfar- 
rern nicht bloß Rat, jondern auch Recht geſucht hatte, da 
wandte fie ſich nun an die weltlichen Behörden. Der Kurfürft 
und feine Beamten wurden, wie e& heißt, „vielfach angelaufen” 
und „um Richtung angegangen wegen allerlei Sachen, Irrungen 
und Mängel, welde ber Kirhenordnung und Religion an: 
hängig, auch Eheſachen, der Geijtlichen Teftamente, öffentliche 
Lafter, Inquifition und andere gleihmäßige Händel, die vor— 
hin vor die geiftlichen Gerichte gemwiefen“. Die Auflöfung ber 

Pruß, Preubifäe Geſchichte. I 14 


210 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


kirchlichen Ordnung führte auch zu der ber bürgerlichen und 
der gejellfhaftlihen. Das nötigte Joahim, feine Haltung zu 
ändern. Auch die Stände werden auf die fteigende Verwirrung 
hingewiefen haben. Sie ſcheinen bereits auf dem Landtage zu 
Berlin im Herbft 1538 von dem Kurfürft endlich eine be— 
ftimmte Erklärung in Sachen der Religion verlangt zu haben. 
Er wolle fih, fo lautete Joahims Antwort, fo verhalten, wie 
er ed vor Gott und dem Kaifer mit gutem Gemifjen verant- 
worten könne. Dem Befenntnisitande feiner Unterthanen trug 
das freilich nicht Rechnung. Auch konnte man zweifeln, ob er 
fi) damit von dem Gelöbnis Löfte, das er dem Vater geleiftet 
hatte. War doch felbft der Landtagsrezeß von 1527, in dem 
die Stände bei der alten Kirche zu bleiben verſprochen hatten, 
mit biefer Erklärung nicht unvereinbar. Doc konnte man fie 
auch auf die Abficht deuten, ſich dem fiegreihen Evangelium 
zu beugen. Wurden die Unterthanen jo nicht aufgefordert, zu 
beharren und durch eine vollendete Thatjahe alle Schwierig: 
feiten zu löfen? Aehnlich wie einige Jahre zuvor in Preußen 
bing in Brandenburg das Schidjal der Reformation nicht von 
dem Landesherrn ab, jondern von der Bevölferung. Ihr mußte 
jener folgen. Schon wankte unter dem zerjegenden Einfluß, 
den die Auflöfung der alten Kirche auf Staat und Gefelihaft 
ausübte, feine Autorität. Auch für fie galt es neue Grundlagen 
zu ſchaffen. Der erwachende Glaubenseifer des Volkes, das 
an bem unklaren Doppelwejen je länger je mehr Anftoß nahm, 
und die Notwendigkeit, durch Verzicht auf die bloße Negation 
der begonnenen Auflöfung Halt zu gebieten, bewirkte fo end: 
li die Klärung, die in den neumärkiſchen und laufigischen 
Gebieten Markgraf Johann bereits herbeigeführt hatte. 

Im Februar 1539 berief der Berliner Rat die Bürger: 
{haft zur Mitteilung eines Eurfürftlichen Verbots gegen den 
Eintritt in fremde Kriegsdiente. Sie verlangte eine Beſprechung 
auch der kirchlichen Lage. Dieje ergab den Beſchluß, der Rat 
folte Joahim im Namen der Stadt um Grlaubnis bitten, 
fünftige Oftern das Abendmahl unter beiberlei Geftalt zu 
feiern. Schnell fam die Bewegung nun in Fluß. Im April 
1539 erflärten etlihe märkiſche Edelleute vor Biſchof Mat: 





IV. Reformation und ftändifges Regiment. 211 


thias von Brandenburg ihren Anſchluß an die neue Lehre und 
verlangten evangeliſche Pfarrer anſtellen zu dürfen, ohne darum 
die katholiſchen austreiben oder nicht mehr unterhalten zu 
wollen. Aehnlich ging Frankfurt vor, und das bisher zumartende 
Spandau beftellte einen evangelifhen Prediger. 

Vieleicht aber hätte Joachim II. die geforderte Erklärung 
auch jegt noch vermieden, wäre nit am 1. April Herzog 
Georg von Sachſen geftorben, der eifrigfte Vorkämpfer der 
alten Kirche in Norddeutſchland und die Seele des Hallifchen 
Bundes, dem er ala dem Vater feiner erften Gemahlin befondere 
Rückſicht ſchuldete. Wenn er fih aber auch jegt noch zurüdhielt 
und nicht zu der Zuverſicht des Handelns erhob, die einem 
großen Entſchluſſe entipringt, jo that er das aus Scheu vor 
Polen, da feine Gemahlin Hedwig Polin und Katholikin ge 
blieben war. Auch wünſchte er die guten Beziehungen zum 
Kaiſer zu erhalten. Auch feine gelehrten theologischen Neigungen 
hinderten ihn, einfach Luther zu folgen. That er fi doc 
gerade auf fie etwas zugute und liebte es, ſolche Probleme ein: 
gehend zu erörtern. Nach alledem konnte es nicht wundernehmen, 
wenn in der Kommiffion, die im Sommer 1539 eine märkiſche 
Kirchenordnung beriet, neben erklärten Anhängern Luthers, 
wie Jakob Stratner und dem Berliner Propft Georg Buchner, 
zum Verdruſſe ſelbſt Melanchthons als eigentliher Vertrauens: 
mann Joachims der Prediger Wigel aus Niemegk bei Witten- 
berg jaß, der die Kirche ohne Löfung von Rom beſſern wollte. 
Man ließ denn aud) nicht bloß die biihöfliche Gewalt, ſondern 
das ganze katholiſche Zeremonienwefen beftehen, acceptierte aber 
die Ehe der Geiftlihen, den Laienfelh und Luthers Katechis: 
mus. Gegen den bisherigen Zuftand war das immerhin ein 
Fortſchritt, und die Märker freuten fih ber endlichen Aner- 
fennung ihres Glaubens. Joachim freilich meinte nod immer 
nicht aus der katholiſchen Kirche auszufcheiden : in einem Schreiben 
an feinen Schwiegervater erklärte er vielmehr von neuem feine 
Unterwerfung unter den Spruch des künftigen Konzils, ver 
ſprach auch jeine Gemahlin in der Uebung ihres Glaubens 
nicht zu hindern. Die Rüdfiht auf diefe wird ihn wohl auch 
beftimmt haben, die erfte lutheriſche Abendmahlsfeier nicht da, 


212 Erſtes Bug. Die Elemente bes preußiſchen Staates (bis 1598). 


wo fie Hingehörte, im „Dom“ zu Berlin, zu begehen: in Span= 
dau empfing er am 1. November 1539 mit etlichen märkifchen 
Edelleuten und Geiftlihen aus der Hand Matthias’ von Jagom, 
des Biſchofs von Brandenburg, Kelh und Brot. Eindruds- 
voller geſchah der Uebertritt der hauptſtädtiſchen Bürgerſchaft: 
vermutlich in der Nikolaikirche empfingen die ſtädtiſchen Be— 
hörden und die Vertreter der Korporationen das Abendmahl, 
während die übrigen ſtädtiſchen Gemeinden fi dazu in ihren 
Kirchen vereinigten. In der nächſten Zeit folgten, zum Teil 
auf ausdrüdlihe Anweiſung Joahims, die übrigen Städte, 
foweit fie den Konfeffionswechjel nicht ſchon vollzogen Hatten. 
In einigen Eleineren, wo ber fatholifche Klerus noch Einfluß 
befaß, fam es dabei zu allerlei unſchuldigen Tumulten. 

Volle kirchliche Gemeinſchaft aber war auch fo zwiſchen 
Joachim und feinen Unterthanen nicht hergeftellt. Während 
dieſe froh waren, von Rom gelöft zu fein, bemühte er ſich, 
num in feinem Gewiſſen beruhigt, diefe Löfung von Rom viel- 
mehr abzuwenden. Wie fehr er noch in ber alten Kirche ftand, 
lehrt die unter feiner perſönlichen Mitwirkung ausgearbeitete 
Kirhenordnung. Mit der Lehre Luthers, deſſen Katechismus 
fie ganz aufnahm, verband fie die wichtigften katholiſchen Kult: 
formen — die Erhebung der Hoftie, die Prozeffionen, die 
legte Delung, die lateiniſchen Gejänge, die Metten, die Fuß- 
waſchung am Gründonnerstag, die Kniebeugungen vor dem 
Kruzifir u. a. m. Wohl eiferten feine Räte gegen ſolchen 
Gögendienft. Luther, froh, daß es in Brandenburg endlich jo 
weit gelommen, empfahl Joachim gewähren zu laffen: er wußte, 
daß auch hier jehließlich der Geift über die Form triumphieren 
würde. Ließ ſich das aber von einer Kirchenorbnung erwarten, 
mit der König Ferdinand ſich einverftanden erflärte und bie 
fogar der Kaifer zu beftätigen fein Bedenken trug? 

Dennoch ift fie eigentlih nie recht in Wirkjamfeit ge: 
treten: die Oppofition der Prälaten nötigte den Kurfürften 
weiter zu gehen. Während auf einem Landtage zu Berlin im 
März 1540 Adel und Städte die Kirchenordnung trotz aller 
Bedenken annahmen, lehnten die Prälaten mit Ausnahme des 
Biſchofs von Brandenburg fie nicht bloß ab, fondern machten 


IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 213 


auch durd einen geharnifchten Proteft jede Verftändigung un- 
möglih. Die Zeit war für fold offene Auflehnung nicht eben 
glüdlich gewählt. Bekam Joachim doch gerade damals durch die 
mit dem Berliner Zandtage von 1540 vereinbarte Reform des 
Kammergerihts auch gegen den auffägigen Klerus neue Waffen 
in die Hand. Obgleich die Kammergerihsorbnung von 1516 
nicht eigentlich Gejeg geworden war (S. 182), beftand und 
fungierte das Kammergericht. Jet war von einem Anteil der 
Stände an der Ernennung der Beifiger, wie er damals ge— 
plant war, entſprechend der bisherigen Praris, nicht mehr die 
Rede. Auch fand von feinen Sprüchen hinfort feine Appella- 
tion, fondern bloß eine Supplifation an den Hof ftatt, während 
der früher nur fakultative Sühneverfuh vor Einleitung des 
Prozeſſes obligatorifch wurde. Weberhaupt erſcheint das Kammer: 
gericht noch nicht als eine ausſchließlich für die Rechtſprechung 
fonftituierte Juſtizbehörde. Die furfürftlihen Räte fungierten 
nur im Bedarfsfalle nebenamtlic) darin. In ihm miſchte fi 
aljo oberfte Verwaltung und oberfte Rechtſprechung, eine Roms 
bination, bie, ſtets gefährlich, in ſolchen Uebergangszeiten leicht 
zu gewaltfamer Brechung auch einer beredtigten Oppofition 
mißbraudt werben kann. Gerade gegenüber den altkirchlichen 
Biſchöfen konnte diefe Neuerung Joahim nügen. Denn ihr 
Widerftand war nur mit dem Bistum ſelbſt zu befeitigen. Auch 
der evangeliſche Eifer der Bevölkerung richtete ſich gegen dieſes 
als den Hort anftößiger Zeremonien. Der entjheidende Schritt 
geſchah mit der märkiſchen Kirchenvifitation von 1540—1542: 
er bewirkte den Nüdtritt des Kanzlers Kettwich, der weniger 
frankheitshalber erfolgte, als weil die von ihm vertretene Rich— 
tung eine Niederlage erlitten hatte. Sein Nachfolger wurde 
der Ordinarius der Juriftenfatultät und Beifiger des Schöffen: 
ſtuhls zu Leipzig, der Doktor der Rechte Georg von Breit 
bad. Denn den unermüblien und glänzend bewährten Wein- 
leben jchlofien jeine Jugend und feine bürgerliche Herkunft von 
dem Kanzleramte aus. Auch noch nad) Breitenbachs vorzeitigem 
Tode (1541) mußte er fi mit dem Titel eines Vizekanzlers 
begnügen, obgleich er thatſächlich ala vornehmfter Beirat des 
Kurfürſten alle ftaatlichen und kirchlichen Angelegenheiten leitete. 





214 Erſtes Bud. Die Clemente des preußiſchen Staates (is 1598). 


Auch die beffere Organifation der Staatsverwaltung, die Jo: 
adim 1542 bei dem Aufbruch) zum Türkenkrieg durchführte, wird 
für fein Werk zu gelten haben. Sie fonderte vier Departes 
ments: die Hof: und Hausverwaltung, die Rechtspflege, die 
oberfte Regierung von Land und Leuten und die Finanzen. 
Uebrigens wiederholt auch die Kirhenvifitation von 1540 
bis 1542 die Eigenart der märfifhen Reformation. Sie be: 
traf zunächſt nicht Lehre und Kultus, obgleih fie aud da 
manden Nugen ftiftete, 3. B. mit dem Einblid in die un— 
genügende Bildung des Klerus die Notwendigkeit befjerer Für- 
forge in diefer Richtung ergab. Mit einem Bevollmächtigten 
des Biſchofs von Brandenburg nahmen Weinleben und Stratner 
unter Zuziehung immer bes furfürftlihen Amtmanns der be 
treffenden Landichaft den Wermögenzftand ber Kirchen und 
Klöfter auf und führten feine Verwaltung an die Landes: 
behörden über. Die Stände wurden ‚nicht zugezogen: oft galt 
& die von Adligen und Stäbten occupierten Kirchengüter zurüd- 
zugewinnen. Dann wurden aber au vakante Pfarreien mit 
evangelifhen Geiftlihen bejegt, die Klöſter aufgehoben oder 
wenigftens ihre Aufhebung eingeleitet, nicht ohme Hader mit 
den widerſpenſtigen Einfafien. Die Nonnenklöfter wurden Ver: 
jorgungsanftalten für adlige Jungfrauen. In den Städten 
fanden die Vifitationen freudige Unterftügung. So erhielt die 
evangelifche Kirche der Mark eine geficherte wirtſchaftliche Grund: 
lage. Die Aufhebung aller kirchlichen Lehen und Sinefuren 
ermöglichte eine befjere Verforgung der Geijtlihen und Lehrer, 
an deren Bildung nun höhere Anſprüche geftellt werden Fonnten. 
Kam das zunächſt der Volksſchule zu gute, fo leitete es doch 
aud für die Univerfität Frankfurt eine Zeit neuer Blüte ein. 
Nur an zwei Stellen ftieß die irhlihe Neuordnung auf 
Widerftand. Georg von Blumenthal, der Biſchof von Lebus, 
war in dem neumärkiſchen Teil feines Sprengels bereits Jo— 
hann von Küftrin ſchroff entgegengetreten. Auch fein Havel: 
berger Amtsbruder, Buſſo von Alvensleben, hielt die neue Lehre 
nieder. Da griff die Bevölkerung zur Selbfthilfe: in Perleberg 
und Havelberg reformierte fie. Joachim ließ das geſchehen, ob: 
glei) er, von Martin Bucer beraten, die Vermittelung zwilchen 


IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 215 


den Religionsparteien im Reihe gerade bejonders eifrig be— 
trieb: freilich faßen auf den Neligionsgeiprähen zu Worms 
und Negensburg feine Bevollmächtigten nicht bei den „Pro: 
teftierenden“, jondern bei den „Gehorfamen”. Das blieb nicht 
unbelohnt: der Kaifer beftätigte die märkiſche Kirchenordnung, 
der durch fie gefhaffene Zuftand war alſo von feiten des Reiche 
legalifiert. Dafür verpflichtete fih Joahim (21. Juni 1541), 
feinem aus Anlaß der Religion geſchloſſenen Bündnis beizu- 
treten und fi dem Spruche des fünftigen Konzils zu fügen. 

Zum Glüd für die Mark aber waren die Verhältnifie 
wiederum ftärfer als Joahims Eifer für die kirchliche Einheit. 
Indem fie die Vefugniffe, melde die Kirchenordnung ihnen 
einräumte, nicht gebrauchten, fteigerten die Biſchöfe von Havel: 
berg und Lebus gefliffentlih das Kirchliche Wirrfal. Die An: 
hänger der alten Kirche erhoben fich zuverfichtliher: felbft Mat: 
thias von Brandenburg jah ſich bedrängt. Das gefährdete auch 
die ftaatlihe Ordnung. Um ihretwillen mußte Joahim die 
Regierung der Kirche, die er den Biſchöfen Hatte überlaffen 
wollen, in die eigene Hand nehmen. Die Konfiftorialordnung 
von 1543 erſetzte das bifchöfliche Kirchenregiment durch das 
Iandesherrlie. Aus „gottesfüchtigen Theologen und Rechts- 
verftändigen” zufammengefeßt, follte das Konfiftorium zu Kölln 
an der Spree nad feinem kurſächſiſchen Vorbild Lehre und 
Wandel der Geiftliden beaufihtigen, in Kirchen- und Ehe— 
jachen Recht ſprechen, über Beobachtung der Zeremonien wachen, 
für Kirchengebäude, Kirchhöfe und Schulhäufer forgen und gegen 
öffentliches Nergernis, namentlich Verfpottung der Sakramente 
und Entheiligung des Sonntags, einſchreiten. Stark wurde 
das monarchiſche Prinzip betont. Da, jo führt die Einleitung 
aus, „Eraft jeines tragenden Amtes der Landesfürft nicht 
bloß in weltlichen, fondern auch im geiltlihen Sachen Recht 
und Geredtigfeit männiglich mitzuteilen habe, jo fei er auch 
nit verbunden, dazu feiner Landſchaft Bewilligung zu er: 
fordern, wie es ja auch alle Zeit allein bei den Bifhöfen und 
ihren Offizialen gejtanden habe, in geiftlihen Händeln und 
Saden männiglih auch ungehindert wider aller Unterthanen 
Willen und nad Rechts Gebühr zu procedieren”. In ihrem 


216 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (his 1598). 


vollen Umfange nahm Joachim die bisher den Biſchöfen zu: 
ftehende Gewalt in Anſpruch: als oberiter Biſchof trat er an 
ihre Stelle. 

Freilih wurde die Konfiftorialordnung nicht durchweg in 
diefem Sinne gehandhabt, und jo weit es geihah, brachte es 
der Reformation feinen Gewinn. Verſuchte Joachim doch nun 
erſt recht die märkifche Kirche in feine mittlere Richtung zu 
zwingen. Dadurch verdarb er es vollends mit den Anhängern 
der alten Kirche, ohne die entfchloffenen Vorfämpfer der neuen 
zu gewinnen. Diefe verwarfen jeine Reformation als halb 
katholiſch. Auch feine Mutter Elifabet nahm daran Anſtoß 
und beflagte den Einfluß, den ein Mann von der Inkonſequenz 
und Larheit Agricolas bei Joachim gewann. Erſt eingehende 
Darlegungen über Charakter und Ziel der Kirhenordnung ver: 
mochten fie, im Januar 1545 in die Mark zurüdzufehren, nach— 
dem fie ſich durch einen Vertrag volle Freiheit des Bekenntniſſes 
und namentlih der Wahl ihres Hofpredigers gefichert hatte. 
Doch hielt fie ih in ftiller Zurüdgezogenheit und lebte in 
Spandau halb wie eine Verbannte: mit dem Zwitterzuftand, 
in dem die märkiſche Kirche blieb, vermochte ihre proteftantifche 
Ueberzeugungstreue fih nit zu befreunden. 

Inzwiſchen nahte die Entſcheidung. Des franzöfifhen Krieges 
ledig, wollte Karl V. die Proteftanten mit Waffengewalt unter 
das dem Papfte abgedrungene Konzil beugen. Markgraf Johann, 
der 1538 dem Schmalkaldiſchen Bunde beigetreten war, fagte 
ſich, eingejhüchtert dur feinen aftrologifhen Berater, nicht 
bloß von ihm los, jondern ergriff gegen ihn die Waffen, er= 
bittert über Die Gefangennahme feines Schwiegervaters Hein- 
tih von Braunſchweig und weil er des Kaiſers beruhigenden 
Verſicherungen in betveff der Religion Glauben ſchenkte. Für 
einen grundfäglihen Vermittler wie Joachim aber war bie 
Zeit umfafjendfter Bethätigung gefommen. Dabei entwidelte 
er einen Zug dynaſtiſchen Eigennuges, der vor gewagtem Zus 
greifen zurüdichredt, aber auf Um: und Schleihwegen Bes 
friedigung ſucht. Nur ging er dabei mit Morig von Sadjen 
zufammen und wurde, ohne es inne zu werden, von biejem 
gebraudt. Indem Morig, mit dem Kaiſer bereits einig über 


IV. Reformation und ftändifges Regiment. 217 


die Teilung der erneftinifhen Beute, Joahim im Herbit 1546 
zu einem Schuß: und Trugbündnis gewann, fompromittierte 
er ihn feinen Glaubensgenofjien gegenüber auf- das Schwerfte 
und machte ihm eine Hinderung feiner ehrgeizigen Pläne ſchon 
dadurch unmöglich. 

Diefe galten dem Erzbistum Magdeburg. Dort war im 
September 1545 auf Albrecht, der 1541 gegen Uebernahme 
eines Teils feiner Schulden den Ständen des Erzſtifts ſowie 
denen von Halberftadt das Evangelium freigegeben hatte, fein 
bisheriger Roadjutor Johann Albrecht, aus der fränfifchen Linie 
der Hohenzollern, gefolgt. Die Stadt Magdeburg jedod er⸗ 
ftrebte den Anſchluß an Kurſachſen, und Johann Friedrich be 
ftimmte deshalb Johann Albrecht gegen ein Jahrgeld zum Ver: 
sicht. Aber auch Joachim hatte fein Auge auf Magdeburg 
gerichtet. Beiden fam Morig zuvor: der Regensburger Geheim- 
vertrag, durch den er fi dem Kaifer zur Hilfe gegen feinen 
kurfürſtlichen Vetter verband, fiherte ihm die Hoheit über das 
Erzbistum Magdeburg und über das Bistum Halberftadt, wo 
ebenfalls Johann Albrecht gefolgt war. Joachim gingen die 
Augen erſt auf, ala jein Verbündeter plögli in das Land des 
abwejenden Johann Friedrih einfiel. Aber von dem Heim 
eilenden aus dem eigenen Lande gejagt, verlangte Mori auf 
Grund ihres Bündniffes Joachims Hilfe, und im Februar 1547 
befahl der Kaiſer auch den brandenburgifhen Ständen den 
Herzog zu unterftügen. Diefen Moment benugte Joahim zur 
Befriedigung alter Wünfde. Er eilte nah Auſſig. Schnell 
einigte er fid mit Morig, da aud König Ferdinand, um ben 
Sachſen nicht zu groß werben zu lafien, jeinen Forderungen das 
Wort redete. Sein zweiter Sohn Friedrich ſollte Koadjutor in 
Magdeburg und Halberftadt werben, um bereinft in beiden Stiften 
zu folgen. Mit Morig wurde eine Erbvereinigung geſchloſſen, 
die den brandenburgiſchen Hohenzollern den Anfall der alberti- 
niſchen Lande verhieß. Wie konnte folhem Gewinn gegenüber 
Joachim an Neutralität denken? Bald war Kurprinz Johann 
Georg unterwegs, um Morig zur Wiedereroberung feines Landes 
zu helfen. Das Magdeburger Domkapitel aber wählte gehorjam 
den ſechzehnjährigen Friedrich von Brandenburg zum Koadjutor. 


218 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (Bid 1598). 


Weder Ueberzeugungstreue noch Ehrlichkeit war dieſer 
Politik eigen. Und was dachte die Bevölkerung der Mark, als 
fie, ftatt die Papifterei endlich vollends loszuwerden, ſehen 
mußte, wie ihres oberften Biſchofs Sohn feines Großoheims 
Erbſchaft als Würdenträger der katholiſchen Kirche antrat? Und 
es fam noch ſchlimmer. Des Kaifers Sieg bei Mühlberg, nad 
dem die Tage des Evangeliums gezählt fchienen, feierte in 
Berlin Agricola dur einen Danfgottesdienft. Der Kurfürft 
ſelbſt eilte mit Eufta von Schlieben und anderen märkiſchen 
Edelleuten nah Wittenberg, um dem Sieger zu huldigen. Ja 
etlide von diefen Herren kauften die von den fpanifhen Sol: 
daten in Sachſen geraubten Herden billig für ihre Güter an. 
War e8 zu verwundern, wenn die öffentlihe Meinung entrüftet 
losbrach? Und nun gelobte Joadim im Wittenberger Lager 
Unterwerfung unter das Tridentiner Konzil! Daß er dafür 
in Saden des Glaubens die Erleichterungen zugefichert erhielt, 
die Morig von Sachſen eingeräumt werden würden, fonnte in 
den Augen ber Evangelifhen feine Schuld nur fteigern, zumal 
er fih dazu hergab, zwifchen den Gebieten Moritz' und des um 
Land und Leute gebraten Johann Friedrich die Grenze 
feftzufegen! Wie ihm der Kaifer ſolche Dienftbarkeit lohnen 
würde, ließ die troß feiner Bürgſchaft geichehene Gefangen- 
nahme bes heſſiſchen Landgrafen erfennen. Und dennod ge: 
hörte er mit feinem Agricola zu den eifrigften Vorfämpfern 
des Interims, das feine Märker verabjheuten. Neben 
Morig galt er für den Urheber al des Unheils, das über 
die Evangelifchen hereingebrochen war. In Sachſen und der 
Mark wurde die Erregung fo drohend, daß beide Fürften ein- 
zulenken eilten. 

Aber auf einer Zufammenkunft, die fie im Dezember 1547 
in Juterbogk hatten, bejchlofien fie von dem Interim nur die 
Herftellung der Meſſe abzulehnen: die der katholiſchen Zere— 
monien, der katholiſchen Kirchenordnung und der legten Delung 
geftanden fie zu, und ſchon im Januar 1548 fonnte Joahim 
dank dem reaftionären Eifer Agricolas dem Kaiſer melden, daß 
jein Wille erfüllt fei. Obgleich mander glaubenstreue Geiftliche 
fein Amt aufgab und ins Elend zog, nahm das kirchliche Leben 


IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 219 


in der Mark wieder ein ganz katholiſches Gepräge an: 1549 
beging man in Berlin das Fronleihnamsfeft in alter Weife. 
War 8 zu verwundern, daß die Herzen der Märker ſich vollends 
von Joahim II. abwandten? Daß der Haß gegen Agricola ſich 
in einer Flut von Satiren entlud? Um jo mehr Sympathien 
gewann Johann von Küftrin. Im Schmalkaldiſchen SKriege 
Hatte er zum Kaiſer geftanden, weil er den Glauben nicht ge 
fährdet wähnte: das Interim lehnte er rundweg ab. Auf alles 
Drängen und Mahnen hatte er — auch hierin dem Bruder 
ganz entgegengefegt — nur die Erklärung, in Sachen ber 
Religion fönne er ohne Zuftimmung der Stände nichts ändern. 
Die verfolgten Geiftlihen nahm er auf, unbeirrt dur faile 
liche Drohungen. Wenn der Reformation in Brandenburg da— 
mals noch eine Hoffnung blieb, fo beruhte fie nicht auf dem 
Kurfürften, fondern auf feinem Bruder. So entfrembet war 
Joachim dem eigenen Volke, daß er Meuchelmord fürdtete, 
und mit Recht gab Johann es ihm ſchuld, daß Brandenburg an 
Reputation, Blüte, Gut, Land und Leuten jo abgenommen 
habe. Meinte Joahim das zu widerlegen, wenn er den Plan 
auf Magdeburg glücklich durhführte? Aber die Schifanen, dur 
die er die Stadt zur Aufnahme feines Sohnes zu zwingen 
ſuchte, erbitterten die Evangelifchen vollends, zumal fie hörten, 
fein Gefandter in Trident, Chriftoph von der Straßen, wolle 
ſelbſt die katholiſche Abendmahlslehre annehmen, fobald nur 
eine hinreihend deutbare Formel gefunden wäre. Schon traten 
auch in der Mark die Anhänger der alten Kirche kecker auf. 
In Havelberg hatte die katholiſche Reaktion in dem greifen 
Dechanten Peter Konradi einen Vorfämpfer gefunden, dem 
Biſchof Buſſo von Alvensleben deshalb feinen anftößigen Wandel 
nachſah. So blieb diejes Bistum eine Fatholifche Infel in der 
Marf. Zwar wurde nah Buſſos Tod im Mai 1548 auf 
Zoahims Empfehlung Friedrih, der Koadjutor von Magde— 
durg, zum Biſchof gewählt: aber er mußte ausdrüdlich dem 
Luthertum entjagen, und bei feiner Jugend und dem Ausbleiben 
ber päpftli—hen Beftätigung fam die Leitung des Bistums an 
ben ftreng katholiſchen Propft Johann von Walwig. Wie zwiſchen 
den Konfeflionen, jo gab es dort auch zwiſchen der bifhöflichen 





220 Erſtes Bud. Die Clemente bes preußiſchen Staates (bis 1598). 


und landesherrlihen Autorität immer neue Konflikte, die das 
Anfehen des Staates ſchädigten. 

Aber während Joachim ein Stüd Proteftantismus nad) 
dem anderen preisgab, traf Markgraf Johann (Februar 1550) 
zu Königsberg in Preußen bei Gelegenheit ber Hochzeit Herzog 
Albrechts mit Anna Maria von Braunſchweig und ber gleich: 
zeitigen Verlobung feiner Tochter erſter Ehe mit Johann Albrecht 
von Medlenburg die erften Verabredungen zur Rettung bes 
Evangeliums. Um Joachims Anſchluß warb man vergeblich: 
er dachte nur daran, feinem Sohn zur Anerkennung in Magbe: 
burg zu verhelfen. Die Katholifen bejorgten nämlich, dieſer 
fole an ber Elbe wiederholen, was Albrecht von Brandenburg 
am Pregel gethan hatte. Als aber Karl V. feinem Sohne 
Philipp aud im Reiche die Nachfolge zu verfchaffen und dieſes 
jo dem ſpaniſchen Abfolutismus zu beugen ftrebte, erfannten 
die fonfeifionellen Gegner die Notwendigkeit gemeinfamer Ab- 
wehr: die Kriſe bereitete fi vor, die Karl V. jählings von der 
Höhe der Macht ftürzen ſollte. Auch Joachim II. konnte fi 
nur durch eine ſchnelle Schwenkung davor bewahren, zwiſchen 
den ftreitenden Parteien zermalmt zu werden: was er bisher 
im Dienft der Habsburger nicht bloß abjeiten, jondern im Gegen: 
fag zu den übrigen evangelifchen Fürften erftrebt hatte, fuchte 
er nun mit der entgegengefegten Strömung zu erreichen. 

Aber wieder muß dahingeftelt bleiben, wie weit er das 
perfönli that. Denn wie die Durdführung, jo ſcheint auch 
die Konzeption des neuen politifchen Syftems dem erfindungs- 
reihen Staatsmanne zujugehören, ben eine glüdliche Fügung 
Joachim II. eben damals an die Seite ftellte. Ein Sohn des 
anpafjungsfähigen ſächſiſchen Stammes, der mit ber Reformation 
nit bloß die geiftige Führung in Deutſchland übernahm, 
wurde Lampert Diftelmeyer in ben brandenburgiihen Ver: 
bältniffen jo ſchnell und jo ganz heimifh, daß er fie fofort 
und auf Menſchenalter hinaus entſcheidend beeinflußte. Er 
zählt zu den damals nicht jeltenen Staatsmännern, die wie 
die Jtaliener der Nenaiffance den Staat als Kunftwerk be: 
bandelten und die Politik als Kunft betrieben. Ohne nationale 
oder gar landsmannjchaftliche Voreingenommenheit machten fie 


IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 221 


die Züge einer vielverflungenen diplomatifhen Aftion nad 
Art fein Fombinierender Schadipieler, denen es weniger um 
den Erfolg ala um die Durchführung eines fubtilen Entwurfes 
zu thun ift. Ihre Leidenfchaftslofigkeit, die nur fachliche Ge: 
fihtspunfte Kennt, ſchürzt und Löft die Knoten, wie man etwa 
ein felbfigeftelltes verwickeltes Rechenerempel behandelt. Darin 
berubte die Weberlegenheit diefer neuen Staatsfunft über das 
alte ſtändiſche ſowohl wie das junge landesfürſtliche Beamten- 
tum. Sie jhulte die Männer, die in der Reformation die 
Zufunft Deutſchlands retteten, indem fie Karla V. Diplomaten 
mit ihren eigenen Waffen überwanden. Das gilt aud von 
Diftelmeyer: durch feine geringere Schule als die Morig’ von 
Sachſen gegangen, leitete er Joahim alsbald in das politifche 
Syſtem des Albertiners hinüber. 

Euftahius von Schlieben verdankt Brandenburg die Ge: 
winnung dieſes Mannes, den er bei feinen Miffionen an dem 
Dresdener Hof kennen gelernt hatte. Zu Leipzig 1522 als 
Sohn eines Handwerfers geboren, hatte ſich Lampert Diftel- 
meyer, wie es heißt, auf Anraten Melanchthons der Juris: 
prudenz zugewandt, die aud dem Bürgerlihen größere Aus: 
fihten eröffnete. Als Studiengenoffen feines Sohnes lernte ihn 
Simon Piftorius, der Kanzler Morig’, fennen und zog ihn an 
fih. Obgleich durch den Schmalkaldiſchen Krieg bald unter- 
brochen, gereichte die Thätigfeit in der Dresdener Kanzlei, da— 
mals einem der Zentren der hohen Politik, dem jungen Juriften 
überall zur Empfehlung. Als Syndikus der Stadt Baugen und 
Berater des laufigifchen Adels bewährt, durch die Ehe mit einer 
reichen Leipziger Batriziertochter zu Wohlitand und einflußreichen 
Verbindungen gelangt und in Leipzig zum Doftor ber Rechte 
promoviert, jah ſich der Ahtundzwanzigiährige von Joachim IL, 
von den Erneftinern, ja von Granvella ummworben. Nach einer 
durd von Schlieben vermittelten Begegnung auf dem Jagd: 
ſchloſſe Grimnig nahm er des erften Anträge an. Es handelte 
fi) dabei nit um einen Erfag für den alternden Vizekanzler 
Weinleben und für Adam von Trotta, der gegen Heinrich von 
Braunſchweig, den Verführer feiner Schwefter Eva, ein ſcharfes 
Pamphlet veröffentlicht hatte, aber die ihm vom Kaifer auf: 


222 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


erlegte Abbitte verweigerte und daher in Reichsangelegenheiten 
nit mehr verwendbar war, fondern um einen Syſtemwechſel. 
Joachim II. war mit feiner Weisheit zu Ende und fand feinen 
Ausweg mehr aus der Sadgafie, in die er geraten. Auf 
Grund eines von ihm entworfenen und von Joachim gebilligten 
Programms übernahm Diftelmeyer namentlich die Leitung der 
auswärtigen Politif. Erſt der perſönliche Vertrauensmann 
Joachims, wurde er im Herbft 1551 Mitglied und 1558 als 
Kanzler Leiter feines Rates. Und es war die höchſte Zeit, daß 
ein Wandel eintrat. Wenn Diftelmeyer ſpäter nachgerühmt 
wurde, man verbanfe ihm bie Erhaltung der Religion, der 
Freiheit, des Friedens, des Fürften, des Vaterlandes und aller 
Rechte, jo mag das panegyrijch übertrieben jcheinen, läßt aber 
erkennen, weſſen man fi von einer weiteren Verfolgung des 
zulegt eingejchlagenen Weges verfehen zu müfjen glaubte. 
Vor allem mußte Brandenburg fih aus den Umftridungen 
der kaiſerlichen Politik löfen und aus der Reformation endlich 
die politifhen Konfequenzen ziehen, die Nachfolge Philipps be: 
kämpfen und durch die Losfagung vom Tridentiner Konzil die 
Evangelifhen verjöhnen. So dachte Diftelmeyer zugleich) Magde— 
burg dem Evangelium zu erhalten und den Hohenzollern dort 
eine Zukunft zu gewinnen. Tazu durfte man Morig dort nicht 
allein handeln laffen, jondern mußte fih durch Mitthun das 
Recht des Mitiprehens fihern, wenn es über die Stadt zu 
beftimmen galt. Denn unbeirrt durch die Entrüftung feiner 
Glaubensgenofien hatte der ſächſiſche Kurfürft inzwiſchen die 
Acht gegen Magdeburg zu vollfireden übernommen. Johann 
von Küftrin wollte der Stadt zu Hilfe eilen: aber auf einer 
Zufammenkunft in Angermünde gelang es Joachim, ihn zu bes 
ſchwichtigen, indem er ihn in feine Abfichten einmweihte. Kur: 
fürftlide Mannſchaften zogen Mori zu. Co verpflichtete man 
fih dem Kaifer und blieb an der Eeite des Albertiners, um 
ihn zur Teilung der Beute zu nötigen. Schon wieſen Joachims 
Gefandte beim Kaiſerhof auf die Koften des Buges Hin, zu 
deren Deckung die Rebellen herangezogen werden müßten. 
Inzwiſchen jpann Morig von Sachſen die Neke, in die 
verftridt der Kaiſer zu Fal kommen jollte. Der Fürftenbund 


IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 223 


wurde geſchloſſen und gleich wieder gelöft: die Ahfichten der 
Teilnehmer gingen zu weit auseinander, um ein einheitliches 
Handeln zu ermögliden. Zwar wollte Johann von Küftrin, 
des Interims wegen vom Kaifer hart bedroht, alles an bie 
Verteidigung fegen, von einem Angriff auf den Kaiſer aber 
nichts wiſſen. Wenn aber Joachim, ohme dem Bunde anzu 
gehören, auch ferner zu Morig hielt, fo geſchah das allein aus 
dynaftifden und perjönlihen Gründen: Magdeburg folte dem 
Evangelium zwar erhalten, aber fein beim Antritt bes Havel: 
berger Bistums förmlich zur Tatholifhen Kirche zurüdgelehrter 
Sohn dort Erzbifchof werden. Aber e3 gelang: Diftelmeyer 
ſelbſt unterhandelte mit dem Kapitel, und am 19. März 1551 
poftulierte dieſes Friedrich von Brandenburg, Biſchof von Havel: 
berg und Koadjutor von Halberftabt, ala Erzbiſchof. Der Kaifer 
betätigte die Wahl: war dod nad) dem Fall der Stadt eine 
durchgreifende Tirhlice Reftauration gewiß. Schon aber ver: 
handelten Morig und Diftelmeyer mit den Magdeburgern, und 
als auch Joachim im Lager erihien, erfolgte Anfang No: 
vember 1551 die Kapitulation, welche die Stadt ſcheinbar dem 
Raifer unterwarf, thatſächlich aber alles beim Alten lief. Die 
Bürgerſchaft erkannte Friedrih als Erzbifhof an: mit ihm 
erhielt auch Joachim feinen Anteil an der Kontribution, die 
ihr auferlegt wurde, nebſt etlichen Geſchützen. Herr der Stadt 
aber wurde als ihr Burggraf Morig: das begründete einen 
neuen Gegenjag zwiſchen Albertinern und Hohenzollern. 

Aber es war nicht das allein, was Joachim gleich danach 
von Morig trennte. Wie fein Bruder und der bedächtige preu= 
Bifche Vetter nahm er Anſtoß an dem franzöfiichen Bündnis, 
mehr noch an der Rolle, die Morig dem unbändigen fränkischen 
Vetter, Albrecht von Brandenburg-Kulmbach, zugedacht hatte. 
Zwar wirkte er diefem bei Herzog Albrecht finanzielle Beihilfe 
aus und gewährte ihm jelbft in aller Stille folde, ritt auch 
mit Dijtelmeyer nad Dresden, um die ſächſiſchen Stände zur 
Hilfe bei des heſſiſchen Landgrafen Befreiung zu beftimmen, 
die Morig allein im Auge haben wollte. Er war aljo durch— 
aus Mitwifler des Sachſen, that aber nur jo weit mit, als es 
ohne Bruch mit dem Kaifer möglid war. Die Linie, die es 


224 Crftes Bug. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


dabei einzuhalten galt, beftimmte Diftelmeyer, der ganz in 
Morig’ Geheimnis war. Auch auf die Teilnahme an dem 
Tridentiner Konzil verzihtete Joahim nun. War body erreicht, 
was er zunächſt erftrebt hatte: Friebri von Magdeburg war 
das Pallium zugefagt. Zudem verlautete, daß der Kaifer den 
Beihlüffen des Konzils Gehorfam erzwingen, zum Danf dafür 
der Papſt dem Infanten Philipp die Kaiferfrone verfchaffen 
folte. Das galt es zu hindern: nicht um das Evangelium, 
um bie reichsfürftliche Libertät handelte es fih. Zu ihrer Ber: 
teidigung rüftete nun auch Joachim. 

Das Frühjahr 1552 brachte die Entſcheidung. Morig von 
Sadjen warf den überrafchten Kaifer zu Boden. In Paſſau 
mußte diefer unterhandeln, wo für Joachim Diftelmeyer und 
Adam von Trotta eridhienen. Erfterem wird ein bejonderes 
Verdienſt um das Zuftandelommen des Vertrages zugefchrieben, 
der den Proteftanten bis zum Austrage durch einen Fünftigen 
Reichstag Freiheit des Glaubens gewährte. Da erhob fid über 
den Hader ber bisher gegen ihn verbündeten Fürften Karl V. noch 
einmal. Noch einmal ftand alles auf dem Spiel, war aber auch 
alles zu gewinnen. Da fahte Joachims II. Schwefter Elifabeth, 
die Mutter des dem wilden Albrecht von Brandenburg Kulmbad 
verbundenen Herzogs Erich von Braunſchweig, den Gedanken, 
die vereinigten Hohenzollern follten in Anlehnung an die 
Machtſtellung des jet dem Kaiſer alliierten fränkiſchen 
Letters und in Gemeinjhaft mit den Erneſtinern, Lüne— 
burgern und Pommern, unabhängig von dem Albertiner und 
dem Kaiſer, dem Reiche Frieden und dem Evangelium 
Sicherheit geben. Die Niederlage Albrechts durch Morig von 
Sachſen entzog jolden Plänen den Boden. Vergeblich ſuchte 
Joachim ihm vor den Folgen feines wüften Treibens zu be— 
wahren: es war für ihn und für fein ganzes Haus eine 
ſchwere Niederlage, daß derſelbe als landloſer Flüchtling ent: 
weichen mußte. 

Schroffer als zuvor ftanden die Religionsparteien einander 
num aud in der Mark gegenüber. Unter dem rückſichtsloſen 
Konradi bot das Havelberger Domkapitel dem jungen Biſchof 
und feinem kurfürſtlichen Vater förmlich Hohn dur Verfolgung 


IV. Reformation und ftändifhes Regiment. 225 


der Evangeliſchen. Auch nad} diefer Seite wollten die Herren, 
die nad der Mühlberger Schlaht vom Kaijer verfügte Her: 
ftelung der Neichsunmittelbarfeit der märkiſchen Bistümer, 
die Joachim in umſtändlichen juriftiichen und hiſtoriſchen Deduk— 
tionen befämpfte, möglichſt ausnugen. Gern hätten fie den 
übereifrigen proteftantifchen Geiftlihen Ellerfeld, der dem ein= 
träglihen Geſchäft mit den Wilsnader Wunderhoftien durch 
Verbrennung derjelben vor Zeugen hatte ein Ende machen wollen, 
jelbft verbrannt: Joahim verwies ihn bloß des Landes. Daß 
fie Friedrich, als er 1552 Erzbifhof von Magdeburg wurde, 
zum Verziht auf das Havelberger Bistum zu drängen fuchten, 
befierte ihr Verhältnis zu Joachim nicht. Dennod gab das 
Kapitel, als Friedrih im Oftober 1552 ftarb, dem Drude 
nad und wählte JZoahims Enkel, Joachim Friedrich, den fieben: 
jährigen Sohn des Kurprinzen Johann Georg, zum Bischof, für 
den der Vater die Hegierung übernahm. An dem fatholifhen 
Brauch aber, der in Havelberg herrſchte, wurde damit nichts 
geändert, und erit nad) bem 1561 erfolgten Tode Konradis 
trat aud) dort die märkiſche Kirchenordnung in Kraft. Schneller 
endete der Kampf zwiſchen dem altkirchlichen Kapitel und der 
evangelifhen Bevölkerung im Bistum Lebus. Die gewaltſame 
Beſeitigung eines wunderthätigen Marienbildes zu Görig durch 
Markgraf Johann 1551 war nicht nad) dem Sinne Joachims; 
doch hatte er auch dort im Herbit 1550 nad) dem Tode Georgs 
von Blumenthal die Wahl eines feiner Prinzen betrieben, dann 
den trogdem gewählten ehemaligen Berliner Dompropfi Redorfer, 
einen der bedeutendften Vertreter der alten Kirche in der Mark, 
zum Rüdtritt genötigt. Andere Umftände machten die Stellung 
des ebenfalls gegen feinen Willen gewählten Brandenburger 
Dompropſtes Horneburg unhaltbar: ohne des Landesherrn Hilfe 
drohten deſſen Schulden das finanziell bebrängte Bistum vollends 
zu ruinieren. So fügte fi das Kapitel endlich nad) Horne- 
burgs Tod dem Verlangen Joachims und wählte im Juli 1555 
feinen nun zehmjährigen Enkel JZoahim Friedrih zum Biſchof. 
Die Verwaltung übernahm fein Vater, der Kurprinz. Er leitete 
nit nur die Heritellung finanzieller Ordnung und die Säku— 
larifierung des Bistums ein, fondern verhalf auch, nichi ohne 
Prutz, Preubiige Geſchichte. I. 


226 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


lebhaftes Widerftreben der Altkirchlihen, dem Evangelium end- 
lich zur Anerkennung. 

Inzwiſchen war endlih der Religionsfriede geſchloſſen, 
fpäter, mühjeliger und weniger günftig, ala man irgend er- 
wartet hatte. Denn jeit er der Proteftanten nicht mehr be: 
durfte, um jein Nachfolgerecht zu behaupten, zeigte fih auch 
König Ferdinand weniger nachgiebig. Da wußte der leitende 
brandenburgijche Staatsmann feinen jonit jo friedfertigen Herrn 
zu ungewöhnlicher Energie anzutreiben: am 6. Januar 1554 
einigte ſich Joachim mit Auguft von Sachſen dahin, fih auf 
dem kunftigen Reichstage auf irgend melde anderen Verhand⸗ 
Lungen night einzulafien, bevor der zu Paſſau verheißene ewige 
NReligionsfrieden zu ftande gebracht wäre. Freudig ſchloß ſich 
Friedrich von der Pfalz an. Zu weiterer Sicherheit empfahl 
Diftelmeyer die Erneuerung der alten Erhverbrüderung Bran: 
denburgs mit Sachſen und Heffen, die nicht mehr beftand, feit 
auf dem Zeiger Tage im März 1537 ihre Erneuerung an ber 
Weigerung Johann Friedrichs gefcheitert war, den Vertrag der 
alten Formel gemäß „der heiligen römifchen Kirche zu Ehren” 
zu ſchließen. Angefihts der Möglichkeit eines neuen Kampfes 
für den Glauben gewann die Erbeinung allerdings erhöhte 
Bedeutung, die am 3. März 1554 zu Naumburg zwifchen 
Joachim, dem ſächſiſchen Kurfürften, dem Landgrafen von 
Heſſen und den Söhnen Johann Friedrichs geſchloſſen wurde. 
Indem die Fürften erflärten, an der ungeänderten Augs— 
burgiſchen Konfeſſion unter allen Umftänden feithalten und 
gemäß der uriprünglichen Faſſung des Paffauer Vertrages, die 
freilich vom Kaifer nicht beftätigt und im Drange der Not auch 
von Morig preisgegeben war, in Sahen der Religion einem 
Mehrheitsbeſchluß fih niemals fügen zu wollen, erneuten fie 
eigentlich wejentlid) verſtärkt ben Schmalkaldiſchen Bund. Den- 
noch ging es in Augsburg nicht nad Wunſch. Auch Diftel: 
meyer nahm ſchweren Anjtoß an dem leidigen geiftlihen Vor: 
behalt, der den Befigftand der alten Kirhe für ale Zukunft 
ſicher ftelte, dadurch den Frieden des Reichs gefährdete und 
namentlich Joachim II. zu ſchädigen drohte, indem er in Frage 
ftellte, was er bisher in den märfiihen Bistümern erreicht 





IV. Reformation und ftändifches Regiment. 227 


hatte. Obenein war nad dem Tode Friedrichs Joachims Sohn 
zweiter Ehe, Sigismund (geb. 1538), an bie Spige des Magde- 
burger Domkapitel berufen worden. Nicht bloß die Katholifen 
meinten, daß namentlich deshalb die brandenburgiſchen Bevoll- 
mächtigten fih fo hartnädig gegen den geiftlihen Vorbehalt 
ftemmten. Erſt als er ſah, daß ohne dies der Friede überhaupt 
nit zu ftande kam, riet Diftelmeyer feinem Herrn, die von 
Kurſachſen vorgefchlagene mildere Fafjung anzunehmen, zumal 
die von König Ferdinand erteilte Deklaration und Affefuration 
fünftigen Mißbrauch auszufhließen ſchien. So ftimmte Joachim 
zu, freilich nicht ohne ernfte Bedenken. Waren doch die Schwierig- 
keiten, die ihm aus dem geiftlihen Vorbehalt zu erwachien 
drohten, von ihm jelbft verſchuldet durch die Schonung, die er 
aus Vorliebe für katholiſche Formen gegen die Bistümer geübt 
hatte und nod übte, 

Trotz der Niederlage nämlich, die das von ihm perſönlich 
vertretene kirchliche Syſtem erlitten hatte, hielt Joachim nicht 
bloß die lutheriiche Lehre für vereinbar mit den Formen ber 
katholiſchen Kirche, fondern traute dem Papfttume den Evan: 
geliſchen gegenüber eine ähnliche Weitherzigfeit zu. So dachte 
er fi) vor allem die Gunft und Gnade der Haböburger zu fihern. 
Daher zeigte er auch in der Folge auf neue päpſtliche Lodungen 
nicht übel Luft, fih in den Dienft neuer Unionsbeftrebungen 
zu ftellen. Er nahm den päpftlichen Nuntius Commendone, ber 
ihn zu dem erneuten Tridentiner Konzil einlud, mit demon- 
ftrativer Freundlichkeit auf. Er befannte, durch ihn zu einer 
Fülle ernfter Gedanken angeregt zu fein und erbat ein Spänden 
vom Kreuz Chrifti, um es einem koſtbaren Kruzifir einzufügen. 
Durfte Commendone da nicht hoffen, ihn no näher an das 
Papſttum heranzuziehen? Seine Gemahlin war eine eifrige 
Ratholitin; Sigismund, der Magdeburger Erwählte, verſprach 
nad) Trident zu kommen und befondere Ergebenheitsbeweife zu 
geben, und Diftelmeyer, nad) Weinlebens Tode 1558 zum Kanzler 
aufgerüdt, erörterte mit dem Nuntius die Bedingungen, unter 
denen das Konzil bejchiekt werden könnte. Sogar die überlebten 
Disputationen holte Joahim noch einmal hervor und wohnte 
den drei Redeturnieren bei, in denen der Frankfurter Profeſſor 


228 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


Abdias Prätorius fih mit dem den Nuntius begleitenden Je— 
juiten Zampert Auer maß. Wohl rief er dabei zornig aus, 
die Ratholifen möchten mit ihrem Konzil zur Hölle fahren, er 
wolle bei feinem Chriftus bleiben, unterzeichnete aber nicht bloß 
die Schrift, worin die Proteftanten die Bedingungen für bie 
Anerkennung des Konzils darlegten, fondern ſchickte hinterher 
fogar Vertreter nad) Trident. So ſchwer wurde es ihm, jeinen 
unevangelifhen Lieblingsideen zu entjagen! Erft ber Verlauf des 
Konzils überzeugte ihn, daß für fie Verwirklichung nicht zu 
hoffen jei. Das war wohl der Sinn ber befonderen Refor- 
mationsfeier, die er 1563 anordnete: fie bezeugte feinen Ent— 
ſchluß, an dem erneuten Evangelium unmandelbar feitzuhalten 
und den Verzicht auf alle Verfuche zur Herftelung der kirch— 
lien Einheit. 


b) Das Auflommen der ftändifhen Mitregierung 
im Innern und die Politik der Anwartidaften. 
1563—1571. 

Eine ſtändiſche Mitwirtung hat bei der Einführung der 
Reformation in Brandenburg nicht ftattgefunden. Joachim II. 
hatte Adel und Städte einfach gewähren laffen. Dafür ließen 
fie ihm freie Hand, als er die wirtſchaftlichen Verhältnifie der 
märkiſchen Kirche zu feinem Vorteil ordnete. So hat der 
Glaubenswechſel hier weder die Stärkung der fürftlihen Ge— 
malt, noch die enge Verbindung zwifhen Landesherrn und 
Ständen herbeigeführt wie anderwärts. Zudem wurde die Ge: 
meinfhaft, auf die das religiöfe Intereffe beide Teile hin— 
wies, durch leidige finanzielle Differenzen geftört. Aehnliche 
Händel, wie unter Friedrich II. und Albrecht Achill, warfen die 
ftaatlihe Entwidelung der Mark um ein gutes Stüd zurüd 
und zogen der landesherrlihen Gewalt engere Schranken als 
je. Die Schuld lag nur zum Teil in den Verhältniffen: mit 
gutem Recht machten die Stände Joachim perjönlih dafür 
verantwortlid. Er liebte fürftlihen Prunf. Hoffefte, Schloß: 
und Kirhenbauten, Reifen zu Reiche: und Fürftentagen und die 
Teilnahme am Türfenkriege in Ungarn verſchlangen ungeheure 
Summen. Dazu fehlte es an Ordnung in der Verwaltung, und 


IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 229 


jeine überreichen Zuwendungen an einzelne Begünftigte vereitelten 
ale Verſuche zur Beſſerung. Wenn die Stände Elagten, unter 
feinen Räten jeien etliche vor allem auf ihre eigene Bereicherung 
bedacht, fo ſcheint das namentlich auf Euftah von Schlieben 
gegangen zu fein, der ihnen um fo anftößiger war, als er auch 
mandem jeiner Meißenfchen Landsleute zu Amt und Brot 
verhalf. Dieje machte ihre eifrige monarchiſche Geſinnung nicht 
beliebter, doch meinte Luther, Schlieben regiere zwar wie ein 
Tyrann, lehre die Leute aber doch Mores. 

Ordnung in die Finanzen zu bringen hatte aud) der treff⸗ 
liche Weinleben nicht vermodt. Die 80000 Gulden, die des 
Nurfürften Einkommen betrug, reichten nit aus. Schnell 
wuchs die Schuldenlaft, ohne daß die Stände, die nur land» 
ſchaftliche Intereſſen fannten, ſich aber nicht ala Vertreter des 
Landes fühlten, eingejchritten wären. So ftand man benn 
nad) furzen fünf Jahren ohne Krieg oder fonjtige Heimſuchung 
vor einer Schuld von einer Million Gulden. Im Frühjahr 1540 
erhielten die zu Berlin verfammelten Stände davon Kenntnis. 
Aber fo gern fie die endliche Anerkennung der kirchlichen 
Neuerungen durch finanzielle Gegenleiftungen erfauft hätten, 
fo ernite Beſorgniſſe mußte ihmen eine ſolche Wirtſchaft für 
die Zukunft erweden. Nur um einen hohen Preis erfaufte 
Joachim Hilfe. Nicht genug, daß die auf das Land übernommene 
Schuld aud von jtändifhen Bevollmägtigten verwaltet wurde: 
er mußte ſich verpflichten, „Feine wichtige Sade, daran der 
Lande Gebeih und Verderb gelegen, ohne der Stände Vor: 
wifien und Rat zu befhließen oder vorzunehmen”, auch fein 
Bündnis ohne ihrer Vertreter Nat und Bewilligung einzugehen. 
War das thatjächlich bisher ſchon fo gehalten: daß diefer Sag 
als für die Zukunft maßgebendes ftaatsrechtlihes Prinzip pro: 
flamiert wurde, enthielt eine unheilvolle Kürzung der landes- 
herrlihen Gewalt. Nicht bloß die innere, aud die auswärtige 
Politik wurde abhängig von den Ständen. Aber gleich danach 
ſchloß Joachim fie von der Mitwirkung bei der Kirchenviſitation 
aus. Seinen Unwillen darüber entlub ein Teil des Adels in 
faft drohenden Eingaben an den mit der Schuldenverwaltung 
betrauten ftändijchen Ausſchuß. Joachim und feine Näte blieben 


230 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


die Antwort nicht ſchuldig. Ein äußerft gereizter Ton herrichte 
in den Verhandlungen ber nächſten Jahre, die um fo uner: 
quidlicher wurden, als aud die ftändifhe Schuldenverwaltung 
fi) nicht bewährte und feinen Teil befriedigte. Die Türken: 
fteuer zur Beftreitung von Joahims prunfvollem, aber ruhm⸗ 
lofem Zuge nad) Ungarn veranlaßte endlojen Streit. Der 
verſchwenderiſche Hofhalt, die Befeftigung Spandaus, die zu 
der von Peiß und Küftrin durch Markgraf Johann das Seiten: 
ftüd bilden follte, und der Schmalfaldifche Krieg erforderten 
neue Aufwendungen. Obgleich die Einziehung eines beträcht- 
lichen Teils der Kirchengüter ihm neue Einnahmen verſchafft 
hatte, mußte Joahim doch immer wieder zu bedenklichen Not: 
behelfen greifen: bei verwandten oder befreundeten Fürften 
borgte er oder nahm ihre Bürgſchaft in Anſpruch, wandte fi 
wohl auch an die märkifchen Juden und gewährte ihnen dafür — 
wenig nad dem Sinn des unduldfamen Volkes — allerlei 
Erleiterungen und Freiheiten. Zur Dedung augenblidlicher 
Bedürfniffe verpfändete er Domänen, Schlöfer, Kirhengüter 
und Einkünfte: kurz, er lebte recht eigentlich von der Hand in 
den Mund und hatte nah kaum zehn Jahren abermals eine 
Schuld von zwei Millionen Gulden aufgehäuft. 

Es war doch eine meue Demütigung, als er das 1549 
den Ständen befennen mußte. Auch hatten er und feine Räte 
nit den Mut, gleich die ganze Wahrheit zu jagen: erft die 
angeftellte Unterfuhung ergab, daß die Schuld durch Zinfen: 
rüdftände einen weit höheren Betrag erreichte. Dennod halfen 
die Stände wieder und zwar planmäßiger und gründlidher, aber 
nur gegen Zugeftändniffe, die dem Landesherrn nicht bloß für 
die Finanzverwaltung eine ftändifhe Kuratel aufnötigten, fon: 
dern eigentlich eine ftändifche Mitregierung beigaben. Denn auf 
alles, was feine Vorgänger in mehr als hundert Jahren der 
ftändifhen Libertät abgerungen hatten, verzichtete Joachim, 
als er 1550 die Webernahme feiner Schulden durch das Land 
erfaufte durch ausdrüdliche Beftätigung aller den Ständen che: 
mals zuftehenden Rechte, Privilegien und Eremtionen. Darauf: 
hin nötigten die Stände ihm alsbald die Weberlafjung der Ver: 
waltung aller Steuern ab, auch des auf vierzehn Jahre be— 


IV. Reformation und ſtandiſches Regiment. 231 


willigten „neuen Biergeldes”, eines Zuſchlags zu der alten 
Bierziefe, beitimmt zur Einlöfung der verpfändeten Gefälle 
und Güter. Brandenburg, eben auf dem Wege zu monarchiſcher 
Konzentration, ſah ſich in das beſcheidene Dafein eines ſtän— 
diſchen Territorialftaates zurüdgemorfen: denn das „ftändifche 
Kreditwerk“ erfegte in den wichtigſten ftaatlihen Geſchäften die- 
Iandesherrlihen Beamten durch Vertrauensmänner der Stände. 
Ja, die ftaatlihe Einheit Brandenburgs wurde negiert, wenn 
an die Stelle ber einen Staatskaſſe die Schoßkaſſen der Prä- 
Iaten und der Ritterihaft und die Städtekaſſen traten, jede 
mit ihrer eigenen ſtändiſchen Beamtenfhaft, und daneben die 
von Adel, Prälaten und Städten gemeinfam verwaltete „Neue 
Biergeldskaſſe“. Schon das zeigte, wer das Heft ober, um 
ein von den Ständen gebrauchtes Bild anzuwenden, wer „den 
Strid in der Hand“ hatte. 

Wie fehr er dur all das die Traditionen feines Haufes 
verlegte, daran hat der leichtlebige Herr nicht gedadt. Daß 
er damit auch defien Zukunft gefährdete, wurde ihm um fo 
weniger klar, als er ſich vielmehr rühmte, ihr befonders glänzende 
Ausfihten erfhloffen zu haben. Unermüdlich im Streben nad 
vielverheißenden Anwartihaften und fo, wie er meinte, groß 
in der äußeren Politik, beraubte Joahim Brandenburg dur 
feine innere Politit der Mittel, um jene Anrechte erfolgreich 
zu vertreten. Auch ſpricht aus feinen diplomatiſchen Aktionen, 
denen die politifche Rechenkunſt Diftelmeyers zu Grunde lag, 
weniger jener ftantsmännifche Geift, der einen zum Handeln 
bereiten Willen hinter fi weiß, als die unruhige Betriebjam: 
feit, die fih duch ihrem Wert nah fragwürdige Ausfichten 
über die thatſächliche Einbuße an politiihem Anjehen hinweg- 
täufchte. Während in der großen kirchlich-politiſchen Krifis, die 
ein Jahrzehnt nad} dem Religionsfrieden die fpanifch-franzöfiiche 
Reaktion heraufbeichwor, die Hohenzollern als Hüter der deutſchen 
Oftmar einen hohen Beruf zu erfüllen hatten, erhob ſich Joachim 
faum zur Erkenntnis der Gefahr, auch hier kurzſichtiger und 
unentſchloſſener als jein Bruder, der doch einen Anlauf nahm, 
um inmitten des drohenden allgemeinen Zufammenbruchs feines 
Haufes Intereſſen zu vertreten. 


232 Erſtes Bug. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


Die Anwartſchaften durchzufegen, bedurfte Joahim immer 
der Gunft und Gnade des Kaijers. Und wie wenig konnte er 
trog aller dienftwilligen Fügjamfeit auf fie reinen! Schon 
1537 hatte er mit Herzog Friedrih von Liegnig und Brieg 
die fünftige Vermählung des damals zwölfjährigen Kurprinzen 
Johann Georg (geb. 11. September 1525) mit jenes Tochter 
Sophie vereinbart, während feine Tochter Barbara den Sohn 
des Herzogs heiraten jollte, unter Abſchluß eines Erbvertrages, 
nad) dem beim Ausjterben der Brandenburger Hohenzollern 
deren Beligungen in Schlefien und der Lauſitz an die Lieg— 
niger, im Falle von deren Erlöſchen aber Liegnig und Brieg 
an Brandenburg fallen folten. Von feiten der Krone Böhmen 
war damals Widerſpruch nicht erhoben; auch hatte fie die Be— 
tehtigung der Liegniger Herzöge zu jolden Abmachungen 
früher wiederholt anerfannt. So fand 1545 die Doppelhochzeit 
ſtatt. Aber ſchon im Februar 1546 ftarb die junge Kurprin- 
zeſſin nach der Geburt eines Sohnes, Joachim Friedrich. Und 
nun focht König Ferdinand den Erbvertrag plöglih an auf 
Grund der 1510 allein den böhmiſchen Etänden gegebenen 
Zufage, es folten die zur Erledigung kommenden ſchleſiſchen 
Fürftentümer wieder mit Böhmen vereinigt werden, Demgemäß 
erfannte aud ein Gerichtötag zu Breslau im Mai 1546, troß 
der Protefte des Aurfürften und des Herzogs. Dennod gab 
Joachim die Sade nicht verloren. Weſentlich um fi Kaiſer 
und König hierin geneigt zu machen, trat er für bie faiferliche 
Kirhenpolitif ein und beſchickte ſogar das Tridentiner Konzil. 

Dann gaben die Wandlungen in den baltiihen Landen der 
Anwartſchaft größere Bedeutung, die JZoahim I. auf Echleswig 
und Holitein erworben und Karl V. beitätigt hatte. Nur hätte 
es einer rüdjichtslos zugreifenden Hand bedurft, um inmitten 
des däniſch-ſchwediſchen Etreites, der die Machtverhältnifje im 
Norden gründlich umzugeitalten drohte, mit den Elbherzogtümern 
die ausihlaggebende Stellung an Brandenburg zu bringen. 
Schon hatten die fränkiſchen Hohenzollern mit Herzog Albrecht 
in Preußen und mit defien 1530 zum Erzbiſchof von Niga er: 
hobenen Bruder Wilhelm in Livland feiten Fuß gefaßt, wo der 
Drdensitaat feinem Ende entgegenging. Aber Joachim II. hatte 


IV. Reformation und ſtandiſches Regiment. 233 


geihwiegen, als der Kaifer mit Chriftian III. von Dänemark 
Frieden machte, ohne der hohenzollernſchen Rechte Erwähnung 
zu thun. Traute er wirklich der früheren Erklärung des Kaiſers, 
alles, was er gegen die brandenburgiſche Anwartſchaft verfügen 
würde, folle null und nichtig jein? Als e8 1547 galt, Joachim 
dem Schmaltaldiihen Bunde fernzuhalten, verſprach der Kaijer 
von neuem, in Holftein nichts gegen Brandenburgs Intereilen 
vorzunehmen, und belehnte 1548 den Dänenkönig damit. 
Joachim hat ſich dabei beruhigt. Seine Mitwirkung bei des 
Kaiſers firhlicher Unionspolitit, die Verſchärfung. des konfeſſio— 
nellen Haders unter ben Evangeliſchen, die Vergrößerung Däne- 
marks durch einen Teil von Livland 1561 erflären das. Vollends 
beſchwichtigte ihn dann Flug Kaiſer Marimilian IL, indem er 
ihm (Auguft 1564) auf Werben Diftelmeyers eine neue Anz 
wartſchaft auf das zur Zeit mit Braunfchweig vereinigte Fürften- 
tum Grubenhagen erteilte. Cs galt ihn von Johann von 
Küftrin zu trennen, der die Anrechte, die fein Bruder preis: 
gegeben, energifh aufnahm, um inmitten einer großen euro= 
päiſchen Verwidelung die Elbherzogtümer zu gewinnen. Er 
rechnete dabei auf Schweden, Braunſchweig und Medlenburg, 
dann auf die Erneftiner, die in ihrem Drang nah Rache an 
den Albertinern und Reftauration eben damals durdy den ver: 
wegenen Ritter von Grumbach zu einem folgenſchweren Gemwalt- 
ftreich angereizt wurden. Ihre Niederwerfung durch den von 
dem Kurfürften Auguft von Sachſen unterftügten Kaifer drohte 
aud Johann verhängnisvoll zu werden. Schon ging die Rebe, 
er jolle geächtet, die Acht durch den Albertiner vollſtreckt werden. 
Doch verftändigte man ſich ſchließlich: der Wandel der euro- 
päiſchen Lage aber ſchloß jeden Erfolg des Markgrafen gegen 
Dänemark aus. Von der ſchleswig-holſteiniſchen Anwartſchaft 
der Hohenzollern iſt nicht mehr die Rede geweſen. 

Ungeahnt große Bedeutung aber für die Zukunft erlangte 
die preußiſche Anwartſchaft, obgleich ſie zunächſt ebenfalls recht 
fragwürdig war. Auch hatte man dabei ſicher nicht das im 
Auge, was nachmals dadurch thatſächlich erreicht wurde. Neben 
der hausväterlichen Sorge für die Mehrung des Familienbeſitzes 
wirkte dabei Joachims Wunſch mit, die Hohenzollern durch 


234 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


engen Zufammenjchluß aller ihrer Zweige möglichft zu fichern. 
Frühzeitig hatte er das erftrebt. Aber der Familientag, den 
er im Oftober 1536 in Frankfurt a. O. mit Herzog Albrecht, 
Georg von Ansbach und deſſen Neffen und Mündel, Albrecht 
von Kulmbach, hielt, ergab keine Verſtändigung. Auch in 
der Krifis ber Jahre 1552 und 1553 war man vergeblich 
darauf zurüdgefonmen: die Kataftrophe des Kulmbachers hatte 
das Haus der Hohenzollern ſchwer getroffen und fein Anfehen 
tief herabgefegt. Die Verantwortung dafür traf zunächſt Jo: 
adim. Seine Haltung ftad} freilich fehr ab von des Markgrafen 
Johann Fühler und entichloffener Art und der unruhigen Be: 
triebfamfeit des preußifchen Herzogs, der, noch immer in der 
Reichsacht liegend, erft von dem fiegreihen Kaifer und dann 
in dem Kampf der nordiſchen Mächte um die Oftfee zermalmt 
zu werden fürchten mußte. In dieſe baltifhe Kombination nun 
war Joahim eingetreten, nicht fomohl um etwas Pofitives 
zu erreichen, als um duch freundfchaftlice Bindung einer mög- 
licherweije feindlihen Macht etwa drohenden Schaden abzu— 
wenden. Um dem preußijchen Vetter im Intereffe des Gefamt: 
hauſes einen Rüdhalt zu geben, hatte er auf Anraten Euſtach 
von Schliebens die polnifche Braut wirklich heimgeführt und 
bereitö damals feine Mitbelehnung mit Preußen bei König 
Sigismund I. angeregt. Schon daß die Brandenburger Hohen= 
zollern da hinter den fränfifchen zurüditanden, mag er läftig 
empfunden haben: feinem Vater hatte jhon fein Firdlicher 
Standpunft ein ſolches Verhältnis unmöglich gemacht. Doc 
geihah damals nichts. Erſt der polniſche Thronwechſel 1548 
eröffnete befjere Ausfichten. Sigismund II. Auguft, der Bruder 
der Kurfürjtin Hedwig, galt für einen Freund des Evangeliums; 
obgleich mit den Habsburgern verfchwägert, mußte er wünſchen, 
deren Macht niederzuhalten. Andererfeits wollte Herzog Albrecht 
durch eine Gejamtbelchnung der Hohenzollern mit Preußen die 
eigene Stellung feitigen und fi für den Notfall der Hilfe 
jeiner Geſchlechtsgenoſſen verſichern. Auch die preußiſchen Stände 
wieſen auf eine Anfrage die Sache nicht von der Hand, wollten 
ihr aber nur näher treten, wenn ſie zur Herſtellung dauernder 
Ruhe in Deutſchland und eines ewigen Friedens mit Polen diente: 


IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 235 


fonft fei dabei jo viel zu erwägen, daß man beſſer auf einem 
fünftigen Reichstage darüber verhandele. Am Tiebften war es 
ihnen, wenn alles beim alten, das heißt bei dem Lehenaver- 
trag von 1525 blieb. Denn wenn Albrehts und Joachims 
Plan auch ihr Deutihtum vollends gegen die Polonis 
fierung fierte, drohte er doch auch mit einer Kürzung ihrer 
Libertät. 

Auch in dieſe Angelegenheit brachte erft Diitelmeyer mehr 
Energie und Konfequenz. Manchem ſchien fie allzu weit aus- 
jehend. Bei den zerrütteten Finanzen erregten die Aufwendungen 
Bedenken, die ihre Verfolgung erfordern würde. Befonders 
der Kurprinz foll dagegen geweſen fein. Andererſeits rechnete 
Joachim mit der Möglichkeit, bei der Kinderlofigfeit Sigis- 
munds II. Auguſt einem feiner Söhne zum polniſchen Thron zu 
verhelfen: Hedwigs Erftgeborenen Sigismund, der feit 1552 
Erzbifchof von Magdeburg und Bifhof von Halberftadt war, 
hatte er dazu auserforen. Aber erſt die Krifis, die mit dem 
Anfturm der Rufen, dem Fall des Ordensitaates in Livland 
und dem ſchwediſch-däniſchen Krieg über den Norden kam, 
brachte die Sache in Fluß. Denn jest erkannten aud die 
Polen ihre Bedeutung. Als die Stände Preußens dem Herzog 
die Mittel zur Unterftügung Livlands verweigerten, weil ber 
ruſſiſche Angriff noch nicht erfolgt war, mußte Polen dort 
eingreifen, dann aber fürdten, neben Rußland auch Schweden 
und die Habsburger gegen fi) zu haben. Das ließ Sigis— 
mund II. ein engeres Einverftändnis mit jeinem branden- 
burgiſchen Schwager wünfchen, der ſonſt durch Albrechts Bruder, 
den Erzbiſchof Wilhelm von Riga, der mit dem Heermeifter 
der Schwertbrüber, Gotthard Kettler, haderte, auf die ent— 
gegengefegte Seite gezogen werden konnte. Im reiten Augen- 
blid vegte daher Joachim 1559 die preußifche Cache durd) eine 
feierlihe Gejandtihaft von neuem an. Mit Liborius von 
Bredow, dem Hauptmann der Priegnig, zogen Georg Sabinus, 
der ſeit 1555 als Profefjor und Eurfürftliher Rat nad) Frank: 
furt zurückgekehrt war, umd fein redegewandter theologifcher 
Kollege, Abdias Prätorius, nah Warſchau. Dort verlangte 
man Hilfe für Livland, während die Gejandten ſolche nur 


236 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen States (bis 1598). 


gegen einen Angriff auf Preußen jelbjt zu bieten hatten. So 
kam man auch jest nicht zum Abſchluß. 

Da trat im Herbft 1561 der Heermeilter des livländiſchen 
Drdens, Gotthard Kettler, als Herzog von Kurland in Lehens: 
abhängigfeit von Polen, das feinen neuen Beſitz num gegen 
Ruſſen und Schweden verteidigen mußte, während e8 zugleich 
durd die Wirren im Weften in Anſpruch genommen war. Auch 
Preußen ſchien gefährdet, die Stände aber beharrten in ihrer 
ablehnenden Haltung. Da kam Polen des Kurfürjten erneuten 
Anträgen freundlicher entgegen. Ende des Jahres 1562 war 
man einig: auf dem Reichstage zu Petrifau jollte mit Zu: 
ftimmung der Großen Polens der Abſchluß erfolgen. Dieje aber 
wollten Brandenburg für die unfichere Anwartichaft außerordent⸗ 
liche Laften aufbürden: der Kurfürſt jollte jeden Marſch gegen 
Preußen durch fein Gebiet hindern, überhaupt allen Anichlägen 
auf Polen entgegentreten und dem König im Notfall mit 
300 Reitern Heeresfolge leiften. Dann hieß es, die Mitbe- 
lehnung ſei etwas ganz Ungewöhnliches, es gebe dafür über— 
haupt feine Form. Auch überjhäge Brandenburg jeinen Wert 
für Polen, das über Lehensleute genug verfüge. Dennoch 
meinten die Brandenburger ſich des augenblidlich Erreihbaren 
verfihern zu müfjen, und nahmen unter Vorbehalt die Urkunde 
an, die ihnen Sigismund II. am 5. März 1563 überreichen ließ: 
fie erteilte die Mitbelehnung, jedoh jo, dab nad) dem Er— 
löfchen der Nachkommen Herzog Albrecht die fränkiſchen Hohen 
zollern und erſt nad) deren Ausiterben die Brandenburger mit 
der im Beſitz der Kurwürde befindlichen Linie folgen follten ; 
erft wenn auch dieſe erlojhen, ſtand dem derzeitigen Erz: 
bifhof von Magdeburg und jeiner Linie ein Recht auf Preußen 
zu. Das war die eine Enttäufhung: denn um Sigismunds 
Verſorgung war es Joachim vornehmlich zu thun. Die zweite, 
fchmerzlihere, lag darin, daß der Antritt des Herzogtums in 
jedem Fall von der Leiftung des Yehenseides abhängen, der Branz 
denburger Kurfürſt als Herzog von Preußen polniſcher Vaſall und 
jo der polniſchen Politik dienitbar fein ſollte. Gegen beides prote= 
ftierten Joachims Gejandten. Das wollte freilich nichts bedeuten, 
wenn die jo bedingte Mitbelehnung überhaupt angenommen, 


IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 237 


ja bald eine Reihe von praktiſchen Konfequenzen daraus ge: 
zogen wurde. Das aber that Joahim, wenn er in bem Kriege 
zwifchen Dänemark und Schweden zu vermitteln fuchte, um 
Polen nicht hineingezogen und ſich zu deſſen Unterftügung ge— 
mötigt zu fehen. Auch ſonſt ſchien diefe preußiſche Anwartſchaft 
unbequeme Verwidelungen herbeizuführen. Zwar liefen die 
Haufen, die der unruhige Herzog Erid von Braunſchweig im 
Herbft 1563 durch Pommern an die Weichſel führte, ſchnell 
auseinander; doch follte der Deutjche Orden mit Zuftimmung 
des Kaiſers und Unterftügung Spaniens den drohenden all- 
gemeinen Krieg zur Wiedereroberung Preußens benugen wollen. 
Dann bemühte fi in der Stille Johann Albrecht von Medlen- 
burg, deſſen Schweiter dem neuen Herzog von Kurland zur 
Gattin beftimmt war, bei feinem altersſchwachen Schwieger- 
vater, Herzog Albrecht, feinem eigenen Haus die Nachfolge in 
Preußen zu verihaffen. Als Joachim im Herbft 1565 die Erb» 
huldigung wünfchte, wollten die preußiichen Stände zuvor nicht 
bloß ihre dermaligen Rechte und Freiheiten, ſondern auch gleich 
alle künftig zu erwerbenden verbrieft haben. Dennoch fam es 
im Januar 1566 zu einer Verftändigung. Aber die unerhörte 
Demütigung abzuwenden oder audy nur zu mildern, welche die 
Stände eben damals unter Mitwirkung Polens dem von un— 
würdigen Günftlingen irre geleiteten Herzog bereiteten (S. 107), 
hat Joachim nicht einmal den Verfuh gemadt. Hinter den 
preußifchen Ständen aber ftanden die polnihen Magnaten, 
unverföhnlihe Feinde des Deutjchtums, die nicht gemeint 
waren, dieſem durch die Verbindung Preußens mit Branden- 
burg volle Sicherheit zu gewähren. Den Eid, mit dem die 
preußifchen Stände bei der Erbhuldigung Brandenburgs Nach— 
folgereht anerkannten, erflärte der polniſche Reichstag für 
nichtig. Joachim II. hat das ruhig hingenommen. Aber je 
ungeftümer fid) das Polentum gebärdete, um jo wichtiger wurde 
für die preußifchen Stände die Verbindung mit Brandenburg 
und mußte von ihnen um jo höher gefehägt werben, je eindring- 
licher das ſich eben damals erfüllende Schickſal Weſtpreußens 
zu ihnen ſprach (S. 95). Darüber ftarb am 20. März 1568 
der greife Herzog. Auf dem Lubliner Reichstage, wo fein Sohn, 


238 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


der jechzehmjährige Albrecht Friedrih, mit Preußen belchnt 
werden follte, erſchien aud eine brandenburgifche Geſandtſchaft 
wegen ber Mitbelehnung. Sie fam leicht zum Ziel: die Frei— 
gebigfeit Joachims, dem feine Stände diesmal reihliche Mittel 
gewährt hatten, hatte ihre Wirfung gethan. Zugleih mit 
Albrecht Friedrich ergriffen daher am 19. Juli nächſt den Ger 
jandten des fränfiihen Markgrafen Georg Friedrich die Jo: 
achims II. die Preußen darftellende Fahne, mit der Sigismund II. 
Auguft jenem das Herzogtum auftrug, nachdem fie im Namen 
ihrer Herren den Lehenseid geleiftet hatten. 

War damit aber wirklich jo Großes erreicht? Joachim II. 
und feine Räte meinten einen auferordentlihen Erfolg ge: 
mwonnen zu haben. Ihn zu feiern, wurde im September 1569 
zu Berlin ein pomphaftes Dankfeft begangen. Unter Gloden- 
geläute bewegte fih ein prunfender Zug nad dem Dome, 
voran bie Jägerei zu Pferde, die furfürftlihen Reiter und die 
Hofdieneriaft, dann im Geleit von Hofjunfern Jungfrauen 
des Adels und der hohen Beamtenfamilien in weißen Gewän— 
dern, der Rat der Hauptſtadt und der Landadel und dann bie 
Geiſtlichkeit, Kelhe in den Händen, deren Zug der Berliner 
Dompropft Schloß. Ein Mufilcorps eröffnete die nächſte Ab- 
teilung: an ihrer Spige ſchritt der Hofmarihall Sparr, dann 
folgte der polnifche Gejandte Oberft Staupig mit dem preu= 
ßiſchen Adler, ein Herr von Putlig mit dem Kurfehwert und der 
Erbmarſchall Oberft von Röbel mit der preußiſchen Lehenfahne. 
Auf einem ijabellfarbenen Roß erſchien der Kurfürft felbit in 
zobelbeſetztem Goldftofigewand, hinter ihm der Kurprinz Johann 
Georg und jein Sohn Joachim Friebrih, der Abminiftrator 
von Magdeburg, denen ſich die Großen des Hofes anſchloſſen. 
Als der Zug, zu beiden Seiten von Trabanten geleitet, unter 
dem Donner der Gejhüge den Dom erreicht hatte, nahm Jo— 
ahim, das Kurſchwert in der Hand, beim Altar auf einem 
Throne Plag. Der Kanzler Diftelmeyer bejtieg die nahe Redner— 
bühne und hielt eine lateinifche Rede über die Bedeutung ber 
preußiſchen Mitbelehnung: er ſchloß mit Huldigendem Glück— 
wunſche an den Kurfürten, den neben Sohn und Enkel zu jehen 
eine foftbare Bürgihaft für die Zukunft der Hohenzollern ge: 


IV. Reformation und ftändifhes Regiment. 239 


währe. Zugleid mit dem polniſchen Gejandten und dem preu= 
Bilden Erbmarfhall empfing er dann den Ritterfchlag; eine gol- 
dene Kette belohnte die Verdienfte, die er fih um bie preußifche 
Sade erworben hatte. Das entipricht der fanguinifhen Art 
Joachims, die ihn feine Erfolge leicht überjhägen ließ. Konnte 
doch fein Menſch willen, ob das brandenburgifche Anrecht auf 
Preußen je in Wirkſamkeit treten, ob es nicht die Duelle 
läftiger Weiterungen werben würde. Zur Verjorgung einer 
jüngeren Linie ſchien Preußen trogdem trefflich geeignet: und 
das gab für Joachim den Ausſchlag. 

Augenblidlic war der größte Gewinn, daß die preußiiche 
Angelegenheit die drei Linien des Hohenzollernhaufes endlich zu 
enger Gemeinſchaft verbunden hatte. Auch Johann von Küftrin, 
der fi fern hielt, hatte feinen Anteil daran: feine ältere 
Tochter Elifabeth war 1558 mit dem fränfifhen Markgrafen 
Georg Friedrich vermählt, die jüngere, Katharina, heiratete 
1570 den fünf Jahre jüngeren Sohn des Rurprinzen Joahim 
Friedrich. Nicht bloß wegen der reihen Mittel des ſparſamen 
Johann war diefe Ehe für das Kurhaus von Wichtigkeit: an 
fie Enüpften fi noch andere Pläne. Im Herbft 1566 war 
Joachims II. einziger Sohn aus feiner polniſchen Che, Sigis- 
mund, ſeit 1552 Erzbifchof von Magdeburg und Bifchof von 
Halberftabt, einft auch Kandidat für den polniſchen Thron, ge: 
ftorben und zum drittenmal hatte Dijtelmeyer, dem man in 
Magdeburg die 1551 der Stadt geleifteten Dienfte nicht ver— 
gab, einen brandenburgiihen Prinzen, bes Kurprinzen Johann 
Georg Sohn, den vierundzwanzigjährigen Joachim Friedrich in 
den Beſitz des Erzftiftes gebradt, indem er Kurſachſen zur 
Aufgabe feines Mitbefigrechtes an der Stadt bejtimmte. Eine 
ausprüdliche Beftätigung der Wahl durch den Kaifer erfolgte 
nit; aber man zog kaiſerlicherſeits daraus doch auch nicht die 
eigentlich gebotenen Ronjequenzen. Nur mußte Joahim Fried: 
rich ſich verpflichten, wenn er in Brandenburg zur Regierung 
käme, die Adminiſtration des Erzftiftes dem Kapitel zu über- 
geben. Nun hätte er nad dem bisherigen Brauch bei feiner 
Verheiratung das Erzbistum aufgeben müffen. Daß das nötig 
ſei, betritt Diftelmeyer und drang damit durch. Auch erhob, 


240 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


wie er vorhergefagt, niemand gegen ben verheirateten Abmini- 
ftrator Einſpruch: auf dem denkbar einfachften Wege ſchien die 
Einfügung des fäfularifierten Erzbistums Magdeburg in ben 
hohenzollernſchen Hausbefig geſichert. 

Wäre denn aber Brandenburg damals im ſtande geweſen, 
ſolche Erwerbungen in fih aufzunehmen und fih zu eigen zu 
maden? Wie fih die Dinge zu Ende der Regierung Jo— 
achims IT. geftalteten, wirb das zu verneinen fein. Fehlte es 
ihm doch an der erften Vorausfegung dafür, einer Maren, be: 
ftimmten, ihres Ziels bemußten Politi. Und wie not that 
eine folde damals! Mit der Blutherrihaft Albas in ben 
Niederlanden und der neuen Verfolgung ber NReformierten in 
Frankreich erhob ſich drohender als je die Gefahr gewaffneter 
Tatholifcher Reaktion. Wohl drang Friedrich III. von der Pfalz 
auf gemeinfame Verwendung der Kurfürften für die Nieder: 
lande, auf Abſchluß eines militäriſch leiftungsfähigen Füriten- 
bundes, der ſich mit England und den Hugenotten verftänbigen 
und den Provinzen Hilfe bringen ſollte. Joachim II. wollte 
davon nichts wiſſen, noch weniger Johann, der eben gegen ein 
Jahrgeld als „Rat“ in Philipps II. Dienfte trat. Auch religiöfe 
Momente wirkten mit. Der Streit, der zwiſchen Abdias Prä: 
torius (S. 224) und dem Frankfurter Prediger Andreas Mus- 
culus über die Bedeutung der guten Werke unter Joahims 
perfönliher Teilnahme mit Leidenſchaft ausgefochten war, endete 
eben damals mit dem Siege des reinen Zuthertums und dem 
Abgange des als Philippift verfegerten Prätorius nad Witten- 
berg. Das Reformationgfeft, das Joachim am 24. Oftober 1569 
im Berliner Dome pomphaft beging, indem er fich feierlich 
zu ber unveränderten Augsburgifchen Konfeſſion befannte, be: 
zeichnete den vollen Anſchluß der märfifhen Kirche an bie buch— 
ftabengläubige lutheriſche Orthodoxie. Das jchloß jede politische 
Gemeinſchaft mit dem pfälzer Kurfürften aus, dem Calviniften, 
den als folden nicht der Kaifer allein außerhalb des Religions: 
friedens ftellte. 

Andererjeits lag Joahim fein polnifher Schwager mit 
dringenden Vorjtellungen an wegen jeiner Gefährdung durch 
die Rufen, die Dänemark gegen Polen und Schweden auf die 





IV. Reformation und ſtändiſches Regiment, 241 


baltifhen Lande hetzte. Auch wünſchte er feine Hilfe, um ſich 
von feiner Gemahlin, der Schwefter Kaifer Marimilians, ſcheiden 
zu lafien. Zum Vermittler war Joachim in diefem Falle wenig 
geeignet. Sein Bruder Johann haderte mit Polen infolge von 
Grenzftreitigfeiten mit dem Pofener Woiwoden: der polnifche 
Reichstag dachte auf Gewalt gegen ihn. Der Kaiſer aber ent- 
308 Joahim eben damals jene Grubenhagenihe Anwartſchaft 
wieder, durch die er ihn einst an fich zu feſſeln gefucht hatte, 
und ſchloß Grubenhagen in die den Braunfchweiger Herzögen 
erteilte Gefamtbelehnung ein. In bitterem Unmut führte Jo: 
adim darüber in Wien Beſchwerde: jo würden alle „feine unter: 
thänigen und mit feinen und feiner treuen Leute und Lande 
Unftalten jo langher geleifteten großen Dienfte gar nichts ge- 
achtet und er jelbft Hintangefegt“. Dringend bat er um irgend 
welche Entſchädigung, und wenn fie au nur in der Anmwart- 
ſchaft auf die Braunſchweigiſchen Lande nad) dem Ausfterben 
ſämtlicher dortiger Linien beftände! Eine ſolche Politif konnte 
dem Feinde feine Achtung, dem Freunde Fein Vertrauen ein: 
flößen: für fie ſchien e8 das Sprichwort nit zu geben, daß 
ein Sperling in der Hand mehr wert ift als eine Taube auf 
dem Dade. Ihre Erfolge liefen auf Seldfttäufhung hinaus. 
Aber nicht bloß ſich ſelbſt täuſchte Joachim II. mit jenen 
Anwartſchaften: auch feine Unterthanen folten fi dadurch für 
alle die Opfer belohnt glauben, die er ihnen auferlegte. Die 
flattlihen Geſandtſchaften, die aus diefen Anläffen an fremde 
Höfe gingen, wurden mit Vorliebe angeführt, wenn es galt, 
die Stände zur Uebernahme der neuen Schulden zu vermögen, 
die troß der mit dem ftändifchen Kreditwerf eingeführten Konz 
trolle der Iandesherrlihen Finanzverwaltung angehäuft wurden. 
Und dabei hatten fie ihm zur Betreibung der preußifchen Mit: 
belefnung, bei der es in Polen reiche Handjalben zu geben 
galt, befondere Bewilligungen gewährt. Die mehr als breiein: 
halb Millionen Mark Schulden, die er hinterließ, hatten zweifel: 
108 einen anderen Urfprung. Er war in Geldſachen eben un: 
verbeſſerlich: der verſchwenderiſche Hofhalt, das prunkvolle Auf: 
treten auf Reichstagen — war er doch 1562 zur Königswahl 
nad Frankfurt mit nicht weniger ala 452 Pferden gegen! — 
Prus, Preubiihe Gefhiäte. 1. 


242 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


die Neigung an allerlei gewagte Experimente große Summen 
zu ſetzen und bie Freigebigkeit aud gegen wenig würdige 
Günftlinge erklären feine ftete Geldverlegenheit; die Scheu vor 
dem Unmillen der Stände und der Wunſch, ihmen nicht noch 
mehr Zugeftändniffe machen zu müſſen, die bedenklichen Not- 
behelfe, mit denen er aus augenblidlicher Verlegenheit zu 
tommen fuchte. Auch fonft war er von nur allzu larer Moral. 
Seine erfte Gemahlin, Margarete von Sachſen, hatte ihm in 
fünfzehnjähriger Ehe fieben Kinder geboren, von denen vier in 
erfter Jugend farben; die polniſche Hedwig beſchenkte ihn mit 
drei Töchtern und einem Eohne. Seit 1549 war fie infolge 
eines unglücklichen Falles ſiech umd ſchleppte fi ſchließlich nur 
mühfam an Krüden fort. Hinfort nahm es Joachim mit ber 
ehelichen Treue jehr leicht. Völlig beftridt aber wurde er auf 
feine alten Tage von der „ihönen Gießerin“ Anna Sydow, 
der Witwe des kurfürſtlichen Zeugmeifters und Stüdgiehers 
Michael Dietrih, die faum noch von feiner Seite wid, ihn 
troß der anzüglichen Reben der Bauern in Mannskleidern auf 
der Jagd begleitete, ja nur durch Krankheit abgehalten wurde, 
ihm 1564 auch zur Krönung Marimilians II. zu folgen. Ver: 
geblih wandte fih die Kurfürftin um Hilfe an Albrecht von 
Preußen: über ſolche Schmach meinte fie den Verftand verlieren 
zu müſſen. Eine Toter, welde die Giekerin ihm 1558 ober 
1559 gebar, wurde 1564 zur Reichsgräfin von Arneburg er 
hoben, ein vier Jahre jüngerer Sohn Andreas zum Reichsfrei- 
herrn von Sydow. Selbſt in jenem Zeitalter, das in dieſen 
Dingen ein ftarfes Stüd vertrug, nahm man daran doch 
ernften Anftoß, ſchwereren freilich nod an der Gunft, deren 
fih bei Joachim der aus Prag zugewanderte Jude Lippold 
erfreute. Nachdem er ſich in Finanznöten wiederholt hilfreich 
erwiejen, hatte er 1556 die Auflicht über die Münze und die 
zur Lieferung von Silber an dieſe verpflichteten Juden erhalten; 
dadurch war er eine finanzielle Madt geworden. Je mehr er 
diefe Stellung wucheriſch ausbeutete und feinen Einfluß auf 
Joachim auch fonft mißbraudte, um fo mehr richtete fi 
der Unmwille des Volkes gegen die Juden überhaupt und den 
Freibrief, den Lippold feinen Glaubensgenofien 1564 auswirkte, 


IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 248 


& ftand aljo übel um die Mark, als der alte leichtlebige 
Herr infolge einer Erkältung, die er ſich bei der Wolfsjagd zu— 
gezogen hatte, am 3. Januar 1571 zu Köpenid mit Tod ab» 
ging. Natürlich vermutete man ein Verbrechen: er ſollte ver- 
giftet fein. Der Giftmifcher aber fonnte natürlich fein anderer 
fein als „der ſchelmiſche Jude“ Lippold. So erhob fi als: 
bald eine populäre Reaktion gegen die bisherige Mibwirtichaft, 
und zwar um jo erfolgreicher, als fie mit der Wiedervereinigung 
der Mark zufammentraf. Seit längerer Zeit fränfelte Markgraf 
Johann: er lag bereits danieder, als Joachim ftarb. Zehn 
Tage danach, am 13. Januar, verjhied er. Am 26. Januar 
wurde der Kurfürft im Dome zu Berlin, am 1. Februar der 
Markgraf in der von ihm hergerichteten Gruft zu Küftrin beis 
geſetzt. 


2. Zohann Georg 1571—1598. 


Europa trieb einer großen Krifis entgegen: die Verſchärfung 
der religiöfen Gegenfäge in Deutfchland, die Erneuerung bes 
Religionskrieges in Frankreich, der niederländiſche Freiheits- 
kampf, dem England nicht fremd bleiben Fonnte, und die Er— 
ſchütterung des Nordoftens durch das Erlöſchen der Jagellonen 
drohten einen Weltfrieg, in dem bei der Uneinigfeit und Un— 
entſchloſſenheit ihrer Verfechter die Reformation erliegen zu 
müffen ſchien. 

War da die „mittlere Richtung” Joachims II. noch mög- 
lich? Mußte fie nicht Brandenburg, das, nad allen Seiten 
engagiert, doch nirgends zuverläffige Freunde hatte, fteuerlos 
den ſchwerſten Stürmen ausfegen? In folden Zeiten kann 
nur der mit Ausfiht auf Erfolg in den Kampf um das Da— 
jein eintreten, der weiß, was er will, und an das Gewollte 
feine ganze phyſiſche und fittliche Kraft zu ſetzen bereit ift. So 
wenig aber wie bei Joachim II. war das zunächit bei feinem 
Nachfolger der Fall. Nur dann konnte Brandenburg die nahen- 
den Stürme zu beftehen hoffen, wenn im Innern die leidige 
Mitregierung der Stände befeitigt, nach außen aber im An- 
ſchluß an die Mächte, die an den großen Prinzipien der Refor— 


244 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


mation feithielten, eine Politif verfolgt wurde, die Vertrauen 
erwedte und Sicherheit gewährte, das heißt zum Handeln bereit 
und befähigt war. 

Auch zwiſchen Johann Georg und feinem Vorgänger fehlte 
nit der Gegenfag, der faft jeden Thronwechſel Fennzeichnet: 
nur lag er nicht auf politiſchem und kirchlichem, fondern auf 
häuslihem und wirtichaftlihem Gebiete. Im Gegenfag zu dem 
leichtfert gen Vater bot Johann Georg in einem langen Leben 
das Bild eines wahrhaft patriarhalifhen Famjlienhauptes: in 
drei Chen hat er nicht weniger ala 23 Kinder gezeugt und 
feinem Haufe, das nur noch auf wenigen Augen geitanden, 
eine vielverzweigte Nachkommenſchaft gefihert. Ein Feind aller 
Ueppigkeit, ftelte er an dem loderen Hofe Zucht und Orbnung 
ber. Die ſchöne Gießerin wurde in Spandau feftgefegt, eine 
andere von bed Vaters Freundinnen des Landes verwiefen, die 
Tochter der Gießerin, die einen Grafen Eberftein hatte hei: 
raten follen, mit gräfliher Ausftattung einem ſchlichten Hof: 
venteifhreiber in die Che gegeben. Die Abenteurer, die des 
BVerftorbenen „übergroße Ruriofität” ausgebeutet hatten, machten 
ſich fehnell davon. Aber auch die Zechbrüder mieden den Hof. 
Bürgerlihe Wohlanftändigkeit wurde herrfend. Denn neben 
einiger Beihäftigung mit den Wiffenfhaften Fannte Johann 
Georg, ein gejunder und Eräftiger Herr und Freund körper: 
licher Anftrengung, als Erholung nur die Jagd. Er war fein 
Soldat, wenn er aud 1547 vor Wittenberg an der Seite 
Karla V. große Unerjchrodenheit bemiefen hatte und ſelbſt 
meinte, habe man ihn erft in den Sattel gebracht, würde man 
Mühe haben, ihn wieder herauszubringen. Ritterliche Neigungen 
kannte er nicht, aber ebenfomenig eigentlich bürgerlihe. Als 
Kurprinz Adminiftrator der drei märkiſchen Bistümer, hatte er 
meift auf den Bifhofshöfen zu Zehlin und Wittftod gemeilt 
und fi) ganz in das beſchränkte Dafein eines märkiſchen Land» 
ebelmannes hineingelebt. Auch feine fürſtlichen Ideale waren 
in gutem Wirtfhaften und fparfamem Haushalten beichloffen, 
und die von Gott gejeßte Ordnung jah er darin, daß wie der 
Landesherr auf feinen Domänen, fo jede ländliche und ftädtifche 
Obrigkeit in ihrem Gebiete nad) Gutdünfen das Regiment führe. 


IV. Reformation und ftänbifdes Regiment. 245 


Proſaiſcher ließ fich der Beruf des Fürften kaum faflen: nur 
dem Umfange, nit dem Wejen nad unterſchied ſich feine 
Autorität von der des Gutsheren. Nach der Art eines ſolchen, 
meift der Hauptftadt fern, auf dem Lande und feinen Jagd- 
ihlöffern, mwaltete Johann Georg in durchaus perſönlichem 
Regiment. Namentlih in „Kammerſachen“ jah er ftets mit 
eigenen Augen. Eo verftand er fi auch gut mit dem mär- 
kiſchen Adel. In deffen Denkweiſe heimiſch, nahm er aud an 
feinen Anſprüchen nicht Anftoß, jondern ließ fie als Konſe— 
quenzen ber von ihm anerfannten göttlichen Orbnung gelten. 
Für die märkiſchen Herren begannen die ſchönen Tage voller 
Libertät: gegen Erfüllung feiner finanziellen Wünſche gab Jo— 
bann Georg ihnen nicht bloß nad) unten freie Hand, fondern 
gewährte auch der ftändifchen Mitregierung noch größere Rechte. 
Schwer büßte nun die Mark dafür, daß Joachim II. in einer 
Zeit, wo es entichloffen Partei nehmen galt, zwiſchen Altem 
und Neuem ſchwankend die Vorfämpfer des einen ſich verfeinbet, 
die des anderen nicht gewonnen hatte. So hielt die Reaktion 
ihren Einzug: zumeiſt traf fie das Bürgertum, das wirtſchaft⸗ 
ih, geiftig und fittlich der Träger der von Joachim nur halb 
anerfannten neuen Zeit geweſen war. 

Der gärende Unmut über die bisherige Mißwirtſchaft ent— 
lud fih in roher Gemwaltthat gegen die Juden, zunächſt den 
„Rammerdiener und Münzmeifter” Lippold, der fich erft unred⸗ 
lich bereichert und dann feinen Herrn vergiftet haben ſollte. 
Auf die Kunde von feiner Verhaftung erhob fi der Berliner 
Vöbel gegen die verhaßten „Hamannafinder”, bemolierte die 
Synagoge in ber Klofterftraße und plünderte etliche Juden— 
häufer. Zwar wurde weiterer Unfug verhindert, aber Johann 
Georg verfügte die Ausweifung aller Juden, „welche viel Un: 
heil angerichtet und alle gute Polizei faft aufheben wollen”. 
Man ftellte die Juden vor die Wahl, entweder fih taufen zu 
laſſen oder nad) Verkauf ihres Eigentums und Entrihtung des 
Abzugsgeldes auszumanbern. Erfteres that feiner; bie meiften 
gingen nad Polen und nad; Prag. Vermutlich) brachte diefe 
Judenaustreibung nicht bloß ber furfürftliden Kaffe, Sondern 
auch mandem anderen Vorteil, der feine Gläubiger aus dem 


246 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifgen Staates (bis 1598). 


Lande fliehen ſah. Lippold blieb in Haft, obgleich in nichts 
überführt. Als dann der Landtag von 1572 die Gewiſſenloſigkeit 
der bisherigen Finanzwirtſchaft offenbarte, galt es, die erregte 
öffentliche Meinung durch Beſtrafung eines angeblih dafür 
Verantwortlichen zu beſchwichtigen: jo begann im Januar 1573 
das Schlußverfahren gegen Lippold. Bedrohung mit der Folter 
entrang ihm das Geftändnis, er habe feit Jahren ein Zauber: 
buch befefien. In Beantwortung der ihm nun vorgelegten 
langen Reihe von Fragen, beſchrieb er die Zaubereien, die er 
geübt haben wollte. Auch der Vergiftung des Kurfürften bes 
kannte er ſich ſchuldig: er habe jo die Unterfuhung hindern 
wollen, die wegen des Verſchwindens einer goldenen Kette ein= 
geleitet war. Mäßig gefoltert, befräftigte er diefe Angaben, 
nahm fie dann aber zurüd. Unter den Qualen der „icharfen 
Frage“ erneute er fie. Noch an demjelben Tage, 28. Januar 1573, 
wurde der Unglüdliche, für deſſen Schuld auch nicht ein Schatten 
von Beweis erbracht war, in Berlin auf dem Neuen Markte 
grauenhaft gerichtet — „mit glühenden Zangen gezwidt, von 
unten auf geräbert, gevierteilt, vor jedem Thore ein Viertel 
aufgehängt, das Haupt auf das Georgthor geftedt, das Ein- 
geweide ſamt jeinem Zauberbuch gen Himmel mit Feuer geſchickt“. 

Aber nicht bloß eine populare Reaktion war im Zuge: 
beim Tod des Vaters hatte Johann Georg in den Häufern 
der einflußreichſten Beamten alles verfiegeln lafjen. Abfegungen 
und Perfegungen in Menge folgten, auch gerichtliche Proze— 
duren. Eine Schuld ſcheint feinem nachgewieſen zu fein: fie 
büßten dafür, daß fie des verftorbenen Herrn fchlehte Wirt: 
ſchaft nicht gehindert hatten. Nur Lamprecht Dijtelmeyer blieb 
unangefodten: alfo hatte er fih wohl um Ordnung bemüht und 
dadurch nicht bloß des Nachfolgers Vertrauen gewonnen, ſondern 
auch die abligen Herren verföhnt. Doch gewann neben ihm 
Johann Köppen Einfluß, bisher Profefior in Frankfurt, ein 
ausgezeichneter Jurift, der Johann Georg ſchon vor feinem 
Regierungsantritt als Nat zur Seite geftanden hatte. 

Mit ſächſiſcher Biegſamkeit verftand es Diftelmeyer, ih 
dem neuen Kurs anzupafien. Auch wird er als Träger aller 
ſchwebenden diplomatiſchen Aftionen und Bertrauensmann 


IV. Reformation und ftändifches Regiment. 247 


Augufts von Sachſen, dem Johann Georg fi eng anſchloß, 
unentbehrlich erſchienen fein, obgleih unter den Klagen des 
Adels die über die Vergebung der wichtigen Aemter an Fremde 
den erften Plag einnahm. Auch gehörten die neuen Beamten 
faft durchweg dem märkiſchen Adel an. In dem ausſchließlichen 
Recht des eingeborenen Adels auf die Einfluß und Einnahmen 
gewährenden Stellungen im Lande fah man ein wejentlidhes 
Stüd der Libertät. Auch Johann Georg mißbilligte es, daß in 
der Verwaltung bisher die Bürgerlichen eine jo große Role 
geipielt hatten: da nun aud der Abel fi „in den zum Krieg 
und Frieben gehörigen Wiſſenſchaften hervorgethan“ habe, könne 
er ihm fein ganzes Land anvertrauen. Danach verfuhr er bei 
Belegung der Aemter, und damit es auch in Zukunft jo ge 
halten werden fünne und nie einheimifcher Nachwuchs fehle, 
befahl er allen auf fremden Univerfitäten fiudierenden Märkern, 
wenn fie Anftellung im Lande wünſchten, zur Vollendung ihrer 
Bildung nah Frankfurt zurüdzufehren. Auch hob er biefes 
duch befjere Dotierung der Profefjuren und Stiftung von 
Stipendien und Freitiſchen. Konfeſſionelle Geſichtspunkte wirkten 
dabei mit: nicht ohne Sorge ſah er die Vermehrung der Je 
ſuitenſchulen im Reiche, wollte aber doch auch die von dem 
philippiſtiſchen Wittenberg her drohende Gefährdung des reinen 
Zuthertums abwehren. Wie ftarr er an deſſen Buchſtaben hielt, 
batte er bereits durch den Eifer gezeigt, mit dem er noch als 
Kurprinz für ben zelotifhen Musculus gegen ben doch auch 
nicht eben freidenfenden „großen Redner“ Abdias Prätorius 
Partei nahm. Rückſichtsloſe Begünftigung des Adels und eng- 
berzige lutheriſche Konfeffionalität gaben feinem Walten einen 
Zug ber Unfreiheit und Befangenheit und lenkten Brandenburg 
in reaktionäre Bahnen. Damit war ja die Pflege der ma- 
teriellen Intereſſen auch der Städte und des VBürgertums ver: 
einbar, jelbft ein gewiſſes volfsfreundliches Wefen, wie er als 
„ernfthafter Herr“ es liebte, aud mit dem Geringften zu 
ſprechen und auf feinen Reifen von allem perfönlih Kenntnis 
zu nehmen. So geſchah es, daß Brandenburg zu berfelben Zeit 
materiell im größten Flor war, wo feine geiftigen und fittlichen 
Kräfte verfümmerten. 


248 Crftes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


Auch jegt hing die innere Politif von Geldfragen ab. 
Dur Uebernahme ungewöhnlicher finanzieller Laften erfaufte‘ 
der Adel eine Erweiterung feiner Rechte nach oben ſowohl wie 
nad unten. Während von den aufzubringenden Summen die 
Städte bisher zwei Drittel trugen, follte fie nad) dem im 
Januar 1572 auf einem Landtage zu Berlin Vereinbarten dies⸗ 
mal nur ein Drittel (200 000 &haler) der verzinslihen Schuld 
treffen. Als fie Erleichterung erbaten, wurden fie brohend zu— 
rechtgewieſen: wenn fie ihr Reifen nicht laſſen wollten, jo möge 
fie noch einmal die Hand des Allmächtigen rühren. Mit den 
oberen Ständen dagegen wurde im Tone freundfchaftlicher 
Vertraulichkeit, ja ſchmeichelnden Gunftwerbens verhanbelt. 
Dafür übernahmen dieſe auch 600000 Thaler, durften aber 
zur Aufbringung ihre Bauern und Unterthanen heranziehen, 
alfo die Laſt auf andere abwälzen. Sie madten daher mit 
der Bezeigung von fo viel „Treue, Liebe und Neigung“ fein 
ſchlechtes Geſchäft. Nicht genug, daß Johann Georg ihnen alle 
bisherigen Gerechtſame beftätigte, er erweiterte fie auf Koſten 
feiner fürftliden Autorität, indem er auf Erweiterung feines 
Iandesherrlihen Jagdrechts und Errichtung neuer Zollftätten auf 
abligem Grund und Boden verzichtete, das Ausfaufen „mut= 
williger und ungehorfamer” Bauern aber dem Adel ausdrücklich 
erlaubte. Daß diefer gegen ein Pauſchquantum von 8000 Thalern 
die nächſten fünf Jahre Getreide und Wolle überallhin zollfrei 
verführen durfte, räumte ihm auf Koften des Handels ber 
Städte einen Gewinn ein, der die übernommenen finanziellen 
Laſten reichlich aufmog. Das Aergſte aber war doch, daß unter 
Zuziehung einiger ftädtifcher Vertrauensmänner ein Adelsaus- 
ſchuß die in den legten fünfzig Jahren ergangenen obrigfeitlichen 
Verordnungen prüfen und nad) Befinden ändern, ergänzen oder 
verbeffern follte. Das landesherrliche Recht der Geſetzgebung 
wurde damit einer Kontrolle unterftelt, die feiner Webertragung 
auf die Stände ziemlich gleichfam. Aehnlich ging es in der 
Neumark, Obgleich diefe, dur Markgraf Johann jtraff in 
Ordnung gehalten, all die Jahre ihre Laſten vollauf getragen, 
mußte fie doch von den ihr völlig fremden Schulden Joachims II. 
einen entſprechenden Teil übernehmen und dazu eine Bierziefe 


IV. Reformation und ftändifhes Regiment. 249 


für fünfzehn und einen Yufenihoß für zehn Jahre bewilligen. 
Dafür durften die abligen Herren ihr Aderland durd Einziehung 
deſſen vergrößern, was von ben bisher durch die Bauern be— 
nugten Weiden und Wäldern entbehrlih ſchien, und ihre 
Bauern in der Ernte und bei Bauten ftatt der ſonſt üblichen 
zwei Tage in der Woche nah Bedarf zu Spann: und Hand» 
dienften heranziehen. Wie fie das benugten, lehren die ein- 
ſchränkenden Beftimmungen, durch die Johann Georg das 
angerichtete Unheil gut zu machen ſich hinterher vergeblich 
bemühte. 

Und wie der Adel fo die Ländereien, Mittel und Arbeits: 
träfte feiner Bauern zu willkürlicher Ausbeutung überlaſſen 
erhielt, um jchließlich Herr auch ihrer Zeiber zu werden, wurde 
er vermöge feines Patronatsrechtes eigentlich Herr ihrer Seelen: 
harte geiftige Unfreiheit drohte die Reformation durch ben 
Zwang engherzigen Buchitabenglaubens zu vernichten. Gegen: 
über den philippiftiihen Neigungen, die der Streit zwiſchen 
Musculus und Prätorius offenbart hatte, warf fi der Adel 
zum Hüter des reinen Glaubens auf. Der Landtag erwirkte 
vom Kurfürften die Erklärung, es folle in jeinem Lande aus— 
ſchließlich „die einfältige Lehre des göttlichen Wortes, wie fie 
in der Heiligen Schrift, in der wahren unveränderten Augs— 
burgiſchen Konfefiion ſamt der Apologie verfaßt und durch 
Dr. Martin Luther bei feinem Leben gelehrt und getrieben 
worden“, verkündet und feine Abweichung davon geduldet werden. 
Wie in Preußen gingen hier num ftändifche Libertät und reines 
Zuthertum zufammen: ala Kirchenpatron ein eifernder Zions- 
wächter, war jeder Gutsherr dem Landesheren gegenüber ein 
ftreitbarer Vorkämpfer der großen Privileggenofjenichaft, die der 
Adel der Mark bildete, um feine bevorzugte Stellung nad oben 
wie nad) unten zu verteidigen. Das war ein verhängnisvoller 
Rückſchritt. Und dazu wurde die Krifis, der Brandenburg ent⸗ 
gegenging, mejentlih kompliziert durch die Einwirkung ber 
allgemeinen Eonfeffionelen und politiſchen Gegenfäge. 

Während die katholiſche Reaktion den Religionsfrieden 
durchlöcherte, um ihn bei erfter Gelegenheit zu zerreißen, ebnete 
ihr Johann Georg noch den Weg, indem er als Vorfämpfer 


250 Erſtes Bug. Die Clemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


bartherziger Konfeffionalität gerade die Verbindungen löſte, 
die ihm hätten Schuß gewähren können, und fi die zu Feinden 
machte, die er als feine natürlichen Bundesgenoſſen hätte an- 
jehen müſſen. Verſtändnis der Zeit und der fie beherrfchenden 
Strömungen gingen ihm völlig ab. Wie er einft auf den mär: 
kiſchen Biſchofshöfen gewaltet, jo führte er jegt die Herrſchaft: 
ehrbar und haushälteriſch, aber unfürftlich und unpolitiſch, ohne 
Sonderung von Hof: und Landesverwaltung, in patriarchaliſchem 
Neben: und Durcheinander der Behörden und Aemter. Nur 
in den Finanzen herrſchte mufterhafte Ordnung. Galt es doch 
einen zahlreihen Nachwuchs zu verforgen. Denn aud an Frucht: 
barfeit gli Johann Georg den Patriarhen. Während jeiner 
erften Ehe mit Sophie, Tochter Friedrichs von Liegnig, nur 
der Kurprinz Joachim Friedrich entftammte, gebar ihm feine 
zweite Gemahlin Sabine, die Tochter Georgs des Frommen 
von Ansbach, elf Kinder, von denen freilich nur die drei jüngften 
Töchter zu Jahren famen. Aus der dritten Ehe, die er 1577 
mit der vierzehmjährigen Elifabeth von Anhalt ſchloß, gingen 
in einundzwanzig Jahren elf lebende Kinder hervor, darunter 
fieben Söhne. Der Wunſch, fie alle zu verforgen, war nicht 
geeignet, in feiner Politif idealen Momenten zur Geltung zu 
verhelfen, fondern fteigerte den Einfluß der bloßen Nüplich- 
feitgerwägungen. Auch dem Volle war das recht. Denn wie 
in dem ganzen Iutherifchen Deutſchland der Erregung der Refor⸗ 
mation eine Erfhlaffung gefolgt war, in der man fich ver- 
blendet des faulen Friedens freute und nit ſah, daß das 
Evangelium überhaupt auf dem Spiele ftand, fo wiegten fi 
damals auch die Märker in einem unbegründeten Gefühl der 
Sicherheit und brüfteten ſich ftolz mit ihrem unverfäljchten 
Zuthertum. In materieller Hinfiht hatten fie kaum je fo gute 
Zeiten gefehen. Gleihmäßig gediehen Land und Städte; bie 
adligen Herren freuten ſich des fteigenden Wertes ihrer Güter, 
dem fie troß der Klagen ber Städte durch Betrieb des ihnen 
eigentlich verbotenen Handels Fräftig nachhalfen. Handel und 
Gewerbe blühten und ermöglichten den Bürgern früher unge: 
fanntes Wohlleben, das ihren heißen lutheriſchen Eifer freilich 
nicht milberte. 


IV. Reformation und ftänbifdes Regiment. 251 


Set fam ber ftreitbare Musculus als Generalfuperinten: 
dent an die Spige ber märkiſchen Kirche. Er war fo recht ber 
Mann Johann George, der ſchon als Kurprinz eifrig feine 
Partei genommen und des Prätorius Schrift eigenhändig ins 
Feuer geworfen hatte. Jetzt erklärte er, ehe Musculus mit 
feiner Lehre zu ſchanden werbe, möge lieber feine Univerfität 
zum Teufel fahren, im Feuer ftöhnen und lichterloh brennen. 
Er wollte jede abweichende Meinung unterbrüden: es folle 
Ruhe werden im Lande, rief er, ober er wolle nicht mehr Herr 
fein. Des milden Buchholzer Vorftellungen richteten nichts 
aus, auch nicht jein Hinweis auf das Bedenkliche einer Auf⸗ 
bebung der Kirhenordnung von 1540, bie Luther gebilligt und 
der Raifer beftätigt habe. Selbſt Kurfürft Auguft von Sachſen, 
dem Johann Georg ſonſt blindlings folgte, mahnte vergeblich 
ab. Als Mitarbeiter erhielt Musculus den Hofprediger und 
Domdechanten Georg Cöleftin: ihn hatte Joachim II. 1566 
nad Mainz geſchickt, um das angeblihe Original der Augs- 
burger Konfeffion abzujchreiben. Daß er ſich dabei einer plumpen 
Fälſchung ſchuldig gemacht Hatte, ahnte man noch nicht: mit 
Musculus gab er in dem Corpus doctrinae Brandenburgicum 
1572 eine unterſchriftloſe unbeglaubigte Ropie für das Original 
der Konfeffion aus. Auch die Bibelüberfegung ließ Johann 
Georg feinem konfeſſionellen Standpunkte gemäß zurechtmachen. 
Den Triumph des ftrengen Zuthertums befiegelte die Kirchen: 
vifitation, die Musculus mit dem Frankfurter Theologen Chriz 
ftoph Cornerus vornahm: eidlich mußten fi die märkiſchen 
Geiftliden 1575 auf die Abendmahlslehre der unveränderten 
Augsburgifhen Konfeffion verpflichten. Entſprechend eifrig 
wirkten Johann Georgs Theologen auch bei der Feſtſetzung 
der Konkordienformel mit, deren unveränderte Annahme Cöleſtin 
durch die Konvente der märkifchen Geiftlihen zu Lebus, Berlin, 
Nauen und Tangermünde (1576, 1577 und 1578) durchſetzte. 

Auch Diftelmeyer war ein engherziger Lutheraner und 
überfah mit Johann Georg, daß dieſe ftarre Konfeſſionalität die 
vielgepriefene Politik der Anwartſchaften um ben gehofften 
Erfolg bringen mußte. Denn wer, wie bie katholiſchen Eiferer, 
Vhilippiften und Calviniften außerhalb des Religionsfriedens 


252 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


ftellte, fonnte doch nicht darauf reinen, deſſen Beftimmungen, 
wo fie ihm ſelbſt unbequem waren, geändert zu fehen. Bon 
bier aus ftellten fi) der Erwerbung bes Erzbistums Magdeburg, 
die neben der preußifchen Anwartichaft Doch eigentlich im Zentrum 
von des Kanzlers ganzem politifhen Syitem ftand, unüberwind- 
liche Hindernifje entgegen. Deshalb war auch Johann Georg 
überzeugt, nur im engften Anſchluß an das Haus Habsburg 
fönne Brandenburg gedeihen und diene feinem Vorteil am 
beiten, wenn es befien Macht fördere. Die verföhnlice Hal: 
tung Raifer Marimilians II. aud in der kirchlichen Frage be— 
ftärkte ihn darin. Auch verfehlte diefer nicht, ſich feiner durch 
einen oder den anderen Gunftbeweis weiter zu verfichern. 
Gleich die Geſandtſchaft, die Johann Georg im Frühjahr 
1571 zum Empfang der Lehen des Reihe und ber Krone 
Böhmen nah Prag ſchickte, war gut aufgenommen. Indem 
er auf Wunſch des Kurfürften Albrecht Friedrich von Preußen 
in die Belehnung einſchloß, hob Marimilian II. ſtillſchweigend 
die Acht auf, die nod immer auf dem Herzogtume lag und 
beim Deutjchen Orden Reftaurationspläne wachrief. Auch Polen 
hatte Johann Georgs Recht auf Preußen ohne weiteres aner- 
kannt. Gleich günftig geftaltete fi fein Verhältnis zu den 
Brandenburg nächſtverbundenen Reihsftänden. Die Vereinigung 
mit Heſſen und Kurfachfen wurde erneut und fein Wunſch, in 
die ſächſiſch-heſſiſche Erbverbrüderung einbegriffen und zu der 
durch fie erſchloſſenen eventuellen Landfolge zugelaffen zu werben, 
in freundliche Erwägung genommen. Daß es ihm vor allem 
auf Frieden mit den Nachbarn anfam, bewies die geänderte 
Stellung zu Pommern. Seit 1568 war feine Tochter Erdmuthe 
mit Herzog Johann Friedrih von Pommern verlobt. Das gab 
wohl den Anlaß zur Erörterung bes ungleihen Verhältniffes, 
in dem beide Fürftenhäufer ftanden, feit gegen Verzicht auf die 
Lehenshoheit den Brandenburgern ein Heimfallreht auf Pom- 
mern eingeräumt war, ohne daß den Pommernherzögen ein 
gleiches auch nur auf einen Teil der Marken zugeftanden hätte 
— eine Rehtsungleichheit, die bei jedem Thronwechſel das Er: 
ſcheinen brandenburgifcher Bevollmädhtigter zum Empfang der 
Eventualhuldigung den Pommern verlegend in Erinnerung 


IV. Reformation und ftänbifjes Regiment. 253 


brachte. Unter Zuftimmung Kurſachſens und Hefiens wurde 
jegt eine Erbverbrüberung geſchloſſen, die entſprechend dem 
brandenburgifchen Erbrecht auf Pommern deſſen Herzögen für 
den Fall des Erlöfchens des Kurhauſes den Anfall der Neumark 
und des Landes Sternberg verhieß. 

Im Sommer 1572 erloſch mit König Sigismund II. von 
Polen das Haus der Jagellonen. Um die Krone warb ber 
Kaifer für feinen zweiten Sohn, Erzherzog Ernſt, die fatholifche 
Partei für Heinrih von Anjou. Wieder trat Johann Georg 
eifrig für das Haus Habsburg ein, zumal der Kaifer ihm gerade 
zu einer neuen, wenn aud) weitausfehenden Anwartichaft ver- 
half. Marimilian II. hatte den Widerftand überwunden, ben 
fein Schwager Herzog Wilhelm von Jülich der Werbung der 
preußifchen Stände um bie Hand feiner älteften Tochter Marie 
Eleonore für den jungen Albrecht Friedrich entgegenjegte. Für 
den Fall des Finderlofen Todes ihrer Brüder follte, jo wurde 
nun vereinbart, die künftige Herzogin von Preußen gegen 
Zahlung einer Abfindung an ihre Schweftern das Herzogtum 
Julich erhalten. Mit Preußen zugleich konnte dieſes alfo ber: 
einft an Brandenburg fallen. Um diefelbe Zeit num, wo Marie 
Eleonore dem traurigen Schidfal entgegenging, das ihrer an 
der Seite des in Geiſtesſchwachheit verfallenden Gemahls war: 
tete, berief der polniſche Reichstag im Januar 1573 Heinrich 
von Anjou, den Mitſchuldigen an der Bartholomäusnadt, auf 
den Thron, nicht ohne durch Ausſchließung Albrecht Friedrichs 
von ber beanfpruchten Teilnahme an der Wahl Preußen feine 
Abhängigkeit in Erinnerung zu bringen und Johann George 
Befliffenheit um die Zukunft Polens verlegend abzumeifen. 
Beides nahm der legtere ruhig hin: mwollte er doch mit dem 
neuen Polenkönig jo gut ftehen, daß feine Mitbelehnung mit 
Preußen nit auf Schwierigkeiten ftieß. Gleich in Halle be: 
reitete der Abminiftrator, Kurprinz Joahim Friedrih, dem⸗ 
felben im Januar 1574 einen glänzenden Empfang. An ber 
märkiſchen Grenze wurde Heinrich von Diftelmeyer im Namen 
feines Herrn mit einer wohlgeſetzten franzöſiſchen Anſprache 
bewilllommnet und reichlich mit allem verforgt nad Frankfurt 
geleitet, wo er fünf Tage raftete. Ihn perfönlich zu begrüßen 


254 Erſtes Bud. Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


unterließ Johann Georg aus Rückſicht auf den Kaifer: doch 
fand er ſich heimli in Frankfurt ein, ob wirklih nur, um, 
wie es hieß, feine Neugier zu befriedigen und, jelbft unerkannt, 
feinen fünftigen Lehensheren von Angeficht zu fehen oder um 
im geheimen doch mit ihm zufammenzutreffen und fich jeines 
Wohlwollens zu verfihern, muß bahingeftellt bleiben. Durch 
die Neumark erreichte Heinrich dann bei Mejerig die polnifche 
Grenze. 

Aber ſchon im Mai 1574 durch feines Bruders Tod auf 
den franzöfiihen Thron berufen, verließ er Polen wieder, und 
die Gefandten Johann George, welde die preußiſche Mitbe— 
lehnung hatten betreiben follen, fehrten unverrichteter Sache 
heim. Während er nun um die polnifche Krone wiederum für 
feinen zweiten Sohn Erzherzog Ernft warb, wollte der Kaifer 
dem erftgeborenen Rubolf dur die Wahl zum römiſchen König 
ſchon jegt die Nachfolge im Reiche fihern. Zu beidem braudte 
er die Beihilfe namentlich Brandenburgs. Das bot der branden- 
burgifchen Politit Gelegenheit, in ber ihr eigenen Art Erfolge 
zu erzielen, die ftattlich ausfahen, aber wenig bebeuteten. Auf 
Diftelmeyers Anjuchen erweiterte Marimilian II. die Anwart- 
ſchaft, die er 1564 Joachim II. auf das Fürftentum Gruben- 
hagen gewährt, dann aber dur die dem Haufe Braunfchweig 
erteilte Gefamtbelehnung entwertet hatte, in „einem zierlichen 
und ſchönen Briefe” auf jämtlihe braunfchweig-lüneburgifchen 
Lande. Auch verhieß er die Belehnung mit den laufigichen 
Herrichaften Beeskow und Storfow, die, zu Beginn des 
16. Jahrhunderts an das Bistum Lebus verpfändet, an Jos 
hann von Küftrin gefommen und infolge wiederholter Neu- 
beleihung durch diefen fo hoch belaftet waren, daß ein Rüdfauf 
durch die böhmifche Krone unmöglih war. Nah Johanns Tod 
feiner Witwe Katharine zum Unterhalt angewiefen, kamen fie 
bei deren Ableben (16. Mai 1574) an ihren Schwiegerjohn, 
den Rurprinzen Joachim Friedrih, der fie feinem Vater zur 
Einfügung in den Gefamtbefig des Haufes überließ. Es war 
echte Trinfgelverpolitif, die man trieb: um fragmürdige Aus- 
fihten in weiter Ferne opferte man in ben großen Fragen ber 
Zeit die Intereffen Brandenburgs famt denen der Reformation. 





IV. Reformation und ftänbifdes Regiment. 255 


Das aber geſchah, wenn man den Habsburgern zu einer Macht: 
ftellung verhalf, die ſchließlich auch Brandenburg erbrüden 
mußte. Das ftand zu befürchten, wenn der Jejuitenzögling 
Rudolf Raifer und König von Böhmen und Ungarn und fein 
Bruder Ernft König von Polen war. Aber aus lutheriſchem 
Eifer gegen die reformierten Pfälzer ftellte ſich jetzt aud die 
albertinifche Politit in den Dienft der Habsburger — ein 
Motiv mehr für Johann Georg, denjelben Weg zu gehen. So 
traf er im April 1578 zu Dresden bei Kurfürft Auguft mit 
dem Raifer und feinen vier Söhnen zufammen und jagte ihm 
feine Beihilfe zur Erhebung Rudolfs zum römiſchen König zu. 
Auf Wunfh Marimilians wohnte er in Prag der Krönung 
Rudolfs zum böhmifchen König bei: dabei wurde er mit Beeskow 
und Storkow belehnt. Weniger glatt freilich verlief der Regens— 
burger Reichstag. Die evangeliſchen Kurfürſten begriffen doch, 
daß fie mit der Wahl Rudolfs der katholiſchen Reaktion vollends 
Vorſchub leifteten. Aber obgleich fie nicht einmal die Aufnahme 
der lahmen Deklaration in die Wahlfapitulation durchſetzten, 
mit der man fi vor zwanzig Jahren durch Ferdinand zu Augs- 
burg hatte abipeifen lafjen, nad) der auch in geiftlihen Landen 
Evangelifhe gebuldet werben ober ungehindert auswandern 
ſollten, wurde Rudolf dennoch zum römifchen König gewählt 
und gekrönt. Die habsburgifche Politif triumphierte, 

Und auch in Polen fhien fie am Ziel. Durch Stimmen: 
mehrheit beriefen Senatoren und Biſchöfe ſtatt feines zweiten 
Sohnes den Kaiſer ſelbſt auf den Thron. Dagegen erhob fi 
vol nationalen Eifers der Adel: für ihre Libertät fürchteten 
die einen, für das Evangelium die anderen. Eine ftürmifche 
Gegenbewegung begann. Dit der Hand der legten unvermählten 
Jagellonin Anna, der Tochter Sigismund II, gab man die 
Krone an Stephan Bathory von Siebenbürgen. Diefe Wendung 
gefährdete auch Brandenburgs Stellung in Preußen, weshalb 
nun Johann Georg ebenfo eifrig zwiſchen dem Kaifer und 
Stephan Bathory zu vermitteln fuchte, wie er erit in Polen 
für Habsburg geworben hatte. Der Tod Marimilians II. 
(12. Oktober 1576) minderte die Schwierigfeiten. In Bauen 
traf fih Johann Georg, kurz nachdem er zu Leglingen zum 


256 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


drittenmal Hochzeit gemacht, mit Rudolf IT. und Auguft von 
Sachſen, und da er Stephan Bathory bie anfangs trog harter 
Belagerung verweigerte Anerkennung Danzigs auswirkte und 
eine Anleihe gewährte, kam ihm diefer in der preußiſchen Frage 
entgegen. Zum Gubernator für den blöden Albrecht Friedrich 
wünſchte deſſen Schwiegervater Wilhelm von Jülich beftellt zu 
werden, während im Einverftändnis mit Johann Georg als 
nächſter Verwandter des Herzogs Georg Friedrih von Ansbach 
Anſpruch auf die Stellung erhob. Gern hätten die polniſchen 
Magnaten bei diefer Gelegenheit die Rechte wieder befeitigt, 
die Brandenburg dur) die Mitbelehnung erworben hatte. Aber 
Stephan Bathory hielt, was er als Gegendienft für die Unter- 
werfung Danzigs verheißen hatte: am 27. Februar 1578 be: 
lehnte er zu Warſchau den Ansbacher als Vertreter Albrecht 
Friedrichs und ernannte ihn zum Gubernator. Wieder legten 
dabei die brandenburgiſchen Gejandten — auch von dem Ab: 
miniftrator aus Halle waren folde erſchienen, die Hand mit 
an die Lehensfahne und empfingen für ihren Herrn die Mit: 
belehnung. Vergeblich machte der polnische Adel dagegen gel: 
tend, es handle fi) do nur um Kreierung eines Herzogs in 
Preußen, nicht aber eines Herzogs von Preußen, was der 
Volenkönig felbft ſei. Diefe Anwartſchaft ſchien gefichert. 
Ob das aber Dauer haben würde? Mit dem nationalen 
Eifer war in Polen auch der katholiſche entfacht: bisher der 
Sig jhöner Toleranz, verfiel es dem wachſenden Einfluß der 
Jeſuiten. König Stephan, den die Evangelifchen als den Ihrigen 
angejehen hatten, nötigten politiſche Rüdfichten das zuzulaſſen. 
Eine ungeheure Gefahr drohte damit dem ganzen evangelifchen 
Nordoften. Im Reiche arbeiteten die ftrengen Lutheraner ber 
katholiſchen Reaktion in die Hand, feit die Konkordienformel alle 
vom Buchſtaben der Augsburgiſchen Konfeffion abweichenden 
Evangeliſchen außerhalb des Neligionsfriedens ſtellte. Mit 
Recht nahm die alte Kirche fie für fi in Anfprud, wenn einer 
ihrer eifrigften Vorfämpfer, Herzog Julius von Braunfchweig, 
drei feiner Söhne „mit päpſtlichen Zeremonien und geiftlihem 
Habit“ in Halberftadt einreiten, weihen und tonfurieren ließ, 
um fie zum Empfang geiftliher Zehen und Bistümer zu bes 


IV. Reformation und ſtandiſches Regiment. 257 


fähigen. Kamen dieſe Lutheraner, um troß des geiftlichen Vor: 
behalts Kirchengut zu erwerben, ihnen fo weit entgegen, war: 
um follten die Katholifen nicht glauben, fie bei einiger Dehn- 
barkeit der Formeln doch noch für ihre Kirche zurückzugewinnen? 
Um fo entfhiebener traten fie ihnen entgegen, wo fie ſich ohne 
dies geiftlicher Stifter bemäditigten. Auch Johann Georg erfuhr 
das, als er plöglich feines Hauſes ſcheinbar fo fihere Pofition 
in dem Erzbistum Magdeburg in Frage geftellt fah. Den 
unbequemen kurſächſiſchen Mitbefig hatte im Juni 1579 unter 
Zuftimmung des Kaifers ein Vergleich befeitigt, der Sachſen 
für die Burggrafichaft etliche Aemter überwies. Am 26. Oktober 
war Joachim Friedrich im Geleit feines Vaters mit ftattlihem 
Gefolge in die Stadt eingezogen und hatte die Huldigung 
empfangen. An den Reichstagen von 1570 und 1576, zu 
denen nicht die Abminiftratoren, fondern die Domkapitel ge: 
laden waren, hatten magbeburgijche Gefandte nicht teilgenom= 
men, vermutlid weil Joachim Friedrih an dem Rechte ber 
perfönlichen Vertretung des Erzftifts fefthielt, für den Fall des 
Streites darüber aber der Beihilfe des Vaters jo wenig wie 
des Großvaters fiher war, die jeden Konflift mit dem Kaifer 
vermeiden wollten. Erft 1580 erſchienen feine Bevollmächtigten 
zu Augsburg, wurden aud zur Eröffnung des Reichstages zu: 
gelaffen. Erſt als der päpftliche Legat das als unvereinbar 
mit dem geiftlihen Vorbehalt bezeichnete und den Ausſchluß 
der Magdeburger Gejandten forderte, änderte die katholiſche 
Partei ihre Haltung. Als diefelben den Magdeburg gebührenden 
Vorſitz auf der geiftlihen Fürftenbanf einnehmen wollten, 
fanden fie ihn durch Salzburg occupiert: man fenne, hieß es, 
zur Zeit feinen rechtmäßigen, vom Papſte beftätigten und vom 
Kaiſer belehnten Erzbiihof von Magdeburg; das Eindringen 
eines Unbefugten würde zur Einftelung der Beratung nötigen. 
Ihr Proteft blieb vergeblih. Die vom Kaifer verheißene Be: 
handlung der Sade auf einem neuen Reichstag befferte die 
Ausfihten niht. Denn alsbald begannen die Intriguen der 
Albertiner, um die wichtige Poſition an der Elbe, wenn nicht 
ſelbſt zu gewinnen, fo doch wenigftens den Hohenzollern zu ent= 
reißen. Und was weiter zu erwarten ftand, lehrte sale danach 
Drug, Preubiiße Geigigte. I. 


258 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (bis 1598). 


das Schickſal Gebhards von Köln, gegen den man fein Kapitel 
revoltierte, um ihn dann geächtet mit jpanifcher Hilfe aus dem 
Lande zu jagen. Für Kurbrandenburg ftanden dann mit Magde— 
burg au Brandenburg, Havelberg und Lebus und weiterhin 
die preußifche Anwartſchaft auf dem Spiel. Das bradite felbit 
den Gleihmut Johann George ins Wanken: er ahnte die legten 
Biele der fatholifchen Reaktion. Auch Auguft von Sachſen wurde 
unruhig, zumal die Ereignifle in Franfreih, die Bildung der 
heiligen Ligue zur Erhebung der Guifen auf den Thron ein 
Bufammenwirfen aller katholiſchen Mächte erwarten ließen, um 
die Reformation dur einen vernichtenden Gemwaltftreich zu 
Boden zu werfen. Dem wirkſam zu begegnen, waren Johann 
Georg und der echt albertiniſch biplomatifierende Auguft von 
Sachſen freilich nicht geeignet. Sie begnügten fi damit, dem 
Kaiſer die Gefahr vorzuhalten, der fein Vorgehen in der Kölner 
Sade das Reich ausjegte: damit waren fie in ihrem Gewiſſen 
beruhigt. 

So wuchs die Firhlid-politiihe Gefahr in den nädjiten 
Jahren zu wahrer Riefengröße: der Religions: und Bürgerkrieg 
in Frankreich, die Bedrängnis der Niederlande und die Rüftung 
Spaniens gegen England ftellten aud) die deutſchen Evangelifchen 
vor den Kampf um das Dafein. Heinrich von Navarra und 
Elifabeth von England wandten fih an fie. Der Bourbone 
plante die Einigung aller Evangelifgen: aber wie hätte das 
bartherzige Quthertum ſich dazu erheben fönnen! Auf Grund 
eines Gutachtens von Martin Chemnig antwortete auch Johann 
Georg ausweihend, feine Teilnahme für die franzöfifhen Pro: 
teftanten beteuernd. Dennoch äußerte der Kaifer ſich ungnädigft 
darüber, daß der Gejandte Navarras überhaupt empfangen 
worden war: er hätte gleich feitgefegt werben müſſen. Schließ- 
li) aber ging felbft Johann Georg der Ernft der Lage auf, als 
die Pläne der Heiligen Ligue und ihrer deutſchen Freunde deut- 
licher wurden. Während er noch unlängft gemeint hatte, man 
thue am beften, wenn man fi) in diefe Dinge nicht mifche, 
„Sondern das Spiel von außen anjehe und den Willen Gottes 
des Allmächtigen als wahren Bejchügers feiner Kirchen auch bei 
ihren Ratſchlägen fein und das Amen dazu ſprechen laſſe“, 


IV. Reformation und ftänbifches Regiment. 259 


wurde er zu Beginn des Jahres 1586 mit feinem kurſächſiſchen 
Freunde gegen ben kaiſerlichen Erlaß vorftellig, der den evan- 
geliſchen Reichsſtänden jede Unterftügung ihrer franzöfifchen 
Glaubensgenofjen verbot, während die katholiſchen den ihren 
Hilfe bringen durften, und beſchloß auf Anbringen bes Pfälzer 
NKurfürften, mit diefem und Auguft von Sachſen König Hein- 
ri III. durch Gefandte zur Bewahrung des den Hugenotten 
gewährten Religionsfrievens ermahnen zu laſſen. Anderenfalls 
follten die Verwandten bes Augsburger Bekenntniſſes den Huge: 
notten gemeinfame Hilfe bringen; dänifche und englifche Unter: 
ftügung war in Ausfiht geftellt. Obgleich Kurfürft Auguft im 
Februar 1586 ftarb, wurde das Vorhaben wirklich durchgeführt 
unter lebhafter Anteilnahme feines Nachfolgers Chriftian I., 
der ſeit 1582 mit des Brandenburgers jüngfter Tochter zweiter 
Ehe, Sophie, verheiratet war. Im Juli 1586 trafen fie und 
andere evangeliſche Fürften, darunter der Abminiftrator von 
Magdeburg, in Lüneburg mit König Friedrich II. von Däne— 
mark zufammen: die Beſchickung des franzöfifchen Königs wurde 
beſchloſſen, ja für den Fall ihrer Erfolglofigfeit durch pfälziſche 
Vermittelung ein Verftändnis mit Heinrich von Navarra an- 
gebahnt und in der Mark für die Hugenotten geworben. Allem 
Schwanken mußte die beleidigende Abfertigung ein Ende machen, 
die Heinrich IN. der Geſandtſchaft nach wochenlangem Warten 
zu teil werben ließ, indem er die Fürften leichtgläubiger Auf: 
nahme gegen ihn ausgefprengter Verleumdungen beſchuldigte 
und ihr zu fofortiger Heimreife die Päſſe überreichen ließ. 
Johann Georg hätte auch das ruhig eingeftedt, aber der 
Kurprinz drang auf gebührende Vergeltung und ſchnelle Hilfe 
für die Qugenotten. Bei einem feftlihen Jagen, zu dem Jo— 
Hann Georg im Herbit 1586 Chriftian von Sachſen und andere 
fürftliche Gäfte bei Küftrin vereinigte, wurde Rats gepflogen. 
Durch Brandenburg unterhandelte man mit Navarraa Ge: 
fandten. Auch furfürftlihe Mannſchaften follten unter Fabian 
von Dohna und dem Reiteroberften Johann von Buch zu dem 
Heere ftoßen, das Pfalzgraf Johann Kafimir feinen franzöfifchen 
Glaubensgenoffen durch Elſaß und Lothringen zuführen wollte. 
Daß bei dem großen Feuerwerk, das damals in Küftrin ab- 


260 Erſtes Buch. Die Elemente des preußiſchen Stantes (bis 1598). 


gebrannt wurde, neben den Bildern des Sultans und des 
Tartarenhang au die des Papites und des Herzogs von Guife 
in blauen und weißen Feuern brennend zu fehen waren, ſchien 
Johann Georgs Entſchluß zu energifchem Handeln zu beftätigen. 
Doch war er nur mit halbem Herzen bei der Sade: fo übel 
die Lage fei, Gott könne, meinte er, plötzlich alles zum Guten 
menden und der Feinde Anfchläge zu nichte machen. Gern ließ 
er fih vom Kaiſer die Werbungen verbieten, die England in 
der Mark vornehmen wollte: die für Franfreih hatte man 
ruhig zugelaffen, und der märkiſche Adel, ftolz auf fein reines 
Ruthertum, nahm um jehnöden Geldes und Iuftigen Soldaten: 
lebens willen unbedenklich bei dem Helden der Bartholomäus: 
nacht Dienft. Sold traurig vaterlandsloje Gefinnung war auch 
eine Folge der Libertät, in der er ſich rühmte, es jo herrlich 
weit gebracht zu haben. Wohl erkannten lichtere Köpfe und 
wärmere Herzen bereits die Verberblichfeit des bisher verfolgten 
Weges. Um fo unbehaglider fühlte fih Johann Georg: daß 
fein jähfifher Schwiegerfohn mit feinem zum Kanzler erhobenen 
Erzieher Nikolaus Crell zu den Reformierten neigte und nicht 
nur das üblihe Schmähen auf fie verbot, fondern aud die 
ärgften Eatholifierenden Auswüchſe befeitigte, war nit nad 
feinem Sinn, und der unglücliche Ausgang von Johann Kaſi— 
mirs Zug nad) Lothringen entfremdete ihn vollends der neuen 
Politik. Sich förmlich davon loszujagen, bot ihm das Wieder: 
auftauchen der polnifchen Frage erwünjchten Anlaß. 

Im Dezember 1586 war König Stephan geftorben und 
der Kampf um die Krone neu entbrannt. Zum drittenmal bot 
Johann Georg alles auf, um den Habsburgern dazu zu helfen, 
gegen den Zaren einerfeits und den ſchwediſchen Kronprinzen, 
den Sohn einer Jagellonin, andererjeits. Wieder gab es eine 
Doppelwahl und wieder unterlagen die Habsburger. Bon 
Krakau zurüdgemwiefen, wurde Erzherzog Marimilian, als er in 
Schleſien einen neuen Einfall vorbereitete, 1588 von den rafchen 
Gegnern gefangen genommen und erlangte erft nach zwei Jahren 
die Freiheit durch den Verzicht auf jedes Kronrecht. Johann 
Georg that nichts für ihn, weniger aus Furcht vor einer polnischen 
Invaſion als aus Sorge um die preußifche Mitbelehnung. Selbſt 





IV. Reformation und ftänbifdes Regiment. 261 


als nad) dem Siege der Guifen in Franfreih und bei dem 
drohenden Angriff der Armada auf England der Triumph der 
katholiſchen Reaktion fiher jchien und nur einmütige Selbft- 
hilfe den evangelifchen Reichsſtänden Rettung verhieß, lehnte 
er jede Beteiligung ab. Weil er die unlängft erneute und für 
fein Haus günftiger geftaltete Erbverbrüderung mit Kurfachjen 
und Heffen vom Kaijer beftätigt haben wollte, jollten die Evan- 
geliſchen ja nicht gleich alle ihre Beſchwerden bei demſelben 
vorbringen. Aber die Beftätigung wurde unter allerhand Vor- 
wänden verweigert und die für 1588 bevorftehende Revifion des 
Reichskammergerichts, die durch Magdeburg vorzunehmen ger 
wejen wäre, vertagt, angeblich wegen der im Rheinlande brohen- 
den Unruhen, in Wahrheit, weil mit ihrem Vollzuge Joachim 
Friedrich als bereditigter Herr Magdeburgs anerfannt worden 
wäre. Troß alledem hielt Johann Georg am Kaifer feit, ale 
ob er durch ſcheues Nichtsthun Haus und Land vor den Stürmen 
hätte bewahren fönnen, die nach ber Kataftrophe der ſpaniſchen 
Armada mit der Erneuerung des Bürgerfrieges in Frankreich 
und des nieberländifchen Aufftandes hereinzubrechen drohten. 
Dennoch mußte er fi fchließlih überzeugen, daß er nie und 
nimmer erreihen würde, was ihm vor allem am Herzen lag, 
die Realifierung der Anwartſchaften und der territorialen Ver- 
forgung feiner zahlreichen Nachkommenſchaft. Unberührt von 
den ibeellen Kräften und den fittlihen Impulfen, melde die 
zur Rettung ber politifchen und der religiöfen Freiheit rüftenden 
Männer erfüllte, handelte er auch bei der Wendung, bie er 
gegen Ausgang feiner Regierung vorbereitete, nicht ftaats- 
männiſch, fondern aus brav hausväterliher Sorge um die Zu: 
funft der Seinen. 

Inmitten der großen europäiſchen Krifis, die aud) ihn aus 
feiner Neutralität zu drängen drohte, hatte er feinen vor: 
nehmften Ratgeber verloren: am 12. Dftober 1588 war Lamp⸗ 
recht Diftelmeyer geftorben — ein um ſo ſchwererer Verluft, 
als dem Schüler der albertinifhen Diplomatie trog feiner 
lutheriſchen Befangenheit eine feine Witterung für den Zug 
ber Zeit eigen geweſen war. Seinen Sohn Chriftian (geb. 1552), 
der, feit 1577 fein Gehilfe, nun Kanzler wurde, Fennzeihnet 


262 Erſtes Bud. Die Elemente bes preußiſchen Staates (bis 1598). 


in feiner kirchlichen und politifhen Beſchränktheit der Wunſch, 
Gott möge die Zutheraner mit Haß gegen die Galviniften er= 
füllen: für den furdtbaren Ernſt der Zeit hatte er fein Der: 
ftändnis. Auch Johann Georg meinte durch Abftumpfen und 
Verſtecken der Gegenfäge die Gefahren zu beſchwören, und feinem 
Streben nad; Landgewinn und Anwartſchaften hielt die Sorge 
die Wage, dabei in Verwidelungen zu geraten, die ihn fchließ- 
ih zu handeln nötigen fünnten. Der Widerſpruch aber, der 
dadurch in feine Politit fam, wurde gefährlich durch den Gegen- 
fag, den er zwiſchen ihm und feinem fünftigen Nachfolger er- 
zeugte. Er war nicht von jener ſozuſagen unſchuldigen Natur, 
wie er mehr in der Meinung der Leute als in Wirklichkeit 
beim Nahen jedes Thronwechſels zwijhen Vater und Sohn zu 
beftehen pflegt, ſondern prinzipieller Natur: es handelte fich 
darum, ob die Hohenzollern es überhaupt zu einer Staats- 
ſchöpfung bringen würden. Johann Georg vertrat bie mittel 
alterlihe privatrechtliche Auffafjung des Staates, jah in ihm 
den Familienbefig des Herricherhaufes, der zu möglichft aus- 
kömmlicher Verforgung feiner Glieder dienen follte, der Kur— 
prinz die moderne Anſchauung, die den Staat nur feinen eigenen 
Zweden dienen und zu einheitlicher Machtbethätigung beftimmt 
fein läßt. Zufammen mit den großen religiöfen und politifchen 
Gegenfägen der Zeit erzeugte das einen Konflikt, der nicht 
bloß die Anwartſchaften, fondern auch den alten Befig der 
Hohenzollern gefährdete. 

Obgleich Erzherzog Marimilian, der Habsburger Kandidat 
für die polnifhe Krone, als DMeifter des Deutihen Ordens 
Träger von deſſen Anſprüchen auf Preußen war, hatte Johann 
Georg in Polen für ihn geworben. Schon deshalb beeilte 
Sigismund II. die Anerkennung feiner Anrechte auf Preußen 
nit. Die Mitbelehnung zwar wurde 1589 erteilt, aber der 
herzoglich preußiſche Titel durch die polniſche Kanzlei in ber 
Titulatur Johann Georgs demonftrativ weggelaflen: echt pol- 
niſch ſuchte man fo Präzebenzfälle zu ſchaffen, die fi nach— 
ber ausnugen ließen. Um fo enger j&hloß ſich der Kurfürft dem 
Kaiſer an, der ihm unlängit durch die Erneuerung des Privilegs 
de non appellando eine wahrlich billige Gunft erwiejen hatte, 





IV. Reformation und ftändifhes Regiment. 263 


feine Unzuverläffigfeit aber bald von neuem bethätigte. Nicht 
ohne Bedenken hatte er den Kurprinzen die Ehe feines Erft= 
geborenen Johann Sigismund mit Anna, ber Tochter des 
blöden Preußenherzogs und Marie Eleonorens von Jülich, be: 
treiben laſſen: fie verhieß den brandenburgifhen Rechten auf 
Preußen Stärkung und übertrug das Anreht, das Marie 
Eleonore beim Fehlen männlicher Nachkommenſchaft von ihrem 
Vater und ihren Brüdern auf Jülich, Cleve und Berg zuftand, 
auf ihren Fünftigen Schwiegerjohn und deſſen Leibeserben. 
Als aber nad) dem Tode des älteren von den beiden Söhnen 
Herzog Wilhelms der jüngere, ebenfalls finderlofe, geiftesfrant 
wurde und das Land, von Parteiungen zerrifien, die Beute 
entweber der Spanier ober der Niederländer zu werben drohte, 
da verſuchte die kaiſerliche Politik ſich dieſer wichtigen Pofition 
zu bemächtigen und trat damit Brandenburg fhroff entgegen. 
Nun konnte Johann Georg feine Entwürfe durchſetzen nur 
im Anſchluß an die Habsburg feindliden Mächte, das heißt bie, 
welche fi zu Vorfämpferinnen der Reformation aufgeworfen 
hatten. Ein erfter Schritt in diefer Richtung war es, daß er 
1591 Heinrid von Navarra die früher verweigerten Werbungen 
in der Mark geftattete. Damit war fein ganzes politiſches Sy: 
ftem bedroht: er jah ſich vor eine ſchwere Entſcheidung geftellt. 
Er verfannte nit, daß Großes dabei zu gewinnen fei, wenn 
das Glüd gut war, meinte aber im anderen Fall felbft den 
bisher fiheren Beſitz gefährbet zu fehen. Dennoch brang ber 
Kurprinz durch. Nach einem Beſuche Johann Sigismunds in 
Preußen wurde im Frühjahr 1592 bei Gelegenheit der An: 
wejenheit Marie Eleonorens und ihrer Tochter in Berlin die 
Verlobung vollzogen. Die enticeidende Wendung dien ges 
ſchehen: märkiſche Edelleute nahmen unter Chriftian von An- 
halt mit dem Bourbonen an der Belagerung von Rouen teil. 

Mit wachjender Sorge jah Johann Georg fih dur bie 
Macht der Thatſachen aus der bisher verfolgten Bahn gedrängt: 
nur im Widerftreit mit den Habsburgern und den Katholiten 
jchien fein Haus auflommen zu können. Nod war die Magde- 
burger Sache nicht beglichen, und ſchon ſah er feine Pläne an 
einem anderen Ende durch den leidigen geiftlihen Vorbehalt 


264 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiihen Staates (bis 1598). 


bedroht. Des Kurprinzen zweiter Sohn Johann Georg ftu= 
dierte in Straßburg: von ber proteftantifhen Mehrheit bes 
Domkapitel zum Propft gewählt, dachte er dort ala Admini— 
ftrator eine Verforgung zu gewinnen, Auch wurde er, als am 
2. Mai 1592 Biſchof Johannes IV., Graf von Manderjceid, 
ftarb, gegen den Proteft der nach Zabern entwichenen katho— 
liſchen Minderheit am 20. Mai, kaum fünfzehnjährig, zum 
Bischof gewählt. Als poftulierter Adminiftrator des Stiftes zu 
Straßburg und Landgraf zu Elſaß nahm er die Wahl an mit 
Zuſtimmung aud des Großvaters! So fanden die Hohenzollern 
hier wie in Magdeburg im Brennpunkt des Kampfes um ben 
geiftlichen Vorbehalt. Denn die Minorität wählte den Kardinal— 
bifhof von Met, Karl, den Sohn des Herzogs von Guife. 
Die Liguiften, die Spanier, die Habsburger, die gefamte ka— 
tholifche Reaktion hatte diefer hinter fih, als er zur Gewinnung 
des Stifts die Waffen ergriff. Der Religionskrieg entbrannte 
am Oberrhein. Am Niederrhein aber drohte ein noch gemwal- 
tigerer Zufammenftoß. 

Johann Georg wurde angft vor den Konfequenzen ber 
ihm halb aufgedrungenen Bolitil, mehr noch vor ben aus: 
ſchweifenden Entwürfen, mit denen die ihm unfaßbare Ver: 
wegenheit der Aftionspartei fi trug. Ohne feines Haufes An- 
rechte aufzugeben, meinte er doch von ihrer Verfehtung zur 
Zeit abfehen zu müſſen und fi mit dem Wenigen zu begnügen, 
was dermalen erreihbar blieb. Darin beftärkte ihn Friedrich 
Wilhelm von Sadhjen-Altenburg, der nach dem frühen Tode 
Chriftians I. (25. September 1591) die vormundſchaftliche 
Regierung in Kurſachſen übernommen hatte: nun war e& auch 
dort mit der Toleranz gegen Philippiften und Calviniften vor- 
bei und ihre Träger, obenan Kanzler Crell, wurden die Opfer 
fanatifcher Verfolgung durch das triumphierende Luthertum. 
Johann Georg und fein Chriftian Diftelmeyer waren mit ganzem 
Herzen dabei. Bon einem Bündnis mit Heinrich IV., mit Elifa= 
beth von England, mit den Niederlanden war feine Rede mehr. 
Johann Georg aber entnahm aus alledem nur die Lehre, es 
fomme vor allem darauf an, bie Reichsverfaſſung ungeändert 
zu erhalten und jede Neuerung abzuwehren. Und damit fam 


IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. ° 265 


der Zwiefpalt in dem Haufe Hohenzollern zu offenem Ausbruch. 
Als im Frühjahr 1594 Friedrih IV. von der Pfalz die pro- 
teftantif hen Fürften, die das Verhängnis nicht unthätig heran- 
kommen laffen wollten, in Heilbronn verfammelte, um gemein= 
ſame Abmehrmaßregeln zu erwägen und den Bund mit Frank: 
reich einzuleiten, erfchien dort Georg Friedrich von Ansbach per: 
ſönlich, der Kurprinz entfandte als Adminiftrator von Magde- 
burg einen Bevollmächtigten, und jein Bruder, der Ermählte von 
Straßburg, ließ in Gemeinfhaft mit feiner Stadt um Hilfe 
gegen den Lothringer werben. Die jüngere Generation war 
nit gemillt, ihre Zukunft kampflos preiszugeben. Johann 
Georg aber nahm an jenen Verhandlungen feinen Anteil: er 
verzweifelte bereits an der Möglichkeit, die Anwartſchaften 
durchzuſetzen. In Jülich-Cleve wußte er den ganzen Einfluß 
des Haufes Habsburg gegen fih. Dem Frieden mit ihm war 
er bereit die niederrheinifhen Lande zu opfern. Für die Be— 
hauptung Straßburgs Opfer zu bringen, lag ihm ganz fern: 
was ber Guife bemwilligen würde, jollte man einfach annehmen. 
Ob er für Preußen etwas gewagt haben würde? Sein Ber: 
halten in der Magdeburger Sache läßt daran zweifeln. Um 
Frieden mit dem Kaiſer um jeden Preis bemüht, wich er überall 
zurüd im Einverftändnis mit dem Adminiftrator von Kurſachſen. 
Selbft als 1594 auf dem Neihstage zu Regensburg, zu dem 
die proteftantiiden Bistumsadminiftratoren bezeichnendermeife 
gar nicht geladen waren, dem Bevollmädtigten Joahim Frieb- 
richs der Pla auf der Fürftenbant neben Salzburg durd einen 
alle Evangelifhen beleidigenden Skandal vorenthalten wurde, 
ſuchte er mit feinem ſächſiſchen Freunde den entrüfteten Sohn 
zu begütigen, fagte die vom Kaiſer gewünſchte Wahl eines 
römiſchen Königs zu und gewährte Hilfe gegen die Türken. 
Für ſolche Dienfte meinte er au Dank erwarten zu dürfen: 
da er an der Ermwerbung Jülich-Cleves faft verzweifelte und 
ſelbſt auf Preußen nicht ſicher rechnete, holte er die Anſprüche 
feines Haufes auf Liegnig und Brieg hervor und warb um 
ihre gnädige Anerfennung durch den Kaiſer. Und während deſſen 
vermählte ber Kurprinz jeinem Erftgeborenen zu Königsberg 
die Tochter Albrecht Friedrichs. Er hielt nicht bloß die preu: 


266 Erſtes Bud. Die Elemente des preußiſchen Staates (His 1598). 


Bifche Anwartſchaft feit, ſondern dachte aud in der Jülichſchen 
nicht zu weichen. Im Frühjahr 1595 fuchte er die Niederlande 
zu gemeinfamem Schuß ber jülich:clevejhen Lande gegen kai— 
ferlihe Occupation zu gewinnen. Immer mehr trennten ſich 
die Wege von Vater und Sohn, immer mehr fürdhtete erfterer 
feinen Nachfolger in die Nege der Neformierten geraten zu 
fehen. Deshalb hatte er ſchon 1593 die folgende Generation 
in feinem Sinn zu binden verſucht: feine beiden Enkel Johann 
Sigismund und Johann Georg mußten fi durch einen Revers 
zum Verharren in der neuen Lehre, das ift dent ftrengen Luther⸗ 
tum verpflichten. 

Nun aber beichränkte ſich der Gegenfag zwiſchen Vater 
und Sohn nicht auf die großen politifchen und kirchlichen Fragen 
der Zeit: er verflocht fi) mit dem inneren Angelegenheiten der 
Zurfürftlihen Familie. Die Sympathien des Adels waren mit 
Johann Georg, zumal des Kurprinzen Energie in Zukunft kriege⸗ 
riſche Verwidelungen fürchten ließ, welche die Stände finanziell 
und militäriſch zu belaften drohten. Andererjeits bedrohte des 
Kurfürften Abficht, durch Teilung feiner Lande aud feine 
jüngeren Söhne, namentlich den älteften aus ber dritten Che, 
Chriftian (geb. 1581), fürftlih zu verforgen, die Zufunft Jo— 
achim Friedrichs entgegen dem Reichsrecht und dem Achilleifhen 
Hausgeſetz. Juriftiih und moraliih war Joachim Friedrich 
durchaus im Recht, als er gegen das Teftament Proteft ein= 
legte, dur; das Johann Georg 1596 die Neumark nebſt Kroſſen 
Chriftian zuwies. Vergeblich beftürmte ihn der Vater um feine 
Zuftimmung: in vollem Bewußtfein ber Pflichten gegen die 
Zufunft von Haus und Land blieb er bei feiner Weigerung. 
Auch der Vater beharrte, trog der ſchweren Bedenken, welde 
die Stände und einzelne Räte erhoben. Er fandte das Teſta— 
ment zur Beitätigung nach Prag. Welde Waffe er damit der 
habsburgiſchen Politif und der katholiſchen Reaktion in die 
Hand gab, überjah er verblendet. Waren nad) feinem eigenen 
Urteil die Ausjihten auf Jülich-Cleve jhledht, die auf Preußen 
höchſt zweifelhaft, fo ermöglichte er jelbit jegt den Gegnern 
die Verdrängung jeines Haufes aus dem für ſicheren Beſitz 
gehaltenen Magdeburg. 





IV. Reformation und ſtändiſches Regiment. 267 


Auf dem Regensburger Reichstag von 1597 war die Frage 
nad der Zulaffung der proteftantifhen Adminiftratoren geifts 
licher Stifter nicht prinzipiell, wohl aber thatfächlich gegen die 
Evangeliſchen entſchieden worden. Weder Joahim Friedrich 
noch der Adminiftrator von Halberftadt, Heinrich Julius von 
Braunſchweig, hatten auf der Fürftenbant Platz nehmen dürfen. 
Des läftigen Handels ledig zu werben, drang man Faijerlicher- 
jeits in beide, für den nächſten Reichstag ihre Forderung über: 
haupt nicht zu erneuern. Mit Kurſachſen empfahl das auch 
Johann Georg dem Sohne. Diejer weigerte fi, fein gutes 
Recht aufzugeben. Nun war er aber durch die leidige Tefta- 
mentsſache in die Hand des Kaiſers gegeben, mit ihm bie Zu: 
kunft feines Haufes und Landes, die mit der Teilung ent- 
ſchieden geweſen wäre. Sicher freilih war man der hababur: 
giſchen Politik gegenüber nie: indem er, wie fi nachher heraus: 
ftellte, das ihm verſchloſſen eingereichte Teftament zwar beftätigte, 
aber ohne Kenntnis jeines Inhalts und mit einem ausbrüd- 
lichen Vorbehalt zu Gunften der dadurch etwa geſchädigten 
Rechte dritter Perfonen, nahm der Kaifer eine Stellung ein, 
die er nad) Belieben gegen Joachim Friedrich oder zu feinen 
Gunften, zur Durchſetzung wie zur Vereitelung der Teilung 
benugen konnte. Der Kurprinz mußte alfo den Prager Hof 
durch Nachgiebigfeit zu gewinnen ſuchen. So wid er ſchließ— 
fi in Saden der Seffion für Magdeburg: aus Gehorfam 
gegen den Kaiſer und für die Wohlfahrt der Gefamtheit gab 
er ben bisher erhobenen Anjpruh auf — fiher mit Recht, 
denn weit Größeres als Magdeburg ftand für ihn auf dem 
Spiele. 

Das Verhältnis zum Water wurde dadurch nicht gebejiert: 
diefer beharrte ebenjo zäh auf dem Teilungsplan, wie der 
Sohn die ihm immer wieber zugemutete Anerkennung des Teftas 
ments verweigerte. In befonders ſchmerzlichen Formen hatten 
beide den Konflikt durchzuringen, ohne daß e8 zu einer Ver- 
ftändigung kam. Ende des Jahres 1597 erkrankte Johann 
Georg. Der Kurprinz war fern: er hatte feine Tochter Anna 
Katharina (geb. 1575) nad) Hadersleben geleitet, wo fie dem 
jungen Dänenfönig Chriftian IV. vermählt wurde — eine Ehe, 


268 Erſtes Bud, Die Elemente des preußifhen Staates (bis 1598). 


die von neuem erkennen ließ, wie wenig er des Vaters Bahnen 
zu folgen dachte. Heimeilend fand er den Water noch lebend: 
aber ſelbſt in diefen ſchweren Tagen und trog des au von 
anderen Seiten auf ihn anftürmenden Dringens verweigerte 
er die Anerfennung des Teſtaments. Der Konflift mit dem 
Sohn war unbegliden, Haus und Land ftanden vor einer über 
ihre Zukunft entſcheidenden Schidjalsfrage, als Johann Georg 
am 8. Januar 1598 die Augen fehloß. 





Zweites Bud. 


Die erfie hohengollernfce Staafs- 
gründung und ihr Zerfall. 
1598—1640. 


I. Die ſtaatliche Beuorganifafion der Marken durch 
Ivarhim Friedrich und die Rüflung zur Erwerbung 
Preufene und NAülich-Cleves. 1598— 1608. 


Dürer lag die Zukunft vor Deutſchland und Brandenburg, 
als Johann Georg ftarb. Während das Reich dem Religions» 
und Burgerkriege entgegentrieb, ohne daß die Evangeliſchen 
ſich geeinigt hätten, waren die Hohenzollern ohne zuverläffige 
Verbindungen und ohne fiheren Rüdhalt, durch weitausfehende 
Anwartſchaften in die entgegengefegteften Intereſſen verflochten, 
unfähig ihre in diplomatifcher Betriebfamkeit gewonnenen Rechte 
auch wirflich zu vertreten. Im eigenen Lande waren fie in 
drüdender Abhängigfeit von den Ständen. Der Mangel an 
ſchnell verfügbaren finanziellen und militärifhen Mitteln machte 
jede Aktion nad außen unmöglid. Und nun hatte gar bes 
Verftorbenen unfürftlihe Sorge um die Ausftattung feines 
Erftgeborenen aus zweiter Che gegen Reichs- und Familienrecht 
eine Teilung der Marken verfügt, die das Landesfürftentum 
vollends zur Ohnmacht zu verurteilen drohte. 

Daß er diefe Gefahren erfannte und abmwehrte, darin liegt 
Joachim Friedrichs Verdienſt. Zwar ward ihm fein voller 
Erfolg; doch hat er Großes geleiftet. Seit Joahim II. war 
es mit Brandenburg abwärts gegangen: Joachim Friedrich hat 
dem Einhalt gethan und des Haufes und Landes Zukunft bes 





270 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


dachtſam und vorfihtig, aber klar und fonfequent mit den aufs 
wärts führenden Momenten der deutſchen Entwieldung ver- 
tnüpft. Ungewöhnlich begabt war auch er nicht und fiher fein 
Staatsmann großen Stile. Aber im Befig einer guten, auch 
klaſſiſchen Bildung und ein Freund der ſchönen Wiſſenſchaften, 
hatte er genug gefunden Menſchenverſtand und offenen Blick 
für die gegebenen Verhältnifie, um ſich Kopf und Herz frei zu 
halten von dem Eonfejfionellen Eifer, der feinen Vater befangen 
hatte. In den langen Jahren, die er als reifer Mann der 
verkehrten Führung der Staatsgeſchäfte unthätig hatte zufehen 
müffen, waren ihm Weſen und Berechtigung der miteinander 
tingenden geiftigen Strömungen aufgegangen, dank der freieren 
Luft, die er in Magdeburg atmete, inmitten vielgeftaltigerer, 
beweglicherer Verhältniffe, die feine Iandesväterlihen Talente 
zu vollerer Entfaltung brachten. Im Verkehr und in gemein- 
famer Arbeit mit Männern, die Staat und Kirche nicht von dem 
beſchränkten märkiſchen Standpunfte auffaßten und ihre Aufgaben 
nicht ausſchließlich nach dem hohenzollernſchen Privatvorteil bes 
maßen, wie namentlich dem frühreifen, gewandten und energi= 
ſchen Johann von Löben, der num auch in den märfifhen Dingen 
jein vornehmfter Berater wurbe, war ihm zuerft die Ahnung auf- 
gegangen, daß fein Haus eine Zufunft allein im Anſchluß an 
die freier aufftrebenden, thätigeren und entſchloſſeneren Refor— 
mierten gewinnen fünne. Den Uebergang in biefen neuen Kurs 
vollzog er anfangs mit einer gewiſſen zweifelnden Behutfamkeit, 
dann mit wachjender Entfehloffenheit, mehr auf Erhaltung des 
Beftehenden als auf Erfämpfung neuen Gewinns bedadt, in= 
dem er im Innern der Libertät entgegentrat, nad) außen, von 
der kaiſerlichen Politik gelöft, fi) den Mächten anſchloß, die 
ſich nicht ohne Kampf der katholiſchen Reaktion beugen wollten. 

Er war bereits 52 Jahre alt (geb. 27. Januar 1546), als 
er zur Regierung fam. Eben fiebenjährig (1553), war er auf 
bes Vaters Betreiben zum Biſchof von Havelberg gemacht, 
um feinem Haufe die Einfünfte des Bistums zu fihern; 1555 
hatte er bamit das Bistum Lebus vereinigt; mit zwanzig 
Jahren war er Abminiftrator von Magdeburg geworben. Tiefer 
angelegt ala Vater und Großvater, ſcheint er das Ungefunde 


I. Die ftaatlihe Neuorganifation der Marten. 271 


und Widerſpruchsvolle dieſer Stellung mehr empfunden zu 
haben. Während jene um weltlicher Vorteile willen das her- 
vorhoben, was dem reinen Zuthertum mit ber alten Kirche 
gemein war, juchte er vielmehr durch Befeitigung der Fatho- 
liſchen Reminiscenzen dieſem Zmwitterzuftand ein Ende zu machen. 
Den feit zwanzig Jahren geſchloſſenen Magdeburger Dom öffnete 
er dem evangelifhen Gottesdienfte. Das Gleiche that er 1589 
in Halle. Durd Wiederaufnahme ihrer in Stillftand geratenen 
Neform führte er die Klöfter der verdienten Auflöfung ent= 
gegen. Seine Vermählung mit der jüngeren Tochter Johanns 
von Küftrin vernichtete den trügerifchen Schein feines angeblichen 
geiftlihen Standes: es war ber erfte Fall der Art im Reiche. 
Zu den Verehrern der Konkorbienformel gehörte er nicht: er 
nahm fie erft an, als der Magbeburgifche Adel ihm anderen: 
falls den Gehorfam aufzufündigen drohte, und galt den Luther 
ranern als verfappter Calvinijt. Auch verfammelte er gleich 
nad) jeinem Regierungsantritt etliche Räte und angejehene mär: 
tische Geiftliche und that ihnen fund, es ſolle zwar an ber reinen 
Augsburgiſchen Konfeifion und der Konkordienformel feitgehalten, 
zugleich aber eine Reihe von katholiſchen Bräuchen abgeſchafft 
werben, die in der märfifchen Kirche fi entweder erhalten ober 
wieder eingeſchlichen hatten, wie die Elevation der Hoftie und 
des Kelches beim Abendmahl, das Aufhängen einer hölzernen 
Taube beim Pfingſtfeſt, die Prozeffionen auf den Kirchhöfen und 
anderes mehr. Mit der Entlafjung Chriftian Diftelmeyers aus 
dem Kanzleramte, die wegen jeines Anteils an dem Teftamente 
Johann Georg erfolgte, verlor die ftrenglutherifche Partei ihre 
Hauptftüge. Erjegt wurde er durch den eben 37jährigen Johann 
von Löben: er wirkte bereits im März 1598 bei der Berliner 
Kirchenviſitation neben dem noch von Johann Georg zum General: 
fuperintendenten berufenen Chriftoph Pelargus (d. i. Storch, 
geb. 1535 in Schweidnig), der eine verfühnliche Richtung ver— 
trat. Die Vifitation von 1600 befeitigte wenigitens die übelften 
Folgen der Tatholifierenden Halbheit Joachims Il. und machte 
Ernft mit der Durchführung der evangelifchen Prinzipien. Auch 
erklärte Joachim Friedrich, zwar bleibe die Konfordienformel 
für den Befenntnisftand des Landes maßgebend, könne jedoch 


272 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Stantögründung. 


ihn in feiner Weberzeugung nicht binden, und als man ihm 
vorhielt, er dulde Calviniften unter feinen Räten, meinte er, 
das feien ruhige, friedfertige Leute, welche die ihnen über: 
tragenen Dinge gut beforgten. Aber der märkiſche Adel kannte 
fie auch als Gegner ber Libertät und trat dem neuen Regi— 
ment deshalb bald offen entgegen. Noch war bie Frage nad 
der Gültigkeit von Johann Georgs Teitament nicht entſchieden: 
das erklärt die Zugeftändnifle, die Joachim Friedrich dem hart- 
herzigen Luthertum und der Libertät feiner Stände machte. 
Bei dem verwegenen Spiel, das die Gegner im eigenen Haufe, 
namentlich die Stiefmutter, trieben, galt es jeden Anftoß auf 
einem Gebiete zu vermeiden, wo religiöfer Eifer jo leicht zum 
Dedmantel politifhen Frevels werden konnte. 

Noch am Sterbebette des Vaters hatte Joachim Friedrich 
die Anerkennung des Teftaments verweigert. Die gleiche Er- 
klärung wiederholte er beim Regierungsantritt: entjchloffen 
wahrte er gegenüber den eigennügigen Wünjchen der jüngeren 
Linie das Recht des Staates und des Geſamthauſes. Nur die 
Städte ftanden dabei zu ihm: auch fie erwarteten von ber 
Teilung nur Zerrüttung und den Fal des Haufes Branden- 
burg. Die oberen Stände, die fi einft auf Befragen Johann 
Georgs ähnlich geäußert hatten, hielten ſich jet zurüd: Die 
Dispofitionen des verftorbenen Herrn feien ihnen nicht näher 
befannt. Ein Glüd, daß Joahim Friedrich durch Nachgiebig- 
feit in dem Magdeburger Seffionaftreit wenigftens den Kaifer 
gewonnen hatte: dieſer erklärte jeht, er habe das ihm ver— 
ſchloſſen eingereichte Teftament beitätigt ohne Kenntnis des 
Inhalts und unter ausdrüdliher Wahrung der dadurch etwa 
gefährdeten Rechte dritter. Auch gewährte der Kurfürft, Flug 
und großherzig zugleich, feinen Stiefbrüdern für das, mas 
den älteren von ihnen durch die Ungültigkeit des Teftaments 
in den Marken entging, reiche Entjhäbigung in Franken. Nach 
dem Achilleiſchen Hausgeſetze jollten, waren ſämtliche Lande 
des Haufes in der Hand eines Nurfürften mit mehreren Söhnen 
vereinigt, deſſen zwei auf den Kurprinzen folgende Söhne mit 
zwei in Franken zu errichtenden Sefundogenituren verjorgt 
werben. Diejer Fall trat ein, wenn ber Gubernator Preußens, 





I Die ftaatlihe Neuorganifation der Marken. 273 


Markgraf Georg Friedrih, der zur Zeit alle fränkiſchen Lande 
inne hatte, ftarb und nach Albrecht Frievrih von Preußen 
Joachim Friedrih fein Erbe wurde. Dann hätte diefer bie 
fränfifchen Territorien unter ben zweiten und dritten von feinen 
fünf jüngeren Söhnen, Johann Georg (geb. 1577) und Auguft 
(geb. 1580), zu verteilen gehabt. Auf diefes Recht verzichtete 
er zu Gunften feiner beiden Stiefbrüber. Gern bot der alte 
Georg Friedrih, mehr als einmal in jenen Jahren der gute 
Geift des Hohenzollernhaufes, dazu die Hand. Schon im Juni 
1598 vereinbarten feine Räte mit denen des Kurfürften in 
Gera, es follten nad Georg Friedrihs Tod die fränkiſchen 
Lande ftatt an den Herzog von Preußen und dann an Joachim 
Friedrich an des letzteren Stiefbrüder Chriftian (geb. 1581) 
und Joahim Ernft (geb. 1583) fommen, und zwar an erfteren 
Baireuth, an legteren Ansbach. Dieſe Revifion des Achilleiſchen 
Hausgeſetzes fiherte endgültig die ftaatlihe Einheit der Marken. 
Demgemäß beftimmte der Vertrag, den Joachim Friedrich und 
Georg Friedrih auf Grund der Geraer Vereinbarung am 
29. April 1599 perfönli in Magdeburg abſchloſſen, es folle 
„der Goldenen Bulle nah” „die Mark und Kurbrandenburg“, 
„wie die in ihren Kreifen begriffen, ſowohl die Alt:, Mittel, 
Uder: und Neumark, als auch die Priegnig, Grafſchaft Ruppin, 
Lande zu Sternberg, Herrſchaften Kottbus, Peitz, Zoffen, Stor: 
tow, Beeskow u. ſ. w., in gleihem die Bistümer Branden- 
burg, Havelberg, Lebus mit allen ihren Landen, Leuten, 
Schlöſſern, Städten u. f. w., in Sonderheit Wernigerode, 
Dernburg, Schwebt und Vierraden“ nebft allen zugehörigen 
Rechten und Einkünften, famt dem Herzogtum Kroffen und 
allen erlangten „Anwartungen“, nämlih Pommern, Medien: 
burg, Holftein, Anhalt, Braunſchweig-Lüneburg und ben ehe— 
mals von Brandenburg Iehensabhängigen Gebieten alle Zeit 
dem Kurfürften verbleiben und in feinem Haufe ungeteilt nad 
dem Rechte der Erftgeburt vererben, wofür er die Verforgung 
ber jüngeren Prinzen feines Haufes übernahm. Dagegen follte 
nad des Markgrafen Georg Friedrih Tod laut deſſen un: 
weigerlic zu vefpeftierendem Teftament „das Fürftentum des 
Burggrafentums zu Nürnberg” mit allem Zubehör, na den 
Bruß, Preußifge Geſchichte. 1. 


274 Zweites Bud. Die erfte Hohenzollernfhe Stantögrünbung. 


Gebieten ober: und unterhalb des Gebirges gefondert, unter 
Joachim Friedrichs Stiefbrüder Chriftian und Joachim Ernft 
zu erblichem Befig verloft werden, die Bergwerke aber und das 
faiferlihe Landgericht zu Nürnberg gemeinſchaftlicher Befſitz 
beider Linien bleiben. Dagegen follte Preußen an Joahim 
Friedrih und deffen Nachfolger fommen, und Jägerndorf, das 
Georg Friedrich ſchon 1596 dem Aurfürftentum vermacht hatte, 
an bes Kurfürften zweiten Sohn Johann Georg, deſſen Ruck— 
tritt vom Straßburger Bistum nur eine Frage der Zeit war, 
mit dem Rechte des Anfalls an Brandenburg. Yon den jüngeren 
Brüdern wurde einem jeden, fofern er nicht irgendwie befonders 
verforgt würde, eine Apanage von 6000 Thalern jährlich zu= 
gefihert, und einem von ihnen ftatt ihrer das Herrenmeifter- 
tum Brandenburg, „doch mit dem ausdrüdlichen Vorbehalt der 
Proteftion und Hoheit”. Auch die Häupter der fränkiſchen Linie 
follten ähnlich für ihre jüngeren Söhne forgen, beim Fehlen 
folder aber den Unterhalt der zahlreihen brandenburgiſchen 
Prinzen übernehmen. Vor Eintritt in den Genuß diejes „Depu= 
tats“ ſollte hinfort jeder Hohenzoller ſich dur einen Revers 
zu widerſpruchsloſer Beobachtung des Achilleiſchen Hausgeſetzes 
und bes Geraer Vertrages verpflichten. Die „geborenen Töchter 
und Fräulein in der Mark“ folten von dem jebesmaligen 
Kurfürften, die „im Fürftentume des Burggrafentums zu Nürn- 
berg“ von ben bort regierenden Herren unterhalten und bei 
ihrer Verheiratung ausgeftattet werben, nachdem fie auf jedes 
Erbrecht verzichtet. 

Weld anderer Geift ſprach aus diejen Abmahungen! 
Statt nad neuen Anwartſchaften auszufhauen und auf Koften 
der ſtaatlichen Einheit die jüngeren Söhne zu verforgen, ſicherte 
Joachim Friedrich die Zukunft der Marken dur den Verzicht 
auf wohl begründete Rechte und bewahrte fo die Hohenzollern 
vor Gefahren, denen in der Folge mehr als ein beutiches 
Fürftenhaus erlegen ift. Dagegen blieb das Erzbistum Magde- 
burg fürs erfte in hohenzollernfhem Beſitz. Als der Kurfürft 
gemäß feiner Zufage nad) dem Regierungsantritt die Admini— 
ftration aufgab, folgte ihm fein jüngfter Sohn Chriftian Wil- 
helm (geb. 1587), der auch vom Kaiſer beftätigt wurde. 








I. Die ſtaatliche Neuorganifation der Marten. 275 


Darin wohl darf man die erſte Wirkung von Joachim 
Friedrichs entſchloſſener Haltung erbliden: der kaiſerliche Hof 
erfannte Brandenburg wieder als einen Faktor, mit dem man 
reinen mußte. Denn mit Entjchiebenheit ftellte es ſich in den 
Dienft der evangelifhen Sade. Es war wohl nur ein Zu: 
geftändnis an den reizbaren ſtändiſchen Glaubenseifer, wenn 
in dem Haußvertrage für alle brandenburgijchen Lande die Aufs 
rechterhaltung der evangelifchen Lehre „ohne päpftiihen, calvi— 
niftifchen oder andern Irrtum“ verfproden und gar beftimmt 
war, falls einer von den Markgrafen „ſich eines andern und 
wibrigen unterftehe, follten die andern ihn davon abmeifen und 
ſolches keineswegs verftatten”. Der blöde Galviniftenhaß Diftel- 
meyers war der neuen Regierung fremd, und bie Annäherung 
an jene Seite, die Johann Georg die Verhältnifje aufgezwungen 
hatten, wurde jegt aus freier Ueberzeugung weitergeführt. Im 
Juli 1599 nahmen Joahim Friedrichs Gejandte an den Ber: 
handlungen teil, zu denen Friedrich IV. von der Pfalz zu Fried» 
berg in der Wetterau etliche evangelijche Fürften vereinigte, 
um angefihts der Vergewaltigung Aachens gemeinfame Abwehr 
ber fih häufenden faiferlihen und katholiſchen Uebergriffe zu 
erwägen. Auch an ber Rechtsverwahrung beteiligte fih Branden- 
burg, die im Oftober 1600 zu Frankfurt gegen die Rompetenz- 
überf&reitungen des faiferlihen Hofrats beſchloſſen wurbe. 

Wenn Joahim Friedrih zunächſt nicht viel erreichte, fo 
verfhuldeten das die Schwierigkeiten im eigenen Lande. In 
dem richtigen Gefühl, daß dieſer Calviniftenfreund ihrer Liber— 
tät feind fei, begegneten ihm bie Stände von Anfang an mit 
Miptrauen. Auch jegte Joachim Friedrich gerade da ein, wo 
die fteigende Kriegagefahr Abhilfe befonders erforderte, indem 
er bie Kriegsdienftpflicht des Adels ftraffer anziehen wollte. Er 
war zwar fein Soldat, mochte er auch 1566 in Ungarn gegen 
die Türken zu Felde gelegen haben. Seine Maßnahmen waren 
mehr politifcher als militärifcher Natur und richteten fi zum 
Teil aud gegen ben Kaiſer. Seit Jahren nahm diejer die 
finanziellen Mittel der Landeseingeſeſſenen, die dem Landes: 
herrn zur Stärkung feiner Wehrkraft hätten dienen können, 
unmittelbar für das Reich in Anſpruch, und die Stände ließen 


276 Zweite Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


gern ihre Libertät jo mit dem Intereſſe des Kaiſers verknüpfen, 
der Brandenburg militäriſch möglichſt ſchwach zu ſehen wünjchte. 
Der märkiſche Adel brachte auf Grund der Lehensdienſipflicht 
damals wirklich nicht mehr auf als 1000 Mann zu Pferbe; 
die Städte ftellten noch Feine 4000 Mann zu Fuß. Das war 
außer Verhältnis zu Einwohnerzahl und Wohlftand der Mark. 
Seit Johann Georg die große Maſſe der ländlichen Bevölkerung 
aus der unmittelbaren Verbindung mit dem Staate gelöft 
und den adligen Gutsherren überantwortet hatte, ging auch 
die Kraft des der Unfreiheit verfallenen märkiſchen Bauern der 
Zandesverteidigung verloren. Da Abel und Städte nur inner= 
halb der Landesgrenzen zum Waffendienft verpflichtet waren, 
fehlten überhaupt die Mittel zu einem Kriege außer Landes. 
Denn an Geld, um Truppen zu werben, fehlte e8 erft recht. 
So hing an diefem einen Punkte alles, die Finanzen, die Wehr: 
kraft, die auswärtige Politik: nirgends konnte Joahim Fried: 
rich handeln, wie es das Intereſſe von Haus und Land er- 
forderte, überall ſah er fih dur die Stände gehindert. Mit 
ihnen galt es ſich auseinanderzufegen. So trat er aud) hier in 
einen ausgefprochenen Gegenſatz zum Vater, defien Teftament 
daher leicht von ganz anderer Seite gegen ihn benugt werben 
Eonnte. Das alles machte feine erften fünf Jahre zu ſehr forgen- 
vollen. Aber in ihnen vollzog fi aud die rettende Krifis. 
Wie fie mit ihr geftiegen, fo wurde mit der Hodflut bes 
Luthertums auch die fländifche Libertät in die allzu Tange über- 
fpülten Dämme zurüdgebrängt. 

Johann Georg hatte 600 000 Thaler Schulden hinterlaffen, 
war auch mit Einlöfung der Domänen nicht weit gediehen. Es 
mußten alfo außerordentliche Mittel beichafft werden. Die Wege, 
die JZoahim Friedrich da einſchlug, find harakteriftifch für feine 
ganze politiihe Richtung. Weder die Stände insgejamt, noch 
den großen Ausſchuß berief er 1598, fondern nur aus jedem 
der drei Kreife vier von ihm ernannte „Landräte“. Das galt 
als Attentat auf das ftändifche Steuerbewilligungsrecht, und 
es war ein offenes Anerfenntnis feiner Nieberlage, daß er 1599 
den großen Ausfchuß berief. Zuverſichtlich trat diefer auf, ver- 
langte Ausfunft über den „Vorrat“, den Johann Georg hinter 





I. Die ftaatlihe Neuorganifation der Marken. 277 


laſſen haben follte, und wollte vor jeder Bewilligung jeine im 
Namen der Stände vorgetragenen Forderungen erfüllt haben. 
An ihrer Spige ftand im Einklang mit dem Pharifäertum 
biefer ſtändiſchen Herrlicfeit die Erhaltung der reinen Lehre, 
das heißt nicht bloß erneute feierliche Anerkennung der luthe- 
riſchen Kirche als der Landeskirche, fondern aud Einführung 
einer ſtändiſchen Mitkontrolle Über Kirche, Schule und Univerfi- 
tät, ja über die Pfarrer landesherrlihen Patronats und die 
Rechtſprechung der Konfiftorien. Die fürftlihe Gerichtsbarkeit 
ſollte gekürzt werben durch Schaffung eines ftändiichen Appella: 
tionsrates als dritter Inftanz für die Privilegierten, zu gleichen 
Teilen aus fürftlihen Räten und Vertretern ber Prälaten, 
Herren und Ritterfhaft beftehend. Weiter überreichte der Aus- 
ſchuß den Entwurf einer Polizeiorbnung und Landeskonftitution, 
durch deſſen Annahme alles als zu Recht beftehend anerkannt 
worben wäre, was über bie dem Adel 1572 gemachten Zuges 
ſtändniſſe hinaus von den Grundbherren an willfürlichen Neue— 
tungen zum Nachteil der Bauern und Kleinbürger eingeführt 
war. Damit follten die Schranken niedergeriffen werben, die 
Lamprecht Diftelmeyer ber widerrechtlichen Ermeiterung ber 
Adelsmacht hatte jegen wollen, indem er duch die Sammlung 
von Rechtsſprüchen den dermalen geltenden Zuftand fefthielt 
und zugleid das Material zu einem einheitlihen märkiſchen 
Landrecht gewann. Obgleich unvollendet und au von jeinem 
Sohn als ungeeignet zur Publikation zurüdgehalten, hatte bie 
Arbeit doch durch abſchriftliche Verbreitung eine Autorität ge: 
wonnen, die den abligen Grundherren gelegentlich unbequem 
wurde. Am Frafjeften aber offenbarten die Selbſtſucht dieſer 
Herren ihre wirtfchaftliden Forderungen: für ihre Perfon 
wollten fie frei fein von allen Aus: und Einfuhr: und von 
allen Land: und.Waflerzöllen, und die Wirtjchaftspolitik follte 
ausihlieglih ihren Interefien angepaßt werden. Dazu kam 
dann jchließlih das Verlangen nad) ausdrüdliher Anerfennung 
des ſtändiſchen Steuerbewilligungsrehts: nur die im Land: 
tage verfammelte Gefamtheit der Stände oder ihre den großen 
Ausſchuß bildenden Deputierten follten dazu befugt fein. Daß 
bier der Schwerpunkt ber ganzen Aktion lag, zeigte ſchon das 


278 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


Pathos, mit dem die Herren den Rurfürften „bei allem Teuerften“, 
„als Vater des Vaterlandes“ beſchworen, in dieſem Punkte, 
„oon dem recht eigentlich des Landes Gebeihen und Verderben 
abhing“, Feine unverantwortli—hen Neuerungen, wie er 1598 
verſucht Hatte, einzuführen, denn man würde fi ſolchen nit 
fügen und fein ehrlicher Mann fi dazu gebrauden lafien 
fönnen. 

Joachim Friedrich unterließ nicht, ſolche Zumutungen ges 
bührend zurüdzumweifen und bie Grundlofigfeit der erhobenen 
Beſchwerden darzuthun, zeigte au, wie er zu helfen und zu 
beſſern verfucht habe, aber wegen mangelnder Beihilfe oder 
gar feindlichen Gegenwirkens der Stände nichts erreicht habe. 
Dennod berief er den großen Ausfhuß im Oktober 1599 noch⸗ 
male. Set beſchwor diefer gar das Schredbild der fozialen 
Revolution herauf: bei der allgemeinen Notlage fei ein Aufz 
ftand der Bauern und Bürger unvermeidlich. Neue Steuern 
feien ganz unmöglich; trotz Mißwachs, Pet und Teuerung habe 
das Land in den legten Jahrzehnten an Abgaben mehr als 
jebes andere getragen. Diejelben abligen Herren, die ſich feit 
einem Menſchenalter auf Koften des gemeinen Mannes be— 
reicherten, warfen fi plöglic zu defjen Anwälten auf und 
konnten die Zage nicht erbärmlich genug ſchildern, während das 
Land fi thatfächlich behäbigen Wohlftands erfreute. Redlich 
bemühte fih der Kurfürft um einen Vergleih: er legte den 
Kreiſen den Entwurf einer Polizei» und Landesfonftitution zur 
Begutachtung vor, trat auch der Errichtung des gewünſchten 
Appellationsrates näher. Aber weder mit dem einen noch mit 
dem anderen fam er zum Ziel. Nicht bloß, daß er den Bauern- 
ftand gegen den Adel zu fügen fuchte, wurde ihm bitter ver- 
dat: als ein Attentat auf die Landesverfafjung ſah man es 
an, baß er dabei nochmals verſuchte, die ſchwer zu behandelnde 
Gejamtheit der Stände durch eine Feine Anzahl gewählter 
Vertreter zu erfegen. Wie weit die Löfung der ftaatlihen Orb» 
nung bereitö gebiehen, wie tief die landesherrliche Autorität 
geſunken war, bewies die Thatfache, daß das Konfiftorium fi 
unterftand, ſeinerſeits die Stände darauf aufmerkfam zu machen, 
in ben kurfürſtlichen Propofitionen fei die Konfordienformel 


1. Die ſtaatliche Reuorganifation der Marten. 279 


nit ausdrüdlich erwähnt, während der Calvinismus am Hof 
und im Lande Boden gewinne. Diefem Zuſammenwirken luthe- 
riſchen Eifers und ftändifcher Libertät mußte Joachim Fried: 
rich weichen: wollte er es nicht zu offener Rebellion kommen 
laffen, mußte er fi beugen und unterſchreiben, was man ihm 
vorlegte. 

Denn je länger dieſer Zuftand dauerte, um jo größer 
wurbe bie Gefahr. Im Reiche drohte der Krieg; in Preußen 
galt es, bei dem nahen Ende des Gubernators ſchnell zu han: 
deln; die Jülich-Cleveſche Sache wuchs zu ungeheuren Dimen- 
fionen. Und dabei war die Teſtaments- und Teilungsfrage trotz 
des Geraer und bes Magdeburger Abkommens noch nicht end» 
gültig geregelt. Noch hatten Joahim Friedrichs Stiefbrüber 
fi nit einverftanden erflärt, noch die älteren von ihnen nicht 
auf die aus dem väterlihen Teftament erlangten Rechte ver- 
zichtet, noch gab ihre ehrgeizige Mutter die Sache nicht ver- 
loren. Bon Kroffen, ihrem Witwenfig, aus warb fie bei den 
benachbarten Höfen und in Prag um Hilfe. In dem aufs 
ſäſſigen märkiſchen Adel erftand ihr jegt ein Bundesgenoſſe; 
namentlih in der Neumark, wo die Erinnerung an bie guten 
Zeiten des Markgrafen Johann fortlebte, fhien man bereit 
zu handeln. Alles hatte fi gegen Joachim Friedrich ver: 
ſchworen. Nur ein ſchneller Entſchluß konnte die drohende 
Vereinigung ſeiner Gegner hindern: es galt die einen zu ge— 
winnen, um den anderen Halt zu gebieten. Das ging nicht 
ohne Opfer. Joachim Friedrich brachte ſie im Gebiet der inneren 
Politik, um der auswärtigen alle Möglichkeiten zu wahren: er 
verzichtete auf die Einfchränfung der Stände und machte mit 
ihnen feinen Frieden. 

In dem ftolzen Gefühl diefes Sieges ftrömten im Februar 
1602 über 1400 Prälaten, Herren, Ritter und ftäbtifhe Ab 
geordnete in Berlin zufammen. Der Erfüllung ihrer For— 
derungen waren fie um fo fiherer, als fie dem geſchickten und 
überzeugungstreuen Vertreter der lanbesherrlichen Gerechtfame, 
dem Kanzler Johann von Xöben, in ihrem Sprecher, dem Direk⸗ 
tor der mittelmärfifchen Landſchaft, Adam von Schlieben, einen 
ebenfo gewandten und jchlagfertigen, wie politifh feinen und 


280 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


beharrlichen Vorkämpfer entgegenftellten. Dod ging es nicht 
ganz fo glatt, wie manche erwartet haben mochten: über zwei 
Monate wurde geftritten und gehandelt. Zwar ließ der Kur- 
fürft in der Eröffnungsrebe, die duch einftimmigen Beſchluß 
ſämtlicher Räte feftgeftellt war, den Kanzler erklären, er ſei 
bereit, die Forderungen der Stände jetzt zu bemwilligen, und 
auch der Rurprinz folle fi dahin für die Zukunft verpflichten. 
Das aber genügte den Ständen ſchon nicht mehr. Die Mit: 
auffiht über Schule und Kirche erſchien ihnen jegt nicht als 
ausreichende Sicherheit gegen das Eindringen des verhaßten 
Galvinismus: „um wahrer Richtigkeit“ willen jollten ben 
Konfiftorialräten etliche vom Adel zugejellt werden. Weil die 
Landesherrſchaft fi) in der legten Zeit gelegentlich der Bauern 
angenommen hatte, verlangten jegt biefelben Herren, die bes 
gemeinen Mannes Sache erft nicht rührfam genug hatten dar— 
ftellen können, daß körperliche Züchtigung die mutwillig klagenden 
Bauern treffe; fie follte auch gegen die in Anwendung gebracht 
werben, welche die Unterthanen zu grundlofen Klagen anftifteten. 
Dabei verwahrten fie ſich von neuem gegen die Verbindlichkeit 
der Diftelmeyerfchen landrehtlichen Sammlung. Wie das Lande 
recht ausfallen würde, das dieſe Geſetzgeber ſchufen, ließ fi 
vorausfehen. Aber nicht genug damit: eine Reihe von unter 
georbneten Beſchwerden der Stände wurde einem Schiedsgericht 
vorbehalten, defien Spruch der Kurfürft fi zum voraus unter: 
warf. Wenn er aber dabei die Erwartung ausfprad, die 
Stände würden fi weifen laffen und nicht vergefjen, daß fie 
nit mit ihresgleihen, ſondern mit ihrem Landesheren ver: 
handelten, jo konnte das Ergebnis bes Berliner Landtages von 
1602 bei ihnen nur geringe Neigung dazu erzeugen. Denn 
in diametralem Gegenfag zu dem, was er bei dem Beginn der 
Verhandlungen mit den Ständen 1598 erftrebt hatte, mußte 
Joachim Friedrich fih verpflichten, nit neue Schulden zu 
maden, ohne Zuftimmung ber Stände weder Steuern aufzu= 
legen, noch etwas von Land und Leuten zu verfaufen, zu ver- 
pfänden oder fonftwie zu vergeben und fich jedes Eingriffs in 
das ftändifche Kreditwerk zu enthalten. Ausdrücklich mußte 
er auf jede einfeitige Aenderung biefes oder eines fonft den 


1. Die ſtaatliche Neuorganifation der Marten. 281 


Ständen bemwilligten Reverſes verzihten. Durch Unterzeich 
nung und Unterfiegelung diefer Erklärung band ſich auch der 
Kurprinz. Und die ganze Gegenleiftung beſtand in ber Ueber: 
nahme der von Johann Georg hinterlaſſenen 600 000 Thaler 
Schulden durch die Stände! 

Schwer trafen diefe den abligen Herren gemachten wirt: 
ſchaftlichen Zugeftänbnifie die Städte. Nicht genug, daß bei 
der Verteilung der bewilligten Steuern ber Adel auch jegt bie 
Hauptlaft auf die Städte und das übrige auf feine Bauern 
und Dienftleute abwälzte: er ließ ſich auch gleich Befreiung 
von allen fünftig zu bemilligenden Steuern, jowie von ben 
wichtigſten indirekten Abgaben verbriefen. Den größten Uns 
willen aber erregte. es bei den Städten, daß bie Herren, von 
allen Land: und Waflerzöllen befreit, Getreide, Wolle, Hanf, 
Flachs und alle anderen landwirtſchaftlichen Produkte auflaufen 
ober auffaufen laſſen und bireft ausführen und ebenfo ihren 
Bedarf an fremden Waren von im Lande umberziehenden aus- 
ländiſchen Händlern kaufen durften. Das galt damals als ein 
gewaltthätiger Eingriff in die ben Städten gebührende „Nah— 
rung”. Noch Schlimmeres war zu erwarten, wenn bie Schließung 
des Landes, das heißt das Verbot der Ausfuhr, das gelegent- 
lich zum Vorteil der Städte erging, hinfort in dem Belieben 
des großen Ausfhufles, das heißt des Adels lag. Die Vor— 
ftelungen ber ftädtifchen Deputierten blieben vergeblich, ver- 
geblih ihre Erflärung, daß die Städte nun neue Laften un- 
moöglich übernehmen fünnten, vergeblich ihre Bitte, fie ihres 
Auftrags zu entbinden und durch Furfürftliche Ernennung tüch⸗ 
tigere und qualifiziertere an ihrer Statt zu berufen. In harten 
Worten verwies ihnen Joachim Friedrich ſolche Weiterungen 
und befahl, fi zu gebührender Dienftwilligkeit zu bequemen. 

Zur rechten Zeit machte diefer Frieden mit den murrenden 
Ständen. Denn no hatte feine Stiefmutter das Teftament 
Johann Georgs nicht verloren gegeben, fondern dachte mit 
Hilfe des Adels an die Gewalt zu appellieren. Als etliche Mo— 
nate fpäter, während der Kurprinz in Preußen weilte, Joahim 
Friedrich ſchwer erkrankte, glaubte fie die Zeit zum Handeln 
gelommen. Der Kurfürft, fo behauptete fie, fei tot oder von 


282 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


geiftiger Schwäche befallen wie der Herzog von Preußen: fie 
wollte nad Berlin gehen und bis zu des Kurprinzen Rückkehr 
die Regentſchaft übernehmen, in der Neumark aber ihrem Sohn 
Ehriftian huldigen laffen. Der Handftreic wäre wohl gelungen, 
ehe der Streit zwiſchen Joachim Friedrih und den Ständen 
begliden war: jegt vereitelte ihn bes Kurfürften Genefung 
ſchnell. Daß fi die Kurfürftin-Witwe in der Mark hinfort 
nicht wohl fühlte, ift begreiflih: fie verließ das Land und 
nahm ihren Aufenthalt in Amberg. 

Sole Zuftände im Innern hinderten ein kraftvolles Aufz 
treten nad) außen: um Konflikte zu vermeiden, die man jeßt 
doch nicht ausfechten. konnte, galt es zurückzuweichen. Das ge: 
ſchah zunädft in der Straßburger Sade. Johann George 
Verfuh, durch die Teilnahme feiner Gejandten an dem ober: 
theinifchen Kreistage 1600 ein Präjudiz zu feinen Gunften zu 
ſchaffen, hatte die Sprengung der Verfammlung zur Folge; 
ebenſo erging es 1601. So griffen beide Teile wieder zu den 
Waffen, obgleich Johann Georg nur von Württemberg und 
der Stadt Straßburg Hilfe zu Hoffen hatte. Bald war faft 
das ganze Stift im Befig des Meter Biihofs. Joahim Fried: 
rich lehnte jedes Eingreifen ab: er fürchtete dadurch ber katho— 
lichen Reaftion nur einen erwünjäten Vorwand zu geben. 
Vergeblih warb aud die Heidelberger Union um feinen Bei- 
tritt, obgleich Johann Georg und ber Gubernator von Preußen 
ihr beigetreten waren. Die Unſicherheit der franzöfiihen Hilfe 
und der Tod Elifabetha von England (24 März) mahnten zur 
Vorfiht. Und nun ftarb wenige Wochen fpäter (26. April) 
Markgraf Georg Friedrih. Zugleih mit dem Schidjal des 
Gera:Magdeburger Vertrages ftanden jegt die Jägernborfer und 
die preußiſche Frage zur Entſcheidung, die Jülichſche aber rüdte 
in drohende Nähe. 

Markgraf Chriftian hatte jegt zu wählen, ob er Durch Ver— 
sicht auf die Anſprüche, die er nad) des Vaters Teftament auf 
einen Teil der Mark zu haben behauptete, die reihe Ent: 
ſchädigung gewinnen wollte, die ihm zu Gera und Magdeburg 
verheißen war, oder einen ausſichtsloſen Rechtsſtreit beginnen, 
der ihm felbft nichts nügte, aber den Feinden jeines Haufes und 








I. Die ſtaatliche Neuorganifation der Marten. 283 


der evangelifhen Sache in die Hände arbeitete. Zudem hatte 
das üble Verhalten feiner Mutter, deren neue Ehepläne bald 
der ganzen fürftliden Verwandtſchaft ſchweres Aergernis gaben, 
feine Stellung nicht gebeflert. Daher trafen beim Begräbnis 
Georg Friedrich der Kurfürft, den der Kurprinz und der Straß- 
burger Prätendent begleiteten, und feine beiden Stiefbrüber 
Chriſtian und Joachim Ernft zuſammen und unterzeichneten am 
11. Juni 1603 zu Onolzbach den Vertrag, durch den die beiden 
legtgenannten die Geraer Abmadhungen annahmen und allen 
Anrechten auf die Neumark u. ſ. w. entfagten. Die drei Brüder 
wollten binfort „für einen Mann ftehen“, bie jüngeren ben Kur= 
fürften als das Haupt des Haufes „brüberlich refpeftieren und 
ehren” und ihre beiden jüngften Brüder Johann (geb. 1597, 
geft. 1628) und — den nad) des Vaters Tod geborenen — Johann 
Georg (geb. 1598) nad vollendetem adtzehnten Lebensjahre 
zu fi nehmen und ftandesgemäß verforgen. 

Dies Abkommen ermöglichte eine befriedigende Löfung fo: 
wohl der Jägerndorfer wie ber Straßburger Frage. Das 
ſchleſiſche Herzogtum, das Joachim Friedrich nun in Befig nahm, 
wurde zur Verforgung Johann Georgs beftimmt, fobald biefer 
aus dem ausfichtslofen oberrheinifchen Abenteuer gelöft war. 
Unter Vermittelung Württembergs wurde mit Karl von Guife 
unterhandelt und den 12./22. November 1604 zu Hagenau 
dahin abgeſchloſſen, daß der Hohenzoller gegen Zahlung von 
130 000 Gulden und ein auf bie rechtsrheinifhen Stiftsämter 
eingetragenes Jahrgeld von 9000 Gulden allen Anrechten auf 
das Bistum entfagte. Finanziell machte er ein leidliches Geſchäft; 
fonft aber bedeutete dieſer Ausgang doch nur eine neue Nieber- 
lage der Evangelifhen: wie in Köln, fo hatten auch hier die 
Katholiken dem geiftlihen Vorbehalt Anerkennung erzwungen. 
Das fteigerte die Zuverſicht des Faiferlihen Hofes: er bean- 
ſpruchte Jägerndorf als erlebigtes böhmifches Lehen und er- 
Härte das Abkommen zwifchen ben beiden hohenzollernſchen 
Linien für ungültig, weil es nicht beftätigt und feine Mit: 
belehnung erfolgt war. Als ber Kurfürft das Land dennoch 
Johann Georg übergab, wurde diefem die Faiferlihe Aner— 
kennung und Belehnung verweigert, ja die Herausgabe und 





284 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


Rückzahlung aller feit 1603 gezogenen Einkünfte gefordert. Weſſen 
hatte man fi danach weiterhin von dieſer Seite zu verfehen? 
Um jo gefährliher war der Dualismus, der feit dem 
legten Siege ber ftändifchen Libertät das brandenburgiſche 
Staatsweſen zerriß. Als geborene Räte des Landesherrn hatten 
die Stände ſich gelegentlich auch als Vertreter von Land und 
Dynaftie bewährt: feit 1602 ftanden fie dem Kurfürften ſowohl 
wie den Bürgern und Bauern gegenüber als eine Partei, die 
Kirche, Staat und Wirtfhaft für fi) ausbeutete. Yon Ver: 
ſtändnis für die Zeichen der Zeit, von Einfiht in die Aufgaben 
Brandenburgs, von gutem Willen an ihrer Löfung mitzuarbeiten 
findet fi} bei ihnen nicht die Spur. Was war den Herren 
Preußen und Zülih-Cleve? Die Verfechtung folder Anſprüche 
drohte Störung ihres behäbigen Landjunkerdaſeins, finanzielle 
Zumutungen und militärifches Aufgebot, und zwar im Dienfte 
einer Politif, die bei den Calviniften Anlehnung ſuchte. Die 
Engherzigfeit der Stände, ihr Mangel an Staatsbewußtjein 
und Pflihtgefühl, ihre feige Scheu vor jedem Opfer erforbernden 
Handeln verjuldeten den tiefen Fal Brandenburgs während 
des nächften Menfchenalters. Ganz aufgegangen ijt die unheil- 
volle Saat des Jahres 1602 erft 1635—1640, und mas Jo: 
achim Friedrich gefehlt, hat fein Enkel ſchwer gebüßt. Aber 
Joachim Friedrich erfannte die gegebenen Schwierigfeiten und, 
mas mehr war, er begegnete ihnen rechtzeitig vorforgend, in= 
dem er die Stellung, die als geborene Räte des Landesheren 
die Stände eingenommen hatten, nun aber, wo fie Partei ge- 
worden, weber einnehmen fonnten nod wollten, auf eine 
Körperjhaft übertrug, die ihm und feinen Nachfolgern einfacher 
und wirffamer leiftete, was in Momenten eines Aufſchwunges 
jene feinen Vorgängern geleiftet hatten. Zur Vertretung des 
Staatsinterefies jHuf er den Geheimen Rat: feine Entftehung 
bezeichnet, wie man auch über feine urfprünglice Bedeutung 
urteilen mag, einen epochemachenden Fortſchritt in ber flaat- 
lihen Ausgeftaltung Brandenburgs, obgleich der Schwerpunft 
feiner Wirkſamkeit zunähft weniger in der inneren ala ber 
auswärtigen Politif lag und er weniger die Gegenwart ordnend 
beeinflußte als die Zufunft fürſorglich ſichern jollte. 


I. Die ftaatlihe Neuorganifation der Marken. 285 


Die Vorverhandlungen zur Errichtung des Geheimen Rates 
fennen wir nit. Wenn aber im Eingange des vom 13. De: 
zember 1604 batierten Erlafjes, ber ihn ins Xeben rief, nad 
dem Dank für die „mit anfehnlihen, weitleuftigen Landen” 
ausgeftattete fürftlihe Stellung, zu der Gott ihn berufen, der 
Kurfürft von den „ganz hoch angelegenen, beſchwerlichen Sachen“ 
ſpricht, die er „auf ſich liegen” habe, babei an erfter Stelle 
die preußiſche und die jülihide erwähnt und als den Grund 
anführt, der ihn das Bedürfnis „guten reifen Rats und ge— 
treuer Leute” befonders habe empfinden laſſen, fo zeigt das, 
daß e3 zunächſt jene Anwartſchaften waren, um berentwillen 
er „nad dem Exempel anderer mohlbeftellter politien und 
Regimenten“ „etliche Verfaſſungen“ anorbnete, „dadurch hin⸗ 
führo diejelben mit guter Ordnung beratſchlaget und befto 
ſchleuniger expediert werden” möchten. Er hofft, bie pflicht- 
treue Thätigkeit der neuen Räte werde Gott zur Ehre und 
dem Kurhauſe zum Heil gereichen, insbefondere dazu beitragen, 
„obengebeutete beſchwerliche Sachen, daran — jo hoch und viel 
gelegen“ und „die auch faſt ale auf der Spigen ftehen”, „mit 
guter diseretion in Verſchwiegenheit, ohne einigen Verzug und 
intermission” zu vollführen. Nicht als eine dem Staate orga- 
nif und zu dauerndem Beftande eingefügte Behörde wurde 
der Geheime Rat errichtet, fondern zur Befriedigung eines der 
augenblidlihen Lage entfpringenden befonderen Bedürfnifies. 
Die Berufung auf das „Erempel anderer wohlbeſtellter politien 
und Regimenten” wird daher nicht auf die Nahahmung eines 
beftimmten Vorbildes zu deuten, fondern aufzufaflen fein nur 
als Aeußerung des monarchiſchen Gedankens, wie er feit Aus- 
gang des 15. Jahrhunderts in Franfreih und Burgund fo gut 
mie in Oeſterreich im Gegenfag zur Feubalität in einer bloß 
vom Landesheren abhängigen Zentralbehörbe dargeftellt war. 
Urſprunglich nicht ala folde gedacht, wurde auch ber von Jo— 
achim Friedrich gejchaffene Geheime Rat bald eine ſolche, teils 
infolge ber Energie, womit er bei feiner eigenartigen Zuſammen⸗ 
fegung das monarchiſche Prinzip den Ständen gegenüber ver: 
trat, teils duch die Erweiterung, die feine zunächſt auf die 
Vertretung der Anwartſchaften befchränfte Thätigfeit dadurch 


286 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


erfuhr, daß er notwendig auch die Befugnis haben mußte, die 
dazu erforderlichen Mittel von fi aus zu befchaffen und daher 
in die betreffenden Zweige der Verwaltung einzugreifen. Da 
eine kraftvolle auswärtige Politik des Rüdhalts einer gewaffneten 
Macht nicht entbehren konnte, dieſe aber ohne reichere und von 
den Launen der Stände unabhängige Mittel nicht möglich 
mar und deren Beichaffung am fiherften durch die Hebung aller 
Art von Erwerbsthätigfeit gefördert wurde, fo ergab ſich unwill- 
fürlih eine Einwirkung der neuen Zentralbehörde auf das 
Heerweſen, den Staatshaushalt und die Wirtihaftspolitif: der 
Geheime Rat wurde die oberfte Inftanz für alle Zweige der 
Staatsverwaltung mit Ausnahme der Nechtäpflege und bes 
Kirhenmwefens, für die im Rammergeriht und im Konfiftorium 
Spigen bereits vorhanden waren. 

Die ausgeſprochen monarchiſche, der ſtändiſchen Libertät 
feindliche Tendenz in Joachim Friedrichs Schöpfung tritt gleich 
darin zu Tage, daß der märkiſche Adel darin zunächſt keinen 
Platz fand. Der Kurfürft berief die Männer, bie ſich bereits in 
Magdeburg politiih und abminiftrativ bewährt hatten, den 
Kanzler Johann von Löben, den aus dem Saalfreis gebürtigen 
Hieronymus von Diesfau und den aus des Markgrafen Georg 
Friedrich Dienft in den feinen übergetretenen Franken Chriftoph 
von Waldenfels. Dazu fam eine Anzahl in den märkiſchen 
Dingen heimiſcher Räte bürgerlicher Abkunft, die Neumärker 
Doktor Chriftoph VBenedendorf, der ala Vizekanzler fungierte, 
und Doktor Friedrich Prudmann und die jüngeren Joachim 
Hübner, feines Lehrers Sohn, und Simon Ulrih Piftorius, 
der Sprößling eines berühmten ſächſiſchen Gelehrten und Be— 
amtengeſchlechts. Den Vorfig erhielt der Oberfämmerer Hierony- 
mus Schlid, Graf zu Baflano, ein Geſchlechtsgenoſſe jenes im 
Egerſchen heimijchen Kaſpar Schlid, der als Kanzler Kaifer 
Siegmunds und feiner beiden Nachfolger einft eine Rolle ge— 
jpielt hatte. Des Kurfürſten perfönliher Vertrauensmann, 
wurde er vom Abel beionders angefeindet, obgleich feine un- 
antaftbare Selbitlofigkeit den üblichen Verleumdungen keinen 
Anhalt bot. Dem Wirkungskreife, der dem Geheimen Rat zu: 
nächſt angemwiefen war, entiprady bie Berufung des Herrn Otto 





I. Die ftantlige Reuorganifation ber Marken. 287 


Heinrid von Bylandt, Barons von Rheidt, und fpäter die des 
vielfah bewährten Fabian von Dohna. Erfterer ftammte aus 
Jülich, letzterer aus Preußen: fie ericheinen als Vertreter der 
Lande, deren Vereinigung mit den Marken die hohenzollernfche 
Staatsgründung demnädhft vollziehen ſollte. Durch wiederholte 
Miffionen mit den Höfen befannt, auf die es da zumeift an- 
kam, Heidelberg, Paris und dem Haag einer und Brüffel 
und Warſchau andererfeits, waren fie bejonders geeignet, der 
auswärtigen Politit nüglich zu werden. 

Erſt diefe Zufammenfegung verlieh dem Geheimen Rate 
feine Bedeutung. Er war wirklich ein geheimer, im Gegenjag 
zu dem großen Rat, vor den die Kurfürſten bisher die wich— 
tigeren Angelegenheiten gebradjt hatten. Denn bei ber Natur 
der Fragen, bie er zunächft bearbeiten follte, war ftrengftes Ge— 
heimnis oft die erfte Bedingung des Erfolges: bei der bisherigen 
Gefhäftsführung war es faum möglich geweſen und mußte doch 
ſchon um der möglichen ſtändiſchen Gegenwirkung willen gefordert 
werben. Darauf zielte auch die Geſchäftsordnung, die JZoahim 
Friedrich vorſchrieb. Sie gebot Kollegialität der Beratung: ein 
jeber follte auf des Kanzlers Vortrag frei feine Anficht entwideln 
und in eingehender Debatte begründen fönnen. War Ein- 
ftimmigfeit nicht zu erzielen, fo follten auch die biffentierenden 
Vota mit ihrer Begründung zu Protokoll gegeben werden fünnen. 
Nur ganz allgemein wird die Richtung bezeichnet, die ber neue 
Rat politifch verfolgen follte. Es heißt da: „So dan unfere 
geheimen Räth vornemblih dahin zu traditen, Was zu be: 
förderung der Ehre Gottes und Erhaltung des Religionsfriedens 
dienlich, bevor aber, weil die gefährliche Praktifen der Papiften 
und Verfolgung unferer wahren Religion je länger je mehr 
geipuhret und mit Gewaldt durchgetrungen werben will, Des- 
wegen umb fo viell mehr von nötenn, mit gutem Rath allen 
befahrenden unheil zu begegnen.” Man fieht, wie Joachim 
Friedrich die Lage auffaßte und ſich zur Abwehr rüftete. Aus 
Rückſicht aber auf die konfeſſionelle Empfindlichkeit feiner Unter- 
thanen entzog er ale im eigenen Lande auftauchenden relis 
giöfen Streitfragen der Kompetenz bes Geheimen Rates als 
ausfhlieplih dem Konfiftorium zuftehend. 





288 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


Ferner wurde der neuen Behörde die Sorge für bes Kur: 
fürften Rammergut aufgetragen: ihre Mitglieder follten ben 
Kammer: und Amtsräten „Affiftenz leiften” und nötigenfalls 
mit gutem Rat beiftehen, namentlich wenn für die ihnen be- 
jonders befohlenen Angelegenheiten, das ift die preußifche und 
nieberrheinifhe Anwartſchaft, Geld aufzubringen oder Ver— 
befjerungen im Lande einzuführen wären. Denn Joachim Friedrich 
kannte den eigentlichen nervus rerum gerendarum. Wenn in 
allen das Kammergut betreffenden wichtigen Angelegenheiten bie 
beiden Räte zufammentreten, fi) verftändigen und das Ergebnis 
an ben Kurfürften bringen follten, jo wurbe damit bie oberfte 
Finanzleitung eigentlich) dem Geheimen Rat zugewieſen. Auch 
follte er das wirtſchaftliche Gebeihen des Landes zu fürbern 
ſuchen. Im Intereſſe der Ausfuhr von Getreide, Wolle und 
anderen landwirtſchaftlichen Produkten wurde Erſchließung des 
Waſſerweges nad Hamburg und Stettin empfohlen, wie Jo— 
achim Friedrich bereits als Abminiftrator von Magdeburg fi 
durch Schiffbarmachung der Saale verdient gemacht hatte. 
Doch jollten dabei die vornehmften Städte und verftändige 
Leute aus der Ritterj haft zu Nat gezogen werben. Endlich 
wurde der neuen Behörde in Gemeinihaft mit des Kurfürften 
„Dberften und Kriegsverftändigen“ auch eine Einwirkung auf die 
militärifhen Angelegenheiten eingeräumt, insbejondere den Bau 
und die Erhaltung der Feftungen, die Beſchaffung von Munition 
und Proviant, die Mufterung der Lehensdienftpflichtigen und 
alles jonft zur Landesverteidigung Nötige. Sie blieb aljo nicht 
auf eine bloß fonfultative Tätigkeit beſchränkt, fondern er— 
langte gleich eine umfänglihe Erefutive. Nur war dieſe nicht 
feſt umgrenzt und nicht Mar in ihre verſchiedenen Zweige ge: 
ſchieden: wie fie fih geitaltete, ausdehnte oder einſchränkte, 
Bing von den Erfahrungen der Praris ab, für melde die In: 
ftruftion nur gewiſſe allgemeine leitende Geſichtspunkte auf: 
ftelte. Der Kurfürft war der Mitglieder eben völlig ficher: 
auch bei heftigem Widerftreit der Meinungen hatte er doch nur 
verfchiedene Methoden zur Erreichung eines und desfelben Ziels 
vor fi, nicht aber die unverföhnbaren Sonderintereffen ftrei- 
tender ftändiiher Verbände. Das Staatswohl allein fam bier 


1. Die ſtaatliche Reuorganifation der Marken. 289 


zur Geltung: auch für die Entfheidungen des Regenten wurde 
es bie vornehmfte Richtſchnur. 

Als Joachim Friedrich verſucht hatte, die ſtändiſche Mit- 
wirkung bei gewifjen Staatsangelegenheiten auf zwölf von ihm 
ernannte Zandräte zu übertragen (S. 276), war das als eine 
rechtswidrige Neuerung verſchrieen, zu der fein ehrlicher Mann 
ſich gebrauchen laſſen dürfe: die Schaffung des Geheimen 
Rates kann man ala Antwort darauf bezeichnen. Hatten bie 
Herren ſich geweigert, als geborene Räte des Landesherrn in 
den Formen zu fungieren, welche angefihts der Lage allein 
zuläffig waren, fo hatte biefer damit das Recht erlangt, die 
unentbehrlichen vertrauten Räte in anderen Kreifen zu fuchen. 
Blieben fie von dem Zentrum der Staatöregierung ausge: 
ſchloſſen, jo hatten die Herren und Nitter das ſich felbft zuzu: 
ſchreiben. Vergeblich pochten fie auf das Indigenatsrecht, das 
doch nur dann Sinn hatte, wenn ber Verpflichtung des Fürften, 
die Regierung mit Landesangehörigen zu führen, bei biejen bie 
Bereitwilligfeit entſprach, ihm felbftlos zu dienen. Sonft trat 
die Klauſel in Kraft, welche die Verwendung von Ausländern 
im Notfalle geftattete. "In diefem Sinne äußerte fi Joahim 
Friedrih auch, als er endlih im Frühjahr 1606 zur Auf: 
bringung der ihn treffenden 100 000 Gulden Reichs- und Türken- 
fteuer den großen Ausſchuß wieder berufen mußte. Yon der 
Maſſe der vorgetragenen Beſchwerden wies er bie einen als 
unbegründet kurzweg zurüd, von den anderen that er dar, wie 
zumeift duch die Knauferei der Stände jelbft die Erfüllung 
ihrer Wünfche gehindert ſei. Mit ftrengen Worten, wie fie 
fie lange nicht gehört hatten, verwies er ihnen ben unziem: 
lien Ton, den fie ihm gegenüber angefchlagen hatten. Das 
machte Eindrud: die Herren eilten Abbitte zu leiften und be- 
teuerten, daß ihnen jede böſe Abſicht fern gelegen habe, 
ſchwiegen auch auf des Kurfürften Erflärung, Kreis: und Land- 
tage werde er hinfort nur in den äußerſten Notfällen berufen, 
fo weit es im Herkommen rechtlich begründet fei. 

Diefe Stellungnahme des Kurfürften gegen das ftändifche 
Weſen wurde auch für die preußifhe Sache bedeutend. Galt 
das Herzogtum doch für das gelobte Land der Libertät. Abbrechts 

Brub, Preubiſche Gefsige. I. 


290 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


Schwäde und jeines „blöden“ Sohnes Unmündigfeit hatten 
es politiſch und Firhlic den Regimentsräten überliefert, die 
nur ihren und ihrer Standesgenoſſen Vorteil Fannten und um 
fo mehr gegen die Brandenburger Kuratel waren, als fie die 
brandenburgiſche Erbfolge einzuleiten drohte. Doch hatten fie 
die Beftallung Georg Friedrichs zum Kurator nicht hindern 
können. Selbft den Titel eines Herzogs in Preußen hatte 
ihm König Stephan Bathory zuerkannt, weil er ſich nicht den 
preußifhen Ständen zuliebe mit einem Fürſten verfeinden 
wollte, der ihm mehrfach nützlich geworden, und um feine 
Kräfte ungeteilt gegen Türken, Tataren und Rufen verwenden 
zu können. So hatte Georg Friedrich die Zügel ftraffer an: 
ziehen können, freilich unter ftetem Hader mit den Ständen, 
die auf Grund des Indigenatsrechts feine fränkiſchen Räte ver- 
brängen wollten. Daß es ihm dennoch gelang, die preußifchen 
Bistümer aufzulöfen und die einheitliche Leitung der Landes- 
kirche einem herzoglichen Ronfiftorium zu unterftellen, war von 
Wichtigkeit, weil jo die politiſche und die kirchliche Oppofition 
ihren bisherigen gemeinfamen Stüßpunft verloren. Um fo 
mehr aber wollte man den Kurfürften trog Anwartſchaft und 
Mitbelehnung dem Lande fern halten, überjah aber in bem 
Eifer für die Libertät, wie viel größere Gefahren von ber 
anderen Seite brohten. Bereits Stephan Bathory hatte der 
Tatholifchen Reaktion in Polen freie Hand gelafjen: mit Sigis- 
mund III. wurde e& zur Domäne der Jejuiten, um im Nord: 
often die Rolle zu fpielen, zu der im Südweſten Philipp II. 
Spanien erhoben hatte. Brandenburgs Ausſchluß von dem 
ihm widerwillig eingeräumten Recht, Preußens Herabbrüdung 
zur polnifhen Provinz und Zurüdführung zur katholiſchen 
Kirche war das Ziel der auf den Reichstagen herrſchenden 
adligen Nationalpartei. Dazu bedurfte fie der Erhaltung der 
preußiſchen Libertät, die das Land zur Abwehr unfähig machte, 
und die preußiſchen Herren waren thöriht genug, darin den 
einzigen Zwed des Eifers zu fehen, den ihre polnifchen Be— 
ſchützer entwidelten. 

Hätte Sigismund III. gedacht wie feine Magnaten, jo 
wäre Joahim Friedrich feinem fränkifchen Vetter in der Kuratel 


I. Die ftaatlihe Neuorganifation der Marfen. 291 


nicht gefolgt; auch die brandenburgifhe Succeffion hätte dann 
feine Ausficht gehabt. Aber feit er zur Behauptung der ihm 
abgeſprochenen ſchwediſchen Krone die Waffen ergriffen hatte, 
mußte er Brandenburg vom Anſchluß an Schweden zurüdzu: 
halten fuchen, durch den es jein Recht auf Preußen am wirk: 
famften verfochten hätte. Gegen Geld war er bereit, die Sache 
(1601) nod bei Lebzeiten Georg Friedrichs nah Joachim 
Friedrichs Wunſchen zu ordnen. Wie aber hätte diefer hoffen 
dürfen, die geforderten 400 000 Gulden aufzubringen! Seine 
Bevollmächtigten legten fi aufs Handeln, boten ein Viertel, 
dann die Hälfte, verweigerten aber die verlangte Aenderung 
des Krafauer Vertrages von 1525 — größere Freiheit für 
die preußifchen Katholiken, Neuorbnung der Berufungen an den 
polnifhen Hof und Uebernahme eines Teils der polniſchen 
Reichsſteuer. Im Frühjahr 1603 unterhandelte man wieber, 
verſchob die Entjheidung aber auf den nächſten Reichstag: bis 
dahin folte Brandenburgs Recht in nichts gekürzt werben; 
ftarb der Gubernator inzwijchen, jo jollten einftweilen bie preu= 
Bifchen Negimentsräte die Ruratel wieder übernehmen. Wenige 
Boden danach ftarb Georg Friedrich. Würden bes Königs 
gute Abfihten gegen den Eifer der Magnaten durchdringen? 
Joachim Friedrich erwog ein Eriegerijches Eingreifen. Dagegen 
machte ber fundige Fabian von Dohna geltend, ein Krieg 
werde mehr koſten, als der König für Zulaffung der branden- 
burgiſchen Kuratel und Succeffion forderte, obgleich die erft 
verlangten 400000 Gulden inzwifhen auf fieben Tonnen 
Goldes gefteigert waren; felbft wenn er wegen der in Polen 
üblihen Handfalben noch mehr aufmwenden müßte, käme ber 
Kurfürſt beffer fort, da er ruhig daheim bleiben und biplo- 
matiſch auf Polen einwirken fünne. Danach handelte Joachim 
Friedrich. Er näherte fi noch mehr der Aftionspartei unter 
dem pfälzer Rurfürften, an deſſen Hof der Kurprinz 1604 viel- 
verheißende Beziehungen zu den Draniern und den Vereinigten 
Niederlanden knüpfte. Bald unterhandelte Geheimerat von 
Bylandt jogar wegen eines Bündnijjes mit Kurpfalz und der 
Republik, 

Das machte in Polen Eindrud. Einen Krieg um Preußen 


292 Zuweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


zu führen, war Sigismund II. nicht im ftande, da nicht bloß 
der Kampf mit Schweden noch anbauerte, fondern das Auf- 
treten des faljhen Demetrius ben nationalen und firhliden 
Eifer der Polen zu einem Angriff auf Rußland entflammte. 
Wie lodend erfhienen da die Summen, mit denen bie bran- 
denburgifchen Gefandten ihre erneuten Werbungen unterftügten ! 
Zu Beginn des Jahres 1605 follte in Warſchau der Abſchluß 
erfolgen: das übliche Reihen des Reichstags verhinderte es. 
Wohl aber billigte Sigismund die vorläufige Uebernahme der 
Kuratel durch den Kurfürften. Dagegen konnten auch die preu= 
ßiſchen Stände nichts thun: fie tröfteten fih damit, daß von 
der vorläufigen Kuratel zur Nachfolge noch ein gutes Stüd 
Weges fei. Die Brandenburgs aber, die Friegerifhe Vermide: 
lungen beforgt hatten, waren froh, ftatt des gefürchteten mili— 
täriſchen Aufgebots im Sommer 1605 nur 300000 Thaler 
gefordert zu fehen. Noch im Herbft ritt Joachim Friedrich 
nad Preußen, mit ihm feine junge Gemahlin Eleonore, bie 
am Berliner Hof aufgewachſene vierte Tochter des blöden Her: 
3098, die Schwägerin des Kurprinzen, die er trog feiner faft 
ſechzig Jahre nad breijähriger Witwenſchaft eben heimgeführt 
hatte. Am 9. Oftober z0g er in Königsberg ein. Gerade er: 
mutigend aber war feine Aufnahme nit. Man komplimen- 
tierte ihn fozufagen fehleunigft wieder aus dem Lande. Während 
die Städte ihm freundlich entgegenfamen, ftellten ihm die 
Herren vom Adel, ohne durch offene Ungebühr ihre wahre Ge: 
finnung zu verraten, die Lage als fo fritifh dar, daß er bei 
feinem geringen Gefolge für feine Sicherheit fürdtete und 
noch vor Zufammentritt des Landtages am 30. Oftober die 
Stadt wieder verließ. Wenn damals die Rede ging, „daß die 
Herren Regenten und die Landräte, die von Adel” ihn glauben 
gemacht hätten, die Verhandlungen auf dem Landtage würden 
in feiner Abweſenheit glatter verlaufen, jo entſprach das dem 
Sachverhalt wohl im wejentlihen. Sicherlich hatten die Herren 
den Abſchluß der Sache hinauszögern wollen. 

Denn ob man die brandenburgifche Succeffion ganz würde 
abwenden können, war zweifelhaft: um fo mehr follten die 
Befugniſſe des künftigen Landesherrn verfürzt und die Libertät 








1. Die ſtaatliche Reuorganifation der Marten. 293 


nad) polnifhem Vorbilde erweitert werden. An der Spige einer 
Deputation des preußifchen Adels ritt im Frühjahr 1606 der 
Hauptmann von Schafen, Dtto von der Gröben, nah War- 
ſchau: die Mittel dazu entnahm man eigenmädtig den „Zand- 
käſten“ zu Bartenftein und Ofterode. Mit dem Adel im pol: 
nifhen Preußen hatte man ſich verftändigt: einer feiner Ab: 
geordneten beantragte zwar die Belehnung Brandenburgs mit 
dem Herzogtum, verlangte. aber für ben dortigen Adel die 
Freiheiten, die dem Polens zuftanden, insbeſondere das Recht 
der Appellation an das polnifche Tribunal und einen Ausfhuß 
zur Unterfuhung der abligen Beſchwerden. Dem zuftimmen 
hätte für Sigismund III. auf alle Vorteile verzichten geheißen, 
die er aus dem Handel mit Brandenburg gewinnen fonnte, 
die materiellen ſowohl wie die politifhen. Aber auch nach der 
anderen Seite gejhah nichts, da bald danach die Oppofition 
des polniſchen Adels gegen Sigismund II. fi offen erhob. 
Zwei Jahre dauerte der Bürgerkrieg: der Sieg des Königs 
aber war zugleich ein Sieg der katholiſchen Reaktion, die nun 
auch Preußen, das polnifhe fo gut wie das Herzogtum, ber 
alten Kirche beugen wollte. So erftand der brandenburgifchen 
Succeffion ein neues Hindernis. In den nächſten Jahren fam 
die Sache feinen Schritt vorwärts: damit wuchs die Gefahr 
für die brandenburgifhen Rechte. Denn außer der Herzogin 
Marie Eleonore gab es am Königsberger Hof, ja in ganz 
Preußen niemanden, der für fie eingetreten wäre. Der Adel 
„polenzte”, das Heißt warb nicht bloß um die Gunft ber 
polniſchen Magnaten, fondern ahmte ihr Vorbild nad, ohne 
zu merfen, wie er fo auch feinen evangelifhen Glauben und 
feine beutjche Art dem Polentum preisgab. Joachim Friedrich 
und die Seinen erfannten die Gefahr: aber ihr energiſch zu 
begegnen, hinderte die allgemeine Lage. Eine Uebereilung in 
Preußen konnte der Funken werden, der den in Europa auf- 
gehäuften Zündftoff in Brand ſetzte. So hieß es auch dort 
an fi halten und zumarten, um das augenblidlich Unerreich⸗ 
bare wenigftens für die Zukunft erreichbar zu erhalten. 
Mebler noch ftand es um Jülich⸗Cleve. Denn heftiger als 
in Preußen ftießen dort die politifhen und kirchlichen Gegen: 





294 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


fäte zufammen. Das Schidfal der Reformation mußte fi 
dort entfcheiden: in Fatholifhen Händen wurde das Land, das 
bisher troß aller Bemühungen bes alten Herzogs treu zum 
Evangelium geftanden, das legte Glied in der Kette, bie in 
planvollem Zufammenmirken zwiſchen Prag und Madrid, Brüffel 
und Rom Deutichland und Europa angelegt war; in evans 
gelifchen blieb es ein Bollwerk für die kirchliche und politiſche 
Freiheit des Reis und Europas. Das jah auch Joachim 
Friedrich; aber ebenfo, daß hier allein die Mittel der Diplo: 
matie eingefegt werden fonnten. Auch ſchien er e& dabei zu: 
nädjft bloß mit der habsburgifch-Fatholifhen Gegnerfhaft zu 
thun zu haben. Entgegen aber der überwiegenden Anfiht, daß 
gemäß den Ehepaften nad dem Tode der Söhne, die Marie 
Eleonore von Jülich-Cleve Albrecht Friedrid von Preußen ge- 
boren hatte, ihre ältefte Tochter, die Kurfürftin von Branden- 
burg, Erbin bes Landes jei, machten die Gatten ihrer beiden 
jüngeren Schweftern Anna und Magdalene, Pfalzgraf Philipp 
Ludwig von Neuburg und Johann von Zweibrüden, den 
Wortlaut der Urkunde Karla V. von 1546 geltend, der nur 
den männlichen Nachkommen der ala erbberedhtigt anerkannten 
Töchter Herzog Wilhelms ein Nachfolgereht zufprad. Da nun 
Herzog Wilhelms (f 1592) Sohn, Johann Wilhelm, der auch 
in feiner zweiten Ehe mit Antoinette von Lothringen ohne 
Kinder geblieben war, unheilbarer Geiſteskrankheit verfiel, plante 
man eine gemeinſchaftliche Adminiftration des Landes dur 
die verſchwägerten Fürften bis zu gütlicher Verftändigung, die 
jebenfalls das evangeliiche Intereſſe wahrnahm und auf die 
Unterftügung der Niederlande und Frankreichs rechnen durfte. 
Dagegen ernannte der Raijer 1600 des Herzogs Gemahlin zur 
Mitregentin, jo daß für eine Abminiftration oder Kuratel for= 
mel fein Anlaß vorlag, offenbarte aber bald feine weiteren 
Abfihten. Als Johann Wilhelms jüngite Schwefter, die Witwe 
des Markgrafen Philipp von Baden, Sibylle, fih 1601 in 
zweiter Che mit feinem Vetter, Markgraf Karl von Burgau, 
verheiratete, weigerte fie den nach des Vaters Teftament zu 
leiftenden Verzicht zu Gunften Marie Eleonorens, und ber 
Kaiſer entjchied ſchließlich dahin, daß fie nur zu Gunften etwa 





1. Die ftaatliche Neuorganifation der Marken. 295 


noch zu hoffender Söhne ihres unglüdlihen Bruders verzichten 
ſollte. Alſo nicht bloß als Lehensherr dachte Rudolf fih der 
Sade anzunehmen. Um fo mehr mußten bie Prätendenten 
einig zu bleiben ſuchen, und bes Kurfürften Drängen auf Zu: 
jammentritt aller Evangelifhen zu gemeinfamer Verteidigung 
erſchien vollends als berechtigt. 

Wieder aber gingen die Albertiner ohne Rüdfiht auf das 
evangeliſche ntereffe ihren eigenen Weg. Zu Beginn des 
Jahres 1604 brachte Rurfürft Chriftian IL, Joachim Friedrichs 
Neffe, feines Haufes Anrechte auf das niederrheiniſche Herzog: 
tum zur Sprade und erbot fi), fie gegen einen „Rekompens“ 
an Land oder Geld dem Kaifer zu überlaffen, obgleich das 
albertiniſche Reht nur Julich und Berg betroffen hatte und 
durd) die Union mit Cleve bereit8 1516 erlofchen war. Aber 
auch auf die Rechte der Erneftiner berief er fih: da er in 
Weimar und in Altenburg als Vormund regierte, wollte er 
der Vertreter des ſächſiſchen Gefamthaufes fein. Eigentlich 
aber gab es erneftinifche Rechte überhaupt nit, da Sibylle, 
der Tochter Herzog Johannes III., bei der Vermählung mit Jo— 
hann Friedrich (1526) ein Erbanfprud nur für den Fall zu— 
erfannt war, daß Johann oder fein Sohn ohne Nachkommen⸗ 
ſchaft ftürbe, auf Wilhelm aber jein Sohn Johann Wilhelm 
gefolgt war. Augenfheinlic wollte die albertinifche Betrieb» 
ſamkeit fih nur ein Anrecht auf des Kaifers befonderen Dank 
erwerben, Brandenburgs Auffommen erſchweren und dem ver- 
baten Pfälzer Hinderniffe bereiten. In Prag mußte man, 
was dieſe Liebedienerei follte, und benugte fie gern, um bie 
wichtige nieberrheinifche Pofition den Evangelifchen vorzuent- 
halten. 

Und ſchon fpielte diefe Frage über die Grenzen des Reichs 
hinaus. Während die Niederlande etliche Grenzpläge als nur 
an Julich⸗Cleve verpfändet auslöfen wollten, beanſpruchte Herzog 
Karl von Nevers, ein Sohn jenes Ludovico Gonzaga von 
Mantua, der durch feine Heirat mit Henriette, der Erbtochter 
des Herzogs von Nevers, diefe franzöfiihe Pairie gewonnen 
hatte, auf Grund der Herkunft feiner Mutter von Engelbert, 
dem jüngften Sohne des Herzogs Johann I. von Eleve, biefes 





296 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


und die Grafihaft Mark, auf welche letztere außerbem ber 
Graf von der Mark und der Herzog von Bouillon Rechte gel: 
tend machten. Wohl mahnte die einfihtige Marie Eleonore zu 
ſchnellem Vergleich der Nächjftbeteiligten: aber der Kurprinz 
fcheint dagegen gewejen zu jein. Inzwiſchen wuchs mit dem 
Einfluß Ferdinands von Steiermark die Zuverfiht der Aftions- 
partei. Ein Gutachten des Neichshofrats that die Anfechtbar- 
feit aller erhobenen Anfprüche dar: die brandenburgifchen feien 
hinfällig, weil Herzog Albrecht in Acht und Bann geftorben , 
als Oberlchensherr fönne der Kaifer das fireitige Land einft= 
weilen in Verwahrung nehmen. Auch ging es auf ben von 
Kurſachſen angeregten Gedanken ein, nad) dem Erlöfchen des 
herzoglichen Haufes trete das Haus Burgund wieder in feine 
Rechte, Habe alſo Erzherzog Albrecht, der Statthalter der fpa- 
niſchen Niederlande, als Inhaber des ehemaligen burgundifchen 
Gebietes nachzufolgen. Einen gefeglihen Weg, um bas Land 
glei an Defterreich zu bringen, fand freilich auch der Reichs— 
hofrat nicht, zeigte aber do, wie auf einem Ummeg zum 
Biel zu kommen fei: den Kampf zwiſchen den Prätendenten 
abzumenden, follten noch bei Lebzeiten des unglüdfichen Her— 
3098 kaiſerliche Kommiſſare die Verwaltung übernehmen, bis 
zum rechtlichen Austrag der Sache führen und durch Befegung 
aller Aemter mit Katholifen für die Zukunft forgen. 

Was jollte Joahim Friebrih dem gegenüber thun? Im 
Reiche hatte er Feinen zuverläffigen Rückhalt. Auch die Union, 
die im Mai 1608 endlich ins Leben getreten war, bot ihn 
nicht ; zubem bejorgte er, fie werbe den Katholiken den Vorwand 
geben, ſich ebenfalls gewaffnet zu einen. Mehr verhießen aus— 
wärtige Bündniffe. Mit den Niederlanden war eben ein folhes 
vereinbart und den märkiſchen Ständen zur Begutachtung vor= 
gelegt. Demnächſt fam dafür Frankreich in Betracht. Trieb 
man aber damit nicht erft recht dem allgemeinen Krieg ents 
gegen? War Brandenburg einem folhen gewahjen? Würde 
nicht der Beginn des Kampfes im Weften im Norboften für 
den preußifhen Adel und die polniſche Nationalpartei das 
Signal zur Erhebung fein? War dort doch eben (23. Mai) die 
einzige zuverläffige Vertreterin ber hohenzollernihen Erbfolge, 


I. Die ſtaatliche Reuorganifation der Marten. 297 


Herzogin Marie Eleonore, mit Tod abgegangen. Ihr Schwieger- 
john, der Kurprinz, hielt es für nötig, dort felbft nach dem 
Rechten zu ſehen: unterwegs ereilte ihn die Nachricht von dem 
plöglihen Tode des Vaters. 

Am 17. Zuli war Joahim Friedrich zu Storkow heftiger 
als je von aſthmatiſchen Beſchwerden befallen: im Gefühl des 
nahen Todes trat er am 18. die eilige Heimreife nad Berlin 
an, aber nod vor der Einfahrt in Köpenid machte ein Schlag: 
fluß feinem Leben ein Ende. 


U. Die Grwerbung Cleves und Preußens und der 
Anſchluß an die Reformierfen durch Johann 
Sigismund. 1608 — 1619. 


Al⸗ Joachim Friedrich ſtarb, war ſein Erbe unterwegs nach 
Preußen. Bei der Größe der Intereſſen, die dort auf dem 
Spiel ftanden, ſetzte er die Reife fort. Am 8. Auguft traf er 
in Königsberg ein. Die Marken befahl er Adam Hans Edlem 
zu Putlig als Statthalter. Daß eben in jenen Tagen fein 
jüngfter Bruder Chriftian Wilhelm (geb. 18. September 1587) 
mit vollendetem einundzwanzigiten Jahr die bisher von dem 
Domkapitel geführte Regierung des Magdeburger Erzftiftes 
felbft in die Hand nahm, war bei der zweideutigen Haltung 
Kurſachſens eine glüdlihe Fügung. 

Auch in Preußen war die Lage kritiſch. Da für Johann 
Sigismund als Gemahl Annas von Preußen die Kuratel erft 
recht als Vorftufe zur Nachfolge galt, ftieß er bei dem Werben 
darum aud auf jtärferen Widerftand. Die Städte freilich 
hatten nachgerade erfannt, was ihrer wartete, wenn bas mon= 
arhifche Element, das durch Markgraf Georg Frievrih und 
Johann Sigismund elbft endlich wieder würdig vertreten war, 
aus der eben gewonnenen Stellung verdrängt wurde und bie 
preußif—hen Herren ihren Wunſch nad} getreuer Nahbildung der 
polnischen Libertät erfüllt ſahen: während diefe Preußen ber 
polniſchen Republik inforporieren wollten, wünfchten fie durch 
Anerkennung des Erbrechts Johann Sigismunds die deutiche 
Zukunft des Landes gefihert zu jehen. König Sigismund war 
dem nicht abgeneigt: denn noch beftand die Gefahr des An- 
ſchluſſes von Brandenburg an Schweden. Auch lodte ihn der 
finanzielle Gewinn, der ſich dabei machen ließ. Schwierig blieb 
es, den polnijchen Glaubenseifer zu beſchwichtigen, größere Frei- 


U. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 299 


beit für die preußifchen Katholiken zu erringen, was bem ftarren 
Zuthertum der preußiihen Stände nicht leicht abzugewinnen 
war. So verſchob der König die Entſcheidung auf den zu Beginn 
des Jahres 1609 angefagten Warſchauer Reichstag und gab 
dadurch der preußifchen Oppofition Zeit zu planmäßigem Gegen= 
wirfen. Ihre Bevollmächtigten erbaten von den weſtpreußiſchen 
Ständen Hilfe zur Verteidigung der durch die Ruratel bedrohten 
Freiheit: trog des Widerſpruchs von Danzig und Elbing wurde 
fie zugefagt. Noch feder traten die Gejandten des preußiichen 
Adels in Warſchau auf: nicht genug, daß fie die Inkorporierung 
des Herzogtums als durch das Intereſſe Polens geboten for: 
derten, fie ergingen fi vor dem Senate in Schmähreben gegen 
Joachim Friedrih, der fie in Knechtſchaft zu ftürzen gefucht 
habe. Noch voller nahmen fie den Mund vor den Landboten, 
freilich auch da ohne den gewünſchten Eindrud. Daneben ließen 
fie die Künfte der Beſtechung fpielen: auch den König meinten 
fie faufen zu fünnen. Dagegen kamen bie ſtädtiſchen Geſandten 
nit auf, wenn fie maßvoll und fachlich darlegten, wie man 
am beften thue, die Nachfolge gleih im Sinn Brandenburgs 
zu ordnen. Johann Sigismund wurde zunädft nur die Ruratel 
zugeſprochen: polnifhe Kommiſſare follten fie ihm in Königs: 
berg übertragen. 

Der Anfang war nicht eben ermutigend, zumal ſich bei 
der bekannten polnifchen Art mit Sicherheit erwarten ließ, daß 
die Erfüllung ber Zufage hinterher von allerlei Nachforderungen 
abhängig gemacht werden würde. Die Zeit bis zur Ankunft 
der polnifhen Kommiſſare benugte der Kurfürft, in den Marken 
nad dem Rechten zu jehen. Die ftändifchen Freiheiten hatte 
er bereits von Königsberg aus beftätigt. Dennoch machte fi 
bald ein Gegenfag zwiſchen feiner landesherrlihen Praris und 
dem theoretifchen Recht der Stände geltend. Da kam die Nach— 
richt, daß am 25. März der wahnfinnige Johann Wilhelm von 
Jüulich⸗Cleve geftorben jei. Nun follte Johann Sigismund, noch 
nicht recht Herr Preußens, im Weften einen ſchweren Kampf 
auf fi nehmen. Der fhon von Joahim Friebrih gewonnene 
Vertrauensmann, der clevefhe Edle Stephan von Hartefelb, 
proffamierte in den Hauptorten fofort den Regierungsantritt 





300 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


des NKurfürften und ließ das brandenburgifhe Wappen an- 
ſchlagen. Am liebften wäre der Kurfürft dorthin geeilt: doch 
hätte er jo in Preußen alles aufs Spiel gejegt. So entfandte 
er feinen Bruder, den jechsundzwanzigjährigen Markgrafen 
Ernſt, nad) Cleve und eilte jelbft nach Königsberg zurüd. Vor 
verfammeltem Landtag übertrugen ihm die polnifhen Kom— 
mifjare Ende Mai die Kuratel, nachdem der Adel auf bes 
Königs Befehl für fein unziemliches Auftreten und bie zu 
Warſchau geführten Reden Abbitte geleiftet hatte. Die Be: 
lehnung unterblieb: daß fie durch weitere Zugeftänbnifje werde 
erfauft werben müſſen, zeigten bie Forderungen, bie König 
Sigismund zu Gunften der preußifhen Katholifen erhob, deren 
Bewilligung aber die preußiſchen Herren ala ein Attentat an 
dem Heiligften brandmarlten. 

Ernft genug war die Lage. Aber Johann Sigismund 
blieb gutes Muts: Gottes Sache ſei es bo, fo ſchrieb er 
feiner Gemahlin, um die es fi) handele, Gottes Ehre und 
feine Kirche gehe es an, daher werde Er auch ſchon raten und 
thaten; ihm felbft bleibe nichts als fleißig zu beten, da er fi 
Gottes Willen beuge und nur als ein lieber und getreuer 
Knecht erfunden werden wolle. Diefe Worte offenbaren ven 
fataliſtiſchen Grundzug in feinem Denken. Mit naiver Zuver: 
fit meinte er des von Gott gewollten Ausganges fiher fein 
zu können und ließ die Dinge gehen, fo weit fein Gewiſſen 
dabei ruhig blieb. Wo aber diefes ſich regte, wurde er unbeug- 
ſam. Und eben das macht den leichtlebigen und bequemen 
Heren zu einer bedeutenden und ſympathiſchen Erſcheinung. 
Dank diefer Gabe Hat er durch alle politifhen und kirchlichen 
Wirrſale, man möchte fagen inftinktiv, den richtigen Weg ge— 
funden. Sie verlieh feiner weichlichen und finnlihen Natur, 
mo e8 große Fragen galt, eine überrajhende Feftigkeit. Empfäng⸗ 
lih und bildfam Hatte er eine eindrudreihe Jugend hinter ſich, 
ala er (geb. 8. November 1572) in der Blüte der Jahre zur 
Regierung fam. Ihn dem Einfluß der calviniftifhen Neigungen 
des Vaters zu entziehen, hatte Johann Georg ihn früh an 
feinen Hof genommen, auch dur einen Revers ſich auf das 
reine Luthertum verpflichten laflen, ehe er bie Univerfität 


1. Die Ermerbung Cleves und Preußens. 301 


Straßburg beziehen durfte. Dort war dem gut vorgebildeten 
Jüngling eine neue Welt aufgegangen. Menſchen und Dinge, 
Staat und Kirche erſchienen ihm in einem ganz anderen Lichte, 
als er fie in den engen märkijchen Verhältniffen gefehen hatte. 
Das freiere, politifcere, thatfräftigere reformierte Wefen wirkte 
Härend und ftählend auf ihn ein. In Anna von Preußen, ber 
er im Herbft 1594 vermählt wurde, gewann er eine Gattin, 
die fi) der in ihr beruhenden Rechte ihres Haufes voll bewußt 
war und troß ihres Zuthertums Religion und Politik in Eluger 
Vorausfiht und befonnener Thatkraft zu verknüpfen mußte: 
ihr klarer, fefter und gläubiger Sinn wurde ihm Halt und 
Stüge. In Preußen, mo er von 1599—1602 wie ber Statt- 
halter des Kurators Georg Friedrich waltete, hatte er die poli- 
tiſche DVerkehrtheit des orthodoren Luthertums kennen gelernt 
und ſich unmerflih von ihm emanzipiert. In langſamem 
Wandel feines Denkens näherte er jih den Reformierten. Ihre 
ftrenge Selbſtzucht freilich blieb ihm fremd: unruhig, gern 
unterwegs, ein tücdhtiger Zecher, auffahrend bis zum Jähzorn, 
dann wieder nachgiebig, zerbrad er fi nicht gern den Kopf 
und ſchob bei ſchwierigen und unangenehmen Dingen mit ber 
Entſcheidung auch gern die Verantwortung auf andere ab. 
Wo fein Gewiſſen in Frage fam, fein felbft unbedingt ficher, 
war er in allen anderen Dingen mehr ein Mann des Ge: 
fühle als des Verftandes, des gläubigen Zumartens als des 
gewagten Handelns, mehr ein Beter als ein Kämpfer. 

Noch während er in Königsberg weilte, erwies es ſich als 
unmögli, die ganze jülihihe Erbſchaft allein zu behaupten. 
Gleich nad der brandenburgiſchen Befigergreifung erſchien bes 
Neuburger Pfalzgrafen Sohn Wolfgang Wilhelm im Lande. 
Am Düffelvorfer Hof aufgewachſen, galt er mandem für den 
fünftigen Herrn. Im Namen feines Vaters ergriff auch er 
Befis: man ſah fein Wappen neben dem brandenburgifchen, 
während ein heftiger publiziftifher Streit entbrannte. Die 
Stände wollten vor allem einen Kampf abwenden. Mit den 
berzogliden Räten beſchloſſen fie daher, zunächſt feinen von 
beiden Prätendenten anzuerkennen, jondern in Erwartung einer 
rihterliden Entſcheidung das Regiment wie bisher fortführen 


302 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


zu laffen. Gegen einen Einbruch des Herzogs von Nevers ver: 
fiderten fie fi in der Stile der Hilfe ſowohl des Erzherzogs 
Albrecht als auch der Niederlande. Aber ein kaiſerliches Man- 
dat vom 24. Mai erklärte das Geſchehene für null und nichtig, 
befahl die Belaffung des beim Tode bes Herzogs gegebenen 
Buftandes und lud alle Prätendenten binnen vier Monaten zur 
Entgegennahme des Urteils an den Hof. Daß aber dies wichtige 
Grenzgebiet in die Gewalt der ſpaniſch-habsburgiſchen Macht 
gebracht würde, konnte weder Frankreich noch die Niederlande 
zulaffen. Welches Schickſal wartete dann der evangelifchen Be: 
völferung! Nicht bloß um ihretwillen, im Intereffe aller Evan: 
geliſchen und des europäijchen Friedens mußte dem Kaifer jeder 
Vorwand zur Einmifhung und Verhängung des Sequefters 
entzogen werden. Er war vorhanden, wenn Krieg oder Kriegs: 
geichrei befürchten ließ, dem rechtmäßigen Poſſeſſor könne fein 
Recht entriffen werben: es galt, ein den Frieden zwiſchen Bran— 
denburg und Pfalz.Neuburg fiherndes Proviforium zu ſchaffen. 
Dazu vermittelte namentlich Landgraf Morit von Heffen, und 
Markgraf Ernft, obgleich er wußte, daß feine Schwägerin fein 
Titelhen ihres Rechts aufgeben und das Erbe ungeteilt be— 
haupten wollte, ging in richtiger Erwägung der Umftände 
darauf ein. Gleichzeitig ließen die unter Kurpfalz geeinigten 
Fürften durch Chriftian von Anhalt dem Kaifer die furchtbaren 
Folgen vorhalten, welche die fi} fteigernden Uebergriffe ber ihn 
gängelnden Jefuiten für das Reich und für ihn felbft Haben 
mußten, zumal nad) der fiegreihen Rebellion feiner Brüder und 
Vettern — natürlich vergeblih. So drang Morig von Heflen 
durch. Am 22. Mai trafen fih Markgraf Ernſt und Molf- 
gang Wilhelm in Homburg vor der Höhe, ein zweites Mal in 
Dortmund. Am 20.10. Zuni 1609 ſchloſſen fie dort einen Ver: 
trag, wonach fämtliher Prätendenten Anſprüche einem Schieds— 
ſpruch unterliegen, bis dahin aber die Verwaltung und Ver— 
tretung bes Landes unter Anerkennung feiner Rechte und Freie 
heiten von ihnen beiden gemeinfam geführt werden follten. 
Jubelnd begrüßte das Land diefe Wendung und bereitete ben 
beiden Statthaltern einen feitlihen Empfang, als fie zur Bes 
figergreifung erſchienen. Gemeinfam beftätigten fie Die Landes— 


I. Die Erwerbung Cleved und Preußens. 303 


privilegien und empfingen ein vorläufige Treugelöbnis. Nur 
der Befehlshaber des Schloffes zu Jülich verweigerte ohne Be: 
fehl des Kaifers bie Uebergabe. 

Gegen feine Inftruftion hatte Markgraf Ernft den Ver: 
trag geſchloſſen. Aber man hatte Grund, feine Eigenmadt zu 
fegnen. Denn je mehr der Kaifer durch den Aufftand in Böhmen 
und Schlefien bedrängt war, um jo mehr wollte die Aktions— 
partei das dort Verlorene anderwärts wiedergewinnen. Nament⸗ 
lich erftrebte Erzherzog Leopold, Bifhof von Paſſau und Straß- 
burg, die ſchönen niederrheiniſchen Lande. Mitte Juli erichien 
er als faiferliher Prinzipallommiffar und ſetzte fih in Jülich 
feft. Kaiferlihe Mandate Lafjierten den Dortmunder Vertrag, 
verboten die Rüftungen und wieſen die Stände zum Gehorfam 
gegen den faijerlihen Bevollmächtigten an. Aber über die 
Mauern von Jülich hinaus reichte deffen Autorität nicht. Doch 
blieb feine Anmwefenheit im Lande gefährlih. Bald jprah man 
von feinen Beziehungen zu dem Pfalz-Neuburger, der im Lande 
Anhang warb, auch über reiche Geldmittel verfügte, während 
es dem Markgrafen am Nötigften fehlte. 

Nur lag die Entſcheidung nicht im Lande felbft, und nicht 
feine Intereffen waren dafür maßgebend. Es hieß, Wolfgang 
Wilhelm wolle katholiſch werden: dann hatte er die eben 
(10. Zuli 1609) errichtete Ligue für ih. In Prag freute man 
fi der Verſchärfung der Gegenfäge: fürchtete man doch, Bran- 
denburg werde das Verhängnis des Haufes Habsburg und des 
Katholizismus in Deutjchland werben. Das wurde die treibende 
Kraft der deutihen Politik Defterreihe. Man war entichloflen 
an die Gewalt zu appellieren, die Bebrohten rüfteten zur Gegen- 
mehr. Im Auftrage Brandenburgs und PfalzNeuburgs ging 
Chriftian von Anhalt nah Frankreih und den Niederlanden. 
Beide verhiegen Hilfe gegen fremde Gewalt. Dann beftellten 
die beiden Statthalter ihn zum Führer ihrer Truppen. Da— 
gegen wuchs die Sorge vor Kurſachſen, das Johann Sigis- 
mund, während er am Niederrhein focht, in Rüden und Flanke 
bedrohte. Die polternden Reden Chriftians II. bei einem 
Beſuche der Kurfürftin Anna in Dresden offenbarten ein Ein- 
verftänbnis zwiſchen dem dortigen und dem Prager Hofe. Diefer 


30% Zweites Bud. Die erite hohenzollerniche Staatsgründung. 


wollte gegen Brandenburg die Acht verhängen, jener fie voll- 
ftreden. So mußte Johann Sigismund vor allem die Mark 
Adern. Wie aber wäre damals dazu die Mitwirtung der 
Stände zu gewinnen geweien! Bei ihnen berrichte bedenkliche 
Nikitimmung. Man beargwöhnte des Kurfürften konfeſſionelle 
Zuwerläjfigfeit und fürchtete jeine calviniſtiſchen Reigungen. 
Zwar hatte er von jeines Vaters Näten die den Ständen un— 
bequemften, Schlid und Loeben, entlafjen, aber den reformierten 
Prudmann beibehalten. Die Oppofition zu beſchwichtigen, zog 
er jegt Chriftion Diftelmeyer wieder in den Dienft, was fait 
wie ein Preisgeben des Geheimen Rats erſchien. Aber jelbft 
ihm begegneten die Herren des großen Ausſchuſſes mit Fühler 
Ablehnung: was wegen Jülichs zu thun jei, meinten fie, fönne 
nur der Landtag entſcheiden. Diejen berief der Kurfürft nun 
freilich nicht, ließ aber doch in den einzelnen Kreifen Konvente 
halten, deren Delegierte ale Generalausfhuß zufammentraten. 
Mit ihm kam man leidlich zurecht: hätte dod die Verweigerung 
der geforderten Beihilfe die Neußerung des Grafen Schlid be— 
ftätigt, welde die Herren als ſchwere Kränkung beflagten, keine 
zwei zuverläffigen Leute habe der Kurfürft unter ihnen. So 
bemilligten fie 400 000 Thaler, gewährten aud für die Er- 
lebigung ihrer Bejchwerden eine Frift und jahen felbft von der 
feierlichen Anerkennung der Konkordienformel für jegt ab. 
So ftand man vor dem Ausbruch eines Krieges, der zu 
ungeheuren Dimenfionen zu wachſen drohte. Wohl ftellte die 
Kaiferlihe Diplomatie die Sache als eine rein deutſche dar: 
Heinri IV. fo wenig wie die Niederlande konnte das täufchen. 
In Berlin aber meinten manche, man folle ſich getroft dem 
Raifer als oberftem Nichter fügen. So kam es erit Ende 1609 
zum Schlagen: namentlih um Düren im Jülichſchen wurde ge: 
fohten. Adam von Schwargenberg, obgleich Katholik ein An: 
bänger Brandenburgs, verteidigte es gegen Erzherzog Albrecht. 
Nun meinte man in Prag, jeder Rückſicht überhoben zu fein, 
wollte Brandenburg ächten, Sachſen mit Jülich belehnen. Dabei 
erregte Wolfgang Wilhelms Haltung immer ernftere Zweifel 
an ber Reblichkeit feiner Abfihten. Doc einigten fi unter 
Vermittelung der Union die Prätendenten am 17. Januar 1610 


U. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 305 


dahin, gemeinfam die Belehnung nachzuſuchen, im übrigen aber 
fi dem Spruche der Herzöge Johann Friedrih von Württem— 
berg und Friedrich von Holftein und des Markgrafen Georg 
Friedrih von Baden zu fügen. Auch trat Johann Sigismund 
der Union bei, die ihn und feinen Mitbefiger ihres Schutzes 
verfiherte und ihrerjeits fih mit Franfreih und den Nieder 
landen verbündete. 

Aber es fehlte doch an der rechten Entjchloffenheit. Auch 
ftand die jülichſche Frage trog ihrer europäiſchen Verknüpfungen 
doch nit für alle deutſchen Fürjten jo im Brennpunkt bes 
Interefies wie für Johann Sigismund. Aud die Union war 
doch nur zu gemeinfamer Behauptung bes Befigftandes der Ge- 
nofjen zufammengetreten, nicht um dem Einzelnen gewaltfam 
zu neuen Erwerbungen zu verhelfen. Wie ein halbes Jahr: 
hundert früher, war daher aud) diesmal die deutſche Freiheit 
und das Evangelium ohne Hilfe Frankreichs nicht zu retten: 
daß diefes daher auch wieder mit einem Stüd deutſchen Landes 
werde belohnt werden müſſen, ließ fi vorausfehen. Dazu 
drohte das Eingreifen Spaniens und der Niederlande So 
erhoben ſich noch im legten Augenblid zahlreiche Stimmen, bie 
Johann Sigismund zum Nachgeben, zu erneuten Verſuchen zu 
friedlicher Verftändigung mahnten. In feiner Hand, jo ſchien 
es, lag der Friede der Welt. Selbit Chriftian Wilhelm, der 
Adminiftrator von Magdeburg, riet dem Bruder bazu: durch 
Beſchwichtigung Kurſachſens, von dem er ſelbſt im Falle bes 
Bruches ſchwer bedroht war, empfahl er die Acht abzuwenden. 
Wirffih bot man Sachſen gar den Mitbefig Jülich-Cleves 
neben Brandenburg und Pfalz-Neuburg, wenn es die Ein: 
ftellung bes in Prag eingeleiteten Verfahrens bemirkte, natür— 
lich erfolglos. Aber nicht bloß in Dresden befing der Eifer 
für das reine Quthertum das politiſche Urteil: auch fonft waren 
feiner Vertreter Sympathien mehr bei dem Kaiſer und ben 
Katholiken als dem zum Galvinismus neigenden und ben reforz 
mierten Pfäßern und Nieberländern verbundenen Brandenburg. 
So rubte deſſen Hoffnung allein auf Frankreich und der Repu: 
bit, Heinrichs IV. Eingreifen, das 1610 bevorftand, mußte 
allem Schwanken ein Ende mahen. Erſchien er mit dem in 

Prutz, Preußiſche Geſchichte I. 20 


306 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernfhe Staatsgründung. 


Lothringen gefanımelten Heer im Elſaß, wo Herzog Leopold, 
der Biſchof von Straßburg, Truppen bereit hielt, jo hatte die 
Union dort das Uebergewiht. Tazu fam neuer Hader im habö- 
burgiſchen Haufe: Rudolf II. wollte gewaltfam die demütigende 
Abhängigkeit abjhütteln, die ihm der ſchleichende Matthias aufs 
gelegt hatte. Die Gegner waren aljo geteilt, die Ausfichten 
günftig: da durchkreuzte Ravaillacs Dolch alle Entwürfe (14. Mai 
1610), und die große Kombination fiel in ſich zufammen. 

Statt des europäifchen Krieges gab es einen lofalen am 
Niederrhein. Durch franzöfifchen Zuzug und Niederländer unter 
Friedrich Heinrich von Oranien verftärkt, focht Chriftian von 
Anhalt gegen Erzherzog Leopold, deſſen Mannſchaften dur 
ihre Zuchtlofigkeit die Bevölkerung vollends erbittert hatten. 
Köln, dem man nicht traute, wurde zur Entlafjung feiner 
Söldner genötigt. Mitte Juli ging Anhalt bei Düſſeldorf über 
den Rhein, vereinigte ſich bei Nees mit dem Heer, das Morig 
von Dranien felbft herbeiführte, und begann die Belagerung 
von Jülich, das am 4. September fiel. Pie Erzherzoglichen 
mußten durch Luxemburg nad) dem Eljaß abziehen, wo ein 
inzwifchen dort erſchienenes Heer der Union fie vollends un 
ſchädlich machte. Des Kaifers Aufforderung, dort einzufchreiten, 
lehnte die Ligue ab, ſchloß vielmehr mit der Union einen 
Stillfftand, der beiden Teilen die Vertretung ihrer Interefjen 
in ber julichſchen Sache jo weit freigab, als es ohne Ver— 
legung der Reichsgeſetze möglih war. Damit befanden fi 
Brandenburg ‚und Pfalz-Neuburg thatfählih im Beſitz des 
Landes: ihre Einigkeit war belohnt. 

Mehr als in Jülich war Johann Sigismund augenblicklich 
in der Mark bedroht. Am 7. Zuli 1610 war Sachſen zu Prag 
mit Julich belehnt gegen Erftattung der vom Kaifer aufgewen- 
beten Gelbmittel, Ueberlafjung der kirchlichen Einkünfte an 
den Biſchof von Pafjau und Straßburg und Herausgabe der 
verpfändeten Reichslehen ohne Erjag: dafür griff es Branden- 
burg an. Es abzumehren war geringe Ausfiht: eine Mufterung 
im Frühjahr hatte den gänzlichen Verfall der märkiſchen Kriegs- 
verfafjung erwiejen. Und ftatt der geforderten 3000 Mann 
wollten Adel und Prälaten 1000 Bauern ausüften! Das 


U. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 307 


Fehlende aufzubringen waren die Städte weder geneigt noch 
fähig: verſuchten Zwang beantworteten etliche mit offener Meu— 
terei. Dennoch ging die Krifis vorüber. Ein Fürftenausfhuß, 
den der Kaifer in der Sache nad Prag berief, fam nicht zum 
Schluß wegen des neuen Streites zwiſchen Rudolf und Matthias. 
Zudem lähmte der Bruch zwifchen Pfalz: Zweibrüden und Pfalz 
Neuburg wegen der Vormundſchaft über den jungen pfäher 
NKurfürften die Union. Endlich veranlaßte die gemeinfame 
Adminiftration endlofen Hader: fo ſchlug Pfalz-Neuburg eine 
Teilung vor. Auch der Kaifer ließ fih nun verſöhnlicher an, 
wenn Brandenburg die Kurſachſen auferlegten Pflichten auf 
fi) nehmen wollte. Aber vergeblih unterhandelte Markgraf 
Ernft in Köln mit feinen Bevolmädtigten. So ſuchte man 
nochmals ſich mit Sachſen zu verftändigen. Dazu riet aud) der 
trefflihe Chriftian von Anhalt; Frankreich, England und die 
Niederlande empfahlen diefen Ausweg. Auch entiprad er ben 
perjönlichen Gefühlen Johann Sigismunds für die albertinifchen 
Verwandten, deren Haltung ihm tief ſchmerzte. Dazu fam die 
Rüdfiht auf Preußen: denn fiher entſchied der nächſte pol— 
niſche Reichstag gegen den Kurfürften, wenn er ihn ander— 
wärts bedroht wußte. So ließ dieſer, obgleich nicht bloß feine 
Gemahlin, fondern aud) ber Neuburger widerſprach, im Februar 
und März zu Züterbogf mit Sachſen unterhandeln. Doch ift 
der Vertrag vom 21. März, der Kurſachſen unter allerlei Vor— 
behalten zum Mitbefig zuließ, nie vollzogen. Die Thronrevo- 
Iution in Böhmen und der Tod Chriftians II. ſchufen eine 
neue Lage. 

Dadurch gewann Johann Sigismund Zeit, die preußiſche 
Sache endlih zu erledigen, König Sigismund II. wunſchte 
ſelbſt die brandenburgiihe Nachfolge zu fihern. So waren 
eigentlich nur noch finanzielle Schwierigkeiten zu überwinden. 
Für die Stände kam neben ber Libertät namentlid die Kon— 
feffionalität in Betracht. Vom Kurfürften um Unterftügung 
feines Werbens um die Belehnung erſucht, verlangten die 
Volnifh-Preußens, es folle im Herzogtum den Katholiken Reli: 
gionsfreiheit, in Königsberg ein Grundftüd zum Bau einer 
Kirche und für diefe 1000 Gulden jährlih gemährt werben. 


308 Zweite Buch. Die erſte Hohenzollernfhe Staatögründung. 


Im Herbft z0g der Kurfürft abermals nad Preußen; auf die 
Meldung, daß ein Einverftändnis erzielt fei, ritt er von da mit 
300 Gemwaffneten, welche die drei Städte Königsberg ftellten, 
nad Warfhau. Am 6. November empfing er die Belehnung: 
heimfehrend zog er am 26. in Königsberg feitlih ein. Im 
April 1611 erſchienen dort polniſche Kommiflare, um die Anz 
weiſung des Plages für die katholiſche Kirche zu überwachen 
und die Eventualguldigung der Stände entgegenzunehmen, da 
beim Erlöſchen der Hohenzollern Preußen an Polen fallen 
ſollte. Auch die ftipulierte Einführung des Gregorianifchen Ka— 
lenders im Herzogtum fand damals ftatt. Worin aber troß 
der Zugeftändniffe an die Katholiken die Bedeutung des Vor— 
ganges lag, lehrte der Proteſt des Papftes gegen die Belehnung: 
es war endlich einmal ein Fortſchritt der evangelifden Sache 
zu größerer Sicherheit. Es war zubem Fein Kleines, daß in 
Preußen zuerft ein friedliches Nebeneinander der Konfeflionen 
durchgeſetzt und das traurige Prinzip des „cujus regio, ejus 
religio* durchbrochen wurde. Auch nahmen die Stände daran 
weniger Anftoß als an des neuen Kurator Freundſchaft mit 
den calviniftifhen Pfälzern und Oraniern. Ausdrüdlich ließen 
fie fi) von Polen verbriefen, es jollten weder Calviniften noch 
Wiedertäufer je im Lande geduldet werden. Selbſt die Kur: 
fürftin Anna mißbilligte es offen, als Kurprinz Georg Wil: 
helm nad) Heidelberg ging, die Ehe mit einer Pfälzerin an— 
bahnte und in Cleve ſich eng mit Markgraf Ernſt verband, 
der als der erfte feines Haufes zum reformierten Bekenntnis 
übergetreten war, und rief im geheimen bes Kaifers Hilfe an. 
Mußte diefes Luthertum Johann Sigismund nicht wie eine 
Gefahr für die Zukunft feines Haufes erſcheinen? Und bald 
follte ein anderer Vorgang die Unvereinbarfeit diefer Art von 
Belenntnistreue mit einer zielbemußten Politik erweifen. 

Die jülihihe Sache verſchlang fih immer mehr. Seit 
Rudolf II. auch als Kaifer durch Matthias erfegt war, fuchte 
man auf einem anderen Wege in Brag den beiden pofjedierenden 
Fürften, die trog aller Differenzen noch zufammenbielten, bei- 
zufommen und unter gejhidter Verſchiebung des Streitpunftes 
der Fatholifchen Reaktion eine Handhabe zu bieten. Als viele 


II. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 309 


Evangeliihe aus Köln nah dem nahen Mühlheim im Ber- 
gifchen überfiebelten und dies ſchnell hoben, erging auf Be: 
ſchwerde der Kölner ein Faijerliches Gebot dagegen. Als die 
beiden Fürften es ignorierten, wurde Erefution gedroht, die 
mit Köln und Bayern Kurfachjen vollftreden jollte. Nun ver: 
langte dieſes auf Grund bes Jüterbogker Vergleihs Zulaſſung 
zum Mitbefig. Manche rieten Johann Sigismund nachzugeben. 
Auswärtige Hilfe war weniger denn je zu hoffen. Der Aus— 
bruch des nordifchen Krieges hatte die Parteiftellung völlig ver- 
ſchoben. Dazu kamen innere Schwierigkeiten. In den Marken 
ſowohl wie in Preußen fah man in der Steigerung feiner 
Macht, welche die niederrheiniihe Erwerbung verhieß, eine 
Gefahr für die Libertät, und die Stände Jülich-Cleves freuten 
fi) des Proviforiums, während deffen fie ſich eigentlich ſelbſt 
tegierten. Auch betonte man in allen drei Gebieten gerade 
jegt das Indigenatsrecht, um die Angehörigen ber beiden anderen 
von den Aemtern auszufchliegen. Eben das, was ein gemein- 
james Eintreten für ihres Herrn Recht befördern mußte, das 
Verwachſen der Marken, Preußens und der nieberrheinijchen 
Lande zu einem einheitlichen Staatsweſen, wünjhten die Stände 
zu verhindern. In diefer Bedrängnis rief der Kurfürft feinen 
Bruder Johann Georg von Fägerndorf zu feiner Unterftügung 
berbei. 

Inzwiſchen trat Ende 1612, Anfang 1613 in Erfurt die 
Kommiſſion zufammen, welche die At gegen Brandenburg 
verhängen jollte, fam aber, weil dieſes ſelbſt fern blieb, nicht 
zum Schluß: der nächſte Reichstag ſollte die Entſcheidung 
bringen. Um jo dringender war für Brandenburg und Pfalze 
Neuburg die Erneuerung guten Einvernehmens durch Begleihung 
ihrer Differenzen geboten. Immer übler hatte ſich das Ver— 
bältnis zwifhen Markgraf Ernft und Wolfgang Wilhelm ge: 
ftaltet. Diefer klagte bitter über „beichwerliche Attentate”, mit 
denen ‘ihm „zum Schimpf und zum Präjudiz” fortgefahren 
würde. So plante man, wie es heißt, eine Ehe Wolfgang 
Wilhelms mit Johann Sigiemunds Toter Anna Sophie, 
ſchuf damit aber nur neuen erbitterten Streit. Der Neuburger 
verlangte, daß ihm dazu alles Recht Brandenburgs auf Jülich: 





310 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Stantögründung. 


Gleve überlafien werde. Das erſchien dem Kurfürften zu viel. 
Eine higige Diskuffion über Wert und Bedeutung der beider- 
feitigen Anrechte entbrannte. Dabei fam wohl auch bes jungen 
Pfalzgrafen zmweideutiges Spiel, fein Werben um die Hand 
einer bayrifhen Prinzeffin zur Sprade: er mag dem Kurfürften 
berausfordernd begegnet fein. Die Einzelheiten bleiben natür- 
li dunkel, mögen aud nachträglich ausgefhmüdt und dra= 
matifch zugefpist fein, um die jähe Wendung zu erklären, bie 
nun folgte: aufbraufend jol Johann Sigismund dem jungen 
Pfalzgrafen einen Backenſtreich verfegt haben. 

Ob Sühneverfuhe gemadt find, willen wir nicht. Man- 
chem konnte der Zwifchenfall fait wie ein abgefartetes Spiel 
zwiſchen Pfalz-Neuburg und feinen neuen Freunden erſcheinen: 
bald danad heiratete Wolfgang Wilhelm des Bayernherzogs 
Toter und trat heimlich zum Katholizismus über. Hinfort 
bereitete er Brandenburg auf Schritt und Tritt Schwierig: 
feiten. Daß nad) des Markgrafen Ernft Tod ohne weiteres 
der Kurprinz zum Statthalter ernannt war und einfeitig Er: 
laſſe veröffentlicht hatte, follte ein Eingriff in feine Rechte 
fein. Offenbar wollte er den Bruch. War er doch der Ligue 
fier, und die Spanier Spinolas jtanden bereit zum Ein- 
marſch. Was konnte man dem entgegenftellen? Zwar hatte 
Johann Sigismund nad einer Beiprehung, die er in Halle 
mit feinen Brüdern von Magdeburg und Jägerndorf, Mark: 
graf Joachim Ernft von Ansbach und Landgraf Morig von 
Helfen hatte, die Hilfe der Niederlande erbeten: aber die Zu— 
ftände der Republif machten fie nicht wahrſcheinlich. Und nun 
erneute des Kurfürften Chriftian II. Nachfolger, fein ver- 
ſchlagener Bruder Johann Georg, die ſächſiſchen Anſprüche. 
Zu ihm neigte der Magdeburger Adminiſtrator. Wie konnte 
man da auch nur die Marken zu decken hoffen! Vergeblich 
erbot ſich Johann Sigismund dem Dresdener Vetter zu neuen 
Verhandlungen. Ohne Bürgſchaft eines befriedigenden Aus— 
ganges wollte dieſer ſich auf nichts einlaſſen: hindere der Dort- 
munder Vertrag feine Aufnahme in den Mitbeſitz, fo könne 
Brandenburg ihm fein Recht auf Jülich ja durch anderweitige 
Abtretungen abfaufen! Da half freilich fein verwandtſchaftliches 





II. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 311 


Werben. Kurſachſen wurde vom Kaiſer mit Jülich belehnt, und 
Ende 1613 ſetzte dieſer einen legten Termin auf Oſtern 1614 
an, um die Sahe endlich in eigener Perfon nad) jeinem Willen 
zum Austrag zu bringen. 

Von den Feinden umftellt, von den Freunden teils ver: 
raten, teils im Stich gelafjen, ohne die Mittel zur Abwehr, 
ſchien Brandenburg alles über fih ergehen laſſen zu müſſen. 
In diefem Zeitpunfte, wo es ſich für fein Haus um Sein und 
Nichtfein handelte, vollzog Johann Sigismund in Ausführung 
eines längft in ihm auffeimenden, allmählich erftarkten und 
im Moment der höchften Gefahr endlich gereiften Entfchluffes 
den Uebertritt zum reformierten Belenntnis. Es war bie tapfere 
That eines in ſchwerer Heimfuhung feinen Frieden ſuchenden 
Gewiſſens, und wurde zugleich eine politifche That von größter 
Tragweite, die den Wendepunkt bezeichnete in der Entwidelung 
der hohenzollernſchen Staatsgründung. 

So wenig allein politiſche Motive den Konfeſſionswechſel 
Johann Sigismunds veranlaßten, und barunter namentlich nicht 
die Abfiht, die reformierten Clever zu gewinnen, fo fier war 
ihm dod die Politif überhaupt nicht fremd. Die Seelenftim= 
mung, ber er entjprang, war mitbedingt durd die politiſchen 
Verhältniſſe. Eine Entwidelung, die in der Stille längft im 
Gange war, wurde zum Abſchluß getrieben durch die ſchwerer 
denn je laftenden politiiden Sorgen. Es mag fein, daß bei 
Wolfgang Wilhelms Konverfion die Abfiht mitwirkte, bie 
großen katholiſchen Mächte zu gewinnen: Johann Sigismund 
mußte, daß er durch ben Uebertritt zum reformierten Belennt- 
nis nicht bloß die Zahl, fondern auch den Eifer feiner Gegner 
vermehrte. Um fo fiherer trifft feine Angabe die Wahrheit, 
er habe nur mit fich jelbft zum Frieden fommen und angejihts 
ſchwerer Prüfungen im Gewiſſen Ruhe haben wollen. Die 
Zweifel an der Heilsfraft des reinen Luthertums, die ihn feit 
Jahren bewegten, mußten um fo quälender werden, je mehr 
er ſah, wie feine Belenner auch der großen Zukunftsfrage 
gegenüber, um bie ein Weltkrieg drohte, immer mehr in eine 
Richtung gerieten, die mit dem wahren Geijte und Weſen ber 
Reformation nichts gemein hatte, vielmehr den Einzelnen wie 





312  ymeites Buch. Tie erite hohenzollerniche Staatsgrüntung. 


die Gejamtheit nur das Natürliche und Notwendige zu thun 
hinderte. Was feinem grübelnden Tenfen allmählich zur Ge— 
wißheit geworben, das trat ihm nun in der Politif als ge— 
ihichtlihe Thatſache überwältigend entgegen: das reine Luther- 
tum, in deſſen Namen und zu deiien Ehre Kurſachſen ihn zu 
Fall bringen wollte, war der geiftige Nährboden für alle Ten: 
denzen des Stillftandes und des Rückſchrittes. Wie er als 
Chriſt in der reformierten Lehre die Heilsgewißheit fand, die 
er jegt weniger denn je miſſen mochte, io jand er als Staats- 
mann und Fürſt bei den Reformierten die Eigenihaften ver— 
einigt, die Rettung aus den anbrängenden Gefahren verhießen 
— Einſicht, Thatkraft, entfchlofienes Vorwärts: und Aufwärts: 
itreben, eine Fülle ſittlicher Araft, deren Mangel das Ber- 
hängnis des Luthertums zu werden drohte, ſeit e8 im Buch— 
itabenglauben erftarrt das Verftändnis für die Zeit umd ihre 
Anforderungen verloren hatte. Mutig ftellte er für ih und 
fein Haus und von da aus auch für jein Volf die Verbindung 
zwiſchen Glauben und Leben, zwiſchen Religion und Politik 
wieder her. 

Entſcheidend dafür wurde, wie er ſelbſt bezeugt, der Auf 
enthalt am Heidelberger Hof 1605, wenn auch erit Durch die Krifis, 
die vorangegangen war. Von Jugend auf hatte feine feinfühlige 
Natur die Art verlegt, wie die Vorkämpfer der Konkordien— 
formel die Andersdenfenden verfegerten. Einer ber beftigften, 
Simon Gedide, Hofprediger erft in Magdeburg und dann 
Dompropft zu Berlin, war fein Religionslehrer. Johann Sigis- 
mund hat nadmals geflagt, für jeine wiſſenſchaftliche Bil— 
dung fei zu wenig gethan: in theologiſchen Dingen hat er das 
nachzuholen geſucht. Mißtrauiſch gegen Gebides ſchmähende 
Berichte über Glauben und Leben der Reformierten, ſtudierte 
er ihre Werle und verglich ſie mit der Heiligen Schrift. Da 
„gingen ihm die Augen auf“ und er „lernte die Wahrheit von 
der Unwahrheit unterſcheiden“. Und nun traf er 1605 in 
Heidelberg etliche von den Häuptern der Reformierten, fromme, 
ernfte, tüchtige Männer, deren Leben ihrem Glauben entſprach, 
voll Einfiht in die Weltlage und entfchloffen, ihr Dafein an 
ihre Pflicht zu ſetzen. Innerlich traf er damals die Entſcheidung; 


I. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 313 


aber nicht bloß der Revers, durd den er fi auf des Groß— 
vaters Verlangen dem Luthertum gelobt hatte (S. 300), und 
feine eifrig lutheriſche Gemahlin hielten ihn ab alsbald über- 
zutreten: auch die Scheu vor den politifhen Verwidelungen, 
die daraus zu erwachſen drohten, zumal mit den eigenen Unter: 
thanen. Unbemerkt freilich blieb feine Sinnesänderung nit: 
mehr noch als der Vater wurde er calviniftiicher Neigungen 
verdächtigt. Auch lehnte er die Entfernung ber Reformierten 
aus feinen Rate ab; ja einer, Doktor Prudmann, genoß als 
Kanzler fein höchſtes Vertrauen. Der eifrige Gedide machte 
fein Hehl aus den Zweifeln an der Rechtgläubigkeit jeines ches 
maligen Schülers, jo peinlich diefer fein Geheimnis wahrte und 
feine Weberzeugung allein „aus dem Brunnen Israels ohne 
einiger Menſchen Zuthun und Perſuaſionen“ ſchöpfte. Da nahm 
fein Bruder Markgraf Ernft, der in Cleve jo trefflich Bewährte, 
Pfingiten 1610 in Düffeldorf das Abendmahl nad; reformiertem 
Braude und wiederholte das im Sommer 1613 zu Berlin in 
der Stille mit zahlreihen Genoſſen, befannte fi aud bald 
danach (18. Septeniber) auf dem Sterbebette zur reformierten 
Lehre. Ueber jene Berliner Abendmahlafeier beſchwerte ſich 
Gebide bei Johann Georg von Jägerndorf: fie fei gegen bie 
den Ständen zugefagte Erhaltung der reinen Lehre.. Es feheint 
faft, als ob das bei Johann Georg die Entfheidung beſchleunigt 
habe: er trat am 2. September 1613 zum reformierten Bes 
Tenntnis über. Und ſchon ergriff die Bewegung den Abel der 
Mark und Preußens: hier ging der tapfere Fabian von Dohna 
voran, dort der Statthalter der Altmark, Thomas von dem 
Knejebed. Die Glaubenswächter fehlugen Lärm. Als Verführer 
zum Abfall verſchrie man bie Hofprebiger Salomon Finf und 
Martin Füßlin. Am 17. Oktober wurde Fink nad) der Predigt 
von der Menge mit Steinen bedroht. Andere verfegerten den 
Generalfuperintendenten Pelargus, weil er nicht rechtzeitig auf 
Verteidigung bes Glaubens gedacht habe. Anfang Dezember 1613 
richteten gar die Stände eine Vorftellung an den Kurfürften 
und appellierten an feine Gemahlin Anna. Doch blieb nun 
auch die Gegenpartei nicht unthätig, namentlich als 1613 Morig 
von Heſſen, in ber jülichſchen Sache als Berater und Ver— 


314 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


mittler bewährt, nad) Berlin fam. Zudem ließ die Verſchärfung 
der politifchen Lage Johann Sigismund dringender ala je 
wünſchen, endlich) des inneren Friedens teilhaftig zu werden, 
Nube in feinem Gemiffen zu haben. Was ihn fonft treffen 
modte: er hatte dann einen unverrüdbaren Grund in fi 
jelber. So wurde beſchloſſen zu handeln — fein geringes Wag- 
nis in jenem Augenblick. 

Am Morgen des 18. Dezember 1613 verfammelte der 
Kurfürft in Anmefenheit des Geheimen Rates jämtliche Prediger 
der Hauptftadt im Schloß. Auf feinen Befehl eröffnete ihnen 
der Kanzler Prudmann, was bevorftehe. Von der verheißenen 
Erhaltung der lutheriſchen Lehre denke er nicht zu weichen, aber 
nun möge man aud) ihm nicht vorſchreiben, was er ſich predigen 
laſſen jolle. Das unzeitige Schreien auf den Kanzeln wurde 
verboten, die Geiftlihen folten gute Beſcheidenheit gebrauchen, 
alles zur Rebellion Dienliche vermeiden und alles zur Erbauung 
Geeignete anftellen. Nach kurzer Beratung erwiderten die Geift- 
lien durch Gedide, des Kurfürften Erklärung, er wolle bei 
ber älteren Religion bleiben und Feine neue Lehre einführen, 
beziehe fich ihres Wiffens doch eben auf die Konfordienformel. 
Sie wollte der Kurfürft nie als verpflichtend anerkannt haben: 
überhaupt gelten in Gottes Sache Feine Reverfe, wie auch Jo— 
achims II. und Johann von Küftrins Beiipiel Iehre. Eine Ver: 
ftändigung war nicht möglich: zwei Weltalter und zwei Welt: 
anſchauungen ftanden einander gegenüber. Am erften Weih- 
nachtsfeiertag (25. Dezember 1613) empfing er mit feinem 
Bruder Johann Georg, Graf Ernft Kafimir von Naffau und 
etlihen Geheimeräten und Ebdelleuten — im ganzen etwa 
fünfzig — das Abendmahl nah reformiertem Ritus. 

Mädtig war der Eindrud dieſes Vorgangs, tief die Er: 
regung, die er weit über die Grenzen ber Mark hinaus ver- 
anlaßte. Nach dem unheilvollen „eujus regio, ejus religio*, das in 
Steiermark fo gut wie in der Pfalz angewandt war, erwartete 
man nichts anderes, als daß aud der Marf alsbald der refor- 
mierte Kultus aufgezwungen werden würde: eine Toleranz, wie 
Johann Sigismund glei bei der erſten Mitteilung an bie 
Berliner Prediger verheigen hatte, lag dem Denken ber Zeit 


U. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 315 


fo fern, daß fie in ihr nur den Ausfluß verwerflicher Lauheit 
ſah und überzeugt war, mit dem Uebertritt jeien nur äußere 
Vorteile erftrebt. Wilder denn je entbrannte der Eifer der 
lutheriſchen Zionswächter: gegen die reformierten Geiftlichen, 
gegen Johann Sigismund jelbft ergingen fie fi in Shmähungen, 
welche die Menge zu unbefonnenen Thaten fortreißen mußten. 
Dazu machte die Kurfürftin Anna aus dem Kummer über des 
Gatten Abfall Fein Hehl. Gebuldig fah Johann Sigismund 
dem wüften Treiben zu. Als aber Gedide einer erften bebenf: 
lien Streitſchrift eine noch heftigere folgen ließ und in ber 
Vorrede die frommen Herrfhaften beklagte, „die von den ges 
heimften und vertrauten Dienern, die das Werk treiben und 
das Spiel in Fäuften haben, ſchändlich Hinter das Licht geführt 
und jämmerlich betrogen werben“, da riß ihm doch die Ge: 
duld: er ließ den Heger am 23. Februar vor den Geheimen 
Rat fordern und verbot am 24. Februar das Schmähen, Läftern 
und Verdammen auf den Kanzeln; wer es nicht lafjen könne, 
folle dahin gehen, wo es erlaubt jei. 

Der Erfolg war zunächſt gering, benn die Eiferer, bie 
dem heiligen Geifte nicht das Maul verbinden lafjen wollten, 
waren ausmwärtiger Sympathien fiher: Gedide fand in dem 
Abminiftrator von Magdeburg einen Fürfpreher und dachte 
nicht an Abbitte oder Einlenfen, ſondern entwich nad Witten: 
berg, wo man ihn ala Glaubenshelden feierte. Hatte doch 
Kurfürſt Johann Georg, als ob er das Geſchehene nicht Fännte 
oder nicht glaubte, noch am 1. Februar 1614 den Branden- 
burger Vetter brieflich ermahnt, ſich dod ja nicht von der im 
Römifhen Reiche „nachgelaffenen Religion” abzuwenden. Die 
Abfertigung, die ihm darauf wurde, verftimmte ihn um jo 
mehr, ala Johann Sigismund für das Verbot des Schmähens 
von den Kanzeln fih auf feine Vorgänger Auguft und Chri: 
ftian I. berufen hatte. Auch wurde Ende März 1614 auf einer 
Bufammenkunft der Fürften zu Naumburg die Erbverbrüderung 
der Häufer Sachſen, Brandenburg und Heflen feierlich erneut. 

In den Marken aber ftieg die Erregung, da tendenziöfe 
Entftellung das Urteil immer weiterer Kreife verwirrte. Dem 
beſchloß Johann Sigismund endlich durch eine Darlegung feines 





316 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Stantsgründung. 


Glaubens Einhalt zu thun, das am 10. Mai 1614 erjchienene 
„Belenntnis von jegigen unter den Evangelien ſchwebenden 
und in Streit gezogenen Punkten“. Es war wohl jhon während 
der Krifis als Rechenſchaftslegung vor dem eigenen Gewiſſen 
entftanden und wurde jet veröffentlicht, um durch ruhige, ſach⸗ 
liche Darlegung die Differenzen zwiſchen Lutheranern und Refor- 
mierten gegenüber der Menge bes Gemeinjamen in das rechte 
Licht zu fegen. In der Lehre von der Perſon Chrifti, der Taufe, 
dem Abendmahl und der Präbdeftination befannte er fi aus: 
drüdlich zu der „evangelifdhereformierten” Kirche, „als welde 
fi auf Gottes Wort allein gründe und alle menſchlichen Tra- 
ditionen, jo viel möglich, abgeſchafft“ Habe. Aber fo feft er 
von ihrer Wahrheit überzeugt ſei und diefe auch von feinen 
Unterthanen erkannt zu fehen wünſche, fo wiſſe er doch zu gut, 
daß der Glaube ein Werk und Geſchenk Gottes und niemand 
über Gewiſſen herrſchen und Herr über den Glauben fein könne, 
und wolle daher „zu diefem Bekenntnis feinen Unterthan öffent 
lich oder heimlich wider feinen Willen zwingen, fondern den 
Kurs und Lauf der Wahrheit Gott allein befehlen, weil es 
nit am Rennen und Laufen, jondern an Gottes Erbarmen 
gelegen fei”. Das war die feierlichfte Losfagung von dem „cujus 
regio, ejus religio*. Nur daß die Gegner wenigſtens Frieden 
hielten, verlangte er: die Unterthanen follten ſich des Läfterns, 
Schmähens und Diffamierens enthalten und trog etlicher dog- 
matijcher Differenzen in Frieden Ieben lernen. Damit die 
Theologen ihren Standpunft einander in fachlicher Diskuffion 
nochmals darlegten, jollte in feiner Gegenwart in deutſcher 
Sprade ein Kolloquium gehalten werden. Die Berliner Geift: 
lichen lehnten das jhließlih ab, und aud der neuen Behörde, 
in der Weltlihe und Geiftlihe, Reformierte und Lutheriſche 
gemeinfam die Landesfirhe nah dem Prinzip der Toleranz 
und der Pietät leiten follten, verfagten fie fi. So wurde 
der 1614 errichtete Kirchenrat gegen des Kurfürften Abficht 
eine Vertretung allein der Reformierten, während er die Auf- 
ſicht nicht bloß, fondern aud die Zurisdiftion über lutheriſche 
Geiftlide üben follte. Die Folge war ein heftiger Kampf 
zroifhen ihm und dem Konfiftorium, über den der Kirchenrat 


U. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 317 


ſchon nad wenigen Jahren (1618) wieder außer Wirkſam— 
feit trat. 

Klein genug blieb die reformierte Gemeinde im Dom. 
Außer dem Kurfürften gehörten zu ihr etliche Geheimräte, wie der 
Kanzler Prudmann, der Vizekanzler Daniel Matthias, Simon 
Piftorius und der tapfere Thomas von dem Kneſebeck, der auch 
fitterarifh in den Streit eingriff und die Märker an bie 
Pflichten gegen ihren Heren erinnerte. Aber die Ruhe blieb 
gewahrt. Neue Aufregung aber brachte im Januar 1615 ber 
Zuſammentritt des Landtags zu Berlin. Er überreichte (20. Ja— 
nuar) eine Beſchwerde über die firhliche Neuerung und ver: 
langte Beftätigung der die reine Lehre verbriefenden Reverſe 
auch durd den Kurprinzen, widrigenfalls er die geforderte 
Kontribution zu verweigern drohte. Wieberholte beruhigende 
Erklärungen blieben ohne Eindrud, und das Ergebnis der er: 
regten Verhandlungen war ein neuer Sieg ber Libertät: in 
einem Revers vom 15. Februar 1615 mußte der Kurfürft ge— 
loben, nicht bloß niemand in dem Felthalten an der unver- 
änderten Augsburgifchen Konfeffion und der Konkordienformel 
zu flören, ſondern auch nirgends einen „verdächtigen und unan= 
nehmlichen Prediger aufbringen”, das heißt jein Batronatsrecht 
nit im Intereſſe feines Bekenntniſſes zu üben. 

Gleich danach wurde er nach Preußen gerufen. Als Statt- 
halter ließ jein Bruder Johann Georg am 30. März 1615 
Kruzifize, Bilder und Altäre aus dem Dom entfernen. Das 
gegen proteftierte am nächften Sonntag (3. April) Peter Stuler, 
der Kaplan zu St. Petri, unter dem Beifall der Menge und, 
wie es ſcheint, nicht ohme Billigung der Kurfürftin, und jprengte 
hinterher aus, er jolle dafür gefaßt werden, während er un= 
gehindert die Stadt verließ. Da erhob fi am Montag abend 
(4. April) die Maſſe, die Häufer der reformierten Hofprediger 
Füßlin und Fink zu ftürmen. Der Statthalter eilte herbei, 
aber die Menge wich nit; als einer von bes Statthalters 
Leuten irrtümlich feuerte, ftürmte fie an. Schwer bedroht, 
mußte der Marfgraf weichen, Füßlins Haus wurde geplündert, 
und faft wäre am nächſten Tage dem Kanzler und den übrigen 
Hofpredigern ein Gleiches gejchehen. Aber Prudmanns Energie 


318 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


und die Drohung mit der Verlegung der Refidenz, die Berlin 
freilih ruiniert haben würde, rüttelte den Rat aus feiner 
zweibeutigen Untbätigkeit und zur Herftellung der Ordnung 
auf. Nun beeilten fih auch die Stände, das Gejchehene zu 
bedauern. In einer jhriftliden Erklärung mußten Räte und 
Bürger von Berlin und Kölln dasfelbe thun. Stuler wurde 
des Landes verwiejen. 

Der Kurfürft war währenddeſſen in Preußen. Bebrohlicher 
noch als in der Mark geftalteten ſich dort zunächſt die Folgen 
des Konfeffionswechfele. Der Hauptagitator war ebenfalls ein 
Hofprebiger, der Profefjor der Theologie Johann Behm. Er 
hatte an feine lieben Landsleute „die treuherzige Warnung“ 
gerichtet, „fih vor der verdammlichen Zwingliihen und Cal: 
viniftifhen Sekte” zu hüten. Dazu kamen ſtaatsrechtliche Be: 
denken: 1612 war beftimmt, fein Galvinift bürfe im Herzogs 
tum ein Öffentliches Amt befleiden. Konnte danad) die Herr: 
ſchaft an einen jolden fommen? Der Sturmlauf, der alsbald 
gegen die zu Aemtern gelangten Reformierten, namentlich bie 
Brüder Friedrih und Fabian, Grafen zu Dohna, begann, von 
denen erfterer Landhofmeifter, legterer Landeshauptmann war, 
galt eigentlich dem Kurfürften. Seine Erklärung, er halte 
wie feine Glaubensgenoffen an der Augsburgiſchen Konfeffion 
feft, machte ebenſowenig Eindrud wie das Verſprechen unver: 
kürzter Glaubensfreiheit auch für die Lutheraner. Das Ver— 
bot des Streitens und Schmähens galt als Eingriff in die 
Landesrechte. Man redinete dabei auf Polen: dort geboten die 
Jeſuiten, und König Sigismund war der Schwager bes Erz 
berzogs Leopold, der Jülich-Cleve erftrebte. Deshalb eilte der 
Kurfürft im Frühjahr 1615 felbft herbei. Sofort trat bie 
Oppofition leifer auf: fogar einen Teil des geforderten Geldes 
bewilligten die Stände gegen das Verſprechen, in geiftlichen 
Dingen feine Neuerungen weiter -vorzunehmen. Die Berufung 
des Landtags aber lehnte Johann Eigismund ab: er mußte, 
weſſen er fi von -ihm zu verfehen hatte. So wandten fi) 
die Stände damit an den polnischen Zehensherrn, und im No: 
vember trat der Landtag zujammen. Auf feine Beſchwerde 
annullierte im Sommer 1616 ein föniglihes Mandat das Ver: 





U. Die Erwerbung Cleved und Preußens. 319 


bot des Läfterns und Scheltens von der Kanzel und ſchloß von 
den öffentlichen Aemtern alle aus, die nicht entweder Katho— 
lifen oder Bekenner der unveränderten Augsburgiſchen Kon: 
feifion wären. 

Während jo in Brandenburg und Preußen der konfeſ— 
fionelle Kampf tobte, dort die Landesherrſchaft gebemütigt, 
hier überhaupt in Frage geftellt wurde, war der Arieg in 
Yülih-Cleve ausgebrochen. Seit jeines Vaters Philipp Ludwig 
Tod (Auguft 1614) Haupt feines Haufes, ſchlug Wolfgang 
Wilhelm gegen den Mitbefiger einen Ton an, der die Abſicht 
des Bruches verriet. Seinen Rat beherrichten zweibeutige Fatho- 
liche Heger: Kurprinz Georg Wilhelm follte zu jung jein, um 
neben ihm zu ftehen Beide waren voreinander auf der Hut. 
Da nad dem Dortmunder Vertrag die gemeinfam bejegten 
Plätze auch von den Fürften nur gemeinfam betreten werben 
follten, verweigerte der Kommandant von Zülih dem Pfalz: 
grafen den Einlaß. Diefer rüftete. Der Kurprinz verftärkte 
feine Leibwahe und erbat die Hilfe der Niederlande. Die 
Ausmweifung feiner Truppen aus Jülich beantwortete Wolfgang 
Wilhelm mit der der brandenburgifhen aus Düffeldorf. Nun 
rüftete der Kurprinz. Da bejegten die Niederlande Jülich und 
baten Franfreih, England, Köln und Pfalz, mit für die Er: 
haltung des Friedens einzutreten. Ein Kongreß in Wefel ver- 
mittelte: die Niederländer wollten Jülich räumen, ſobald der 
gemeinſame Beſitz hergeftellt oder das Land einer neutralen 
Macht übergeben werde. Aber jchon hatte bie katholiſche 
Partei auf einen anderen Rechtstitel hin die Aktion begonnen 
Die Acht gegen Mühlheim und- Aachen zu vollitreden, eilte 
Mitte Auguft Spinola als „kaiſerlicher ſubdelegierter Kom: 
mifjarius” ins Land. Aachen, wohin der Kurprinz 400 Mann 
geworfen, ergab fi am 26. Auguft. Dann wurde Düren be 
fest, bei Köln der Rhein überjhritten und Mühlheim ent: 
feftigt. Dort ftieß der Pfalzgraf mit 5000 Mann zu den Spa- 
niern. Aber ftatt ſich mit ber Volftredung der Faiferlichen 
Mandate zu begnügen, rüdte Spinola auf Wefel: am 6. Sep- 
tember wurde er ohne Schwertfireich Herr des Platzes, der den 
Niederrhein beherrichte. 


320 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


Dem Eonnten die Niederlande nicht unthätig zujehen. Im 
September bejegte Morig von Dranien Emmerich und Rees, 
von Nimmwegen aus rüdten Truppen ber Republif in Goch, 
Gennep und Ravenftein ein. Nochmals tagte im Oftober in 
Xanten ein Friedenskongreg: neben Brandenburg und Pfalz: 
Neuburg waren Spanien und die Niederlande, Frankreich, Eng: 
land und Köln vertreten. Die in dem gemeinfamen Befig 
liegende Gefahr immer neuen Haders zu befeitigen, teilte er 
das Land am 10. November 1614 fo, daß Gleve, Mark, 
Navensberg und Ravenftein an Brandenburg, Jülich und Berg 
an Pfalz:Neuburg kommen follten. Gebeſſert wurde damit 
nichts: nad) wie vor beanſpruchte der Kaifer die oberftrichter: 
liche Entſcheidung, und die Spanier behaupteten die bejegten 
Plätze. Mit ihrer Hilfe wollte die fatholifche Partei jegt den 
entſcheidenden Schlag führen, die Evangelien aber blieben 
uneinig und unthätig. Johann Sigismund begriff den Ernft 
der Lage: mit dem evangelifhen Glauben ftand die deutſche 
Freiheit auf dem Spiele, „die beiden höchften und köſtlichſten 
Kleinodien“. Ales wollte er an ihre Verteidigung jegen. Wer 
aber half ihm? Die Union fürchtete, griff fie zu den Waffen, 
die Gefahr nur zu fteigern, namentli für Kurpfalz. England 
hatte nur Worte, Dänemark empfahl die Hilfe des Kaifers 
anzurufen, Kurfachien leugnete jede böfe Abficht der katholiſchen 
Partei und lehnte die erbetene Zuſammenkunft als nutzlos ab, 
folange man fi nicht vorbehaltlos dem Kaifer beuge. Die 
Stände der Marf erneuten ihre Beſchwerden und jahen in der 
hereinbrechenden Bedrängnis die Strafe des Himmels für den 
Abfall vom rechten Glauben. In Preußen aber wühlte die 
lutheriſche Hegerei alle Leidenſchaften auf: wenn Polen zugriff, 
war die Nachfolge für Brandenburg verloren. Nochmals eilte 
der Kurfürft daher im Herbſt 1616 dorthin. Daß er am 
20. Oktober in feinen Gemächern reformierten Gottesdienſt 
halten ließ, fteigerte die Erregung. Ein neuer Ausbrud der 
lutheriſchen Unduldſamkeit erfolgte, als er Oftern 1617 das 
Abendmahl reformiert empfing. Wieder tobte der ftreithare 
Behm von der Kanzel der Schloßkirche gegen das calviniſtiſche 
Brotbreden und bezichtigte den Kurfürſten jündhafter Ver— 





II. Die Erwerbung Cleves und Preußens. 321 


legung der Landesverfafjung, drohte mit dem Zorn Gottes und 
betete, daß er dem Teufel wehren möge — um, zur DVerant: 
wortung gezogen, zu erflären, nur aus pflichtſchuldiger Liebe 
zum Rurfürften habe er jo gefprohen! Auf neue ftändifche 
Beſchwerden erjhienen im Mai 1617 wieder polnifche Kom: 
miffare. Sie erneuten die dem Haß gegen die Reformierten 
entfprungenen Beftimmungen von 1612: reformierte Prediger 
folten hinfort als Friedensftörer gelten. Die maßvolle und 
milde Verteidigung, die der Kurfürft im Sommer 1617 ver= 
öffentlichte, gab den Königsberger Theologen neuen Anlaß, in 
ihrer Gegenſchrift das Licht ihres reinen Glaubens leuchten zu 
laſſen. Auch hier erlitt die landesherrliche Autorität und mit 
ihr die evangeliihe Toleranz eine ſchwere Niederlage. Der 
Untergang des Kurhaufes ſchien kaum noch abwendbar. Wer 
wollte Matthias hindern, wie er gedroht, die Kur und bie 
Kurlande Johann Sigismund abzufprehen und dem Abmini- 
ftrator von Magdeburg, Chriftian Wilhelm, zu verleihen, der 
unlängft eine braunſchweigiſche Prinzefiin geheiratet? Nun 
drohte gar das Kaijertum Ferdinands von Steiermarf. Und 
dabei hatte Johann Sigismund über den jülichſchen Streit 
die Belehnung mit den böhmifhen und fchlefiihen Lehen noch 
immer nit nachgeſucht. Auch das ließ ſich jegt gegen ihn 
wenden. Nochmals warb er bei der Union um Hilfe zur Wieder: 
eroberung der niederrheiniſchen Gebiete: doch erſt wenn bie 
Spanier weiter um ſich griffen, wollte fie mit den Nieder: 
landen einſchreiten, verlangte aber von ihm zur Strafe für die 
Nichtzahlung jeines Beitrages deifen doppelten Betrag. So ſchied 
er aus. Um jo freudiger überrajchte ihn die plögliche Verſöhn— 
lichkeit Kurſachſens, dem die Thronwerbung des Steiermärkers 
doch Bedenken erweckte. Der junge Pfälzer Kurfürſt vermittelte 
einen Vergleich, der Kurſachſen einſtweilen den Mitbeſitz in Jülich 
einräumte. Vollzogen konnte er nicht werden, da Wolfgang 
Wilhelm erklärte, er ſei vertragsmäßig verpflichtet, die Päſſe und 
Feſtungen des jülichſchen Landes den Spaniern offen zu halten. 

Da durchkreuzte des jungen Schwedenkönigs Guſtav Adolf 
ſiegreicher Angriff auf Polen die Entwürfe der katholiſchen 
Reaktion. Durch Moritz von Heſſen bot er dem Rurfücften ein 

Pruß, Preugiige Geſchichte. 1. 


322 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


Bündnis: fo wurde diefer zunächft Preußens verfichert. Denn 
Brandenburg Schweden fernzuhalten, war Polen plöglich zu 
allem bereit. Das Herzogtum wurbe ber feite Punkt, auf den 
bie ſchwer bedrohte Zukunft der Hohenzollern ſich gründen ließ. 
Und auch die Gefahren, die in Cleve und felbft in der Mark 
gedroht hatten, zerftreute im Frühjahr 1618 der Ausbruch des 
böhmischen Aufftandes. 

Es war eine glüdlihe Fügung, daß eben damals das trübe 
Lebenslicht Albrecht Friedrichs erloſch. Eine neue ſchwere Er- 
franfung besjelben rief Johann Sigismund im Frühjahr 1618 
nad Königsberg. Auch den Kurprinzen beſchied er dorthin. 
Zwar unterliegen die murrenden Stände jeden Empfang. Aber 
ändern konnten fie nichts mehr, jeit der Schwebenfönig jeden 
Augenblid zum Schu der brandenburgiſchen Nachfolge im 
Lande ftehen konnte. So wurde weder von den preußifchen 
Ständen no von Polen ein Verſuch gemacht, Johann Sigie- 
mund von der Nachfolge im Herzogtum auszufchließen, ala am 
27. Auguft 1618 Albrecht Friedrich ftarb. Von Preußen aus 
ließ fih nun die Mark retten, Cleve vieleiht gewinnen. Es 
galt den Augenblick entſchloſſen zu benugen und die neuen 
Kombinationen raſch zu verwerten. Im Oktober war die fur- 
fürftlihe Familie wieder in der Mark. Der junge Schweden: 
fönig erichien zu Berlin. Seine Verlobung mit des Kurfürſten 
Toter Marie Eleonore follte das Bündnis mit Brandenburg 
befiegeln. Doch war man nit einig. Der Kurprinz wünſchte 
den Anſchluß an Polen. Diejer Zwieipalt wurde noch weiter- 
hin verhängnisvol. Ende des Jahres fam der Kurfürft wieder 
nad Preußen, um Albrecht Friedrich zu beftatten. Dabei traf 
den jeit Jahren Kränfelnden ein Schlaganfall, der eine teil- 
weife Lähmung zur Folge hatte. Erſt Mitte Mai 1619 konnte 
er die Rüdreife antreten. 

Schwere Sorgen ftürmten auf ihn ein. Der Tod Kaiſer 
Matthias’ (20. März), Mährens und Ungarns Anſchluß an 
den böhmischen Aufftand, die Wahl des Pfälzer Kurfürften zum 
König von Böhmen (26. Auguft) und die durch Kurſachſen er— 
möglichte Erhebung Ferdinands von Steiermark auf den Thron 
bezeichneten den Beginn des feit Jahren drohenden Religions: 


M. Die Ermerbung Cleves und Preufens. 323 


krieges. Welde Anforderungen ftellte er an Brandenburg! 
Und dazu der Trotz der auffäffigen Unterthanen in ber Mark 
ſowohl wie in Preußen, wo das Schmähen der fegerifhen 
Regierung fortdauerte. Um jo lodender erichien die ſchwediſche 
Allianz. Guſtav Adolf verlangte eine raſche Entſcheidung und 
Beichleunigung der Hochzeit mit Marie Eleonore. Er wollte 
felbft dazu nach Berlin kommen. Unter Hinweis auf des Ger 
mahls Zuftand erbat die Rurfürftin Aufſchub. So blieb alles 
offen. Und Johann Sigismund felbft fühlte ſich der Laſt ber 
Regierung nicht mehr gewachſen. Troß ungeminderter geiftiger 
Friſche fehnte er fi nah Ruhe. So legte er am 12. No— 
vember 1619 die Regierung zu gunften feines Sohnes nieber. 
Er räumte das Schloß und zog in das Haus feines geheimen 
Kämmerers Anton Freytag. Nur wenige Wochen erfreute er ſich 
der Ruhe: bereits am 23. Dezember verjchied er, voll Zuver: 
fiht auf jeinen jo viel geihmähten Glauben, wie jelbft feine 
eifrige Iutherifche Witwe den preußiihen Ständen gegenüber 
zu bezeugen für nötig hielt. 


II. Bollendung und Bankeroff des ſtändiſchen 
Regiments unter Georg Wilhelm. 
1619—1629. 


Eben zweiundzwanzigjährig (geb. 3. November 1597) 
folgte Georg Wilhelm dem Vater. Nicht unbegabt und bemeg- 
lichen Geiftes, entbehrte er doch des inneren Halte. Seine ober: 
flählihe Natur Fannte weder das ftrenge Pflichtgefühl noch das 
empfindliche Gewiſſen, die jenen aud) in der höchſten Bebräng- 
nis richtig geleitet hatten. Paſſiven Wejens, ging er Kon: 
fliften gern aus dem Wege und fuchte, wo es eine Entſcheidung 
galt, Deckung durch fremde Autorität. Die ſittlich erhebenden 
Wirfungen des reformierten Bekenntniſſes waren ihm fremd. 
Ja, er fam zu der eigentlich mönchiſchen Summe aller Weisheit: 
Qui semper moritur, nunquam moritur. Nur lebte er nicht ba= 
nad, mochte er auch gelegentlich wie ein Bußprediger das Elend 
der Zeit als Strafe Gottes für die Sünden eines entarteten 
Geſchlechts verfünden. Wohl erfahte ihn zuweilen Sorge vor dem 
Urteil der Nachwelt: aber über eine neue Livree, ein hübſches 
Pferd und ein paar Windhunde jchlug er fich ſchnell alles aus 
dem Sinn und verfiel wieder der bequemen Gewohnheit eines 
mit nihtigen Dingen ausgefüllten höfiſchen Dafeins. Gefteigert 
murbe dieſe moraliſche Schwäche durch entnervenbes körperliches 
Siehtum. Zur Zeit der Geburt feines Nachfolgers erlitt er 
eine Verlegung bes einen Schenkels, die nie verheilte und feit 
1631 auch das andere Bein in Mitleidenfchaft zog, jo daß er 
fih in der Sänfte tragen laffen mußte, — mwährend alles in 
Waffen ftarrte und die Krieganot oft ſchnellen Ortswechſel nötig 
madte. Und diefer Dann jah ih nun immer wieder vor Ent= 
ſcheidungen geftellt, bei denen alles auf dem Spiele ftand. So 
geriet er in eine Politif der Halbheiten und der Widerfprüche, 





I. Vollendung und Banferott des ſtändiſchen Regiments. 325 


während e& damals vor allem entichloffen Partei zu nehmen 
galt und nur eine feite Hand und ein klarer Blick das locker 
gefügte Fahrzeug Brandenburg: Preußens einer gefiherten Zus 
kunft zufteuern konnte. 

Daß Georg Wilhelm auch die Glaubensſicherheit des Vaters 
fehlte, wurde ihm von ſeinen Unterthanen faſt verdacht. Kon— 
feſſioneller Eifer war die Leidenſchaft der Zeit: daß Johann 
Sigismund in dem reformierten Glauben zugleich ein politiſches 
Prinzip vertrat, hatte auch auf die Gegner Eindruck gemacht. 
Jetzt meinte das orthodoxe Luthertum jeder Rückſicht überhoben 
zu ſein. Der eifernden Konfeſſionalität aber verband ſich die 
Libertät, die leichten Herzens an den Landesverrat ſtreifte. Um 
die Calviniſten loszuwerden, liebäugelte fie mit dem recht— 
gläubigen Kurſachſen. Im kurfürſtlichen Hauſe aber fand dies 
ſtarre Luthertum in der Kurfürſtin-Witwe eine Vertreterin, 
die ſeinen Sieg auch um die Zukunft der Dynaftie zu erfaufen 
bereit war. Wenn Anna ihres Gatten Leiche nad) „lutheriſchem 
Brauche” ausftellen ließ — mit Kruzifir und Rauchwedel in 
den Händen, darauf das Jeſuszeichen, „wie es bie Papiften 
brauden“, in Edelfteinen —, ſchien das eine Beſtätigung des 
Gerüchts, der Verftorbene fei auf dem Sterbebette zum Luther- 
tum zurüdgelehrt. Sie ließ den Lutheraner Doktor Meifner aus 
Wittenberg im Schloffe prebigen und den Himmel um Belehrung 
des jungen Herrn anrufen. Vom Statthalter deshalb aus: 
gewieſen, kehrte Meißner mit dem zur Kondolenz erſcheinenden 
Kurfürften von Sadjen zurüd und erneute feine aufreizenden 
Predigten. Ya, hochverräterifhe Pläne jpann Anna mit dem 
ſächſiſchen Schwager und einer von Jefuiten geleiteten pol: 
niſchen Geſandtſchaft: ihr zweiter Sohn, der lutherifche Joachim 
Sigismund, follte, mit einer kurſächſiſchen Coufine verheiratet, 
Zülich-Cleve, Kurfachfen aber Preußen erhalten. 

Und dabei ftanden jelbft die Marken auf dem Spiel! 
Verfuhte Sachſen im Einverftändnis mit dem Kaifer und der 
Kurfürftin Witwe und getragen von den kirchlichen Sympathien 
der Bevölkerung feine Pläne zu verwirklichen — es fehlten 
alle Mittel zur Abwehr. Die alte Lehenkriegsverfafiung war 
aufgelöft, von perſönlichem Dienft weder beim Adel noch bei 


326 Zuweites Bud. Die erfte hohenzollernfhe Staatögründung. 


den Bürgern die Rede. Nur mit Söldnern ließ fih helfen. 
Da ſchien es denn freilich ein Erfolg, wenn die Stände das 
von ber Regierung vertretene Prinzip gelten ließen, daß, wer 
bisher perſönlich für die Verteidigung des Landes eingetreten, 
nun für die Erhaltung berer zu forgen habe, die das ftatt 
feiner leifteten, und die Ritterfhaft die Mittel für 300 Reiter 
und die Städte für 1000 Mann zu Fuß auf drei Monate be: 
willigten. Aber um welhen Preis war das erfauft! Der 
Landtagsrezeß vom 1. Mai 1620 gab den Ständen Anteil an 
der Leitung des Kriegsweſens: von vier durch fie präfentierten 
Deputierten follten immer je zwei drei Monate am Hofe weilen, 
um gemeinfam mit ben fürftliden Kommiſſaren die Kontrolle 
über die Söldner zu führen. Hinfort ritten ihre Muſterkom— 
mifjare neben denen bes Kurfürften an den Werbe und Sam- 
melplägen auf, und ihre Vertreter organifierten und übten zu— 
ſammen mit den Haupt: und Amtleuten die Miliz. Sie ſchlugen 
dem Kurfürften ihre Standesgenofien zu Offizieren vor, und 
vom Oberften hinab bis zum geringften Söldner wurden alle 
neben dem Kurfürften auch ihnen verpflichtet. Alſo jelbft die 
Kriegshoheit des Landesheren ftand hinfort unter der Aufficht 
der Stände! Zu jeder militärifhen Maßregel bedurfte es ihrer 
Zuftimmung. Hielten fie damit nit die Waffe in der Hand, 
die der auswärtigen Politit allein Nachdruck verleihen konnte? 
Bald folte auch ihre Leitung an die Stände und deren Ver- 
treter kommen. 

Der Rezeß vom 1. Mai 1620 enthielt bereits das ganze 
Verhängnis, dem Georg Wilhelm verfallen follte. Vieleicht 
hätte ein thatkräftigerer Fürft in einer Zeit, wo jeder Tag die 
Notwendigkeit eines ftehenden Heeres erwies, von bem prin= 
sipiellen Zugeftändnis jenes Rezeſſes aus eine beſſere Pofition 
gewonnen. Dazu bedurfte e& freilich einer Finanzverwaltung, 
deren Sparjamkeit den Ständen die Handhabe zur Durchſetzung 
neuer Zugeftändniffe entzog. Aber zu der böfen Erbſchaft, die 
er da angetreten, fam Georg Wilhelms leihtfertige Sorglofig- 
keit in Geldfahen. Im Hofhalt wurde jo darauf losgemirt- 
ſchaftet, daß der treue Prudmann Einſprache erhob, natürlich 
vergebens. Zerrüttend wirkte dann der Krieg, Das Silber 


III. Vollendung und Banferott des ftändifhen Regiments. 327 


ftrömte aus den Lande, das die Nachbargebiete mit den elen- 
beiten Geldforten überſchwemmten. Die Steigerung bes Silber: 
wertes auf das Fünffache verfünffachte die Verlegenheiten der 
Öffentlichen Kaſſen. Als aber etliche von diefen die wertlojen 
Scheidemünzen abwieſen, drohten die armen Leute mit Gewalt. 

Um fo mehr hing von dem Gange der Dinge in Preußen 
ab, beim Tode Johann Sigismunds dem einzigen Teidlich 
fiheren Stüßpunft des Hohenzollernhaufes. Georg Wilhelm war 
ein Gegner des Bündniſſes mit Schweben: er wollte Preußen 
durch die Vermählung feiner Schmwefter mit dem polnifchen 
Thronerben fihern. Wie wenig verftand er die polnifche Politik 
und ben Eifer der preußifhen Stände für Libertät und Luther— 
tum! Zudem arbeitete ihm auch hier bald bie eigene Mutter 
entgegen, um das Herzogtum ihrem zweiten Sohne, Joachim 
Sigismund, zuzumenden. Teilte fie den von König Sigis- 
mund III. gebilligten Standpunkt der preußifhen Oppofition, 
in Preußen fönne ein Neformierter fein Amt bekleiden, alfo 
auch nicht Herzog fein? Als Georg Wilhelm 1620 nach Königs: 
berg fam, erklärten die Stände, vor Belehnung und Huldigung 
dürfe er fi) im Lande überhaupt nicht bliden laſſen, und darauf: 
hin widerrief der König die vorläufige Betätigung, die feine 
Kommifjare bewilligt hatten. Nun reiten die Stände eine 
lange Reihe von Beſchwerden ein, von deren Abſtellung Be: 
lehnung und Huldigung abhängig gemacht werben jollten. Gleich- 
zeitig drohte die Vermählung Marie Eleonorens mit dem 
Schwedenkönig, welche die Kurfürftin-Witwe betrieb, jede Ver- 
ftändigung mit Polen zu hindern. Und doch mußte man fie 
erreihen, um irgendwo feften Fuß zu fallen. Denn wenn 
Brandenburg die Gelder nicht zahlte, die der oberſächſiſche 
Kreis feinen Gliedern für bie Unterflügung des Kaifers in 
Schlefien auferlegt Hatte, drohte Kurſachſen in die Marken ein: 
zufallen. Der Kaiſer aber wollte die brandenburgifchen Lehen 
in Schlefien und der Laufig an fi bringen. Nun machte 
Polen die Belehnung mit Preußen von ganz ungewöhnlichen. 
Leiftungen abhängig — Hilfe gegen die Türken, Zahlung von 
30000 Gulden, Vermehrung ber katholiſchen Kirchen, Ver- 
eidigung aller preußiſchen Beamten für den König und anderes 


328 Zuweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


mehr. Schließlich aber entichieden dort neben den klingenden 
Argumenten doch diefelben Erwägungen wie früher zu gunften 
des Kurfürften. Im September 1621 wurde Georg Wilhelm in 
Warſchau belehnt. An Verweigerung der Huldigung dachte nun 
niemand mehr. 

Das Bündnis mit Schweden war aufgegeben, die Unter- 
fiügung der Glaubensgenoſſen in Böhmen und Schlefien unter: 
blieb, und wie den Pfälzer überließ man den tapferen Jägern- 
dorfer Vetter Johann Georg, der geächtet von Land und Leuten 
floh, feinem Schidfal. Das war ganz nad) dem Sinn der Märker, 
die ihren heiligen Abſcheu vor dem reformierten Pfälzer un— 
zweibeutig bethätigten, ala etwa 4000 Engländer, meift Ge: 
findel und faum bewaffnet, die Oberft Grey für Friedrih V. 
geworben hatte, an der unteren Elbe gelandet waren und, da 
Medlenburg fie nicht paffieren ließ, durd) die Mark nach Böhmen 
ziehen wollten. Bon einem Kommiſſar des Geheimen Rates ge: 
leitet, rafteten fie in Spandau. Da hieß es in Berlin, mit 
ihnen wolle der Jägerndorfer die Stadt für den Aufruhr von 
1615 züchtigen und reformiert mahen. Ende Juni waffneten 
fi die Bürger, fperrten die Thore, ſetzten alles in Verteidi- 
gungszuftand und bedrohten in ihrem lutheriſchen Eifer auch 
den Kanzler Prudmann. Nur mit Mühe wurde die Ruhe her- 
geftelt, während die Engländer, denen bei dem Kriegslärm 
in der Hauptftabt gar nicht recht geheuer war, nach der Lauſitz 
und Böhmen zogen. 

Die Märker wünfchten eben dem „gottlofen Calvinismus” 
in Böhmen den Untergang und rechneten für ben Fall der 
Not weniger auf den reformierten Landesheren und feine refor- 
mierten Räte, als auf den rechtgläubigen ſächſiſchen Kurfürften. 
Jubelnd begrüßten fie die Kataftrophe am Weißen Berge. „Hier 
ift,“ meldete Prudmann dem Kurfürften nad) Königsberg, „ein 
ſolches Frohloden unter dem gemeinen Haufen, Schnauben und 
Schnarchen dabei, daß ed nicht auszusprechen if.“ Es war 
dem Kurfürften daher fehr unbequem, daß Friedrih V. für 
feine Gemahlin, die ihre Niederfunft erwartete, Aufnahme in 
Küftrin oder Spandau erbat. Aber trog der Ausflüchte, die der 
Geheime Nat ihm an die Hand gab, mußte er „das officium 


III. Vollendung und Bankerott bes ſtändiſchen Regiments. 329 


humanitatis” bewilligen. Nun hielten die Flüchtlinge in ihrer 
forglofen Art bald pruntvoll Hof. Bitter klagten die Küftriner 
über die dadurch veranlaßte Teuerung. „Ale Winkel auf den 
Türmen und unter den Dächern,“ fo wurde gemeldet, „Steden 
vol englifcher Frauenzimmer,” und fogar die auf des Kur- 
fürften Befehl ihm ſelbſt vorbehaltenen Zimmer wurden von 
den Gäften geöffnet und in Gebraud genommen. 

Das fteigerte den Haß der Märker. In der Züchtigung, 
die der Kaifer über Böhmen und Schleſien verhängte, fahen 
fie ein Gottesgeriht zu gunften ber lutheriſchen Orthoborie. 
Daß die Laufig Sachſen huldigen mußte, galt als Bürgichaft 
für die Fernhaltung bes Kriegsſchreckens. Was gingen dieje 
Leute die reformierten Hohenzollern an? Mochte Georg Wil- 
helms Proteft gegen die Beraubung feines Jägerndorfer Vetters 
ungehört verhallen, mochte der Kaifer ihn höhniſch auf den 
reihen Erſatz hinweiſen, ber feiner in Pommern wartete: — 
ihr Ideal abjoluter Neutralität verwirklicht zu fehen, er- 
zwangen bie märkiſchen Stände bie Entlafjung ber Iegthin ge- 
worbenen Truppen durch Verweigerung der nötigen Mittel. 
Schließlich zählte die ganze kurfürftliche Wehrmannſchaft nod 
230 Mann, je 100 als Beſatzung in Küftrin und Peitz und 
30 in Spandau. 

Wohl fühlte Georg Wilhelm die Schmach diefer Lage, aber 
zu einem tapferen Entſchluß fand er nicht die Kraft. Selbft 
als die feinem Schwager abgefprodhene Kur Marimilian von 
Bayern erhielt, begnügte er fih mit einem ohnmädtigen Pro: 
teſt. Doch fehlte es am Hofe auch nicht an Leuten, bie zum 
Handeln rieten. Das thaten neben dem bewährten Levin von 
dem Kneſebeck und dem tapferen Samuel von Winterfeld nament- 
lich die Kurfürftin Elifabeth Charlotte und ihre Mutter Luife 
Juliane, des großen Dranierd Tochter, die man troß aller 
ängftlihen Rüdfiht am Hofe dulden mußte. Alfo auch hier ein 
Zwieſpalt, der die geiftigen und fittlihen Kräfte lähmte. 

Und die Stände haderten aus Anlaß der Finanznot. Eine 
Befteuerung der Raufmannswaren, namentlid der Seiden- und 
Wolfabrifate, jolte die Mittel zur Schuldentilgung ſchaffen. 
Der Adel ftinımte zu, die Städte aber verlangten, daß zuvor 


330 Zweited Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


die aufzubringenden Summen nad ihren Wünſchen auf die 
Stände verteilt würden. So gefhah überhaupt nichts, aber 
die 200—300 Söldner, die man zufammengebradht, wurden 
doch nicht entlaffen, weil man fie nicht ablöhnen konnte. Dabei 
war das Land vom Krieg noch unberührt und erfreute ſich be— 
bäbigen Wohlſtandes. Dennoch weigerten die Städte aud im 
Herbft 1622 die Uebernahme der üblihen zwei Drittel von 
dem zur Landesverteidigung Bewilligten. So ftand man bald 
vor dem Staatsbanferott. Schon verflagten ungebuldige Gläu— 
biger den Kurfürften felbft und drohten mit dem Reichafammer: 
gericht. In den Kafjen fehlte das Silber zur Münzprägung. 
Da verpachtete er das Münzrecht auf drei Jahre an die Stände: 
nur jollten ale von ihnen geſchlagenen Stüde fein Bild und 
die von ihm geführte Legende zeigen. Unter notdürftiger Wah— 
rung bes Scheins ging fo wieder ein Hoheitsrecht auf die Stände 
über. Was war an folden überhaupt noch im Befig Georg 
Wilhelms? 

Und nun wuchs bie auswärtige Gefahr! Die Willfür des 
Kaiſers bedrohte alle Reichsfürſten. Selbft Kurfachfen weigerte 
wie Brandenburg die Anerkennung der bayrijgen Kur. Dabei 
dauerte der Krieg am Niederrhein fort. Die Spanier nahmen 
1622 das Schloß Jülih und befegten nad Tillys Sieg bei 
Stadt Loon (6. Auguft 1623) Ravensberg und Berg. Die 
Niederlande thaten nichts, troß des Schugbündniffes, das fie 
im Frühjahr 1622 mit Brandenburg geſchloſſen, und der neue 
Teilungstraftat, den Brandenburg und Pfalz-Neuburg im 
Mai 1624 zu Düffeldorf eingingen, blieb unausgeführt. Wollten 
Brandenburg und Kurſachſen mit den beiden fähfifchen Streifen 
die Fatholiihe Reaktion noch aufhalten, fo galt es zu eilen. 
Jetzt drangen die furfürftlihen Frauen und ber gleichdenkende 
Nat endlich durch: die Neutralität follte aufgegeben werben. 

Ausländifche Hilfe war unentbehrlih. Aber Dänemarks 
jo wenig wie Englands und Frankreichs war man fiher. So 
geiff Georg Wilhelm auf die Allianz mit Schweden zurüd. Auch 
fand er dort Entgegenfommen. Bald war Guftav Adolfs Kriegs- 
plan fertig: mit England und Frankreich wurde über die Aus— 
führung verhandelt. Ein deutſcher Fürftentag ſollte erwägen, 





TU. Zollendung und Banterott des ftänbif—en Regiments. 331 


was weiter zur Rettung der gemeinen Sache zu thun fei. In 
weit ausgreifender Kombination verlobte Georg Wilhelm da— 
mals feine Schweiter Katharine dem gegen ben Kaifer in Waffen 
ftehenden Großfürften Bethlen Gabor von Siebenbürgen. Auch 
der bisher zögernde Dänenfönig wollte mitthun, wenn auch 
nur, um Schweben nicht allein gewinnen zu laflen. Aber nur 
ein Teil Norddeutſchlands folgte ihm als Oberften des nieber: 
ſächſiſchen Kreifes. Und deshalb blieb nun wieder Georg Wil: 
helm unthätig. Das einzige Ergebnis dieſer Epifode war ein 
noch übleres Verhältnis zum Kaifer. Drohend forderte diefer 
die Anerkennung der bayrifhen Kur; Bayern brachte plöglich 
Rechte auf Pommern zur Sprache, und auf Grund des Teita- 
ments Johann Georgs beanſpruchte Markgraf Johann Georg 
die Neumark. Schon ſprach Wallenftein von dem nahen Ende 
der Hohenzollernherrihaft in der Mark, und die Albertiner 
griffen nad) der Beute. Als der Adminiftrator von Magde— 
burg, Chriftian Wilhelm, dem Dänenkfönig zufiel, kündigte ihm 
das Domkapitel den Gehorfam und erhob ftatt feiner des fädh: 
fifden Kurfürjten Johann Georg jüngeren Sohn. 

Nun trafen au Brandenburg die Schreden des Krieges. 
Denn Adtung konnte feine Neutralität nur finden, wenn es 
fie erzwang. Dazu aber fehlten die Mittel. Der ftänbifche 
„große Ausſchuß“ war 1623 in hellem Streit auseinander ge— 
gangen, und ber Banferott der Hauptlandesfafje hatte mit der 
finanziellen Not die Erbitterung der Parteien gefteigert. Die 
zur Abhilfe ergriffenen Maßregeln hatten ſich teild — wie die 
von den Städten vergeblich befämpfte Verdoppelung der Bier- 
zieſe — als wirtſchaftlich ſchädlich, teils als unwirkſam er- 
wieſen. Auch war die widerſpruchsvolle Haltung der Regierung, 
auf die der Tod der Kurfürſtin Anna (März 1626) lähmend 
gewirkt zu haben ſcheint, nicht geeignet, die Stände zu größeren 
Opfern zu beſtimmen. Sie bewilligten nur für drei Monate 
3000 Mann, noch dazu mit der Mahnung, „es möge der 
Kaiſer als das höchſte Haupt in Reſpekt gehalten, der Kurfürſt 
von Sachſen als Kreisoberſt und der ganze oberſächſiſche Kreis 
an ber Hand behalten, was ſeitens der Armeen in folder Dccu: 
pation etwa vorgelaufen, im Beten entihuldigt werden“. Aber 


332 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Stantögründung. 


ſchon unterhandelte Georg Wilhelm mit Guftan Adolf, Chri- 
ftian IV. und Bethlen Gabor, dem Graf Adam von Schwargen- 
berg die Prinzeffin Katharine zuführte. Doc war nod) nichts 
feftgemacht, ala der Dänenfönig losſchlug. Brandenburgs Neu= 
tralität zu vefpeftieren war für ihn unmöglid: beim Vorſtoß 
gegen Mitteldeutfchland war die Mark feine natürliche Ope- 
rationsbaſis. So bejegte Mansfeld die Havelpäfle, Havelberg, 
Nathenow, Brandenburg, dann die Zauche und rüdte auf 
Wittenberg. Die Dänen bemädtigten fi der Altmark. An 
die verheißene Bezahlung der requirierten Lebensmittel dachten 
fie nit: die Dörfer brannten fie nieder, mißhandelten bie Ein- 
wohner, brachen Kiften und Kaften auf, plünderten ſelbſt Kirchen 
aus und führten den Raub in Schiffsladungen nad Hamburg. 

Vergeblich proteftierte Georg Wilhelm. Von däniſchen 
Gefandten befam er zu hören, ob er e& übel nehme ober nicht, 
der König müſſe vorwärts, und wer nicht mit ihm fei, fei 
wider ihn. Er bereute auch nur fo weit gegangen zu fein: 
immer neue Gefahren entiprangen daraus. In Wien erwog 
man feine Aechtung: mit Kurſachſen ſollte Wallenjtein fie voll- 
ftreden. Aehnliches plante man, hieß es, in Warſchau gegen 
Preußen. Im Lande felbft gärte es: man erging fi in den 
bitterften Vorwürfen gegen den Kurfürften. Der lutheriſche 
Eifer ſchob alles Unheil auf die reformierten Räte. Georg 
Wilhelm ſelbſt mißtraute ihnen: er fürchtete von ihnen im Ein- 
verftändnis mit den Dänen zum Krieg gegen den Kaifer ges 
jwungen zu werden. So rief er Adam von Schwargenberg aus 
Siebenbürgen zurück: er jei feiner Gegenwart allewege benötigt. 
Das leitete einen Umſchwung ein. Die folgenden Ereignifje 
beiäleunigten ihn. Mit Mansfeldg Niederlage an der Deffauer 
Brüde (15. April 1626) war der dänische Kriegsplan gefcheitert ; 
der franzöfifch-fpanifche Frieden vereitelte die Ausfiht auf eine 
große Koalition gegen die Habsburger. Durch verdoppelte 
Dienftwilligfeit wollte Georg Wilhelm daher den Kaifer be— 
fänftigen, bei ihm Schuß ſuchen vor den Dänen, die jeßt ge— 
ſchlagen durch fein Land zurüdfluteten: vor ihnen floh er aus 
Berlin und barg ſich auf den Jagdſchlöſſern der Uder: und 
Neumarf. 


1IT. Vollendung und Yanferott des ftänbifchen Regiments. 333 


Wie er damals zu ihm feine Zuflucht genommen, jo ift 
Georg Wilhelm fortan von Adam von Schwargenberg ab- 
hängig geblieben. Mehr als ihn jelbit Haben Mit: und Nachwelt 
diefen für das Elend verantwortlich gemacht, das über Branden- 
burg fam. Doc ift Schmargenberg eigentlich erft in der kurzen 
Zeit, die Georg Wilhelms Nachfolger ihn widerwillig im Amte 
lafien mußte, in den üblen Ruf gebracht, den bie neuere For: 
{hung von ihm zu nehmen begann. In ihm erftand der Liber— 
tät der märkiſchen Junker der erfte große Gegner. Zwar nicht 
von Haus aus war er das: er wurde es durch die Erfahrung 
und mit feinen Zweden wachſend. Selbftlofe Hingabe an das 
Ideal freilich war jener Zeit fremd, und ohne Egoismus er: 
reichte auch fachlich berehtigtes Streben nichts. Bei Richelieu 
und Cromwell hat ihn der Erfolg gerechtfertigt. Schwargen: 
berg litt nad Jahren des Kampfes in dem Moment Sciff- 
bruch, wo er zu triumphieren ſchien, und das beftimmte auf 
lange hin das Urteil der Nachwelt. 

Als Sprößling eines rheinifchen, ſeit 1429 reichsfreiherr⸗ 
lichen Rittergeſchlechts, das in Jülich und Mark größere Güter 
erworben, war Adam von Schwargenberg am 26. Auguft 1584 
geboren. Die Verdienfte feines Vaters Adolf, der ſich als fai- 
ſerlicher Oberft im Türkenkrieg durch die Eroberung von Raab 
(1599) Ruhm und den erblien Reihsgrafenftand erworben 
hatte, fiherten ihm die Gunft des Wiener Hofes, wo nament: 
lich Kardinal Khlesl fein Gönner war. Auch Graf Adam 
zeichnete fi gegen die Türken jo aus, daß Heinrih IV. von 
Frankreich ihm den Michaelsorden verlieh. Glücklicher noch war 
er früh in Finanzgeſchäften — ein Zug, der ihm eigen blieb 
und manden Feind machte. Durch feine Güter — die Mutter, 
eine Wolf-Metternich, hatte zu Gimborn in der Grafihaft Mark 
ihren Witwenjit — den Ständen von Jülich-Cleve angehörig, 
ergriff er die Partei der prätendierenden Häufer, vereitelte 
einen Weberfall der faiferlihen Parteigänger zu Düſſeldorf gegen 
die beiden Statthalter und rettete Düren vor Erzherzog Leo: 
pold. Dafür geächtet und in feinem Vermögen ſchwer ges 
ſchädigt, trat er am 1. November 1610 als geheimer Kammer: 
rat und Oberfammerherr in Johann Sigiamunds Dienft, fand 


334 Zweites Bud. Die erfte Hohenzollernfhe Staatögründung. 


aber nur in den niederrheinifchen Landen Verwendung. Dort 
trat er dem 1613 zum Statthalter beftellten Kurprinzen nahe, 
ohne daß ihr Verhältnis ein intimes geworden wäre. Ja, im 
Frühjahr 1617 drohte ein Bruch, als ber Kurprinz infolge 
einer Intrigue den jülichſchen Landſtand Adrian von Flodorf 
zur Tafel zog, der einft (1613) Schwargenbergs Braut, Mar: 
garete von Poland, bie Tochter des fürftlihen Statthalters 
von Lothringen, auf dem Wege zur Hochzeit entführt und 
erſt, als fie feine Werbung abmwies, in Freiheit gefegt hatte. 
Schwargenberg verlangte in Berlin feine Entlafjung: man 
müffe ihn um jeden Preis halten, urteilte der Geheime Rat, 
da er um zu viel wiſſe. So drang der Kurfürft in ihm 
zu bleiben, verwies dem Kurprinzen feine Unbedachtſamkeit 
und verſprach, Flodorf zur Genugthuung zu nötigen. Nun 
erft ſcheint Schwargenberg dem Kurprinzen näher getreten zu 
fein. Er begleitete ihm 1618 nad Preußen; bei der Ab— 
danfung Johann Sigismunds (November 1619) führte er ftatt 
feiner das Wort vor dem Geheimen Rat und den Landftänden. 

Beim Regierungsantritt Georg Wilhelms war Graf Adam 
ber „Eommende Mann”. Schon das machte ihm Feinde. Seine 
Stellung widerſprach dem Indigenatsrecht. Dann erwirkte er 
fih beim Kurfürften eine Maſſe Gunft: und Gnadenerweiſe: 
feine Erhebung zum Ordensmeifter ber Johanniterballei Bran- 
denburg wurde den Ordensfomturen 1625 förmlich abgezwungen. 
Als erfter Landftand der Kurmark war ber „Herrenmeifter 
von Sonnenburg” bisher faft immer ein Glied bes Furfürft- 
lichen Haufes geweſen. Auch an dem Katholizismus des Grafen 
nahm man Anftoß: doch entfagte er allen Religionsneuerungen. 
Daß er fi) aber Hinfort vorzugsweife nad diefem Amte als 
„Herr Meifter” titulieren ließ, machte ihn bei dem märkiſchen 
Adel und den Geheimeräten nicht beliebter, zumal er biefen 
icon als Reichsgraf und Ordensmeifter übergeordnet fein wollte. 
Ihm fehlte die Genügfamkeit der an befcheidene Verhältnifie 
gewöhnten brandenburgijhen Beamten: wie er mit fürftlidem 
Glanz auftrat, jo machte er auch feine amtliche Stellung für 
feine Finanzen nugbar. Seinen dauernden Einfluß auf den 
Kurfürſten aber erklärt fein politiſches Syſtem. Aber nicht bloß 





II. Vollendung und Bankerott des ſtändiſchen Regiments. 335 


die bequeme, ihn entlaftende und doch jein Selbtgefühl Hebende 
Geſchäftsführung Schwargenbergs feflelte Georg Wilhelm: ein 
pighologifches Moment kam Hinzu. In dem Grafen fand Georg 
Wilhelm alle die Eigenſchaften, die ihm felbft fehlten, Schärfe 
des Urteils, Ausdauer in der Verfolgung des Ziels, bis zur 
Gewaltthätigfeit rüdfichtslofe Energie in der Befämpfung jedes 
Widerftandes und weitgehende Skrupellofigfeit in der Wahl 
der Mittel, unter denen auch Entftellung der Thatſachen, Lüge 
und Verleumdung gelegentlich eine Rolle jpielten, und das alles 
getragen von faft fataliftiihem Glauben an fein Recht. Wie 
hätte Georg Wilhelm, ohne Kühnheit, ohne Thatkraft, mit 
feinem fubalternen Sinn für das Nächſte und Kleinfte, ſich des 
Einfluffes einer folgen Wallenfteinnatur erwehren jollen, bie 
ihm zu verfchaffen verhieß, was er erjehnte, felbft aber zu er- 
ftreben weder den Mut noch die Kraft hatte — Neutralität 
inmitten bes furdtbaren Krieges und Befreiung von ber ent= 
würdigenden Bevormundung durch die Stände. 

Bis zu der Krifis von 1626 hatte Schwargenbergs Thätig- 
keit fast ausſchließlich Jülich-Cleve gegolten. Dort, wo fi 
die europäifchen Interefjen für Brandenburg kreuzten, hatte er 
feine diplomatiſche Schule durchgemacht und zugleich im Kampf 
mit der ſtändiſchen Libertät Erfahrungen gefammelt, mag er 
fpäter auch dort manden Erfolg wieder verfcherzt und Anftoß 
gegeben haben durch die Art, wie er bes Kurfürften Gelbnot 
zu feiner Bereicherung benugte. Auch auf die märkiſchen Ver- 
hältniffe wirkte das ein. Zunächſt freilich ftand dort bei feiner 
Nüdkehr aus Siebenbürgen die auswärtige Politit zur Ent- 
ſcheidung. Wie fie ausfallen würde, war faum noch zweifelhaft, 
da Schwargenberg ein Gegner der ſchwediſchen Allianz war: 
er mißtraute dem „ſchwediſchen Hochmut“. Deshalb haßten ihn 
die fürftlihen Frauen, die zu ber gleich wieder aufgegebenen 
energifheren Aktion gedrängt hatten. Auch diefe Feindſchaft 
ift nicht ohme Einfluß auf die Geftaltung der Weberlieferung 
geblieben. 

Aeußerſt Fritifch war die Lage. Eben ſtrömten Mansfelds 
Scharen gefchlagen in das Land zurüd und vermwüfteten nament- 
fi die Mittelmarf. Das Aufgebot, das Nitter, Bürger und 


336 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


Bauern in Waffen rief, hatte feine Wirfung. Kaum daß man 
die Hauptftadt gegen einen Handſtreich dedte: ihre Einwohner: 
zahl veichte nicht aus, um fünfzig Mann täglich zur Bewahung 
der Thore aufzubringen. Deshalb jperrte man das Spandauer 
und das Stralauer Thor, mußte aber um Johanni jelbft die 
Erimierten zum Wachtdienft heranziehen. Und als die Dänen 
endlich abzogen und Mansfeld über Schlefien die Verbindung 
mit Bethlen Gabor juchte, da rejpeftierte der nachrückende 
Wallenſtein die Neutralität Brandenburgs natürlich auch nicht. 
Eigentlich hatte Georg Wilhelm ſchon feine Wahl mehr. So— 
wohl die von feinen Räten vertretene bewaffnete wie die von 
den Ständen verfodhtene unbewaffnete Neutralität war kläglich 
zu Schanden geworben. Neutralität war überhaupt unmöglich, 
unmöglich aber aud) eine Parteinahme für die eben erliegende 
däniſch⸗ niederrheiniſche Koalition. Nur das Bündnis mit dem 
fiegreichen Kaiſer verhieß Sicherheit: je ſchneller man es ab- 
ſchloß, um fo eher erlangte man vieleicht einige Zugeſtändniſſe. 
So urteilte auch Schmargenberg, entiprehend dem Stand» 
punkte, ben er von Anfang an vertreten und dem ber Ver— 
lauf der Dinge Recht gegeben hatte. 

Dazu fam, was aus Preußen gemeldet wurde. Branden- 
burgs neuefte Schwenkung bejeitigte alle Zweifel Guſtav Adolfs. 
Noch im Juni erfhien er mit feiner Flotte vor Pillau. Die 
paar hundert Mann, deren Anwerbung die legten Bewilligungen 
des Landtages ermöglicht hatten, und die vier im Hafen liegenden 
Schiffe konnten ihn nit hindern: ohne einen Schuß ergab ſich 
die Feftung. Den beftürzt herbeieilenden Oberräten erklärte er, 
er fomme als Freund und verlange Pillau nur, um beim 
Marſch gegen die Pfaffenknechte im Ermland im Rüden ge- 
dedt zu fein. Den Hinweis auf die Pakte mit Polen wies er 
barſch ab: von einem Mittelweg fünne nicht die Rede jein, 
das würde ihnen nur den Hals brechen, fie müßten „Ertrema 
ergreifen“, entweber zu ihm oder zu Polen halten. Er wies 
hin auf dag Schidjal, das Preußens, blieb es polnisch, wartete. 
„Wehrt euch,“ rief er, „ihr habt viertehalbtaufend Ritter im 
Lande, nehmt mic) zum General, ich will euch zu Hilfe kommen 
ohne Sold.“ Zu folder Kühnheit waren die preußiihen Herren 





MU. Bollendung und Banterott des ftänbifcen Regiments. 337 


freilich nicht fähig: während der König Elbing und Marienburg 
nahm und bald an der Weichſel ftand, fuchten fie ihn immer 
von neuem durch Geſandtſchaften heim, um vorbehaltlich der 
Zuſtimmung Georg Wilhelms Neutralität zu erbitten. 

Georg Wildelm war außer ji. Schmerzliher als bie 
Heimfuhung von Land und Leuten empfand er die Mißachtung 
feines Fürftenrechte. „Was helfen mir Freunde, wenn fie mir 
das thun, was ich von meinen ärgften Feinden erwarten follte,” 
Hagte er. „Was geht mich die gemeine Sade an,” fragte 
er, „wenn ich fol alle meine Reputation, Ehre und zeitliche 
Wohlfahrt verlieren?” Bittere Vorwürfe erhob er gegen bie 
Näte, die ihm Hoffnung auf Schweden gemadt: nun feien 
aud fie mit ihrer Weisheit am Ende und fünnten nichts ale 
zur Geduld mahnen und auf beflere Zeiten vertröften. Ja 
etlihen, namentlich Levin von dem Kneſebeck, gab er, wenn 
nicht geheimes Einverftändnis, jo doch Sympathien mit Schweben 
ſchuld. Er wollte handeln: wehre er ſich und thue, was er 
tönne, fo werde er wenigftens nicht ſolchen Schimpf haben. 
Aergeres ala Dänen und Schweden fönne ihm auch der Kaifer 
nit thun. Und fo fam er zu dem Schluß: „Alle Welt müßte 
mid für eine feige Memme halten, da ich jo ganz ftille figen 
folte. Beſſer mit Ehren geftorben, als mit Schanden gelebt. 
Ich habe nur einen Sohn: bleibt der Kaifer Kaifer, fo bleibe 
ich und mein Sohn aud wohl Kurfürft, da ich mich beim 
Raifer halten werde. Alſo fehe ich nichts anderes, ala id; werde 
mid) zum Kaijer ſchlagen müſſen in ber Zeit, die ich noch etwa 
babe.” 

Ehen in jenen Tagen fam Herr Hannibal von Dohna 
als Gejandter des Kaifers nad Berlin. Durch ſchöne Worte 
wegen Pommerns und Fülichs ſollte er den Kurfürſten ködern, 
feine Räte aushorchen oder beftehen. Er machte damit um fo 
mehr Eindrud, ala Georg Wilhelm wußte, dag man ihm in 
Wien und in Warſchau feines pfälzer Schwager Schidjal zus 
date. Aber die Entſcheidung, die er bei ſich getroffen, offen 
zu bethätigen, trug er Bedenken. Schmwargenberg follte bie 
übrigen Geheimeräte, die nad) wie vor für bewaffnete Neu: 
tralität eintraten, und die Stände, bie unbewaffnete Neutrali 

Brus, Preußlige Geichihte. I. 2 


338 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


tät forderten, von der Notwendigkeit und Nüglichkeit des An— 
ſchluſſes an den Kaifer überzeugen. So rangen die Parteien 
am Hofe und in der Regierung miteinander. In Prudmann 
und Schwargenberg ftießen die beiden politifhen Syfteme hart 
aufeinander. Als ſchimpflich befämpfte der freimütige alte Herr 
den Parteiwechſel: der Kaifer habe ihn nicht verlangt und 
Dänen und Schweden vergelte er das begangene Unrecht nicht. 
Auch würden die für den Kurfürften gemorbenen Truppen ſich 
nit ohne weiteres zur kaiſerlichen Armee ſchlagen laſſen. Noch 
niemand habe beim Bund mit dem Kaifer gewonnen, außer 
dem PfalzNeuburger, ber freilich aud; feinen Glauben abge- 
ſchworen habe. Aehnliches fürdtete der treue Diener auch hier 
als letzte Konſequenz des geplanten Syſtemwechſels: jedenfalls 

. müffe man bei einer fo folgenſchweren Entſcheidung ſich der 
Zuſtimmung des Landes verſichern. Er empfahl, etliche aus der 
Landſchaft zu berufen und ihnen das Beabfichtigte vertraulich 
fundzuthun: rieten fie zu, jo müßten fie aud) zur Durchführung 
helfen — „und darf hernach, wenn es mißrät, das ‚Rreuzige‘ 
nicht allein über die Räte gehn“. Auch die fürftlihen Frauen 
werden nicht unthätig geblieben fein. Die Gegenfäte ver— 
ſchärften fi) fo, daß Schwargenberg einen Gemaltftreich fürdhtete, 
wie er den Kardinal Khlesl befeitigt hatte. Um fo ärger vers 
dächtigte er feine Widerſacher: Eamuel von Winterfeld ſollte 
Mansfeldse Einmarſch und die Befegung Pilaus veranlaft, 
Kneſebeck diefe gutgeheißen haben. Solche Behauptungen machten 
auf den Kurfürften Eindrud. Von den Verleumdeten überließ 
einer nad) dem anderen das Feld dem „Herrn Meifter”, den 
Oxenſtierna unmutig ins Pfefferland wünſchte. Das ergab erft 
die Mattjegung, dann die Auflöfung des Geheimen Rates: an bie 
Stelle der Körperſchaft, die Joachim Friedrich als Vertreterin 
für das Gefamtintereffe des werdenden Staates geſchaffen hatte, 
trat der Wille des einen allmächtigen Minifters. 

Auch Pruckmanns Rat zur Berufung ſtändiſcher Vertrauens⸗ 
männer befolgte man nur zum Schein: noch ehe die gewünſchte 
Aeußerung erfolgte, vollzog Schwargenberg demonftrativ den 
Uebertritt zum Kaifer, obgleich die Bedingungen, von denen er 
ihn abhängig zu machen vorgab — Sicerftellung der eher 





I. Vollendung und Banterott des ftänbifgen Regiments, 339 


maligen geiftlihen Güter, Beftätigung ber Anwartſchaften, 
obenan auf Pommern und Medlenburg, und Herausgabe von 
Zägerndorf —, von Wien feiner Antwort gewürdigt wurden. 
Ja er lehnte, als Wallenftein bei der Verfolgung Mansfelds 
die Mark paffieren wollte, die angebotene Zahlung für die 
Lieferungen ab und befahl, für reichliche Verpflegung zu forgen 
und Generale und Oberften fürftlich unterzubringen. Und dabei 
verlangte man von ben ftänbijchen Vertretern ein Gutachten 
darüber, woher die Mittel zur Behauptung der Neutralität zu 
nehmen feien, und dann, auf welche Seite man, wenn bie 
Neutralität unmöglich wäre, ſich jchlagen follte! Zum Ueber— 
fluß war die an ſich ſchon zmeifellofe Antwort noch in ber 
Denkſchrift vorgezeichnet, die der Herr Meifter der Verſamm— 
lung vorlegte. Sie jhilderte die Mißhandlung des Landes durch 
die Dänen, die Bedrohung des Kurfürften mit Acht und Ab- 
ſetzung; an ber Seite des Kaifers dagegen werde Branden- 
burg eine ähnlich bevorzugte Stellung einnehmen, wie Kur- 
ſachſen und Förderung in der jülihihen Sahe und Fürſprache 
bei Polen finden. Was die ſtändiſchen Vertreter antworteten, 
ift nicht befannt. Doc bemilligten fie im Februar 1626 die 
Mittel zur Werbung von 2000 Mann für die nächſten drei 
Monate. Dann weigerten fie jede Zahlung: nad den von 
ihnen gebrachten Opfern müfle das zur Dedung der Feftungen 
Nötige ja vorhanden fein; höchſtens 900 Mann wollten fie 
noch beſchaffen. Ja der märkifche Adel war entjchlofien, 
im Notfall feinen eigenen Weg zu gehen: Hans Georg von 
Arnim, einflußreich durch feine militärifhe Laufbahn, hatte ihn 
heimlich für die Aufnahme Faiferlicher Bejagungen gewonnen. 
So erklärte die einberufene Landſchaft Werbungen für unnötig, 
da die Dänen im Abzuge jeien und neue Rüftungen den Kaiſer 
höchſtens verftimmen fönnten, 

Ganz fo lagen die Dinge freilich noch nit. Vielmehr ge: 
wann es einen Augenblid den Anſchein, als ob Schwargen- 
bergs Gegner doch noch durchdringen würden. Troß der Nieder: 
lage bei Zutter (27. Auguft 1626) ftand der Dänenfönig fampf- 
bereit an ber unteren Elbe; Mansfeld hatte Bethlen Gabor 
erreicht, und die Türken rüfteten ſich ihm beizuftehen, während 


340 Zweites Bud. Die erne Hoheniollern' he Staatögrändung 


die Schweden bereits die Weichſel überihritten hatten und in 
wenigen Tagen in der Neumark jein fonnten. Rallenftein war 
verloren, wenn Brandenburg in feinem Rüden mit Mansfeld 
und den Schweden gemeiniam losſchlug. Tas empfahlen die 
alten Räte. Bei ſolchem Widerftreit der Meinungen geihah im 
Herbit 1626 zunädft überhaupt nichts. Aber der Herr Meifter 
gewann immer mehr Boden. Zu ihm ftand der Adel des Lan- 
bes, der weder jelbft ausrüden noch Geld zu Werbungen auf- 
bringen wollte. on feinen Gegnern wurde einer nad) dem 
anderen befeitigt, in Ungnaben entfernt oder, wie Prudmann, 
fo planmäßig gefränft, daß er fi zurüdzog, So wurde er 
Herr der Situation. Ta zog auf feinen Rat der Kurfürft 
plöglih mit allen verfügbaren Truppen nad Preußen und über: 
ließ das Land auf Gnade und Ungnade den Kaijerlien: jie 
mußten es vor den Dänen fügen. Und indem er in Preußen 
den Schweden entgegentrat, gab der Kurfürft dem Kaifer fo: 
wohl wie Polen ein Unterpfand für den Ernſt jeiner Abſichten. 

Freilich erſchien diefer Aufbruh nad; Preußen wie eine 
Flucht: der Kurfürft habe fih in Sicherheit bringen wollen, 
meinten viele, und doch ftehe in der Mark das Schidjal aller 
feiner Lande zur Entſcheidung. Zuchtloſer als je ging es im 
Januar 1627 auf dem Stänbetage zu Berlin her. Wozu 
werben, wenn ber Kaifer das Land ſchützt? Die reformierten 
Näte feien an allem ſchuld: in den Untergang ihrer Religion 
wollten fie aud) das Land verftriden. Man möge fih an den 
Rurfürften von Sachſen wenden: der werde helfen. Mit Recht 
fhrieben die Geheimeräte dem Kurfürften, man ſäe zwiſchen 
ihm und feinen Unterthanen Mißtrauen. Aber die öffent» 
lie Meinung hatten fie gegen fi. Gemaltig erregte bieje 
ein Verfud der Dänen beim Nahen der Kaiferlichen ſich plöß- 
lich der feiten Pläge zu bemächtigen: ihn zu hindern hätte man 
nit vermodt, denn mit den ausgehobenen Leuten, die fich 
„vor dem Raufchen eines Blattes fürchteten“, war nichts zu 
unternehmen. In Berlin entlub fi die Wut gegen bie Räte 
in neuen Revolten. Noch im Mai 1627 wies der Kurfürft den 
Oberft Kracht an, ſich gegen die Kaiſerlichen als Soldat zu 
verteidigen; als fie endlich einrüdten, atmete die Bevölkerung 


I. Vollendung und Banferott des ftänbifchen Regiments. 341 


auf. Na der ven 22. Juni 1627 mit ihnen gejchloffenen Kon- 
vention follten fie die kurfürſtlichen Reſidenzen und Feftungen 
von Einquartierung frei laſſen und nur Frankfurt und Lande- 
berg befegen, verſprachen aud gute Mannszucht zu halten. 
Nun war für Schwargenberg der Augenblid gefommen, feine 
legten Gegner nieberzumerfen: am 24. Juli 1627 ließ er auf 
Grund eines Furfürftlihen Befehle Samuel von Winterfeld 
wegen Hochverrats verhaften. Prucdmann und Anejebed wurden 

‚ in ben Prozeß verwidelt. Ernft gemeint war biefer natürlich 
nit: er follte die Angeklagten nur unmöglid maden. Im 
Einverftändnig mit Schwartzenberg meinte der Statthalter, 
Markgraf Sigismund, ein eifriger Lutheraner: „Es ift Zeit, 
daß wir die Frauenzimmer gehen laffen, denn fonft find wir 
von ihnen verraten und verkauft.” Die Kurfürftin ſollte mit 
den Dänen nicht bloß jympatbifieren, jondern gar „praftizieren”. 
Doch gelang die Entfernung der Damen nit. Doch entzog 
man den Kurprinzen ihrem Einfluß, indem man ihn angeblich 
zu größerer Sicherheit nad Küftrin brachte. Jetzt erkannte 
Georg Wilhelm auch die bayriſche Kur an: durch die Gewährung 
des Prädifats Durchlaucht meinte er fih vom Kaiſer bafür 
hinreichend belohnt! Und was litt das Land von den Kaiſer⸗ 
lichen! Die Berliner, die im März 1627 die Abführung von 
150 dienſtpflichtigen Bürgern nah Brandenburg gewaltſam 
gehindert hatten, zahlten ohne Weigern eine Kontribution von 
14000 Thalern. Nach einer einfachen Anzeige an den Statt: 
halter verteilte Wallenftein von Frankfurt aus feine Armee 
über das Land. In der Alt: und Udermarf, wo Bappenheim 
und Hans Georg von Arnim noch milde malteten, mußten 
jedem Musfetier 7, jedem Reiter 12 und jedem Küraffier gar 
15 Gulden den Monat gezahlt werden. Den mittelmärkiſchen 
Städten preßte Oberft Hebron monatlih 7700 Thaler ab, 
Montecuccoli der Neumark in zwei Monaten 72000. Noch 
Aergeres wurde dem Lande an Naturallieferungen zugemutet. 
Was ihm bis Ende bes Jahres 1628 abgepreßt wurde, ſchlug 
man im ganzen auf 200 Tonnen Goldes an: die zur Dedung 
des Landes nötigen 3000 Mann würden faum zwei gefojtet 
haben! 


>12 Zweites Bud. Tie erfte hohen jollerniche Staarsgründung. 


Und dennoch wird man zugeben münen, dag Schwarken- 
berg den Beg ging, der damals allein möglich war. Wirkliche 
Reutralität war unmöglich; fih mit den Dänen einlajjen, hätte 
Brandenburg das Sci Wedlenburgs bereitet, die Aechtung 
des Kurfürften, jeine Entjegung in Brandenburg und in Preußen 
zur Folge gehabt. Rur der Anſchluß an den Raijer bot Aus— 
fiht auf Rettung. Nicht bierin hat Schmargenberg gefehlt, wohl 
aber darin, daß er das Land in eine jo heilloje Lage geraten 
ließ. Indem er die Politit der bewaffneten Neutralität be- 
tämpfte, ihr jein Syitem entgegenjegte, ermöglichte, verjhuldete 
er eine Berihleppung der Entiheidung und damit eine ver- 
bängnisvolle Halbheit. Tab er dabei eigennügige Ziele ver: 
folgt, die faijerlide und katholiſche Sache habe fördern wollen, 
ift unerwiejen, mag auch fein Befenntnis und jeines Haufes 
alte Verbindung mit dem Raijerhofe auf fein politiihes Denken 
einen gewiſſen Einfluß geübt haben. 

Klägliher nod als in Brandenburg endete Georg Wil- 
helms Anlauf zu energiihem Handeln in Preußen. Zu Be: 
ginn des Jahres 1627 war er mit 3000 Mann zu Fuß und 
600 Pferden dort erſchienen. Sich mit den Polen zu vereinigen 
lehnte er ab, da die Stände die von Schweden gebotene Neu— 
tralität vorbehaltlich feiner Zuftiimmung angenommen hatten. 
Königsberg hatte jogar von diefer Klaufel abgejehen. Da er— 
ſchien Guſtav Adolf am 18. Mai 1627 abermals vor Pillau, 
landete etliche Regimenter auf der Friſchen Nehrung und ließ 
das fefte Lochftädt am Wege nad) Königsberg berennen. Am 
22. Mai bewilligte er einen Vertrag, nah dem der Kurfürft 
für die drei nädjften Monate neutral bleiben, er aber im 
Herzogtum bloß die zur Bejagung von Pillau nötigen Truppen 
laſſen jolte. Darüber erhob fi in Polen gewaltiger Lärm: 
mit allen Folgen der Felonie dachte die Nationalpartei Georg 
Wilhelm zu treffen. Sofort verſprach dieſer 1000 Mann zu 
Fuß und 200 Reiter nebft ein paar Geſchützen gegen Schweden 
zu ftellen, wandte fih aud dur Hans von Dohna um Hilfe 
an den Kaifer, gab alfo die Neutralität glei” wieder auf. 
Mitte Juli zogen die Truppen wirklich den Polen zu. Den 
preußif—hen Städten wurde Handel und Verkehr mit den in 





II. Vollendung und Banterott des ſtändiſchen Regiments. 343 


ſchwediſcher Gewalt befindlichen Zandesteilen verboten. Schwe: 
difche Repreſſalien blieben nicht aus: in Pillau wurde das 
Schiff mit Befchlag belegt, das des Kurfürften Silbergerät und 
Jagdhunde von Stettin brachte. Guſtav Adolf felbft zog von 
Marienburg auf Preußifh-Mark und Mohrungen, um die Rur- 
fürftlichen abzufangen. Am 27. Juli ſahen ſich dieſe plötzlich 
der ſchwediſchen Armee gegenüber. Mit einigen Compagnien 
beraneilend, fragte fie Matthias von Thurn, ob fie Freunde 
ober Feinde wären, fechten oder fich ergeben wollten. Darüber 
hätten fie feine Ordre, erklärten die Offiziere. Schnell waren 
fie umftellt. „Fechten oder Uebergabe !” lautete des Königs Wort, 
während Thurn fie von neuem anherrſchte: „Freunde oder 
Feinde?” — „Freunde!“ rief da das Fußvolk. „So hebt eure 
Musketen auf!” gebot der Graf. Und als e8 geſchehen, fragte 
er: „Ihr ſeid des Königs von Schweden Volk?” — „Ja, ja!“ 
tönte es zurüd. Die Neiterei folgte diefem Beiſpiel. Ohne 
einen Schuß war die furfürftlihe Armee in Preußen ver- 
ſchwunden. Die höheren Offiziere ſchickte Guftav Adolf mit den 
Gefhügen und Begleitmannjhaften nad Königsberg: fünftig 
müfje er Leute und Kanonen befjer in acht nehmen, ließ er 
feinem Schwager jagen. Die übrigen reihte er feinem Heere ein. 

Ohne Kenntnis von biefen Vorgängen hatte inzwijchen 
Georg Wilhelm in Königsberg polniſchen Gejandten gegenüber 
fi bereit erflärt, mit gegen Schweden zu gehen, aud bei 
Guftav Adolf wegen Verlegung feiner Rechte Beſchwerde er: 
hoben. Jet unterhandelte er mit ihm und ſchloß am 6. Auguft 
einen Vertrag, der ihm die Werbungen für Polen verbot, den 
Verkehr mit den von den Schweden befegten Zandesteilen frei 
gab und den Königsbergern für ihre Neutralerflärung Amneitie 
gewährte, dagegen die ihm am 22. Mai gewährte Neutralität 
von drei auf fünf Monate erftredte. Im Oktober wurde fie 
auf ein halbes Jahr verlängert. Aber die freundlichen Er- 
bietungen bes Schwebenfünigs fanden auch jegt bei ihm fein 
Entgegenfommen. Um jo mehr wollte fi) Guftav Adolf Preußens 
verfiern: er bejegte Memel und brachte den Unterlauf der 
Weichjel in feine Gewalt. Denn fon dachten die fiegreihen 
Kaiferlihen Polen zu Hilfe zu ziehen. Was wurde dann aus 


344 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgrünbung. 


Georg Wilhelm, deffen Neutralität in den Augen Polens Bruch 
der Lehenstreue war? 

Und wie in der Mark zwifhen Dänen und Kaijerlihen 
und in Preußen zwiſchen Schweben und Polen, fo ſchienen die 
Hohenzollern am Niederrhein zwiſchen Spanien und den Nieder: 
landen zermalmt zu werden. Was fie im Cleveſchen noch be= 
haupteten, verdanften fie der Republik. Brandenburg dort fi 
jelbft überlafen, hätte für diefe nichts anderes geheißen als das 
Land den Spaniern preisgeben. Unter dem Vorwand, feine 
Neutralität zu fihern, hatten bie Niederländer daher einen 
großen Teil von Cleve beſetzt; jegt ſollte das gleiche mit der 
Grafihaft Mark geſchehen. Was blieb da Brandenburg? Ferner 
brachte die Nepublif als Pfand für die 1614 von Johann 
Sigismund unter ihrer Bürgichaft bei dem Kaufhaus Hoffgfer 
aufgenommene und unverzinft gebliebene Schuld ein weiteres 
Stüd Land an fih, nahm auch die brandenburgifche Bejagung, 
die wegen ihrer Zuchtlofigfeit entlaflen wurde, in ihren Dienft, 
fo daß der Kurfürft dort gar nichts mehr zu jagen hatte. In 
ihrer Bedrängnis dachten die Stände Cleves bereits daran, 
fi dem Kaifer zu überantworten, ben fie früher um jeden 
Preis hatten fern halten wollen: ſchon bereitete Tilly unter 
ichwerer Mißhandlung des Landes und harter Verfolgung ber 
Evangeliſchen den Faiferlihen Sequefter vor. 

In feinem feiner Lande aljo befand fi Georg Wilhelm 
wirklich im Befig: überall lag die Gewalt in den Händen fremder 
Generale. Der Zuftand war ebenfo demütigend für ihn wie 
unerträgli für feine Unterthanen. Deshalb eilte im Januar 
1628 Schwargenberg nah Wien: er follte Erleichterung ber 
von Wallenftein der Mark aufgelegten Kriegslaften, Heraus: 
gabe Jägerndorfs und Erlaß einer halben Million Gulden 
rückſtändiger Reiche: und Kriegsſteuern erwirfen. Mit legterem 
drang er durch; auch folte Wallenftein die Marf räumen und 
nur 1800—2000 Mann in drei feiten Plägen lajien. Ein 
Recht Brandenburgs auf Jägerndorf dagegen wollte man in 
Wien nit kennen; zubem ftehe ja der Anfall Pommerns be: 
vor. Um fo wichtiger wurden die Verbindungen, die Schwargen: 
berg am faiferlihen Hof gewann. Der greife Khlesl meinte, 


IM. Vollendung und Banterott des ftändifhen Regiments. 345 


ſchon fei mande Gefahr um feines Minifters willen von dem 
Kurfürften abgemandt, jegt habe derſelbe vollends allen Arg- 
wohn befeitigt. Auch der Kaifer bewies dem Grafen feine 
Gnade. Daß diefer von ihm eine Anmweifung auf 200 000 
Gulden annahm, hatte nad) den Anfhauungen der Zeit nichts 
Bedenkliches. Kehrte Schwargenberg nun auch als ein noch 
überzeugterer Anhänger des Bundes mit dem Kaifer heim, fo 
wollte er Brandenburg doch nicht etwa einfach dem Belieben 
des Raifers überantworten, fondern als einen um feiner Leiftungs- 
fähigkeit willen geachteten Bundesgenoſſen neben denſelben ftellen. 
Möglich aber war das nur, wenn man bem widerſtrebenden 
Lande die Mittel dazu abnötigte: fo erwuchſen der inneren 
Politik neue Aufgaben. Und ließ ſich no ein Entgegenfommen 
des Wiener Hofes erwarten, nachdem Wallenfteins Sieg über 
Dänemark und die Niederwerfung Norddeutſchlands den Er- 
tremen und der Politif bes Reftitutionsebifts zur Herrſchaft 
verholfen hatte? 


IV. Die Bernichtung der Haatlichen Exifteng Branden- 
burgs durch die deuffche Mevolufion und den 
europaiſchen Krieg. 1629—1640. 


Da norddeutfche Krieg ging zu Ende: der europäifche 
entbrannte. Durch Wallenftein übermädtig, wollte der Kaiſer 
mit Spanien und ber Ligue die italienifhen Staaten und die 
Niederlande bewältigen, Frankreich demütigen und in Schweden 
den legten Hort der Reformation breden. Durfte Georg Wil: 
helm hoffen, die Neutralität, die in Brandenburg nit durch: 
führbar geweſen, in Cleve und Preußen zu behaupten? Daß 
er als Reformierter außerhalb des Neligionsfriedens ftand, war 
dem Iutherifhen Eifer der Märker und Preußen nur genehm. 
Mit dem Beſitz der drei märfifchen Bistümer ftellte das Reſti— 
tutionsebift einen weſentlichen Teil feiner landesherrlichen 
Rechte und Einkünfte in Frage. Weiterhin drohte die Teilung 
der niederrheinifchen Lande zwiſchen Defterreih und Spanien, 
Preußens Einverleibung in Polen oder Herftellung als Ordens: 
ftaat. Geſchah das jchlielich nicht, jo war e& weder Georg 
Wilhelms noch feines Minifters Verdienft. Yon anderer Seite 
kam die Rettung, wurde aber wieder nicht entichloffen benugt. 
Wohl büßte Schwargenberg darüber feine leitende Stellung 
ein: um fo offenbarer wurde des Kurfürften Hilflofigfeit und 
Unfähigkeit. Auch jegt fam er nicht hinaus über eine von ber 
Hand in den Mund lebende Politik der kleinen und Eleinften 
Mittel. Nach feinem Befig und der Fülle der darin wurzelnden 
Intereſſen berechtigt und befähigt auf den Gang der Dinge 
im Reid beitimmend einzuwirfen, wurde er vielmehr von ihm 
unter Demütigungen aller Art haltlos hin und ber getrieben. 
Wie einft Friedrih V. von der Pfalz zu Schwargenberg von 
ihm gejagt hatte, weil er feines Freund war, war ihm jeber- 





IV. Die Vernichtung der ftaatlihen Exiſtenz Brandenburgs. 347 


mann unfreund. So ging es am Niederrhein, in Preußen und 
ſchließlich in der Mark. 

Cleve war ſo gut wie verloren. Auf kaiſerlichen Befehl 
ſollte der Kurfürſt die Verbindung mit den Niederlanden löſen 
und dieſe durch Tilgung der Hoffyſerſchen Schuld zur Räumung 
der in Pfand genommenen Plätze nötigen. Seine und Schwargen: 
berg8 Aechtung wurde im Januar 1629 zu Wien ermogen. 
Nochmals verjuchte er eine Verftändigung mit Pfalz-Neuburg. 
Friedrich Heinrih von Oranien vermittelte, Schwargenberg 
jelbft eilte nad; Cleve. So kritiſch fand er dort die Lage, daß 
er ohne Vollmacht am 19. März 1629 zu Düffeldorf einen 
neuen, für Brandenburg ſehr nachteiligen Vertrag unterzeichnete. 
Er verlängerte zwar ben Traktat von 1624 auf 25 Jahre, 
mobifizierte ihn aber dahin, daß zwar Brandenburg Marf und 
Pfalz:Neuburg Jülich und Navenjtein behalten, letzteres aber 
wählen follte, ob es ftatt Berg nicht lieber Cleve haben wollte; 
ferner wurde das bisher brandenburgiſche Ravensberg gemein- 
jamer Befig. Daß Wolfgang Wilhelm Cleve wählte, zeigte, 
wie wenig ihm an einem guten Einvernehmen mit Branden- 
burg lag. Da machten die friegeriichen Ereigniffe den Vertrag 
gegenftandslos. Um die mit Nebermacht rheinabwärts drängenden 
Kaiferlichen und Spanier, die ihn zur Aufhebung ber Belagerung 
von Herzogenbuſch nötigen wollten, aufzuhalten, veranlapte 
Friedrich Heinrich von Oranien einen kühnen Vorſtoß auf Wefel, 
der am 18. Auguſt 1629 den Schlüffel der niederrheiniſchen 
Rande in feine Gewalt brachte. Nun mußten die Spanier, 
die ſchon Utrecht bedrohten, zurüdgehen, bevor Montecuccoli 
mit ben Kaiferlihen von Köln her und Tilly mit dem Heer 
der Ligue aus Weſtfalen heranfam. Die Republik weigerte die 
Anerkennung des Düffelorfer Vertrages. Bon dem kaiſerlichen 
Sequefter war nicht mehr die Rede. 

Auch Preußen retteten fremde Erfolge. Von dort jollten 
Kaiferlihe und Polen Guftav Adolf verdrängen. Doch ver: 
mittelte Georg Wilhelm für das Frühjahr 1629 eine drei— 
monatliche Waffenruhe. Während Hans Georg von Arnim, den 
Wallenftein den Polen zu Hilfe ſchickte, unthätig bleiben mußte, 
gewann Guftav Adolf Zeit, Verftärtungen herbeizuführen und 


348 Zweites Bud. Die erfte Hohenzollernfhe Staatsgründung. 


Königsberg zu deden. Die Vereinigung Arnims mit den Polen 
zu hindern gelang ihm jedoch nicht; ja vor ihnen nad Marien- 
burg zurückweichend, erlitt er bei Stuhm eine Schlappe, bei 
der er faum der Gefangenfchaft entging. Ohne Kriegserflärung 
hatte der Kaiſer in den ſchwediſch-polniſchen Krieg eingegriffen. 
In einem offenen Schreiben an feinen Schwager (29. Zuli) 
protejtierte Guftan Adolf gegen diejen Bruch des Völkerrechts 
und enthüllte des Kaifers Pläne zur Vernichtung der religiöfen 
und der politifchen Freiheit: der Entfchluß, feine Waffen nad 
Deutfchland zu tragen, ftand bei ihm feft. Der jchwebifch- 
polnifche Krieg erhielt europäifche Bebeutung. Um Schmweben 
durch einen Stillfiand mit Polen zum Angriff auf Deutſchland 
frei zu maden, weilte jeit Ende Mai Franfreihe Bevoll- 
mädjtigter Charnace in Preußen. Aber erſt als aud) England 
vermittelnd eintrat, Fam am 26. September 1629 in Altmark 
ein fechsjähriger Waffenftilftand zwijchen Schweden und Polen 
zum Abſchluß. In Preußen behielten die Schweden Memel, 
Pilau, Fiſchhauſen und Lochitädt, die von ihnen occupierten 
Pläge an der Weichfel aber, namentlid) Marienburg, überant- 
worteten fie brandenburgiihem Sequefter. 

Für das Land murde das ein Segen. Aber auch Georg 
Wilhelm gewann dabei. War mit einer Friedensvermittelung, 
wie er fie neben Frankreih und England übte, die Lehens- 
abhängigfeit von Polen noch vereinbar? Lag darin nit ein 
ſtillſchweigender Verzicht auf fie? Der erfte Schritt zur Löſung 
Preußens von Polen geihah durch den Vertrag von Altmark. 
Auch veriprad Frankreich alles zu hindern, was vom Reich 
oder vom Deutſchen Orden gegen Preußen unternommen würde. 
Andere Vorteile verhieß die notgebrungene Annäherung an 
Schweden. Kurz vor Unterzeichnung des Altmarker Vertrages 
traf der Kurfürſt in Fiihhaufen mit Guftav Adolf zufammen. 
Da brachte er die pommerfche Frage zur Sprache: aber während 
er zur Durdfegung feines Erbrechts ſchwediſche Hilfe erbat, 
wollte er bei einem ſchwediſchen Einbruch in Deutichland Pom⸗ 
mern und die Marken neutralifieren. Beides zugleih war un- 
möglich: aber die Verhältniffe zogen ihn immer mehr zu 
Schweden. Schwargenbergs Stellung wankte. Schon zu Fifch- 





IV. Die Vernichtung der ftaatlihen Eriftenz Brandenburgs. 349 


haufen bat Georg Wilhelm den König, ihm um des Grafen 
willen dod feine Schwierigkeiten zu mahen. Aud daß Samuel 
von Winterfeld endlich in Freiheit gejegt wurde, kündigte den 
Syſtemwechſel an. Bald hieß es, der Kurfürft werde mit 
preußifchen und ſchwediſchen Truppen in die Mark kommen, 
um gemeinfam mit dem König loszuſchlagen. Wenigitens das 
wollte Schwargenberg hindern: 100—150 Mann Leibwace, 
meinte er, genügten. Auch hatte Walenftein ſchon alles jo 
disponiert, daß er Berlin. jeden Augenblid bejegen konnte. 
Die Marken und Pommern waren in feiner Hand, und bie 
Vollſtredung des Reftitutiongebifts nahm dort ihren Anfang. 
Vergeblich proteftierte Georg Wilhelm. Wie Bogislam XIV. 
von Pommern jhien er depoffediert werden zu ſollen. Auch 
gingen unter dem Drud der kaiſerlichen Soldatesfa den Mär: 
fern die Augen auf über den Wert der Neutralität. Von bes 
Kurfürften Heimkehr hoffte man Beſſerung; freudig wurde er 
empfangen: man habe fich nicht ſcheren laſſen wollen, hieß es 
in einem akademiſchen Vegrüßungsgedicht, und nun werde einem 
das Fell über die Ohren gezogen. Hätte jegt eine Fräftige 
Hand die Zügel ergriffen und die den Unterthanen gefommene 
beſſere Einſicht benugt, um fie zur Zeiftung des für die Wehr- 
haftmachung des Landes Nötigen anzuhalten — bas bisher Ver: 
fehlte wäre gut gemacht und größeres Unheil abgewandt worden. 
Uebel genug fand Georg Wilhelm den Zuftand des Landes, 
als er mit 400 Mann heimkam: jo viel hatte ihm der Kaifer 
ſchließlich zur Verftärkung der Befagungen mitzubringen erlaubt. 
„Mein unfchuldiges Land ift ganz zur Wüftenei geworden, und 
ich bin aller Mittel ganz zumal entblößt,“ klagte er. Aber 
nicht bloß wegen Geldmangel lehnte er die Ladung des Kaijers 
nad Regensburg ab: erft nad Räumung der Mark durd die 
Kaiſerlichen erklärte er, kommen zu können, und an der Spige 
der Geſandtſchaft, die er nad) Regensburg ſchickte, ftand Sieg: 
mund von Gößen, neben Winterfeld der Hauptgegner Schwargen- 
berga. 

Der überrafhende Gang ber Dinge in Regensburg ift 
befannt. Statt durch die Wahl feines Sohnes zum römiſchen 
König feine Macht befeftigt zu fehen, war ber Kaifer plöglich 


350 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernjche Staatögründung. 


hart im Gebränge zwiſchen der auf Frankreich geftügten Ligue 
und den vom Schwedenkönig zum Kampf für Glauben und 
Freiheit aufgerufenen Evangeliſchen. Verftändigte er fi mit 
jenen, jo mußte er jeine politiſchen Ziele — abfolutiftifche 
Umgeftaltung der Reichsverfaſſung — aufgeben; der Vergleich 
mit diefen machte die Einftellung der kirchlichen Reaktion nötig. 
Diefe fortzuführen, opferte er Wallenftein, machte er mit Frank- 
rei Frieden und überließ die Durchführung des Reftitutions- 
edikts den katholiſchen Reichsfürften. Und dennoch zögerten die 
Evangelifchen mit dem Anſchluß an den Schwedenkönig und 
bereiteten ihm gleich eine ſchwere Krifis! Namentlich Georg 
Wilhelm hat ſich niemals Eleiner gezeigt ala in jenen Tagen, 
wo er durch einen tapferen Entſchluß fih um das Evangelium, 
das Rei und die Zukunft feines Haufes das größte Verdienft 
hätte erwerben fönnen. Und dabei bot Guſtav Adolf feinen 
geringen Preis. Sein Vertrag mit Bogislam XIV. vom 
10. Zuli 1630 beftimmte, wenn beim Tode des Herzogs Bran- 
denburg den Vertrag noch nicht anerfannt und zur Erledigung 
des Landes geholfen hätte oder fein Nachfolgerecht angefochten 
würde, follte Pommern in ſchwediſchem Sequefter bleiben, bis 
die Erbfolgefrage entichieden und der als beredhtigt anerkannte 
Erbe Schweden für die Kriegskoſten entihädigt haben würde. 
Alſo nicht die Erwerbung Pommern, nur feine militärifche 
Sicherung erftrebte der König damals und ben Erſatz ber auf- 
gewenbeten Koften. Dur den Beitritt hätte Georg Wilhelm 
fein Recht auf Pommern von Schweden anerkannt erhalten. 
Aber noch war die Mark in der Gewalt der Kaiferlichen, die 
aud in Pommern und Medlenburg ben Schweden gewachſen 
waren. Deshalb that Georg Wilhelm nichts. Nur ließ er im 
Juli 1630 die Befeftigung Berlins in Angriff nehmen. Galt 
fie den Schweden oder Wallenftein? Erſt der Rüdzug ber Kai— 
jerlihen in Pommern änderte die Lage. Dazu famen bie 
Regensburger Vorgänge. Nun ſchlug aud Georg Wilhelm einen 
anderen Ton an: er verlangte Erſatz für bie feinem Lande 
abgepreßten Kontributionen und Herftellung der Herzöge von 
Medlenburg oder Uebergabe des Landes an ihn als den nächſten 
Erben. Der Kaiſer ſuchte ihn zu befehwichtigen, indem er auf 





IV. Die Vernichtung ber fiaatfichen Criftenz Brandenburgs. 351 


die Durchführung des Reftitutiongedifts in Brandenburg ver- 
zihtete und ihm ben Beſitz der ehemaligen geiftliden Güter 
auf vierzig Jahre zuficherte. 

Ein Erfolg des Schwedenkönigs hätte Brandenburg wohl 
zu ihm berübergezogen: er war unmöglich, folange es ihm den 
Durchzug verfagte, ben zu gewähren fein eigenes Interefje empfahl. 
Unter ſchwediſchem Schu war Markgraf Chriftian Wilhelm 
als Adminiftrator nach Magdeburg zurüdgefehrt ; die Raiferlihen 
ſchloſſen e8 ein: nur ein raſcher Vormarſch Guſtav Adolfs 
konnte es retten. Schwartzenberg empfahl aber, nicht bloß die 
Marken, ſondern auch Pommern, Mecklenburg und ben ober- 
ſächſiſchen Kreis zu neutralifieren. Ermwünfchteres hätte dem 
Kaiſer freilich nicht geichehen Fünnen. Guftan Adolf erklärte 
das für unmöglih: nur einen kurzen Stillftand könne er bes 
willigen, fals Brandenburg fi rüften wolle, um ihm beizu= 
treten. Dagegen forderte namentlich Kurt Bertram von Pfuel, 
Baners Schwager, die Allianz mit Schweden. Eine britte 
Gruppe unter Hans Georg von Arnim vertrat eine mittlere 
Stellung gemeinfam mit Kurſachſen. Die Entſcheidung ſchob 
Georg Wilhelm wieder den Ständen zu. Anfangs Auguft 1630 
tagten ihre Vertreter in Berlin. Natürlich fahen fie das Heil 
allein in firifter Neutralität: weber mit dem Kaiſer noch mit 
Schweden dürfe man fi einlaffen, am Kriege weber offenfiv 
noch defenfiv teilnehmen; man müfje „in des Kaifers Devotion 
verbleiben, mit Kurſachſen zufammenhalten” und den Verdacht 
irgend welcher Beziehung zu Schweben ängſtlich meiden. 

Danach handelte Georg Wilhelm. Ende Auguft beſprach 
er fih mit Johann Georg von Sachſen in Zabeltig. Gemein: 
jam, jo flug er vor, wollten fie mit dem oberſächſiſchen Kreis 
und den Seeftädten vermitteln. Aber ſchon dadurch fürchtete 
der Sachſe fih dem Kaifer gegenüber zu fompromittieren. Der 
Frage aber, ob Brandenburg, falls der Kaiſer oder Schweden 
es zur Parteinahme zwingen follte, auf feine Hilfe rechnen 
tönnte, wich er aus: dergleichen fei nicht zu befürchten. Noch 
übler mußte man mit dem Verbleiben in der Denotion bes 
Kaiſers fahren. Georg Wilhelm nahm doch Partei gegen 
Guſtav Adolf, wenn er das drohende Schreiben der Mehrheit 


352 Zweites Bu. Die erfle hohenzollernſche Staatögründung. 


des Regensburger Tages an diefen unterzeichnete. Noch hielten 
die Raijerlihen die Mark und jperrten den Schweden den Weg 
nad Mitteldeutfhland. Wie hätten fie dem Kurfürften da 
Neutralität bewilligen folen? Da ließ dieſer ven König wien, 
für den Anſchluß drohe ihm Acht und Abjegung, und davor 
tönne er ihn doch nicht bewahren. So wollte der König ſich vor⸗ 
läufig mit einer geheimen Anſchlußerklärung begnügen, erbot fi 
aber zu fofortiger Einräumung Pommerns und Ueberlaſſung 
von 8000 Reitern auf fünf Monate gegen 100000 Thaler. 
Georg Wilhelm jedoch bemilligte nicht einmal die Einräumung 
des Paſſes von Küftrin, welche die Kaiferlihen aus der Neu— 
marf genötigt und die ſchwediſche Stellung in der Mark ge- 
dedt hätte. Er unterhandelte weiter, unklar und infonfequent: 
was er fonnte, wollte er nit, und was er wollte, fonnte er 
nit. Dagegen kam ihm Kurfachfen mehr entgegen, jeit der 
Ausgang des Regensburger Tages die Evangelifchen das Uebelfte 
erwarten ließ. Neujahr 1631 beſprachen fich beide Fürften in 
Annaburg, und Johann Georg lud die evangeliihen Stände 
auf den 1. Februar zu einem Tage nad; Leipzig, um ein ge— 
meinfames Vorgehen zu erwägen. Schon das machte nad 
beiden Seiten Eindrud. Wären die Evangelifhen wirklich 
entſchloſſen, ſich ſelbſt zu fhügen, meinte der König, fo fei er 
in Deutſchland überflüffig: ftatt die gegen die Kaiſerlichen ge— 
wonnenen Vorteile auszunugen, wandte er fi in Erwartung 
der weiteren Entwidelung nad Medlenburg. 

In Leipzig aber kam man über halbe Mafregeln nicht 
hinaus. Man entwarf den ftattlihen Grundriß für ein „Defen- 
fionswerf” und blieb Schweden gegenüber bei mißtrauiſcher 
Neutralität, während Johann Georg, von Hans Georg von 
Arnim beraten, fi in aler Stille in Kriegsbereitſchaft ſetzte. 
Durch fein loyales Zumwarten hatte Guftav Adolf feine Lage 
nur verſchlechtert. Exit als Tilly fi von Medienburg gegen 
Magdeburg wandte, ließ er jede Rüdfiht fallen. Er entriß 
den Raiferliden Frankfurt (2.12. April) und Landsberg an der 
Warthe (16.26. April) und forderte vom Kurfürften (28. April) 
die Deffnung des Paſſes bei Küftrin: fie wurde verweigert. 
Was folte nun aus Magdeburg werden? Mit zehn Regis 





IV. Die Vernichtung der ftaatlihen Exiſtenz Brandenburgs. 53 


mentern zog der König auf Berlin. Am 1. Mai war er in 
Köpenid. Der Kurfürft beharrte.e Da zog er noch näher an 
die Hauptftadt. Eine Verteidigung war bei der Unfertigfeit 
der Werke nicht möglih. So fam Georg Wilhelm eine Stunde 
vor der Stadt dem Schwager entgegen, begleitet von den 
fürftlihen Frauen. Von neuem beteuerte der König, nur bie 
Rettung des Evangeliums habe ihn über das Meer geführt; 
für fi juche er feinen Vorteil, wolle Pommern an Branden- 
burg kommen laſſen und nur die Kriegsfoften erjegt haben; 
auf der Gewährung fieren Durchzugs jedoch müſſe er beharren. 
Der Kurfürft lehnte ab. Da legte fich des Kurfürften Schwieger: 
mutter ing Mittel und beſtiumte den König, zu weiteren Ver- 
handlungen mit nad) Berlin zu fommen, von 1000 Dann be: 
gleitet. Dort erfolgte endlih am 4. Mai ber Abſchluß: der 
Paß bei Küftrin folte den Kaiferlihen Hinfort verfagt, den 
Schweden geöffnet jein; auch ſollten diefe Spandau beſetzen, 
bis Magdeburg befreit wäre. 

Wieder war Brandenburgs Neutralität zu Schanden ge: 
worden. Im Rüden gededt, wollte der König nach Magdeburg 
eilen. Da weigerte ihm Sachſen den Marſch über Wittenberg: 
er mußte über Potsdam und Brandenburg ziehen. Darüber 
fiel die unglüdliche Stadt am 20. Mai; der Aominiftrator 
Markgraf Chriftian Wilhelm wurde friegsgefangen. Die Lage 
war völlig gewandelt, ein Vorſtoß der Schweden nad Mittel- 
deutfhland unmöglich, die Luft der evangeliſchen Fürften zum 
Anſchluß dahin. Hätte Guftav Adolf nur ſchwediſche, nicht 
evangelifhe und europäijche Intereſſen verfohten, er wäre 
damals am beften heimgefehrt: die Deutſchen, jo ſchien es, 
wollten nicht gerettet werden. Wirklich ließ er am 26. Mai 
Levin von dem Knejebed, dem Direktor des kurfurſtlichen Ge- 
heimen Rats, eröffnen, der Fal Magdeburgs und der Mangel 
an Unterftügung nötigten ihn zum Rückzug nah Pommern, 
Brandenburg möge fich jelbft ſchützen. Der Eindrud war nieder- 
ſchmetternd: ratlofe Verzweiflung herrſchte am Berliner Hofe, der 
für alles Kurſachſens Unentfchloffenheit verantwortlih machte. 
Nun erklärte fih Georg Wilhelm zum Anjchluß bereit, doch 
joe man ‚nicht Unmögliches verlangen. Handelte es ſich aber 

Prutz, Preußifce Geſchichte. I. 23 


354 Zweites Bud. Die erfte Hohenzollernihe Staatögründung. 


um bejtimmte Abmadjungen, fo begann das alte Spiel: Span 
dau und den Küftriner Paß wollte er den Schweden lafjen, 
alles weitere aber von ber Entſcheidung Kurſachſens abhängig 
maden, an das man fi) zu Leipzig gebunden habe, dagegen 
müffe der König das Land gegen Tilly deden. Und dabei er- 
wog Georg Wilhelm mit feinen Räten bie Aufnahme fäd: 
ſiſcher und dänifcher Bejagungen in die märkiſchen Feftungen! 
Blieb Guſtav Adolf da ein anderer Ausweg als Gewalt? Am 
15. Juni erging fein Ultimatum: er wollte Spandau, das ihm 
zur Rettung Magdeburgs geöffnet war, fofort räumen, müfle 
aber binnen brei Tagen willen, ob er den Kurfürſten als Freund 
oder als Feind zu betrachten habe. Georg Wilhelm jollte end: 
lich Farbe befennen, eben das, was er um jeden Preis zu ver- 
meiden ſuchte. Da rief er Hans Georg von Arnim herbei, den 
Befehlshaber des neuen jähfiihen Heeres. Ein Märker von 
Geburt und ein eifriger Evangeliſcher, nacheinander in pol: 
niſchen, ſchwediſchen und faiferlihen Dienften, viel erfahren 
und mit weitem Blid, überzeugte biefer ihn von der Unmög— 
lihfeit der Neutralität. Nun galt es den erbitterten König 
zu beſchwichtigen. Am 18. Juni räumte diefer Spandau, 
marjdierte aber am 19. auf Berlin. Die Kanonen auf die 
Stadt gerichtet, verlangte er Entſcheidung. Geſchäftig eilte 
Arnim Hin und her, au die fürftlihen Frauen traten be- 
gütigend ein; fchlieglih trafen fi die Schwäger perjönlid. 
Am 21. Juni erfolgte der Abſchluß: Spandau bejegten bie 
Schweden wieder, die Befagung von Küfirin unter Oberft Kracht 
ſchwur Guſtav Adolf Treue: fie ſollte den Schweden jederzeit 
den Durchzug geftatten, im Fall der Gefahr aber fie in bie 
Feftung aufnehmen und dann dem ſchwediſchen Kommando 
unterftellt fein. Zum Unterhalt der Schweden zahlte Branden- 
burg monatlih 30000 Thaler. 

Ohne jeden Gewinn für Brandenburg geſchah jo, was 
einige Wochen früher freiwillig vollzogen die größten Vorteile 
gemährt hätte. Mit Unrecht hat man Schmwargenberg dafür 
verantwortlich gemadt: er mar damals gar nicht beim Kur— 
fürften, ja nicht in der Mark. Bon der Miffion nad Düſſel- 
dorf zurüdgefehrt, Tag er längere Zeit ſchwer krank. Im No— 


IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Eriſtenz Brandenburgs. 355 


vember 1630 wurde er nad) Holland und dem Niederrhein ge= 
ſchickt. Dort blieb er zwei Jahre: erſt nad) der Schlacht bei 
Zügen erfheint er wieder am Hofe. An dem, was inzwijchen 
geſchah, Hatte er feinen Anteil. Daß er es nicht billigte, ift 
richtig. Er war ein Gegner des ſchwediſchen Bünbniffes: ſchon 
feine Konfeſſion verſchloß ihm das Verftändnis der Motive und 
Ziele Guftav Adolfs, in dem er nicht den Netter des Evan- 
geliums und der beutjchen Freiheit, fondern einen Eroberer 
von der Art Chriftians IV. ſah. Daß er das ausſprach und 
den Kurfürften vor Schweden warnte, war fein Unrecht, war 
fein Recht und feine Pflicht. Die vollendete Thatfahe aber 
hat er acceptiert und fich beſchieden, es müſſe in jeiner Ab— 
weſenheit eine Aenderung der Verhältniffe erfolgt fein, welche 
die veränderte Anjhauung rechtfertigte und vielleicht auch ihn 
zu ihr befehrt hätte, daß er anders geurteilt, fei kein Un— 
recht. Den Verdacht einer Verbindung mit dem Wiener Hofe 
wies er entjchieden zurüd: ein Parteigänger des Kaiſers oder 
Spaniens fei er jo wenig wie ein Jeſuit. „Sch bin gut bran- 
denburgiſch, und das werde ich und meine Kinder, jo lange 
wir leben, bleiben.” Dagegen trug das Bild, das Guftav 
Adolf fih von Schwargenberg machte, wohl die Züge und die 
Farben, die ihm die furfürftlihen Frauen liehen. Am liebften 
hätte fi} der Graf felbit vor dem König gerechtfertigt. Aber 
Georg Wilhelm hielt ihn fern. Mißtraute er der eigenen Kraft 
und fürchtete duch ihn wieder aus der Bahn geworfen zu 
werben, in die er eben hatte einlenfen müſſen? 

Nun endlich Fam die Kriegerifche Aktion in Gang. Schon 
hatte Guftav Adolf die Kaijerlihen aus Brandenburg, Rathenow 
und Jerihom werfen laflen. Jetzt drang er. auf Tangermünde, 
ging über die Elbe, nahm Stendal, Arneburg und Werben 
und verficherte ſich des dortigen Elbübergangs. Dann aber 
mußte er Halt maden. Denn Johann Georg von Sachſen 
lehnte nicht bloß das angebotene Offenfivbündnis ab, jondern 
auch die geforderte jelbftändige Aftion des Leipziger Konvents, 
ja er näherte fi dem Kaifer und beſchickte den Frankfurter 
Tag, auf dem die Religionsparteien eine Verftändigung über 
das Reſtitutionsedikt ſuchten. Inzwiſchen brandihagte Tilly 


356 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Stantsgründung. 


Thüringen und Hefien und vereinigte fih mit ben Kaiferlichen, 
Sadjen war in feiner Hand und jollte fi dem Reftitutions- 
edikt beugen, als er Befehl erhielt, Guſtav Adolf aus der 
Stellung an der Elbe zu werfen. Das gelang ihm nicht, und 
er ging nad Sachſen zurüd, es zu entwaffnen und dem Raifer 
zu unterwerfen. Was dort in feiner Wiege jegt das Schidjal 
des Evangeliums fein würde, ftand zum voraus fell. Das 
begriff auch Johann Georg: da fonnte nur der Anſchluß an 
Schweden retten. Auf Arnims Hilferuf eilte Guſtav Adolf 
herbei. In Gegenwart Georg Wilhelms trafen der König 
und der Sachſe zufammen, den Bund zu ſchließen und bie 
legten Berabredungen zu treffen. Gleich danach vereinigten fi 
ihre Heere, während Tilly ſchon Leipzig bedrohte. Am 7. Sep- 
tember wurde er bei Breitenfeld geſchlagen: die Evangeliſchen 
waren gerettet. 

Zunächſt gewann davon Brandenburg: das Reftitutions- 
edift brauchte es nicht mehr zu fürdten. Die Waffenruhe für 
Preußen war nun gefihert; das Land fing an fi zu erholen, 
Aderbau, Handel und Gewerbe lebten auf. König Sigis- 
munds II. Tod im Frühjahr 1632, das Interregnum und die 
Wahlkämpfe befeitigten dort vollends jede Gefahr, Wladis— 
law IV. erleichterte fogar die Lehensbedingungen. Aber auch 
am Niederrhein befierte fih Brandenburgs Stellung. Der 
Kaifer und Spanien vollzogen die 1629 vereinbarte Räumung 
des größeren Teil des Landes: feit dem Frühjahr 1631 lagen 
nur noch in Rees, Emmerich) und Weſel niederländifhe und 
in Jülich, Orfoy und Sittard fpanifche Truppen, und die Stände 
von Cleve und Mark erkannten Georg Wilhelm vorbehaltlos 
als Landesherrn an. Der Erfolg rechtfertigte aljo den Anſchluß 
an Schweden. Benugte Georg Wilhelm die Umftände und 
verfolgte dieſen Weg entſchloſſen weiter, jo war aud für die 
Mark eine Beflerung zu hoffen; denn Guſtav Adolf wollte ein 
offenes und ehrliches Einverftändnis, ein auf volle Gemein: 
ſchaft der Intereſſen gegründetes Schuß: und Trugbündnis. 
Den Zwang, den er Hatte anwenden müfjen und durch bie 
Belegung von Spandau und die Erhebung von 30 000 Thalern 
monatlich noch ausübte, mwollte er abftellen: nur einige Zeit 





IV. Die Vernichtung ber ſtaatlichen Eriftenz Brandenburgs, 357 


noch möge man ihn geduldig tragen. Gegen feine urjprüng- 
lie Abſicht, ihm völlig zu entwafnen, hatte er Georg Wil- 
heim bereits erlaubt, außer den ihm zugeftandenen Feitungs- 
befagungen Truppen zu halten. Auch wagten die Stände der- 
malen nit die Mittel dazu zu verweigern: im Frühjahr 1632 
hatte Georg Wilhelm 5000 Mann unter Waffen. Aber an 
dem Programm hielten die Stände feit, das ihre Vertreter 
zuletzt entwidelt hatten, namentlich bem Verlangen engiten An- 
ſchluſſes an Kurſachſen: ihr Mann war Hans Georg von Arnim. 
Anders urteilte die große Maffe: fie war der furchtbaren Ge- 
fahr ihres Glaubens inne geworben und blicte dankbar zu dem 
Retter auf. Aehnlich gefpalten war die Regierung. Zwar hatten 
die ſchwedenfreundlichen Frauen und die gleichdenkenden Räte 
Schwargenbergs Einfluß nicht mehr zu fürchten, wohl aber die 
Unentſchloſſenheit des Kurfürften, der troß fteter Sorge um 
feine Selbftändigfeit immer abhängiger von Johann Georg von 
Sadjen wurde. Mit defien Hilfe juchte er ſich weiteren Zu: 
mutungen Schwebens zu entziehen. Den Antrag feines Schwagers 
auf ein förmliches Bündnis lehnte er im Oktober 1631 unter 
Berufung auf feine Pflichten gegen den Raifer ab. Diefer 
Standpunkt, ohnehin auf einer Fiktion beruhend, wurde un— 
haltbar, als der Siegeslauf des Königs eine Neugeftaltung des 
Reis in Ausſicht ſiellte. Wie Guſtav Adolf diefe ſich auch 
gedacht haben mag: er rechnete dabei viel mehr auf Branden- 
burg als auf Sachſen. Daß, um Schwedens Stellung an ber 
Spige der deutſchen Evangelifchen zu fihern, Pommern ſchwe— 
diſch wurde, war eine militärifche und politiſche Notwendigkeit. 
Aber Brandenburg follte reich entſchädigt werden. Schlefien, 
die Laufig, das Erzbistum Magdeburg waren ihm zugebadht, 
nod andere Säfularifationen in Ausfiht genommen. Und 
nicht bloß das: damals zuerft befchäftigte den König — nicht 
als ein flüchtig auftauchender Gedanke, jondern als ein jo 
ernftlich erörterter Plan, daß nad feinem Tode feine ver: 
trauteften Räte darauf zurüdzulommen ſich für verpflichtet 
hielten — das Projekt der Vermählung feiner einzigen Tochter 
Chriftine mit ihrem Vetter, Georg Wilhelms Sohn, Friedrich 
Wilhelm. Sie hätte eine geſchloſſene evangeliihe Nordmacht 


358 „Zweites Bud. Tie erite bobenzollerniche Staatsgründung. 


geihaiten, die in Deutihland das Evangelium und die reihe: 
fürftliche Freiheit geiihert und in Verbindung mit den deutſchen 
Proteitanten, den Niederlanden und England und auf Frank: 
reich geitügt, die ſpaniſch-habsburgiſche Weltmaht in Schach 
gehalten Hätte. Wohl verfehlten ſolche Ausſichten nit ihres 
Eindruds auf Georg Wilhelm. Ob er jie aber ernit nahm? 
Jedenfalls lag bei der Jugend bes Kurprinzen und ber ſchwe— 
difhen Thronerbin die Verwirflihung diejes Plans noch in 
weiter Ferne. Ihn trogdem zur Bafıs der brandenburgifdhen 
Politif zu machen, hätte den jofortigen Anſchluß an Schweden 
erfordert und den Hobenzollern Neider und Feinde in Menge 
erwedt. Sole Entſchloſſenheit war nit Georg. Wilhelms 
Art. Piel zwingenderer Momente bedurfte eg, um ihn zum 
Handeln für Schweden und an der Seite Schwedens zu ver- 
mögen. Und erft ein ſolches ſchuf den Boden für eine Union 
der Häujer Waſa und Hohenzollern. 

Mitte Februar 1632 erſchien der Kurfürft in Dresden zu 
Verhandlungen über einen Frieden mit dem Kaifer und etwaige 
gemeinjame militärifhe Maßnahmen. Bei eriteren ftanden be— 
zeichnenderweife finanzielle Jnterefien voran: man verlangte 
vom Kaiſer Erjag für den erlittenen Schaden und die Kriegs— 
koſten, und Georg Wilhelm allein ſoll nicht weniger als 20 Mil- 
lionen Gulden gefordert haben. Andererjeits vermarf Kurſachſen 
fomohl die Herftellung der Pfälzer wie die Entſchädigung 
Schwedens durch das Erzbistum Bremen und forderte die un- 
veränderte Augsburgiſche Konfeſſion und die Konforbienformel 
als Grundlage des zu erneuenden Religionsfriedens, ftellte alſo 
Georg Wilhelm und fein Haus außerhalb desjelben, während 
Schweden den Reformierten endlich zu ihrem Recht verhelfen 
wollte. Auch jeine Truppen mit den brandenburgiſchen zur 
Dedung der Mark nad) Schlefien zu fhiden, wie Guftan Adolf 
empfohlen, lehnte Johann Georg ab. So ftand die Marf 
einem plöglihen Anfall der Kaijerlihen offen: nur engerer 
Anſchluß an Schweden verhieg da Sicherheit. Da rief der 
polnische Thronwechſel Georg Wilhelm nad Preußen. Des 
Einbruchs Wallenfteins von Böhmen her jeden Augenblid ge- 
wärtig, bat der Statthalter Markgraf Sigismund den an der 


IV. Die Vernichtung ber ſiaatlichen Eriſtenz Brandenburgs. 59 


Warthe ftehenden ſchwediſchen General Dumald, einen Streif: 
zug nach der Laufig und Schlefien zu maden. Ohne Befehl 
des Königs aber mochte diefer feinen Poften nicht verlafien: 
die Brandenburger möchten felbft handeln. Da drangen bieje 
im Juni unter Konrad von Burgsdorf jühmärts vor, nahmen 
Kroſſen, Grüneberg und Freiftabt und behaupteten, von ben 
Raiferlihen zurüdgedrängt, mwenigftens den erften Platz. Eben 
jegt aber trat die Krifis des Krieges ein. Nachdem er bie 
Sadjen aus Böhmen geworfen, zog Wallenftein nah Franken 
und lagerte, Guſtav Adolf im Rüden bevrohend, bei Nürn- 
berg. Der Kurfürft von Sachſen aber, jtatt dem dorthin eilenden 
König zu helfen, ſchickte feine Hauptmacht unter Arnim gegen 
die Raiferlihen nach Niederſchleſien, wo fie (17. Juli) Glogau 
eroberte. Nun zog aud Duwald dorthin, mit ihm die Brans 
denburger. Bei Steinau ſchlugen fie die Kaiferlihen und nahmen 
Schweidnitz, Franfenftein und Neiße, während Wallenftein trog 
aller Mahnungen in feinem Lager blieb, dann aber fi plöß- 
lich nad Sachſen wandte und Guftan Adolf durch die Bes 
drohung feiner Rüdzugslinie zum Abzug aus dem Süden nötigte. 
Bald folgte die Lützener Schlaht und des Königs Tod. 

Nun war Brandenburg ſchwer bedroht. Trotz des ſchwe— 
diſchen Sieges fürdtete man das Vorbringen der Kaiferlichen 
in die Marken und Pommern. Welche Richtung die ſchwediſche 
Politik einſchlagen würde, war nicht abzufehen. Auf Sachſen 
war fein Verlag: hatte doch in Schlefien alles nad dem 
Steinauer Siege Gemonnene dem von diplomatifhen Rüdfichten 
beherrſchten Arnim abgerungen werben müſſen. Georg Wil- 
helm eilte nad der Mark, wo im Hinblid auf „den äußerft 
gefährlichen und ſorglichen Zuftand in der Nachbarſchaft“ be 
reits am 12. November ein allgemeines Aufgebot ergangen 
war: die Bevölkerung ſollte „zur Rettung des gemeinfamen 
Vaterlandes und fein felbit hochnotwendigen Gegenwehr und 
Abtreibung alles dräuenden Uebels gefaßt ſein“. Das Waffen: 
glüd der Schweden wandte die Gefahr ab; in der Politik jedoch 
vollzog ſich ein folgenſchwerer Wandel. Der Einfluß Frank: 
reichs begann den Norden und den Süden des Reichs zu trennen. 
Im Norden näherte Sachſen fih Wallenftein und fuchte dabei 








360 Zuweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


Brandenburg mit fi zu ziehen. Georg Wilhelm aber glaubte 
nit an des Kaiſers Geneigtheit zu billigem Frieden, meinte 
aud, durch Entgegenkommen die Laiferlihen Forderungen nur 
zu fteigern. Andererſeits hielten die Leiter ber ſchwediſchen 
Politik den Eheplan feit, verlangten freilih aud, der Kur: 
prinz folle in Schweben und Iutherifch erzogen werden. So 
blieb eine neue Beſprechung der beiden Kurfürften zu Dresden 
(Ende Februar 1633) ohne Ergebnis, und Johann Georg zog 
feine Armee aus Schlefien zurüd. Ihrem Befehlshaber waren 
mit Zuſtimmung Schwedens auch die brandenburgiſchen Truppen 
unterftelt: fie jollten nur abgerufen werben dürfen, wenn es 
das eigene Land zu beden galt. Sachſens Führerrolle ſchien 
ausgefpielt, die Hohenzollern ſchienen an die Stelle der Albertiner 
zu treten. Schon ftand Frankreich mit Georg Wilhelm in leb- 
haftem Verkehr, der völlig entſchloſſen ſchien, bei Schweden 
zu bleiben. Neue Rüftungen begannen. Ein Buß: und Bet— 
tag wurde gehalten, allgemeine Bewaffnung befohlen. Avo— 
fatorien verboten am 4. Juli allen brandenburgiſchen Vaſallen 
und Unterthanen bei ſchwerer Strafe den Dienft „in den fried- 
ländiſchen, bayriſchen und anderen päpftlichen ligiftifchen Heeren” : 
fei e8 doch weltfundig, daß der evangelifhe Glaube vertilgt 
und die ihm zugethanen Fürften und Stände von Land und 
Leuten und ihre Unterthanen von Haus und Hof gejagt werden 
follten: es handele fih um die Religion und die deutſche 
Freiheit. 

Inzwiſchen machte Wallenftein Arnim, der ihm mit den 
Sachſen und Brandenburgern gegenüber ftand, die erjten Anz 
träge zu einer Verftändigung auf Roften der Schweden, indem 
er einen Neihsfrieden auf Grund bes Zuſtandes von 1618 
verhieß. Bald zeigte eine überraſchende Waffenruhe, daß Außer- 
ordentliches im Werke ſei. Was follte Georg Wilhelm thun? 
Mußte der Bund mit Schweden jegt nicht fein Verderben 
werden? Die perfünlien und politiihen Gegenfäge erneuten 
fi) in feiner Umgebung. Den Freunden Schwebens, welche 
die Avofatorien und das Landesaufgebot durchgeſetzt hatten, 
traten die Vorfämpfer des Friedens und der Neutralität ent— 
gegen, jegt wieder von Echwargenberg geleitet. 


IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Eriſtenz Brandenburgs. 361 


Der Graf hatte die Entfernung vom Hof ſchwer empfunden, 
doch wohl nicht bloß aus perjönlicder Anhänglichkeit an Georg 
Wilhelm. Aber gleih nad Guftan Adolfs Tod war er nad 
Königsberg berufen worden, hatte den Kurfürſten jedoch nicht 
nad der Mark begleitet. Erſt im Sommer 1633 erſchien er 
in Berlin, und fofort machte fi fein Einfluß wieder geltend. 
Bald war die Gegnerihaft zwiſchen ihm und den übrigen Räten 
ein Faktor, mit dem die fremden Diplomaten rechneten. Die 
Verhandlungen zwifchen Wallenftein, ven bohmiſchen Emigranten 
und Arnim führten indefien am 21. Auguft zu einem zweiten 
vierwöchigen Waffenftillftand. Mitte September ſchien man 
mit Wallenftein vollends einig geworden zu fein. Auch Georg 
Wilhelm, den Arnim in Beeskow aufjuchte, hatte zugeftimmt. 
Die Konjunktion der Sachſen, Brandenburger und Schweden 
mit dem faiferlihen Generaliffimus ſchien unmittelbar bevor- 
äuftehen, während von den Beteiligten doch thatjädjlich niemand 
an den Ernft und die Ehrlichkeit Wallenfteins glaubte. Da 
kundigte diefer den Waffenftilftand: er fah, daß Arnim zum 
Kampf gegen die Schweben nicht zu haben war. Arnim eilte 
das nun ſchwer bedrohte Sachſen zu deden, nahm aud die 
brandenburgiſchen Truppen mit dorthin. Statt ihm zu folgen, 
warf fih Wallenftein plöglih auf die die Oderlinie dedenden 
ſchwediſchen Generale Graf Thurn und Dumald und bradte 
ihnen am 11. Oktober bei Steinau eine Niederlage bei. Bald 
war faft ganz Schlefien in feiner Gewalt. Dann eilte er gegen 
die völlig ungebedte Mark, befegte Krofien, nahm Frankfurt, 
deſſen Bejagung nah Küftrin entwich, und dann Landsberg. 
Fürftenwalde wurde niebergebrannt, Storkow und Köpenid be= 
ſetzt. Bald war Berlin bedroht. Der Kurfürft floh nad) Bran- 
benburg, dann in die Altmark. Die VBürgerfhaft, auf das 
Schlimmſte gefaßt, barg ſich fingend und betend in den Kirchen. 
Auch erfchien der Oberft Wiens, ein Märker von Geburt, und 
verlangte Quartier für fünf Regimenter und eine Kontribution 
von 50000 Thalern. Der Rat erklärte, bloß 2000 aufbringen 
zu können. In diefer Bedrängnis, die das Trugipiel der ge- 
planten Konjunktion nur noch demütigender machte, warf fi 
Georg Wilhelm endlich ganz in die Arme Schwedens und 


362 Zweites Bug. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


Frankreichs. Am 28. Oktober unterzeichnete er in Havelberg 
den Vertrag, der ihm Friedensunterhandlungen nur mit beiden 
gemeinfam erlaubte. Eben noch von Schweden loszukommen 
bemüht, war er enger ala je an basjelbe gebunden. Er hatte 
fi übereilt. Es fam nicht jo ſchlimm, wie er gefürchtet. 
Denn als Arnim herbeieilte und die Rüdzugslinie ber nad 
Berlin vorgejhobenen Kaiſerlichen bedrohte, eilten (11. No: 
vember) diefe davon. Wallenftein ſelbſt gebot bie Nachricht 
von dem Angriff Bernhards von Weimar auf Regensburg Halt. 
Doch mißlang Arnims Angriff auf Frankfurt; zwiſchen der kai— 
jerlihen Befagung und Sachſen und Brandenburgern fanden 
noch kleinere Gefechte ftatt, dann kamen ſchwediſche Verſtärkungen 
aus Preußen heran. Baner erſchien mit beträdtliher Macht. 
Entſcheidend aber wurde die rätjelhafte Unthätigkeit Wallen- 
fteins: fie bereitete die zu feinem Untergang führende Krifis vor. 

Auch Brandenburg ftand bis zulegt mit Wallenftein in 
Verbindung, troß der eben gegen Schweden und Franfreid 
übernommenen Pflichten bereit, mit dem Kaiſer abzufchließen, 
und obgleich Georg Wilhelm felbft meinte, man wolle ihn nur 
von aller Afjiftenz entblößen und ihm die Waffen aus den 
Händen fpielen, um danach den Unglimpf des ausgeſchlagenen 
Friedens auf ihn zu wälzen. Während man bes Kaifers Friedens- 
vorſchläge in allgemeinen Wendungen beantwortete, wurden 
Ballenfteins legte Erbietungen, mit denen Arnim am 5. Februar 
in Berlin erf&ien, in Gegenwart bes Nurfürften zwei Tage 
(7. und 8. Februar) Hindurh von dem Geheimen Rate ein: 
gehendft erwogen. Wallenftein wollte mit den Verbündeten Frieden 
ſchließen, auch ohne des Kaiſers Zuftimmung. Konnte man 
daran glauben? Seit dem jähen Abbruch der letzten Verband: 
Lungen herrſchte tiefes Mißtrauen gegen den Herzog: man wollte 
ſich nicht noch einmal einer ähnlichen Vergewaltigung ausfegen, 
andererfeits aber auch Feine Möglichkeit unverſucht laſſen. 
Widerftrebend, ohne Glauben an den Erfolg und im Gefühl 
des Unrechts gegen Schweden, trat man an die Sache heran. 
Wie hätte Georg Wilhelm dem Drud einer ſolchen Situation 
widerſtehen und nicht wie ein Rohr bin und her ſchwanken 
ſollen? Kläglicher denn je war die Rolle, die er fpielte, trotz 





IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Eriſtenz Brandendurgs. 363 


der Vorhaltung bes ehrlichen Levin von dem Kneſebeck, „con- 
stantia made einem Fürften Reſpekt, inconstantia verurſache, 
daß er zwiſchen zwei Stühlen fige”. Alle Geheimeräte, auch 
Schmwargenberg, meinten, ohne Wiſſen und Willen Schwedens 
und Frankreichs dürfe man nicht unterhandeln, auch möge Rur: 
ſachſen erft noch Genaueres über die Vollmacht und die Abfiht 
Wallenfteins erfunden. Der Kurfürft ftimmte bei, und Arnim 
wurde demgemäß beſchieden. Doch genügte ihm die Antwort 
nit, und es gelang ihm, in der Morgenfrühe des 9. Februar 
zu dem noch im Bett liegenden Georg Wilhelm Zutritt zu er: 
langen und ihm durch neue dringende Vorftellungen die Er: 
Märung abzuringen, er wolle mit Kurſachſen zufammengehen 
und zugleich mit ihm Frieden ſchließen. Inwieweit Schwargen- 
berg die Hand im Spiel hatte, muß dahingeftellt bleiben: aber 
am Nachmittag wiederholte er feines Herrn Neußerung Arnim 
wörtlich, weigerte ſich jedoch, fie als offizielle Antwort an Sachſen 
ausfertigen zu lajjen, da diefe vom Geheimen Rat tags zu: 
vor feftgeftelt fei. Endlich einigte man fi dahin, der Kur: 
fürft folte jene Worte vom Morgen Arnim in eigenhändiger 
Niederſchrift mitgeben. Was diejer jpät abends befam, gab 
aber einfach der Hoffnung Ausdrud, die mit dem Kaifer und 
defien Feldhauptmann zu vereinbarenden Bedingungen möchten 
von allen evangeliſchen Ständen gebilligt werden. Arnim ſprach 
fein Erftaunen über diefe Unbeftändigfeit aus: da müſſe er fi 
an ben ihm mündlich gegebenen Beſcheid halten und würde 
den abweichenden fhriftlihen gar nicht angenommen haben, 
handelte es fi nit um bes Kurfürſten eigene Handſchrift. 

Georg Wilhelms Verhalten ift nur durch die Annahme 
erflärlih, daß er längit aus dem ſchwediſchen Bündnis loszu— 
fommen und mit dem Kaifer verföhnt zu werben wünſchte. 
Nur hielt feine Scheu vor den Folgen des Vertragsbruchs, den 
er gegen Schweden und Frankreich begehen wollte, der Furcht 
die Wage, wie ihm Wallenftein nad) der Schlacht bei Steinau 
angebroht hatte, um Land und Leute und Dignität gebracht 
zu werben. Die neue Sinnesänderung wird füglich dem Ein- 
flug Schwargenbergs zuzufchreiben fein. Dabei war diejer auch 
jegt nach befter Ueberzeugung für Brandenburgs Wohl bedacht, 


364 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


und wie er feine Auffaffung der Lage in den zweitägigen 
Debatten des Geheimen Rats entwidelt hat, wird man nicht 
umhin fönnen, den von ihm vorgezeichneten Meg als ben 
augenblicklich ausfihtsvollften anzuerfennen. Auch er hatte den 
Bund mit Schweden einjt als berechtigt und nüglich anerkannt. 
Seit Guftav Adolfs Tod aber hatte fi) das geändert. Schweden 
verfolgte in Deutſchland felbftfüchtige Ziele, die zum Teil nur 
auf Koſten Brandenburgs erreihbar waren, während die Allianz 
mit Schweden und Frankreich diejes verpflichtete, den Krieg 
fo lange fortzufegen, wie e& jenen beliebte, Frankreich aber 
Spaniens wegen ein Interefje daran hatte, den Frieden mög— 
lichft hinaus zu ſchieben. Deshalb ſollte der Kurfürft auf die 
Friedensanträge des Kaifers jo weit eingehen, als ohne Bruch 
mit Schweden und Franfreih möglich war, aud den Kaiſer 
durch Ausfiht auf einen befriebigenden Abſchluß zu weiterem 
Entgegenfommen gewinnen. Dem ftimmte jelbft Zevin von dem 
Senefebed bei und billigte das Verbleiben im Bunde mit den 
Evangeliſchen unter gleichzeitiger Annäherung an ben Kaifer 
zur Herbeiführung des Friedens. 

Nur fielen auch diesmal in dem Augenblid, wo man in 
Berlin zu einem Entſchluſſe fam, die Borausfegungen fort, auf 
die hin er gefaßt war: das blutige Ende Wallenfteins, ein 
Sieg der Jeſuiten und Spaniens, rüdte den Frieden in weite 
Ferne. Bon den Zugeftändnifjen, die der Ermordete in Saden 
der Religion gemacht hatte, war feine Rede mehr. Sachſens, 
das auf eigene Hand meiter unterhandelte, glaubte man in 
Wien fiher zu fein. Um fo ſchwerer jollte mit Schweden 
Brandenburg getroffen werben. Schon ftellte der Fall Regens— 
burgs (Juli 1634) die Unterwerfung von Sübbeutfchland in 
nahe Ausfiht. Unter den Evangelifchen vermehrte fi ber 
Hader. Auf einem Tage zu Frankfurt Hintertrieb Sachſen die 
von Schweden geforderte enge Verbindung der nord» und der 
ſüddeutſchen Evangelifhen, um nicht die Gleichberechtigung der 
Reformierten anerkennen zu müfjen. Schweden erklärte dort 
zuerſt, Pommern nicht herausgeben zu können. Georg Wil: 
helm war außer fi. Arnim meinte, das braude man fi 
nicht gefallen zu lafjen. Konnte man danach noch Waffengemein- 


IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Exiſtenz Brandenburgs. 365 


{haft mit den Schweden haben? Eben waren dieje unter Baner, 
nachdem fie den Kaiſerlichen Frankfurt und Landsberg entriffen, 
mit den Sachſen unter Arnim bis Prag vorgebrungen. Der 
Fall Negensburgs nötigte fie zum Rückzug nad Sachſen, wo 
Arnim die Verhandlungen mit dem Kaifer wieder aufnahm. 
Da zertrümmerte bie Schlacht bei Nördlingen die Machtftellung 
Schwedens in Süddeutſchland. Pommern zu deden, mußte Baner 
zurüd. Längſt waren die brandenburgiſchen Negimenter die 
Verbindung mit Schweben überbrüffig. Anfang September 
erlaubte auf Schwargenbergs Betreiben der Kurfürft ihnen, ihre 
eigenen Wege zu gehen. Man mar in vollem Zuge zum Ueber: 
tritt auf die Seite bes Kaifers. Aber die Bedingungen dafür 
auszumachen überließ man Arnim. So kamen die Präliminarien 
von Pirna (24. November 1634) zu ftande. Für Sachſen war 
darin gut geforgt, die Intereſſen der übrigen Evangelifchen 
aber wurden nur fehr lau wahrgenommen, die proteftantifchen 
Schleſier preisgegeben und die an den böhmischen und pfälzifchen 
Händeln Beteiligten von der verheißenen Amneftie ausgeſchloſſen. 
Dann aber änderte der definitive Frieden von Prag (20. Mai 
1635) die urfprünglicden Abmachungen vielfach noch zum Nachteil 
der Evangelijchen: jelbft Arnim erflärte ihre Annahme für un: 
vereinbar mit feinem Gewiſſen. In ganz Deutfchland herrichte 
zornige Entrüftung über das neue Judaswerk des Albertiners. 

Aber der Prager Friede follte für das ganze Reich gelten, 
wer ihn nicht annahm, gewiſſermaßen außerhalb des Rechts 
ftehen. Der Kaifer und Sadjen ftellten allen anderen Reichs— 
ftänden ein Ultimatum. Und auf welhe Bedingungen hin! 
Die Auflöfung aller Sonderbündnifje mit Ausnahme des Kurz 
vereins, ber Erbvereine des Haufes Defterreih und der Erb: 
verbrüderung zwifhen Sachen, Heſſen und Brandenburg, das 
Verbot an Fürften und Stände, mehr Kriegsvolf zu halten, 
als zur Befagung ihrer Feſtungen erforderlich, die Schaffung 
einer faiferlihen Armee von 80000 Mann und die Verpflid- 
tung, dem Kaiſer und ben Katholiken zur Eroberung ber in 
fremde Hände geratenen Gebiete zu helfen, gaben bie unum— 
ſchränkte Militärhoheit und die alleinige Vertretung Deutſch- 
lands dem Auslande gegenüber an den Kaifer, neben dem 


366 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


nur dem ſächſiſchen Kurfürften eine Art von Vorrang eingeräumt 
wurde. Dagegen wollte es wenig bejagen, daß ala Normaljahr 
für den proteſtantiſchen Beſitzſtand 1627 angenommen und das 
Reftitutionsebift auf fernere vierzig Jahre fujpendiert wurde. 
Auch für Brandenburg hieß den Frieden annehmen, fih mit 
gebundenen Händen dem Kaifer überantworten und zugleich 
der Rache Schwedens ausfegen, wenn es nicht gerüftet blieb, 
um fein Recht nach beiden Seiten zu wahren. Dann aller: 
dings bot felbft diefer Friede befjere Ausfichten als das Aus: 
harren im ſchwediſchen und franzöfifhen Bündnis. Er ermög- 
lichte bewaffnete Neutralität. Sie erftrebten die Geheimeräte, 
während der Kurfürft immer ungebuldiger zum Anſchluß an 
den Kaifer drängte. Ihn wünſchten auch die Stände. Auf 
die Kunde von den Pirnaer Präliminarien berufen, verlangten 
ihre Vertreter im Januar 1635 vor allem eine Reduktion ber 
Truppen um bie Hälfte und bemilligten die zur Ablöhnung 
nötigen Summen. Man entwaffnete, wo es gegolten hätte bis 
an bie Zähne gerüftet zu bleiben! Zugleich wurde mit Schweden 
verhandelt. Diefes fteigerte jegt fein Angebot: Brandenburg 
ſollte Pommern erhalten, auf Jägerndorf und Liegnig, ja ganz 
Schleſien machte man ihm Ausſicht; dafür ſollte es Schweden 
zu Magdeburg, Halberftadt und Osnabrüd verhelfen. Schwargen- 
berg ging nad Dresden, um von Johann Georg in betreff 
der Anfprüche auf Jülich und Preußen Zugeftändniffe zu er 
wirken. Den wieder verfammelten Vertretern ber Stände 
zeigte man, wie nad) dem Bruch mit Schweden Franzofen und 
Niederländer die niederrheinifchen Lande befegen würden, Pom— 
mern aber erft zu erobern bliebe, während der Ablehnung des 
Prager Friedens der Einbruch der Kaiſerlichen und der Sachſen 
folgen würde. Eine beftimmte Meinungsäußerung erfolgte 
nit. Da äußerte fi Oxenftierna nicht bloß wegen Jülichs 
und Pommerns günftig, ſondern eröffnete jogar die Möglich- 
feit, Schweden fünnte fi) mit einer Geldentſchädigung begnügen. 
Daraufhin unterhandelte Sachſen mit Schweden, freilich mehr 
zum Schein. Indeſſen konnten Kaiferlihe und Sadjen von 
Schleſien oder der Lauſitz jeden Augenblid über die Mark her- 
fallen, und auch die Schweden jtanden zum Einbruch bereit. Kam 


IV. Die Vernichtung ber ſtaatlichen Exiſtenz Brandenburgs. 367 


es zum Kampfe, ehe Brandenburg Partei genommen hatte, ſo 
mußte es fürchten, von beiden Teilen als Feind behandelt und 
zwiſchen ihnen zermalmt zu werden. Georg Wilhelm hatte längſt 
gewählt, verſuchte aber doch noch durch Schwartzenberg beſſere 
Bedingungen zu erhalten — die Herſtellung von Kurpſalz, die 
allgemeine Amneſtie, Sicherheit gegen Sachſens Anſprüche in 
Julich. Aber auch ohne fie ſollte der Graf abſchließen. Und 
fo fam es audi: ohne eine ber geforderten Erleichterungen 
erwirkt zu haben, erklärte er Brandenburgs Anſchluß an den 
Prager Frieden. 

Nichts ift Schwargenberg jo ſchwer zum Vorwurf gemacht 
worden wie dies. Er foll das Verhängnis verjchuldet haben, 
das nun über Georg Wilhelm und feinen Staat hereinbrad, 
indem er den Aurfürften zu einer Entiheidung drängte, die 
der Weberzeugung des Geheimen Rats und den Wünfchen der 
Öffentlichen Meinung entgegen war. Das ift nicht erweisbar: 
erft nachträglich, angefihts des unglüdlihen Ganges, den bie 
Dinge jpäter nahmen und ber, hätte man des Grafen Rat 
befolgt, vieleicht vermieden wäre, ift diefe Anklage erhoben, 
an die damals niemand gedacht hat. Das eigene Verſchulden 
zu verdeden, haben Schwargenbergs Gegner, die mit ihm bie 
Verantwortung teilten, fi jpäter den Anfchein gegeben, als 
ob fie vergebens gewarnt und anders zu handeln geraten hätten. 
Was damals an Fehlern begangen, hat man nachträglich auf 
den allmächtigen Minijter abgewälzt, als er aus ganz anderen 
Gründen zu Fall gekommen und folhe Anklagen zu widerlegen 
außer flande war. Erft neuere Forſchungen haben ihm Gerechtig⸗ 
feit verihafft und den Makel von ihm genommen, mit dem 
Parteileidenſchaft jein Andenken befledt hatte. 

Gewiß ift der Prager Friebe für Brandenburg unheilvoll 
geworden. Nur hat nicht Schwargenberg perjönlic den Ans 
ſchluß durchgefegt. Vielmehr befragte Georg Wilhelm angefichts 
der folgenfchweren Entſcheidung, die e8 galt, und gemäß feiner 
Gewohnheit die Stände. Auch die Geiftlihfeit Hatte fi gut— 
adhtlich zu äußern. Beide ſprachen ſich für den Beitritt aus: 
wenn ber allgemeine Friede num einmal nicht zu haben jei, 
müffe man von zwei Uebeln — Fortgang bes Krieges oder 


368 Zweites Buch. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


Bartikularfrieden — das geringere wählen. Dabei fegten 
Stände und Geiftlichfeit, wie auch der Kurfürſt und feine 
Minifter, freilid) voraus, einmal, daß man einen wirklichen 
und dauerhaften Frieden gewänne, dann, daß der Kaifer und 
Sadjen ſich bei Schweden um den allgemeinen Frieben auch 
weiterhin ernftlih bemühen würden. Beides aber traf nicht 
zu. Doch nit Schwargenberg und nit Georg Wilhelm, 
ſondern bie Hinterhaltige und eigennügige Politif Sachſens ver: 
ſchuldete es, daß die Verhandlungen mit Schweden fceiterten, 
obgleich dieſes ohne jeden territorialen Gewinn allein gegen 
acht Millionen Thaler das Rei zu räumen bereit war. Der: 
gebens mahnte Georg Wilhelm zuzugreifen: der Krieg, den 
man bald beendet zu ſehen gehofft, dauerte fort. Nun erft 
wurde Brandenburgs Lage peinlih. Nach dem Prager Frieden 
mußte es militärifch zum Kaifer ftehen, durfte aber doch auch 
die diplomatifchen Beziehungen zu Schweden nicht abbredhen, 
um wenigftens einige Schonung für die Marken zu erwirken. 
Das ergab ein widerſpruchsvolles, auf die Dauer unmöglides 
Verhältnis. Wie tonnte man von den Schweden Rüdficht ver- 
langen, wenn man dur die Militärfonvention vom 6. Of: 
tober 1636 die beiden brandenburgiſchen Reiterregimenter Kur— 
jachjen zum Kampf gegen fie überließ und dieſem die Havel: 
und Oberpäffe öffnete? Man hatte geglaubt, Schwedens Straft 
und Glüd gingen zu Ende. Das Gegenteil trat ein, während 
die als Bundesgenofjen im Lande ftehenden Sachſen und Kaifer: 
lichen dem ärgften Feinde glei hauften. Schwer traf bes 
fiegreihen Baner Hand das erſchöpfte Land. Auch Berlin 
hatte trog des Rurfürften Bitten Feine Schonung zu erwarten, 
wollte man fie nicht durch Zugeftändnifie erfaufen, bie ber 
Kaifer als Bruch des Prager Friedens geahndet hätte Da 
floh Georg Wilhelm nad Peig, und nicht einmal bie nötige 
militärifhe Eskorte war dazu aufzubringen! 

Aufs tieffte empfand er dieſe Demütigung: nie hat er 
fie den Schweden vergefjen. Krieg gegen Schweden war jegt 
feine Parole. Hieß das aber nicht die Gefahr ing Ungemefjene 
fteigern? Man hatte weder Truppen noch Geld folde zu 
werben. Ungehindert konnte Schweden den vernichtenden Streich 





IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Eriftenz Brandenburgs. 369 


führen. Auch ſchwand fo jede Ausfiht auf Pommern. Daher 
befämpften jelbft die Räte, die ben Anſchluß an den Prager 
Frieden empfohlen hatten, die beabfihtigte Deklaration gegen 
Schweden und beſchworen den Kurfürften, bei der Neutralität 
zu bleiben und aud weiterhin nicht als Friegführender Teil in 
Aktion zu treten. Anders urteilte Schwargenberg: von ben 
Vorausfegungen, unter denen er bie Annahme des Prager 
Friedens empfohlen hatte, war allerdings feine eingetroffen ; 
aber Georg Wilhelms Lage war doch nur deshalb jo elend, 
weil er mehrlos, ohne eigene Armee zwiſchen den Parteien 
ftand, beider Willkür preisgegeben. Das mußte anders werden. 
Gerade in dem fritif den Moment hatten die Stände ihn ent: 
waffnet. Im Notfall gegen ihren Willen mußte man verſuchen, 
die Mittel zur Rettung von Land und Dynaftie aufzubringen. 
Sich der auswärtigen Feinde zu erwehren, bedurfte es eines 
Wandels der inneren Politif. Es galt die Sprengung der 
Schranken, mit denen die Libertät der Stände bie fürftliche 
Autorität eingeengt und zur Erfüllung ihres Berufes unfähig 
gemacht hatte. Damit begann aud in Brandenburg der die 
ganze Zeit erfüllende Kampf zwifhen dem Fürftentum, das 
nad) abjoluter Gewalt ftrebt, und den Ständen, die ihre alten 
Gerechtſame behaupten wollen. Ihn durchzufechten war freilich 
eine Körperſchaft wie der Geheime Rat nit ganz geeignet: 
dazu beburfte e8 eines perjünlichen Regiments. Da führten 
der Kurfürft und fein Minifter den Bruch mit den das Her: 
kommen vertretenden Räten ſchließlich in der rüdfichtslofeften 
Weife herbei. Nach innen und nad; außen trat man in eine 
Aera erbitterten Kampfes. Wo die reifere politiihe Einficht 
und bie größere Thatkraft lag, ift nicht zweifelhaft. Mag 
Schwargenberg ſich aud in den Mitteln vergriffen haben: für 
Brandenburg war er ber erfte bewußte Vertreter des politiſchen 
Prinzips des abjoluten Fürftentums, dem, wenn er auch erlag, 
doch die Zukunft gehörte. 

Gegen das Votum und Hinter dem Rüden der übrigen 
Näte that Georg Wilhelm mit Schwargenberg den erften Schritt 
offener Feindfeligkeit gegen Schweden, indem er im März 1636 
durch Avofatorialmandate allen Brandenburgern bei Lehen: 

BPruß, Preustige Geſchichie. I. 24 


370 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


verluft und Güterfonfisfation den Austritt aus dem ſchwediſchen 
Dienft gebot. Das brachte eine Menge tüchtiger Männer, die 
fih dem Kriegshandwerk zugewandt hatten, in ſchwere Ge- 
wiſſensnot, infofern fie die Bethätigung ihrer religiöfen Ueber— 
zeugung weltlichen Rüdfihten opfern oder wohl gar gegen ihre 
Glaubens: und Waffengenofien fechten folten. Viele traten 
aus dem ſchwediſchen Heere, aber nur wenige von ihnen fonnten 
friedlichen Erwerb ſuchen: die meiften nahmen fremde Dienfte. 
Das Vaterlandagefühl des märkiſchen Adels und die Anhäng- 
licjleit an die Dynaftie wurden dadurch wahrlich nicht geftärkt. 
Zugleich aber begann Schwargenberg die Wehrhaftmachung des 
Landes: eine berittene Leibcompagnie wurde errichtet zum per: 
ſönlichen Schug des Kurfürſten ſowie zum Stafetten- und 
Patrouillendienſt. Aber als er vom Landtag die Mittel zur 
Beihaffung eines feldtüchtigen Heeres verlangte, verweigerte 
diefer ſowohl ben Unterhalt für bie Leibcompagnie wie bie 
Aufftellung von 300 Dragonern. Noch immer jahen die Stände 
nicht ein, daß ohne Selbithilfe die Eriftenz Brandenburgs auf 
dem Spiel ftand. So lange die Schweden fi zumeift gegen 
Sachſen wandten, war die Lage militärifch noch leidlich. Po— 
litiſch aber wurde fie geradezu verzweifelt, ala Sachſen bei den 
dur Dänemark vermittelten neuen Verhandlungen Georg 
Wilhelm riet, Schweden die Seefüfte, aljo Pommern anzu— 
bieten. Das alfo war der Lohn für den Beitritt zum Prager 
Frieden! Georg Wilhelm war außer fi) über folhe Perfibie. 
Der Verſuch zu direkter Verftändigung mit Schweden war jegt 
vollends ausfichtslos. Nur immer engerer Anſchluß an ben 
Kaiſer ließ noch hoffen: fo ftimmte Georg Wilhelm der Wahl 
Ferdinands II. zum römiſchen König zu. Für den Augenblid 
bot fi} fein anderer Ausweg. Doch war Schwargenberg felbft 
weit davon entfernt, auf die Dauer das Heil von dem Kaijer 
zu erwarten. Er wußte, daß in der Politik jede Leiftung ihre 
Gegenleiftung fordert und wer felbft nichts zu gemähren ‚hat, 
auch von anderen nichts gewährt erhält. Auch dem Kaifer 
gegenüber mußte Brandenburg, wollte e8 geachtet werden, etwas 
bedeuten, aljo militäriſch leiftungsfähig fein. In diefem Ge— 
danken wurzelte feine Politif: er wollte Brandenburg wehr— 





IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Exiſtenz Brandenburgs. 371 


fähig machen, damit es nicht länger bie Beute der Feinde und 
ber Spielball der Freunde fei, fondern fein Recht gegen beide 
vertreten fönne. 

Schon im Herbft 1635 hatte er verfucht, neben den als 
Feftungsbefagung dienenden zwei altbrandenburgifchen Regi— 
mentern eine Beine Feldarmee zu fchaffen, wirkte auch die 
nad dem Prager Frieden nötige Erlaubnis des Kaiſers dazu 
aus und ftelte bis zum Frühjahr 1636 zum Entjegen der 
Stände fünf neue Regimenter auf. Dazu kam die Leib» 
compagnie unter Oberft Goldader. Alle dieje Truppen hatten 
dem Kurfürften geſchworen, und wenn biejer ſich kaiſerlicher 
Generaliffimus nannte, fo brachte das nur die 1635 erneute 
ausſchließliche Militärhoheit des Kaifers zum Ausbrud. Das 
war die erfte brandenburgifche Armee, von Schmwargenberg 
geſchaffen unter lauten Proteften der Stände, welche die 
Mittel hartnädig weigerten. Ihrem Schöpfer trug fie den 
Nuf eines rüdfichtslofen Abfolutiften ein, der fein Bild bei 
der Nachwelt beitimmte. Wie aber hätte er auch nur die Mög- 
lichkeit zur Rettung Brandenburgs anders gewinnen follen? 
Ohne Not würbe er die ſchon jo fehwierige Lage durch einen 
erbitterten innerpolitifhen Kampf nicht noch erjchwert haben. 
Daß die ftändifche Libertät, die in Brandenburg blühte, mit 
wahrem fürftlihen Regiment unvereinbar fei, hatte er längft 
erfannt: auf jeinen Rat hatte Georg Wilhelm beim Regierungs- 
antritt die Veftätigung der ſtändiſchen Privilegien verweigert. 
Jetzt wurde die namentlich militärifhen Zweden dienende Kontri— 
bution ohne ſtändiſche Mitwirkung dur Iandesherrlihe Kom: 
miſſare ausgefchrieben, eingehoben und verwendet. Das be- 
feitigte auch den Einfluß der Stände auf die auswärtige Boli- 
tif. Natürlich konnte die Oppofition die Lage des Landes nicht 
troſtlos genug ſchildern: es fei ruiniert und zu jeder Leiftung 
unfähig. Was daran war, bewies, daß diefelben Leute noch 
1640 erklärten, vor ſechs Jahren, das ift aljo 1635—1636, 
habe das Land ſich wohler befunden wie feit achtzig Jahren! 
Aber nad dem Siege Baners über Kaiferlihe und Sachſen bei 
Wittſtock (September 1636) verfhlimmerte fi die Lage. 
Wieder wurde das Land von den Schweden überflutet, war 


372 Zweites Bud. Die erfte Hohenzollernfhe Staatsgründung. 


Berlin in Gefahr, mußte Georg Wilhelm, den Baner vergeb- 
lich zum Abfal vom Kaifer zu drängen ſuchte, nad Peig ent— 
weiden. Und nun follte auch Preußen wieder Kriegsihauplag 
werben! Dur einen Angriff auf die Oftfeeprovinzen wollte 
ber Kaifer die Schweden zum Abzug aus Deutſchland nötigen. 
Dazu follte ein Heer in Preußen aufgeftellt werden: bie ganze 
Wut des ſchwediſchen Angriffs wäre jo auf Brandenburg ges 
zogen worden. Deshalb jchlugen Georg Wilhelm und Schwargen- 
berg vor, mit Faiferlihem Gelde in der Mark ein Heer zu 
ſammeln und Bommern anzugreifen: denn am 10. März 1637 
war Bogislam XIV. geftorben. Georg Wilhelm, der no im 
Januar durch Arnim in Dresden Hilfe gegen Baner gefordert 
und für den Fal ihrer Verweigerung einen Stillftand mit 
Schweden zu ſchließen gedroht hatte, meinte jet zugleich Pom= 
mern gewinnen und endlich den Frieden herbeiführen zu können. 
Verfiherte ihn doch der Kaifer, er folle in Pommern nichts 
verlieren. Auch Schweden beftritt fein Erbrecht nicht, wollte 
aber das Land nicht vor geleifteter Satisfaftion räumen, be: 
willigte jedod den Ständen ein Abkommen, mwonad) die herzog⸗ 
lihen Räte die Verwaltung zunächſt ruhig weiter führten. 
Ständiſche Gefandte erbaten vom Kurfürften Anerkennung diejes 
Vergleichs: er wurde entrüftet verworfen und ein förmliches 
Beligergreifungspatent publiziert, das ein Herold nad Pom- 
mern brachte, um damit die übelfte Aufnahme zu finden. Krieg 
gegen Schweden zur Eroberung Pommerns war die Lofung für 
Georg Wilhelm, und faiferlicherfeits geſchah natürlich alles, 
um ihn darin zu beftärfen. So wurde in der zweiten Hälfte 
des Jahres 1637 in den Marken die Werbetrommel gerührt. 
Die Leitung übernahm der aus ſächſiſchem Dienft übergetretene 
Generalleutnant Kliging. Im Juni 1638 mufterte der Kur— 
fürft bei Neuftadt » Eberswalde 8000 Mann zu Fuß und 
3000 Reiter, die Brandenburgs politifhe Geltung wohl heben 
konnten. Sie wurden ſowohl für den Kaiſer wie für den Kur— 
fürften in Eid und Pflicht genommen, insbejondere um dem 
legteren „das rechtmäßige Erbe Pommern zu erfämpfen“. Bald 
aber fehlte Geld, die Verpflegung reichte nicht aus, Unter- 
ſchleife und Gaunereien aller Art erihöpften die vorhandenen 





IV. Die Vernichtung der ſtaatlichen Eriſtenz Brandenburgs. 373 


fnappen Mittel. Scharenweile gingen die Soldaten auf und 
davon: bald war die Armee auseinandergelaufen. Vom Angriff 
auf Pommern war nicht mehr die Rebe. 

Da riefen dringende Angelegenheiten den Kurfürften nad 
Preußen. Die bisherige ftaatlihe Ordnung löfte fi vollends 
auf. Von den Mitgliedern des Geheimen Rats hatten die einen 
Schwargenberg weichen müflen; andere, wie der Kanzler von 
Gögen, zogen ſich zurüd, weil diefe Politif zu unterftügen 
gegen ihr Gemifien war. Einige Stellen waren dur ben 
Tod erledigt und blieben unbejegt. Die von Joachim Friedrich 
als Zentrum ber Landesregierung geichaffene Behörde hörte 
auf zu eriftieren: an ihre Stelle trat eine Art von militärifcher 
Augnahmeregierung. Als Präfident des Kriegsrats mit ber 
Zeitung des gefamten Kriegswerks betraut, vereinigte Schwargen- 
berg hinfort in fi) die höchſte militärifche und die höchfte bürger- 
lie Gewalt: er übte eigentlich eine Militärdiftatur. Der 
Anfturm feiner Gegner blieb erfolglos. Unerfchütterlich hielt 
Georg Wilhelm an ihm feft, ermutigte ihn durch immer er: 
neute Bemweife feines Vertrauens und ftärkte ihn zum Ausharren 
auf feinem ſchwierigen Poften. Er mochte bedauern, nicht 
längft den von dem Grafen empfohlenen Weg gegangen zu 
jein. Wie er Schwargenberg fein ganzes Dafein an die Ab- 
mehr der auswärtigen und die Bewältigung der inneren Feinde 
jegen ſah, richtete fi fein Selbftgefühl wieder auf, gewann 
er neuen Glauben an fein Recht und jeine Zukunft. 

Die 1637—1638 zufammengebradhte Armee war, bevor 
fie etwas geleiftet, wieder aufgelöft: fie hatte dem Lande nur 
neue Not gebradht. Das ſchien denen Recht zu geben, die eine 
Rüftung bekämpft und unbemwaffnete Neutralität verlangt hatten. 
So mußte man die geforderte Reduktion mwenigftens zu einem 
Teil eintreten laſſen. Aber fieben Regimenter zu Fuß und 
dreizehn Compagnien zu Pferde erklärte Schwargenberg im 
Dienft behalten zu müflen, um Land und Leute zu fügen. 
Die Stände weigerten jede Bewilligung dazu, obgleich er in 
eindringlien Worten das Schickſal vorausjagte, das die Marken 
bei anbauernder Wehrlofigfeit treffen würde. Andererfeits 
ftiegen die Anforderungen der Kaiferlihen. Schon verlangte 


374 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatögründung. 


Gallas die Aufnahme einer Befagung in die Hauptſtadt. 
Schmwargenberg lehnte fie ab: er wußte, daß ein folder Schritt 
einen allgemeinen Ausbruch herbeiführen würde. Den Kaifer- 
lichen wie den eigenen Unterthanen zu zeigen, daß man nicht 
wehrlos jei, daß man mit der von ihm gefchaffenen Armee, 
fo unfertig fie war, zu redinen habe, warf er fi Fed den 
Schweden entgegen und behauptete wenigftens einen Teil bes 
Landes. Klein genug war berfelbe freilih: nur noch drei von 
den märkiſchen Feftungen blieben in feiner Hand — Küfttin, 
Spandau und Peig, bie anderen waren in ber Gemalt teils 
der Schweden, teils der Kaiferlihen. Und auch dazu beburfte 
es rüdfichtslofer Aufbietung der legten Mittel des erſchöpften 
Landes, das die Schweden durch planmäßiges Ausrauben kampf⸗ 
unfähig zu machen ſuchten. Ein Bild grauenhafter Verwüftung 
und unbeſchreiblichen Jammers tritt uns aus den Berichten 
der Zeitgenofien entgegen. Alle Folgen des Krieges, der Unter- 
gang von Handel und Gewerbe, von Aderbau und Viehzucht, 
Not und Elend aller Art, moralifhe Verfommenheit und 
Hungersnot bis zum Leichenfraß — alles ift damals über die 
unglüdlihe Mark hereingebrochen. Verzweifelnd jammerte die 
Zandbevölferung nad Frieden. Konnte Schwargenberg ihn 
ſchaffen? Weberzeugt von der politifchen Notwendigkeit des Aus- 
harrens, blieb er unbeugfam, und je weniger er fih auf bie 
Bevölkerung verlaffen konnte, je mehr er fie in leidenfchaft- 
licher Oppofition wußte, um jo eiferner griff er dur, um fo 
unbarmherziger erftidte er jeden Widerftand. So kam er dahin, 
das Land eigentli nad Kriegsrecht zu regieren. 

Und hier Tiegt feine Schuld: er that mehr, als zur Er— 
reichung des erftrebten Ziels, jo weit e& berechtigt war, zu 
thun nötig war, und beſchleunigte jo den Zufammenbrud, den 
er abwenden wollte, Wenn er nit bloß den Eintritt_in 
ſchwediſche Dienfte, fondern bereits jede Verhandlung mit den 
Schweden zur Grleihterung der von ihnen ausgefchriebenen 
Lieferungen als Hochverrat ahnden wollte und einen Vertrag 
über die Auswechſelung der Gefangenen widerriet, weil man 
dann ja die nicht beftrafen könnte, die trotz der Avofatorial: 
mandate in ſchwediſchem Dienft blieben, fo mußte er freilich 


IV. Die Vernichtung ber ſtaatlichen Eriſtenz Vrandenburgs. 375 


erbitterten Haß ermweden, ber ſich aud gegen feine Werkzeuge, 
Offiziere und Soldaten, richtete. Won den auf den Prager 
Frieden gejegten Hoffnungen war feine erfült: man verwünjchte 
ihn als die Duelle namenlojen Elend. Schlimmer als ehe- 
mals die Schweden hauften Kaiferlihe und Sachſen im Lande, 
und die eigene Armee eriftierte nur durch dauernde Vergemalti- 
gung der ftändifchen Rechte. Und wozu das alles? Was mar 
der Preis, den zu gewinnen ſolche Opfer gebracht wurden? 
Weber der evangelifhe Glaube noch eins von den vitalen In— 
terefien von Land und Volk ftand auf dem Spiele, fondern 
nur die Anwartihaft auf Pommern, die dem Volke gleich 
gültig war. Der gemeine Mann begriff nicht, weshalb er fih 
darum alles nehmen, fi mißhandeln und ſchließlich totſchlagen 
laſſen ſollte von Leuten, die ihm angeblich zu helfen gefommen 
waren. 

War es da zu verwundern, daf die Bevölkerung der Marl 
Erlöfung von diefem Joche erfehnte? Daß in dem Maße, wie 
ihr Haß gegen Schwargenberg wuchs, ihre immer nur geringe 
Anhänglicgkeit an die Dynaftie dahinf wand? Ihre Sympathien 
wandten fi den Schweden zu: fie bewies fie ihnen durch die 
That, Teiftete ihnen Vorſchub, fuchte fi mit ihnen zu ver 
ſtändigen und entzog fi der Gewalt Schwargenbergs mög— 
lichſt. Leidenſchaftliche Schmähſchriften erſchienen gegen dieſen 
und feine Gehilfen: er ſollte die verhaßte ſpaniſche Dienſtbar⸗ 
feit einführen, auf den Trümmern ber ſtändiſchen Libertät 
ein abjolutes tyrannifches Regiment aufrichten wollen. Seiner 
Oberſten und Offiziere Walten konnte freilich ſolchen Verdacht 
erweden. Nur einer machte eine Ausnahme, Konrad von Burgs- 
dorf, der, zwar aud nicht unberührt von dem vermilberten 
Soldatenleben, ſich doch menſchenfreundlichen Sinn bemahrt 
hatte und die Leiden des Bürger und bes Bauern zu er: 
leichtern trachtete. Darüber geriet er in Konflikt mit Schwargen- 
berg: ein bitterer Schriftwechjel wurde zwiſchen ihnen geführt. 
Es ift als ob der allgemaltige Kriegsoberft geahnt hätte, daß 
diefer derbe Soldat einft fein gefährlichfter und glüdlicher Nebene 
buhler werben follte. 

Wie lange konnte dieſer Zuftand noch währen? Die Mittel 


376 Zweites Bud. Die erfte hohenzollernſche Staatsgründung. 


des Landes waren erſchöpft, alle ftaatlihe Ordnung war aufs 
gelöft, die Meine Armee ſchwand dahin. Brandenburg bedeutete 
militärif und daher auch politifch nichts mehr. Damit fiel 
für den Kaiſer jeder Grund fort, mit ihm als einem Faktor 
auch nur in ber deutſchen Politif zu rechnen. Als Preis end- 
lien Friedens bot er Schweden Pommern. Eben das alfo 
ſollte geſchehen, was abzumenden Schwargenberg es auf ben 
Ruin des Landes hatte ankommen lafien! Daß bes Kaifers 
Entſchluß nit mehr zu ändern fei, mußte Georg Wilhelm 
bald einfehen. Wenigftens einen Teil Pommerns ſuchte er zu 
retten: Vorpommern und Rügen fünne Schweden angeboten 
werden, wenn man ihn dur Magdeburg und Halberftadt ent- 
ſchädige. Aber auch dazu war feine Ausfiht. So verfiel er 
auf einen geradezu verzweifelten Ausweg, bei dem er felbft 
Preußen aufs Spiel ſetzte. Auch dort herrſchte greuliche Ver— 
wirrung. Der Verſuch, durch eine neu errichtete Amtsfammer 
in bie Domänenverwaltung Ordnung zu bringen und die Finanzen 
zu befiern, ftieß auf erbitterte Oppofition der Stände, die fi 
aud) ferner aus öffentlichen Mitteln bequem bereichern wollten. 
Wie weit die Leidenjchaft fi) da erhigte, zeigt ein Morbanfall 
auf den mit jener Reform beauftragten Amterat Joachim 
Schulze, dem fein zu Hilfe eilender Sohn zum Opfer fiel 
(Zuli 1639). Und der Mörder, der Kanzlift Elver, nahm beim 
Kurfürften eine Vertrauensftellung ein: hinter dem Rüden der 
übrigen Räte vermittelte er ben Verkehr mit Schwartzenberg 
und war Mitwifjer des höchft bebenklichen Unternehmens, zu 
dem der rat: und hilflofe Kurfürft fi damals verirrte, indem 
er den ehemaligen Oberft Bothe in Preußen einen Heerhaufen 
fammeln und mit diefem einen Einfal in Livland maden 
ließ. Zum Glüd mißlang er völig und wurde deshalb von 
Schweden nit ernft genommen: geſchah das und wurde die 
Mitwiſſenſchaft des Kurfürſten erwiefen, jo teilte Preußen das 
Schickſal der Marken und ging den Weg Pommerns. 
Erdrüdend laſtete all dies Elend auf Georg Wilhelm. 
Dazu fam hoffnungslofes Siehtum. Mit feiner körperlichen 
Kraft, feinem geiftigen Vermögen, den Mitteln feiner Länder 
war er zu Ende. Wie ein Ertrinfender rang er, und doch ſank 


IV. Die Vernichtung ber ftaatfichen Eriſtenz Brandenburgs. 377 


er und mit ihm fein Haus immer tiefer. Dazu die troftlofe 
Vereinfamung! Bon ben bewährten Räten feiner erften Jahre 
war einer nad) dem anderen zurüdgetreten oder zurüdgebrängt. 
Von dem einzigen Sohne trennte ihn feindlies Mißtrauen 
und beraubte ihn der nächſten und natürlichſten Unterftügung. 
Seine Gemahlin, deren Mutter, die anderen Damen feines 
Haufes machten fein Hehl aus dem Unwillen über jein Syftem 
und ruhten nicht in der Feindſchaft gegen beffen Urheber. Diefer 
aber, der Mann feines Vertrauens, war ihm fern und rieb 
fih in einem Kampf auf, deſſen Schauplag, jein Stammland, 
zur Wüftenei wurde. Und boch leuchtete dort ein erſter Hoff: 
nungsſchimmer auf! So befeiden die militärifchen Erfolge 
Schwargenbergs waren, er hatte doch jolche aufzumeifen. Wenn 
wenigſtens ein Teil des Landes feiner felbft Herr blieb, fo 
dankte man das ihm und dem Heinen, allmählich zu größerer 
Brauchbarkeit organifierten Heere, das er troß aller ſtändiſchen 
Proteſte beifammen hielt, freilich nur durch furchtbaren Zwang. 
Denn die Truppen mußten leben, und da man ihnen nichts 
gab, nahmen fie das Nötige, wo fie es fanden. Das hat auf 
bie märkifchen Stände doch Eindrud gemadt. AU das Unheil, 
das Schwargenberg ihnen vorher verkündigt hatte, war ein= 
getroffen. Sie begriffen, daß die rechtzeitige Erfüllung ber 
turfürftlihen Forderungen fie weniger Opfer gefoftet haben 
würde. Sie Ienften ein: fie erboten fi zu Verhandlungen 
darüber, wie ohne Kürzung bes für die Armee Erforderlichen 
doch der Drud gelindert werben könnte, den bie bisher not= 
gedrungen geübte Willkur dem Lande auferlegt hatte. Schwargen- 
berg war dem Ziel nahe und durfte hoffen, fein Syſtem an- 
erkannt und durchgeführt zu fehen. 

Da ftarb zu Königsberg am 1. Dezember 1640 Georg 
Wilhelm: die eben dem Erliegen nahen und zur Kapitulation 
geneigten Gegner Schwargenbergs hatten plöglid mit einemmal 
gewonnenes Spiel. 


Drittes Bud. 


Die Reifung der Zukunft. 
1640 —1655. 


I. Die ſtändiſche Reaktion und die Anfänge 
Friedrich Wilhelms. 1640 —1643. 


Wa die Hohenzollern in Brandenburg in zwei Jahr: 
hunderten gewonnen hatten, war jo gut wie vernichtet, als 
Georg Wilhelm in der Ferne feinem Siechtum erlag: eben 
hatten fih die Elemente eines brandenburgiſch-preußiſchen 
Staates zuſammenſchließen jollen, als fie auseinanbergefprengt 
und zerftüdelt wurden. Aber weder der Kurfürft, ber freilich 
aud jegt no, wo das Urteil über ihn ſich etwas günftiger 
geftaltet hat, die unfürftlichite Erfeheinung unter den Hohen- 
zollern bleibt, noch die Politik Schwargenbergs ift dafür allein 
verantwortlih. Das Verhängnis hatte begonnen, als die bran- 
denburgifche Politif die Bahnen verließ, in die Joachim Friedrich 
und Johann Sigismund fie geleitet hatten, indem fie mit der 
politifden Erftarrung des Luthertums brachen und fi dem 
Calvinismus zumandten, deſſen Belenner in ihrem Glauben 
die Grundlage aud ihres ftaatlihen Dafeins fanden. Georg 
Wilhelm hatte gemeint reformiert fein zu können, ohne bie poli= 
tifchen Konfequenzen daraus zu ziehen. Das verſchuldete feine 
ſchwächliche und ſchwankende Haltung zu einer Zeit, wo nur 
entſchloſſene PBarteinahme und tapferes Beharren Erfolg ver- 
biegen, und ftürzte feinen Staat in ein Wirrfal innerer und 
äußerer Bedrängnis, in dem er wie ein jteuerlojes Schiff von 
den empörten Wogen hin und her geworfen wurde. 


I. Die ftändifhe Reaktion. 379 


Volfstümlich derb urteilte in ben Tagen, ba es mit Georg 
Wilhelm zu Ende ging, Samuel von Winterfeld in einem ver: 
trauliden Schreiben an Sigismund von Gögen über die Lage: 
„Pommern ift dahin, Jülich ift dahin, Preußen haben wir wie 
einen Aal beim Schwanz, und die Marken wollen wir auch 
vermarquetentieren.” „Werben wir,“ fragt er, „nicht endlich 
einen Herrn ohne Land befommen?” Er weilt Hin auf die Art, 
wie der „Herr Meifter” der Geldnot der Stände und bes 
Kurfürſten aus feinen eigenen Mitteln zu Hilfe fomme, dabei 
aber ein altmärkifches Amt nad dem anderen an fi bringe: 
er gedenke „mit ber Altmark gar durchzugehen“, meint er. 
Um feinen Preis dürfen die Stände fih auf dieſen Handel 
einlaffen. Nach dem Thronwechſel, jo erwartet er, „werbe das 
abfolute Imperium in etwas regulieret“ und Gögen an den 
Hof entboten werben, „wo das Frauenzimmer nicht zu furcht⸗ 
jam dazu iſt“. Schmwargenbergs Gegner erwarteten aljo ben 
Sturz feines Syftems: die Geheimeräte und die Stände 
jahen ihre Zeit gefommen. Aber obgleich fie des Kurprinzen 
Grol gegen den Herrn Meifter kannten und meinten, wenn 
man ihm jene finanziellen Umtriebe in ber Altmark Hinter: 
bringe, „dürfte es wohl fcheele Augen geben”, jo erwarteten 
fie doch nicht von ihm den entſcheidenden Anftoß: auf die alten 
Gegnerinnen Schwargenbergs, die Kurfürftin Elifabeth Char- 
Iotte und ihre Mutter Zuife Juliane jegten fie ihre Hoffnung. 
Vertrauen zu dem Nachfolger und eine höhere Meinung von 
feinen Fähigkeiten hatten fie nit. Trat man dem Erben 
Georg Wilhelms damit zu nahe? Wie feine Jugend verlaufen 
war und wie er fi unter dem Drud der legten Jahre ge: 
geben Hatte, durfte man fi von ihm faum befonderer Dinge 
verfehen. 

Troftlofer hat fein Hohenzoller feine Jugend verbracht, 
als der Gründer des preußifchen Staates. Wüſtes Lärmen auf: 
fägiger Unterthanen, wilde Kriegsſchrecken, unfürftliche Not, 
ſchnöde Selbftfucht übermütiger Höflinge und erbitterter Fa— 
milienhader — das trübe Echo der bie Zeit zerreißenden re 
gidjen und politifhen Kämpfe —: das waren die erften Ein- 
drüde, die auf das Kind einftürmten. Und faft ſchwerer noch 








380 Drittes Bu. Die Rettung der Zutkunft. 


waren feine Jünglingsjahre: ihnen entftammt die trübe, forgen- 
volle, zu refigniertem Dulden geneigte Denkweiſe, der ſchwer— 
mütig fataliftifhe Hauch, der im Gegenfag zu der jpäter durch⸗ 
brechenden refoluten Thatkraft bes Großen Kurfürften Anfänge 
mit einem faft melandolifhen Zwielicht umdämmert. Auch ift 
er biefes Zuges nie ganz Herr geworden: er war ihm tief auf- 
und eingeprägt durch eine Jugend, in ber fiete Bedrohung, 
quälende Beargwöhnung, verlegende Zurüdjegung und infolge 
davon menſchenſcheue Vereinfamung fein Gemüt zu verbüftern, 
feinen Glauben an die Menſchen zu untergraben und fein Ver— 
trauen zu fich felbft zu erftiden brohten. Diefe pſychologiſchen 
Momente müſſen aud bei der Beurteilung feines politifchen 
Handelns berüdfihtigt werben: fie erft machen feine mühfamen 
und forgenvollen Anfänge recht verftändlich, das ſcheue Taften, 
das zweifelnde Vorgehen, das ängftlihe Rechnen mit entgegen- 
gejegten Möglichkeiten. Sie erklären, wie der faft wider Er: 
warten gewonnene Erfolg ihn mit der Vorftellung erfüllte, daß 
die Gnade Gottes in befonderem Maße mit ihm ſei, daß er, 
durch folde Heimfuhung glücklich Hindurchgegangen, alle Zeit 
des gleihen himmliſchen Schuges gewiß fei und als ein zu 
Großem berufenes Nüftzeug Gottes feinen Feinden nit er: 
liegen könne. Hier entiprang auch der Glaube an den Beruf 
jeines Staates: mit ihm hat er feine Unterthanen erfüllt und 
ihn fo zu einem wichtigen moralifchen Faktor gemacht in der 
Bildung erft und dann in der Entwidelung des preußifchen 
Volls. 

Am 6. Februar 1620 zu Kölln an der Spree geboren, 
wurde ſchon der Säugling von den Stürmen ber Zeit berührt: 
jeine Taufe verzögerte fi, weil ber Vater fern in Preußen 
war, mehr nod, weil die Mittel zu den üblichen Feftlichkeiten 
fehlten und ber Krieg die Auswahl der fürftliden Paten er— 
ſchwerte. Noch lag er ungetauft, als im Juni 1620 die Ber- 
liner fi gegen den Durchmarſch der Engländer lärmend er— 
hoben (S. 328): ihr wüftes Trommeln und Schießen beun= 
ruhigte das Kind und veranlaßte Beſchwerden feiner Mutter 
und Großmutter. Endlich am 30. Juli (9. Auguft) empfing 
er die Taufe: die Paten waren ausſchließlich Damen des 








I. Die ſtändiſche Reaktion. 381 


Furfürftlihen Haufes. Auch erklärten Adel und Stäbte fein 
anderes Patengeſchenk darbringen zu fünnen, als die ſchuldige 
Treue gegen den künftigen Landesherrn. Hat feine Großmutter 
väterliherjeits, Anna von Preußen, aud feine erfte Jugend 
behütet, Empfänglichkeit für ihr firenges Luthertum hat fie 
nit in ihm erwedt. Fünf Jahre alt, erhielt der Prinz ben 
ehemaligen Erzieher feines Vaters, Johann von der Bord, als 
Gouverneur; ihn erfegte fpäter Johann Friedrich von Kalkhum, 
genannt von Leuchtmar, ein eifriger Reformierter. Den fieben- 
jährigen Kurprinzen barg man vor den ftreifenden Raiferlichen 
erft in der Waldeinfamfeit des Jagdſchloſſes Leglingen, dann 
hinter den Mauern Küftrins. Seinen Unterricht leitete der 
Präzeptor Jakob Müller: er befchränkte fih auf das, was 
Prinzen damals zu lernen pflegten, nur baß zu den Sprachen 
die polnifche hinzufam. Den größten Raum nahm ber Religions» 
unterrit ein. Allſonntäglich kam einer von ben Frankfurter 
Theologieprofefforen nad Küftrin, um vor dem Prinzen zu pre= 
digen, und alle Vierteljahr überzeugte fi der Hofprediger 
Agricola durch eine Prüfung von feinen Fortfchritten. Als 
„Symbol“, als biblifhen Wahlſpruch, den er nad ber Sitte 
feines Haufes zu wählen hatte, nahm er das Wort: Notam 
fac mihi viam tuam, qua ambulaturus sum. — „Herr, thue 
mir fund den Weg, darauf ich wandeln fol” (Pſalm 143, 8). 
Auch feine förperlihe Schulung wurde nicht vernachläſſigt: feit 
1629 nahm er gelegentlih an Jagden teil. Erſt die befjeren 
Tage, die dem Anſchluß an Guftav Adolf folgten, brachten 
den Knaben mit der Zeitgefehichte in Berührung, 1631 dur 
einen Beſuch in Wolgaft bei feiner Tante Marie Eleonore, 
der Gattin des Schwedenkönigs, und dann zu Stettin bei 
Herzog Bogislam XIV., dem er einft in Pommern zu folgen 
hoffte. Und was mag in ihm vorgegangen fein, als er im 
Juni 1633 mit dem Bater in Wolgaft der Einfhiffung ber 
irdifhen Reſte Guſtav Adolfs nad Schweden beimohnte! Nach 
kurzem Aufenthalt in Küftrin weilte er dann nochmals Tängere 
Zeit in Stettin. 

Ein Jahr ſpäter zog er mit Johann Friedrich von Leuchtmar 
und feinem Freunde Werner von Schulenburg nad; den Nieder: 


382 Drittes Buch. Die Rettung ber Zukunft. 


landen, nicht bloß jeiner Bildung wegen, fondern um den Ge— 
fahren des Krieges entrüdt zu werden. Ob dieſer Aufenthalt 
von fo großem Einfluß gewejen, wie man gemeinhin annimmt, 
ſcheint doch zweifelhaft. Konnte denn ber vierzehn bis fünf- 
zehnjährige Prinz, der zu Leiden kurze Zeit Haffifhe Studien 
trieb und ſich mit der Geſchichte der einft von ihm zu regieren- 
den Zande befannt machte, eine are Anfhauung oder aud 
nur ein lebhaftes Gefühl haben von dem Gegenjag zwiſchen 
den bort fortlebenden großen Traditionen politiſcher und kirch⸗ 
licher Freiheit und ber Haltung des eigenen Vaters? Auch 
von der wirtſchaftlichen Blüte der Republit wird er nicht viel 
gefehen haben. Denn bald mußte er vor der Pet aus Leiden 
weichen und weilte erft in Ahenen, dann in Arnheim und 
ſchließlich in Dorenwert. Aus dem Haag fol er 1637 davon 
geeilt fein, um fi den Lockungen bes üppigen Lebens zu ent— 
ziehen, in das man ihn verftriden wollte. Im Lager vor Breda 
gewann er die Achtung Heinrich Friedrihs von Oranien. Erft 
nad dem Fall der Stabt (7. Oktober 1637) Eehrte er nach dem 
Haag zurüd. Den größten Gewinn machte er in den Nieber- 
landen wohl aus dem perfönlichen Verkehr mit Elifabeth von 
England, der Witme des unglüdlichen Friedrich von der Pfalz, 
die in Rhenen lebte, mit den Oraniern Friedrich Heinrich, 
feinem jpäteren Schwiegervater, und Heinrih und Morig von 
Naffau und den anderen Leitern ber niederländifchen Republik. 
Mit ihren Augen lernte er die politifche Zage jehen. Das brachte 
ihn in einen freilich no unausgefprohenen Gegenfag zu bes 
Vaters Politik, für die er mit diefem Kreife deſſen Minifter 
verantwortlich machte. Noch blieb beider Verhältnis äußerlich 
ungetrübt: aber Schwargenberg hatte doc} über Verbächtigungen 
zu Magen, buch die man ben Kurprinzen gegen ihn ein= 
zunehmen trachte. Friedrich Wilhelm Iegte ihnen zwar fein 
Gewicht bei, überrafhte aber feine Umgebung doch durch 
die Selbftändigfeit, die er beanfpruchte, und das Wider- 
ftreben, das er bisher ruhig gebuldetem Einfluß entgegen- 
fegte. Dies entiprang dem Wunſch, fi) dem drohenden Zu: 
fammenbrud zu entziehen und für eine befiere Zukunft zu 
retten. Möglich war das nur durch Löfung von des Vaters 








I. Die ſtändiſche Reaktion. 383 


und jeines Minifters politifhem Syftem und ein Paktieren 
mit deſſen Gegnern. 

Inzwiſchen erfolgte daheim der Bruch mit Schweden und 
das klägliche Scheitern der großen Werbung von 1637: ein 
greuelvoller, verwüftender Krieg begründete die Militärdiktatur 
Schwargenbergs. Nun gli der Aufenthalt des Kurprinzen in 
den Niederlanden einem ſolchen im feindlichen Lager. Der 
befohlenen Heimfehr aber entzog er ſich unter allerlei Bormwänden. 
Dan begreift den Unmut des Kurfürften, den Argwohn ber 
Raiferlihen, aber auch die Hoffnungen ber Gegner beider. Die 
Stände Cleves erbaten fih den Prinzen zum Statthalter: dann 
wollten fie ſogar feinen Hofhalt beftreiten. Sie demonftrierten 
damit gegen Schwargenberg, ber die cleveſchen Angelegenheiten 
faft ausfchließlich leitete, hofften wohl auch ſich des Jünglings 
in ihrem Interefje bedienen zu fünnen. Auch ergriff diefer ihre 
Partei, indem er die von ihnen angefochtene Ceffion der Do- 
mäne Huiſſem an ben Minifter nie anzuerkennen erklärte. Auch 
jolte er mit den Niederlanden die Neutralifierung des Landes 
planen. Die Verfagung der Bitte befjerte jein Verhältnis 
zum Vater natürlich nit. Es hieß, er wolle eine pfälzer Prin- 
zejfin heiraten, während er fürdtete, daheim zu einer nicht 
gewollten Ehe gezwungen zu werden. Dann war ber faiferliche 
Hof fieberhaft thätig, um den Uebertritt bes brandenburgifhen 
Erben zu den Gegnern zu hindern: er lub ihn nad Wien ein, 
wo man ihn ftandeagemäß verforgen werde. Bon einer Partei: 
nahme bes „Herrn Meifters” gegen den Sohn findet fi feine 
Spur: vielmehr laſſen deſſen Briefe erfennen, daß er fih um 
einen gütlihen Ausgleich bemühte, und zwar nicht bloß mit 
Wiffen, fondern aud auf Bitten des Prinzen, der ihm auch 
fonft während des nieberländifhen Aufenthalts die Vertretung 
jeiner Intereſſen, namentlich der wirtſchaftlichen, vertrauens- 
vol und erfolgreid ans Herz legte. Aber erft auf Grund förm: 
licher Verhandlungen kam es zu einem Vergleich zwiihen Vater 
und Sohn: diefer verfprah, gegen jeinen Willen feine Ehe 
einzugehen, jener diefen zu feiner zu zwingen. 

Ueber Amfterdam und Hamburg kehrte ber Kurprinz im 
Frühjahr 1638 heim. Aber der fiehe Kurfürft fah in ihm 





384 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft. 


nur noch ben Gegner feines politifchen Syftems, er felbft faßte 
unter den unerquidlien Verhältniffen des väterliden Hofes 
einen bitteren Groll gegen den Mann, in dem bie furfürft- 
lien Damen, bie befeitigten Geheimeräte und die Stände 
den Urheber alles Unheils fahen. Geflifientlih den Staats- 
geſchäften fern gehalten, war er überzeugt, da geſchähen un— 
rechte Dinge, die ihm verborgen bleiben follten. Um fo ab- 
fälliger beurteilte er in dem Kleinen Kreife feiner Vertrauten 
bes Vaters Regierung, um jo mehr lebte er fi in die Bor: 
ftellung hinein, man wolle ihn los werben und namentlich 
Schmwargenberg würde ihn gern verſchwinden jehen. Er glaubte 
es, wenn man ihm zutrug, des Herrn Meifters Sohn folle 
feiner älteften Schwefter Luife Charlotte (geb. 1617) vermählt 
und nad) feinem Tode mit Hilfe des Kaiſers zu Georg Wil: 
helms Nachfolger erhoben werden, und drohte dem Grafen 
dafür den Hals zu breden, und follte er darüber das größte 
Unglüd mit feinem Vater haben! Bald glaubte er einen Be- 
weis für des Minifterd Todfeindfhaft in der Hand zu haben. 

Am 18. Juni 1638 wohnte er, wie es heißt, auf An- 
dringen feines Vaters einem von Schwargenberg ausgerichteten 
Gaftmahle bei. Anderen Tags befiel ihn heftiges Fieber; am 
22. lag er ſchwer frank danieder. Am 30. famen die Mafern, 
bie er offenbar lange mit ſich herumgejchleppt hatte, mit außer: 
ordentlicher Heftigkeit zum Ausbruch. Am 6. Juli hatte er eine 
fo tiefe Ohnmacht, daß man für fein Leben fürdtete. Aber 
die Kraft der Jugend fiegte: bereits am 27. Juli konnte er 
nad) Spandau gehen, um den Vater nad) Preußen zu begleiten. 
Jene Zeit argwöhnte in folden Fällen immer zunädft eine 
Vergiftung. Ausgeſprochen freilich ift der Verdacht damals nicht. 
Ob der Prinz ihn in dem Kreife jeiner Vertrauten geäußert, 
muß dahingeftellt bleiben. ebenfalls hat er fpäter jene Er- 
krankung auf Gift zurüdgeführt und Schwartzenberg geradezu 
als den Urheber bezeichnet. So will es Doktor Garliep von 
der Mühlen aus feinem Munde gehört haben. Früher ſchon 
hat die Schwebenkönigin Marie Eleonore die auch ihr bitter 
verfeindete Partei des Herrn Meifters befhuldigt, dem Prinzen 
mit Gift nachgeſtellt zu haben. Bewieſen ift nichts, und eine 





T. Die ſtandiſche Reaftion. 385 


unbefangene Erwägung ber Lage und ber perfönlicden Verhält- 
niſſe macht die Sache höchſt unmahrfheinlih. Doch begreift 
man, wenn der adhtzehnjährige Prinz, dem der Vater die ihm 
gebührende Stellung fo verlegend vorenthielt, daß es hieß, er 
wolle ihn überhaupt nicht mehr fehen, dafür den allgemein 
gehaßten allmächtigen Minifter verantwortlih machte, deſſen 
Politik er unter oraniſchem und pfälzer Einfluß ala Duelle 
alles Unheils anfehen gelernt hatte, und in feinem ohn- 
mächtigen Haſſe demfelben das Alleräußerfte zutraute. Deſſen 
Feinde beftärkten ihn in diefem Wahne: auf der Jagd und bei 
anderen Gelegenheiten follte man ihm nad) dem Leben geftanden, 
ja er fogar einen gegen ihn gebungenen Meuchelmörder mit 
bloßem Degen abends unter feinem Bett gefunden haben! Der 
Prinz griff das eifrig auf: gern verglich er fih mit bem von 
Saul verfolgten David, und feine Vorliebe für die Palmen 
Davids ift hier entjprungen. Wie jener allen Gefahren glüd- 
lich entgangen, konnte er fi dieſe fpäter nicht grel genug 
ausmalen. Auch den leidenden Zuftand, in dem er ſich während 
des Vaters legter Krankheit befand und der von folder Gemüts- 
niedergeſchlagenheit begleitet war, daß alle auf ihn gefegten 
Hoffnungen vernichtet ſchienen, ſchrieb man „einer Gift ver- 
tatenden Krankheit” zu. Bei Lebzeiten Schwargenbergs aber 
haben folche Beſchuldigungen ſich nicht hervorgewagt, auch nicht, 
als nach Georg Wilhelms Tode jein Sturz nahte: erft fein 
Andenken hat man jo verunglimpft, um fein Syftem vollends 
zu brandmarken. Auch hat der Prinz äußerlih mit Schwargen- 
berg gut geftanden. Würde diefer jonft dem Kurfürſten empfohlen 
haben, den Sohn durch Anweilung des preußifchen Amtes 
Angerburg ſelbſtändig zu ftelen oder diefer no von Königs— 
berg aus verfucht haben, durch jenes Vermittelung die Statt: 
halterſchaft in Eleve doch noch zu erhalten und dabei durchaus 
nit auf einfache Ablehnung geftoßen fein? Aber obgleich 
Schwargenberg mandjes für die Gewährung der erneuten Bitten 
der Stände geltend machte, wurde e& bamit auch diesmal 
nichts, weil der faum noch regierungsfähige Georg Wilhelm 
den Sohn nicht auflommen lafjen wollte. Denn zwifhen ihnen 
handelte es fi nicht um einen perfönlichen Gegenfag, nit 
Pruß, Preubifge Geſchichte. I. 


386 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft. 


um einen trüben Nachklang früherer Verfiimmung: der Große 
Kurfürft und fein Nachfolger, Friedrich Wilhelm I. und fein 
Sohn, haben fih nad viel heftigeren Konflikten wieder ge— 
funden. Hier wirkten ftärfere Beweggründe: nicht bloß zwei 
politifhe Syfteme, zwei Zeitalter traten einander in Vater 
und Sohn gegenüber. 

Stand denn aber von dem neuen Herrn entſchloſſenes Ein= 
Ienfen in andere Bahnen zu erwarten? Die Frage ift zu ver- 
neinen. Wie hätte der junge Kurfürft nach folder Jugend und 
bei ſolcher Unfertigfeit einen derartigen Entſchluß faſſen follen ? 
Den Gefhäften fremd, ohne Kenntnis und ohne Erfahrung, 
verbittert und eingefchüchtert, durch ſchwere Krankheit gebeugt, 
war er niedergeſchlagen, Eleinmütig und ohne Glauben an fi 
ſelbſt. Er bedurfte der Aufrihtung und der Anleitung. Und 
bier jegten, wie Samuel von Winterfeld gehofft (S. 379), 
die furfürftlihen Frauen ein, Zuife Juliane, die Witwe Fried- 
richs IV. von der Pfalz, und ihre Töchter, die Kurfürftin-Mutter 
Eliſabeth Charlotte, Katharina Sophie und Eliſabeth Luiſe 
von Pfalz: Zweibrüden, ferner des Kurfürften Schweftern Hedwig 
Sophie, nachmals die Gattin Friedride von Homburg, und 
Zuife Charlotte, die Verlobte des Markgrafen Ernft und dann 
Gattin des Herzogs Jakob V. von Kurland. Sie handelten 
jegt. Auf Veranlaffung Eliſabeth Charlottes verfaßte der 
Generalmajor Georg Ernft von Wedel eine Denkſchrift für 
den Kurfürften. In warmem, zum Herzen gehendem Tone 
miſchte fie glüdlich Allgemeines und Befonderes, woraus ſich 
ungefuht die Konſequenzen für die politifhe Praris der Gegen- 
wart ergaben. Ihre Spige richtete fih, ohne ihn zu nennen, 
ſcharf gegen Schwargenberg. Vor allem komme es, jo führte 
Wedel aus, darauf an, dem Verfall Einhalt zu thun und das 
Wenige, mas ihm noch geblieben, durch Fuge Nachgiebigfeit 
zu erhalten; vielleicht lafje fi) dann auch das Verlorene wieder 
gewinnen. Wohl müſſe jeder Regent Augen und Ohren alle 
Zeit offen haben, zuweilen aber abſichtlich nicht ſehen, nicht 
hören, nicht willen und feine wahre Meinung zurüdhalten. 
Für Friedrih Wilhelm heiße es nicht: aut Caesar, aut nihil, 
jondern es gelte, der Zeit Rechnung zu tragen und ſich zum 


1. Die ſtandiſche Reaktion. 387 


Verzicht auf einen Teil feiner Anſprüche zu entichließen, gegen 
die Unterthanen aber alle Zeit milde und gerecht zu fein. 
Merkt der Fürft jedoch, daß gegen die öffentliche Ordnung ge: 
wühlt wird, dann fol er willen, jehen, hören und Gewalt 
und Mittel gebrauchen, die ihm Gott verliehen hat. Indem 
er nad) diefen allgemeinen Bemerkungen, deren Tendenz deut- 
lich genug war, auf die vorliegenden befonderen Fragen ein- 
geht, empfiehlt Wedel für Preußen Vorfiht und kluge Behand- 
lung Polens fowohl wie der Stände. Dem Kaifer rät er alle 
Pflicht zu leiften, die ein Reichsfürſt ſchuldig ift. In betreff 
des noch andauernden Krieges möge ber Kurfürft den Ausgang 
abwarten, ſich durch geeignete Vermittler mit Schweden über 
Pommern verftändigen und ftrenge Neutralität wahren. Aber 
auch dazu feien Feftungen und Truppen unentbehrlich. 

Nach diefem Programm hat Friedrich Wilhelm gehandelt, 
anfangs mit einer gewiſſen Unficherheit, der natürlichen Folge 
feiner Unerfahrenheit in den Gefchäften, aber offenbar beftrebt, 
Recht und Gerechtigkeit walten zu lafien und jedem das Seine 
zu gewähren. Wohl trat er manchem zu zögernd und zu milde 
auf. Hing er doc aber in feiner Kenntnis namentlid der 
märkifchen Dinge ganz von dem ab, was ihm Schwargenberg 
dur den alebald nad Königsberg entfandten Mann feines 
Vertrauens, Sebaftian von Waldow, vermelden ließ. Um fo 
drüdender fühlte er feine Vereinfamung infolge der Auflöfung 
des Geheimen Rats. Deshalb leitete er deſſen Rekonftruftion 
ein: bereits im Februar 1641 erſchien auf feinen Ruf Sieg- 
mund von Gögen, um als Kanzler die Leitung der Geſchäfte 
zu übernehmen. Nun wird des neuen Herrn Haltung fefter, 
tritt aber auch die Schwargenberg feindliche Richtung deutlicher 
zu Tage. Als ihre Träger erfcheinen die in ihr Amt zurüd- 
kehrenden Geheimeräte. Und Hinter biefen erheben ſich bie 
Stände, um bie ſchwer bedrohte Libertät zu retten und ber 
inneren und der auswärtigen Politif die von ihnen gemollte 
Richtung aufzundtigen. Eine Reaktion trat ein, die bem Landes» 
fürftentum zunächſt nicht zu gut kam. 

Ein Eingreifen in den Marken war jo lange unmöglich, 
als Friedrich Wilhelm nicht in Preußen feiten Fuß gefaßt 





388 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft. 


hatte: dort lag im Augenblid die Zukunft der Hohenzollern. 
Freilich meinten auch die preußiſchen Stände dieſe Lage be— 
nugen zu fönnen, um bie lanbesherrliche Autorität noch mehr 
einzuengen. Sie rechneten dabei auf die polnifhe National= 
partei, die Preußen zur Provinz der Republik herabdrüden und 
fo die Gefahren für alle Zeit abwenden wollte, die ein jo 
mächtiger Vafall bereiten konnte. Zudem verdankte das Herzog⸗ 
tum der energiſchen Vertretung ihrer Handelsinterefien durch 
die Seemächte feit Jahren eine wohlthätige Neutralität und 
diefer neues wirtichaftliches Erblühen. Während die preußifchen 
Stände die Zulafjung des neuen Herzogs zur Lehensfolge von 
der Erfüllung ihrer Forderungen abhängig gemacht fehen wollten 
— unter anderem der ftriften Beobachtung bes Indigenats— 
rechts, der Abhängigkeit herzoglicher Gnadenakte und Verleihungen 
von ber ftändifchen Beftätigung und anderes mehr — die pol= 
nischen Großen aber den Proteft des Reichstags von 1611 gegen 
die Mitbelehnung der brandenburgifhen Hohenzollern erneuten 
und die Verfügung über das Lehen als Recht des Reichstags 
beanſpruchten, hatte Wlabislam IV. das größte Intereſſe daran, 
die preußifche Angelegenheit jegt wie früher der Krone vorbe: 
halten und möglichft ſchnell erledigt zu fehen. 

Dem aber ftellte fi eine Schwierigkeit entgegen, die um 
fo hinderlicher werben konnte, als dabei für den einen ein 
großes finanzielles Intereffe, für den anderen ein wichtiges 
politifches Prinzip in Frage fam. Nach dem Köpenider Ber: 
trag vom 29. Juni 1638 hatte Georg Wilhelm zur Erhebung 
des dem Polenkönig in ben preußiſchen Häfen zuftehenden 
Zolles den übel berufenen Abraham Spiring aus Delft, einft 
Guſtav Adolfs Werkzeug bei Ausbeutung des preußiſchen Han: 
dels, in Dienft nehmen müfjen. Diefer Spiringſche Zoll ver: 
anlaßte Händel mit Polen und den preußiſchen Ständen und 
die Sperrung des Sundes dur Dänemark für alle nad) Königs- 
berg beftimmten Schiffe. So brachte der Pillauer Zol faft 
nichts mehr ein, während Danzig zufehends erblühte. Die 
Entlaffung Spirings war eine der erften Regierungahandlungen 
des neuen Kurfürften: Unklarheiten und Willkürlichkeiten ſowie 
vertragsmwidrige Begünftigung Polens bei der Verrechnung der 


1. Die ſtändiſche Reaktion. 389 


Zollerträge gaben ihm den erwünſchten Anlaß dazu; au) half er 
damit einer Hauptbeſchwerde der preußifchen Stände ab. Als 
nun aber der Kurfürft unter Berufung auf das Joachim Friedrich 
und Georg Wilhelm 1621 Gemwährte noch vor erfolgter In— 
veftitur zur Regierung Preußens zugelaffen jein wollte, jeßte 
Wladislam IV. hier ein, um weitere Zugeftändnifie zu erwirken. 
Des Beifalls der preußifchen Stände war er dabei fiher. Darin 
lag die Gefahr für Frievrih Wilhelm, während der König 
wünſchen mußte, die Sache vor dem Zufammentritt des Reichs: 
tags zu erledigen, um fie dem zu entziehen. So boten des 
Nurfürften Bevollmächtigte, die Neujahr 1641 nad Warſchau 
gingen, dem König für die fofortige Zulafiung zur Regierung 
60.000 polniſche Gulden. Dennoch machte man Schwierigfeiten, 
wollte polniſche Kommiſſare nad; Preußen ſchicken und keines— 
falls von der perfönlihen Huldigung für fpäter abſehen. Dieje 
fagte der Nurfürft zu, nur müffe die Sache zu Ende fommen, 
ehe der Reichstag die alten nationalen Forderungen erheben 
könnte. Wladislaw IV. ftelte Bedingungen, unter anderen Er— 
nennung des Kommandanten von Pillau dur ihn aus drei 
vom Kurfürften vorgefhlagenen Kandidaten, Entſchädigung 
Abraham Spirings, Erbauung einer katholiſchen Kirche in 
jedem preußifchen Bezirke, Kontrolle der Pillauer Hafenzölle 
durch einen feiner Beamten und anderes mehr. Aber neben 
den offiziellen Verhandlungen in Warſchau gingen private in 
Marienburg her, namentlich über die peluniäre Seite der Sache. 
Der König forderte für die Belehnung 35000 Thaler: ohne 
fie könne er in betreff des Pillauer Zolles nicht nachgeben. 
Schließlich einigte man fi auf die vom Nurfürften glei an— 
fangs gebotenen 60000 polnifhen Gulden (20000 Thaler), 
wovon zwei Drittel der König, ein Drittel die Königin er= 
hielt. Am 12. April 1641 erfolgte des Kurfürften Zulafjung 
zur Regierung, zum Kummer ber nationalen Partei in 
Polen und der preußiihen Stände. Doc dauerte es noch 
etlide Monate, bevor man vollends einig wurde. Denn pol: 
nifcherfeits verfuchte man neue Forderungen durchzuſetzen: des 
Kurfürften entſchiedene Weigerung und Handſalben bei den 
beiden polnifchen Großfanzlern änderten das. Der Senat ftimmte 


390 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft. 


zu, und nun blieb der Widerſpruch der Landboten ohne Wir: 
tung. Noch verfuchte man den Kurfürften auf andere Weife zu 
feffeln, indem man ihm die Schweiter Wladislaws, durch ihre 
Mutter eine Nichte Ferbinands II, als Gattin anbot. Als er 
Anfang DOftober 1641 zur Belehnung nah Warſchau Fam, 
zeichnete fie ihn in nicht mißverftändlicder Weile aus, ohne 
Erfolg: gleich nad) Empfang der Inveftitur (7. Dftober) eilte 
er nad) Königsberg zurüd. 

Wenigſtens in Preußen hatte er nun einigermaßen feften 
Boden unter den Füßen. Freilich war die ſtändiſche Oppofition 
mit dem Ausgange ſehr unzufrieden, glaubte fih von Polen 
verraten und trat dem neuen Herrn nörgelnd entgegen. Aber 
der Hader der Oberftände — Adel und Klerus — mit den 
Städten ermöglichte diefem durch Teilung zu herrſchen: erftere 
dur Zugeftändnifie befriedigend, ifolierte und entwaffnete er 
legtere. Nur den leidigen Eonfeffionellen Eifer fonnte er nicht 
beſchwichtigen. Als einen Verrat am Heiligften bejammerte 
es die Geiftlichfeit, daß er bei der Leichenfeier feines Vaters 
(11. März 1642) reformiert predigen ließ. Die Oberräte 
ſchloſſen fih ihrem Proteft an, und nur ein ftrenges Gebot bes 
polnischen Lehensherrn an die Königsberger fiherte bie Feier 
vor Störung. In einem Reſkript an die Oberräte vom 
26. April 1642 wies der Kurfürft den ausgejprengten Verdacht 
jzurüd, er wolle durch eine „Reformation“ den lutherifhen Be— 
fenntnisftand im Herzogtum ändern, erklärte aber die übliche 
Verketzerung der Reformierten nicht zu dulden: beide Kirchen 
ftünden auf dem Boden besfelben Bekenntniſſes, wie ein neues 
Religionsgefpräch leicht erweifen könne. Das war ein erlöfendes 
Wort in diefer Zeit heillofer fonfeffioneler Verbitterung. Zu- 
gleih mit unwandelbarer Treue gegen die Reformation be: 
tundete es eine bisher unbefannte Duldfamfeit und bezeichnete 
den Weg, auf dem auch das Reich zum inneren Frieden geführt 
werben konnte. 

Minder günftig geftalteten fih die Dinge in der Marl, 
über die nad Entfernung Georg Wilhelms ein furdtbares 
Schickſal hereingebrodhen war. 1638 hatten die Schweden ben 
größten Teil der Altmark, 1639 und 1640 das Land jenfeits 


1. Die flänbifge Reaktion. 391 


der Oder eingenommen und Briefen, Landsberg, Frankfurt 
und Kroffen bejegt. Nur einen Teil der Mark behauptete 
Schmwargenberg unter unbarmberziger Ausfaugung bes erſchöpften 
Landes. In ihrer Verzweiflung erwogen die Stände, ob fie 
fi nicht lieber den Schweden überantworten follten. Der kur— 
fürftlide Gefandte in Warſchau, von Hoverbed, irrte alfo, 
wenn er meinte, im Gegenfaß zu Preußen fei in der Mark der 
Reſpekt vor dem Herriherhaufe und die Affeftion für des jungen 
Kurfürften Perfon jo wohl eingepflanzt, daß fie ſich durch den 
geringften Diener regieren laſſe. Die Armee, obgleih aus 
Mangel an Mitteln auf 6000 Mann reduziert, war eine 
furchtbare Geißel für das erſchöpfte Land, außerdem zumächit 
dem Kaifer verpflichtet und gewöhnt, in dem Kriegsoberften 
ihren Gebieter zu fehen, der fie Bürgern und Bauern gegen: 
über rüdfichtslos vertrat und das zu ihrem Unterhalt Nötige 
durch fie ſelbſt unbarmherzig eintreiben ließ. Dem ein Ende 
zu maden, verlangten die Stände immer lauter eine Aende- 
tung der Politif: auf dem Wege des Vertrages feien bie 
Schweden aus dem Lande zu entfernen und bann die Truppen 
bis auf bie zur Befagung der Feftungen nötigen Compagnien zu 
entlafien. Ohne dies fei nicht einmal für den Reft der Armee 
der Unterhalt aufzubringen. 

Man hatte in Rönigaberg wohl feine rechte Kenntnis von 
den Zuftänden in ber Mark. Aber auch wenn er fie gehabt 
und eine Aenderung herbeiführen gewollt hätte — für den 
Augenblid fehlten dem neuen Herrn alle Mittel dazu. Denn 
durch die Oberften, die mit Ausnahme Konrads von Burgs- 
dorf (S. 375) ihr Schickſal mit dem feinen verfnüpft wußten, 
war Schwargenberg Herr der Armee und des Landes. Am 
Tage nach des Vaters Tod (2. Dezember 1640) ſchickte Friedrich 
Wilhelm Werner von Schulenburg an Schwargenberg mit dem 
Befehl, die Statthalterfchaft weiterzuführen und die Feftungen 
forgfam zu behüten, und verfidherte ihn feiner Gnade, An 
einen Bruch mit dem bisherigen Syftem dachte er damals 
alſo noch nicht, fondern acceptierte die durch den Prager Frieden 
geihaffene Lage. Auch ihm war ber Bund mit Defterreich die 
Grundlage feiner Stellung, wie er den Kaifer feiner Treue 


392 Drittes Buch. Tie Rettung der Zukunft. 


und TDienftwilligfeit vericherte. Auch fonnte er ja ohne des 
Kaiſers Wohlwollen jein jo gut wie verlorenes Sand nicht zu 
retten hoffen. Nur mollte er gemäß dem eigentlichen Zinn bes 
Prager Friedens auch mit Schweden nicht mehr Krieg haben. 
Tod verzichtete er damit nicht auf Pommern: Hatt eines feinem 
Ausgange nad zweifelhaften Kampfes darum, plante er eine 
diplomatiihe Aktion, die fih dem Gange der großen Politik 
anpaßte. Daß er fih mit Schweden verftändigen wollte, ver- 
hehlte er in Wien jo wenig wie in Regensburg. So ftand 
er in betreif des erftrebten Zieles nicht in prinzipiellem Gegen= 
jage zu Schwartzenberg, wohl aber in betreff des dazu einzu= 
ihlagenden Weges. Nach Schwargenbergs Anfiht war Neutrali- 
tät gleichbedeutend mit dem Berziht auf Pommern. Deshalb 
verwarf er die Reduktion: nur um feiner Truppen willen jei 
Brandenburg noch einigermaßen rejpeltiert, nur durch fie könne 
es feiner Neutralität Achtung verſchaffen. Sie jegt entlaffen, 
würde recht heißen „die Pferde hinter den Wagen jpannen und 
die Hunde zuerft von den Schafen thun und dieſelben ben 
Wölfen preisgeben“. Aber Schwargenberg beſtand nicht eigen- 
finnig auf der Verfolgung des bisher von ihm gegangenen 
Weges und hat nicht verfuht, den neuen Herrn darauf feft= 
zubalten oder gar durch Herbeiführung vollendeter Thatſachen 
ihm die Beichreitung jedes anderen unmöglich zu maden. Piel- 
mehr hat er, ohne jeinen bisherigen Standpunkt aufzugeben 
und unter Geltendmadhung feiner Bedenken, dem Willen des- 
felben ſich gefügt, mochte er vielleicht auch zunächſt wegen her 
großen privatrechtlihen Intereſſen, die für ihn dabei im Spiele 
waren, einen Brud zu vermeiden wünſchen. 

Mit um fo größerem Eifer betrieben dieſen feine alten 
Gegner. Es war doch wohl ihr Werk, wenn der Kurfürft 
Schwargenbergs Stellung als Oberfttriegstommiflar einfach 
ignorierte, indem er über feinen Kopf hinweg mit den Oberften 
Konrad von Burgsdorf in Küftrin und von Trothe in Peitz 
torrefpondierte, ihnen Befehle gab und ihre Berichte empfing. 
Diefe ſuchten ihn dabei fider in jeder Weife gegen Schwargen- 
berg einzunehmen. Und dazu fam nun der Sturmlauf der 
märtifhen Stände gegen ben verhaßten Herrn Meifter. Ab: 


I. Die ftändifge Reattion. 393 


geordnete derjelben, von Samuel von Winterfeld geführt, über: 
braten im Januar 1641 die Landtagsgravamina nad) Königs: 
berg. Durch fie erſt wird der Kurfürft von dem Zuftand ber 
Mark und der durch Schwargenberg erzeugten Erbitterung ges 
nauere Kenntnis erhalten haben. In wochenlangen Verband: 
Lungen mit ihnen vollzog ſich der Syſtemwechſel, der Schwargen: 
bergs Stellung unhaltbar machte, eine neue Niederlage bes 
fürftlihen Rechtes und ein neuer Sieg der ftändifchen Liber: 
tät. Die Stände verlangten Frieden mit Schweden. Auch 
Schwargenberg wollte nicht den Krieg ſchlechtweg. Daß eine 
Verftändigung mit Schweden wünſchenswert fei, gab auch er 
zu: nur müſſe von dem Beginn der Unterhandlungen der Kaiſer 
alsbald Kunde erhalten. Völlig indisfutabel war für ihn die fo 
fortige Reduktion der Truppen: fobald fie vollzogen wäre, würde 
Schweden die Waffenftilftandevorfchläge ablehnen oder unan- 
nehmbar harte Bedingungen ftellen. Dennoch fam Schwargen- 
berg den ihm zugehenden Befehlen ohne Weigern nah. Einen 
märfifhen Wallenftein zu jpielen, lag ihm ganz fern, und nur 
Verleumdung hat ihm derartiges angedichtet. Aber der Ein: 
fluß feiner Feinde wuchs: bald fah er fi in feiner Stellung 
erft gemindert und eingeengt, dann planmäßig geärgert und 
gefährbet. 

Die Königsberger Verhandlungen überzeugten die Ab— 
georbneten ber märkiſchen Stände, ba die Nebuftion der 
Armee zur Zeit nicht möglich fei, der neue Herr aber den 
Frieden wolle und die Soldatesfa befeitigen werde, jobald er 
fih mit Schweden verftändigt hatte. Zudem erklärte er fi 
bereit, die Verwaltung bes Kontributiongwejens, die Schwargen: 
berg militärijch-abfolutiftifch konzentriert hatte, wieder den 
Ständen zu übergeben, die üblich gewordene militärifhe Ere: 
fution nur eintreten zu lafien, wenn die zivile fruchtlos ge— 
blieben, und endlich die Auflagen alsbald fo weit wie möglich 
herabzufegen. Mit jolden Konzeffionen an die Stände aber 
trennten ji feine Wege von denen des Minifters. Die ftän- 
difche Oppofition gegen diefen fand in ihm einen Bundes: 
genoſſen, ja einen Führer. Das änderte bie Lage volllommen. 
Als ein Unterpfand durften die Stände es anfehen, daß in= 


394 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft. 


zwiſchen am 18. Januar 1641 an den Statthalter der Befehl 
ergangen war, ſich der Feindfeligfeiten gegen die Schweden zu 
enthalten und auf die Defenfive zu beichränfen. Die eingeleitete 
Herabjegung des Traktaments der Truppen auf den niedrigeren 
Sommerfag entlaftete das Land etwas, erzeugte aber natürlich 
bei den Mannſchaften Unzufriedenheit. Da rüdte, die Strei= 
fereien brandenburgiſcher Reiter zu vergelten, der ſchwediſche 
Oberſt Stalhans von Beuthen her mit 2000 Mann zu Fuß, 
1500 Reitern und 8 Ranonen auf Rottbus. Während die Be- 
ſatzung von Peig-abzog, ſammelte Schwargenberg die Truppen 
aus Rathenow, Brandenburg, Fehrbellin und anderen Orten 
in Spandau und Berlin, zu äußerftem Widerftand entſchloſſen. 
Die Stände proteftierten und verlangten einen friedlichen Ver— 
gleih. Als aber Stalhans das feite Zoffen nahm und Berlin 
bebrohte, befahl Schwargenberg gemäß einem für diefen Fall 
bereits unter Georg Wilhelm gefaßten und dem Rate mit- 
geteilten Beihluß die Niederbrennung der Vorſtädte. Trog 
der Bitten und bes Jammers ber Einwohner vollzog fie Oberft 
Kracht an der Cöllner und Werderer Seite, als die Schweben 
näher famen: 108 Häufer wurden niedergebrannt. Ging das 
nicht weit über die befohlene Defenfive hinaus? Und fchließ- 
li fam es gar nicht zu dem ſchwediſchen Angriff! 

In Königsberg war man außer fi. Hatte der Statt- 
halter etwa durch eine vollendete Thatſache Brandenburg zu 
fernerem Kampf gegen Schweden zwingen wollen? Scheinen 
doch unter den in ihr Amt zurüdgefehrten Geheimeräten ſolche 
nicht gefehlt zu haben, die den Stillftand nur als Uebergang 
zum Bündnis mit Schweden anfahen, und die wünjchten, 
Brandenburg hätte 1635 ftatt dem Prager Frieden beizutreten, 
Drenftiernas Erbieten angenommen, ihm Pommern zu über- 
lajlen und den Schweben Magdeburg, Halberftabt und Osna— 
brüd gewinnen geholfen. Bon ihnen wird nichts unterlaffen 
fein, um den Kurfürften gegen Schwargenberg aufzubringen. 
€ hieß, derſelbe wolle die märkiſchen Feftungen den Kaifer: 
lichen überliefern, und der Aurfürft jelbft hat nachmals bei 
Schweden des dieſem bejonders verhaßten Minifters Belafjung 
im Amt mit der Furt davor entihuldigt. Weniger leicht 


I. Die ſtandiſche Reaktion. 395 


konnte Schwargenberg vielleicht andere Anflagen widerlegen. 
Daß er gegen ihm erteilte Weifungen Bedenken erhob und be— 
gründete, war fein gutes Recht, wird ihm aber wohl verdacht 
fein, obgleih er den gegebenen Befehlen nachkam. Davon 
ſcheint man in Königsberg fat überraſcht geweſen zu fein: 
hätte man es dort etwa nicht ungern gejehen, er hätte durch 
Ungehorfam feine raſche Bejeitigung ermöglicht? Wurde doch 
feine beabfihtigte Reife nad Königsberg Hintertrieben: aljo 
fürchtete man doch wohl den Eindrud feiner Perfönlichfeit und 
feiner Argumente auf den jungen Herrn. Nicht bloß deſſen 
begreiflicde Unſicherheit ſprach aus den ſich überftürzenden und 
einander widerſprechenden Befehlen an Schwargenberg: Fried: 
rich Wilhelm ift ehrlich genug geweſen, nachmals einzugeftehen, 
bei der Maſſe und Verfchiedenheit der an den Minifter geftellten 
Anforderungen ſei beabfihtigt worden, ihn nicht zu Atem fommen 
zu laffen, an jeder georbneten Thätigkeit zu hindern und fühlen 
zu laffen, daß fein Regiment zu Ende jei, daß er einen Herrn 
babe und geboren müſſe. Der Mann, den abzufegen man 
nicht wagte, weil man fih nicht die Kraft dazu, wohl aber 
ihm die Luft zum Widerftande zutraute, follte durch Nadelſtiche 
zum Nüdtritt gebracht werden, die man um fo eifriger an: 
wandte, als die anfänglichen Befürchtungen ſchwanden und er 
fi möglich zu erhalten juchte, wohl mehr aus finanziellen als 
politifden oder gar kirchlich konfeſſionellen Motiven. Denn 
ala Schwargenberg ſich von der Unhaltbarkeit feiner Stellung 
überzeugt hatte, erbat er feine Entlafjung nur als Direktor 
des Nriegaftants. Das Geſuch blieb ohne Antwort, aud) ale 
es erneut wurde. Es genügte weber feinen höfifhen Gegnern 
noch dem Kurfürften. Auch die Statthalterjhaft jollte er auf: 
geben. In etlihen ihm am Herzen liegenden Fragen des Be: 
figes trat man ihm gefliffentli zu nahe. Wie fi aber die 
Anzeihen der drohenden Ungnade mehrten, wurden aud die 
Stände auffägiger: die für 1642 geforderten 150000 Thaler 
aufzubringen, erklärten fie einfach für unmöglid. Aber um 
welchen Preis fie zu haben fein würden, war Har. Auch nur 
einen Teil feiner Stellung zu retten, erkannte Schwargenberg 
als unmöglich: fi und die Seinen ſah er von all den Schred- 


396 Drittes Bud. Die Rettung der Zufunft. 


niſſen bedroht, die dem Sturze eines dem Landesherrn und den 
Ständen zugleich verhaßten Staatsmannes damals zu folgen 
pflegten. Schon hieß es, er fei zur Verantwortung nad) Königs— 
berg geladen. Aehnliches drohte jedenfalls. In der General- 
reſolution auf die Eingabe der märkiſchen Stände ſprach der 
Kurfürft in ftarten Worten fein Erftaunen über das Elend des 
Landes aus, das er jegt erſt fennen gelernt: warum man nicht 
ſchon feinem Vater die Wahrheit gejagt habe? Er werde auf 
die Urheber diefes Zuftandes „inquirieren” und dann fi „der 
geftalt darauf verfpüren unb vernehmen laſſen, wie es ber Sachen 
Notdurft erheifche”. Damit bedrohte er Schwargenberg bireft: 
fi) dagegen durch illoyale Mittel, etwa die Hilfe der Kaiſer— 
lichen, behaupten zu wollen, ift biefem nicht eingefallen. Ja 
er verfügte ſchon nicht mehr über die dazu unentbehrlihe Waffe: 
auch die von ihm mit dem Mark des Landes genährte Sol: 
dateska hielt nicht mehr zu ihm, feit er durch Herabjegung des 
Traftaments auf den niedrigen Sommerjag die Reduktion doch 
eingeleitet hatte. Seine Feinde hätten fein wirkſameres Mittel 
finden fönnen, um ihn, des beften Rüdhalts beraubt, zwiſchen 
ben in ber Marf miteinander ringenden Gewalten jgewiffer- 
maßen zermalmen zu lafjen. Der Kummer über den Zuſamm— 
bruch feiner Macht, die Furt vor noch ſchlimmerer Heim: 
ſuchung, der Schmerz über den erfahrenen Undank, die Sorge 
um das fteuerlos dahintreibende Staatsſchiff, das er wenigfteng 
in einen Nothafen zu führen gehofft hatte, und die Aufregung 
über die Meuterei der Soldateska zufammen mit dem Ueber- 
maß aufreibender Arbeit untergrub feine Kraft, jo daß er 
plöglic zufammenbrad. Nach einem Unmwohljein von wenigen 
Tagen machte am 14. März 1641 ein Schlagfluß feinem Leben 
ein Ende. 

Wie der Kurfürft Schwargenbergs Tod aufnahm, willen 
wir nicht. Nach den einen ſoll er ihm jehr erwünſcht, nad) 
ben anderen fehr ungelegen gefommen fein. So ernfte Mei: 
nungsverjdiedenheiten es zwiſchen ihnen gab: die Möglichkeit 
ihres Zufammenwirkens war erwiefen. Der Anbahnung bes 
Stilftandes mit Schweden hatte ber Graf zugeftimmt, wie ber 
Kurfürft mit ihm die Erhaltung guten Einvernehmens mit dem 





I. Die ſtandiſche Reaktion. 397 


Kaifer wünſchte. Streitig war zwiſchen ihnen die Reduktion 
der Truppen und das Verhältnis zu den Ständen. Dod auch 
da hatte Schwargenberg fih gefügt. Daß er, wie behauptet 
ift, die Verftändigung mit Schweden zu hintertreiben gefucht 
habe, darf aus der energifhen Ruſtung gegen den Stalhans- 
ſchen Haufen nicht gefolgert werben. Auch Konrad von Burgs⸗ 
dorf meinte, der Befehl zur Einftellung der Feindfeligfeiten 
jet „nicht fo weit zu extendieren“, daß man dem Feinde allen 
Mutwillen verftatte, und handelte demgemäß. Zur Anfnüpfung 
mit Schweden hatte Schwargenberg zwei vornehme Gefangene 
zu benugen empfohlen, den Legaten Lilienftröm und den General: 
fommifjar Krempenbdorf, und erfteren dazu nad} Preußen fommen 
zu laſſen geraten. Warum aljo follte der Kurfürft feinen Tod 
freudig begrüßt haben? Erklärte er doch fpäter, er habe ge— 
hofft ſich des Verftorbenen noch länger zu bedienen. Daß diefer 
Brandenburg geſchadet, hat er aljo doch nicht gemeint. Auch 
der Pfalzgraf von Neuburg urteilte, ihm habe der Graf ge- 
ſchadet, aber da er einmal Brandenburg diente, habe er die 
brandenburgifchen Intereſſen auch nad} Kräften vertreten müffen. 

Anders urteilten des Verſtorbenen Gegner, die nun ge: 
wonnenes Spiel zu haben glaubten. Ueberall hatte ſich mit 
dem Thronwechſel die ftändifhe Oppofition gegen das abfolu- 
tiftifche Syftem erhoben, das Schwargenberg verkörperte, ihren 
Erfolg aber durch die anfängliche Geftaltung des Verhältnifjes 
zwifchen dem jungen Herrn und dem Minifter gefährbet gefehen: 
um fo erwünſchter fam ihr bes legteren Tod. Nun ließ fid die 
heillofe Verfahrenheit aller Zuftände, der Verluſt des größten 
Teiles der Mark, der drohende Einbruch der Schweden, ber 
wirtſchaftliche Ruin des Landes und die Zuchtlofigfeit der 
Solbatesfa unwiderſprochen Schwargenberg ſchuld geben, feine 
Politik darftellen als angelegt auf das Verderben der Hohen: 
zollern. Das erſchien um fo glaublicher, als jegt eine aller: 
dings bebenfliche Seite feines außeramtlihen Wirfens ent: 
hült wurde, da ſich ergab, wie von feiner Autorität gededt 
allerlei dunfle Ehrenmänner ſich widerrechtlich bereichert hatten. 
Weil er ſelbſt über alle amtlihen Sorgen feine privaten In— 
terefjen nie vernadhläffigt hatte, machte man ihn nun auch für 


398 Dritted Buch. Die Rettung der Zukunft. 


diefe Dinge verantwortlid. Dazu fam ber Eifer, mit dem 
fein Sohn fi) des reihen Nachlaſſes zu verfihern tradhtete. 
Mehr als feine Feinde haben dieſe Umftände Schwargenberg 
in der Weberlieferung geſchadet: fie erft boten jenen die Mög- 
lichkeit, ihn vor Mit: und Nachwelt für das Elend verant- 
wortlich zu machen, dem bie neue Regierung, wie e8 jdhien, 
erliegen mußte. 

Eine planmäßige Reaktion gegen die bisherige Ordnung 
begann in der Mark. Auf Schwargenbergs Rat hatte Georg 
Wilhelm bei feinem Negierungsantritt die Landesrezeſſe nicht 
beftätigt, nach denen feine wichtige Landesangelegenheit im 
Innern ober nad) außen ohne der fämtlihen Stände Vorwiſſen 
und Rat befchloffen werben durfte. In der Generaltejolution 
auf die Eingabe der märkiſchen Stände erklärte der neue Herr 
(31. März), die alten ſtändiſchen Rechte, Freiheiten und Ge— 
bräuche in nichts kürzen zu wollen: nur deshalb beftätige er 
fie nicht fofort, um durch vorangehende genaue Kenntnisnahme 
der Beftätigung mehr Gewicht zu geben. Würde die Antwort 
ebenjo gelautet haben, wenn nicht kaum acht Tage vorher 
(25. März) die Nachricht vom Tode Schwargenbergs eingetroffen 
wäre? Daß deſſen Syftem alsbald preisgegeben wurde, traf 
alle die ſchwer, deren Stellung darauf beruht hatte, be- 
ſonders die, welche daraufhin zunächſt für fich felhft gejorgt 
hatten. So erhielt das Lärmen, das ſich nun gegen des Herrn 
Meifters „Favoriten“ erhob, politifche Bedeutung, obgleich die 
üblen Dinge, die zu Tage kamen, folhe nit hatten. Da 
waren drei Brüder von Waldom: Bernd hatte fi) grober 
Unredlichkeit ſchuldig gemacht und verlor bereits im Februar 
fein Amt als Hofmarfhal; Baftian, Schloghauptmann, Ober: 
ſchenk und Hauptmann des Amts Ruppin, hatte Georg Wil: 
helm noch auf dem Sterbebette eine des Bruders Gaunerei 
deckende Unterfchrift abgewonnen, war aud feines „ärgerlihen 
böfen Lebens“ wegen fo verrufen, daß Friedrih Wilhelm „nur 
aus Rückſicht auf Veritorbene”, die fompromittiert wären, es 
unterließ, „ihn mit einer exemplariſchen Strafe zu refpizieren 
und anzufehn“, ihm aber im Juli 1641 feiner Aemter entließ. 
Der dritte Bruder, Hans, verdankte mächtiger Fürſprache die 


1. Die ftändifhe Reaktion. 399 


Belafjung im Dienft. Dann hatte der Kriegs: und Kammer- 
ſekretär Johann Stelmader Schmwargenbergs Vertrauen arg 
mißbraucht: fich zu entlaften, denunzierte er jegt gegen andere 
hohe Beamte. Die von ihm unterfhlagene Summe wurde auf 
126 000 Thaler geſchätzt; ſchließlich wurde er nad) jahrelangen 
Verhandlungen zum Erfag von 32 000 Thalern verurteilt. Daß 
Schwargenberg all das gewußt und begünftigt habe, behaup- 
teten aud feine Gegner nicht. Aber auf Rechnung feines 
Syftems wurden ſolche Verirrungen geſetzt. Das ſchadete auch 
feinen völlig makelloſen Anhängern, wie Joahim Friedrich 
von Blumenthal, einem Mann von ungewöhnlicher Begabung, 
namentlich für Finanz: und Verwaltungsſachen, der (geb. 1609) 
1635 bereits Direktor des NKriegsrats, 1636 Gefanbter bei 
Ferdinands III. Königswahl und dann an dem Verſuche zur 
Schaffung einer Armee 1637 hervorragend beteiligt geweſen 
war. Für den Bund mit dem Kaifer, fcheint er in betreff der 
Verftändigung mit Schweden lange nicht jo viel nachgegeben 
zu haben wie Schwargenberg. Das und jeine Freundfhaft mit 
Schwargenbergs Sohn machten feine Stellung unhaltbar; daß 
er fih um Eintritt in den faiferlihen Dienft bemühte, wurde 
ihm zum Verbrechen angerechnet. Auch der Kurfürft meinte, 
daß er „einer von den vornehmjten gewejen ſei, welche bisher 
dergleichen consilia, durch die er jelbft und fein Land und Leute 
in Verderben gejegt würden, fovieret und effeftuieret haben“. 
In verlegendfter Form wurde er entlaflen. Aber freimütig riet 
er dem neuen Herrn, er möge fich gegen feine Räte „nicht fo 
leihtlich zu ungleiher Opinion oder Ungnade bewegen laſſen“, 
fondern erft ihre Verantwortung abwarten und ihnen bis dahin 
„in beftändiger Gnade zugethan bleiben“. Die Einziehung ber 
Güter Schwargenbergs dur die cleveſche Regierung entrig 
ihm die Bemerkung, „auch Leſſel (Lesley) Habe vom Kaifer 
feine Orber gehabt Wallenftein umzubringen, fondern sub spe 
rati gehandelt”. An jolhen Undank wollte er nicht glauben: 
„Ich habe mein Lebtag Feine närrifcheren Prozeduren geſehen,“ 
icrieb er, „und feine größere Diminution oder Schwähung 
der menſchlichen memoriae, als in dem Land in ben drei 
Monaten verfpüret worden.” Dies Urteil wiegt um fo jchwerer, 


400 Drittes Bug. Die Rettung der Zukunft. 


als Blumenthal, wenige Jahre fpäter in den Dienft zurüd- 
gerufen, einer der verdienteften Mitarbeiter Friedrih Wilhelms 
wurde. 

AU das wirft doch ein bebenfliches Licht auf die Berechti— 
gung ber Kritif, die nah Schwargenbergs Tod feine unverhofft 
wieder emporfommenden Gegner an ihm übten, und erft von 
dem Hintergrunde dieſer Verhältnifie Heben fi die Vorgänge 
recht ab, die nun in der Mark eintraten. Die Berichte der 
Schmwargenberg beigeorbnet gewejenen Geheimeräte nad; Röniga- 
berg verraten fein Mißtrauen gegen bes Verftorbenen Amts- 
führung: gegen die Soldatesfa und die Schweden führen fie 
feine Weifungen aus. Seine Papiere zu verfiegeln hielten fie 
nicht für nötig. Um fo eiliger hatte es damit in Küftrin Kon: 
tab von Burgsdorf, konnte jedod die Entfernung mandes 
Stüdes durch den von dem Verftorbenen für dieſen Fall in- 
ftruierten Otto von der Marwig nicht hindern. Erſt auf jeine 
Mahnung verfügten auch die Herren in Spandau die Ber- 
fiegelung. Die Ruhe im Lande zu erhalten, trauten fie fi 
ſelbſt nicht zu, und auch Burgsdorf empfahl die ſchleunige Er: 
nennung eines Statthalter, der „im Lande Affektion“ (das 
heißt die Gunft der Stände) genieße und bei ber Soldatesfa 
„Autorität und Reputation“ habe. Hielt er vielleicht ſich ſelbſt 
für den geeignetiten Mann? Seine Entihlüffe zu fallen be: 
durfte der Kurfürft einiger Zeit. Nur der Stilftand wurde 
gleich angebahnt durch Vereinbarung mit den einzelnen ſchwe— 
difhen Führern im Lande. Die Stände erfannten dem ernften 
Willen des neuen Herrn, dem Kriege ein Ende zu machen. 

Inzwiſchen kam Schwargenbergs Sohn, Graf Johann 
Adolf, Faiferlicher Reihahofrat, am 12. April in Spandau an, 
von ben furfürftlichen Räten ehrerbietiger empfangen, als ihrem 
Herrn recht war. Man gewährte ihm die Durchſicht der Papiere 
feines Vaters und die Ausfonderung der Stüde von bloß pri= 
vatem Intereffe. Von den an feinen Vater ergangenen fur: 
fürftlihen Refolutionen, die man ihm nicht aushändigen wollte, 
forderte er Abſchriften, deren er „zu Zuftifizierung desfelben 
actionum“ bebürfen Fönnte. Burgdorf, der den Kurfürften 
fogar vor Gift warnen zu müſſen meinte, witterte ein Kom— 


I. Die ftandiſche Reaktion. 401 


plott zwijchen dem Sohne und den „Favoriten“ bes Ver: 
ftorbenen. Alter Groll gegen diefen jührte den ehrlichen, aber 
ungebildeten und beſchränkten Soldaten offenbar viel zu weit. 
Auch eine gewiſſe Selbſtſucht wird dabei im Spiel geweſen 
fein. Daß Baftian von Waldow den jungen Grafen über Vor: 
gänge am Hofe unterrichtete, wie feine aufgefangenen Briefe 
ergaben, bewies ihm beider geheimes Einverftändnis. Die Ge- 
heimeräte dagegen befürmorteten des Grafen Zulafjung zu des 
Vaters Papieren: fie zu verweigern, komme nachträglicher Be: 
ſchlagnahme gleich, fei rigoros und gefährlih und könne pein= 
liche Rechtshändel veranlaſſen. Aehnlich dachte damals der 
Kurfürft: nur die Abhaltung der Mefje in feinem Quartier 
ließ er dem Grafen unterfagen. Auch beabfitigte er nicht 
ihn von der Nachfolge in dem Johannitermeiftertum auszu⸗ 
ſchließen, die ihm als Koadjutor des Vaters zuftand: empfahl 
er ihm doch für eine erledigte Romturei feinerfeits einen Bes 
werber. Ebenſowenig war die Rebe von einer Anfechtung ber 
Anſprüche, die der Graf als Erbe feines Vaters an den Staat 
zu machen hatte: ihre forgfältige Prüfung wurde zugefagt. Sie 
erforderte ſchon die Heimlichkeit, mit der die Geſchäfte bisher 
geführt waren und die Unterjchleife ermöglicht hatte, wie fie 
einigen der „Favoriten“ nachgewieſen waren. 

Inzwiſchen Hatte an demſelben 12. April, an dem ber 
Graf Schwargenberg in Spandau eintraf, der Kurfürft in 
Königsberg die Inftruftion für den neuen Statthalter, Mark: 
graf Ernft von Jägerndorf, unterzeichnet. Im Gegenjag zu 
dem Brauch der legten Jahre machte fie ihm engfte Gemein: 
{haft mit den Geheimeräten zur Pflicht und ſchrieb eine Orb» 
nung bes Kanzleiweſens vor, die jeder Zeit Klaren Einblid in 
die Geſchäfte ermöglichte. Am 16. Mai traf der Markgraf in 
Küftrin ein und fam am 21. mit Konrad von Burgsdorf nad 
Berlin. Das höchſte Vertrauen bewies der Kurfürft dem zwei- 
undzwanzigjährigen Vetter, als er ihn auf den ſchwierigſten 
Poſten ftellte, den er dermalen zu vergeben hatte. Das Kind 
einer wilden Zeit, hatte Ernft in Jtalien, Frankreich und Däne- 
marf gemweilt, zulegt ohne finanzielle Beihilfe von Georg Wil- 
helm. Nach defien Tod fam er nad) Königsberg. Er gewann 

Pruß, Preußiihe Geſchichte. I. 


402 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft. 


die Gunft der fürftlihen Frauen und verlobte fih aus Neigung 
mit des Kurfürften Schmwefter Luiſe Charlotte, als nächſter 
Agnat und im Fall von Friedrich Wilhelms Einderlofem Tod 
Erbe der Kur noch befonders empfohlen. Vol Verftänbnis für 
des Nurfürften Abfichten, jelbftlos, hingebend und treu, Klug 
und gewandt, thatkräftig und gelegentlich rüdfichtslos durdh- 
greifend, wenn auch ohne rechte Stetigfeit und dem äußerft 
empfindlichen Kurfürften gegenüber zumeilen nicht glüdlih in 
der Form und dann hart zurechtgewieſen, war er wohl ber 
Mann, um in Gemeinfchaft mit dem geiftesverwandten Burgs- 
dorf in der Mark die Ordnung berzuftellen. Die Anwefenheit 
Johann Adolf Schwartzenbergs war ihm ſehr unbequem: auch 
er ſchrieb ihm die böfeften Abfichten zu. Ihren politifchen Gegen: 
ſatz verſchärfte ein perfönlicher: der Markgraf erftrebte bas 
Meiftertum des Johanniterordens. Er war daher mit Burgs- 
dorf darüber einig, ehe nicht „dieje böfe Schwartzenbergiſche 
Art“ vertilgt wäre, würde ber Aurfürft mit Land und Zeuten 
nicht fiher fein. Bewieſen freilih war dem Grafen nichts, 
und dem Unbefangenen erſcheinen jeine intercipierten Briefe 
unverfänglich: der Graf betrachtet die Vorgänge in der Mark 
einfach von dem aiferlihen Standpunkt aus, und da erwedten 
fie ihm ernfte Beſorgniſſe. Seine Wiener Freunde äußern fi 
in gleidem Sinn: man fah in Brandenburgs Anfnüpfung mit 
Schweden und bem Verlangen der Stände nah Waffenruhe 
Zeichen einer dem Kaifer feindlichen Gefinnung. Damit aber 
wurde weder dem Kurfürften noch den Ständen etwas Ehren- 
rühriges nachgeſagt. Nun follte aber nach ber Dediffrierung 
eines der aufgefangenen Briefe der Graf erflärt haben, alles 
thun zu wollen, was dem Kurſürſten ſchaden könnte. Als Barthel 
und Baftian von Waldow und Blumenthal anfamen und „das 
Kollegium” verftärkten, meinte Burgsdorf, nun werde das 
Korrefpondieren erft recht angehen: es gelte daher „die von dem 
gefallenen Baume hinterbliebenen Wurzeln auszureuten, ehe fie 
aufs neue wieder ausſchlagen“, denn „wenn man dieſem hoch— 
ſchädlichen Werke nit bald und zwar mit einer heroiſchen 
Refolution begegne, werde daraus großes Unglüd entfiehen“. 
Hatte Adolf Schwargenberg unrecht, wenn er Burgsborf zu 


1. Die ſtandiſche Reaktion. 403 


feinen entſchiedenſten Widerſachern rechnete? Ebenſowenig machte 
er ſich einer Verleumdung ſchuldig durch die Meldung, die 
märkiſchen Stände wünſchten die Entfernung der Kaiſerlichen 
und den Frieden mit Schweden. Beſonders übel nahm man 
es, daß er ſich über die militäriſchen Maßnahmen, namentlich 
die Reduktion abfällig ausſprach. Eigentlich aber hatte der 
Kurfürſt gar nicht allein über die Regimenter zu verfügen, die 
auch dem Kaiſer verpflichtet waren. Er ſelbſt hatte es daher 
ſchon Schwartzenberg gegenüber bedauert, daß in der betreffenden 
Formel nicht genau ausgedrückt war, wie der dem Kaiſer ge— 
leiſtete Eid nur für den Fall gelte, daß die Truppen im nächſten 
Feldzug zur Wiedereroberung Pommerns verwendet würden. 
Auch unterhandelte er über die Reduktion, die ſein Land ge— 
bieteriſch forderte, mit dem Kaiſer und bot dieſem die Regi— 
menter an. 

Nicht politiſche Umtriebe, nur vermögensrechtliche In— 
tereſſen führten Johann Adolf von Schwartzenberg in die Mark. 
Darin war er der echte Sohn feines Waters, der die Sorge für 
fein Vermögen niemals aus den Augen verloren hatte. Auch 
fah jene Zeit nichts Bedenklihes darin, wenn ein Beamter 
nebenher mit dem Staat für ihn felbft gewinnreiche Geſchäfte 
machte. In folhem Umfang freilich und mit ſolchem Erfolg, 
wie der Herr Meifter hat das wohl faum einer gethan. In 
feiner finanziellen Bedrängnis flüchtete Georg Wilhelm oft zu 
feinem fürftlich reichen Minifter, der nicht bloß außerordentliche 
Ausgaben, wie für Geſandtſchaften und dergleichen, fondern 
auch die laufenden ftaatlihen Bebürfniffe aus feinen Mitteln 
bedte, bald mit, bald ohne Pfand. So wurde er ber vor- 
nehmfte Gläubiger feines Herrn und feines Staates. Daß er 
ſich dabei wucheriſch bereichert habe, ift freilich nicht erwiefen. 
Aber er benugte die Konjunkturen und die finanzielle Macht, 
die in jener geldarmen Zeit feine reihen Barmittel ihm ver: 
liehen. Pfandſchaften aller Art, Güter und Grundftüde, Renten 
und nußbare Rechte brachte er an ſich und erwarb fo ein nad 
damaligen Begriffen ungeheueres Vermögen. Der Kontraft 
zwifchen feinem Reichtum und der Armut bes von ihm regierten 
Staats forderte die öffentlihe Meinung heraus: feine Truhen 


404 Drittes Bu. Die Rettung der Zutunft. 


waren mit Gold gefüllt, die Kaſſe feines Herrn ftand leer. 
Die Einkünfte des Kurfürften in der Mark, die vor dem Krieg 
über 260000 Thaler betragen hatten, waren 1640 auf etwa 
35000 Thaler reduziert. Auf Cleve laftete eine Landesſchuld 
von über 100000 Thalern. Die meiften preußifchen Kammer: 
ämter waren verpfändet — und einer der Hauptgläubiger war 
überall der Minifter! Um Millionen handelte es fich daher bei 
feinem Nachlaß, zunächſt freilich in Außenftänden, namentlich 
Forderungen an den Staat und ben Kurfürften. Auch die Ein: 
fünfte des Sohannitermeiftertums waren jeit fieben Jahren im 
Ruckſtand. Ohne fie berechnete Johann Adolf das väterliche 
Guthaben auf rund 790 000 Thaler — eine Summe, die unter 
den obmwaltenden Verhältnifien ſelbſt beim Verzicht des Landes: 
herrn auf einen beträchtlichen Teil der Landeseinkünfte nicht 
aufzubringen war. 

Von hier aus erhielt des jüngern Grafen Drängen auf 
Anerkennung und Befriedigung der ererbten Anſpruche poli= 
tifche Bedeutung. Das Intereſſe des Staats gebot ihre jorg- 
fame Prüfung: damit war noch Feineswegs die Abficht gegeben, 
fie zu verwerfen. Anders aber dachten des Kurfürften Räte. 
In ihrer feit Jahren aufgefammelten Erbitterung griffen fie 
begierig den Verdacht auf, ihr Beſieger verdanfe feine Reich- 
tümer unehrlichen Mitteln. Bezeichnendermeife begann bie Aktion 
in Gleve, wo der Minifter befonders gehaft war. Aus eigenem 
Antrieb beſchlagnahmte die dortige Regierung das Schwargen- 
bergiſche Gut Huiffem und legte fogar Truppen hinein. Auch 
in der Mark wurden die Verwalter und Einfafjen der betreffen- 
den Aemter bald angemwiejen, „dem Grafen fi mit Pflichten 
nit verwandt zu machen noch Gehorfam zu leiften”. Man 
perrte dem Sohn die Einkünfte, während die Schweden die 
Schwargenbergifhen Güter befonders drüdten. „Ih Tann,“ 
ſchreibt der Graf nad Wien, „nicht genug jagen, wie unglüd- 
lich es mir geht. Ich bin allhier wie eine Eule zwiſchen den 
Krähen.“ Die feinem Vater alles verdankten, feien feine ärgften 
Feinde: Chrerbietung und Freundfchaft beteuernd, ſuchen fie 
ihn um das Seinige zu bringen. Alles nehme man ihm, bloß 
weil ber Kurfürft nicht wiffe, wie e& ſich mit den betreffenden 


1. Die ſtandiſche Reaktion. 405 


Gütern eigentlich verhalte, und wenn er nicht fo ſchnell herbei⸗ 
geeilt wäre, hätte er nicht einmal das väterlihe Silber ge— 
rettet und nicht fo viel gehabt, um ſich ein Trauerfleid machen 
zu laffen. Zum Glüd habe ein treuer Diener gewiſſe Papiere 
dem Gewahrſam ber furfürftliden Räte liftig entzogen und 
über Cleve nad den Niederlanden gebradt. Man nahm an, 
es handle fih um politiſch fompromittierende Schriftftüde, die 
hocpverräterifche Verbindungen feines Vaters darthun könnten. 
Aus der nahmals als unrichtig erwieſenen Deutung einzelner 
Stellen in feinem Briefwechfel mit Wiener Freunden ſchloß man 
auf einen ähnlichen Inhalt der befeitigten Papiere des Vaters. 
Vielmehr wird an Schriftflüde von vermögensrechtlicher Be— 
deutung zu denken fein, Befiturfunden, Schuldverfchreibungen, 
Pfandſcheine, Zinstabellen, Gutsrechnungen und anderes mehr, 
von denen fi nad dem Zeugnis ber Furfürftlihen Räte in 
dem wieder eröffneten Nachlaß des Vaters „ein großer Wuft“ 
gefunden hatte. Daß Graf Johann Adolf den ihm von Wien 
aus empfohlenen Verfuch zur Beftehung der furfürftlihen Räte 
als ausfichtslos ablehnte, von ben märfiihen Ständen urteilte, 
fie neigten mehr zu Schweden als zum Kaifer, und meinte, bie 
Oberften der zur Reduktion beftimmten Regimenter hätten Grund 
zur Beſchwerde, daß er den an von Rochows Stelle gejegten 
Oberſt Ribbed für unfähig erklärte — „ein pur lauter Laff“ jei 
er, und ihm Spandau, die Hauptfeftung, anvertrauen, ſei, „als 
ob man ein Dorf mit einem tollen Pfaffen verjehen wollte” —: 
all das märe ihm unter anderen Umftänben nicht zum Ver- 
brechen angerechnet worden. Jetzt folgerten Markgraf Ernft 
und Burgsdorf daraus die böfeften Abfihten. Dazu ergab ſich, 
daß feine Wahl zum Koadjutor des Vaters im Orbensmeifter- 
tum ftatutenwidrig gefchehen war. Unter dem Eindrud von 
alle dem, immer von neuen Denunziationen beftürmt, lebte fich 
fozufagen der Nurfürft in den Glauben an die Wahrheit biefer 
Anfhuldigungen hinein, meinte nachträglich von Schwargenberg 
auch feinerfeits alles mögliche Ueble erfahren zu haben und 
ließ, was jener gefündigt haben jollte, den Sohn entgelten. 
Der Geheime Nat leitete gegen dieſen auf Grund ber dediff- 
vierten Briefe eine Unterfuhung ein. Die Stände Magten mit 


406 Drittes Bud. Die Retiung der Zukunft. 


Ianbesherrliher Genehmigung wider ihn wegen Verleumdung. 
Ribbeck forderte ihm zum Duell. Daß er die Forderung an— 
nahm, deutete man als Eingeftändnis der Beleidigung Ribbeds 
und meinte, er habe damit auch anerfannt, was man ihm fonft 
auf Grund der aufgefangenen Briefe ſchuld gab. 

War das Verfahren gegen ben Grafen weder gerecht noch 
billig, fo wird man feinen Urhebern und dem ihnen folgenden 
jungen Fürften doch mildernde Umftände nicht verfagen. In 
ihrer ſchwierigen Lage braten fie die Haltung des Grafen, 
der feine privaten Rechte verteidigte, mit dem Widerftand in 
Verbindung, dem fie fonft begegneten. Noch hatte man fi 
mit Schweden nicht verftändigt, wenn auch thatſächlich Waffen: 
ruhe eingetreten war. Winterfelds Miffion nad Hamburg zu 
dem Legaten Salvius ſcheiterte. In Stodholm felbft mußte 
man unterhandeln. Am 1. Mai gingen Gerhard Rumelian 
von Leuchtmar und Balthaſar von Brunn dorthin ab, um ben 
Thronwechſel anzuzeigen und zur Anbahnung des alten freund- 
ſchaftlichen Verhältniffes zunächſt einen Waffenſtillſtand auszu: 
wirken: das Wort Neutralität, das man in Wien nicht gern 
hörte, wurde forgfam vermieden. Aber jhon das beunruhigte 
den kaiſerlichen Hof: follte man nicht durch Eintreten für die 
Rechte Schwargenbergs auf den jungen Herrn in Königsberg 
eine heilfame Preffion ausüben? Aber mehr als eine empfehlende 
Befürwortung feines Anliegens bei dem Kurfürften wurde dem 
Grafen ſchließlich doch nicht zu teil. Andererjeits befürchtete 
man, die der Reduktion widerftrebenden Oberften könnten fi 
dieſem verbünden, er fie für feine Zmwede benugen. In ihm 
trafen jo für die Räte des Kurfürften alle ihrem Herrn feind- 
lihen Tendenzen zufammen: in ihm meinten fie alle Gegner 
treffen zu fönnen. 

Inzwiſchen war der Landtag zufammengetreten. Aber trotz 
der entgegenfommenden furfüritlihen Generaltejolution vom 
31. März hatte Ernſt von Jägerndorf feinen leihten Stand. 
Gern acceptierten die Stände den Erja ber den Oberften und 
Hauptleuten bisher gewährten unbeftimmten Bezüge durch ein 
feftes Jahrgehalt. Ueber dieſes freilich galt es fich erſt mit 
den anjpruchsvollen Herren zu verjtändigen, die das niedrige 


I. Die ftändifge Reaktion. 407 


Sommertraftament mit ihren Leuten lärmend zurückwieſen. 
Auch das Verlangen der Stände nad Unterfuhung des 
jamten Kriegsetats ber legten Jahre durch eine fürftlid-ftä 
diſche Kommiffion wurde erfüllt. Mit der Thätigkeit Schwargen- 
bergs zugleich lieferte der neue Herr dadurch die Regierung 
feines Vaters einer Kritik aus, die von dem einſeitigſten Partei— 
ftandpunft ausging. Dabei ftritten die Stände weiter über bie 
Quotifation der Steuern. Der Adel wollte wie bisher nur ein 
Drittel tragen, die Städte follten zwei Drittel aufbringen, 
obgleih im Februar 1641 auf ihre Huldigung verzichtet war, 
weil außer nad) Berlin:Cöln, Spandau, Küftrin und Peitz nad 
feiner zu fommen war, fie entweder vom Feinde bejeßt oder 
bebroht oder ohne Einwohner und völlig ruiniert waren. Die 
160 000 Thaler, die für die.im Dienft bleibenden 2400 Mann 
zu Fuß und 300 Reiter und zur Reduftion der übrigen Truppen 
gefordert wurben, erflärten die Stände nicht aufbringen zu 
tönnen: höchſtens 150 000 Thaler unter Einrehnung ber er- 
betenen außerorbentlien Beihilfe für die Univerfität Frank— 
furt und die Fürftenfchule zu Joahimsthal könnten fie über- 
nehmen. Als fie aber an die Umlage gingen, erfchien ihnen 
aud das als ein Ding der Unmöglichkeit, weil die noch in der 
Gewalt der Schweden befindlichen Gebiete nicht mit heran- 
gezogen werden Fonnten. Mehr als 103000 Thaler waren 
nicht zu beſchaffen, während allein das Sommertraftament 
über 111000 Thaler erforderte. In monatelangen Verband» 
lungen den Ständen größere Bewilligungen abzubringen be: 
müht, mußte der Statthalter doch felbft zugeben: „Es ift die 
Dejolation und Unvermögen des armen Landes jo groß, daß 
zu Erſetzung ſolches Mangels Fein anderes Mittel denn die 
Kiberier- und Befreiung der noch beſchwerten Kreife von ſchwe— 
difcher Kontribution und Quittierung des Landes weder zu er- 
denfen noch zu erfinnen geweſen.“ 

Und ein erfter Schritt in diefer Richtung geſchah, als am 
24. Juli zu Stodholm Leuchtmar und Brunn mit dem Kanzler 
Drenftierna einen Waffenftilftand auf zwei Jahre unterzeichneten. 
Völlig Herr der Marken freilich wurde der Kurfürft noch night: 
die Schweben behielten Driejen, Landsberg, Krofien, Frankfurt 









408 Drittes Bud. Die Rettung der Zufunft. 


und Gardelegen famt der Militärgerichtsbarfeit und dem Recht 
zur Requiſition, nur bie Zivilgerihtsbarfeit und die Defonomie 
tam an ihn zurüd. In der Altmark wollten fie Tangermünde, 
Stendal, Seehaufen und was fie jonft befegt hatten, räumen, 
fobald acht Tage nad) Austaufh der Ratifilationen die Wer: 
bener Schanze jamt dem Städtchen Werben ihnen übergeben 
würde; von dem Waffenftillftand wurde diefer wichtige Elb- 
übergang ausbrüdlic ausgenommen. Die den Schweden ver- 
bleibenden Pläge follten ungehindert verproviantiert werben, 
der Kurfürft aber feine neuen Befeftigungen anlegen dürfen. 
Die Freigebung von Handel und Verkehr zwiſchen allen Teilen 
ftelte wenigftens die mwirtihaftlihe Einheit des Landes her. 
Leider aber machte der dem Hauptvertrag angehängte Neben: 
rezeß das alles ziemlich illuſoriſch. Danach durfte Schweden 
in Küftrin einen Kommiſſar beftellen, um die Ausführung des 
Vertrages durch die Furfürftlichen Behörden zu überwachen und 
alles Schweden Nachteilige zu hindern, aud die Intereffen der 
Einwohner Pommern Brandenburg gegenüber zu vertreten. 
Brandenburg wurde aljo unter eine Art von Polizeiaufficht ger 
ftellt und die Entſcheidung der pommerjchen Frage vorweg ge: 
nommen. Deshalb verweigerte der Kurfürft die Ratififation bes 
Stodholmer Vertrages. Trogdem ift derjelbe von beiden Teilen 
vollftredt worden, fo weit es ohne Schaden ober Gefahr ge: 
ſchehen Konnte. Die altmärfifhen Orte aber räumten die 
Schweden nicht, weil die Werbener Schanze inzwiſchen von den 
Kurfürftlichen gefchleift war und ihnen nicht ausgeliefert werden 
konnte. 

Doch ſchon diefer unvollfommene und unfidere Stillftand 
war ein Segen für das Land. Er ermöglichte die Rebuftion 
und die Anbahnung des Ueberganges vom Militärregiment zu 
bürgerlicher Verwaltung. Um erftere erwarb fi Konrad von 
Burgsdorf große Verdienfte. Zum Geheimerat und Oberfammer: 
herrn ernannt und im Range glei hinter den Kanzler geſtellt, 
wurde er weitaus ber bebeutendfte Mitarbeiter des jungen 
Herrn. Um zweierlei handelte e8 ſich bei der Reduktion: einmal 
die Soldatesfa, die das Land unter ſich zu teilen und ihm 
bezirksweiſe ihren Unterhalt abzuprefien gewöhnt war, zur An— 


1. Die ſtandiſche Reaktion. 409 


erfennung ber neuen, jolde Willfür ausſchließenden Ordnung 
zu vermögen, dann etliche Oberfien zu befeitigen, die um bie 
Ahndung ihrer Unreblichfeiten und Gemaltthaten zu hindern, 
ſich der Reduktion gewaltfam widerjegen wollten. Dazu wurde 
zunächſt der Kriegsrat aufgelöft: meben Burgsdorf trat der 
Oberſt NRibbed in den Geheimen Rat. Auch einer befon- 
deren Kriegskaſſe bedurfte man nicht mehr. Das Militär: 
departement hörte auf allen bürgerlichen Intereffen übergeordnet 
zu fein: ohne dies wären mit dem Lande die Soldaten felbft 
bald dem Untergange verfallen geweſen. Doch traf die Rebuf- 
tion mehr Offiziere als Gemeine. Von erfteren war nämlich 
unverhältnismäßig viel vorhanden, weil viele Oberften und 
Hauptleute zwar Geld und Verpflegung für die volle Zahl der 
von ihnen zu haltenden Truppen befamen, thatſächlich aber 
nicht fo viel bei einander gehabt und fi fo unreblich bereichert 
hatten. Oberſt Dietrich von Kracht drohte anfangs, ſich der 
Reduktion zu widerjegen, ftelte dann umerhörte Bedingungen, 
wurde aber bejcheidener, als man eine Unterſuchung wegen 
Niederbrennung der Berliner Vorſtädte (S. 394) einleitete. 
Noch gefährlicher ſchien Morig Auguftus von Rochow. Als 
Leuteſchinder verrufen, hatte er einen Spandauer Geiſtlichen, 
von deſſen Warnungen vor Raub und Gemaltthat er ſich ge— 
troffen fühlte, eigenmächtig zur Verantwortung ziehen wollen 
und nad des Herrn Meifters Tod die militäriſchen Weifungen 
der Geheimeräte als Narrheit verhöhnt. Jetzt berief er fih 
auf den dem Kaiſer geleifteten Eid, riet feinen Offizieren darauf: 
bin auch ihrerfeits dem Kurfürften nicht zu ſchwören, weigerte 
den Gehorfam und drohte im Notfall Spandau in die Luft 
zu ſprengen. Endlich wurde er in Arreft genommen. Sein 
Appel an den Kaifer hatte feine Folge; als aber der wider 
ihn angeftrengte Prozeß eine üble Wendung nahm, fand er 
Mittel und Wege zur Flucht. Auch der ähnlidy fompromittierte 
Oberftleutnant Hartmann Goldader, der fich zudem in Schmäh- 
reden gegen ben Kurfüften ergangen und einem wegen Morbs 
inhaftierten Edelmann zur Flut verholfen hatte, ging mit 
einem Haufen feiner Reiter auf und davon, um Faiferlide 
Dienfte zu nehmen. Nach längeren Verhandlungen entjchloß ſich 


410 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft. 


der Wiener Hof, auch die übrigen noch in der Mark liegenden 
Reiter in feinen Dienft zu nehmen. Ihr Abzug unter Markus 
Ludecke befreite das Land von ſchwerer Heimſuchung. Das 
machte Eindrud auf die übrigen. Die Reduktion vollzog fi 
ohne Widerftand, mochten auch noch mande Schwierigkeiten 
zu überwinden und bie abgelohnten Offiziere und Leute mit 
dem ihnen Gewährten ebenfo unzufrieden fein, wie die Stände 
über die ihnen zugemuteten Opfer murrten. 

Auch Johann Adolf Schwargenbergg Sahe war damit 
entſchieden. Seines Vaters Todfeinde waren, wie e8 ſchien, end⸗ 
gültig zur Gewalt zurückgekehrt, während ihn feine Beziehungen 
zu den unzufriedenen Offizieren vollends fompromittiert hatten. 
Seine aufgefangenen Briefen entnommenen Xeußerungen, fo 
wenig fie die Abficht zu einem Gemaltftreih oder auch nur zur 
Herbeiführung energiſcher Intervention des Wiener Hofes er— 
wieſen, erfuhren die nadhteiligfte Deutung: von Befriedigung 
feiner Anſprüche war nicht mehr die Rede. Ja er durfte Schlim: 
meres fürchten. Schon war feine Verhaftung beſchloſſen: da 
machte er fi durch nächtliche Flucht davon. Ob er es that, 
um verdienter ſchwerer Ahndung zu entgehen? Was bisher 
befannt geworben, ergibt nichts derart. Als übereifriger und 
dem Kurfürften fehr unbequemer Verfechter feiner Vermögens: 
intereffen mag er gefehlt haben: zum Verſchwörer, ber mit ber 
unzufriedenen Soldatesfa und dem Kaiſer Schlimmeres plante, 
haben ihn nur bie Furt und der Haß der Feinde feines 
Vaters gemacht. Auch das gegen ihn eingeleitete Verfahren 
ergab nichts. Ja Anfang 1642 hat der Faijerlihe Gefandte 
Juſtus von Gebhard den Kurfürften überzeugt, daß bie ihm fo 
ſchwer angeredjnete Aeußerung, er wolle immer auf des Kur— 
fürften Schaden denken, auf irriger Dediffrierung beruhte. 
Um fo weniger lag hinfort ein Grund vor, feinen privatrecht- 
lien Anjprüchen Befriedigung zu verfagen. Freilich blieb die 
Neigung dazu auch jegt gering. Doch verlor man in Wien und 
Prag die Sahe um fo weniger aus dem Auge, als der Graf 
am Hofe an Anfehen und Einfluß gewann. Auf eine neue 
Taiferlihe Mahnung, ihn in dem ihm Gebührenden zu reſti— 
tuieren, erwiderte man im Herbft 1647 von Berlin mit einer 


I Die ſtändiſche Reaktion. 411 


ausführlihen Darlegung und Rechtfertigung des Furfürftlichen 
Verfahrens, gab aber ſchließlich doch in weſentlichen Stüden 
nad. Am 8. Oftober 1649 cedierte der Kurfürft Schwargen- 
berg die im Jülich-Cleveſchen gelegene Herrfhaft Winnenberg, 
die ihm ſelbſt nach dem Provifionalvergleidh vom 8. April 1647 
für 100000 Thaler Haftete, als Pfand für diefe Summe. 
Andere Anſprüche des Grafen blieben noch in der Schwebe; 
über fie ift auf dem Regensburger Reichstage durch Blumen 
thal vergeblich verhandelt worden. Bon neuem fam die Sade 
zur Sprade, ala es ſich nad) Kaiſer Ferdinands III. Tod darum 
handelte, Brandenburg für die Nachfolge des jungen Königs 
Leopold und zur Löfung von Schweden zu gewinnen. Da: 
mals mar Schwargenberg die rechte Hand des Leopold vor: 
nehmlich beratenden Erzherzogs Leopold Wilhelm. Unter diefen 
Umftänden erfolgte ein Vergleich dahin, daß der Graf die von 
ihm als Erben feines Vaters beanſpruchten märkiſchen Aemter 
dem Kurfürften abtrat und dafür durch König Leopold mit der 
böhmifchen Herrſchaft Pürglig entſchädigt wurde. Das beftimmte 
den Kurfürften damals, auch feine wieder in Erinnerung ge— 
braten Anſprüche auf Zägerndorf vorläufig fallen zu laffen. 
Schwargenberg aber gab auch jegt den Reſt feiner Forde— 
tungen im Betrage von etwa 20000 Thalern nicht auf. Bei 
den Bündnisverhandlungen in Wien (Februar 1660) ließ 
der Kurfürft durch feine Bevollmächtigten darauf dringen, 
daß gegen Herabfegung der anfangs von ihm in der Höhe von 
150000 Thalern geforderten Subfidie der Kaifer die noch 
ſchwebende „Schwargenbergifche Prätenfion“ mit 20 000 Thalern 
auf fi nehme. 

Mit dem bisherigen Verlauf der Dinge konnten namentlid 
die Stände zufrieden fein: das fteigerte weder ihre Dienftbereit- 
ſchaft noch ihre Opfermilligkeit. Zäh befämpften fie die For- 
derungen bes Statthalters für die militärifche Neuorganifatio: 
16 Compagnien zu Fuß zu je 150 Mann und zwei Reiter 
compagnien zu je 150 zu unterhalten fei unmöglid. Die nad 
dem Landtag zurüdgebliebenen Ständebeputierten proteftierten 
gegen eine folge Zumutung: bei der „ſichtbaren Impoffibilität 
und dem elenden, blutweinenden Zuftand des armen Vater: 








412 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft. 


landes“ möge man fi mit 12 Compagnien zu Fuß zu je 
100 Mann und 150 Reitern begnügen und diefelben, ba fie 
in den Feftungen blieben, dauernd auf das Sommertraftament 
fegen. Denn jelbft das fei nicht aufzubringen, ehe die Schweden 
die noch immer bejegt gehaltenen Gebiete nicht räumten. Schon 
jahen die Stände einen allgemeinen wirtſchaftlichen Zuſammen— 
bruch nahen, da wie der Staat fo auch der Einzelne feinen 
Verpflichtungen nicht mehr nachkommen fonnte. Sie verlangten 
Erlaß oder Herabfegung der in den Kriegsjahren aufgelaufenen 
Zinfenrüdftände und Herabfegung des Zinsfußes von fechs auf 
drei Prozent, Erneuerung des feit 1620 mehrfach verlängerten 
allgemeinen Moratoriums, Zahlung in Schuldfheinen ftatt in 
bar, Auffhub der Erefutionen, Aufhebung oder doch Erleich- 
terung ber Haftpflicht der Bürgen für zahlungsunfähige Kom⸗ 
munen ober öffentliche Kaſſen und Herabfegung der zur Zeit 
der leichten Münze (1620—1623) aufgenommenen Darlehen 
auf den damals empfangenen Metalwert. Sonft gingen ihre 
Meinungen auch jegt weit auseinander. Den politifchen Gegen- 
fag zwifchen Adel und Städten fteigerte der verſchärfte wirt— 
ſchaftliche. Der Adel wollte den die ftäbtifche Produktion ſchützen— 
den Eingangszoll, der die von auswärts eingeführten Artikel 
verteuerte, aufgehoben und das Land auch dem Erport völlig 
geöffnet jehen, um feine landmwirtfchaftlichen Produkte in Pom⸗ 
mern und Medlenburg an die gut zahlenden Schweden zu vers 
kaufen. Er jegte feine agrarifchen Intereſſen über die ber 
Gefamtheit. Daß die Erfahrungen der legten Jahre ohne Ein- 
drud auf ihn geblieben waren, zeigte das politiihe Programm, 
mit dem feine Deputierten dem Kurfürften entgegentraten: ein 
ftraff monarchiſches Regiment ſollte für alle Zeit unmöglich 
gemacht werben. Denn wenn die Stände das Net erhielten, 
ſich alljährlich zur Formulierung ihrer Beſchwerden über bie 
Verwaltung zu verfammeln, fo war bie ſtändiſche Mitregierung 
Tonftituiert. Sie forderten ferner Anteil an der Reform ber 
Gerihtsordnung und der Verwaltung, Herftellung ihrer ehe: 
maligen Rechte an Kirche, Schule, Geriht und Polizei, und 
vor allem an der Finanzverwaltung. Unter dieſen Umftänden 
war die Verfeindung der Städte mit dem Adel für den Kur— 


1. Die ſtandiſche Reaftion. 4183 


fürften ein Glüd: durch wirtſchaftliche Zugeftändniffe konnte 
er fie zu Bundesgenojjinnen gewinnen. 

Fürs erfte freifih mußte er fih fügen. Er flimmte (No: 
vember 1641) der Reduktion der Truppen auf die von ben 
Ständen für allein möglich erklärte niedrigere Zahl zu und 
begnügte ſich ftatt der früher gebotenen 12 Compagnien zu Fuß 
zu je 200 Mann mit 16 zu je 125, alfo im ganzen 2000 Mann, 
unter ber Bedingung jeboh, daß die Offiziere von 16 Com: 
pagnien beibehalten würden. So fonnte er im Notfall ent: 
weder bie Zahl der Soldaten in den Compagnien oder die ber 
Compagnien fteigern. Bon Reitern aber erhielt er wirklich nur 
eine Compagnie zu 125 Mann. Wäre das Bewilligte aber nur 
auch wirklich geliefert! Immer wieder mußten Statthalter 
und Kurfürft die Stände mit Vorftellungen und Bitten an: 
gehen: weder die Naturallieferungen noch die Kontributiong- 
zahlungen gingen ein. Was von der Armee noch übrig war, 
befand ſich bald in trojtlofem Zuftande: ohne Löhnung, ſchlecht 
verpflegt und unzureichend gefleidet liefen viele Soldaten davon. 
Und nun rüdte im Januar 1642 Torftenfon vom Lünebur: 
giſchen Her in die Mark ein. Alsbald erſchienen die Raiferlichen 
in ber Altmark, voran Oberft Hartmann Goldader mit zwei 
Negimentern, die bis in die Priegnig ftreiften. Sie verlangten 
die Erritung von Magazinen, wollten aljo im Lande bleiben. 
Die Schweden erneuerten die früheren Schredniffe: bis unter 
die Mauern Spandaus verfolgten fie die von Haus und Hof 
Fliehenden. In der Altmark, im Drömling befonders, erhoben 
fid) die Bauern und erzwangen Herabjegung und vertragsmäßige 
Ordnung der Forderungen. „Wie mit einer raujchenden, durch: 
dringenden Wafferflut” überſchwemmten nad) einem Bericht des 
Markgrafen Ernft die feindlihen Armeen das Land. Mitte 
April aber verlangte Torftenfon nicht weniger als 300 000 Pfund 
Brot, 200 Wifpel Hafer oder Gerfte, 100 Faß Bier und 
1000 Stüd Vieh. Der Markgraf ſchrieb die entfprechenden 
Lieferungen aus und zeigte fo feinen guten Willen. Die Auf: 
bringung, das wußte er, war unmöglih. Und dazu famen 
Feuersbrünite in Städten und Dörfern, veranlaßt durch Ab: 
brennen des dürren Grafes. Auch die Stände wußten natürlich, 


414 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft. 


feinen Rat. Unmöglichen Anforderungen gegenüber „ließen fie 
Hände und Füße finken, famen entweder nicht oder lamen— 
tierten“. Auch dem Statthalter entfant der Mut: er mußte 
nicht mehr, wie er helfen folte, und erflärte dem Kurfürften: 
„Denn e8 das klare Anjehn hat, es jeien nunmehr die Sachen 
in den Zuftand geraten, ber auf faft rei summa beftehet und 
der zeigen wird, ob Euer Liebden oder ein anderer Ihr hiefiges 
Land gebrauchen und genießen folle.” Cine Geſandtſchaft der 
Stände nad) Stettin richtete jo wenig aus, wie vorher Dito von 
Schwerin, der die Aufhebung des Nebenrezefies zum Stodholmer 
Vertrag hatte erwirfen follen. Wohl aber befam diefer in den 
Quartieren ber Kaiſerlichen jpige Bemerkungen zu hören über 
das gute Einvernehmen der brandenburgiihen „Neutraliften” 
mit den Schweden. Um nichts beffer war es Leuchtmar ge— 
gangen, der Schwerin gefolgt war. Und melde Stimmung 
in ber Mark berichte, läßt des Statthalters Sorge erkennen, 
er werde bald ebenjo verhaßt fein wie einft Schwargenberg. 
Daß mit der von den Ständen erzwungenen Friedenspolitif 
nichts zu erreichen ei, konnte ſchon damals für erwieſen gelten. 

Da beſchloß der Kurfürft zum endlichen Vollzug des auf 
dem Papier jeit Monaten fertigen Waffenftillftandes bie Hebel 
in Stodholm jelbft einzufegen. Er rechnete dabei auf ben 
Gegenfag zwiſchen der Regentſchaft in Stodholm und ben Ver— 
tretern der ſchwediſchen Politik in Deutfchland: erftere wünfchte 
feine Bermittelung in dem Streit mit der Witwe Guſtav Adolfs, 
die deren Flucht nach Dänemark zur Folge gehabt hatte. Diefe 
ftellte er daher oftenfibel in den Vordergrund, als er im Juli 
den Kanzler Siegmund von Gögen und Rumelian von Leucht⸗ 
mar nad Stodholm fandte. Auch wurde da ſchnell ein Ver- 
gleich erreicht, nad) dem die Königin-Witwe bis zur Mündig- 
feit Chriftinens in Preußen verweilen ſollte. Der Stillftand 
aber wurbe wieder nicht ratifiziert, da die Schweden von dem 
Nebenrezeß nicht laſſen wollten. Daß die brandenburgifche Politik 
an einem Wendepunft ftand, beweiſt die den Gejandten auf: 
getragene Werbung um bie Hand ber jungen Schwebenkönigin. 
Friedrich Wilhelm kam auf das Projekt zurüd, das einft in 
Guftav Adolfs Plänen eine Rolle gejpielt hatte. Die Antwort 


1. Die ſtändiſche Reaktion. 415 


war wenigftens nicht einfach ablehnend: bei der Jugend Chri- 
ftinens, hieß es, könne man eine Verpflichtung noch nicht ein- 
gehen, zumal die Königin zur Zeit von Stodholm fern fei. 

Wie mußte fi die Auffaffung ber Lage bei dem Kurs 
fürften geändert haben, wenn er diefen Weg einjchlug, der die 
von dem jungen Schwargenberg erhobene Anklage der Neigung 
zu Schweden als berechtigt erwies! Ob die Konfequenzen, bie 
fih notwendig daraus ergaben, ihm wohl ganz Kar waren? 
Den Frieden mit Schweden konnte ihm die Che mit Chriftine 
wohl verſchaffen: wie aber ftellte fie ihn zu den anderen Mächten? 
Den Eintritt in das ſchwediſche politiſche Syſtem dennoch zu 
vermeiden, auch mit dem Haufe Hababurg in Frieden zu bleiben, 
wäre nicht möglich geweſen. Schon das erfte Ruchbarwerben 
dieſes Eheprojefts erzeugte fieberhafte Unruhe. Die preußiſchen 
Stände fürdteten Verwidelungen mit Polen, das heißt fie 
fahen ihre Libertät ernftlich bedroht. Polen wollte feinen Vaſallen 
um jeden Preis an einer Verbindung hindern, von der es 
mehr als den Verluft der Lehenshoheit über Preußen zu fürchten 
hatte. Dänemark beunruhigte Schwedens Machtzuwachs, und 
die Niederländer fürdteten für den Ausgang ihrer Handels— 
ftreitigfeiten mit ber baltifhen Großmadt. Den tiefiten Ei 
drud aber machte das Heiratsprojeft in Wien und Madrid: 
Brandenburgs Uebergang zu Schweden ließ das Schlimmfte 
befürchten. So wurde der ſchwediſche Heiratsplan das Zentrum 
für des Kurfürften politifhe Entwürfe. 

Noch aber lagen andere Sorgen näher. Die Mark war 
fo gut wie verloren. Weber Kaiſerlichen noch Schweden konnte 
man Einhalt thun: was man in feiner Ohnmacht den einen 
bingehen lafjen mußte, wurde von ben anderen als Partei: 
nahme für ihre Feinde geahndet. Daß die Schweden von 
Stettin her Munition und Getreide auf der Ober heranführten, 
veranlaßte ernfte Borftellungen des Kaiſers. Die Getreideſchiffe 
paffieren zu laſſen, erklärte ber Kurfürft darauf, „habe die un: 
vermeiblihe Not und der hochbetrübte Zuftand feiner armen 
Unterthanen erforbert, denen, hätte man die Vorbeifahrt ge— 
bindert, ihr geringer Vorrat mit Gewalt abgenommen und 
nichts übrig gelaffen worden wäre“, und man habe deshalb 





416 Drittes Buch. Die Rettung ber Zukunft. 


nit gewagt, der Unterthanen „durch die Wolken dringende 
und bes gerechten Gottes Strafe und Rache nad; ſich ziehende 
Seufzer und Thränen auf fi zu laden“. Zum Krieg feien 
ihm feine Mittel gelaflen, und da der allgemeine Friede noch 
immer nicht zu ftande gefommen fei, jo dürfe man, „was ex 
inevitabili necessitate zu Zeiten geichehen müſſe“, nicht ihm oder 
„Seinen jo hochbedrängten und bis aufs Mark und Bein aus: 
gefogenen Ständen und Unterthanen” anrechnen. Immer troft: 
Iofer lauteten des Statthalters Berichte. Da der Vertrag mit 
Schweden noch nicht perfeft geworben, wiſſe man nit, was 
eigentlich für die ſchwediſchen Garnifonen zu leiften fei, und 
es werde baher wohl „bei der vorigen Konfufion verbleiben 
und der Unterhalt wie vorhin erzwungen werben“. Dabei werde 
viel mehr als nötig genommen und fo „des eigenen Bolfes 
Unterhalt immer weiter in ein Stoden geraten und in folchen 
Abfal kommen, daß dem Werke nicht mehr zu helfen“. Die 
Stände aber verlangten immer weitere Rebuftion, ala ob man 
noch nicht mwehrlos genug wäre und durch vollftändige Ent: 
waffnung die Rriegalaften am eheiten los werben könnte! Der 
Hofhalt des Statthalters, für den ſchon im Mai 1642 eine 
ftändifche Beihilfe von 80 Thalern hatte erbeten werden müſſen, 
wurbe immer Inapper, die Lage der Beamten, die nur einen 
Teil ihrer Kompetenzen, oft gar nichts erhielten, immer elender, 
die Ausficht, die Heine Armee bei einander zu halten und braud- 
bar zu machen, immer geringer: faum in ben trübften Zeiten 
Georg Wilhelms war man fo rat: und hilflos geweſen und 
hatte mit jo ftumpfer Refignation der nahenden Kataftrophe 
entgegengejehen. Solchem Drud erlag ſchließlich die moralifche 
und die geiftige Kraft des Statthalters, mögen au die Folgen 
einer wüften Jugend die Wirkungen einer feelifh und körper: 
lich glei aufreibenden Thätigkeit gefteigert haben. Der Ein: 
drud troftlofen Elends ringsum feheint in ihm die Wahnvor- 
ſtellung erzeugt zu haben, er felbft ſei ihm bereits verfallen: 
er machte fih Sorge um feinen Unterhalt, wollte Berlin ver- 
laffen und nach Küftrin überjiedeln. Der Kurfürft, dem damals 
Konrad von Burgsdorf perfönlich über den Stand der Dinge 
Bericht erftattete, fuchte ihm zu beruhigen. Eines Tages (An- 


I. Die ſiandiſche Reaktion. 417 


fang September) aber machte er fich doch in einem Anfall gei- 
ftiger Verwirrung nad Spandau davon: er ſei durch Burgs⸗ 
dorf beim Kurfürſten verleumdet. Vergeblich redeten die Ge- 
heimeräte ihm gut zu: der Verfolgungswahnfinn war aus— 
gebrochen. Samuel von Winterfeld brachte ihn nad) Berlin 
zurück. Nach Tagen trügerifcher Ruhe fteigerte ſich das Leiden. 
In einem Zimmer im Erdgeſchoß des Berliner Schlofles ver: 
weilte der Unglüdlihe hinter vergitterten Fenjtern. Seine 
Mutter, Markgräfin Eva Chriftine von Württemberg, eilte 
berbei: man konnte ihr nicht geftatten, bei ihm zu bleiben. 
Die Sorge der Geheimeräte um ihre Unterbringung und Ver- 
pflegung beleuchtet grell die unfürftlihe Armut, mit der man 
in Berlin rang. Die Körperkraft des Kranken ließ eine Zeit 
lang Genefung hoffen. In den Stunden der Ruhe fragte er 
nad des Kurfürften Ankunft, ſprach voll zärtlihen Bedauerns 
von „Fräulein Loysgen“, feiner Braut, warf auch wohl ein- 
mal einen Blid in die ihm vorgelegten Berichte und Eingänge, 
gab eine Unterſchrift und empfing die Tröftungen der Religion. 
Aber am Morgen des 4. Oftober 1642 ftarb er. 

Diefer Todesfall war ein jo harter Schlag für den Kur: 
fürften, daß er darin das Werk eines Giftmifchers argwöhnte. 
Auf ihm allein ruhte nun feines Hauſes und Landes Zukunft. 
Er ſelbſt mußte die Mark retten: dorthin richtete fi al fein 
Denken. Aber erft vom 16. Februar 1643 datiert die Inftruftion 
für die Oberräte zur Regierung Preußens in feiner Abmefenheit. 
Unterwegs ſchon kamen ihm neue Unglüdsbotfchaften entgegen. 
In der Altmark haufte Torftenfon unbarmherzig: er meinte, die 
Leute könnten das DVerlangte leiften, fie wollten nur nicht. 
Ebenfo erging es der Priegnig. Wegelagerer machten die Land» 
ftraßen fo unſicher, daß, ala Ehrenreich von Burgsdorf, Konrads 
Bruder, mit ber Heinen Leibgarde dem Nurfürften bis an bie 
Grenze entgegenritt, die Regentihaft die Kreife um etliche 
Pferde und die Feftungsfommandanten um etlihe Soldaten 
bitten mußte, um den Verkehr von Ort zu Ort zu ermöglichen. 
Die Städte Prenzlau, Neu-Angermünde, Templin, Lichem und 
Strasburg waren jo gut wie entvölfert, und als nun auch 
noch das Hochwaſſer der Elbe die Altmark bedrohte, waren in 

Brus, Preugiige Grichichie. I. Ex 


418 Drittes Bug. Die Rettung ber Zukunft. 


den verlaffenen Dörfern die Gefpanne nicht aufzubringen, deren 
man zur Errihtung der Schugmwehren bedurfte! Unter ſolchen 
Eindrüden fam der junge Kurfürft am 6. März 1643 in Küftrin 
an, mit Konrad von Burgsborf, dem Kanzler von Götzen, dem 
Hofmarfhal Adam Georg Gans zu Putlig und Gerhard 
Numelian von Leuhtmar. Von Berlin waren zur Begrüßung 
die Geheimeräte erfjienen. Am 7. März vereinigte er fie zum 
erftenmal zu einer Sigung. In der Arbeit mit diefen Männern, 
dem Anhören ihrer Berichte, der Erörterung ihrer Anfichten 
und dem Erlaß der nötigen Verfügungen erlangte der junge 
Herr erit eine lebendige Anſchauung von dem Zuftande feines 
Landes und der Größe ber ihm geftellten Aufgabe. Mit der 
vollen Einſicht in die entſetzliche Wirklichkeit, hinter der alle 
Berichte doch zurüdgeblieben waren, gewann er ſicheren Boden 
für feine Entſchlüſſe. Jegt erft fing er an zu regieren. Und 
mit welchem Eifer widmete er fih den Geſchäften, die ſich 
ihrem Umfang und ihrer Mannigfaltigfeit nach nun vor ihm 
aufthaten! Faft täglich hielt er mit dem Geheimen Rat 
Sigungen. Dieſer erhob fi wieder zu der alten Bedeutung, 
wurde das ausgleichende, vermittelnde und die Einheitlichkeit 
der Regierung verbürgende Zentrum des Staates, wo alles 
von einiger Bedeutung erwogen und entſchieden wurde, Inneres 
und Aeußeres, die hohe Politik fo gut wie Fragen ber Ver— 
waltung, Perfonalien fo gut wie Dinge von lokalſtem Intereſſe. 
Auch wurde in den nädjften Wochen durch die Verpflichtung 
der Beamten zwifchen dem Staatsoberhaupt und ben Trägern 
der Verwaltung endlich die nötige perfönliche Verbindung her— 
geftellt. 

Arbeitsreiche, mühfelige, freublofe Wochen und Monate 
folgten. Wohl mag der Kurfürft zuweilen Haben verzagen wollen. 
Würde es ihm gelingen, Liht und Ordnung in das Chaos zu 
bringen, der widrigen Verhältniffe Herr zu werden und für 
die Zukunft feines Staats neue Grundlagen zu gewinnen? 
Welchen Jammer fand er in der Doppelhauptitadt, wo er am 
23. die Huldigung empfing! Berlin zählte 358 wüſte Stellen; 
noch 1645 waren von feinen 835 Häufern nur 620 bewohnt. 
Die Zahl der Feuerftellen war 1643 von 800 auf 556, in 


1. Die ftändifhe Reaktion. 419 


Cölln die der bewohnten Häufer von 401 auf 379 gefunfen. 
Und dieſe Häufer, in denen im ganzen noch feine 8000 Ein- 
wohner lebten, waren meift nur Hütten, mit Stroh und 
Schindeln gebedt und mit Schornfteinen aus Holz oder Lehm. 
Die ungepflafterten Straßen lagen voll Unrat, in dem Schweine 
wählten. Die Brüden drohten zufammenzubredhen. Wafler ent- 
nahm man elenden Ziehbrunnen. Um das Zurfürftlihe Schloß 
bewohnbar zu maden, mußte man erft das Dach neu deden: 
da Ziegel fehlten, geſchah das mit Dielen. Sein Gefolge 
mußte der Kurfürft fürs erfte in Bürgerquartiere legen. Das 
veranlaßte Klagen, wegen beren er zeitweilig nad Küftrin über: 
fiebelte. Und anderwärts jah es noch viel fchlimmer aus: in 
Frankfurt waren von 1029 Käufern und Bürgern nod 272 
vorhanden, in Prenzlau von 787 no 107, in der Neuftabt 
Brandenburg von 700 nod 300, in Templin von 308 noch 
40, in Angermünde von 300 no 29, in Bernau von 302 
noch 85, in Trebbin von 149 noch 24 und fo fort, in Treuen- 
briegen gar von 500 nur noch 30! 

Solhem Elend konnte nur duch einen wirklichen Waffen- 
ſtillſtand mit Schweden abgeholfen werden. Auch der höchſte 
Preis, der dafür gezahlt werben mußte, erfhien gering gegen 
das immer neue Unheil, das die von den Schweden erhobenen 
Lieferungen und Kontributionen über das Land braten. Nur 
fo durfte man hoffen, dieſem menigftens etwas von feinem 
Getreide, feinem Viehſtand, feinem Handel zu retten und feine 
fünftige Melioration in Angriff zu nehmen. Bereits Mitte 
April gingen von Gögen und Leuchtmar nad Stettin, um für 
das ben ſchwediſchen Garnifonen in ber Mark zu Gemwährende 
ein beftimmtes Maß zu vereinbaren: dann erſt fonnte ber 
Stodholmer Vertrag vom 24. Juli 1641 praftifch werden. Sie 
begleiteten Deputierte ber Stände, um ſich zu überzeugen, daß 
günftigere Bedingungen wirklich nicht zu erlangen feien. Auch 
fand man diesmal mehr Entgegenfommen: bas ftärfere Werben 
des Kaifers um Brandenburg war Johann Drenftierna nicht 
entgangen. So fam am 28. Mai 1643 der Vertrag über den 
Vollzug des Etodholmer Stillftandes zum Abſchluß. Gegen 
Bahlung von 10 000 Thalern und Lieferung von 1000 Scheffeln 


420 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft. 


Getreide jeden Monat wurde die bisher auf einen Kleinen Teil 
des Landes beſchränkt geweſene Herrihaft des Kurfürften in 
dem ganzen Umfang der Marken hergeftellt, indem ihm aud 
in den noch mit ſchwediſchen Garnifonen belegten Orten die 
Ianbeöherrlihe Regierung und Jurisdiftion vorbehaltlos ein- 
geräumt wurde, wenn es ben Schweden vorläufig auch noch 
erlaubt blieb, fein Gebiet nad Bedarf zu durchziehen. 


I. Pie Beeresfchöpfung, die bewaffnete Beufralifät 
und der Weltfälifche Friede. 1643—1648, 


De Stettiner Vertrag fhien ein großer Erfolg: daß er 
es nit war, ergab fi, als es ihn auszuführen galt. Die 
finanzielle und wirtſchaftliche Bedrängnis blieb diefelbe: felbft 
dem Hofe fehlten die nötigen Naturalien. Neue Hilfsquellen 
waren bei dem Ruin der Landwirtihaft auf Jahre hinaus 
nicht zu hoffen. Dazu verlangte der kaiferlihe General von 
Krodow Durchzug und Unterhalt für feine Truppen. Ihn ge 
währen hieß den Stillftand mit Schweden gleich wieder brechen. 
Finanziell jo wenig wie militärifh und politifh war der Kur- 
fürft der Mark Herr. Nur mit Hilfe der anderen Lande konnte 
man fie zu retten hoffen. 

Aber auch in Eleve wirtſchaftete man jeit 1635 mit einem 
Defizit von 10000 Thalern jährlih. Dennoch hatte die neue 
Regierung fih allmählich emporgearbeitet: fie hielt an dem 
Schwargenbergfhen Syftem feit, ließ den von den Ständen 
als „Somplice” des Herren Meifters heftig angefeindeten Land» 
tentmeifter Lukas Blafpeil nicht fallen, hielt die Landeseinfünfte 
zur Verfügung des Landesheren und gewann durch Auslöfung 
der verpfändeten Domänen fogar leibliche finanzielle Sicherheit. 
So konnte fie auch die günftige politifche Konftellation benugen, 
um bie fremden Befagungen loszuwerden. Im Sommer 1643 
zogen die Helen ab. Die Niederländer räumten einen Teil 
der von ihnen innegehabten Pläge: nur Weſel, Rees und 
einige andere Orte behielten fie als Unterpfand für die leidige 
Hoffyſerſche Schuld, an deren Abſtoßung noch nicht zu denken 
war. Eine Annäherung an die Republif und an Frankreich 
ergab fi als natürlihe Konfequenz davon. 

Die Entſcheidung aber erfolgte in Preußen. Dort war 





422 Drittes Bug. Die Rettung der Zukunft. 


die unter Georg Wilhelm eingeleitete Finanzreform (S. 374) 
glüdlih durchgeführt und hatte der Ausbeutung bes Landes 
dur bie Oberräte und ihre ftändifchen Genoſſen ein Ende 
gemadt. Die ausgelöften Domänen gab man möglihft in 
Arrende, fo daß die Regierung mit ihrer Bewirtſchaftung 
nichts zu thun hatte, fondern fefte Bareinfünfte daraus zog. 
Dazu kamen die Erträge bes neuen Seezolles in Pillau und 
Memel und die Bernfteinpadht. Der Verſuch aber, die Finanz: 
verwaltung ben Oberräten ganz zu entziehen, hatte, von ben 
Ständen als revolutionär befämpft, aufgegeben werden müffen. 
Doch zog der Kurfürft nun aus Preußen einen beſcheidenen, 
aber ficheren Ertrag in barem Gelbe, 1643 zuerft 7126 Thaler. 
Wichtiger noch war die dabei gewonnene Einfiht, es werde 
möglich fein, die Leiftungsfähigfeit des Herzogtums fo zu ſtei— 
gern, daß dort, außerhalb der Machtiphäre des Kaifers ſowohl 
wie Schwebens, das beſchafft werben könnte, von defien Un— 
entbehrlichkeit der Kurfürft ſich inzwifhen überzeugt hatte — 
ein Heer, um ber Neutralität endlich Achtung zu erzwingen. 
Denn daf die unbewaffnete Neutralität, die ihm bie ftändifche 
Reaktion aufgendtigt hatte, aufgegeben werben müffe, war ihm 
jegt Har — eine fpäte, aber glänzende Rechtfertigung Schwargen= 
bergs. Nur allmählich war ihm diefe Einficht gefommen: dann 
aber zog er tapfer ale Folgerungen daraus. Mnd alsbald ſcheint 
der Bann der trüben Vergangenheit von ihm genommen und 
ex über fi felbft hinaus zu wachſen. Die Entwidelung in 
auffteigender Linie beginnt. Ihr Träger ift neben dem Kur— 
fürften felbit Konrad von Burgsdorf. 

As Vertrauensmann der Kurfürftin-Witwe war im Ja- 
nuar 1641 Siegmund von Götzen nad) Königsberg berufen 
worden. Auch bei dem jungen Herrn galt er bald „mehr 
denn fein Menſch und hielt al die andern unter feiner Kontri— 
bution und Furcht“, wie Johann Adolf von Schmwargenberg 
urteilte. Zwei Jahre ftand er als Kanzler an der Spige der 
Geſchäfte: ein alter Gegner des Herrn Meifters, dachte er über 
die Reduktion und die auswärtige Politik wie die märkifchen 
Stände. Aber das Ausbleiben jeden Erfolgs untergrub feine 
Stellung. Das Vertrauen des Kurfürften gewann ftatt feiner 


Il. Die Heeresfhöpfung und der Weftfälifhe Friebe. 423 


Konrad von Burgsdorf. Auch er war zuerft als Gegner 
Schwargenbergs hervorgetreten, aber nicht Hagend und fron- 
dierend, fondern in zäher Ausdauer mit ihm ringend. Dafür 
verfolgten ihn deſſen „Abhärenten“ und „Favoriten“ mit un= 
verjöhnlihem Haß. Freilich war aud er, in einer zuchtlojen 
Zeit in die Höhe gefommen, im amtlichen Leben nicht gerade 
ein Mufter von Sitte und Ordnung und ftand nit an, einen 
föblihen Zwed auch durch recht bedenkliche Mittel zu fördern: 
der jüngere Schwargenberg, die Waldom u. ſ. m. wußten davon 
zu berichten. Aber auch in des Kurfürften Augen entſchuldigte 
das die Not der Zeit: alle Beſchwerden gegen Burgsdorf blieben 
erfolglos, ja noch nachträglich machte Friedrih Wilhelm alle 
Handlungen des Kommandanten von Küftrin während der legten 
Jahre feines Vaters ausdrüdlich zu den jeinigen, erflärte alle 
Klagen des Statthalters gegen ihn für erlogen und befahl die 
Selretierung der darauf bezüglihen Akten. Seit dem Herbft 1642 
weilte er in Königsberg, um über die Lage mündlich Bericht 
zu erftatten. Erft im März 1643 kehrte er mit dem Kurfürften 
nach der Mark zurüd. In dieſer Zeit ift er bemjelben nahe 
getreten. Seine frifche, derb zugreifende foldatifhe Natur voll 
frohen Wagemuts feſſelte, jo ſcheint es, den noch ſcheuen und 
verfchloffenen jungen Herrn und wedte in ihm zuerft Vertrauen 
auf die eigene Kraft. Ihr Verkehr geftaltete fich fait famerad- 
ſchaftlich. So gewann Burgsdorf den Kurfürften zu feiner 
Auffaffung der Lage. Obgleich felbft an der Rebuftion beteiligt, 
Hatte er fie doch als einen Fehler erfannt, ber nur durch 
Schaffung eines neuen Heeres gut zu maden war. Im April 
1643 erklärte er, der Kurfürft brauche mehr Volk und werde 
es auch jhaffen fünnen, wenn er den Schweden nichts mehr 
zu geben brauchte. Weder auf den Kaijer noch auf Schweden 
ſei Verlag, Pommern gütlich zu erlangen feine Ausfiht: alſo 
ſei es „rühmlid, nötig und ratjam zu einem Gorpo zu ges 
langen“ und fi „durch den Degen in Reſpekt und Autorität 
zu fegen“. Man müſſe fi den „martialifchen Zeiten” anpaflen. 
So hätten Heffen und Braunſchweig Anfehen gewonnen, und 
der Kurfürft könne mehr als fie erreichen, denn die Welt habe 
eine gute Meinung von ihm. Aber mit einer Armee allein 


424 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft. 


war e3 nicht gethan: fie recht zu benugen, brauchte man Allianzen, 
wofür dermalen bie Niederlande und Frankreich in Betracht 
famen. Auf fie wiejen namentlich die Intereſſen Cleves Hin. 
Dort war Burgsdorf ein Gefinnungsgenofje und Mitarbeiter 
erftanden in dem Statthalter General von Norprath. Auch 
er verlangte die Schaffung eines Heeres, um ben Chicanen 
Pfalz.Neuburgs endlih Halt zu gebieten: die Mittel könne 
man dur Holzverfäufe in der Marf und Verpfändung preus 
ßiſcher Aemter ſchaffen. Wie Burgsdorf dachte er, es fei beffer 
ein Viertel des Staats zu verjegen, als fortwährend den Ver— 
luſt des ganzen fürdten zu müffen. Dieſes Programm haben 
der Kurfürft und Burgsdorf im Frühjahr 1643 vereinbart. 
Erfterer war fi) der Größe des Augenblids bewußt. Mochte 
er erft in allerlei Zweifeln gerungen haben — mit Entſchloſſen— 
heit ging er ans Werk, dem neuen Berater gleihfam auf Tod 
und Leben verbunden. Am 20. Oktober ſchloß er mit Burgs- 
dorf Waffenbrüderſchaft: gegenfeitig vermachten fie fi für den 
Fall eines plöglihen Todes ihre Waffen; nur feinen mit Dia- 
manten bejegten Degen nahm der Kurfürft aus. Burgsdorf 
ftand im Begriff nad Preußen abzugehen zur Durchführung 
der geplanten großen Neuerung, die über das Schidjal der 
Hohenzollern und ihres Staats entfcheiden follte: nicht mit 
Unrecht hat man ihn den erften preußifchen Kriegsminifter ge— 
nannt. 

Wirtſchaftlich und politifh, militärifh und diplomatiſch 
waren feine Aufträge. Die preußiſchen Stände follte er zur 
Uebernahme der Leiftungen vermögen, ohne die fein Heer auf: 
zubringen war, und die Naturalien beihaffen, um dem Not: 
ftand in der Mark abzuhelfen. Cs gelang ihm faft über Er: 
warten: er erhielt etliche 100 000 Gulden bewilligt und brachte 
große Getreidevorräte zufammen, deren Verfauf weitere Geld: 
mittel ergab. Auch Vieh verſprach man ihm nad der Mark 
zu liefern. Bald fonnte er an die Werbung des Kerns für 
das neue Heer gehen, das Norprath zur Verfügung geftellt 
werden follte. Vom Niederrhein und von Preußen her wurde 
jo die Rettung der Marf in Angriff genommen: bort führte 
man durd, was Schwargenberg in der Mark geplant, aber 


N. Die Heeresſchöpfung und der Weſtfaliſche Friede. 425 


nicht durchgefegt hatte. Wodurch fie bei einiger Opferwilligfeit 
der Stände vor dem Ruin bewahrt worden wäre, das wurde 
durch zum Teil freiwillige Gaben der beiden Gebiete nachgeholt, 
deren Stände ſich jedem Zwang dazu hartnädig verfagt haben 
würden. Dieje hatten doch etwas gelernt: ohne ihren prin- 
sipiellen Standpunkt aufzugeben, beugten fie ſich der Autorität 
des Fürftentums, das endlich feinen Beruf erkannte. Selten 
ift die Politik eines feinen Gegnern unterlegenen Staatsmannes 
nachträglich jo glänzend gerechtfertigt worden wie damals bie 
Schwargenbergs: fein erbittertfter Gegner und der von dieſem 
beratene junge Fürft, der in ihm feinen Todfeind gefürchtet 
hatte, befannten fi zu den Maßregeln, um berentwillen man 
ihn einft verfegert hatte. 

Wie zu der Zeit, wo es mit der Organifation bes natio- 
nalen franzöfiihen Staats durch Karl VII. zuerft geſchichtlich in 
die Erfheinung trat, jo bewahrheitete es ſich auch jegt, daß 
das moderne Fürftentum auf den Finanzen und dem Heere 
beruht. Hier gab es, jo fann man beinahe jagen, eine preu: 
Bifche Armee, ehe es einen preußiſchen Staat gab. Recht 
eigentlih als eine preußiſche ift die furfürftliche Armee im 
Frühjahr 1644 entitanden, rüdfichtli der Geldmittel fo gut 
wie bes Menfcenmateriale. Im Jahr 1644 hob die Schatulle 
dort fon 15258 und 1645 gar 98477 Thaler. Damit 
konnte man bie Mannſchaften werben, die man am Niederrhein 
brauchte. Dazu ſollten auf Norpraths Rat die Befagungen in 
Pillau und Memel allmählich verſtärkt und auf der jährlich 
dreimal von bort durch den Sund fahrenden holländijchen 
Flotte immer 300—400 Mann als Pafjagiere nad; den Nieder: 
landen geiafft werben. Nur konnte eine folde Verſtärkung 
leicht Polens Verdacht erregen: eine glüdlihe Fügung half 
Burgsdorf über diefe Schwierigkeit hinweg. Bei der Infpektion 
der preußifchen Feſtungen meinte der Woiwode Graf Dönhoff, 
weiter als mit den 9000 Landmilizen, die Preußen aufbringen 
fönnte, fäme man doch mit 30004000 Mann zu Fuß und 
1000 Reitern gemworbener Berufsjoldaten, und wies damit 
auf eben ben Weg, den ber Kurfürft mit Burgsborf gehen 
wollte. Das legalifierte die Werbungen polnifherjeits und 


426 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft. 


machte aud den preußiſchen Ständen die Einſprache dagegen 
unmöglid). 

Im Frühjahr 1644 warb Chriftian von Pannewig mit 
dem von Burgsdorf angewiefenen Gelde zwei Compagnien und 
führte fie Ende Juli nad der Mark, von wo Ewald von Kleift 
zur Werbung einer ferneren Compagnie nad Preußen ging. 
Eine vierte wurde im Herbft nad) Brandenburg dirigiert: der 
Kommandant von Pillau, von Podewils, hatte fie zufammen- 
gebracht. Eine fünfte warb man in der Mark. Auch am Nieder: 
rhein kam die Sache in Gang. Die Heflen waren abgezogen, 
die ftaatifhen Truppen auf die wenigen verpfändeten Orte 
beſchränkt. Neun Compagnien, welche die Republik entließ, 
fieben zu Fuß und zwei zu Pferde, nahm Norprath in des 
Kurfürften Dienft und vermehrte fie im Laufe des Jahres auf 
17 zu je 100 Mann. Nach Eleve wurden dann auch die fünf 
in Preußen und der Mark geworbenen Compagnien gelegt. Nur 
das Leibregiment unter Konrad von Burgsborf, das ebenfalls 
durch Werbungen in Preußen und mit preußifhem Gelbe ge= 
bildet war, blieb in der Mark. 

Bei alledem handelte es ſich nun aber nicht, wie font damals 
gewöhnlich, um eine Wehrhaftmahung bloß bis zum Frieden, 
fondern um eine dauernde. Daher beſchäftigten den Kurfürften 
ernfte organifatorifhe Erwägungen. In fie führt eine Denk: 
fchrift des fpäter in den Geheimen Rat berufenen Kurt Bertram 
von Pfuel vom März 1644, welche als einzige fihere Bafis für 
eine ihrer ſelbſt gewiſſe nationale Wehrkraft die Volfsbewaffnung 
Hinftellte und, in Kombination mit dem Werbeiyftem, als durch⸗ 
führbar erweifen follte. In diefer böfen Zeit, damit beginnt von 
Pfuel, kann ein Herrfcher feine Aufgabe, Fafjung und Erhaltung 
des Lehr:, Nähr: und Wehrftandes, nur löfen, wenn er zunächſt 
für Formierung bes „gewappneten Wehrftandes“ forgt. Des— 
halb braucht der Kurfürft vor allem ein Heer, 9000 Mann zu 
Fuß und 2000 Reiter. Letztere follen mit 7500 von erfteren 
die Feldarmee, die übrigen 1500 Dann zu Fuß die Befagung 
der Feftungen bilden. Den derzeitigen Beftand der furfürftlichen 
Truppen berechnet Pfuel auf 2400 Mann zu Fuß und 200 Reiter: 
daher ſollen 3600 Mann zu Fuß und 1800 Reiter geworben, 


HI. Die Heeresfgöpfung und der Weftfälifge Friebe. 427 


3000 Mann zu Fuß aber aus dem Landvolk ausgehoben werben. 
Dazu fol die Bevölkerung aufgenommen und zu möglichſt ge— 
nauer Auskunft vermocht werden durch das Vorgeben, man 
wolle den einzelnen für ihr wirtſchaftliches Fortkommen eine 
ftaatlihe Beihilfe gewähren. Die verzeichneten Dienftfähigen 
jollen bei einer neuen Berufung zurüdbehalten und eingeftellt, 
die übrigen aber mit der verheißenen Unterftügung entlafen 
werden. Den Unterhalt für die Armee date Pfuel dadurch 
zu beſchaffen, daß in fämtlihen — nad ihm 4000 — Dörfern 
immer ber beite Bauernhof zwei Soldaten und den Anteil von 
den übrigen Taufend, für jeden Mann monatlich zwei Reiche: 
thaler, übernehmen, dann aber von allen fonftigen ftaatlihen 
und ftändifchen Laften frei fein follte. Die 2000 Reiter follen 
von dem abgelöften Dienftgeld der Ritterpferbe, die jämtlichen 
Dffiziere von den Städten, Artillerie und Munition vom 
Kurfürften beſchafft werden. Der Vorfchlag empfahl fi durch 
eine gewiſſe ausgleichende Gerechtigkeit: dem Bauer legte er 
die Laft der Dienftpflicht auf, im die finanzielle Laſt teilten 
fi der Fürft, der Adel und die Städte. So meinte Pfuel 
den miles perpetuus zu ſchaffen, defjen man „nach diefer Lande 
höchſt bebauerlihem eigenen Exempel“ bebürfe. Derfelbe fei 
nit, wie bie Stände meinten, eine Laft und Plage, „jondern 
wohl erträglich und dazu wie nüge, alfo auch ergötzlich“. Klar 
ift ihm die Notwendigkeit eines in ſich geichloflenen und dem 
Landesheren treu ergebenen Dffiziercorpe. In Brandenburg, 
meint er, fei das Material dazu reichlich vorhanden: feit 
Jahren ftröme der märkifhe Adel in fremde Dienfte und beraube 
das Vaterland feiner tüchtigften Söhne. Das müſſe ein Ende 
haben, zumal zur Zeit das Kriegsweſen „Finanzerei und Kauf: 
mannſchaft“ geworben fei, da adlige Herren mit ihren Com: 
pagnien und Regimentern Geſchäfte machten: aud mit ihrem 
Geldbeutel könnten fie in Zukunft dem Kurfürften dienen. 
Die Geftaltung des entftehenden brandenburgiſchen Heer: 
wejens bat Pfuels Denkſchrift nicht beeinflußt. In ihr Geheim- 
nis war ber Verfaffer nicht eingeweiht. Auch ift feine Arbeit 
allein dem Kurfürften befannt geworben, der perſönlich dadurch 
angeregt fein mag: dauernd fehen wir ihn bemüht, ‚die all: 


428 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft. 


gemeine Dienftpfliht mit dem Werbefyftem in Einklang zu 
bringen. Unausgejegt arbeitet er an der Bildung und Hebung 
bes Offigiercorps. Nach Pfuels Vorſchlag ficherte er etliche bereits 
zur Ruhe gejegte höhere Offiziere für den Fall bes Bedarfs 
feinem Dienft, indem er ihnen Wartegeld zahlte. Auf dieſe 
Art wurde die Mark an der Heeresfchöpfung beteiligt, die ſonſt 
eine preußifhe war und zunächſt am Niederrhein in die Er- 
ſcheinung trat. Dort ftanden bald 4100 Mann, in der Mark 
2400 und in Preußen 1200—1300, zu denen im Notfall noch 
5000—6000 Wibranzen, Landwehren, traten. An regulären 
Truppen hatte der Kurfürft demnach 77007800 Mann. Wie 
hätte fih — fo fragt man unwillfürlid — das Schidfal Bran- 
denburg- Preußens geftaltet, wäre dieſes Heer acht bis neun 
Jahre früher da gewejen? Bei der damaligen allgemeinen Er: 
ſchöpfung war es eine nicht verächtliche Waffe, wenn eine 
zielbemußte auswärtige Politit den rechten Gebrauch davon 
machte. 

Und auch eine ſolche leitete der Kurfürſt ein, indem er 
den Niederlanden und Frankreich näher trat. Ihr verdankte 
er die Räumung Cleves, ſeiner Beſetzung durch die junge 
Armee die Anerkennung ſeiner Neutralität. Daß Heſſen und 
Niederländer nur unter der Bedingung abzogen, daß die 
geräumten Orte von kurfürſtlichen Truppen beſetzt würden, 
ſchnitt dem Kaiſer jede Einſprache gegen die brandenburgiſchen 
Werbungen ab. Auch auf Schweden machten dieſe Eindruck. 
Im Frühjahr 1644 erbot es ſich zur Uebergabe Frankfurts und 
Kroſſens unter der Bedingung freien Durchzugs für ſeine 
Truppen und Transporte, ſowie weiterer Leiſtung ber verein- 
barten Lieferungen und Zahlungen. Im Juli 1644 wurden 
daraufhin beide Orte von ben Aurfürftlichen bejegt. Auch mit 
Frankreich knüpfte man an auf Anregung feines Gefandten in 
Münfter, des Grafen d’Avaur, der die wachſende Bedeutung 
Brandenburgs erkannte. Aus Anlaß des Thronwechſels wurde 
Winandt Rodt an den Prinzen von Conde geihidt: unter dem 
Deckmantel der Kondolenz und Gratulation jollte er um Hilfe 
in betreff Pommerns und gegen Pfalz:Neuburg werben. Die 
Antwort verhieß das Befte, wenn der Kurfürft wie fein Groß- 


IT. Die Heeresſchöpfung und der Weſtfaliſche Friebe. 429 


vater ein gutes Einvernehmen mit Frankreich pflegen würde, 
deſſen Vernadläffigung feinen Vater um Pommern gebracht 
babe. Natürlich dachte man nur Brandenburg auszunugen. 
Aber die Intimität zwiſchen d'Avaux und Rodt in Müniter 
machte weithin Eindrud, befonders beim Kaiſer und bei Schweden, 
deren Abfichten, fo verſchieden fie waren, dadurch gleihmäßig 
bedroht ſchienen. 

In Wien verfolgte man diefen Gang der Dinge mit 
wachſender Sorge. Daß Friedrich Wilhelm den auf den 1. Auguft 
1642 nad Frankfurt berufenen Reichsdeputationstag erft gar 
nicht beihidte, dann (Mai 1643) duch den in den Jrrgängen 
des Reichsrechts heimifchen Matthias Wefenbed alles thun ließ, 
um feine Auflöfung und die Zulafjung aller Reichaftände zu den 
Friedensverhandlungen durchzujegen, ſah man bort als einen 
Akt der Rebellion an. Auch trat Gallas, der im Juni 1644 
angeblih im Vormarſch gegen Pommern erſchien, jo drohend 
auf, daß man ſich des Schlimmften verfah. Schleunigft rüftete 
man, ſperrte die Päfle, zum Teil durch aufgebotene Bauern, 
und jammelte die Truppen. Ueber Tangermünde und Arneburg 
wollte Gallas nach Werben und über die Elbe nach Holftein. 
Ob es Zufall war, daß im Teltowſchen Streife gerade Konrad 
von Burgsdorfs Gut Groß-Machenow geplündert wurde, wobei 
etliche Kurfürftlihe fielen? Ewald von Kleift wurde an Gallas 
geihidt. Was den Schweden recht, fei dem Naifer billig, 
meinte biefer und verlangte Einräumung etlicher fefter Plätze 
und das Gleihe an Proviant und Geld: wer Schweden 
120000 Thaler zahle, fei nit ruiniert. Die faiferlihen Ka— 
valiere aber meinten gar, fie würden den Kurfürften, wenn 
fie fönnten, „beim Kopf nehmen“. Plante man einen Hand: 
ftreich gegen deffen Perfon? Man riet ihm, ſich in Küftrin in 
Sicherheit zu bringen. Gab Gallas doch zu, er folle ſich der 
Feftungen und anderer Orte in der Mark bemädtigen und 
„alfo die ſchwediſche Heirat zerftören”. Defjen bedurfte es 
nicht mehr: der Plan, von dem man in Rom den Untergang 
des Haufes Defterreich befürchtete, war bereits geſcheitert. So 
begnügte fi Gallas mit Lieferungen. Dennoch erhob ber 
Kurfürft in Wien energiſche Beſchwerde, gab zugleich aber be: 





430 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft. 


tubigende Erklärungen über Umfang und Zwed feiner Wer: 
bungen. 

Daß Guftav Adolf die Zukunft der Evangelifhen durch 
die Ehe feiner Erbin mit dem Kurprinzen von Brandenburg 
zu fihern gedacht hat, ift ebenfo gewiß wie, daß legterer durch 
diefe Verbindung fi aus den ihn umdrängenden Gefahren zu 
retten gehofft hat. Den Leitern der ſchwediſchen Politif aber 
war es damit niemals ernft. Zur Zeit der erften Anfrage 
(S. 414) war die Jugend der Königin ein fo bequemer Vor: 
wand, um die Sache hinauszuſchieben. Denn die Bedenken, 
die ſchließlich zur Verwerfung des Planes führten, beftanden 
damals bereits ganz ebenfo. Schon Guftav Adolf hatte den 
Webertritt des Kurprinzen zum Zuthertum und daß er in Schweden 
erzogen werde, gefordert. Viel mehr aber als die Verſchieden— 
heit der Konfeffion und des Volkstums bedeutete für die Männer, 
die jegt Schwedens Politik leiteten, die Eorge vor der fürft- 
lichen Selbftändigfeit des jungen Herrn, von deſſen Berufs: 
treue, Geſchäftskenntnis und Thatkraft der Kanzler Orenftierna 
eine hohe Meinung hatte. Mit der Stellung eines Königin- 
Gemahls begnügte er ſich gewiß nit, fondern würde that- 
fächlich regieren wollen. So fürdhteten mande von biejer Ehe 
eine Nenderung der ſchwediſchen Verfaſſung im abfolutiftifchen 
Sinn. Außerdem aber drohte diefelbe, die ſchwediſche Politik 
der Aftionsfreiheit zu berauben und zu gunften Brandenburg- 
Preußens zu binden. Das war bedenklich wegen Polens, be- 
denfliher noch wegen Pommerns. Für Guftav Adolf hatte 
Pommern die Bafis ber Verftändigung, die Bürgſchaft für die 
Freundſchaft zwiſchen Brandenburg Preußen und Schweden ab: 
geben Fönnen: jegt begründete es zwifchen ihmen eine unaus- 
gleihbare Gegnerſchaft. Der Gewinn, den Brandenburg bei 
der Ehe machen konnte, war alfo ungewiß und fragwürbig, 
für Schweden hätte fie nad) innen wie nad) außen nur Nach— 
teil gebracht. So wird aud die Hartnädigfeit, womit ber 
Kurfürft jahrelang an dieſem Projekt fefthielt, und trog der 
Lauheit der ſchwediſchen Staatsmänner und der Entrüftung in 
Wien, Warſchau und tönigsberg immer wieder darauf zurüd- 
fam, nicht als einer der bedeutenden Züge jeiner Politif anzu: 


1. Die Heeresſchöpfung und ber Weſtfäliſche Friebe. 431 


fehen fein. Auch hier hat er erft durch bittere, ja bemütigende 
Erfahrungen die Dinge in ihrer wahren Geftalt ſehen gelernt. 

Im Dezember 1644 wurbe Ehriftine von Schweden münbig. 
Auf diefen Zeitpunkt hatte man 1641 den Kurfürften ver- 
tröftet. Die üble Behandlung, die er feither duch Schweden 
erfahren, hatte jeine Abfihten nicht geändert, ja er hatte wohl 
daran gedacht, ſelbſt nad) Stodholm zu eilen und fo die Ent- 
ſcheidung zu feinen Gunften zu bejchleunigen. Jetzt veranlaßte 
er von Gögen unter Bezugnahme auf die früheren Verhand- 
Tungen bei Orenftierna vertraulich anzufragen, ob neue Schritte 
in diefer Sache Ausfiht auf Erfolg hätten, oder ob man fie 
befier ruhen laffe, um den Nurfürften nicht einer Abweiſung 
auszufegen. Die Berichte des brandenburgiſchen Agenten in 
Stodholm gaben in betreff der perfönlichen Neigung Chriſtinens 
zu ihrem Vetter Hoffnung. So ging im September der kur— 
fürftlihe Rat Bendendorf, ſcheinbar in eigenen Angelegenheiten, 
nad Schweden. Drenitierna erklärte die Sache für eine der 
ſchwierigſten, die es gebe, da an ihr alle Reichsangehörigen 
interefiiert feien, und betonte namentlich die Bedenken der 
Geiftlichfeit wegen des Bekenntniſſes. Der Hinweis auf die 
Parität, die in des Kurfürften Landen zwiſchen Lutheranern 
und Reformierten herrſche, machte feinen Eindrud. Uebler noch 
lautete die erfte amtliche Aeußerung an Bendendorf im De: 
zjember 1644. Von den vielen Gründen gegen die Ehe wurde 
wieber die Verfchiedenheit des Bekenntniſſes vorangeftellt, dann 
die nahe Verwandtſchaft und die Sorge, ob auch beide Gemüter 
zufammen ftimmen würden. Aber felbft danach gab der Kur— 
fürft die Sache nicht auf. Um zu ihrer Betreibung mit Schweden 
leichter forrefpondieren zu können, begab er fih im Februar 
1645 nad Preußen — das Begräbnis feiner unlängft ge— 
ftorbenen Großmutter Luiſe Juliane verbarg den wahren Zweck 
der Reife — gegen den Wunſch feiner Räte, die wohl ſahen, 
daß die Entſcheidung nit in Stodholm, ſondern in Dsna- 
brüd liege, und daß man dort dem Aurfürften nur deshalb noch 
Hoffnung machte, um ihn von dem durch die Verhältniffe immer 
näher gelegten Bruch mit Schweden zurüdzuhalten. Je ent— 
fhiedener er auf dem Friedenskongreß Pommern forderte, um 





432 Dritte® Bud. Die Rettung der Zukunft. 


fo mehr fpiegelte man ihm in Stodholm die Erhörung jeiner 
Werbung als möglich vor. Ja man fuchte ihn dadurch zur 
Natifitation des Stettiner Abfommens zu beitimmen. Daß er 
fie verweigerte, bewies nach Orenftierna Mangel an berzlicher 
Zuneigung zu der Königin und ließ biefe an der Ehrlichkeit 
feiner Werbung zweifeln. Den Winter 1645—1646 dauerten 
dieſe Verhandlungen, im tiefften Geheimnis, damit ihr Scheitern 
den Kurfürften nicht fompromittiere, daher für dieſen un— 
kontrollierbar, für die ſchwediſche Diplomatie dagegen außer- 
ordentlich bequem. Und als der Kurfürſt endlich einfah, daß er 
betrogen war, da ſchob man das Scheitern darauf, daß der 
Brautwerber die Sache „Ialtfinnig“ betrieben habe! Konrad von 
Burgdorf dagegen freute fi, „daß man in der ſchwediſchen 
Heirat die Maske vom Gefiht gethan“: unbeirrt durch das 
ihn fo lange nuglos hinhaltende Trugbild, möge fein Herr ſich 
„um eine freund-holdjelige und tugendreihe Gemahlin umthun“. 
Schon hieß es, er werbe um eine Tochter Friedrich Heinrichs 
von Dranien. Noch war das Gerücht verfrüht: aber es zeigte, 
in welcher Richtung die öffentliche Meinung die Rettung Bran- 
denburgs fuchte. 

Der Kurfürft felbft war darüber noch nicht im klaren. 
Auf diefem Gebiete nahm feine forgenvolle Lehrzeit erft ihren 
Anfang. Noch während zu Frankfurt darüber geftritten wurde, 
wie das Reich an dem Friedenswerk teilnehmen follte, waren 
im März 1644 die Unterhandlungen mit Frankreich in Münfter, 
die mit Schweben in Osnabrück eröffnet worden. An der Spige 
der brandenburgifchen Gejandtihaft in Münfter ftand Graf 
Johann von Sayn:Wittgenftein, ein ftattliher Herr aus reihe- 
gräflichem Geſchlecht, der bis vor kurzem in ſchwediſchem Dienft 
geftanden hatte. Der eigentliche Träger der diplomatiſchen Aktion 
aber war dort der Kammergerihtsrat Fromhold. In Osna— 
brüd wirkte neben Matthias Weſenbeck Johann Friedrih von 
Löben. Schon durch den Ausgang des Frankfurter Deputationss 
tages ftand feſt, daß der Prager Friede nicht als Reichsgeſetz 
für die Neuordnung Deutſchlands maßgebend war, und daß 
die Amneftie für die außerhalb desfelben gebliebenen Reiches 
ftände nicht von dem Belieben des Kaifers abhing. Für die 





II. Die Heeresfhöpfung und ber Weſtfäliſche Friebe. 438 


Belenner der Augsburgiſchen Konfefiion war der Religions» 
friede felbftverftändlih. Daß feine Ausdehnung auf die Refor: 
mierten noch beftritten wurde, bewies nur, wie wenig jene ge— 
lernt und wie ſchnell fie vergeffen hatten, daß auch für fie die 
Freiheit des Glaubens eben auf dem Spiele geftanden hatte. 
Den entſchiedenſten Vertreter aber fand die Gleichberechtigung 
auch der Reformierten, die ſchon Guftav Adolf zu Mainz ge— 
fordert hatte, in dem Kurfürften von Brandenburg, dem die 
Tochter des ſchwediſchen Glaubenshelven eben — angeblich — 
um jeines reformierten Belenntnifjes willen verfagt war. Er 
wurde, während Kurſachſen in der alten Unduldfamfeit beharrte, 
der Vorkämpfer wahrer evangeliſcher Freiheit und brachte inner- 
halb des Reihe das Prinzip zur Anerkennung, das ihm im 
eigenen Lande, namentli in Preußen, nod immer hartnädig 
beftritten wurde. Daß der Krieg, fomweit er Religionskrieg ge: 
weſen, nicht vergeblich geführt war, war fein Verdienft. Damit 
erft 309 er bie Konſequenzen aus bem Konfeſſionswechſel Jo— 
hann Sigismunds: er hob den Widerſpruch auf, der ſeitdem 
zwiſchen der kirchlichen und der politiihen Parteiftellung Bran- 
denburgs beitanden hatte, und gewann damit aud für feine 
auswärtige Politit einen neuen Boden, da die Bedenken fort 
fielen, die Brandenburgs Inkonſequenz in den Niederlanden, 
bei den Pfälzern und andermärts erwedt hatte, 

Davon Gebrauch zu machen, bedurfte es auch für Bran- 
denburg der Sprengung ber Fefleln, die das Reich jelbit jeinen 
mãchtigſten Ständen noch anlegte, Für fie iſt der Kurfürft 
energiſch eingetreten. Mit welchem Erfolge, ift befannt. Der 
Form nad) fortbeftehend wurde das Reich innerlich aufgelöft: 
eine Reichspolitik gab es hinfort ebenjowenig wie eine Reiche: 
regierung. Der ausdrüdlihen Zuerfennung voller Souveränetät 
an die Reichsſtände hätte es faum noch beburft: felbit das 
Bundnisrecht hätte ihnen kaum noch beitritten werden Fönnen. 
War Brandenburg der nächſt Deiterreih mädhtigite Reichsſtand, 
fo fam ihm auch die neue Freiheit am meiften zu gute. Eine 
auswärtige Politif war bisher für die Hohenzollern eigentlich 
nur in betreff Preußens möglich geweſen: jest Fonnte dafür 
auch Brandenburg eintreten. Es wurde damit über die Be: 

Prus, Preusifge Geſchichte 1. 23 


434 Dritte Bud. Die Rettung der Zukunft. 


deutung eines Reichsterritoriums hinaus zu einem Faktor in 
dem Syſtem der europäiſchen Politik erhoben. 

Während fo die firhlihen und politifhen Fragen, um die 
der große Krieg einft geführt war, leicht geordnet wurden, 
drohte der Friede an der Ordnung der Befigverhältniffe wieder: 
holt zu fcheitern. Befonders tief war Brandenburg- Preußen 
in diefe Krifen verwidelt: von der pommerſchen Frage hing 
der Ausgang überhaupt ab. Bon Anfang an hatte Schweden 
außer dem Gelde zur Ablöhnung feiner Armee eine territoriale 
Satisfaktion verlangt, nur nicht gleich Pommern als foldhe 
gefordert. So lange fein Krieg mit Dänemark dauerte, hielt 
es damit zurüd. Aber gleih nah dem Frieden zu Brömſebro 
offenbarten die ſchwediſchen Legaten zu Danabrüd, was fie als 
Preis des Friedens erzwingen ſollten: Brandenburg jollte die 
Koften des Friedens tragen. Vom Kaifer hatte es nichts zu 
hoffen: ſchon vor Jahren hatte er Pommern Schweden an— 
geboten. Bon den Reicheſtänden hatte feiner Grund, fi für 
Brandenburg zu bemühen, auch die evangeliſchen nicht, die fi) 
Schweden gern auf fremde Koften dankbar erwiefen. Die Hoff: 
nung, duch die Ehe mit der jungen Königin Schwedens 
Aliierter zu werden und zugleih mit dem Erlaß der rück— 
fändigen Kontributionen und der Räumung der noch von ſchwe— 
diſchen Truppen bejegten Pläge in der Mark Pommern gleich— 
ſam als Mitgift zu erhalten, ſchwand eben damals endgültig. 
Daß der Kurfürft diefe Kombination nod immer nicht ganz 
aufgab, beweift doch nur feine Rat: und Hilflofigfeit. Dann 
war das Verhältnis zu Pfalz-Neuburg geipannter denn je. 
Norprath bedauerte mit feinen Truppen den Sommer zur Un: 
thätigfeit verurteilt gemwejen zu fein; jetzt machte ihre Ver: 
pflegung Schwierigkeit. Auch die militäriſche Aktion, die der 
Kaiſer wünſchte, war unmöglich: die Werbungen und fonftigen 
Aufwendungen hatten die Mittel erfhöpft, und man befand 
fi finanziel in höchjiter Bedrängnis. Eine ftärkere Belaftung 
des Landes war weber in Brandenburg noch in Preußen mög: 
lid. Dort hatten die altmärfiihen Stände vom Juni 1641 
bis Januar 1645 für die ſchwediſchen und Furfürftlihen Truppen 
und für Legationen an barem Gelde 823617 Thaler auf- 


II. Die Heereöfgöpfung und der Weftfälifche Friede. 435 


gebracht. Nehme man hinzu, was fie für die Verpflegung ber 
fremden Armeen geleiftet, ſo komme eine Summe heraus, „daß 
ein menſchliches Herz ſich dafür entjegen und zweifeln würde, 
ob die arme außgefogene Mark Brandenburg wieder in Aufnahme 
kommen könnte”. Die mit der Sorge für den Hofhalt betrauten 
Beamten waren in der größten Verlegenheit: ala es hieß, mit 
dem Kurfürften würden die Kurfürftin-Mutter und die Prin- 
zeffinnen famt der ſchwediſchen Witwe nad Berlin kommen, 
ſahen fie „die Neceffität und Paupertät” nahen. Wieder jollte 
Preußen helfen: „aber,“ jo fürchtete man, „das würde nicht 
eden, wenn das Frauenzimmer mitläme”. Dazu kamen bie 
Klagen der Gejandten in Münfter und Osnabrüd, die es als 
Schimpf empfanden, wegen der Knappheit ihrer Mittel das 
übliche flotte Leben der Diplomaten nicht mitmachen zu fönnen, 
zumeilen mit ihren Leuten geradezu in Not gerieten und ſchon 
daran dachten, ſich nad) Ravensberg zurüdzuziehen. In Preußen 
hatte man feine Luft, neue Opfer zu bringen, erhob vielmehr 
laute Klage über den Schaden, den die Werbungen dem Lande zu: 
gefügt. Mißernte und Hungersnot waren 1645 dazu gefommen. 
Den gefteigerten Bebürfniffen gerecht zu werden, hatte man 
die Einkünfte vorweg erhoben und Anleihen aufgenommen, um 
„ein Loch zuzuftopfen ein anderes aufgemacht”. Darüber waren 
die Oberräte, wie fie Hagen, um Autorität und Reſpekt ge 
kommen und erflärten jede weitere Jnanfpruchnahme ber Be— 
völferung, fei e8 mit barem Gele, fei es mit Naturallieferungen, 
für unmöglih und weigerten fih, die Folgen einer folden auf 
fh zu nehmen. Nur diplomatifhe Mittel blieben dem Kur: 
fürften alfo zur Durchfegung feines Rechts auf Pommern. Die 
ſchwediſche Ehe, die alle Schwierigkeiten hatte Töfen follen, 
fam nicht mehr in Betracht. Die ſchon früher ermogene fran- 
zöſiſche Allianz verfagte ebenfalls. Zu Beginn des Jahres 1646 
ging Fabian von Dohna nah Paris. So mwohlmollend man 
ihn dort aufnahm, feine Erflärungen fand man zu allgemein 
und unbeftimmt: hätte der Kurfürſt Anfchluß verheißen und 
zu ber ihm angetragenen Ehe mit des Herzogs von Orleans 
Tochter Neigung gezeigt, jo würden die franzöfifchen Diplomaten 
wohl zu allem bereit gemwefen fein. So zeigten fie ſich zwar 


436 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft. 


in ber Pfalz.Neuburger Sache, in der er dank der Thätigfeit 
Burgsdorfs und Norpraths handeln konnte, nachgiebig: in be= 
treff Pommerns aber blieb Dohnas Miffion erfolglos. Aber 
der direkte Verkehr mit dem franzöfifchen Hofe dauerte fort: 
man warb weiter um die Gunft des Allerhriftlichften Königs, 
und Friedrich Wilhelm war einer der erften Fürften, der Lud— 
wig XIV. ven Titel „Majeftät” zuerteilte. 

Als im Oftober 1645 der ſchwediſche Legat Salvius 
Witgenftein und Löben rückhaltlos erklärte, Schweden fordere 
Pommern mit Reihsftandfhaft, fügte er hinzu, der Kurfürft 
ſolle dafür „ein gleihmäßiges Yequivalent vom Römiſchen Reihe 
empfangen“. Auch erinnerte er daran, daß ſchon Georg Wilhelm 
der vom Kaifer vorgefchlagenen Weberlafjung Vorpommerns und 
Rügens an Schweden zugeftimmt habe, und wollte fogar wiſſen, 
der Kurfürft jelhft habe ſich vertraulich damit einverftanden er= 
klärt. So lagen die Dinge, als Friedrih Wilhelm im Mai 1646 
aus Preußen zurüdkehrte, wo ihn namentlich Geldmangel ftatt 
ſechs Wochen über ein Jahr feftgehalten hatte Am 1. Juni 
verjammelte er in Küftrin den Geheimen Rat. Auch Löben 
war aus Osnabrück herbeigeeilt. Bedrückt von der Erkenntnis, 
mit allen Mühen bisher nichts erreicht zu haben, und gequält 
von der Sorge, was nun gefhehen follte, machte der Kurfürft 
in erregten Worten Räte und Stände verantwortlih für die 
verzweifelte Lage: auf ihr Andringen habe er Waffenftillftand 
geſchloſſen und die Truppen entlaffen — ohne jeden Erfolg; 
jegt verlangten die Schweden ganz Pommern. Entſchiedener 
Tonnte die bisherige Politik nicht verurteilt, die Schwargenbergs 
nicht nachträglich anerfannt werden. Nur waren dafür die Räte 
nicht allein verantwortlih. Auch jetzt noch leitete Gößen, des 
Herrn Meifters alter Gegner, alles Unheil davon her, daß man 
nad dem Prager Frieden ſich nicht ftreng neutral gehalten, 
fondern die Waffen gegen Schweden ergriffen habe — gegen 
den Willen der furfürftlihen Räte. Das Geſchehene laſſe ſich 
nicht mehr rüdgängig machen, man müfje das Unabänderliche 
mit würdiger Faffung tragen, unter Vermittelung der Nieder- 
lande und Frankreichs mit Schweden verhandeln, die Hälfte 
Pommerns darangeben und dafür Magdeburg, Halberftadt, 





U. Die Heeresfhöpfung und der Weſtfäliſche Friede. 437 


Minden, Dsnabrüd, Glogau und Sagan fordern. Wie bie 
übrigen Geheimeräte, fo fiimmte dem auch Burgsdorf bei, der 
ebenfalls die Entwaffnung als Quelle aller Verlegenheiten be: 
zeichnete, dafür aber mit Recht die Stände verantwortlich machte. 
Daß man mit der Wehrhaftmahung noch nicht weit genug fei, 
um an die Waffen zu appellieren, gab auch er zu. Noch mehr: 
fach fanden eingehende Beratungen ftatt: zu einem beftimmten 
Beſchluſſe führten fie nicht. Aber die Notwendigkeit, einen Teil 
Pommerns daranzugeben, wurde dem Kurfürften Mar: er über- 
wand fi, wie Gögen gleich anfangs von ihm verlangt hatte, 
und war bereit, auch noch diejes Opfer dem Frieden zu bringen. 

Aber noch eine andere Enticheidung braten jene Tage. 
Mit Burgsdorf war der Kurfürft überzeugt, daß die Stände 
mit ihrem Drängen auf Neutralität und Entwaffnung das 
Elend verfuldet hätten: ernft und ftrenge follte ihnen bas 
vorgehalten, ſollten fie vermahnt merden, das zur Abwehr 
ähnliher Heimfuhung Nötige hinfort ohne Widerreve auf fi 
zu nehmen. Das Kompromittieren mit der ftändifchen Libertät 
jollte ein Ende haben. Auch in der inneren Politik kehrte 
Friedrich Wilhelm zu dem Syftem Schwargenbergs zurüd. War 
er jo nicht genau da angefommen, wo die märkifchen Verhält- 
niſſe fi zu Ende der Regierung feines Vaters befunden hatten? 
Das war das Ergebnis der erften fünf Jahre jeiner Regierung ! 
Und jegt waren die Stände nod weniger zur Fügſamkeit 
geneigt als damals, wo des Herrn Meifters eifernes Regiment 
auf ihnen gelaftet hatte. Nicht eben reipeftvoll beantworteten 
fie die fürftlicde Vermahnung. Durch Abſchluß des Stilftandes 
„und andere friebliebende actiones und demonstrationes”, 
meinten fie, „habe der Kurfürft ſich nicht allein bei beiden 
friegenden Armeen und anderen ausländiſchen Potentaten 
fonfiverabler als feine Vorfahren gemacht, jondern denjenigen, 
die vor biefem alles auf die Ertremitäten gefegt, ein Erempel 
zur Nachfolge gegeben, dabei fie ſich anigo beſſer als bei den 
vorigen Troublen befinden”. Die von ihnen veranlaßte Reduktion 
habe Nuten geftiftet. Nicht ohne Ironie dankten fie bem 
Nurfürften, der eben auf die Schwartzenbergſchen Traditionen 
zurüdgriff, daß er „Laut der Landesverfaſſung und dero Vorfahren 


438 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft. 


löblichem Grempel” die pommerfhe Frage ihnen unterbreitet 
babe. An dem Rechte Brandenburgs auf Pommern zweifeln 
aud fie nicht: doch hindere des Kurfürften Verzicht feine Nach- 
folger nicht, dereinft ihre Anfprüche geltend zu maden. Das 
Einfachſte jei, die dem NKurfürften zugedachte Entihädigung 
Schweden zu geben. Sei aber ber allgemeine Friede ohne das 
nit erreihbar, fo müfle man eben das Opfer bringen und 
fi andermärts fchablos halten. Den Gedanfen an eine frie- 
gerifche Aktion wieſen fie mit Entjegen zurüd: fie fürchteten, 
die Schweden würden die erflen ernften militärifhen Maßnahmen 
benugen, um ihnen „auf den Hals zu gehen“ und die Mark 
total zu ruinieren. Jedenfalls war ihnen die im Gange be- 
findlihe Aufftelung eines Heeres unheimlih, zumal etliche 
Compagnien in der Mark untergebraht waren, ohne daß man 
fie darum gefragt hatte. Es mar der Standpunkt, auf dem 
die Herren feit zehn Jahren geftanden, die Weisheit, die fie 
Georg Wilhelm und Schwargenberg entgegengehalten, wenn fie 
ſchließlich rieten, der Kurfürft möge fein Land nicht per mar- 
tielia ingenia in einen neuen Krieg verwideln, fondern „durch 
gütlihe Mittel, allerhand remonstrationes und Kooperierung 
guter Freunde, innerhald und außerhalb Römifchen Reiche, 
das Werf dahin dirigieren, daß er feinen Statum umverlegt 
behalte und feine jura fo viel als immer menſch- und möglich 
intacta fonferviere“. 

Aber in eben den Tagen, wo dieſes ftändijhe Gutachten 
ihm zuging, ſchloß der Kurfürft mit Oberftleutnant Kafpar 
Pothauſen die Kapitulation über Aufftelung einer Eskadron 
von 500 Musfetieren Leibgarde und verfügte große Einkäufe 
zur Einkleidung und Ausrüftung feiner Soldaten. Das war 
nad) der einen Seite das Ergebnis der im Juni im Geheimen 

Rate gepflogenen Verhandlungen. Aber auch nad) der anderen 
" führten fie zu einer folgenreichen Entf&eidung. Anfang Auguft 
forderte der ſchwediſche Legat in Osnabrück Vorpommern, 
Stettin und das Stift Kammin: den Reft alſo fonnte Branden= 
burg haben. Es fragte fi: annehmen ober ablehnen? Die 
Antwort hing von einem anderen Moment ab, das über die 
allgemeine Stellung des Kurfürften entj&eiden mußte. Von 





MI. Die Heeresſchöpfung und ber Weſtfäliſche Friede. 439 


der ſchwediſchen Ehe war nicht mehr die Rede: ala Götzen bei 
den Beratungen in Kuſtrin auch mit ihr noch hatte rechnen 
wollen, war er ganz allein geblieben. Die Heirat mit der 
Tochter des Herzogs von Orleans ſcheint der Kurfürft nie ernftlich 
erwogen zu haben. Neuerdings eröffnete fi ihm eine andere 
Ausfiht, die politiſche Vorteile verhieß. Im Frühjahr 1645 
hatte Friedrich Heinrich von Dranien den Wunſch zu erfennen 
gegeben, ihn in fein Haus zu ziehen. Ein Jahr fpäter ließ der 
Kurfürft durch Ewald von Kleift, feinen Gefandten im Haag, 
bei den Generalitaaten vertraulich deshalb anfragen und ftellte 
vieleicht bereits feine Werbung in Ausfiht. Das Gerücht 
davon erzeugte große Erregung, namentlich in Schweden. Unter 
dem Vorwand einer Erholungsreife, aber von den Geheimeräten 
Götzen, Burgsdorf, Löben und Schwerin begleitet, begab ſich 
der Kurfürft im Auguft 1646 nad) dem im Kreife Ofchersleben 
gelegenen Derthen Hornhaufen, wo unlängft eine Heilquelle 
entfprungen war, die Maſſen von Leidenden anzog. Dabei 
befuchte er feine Tante, die Herzogin:Witwe von Braunfchweig- 
Wolfenbüttel, in Schöningen. Alſo auch jegt ſuchte er den 
Nat und das Einverftändnis der edlen Frauen feines Haufes, 
der Trägerinnen ber pfälzifhen und oranifchen Traditionen. 
Einige von den Angehörigen ber pfälziihen Königsfamilie 
waren jebenfals in Hornhaufen und Schöningen zugegen. 
Vielleicht erſchien dort felbft die ummorbene Luife Henriette 
von Dranien: fiherlid) wurde das Verlöbnis dort in der Stille 
vereinbart. Und in den Tagen diefes vermeintlichen Luftaufs 
enthalts (11.—28. Auguft) erging (18. Auguft) die Rejolution, 
welche die Gejandten in Osnabrüd anmwies, auf Grund der 
von Schweden geforderten Abtretung eines Teils von Pommern 
die Verhandlung zu eröffnen. Obgleich er, fo ließ der Kurfürft 
darin ausführen, die üblen Folgen nit verfenne, die fi 
daraus für fein Haus und für das Römiſche Reich ergeben 
fönnten, habe er „dennoch aus einziger und bloßer Begierde 
zu dem allgemeinen Frieden und daß fernerem Blutvergiepen 
gefteuert werden möge, alle andern ftarfen und nachdenklichen 
rationes und fi jelbft jo weit überwunden, daß er ſich zu 
ferneren Traktaten entſchloſſen habe“. Für ale möglicherweiſe 


440 Drittes Bud. Die Rettung der Zufunft. 


daraus entfpringenden Uebel macht er vor Gott und Welt die 
verantwortlich, die ihn zu diefer Nachgiebigfeit genötigt. Auch 
von Schweden, mit dem er „allemal in gutem Vertrauen ge— 
ftanden”, habe er fi der Wegnahme eines Teils feiner Lande 
nicht verjehen. Da dieſes aber „feit darauf beftände und ſolches 
diefen Traftaten den Ausfchlag geben follte”, wolle er es an 
fih nicht fehlen laſſen und „zu Wiederbringung des lieben 
Friedens und Hemmung des fo lang gewährten graufamen 
Krieges” „um ein gewiß Teil von Pommern direkt mit Schwe- 
den unterhandeln“. Hoffentlich werde ihm dieſes nun aber 
auch nichts Unmögliches anfinnen, fondern ihn feine viel ge= 
rühmte Affektion endlih einmal in der That fpüren lafien. 
Aber nur bis zur Peene bevollmädtigte er feine Gefandten, 
ſchrittweiſe weichend, Pommern abzutreten: Wolgaft mit feinem 
Hafen könne er nicht entbehren. Dann verlangt er freie 
Schiffahrt auf der Oder und aus ihr ins Meer. Als Aequivalent 
beanſprucht er die Stifter Halberftadt, Minden und Hildes- 
heim, Dsnabrüd, Bremen und Münfter, ferner die Anwartichaft 
auf Magdeburg, Glogau, Schweidnig, Sagan und Jauer und 
ungeftörten und vollftändigen Befig feiner jülihihen Lande. 

Doch auch damit drang er nit dur. Die geforderte 
Entſchädigung ftieß ſchon im Reiche auf heftigen Widerftand. 
Schweden dachte nicht daran, an der Peene Halt zu maden. 
Mit der niederländiſchen Allianz aber, der nächſten politifchen 
Konſequenz aus der oranifchen Ehe, fam man im Haag nicht 
von ber Stelle. Bereits im November mußte der Kurfürft 
Pommern bis zur Uder Schweden überlafien. Aber auch das 
genügte nicht, denn die Niederlande ſowohl wie Frankreich 
thaten nichts, drohten "vielmehr, ihn für das Scheitern des 
Friedens verantwortlich zu machen. Völlig vereinſamt ſah ſich 
der Kurfürft dem Webelmollen zahlreicher Feinde preisgegeben. 
Da eilte er nad) Eleve und dann nad) dem Haag. Die oraniſche 
Che war feine legte Hoffnung. Er traf Friedrich Heinrich 
ſchwer frank: in aller Stille wurde ipm am 7. Dezember Luiſe 
Henriette angetraut. Vorher erſchien er in der Sigung der 
Generalftaaten: in längerer Rede ſchilderte er ihnen feine Lage, 
den Undanf, den er für das dem Frieden gebrachte Opfer er— 





II. Die Heeresfgöpfung und der Weſtfäliſche Friede. 441 


fahre, und erbat Hilfe zur Erlangung genügenden Erfages und 
Sicherung gegen Pfalz.Neuburg. Auch traten nun endlich 
Kommiffare der Staaten mit feinen Bevollmächtigten über die 
geplante Allianz in Beratung. So fern man diefer auch noch 
war: die Lage begann doch ſich zu klären, und bie gewitter- 
ſchwüle Spannung ließ nad. Der Verwendung der Niederlande 
verdankte der Kurfürft zunächſt eine Beſſerung des Verhältnifies 
zu dem Neuburger, der dem für ihn fo günftigen Provifional: 
vertrag von 1629 nicht einmal nachgekommen war, jegt aber 
angefichts der im Cleveſchen ftehenden brandenburgijchen Truppen 
andere Saiten aufzog und mit Burgsdorf einen Vertrag ſchloß, 
der Eleve, Mark und Ravensberg dem Kurfürften endgültig 
überließ, für die kirchlichen Verhältniffe aber den Stand von 
1612 herftellte. Auch die pommerſche Frage that endlich einen 
Schritt vorwärts. Um den Kurfürften nicht ganz; an bie 
Niederlande gebunden zu fehen, erwirkte Franfreih am 7. Fer 
bruar 1647 in Dsnabrüd die Unterzeichnung eines Rezeſſes über 
die Teilung Pommerns zwiſchen Brandenburg und Schweden: 
die noch von den Schweden befegten märfifhen und hinter 
pommerſchen Pläge folten geräumt, die in Pommern an ſchwe— 
diſche Generale und Beamte verſchenkten Güter ohne Entſchädi— 
gung herausgegeben und beide Gebiete durch Zollgrenzen nicht 
getrennt werden. Aber Schweden lehnte die Annahme ab: es 
meinte no) immer ganz Pommern gewinnen zu können. 
Alfo aud die franzöſiſche Proteftion erwies fih als wir: 
kungslos! Auf dem gerade entgegengejegten Wege verfuchte der 
Kurfürft da jein Glüd: vielleicht ließ fih, mas durch Kaiſer 
und Reid, Niederlande und Frankreich nicht zu erlangen war, 
gegen fie alle mit Hilfe Schwedens durchfegen. Im Frühjahr 
1647 warb der Kurfürft um die Allianz mit Schweden, fand 
aber auch da wenig Entgegenfommen: um in Pommern uns 
gebunden zu bleiben, wunſchte Orenftierna die Sade bis nad 
dem Frieden zu vertagen. Dennoch erörterte er im Sommer 
1647 jelbft in einer umfänglihen Denkſchrift die Frage der 
ſchwediſchen Allianz: wie fie aud) ausfiel, die Entideidung 
brachte ernfte Gefahren. „Mit dem Kaifer zu heben und zu 
legen“ ift es zu fpät: feine Macht ift dahin umd ſelbſt feine 


442 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft. 


treueften Alliierten verlaffen ihn. Aber jelbft wenn er ihm zu 
Pommern verhelfen könnte, würde man durch den Anſchluß 
an ihn fi Schweden, Frankreich und die Niederlande verfeinden 
und wohl gar um die Mark fommen. Im Bund mit Schweden 
habe er den Kaifer und Spanien zu Feinden und für Eleve 
zu fürdten. Sich mit Katholiken einzulafien, ſei überhaupt 
mißlich, da fie erflärt hätten, Kegern brauche man nicht Wort 
zu halten. In der gegenwärtigen Unficherheit zu bleiben aber 
fei unmöglid. Es gelte in der Wüfte Brot zu finden, und 
da man ihm das feinige nehme und den Brotforb jo hoch 
hänge, müffe er fih denen verbinden, die mit ihm eines Glau: 
bens feien, troß einiger Differenzen, die aber für die Selig: 
keit doch nichts ausmachten, das heißt mit den Schweden 
ein Schuß: und Trugbündnis fliegen. Das werde au für 
Preußen vorteilhaft fein. Damit bürfe man nidjt bis nad} dem 
Frieden warten, weil dann die brandenburgiſchen Soldaten 
noch länger hungern müßten, mas unmöglich fei, und Schweden 
nad neuen Siegen verſuchen Könnte, Kaifer und Reich noch 
„mehr leges“ vorzuſchreiben. Dem fei durch eine geheime Ver: 
ftändigung mit Heflen und Braunſchweig-Lüuneburg zu begegnen. 
Die Unklarheit diefes Programms fpiegelt die Ratloſigkeit des 
Nurfürften wieder. Auch geſchah überhaupt nichts: ohne die 
ſchwediſche Allianz zu verwerfen, hielten feine Räte fie doch 
zur Seit nicht für angemefien, fürchteten au, man werde an 
Schweden „nit socium, ſondern dominum“ haben: man möge 
bei der Politik der freien Hand bleiben und nur eine freund: 
nachbarliche Verftändigung mit Schweden ſuchen. 

Auch wäre Brandenburg bei der wachſenden Spannung 
zwifchen Schweden und Frankreich als Aliierter des erfteren 
hart ins Gedränge geraten. Jetzt bot diefe die Möglichkeit, 
mit Frankreichs Hilfe Schweden einen Teil Pommerns und 
Erfag für den anderen abzunötigen. Die Truppen, die der 
Kurfürft aus Geldmangel entlaffen wollte, erbot ſich Frankreich 
in Dienft zu nehmen, damit fie nit an Spanien kämen. 
Man mar zu ihrer Ueberlaffung bereit, wenn Frankreich bei 
Schweben die fofortige Herausgabe von Hinterpommern, Halber: 
ſtadt und Minden durchſetzte. Im tiefiten Geheimnis wurde 


HI. Die Heeresfgöpfung und der Weftfälife Friebe. 443 


unterhandelt, und als der Kurfürft Ende 1647 in Cleve weilte, 
überbrachte ihm fein Parifer Agent Wicquefort den von Brienne, 
dem Staatsfefretär des Auswärtigen, ausgearbeiteten Entwurf 
eines brandenburgijch-franzöfifden Bündniſſes. Danach follte 
der Kurfürft Frankreich gegen den Kaifer Hilfe leiften, dafür 
dieſes Schweden zur Ueberlaffung Hinterpommerns und ber als 
Aeguivalent geforderten Bistümer, den Raifer zur Abtretung 
Schleſiens an ihn nötigen, ihm Geld zur Rüftung geben und 
Polen veranlafien, die preußiihen Stände zum Gehorfam an: 
zuhalten. Das konnte wohl loden, verhieß aber ftatt des er- 
fehnten Friedens neuen Krieg. Der Kurfürft forderte ein Gut: 
achten feiner Räte. Sie fanden den Vorfhlag unannehmbar — 
begreiflich genug: denn von dem michtigften Punkt, dem An: 
erbieten Schlefiens, erhielten fie feine Kenntnis. Dennoch lehnte 
der Kurfürft nicht einfach ab, fo daß die Sache ſich nod bis 
zum Mai 1648 hinzog, nicht zum Vorteil der brandenburgifchen 
Politik. 

Inzwifchen ſchwand die Hoffnung auf Frieden vollends, 
und der wieder heftiger entbrennende Krieg mußte die Neutrali- 
tät unmöglich machen. Als die Schweden Böhmen bedrohten, 
traten Kurköln und Bayern für den Kaifer in Waffen. Auch 
Sadjfens, Braunfchweigs, der Hanfaftädte meinte der Kaifer 
figer zu fein und warb aud um Brandenburgs Anjchluß. Da 
verfuchte dieſes plöglich die Bildung einer dritten Partei, um 
gewaffnet zwifchen die Streitenden zu treten und den Frieden 
zu erzwingen. In Braunſchweig. und Dresden warb Burgsborf 
dafür: man follte je 5000 Mann, . Brandenburg wollte 15 000 
aufftellen. Aber es hätte der alsbald beginnenden Gegenwirkung 
von Wien her faum beburft, um diefe verjpätete gemaffnete 
mittelftaatlihe Mediation zu vereiteln. Der Kurfürft aber hatte 
es nun mit allen verdorben. Kurſachſen wies nit nur ein 
gemeinfames Vorgehen mit den Galviniften entrüftet zurüd, 
ſondern feßte alle Hebel ein, um diefelben von dem Religions- 
frieden auszufchließen. Da begriff auch der Kurfürft die Ausfichts- 
lofigfeit und Gefährlichkeit der zulegt verfolgten Richtung: es 
ftand doch mehr auf dem Spiele als ein größeres oder kleineres 
Stüd Land. In der Reformation fand er endlich den feiten 


444 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft. 


Halt für feine Politit. Er fei nicht gefonnen, erllärte er, 
fih von der Augsburger Konfeffion und deren Namen aus- 
ſchließen und bei feinen zumeift lutherifchen Unterthanen fo 
binftellen zu laſſen, als ob er ſich gleichſam in ein neues Recht 
einbetten müffe, während er fi do mit Hand und Mund 
zur Augsburgiſchen Konfeſſion befenne. Er forderte den Ein- 
ſchluß der Reformierten in den Religionsfrieden: auch fie feien 
Evangeliſche. Und damit half er endlich dem idealen Moment 
wieder zur Geltung, das ſeit Guftav Adolfs Tod je länger je 
mehr in Vergefienheit geraten war, und wies hin auf das foft- 
bare Gut, defjen dauernde Sicherung allein mit den gebrachten 
Opfern verföhnen und, was jonft unbefriedigend blieb, erträg- 
lich machen konnte. Das aber war gerade damals von hoher 
Bedeutung. Nach den legten Siegen der Spanier über bie 
Franzofen dachte der Kaifer nit an Nachgiebigkeit. Die 
Feindfeligkeiten entbrannten von neuem. Ein volllommener 
Umſchlag trat ein. Schweden und Franzofen eroberten Bayern, 
Wrangel Franken, von mo Königsmard in Böhmen eindrang, 
der Kaifer floh von Prag nad) Linz. Als Generaliffimus der 
ſchwediſchen Heere nahm Karl Guftav von Pfalz. Zweibrüden 
Schleſien und brad) ebenfalls in Böhmen ein, um fi in Prag 
zum König krönen zu laffen. Immer mehr Reiheftände wollten 
ohne den Kaifer und Defterreidh Frieden ſchließen. Da endlich 
beugte ſich Ferdinand III. und erklärte fein Einverftändnis mit 
dem zu Osnabrüd und Münfter Vereinbarten: am 24. Dftober 
wurde der Friebe unterzeichnet. Auch für Brandenburg-Preußen 
begann ein neues Zeitalter, 


II. Die Friedensexekution und der Verſuch einer 
deutſchen Politik. 1648—1655. 


Sie feldft zu überwinden, hatte Siegmund von Gögen 
in einem wichtigen Augenblid (Juni 1646) feinen jungen 
Herrn gemahnt. Und er hatte jich überwunden und wohler⸗ 
worbene Anfprühe dem europäifchen Frieden zum Opfer ges 
bradt. Das war zunädjft ein moraliſcher Erfolg. Aber er 
befreite ihn auch von dem Banne einer Vergangenheit, die an 
dem Mißverhältnis von Wollen und Vermögen gefranft hatte. 
Die Scheinerfolge früherer Zeit gab er daran umd ftellte fi 
auf den Boden ber gegebenen Verhältniffe, um nüchterne Real: 
politif zu treiben. So jehr that er das Binfort, daß er dem 
Wechſel der Lage nachgebend die Richtung jählings wechſelte 
und einen Zidzadgang verfolgte, der ihn nicht bloß der poli= 
tiſchen Ideale, fondern auch beftimmter politifher Ziele bar 
erſcheinen laſſen konnte. Und doch mar anders zu handeln für 
ihn kaum möglich, wollte er durch alle Klippen und Strubel 
glücklich hindurchſteuern. Auch gab ihm das Opfer, das er der 
allgemeinen Wohlfahrt gebracht hatte, ein Recht auf Dank und 
Vertrauen, und zwar nicht bei feinen Glaubensgenoffen allein, 
zumal die Feftigfeit, mit der er für fie eingetreten war, mit 
feinem moraliſchen Anjehen auch feine politiſche Geltung fteigerte 
und ihn als das berufene Haupt all derer erſcheinen ließ, denen 
es Ernft war um den religiöfen Frieden und die deutſche Frei: 
heit. Konnte er doch feine Lage überhaupt nur zu beſſern 
hoffen in kräftiger Vertretung eben diefer Prinzipien. Zu ihnen 
bat er fi) dauernd bekannt, troß der Irrgänge, in die feine 
Politik fi verlor, und jelbft in den Zeiten, wo er fie auf: 
gegeben zu haben ſchien. Und darin bethätigte fi immer von 
neuem der Segen, ber ihm, feinem Haufe, feinen Landen und 


446 Drittes Bud, Die Rettung der Zufunft. 


feinem werdenden Volk aus der Selbftüberwindung erwuchs, 
die er im Dienfte einer großen Idee geübt hatte. Sie brachte 
in feine Politik ein ideales Moment, das fie läuterte und 
veredelte, um das ala ein fittliches Zentrum fein Staat fi 
zuſammenſchloß und an dem aud feine bisher nur Sonder: 
intereffen lebenden Unterthanen fi zu nationalem Bemußtjein 
zu erheben anfingen. So ift Friedrih Wilhelm der Schöpfer 
des preußifchen Staats geworden. 

Eines folden einigenden Moments bedurfte Brandenburg 
ganz befonders gegenüber der Steigerung feiner territorialen 
Zerriffenheit durch den Frieden. Nur Hinterpommern fügte 
fi feinem Befig unmittelbar an. Das Fürftentum Halberftabt 
blieb von der Alt: und Mittelmarf durch das Erzbistum 
Magdeburg getrennt, auf das nur eine Anwartjchaft erworben 
war, die es nad dem Tode des kurſächſiſchen Abminiftrators 
erft durchzufegen galt. Im Weften fam zu den fchon vereinzelten 
Gebieten von Cleve und Mark als drittes Minden hinzu, trog 
der Wichtigkeit des Weferpafjes ein unficherer Befig, jo lange 
man mit Pfalz-Neuburg verfeindet war. Wohl hätten dieſe 
Gebiete nad) Umfang und Einwohnerzahl als Erſatz für Vor- 
pommern gelten können, hätte nur der Zugang zur Oftfee irgend⸗ 
wie geöffnet werden können. Aber davon wollte Schweden 
Brandenburg um jeden Preis ausſchließen: deshalb beftand es 
auf der Abtretung des Streifens von Hinterpommern längs 
der Ober, behielt aber die Abgrenzung befonderer Vereinbarung 
vor, um Brandenburg möglichſt viel abzudringen. Aber nicht 
bloß in diefer Hinfiht wurde der fo teuer erfaufte Friede für 
den Kurfürften die Quelle neuer Sorgen und Demütigungen. 

Er hatte von ber ſchwediſchen Politif Doch eine munderliche 
Vorftelung, wenn er gleich nad) dem Frieden gegen bie ihm 
als Entſchädigung zugemiejenen Gebiete und zwei Millionen 
Thaler Vorpommern eintaufchen wollte, und troß der Abweifung 
auf diefen fait naiven Vorſchlag nad einiger Zeit zurückkam. 
Aber noch üblere Erfahrungen warteten feiner. Zwar räumten 
die Schweden bie nicht ftreitigen Gebiete, fobald der Kurfürft 
feinen Anteil an den gleich zu zahlenden drei Millionen Satie- 
faftionsgeldern erlegt hatte: Hinterpommern jedoch durften fie 


IM. Die Friedenserekution unb ber Verſuch einer beutfchen Politik. 447 


bis nad) Regulierung der Grenze befegt halten. Bei den Ver: 
handlungen darüber fuchten fie den einzubehaltenden Streifen 
rechts der Ober möglichſt breit zu bemeſſen, vornehmlich im 
Intereſſe der dort verjorgten ſchwediſchen Generale und Beamten. 
Ferner beanſpruchten fie — und nad dem Wortlaut des 
Friedens nit mit Unreht — auch für die Zukunft die Weber: 
laſſung der Seezölle in den an Brandenburg kommenden hinter 
pommerſchen Häfen. Jahre fchleppten fi die Verhandlungen 
bin. Dabei ließ der ſchwediſche Webermut den Kurfürften feine 
Hilflofigkeit recht geflifientlih fühlen und fuchte ihn durch 
immer neue Chicanen mürbe zu maden. So wenig wie eine 
neue Geſandtſchaft nad Stodholm und die Wiederaufnahme 
des wunderlichen Taufchprojefts änderte daran die Fürſprache 
des KRaifers, Kurſachſens und Braunſchweigs. Schweden wußte, 
daß über leere Worte niemand hinausgehen würde. 

Außerhalb des Reichs aber fand der Kurfürft vollends 
feine Unterftügung, auch nicht bei den Niederlanden, auf die er 
feit der Heirat mit Luife Henriette rechnen zu können glaubte. 
Die damals eröffneten Verhandlungen hatten feinen Fortgang 
genommen, nicht weil die republifanijchen Staatsmänner die 
Vorteile des Bundes mit Brandenburg unterihägt hätten, fon= 
bern weil fie fürdteten, nach der Verſchwägerung von Hohen— 
zolern und Oraniern werde ein folder die Macht des Statt- 
halters gefährlich fleigern. Daher wechſelten die Ausfihten für 
die niederländiſch-brandenburgiſche Allianz je nad; dem Stande 
des Kampfes zwifchen der oranifchen Partei und ben in ber 
Provinz Holland gebietenden Ariftofraten. Der Steigerung der 
Autorität des Statthalters durch den thatkräftigen Wilhelm II. 
folgte mit deſſen Tod (6. Februar 1650) ihr tiefer Fal. Das 
dem Abſchluß nahe Bündnis mit Brandenburg, das auch den 
weſtfäliſchen und nieberfächfifchen Kreis umfaſſen und ſowohl 
Pommern wie Preußen fihern follte, fam nicht zu ftande, und 
bie erftarfende Herrſchaft der ariftofratifchen Partei nahm zu: 
nächſt jede Ausfiht auf eine günftige Wendung. 

Auch für die jülicheclevefhe Sache drohte das verhängnis- 
voll zu werden. Der weitfälifche Friede hatte diefe nicht berührt. 
Während daher beide Teile bie. bisherigen Abmachungen, aljo 


448 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft. 


auch den für Brandenburg fo nachteiligen Vergleich vom 
19. März 1629 (S. 346) als proviforifch angefehen hatten, follte 
für den konfeſſionellen Befigftand auch dort jegt mit einemmal 
das Normaljahr 1624 gelten, die Fatholifhe Reaktion aljo 
beftehen bleiben, die Wolfgang Wilhelm gegen die Verträge 
in Jülich und Berg durchgeführt hatte. Obgleich der Kurfürft 
im Frühjahr 1647 die Anerkennung der früheren Verträge 
erzwungen hatte, begann ber Pfalzgraf bald wieder das alte 
Spiel. Repreffalien gegen die Katholiken in Cleve und Mark 
fteigerten die Erbitterung. Kaiferlihe Kommiſſare, die Ruhe 
gebieten und das Normaljahr durchführen follten, wies ber 
Kurfürft zurüd. Aber auch der Pfalzgraf wich nicht: er rechnete 
auf die Hilfe des Kaiſers und Spaniens, aus deſſen nieder: 
ländifchen Provinzen die Truppen des Herzogs von Lothringen 
alebald am Niederrhein fein konnten. 

Dennod griff der Kurfürft ſchließlich zu den Waffen: die 
allgemeine Lage trieb ihn dazu. Bei Schweden war Recht nicht 
zu finden; auch Kaiſer und Reich Eonnten ihm nicht dazu 
helfen, die Niederlande und Frankreich ließen ihn im Stich: 
vielleicht ließ fih durch einen raſchen Gewaltſtreich am anderen 
Ende gewinnen, was man ihm an ber Djtjee verjagte. Dabei 
fpielten wieder Taujchpläne eine Rolle: auf einer Zufammen- 
kunft ſuchte er Johann Georg von Sachſen zur Ueberlaſſung 
der Albertiniſchen Anrechte auf Jülich zu beſtimmen, wofür er 
ihm einen Teil des Herzogtums Magdeburg oder gar dieſes 
famt Halberftadt anbot. Nah Wien fandte er Blumenthal, 
um durch beruhigende Erklärungen jeinem Vorhaben Duldung 
auszuwirken. Aber durch die unerwartete Wendung, melde die 
Dinge nahmen, jah fi der Faiferliche Hof der ſchwierigen 
Entſcheidung glücklich überhoben. 

Am 13. Juni 1651 that ein kurfürſtliches Manifeſt den 
Ständen von Jülich und Berg die bevorftehende Befigergreifung 
kund und forderte „ihuldigen Reſpekt, Gehoriam und Beiltand“ : 
wer zum Pfalzgrafen halte, follte ala Rebell behandelt werden. 
Am Tage darauf rückte General von Sparr mit etwa 3000 Mann 
in das Bergifhe ein; bald ftand er vor Düffeldorf und faßte 
auch im Jülichſchen feiten Fuß. Dann aber trat ein Stillftand 


II. Die Friedenderefution und der Verſuch einer deutſchen Politik. 449 


ein, nicht wegen bes gewaltigen Lärmens, das fi über diejen 
Friedensbrud im Stil des alten Fehderechts erhob, ſondern 
weil die Stände ftatt, wie gehofft, die Partei Brandenburgs 
zu ergreifen, fich ihm feindlich entgegenftellten, und zwar auch 
die von Gleve und Mark. Am 22. Juli veröffentlichten fie ein 
vom 14. datiertes „Kontradiktionspatent“: e& proteftierte gegen 
die Ergreifung der Waffen, verbot den Beamten fi zur Bes 
ſchwerung ber Unterthanen herzugeben und ben Unterthanen 
von ihnen nicht bemwilligte Kontributionen zu leiften und fremde 
Kriegsdienfte zu nehmen. Vergeblich ließ der Kurfürft das 
Patent abreißen und die Häupter ber Oppofition verhaften. 
Während der Neuburger Erbprinz Philipp Wilhelm, deffen 
katholiſcher Eifer Brandenburgs Friedensbruch voll auszunugen 
brannte, aus den fpanifchen Niederlanden Lothringens ver: 
wilderte Scharen berbeirief, redhtfertigten die Stände ihr Auf: 
treten (7. Auguft) in einem Patent, das zugleih Einftellung 
der Unterfuhung, Entlafjung der Verhafteten und Entfernung 
der Truppen forderte, mit der Klage beim Kaifer drohte und 
jedes erlaubte Mittel zur Wahrung ihrer Rechte anzumenden 
drohte. Aber auf der Zufammenkunft, die er während eines 
von den Niederlanden durch Graf Georg Friedrih von Walded 
vermittelten Stillftandes in Angerort mit dem Pfalz.Neuburger 
hatte, lehnte der Kurfürſt jede Nachgiebigkeit ab. Als jedoch 
nicht bloß Spanien, fondern auch der Kaiſer und Polen ein: 
zugreifen drohten, lenkte er ein und ließ es ſich ſogar gefallen, 
daß faiferlihe Kommiſſare einen Vergleich vermittelten (Ok— 
tober 1651), der die Ordnung des konfeſſionellen Befigitandes 
einer aus Fürften beider Belenntniffe zu bildenden Faiferlichen 
Kommiſſion vorbehielt. Sie ift nie erfolgt: in Jülich und Berg 
dauerte die Mißhandlung der Evangelifhen fort und murbe 
in Eleve und Mark gelegentlih an den Katholiten vergolten. 

Friedrih Wilhelms erfte felbitändige Aktion war völlig 
mißlungen. Nur der Kaifer gewann dabei, da feine bisher be— 
frittene Autorität in der jülich-cleveſchen Sache nun doch 
anerfannt wurde. Daß der Kurfürft darin nachgab, geſchah 
mohl unter dem Drud feines üblen Verhältniffes zu Schweden. 


Alle Verfuche, von diefem in Hinterpommern einige radfiht- 
Prutz, Preußiihe Geſchichte. I. 


450 Drittes Bud. Die Rettung ber Zufunft. 


nahme zu erwirken, blieben vergeblih. So beugte fih ber 
Kurfürft dem Kaifer in Jülich, um von ihm in Hinterpommern 
geihügt zu werden, indem Schwedens Belehnung mit feinen 
deutſchen Landen und Zulaffung zur Reichsſtandſchaft von der 
endlichen Regulierung der Grenze dort abhängig gemacht wurde. 
Aber nun forderte der Kaifer weiter auch die brandenburgifche 
Kurftimme für die Königswahl feines Sohnes Ferdinand. Selbft 
nad Prag ziehend, gab fie der Kurfürft und erhielt dagegen 
die feierliche Zufage, Schweden jolle weder mit jeinen neuen 
deutſchen Landen belehnt, noch zu dem bevorftehenden Reichs— 
tag zugelaflen werden, bevor es ihn nicht in den Beſitz von 
Hinterpommern geſetzt habe. 

Es war der erfte Erfolg, den er gewann, Schweden fügte 
fi, wenn auch wiberfirebend und zögernd. Denn bei ber 
Wichtigkeit, die der mächfte Reichstag haben mußte, konnte e& 
ihm unmöglich fern bleiben. So bewilligte es Brandenburg in 
Hinterpommern endlich ein annehmbares Abkommen, das frei 
lich noch immer weit hinter des Kurfürften Wünfchen zurüd- 
blieb. Der Stettiner Vertrag vom 5. Mai 1653 ließ Schweden 
auf dem rechten Oderufer einen breiten Streifen mit den 
Städten Tamm, Golnow, Greifenhagen und Kammin und 
die Hälfte der Hinterpommerjchen Lizente. Am 16. Juni wurde 
Hinterpommern den brandenburgifchen Bevollmächtigten über- 
geben. 

Faft fünf Jahre hatte es gebauert, bis der Friede für 
Brandenburg verwirklicht wurde. Nah außen bradten bie 
territorialen Erwerbungen neue Beziehungen und neue, zum 
Teil ſehr fchwierige Aufgaben mit fi: eine entſprechende 
Steigerung der landesherrlihen Macht bewirkten fie nicht. Eher 
wurde die auf ihre Libertät pochende ſtändiſche Oppofition ge— 
ftärkt, zumal fie eben in Jülich-Cleve einen Erfolg gewonnen 
hatte. Die Folgen machten fih auch in der Marf und in 
Preußen bemerfbar, zumal der Kurfürft die geforderte Ent— 
lafjung des num angeblid; völlig überflüffig gewordenen Heeres 
entfhieden verweigerte. Wenn acht Compagnien mit insgejamt 
1600 Mann bei einander blieben und fie dazu monatlich 
5000 Thaler aufbrächten, jo ſei das, hatten die Stände im 





I. Die Friedenseretution und der Verſuch einer deutſchen Politit. 451 


Auguft 1650 erklärt, ſchon eine außerordentliche Leiftung und 
dürfe ihnen doch nicht in der Weife „zu Verderb und Schaden 
gereihen”, daß der Kurfürft ihnen „ex absoluta potestate das 
zulege, was fie nicht bewilligt, auch zu leiften außer ftande 
feien“. Ihre Abweiſung beklagten fie als eine „wirkliche Be: 
ſchimpfung“, die fie nicht verdient hätten. Es fei ohne Beifpiel, 
fo ließen fie fi) im Oftober 1650 vernehmen, daß im Frieden 
an die Unterthanen die gleichen Anforderungen geftellt würden 
wie während des Krieges, meinten von einem unglüdlichen 
Fatum verfolgt zu fein und fragten, warum ber Kurfürft den 
reduzierenden „fremden Potentaten” zwar nicht an Mad, 
Weisheit und Verftand, wohl aber „an Güte und Mildthätig- 
keit“ nachſtehen wolle, „diefen eigentlich fürſtlichen Tugenden, 
durch welche die Fürften den Göttern gleich geachtet werden”. 
Was fie in Friedengzeiten für Truppen bemilligten, ſeien freis 
willige Gaben und enthalte feine Verpflichtung für die Zukunft. 
Scharf ftellte des Kurfürften Antwort der ftändifchen Libertät 
das Recht des Fürftentums entgegen, wurzelnd in der Ber: 
pflihtung zur Sorge für das Wohl der Gejamtheit. Von den 
als Beifpiel angeführten anderen Potentaten ftehe für feinen 
wie für ihn eine Provinz auf dem Spiel. Dem gemeinen 
Beften zuliebe habe er Vorpommern bingegeben, dem Reiche: 
frieden und dem Wohl feiner Lande fein Privatinterefie geopfert: 
nun dürften auch fie nit vergeffen, daß Hinterpommern, das 
den Schweden noch abzugewinnen fei, von Gott und Rechts 
wegen demjelben Landesherrn gehöre wie die Marken, daß diefe 
Lande gleihfam Glieder eines Hauptes feien, und daher 
müßten fie dafür eintreten, ala ob es fih um ein Stüd der 
Marten jelbit handelte. 

Noch predigte er diefe Wahrheit tauben Ohren. Gemeinfinn 
und Vaterlandsgefühl waren feinen Unterthanen noch fremd. 
Ja die Stände betonten ihre Sonderinterefien um jo ftärker, 
als ihnen nad} der thatfählichen Auflöfung des Reichsverbandes 
durch den Frieden eine höhere ftaatliche Einheit, die Unterordnung 
fordern durfte, nicht mehr gegenüber ſtand. Wie im Reiche 
ſollte die ftändifche Selbftherrlichkeit aud in den einzelnen 
Reichsteilen konſequent durchgeführt werden, die Stellung des 


— 





452 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft. 


Landesherrn die des Reichsoberhaupts wiederholen. In Eleve 
und Preußen fonnte man dabei auf auswärtige Gönner rechnen, 
bier Polen, dort je nad dem Belenntnis die Niederlande oder 
Spanien. Dazu grollten die Albertiner, daß ihnen das Exz- 
bistum Magdeburg, das fie ſchon für eine ſichere Beute ges 
halten, dod entgangen war. Aehnliches hatten die Braun— 
ſchweiger mit Halberftabt und Minden erfahren. Schweden 
verſchmerzte Hinterpommern nicht, und jeit in Pfalz.Neuburg 
der thatkräftige Philipp Wilhelm an des Vaters (} 1653) 
Stelle getreten war, wuchs die Spannung aud mit dieſem. 

Dazu hatte nun au das Einvernehmen mit dem Kaifer 
nicht Beftand. Denn offen ftrebte diejer, die ihm durch den 
Frieden gejegten Schranken wieder zu befeitigen. Auch bie 
Tatholifhe Partei, die durch Bayern im Kurfürftenfolleg die 
Mehrheit hatte, trat wieder zuverfichtliher auf: Feines der 
organifchen Gejege, die zur Durchführung ‚des in Münfter 
proffamierten neuen Reichsrechts geplant waren, ließ fie auf 
dem Regensburger Reichstag von 1653 zu ftande fommen. 
Brandenburg aber wollte weder die ihm eben jo nüßlich ge 
worbene Gunft des Kaiſers wieder verſcherzen, noch defien reafs 
tionären Tendenzen Vorſchub leiften. So geriet e& in eine 
widerſpruchsvolle Halbheit, die bei dem Kaifer und den Kurfürften 
fo wenig wie bei der reicsfürftlichen Oppofition Vertrauen ger 
mann. Sein Vertreter in Regensburg, der verdiente Blumen— 
thal, der den am Wiener Hofe einflußreihen Perjönlickeiten 
befreundet und daheim einft als Barteigänger Schwargenbergs 
gemaßregelt war, trat den kaiſerlichen Uebergriffen natürlich 
nicht energifdh entgegen. Brandenburgs Anhänglicleit an das 
Haus Habsburg, von dem er alles Heil erwartete, blieb auch 
bier unbelohnt, entfremdete ihm aber die evangelifche Partei. 
Das jah auch der Rurfürft ſchließlich ein, wie es ſcheint, nicht 
ganz aus ſich ſelbſt. Eine glüdlihe Fügung gab ihm eben 
damals einen Berater, der ihn nicht bloß an politifcher Er: 
fahrung, ſondern auch an Weite des Blicks, Folgerichtigfeit 
bes Denkens und Entfeloffenheit des Handelns übertraf, aber 
dank’ der Verwandtſchaft ihres Wejens fo ganz jein Vertrauen 
gewann, daß er ſich gern feiner Führung überließ. Was ihm 


I. Die Friedenserekution und der Verſuch einer deutſchen Politil. 458 


in der erften großen Krifis feiner Regierung Konrad von Burgs- 
dorf gewejen war, wurde ihm jeßt Georg Friedrih, Graf von 
Waldeck. Aber wie die Aufgaben jegt größer und umfafjender 
waren, fo erforderte auch ihre Löfung größere Mittel und ein 
weiteres Ausgreifen zur Gewinnung der nötigen Kräfte. Da- 
mals hatte es gegolten, im Gebränge zwiſchen Kaiferlichen 
und Schweden und im Kampf mit den Ständen bie Heered- 
ſchöpfung durchzuführen. Jetzt galt es, die neuen Erwerbungen 
mit dem alten Befig wenigftens jo weit ftaatlich zu einigen, 
daß fie finanziell und militärifch leifteten, was nötig war, um, 
innerhalb des Neiches gefichert, Brandenburg bie kraftvolle 
Vertretung feiner weit auseinandergehenden Intereſſen nad 
außen zu ermöglihen. Denn von ben großen Fragen der 
europäiſchen Politik ließ feine biefes unberührt: jede zog es 
irgendwie in Mitleidenfchaft, verhieß ihm Gewinn oder drohte 
ihm Verluſt. Teilte e8 auf ber einen Seite das Schidjal 
des wankenden Reiches, jo trat e& auf ber anderen, mehr noch 
als bisher durch die Lehensabhängigfeit Preußens von Polen, 
durch den verſchärften Gegenfag zu Schweden in enge Beziehung 
zu der nordiſchen Politif. Die niederrheinifchen Lande zogen 
es in die Verwidelungen, durch die Frankreich eine Umgeftaltung 
der europäifchen Machtverhältniffe anbahnte. Troß feiner ge— 
ringen Mittel mußte es daher mit feiner Politik weit über den 
Kreis hinausgreifen, auf den es zunächſt angewiefen ſchien: 
wollte e8 nicht bloß von ihr leiden, jo mußte es handelnd in 
die europäifche Politik eingreifen. Das wurde für den Kur- 
fürften die Quelle aufreibender Arbeit, verzehrender Sorgen, 
tief verbitternder Enttäufhungen: fo Großes er geleiftet, faft 
nirgends hat er doch das Ziel erreicht, das er fi} geftedt hatte, 
faft nie einen vollen, ihn ganz befriedigenden, rein beglückenden 
Erfolg gewonnen, jondern mit dem Schidfal gehadert. Für fein 
Land ergab fih daraus eine Belaftung, die dauernd über feine 
Kräfte ging, die es nur mwiderftrebend trug und erft fpäter als 
notwendig erfannte. Aber eben darin liegt die Bedeutung jener 
Zeit. Wie der zarte Körper fih ftählt im Ringen mit Laften, 
die feine Kraft zunächſt überfteigen, jo haben des Großen Kur: 
fürften Unterthanen unter dem Zwange der Notwendigfeit 


454 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft. 


Größeres leiften gelernt, als fie ſelbſt fi zugetraut hatten. 
Daß er fie dazu erft gezwungen, dann je länger je mehr ge— 
wonnen und in einzelnen großen Momenten begeiftert mit fi 
fortgerifien hat, darin liegt vieleicht Friedrich Wilhelms größtes 
Verdienſt. Dazu aber brauchte er noch nicht fi von Gott zur 
Schaffung eines fünftigen Großſtaats berufen zu glauben, fie 
bewußt als Ziel ins Auge zu faſſen und feine Politit auf 
feine Erreigung zu richten. Wie jeder Fürft, der feine Stellung 
nit in dem beſchränkten privatredhtlihen Sinn des Mittel: 
alters auffaßt, hat er an die Zukunft feines Staates geglaubt. 
Daß er in ihm den Staat der beutfchen Zukunft erblidt, fein 
Haus bereinft an der Spige Deutſchlands zu jehen gehofft habe, 
wird nirgends erfennbar. Mehr als irgend ein Hohenzoller ift er 
von den Verhältnifjen getrieben worden, ihnen ſich anzupafien, 
fie unſchädlich zu machen bemüht geweien. So Großes er ge: 
leiftet: man kann nicht jagen, daß er von fi aus den Dingen 
eine bejtimmte Geftalt gegeben oder auch nur zu geben verfucht 
habe. Seine Rolle in der großen Politif war mehr paffiv als 
aktiv, und wo fie legteres war, hat gelegentli eine andere 
BVerfönlichkeit hinter ihm geftanden und ihn den von ihr ge: 
wollten Weg geführt, fo auch bei dem Verſuch, den er unter 
dem Eindrud des Regensburger Reichstags zur Neubelebung der 
deutſchen Politik unternahm. Weniger ihm als dem Grafen 
Georg Friedrih von Walded ift er zuzurechnen. 

Dem Kurfürften gleichaltrig (geb. 31. Januar 1620), hatte 
auch Georg Frievrih von Waldeck die für fein politifches 
Denken beftimmenden Eindrüde von den Schreden des großen 
Krieges empfangen. Mit einer Verwandten der Oranier, einer 
Gräfin von Naffau:Siegen, vermählt, ftand er in niederländiſchem 
Kriegadienft, als 1645 der Tod feines älteren Bruders ihn zur 
Regierung berief. Daß er feines Ländchens Selbftändigkeit 
rettete, verbankte er ber Verbindung, die er in Paris mit 
Karl Guftav von Pfalz: Zweibrüden, dem Erben der ſchwediſchen 
Krone, angefnüpft hatte. Aber jo troſtlos war fein Ruin, 
daß er an ber Möglichfeit der Befjerung faft verzweifelte. Da 
erhielt er — wohl auf oranifche Empfehlung — zur Zeit des 
julichſchen Krieges die Aufforderung, als Neiteroberft in bran- 


HL Die Friedenserefution und ber Verſuch einer deutſchen Politit. 455 


denburgiſche Dienfte zu treten. Trotz mander Bedenken leiftete 
er ihr Folge: feiner auf das Große gerichteten Natur, die 
einen umfafjenden Schauplag des Wirfens erfehnte, genügten 
die Heinen und engen Verhältniffe daheim nicht. Schnell ge— 
wann er des Kurfürften Vertrauen, und willig beugte fich dieſer 
dem verwandten, ihm aber an Glauben an fich ſelbſt und an 
Wagemut überlegenen Geift. Als Diplomat in ben Niederlanden 
gebildet, damals der hohen Schule europäiſcher Politik, fah 
Walded auch die brandenburgiſch-preußiſchen Dinge gelöft von 
ihrer landſchaftlichen Befchränktheit im Zujammenhange mit 
der gefamten Lage. So eröffnete er dem Kurfürften neue Per: 
ipeftiven, enthülte ihm bisher überjehene Kräfte und ſteckte 
ihm höhere Ziele. Lebhaft ging biefer auf die Ideen des neuen 
Freundes ein. Auch Konrad von Burgsdorf mußte nun weichen. 
So viel ihm der junge Herr verdankte: den Aufgaben, bie es 
jegt zu löſen galt, war er nicht gewachſen, auch moralifch 
nit, da er nicht bloß den Laftern der Zeit, Völlerei und 
Spielſucht, frönte, fondern als Präfident des Geheimen Rats 
auch die Geſchäfte in greuliche Unordnung hatte geraten lafjen. 
Darin aber jah Waldeck die Duelle alles Unheils, die ver: 
ſchloſſen werden mußte, wenn der Staat gefunden fonnte. 
In einer Denkſchrift übte er an der beftehenden Verwaltung 
eine vernichtende Kritik und legte die Geſichtspunkte für ihre 
Neugeftaltung dar. Er fand des Kurfürſten Beifal und wurde 
zur Durchführung der geforderten Reformen bevollmächtigt. 
Voran ftanden die Finanzen, deren Leitung er felbft übernahm. 
Mit der Naturalwirtfhaft wurde nun vollends gebroden und 
der Staatshaushalt ausſchließlich auf die Geldwirtſchaft ge: 
gründet. Domänen und Regalien gingen aus der koſtſpieligen 
ftaatlihen Verwaltung in die der meiftbietenden Pächter über. 
Ein jährlicher Voranſchlag ermöglichte die Abmeſſung des Be— 
darfs gegen bie vorhandenen Mittel. Die Gehälter wurden 
reduziert. Zur Aufnahme aller Ueberſchüſſe wurde eine Zentral: 
fafje und zur Oberleitung der gelamten Finanzverwaltung eine 
eigene Behörde errichtet. Die Regierung wurde wieder in ber 
Hand des Fürften fonzentriert. Er hatte die erſte Durchſicht 
der gefamten Haus: und Staatsforrefpondenz und verteilte fie 


456 Drittes Bud. Die Rettung der Zukunft. 


zur Erledigung an das Kabinett und den Geheimen Rat. Seinen 
Verkehr mit diefem vermittelte nicht mehr der Kanzler, ſondern 
der zu befonderer Vertrauensftellung berufene Kabinettsrat. 
Auch die auswärtigen Angelegenheiten und die Kriegsaffairen 
wurden bem Fürften vorbehalten und von ihm nur gelegentlich 
an den Geheimen Rat verwieſen, fo daß diejer auf die inneren 
Angelegenheiten beſchränkt war. Demgemäß erhielt er am 
4. Dezember 1651 eine neue Organifation. Seine Einheit, die 
ſchon der Wegfall des Kanzlers in Frage ftellte, ſchwand vollends 
durch Bildung von neunzehn Departements. Neben einem oder 
mehreren von dieſen aber hatte faft jeder Geheimerat noch ein 
lokales Departement zu bearbeiten, meift eines, mit deſſen 
Verhältnifien er durch feine Herkunft oder dur Tangjährige 
Beihäftigung vertraut war. Andere fungierten überdies als 
Statthalter oder im auswärtigen Dienft. Da aber der Kurfürft 
häufig fern war und dann auch etlihe Geheimeräte mitnahm, 
jo war zur Sicherung eines regelmäßigen Fortganges ber Ge- 
ſchäfte für einen jeden ein ftändiger Vertreter beftellt, mas 
vielfache Weberbürdung zur Folge hatte. 

Aber den gehofften Erfolg hatte diefe Verwaltungsreform 
nit. Denn nit bloß von den Zurfürftliden Räten wurde 
Walded als Eindringling bekämpft: der einheimifche Adel ſah 
in feiner Berufung eine Verlegung des Indigenatsrehts. Dann 
ergab die Gefhäftsführung des neuen Geheimen Rats bald 
Mebelftände. Namentlich) drohte bei des Kurfürften häufiger 
Abwesenheit, bei ber Schwierigkeit der Verftändigung eine Art 
von Doppelregierung. Deshalb kehrte man ſchon im Herbit 1652 
zu der alten Organijation zurüd, indem Blumenthal ftatt zum 
Kanzler zum Direktor des Geheimen Rats beftellt wurde. Auch 
die Finanzreform, die eine beträchtliche Steigerung der Ein- 
nahmen bewirkte, blieb auf halbem Wege ftehen, weil Waldeck 
die Ummandlung ber bireften Befteuerung in eine inbirefte nicht 
durchfegen fonnte: mit Ausnahme der Städte, die wirtfchaft- 
liche Vorteile davon erhofften, widerſetzten fi ihr die Stände 
im Intereffe ihrer Libertät. 

Vor allem aber war Waldeds Verwaltungsreform nicht 
Selbftzwed, ſondern follte nur das Mittel werden zur Er— 


III. Die Friedensexelution und ber Verſuch einer deutſchen Politil. 457 


reihung eines anderen Zwedes. Mehr als auf die Verwaltung 
wieſen Walde Neigung, Erfahrung und Verbindungen auf 
die auswärtige Politik als das Gebiet einer Erfolge ver- 
heißenden Thätigfeit. Jene follte nur die Mittel ſchaffen für 
eine größere Aktion auf dieſem Gebiet, einen Teil des zer- 
brödelnden Reiches für Brandenburg zu gewinnen und dieſes 
dadurch aud dem Auslande gegenüber zu ſtärken. Noch ehe 
es innerlich hinreichend gefeftigt war, follte Brandenburg den 
Verſuch machen zur Verfolgung einer deutfchen Unionspolitif. 

Der Regensburger Reichstag hatte auch den Kurfürften 
enttäuſcht. Zwar hatte er Hinterpommern den Schweden endlich 
abgenötigt; aber des Kaifers Hilfe dabei ſchien auch ihm zu 
teuer bezahlt. Dazu ermöglichte die Uneinigfeit der reihsfürft- 
lichen Oppofition dem Kaifer feine Macht unmerklih zu er- 
weitern, und Blumenthal leiftete dem aus Anhänglichfeit an 
die alte Reichsordnung Vorſchub. Da zeigte Walded, der fi 
nad) dem Mißlingen feiner Reform unmutig zurüdgezogen hatte, 
dem Kurfürften, wie er fo ſich um alles Anfehen bringen und 
die befreundeten deutſchen Höfe entfremden würde. Im Sep- 
tember 1653 fam er nad) Berlin. Er fand den Kurfürften tief 
verftimmt, unzufrieden mit Blumenthal und erbittert gegen 
den Eaiferlihen Hof. Im Oktober hatten beide zu Oranienburg, 
dem von der Kurfürftin zu einer Mufterwirtichaft erhobenen 
Dorfe Bögom, ein vertrautes Gefpräd, in dem fie die Grund: 
züge eines neuen politiſchen Syftems vereinbarten. Schon am 
3. November ging eine Inftruftion an Blumenthal ab, die 
feine Haltung mißbilligte und ihm die gerade entgegengefegte 
vorſchrieb. Denn nad Waldeds Idee ſollte Brandenburg nicht, 
wie es zulegt wieder gethan, gemeinfam mit dem Kaifer und 
dem Kurfürftenfollegium für die Erhaltung ber alten Reichs— 
ordnung eintreten, fondern an der Spige der proteftantifchen 
Fürftenpartei deren gründliche Umgeftaltung betreiben. Schon 
der Eindrud, den das in Regensburg machte, gab Walded 
recht. Während die kaiſerliche Partei über Abfall und Verrat 
ſchrie, raffte fi die Oppofition wieder auf: mehr als einft 
Morig von Sachſen, fo meinte fie, habe jegt der Kurfürft für 
die Rettung ber deutſchen Freiheit gethan; als ihren Herfteller 


458 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft. 


müfje man ihn preifen, die Evangelifchen aber hätten in ihm 
endlich wieder ein Haupt gefunden. Nun nahmen die Dinge 
zu Regensburg einen anderen Gang, und der Kaifer und die 
katholiſche Partei jahen alle ihre Entwürfe durchkreuzt. 

Aber Walde dachte bereits weiter. Der Abwehr der 
abfolutiftifh-fatholifhen Reaktion jollte eine Aktion Branden- 
burgs folgen, um die in Regensburg entftandene neue Partei⸗ 
gruppierung zu einer dauernden politiihen Gemeinſchaft zu 
entwideln. Denn nit von Wien allein drohte Gefahr. Die 
jüngften Vorgänge, bie zur Abberufung Blumenthals von 
Regensburg führten — er kam als Statthalter nad Halber: 
ſtadt —, erbitterten die mit Brandenburg geſpannten Reihe: 
ftände vollends. Dazu waren auswärtige Händel im Anzuge, 
im Norden durch Schwedens Pläne gegen die Reihsfreiheit der 
Stadt Bremen, im Weiten dur die Umtriebe Karla von 
Lothringen, der den fpanifch-franzöfifchen Krieg auf Koften des 
Reichs zu feinem Vorteil ausbeuten wollte. Auch Philipp 
Wilhelm von Pfalz:Neuburg plante einen neuen Verſuch zur 
Gewinnung des ganzen jülich-cleveſchen Erbes. So vereinfamt 
wie bisher durfte Brandenburg faum hoffen, diefe Stürme zu 
beftehen. Auch der Kurfürft erfannte das Kritiſche der Lage, 
und wie er e8 in folden Fälen zu thun pflegte, forberte er 
von feinen Geheimeräten Gutachten über die zu ergreifenden 
Mopregeln, namentlich über die Allianzen, die etwa zu ſuchen 
feien. Das veranlaßte eine merkwürdige Denkſchrift Waldeds 
vom 31. Dezember 1653: fie entwarf das Programm für eine 
brandenburgiſche Unionspolitif in Deutſchland. 

Bündniffe, fo führte fie aus, jeien für Brandenburg nicht 
bloß nüglih, fondern notwendig, und zwar gelte es angefihts 
der drohenden Gefahr, fie ſchnell zu ſchließen: denn „auf das 
zur Sicherheit des Reichs verfaljungsmäßig Verordnete ift nit 
das geringfte Vertrauen zu jegen“. „Gefahr, Not und Jammer 
ſcheint an allen Eden hervor. Wo ſoll man fi hinwenden, 
da Hilfe zu finden, außer Gott allein? — Die Gefahr ijt vor 
Augen. Ein tapfer Gemüt fann darin nicht bleiben, nicht ge: 
wärtig fein Gnad zu bitten.” Man müſſe alfo und werde 
daher auch Freunde finden, denn es fehle noch nicht an foldhen, 


III. Die Friedensexekution und ber Verſuch einer deutf en Politit. 459 


„50 Glauben, Vertrauen, Mut und Kräfte hätten“. Aber 
beim Anſchluß an die Kurfürftenpartei werde Friedrih Wilhelm 
„aus einem freien Kurfürften ein gezwungener Bejaher anderer 
Kurfürften Vornehmen werden“: nur an der Seite der evan- 
geliſchen Fürften, die fi in Regensburg tapfer gehalten, fei 
etwas zu hoffen. Wegen der Furchtſamkeit, Geldgier und 
Unwiſſenheit vieler fürftliher Gefandten jedoch ſolle man fi 
glei an die Fürften felbft wenden, zunädft Bremen, Verden 
und Pommern (das ift Schweden), Braunſchweig, Magdeburg, 
Heflen und Medienburg. Kurſachſen und Kurpfalz könne man 
„des Wohlanftands wegen“ und um Verdacht zu vermeiden 
nicht umgehen, obgleich ſich beide „nicht tief einlaſſen“ würden. 
Gemeinjam folle man dann auf dem Reichstag den Uebergriffen 
des Kaiſers und der Fatholifchen Partei entgegentreten und die 
Kreife zu Defenfivbündniffen einigen. Ganz von ſelbſt werde 
dem Kurfürften dann eine leitende Stellung zufallen: werde er 
doch „durch unveränderlihe Ratſchläge, beftändige Zufammen- 
haltung und vernünftiges Führen der Sahen zu Regensburg 
viele, wo nicht alle Evangeliſchen an ſich ziehen“, und da Kur: 
ſachſen doch nicht mitthue, „unzweifelhaft für das Haupt der 
andern Bundesgenofjen erkannt, erklärt und beftändig gemacht 
werben“. Doch dürfe, jo führt Waldeck weiter aus, „ſolches 
Vorhaben“ nicht eher offenbar werden, „als bis das Vertrauen 
feftgeftellt ift“. Alsdann follen auch die Grafen von Oldenburg, 
Oftfriesland, Lippe, Bentheim und Wetterau und von Städten 
Frankfurt, Hamburg und Lübed zum Beitritt eingeladen werben. 
Der Anſchluß von Nürnberg, Straßburg, Augsburg und Regens- 
burg werde bejonders erwünjcht fein. Der Verkehr unter den 
Genoſſen fei jo zu organifieren, daß er vertrauensvolle Ueber— 
einftimmung fihere, doch möge man in billigen Dingen dem 
Kaifer und den Katholifen die Hand bieten und mit ihnen 
äußerlich ein möglichft gutes Verhältnis erftreben. 

Ein folder Bund konnte zunächſt als Erneuerung des 
Schmalkaldiſchen erſcheinen, war aber doch mwefentlih davon 
verſchieden. War die Religion auch zunädft das einigende 
Moment, fo follte jie es doch nicht allein bleiben. Auch fonft be 
gann man ja in Deutjchland endlich rein politiihe Erwägungen 





460 Drittes Buch. Die Rettung der Zukunft. 


über das bloß konfeſſionelle Parteiintereffe zu fegen. Wald: 
eds Unionsentwurf ignorierte einfach den Gegenfag zwiſchen 
Zutheranern und Reformierten und kannte nur eine einzige 
große evangelifhe Partei im Reiche, und wenn er mit ben 
Katholiken möglichft Frieden gehalten jehen wollte, fo erfannte 
er die Möglichkeit ehrlicher politiſcher Gemeinschaft mit ihnen an. 

Der Kurfürft biligte Waldeds Entwurf. Sofort ging es 
an die Ausführung. Schon im März 1654 Fonferierte Walded 
in Tangermünde mit Bevollmächtigten der drei Braunſchweiger 
Herzöge. Auch mit Kurfachfen knüpfte man an, daneben mit 
Franfreih und Schweden. Anfangs fanden Brandenburgs An- 
träge nur fühle Aufnahme: man witterte felbftfüchtige Abfichten 
dahinter. Erſt die Gefährdung Bremens durch Schweden und 
die Sorge vor Verwidelungen im Nordweſten ließen fie in 
günftigerem Licht erfcheinen. So fam es im Sommer in Goslar 
mit Braunfchmweig zu einer vorläufigen Verftändigung: im Fall 
eines Angriffs oder unrechter Gewaltthat wollte man einander 
mit aller Macht beiftehen; auch follte Brandenburg in den 
niederſächſiſchen Kreis und in den zwiſchen Braunſchweig, Heflen 
und Schweden beftehenden Hildesheimer Bund aufgenommen 
werben. Anfang Juli unterhandelte Walded in Wetzlar mit 
einem furfölnifhen Bevollmächtigten, um in Erzbifchof Mari: 
milian Heinrid die „dritte Säule” für den Bund zu gewinnen. 
Auch hier Fam es zu protokollariſcher Zufiherung gegenfeitiger 
Hilfe wider jeden Angriff. Noch günftiger geftalteten fi die 
Ausfichten der reichsfürſtlichen Oppofition, als in eben jenen 
Tagen (9. Zuli 1654) der unlängft gewählte (S. 450) römiſche 
König ftarb. Waldeck verdoppelte jeine Thätigfeit. Im Sep- 
tember traf er fi in Arnsberg mit dem Kölner Kurfürften, 
der gar den Anſchluß von Trier hoffen ließ. Dann eilte er 
nad; Kaſſel: eine Konferenz mit heſſiſchen Bevollmächtigten in 
Friedewalde fiherte Brandenburg gegen jeden Angriff heſſiſche 
Hilfe. Am 4. Oktober unterzeichneten Brandenburg und bie 
drei Braunſchweiger in Hannover einen Vertrag, durch ben fie 
einander ihre gefamten Reichslande garantierten. Richtete ſich 
biefer Bund auch zunächſt gegen Schweden und deſſen Pläne 
auf Bremen, fo erregte doch fein proteftantifcher Charakter bei 


III. Die Friedenderefution und der Verſuch einer deutſchen Politi. 461 


katholiſchen Reichsſtänden Beforgnis. Nun ſchloß Ende 1654 
Kurköln, auf das man in Berlin gerechnet hatte, mit Pfalz: 
Neuburg, Trier und Münfter einen Defenfivbund. Das ftellte 
den interfonfejfionellen Charakter der Waldeckſchen Union in 
Frage, zumal am 19. Juli 1654 in Braunſchweig ein Defenfiv: 
bündnis zwiſchen Brandenburg und Braunſchweig auf drei 
Jahre unterzeichnet wurde, da die Aufnahme Brandenburgs 
in den Hildesheimer Bund fi nicht fo fehnell, wie die Lage 
erforderte, bewerfftelligen ließ. 

Aber Walde dachte bereits weiter, mochte er auch die 
legten Ziele feiner Politit den Kurfürften mehr ahnen als klar 
fehen laffen. Angeblich rein defenfiv, jollte der Bund doch bei 
erfter Gelegenheit offenfiv auftreten, um im Bunde mit Frank⸗ 
veich die Macht des Haufes Habsburg zu brechen. Schon unter- 
handelte Walded im tiefften Geheimnis mit Mazarin: der von 
Spanien begünftigte Angriff des Herzogs von Lothringen auf 
Lüttich, gegen den Brandenburg dem Bifchof, Marimilian Hein: 
rich von Köln, Hilfe zu leiften eilte, follte die Handhabe bieten. 
Im Bunde mit Frankreih und für diefes dachte Waldeck die 
belgiſchen Provinzen Spanien zu entreißen und fo „diefer fürch— 
terlichen Macht diesfeits des Meeres die legte Delung zu geben” ; 
dafür jollte Frankreich feinem Herrn zu Jülich und Berg ver: 
helfen, mochte es ihm auch nur freie Hand lafjen gegen den von 
Spanien gefhügten Pfalz-Neuburger. Die Zertrümmerung ber 
ſpaniſchen Macht, die England durch die Eroberung der Kolonien 
vollenden follte, mußte aud die Macht der deutſchen Habs— 
burger brechen: an ihrer Stelle hatte Walded die Führung im 
Reiche Brandenburg zugedacht, mochte er auch die Kaiferfrone, 
die ein Evangelifcher nicht tragen konnte, den bayriſchen 
Wittelsbachern überlaſſen. Sollte aber das Reich ftatt dadurch 
„in Flor und Aufnahme gebracht zu werden“, darüber in Stüde 
gehen, jo werde, meinte Walded, der Kurfürft „ein groß Teil 
davon vor fi behalten” können. 

Kühn eilten des Grafen Entwürfe der Zeit voraus, fahen 
doch aber allzufehr von den thatſächlich gegebenen Verhältniffen 
ab: eigentlich konnte fie nur ein neuer Weltkrieg verwirklichen. 
War aber Brandenburg damals fähig, darin eine folden 





462 Dritted Buch. Die Rettung der Zukunft, 


Afpirationen entfprehende Rolle zu fpielen, felbft wenn Frank⸗ 
reich ihm reichlich Subfidien zahlte? Inmitten einer inneren 
Umgeftaltung, welche die alte Ordnung aufgelöft, aber erft zum 
Teil durch eine neue erjegt hatte, konnte e8 von einer ernften 
kriegeriſchen Verwidelung leicht Tebensgefährlich erſchüttert wer- 
den. Und nun fielen unerwarteterweife die Handhaben fort, 
deren Walded fich zu bedienen gedacht hatte. Schweden unterließ 
den Angriff auf Bremen aus Scheu vor Brandenburg und 
Braunſchweig, und der um Lüttich drohende Krieg wurde durch 
eine unerwartete frieblihe Wendung ebenfalls nod hinaus: 
gejhoben. Damit verlor au das, was Waldeck durch feine 
Unionspolitif bisher gewonnen hatte, an praftifher Bedeutung. 
Zudem traten Ereignifie ein, welche die brandenburgifche Politik 
in einer ganz anderen Richtung beſchäftigten. Schon hatte 
Karl Guftav von Schweden, froh den läftigen Bremer Handel 
[08 zu fein, aber dur} die inneren Zuftände feines Reichs auf 
Eroberung gewieſen, ein anderes, leichteren und größeren Er: 
folg verheißendes Ziel ins Auge gefaßt: die Anfechtung feines 
Nachfolgerechts durd die polniſchen Waſas gab ihm erwünfchten 
Anlaß zum Angriff auf Polen. Eine neue Nera der nordifchen 
Kriege begann. Für Brandenburg ergab ſich daraus eine äußerft 
ſchwierige Situation. Mit der Befeftigung feiner Stellung im 
Reiche befhäftigt und bemüht um die Führerihaft der evan- 
gelifchen Reichsſtände, mußte der Kurfürft fürchten, um Preu- 
ßens willen in einen großen außerdeutſchen Krieg verwidelt zu 
werben. Würde er babei im ftande fein, die begonnene Aktion 
im Reihe weiter zu führen? Sonft konnten all die Gefahren 
ſich erft recht erneuen, die Walde hatte abwenden wollen. 
Schwerer noch wog ein anderes Moment. Auf dem außer: 
deutſchen Preußen beruhte alles, mas. der Kurfürft feit 1646 
erreicht hatte: denn Preußen hatte ihm die Schaffung der Armee 
ermöglicht. Und nun follte er für eben diefes Preußen, den 
Grund: und Edjtein jeiner ganzen Stellung, den daheim ohn= 
mächtigen Polenkönig und der deutjchfeindlihen Republik Heeres- 
folge leiften gegen die Macht, die doch immer noch ala Schügerin 
und Retterin des Evangeliums galt? Hieß das nicht die Zu— 
kunft jeines Staats überhaupt preisgeben? Denn ob Schweden, 


III, Die Friebenserehution und der Verſuch einer deutſchen Politi, 468 


ob Polen fiegte, dem Sieger war Brandenburg-Preußen mit 
feinen vitalften Interefien ſchutzlos preisgegeben. 

Zwei Wege boten fih da. Der Kurfürft Fonnte neutral 
zu bleiben verſuchen. Mußte er dann aber nicht, wie zur Zeit 
des großen Krieges zwiſchen Kaiferlihen und Schmeben, fo 
zwifhen Schweden und Polen zermalmt zu werben fürdten? 
Auch hatte er — wie er fpäter felbft ausgefproden hat — 
binreihend erfahren, was neutral fein hieß, um vor jedem 
neuen Verſuch damit zurüdzufchreden. Daß er ſchließlich dennoch 
jein Heil darin fuchte, zeigt nur, wie fehr er noch in den 
politiſchen Vorurteilen befangen war, die feine Jugend be— 
herrſcht und feine Anfänge fo ſchwierig gemacht hatten. Den 
anderen Weg hat der Flarere und entſchloſſenere Walded gleich 
anfangs ins Auge gefaßt: aber es ift ihm nicht gelungen, den 
Kurfürften zu feiner fonjequenten Verfolgung zu bewegen. 

Das Unnatürliche und Demütigende ber preußifchen Lehens— 
abhängigkeit von Polen war jeit dem Weftfälifhen Frieden 
noch augenfälliger geworben: für feine deutjchen Lande that: 
ſächlich ſouverän, follte der Aurfürft für das Land, das den 
Neubau feines zujanımenbrehenden Staats ermöglicht hatte, 
der vollen fürftlihen Selbftherrlicfeit entbehren. Als Reichs— 
fürft im Beſitz vollen Bundesrehts und Herr über Krieg und 
Frieden, follte er als Herzog in Preußen, durch das fein Haus 
zuerſt in europäifche Beziehungen getreten war, in ben höchſten 
Akten politiſcher Selbftbeftimmung von dem Belieben der pol- 
niſchen Krone und den unberedhenbaren Zaunen des polnifhen 
Neihstags abhängig fein? Diefes Verhältnis mußte in dem 
Augenblid als unerträglich erkannt werben, wo es die Intereflen 
Brandenburgs mit denen Preußens in Kollifion brachte. Und 
das geichah jetzt. Scharfblidender als fein fürftlicher Freund 
erfannte Walde jofort die Größe der Gefahr, die mit halben 
Maßregeln nicht zu befeitigen war; entſchloſſener, vielleicht 
magemutiger als jener, faßte er auch alsbald ben Weg ins Auge, 
auf dem man allein, aber für ale Zeit, aus biefen Schwierig: 
feiten herausfommen konnte — Löfung aus der polnijchen Vajal- 
lität durch Erhebung Preußens zu einem jouveränen Herzogtum. 


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Guffche und Schulke, Deutſche Geſchichte von der Urzeit bis zu den 
Barolingern. 
Zwei Bände. Preis geheftet 12 Mark, In Halbfranz geb. 16 Mark. 
Mühlbarher, Deutſche Geſchichte unter den Karolingern. 
Preis geheftet 8 Marl. In Halbfranz geb, 10 Mark. 
Manitius, Deutfihe Geſchichte unter den ſächſiſchen und ſaliſchen Anifern, 
Preis geheftet 8 Marl. In Halbfranz geb. 10 Mark. 
Jaſtrow und Winter, Deutfche Geſchichte im Zeitalter der Hohenkaufen. 
Band 1. Preis geheftet 8 Mark. In Halbfranz geb. 10 Mark. 
Eindner, Deutſche Gefdichte unter den Habsburgern und Zuremburgern. 
Zwei Bände. Preis geheftet 12 Mark. Im Halbfranz geb. 16 Mark. 
Egelhaaf, Deutſche Geſchichte im 16. Zahrhundert bis zum Augsburger 
Beligionsfrieden. Zwei Bände, 
Preis geheftet 16 Mark. In Halbfranz geb. 20 Mark. 
Ritter, Deutſche Geſchichte im Zeitalter der Gegenreformation und des 
30 jährigen Aricges. 
Zwei Bände, Preis geheftet 14 Mark. In Halbfranz geb. 18 Mark. 
v. Bwiedinerk-Südenhork, Deutſche Geſchichte im Zeitraum der Grün- 
dung des preußiſchen Aönigtums, 
Zwei Bände. Preis geheftet 16 Mark. In Haldfranz geb. 20 Marl. 
Rofer, Friedrich; der Große. Band 1. 
Preis geheftet 8 Mark. Im Halbfranz geb. 10 Mark. 
—— II. Band, 1. Hälfte: Friedrich der Große im fiebenjährigen Kriege. 
Preis geheftet 4 Marl. 
Beigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Auf- 
löfung des alten Reiches. Band I. 
Preis geheftet 8 Mark. In Halbfranz geb. 10 Mark. 
v. Bwiedinerk-Siidenhorft, Deutſche Geſchichte von der Auflöfung des 
alten bis zur Gründung des neuen Beides. 
Band I. Preis geheftet 8 Mark. In Halbfranz geb. 10 Mark. 

















Drud der Union Deutfche Derlagsgefellferaft im Sturigart. 





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Preußiſche Geſchichte 


von 


Profefjor Dr. William Vierſon. 


Hit einer historischen Macte von Pıof. H. Kiepert. 


Vierte verbefierte und vermehrte Auflage. 


Erfter Band. 


Berlin 
Verlag von Gebrüder Baetel. 
1881. 


v 


Vorwort zur zweiten Auflage. 


Der Tert hat, wo es nötig war, Derbefferungen und befonbers 
durch die Geſchichte der letzten fieben Jahre eine erhebliche Vermehrung 
erfahren. Das Werk hat auch in feiner Ausftattung gewonnen; es liegt 
jebt in zwei handlichen und fplenbid gedruckten Bänden vor. Im wejent- 
lichen jedoch — in der Art den Stoff zu wählen, zu gruppiren und dar⸗ 

uſtellen — ift das Buch dasfelbe geblieben. So hoffe ich denn, daß es 
ſich in dieſer Auflage. zu den alten Freunden noch neue erwerben wirb. 

Berlin, ben 1. Dezember 1871. 


9. Vierſon. 


Vorwort zur dritten Auflage, 


Auch diesmal tft der Tert an mehreren Stellen, befonbers in den 
Kapiteln, welche die Beit von 1786 bis 1806 und die Greignifie feit 
1859 betreffen, vermehrt und verbeflert worden. Außerdem erhöht nun 
ein Inder, der bei der zweiten Auflage fehlte, Die Brauchbarkeit des 
Buches. 

Berlin, den 1. Mat 1874. 


9. Vierſon. 


Vorwort zur vierten Auflage. 


Die ſtets fortſchreitende Geſchichtsforſchung hat gerade in den Iepten 
Jahren zur Klärung und Berichtigimg der Kenntnis, und nicht immer 
bloß von Nebenſachen, manches Reue ergeben. Demgemäß weift mel 
Bud) aud) jept wieder mancherlei Tertverbefierung auf. Die Vermehrung 
betrifft Hauptfächlich das Schlupkapitel. 

Berlin, den 4. Juli 1880. 


8. Vierſon. 


Inhalts-Berzeihnis 


zum 
erften Bande, 
GErſtes Bud. ei 
Geſchichte der Hart Brandenburg bis zur Antunft der Hoßenzlern . . . . 1 
Die Boll 2 2 2er 1 


Die brandenburgiſchen Markgrafen aus dem Haufe Ballenftäbt . . . . 10 
nmerer Buftand der Marl unter ben Ballenftäbtern, bornehmlld im deee 





zehnten Jahrhundert 2 2 20m i9 
Brandenburgs Zerruttungg. 28 
Bwrites Bud. 
Brandenburg unter ben hohenzollerſchen Surfürken bis zum Regierungsentritt 

Friedrich Wilgelms des Großen (1416 1640.. ne 42 
Rurfift Friedrih J. ....... e 4 
Fdtiedrich II. der Eiheme 2 2 2 ee 4 
breit ÜBEE 2 ne 54 
Zohan Cicero.. 5 
Innere Buftände der Mark im 15. Sahrfundet . . » 2... . Fer?) 
Joaqhim .Rfor een @ 

¶ Die Reformation © 2 20 66 
Sufüct Sonim II. ocher und Merigeaf Johann on Adfatn [na 
Johann Georg. . . 78 

Joachim driedrich s0 
Geſqhichte des Landes Preußen bis zu feiner Vereinigung mit Brandenburg 83 
Johann Glgiemund . 22200 . 1m 
Vorgefchichte der jüliäj-Mevesbergfehen Sande » » : 2 22000 « 108 
"Der dreiniiahrige arieiee . 116 

Drittes Buch. 

GZriedrich Wilgelm, ver große Kurfürt. + 18 


MüdSIide' auf Die ältere Geſchichte des Landes Pommern . . . . . . 182 
Der weRfälfhe gFriede... ...... 2.186 


VI 


Gründung bes Sranbenburgtfärpreubilgen © Staates . 
Erwerbung der Souveränität . 

Fehrbellin .. 

Des großen Rurfürften Ichte Regierungspeit 


Snnere Buftänbe der Sranbenburgifen Staaten Im fiebyehnten Jahrhunden 


Viertes Buch. 


Bom Tode Friedrich Wilhelms des Green bis zum R Regkerumgkestrit Seletrige 


des Großen . . . 
Kurfürft Geedei IL >. 
Erhebung Preußens zum Bine. 
Sriedrich I. als König 2 22 
Ftiedrich Wilhelm J...... * 
Friedri Wilelms 1. Staatvermaltung 
Auswärtige Verhättniffe . . . 
Seiedeih Wilgelms I. Familienleben und Ende . . 


Innere Zuftände Preußens bei Friedrih Wilhelms I. Tode . 


Lünftes Bud. 


Friedrich der Große - - 222 
Briebrichs Tpronbefteigung und erfte Rstrunsinbtungen u 


Erfter ſchlefiſcher Krieg . . 
Elfen. 2200. 
Mollwitz. 
Oftfriebland 
Der zweite ſchlefiſche Fo u . 
Die Jahre des Brlebens (von 1745-1756) . 
Der fiebenjäßrige Krieg . 





Bom Huberisburger Frieden Bis zum Tode Griebrißs des Großen . 
22. 416 


Auswärtige Angelegenheiten. Die erfte Teilung Polens 
Der bairijche Erbfolgelrieg und der deutſche Fürftenbund . 
Friedrichs des Großen Ende 


nere Suftände Preußens unter Friedrich dem Großen . . 


Sechſtes Buch. 


Berfoll der alten Monarchie 
Friedrich Wilhelm IT. . 
Die Beldzüge gegen die jramdfiſche Revolution . 
Die zweite Teilung Volens 


Gorffegung der eldzlige gegen die fr ramnis· Ran . 


Die dritte Teilung Polens . 
Friedrich Wichelms II. Ende . . 
Friedrich Wilgelm III. 


mon 


Tilfit . 


. 213 
. 218 
228 
. 2335 
266 


. 23 
. 295 
. 301 


. 317 


» 507 


139 
145 
163 
177 
189 


198 


198 


274 


318 


“329 
«347 


405 


22048 
\ 488 


2.469 
.. Al 
474 

. 477 


Erfles Bud. 


Geſchichte der Dart Brandenburg bis zur Ankunft der Hohenzollern. 


Die Vorzeit, 


VDieleicht kein Volt hat auf fein Land fo viele Rechte wie das branden- 
burgifche; jeber Fuß breit Bodens ift hier von den Deutſchen in jahr- 
hundertelangen blutigen Kämpfen den Slawen abgerungen und ebenjowohl 
mit der Pflugſchar wie mit dem Schwerte erobert. Und diefe Eroberung 
nahm nur einen alten Befig wieder. Schon taufend Jahre, bevor der 
Sachſe mit dem Wenden um die Mark ftritt, wohnten Deutfche an der 
Havel und Spree; bie Geſchichte Tennt hier feine frühere Bevölkerung. 
Ihr erfter Strahl, der auf dieſe Gegenden fällt, zeigt hier das Volk der 
Semnonen feßhaft; fie waren der ältefte und ebelfte Zweig des fue- 
vifhen Stammes, melden Cäſar das größte und Triegerifchefte aller 
deutihen Völler nennt. Die Sueven breiteten fi über den ganzen 
Rordoften Deutſchlands aus, wohnten in 100 Gauen und führten jährlich 
100 000 Krieger ins Feld, bie befonders im Reiterfampfe nicht ihres- 
gleichen hatten. Nach Zacitus (90 n. Chr.) bildeten fie zwiſchen Elbe 
und Weichſel einen großen Bund militärifchen Charakters, deſſen hervor 
ftechendfte Glieder außer den Semmonen zwijchen Elbe und Harz bie 
Longobarden, in Pommern die Rugier und Burgunden, an der Netze und 
Warthe die Gothen waren. Ein Hauptheiligtum des Bundes, in einem 
Walde an der Havel, verfammelte alljährlich die Feſtgeſandtſchaften der 
Stämme zu einer gottesdienftlichen eier. Wie es bei Gbenenbewohnern 
Bierfon, preuß. Geſchichte. L 


2 Die Bozeit, 


zu geſchehen pflegt, erhob ſich unter ben Sueven frühzeitig die Monardjie; 
doch Herrichten ihre erblichen Könige mit befcjräntter Macht. Übrigens 
paßt die Beichreibung, Die Tacitus von Land und Leuten Germantens 
giebt, auch auf die öftlichen Stämme. 

Es waren gewaltige Menfchen jene alten Deutjchen, riefig an Geftalt 
und Körperfraft, mit funtelnden blauen Augen, golbblonden Haaren. Bu 
den Werfen des Friedens wenig aufgelegt, voll Verachtung gegen Hand⸗ 
werk und Handel, verftürmten fie in Jagd und Krieg ihr halbes Leben. 
Wenn es galt, den Wolf und den Bären, den Auerochſen und das Elen 
mit Spieß oder Keule zu erlegen oder gar eine Kriegsfahrt auf Aben- 
teuer und Beute mitzumachen, da war der Germane ganz Eifer und 
Thatkraft; von rafender Kampfwut aber, wenn ihm ein Feind ins Land 
fiel. Die Römer bewunderten oft feine Vaterlandsliebe; ihnen konnte 
Germanten freilich nicht gefallen. Ein rauhes Land, bedeckt mit weiten 
Sümpfen, ungeheuren Wäldern, wenig angebaut; ohne anderen Ertrag 
als Getreide, Rüben, Kohl; ohne Städte; die Häufer in den Dörfern 
und auf den Gehöften von Holz, weiß angeftrichen; die Geräte darin von 
Stein, Bronze, Eifen. Da gab es kaum irgendwo Gold und Silber; der 
Reichtum der Bewohner beftand hauptſächlich in Vieh, das zahlreich, aber 
unanſehnlich war. Ebenſo ärmlich erſchien die Tracht — ein Mantel 
von Zierfellen, bei den Reicheren außerdem enganliegende Kleider, bei 
den Frauen nod ein limmenes Untergemand — und die Bewaffnung: 
außer den Spieß höchitens noch ein Schwert und eine Lanze, felten eine 
ganze Rüftung. Dem Deutſchen aber behagte fein Leben, wenigitens 
wenn er ein freier Mann war; als foldhen erwies ihn das lange Haar, 
das bei den Sueven vorne in einen dicken Schopf geſchürzt ward, und 
die Waffe, die er nie von fich ließ. Den höchſten Grad von Freiheit 
hatte der Grundbeſihzer. Wie ein König faß derjelbe auf feinem Gut 
(Allod), den Geinigen ein Richter, Prieſter und Fürſt. Den Ader be— 
bauten ihm die Knechte, die Unfreien und Leibeigenen, die es als Kriegs- 
gefangene oder zur Strafe eines ſchändlichen Vergehens oder im Würfel- 
fpiel geworden waren. Geine Wünfche gingen über bie Wälder rings, 
die von Wild wimmelten, kaum binaus; im Grunde bramchte er feinen 
Menfchen. Das politiihe Band, das ihn mit den andern\ verfnüpfte, 
war denn auch oder genug. Eine Gemeinde von 100 Hofbeſitzern bildete 
eine Hundertſchaft, mehrere Hundertichaften den Gau. Die gemelnfamen 
Angelegenheiten dieſer Vereine, bejonders die Rechtspflege, der Krieg\ und 
die Wahl der Obrigfeiten, wurden in regelmäßigen —— 
aller freien Grundbeſitzer beraten und beſchloſſen. Der Ort war bie 
Malftatt auf dem Gemeinlande (der „Mark“), die Zeit der Bollmomd. 
Alle Befitzer waren gleichberechtigt, aber die reichten Geſchlechter, zı 
wenn fie ſich durch Klugheit und Tapferkeit hervorthaten, genoffen eim 


Die alten Deutfchen. > 


natürlichen Anfehens und übten großen Einfluß. Ihre Häupter, die 
Fürften, befaßen indes rechtlich mer fo vie Macht, als die Gemeinde 
imen freiwillig einräumte. Zum Heerführer (Herzog) wählte man den 
Tüchtigften. War der Krieg von der Gemeinde beidjlofien, fo fandte der 
Herzog von Hof zu Hof den Heerpfeil als Zeichen des Aufgebots zur 
Bolfsbewafinung (Heerbann). Mit Schild und Spieß, zu Fuß und zu 
Roß jammelten fi dann an ben Malftätten die Wehrmänner, und nad 
Geſchlechtern, Hundertſchaften, Gauen geſchart, Weiber und Kinder auf 
Bagen hinterher, ging's in die Schlacht. Weit häufiger indes als foldhe 
Bollstriege waren die Fahrten auf Abenteuer, welche die kriegsluſtige 
Jugend unternahm. Denn da die Güter in der Regel auf ben älteften 
Sohn vererbten, jo mußten die jüngeren Brüder fi) anberwärts ihren 
Beſitz ſuchen, und fie traten meift in den Dienft der Fürſten, die im 
Trieben fie ernährten oder mit ihnen einen Kriegszug auf Beute oder 
Landerwerb machten. Dies Verhältnis brachte beiden Teilen Ehre und 
Nuten, und zwifchen dem Dienftheren, der, wenn fein Gefolge groß war, 
Heerkönig hieß, und feinen Leuten herrſchte wechielfeits eine unverbrüch⸗ 
liche Treue. 

ZTapferer als irgend ein anderes Volt, gaſtfreundlich und über alles 

freiheitsitebend, zeichneten fich unfere Urväter doch am meiften durch 
Sittenftrenge und Biederfeit aus. Tacitus fagt von ihnen das fchäne 
Bort: „Niemand lacht daſelbſt über Lafter, und das Verführen und 
Berführtwerden nennt man nicht ben Lauf ber Welt. Es gelten bei 
ihnen gute Sitten mehr als anderwärts gute Gefehe.“ 

Die Frau gli) dem Manne an Zucht und Kraft, an Einfachheit 
und Gerabfinn. Ehrbar und treu verfah fie ihm das Hausweien, und 
wie ihr der Bräutigam als Hochzeitsgabe Rinder, Waffen und ein ge» 
zaͤumtes Roß gebracht hatte, zum Zeichen, daß fie in Frieden und Krieg 
feine Genoffin fei, fo zog fle, wenn es galt, mit in die Schlacht, vor der 
Bagenburg herab Mann und Söhne anzufenern. Nirgends in der Welt 
war die Ehe würbiger, Vielweiberei jeltener. Man ehrte etwas Heiliges 
in den Frauen und hörte gern auf ihren Rat. Im Haufe fchalteten fie 
den Männern gleichberechtigt. 

Gab's für den Deutichen feinen Jagd» oder Kriegszug, fo konnte er 
ganze Tage auf der Bärenhaut verträumen. Aber über Die Maßen liebte 
er Zechgelage, wenn die Hörner des Urs voll Bier ober Met im Kreife 
Yerumgingen, und die Heldenfänger, Die Stalben, zum Harfentlange und 
Baffengellirr die alten Kriegslieder anftimmten, von Tuisko, dem gött- 
lichen Stammvater der Deutfchen, oder von Herman, ber den Varus 
ſchiug, und anderen Helden. Diefe Lieber erzählten ihm von Vergangen- 
beit und Zukunft; Sage und Religion verwoben fi) darin. Es gab eine 
Art von Schrift, die Rumen, aber fie diente nur zu religiöſem Gebrauche. 

1 


4 Die Vorzeit, 


Aus höchfter Gott, von dem aller Sieg kam, wurde Wodan verehrt, 
der mit Wunſchelrute und Wunſchelhut im Sturme furchtbar baherfuhr; 
ihm war die Sonne heilig und ber Wolf. Unter ihm herrſchten ber 
Kriegsgott Ziu und der wilde Donnergott Donar, deſſen heiliges Tier 
der Fuchs war; und Freir mit feiner Gemahlin Freia, die Gottheiten 
des Friedens und der Fruchtbarkeit, ber Liebe und Freude. Diefen Göttern 
und auf Rügen*) der Mutter Erde wurde bei großen Opferfeften an der 
Malftatt oder unter heiligen Bäumen geopfert, von Prieftern, die e8 durch 
Alter und ererbte Weisheit waren. Auch an Riefen und Zwerge, Elfen 
und Kobolde glaubte das Volt. Nach dem Tode hoffte der Krieger von 
den Walkyren, den Giegesgöttinnen, nad) Walhalla emporgetragen zu 
werben, in einen Himmel des Kampfes und ber Gelage. In der Schlacht 
zu fterben ſchien daher ein Glück, und ohne viel Klage begrub oder ver- 
brannte man den Toten famt feinen Waffen, feinem Hunde und Roſſe. 

Jahrhunderte lang hauften unfere Uräter fo, ſchlicht und recht, frei 
und tüchtig an Leib und Seele, zufrieden mit ihrem rauhen Lande, in 
dem ſie ſich eingeboren glaubten: Die Erde, fo hieß es im ihren alten 
Liedern, gebar den göttlichen Tuisto (den „Deutichen“), und Tuisko 
zeugte den Manns (den „Menfchen"). Ein äußerer Anlaß, die hunniſche 
Völkerwanderung, brachte im 4. und 5. Zahrhundert den tief in ihnen 
ſteckenden Wandertrieb, der fie einft aus Aften nad) Deutſchland geführt, 
zu mädtigftem Ausbruch. Faſt alle Stämme erhoben fi) ganz ober 
teilweife, freiwillig oder von den Nachbarn gebrängt, aus ihren alten 
Sitzen und wanderten dem fchönen Süden und Weiten zu. Bor dieſen 
Fluten aus dem märnmerreichen Germanten barften alle Dämme, die 
bisher das römiſche Neid, mühfam gefhüßt; es fiel in Die Gewalt der 
Barbaren, die darauf neue Reiche gründeten. 

Die maffenhafte Auswanderımg hatte in den Beftand der Bevölkerung 
Deutſchlands große Lüden gerifien. Beinahe das ganze ehemalige Sueven- 
land war geräumt; in die leeren Sie rückten jeßt bie Nachbarn im Dften, 
die Slawen, ein. Seit dem fechften Jahrhundert breiteten fie fi vom 
Duellgebiet des Dniepr und ber Wolga, ihrer Heimat, bis zur Oſtſee 
und dem adriatifchen Meer, in die ruffiichen Steppen und bis zur Elbe 
und Saale, dem Böhmerwald und Inn aus, ein zahlreiches, in viele 
Stämme geipaltenes Volt; die in das Suevenland drangen — bie Sorben 
zwiſchen Bober und Saale, Mittelelbe und Havel, die Lutizen an ber 
Havel und Peene, die Abotriten in Medlenburg und Vorpommern — 
wurden von ihren Nachbarn, ben Sachſen, mit dem gemeinfamen Namen 
Benden benannt. 

Zwiſchen den Sachſen (d. 5. den Deutichen, welde das Land von 


H Rach anderen auf Alfen oder auf Fehmarn. 


Chriſtianiſtung. — Lehnswefen. 5 


der Niederelbe bis zur Ems und von ber Nordſee bis Heflen und Ihü- 
ringen bewohnten) und den Wenden beftand über 200 Jahre lang ein 
freundfchaftliches Verhältnis; als jene aber durch Karl den Großen zum 
Ehriftentum befehrt und gleich den übrigen deutſchen Stämmen in das 
große Frankenreich eingefügt waren, da trat an der Elbe das deutſche 
Weſen gegen das ſlawiſche in einen Kampf, ber von Generation zu 
Generation erbitterter wurde. Es ging mit den Deutfchen in dieſer Zeit 
eine wejentliche Veränderung vor. Sie waren Chriften geworden und 
hingen dem neuen Glauben bald mit glühender Liebe an. Sie waren 
dieit 843) zu einer politifchen Einheit gelommen, und ihre dadurch ver- 
ftärfte Kraft wendete ſich gegen die heidniſchen Nachbarn, welche zu be— 
kampfen außer irdiſchen Vorteilen auch den Segen des Himmels brachte. 
Surmer entjchiebener Ienkten fie zugleich in die Wege zivilifirter Nationen 
ein; mit dem Ehriftentum hatten fie von ben Romanen auch manches 
andere Bildungselement empfangen. Freilich kam auch viel Schlimmes 
über den Rhein, zumal das Lehnsweſen, das raſch die alte Volks⸗ 
freiheit überwucherte. Denn da bie Macht des Königs hauptſächlich auf 
der Größe feines Kriegsgefolges beruhte, fo fuchte er möglichft viele und 
vornehme. Dienftmannen an feine Perſon zu feffeln; er verficherte fich 
ihrer Treue dadurch, daf er ihnen Güter auf fo lange lieh, als fie ihm 
Kriegsbienfte leiften würden. Die Großen ahmten dies nach, und mancher 
ftarte Nachbar ließ nicht ab, den Geringeren zu bebrängen, bis biefer 
fein freies Gut aufgab und es von ihm zu Lehen nahm. Andere trieb 
bie Not ber Zeit, fich freiwillig unter den Schuß eines Mächtigeren zu 
begeben. Mit der Freiheit des Bodens wid, aber leicht auch die per- 
Tönliche Freiheit, und aus freien Bauern wurden mit der Zeit hörige 
Knechte. Doch gab es auch Gegenden, namentlich in Sachſen, wo fid) 
das Volk feine Freiheit bewahrte. Selbſt die Vollsverfanmlungen, die 
mehr und mehr den Gerichtshöfen ber Grafen ober Königlichen Richter 
Platz machen mußten, erhielten fi bie und da. Neben ben Grafen 
und den Vertretern der Stämme, ben Herzögen, welde nun ben hohen 
Adel ausmachten, erhob fich die Geiftlichkeit zu größtem Anfehen. Es 
galt als verbienftlich, Kirchen und Klöfter reich auszuftatten, und da der 
Reichtum in Grundbeſitz, in Land und Leuten, beftand, jo hatten die 
Biſchöfe und Abte bald weite Gebiete, in denen fie als Fürften ſchalteten. 
Auch das ſtädtiſche Weſen, bisher nur an ben alten Römergrengen 
Donau und Rhein eingebürgert, faßte nun im inneren Deutjchland Fuß. 
Alle diefe Veränderungen gewöhnten das Volt allmählich an ein geord- 
netes Zuſammenwirken, und nachdem es die Krone an die Sachſen ge 
geben, wurde es zu einer ftarfen, mächtigen Nation. - Durch Heinrich I. 
(919—936) Tam denn auch in die Yeindfeligfeiten gegen bie Wenden 
Blan und Methode; die Deutſchen drangen feitdem fyftematifch und nach- 


6 Die Borzelt, 


drüclich wieder nad) Often vor; aber äm träftigften und erfolgreichften 
war biefer Rückſchlag im Norden, wo er von der gewaltigen umd zähen 
Thatkraft bes ſächſiſchen Stammes felbft ausging. 

Doc) war es fein verächtlicher Gegner, gegen ben bie Sachſen nun 
den Vernichtungskampf eröffneten; er bewies es, denn biefer Krieg hat 
Sahrhunderte gebauert. Auch die Wenden waren ein zahlreiches und 
kriegeriſches Bolt, auch fie ſpornte unbänbige Freiheitsliebe und der 
Glaube, daf die in der Schlacht Gefallenen zu befonderer Geligfeit ein» 
gingen. Im der Bildung ftanden fie den Sachſen wenigftens gleich; fie 
wohnten in Burgen, Dörfern und Städten und hatten ihr Land in gute 
Kultur gebradjt. Die Wieſen zwiſchen den Wäldern und Sümpfen nährten 
zahlreiche Viehherden; die Acer und Gärten trugen hinreichend Weizen, 
Hirfe, Mohn, Gemüfe und Obft; die Bienenzucht lieferte Honig und 
Met genug. Neben der Landwirtichaft trieb man Jagd und Fiſchfang, 
aud) einige Gewerbe, befonbers Weberei. Der Handel war flarf im 
Schwunge, am meiften an ber Seeküſte. Die Richtung und Schiffbarkeit 
der Flüffe (Spree, Havel, Elbe, Oder) machten das nach Nord- unb 
Dftfee offene Land zum Schauplah eines regen Verkehrs. Der Hauptfig 
des Seehandels war die altberühmte Wendenftabt Julin (BWollin) mit 
einem Hafen, der oft 300 Schiffe umfahte. Denn von Deutichland, 
Dänemark, von allen Slawenländern und felbft aus dem byzantinifchen 
Reiche ſtrömten Kaufleute dort zufammen, um wenbifche Leinwand, 
preußiſchen Bernftein, ruſfiſches Pelzwerk einzutaufchen. Bon hier gingen 
dann die Erzeugnifie fremden Kunftfleißes, Metallwaren, Armbänder, 
Ringe, römische und arabifche Münzen, Glasperlen u. a., weit in das 
Innere der ſlawiſchen Länder. Julins Blütezeit war im 10. und 
11. Jahrhundert. Im Jahre 1175 wurde dieſe reiche Stabt von ben 
Dänen ausgeraubt ımd faft zerftört; ſeitdem erholte fie fich nicht mehr; 
leicht gebaut, wie fie geweſen, hat fie nicht einmal Spuren ihres Da- 
feins Hinterlaffen; das Meer fra allmählich, felbft ben Boden, wo fie 


Die Wenden waren ein Fräftiger Menfchenichlag, von gedrungenem 
Körperbau, nicht beſonders groß, fletfchig, mit Dunkeln Haaren und Augen. 
Hige und Kälte, Hunger und Durft ertrugen fie leicht. Sie Meibeten 
fh nad) morgenländifcher Art in lange Gewänber. Auch in ihrem 
Charakter erinnerte manches an den Orient. Die Stellung der Frau 
war bei ihnen hart und unwürdig; fie war die Sklavin des Mannes, 
der über fie wie über alle feine Angehörigen unbeſchränkt verfügte. Auch 
herrſchte Vielweiberei. Es war baher nichts Seltenes, daß eine Mutter 
ihr neugeborenes Mädchen tötete, um es einer reizlofen und mühevollen 
Huhmft zu entziehen. Andererfeit3 ließen fich altersſchwache Eltern vom 
ihren Kindern töten, weil das Diesjeits ihnen unerträglich fehien, und 


Die alten Wenden. 7 


ein gewaltiamer Tob in ein befieres Leben führte. Man fand an den 
Wenden jebod) auch viel zu rühmen. Gin hervorftechender Zug in ihrem 
Weſen war die ftrenge Ehrlichkeit; es gab unter ihnen feinen Dieb und 
Räuber, daher auch weber Schloß noch Riegel, und die Lüge verabfcheuten 
fie wie den Diebftahl. Allgemein übten fie Die Tugend der Gaftfreundfchaft 
und waren mild und wohlthätig gegen Arme. 

Ihr politiicher Zuftand neigte wie bei allen Slawen zur Dligardjie, 
Urſprünglich waren die Freien einander an Rechten gleich; jede Gemeinde 
entſchied ihre Beratungen nach Stimmenmehrheit und wählte fich ebenfo 
den Friedensrichter (Zupan) und den Heerführer (Woiwod). Mit ber 
Zeit bildete fid) aus den Reicheren und aus Denen, bie fi im Kriege 
oder al8 Priefter ein größeres Anfehen erworben hatten, ein erblicher Adels- 
ftand, defien Häupter zu Fürften (Knäfen) wurden. Jeder Stamm mußte 
nun feinen Fürften Abgaben zahlen und Kriegsbienfte leiften, und die 
ſchwerſten Laften fielen auch hier auf die Gemeinen. Je mehr der Adel 
auftam, deſto größer wurbe bie Zahl derer, Die aus freien Bauern zu 
keibeigenen Knechten herabjanten. . 

Trat Krieg ein, fo mußte jeder freie wehrhafte Mann mit Schild, 
Spieß und Schwert oder Bogen und Pfeilen oder einer Keule ins Feld. 
In Abteilungen zu 10, 100, 1000 zogen fie aus, jede Gemeinde unter 
ihrem Bupan, mehrere Haufen unter einem Knäfen, voran die heiligen 
Fahnen oder Göpenbilder auf Stangen. Die Wenden kämpften wmeift 
tapfer, in ber Regel zu Fuß. Auf dem Rüczuge flüchteten fie hinter 
die Gräben und Wälle ihrer befeftigten Pläge, verbrannten ihre hölzernen 
Hütten und vergruben ihr Korn und die wertvollen Geräte. Die ein- 
zelnen Stämme umſchlang kein politiſches Band, fie lagen vielmehr 
unter einander fortwährend im Kampfe, der aud) dann felten aufhörte, 
wenn fie von ben Deutſchen bedrängt wurden. Die Wenden hatten alſo 
viel Übung im Kriegsweien; gleichwohl ftanben fie hierin an Tüchtigkeit 
und Zucht ben Deutſchen immer nad. Auch zur See, bie fie öfter als 
Räuber wie als Kaufleute befuhren, kamen fie den germanifchen Bölfern 
nie gleich. 

Die Toten wurden feierlich verbrannt; ihre Aſche that man in 
thönerne Urnen, fügte mancherlei Schmudfachen bei und beftattete alles 
in fleinemen Grabmälern auf den gemeinfchaftlichen Begräbnispläßen. 

Ale Slawen glaubten an einen höchſten Gott im Himmel, den 
Belbog (weißen oder guten Gott); das Licht, das Feuer, die Some mit 
allem ihrem Segen kamen von ihm. Die Yinfternis dagegen und alles 
Böfe in der Welt war das Reich des Czernybog, bes ſchwarzen böſen 
Gottes. Außer diefen oberen Gottheiten verehrten die Wenben noch 
Untergötter, vornehmlich den Kriegsgott Radegaft; er gab Kraft, Weisheit, 
Sieg; fein Haupttempel ftand zu Rethre (bei Prillwitz in Medlenburg). 


8 Die Vorzeit. 


Dort feierte man feine Zefte, bei denen ihm oft Kriegsgefangene als 
Opfer geichlachtet wurden. Noch allgemeiner betete man den Triglaf an 
(den breifäpfigen, den Herrn des Himmels, der Erde und der Unterwelt); 
befonders zu Stettin und Brandenburg. hatte er große und prächtige 
Tempel. Die Slawen auf Rügen, die Rugianen, verehrten den Swantewit 
(die heilige Sonne). Sein Tempel zu Arkona auf Rügen war in ſolchem 
Anfehen, daß feine Priefter wie Fürſten über das Bolt herrichten. 
Jeder Rugianer mußte dem Gotte ein Kopfgeld zahlen, jeder landende 
Kaufmann einen Zoll entrichten. Von weit her holten aud) andere 
Slawen die Wahrjagungen und Ratſchläge der Diener Gottes und be 
zahlten ihre Orakelſprüche mit reichen Geſchenken. 

Überhaupt genoffen die Priefter bei den Slawen große Ehre; ihre 
Stimme galt oft fo viel und mehr als die des Fürſten. Überall brachte 
ihnen das Volt die Erftlinge der Feldfrucht und der Herden und einen 
Zeil der Kriegsbente als Opfer für die Gößen, und ohne ihren Spruch, 
der ben göttlichen Willen verkünden follte, wurde Fein Krieg angefangen, 
tein Frieden geſchlofſen. Sie waren e3 denn aud), bie bei ben Wenben 
immer am eifrigften zum Widerftande gegen die andringenden Deutjchen 
trieben. Sie durften e8; denn es galt mit dem Glauben auch Freiheit 
und Vollstum zu verteidigen. Drei Dinge waren e8 ja immer, welche 
der Feind verlangte: Tribut, Unterwerfung unter die Oberhoheit bes 
deutſchen Reiches und Belehrung zum Chriftentum. 

Diefe Forderungen ſetzte mın zuerft König Heinrich I. durch; wenig. 
ftens die Heveller am der Havel,- deren Hauptfefte Brennabor (Branden- 
burg) 928 erobert wurbe, die Redarier, zwiſchen Havel und Peene, die 
Sorben in der Lauſitz und die Ufrer an der Ucer mußten, ben fächftichen 
Waffen umterlegen, ſich feinem Willen fügen. Die Eroberung zu behaupten 
und weiter auszubehnen, ſetzte er hier Markgrafen ein, d. h. Militär- 
beamte, welche die Mark oder Grenze an Stelle des Königs zu beſchützen 
hatten. Ihre Aufgabe mar ſchwer genug, denn die Wenden bemipten 
jede Gelegenheit zum Aufftande, um das verhaßte Joch wieber abzu- 
ſchütteln. Anfangs doch ohne Erfolg. Unter Heinrichs Nachfolger, Otto 
dem Großen, breitete fi) Die deutſche Herrihaft ſogar noch weiter, 
bis zur Ober, aus. Es war dies vornehmlich dem Markgrafen Gero 
zu danken, einem gewaltigen Kriegsmann, ber bie verwegenfte Thatkraft 
mit fehlauer Lift zu verbinden wußte. Einft Hatten ſich dreißig wenbifche 
Häuptlinge verſchworen, ihn zu ermorden; er lockte fie auf feine Burg 
und ließ fie niedermachen. Nur einer entrann und erregte einen Aufs 
ftand, der indes raſch ımterdrüdt wurde (940). Um die Befeftigung des 
Gewonnenen erwarb ſich der König felber erhebliche Verdienfte, indem 
er durch manche Auge Einrichtung in den mwendifchen Marken deutſches 
Weſen anpflanzte: namentlich wurben viele deutfhe Dienftmannen an- 


Gründung der Norbmart, 9 


gefiebelt, und zur Belehrung der Heiden Bistümer geftiftet — Havelberg 
im Jahre 946, Meißen 948, Brandenburg 949, Zeiz, Merjeburg und 
über alle diefe das Erzbistum Magdeburg im Jahre 968. Um den Ge— 
Ihäfts- und Machtkreis des Markgrafen doch auch nicht übermäßig wer- 
den zu lafien, teilte Otto d. Gr. nach Geros Tode 965 das eroberte 
Wendenland in drei Marken, die Nordmark, die Oſtmark (Laufig) und 
die Mark Meißen. Die Nordmark umfaßte das Land vom Harz bis 
zur untern Havel und hieß fpäter Altmark; ihr Hauptort war Salz-⸗ 
webel. Sie ift ber Stern gewefen, aus dem nachmals die Mark Branden⸗ 
burg erwuchs. Doc; gerabe fie wollte zuerſt am wenigften gedeihen. 
Ottos Anfieblungen gingen bier nirgends tief ins Land hinein; der Ge— 
horſam der Unterjochten beruhte daher mehr auf der Meinung, die fie 
von ber entfernten Macht des Kaifers hatten, als auf ihrer Furcht vor 
dem Markgrafen; denn diefer bejaß feine großen Streitmittel. Zwar 
zogen überall Priefter und Mönche durch das Land und predigten eifrig 
das Evangelium. Aber die Belehrung blieb eine rein Außerlihe. Ihre 
Sprache und Zeremonien waren bem Volle meift unverſtändlich; e8 
haßte in den chriftlichen Sendboten die deutſchen Dränger, und Chrift 
werben bebeutete ihm Knechtſchaft, bedeutete Unterwerfung unter die Ge— 
waltthaten und Erprefiungen, die ſich die ſächſiſchen Krieger erlaubten, 
unter den Behnten, den Die chriftliche Geiftlichfeit forderte. Auch der 
Stolz der Zwingherren empörte. Hielt doch der Sachſe den Slawen für 
unehrlich, für ein Weſen geringerer Art, mit dem gar durch Ehebande 
fich zu vereinigen fchimpflich gewefen wäre. Dazu kam die Graufamteit, 
mit welcher manche ber ſächſiſchen Herren ihre Untergebnen behandelten. 
So konnte das wendifche Volt dem nur mit Gewalt zur Taufe gebracht 
werben, und die Sehnfucht nad) den alten Göttern und ber alten Frei» 
beit blieb in den Herzen wie ein heimlicher Brand. Als nun 983 bie 
Kunde von Kaifer Ottos I.” Niederlage und Zode aus Stalien nad 
Deutſchland und in die Slawenländer drang, da fam der ftille Grimm 
der Wenden zum wütenden Ausbruch. Wie ein Mann erhoben fid) die 
Abotriten und Lutizen, zerftörten die Kirchen, ſchlachteten die chriftlichen 
Priefter auf den Altären der Götter, vernichteten mit Feuer und Schwert 
in ihrem Lande jede Spur von Chriftentum und Deutfchtum. Die Rid;- 
tung auf alien, in die das deutſche Königtum durch feine Verbindung 
mit der römischen Kaiferwürde geraten war, dann, feit die Franken bie 
deutjhe Krone an fich gebracht Hatten, der Zwieſpalt zwiſchen den 
Intereſſen des Kaifers und der ſächſiſchen Fürſten erleichterte die An- 
firengungen, mit denen die Wenden der Nordmark die wieder ertungene 
Freiheit behaupteten. Oft fielen fie jelbft ihrerjeit$ raubend und morbend 
über die Elbe ins Nachbarland ein, und gar im Jahre 1056, wo fie 
den Sachſen bei Priplama an der Havelmündung eine große Niederlage 


10 Die brandenburgiſchen Markgrafen ans dem Haufe Ballenftäbt. 


beibrachten, verbreiteten fie dort weithin den Schreden. Die Bistümer 
Brandenburg und Havelberg beitanden faft 200 Jahre lang nur dem, 
Namen nad, nur „in partibus“. Es gab zwar immer noch Grafen ber 
Nordmark — fie gehörten meift den Häufern Walbeck und Stade an — 
aber Teiner vermochte e8, Die Eroberung Heinrichs I. und Ottos I. wieder 
zum Reiche zu bringen. 

Nur als Kaufleute drangen nun bie Deutſchen noch über Havel und 
Spree, über Peene, Uder und Ober; denn der Handel mit ben Slawen 
war immer ‚beträchtlich. ine Hauptftraße desfelben ging im 10. und 
11. Zahrhundert von Hamburg nach Zulin, von dort meift zu Lande nach 
Gyddaniſt (Danzig) und Preußen und über Samland nah Oftrogard, 
dem fpäteren Rowgorod, von da an den Diiepr nad) Kiew, wo dieſe 
Linie mit den Handelswegen zufammentraf, die aus dem Morgenlande, 
aus Aften, Tamen. 


Die braudenburgiſchen Markgrafen uns dem Zauſe 
Ballenſtãdt. 


1134—1319. 


Zängft war das Kreuz bei Tſchechen ımd Polen, bei Sorben und 
Pommern, ja jelbft im fernen Rußland zur Herrſchaft gelangt; nur bie 
Abotriten und Lutizen, allein von allen Slawen, und am Baltaftrande 
die Preußen widerftanden noch. Im 12. und 13. Jahrhundert erlagen 
auch fie. Denn im diefer Zeit nahm das Deutfchtum den mächtigften 
Aufſchwung, teils durch die vorzüglichen Gaben der großen Kaifer, die 
jet den Thron einnahmen, Helden und Staatsmänner wie Friedrich J. 
und II. von Hohenftaufen, teils und am meiften durch die eigenen An« 
ftrengungen des beutfchen Volles, das nun in allen Werken bes Friedens 
wie des Krieges den andern Rationen boranftrebte. Seiner regfamen 
und ausdauernden Thätigfeit ward es daheim bald zu eng; fie wandte 
fich Teicht dem Nordoften zu, wo bie fromme Begeifterung Heiden zu 
befämpfen, zu befehren, wo der Kaufmann, ber Anfiebler weite, reiche 
Gebiete der Arbeit und des Erwerbes fand. Kluge und tapfere Fürften 
brachen die Bahn und leiteten den Strom; mit befonderem Geſchick und 
Erfolge that es der Mann, ben die Geſchichte den Gründer des branben- 
burgiſchen Staates nennt: Albreht ber Bär, Graf von Ballenftädt. 

Die Ballenftädter, oder wie fie nad) ihren fpäteren Sigen — bem 
Schloß Anhalt im Sellkethal und der Stadt Aſchersleben (Ascania) — 
aud) heißen, die Anhaltiner oder Askauier, waren ein altes, reiches 
Grafengeſchlecht ſächſiſchen Stammes, kamen aber erft Dann zu größerer 
Bedeutung, als fie durch eine Heirat des Grafen Otto mit Eilite, ber 
Tochter des Iepten billungifchen Herzogs von Sachfen, auf dieſes Herzog. 


Albrecht der Bär. 11 


tum eine gewiffe Anwartſchaft erhalten zu haben fchienen. Ottos und 
Eilifes Sohn, Albrecht der Schöne (um das Jahr 1100 geboren), wurbe 
durch jene Ausficht zu einem Ehrgeiz entflammt, ber ihn an ber Ver- 
waltung feines angeftammten Beſitzes Teine Befriedigung finden ließ. 
&r dürflete nach größeren Thaten. Durch Tapferkeit, die ihm den Bei⸗ 
namen be3 Bären eingetragen, erwarb er fich Die Achtung, durch treue 
Dienfte in Italien den Dank des Kaifers Lothar. Täuſchte ihn auch 
feine Hoffnung auf bie fähftfche Herzogswürde, fo wurbe ihm doch ein 
Zehen zu teil, das feinem hodjftrebenben, thateniuftigen Geifte Den wei⸗ 
teften Spielraum bot; er erhielt (1134) bie Rorbmart. 

Ihr Beftand war freilich gering; fie umfaßte faum mehr als bie 
heutige Altmark; öftlich der Elbe gehörte dazu nur noch ber Landftrich 
bei Havelberg zwifchen der Havel und ber Elbe. Aber die Umftände, fie 
zu erweitern, waren gerade jept recht günftig. Die Lutizen, eine zeitlang 
mit den Abotriten zu einem Reiche verbunden, hatten fi) unlängft von 
diefen getrennt und zerfielen num wieder in mehrere Stämme unter eigenen 
Fürften. So gelang es bem neuen Markgrafen ſchon im Winter 1136 
bis 1137 ihnen die Priegnitz abzuringen. Doch zu einer noch wichtie 
geren Erwerbung ift er auf frieblichem Wege gelommen. Der Fürft der 
Heveller, Pribislaw von Brandenburg, war Chrift geworben und mit 
der markgräflichen Familie in ein nahes freundſchaftliches Verhältnis ge 
treten; er hatte dem Söhnchen Albrechts des Bären einen Zeil feines 
Gebiets, die Zauche (zwiſchen Havel, Plaue und Nuthe), zum Paten 
geſchenk gemacht; im Jahre 1136 fehte er mm ben Markgrafen felber 
zum Erben feines übrigen Landes (zwifchen Havel und Rhin) ein. Es 
war auf Grund biefer Schenkung, daß fich Albrecht ſeitdem Markgraf 
von Brandenburg nannte. 

Indeſſen che er fich dieſes Zuwachſes feiner Macht recht freuen 
torte, hatte er noch manche Wechielfälle bes Glücks zu beftehen. Er 
erhielt vom Hohenftaufen Konrad III., für den er gegen bie Welfen 
Partei ergriff, 1138 das Herzogtum Sachſen, verlor es alsbald. wieder 
an die Welfen, verlor felbft die Nordmark; er war einige Jahre ein 
Fürft ohne Land. Erft 1142 auf dem Reichstage zu Frankfurt a. M. 
kam der Friebe zu ſtande; Albrecht verzichtete zu Gunften Heinrichs bes 
Löwen auf Sachfen, dagegen gaben ihm die Welfen die Nordmark zurüd. 
Im Jahre 1150 ftarb Pribislaw*), und nun zog Albrecht als Herr in 
Brandenburg ein. In ber Nordmark war er nod) bes Herzogs von 
Sachſen Bafall, in dieſem neuen Gebiet an ber Havel (ber fpäteren 
Mittelmark) hatte er nur den Kaifer über fi. Konrad III. beftätigte 
& ihm, indem er ihn mit der neuen Markgrafihaft Brandenburg als 


*) d. Heinemann, Albrecht ber Bär, 1864, ©. 37. 


12 Die brandenburgiffen Markgrafen aus dem Haufe Ballenftädt. 


einem erblichen Reihsfürftentum belehnte und mit berfelben ein 
hohes Reichsamt, die Erzkämmererwürde, verband, Die bisher bei 
den Herzögen von Schwaben geweſen war. 

Mit neuem Gifer verfolgte Albrecht mın fein Ziel, die nod) hetdni- 
ſchen Slawen für immer Chrifto und dem beutfchen Reiche zu umter- 
werfen. Auch er vertraute zunächft auf das Schwert; wie manchen 
Kreuzzug, namentlich in Verbindung mit Heinrich dem Löwen, hat er 
gegen die Lutizen und Abotriten unternommen! Einen Aufftand ber 
‚Heveller, den Pribislaws Verwandter, Fürft Jaczo von Köpnick, erregt 
hatte, ſchlug er (1157) glücklich nieder, und die Befiegten mußten fich 
taufen laſſen. Aber als das befte Mittel, auch das überelbiſche Land 
deutſch und chriftlic zu machen, erfannte er bald die Schöpfung beut- 
ſcher Kolonien, wie folge, namentlich niederländiſcher Herkunft, in der 
Altmark ſchon feit 1143 blühten; er wandte nun dieſes Mittel aud) an 
der Havel und in großartigem Maßftabe an. Es war ihm nicht genug, 
daß er-jedem feiner Krieger je nach Verdienft ein mehr oder minder be= 
trächtliches Grundftüc, wohl auch eine Burg zu Lehen gegeben; daß fich 
nun an dem gefährbeten Oftgrenzen zu Kremmen, Bötzow, Spandau, 
Potsdam, Trebbin feite Burgen mit ftarker Beſatzung erhoben; daß 
auf feine Bitte Brüder der Ritterorben von St. Johann und vom 
Tempel, deren Nutzen er auf einer Pilgerfahrt ins heilige Land (1158) 
kennen gelernt hatte, ſich in ber Mark niederliegen, um bei der Belehrung 
der Wenden mit ihren weltlichen und geiftlichen Waffen zu helfen; daß 
endlich) auch die zerftörten Bistümer wiederhergeftellt, Kirchen und Klöſter 
gebaut, Mönche herbeigezogen waren; alle diefe deutfchen Elemente konnten 
wohl einen deutſchen Herren- und Priefterftand, aber kaum eine deutſche 
Bevölkerung ergeben; die Einwanderung aus Deutichland mußte mafjen- 
bafter gefchehen, der Bauer und Bürger fich daran beteiligen. Albrecht 
ließ daher durch ganz Deutjchland Aufrufe ergehen, die auch ben ge- 
meinen Mann zur Überfiedelung nad) der Mark einluden. Land genug 
ftand ja Hier zur Verfügung. Viele Heveller hatten es vorgezogen, lieber 
von Haus und Hof zu weichen, als fi) der neuen Herrichaft zu fügen; 
andere Zandftriche Tagen noch von altersher in Folge der langen Kriege 
wüſt. Die Anerbietungen, die ber Markgraf machte, waren denn auch 
fo Iodtend, daß (jeit 1159) große Scharen von Anzöglingen erfchienen. 
Die meiften kamen aus Ylandern, Holland, Friesland, Weftfalen. Sie 
erhielten gegen beftimmte Abgaben und Kriegsdienfte Landbefig, legten 
Dörfer an und bebauten befonbers die vielen jumpfigen Niederungen, die 
fie durch Abdämmen und Austrodnen bald in ertragreichen Boben ver- 
wanbelten. Es waren fleißige und geſchickte Leute, die auch manche 
Kunftfertigfeit, manches neue Gewerbe mitbrachten, unter anderm nad) 
niederlänbifcher Art den Badteinbau ftatt des wendiſchen Feldfteinbaues. 


Abret der Bi, 13 


Aus den größeren Anfiedelungen, vornehmlich um die Burgen und Bis 
ſchofsſtze, bildeten fi bald Städte mit deutſchen Einrichtungen, geſchützt 
durd Mauern und vom Markgrafen mit vielen Freiheiten und Rechten 
begabt. Raſch zog fi ber Handel dorthin, und mit dem Wohlftande 
wuchſen Macht und Bildung. Diefe Kultur wirkte mehr als das Echwert. 
Die Wenden befreundeten ſich allmählich mit dem deutſchen Weſen, feit 
fie zu ihm als zu einer höheren Stufe der Gefittung aufblicken mußten. 
Sie fahen die Vorteile, Die es in der Wirtſchaft wie im Staate bradjte, 
und nahmen allmählid, eine nad) der andern, die deutſchen Sitten und 
Beifen an. Am ſchnellſten ging dieſe Verdeutſchung bei dem wendifchen 
Adel vor fich. AMbredt ftellte ihm Aüglic, dem deutſchen gleich; bie Folge 
war, daß bie Edelleute in der Mark, weldyes Stammes fie aud) fein 
mochten, gegen die mit Abgaben belafteten wendiſchen Bauern ein ge- 
meinfames Intereſſe hatten. Diefes ftarke Band hielt die beiden Na- 
tionalitäten zufammen, bis Wechſelheiraten zuleßt jeden Unterſchied ver- 
wiſchten. 

So kehrten unter Albrechts weiſer Verwaltung der Friede und die 
Ordnung in die Mark zurück, und was die mächtigen Herzöge von Sachſen 
und fo viele Markgrafen vor ihm vergebens verfucht hatten, ihm war es 
gelmgen. Als er (am 8. Noveniber 1179) ftarb, hatte das Chriftentum 
und das Deutfchtum in dem Wenbenlande an ber Havel und Spree bes 
zeit fefte Wurzeln gefaßt. 

Auf den Wegen, die er einſchlug, find dann alle Markgrafen aus 
dem Haufe Ballenftädt gegangen. Auch darin waren fie ihm ähnlich, 
daß fie bei dem inneren Wirren des beutfchen Reichs ftets treu zum 
Kaiſer hielten; — eine richtige Politit; denn zum Vorkämpfer des Reichs 
nad) außen hin beftellt, konnten fie kaum in den Fall kommen, zwifchen 
ihrem eigenen Vorteil und dem Intereſſe bes Katfers wählen zu müflen. 
Durch ſolche Politit, durch eigene Anftrengungen bei vorzüglicher Be— 
gabung und durch feltene Eintracht in ihrer Familie erftiegen die Ballen- 
ftädter bald eine Höhe von Macht und Größe, welche jedes andere norb- 
deutſche Fürftengefchledht überragte. Dabei wurben fie durch äußere Um⸗ 
ftände, beſonders durch dem Sturz Heinrichs des Löwen (1180) gefördert. 
Denn ber Kaifer Friedrich Rotbart zerftücelte nun das allzu mächtige 
Herzogtum Sachſen, gab dieſe Würde mit einem Teil ber Lehen an den 
Anhaltiner Bernhard, den jüngften Sohn Albrechts des Bären, Stamm- 
vater der heutigen anhaltiſchen Fürften, und übertrug manche Rechte und 
Ehren, welche Sachſen gehabt, dem Markgrafen von Brandenburg. So 
gewann Otto I., Albrechis ältefter Sohn (1170-1184), namentlich bie 
Lehnshoheit über Mecklenburg und Pommern (1181). 

Diefe Länder waren damals, zum Teil durch die Bemühungen Hein- 
richs des Löwen, vornehmlich aber durch die einheimifchen Fürften felber 


14 Die brandenburgiſchen Markgrafen aus bem Haufe Ballenftäbt. 


dem Chriftentum und dem beutichen Reiche zugeführt worden. Schon 
1124 hatte Bifchof Otto von Bamberg, ber „Apoftel ber Ponmern“, 
mit Hilfe des Chrift gewordenen Herzogs Wratislaw zu Stettin und 
Julin 22 000 Heiden getauft, das Bild des Triglaf zerftört und zu Julin 
ein Bistum geftiftet, welches fpäter (nach Berftörung diefer Stadt 1175) 
nad) Kamin verlegt wurde. Was er begonnen, ſetzten andere Miffionäre 
mit Glück fort, und rafch verbreitete fid) die neue Lehre von ber Peene 

. bis zur Weichjel. Die pommerjchen Herzöge fanden bald, daß ihre eigene 
Zürftengewalt dabei zunahm; denn das Anfehen, welches die heibntichen 
Priefter beim Volke einbüßten, wuchs hier den Fürften zu. Auch das 
Deutſchtum, defien höhere Kultur fie anzog, wurbe von ihnen begünftigt. 
Ahnlich ftand es in Mecklenburg. Dafür machten die Fürften von 
Medienburg und von Pommern aber auch auf gleiche Ehren mit ben 
andern beutfchen Reichsfürften Anfpruch, und namentlid) die Pommern 
erfannten jene brandenburgiiche Lehnshoheit nicht an. Sie wurde auch 
von anderer Seite bedroht. Die Deutichen waren nicht bie einzigen, 
welche an den wendifchen Küften der Oſtſee Fuß zu faflen fuchten; auch 
die Dänen lockte dieſer Beſitz. Seit fie umter ihrem Könige Waldemar I. 
(1168) Rügen, das flawifche Seeräuberneft, erobert, den Tempel bes 
Swantewit zu Arkona zerftört, den Fürſten der Infel zur Taufe ımd zum 
Gehorſam gezwungen hatten, glaubten fie ſich zu weiteren Fortſchritten 
unter den Slawen berufen. Waldemars Nachfolger, Kamıt, nannte fi 
nad) einem glüdlichen Zuge gegen Pommern und Mecklenburg 1185 be- 
reits „König der Slawen und Wenden". Dem jungen deutſchen Weſen 
in diefen Gegenden erhob fi} alſo ein neuer ımd gefährlicher Feind. 
Aber die brandenburgifchen Markgrafen, Ottos I. Söhne, Dtto II. 
(1184—1205) und Albrecht IL (1205—1220), nahmen ihr Amt als 
Stellvertreter des Kaifers, dem bie Herrichaft über ganz Slawien zufam, 
träftig wahr; in Verbindung mit anderen norddeutſchen Fürften wieſen 
fie die Dänen wieder in ihre Grenzen zurück. 

Es ſcheint, daß fich Otto II. noch in einen anderen Kampf einlieh, 
der ſchlimmer ablief; naͤmlich mit ber Kirche. Es fcheint, da er mit 
dem Erzbiichof von Magdeburg in Streit geriet, und daß biefer über 
ihn den Bannfluch ausſprach). Der Markgraf war ein tapferer Mann 
— die Wenden im Barnim und Teltow hatten feinen Arm gefühlt, — 
aber die Ausftoßung aus ber kirchlichen Gemeinfchaft war eine Waffe, 
gegen welche auf die Dauer keine weltliche Rüftung ftand hielt. Es war 
ja damals für die Hierarchie die Zeit der höchſten Macht; wähnte doch 
das fromme Bolt, Gott felbft fpreche aus dem Munde der Priefter, und 
der Papſt galt für den Stellvertreter Chrifti, für den Statthalter Gottes 


*) Bol. Wohlbruck Geſchichte der Altmark S. 180 ff. 


Johann I. und Dtto II. 15 


auf Erden, vor dem Kaifer und Könige ſich beugen müßten; eher wurden 
die Gläubigen an fid) als an ber Geiftlichkeit irre. Dem Gebannten 
wankte aljo ber Boden unter den Füßen; die ihm gehorchen follten, 
meinten fid) ber Pflicht entledigt; felbft bie Freunde betradjteten ihn wie 
einen Ausfähigen. Es war eine furchtbare Wahrheit in dem Sprichwort, 
daß „von einem Gebannten fein Hund ein Stüd Fleiſch annimmt“. 
Dtto II. mag dies empfunden haben, wenn er wirklich, wie manche ver⸗ 
muten, dem Born ber Kirche verfiel. Wie bem auch fei, er brachte für 
fein Seelenheil ſchwere Opfer: alle feine Allodien ober Familiengüter in 
der Altmark und im weftlichen Havelland kamen unter die Lehnshoheit 
des Erzftift8 Magdeburg (1196). 

Den Auffhwung ber Markgrafihaft hemmte dies Verhältnis indes 
nur kurze Beit. Unter Albrechts II. Söhnen, Johann. und Otto III, 
errang fie nach außen und innen großartige Erfolge. Dieſes Brüderpar, 
eine ber ſchönften Zierden bes balienfiädtiſchen Haufes, bietet ein feltenes 
Beiſpiel einer aufs glücklichſte in Gemeinſchaft geführten —S 
Bierzig Jahre lang (feit 1226) herrſchten die beiden — einer deckte ben 
andern, getreulich teilten fie Ruhe und Genuß wie Kampf und Arbeit. 
&o haben fie zu der Gtiftung Mbredjts des Bären bie meiften jener 
weiten ®ebiete, and denen dann Jahrhunderte lang ber brandenburgifche 
Staat beftand, hinzugefügt und mit Keimen bes Deutſchtums bepflanzt. 
Ihre Erwerbungen geihahen hauptſächlich durch das Schwert; fo nahmen 
fie den Wenden die Ländchen Barnim und Teltow, ben Pommern, 
die 1244 auch zur Anerkennung der brandenburgijchen Lehnshoheit ges 
nötigt wurden, Stargard in Mecklenburg und 1250 bie Udermart; 
mit den Waffen drangen fie auch über die Ober und an der Warthe 
vor. Dort, um Küftrin, Soldin, Königsberg, deckten noch weite Wälder 
und Sümpfe das Land; es war wenig bebaut, ſchwach bevölkert; dennoch 
war es längft ein fteter Zankapfel zwiichen den Polen und ben Pommern. 
Jene fuchten von Süden, diefe von Norden her ſich darin feſtzuſetzen; 
jeßt (1260) mußten beide ben Brandbenburgern weichen, und die Mark 
grafen ficherten ſich das eroberte Land, das dann die Neumarkt hieß, 
durch deutſche Anfiedelungen, wie Landsberg a. W. Auch bas Land 
Lebus an ber Oder, das fie dem ſchlefiſchen Herzog Boleslam abgekauft, 
behaupteten fie gegen die Nachbarn mit dem Schwert, gegen die polnifche 
Bevölkerung durch Gründung einer deutſchen Stadt — Frankfurt — 
(1253). Einen andern Beſitz, die Oberlaufig mit Görlig, Baupen, 
Lauban, erwarben fie (1255) von dem Böhmenkönig Dttofar, der ihnen 
Geld ſchuldete. Aber noch mehr als ihre glänzenden Kriegsthaten und 
umfichtigen Unterhandlungen nüßte bie. kluge Sorgfalt, die fie auf die 
innere Entwidelung der Mark verwendeten. Gleich ihrem Ahnherm 
forgten fie unabläffig für den Anbau und die Verdeutſchung des Landes, 


16 Die brandenburgticien Markgrafen aus dem Haufe Ballenftäbt. 


zogen beutjche Bauern in die Wälder und Wüſten, deutſche Bürger in 
die Ortſchaften der Slawen und förderten die ſchon vorhandenen beutfchen 
Gemeinden durch Verleihung neuer Freiheiten und Rechte. Damals, um 
das Jahr 1242, war es, daß auch das wendiſche Dorf Berlin beutfches 
(und zwar brandenburger) Stadtrecht erhielt; das Dorf Köln am linken 
Spreeufer war bereit früher von Deutſchen befiedelt und 1232 mit 
Stadtrecht beliehen worden; beide fchon zu jener Zeit für ben Verkehr 
zwifchen den Slawen und Deutſchen anfehnliche Handelspläge. Auch bie 
Geiftlichkeit, der die Markgrafen doch immer den feiten Sim bes Herr- 
ſchers zeigten, erfuhr mandje Gunft, die zugleich eine Wohlthat für das 
Land war. Otto I. hatte 1180 in der Zauche das Eiftercienfer-Stlofter 
Lehnin geftiftet; es follte das Erbbegräbnis feiner Yamilie fein. Es er- 
wies fi) aber aud) in anderer Weife fehr nützlich; die Mönche trieben, 
wie ihre Ordensregel es vorjchrieb, mit großer Emfigkeit ben Landbau, 
und ihre Güter wurden Muftenvirtichaften für die ganze Umgegend. 
Nach diefem Beifpiel gründeten nun bie beiben Brüder zwei neue an- 
ſehnliche Klöfter, Chorin und Strausberg. 

Die Mark begann aufzublühen, fie befam immer mehr das Anfehen 
einer deutſchen Landſchaft. Der Friede in ihrem Innern, Die Sicherheit 
des Verkehrs, die in ihr herrichte, konnte den Einwanderer für manches 
entichädigen, was er hier an höherer Kultur noch vermißte. Denn wie 
jah es damals im , Reiche“ aus? In hunderte von Landesherrichaften 
zeriplittert — Herzogtümer, Grafiaften, Rittergüter und Städte, Bis- 
tümer und Abteien, alle gleihjam Staaten für fi), deren Herren fi 
unter einander befehbeten und um das Ganze wenig kümmerten — fo 
war Deutſchland eine Stätte wildeften Fauftrechts, wüftefter Unordnung 
geworben; unb bei folcher Zerklüftung mochte ſich der Kaiſer dann ab» 
müben, wie er wollte; feine Gewalt reichte felten weiter als bis an bie 
Grenzen bes Herzogtums oder ber Grafſchaft, die feine Hausmacht 
bildete. Es war zum Teil die tief in dem Deutſchen ſteckende Sonber- 
ſucht, was bie Bildung fo vieler Einzelftanten, die Berjplitterung bes 
Reichs herbeigeführt hatte, zum Zeil ein äußerer Umftand: die Verbin- 
dung der römifchen Kaiferwürbe mit dem beutfchen Königtum. Denn 
da die Kaifer, als Schirmvögte ber abendländifchen Kirche und Häupter 
ber Chriftenheit, Größeres beanfpruchten, als bloß in Deutichland nad; 
dem Ihrigen zu fehen; da ihnen namentlich in Rom und Stalien die 
Herrſchaft zuftand; fo gerieten fie in einen zweihundertjährigen Kampf 
mit den Päpften, welche ebenfalls die Oberſten der hriftlichen Welt und 
die Herrſcher in Rom fein wollten. Anftatt mm treu zu ihrem Herm zu 
halten, zogen des Kaifers Beamte, die Herzöge umd Grafen, es meiſtens 
vor, ſeine Bedrängnis für ſich jelbft zu nützen, ihr Kriegsgefolge zu feinem 
Römerzügen ihm teuer zu verkaufen, oft auch gegen ihn Partei zur 


Otto IV. 17 


ergreifen. So brachten fie zuerft ihre Imter als erbliche Lehen, ‚dann 
bie königlichen Einkünfte und Befugniffe in ihren irfen an ihre 
Häufer, bis dem Kaiſer faft nichts blieb als der Titel. Ahnlich wie bie 
Grafen umb Herzöge thaten die Städte und Ritter; wo fie nicht in die 
Gewalt jener ober ber geiftlichen Yürften gerieten, Tauften fie fo viel 
Ianbesherrliche Rechte an ſich, als fie konnten. Den ganzen Handel bes 
zahite ſchließlich der Bauernftand, er wurde faft überall in Deutfchland 
leibeigen. Aus der Nation ſchwand hierbei aller Gemeinfinn. 

Die Regfamteit fo vieler faft jelbftändigen Staaten, die beim Zerfall 
des Ganzen ihre Thätigfeit befto mehr auf die eigenften und nächften 
Angelegenheiten richteten, Hatte indes auch ihr Eutes. Das Leben nahm 
mannigfaltige bunte Formen an, unb ba jeder Einzelne für fich ſelbft 
forgen und einftehen mußte, ward alles Befondere und Einzelne kräftiger 
angefaßt und entwidelt. 

Ein Vorteil von biefer Veränderung bes deutſchen Reichsweſens, zu 
der fie Doch nie mitgewirkt hatten, fiel auch den Markgrafen von Bran- 
denburg zu: der allgemeine Brauch befräftigte umb ficherte ihnen nun, 
was fie in ihrer befonderen Lage, als Stellvertreter des Kaiſers und 
Kriegäherren im Wenbenlanbe, dem Wejen nad) ſchon befaßen: die Landes- 
herrſchaft. Sie beruhte in der Mark auf gerechterem Grunde, als im 
inneren Deutfchland; ben Wenden, nicht dem Kaiſer war fie abgerungen. 

Gegen Ende ihres Lebens — Johann I. ftarb 1266, Otto II. 
1967 — teilten die Brüder das Land, um ihre Rachkommenſchaft zu bes 
friebigen; nad) der Eitte der Zeit halbirte der eine, der andere wählte. 
Seitdem errichten über die Mark zwei ballenftäbtii—he Dynaftien, die 
ältere in Stendal, die von Johann, unb bie jüngere in Salzwedel, 
die von Dito abflammte; mır die Erzlämmererwürbe war dem jedes» 
maligen Senior bes Haufes vorbehalten. Gleichwohl blieb Brandenburgs 
Macht fortwährend im Auffteigen. Denn immer ftanden die Markgrafen, 
nad) dem ſchönen Beispiel ber Stifter ihrer Linien, alle für einen und 
einer für alle. Sie waren ein zahlreiches Geſchlecht, 19 Fürften im 
Jahre 1280, und hochbegabt mit Triegerifchen und Regenten- Tugenden; 
dem Haupte ber Familie lieh jeder auch über das Pflichtteil hinaus 
feinen Beiftand. Won 1281 bis 1309 führte fie Otto IV. „mit dem 
Pfeile”. Ihn kennt die Literaturgeichichte als einen Dichter kräftiger 
und lieblicher Mirmelieber. Aber er glänzte auch, wie faft alle Ballen- 
ftäbter, durch ritterliche Tapferkeit, die er in jüngeren Jahren, ehe er 
Erzkümmerer war, oft bis zur Verwegenheit trieb. Sein friſcher kecker 
Kriegamut ließ ſich nie beugen, auch nicht als er 1278 von ben hand» 
feften Bürgern Magdeburgs, denen er feinen Bruber Eric, zum Erzbiſchof 
aufbrängen wollte, in ber Schlacht bei Froſe gefangen und ſchmählich 
in einen Käfig gejperrt ward. Bon dort, aus ber verhaften Biſchofsſtadt 

Bierfon, yreuß. Geſchichte. J. 2 


18 Die brandenburgiſchen Marfgrafen aus dem Haufe Ballenftäbt. 


erlöfte ihn bie Treue eines alten Dieners; Zohan von Bud), der die 
ungeheure- Summe, mit der er feine Freiheit erfaufen follte, 4000 Mark 
(Pfund) Silbers herzufchaffen wußte. Schlimmer erging’s ihm daun in 
einer andern Fehde. Bor Staßfurt an der Bobe traf ihn (1280) ein 
Pfeil, defien Spige er ein Jahr lang bat im Kopfe hermutragen müſſen 
Zuleßt nötigte er feinen Gegnern doch immer feinen Willen auf. 

Trotz ihrer häufigen und Foftipieligen Fehden hatten die Markgrafen 
bei dem blühenden Zuftande ihres Landes, weiches fie in ber. Weife ihrer 
Väter pflegten, Geld genug, um ſehr bedeutende Erwerbungen zu machen. 
Sie erfauften von dem thüringer Landgrafen Albrecht dem Unartigen 
die Mark Landsberg mit Delitzſch und Lauchſtädt (1241), dam die 
Pfalz Sahjen und Sangerhaufen und von Albredits Sohne Diez-⸗ 
mann die. Niederlaufit (1304). Aber während die Macht des Haufes 
immer zunahm, mähte der Tod in unerhört kurzer Beit die alten und 
neuen Sproffen ihres Geſchlechts hin. Don jerier zahlreichen Schar, die 
(nad der Sage) im Zahre 1280 auf dem „Markgrafenberge" bei Rathenow 
verjammelt, faft fürchtete, daß Das Land fie nicht alle werde ſtandesgemäß 
ernähren fönnen, waren 28 Jahre darauf nur drei mänmliche Erben noch 
übrig. ö J 

Nach dem Abſterben fo vieler Zweige des ballenſtädter Stammes 
jah fi die ganze Mark nun unter‘ dem Bepter Waldemars wieder 
vereinigt, ber nad) feines Oheims Otto IV. Tode Haupt der Familie und 
Erzlämmerer wurde (1309—19). Wan hat ihn den Großen genannt; 
in der That ift er eime der erhabenften und glänzenbften Geftalten bes 
14. Jahrhunderts. Ein gewaltiger Kriegsmann, fieghafter und furdhts 
barer in der Schlacht als felbit fein Ahnherr, Albrecht der Bär, und 
ebenfo ug im Rate; dabei großmütig und milde und in feiner Hof⸗ 
haltung prachtvoll wie ein König; — jo war er die Bewimderung feiner 
Zeitgenoſſen und ber Stolz feiner Unterthanen. Brandenburg fam unter 
ihm zu folder Macht, ſolchem Wohlftand und Anjehen, ‚wie es nachher 
300 Jahre lang nicht mehr genofien hat. Die Nachbarn freilich hatten 
von feinem unruhigen Ehrgeize viel zw leiden; nach Mecklenburg und 
Pommern, nad) Polen, Meißen und. Thüringen führte er feine ſiegreichen 
Waffen; aber um das Deutjchtum erwarb er fi) ein großes Verdienft: 
er riß (1308) Pomerellen (daS pommerſche Land zwiſchen Perſante und 
Weichfel mit der Hauptftadt Danzig) den Polen aus ben Händen, über- 
ließ ben öſtlichen Zeil für Geld dem deutſchen Orden, fügte den weftlichen 
zu ber Mark. Im Süden erweiterte er deren Grenzen über Torgau 
hinaus, im Süboften längs der Dder bis zur Obra. 

Die Fürften ringsum blickten auf ihn mit Reid und Beforgnis; er 
bedrohte fie alle. Er ſchien voll gefährlichſter Entwürfe, da er plößlich 
als Schutzherr der hanſiſchen Stadt :Stralfund auftrat; die von dem 


Waldemar der Grobe. 19 


rũgiſchen Fürſten Witzlaw bedrängt wurde. Es bildete ſich wiber ihr 
ein furdjtbarer Bund: die Könige von Dänemark; Schweden und Polen, 
bie Herzöge von Sadjjen» Lauenburg, ‚von Limeburg und Braunſchweig, 
bie Herren von Medlenburg und Werle, der Markgraf. von Meißen, die 
Grafen von. Holftein, Schwerin und Anhalt, die Biſchöfe von Schwerin, 
Ratzeburg und Havelberg nebft vielen anderen Herren, ſelbſt Vaſallen 
bes Markgrafen thaten fid) zufammen und brachen von allen Seiten in 
die Mark ein. Kühn. und bejonnen hielt Waldemar dem Ungewitter 
Rand. Bei Granſee lieferte er (im Auguft 1316) einer dreifachen Über- 
macht .eine Schlacht, größer und blutiger als je eine im Wenbenlanbe 
geſchehen war. Nur der Opfertod der Seinen rettete ihn felbft vor der 
Befangenichaft; aber auch die Feinde hatten fo fehwer gelitten, daß fie 
feinen Heldenmut nicht. weiter auf die Probe ftellen mochten. Der Friede 
zu Templin (November 1317) verkürzte weber ihn nod) die Stadt Stral« 
fimd, vor deren Mauern ein gleichzeitiger Angriff an der Tapferkeit ihrer 
Bürger völlig gefcheitert war. . 

In dieſem Kriege hatte Waldemar an. feinem Adel nicht ‚die beften 
Erfahrungen gemacht; wohl aber hatte fid) die Treue der Stäbter vor⸗ 
züglich bewährt. Er begünftigte daher ihr Auflommen auf jede Weiſe, 
ſuchte auch -eine engere Verbindung der: märfifchen Stäbte mit dem mäch- 
tigen Hanſabunde berzuftelfen. Aber es war ihm nicht vergönnt, fo 
manchen großen Gebanfen, dem ſein reicher Geift für Brandenburgs Ges 
deihen trug, zur That zu machen. Ein früher Tod endete dies glorreiche 
Heldenleben. Waldemar ftarb, ein 28 jähriger Süngling, am 14. Auguft 
1319; mit ihm ſank der mächjtigfte und ruhmvolifte Ballenftädter, ſank 
der letzte Markgraf von Brandenburg aus Albrechts des Bären Geſchlecht 
ins Grab. Noch. war ein ſchwaches Reis diefes Stammes in -der Marl 
vorhanden, ein minberjähriger Better Waldemars, Heinrich von Lands⸗ 
berg; doch im nächften Jahre ftarb auch er, und das Haus Ballenftäbt 
An der Mark war nun erlofchen. 


 Inmerer Inftand der Mark unter den Bullenftäbtern, 
vornehmlid, im dreizehnten Yahrhundert. 


Ber ein Länd eroberte, nahm einen Teil des Grundes ımd Bodens 
für fi) und feine Kriegsgenoſſen, ben andern ließ er gegen einen be 
ſtimmten Zins im Befiß der Eingebomen; Herrenlofes Gut gehörte dem 
Könige, der es den Seinigen zu Lehen gab; nach dieſen Grundjägen 
deutſchen Rechts verteilten die Markgrafen das Wenbenland, welches fie 
ala Eroberer ımd als Stellvertreter des Königs beherrichten. Buerft 
‚wurden Die beutfchen Krieger bedacht; überall in ber Mark erhielten fie 
‚Rittergäter, 4 bis 6 Hufen groß, zu Lehen, für die fie, jo oft der Marl: 

PL 


20 Innerer Buftand der Mark unter den Ballenftädtern. 


graf es heifchte, mit Wehr und Waffen, mit Roß und Knechten den 
Kriegsdienft leiften mußten. Diefe Ritter waren zum Zeil freie Adlige, 
die aus ber Altmark und dem innern Deutſchland Bergezogen Tamen, um 
fich im Wendenlande Ehre und Befig zu erftreiten; zum Teil Dienftleute, 
die fich durch befonbere Tapferkeit und Treue um ihren Herm, den Mark. 
grafen, größere Berbienfte erworben hatten als andere gemeine Diener; 
zum Teil endlich freie Söldner, bie ſtatt des Geldes Srundbefitz an⸗ 
nahmen. Am angefehenften unter den Rittern waren die „Schloß- 
geſeſſenen“, die Vögte und Hauptleute ber Burgen famt ihren Burg⸗ 
mannen oder Kaftellanen; am zahlreichften die „Zaunjunfer”, deren Woh⸗ 
nungen nicht ein Burgwall, fondern bloß ein Zaun umſchloß. 

Der größte Teil der Einwanderer beftand aus ſolchen, die weniger 
das Schwert als den Pflug zu handhaben pflegten. Auch fie waren hoch 
willlommen. Der Markgraf berief einen Unternehmer und verkaufte ihm 
ein beftimmtes Maß Landes, 30 bis 60 Hufen, mit der Verpflichtung, 
darauf ein Dorf anzulegen. Nun ſchnitt der Unternehmer ein Stüd von 
der Maffe für fi), ein anderes für die Kirche ab, ben ganzen Überreſt 
verteilte" er an andere deutiche Anftebler, die bafür eine gewiſſe Grund⸗ 
fteuer an den Markgrafen zu entrichten hatten. War der Boden erft 
urbar zu machen, fo blieb er eine zeitlang von allen Abgaben frei. Das 
Gut des Unternehmers war immer fteuerfrei; es galt als ein erbliches 
Lehen, auf dem bie Vafallenpflicht des Reiterdienftes haftete. Zugleich 
wär mit ihm das erbliche Amt eines Schulzen verbumben. Der „Erb: 
ſchulze“ faß als folcher dem niederen Dorfgericht vor, deſſen Beifiger ober 
„Schöffen“ Bauern waren. Er bezog ein Drittel der gerichtlichen Geld- 
ſtrafen und Hatte zuweilen noch andere Vorrechte, z. B. Schenken und 
Mühlen anzulegen. Er nahm ben Sins von den Hufen der Bauern und 
Heferte ihn nebft ben Gerichtögefällen an den Markgrafen ab. Mit den 
Schulzen anderer Dörfer zufammen bildete er als Schöffe das Ober- 
oder Landgericht, das ſich unter dem Borfig des markgräflichen Vogts 
dreimal im Jahre verfammelte und daher Dreiding hieß. Später kaufte 
an vielen Stellen der Adel die Erbſchulzen ans ımd ernannte dam „Sehe 
ſchulzen“, welche dieſelben Amtspflichten hatten. Noch öfter ging das 
zu herrliche Recht des Markgrafen durch Kauf oder Verleihung an 

, Biſchöfe, Stäbte ober Ritter über, welche dann die Einkünfte des 
Dorfs bezogen und den Oberrichter im Dreibing ftellten. Oft gründeten 
fie auch felber in ihren Befigungen ſolche deutfche Dörfer. 

Die Bauern waren perſönlich frei, die Laften, die fie für ihre 
Güter trugen, ſehr mäßig: von ber Hufe jährlich dem Landesherrn 
Y, Mark Silbers (einen „Bierdung*) als Sins und eben fo viel ober 
einen Malter Koms ber Kirche als Behnten; zuweilen Spanmdienfte 
(Dienft mit Pferd und Wagen) für die Grundherrſchaft, doch nur in feft 


Die Bauern. 21 


beftimmten Maße; weiter hatten fie nichts zu leiften. Dafür gehörten 
ihnen die Güter erb⸗ und eigentümlich, wenngleich fie biefelben nicht 
ohne Zuftinunung des Orundherm verpfänden durften, der auch bei Vers 
fäufen ein Vorfaufsrecht hatte. Die Kofjäten, d. h. die Anfledler, die 
nur einzelne Gärten ober Kleine Aderftüde erhielten, zahlten dafür einen 
geringen Zins und leifteten genau abgemefjene Handdienſte. Der Bauern- 
fand in der Mark beſaß alfo umvergleichlich mehr Recht und Freiheit 
als die Bauern im übrigen Deutichland, die großenteils in Leibeigenfchaft 
ſchmachteten. Mit der Freiheit aber erzeugte der Fleiß bald eine gewiſſe 


igkeit. 

Der Wohlſtand ihrer deutſchen Nachbarn reizte dänn die wendiſchen 
Bauern, es jenen gleich zu thun. Sie erwarben ſich an vielen Stellen 
dieſelbe Verfaſſung des Gemeinweſens und nahmen dann um fo leichter 
auch deutſche Sitten und Weiſen an. Mit ihrer Freiheit und ihrem 
Glauben hatten fie die ftärkften Pfeiler ihres Vollstums ſtürzen fehen; 
und mit dem Vertrauen verloren fie auch die Liebe dazu; das Fremde, 
Reue ſchien eriprießlicher. So verſchmolzen fie allmählich mit den Deutſchen 
zu einem Volle. Die Germanifirung erftrecte fi) bis in die Pflanzen- 
welt der Mark; denn auch neue Gewächſe bradjten bie Einwanderer mit, 
den Krapp, ben Hopfen, vom Rhein her die Weinrebe und manche ändere 
nutzliche Pflanze; viele einheimifchen verebelten fie. Selbft die ſlawiſchen 
Namen vieler Ortſchaften wurden mit deutſchen vertaufcht; wo fie blieben, 
erimmerte fpäter nur hie und ba ein eigentümlicher Brauch noch an das 
alte Wenbentum. An anderen Orten dagegen erhielt fi) dasfelbe eine ges 
raume Zeit; namentlich in ben Fifcherdörfern, den fogenannten ‚Kietzen“, 
deren Bevölkerung darum auch in tiefer Verachtung ftand. Am längften 
beharrte die wendifche Sprache; auf bem platten Lande tft fie noch im 
ſechzehnten Jahrhundert häufiger als die deutſche geweſen; in einem Teil 
der Laufitz hört man fie noch heute. 

Auf ganz ähnliche Weife wie bei der Anlegung von Dörfern ver 
fuhr man bei der Gründung neuer oder der Umwandlung vorhandener 
ſlawiſcher Städte in deutſche. Ein ober mehrere Unternehmer kauften 
vom Markgrafen ein Gebiet von 100-800 Hufen, das fie in ber Regel 
der Feldmark eines ſchon beftehenden Dries hinzufügten. Ein Stüd 
davon befam ber Hauptunternehmer vorweg für fi) als freies Erb- 
eigentum, Dazu das erbliche Amt eines Stadt- oder Lehnſchulzen, 
mit welchem, wie bei den Dorfichulzen, mandjerlei Vorrechte verbunden 
waren. Die übrigen Stüde verteilte er an beutfche Anfiebler, die num 
ihre Häufer und Buden darauf anlegten. Das Rathaus, das Kaufhaus 
umd andere Kramläden hatte ber Stadtſchulze zu erbauen, dem es auch 
zukam, die Stadt mit Wall und Graben zu umziehen. Die Befeitigungs« 
werke waren anfangs wie die Häufer nur von Holz; erft feit 1250 er« 


67} Innerer Zuftand der Mark unter den Ballenftäbtern, 


hielten die Städte fteinerne Mauern und Türme. Mit Ausnahme bes 
Schulzen hatte jeder Eigentümer für fein Grundſtück einen Zins zu 
zahlen, von welchem ein Drittel an den Schulzen, zwei an den Landes 
bern fielen. Diefelbe Teilung geichah bei den Gerichtsgefällen, denn 
der Stadtſchulze war zugleich erblicher Stadtrichter. 

Die Angelegenheiten der Stadt, insbeſondere die Polizei, die Matt: 
ſachen und das Gemeindegut verwaltete ein Rat aus 12 Perfonen, die 
von der Gemeinde gewählt wurden, und von denen alljährlid, ein Teil 
ausſchied. Über die Ratsherren hatte mır der Markgraf, über bie 
Bürger der Stadtrichter die Gerichtsbarkeit, die in den Schöffengerichten 
ausgelibt ward. Alle Bürger waren frei und wehrhaft; fie felber hatten 
ihre Stadt zu fehüßen und führten daher die Waffen eben fo gut wie 
ihr Handwerkszeng. Sie fomten im "Notfall ihren Anteil an den 
Rechten, welche Die Bevölkerung ber Mark befaß, gegen jedermann ver⸗ 
teidigen. 

Es gab in Deutſchland verſchiedene Überlieferungen des Rechts, 
hier galt fränkiſches Recht, dort flämiſches, magdeburger oder lübiſches; 
in der Mark, deren Gründung ja von Sachſen geſchah, herrichte ſächſiſches 
Recht. Aber ein und dasfelbe galt nicht für alle und jeben, vielmehr 
richtete ſich jeder Stand nad) feinem befonderen Herfommen; die Städter 
nad Stadtrecht, wie die Bauern nach Landreht und die Vaſallen nad) 
Lehnsrecht. Alle diefe rechtlichen Gewohnheiten ſächſiſcher Weile wurden 
erft in den Jahren 1215—1283 vollftändig aufgefchrieben, und zwar von 
dem Ritter Eife von Repgow, in einem Rechtsbuche, welches der 
„Sadjfenfpiegel“ Heißt. Da Tonnten die Schöffen ſich Rats erholen, 
werm ihnen ein feltener Rechtsfall vorkam. Für gewöhnlich hatten fie 
das Recht im Kopfe; in einfachen, ſchlichten Satzungen erbte e8 durch 
mündliche Überlieferung von Water auf Sohn. ent, ‘vor aller 
Augen faßen fie zu Gericht, der Richter und die Schöffen; unter Gottes 
freiem Himmel. Der Richter war der Schulze; die Schöffen, gewöhnlich 
7 ober 12, gewählte Grundbeſitzer; die Zeit ber helle Mittag; der Ort 
im Dorf auf der Feldmark, in der Stadt vor dem Rathanſe. Ringsum 
fand das Boll — der „Umftand" — mur durch eine Schnur von bem 
Gerichtsplaß gefehteden. Saßen die Schöffen, und hatte ber Richter fein 
Haupt bedeckt und ben Gerichtsſtab vor ſich gelegt, fo trat der Anwalt 
des Klägers, der „Vorfprech“, in den Ring und brachte feine Sache vor. 
Darauf wurden die Beugen verhört, und nun hatten die Schöffen das 
Urteil zu finden, wobei manchmal, wenn fie feine rechte Entſcheidung 
wußten, die Anficht des Umftands, als öffentliche Meinung, den Ausſchlag 
gab. Der Richter verkündete ihr Urteil und forgte, daß es vollzogen 
ward. Die Strafen beftanden je nad) der Schwere des Verbrechens in 
‚Geldbuße oder dem Verluft eines Gliedes oder des Kebens, für ſchimpf- 


. Die Stäbe. 23 


liche Vergehungen in Staupenſchlag oder Brandmarfung. Beruhigte fi 
jemand bei dem Urteile. nicht, fo konnte ev das Urteil. „jchelten“, d. h. 
Berufung an einen höheren Gerichtsftuhl einlegen; ein Weg, der freilich 
viel Zeit umd Geld koſtete. Als ſolche höhere Rechtsquellen ‚galten die 
Schöppengerichte zu Stendal, Salzwedel, befonders aber zu. Branden- 
burg, ferner das marfgräftiche Hofgericht zu Tangermünde. Selbſt von 
diefem konnte man fi) noch auf das kaiſerliche Neichögericht berufen. 
Urſprünglich ftand die oberfte Gerichtsbarkeit in der Mark, namentlich 
über Blutſachen — ber fogenannte „Blutbann“ —, nur dem Markgrafen 
gu; er. gebot ja bier anftatt des Kaifers und wie ein Landesfürft. Er 
übte diefelbe entweder perfönlid aus — als Vorſitzer des „Hofgerichts" 
— oder durch DVögte, bie den Landgerichten, durch die Lehnſchulzen, die 
den Stadtgerichten vorjaßen. Kleinere Rechtshändel fchlichteten die Ge» 
meinden in ihren Gerichtsfigungen ganz jelbftändig. Mit der Beit aber 
tam am diefe auch das Obergericht, und namentlich die Städte erfauften 
vom. Yärften den Blutbann; zum Zeichen bavon ftand dann. neben dem 
Rathauſe eine „Rolandsfäule", ein fteinernes Bild mit einem bloßen 
Schwerte in der Hand, ein Symbol, welches vielleicht eigentlich) auf das 
„Rotland”, d. i. auf die rote Erde, den Ort des Blutgerichts, weiſen follte. 
. Für die Städte ber Mark galt allgemein das Recht und die Ber- 
faffung der Stadt Brandenburg, welche wiederum ihr Stadtrecht dem 
magdeburgifchen nachgebildet hatte. Danach konnte jeder Bürger, ber 
erblichen Grundbeſitz Hatte, in den Rat gewählt werben, alfo an ber 
Verwaltung der Stadt teilnehmen. Es bildete fi) aber allmählich ein 
Unterfchted zwifchen ben reichen und ben armen Bürgern; zu jenen ge— 
hörten die größeren Grundbeſitzer und die wohlhabenden Kaufleute und 
Gewandſchneider oder Tuchhändler; zu den anderen die Meinen Ader- 
bürger und Die meiften Handwerker. Es kam nun der Mißbrauch auf, 
daß nur die Reichen den Rat bejeßten und fo bie ganze Gemeinde be- 
berrichten. Beim Aufblühen des Verkehrs, des Handels und Wandels 
nahmen indes die Handwerker an Zahl und Wohlftand raſch zu, be— 
gannen ſich zu fühlen und wollten ſich jene Zurückſetzung nicht gefallen 
lafien. Ihre Innungen, Gilden und Gewerke eröffneten um die Beſetzung 
der Ratsfellen einen Kampf mit den reichen Gefchledhtern, ber Jahr⸗ 
hunderte gewährt hat. Namentlich die vier vornehmſten Gewerke, die 
Fleischer, Bäder, Schufter und Wollenweber, die „Biergewerke”, machten 
den reichen Altbürgern viel zu fchaffen. Gegen ben äußeren Feind waren 
doch alle einig. 

Eo gab in den Städten Raum und Sicherheit für jebe Thätigteit, 
einen Markt für jede Ware; aus dem Kleinhandel erwuchs mit ber Zeit 
der Großhandel, der wieber den Gewerben mächtig emporhalf; und die 
Bohlhabenheit gebar dann die Kımft und die Bildung. Diefen Segen 


24 Innerer Zuſtand der Mark unter ben Ballenftäbtern. 


verbreitete das deutſche Bürgertum überall, wo es ſich damals feſtſetzte, 
in Pommern, Schlefien, Preußen, wie in der Mar. Auch waren alle 
deutſchen Städte in den genannten Ländern einander ähnlich in Recht 
und Berfaffung, und der Verkehr zwifchen ihnen brachte das Verwandte 
in noch engere Verbindung. Denn ihr Handel war bereits fehr rege. 
Der Reichtum des Dftens an näplicher Raturerzeugnifjen lockte den Kauf⸗ 
mann, fie gegen die Kunſtwerke des gebildeten Weſtens einzutauſchen. 
Die Mark lieferte dazu hauptſächlich Tuch, Leinwand, Hopfen, Waib 
(gum Färben der Tücher), femer Talg, Speck, Schixten, Honig, Wachs, 
Getreide, Bretter; empfing von Pommern befonders Heringe, die Damals 
an der pommerſchen Küfte jo ſtarken Bug hatten, daß man fie bisweilen 
im eigentlichen Sinne des Worts mit Händen greifen fonnte; von Preußen 
Bernftein, von Polen und Rußland Pelzwerk, von Halle Salz. Der &e 
winn diefes Handels wurde freilich dur) die Unficjerheit mandjer Straßen, 
noch mehr durch allerlei Zölle zu Lande und zu Waſſer vielfach ge 
ſchmälert. Um biefe und ähnliche Hinderniffe zu befettigen und fich gegen 
gemeinfame Feinde beffer zu jhüßen, traten ſchon zu Anfang des 14. Jahre 
hunderts manche märkiſche Stäbte dem Hanfabunbe bei, welcher, 1241 
von Libe und Hamburg geftiftet, in Burger Zeit die meiften Stäbte 
Norddeutſchlands vereinigte. Die märkifchen bildeten darin mit ben 
mecklenburgiſchen, pommerjchen, ſchleſiſchen zuſammen das jogenannte 
wendiſche Duartier, deffen Haupt das mächtige. Lübeck war. 

Noch blieb der Handel zum größten Zeile Tauſchhandel, aber das 
Geld begann bereits auch bei ihm eine Rolle zu jpielen. Man rechnete 
nad) Marten, Schillingen, PBfenmigen. Die Mark wog urfprünglid, ein 
Pfund, und das Pfund Silber wurde zu 240, das Pfund Gold zu 960 
Pfennigen ausgeprägt. 12 Pfennige machten einen Schilling aus. Das 
Gold hatte den zwölffachen Wert bes Silbers. Alſo waren ein Silber 
pfennig gleich 35 Pfennig unferes Geldes, ein Goldpfennig ober ein Silber 
jchilling gleich 4 Mt. 20 Pf, ein Goldſchilling gleich 44 Mt. 40 Pf. die 
Mark Silber (die fpäter nur die Hälfte, nur 16 Lot wog) gleich 84 Mk. 
wobei .aber nicht zu überfehen ift, daß das Geld bamals dreimal mehr 
Bert hatte als heute. Es war fnapper vorhanden, und es auf Binfen 
zu leihen galt für verbammlichen Wucher. Man geftattete ihn nur dem 
Juden, die, wie man meinte, ohnehin in die Hölle kämen. Dieſes Volk, 
frübgeitig in Deutſchland eingewanbert, Iebte hier wie überall zerftreut 
unter den Chriften und in großer Verachtung; doch wurde es reich durch 
Kleinhandel und Geldgeſchäfte. Aber ber Reichtum ber Juden vers 
mehrte nod) den Haß, den ihr Glaube und ihre Abfonderung ihnen zu⸗ 
gezogen; oft rettete fie nur der Schuß des Landesherrn. Denn fie ge- 
hörten dem Könige als befien „Rammerfnechte” und mußten ein ſtarkes 
Schutzgeld zahlen, an vielen Orten auch in beſonderen „Zubenvierteln“ 


Finanzen. 25 


wohnen. Ohne Ehrenredhte, oft ihres Geldes beraubt und verjagt, kehrten 
fie doch immer wieder und entihädigten ſich für alle Berlufte durch defto 
rübrigeren Handel und Wucher. In der Mark hatten fie noch Die er- 
träglichfte Stellung; in einzelnen Stäbten burften fie foger Bürger 
werden und Käufer befigen, werm auch nur in befonderen. Stadtteilen. 
Doc, waren ihnen auch hier gewiſſe Abzeichen und Kleider vorgeſchrieben. 
Die Gerichtsbarkeit über fie hatte der Stadtrat, der gleich dem Mark: 
grafen von ihnen ein Schubgeld erhob. 

Mit dem Fortſchritt der Befiedelung und dem Wachstum ber Kultur 
des Landes ftieg natürlich aud) deſſen finanzielle Leiftungsfähigkeit. Ohne 
bebrüst zu werben, brachte es dem Markgrafen ſehr beträchtliche Ein- 
tünfte. Sie beftanden, außer dem Grundzinfe, den gerichtlichen Bußen 
und dem Münzregal, vorzüglich in dem Zehnten. Dieje Abgabe gehörte 
zwar nad) dem alten Rechte eigentlich den Biſchöfen; da aber die bran⸗ 
denburgiſchen Markgrafen die Kirchenfprengel von Havelberg ımd Bran- 
denburg erft hatten den Wenden mit dem Schwerte wieber abgewinnen 
müfſen, fo beanjpruchten fie von den Biichöfen auch einen Lohn dafür 
ud zogen den Zehnten an fi. Derfelbe wurde aljo von den Ader- 
bürgern und Bauern an fie geleiftet, anfangs in natura, fpäter ftatt der 
Garben und des Vieh in Geld. Auch die Wälder und Gewäffer, bei 
den alten Deutſchen ein Gemeingut, gehörten im Wenbenlande nad) dem 
Rechte der Eroberung dem Markgrafen. Für ihre Bemupung erhob er 
den „Holgpfennig“, von den Fiſchern den „Rahnzins". Die Land- und 
die Bafferftrafen trugen ihm mancherlei Warenzölle. Diefe feften Ein⸗ 
nahmen reichten indes nicht hin; die unaufhörlichen Kriege, die Stiftung 
und Ausftattung von Kirchen und Klöftern, die Pracht des Hofftaats 
Bofteten viel Geld. Um nun auf einmal größere Summen zu befommen, 
verpfändeten oder verkauften die Markgrafen oft ihre Einkünfte für ein 
Pauſchquantum an Städte oder Private. Noch lieber wanbten fie ſich 
bittweile an das Sand, beriefen, wie es überall in Deutſchland Sitte 
war, ats defien Vertreter die drei Stände, nämlich die hohe Gelftlichfeit, 
den Lehnsadel und die ftäbtiichen Behörden, zu einem Landtag zu- 
ſammen und ftellten ihre Rot vor. Die Geldſumme, weldye die Stände 
darauf bemwilligten, hieß zum Zeichen, daß fie freiwillig gegeben ward, 
Bede (Bitte). Die Markgrafen kamen aber mit ihren Beben jo oft, 
daß die Bafallen und Städte im Jahre 1280 mit ihnen diefe Abgaben 
ein für allemal regelten; das platte Land zahlte danach für jede Hufe 
guten Aders jährlich, zwei Schillinge; ebenſo gaben die Städte jährlich 
eine beftimmte Summe. 

Einen großen Teil der markgräflihen Einnahmen verſchlangen die 
Höflinge, Die Dienerichaft des Markgrafen. Sie war fehr zahlreidy; denn 
obwohl der Dienftmann oder Minifteriale durch den Hofbienft feine 


26 Innerer Zuftand ber Mark unter den Ballenftäbtern. 


perjönlidye Freiheit einbäßte, fo. drängte ſich der Adel doch zu diefer 
Stellung. . Ein fürftlicher Dienftmann genoß nämlich fehr viele und große 
Vorteile. Für geringe Mühe — etwa ein paar Monate im Jahre eins 
der marfgräflichen Schlöffer verwalten zu helfen. oder dem Fürften per« 
ſönliche Handreichungen zu leiften — erhielt er ein Hoflehen, entweder 
ein. Orundftüd ‚oder gewiſſe Landeseinktümfte, zum Lohn. Und dann, war 
‚nicht. das ‚Hofgefinde immer um ben Fürſten? bildete es nicht feine Rats 
geber? Es hatte-alfo viel Anfehen und Einfluß im Staate; es konnte 
ſich auch bei. der Verwaltung ‘der Amter und beſonders beim Einziehen 
der Steuern leicht. bereichern. So geſchah es in der That, daß bie 
Minifterialen. gewöhnlich bald ſehr wohlhabend wurden; viele erfauften 
fid) dann von ihrem Gern die Freiheit und hießen „Freiherren“, gleich 
anderen abligen ‚ober bäuerlichen Befigern. Aus jolhen Hofdienern ift 
der. größte. Teil des heutigen Adels in. der Mark, wie im übrigen 
Deutſchland entjtanden. Die oberften Minifterialen waren der Truchſeß 
(Drofte) oder Küchenmeifter, ber Schenk oder Kellermeifter, ver Marſchall, 
der die Aufficht über die Pferde und Waffen führte, nnd der Kämmerer. 
Der letztere hatte das wichtigfte Amt; denn er ſorgte nicht bloß für 
Wohnung und Kleider des Fürften, fondern war auch defien Schapmeifter, 
nahm daher manden Anteil an ben Regierungsgeſchäften, zu denen ja 
vorzüglich aud) die Geldjacdyen gehörten. Die Schreibereien wurden von 
den Hoffapellanen und Hofnotaren beforgt. Andere Beamte waren bie 
Schlokuögte und Hauptleute, geringer Die Heibereiter oder Forſtmeiſter, 
die Landreiter ober Steuereinnchuer, die Münz⸗ und die Mühlermeifter. 
Dberfter Kriegsherr und oberfter. Richter, Stellvertreter eines Kaifers; 

der nie in das Land kam, im Befiß einer Macht, bie immerfort wuchs, 
Tonnte der Markgraf den Seinigen wahl wie ein König erſcheinen. Auch 
darin glich er dem höchſten Gewalthaber, ar deſſen Stelle er bier fand, 
daß er in der Mark, wie jener im beutjchen Reich, überall umherzog 
und nad) dem Rechten jah. Eine feite markgräfliche Refidenz gab es 
nit. Die Stadt Brandenburg war zwar Die vormehmfte, gleichjam die 
Mutter der anderen. märkifchen Städte im Often der Elbe, von ihr hatten 
fie ihre Berfaffung, wie das Land den Namen. Auch war fie im Jahre 
1170: auf einem von Dito I. zu Havelberg gehaltenen „Botdinge” ober 
Gerichtslandtag feierlich zur Hauptftadt der ganzen Mark erflärt worden. 
Aber die Markgrafen nahmen in ihr doch nur zuweilen Wohnung; fie 
erfhienen mit ihrem zahlreichen Gefolge bald hier, bald ba auf den 
einzelnen Hofftätten, ben Schlöffern, deren fie eine große Menge. bejaßen. 
Auch die Klöfter mußten ihnen oft Herberge und Bewirtung geben. - 
Neben dieſem vielgliedrigen Leben ber weltlichen Stände kam die 
Geiſtlichkeit in der Mark nicht ganz zu der Bebeutung, welche fie andere 
wärts hatte. Hier war die Iandesherrliche Gewalt des Fürften von Ans 


Die Geiftliäeit. - - 27 


fang an-fo feftgegründet, daß die Macht der Biſchöfe, die von jenen 
erft eingeführt worben, ſich mit ihr nicht meſſen konnte. Die Bifchöfe 
blieben für ihre weltlichen Befigungen dem Markgrafen verpflichtet, der 
es auch in feiner Hand hatte, ihre Einkünfte und Güter zu beeinträchtigen 
oder zu vermehren. ‚Eine andere Schranke fand der Biſchof an feinem 
Domkapitel, ber Beamtenſchaft des Hochſtifts; dazu gehörten ber Dom- 
propft und mehrere: Domberren, unter denen ber Küfter (Auffeher der 
Kirchengebäube), ber Kellermeifter, Schufnteifter, Spittelmeifter Die vor—⸗ 
nehmften waren. Das Domtapitel wählte den Biſchof umd nahm an 
der Berwalturig bes Kirchengutes teil. Die Kirche war reich; auf dem 
Todbette vermachte ihr fo: mancher, ſeine Seele zu retten, den beften Zeil 
feiner irbifchen Habe. Biele Schenkungen wurden beftinimten Zwecken, 
zu Soelenmefjen, der Kraukenpflege, dem Schulunterricht, gemwibmet. 

Die Klöfter in der Mark gehörten meiftens den Drben ber Prä- 
monftratenfer und der Ciſtereienſer an; fie machten ſich um die Bes 
kehrung, die letsteren auch um den Landbau hoch verdient. Weniger 
mäßtese die Franzistlaner und Dominkkaner. Ste waren fpäter eingewandert 
(eit. 1262) und nährten fich ihrer Ordensregel gemäß vom Betteln. 
Daher wohnten: fie fat nur in Städten, — ‚die Franziskaner oder Grau- 
möndhe beſonders in Stendal, Salzwebel, Brandenburg, Berlin, Prenzlau; 
die Dominikaner ober Schwarzmönde in Seehaufen, Köln, Ruppin u. a. 
Jene zeichneten ſich Durch volfstümliche Berebfamteit, die freilich oft in 
Roheit und Gemeinheit verfam, dieſe durch eine gewiſſe Gelehrſamkeit 
aus. Bornehmer waren bie Rittermönche, die Templer (3. B. in Tempel 
of), Die Johanniter, die Deutfchherren, die letzteren ſehr wenig vertreten. 

Mit dem Wachstum der Städte und Dörfer’ mehrte ſich gleichzeitig 
die Zahl der Kirchen und ihrer Priefter, ber Pfarrer, Vilare und Meß— 
priefter, die zufammen ben Stand ber „Weltgeiftlichkeit* ausmachten. Ami 
zahlreichften waren bie Beßpriefter. Denn jeber, der es konnte, ließ 
gern für fein oder der Geinigen Geelenheil Meffe leſen; ſelten fehlte in 
einem Teſtamente eine Schenkung zu Diefem Behufe. Der Tirchliche 
Sim ber Zeit liebte überhaupt äuferliche Beichen ber Frömmigfett: 
Babllofe Heilige wurden verehrt, und jeber hatte feinen beſonderen Feft- 
tag, an dem man ibm feierte, fo daß es im Jahre mehr Leit: als 
Berteltage gab. 

Um bie Gelehrſamleit und Bildung ber Geiſtlichkeit, daher auch um 
das Schulweſen in ber Mark ſah es im ganzen übel aus, hauptſächlich 
wohl, weil hier Beneiktiner fehlten. Nur wenige Möfter, am erften noch 
die Ronnenfiöfter, enthielten Schulen und Bibliothefen. Mehr geiftige 
Thätigkeit. war an den Höfen der Markgrafen zu finden; bier pflegte 
man aud) die Dichtkunft, welche in Suddeutſchland damals bie fhönften 
Blüten trieb. Die Zunge des Minnegefanges war denn aud) das 


28 Brandenburgs Berrüttung. 


Oberdeutſche (ober Hochdeutſche). Sonſt herrfchte in der Mark allgemein 
die niederſächfiſche Mundart, von welcher das Heutige Plattdeutſch ab- 
ftammt. . 


Brandenburgs derrüttung · 


Kaum erſcholl bie Nachricht von Waldemars Tode, da fielen von 
allen Seiten die ‚benachbarten Fürften wie Raubtiere in das verwaiſte 
Rand; jeber griff zu und nahm an Rechten und Gütern, was ihm zus 
nãchſt lag, unter guten ober ſchlechten Vorwänden. Die Medienburger 
tiffen die Priegnig und ein Gtüc der Uckermark an fich, die Pommern 
nahmen die übrige Uckermark und das. weftliche Pomerellen, ber Herzog 
von Glogau zog Krofien, Züllichau, Schwiebus ein, der König von 
Böhmen die Oberlauf Um den Reſt ftritten fi andere; "namentlich 
erhoben die den Ballenftäbtern verwandten askaniſchen Fürften von Anhalt 
und Sachſen Anſpruch auf das Erbe. Auch die Großen unter ben 
Märkern jelbft fuchten im Trüben zu fiichen, überall war Unordnung und 
Bwiefpalt. Gerade jept hätte bie Mark des Kaifers bedurft. Aber es 
traf fi, daß im Reiche eine ähnliche Anarchte herrfehte; dort ftritten zwei 
Gegentaifer um die Krone, ber Baiernherzog Ludwig von Wittels- 
bad) und Herzog Friedrich von Oeſterreich. Endlich fiegte der Baier, 
und bie Schlacht bei Mühldorf entſchied auch das Echicjal der Marl 
und endete deren Interregnum. Der Kaifer zog fie als erlebigtes Reichs⸗ 
lehen ein und belehnie damit im Jahre 1323 feinen älteren Sohn 
Ludwig. So gelangte hier nun das wittels bachiſche Haus zur Herr- 
ſchaft. Aber es brachte. nur neues Unheil her. Brandenburg ward, wie 
es Nebenländern zu gejchehen pflegt, fremden Intereſſen untergeorbnet 
und hat durch die Fehler und Unfälle der bairiſchen Politik ſchwer ges 
litten, ohne aus deren Erfolgen Nutzen zu ziehen. 

Der neue Markgraf war minderjährig und ftand unter der Bors 
mundichaft des Kaifers; als dieſer nun in einen erbitterten Streit mit 
dem Bapfte geriet, da fiel Roms Bannftrahl auf Vater und Sohn, und 
ber Streit der Welfen und Gibellinen, der Päpftlichen und Kaiferlichen, 
der Deutſchland und Italien verheerte, ergriff auch die Marken; zu 
den Fehden mit ben Nachbarfürften kam noch der innere Parteikampf. 
Bugleih brachen auf den Ruf des Papſtes (1325) die Bolen ins Land 
und verwüfteten wie Türken und Tataren mit Mord und Brand die 
deutſche Pflanzung bis zur Oder. Jammernd flüchteten die unglücklichen 
Neumärker, jo viele ihrer ben wilden Horden entronnen waren, über den 
Fluß in die Städte ber Mittelmark. Auch nad) Berlin fam ein Zug 
biefer Armen, beren Elend eine furchtbare Anklage gegen den undhriftlichen 
Bapft war. Der Anblid entflammte. die Berliner zur Wut; fie rotteten 


Subıntg I. 2 


fi zuſammen, ſchlugen einen befonbers verhaßten Führer der Päpftlichen, 
der gerade in ihrer Stadt verweilte, den Propft Nikolaus bon Bernau, 
tot und verbrannten die Leiche auf dem Plage des Hochgerichts, auf dem 
Reuen-Markte. Dafür verhängte der Papft über die Städte Berlin und 
Köln das Interdikt: aller -Gpttesdienft ‚hörte Hier alfo auf; Jahre lang 
ertönte hier feine Kirhenglode, ohne Sarg und Klang fuhren die Toten 
ins Grab, ohne priefterlichen Segen traten die Brautleute in bie Che, 
ohne Taufe die Kinder ins Leben. Mit ſchwerem Gelde ward dann 
(1336) der Papſt verföhnt; ein befonderer Aftar in der Marienkirche, 
wo immer Geelenmefien für den Erſchlagenen gehalten wurden, am Orte 
ber Blutthat ein fteinernes Kreuz mit: einer ewigen Lampe erinnerten 
noch die Nachtommen an ben wilden Zorn ber:Bäter und an die Rache 
der Kirche. 

Auch die Frankfurter verftelen dem Batın und Interbift. Denn als 
fie die polnifchen Mordbrenner verjagt hatten, zerftörten fie dem Biſchof 
vom Lebus, der jene gerufen, Haus ımd Kirche, fleckten ihn ins Gefängnis 
mb vertrieben alle Priefter, die e8 mit Rom hielten. Um des Papftes 
Flüche kummerten fie fi) werig; erft nach 28. Jahren (1354) Löften fie 
Bar und Interdikt durch Geld ab. 

Der ſchandliche Mißbrauch, den der Papft mit feiner geifilichen 
Macht trieb, öffnete auch anberwärts vielen Leuten die Augen. Die 
öffentliche Meinung in Deutichland, bisher jehr geteilt, wandte ſich jetzt 
einmätig gegen ihn. Die großen Reichsfürften, denen nach dem Her⸗ 
kommen die Wahl des Kaifers zukam, erflärten im Survereine zu Renfe 
(1338) feierlich, daß der Papft ſich in die ſtaatlichen Angelegenheiten 
bes Reiches nicht zu mifchen habe. Daffelbe verfündeten dem Volle auf 
dem Lande ımb in ben Städten die Franziskaner, die, gerade mit Rom 
zerfallen, der öffentlichen Meinung jetzt als wirkſamfte Wortführer dienten. 
Katfer Ludwig atmete freier auf; auch ber Markgraf kam wieder zu 
größerem Anſehn, wenn er auch einen Teil ihres Raubes den Nachbarn 
laffen mußte. Aber bald entzündete die Länderfudht der Wittelsbacher 
einen nenen Bürgerkrieg in Deutichland, der auch der Mark wieber tiefe 
Wunden ſchlug. Mit Hilfe der Luremburger, bamals des mächtigften 
inter den beutfchen Fürftenhäufern, das in Lothringen reich begütert 
wor und über Böhmen herrſchte, Hatte einft Ludwig ber Baier ben 
Kaiferthron beftiegen; jeßt vergalt er ihnen ſchlecht. Er entriß ihnen 
Zirol, indem er 1842 die Erbin biefes Landes, Margarete Maultafd)*), 
die mit dem jungen Johann von Luremburg eine unglückliche Ehe führte, 
von ihrem Gatten fchied und an feinen Sohn, den Marfgrafen, vers 
heiratete. Da fpaltete ber Bannſtrahl des Papftes Deutſchland aber- 


So genannt nach ihrem Geburtsort, einem Schloß in Tirol, 


30 Brandenburgs Berrüttung. 


mals in zwei Heerlager, und die Luremburger erhoben offenen Aufruhr. 
Böhmifche Heere verwüfteten mım die Mark, die ohne Rupen 20000 Met 
Silbers als Erſatz für Tirol opferte. ‚Endlich ftürzte gar ein jäher Tod 
ben Kaifer vom Throne (1347), und die deutſche Krone, die ihm Karl 
von Luremburg nicht hatte abringen fönmen, fiel‘ dieſem jeßt von felber 
zu. Gin: anderes, nod) weit- weniger erwartetes Ereignis, rin wahres 
Wunder, ſtieß bald Darauf and) in ber Mark die wittelsbachiſche Herr- 
ſchaft um. 

Markgraf Ludwig J. „der Ältere” (1323—1851), hatte die Liebe 
der Brandenburger nie gewonnen. Gr war ein ftolzer Herr, der ihnen 
anfreundlid) begegnete umd bei jeder &elegenheit zeigte, wie hoch er Vaieru 
and Tirol und wie gering ex die Mark jchyktte.. Selten: weilte er unter 
ihnen, und wen er fam, fo mochte er ihre Klagen und Anliegen nicht 
hören; aber immer forderte er Geld und verwendete, was er erhielt, faft 
nur zu feinem eigenen Rupen. War ein -Hofamt, eine Vogtei, zu ver⸗ 
geben, fo befam es ein Baier oder Tiroler; ber märkiſche Adel mußte 
zurüdftehen. Wären nun -wenigftens- die Angelegenheiten des Staates 
gut -gegangen; aber Ludwig griff. alles Halb an, er war Teichtfinnig, 
ſorglos, ohne Ausdauer und Thatkraft; ſo konnte umter feinen Händen 
nichts gedeihen. Bier und zwanzig. Sahre Hatte er nun bie Markgrafſchaft 
inne, und was hatte er geleiftet? Das Land war zerſtückelt, verpfändet, 
ganze Gebiete — die Mark Landsberg und die Pfalz Sachſen an Meißen, 
die Oberlaufig an Böhmen, andere Teile an Mecklenburg md Pommern 
‚verloren; ‚auch die Ehren des Stants verkürzt; hatte er doch, von ben 
Bommern mehrmals befiegt, zulegt auf bie. Lehnshoheit über thr Land 
zerzihtet und fid) mit der Ammartiheft‘begtfigt. - Und wie jah’s im 
Imern des Landes aus! weite Strecken in den langen Fehden verödet, 
‚viele Dörfer und Ortichaften niebergebrannt, andere verſchuldet und ver⸗ 
‚amt; auf: den Landſtraßen und in feſten Schlöffern verwegene Raub- 
ritter, das Fauſtrecht im-Schwange, durch den Bann auch in der Kirche 
Verwüſtung; überall Not und Aufregung. Wie anders war's zur Zeit 
‚der Väter unter den Ballenftädtern, unter dem glänzenden Waldemar; 
da war Brandenburg mächtig und angejehen, in Ruhe und Ordnung, 
Wohlſtand und Glück. So feufzten ſehnſüchtig die. Märker. Da ſcholl 
urplötzlich, erſt leiſe und unſicher, dam immer lauter und beſtimmter 
«ine wunderſame Kunde durch das Land: Markgraf Waldemar, der 
‚Große und Gute, fei wieder da, fei nie geftorben und begraben, eine 
andere Leiche habe man zum Schein ftatt feiner in Chorin beigefeßt, er 
ſelbſt aber fei heimlich eine Sünde zu büßen (weil er zu nahe mit feiner 
Frau verwandt gewejen) nad) Jeruſalem gepilgert und nun wieder ge 
kommen, feine Märker von aller Not und allem Elend zu erretten. Der 
Erzbiſchof von Magdeburg und die-asfanifchen Fürften von Anhalt und 


„Der falſche Waldemar. 3 


Sachfen hefräftigten. es; fie führten einen: bejahrten Mann mit fic) in die 
Mark, der, im Frühling 1348 in Pilgertracht am Hofe des Erzbiſchofs 
zu Wollmirftädt erſchienen, an- feiner Geftalt "und. an einem Siegelringe 
als der echte Waldemar erfiumt worden war, fir dei. er fid) ausgab. 
Des brandenburgiſche Volt jubeite hoch anf; mit. wehenden Yahmen unb 
Hingendem. Spiel zog es ihm allerorten eittgegen, ben geliebten Herrn 
felich eimzuholen, und er feinerjeits teifte uberali als Lambesfikft frei- 
gebig urkundliche Rechte umd Freiheiten aus. Nur wenige Städte blieben 
dem Baiern treu, darunter Briezen,. das Ludwig dafür durch ben Namen 
Treuenbriezen ehrte. Wie fat die ganze Mark, jo erflärten ſich auch die 
benachbarte Fürften für. bie Echtheit des gleichjam vom Himmel Ge— 
felfenen; niemand aber bereitwilfiger als Katjer Karl IV., der raftiofe 
Feind_der Wittelsbacher. ' Nachdem viele. Fürſten und Ritter, auch ſolche, 
die eiaft dent Markgrafen Waldemar perſönlich nahe’ geftanden, die Echt⸗ 
beit des Maunes' beichworen, belehnte .ihn der. Katfer.mit dev Mark und 
bedrohte alle diejenigen mit der Reichsacht, die Waldemar nicht aner- 
lennen wůrden. Dafür trat dieſer bie Laufthz an Böhmen’ ab und ſetzte 
zugleich die Askanier zu feinen Erben in der Mark ein Oltober 1348 
im Lager zu Heiners dorf). 

Bergebens behauptete die bairiſche Partei, es webe ein frahes 
Gaufelipiel getrieben, ‚man. habe einen dem verftorbenen Markgrafen 
Baldenar ähnlichen Mann (e3 foll ein Müller aus Hunbeluft:bei erbft 
Namens. Jakob Rehbock geweſen fein) zu biefem Betruge angeſtiftet. 
Mit feinen Einreden abgewieſen und unfähig mit ben Waffen etwas 
Gözurichten, ſuchte mın Ludwig den Gegnern in’ ähnlicher Weiſe -beizu- 
Iommen, als ihm gefchehen war; er und feine Freunde ftellten:tn der 
Berjon des Grafen Gimther von Schwarzburg einen” egenfaifer auf. 
Dies wirkte. Günther ftarb zwar bald darauf, aber Karl TV. zog es 
doch vor, fi) mit ‚ben gefährlichen Wittelsbachern auszuführen und be 
dachte ſich feinen Angenblid, feinen Markgrafen Waldemar als Sühtt- 
opfer preißjugeben. Er erklärte, fich geirrt zu haben, und belehnte nun 
wieder (4850) Ludwig mit der Mark. Diefer fand inbes an ſeinem 
wiedergewonnenen Befkgtum noch weniger Freude als vorbent, übergab 
es 1358 feinen Brüdern Ludwig II. und Otto und zog fi nach Batern 
zurüd. 

Ludwig II. ober, wie er nach dem Orte feiner Geburt hieß, der 
„Römer“ (1351-1366) war von ernfter, kraͤftiger Sinnesart; thätig und 
gewandt fehte er ben Kampf gegen ben faljchen Waldemar fort, brachte 
die Fürften von Pommern und Magdeburg dur) Landabtretungen, ben 
Herzog von Sachſen durd) Geld auf feine Seite und nötigte fo die Fürften 
von Anhalt, die mn allem noch Waldemars Partei hielten, fich ebenfalls 
mit Geld abfinden zu laffen; Waldemar mußte auf die Mark verzichten 


82 Brandenburgs Serrüttung. 


(1355). Er Iebte feitdem in Deffan bei dem Fürften von Anhalt; bort 
ftarb er auch und warb tm fürftlichen Erbbegräbnis beigefeßt (1357). 
Ob er der falfche oder der rechte gemejen, das tft bis auf biefen Tag 
mit Sicherheit noch nicht ermittelt; wahrſcheinlich aber, daß er ein Be 
trüger, ein Werkzeug Kaiſer Karls geweſen. ebenfalls Hatte fein Auf 
treten die Leiden des unglikflichen Brandenburg nur vermehrt, ber 
Parteiwut, dem Kriege, den Ränbereien neue Nahrung gegeben und zu« 
legt nur den Nachbarn genüßt. Den größten Gewinn machte dabei der 
Herricher Böhmens, ber zugleich das beutiche Kaiſertum ausbentete. 
Karl IV., fo habſüchtig wie fchlau, war mit der Lauſitz, bie er bis zum 
Jahre 1368 vollftändig an ſich brachte, noch bei weiten nicht zufrieden; 
er warf feine Nee auch nad} ber übrigen Mart aus. Es kam ihm babet 
zu ftatten, daß bie Wittelsbacher nicht, wie einft die Ballenftäbter, feft 
zuſammenhielten, vielmehr ſich ſelbſt durch Unfrieben ſchwächten. Der 
erſte Zwiſt entbrannte unter ihnen, als ber Kaiſer durch bie „golberre Bulle* 
1366 an Brandenburg eine Würde erteilte, die er bem Herzogtum Baiern 
verſagte. Jenes Reichsgeſez — nad) der goldenen Kapfel, bie das 
Siegel der Urkunde enthielt, fo benannt — ordnete Deutfchlands ftaate 
liche Verfaffung und Hat ihr Jahrhunderte lang als wejentliche Grund⸗ 
lage gebient. Den Hauptinhalt der goldenen Bulle bildeten fefte Beftim- 
mungen über die Königswahl und über die Redyte und Pflichten der 
Kurfürften. Die Kurwürde hatten danach folgende Fürften: drei geift- 
liche, die Erzbifchöfe von Mainz, Trier, Köln, die zugleich Erzkanzler des 
Reichs waren, und vier weltliche, der Pfalzgraf vom Rhein (Erztruchieß), 
der Herzog von Sachjjen-Wittenberg (Erzmarfchall), ber König von Böhmen 
(Erzmundichent), der Markgraf von Brandenburg (Erzkämmerer). Diefe 
fieben Säulen des Reichs erhielten den Rang vor allen übrigen deutſchen 
Fürften, ja fie follten den fremden Königen an Würbe gleich geachtet 
werden; aber fie wurben auch durch fehr wefentliche Vorrechte aus» 
gezeichnet, denn fie befamen bie höchſte Gerichtsbarkeit in ihren Ländern 
und unbeichränktes Recht über Die Bergwerke, die Münze und die Juden. 
So fand ihre landeshertliche Gewalt gejekliche Beftätigung und erheb- 
lichen Zuwachs, während der Kaifer, der nunmehr in den Kurfürften- 
tümern nur noch wenig zu fagen hatte, die Reichsſachen nur mit dem 
Beirat der Kurfürften entfcheiden durfte. 

Die Eiferfucdt, welche die Rangerhöhung der Brandenburgifäien 
Wittelsbacher bei den bairifchen erregte, dann nach Ludwigs des Alteren 
Tode (1361) ihren Haber über das Erbe bemußte der Böhme, um bie 
Markgrafen jo aufzuhegen, daß fie 1363 in einem Erbvertrage die An— 
wartſchaft auf das Land an ihn und nicht an Baiern erteilten. Zwei 
Jahre darauf ftarb Ludwig der Römer, und nun konnte Karl IV. feine 
Beute noch viel enger umſtricken. Denn felten bat es einen fchlafferen, 


Karl IV. 33 


nichtönußigeren Yürften gegeben, als Otto „der Yaule“ war, der nun 
von 1365—73 in der Mark den Kurhut trug. Ein lieberlicher Ber- 
ſchwender und Feind jeder Arbeit, gab er für Geld dem Katjer feine 
eigenen und des Landes Zatereffen preis. Erft als dieſer geradezu den 
rechtlichen wie ben thatjächlichen Befi der Mark. forderte, fchien ich ber 
Zaule zu ermannen; aber von einem- ftarten böhmifchen Heere angefallen, 
mußte er fi fügen. Im Bertrage zu -Fürftenwalbe 1373 trat er 
dem Kaifer und defien Sohne Wenzel die Mark ab; dafür erhielten die 
Wittelsbacher von Karl IV. 500 000 Goldgulden {etwa 5 Millionen Mark), 
Dito ber Faule außerdem einige Schlöffer uub Städte in der Oberpfalz 
nebft einem Jahrgehalt. 

Die Brandenburger Tonnten froh fein, daß fe bie bairifche Herr⸗ 
ſchaft 188 waren; aber bie ‚neue, die luxemburgiſche, erwies fich - bald 
noch fchlimmer. Zwar, fo lange Karl IV. (als Vormund bes Mark- 
grafen Wenzel) fie handhabte, ließ fie fid) gut genug an. Er hatte, fo 
verwerflich auch die Mittel waren, durch die er die Mark erwarb, doch 
einen wahren Beruf zum Herrichen; denn ein Land in Ordnung und 
Blüte zu bringen, das verftand er wie wenige. Er war fein Held, aber 
ein Huger Staatsmann und von vielfeitiger Bildung, ein Freund der 
Biffenfhaft und Kunft. Der Ehrgeiz feines Lebens war es, ein großes 
Inremburgifches Reich von der Adria bis-zur Dftfee zu gründen, ein 
Ziel, dem er nun ſchon nahe ftand. Denn außer ber Laufiß und der 
Mark hatte er auch Schlefien mit feinem böhmifchmährifchen Reiche ver- 
einigt. Aber feine Staaten follten aud) die glüclichften, für das Wohl 
der Unterthanen am beften eingerichteten fein. Wie Böhmen unter feiner 
weifen Verwaltung bereits herrlich aufgeblüht war, fo follte es mın auch 
die Marl. Er ward ihr in der ZThat- ein rechter Landesvater. Mit 
feinem Erſcheinen kehrte Friede und Ruhe zuräd; ber mächtige Kaifer 
fhredte, den verwilderten Abel und die raubgierigen Nachbarn. Als 
Grundlage jeber geordneten Verwaltung ließ er ein ‚Landbuch ber Mart* 
anfertigen, in welchem alle Grundftüde, Erträge, Einkünfte, Abgaben 
und andere ftatiftifche Thatfachen verzeichnet waren; es ift noch jeßt 
vorhanden und ein ſchönes Denkmal feiner Ordnungsliebe. Sodann 
half er menigftens den fehreiendften Mißbräuchen ab, er ließ die Wege- 
lagerer an den Bäumen der Landftraße aufhängen, ftellte die zerrüttete 
Rechtspflege wieder her, hob den Handel, deſſen befonberer Freund er 
war, indem er bie Schiffahrt auf der Elbe und Oder erleichterte. Diefe 
beiden Zlüffe, von der Natur ſchon zu Handelsſtraßen geſchaffen, erjah 
er fi) als bie Lebensadern feines Reiches. Sie ftellten ihm bie Ver- 
bindung mit der Oſt- und Nordfee her. Für ben einen Weg war 
Frankfurt a. D. der Hauptftapelplag, für ben andern follte es Tanger⸗ 


münde an der Efbe fein. Hier hielt fi Karl am liebſten auf, wem er 
Vierlon, preub. Geſchichte. L 


34 Brandenburgs Berrüttung. 


in die Mark kam; bier verewigte er fich auch durch glänzende Bauten, 
ein prächtiges Schloß, das Rathaus, eine Kirche, das Kollegiatftift. Mit 
der Hanja, befonders mit dem Haupte berfelben, dem mädjtigen Lübeck, 
knüpfte er den freunbfchaftlichiten Verkehr an; ein Handelsbund follte 
Deutichland, zunächft den Dften, unter luxemburgiſchem Zepter vereinigen. 
Denn bei allem feinem Streben kam es ihm doch in erfter Linie auf die 
Wohlfahrt und Größe feiner Dynaftie an. Aber diefe raftloje und nach⸗ 
drüdliche Thätigkeit für die Mark war faft nur wie ein Lichtblid durch 
Wollen, die ſich raſch wieber zum alten Dunkel fchloffen. Schon 1378 
mit Karls IV. Tode endete die befiere Zeit, Die unter der neuen Herr- 
ſchaft anzubrechen fchien. 

Nach dem Willen des Verſtorbenen kam nun das Hauptland, 
Böhmen, an Wenzel, die Mark an defien Bruder Sigismund (1878 
bis 1415). Er war nod ein Knabe, da er Kurfürft wurde. Wie er 
heranwuchs, zeigte er manche glänzende Eigenſchaften. Sigismund war 
ein ftattlicher Ritter, ein geiftreicher Redner, immer voll hochfliegender 
Pläne, die er leidenſchaftlich ergriff, aber bald wieber fallen ließ; ftetiger 
ruhiger Sinn mangelte ihm; amt mwenigften hatte er Luft und Talent, in 
georbneter maßvoller Thätigkeit ein Land glücklich zu machen. Nun gar 
bie Mark mit ihren ſchweren Schäden aus ber witielsbachſchen Zeit unb 
ihren engen Grenzen; das fchien ihm kein Feld, würbig feines Ehrgeizes. 
Ein großes Reich mit einer Königskrone, Polen ober Ungarn, am liebiten 
beide, erftrebte er. Durch Heirat ward er 1387 auch wirklich König 
von Ungarn, und nun fümmerte er fi) um Brandenburg noch viel 
weniger. Er kam kaum je einmal dorthin, und dann nur um ben 
Ständen Gelb abzudringen ober einzelne Befigungen zu verpfänden. Denn 
feine auswärtigen Unternehmungen und feine verſchwenderiſche Hofhaltung 
Tofteten ungeheure Summen. Buleßt verpfändete er für 560000 Gulden 
jelbft das Kurfürftentum an feinen Better, Jobſt (Jodokus) von Mähren 
(1388—1411), der 1397 auch die Belehnung damit erhielt, und verkaufte 
1402 für 140000 Gulden die Neumark an ben beutfchen Orden. Mit 
dem übrigen Brandenburg fehaltete dann auf ähnliche Weiſe Zobft; er 
feste Statthalter darüber, die thun mochten, was fie wollten und konnten, 
wofern fie ihm nur möglichft viel Geld herſchafften. So verfielen denn 
die Schöpfungen Karls IV., ehe fie noch hatten recht Wurzel faflen 
können, und die alten Plagen — bie Fehden mit den Nachbaru und 
das Yauft- und Raubweſen des Adels — kamen ärger denn zuvor über 
das Land. 

Bei einem folhen Regiment, wie es faft ein Jahrhundert lang 
durch Wittelsbacher und Luremburger hier gehandhabt wurde, mußte die 
Mark äußerlich und innerlich verkümmern. Wenn fie nicht ganz zugrunde 
ging, wenn ihre Buftände, zum größten Zeil entartet, doch in einigen 


Die Stände. 35 


Beziehungen die Blüten aus der ballenftäbtifchen Zeit bewahrten, ſo war 
dies nicht das Verdienſt jener Herricher, fondern ihrer Vorgänger und 
des Volles, Denn darauf beruhte der altdeutiche Staat, daß ſich jede 
Gemeinde felber verwaltete, und der Landesherr nur Die allgemeinen 
Angelegenheiten beforgte. Daher kam es, baß ein fchlechter Fürft zwar 
den Staat als Ganzes ſehr beihäbigen konnte, das Leben der Teile 
aber darum noch nicht verdarb. Die Sonberweien im Staate, vor= 
nehmlich bie großen Vafallen und die Städte, fchloflen ſich, jedes in 
feinem Kreife, nur defto fefter zufammen; ein jeder verwahrte ſich gegen 
das Unwetter ber Beiten, fo gut er konnte; und da ihm der Staat nicht 
half, fo half er fi nad) Kräften felber, oft auf Koften des Ganzen oder 
ichmwächerer Staatsgenofſen. So ging es auch in Brandenburg unter den 
wittelsbachſchen und luxemburgſchen Markgrafen. Da fie ihre Pflicht 
als Schüper ber Einzelnen nicht erfüllten und die Mittel des Staats 
veruntreuten, jo fuchten die Stände ihnen möglichft wenig Macht in 
die Hände zu geben und an fid) felber die Iandesherrliche Gewalt zu 
bringen, die doch ausgelibt werden mußte. Als Mittel dazu benußten 
fie die ftete Gelbnot der Markgrafen. Willkürlich Die Unterthanen zu be 
feuern, das betrachtete man nad) alten deutſchen Nechtsbegriffen als 
Raub; jede Steuer beruhte auf gegenfeitiger Übereintunft. Natürlich 
konnte es den Ständen nit in den Sim kommen, einem reblichen 
Fürften für nötige und nüßliche Zwecke die Geldbeihilfe zu verfagen; 
aber den Wittelöbachern und Luremburgern "gegenüber, wie fie in der 
Mark wirtichafteten, hielt man den Geldbeutel feft. Da diefe nun ohne 
immer neue Beben nicht beftehen Tonnten, fo ließen ſich die Stände für 
ihr Geld Rechte und Freiheiten bewilligen, welche bie landesherrliche 
Gewalt ungemein befchränkten. Wurden bie Forberungen zu arg, fo 
verweigerten bie Stände wohl aud) furzweg jede neue Steuer, wie auf 
dem Landtage zu Berlin 1345 geſchah. Später (1355) fehten fie dem 
Markgrafen gar einen Rat, den fogenannten „Hofmeifter“, zur Seite, 
ohne defien Zuftimmung feine marfgräfliche Verordnung Giltigfeit hatte, 
Wuchs fo die Gewalt der Landftände, jo mehrte fi in noch viel höherem 
Grade die Macht der Städte; denn fie hatten Gelb genug, um fi) 
Rechte zu erfaufen, und Waffen, um diefelben zu ſchützen. Faſt alle 
landesherrlichen Befugniſſe innerhalb ihrer Mauern brachten fie all- 
mãhlich an fi), insbejondere die oberfte Gerichtsbarkeit und das Münz- 
reiht; fie erwarben fogar das Recht, den Markgrafen die Treue auf 
zuſagen, falls fie von dieſen ungejeßlicherweife befhädigt würden. Zuletzt 
hatten eingelne Städte, wie Berlin und Köln, gar Brief und Siegel 
darauf, daß ohne ihre Erlaubnis der Markgraf nicht mit bewaffneten 
Gefolge in ihre Thore einziehen durfte. 

So ein Bürgermeifter von Berlin oder Brandenburg, Stendal, 

3° 


36 Brandenburgs Berrüktung. 


Frankfurt u. |. w. herrſchte über feine Stadt unb über die Dörfer und 
Schlöffer ringsum, bie zu ihrem Weihbilde gehörten, gleichſam wie ein 
König; freilich nicht wie ein unbejchränfter; feine Maßregeln beburften 
vielmehr der Zuftimmung des Rates. Mit dem Schulzentitel war auch 
die Erblichfeit der Würde abgelommen; und ber „Bürgermeifter" war 
es jetzt durch die Wahl des Rates, der ihm auf Lebenszeit einfeßte und 
mit großer Vollmacht betraute. In der Mitte des Jahrhunderts büßten 
die alten. Gefchlechter indes an ihrer Herrichaft viel ein; fie mußten den 
Gewerken, die immer bdrohender auftraten und ſelbſt zu den Waffen 
griffen, allmählich nachgeben und neben dem eigentlichen Heineren Rat 
einen größeren fih bilden laffen, in welchem auch der Ausfchuß der 
Viergewerke Pla nahm. Wie die wohlhabenden Zünfte fich dadurch 
einen Anteil an ber Regierung errungen hatten, jo ſetzte dann das 
geringe Volk durch, daß der Rat ohne Bewilligung der gefamten Ge⸗ 
meinde feine neue Steuer auflegen durfte. 

Es gab im Mittelalter nicht Freiheit, fondern Freiheiten, nicht Recht, 
fondern Rechte: jeder Einzelne hatte gerade das Maß und die Art von 
Recht und Freiheit, die feinem Stande nad) Sitte und Herlommen oder 
dur) Vertrag mit andern Ständen zufam; der Sohn mußte werden, 
mas der Vater war, und nur felten glückte e8 einem, ſich über den Stand 
emporzuſchwingen, in dem er geboren ward. Die Märker kannten es 
nicht anders. Kein Meifter nahm z. B. einen Lehrling an, deſſen Vater 
ein Schäfer oder Barbier, "ein Bader, Zöllner, Pfeifer, Müller ober 
Wende war; alle diefe galten für unehrlich, wie noch heute hie und da 
vom Volle die Scharfrichter betrachtet werden. So hatten die Bürger 
ihren Geburtsſtolz ähnlich wie die Edelleute, die ihrerfeits wiederum 
auf ben Handwerker mit Beratung berabjahen. Innerhalb feines 
Standes aber, in feinem befonderen Kreife, war jeder ungeftört; ba 
durfte ihm fein anderer, und wär's der Markgraf oder der Katfer, hinein- 
greifen. Jeder Stand hielt ängftlic auf feine Ehre; er erwartete nicht, 
daß man ihm mehr Ehre erwies, als ihm gebührte, dieſe aber forberte 
er in ihrem ganzen Umfange, wie er ben andern bie ihrige gab. Der 
Zunftzwang war ftreng, aber um ihrer Ehre willen forgte die Zunft 
aud) dafür, daß ihre Angehörigen. die Ware ohne Tadel und ohne Über- 
teuerung lieferten. Für diejenigen Gewerbe, auf denen der Großhandel 
einer Stadt beruhte, wie die Bierbrauerei in Salzwedel, die Tuchweberei 
in Stendal, ernannte hie und da aud) der Rat einen- aus feiner Mitte, 
um mit den Beſchauern, welde die Zunft dazu beftellte, die Güte der 
Ware zu prüfen. Es geſchah dann wohl, daß man das Bier auf die 
Bänke goß und fid) darauf feßte; lebten die Befchauer beim Aufſtehen 
feft, fo hatte das Bier die Probe -beftanden. 

Was die Gewerbe in der Mark befonders förderte, war die Ver- 


Die Stäbte, 37 


bindung, welche die meiften ihrer Städte mit der Hanja angeknüpft 
hatten. Denn mm erhielt der märfifche Handel eine weitreichende 
Xhätigfeit. Bis nach Nowgorod vertrieb er feine Ausfuhr, namentlich 
Tücher und Leinwand. Von dort holten die beutfchen „Gäſte“, die 
Hanſebrüder — es waren beſonders Lübecker — die ruffiihen Schätze, 
Zobel und Marderpelze, auch Erzeugnifie des fernen Indiens und Chinas, 
die auf Karawanen ans Faspifche Meer, von da durch Genuefer und 
Benezianer in die Wolga gebracht, dann nad) Moskau und Nowgorod 
gefommen waren. Für Wollen und Linmenwaren, für Salz und Heringe 
gab's da Seide und Baumwolle und koſtbare Gewürze und Spezereien, 
als Ingwer, Safran, Pfeffer, Galgant, Kubeben. Reben den Lübijchen 
zeichneten fich beſonders die breslauer Kaufleute durch weite Reifen aus, 
fie kamen bis in die große Tatarei und bis nad) Venedig; aber au 
die von Stettin, Danzig, Frankfurt, von Burg, Salzwedel, Berlin und 
anderen brandenburgifchen Städten eiferten ben unternehmenden Handels⸗ 
herren von Lübeck nach. Gegen die Räuber ſchützte man fi, fo gut es 
ging, durch bewaffnetes Geleit; gegen die Zollſchranken, die überall auf 
den Gebieten ber Fürften und anderen Großen auflamen, durch feftes 
Bufammenhalten in Güte und Gewalt. So kam es, daß Handel und 
Gewerbe troß der Ungunft der politifchen Lage auch in der Mark noch 
gebiehen, und der Wohlftand der Bürger zunahm. Sie thaten es in 
genußvoller Lebensweiſe ſchon den Adligen gleich und zuvor. Bejonders 
bei Hochzeiten und Kindtaufen wurde viel Aufwand getrieben, und bie 
Üppigfeit griff fo um ſich, daß eigene Verordnungen gegen fie von ber 
Obrigkeit erlafjen werden mußten. Denn man war der Anficht, ein jeder 
dürfe nur fo viel Pracht treiben, als für feinen Stand fich ſchickte. 
Daher verbot 3. B. der Berliner Magiftrat (in einem Lurusgefeße vom 
Jahre 1335) ben Bürgerfrauen, mehr als eine Halbe Mark an Gold» 
ſachen oder Perlen, oder golbbrofatene oder mit koſtbarem Zobel beſetzte 
Kleider zu tragen; ebenſo bejchränfte er die Zahl der Gäfte bei Hochzeiten 
auf 80, ber Schüffeln auf 40, während bei Kindtaufen nur 6 Bäfte und 
3 Schüffeln geftattet wurden. Selbſt der Einſatz beim Kegel» und 
Würfelipiel durfte eine gewiſſe Höhe (5 Schillinge*) nicht überſchreiten. 

Der Wohlſtand der märkiſchen Städte erlitt indes gegen Ende des 
14. Jahrhunderts die härteften Stöße. Dem unter Sigiemunds fahr« 
läffigem Regiment konnte das alte Übel bes Fauſtrechts und der Wege 
lagerei zur allgemeinften, entfeplichften Landplage werben. Sie ging 


*) Man rechnete noch nad) Marken, Sqhillingen, Pfennigen; daneben Tamen aber bie 
Bößmifcpen Grofäjen und die rheiniſchen Gulden auf. SYene, uripränglih gleich 70 Pfennig 
anferes Geldes, fanten durch Münzverileiiterung allmählih auf den Wert von 97 Pf. 
und waren nur bis zur Mitte des viergehnten Jahrhunderts ablich. Der Gulden (Gold- 
fü) fant in derjelben Weife von 10'/, auf 7 Mark unferes Geldes. 


38 Brandenburgs Zerrättung. 


zum Zeil von ben Nachbarn, zum Zeil von verlaufenem Gefinbel (dem 
„Stelmeifern“)*), haupiſachlich aber von dem märkif_hen Adel aus. Er 
hatte fich nie fehr durch ritterliches Thun ausgezeichnet; jeht war er ber 
verwildertfte im ganzen deutſchen Reid). Meift verarmt, beneidete er den 
Reichtum der Städte, veradhtete aber Die bürgerliche Thätigfeit, aus der 
diefer Wohlftand floß. Er wollte wohl ernten, aber nicht fäen. Daher 
ergab er fi dem Raubweien, und bald ſchien ihm des Adels Beruf in 
nichts anderem zu beftehen, als mit gewaffneter Hand den Städtern ihr 
Hab und Gut abzubringen. Auf allen Wegen und Stegen Iauerten bie 
Raubritter dem Kaufmann auf, warfen ihn nieder, nahmen fein Gelb 
und feine Waren, ſchleppten auch ihn felbft auf ihre Burgen, um ihn 
dort fo lange zu quälen, bis er ſich mit neuen Opfern auslöfte. Ober 
fie zogen in hellen Scharen vor bie Städte, verwüfteten das Weichbild, 
plünberten die Dörfer, trieben Zieh und Gefangene mit fid) fort. Hatten 
fie gar im raſchen Überfal oder mit Hinterift ein Städtchen erobert, fo 
ward barin gehauft wie von Heiden und Wilden. Der Fürft war fern, 
der Statthalter ohnmächtig ober gar mit den Räubern im Bunde; es 
galt, ſich felbft zu ſchützen. Der Rährftand kam nie zur Ruhe; aber in 
den Städten war er noch wehrhaft. Steckte der Wächter auf dem Bart- 
turm die Sahne aus oder ein Licht, dann erfchollen durch die Stadt die 
Sturmgloden, bie Bürger ftürzten mit Spießen und Schwertern aus den 
Häufern und auf dein Markt; jede Innung unter ihren Altmeiftern, voran 
das Stabtbanmer, daneben bie Geſchlechter in ſchimmernder Rüftung hoch 
zu Roß, — fo brachen fie aus dem Thore heraus, ben Aäubern bie Beute 
wieder abzujagen; ſetzten oft felbft bis an das Raubneft nad), um die 
Burgmauern zu erftürmen, zu brechen. War dann die Burg geſchleift, fo 
zogen bie Stäbter mit dem Geretteten jubelnd heim, und ber gefangene 
Edelmann mußte feinerfeits ſich Iostaufen, oder war's ein zu fchlimmer 
Morbbrenner, fo köpften fie ihn auf dem Markt. Dann fchrie wieder 
die Ritterfchaft Rache, und bie Fehde ging von neuem los. 

Keine Familie unter dem märkiſchen Abel trieb das Raubhanbwert 
10 im großen wie Die Quitzows. Dietrich) von Quitzow faß auf Schloß 
Frieſack, Hans, der jüngere Bruder, auf Blaue; außerdem Hatten fie 
aber noch manche andere Burg im Havelland, und viele Ritter, wie die 
Rooms, Putlitz und Bredows hielten es mit ihnen. Sie konnten fo 
viele Kriegsgefellen aufbringen, daß fie zumeilen ſogar mit ben benach⸗ 
barten Fürften auf eigene Hand Krieg führten. Aber am fchwerften 
laftete ihr Arm auf ihren Landsleuten; fie waren ber Schreden bes 
Bürgers und Bauern. Im Bunde mit dem Herzog von Pommern, dem 
Erzbiſchof von Magdeburg, den Grafen von Ruppin u. a., verheerten fie 


*) Das heißt eigentlich Vogelfanger. 


Die Raubritter. " 39 


weit und breit die Mark; die Stadt Strausberg zerftörten fie (1402) 
fo, daß fie hundert Jahre lang wüft lag. Größeres Unheil wehrten die 
Städte ber Mittelmart ab; im Verein mit einigen Wohlgefinnten vom 
Adel brachten fie ein Heer zufammen, das unter Anführung bes Ritters 
dv. Wanteuffel die Räuberbande ſchlug und Dietrid) v. Quitzow gefangen 
nahm. Der Kurfürft Zobit ließ diefen indes wieber los, verzieh ihm 
auch dann, als berfelbe den Furfürftlichen Statthalter verjagte; er ſah 
dem Unmefen ruhig zu, weil die Quitzows den Raub mit ihm teilten. 
Er verkaufte ihnen fogar noch einige Burgen. Durch ſolche Macht wurde 
felbft manche anfehnliche Stadt eingeſchüchtert und fuchte ihre Feindfchaft 
lieber mit Gold als mit Eiſen abzuwehren; Berlin gab ihnen zu Ehren 
einmal ein Feſt, auf welchem es mit Schmaufereien, Saitenfpiel und 
Zuftbarteiten aller Art hoch herging. 

Immerhin konnten die feften Städte, zumal die größeren, fich wohl 
noch fügen; aber auf dem platten Lande trat eine gründliche Ver- 
ſchlimmerung der Dinge ein. Die zahlreichen freien Bauernfchaften, bie 
bier im 12. und 13. Jahrhundert entftanden waren, verloren den größten 
Teil ihres Wohlftandes und ihrer Freiheit. Dur die fortmährenden 
Tehden und Kriege war manches Dorf veröbet oder doch verarmt; um 
fo leichter fiel e8 in die Gewalt der adligen Nachbarn. Diefe rifien an 
vielen Drten die Lehnfchulgenämter und damit bie Gerichtsbarkeit über 
die Bauern an fi) ımd mißbrauchten dann ihren Einfluß, um fich auf 
Koften berfelben zu bereichern, oder fie nahmen den Dorfgemeinden 
geradezu Ländereien mit &ewalt fort. So wuchſen die Rittergüter, 
während die freien Bauernhöfe zufammenfchrumpften. Selten gedieh freilich 
das umgerechte Gut. Dem immer mehr wandten fi) die Adligen dem 
leichten Erwerb des Stegreifrittertums zu. Raſch war eine Fehde vom 
Zaun gebrochen ımd das Plündern begann. Aber das bald Gewonnene 
war durch Praffen und Spielen ebenjo bald zerronnen, riß befier Er- 
rumgenes, altes Befigtum mit fi, und die Armut hielt nun den Ritter, 
der jonft aus Übermut oder Habgter fid) hinter die Here gelegt und auf 
die Beute gepaßt hatte, bei bem elenden Handwerke feft. Der vornehmen 
Räuber Beifpiel entſchuldigte die gemeinen Leute, Die auch lieber ohne 
Arbeit fatt wurden. So mehrte fid) die Zahl ber Räuber und Diebe. 
Da half die Härte der Strafgefeße nicht. Und doch war fie fo grau 
ſam: griff man einen, der über drei Schillinge geftohlen, fo ging's ihm 
an ben Hals, er wurde hingerichtet; hatte er weniger genommen oder 
fonft ein Hleines Vergehen verübt, fo ging's ihm an Haut und Har, er 
warb geftäupt oder gebrandmarkt oder verftümmelt und mußte dann 
Urfehde“ ſchwören, d. h. verſprechen, fi) wegen biefer Strafe nicht zu 
rächen, aud) das @ebiet, wo er fie erlitten, mie wieder zu betreten. 
Nun war er ohne Heimat, den Ehrlofen nahm feine Gemeinde auf, er 


40 Brandenburgs Zerrättung. 


ſchloß fi) einem Raubritter an ober ging in den Wald unter die Stell- 
meifer und ward Räuber wie fie. Zuletzt war die Mark in ganz 
Deutſchland fo verrufen, daß man zu fagen pflegte, „wen etwas ab» 
handen gekommen fei, der folle es nur in der Mark ſuchen.“ 

Galten die märkiſchen Edelleute im Reich für arge Schelme, ober, 
wenn fie ehrlich lebten, für roh und bäuriſch, fo Hatte auch die Getft- 
lichkeit feinen guten Ruf. Sie war über die Maßen unwiſſend; viele 
Mönche und Priefter konnten kaum leſen, gejchweige denn ſchreiben. 
Darum waren auch die Kloſterſchulen, wo die reichen Bürgerkinder und 
adligen Junker unterrichtet wurden, im Durchfchnitt bei weitem nicht fo 
gut al Heute unfere Dorfſchulen. Ähnlich den fahrenden Schülern, die 
in Deutſchland von Hochſchule zu Hochſchule zogen, trieben ſich in ber 
Mark junge Leute umher, „Bachanten“ genannt, die vorgaben, ftubiren 
zu wollen, fich indes mehr allerlei Kurzweil, als der Studien beflifien; 
Heinere Knaben, „ABE-Schügen", die fie als ihre Schüler mit fid führten, 
mußten für fie betteln. Leider war die Geiftlichteit, von der die anderen 
Stände dod) alle höhere Bildung empfangen follten, nicht bloß ſehr un= 
wiffend, fondern zum großen Zeil aud) ſehr unſittlich; beides nährte den 
Eifer, mit dem fie jeder Art von Aberglauben Vorſchub that. Auch die 
Markt hatte dur fie einen berühmten Wallfahrtsort; feit 1383 wall- 
fahrteten Hohe und Niedere von nah und fern nad Wilsnad, fid) durch 
das „heilige Blut“, das bafelbft Wunder thun follte, von Sünden und 
andern Übeln erlöfen zu laffen. Manchmal nahm der religiöſe Wahn 
eine bösartigere Geftalt an, zumal wenn ein großes allgemeines Unglüd 
unerwartet hereinbrady, wie ein ſolches ſich im Jahre 1348 ereignete. 
Erdbeben, Feuerſchein am Himmel, ſchwere ftinfende Dunftwolfen erfüllten 
damals ganz Europa mit Schreden; dann kam langſam, unentfliehbar, 
von DOften nad; Weften Hergezogen die Peſt und lagerte fi) über bie 
Länder. Schwarze Beulen am Leibe waren das Zeichen, am dritten 
Tage folgte der Tod. Im einem Jahre flarb der dritte Teil der Menfch- 
beit. Da rifien im ungeheuern Entſetzen die heiligften Bande, der Mann 
floh vor feinem Weibe, der Vater vor den Kindern, der Freund vor 
dem Freunde. Das letzte Gericht ſchien gekommen. Da ftürzten fi) die 
einen, das Leben noch auszufoften, fo lange fie's hatten, in die wildeften 
Strudel des Genuffes, in den tiefflen Abgrund der Sinnlichteit. Andere 
wähnten, durch Abtötung des Fleiſches Gottes Zom zu verföhnen; 
Haufen von Schwärmern zogen durch das Land, die fid) bis auf das 
Blut geißelten und, Bußlieder fingend, ſchwere Kreuze mit fich fchleppten. 
Das waren die „Geißelbrüder“, die den ,ſchwarzen Tob“ abzuwenden 
meinten. Balb artete die Schwärmerei in Greuel jeder Art aus; die 
Geißler trieben Raub und Unzucht, bis fie von den Fürften und 
Biſchöfen umterdrücdt wurden. Am fchlimmften fuhren in ſolchen 


Die Geiſtlichleit. 41 


Seiten die Juden; auch jeßt fiel der Pöbel wütend über fie her, weil 
fie die Krankheit durch Vergiftung der Brunnen hervorgerufen hätten. 
Biele Juden wurden famt ihren Häufern verbrannt, andere beraubt und 
ins Elend binausgetrieben. So geihah es 1349 in der Mark wie in 
ganz Deutſchland; erft im nächften Jahre, als die Veft gewichen war, 
legte ſich auch die Raferei der Menfchen. 

Der Schaben, den auch der Vollscharalter durch ſolche Greignifie 
nahm, war groß, aber noch mehr verwilderten Geift und Gemüt durch 
die dauernden Übel, an denen die Mark unter den Wittelsbachern und 
Zuremburgern allzulange Trankte, zumal durch das herrichende Räuber 
tum; es entfittlichte alle Klafien der Gefellihaft, indem es Die Begriffs- 
verwirrung über Recht und Unrecht zur Gewohnheit, den Sieg ber rohen 
Gewalt zur Regel machte. Schwach und wehrlos nach außen, zerrüttet 
im Innern, in diefem jammervollen Zuftande war die Mark, als das 
15. Jahrhundert anbrach. Wird es bem Lande ben Retter bringen? 


Zweites Bud. 


Brandenburg unter den hohenzollerſchen Kurfürſten bis zum 
Regierungsantritt Friedrich Wilhelms d. Gr. (1415—1640). 


Aurfürſt Srierid J. 


Ir Schwabenlande zwiſchen Rectar und Donau, nicht fern vom hohen 
Staufenberg, der die Stammburg ber gefeiertften unter den alten deut ⸗ 
ſchen Kaiſern trug, da liegt and) das Ahnenſchloß der Hohenzollern, und 
ihr Name erſcheint ziemlich zu gleicher Beit mit ben Staufen, nämlich 
1061, zum erften Mal in der Gedichte. Es war ein Grafengeſchlecht, 
das dort auf dem Bollern haufte, angejehen und begütert bis zum Boden- 
fee. Gegen Ende des zwölften Jahrhunderts erwarb es and in Franken 
Beſizungen, fowie die Burggraffhaft zu Nürnberg, und nun 
fonderte es ſich durch eine Erbteilung (1218)*) in zwei Linien, die ältere, 
welche die fränkiſchen Güter nebft dem Burggrafentum, und Die jüngere, 
welche den ſchwäbiſchen Beſitz einnahm; von jener ſtammen bie preußifchen 
Könige, vom dieſer die Fürften von Hohenzollern ab. Schon die Burg- 
grafſchaft gab den Bollern im Reiche einige Bebeutung, fie war ein 
wichtiges Amt; denn der faiferliche Burggraf fland in feinem Bezirk 
anftatt des Kaifers, er verwaltete Hier defien Güter und Einkünfte, war 
auch für alle die weiten Landſtriche, welche in Franken und Schwaben 
zur ſtaufiſchen Hausmacht gehörten, der oberfte Richter und Kriegsherr. 
So recht eigentlich zum Diener des Kaifers und Reichs beftellt, führten 
die Burggrafen von Nürnberg ihr hohes Amt mit ımmanbelbarer Treue. 
Nach dem Untergange der Hoheriftaufen, denen fie ſtets am eifrigften ans 





*) Stiffeied und Märter, Hohenzollerfche Forſchungen, Berlin 1847, I. &. 112ff. 


Die Bollern. 43 


gehangen, waren fie e8, denen das Haus Habsburg feine Erhebung ver- 
dankte. Xhr Haupt, Burggraf Friebrid) III, lenkte 1273 bie Kaiferwahl 
auf den Grafen Rudolf von Habsburg, feinen Schwager, und half bem- 
felben dann zu feinen größten Erfolgen, trug in der Schlacht auf dem 
Marchfelde 1278 die Sturmfahne des Reichs, überredete 1282 die Fürſten, 
dasß fie Das eroberte Öfterreid, an die Söhne des Kaifers kommen ließen. 
Einen Dank erntete er dafür vom Haufe Habsburg nicht, und fein Sohn 
verſchaffte daher, infofern er einen Hauptanteil an dem Siege bei Mühl: 
dorf hatte, dem Wittelsbacher Ludwig den Kaiſerthron. 

Die hervorftechendften Eigenſchaften der Hohenzollern waren von 
jeher Klugheit, Tapferkeit und Wirtfehaftlidjfeit. Durch biefe Tugenden, 
zum Zeil auch durch eine Gelbquelle, die aus ihren Bergwerfen am 
Fichtelgebirge floß, vermehrten fie ihr Beſitztum an Städten und Dörfern, 
Burgen und Wäldern in einem folhen Maße, daß Kaifer Karl IV. fie 
1363 zu Reihsfürften erhob. Geitdem fanden fie auch geſetzlich ben 
großen Fürftenfamilien glei), bie fie einft alle weit zu überragen be- 
flimmt waren. Den erften Schritt dazu thaten fie ebenfalls mit Hilfe 
eines Luxemburgers. Sigismund, König von Ungarn, hatte im Jahre 
1410 das höchſte Ziel feines Ehrgeizes erreicht, er war deutſcher Kaifer 
geworben; aber daß ihn ein Teil der Kurfürften gewählt hatte, daß ihn 
im folgenden Zahre nad) Jobſts Tode auch deffen Partei anerkannte, das 
verdanlte er größtenteils ben geſchickten Bemühungen feines Freundes und 
Beraterd, des Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg; er beſchloß, ihn 
dafür zu belohnen. Soeben (1411) war fein Wetter Jobſt geftorben, 
und die Mark wieder an ihn heimgefallen, und nun famen von deren 
Städten und Mannen Abgefandte zu ihm nad Ofen, wo er noch Hof 
hielt, und fehilderten Brandenburgs Elend. Ihm ſchlug das Herz, wie 
er den Jammer hörte und bedachte, daf er allezeit wie ein Stiefvater 
an dem Lande gehandelt; aber er geftand fich, daß er jetzt unter der Laft 
der kaiſerlichen Gefchäfte noch weniger als bisher dazu kommen würde, 
feine Pflicht gegen die Mark zu erfüllen. Ein fo verwildertes Land 
wieber in Ordnung zu bringen, Dazu bedurfte es eines Eugen und ſtarken 
Regenten, der fid) ganz diefer Arbeit hingab. Als ein folder mußte ihm 
fein Freund, der Burggraf, erſcheinen. Friedrich befaß beträchtliche Geld⸗ 
und Madjtmittel — die zollerſche Hausmacht in Franken umfaßte damals 
faft das ganze Gebiet der fpäteren Fürftentümer Ansbach und Baireuth, 
— aber noch größer war Friedrichs perfönlicher Wert. Schon bie äußere 
Erſcheinung des Mannes wird von den Seitgenofien gerühmt, feine 
mãnnliche Schönheit, feine feinen Sitten; doch was ihn vornehmlich aus ⸗ 
zeichnete, war feine geiftige Überlegenheit: fein ſcharfer Blick, der Menſchen 
und Berhältniffe fofort durchſchame, die Befonnenheit und Gewandiheit, 
auch in den fchwierigften Lagen fich leicht zurecht zu finden und fie zu 


44 Kurfüeft Friedrich 1. 


bemeiſtern, endlich, damals ſelten genug, eine glänzende Bildung, genährt 
an den Dichtern und Geſchichtſchreibern in alten und neuen Sprachen. 
Kein Wunder, daß der geiſtreiche Kaiſer die Freundſchaft und den Rat 
eines ſolchen Mannes ſehr hoch ſchätzte, den erprobten Gehilfen bei allen 
großen Eteigniſſen zum Beiſtand rief und auch jet zunächſt an ih 
Dachte. Er betraute den Burggrafen Friedrich, um ihm feinen Dank und 
der Mark feine Pflicht zu leiften, mit dem ſchweren, aber ehrenvollen 
Amte eines Statthalters in Brandenburg, und indem er fi ihm für 
150 000 Goldgulden verfchuldet*) erflärte, verfdhrieb er ihm die Mark 
als Unterpfand (8. Juli 1411). Zugleich erließ er an die Märker den 
Befehl, dem Burggrafen zu gehorchen, ben er ihnen „als einen rechten 
Dbriften und Verweſer“ ſenden werde. Die Quitzows fpotteten zwar 
über diefen „Nürnberger Tand“, meinten, „werm e3 auch ein ganzes 
Jahr lang Burggrafen regnete, jo wollten fie ſolche doch nicht in ber 
Mark auftonmen laſſen“. Und als nun Friedrich) (im Juni 1412) an- 
langte und von den Ständen die Huldigung, don den Pommern die 
Herausgabe der Uckermark forderte, fügte fi nur ein Meiner Teil ber 
Mark, die Pommern griffen fogar ohne weitered zum Schwert; bie 
Herzöge Kafimir und Dtto von Stettin fielen ihm ins Land; mır mit 
Mühe wehrte er fie im Gefecht am Kremmer Damm (24. Oftober 1412) 
ab. Aber durd) Feftigfeit und Klugheit wußte er ſich Anfehen zu ver- 
ſchaffen; viele brachte er durch gütliche Unterhandlungen, andere durch 
Orohungen, die er den Katfer ausfpredyen ließ, auf feine Seite; zuletzt 
Buldigten ihm auch die Auffäffigften, die Putlitz, Duigow, Rochow und 
andere Raubritter in ber Priegnitz, Altmark und im Havelland (1413). 
Allein wirfichen Gehorfam zu leiften, waren dieſe keineswegs gemeint. 
Unter ben Augen des Burggrafen feßten fie ihre Raubzüge ins Gebiet 
ber Nachbarfürſten und felbft brandenburgifcher Bafallen fort. Da mußte 
Friedtich die lange geübte Milde fahren laſſen und zur ultima ratio des 
Regenten greifen. Er ſchloß mit den Nachbarfürften, bie unter dieſem 
Unwefen kaum minder litten als die Mark, namentlich mit dem Erzbifchof 
von Magdeburg und dem Kurfürften Rudolf von Sachen, Verträge zu 
gemeinfchaftlichem Angriff; Anfangs Februar 1414 zogen die Verbündeten 
vor die Raubburgen. Buerft fiel Frieſack, fo tapfer fi) aud) die Be- 
fagung wehrte; dann Blaue, hinter defien 14 Fuß diden Mauern Hans 
v. Quitzow fid) unüberwindlich gewähnt hatte; aber gegen die 24pfün- 
digen Kugeln des ſchweren Geſchützes, welches Friedrich vom tbüringifchen 
Kandgrafen geborgt hatte — der „faulen Grete" nad) der Sage — hielt 
feine Mauer ftand. Die Duipows mußten fliehen; Hans geriet dennoch 
bald in Gefangenſchaft, Dietrich wurde fpäter, da man ihm auch ben 


*) Dal. Beitirift für preuß. Geſchichte, II. S. 815. 


Reiäetag zu Rofkaif. 45 


Brand der Stadt Nauen ſchuld gab, für vogelfrei erflärt und Fam elend 
um. Auch Rochows Burg Golzow, weldye der Herzog von Sachſen bes 
Iagerte, fiel; Rochow bat mit ben GSeinigen um Gnade; die Männer 
Stricke um den Hals, die Frauen in weißen limmenen Bußfleidern, jo 
fielen fie dem Herzog Rubolf zu Füßen. Sie wurden begnadigt, doch 
ließ ihnen Friebrich nur eins von ihren Schlöffern. In. Zuni 1414 
Hatte er im ganzen Lande die Ruhe bergeftellt. Dann lieh er auf. dem 
Landtage zu Tangermünde die Empörer gerichtlich verurteifen, ſetzte einen 
Zandfrieden feſt und esteilte ben Städten, die ihn kräftig und treu unter- 
fügt Hatten, manche Vergänftigung. Auch den Nahbarfärften war er 
für. ihre Hilfe gegen ben aufſäſſigen Adel verpflichtet. Er verlängerte 
num die Bündnifje mit ihnen. Nachdem er dann die Statthalterſchaft 
einftweilen feiner Gemahlin, der „Ichönen Elfe“, übergeben, eilte ‘er im 
Auguft 1414 nad Koftnig, wohin der Katfer foeben ein allgemeines 
Konzil der ganzen abendlänbifchen Chriftenheit und einen Reichstag der 
deutfchen Fürften berufen hatte. 

Denn es handelte ſich um die größten Dinge: es galt, die Kivchen- 
fpaltung zu befeitigen, jene monftröfe Erſcheinung, daß drei Päpfte — 
zu Avignon, zu Rom und in Oberitalien — neben einander beſtanden; 
es galt ferner, eine Beflerung der Kirche, ihre Reformation an Haupt 
und Gliedern vorzunehmen und bie Keberei des Böhmen Johann Huf 
auszurotten. Dieſer Hihne Mann hatte e8 gewagt, die Herrichaft bes 
Papſtes anzugreifen und die Mißbräuche, an denen die römifche Kirche 
frankte, namentlich bie Sittenlofigfeit im Klerus, bie Gelberpreffung durch 
den Verlauf der Abjolution, die Entartung des Gottesbienftes, die Ver— 
mengung be3 Geiftlichen mit dem Weltlichen, fowie manden falſchen, 
ſchädlichen Glaubensſatz vor allem Volle aufzudecken; unter großem Bu: 
lauf predigte er in Böhmen feine neue Lehre. Aber mehr als von einem 
einzelnen Geiftlichen hoffte man von einem aflgemeinen Konzil. Mit ge 
fpannter Erwartung richtete daher das ganze Abendland feine Blide nad) 
Koſtnitz, wo nun Patriarchen und Kardinäle, Erzbiſchöfe und Biſchöfe, 
Abie und Prieſter, viel taufend Kirchenlichter aus allen Reichen der 
Ehriftenheit, ferner alle deutſchen Färften, fremde Gefandte, viel Adlige 
und Volk fih um den Kaifer fammelten. Da ſah man alle Pracht der 
Erde, aber auch leidenfchaftlichen Streit und große Unfittlichfeit. Vier 
Jahre lang wurde bier gerebet und verhandelt, aber die Hoffnung ber 
Völker zuleßt doch getäufcht. Denn gerade die wichtigſte Aufgabe, die 
Reformation, warb nicht gelöft. Der Papft, den man nad) Abſetzung 
der drei vorhandenen gewählt hatte, und die übrigen fremben Hohen⸗ 
priefter machten alle Anftrengungen des Kaifers und der beutfchen Re 
formfreunde zu ſchanden; es blieb beim alten, und ben ebein Huß, der 
auf Sigismunds kaiſerliches Wort unter freiem Geleit erſchienen war, 


46 Kurfürft Friedrich I. 


verbrannten fie als einen verſtockten Ketzer (am 6. Juli 1415), da fie 
ihn nicht widerlegen konnten. 

Ein befieres Ergebnis Tieferte der Koftniger Reichstag. Burggraf 
Friedrich hatte feine Fähigkeit, Die Mark in Ordnung zu bringen, wäh» 
rend feiner furzen Statthalterfchaft jo glänzend bewieſen, daß ber Kaifer 
beichloß, fie ihm ganz und für immer anzuvertrauen. Überdies war er 
ihm Geld ſchuldig, auch konnte ihm fein Freund als Kurfürft noch eine 
weit größere Stüße fein wie als bloßer Burggraf und Statthalter. Daher 
trat er ihm durch Urkunde vom 30. April 1415 die Mark Brandenburg 
mit der Kurwürde und dem Erzlämmereramt als erblichen Beſitz ab. 
Der Vorbehalt, den Sigismund fich dabei ausmachte, daß nämlich er 
und feine männlichen Erben fie für 400000 ungariſche Gulden wieder⸗ 
erwerben könnten, erloſch in der Folge von felbft, da ſowohl er als fein 
Bruder Wenzel ohne Söhne ftarben. 

Daß aber dieſe Abtretung nicht eigentlich ein Kaufgefchäft war, 
ſondern mehr zum Dank und als Anerkennung für Friedrichs Verdienfte 
um den Kalfer und um die Mark geihah, geht auch aus der Urkunde 
jelber hervor. Der Kaifer jagt darin: „Da ums nad der Gnade bes 
allmädjtigen Gottes fo viele und fo weite und breite Königreiche zu ver- 
wejen befohlen find, daß wir, um die alle löblich zu regieren, engel» 
gleicher Kräfte bebürften, unfere Menſchlichkeit und notbürftige Kraft das 
aber ohne trefflichen Rat und Beiftand nicht vermag, und da wir ganz 
bejondere Liebe zu dem würdigen Kurfürftentum der Mark Brandenburg 
haben, nämlich weil wir dasſelbe aus unferer väterlichen Erbſchaft zuerft 
beſeſſen haben, beshalb wollen wir ihr und ihren Einwohnern immer 
gern guten Trieben, Gemächlichkeit und Ruhe verjhaffen. Nachdem ſolche 
unfere beſondere Liebe unfer fönigliches Gemüt vormals bewogen hatte, 
daß wir den hochgebornen Friedrich, Burggraf zu Nürnberg, unſern 
lieben Oheim und Fürften in Anfehen und Betracht feiner Reblichkeit, 
Vernunft, Macht, Feſtigkeit und anderer feiner Tugenden, womit ber 
allmädjtige Gott ihn mannigfach geziert hat, insbejondere aber feiner 
lauteren und bewährten Treue, die er gegen uns hat, aus eigener Bewes 
gung zu unjerem rechten Obriften, Verweſer und Hauptmann über die 
Mark beftellt haben, — nachdem aber weiter unfere Sorge und Arbeit 
für Die heilige Kirche, das Heilige Reich, und zum allgemeinen Frommen 
fi) alfo vermehrt Haben, daß wir ung nicht vermeflen können, felber in 
die Mark ziehen zu wollen, — — da nun aud) landkundig ift, Daß ge- 
dachter Friedrich durch feine Vernunft mit feiner Macht, Arbeit und 
Bagnis, fowie aud) mit großen Aufwandungen und Koften, die er aus 
feinem eigenen Vermögen gemacht bat, die Mark in einen fo trefflichen 
Yuftand des Friedens und guter Ordnung gebracht, Räubereien und Un- 
thaten in berjelben ausgerottet, — da es uns denn auch billig zu fein 


Hulbigung. 47 


dünkt, daß wir uns für ſolche Arbeit ihm dankbar erweifen und daß 
ihm feine Koften wieder erftattet werden, — aus allen dieſen Gründen 
und aud) in Erwägung jeiner willigen nüßlichen und getreuen Dienfte, 
die er ums umverdroffen gethan hat und täglich thut, — dazu endlich 
in ber Abficht, daß der Friede und die Beflerung in der Mark erhalten 
bleiben und zunehmen, haben wir dem vorgenannten Friedrich und feinen 
Erben die Mark und das Kurfürftentum mit dem Erzlammermeifteramte 
und mit allen und jeglichen Würben, Ehren, Rechten, ‚Landen u. f. w. 
gmäbiglic gegeben und ihn zu einem wahren und rechten Markgrafen 
Darüber gemacht.“ 

Mit diefer Urkunde und andern Faiferlichen Empfehlungs- und Ge 
botsjcjreiben begab ſich Friedrich, num wieder nad) der Mark, um, wie 
& Brauch und Sitte war, ſich als Landesherrn Huldigen zu laſſen und 
feinerjeit8 den Ständen ihre altverbrieften Rechte und Freiheiten zu bes 
fätigen. Am 21. October 1415 im „hohen Haufe“ *) zu Berlin geſchah 
die feierliche Handlung; der Propft von Berlin las den verfammelten 
Ständen die Briefe des Kaijers vor; darauf ſchworen die Stände dem 
Markgrafen Friedrich ımd feinen Erben Treue und Gehorfam „nad, 
Ausweis feiner Briefe”, wogegen der Markgraf die Freiheiten, Rechte 
und Gewohnheiten der Städte, Ritter und Geiftlichfeit im ganzen und 
einzelnen ſaͤmtlich durch fein Wort und feine Unterfchrift beftätigte und 
verbürgte. Seine Belehrung durch ben Kaiſer erfolgte erft fpäter; fie 
geſchah am 18. April 1417 zu Koftnig mit größter Feierlichkeit und 
vielem Gepränge. 

Sigismamd hatte in der Mark nicht mehr abtreten können, als er 
ſelbſt bejefien, und das war, wenn man nur auf bie materiellen Macht- 
mittel ſah, keineswegs viel — 381 Duabratmeilen mit etwa 160,000 
Einwohnern —; ber größte Teil der Iandesherrlichen Güter, Rechte, 
Einkünfte war ja während ber letzten Hundert Jahre in andere Hände 
gelommen. Um für die Mark fo viel zu leiften, als fein glüdlicher Anz 
fang verſprach, hätte Friedrich alfo auch in ber Folge fid) der Gunſt 
des Katjers erfreuen, jedenfalls aber dem Lande feine ımgeteilte Kraft 
und Aufmerffamleit zuwenden müſſen. Keins von beidem geſchah. Der 
neue Kurfürft gebachte bei aller Dankbarkeit und Treue gegen ben Kaifer 
doch keineswegs, feine Überzeugung und bie Pflihten gegen fein Land 
demſelben zum Opfer zu bringen; namentlich, die Maßregeln, die Gigis- 
mund, feit 1419 König von Böhmen, gegen die Anhänger des Huß traf, 
mochte er nicht unterftüßen, oder unterftügte fie doch nur lau; ſchon das 
durch verlor er beim Kaifer viel. Und doch hatte er hierin nur allaujehr 


9) &o hie das Haus, wo bie Markgrafen, wenn fie in Berlin verweilten, abzufteigen 
pflegten; es iſt das jehige Lagerhaus in der Klofterftrahe, 


48 Kurfürft Friedrich I. 


Recht gehabt. Sigismunds unbefonnene Strenge goß in Böhmen nur 
Ol ins Feuer und entflammte jene furchtbaren Huffitentriege, die 
fünfzehn Jahre lang den Dften Deutfchlands verheerten. Den religiöfe 
Begeifterung und der Nationalhaß gegen bie Deutjchen ſtachelte das 
iſchechiſche Bolt zum Kampf auf Leben umd Tod. Allerorten in Böhmen 
harten fi) die Hufftten, befonders Die Landleute, zufammen, trieben Die 
Deutfchert, die es mit Bapft und Kaifer hielten, aus dem Lande und 
verübten gegen Kirchen und öfter, gegen alle, bie wiberftrebten, ent- 
jegliche Greuel. Vergeben brachte der Kaifer den Reichskrieg, die Geift- 
lichkeit ringsum den Kreuzzug gegen bie Keßer zu ſtande; es half auch 
nichts, daß man einmal den Kurfürften Friedrich zum oberften Anführer 
der Reichstruppen einfehte; bie Ritter und Söldner wurden von den 
handfeften Bauern miebergehauen, und die Kreuzheere liefen voll Schrecken 
vor ben Wütenden auseinander. Denn die Huffiten ftritten nicht bloß 
mit der Kraft nationaler und religiöfer Begetfterung, fondern aud) in 
einer ganz neuen ımb fehr wirffamen Kriegsweife, bie der blinde Ziska 
unter ihnen aufgebracht hatte. Sie kämpften regelmäßig, zu Fuß, in 
großen Vierecken aufgeftelt, geftügt auf bewegliche Wagenburgen oder 
Hinter denfelben gebedt; nad) dem Takt ber Feldmuſik und unter dem 
Schall ihrer geiftlichen Kriegslieder drofchen fie mit ihren ſchweren Fle- 
geln die Feinde nieder, während ihre Reiter und mit Feuerbüchſen bes 
waffneten Schüpen Unordnung in das Kreuzbeer brachten. Bald gingen 
fie von der Abwehr gar. ihrerfeits zum Angriff über; huffittſche Horden 
unter Anführung des großen und bes Meinen Prokop verwüfteten mit 
Mord und Brand die Nachbarländer. Auch Über die Mark entlud fich 
das Unwetter oft in furchtbaren Schlägen; am gewaltigften im Jahre 
1432. Hundert märkiſche Dörfer, aud) die Städte Lebus, Mündheberg, 
Strausberg, Altlandsberg gingen damals in Flammen auf; was fliehen 
Tonnte, floh nad) Berlin, nur Frankfurt a. O. widerftand. Bon der Oder 
308 ber große Prokop dam in die Mittelmart und belagerte Bernau; 
aber die Bürger ſchlugen alle feine Stürme tapfer ab, bis ber junge 
Markgraf Friedrich, des Kürfürften Sohn, mit einem Heere zu Hilfe kam 
und die Huffiten zum Rüdzug nad) Böhmen nötigte. Endlich gelang 
es ben Bemühungen bes Kurfürften Friedrich und anderer gemäßigter 
Reichsftände, den Kaifer und die Päpftlichen zur Nachgiebigfeit zu be— 
wegen. Auf der Kirchenverfammlung zu Bafel erhielten die Huffiten 
(1433) einige Zugeftändniffe in geiftlichen Dingen, namentlich den Laien- 
feld), und da dann aud) unter ihnen die gemäßigte Partei obflegte, fo 
unterwarf fid) 1436 den Kaifer ganz Böhmen. 

Einen noch härteren Stoß als durch bie Huffitifche Sache erlitt 
Friedrichs und Sigismunds Freundſchaft, als die beiden auch in der 
auswärtigen Politik uneins wurden. Der Kurfürft fuchte die Anwart- 


Krieg mit Pommern. 4 


ſchaft auf den polnifhen Thron an fein Haus zu "bringen, ein vergeb- 
liches Bemühen, das doch den Bom. des KaiferS erregte, der ebenfalls 
Abſichten auf Polen Hatte. Friedrich hatte bald die übeln Folgen zu 
empfinden. Nicht bloß daß ber Katfer nach dem Ausſterben der fächfl- 
ſchen Askanier das Herzogtum Sachfen- Wittenberg dem Haufe Bollern 
verfagte und (1423) an das Haus Wettin gab; er hemmte den Kur⸗ 
fürften fogar in feinen Bewähungen, die Grenzgebiete, die von der Marl 
abgekommen waren, wieberzuerobern. Friedrich wer ‚auf dieſes Ziel an- 
fangs mit gutem Grfolge losgegangen. Über den Herzog Dito von Pom⸗ 
mern, der ihm die Uckermark ftreitig machte, gewann er 1420 bei Anger 
münde einen Sieg. Freilich erlagen die Pommern hier nur durch ben 
uverftand ihres Herzogs, der die Schlacht in einer höchſt ungünftigen 
Stellung 1. Bergebens riet des Fürften Warſchall, Detlef von 
Schwerin, von dem unbefonnenen Angriff ab. „Herr Detlef!“ meinte 
der Herzog, „iu i8 lede vor jue junge Lyf und jue ſchone Wyf.“ „Myn 
Here," antwortete Schwerin, „mi is nich lede vor myn junge Lyf odder 
myn ſchone wyf; huten wil if vor ju ſterfen.“ Er griff am und fiel 
tapfer in dem Gemetzel, das die Brandenburger nun unter ben enge ge 
drängten, von vorne mit Geſchütz befchofienen, im Rüden von einer mär- 
tichen Abteilung unter Gans von Putlitz überfallenen Pommern anrid;- 
teten. Der Lohn dieſes Sieges war für Friedrich der ungeſtörte Befik 
der wichtigen Stadt Angermünde, aus der die Markgrafen immer einen 
guten Zugang nad) Pommern hatten. Indeſſen die Ungnade, in welche 
Friedrich beim Kaifer fiel, ermutigte alle feine Feinde wieder, und es 
gelang ihm nad) mandjerlei friegerifchen und diplomatiſchen Kämpfen 
zur einen Teil ber Uckermark mit Angermünde ımd bie Lehnshoheit über 
Medienburg- Stargard den Pommern und Mecklenburgern wieder abzu- 
ringen. 


Es fehlte dem Kurfürften aber auch an ber vechten Liebe zur Mark. 

Er wer hier fremd, er konnte ſich in biefem verwilberten Lande nicht 

Fra fühlen; feine ziviliſirtere fräntifdye Heimat z0g ihn weit mehr an. 

rdies nahmen ihn die Geſchäfte bes deutfchen Reichs zu fehr in An- 

Fa So fam es, daß er ſchon 1426 die Verwaltung der Mark an 

feinen Sohn Johann gab und nach Franken zurüdkehrte, wo er auch 

(am 21. September 1440 auf dem Schloffe Kadolgburg), 68 Jahre alt, 
geftorben ift. 


Sriedrid II. der Giſerne. 


Rad; der Verfügung des Vaters teilten feine Söhne in der Art, . 
ba der ältefte, Johann, das Fürftentum Batreuth, der zweite, Friedrich, 
die Mark, der dritte, Albrecht, das Fürftentum Ansbach ud der vierte; 

Bierfon, preuß. GSeſchichte. L 


50 Kurfücft Friedrich II 


Friedrich der Fette, ein Stüd der Altmark befam. Der neue Kurfürft 
war allerdings fähiger, die Mark zu regieren, als fein Bruder Johann; 
Friedrich II. hatte des Vaters Bejonnenheit und Peftigfeit wie befien 
Milde und Mäßigung geerbt; eigentümlich war ihm die zähe Beharr- 
Hohfeit, womit er das, was er einmal angefaßt, fefthielt, bis es fich 
feinen Abfichten fügte; eine Eigenſchaft, die ihm den Beinamen „mit den 
eifernen Zähnen" erwarb. in anderer bervorftechender Bug an ihm 
war feine wahrhafte Herzensfrömmigkeit; dagegen fehlte ihm des Vaters 
gewinnende Weife; fein Wejen war vielmehr ernſt und ftill bis zum 
Trübfinn. 

Von Anfang ſeiner Regierung an ſetzte er ſich ein Hauptziel: der 
Mark wieder den Umfang zu verſchaffen, den ſie dem Rechte nach haben 
ſollte. Dreißig Jahre lang, bis an ſein Ende hat er an dieſer Aufgabe 
gearbeitet, und es iſt ihm ihre Löſung, wenn auch freilich nicht ganz, 
doch zu einem ſehr großen Teil gelungen. Die Mittel dabei waren, je 
nach den Umſtänden, Gewalt, Kauf, Verträge; doch zog er als weiſer 
Fürſt Unterhandlungen ben Fehden vor, wenn er auch, wo es not that, 
gar wohl dreinzufchlagen wußte. So gelang es ihm 1450 durch frieb- 
lichen Vergleich von dem Erzbistum Magdeburg den Verzicht auf bie 
alte Lehnshoheit und gegen einige altmärkiſche Ortfchaften die Grafſchaft 
Stolberg- Wernigerode, 1454 durch Rückkauf vom deutſchen Orden die 
Neumark zu erlangen. Lange kämpfte er in diplomatiſchen und Triege- 
rifhen Bemühungen um die Vogtei der Laufig — dem Sachſen rang er 
fie glücklich ab; allein ein ftärferer Gegner, König Podiebrad von Böhmen, 
trat ihm nım hier entgegen, und er mußte fich endlich zufrieden geben, 
daß ihm der Böhme (1462) wenigſtens einen Teil jener Landſchaft, die 
Gebiete Kottbus, Peiz, Teupig und Bärwalde, fowie die Anwartſchaft 
auf Beeskow und Storfow überließ. Immer auch auf die ferne Zukunft 
feines Haufes bedacht, erwarb er (1442 im wittſtocker Erbfolgevergleich) 
die Anwartſchaft auf Mecklenburg, deffen Herzog ihm überdies für das 
Landchen Wenden die Stadt Lychen und das Klofter Himmelpforte zurück⸗ 
gab, und ſchloß (1457) mit Sachſen und Heflen eine Erbverbriberung. 
Am wenigften richtete er an der Rorbgrenze, gegen Pommern, aus, und 
doch hatten die brandenburgiſchen Markgrafen gerade auf biejes Land 
von jeher die fehnfüchtigften Blicke geworfen, beſaßen auch einige Ans 
fprüche Darauf, namentlich aus einem Erbvertrage von 1338 die Anwart ⸗ 
{haft auf das Herzogtum Stettin. Aber in dem jahrhundertelangen 
Kampfe hatte die pomunerſche Kernfraft fid) der märkiſchen Gemwandtheit 
noch allemal erwehrt. So geſchah es aud) jet. Es war im Jahre 
. 1464, baf man den Ießten Herzog von Pommern-Steitin begrub; die 
Stände waren um bie Gruft verfammelt; da ergriff ber Bürgermeifter 
non Stettin, Albrecht von Glinden, der gut deutſch geſinnt war, ben 


Berlin. 51 


Schild und Helm der Herzöge don Stettin und warf beides dem Sarge 
nad) ins Grab mit den Worten: „da liegt unfere Herrihaft von Stettin“. 
So war e8 Sitte, wenn man den leßten eines Fürſtengeſchlechts begrub. 
Aber fofort fprang ein pommerfcher Ritter, v. Eickſtedt, ins Grab, holte 
Helm und Schild wieber heraus und rief: „Nicht alfo! wir haben nod) 
erbliche, angeſtammte Herrichaft, die Herzöge von Bommern-Wolgaft, denen 
gehört Helm und Schild zu." Vergebens widerſprach die Meinere mär- 
fiiche Partei; die Wolgafter erbien. Ebenſo werig Half es bem Kur- 
fürften, daß feine Freunde im Neid) an einem Tage 19 Abfagebriefe 
nad) Pommern fandten; der Krieg trug ben Brandenburgern nichts ein 
als eine ſchreckliche Verheerung beider Länder. 

Während Friedrich II. mit abwechſelndem Glüde, doch mit Aus- 
dauer umd im ganzen erfolgreid; bemüht war, feine Macht nad) außen 
zu erweitern, verlor er bie Grundlage berfelben, die Gewalt im Lande 
jelbft, nie aus den Augen, und es gelang ihm, durch kluge Benutzung 
der Umftände fie ungemein zu verftärfen; wie jein Water den märkiſchen 
Adel, fo hat er die märkiſchen Städte unterjocht. Die Uneinigkeit unter 
den Bürgern felber lieferte ihm dazu die erwünfchte Handhabe, und das 
ũbermaß ihrer Freiheiten entjchuldigte ihn, wenn er fie verkürzte. Als 
die Zollern ins Land kamen, war die Macht der Städte bier fo groß, 
daß der Landesherr in ihnen faft nichts mehr zu fagen hatte, und 
Friedrich I. mußte froh fein, daß dieſe Macht ihn aus freien Stüden 
und jo kräftig gegen die Raubritter unterftüßte, wie es geſchah. Ihr 
Selbftgefühl war dadurch noch mehr gewachfen und artete oft in Über- 
mut aus. Sollte der Kurfürft es in Geduld ertragen, weil dieſen über 
großen Rechten die gejeßliche Form nicht fehlte? denn allerdings, die 
Städte hatten ihre Freiheiten mit ſchwerem Gelbe erfauft und durch un⸗ 
zählige Urkunden von den Landesherren beftätigen laſſen. 

Unter den märkifhen war feine mächtiger durch Volkszahl und 
Wohlſtand als die Doppelftadt Berlin- Köln. Dieſe beiden, wie fo 
viele zwifchen Elbe und Dder allmählich) aus alten wendifchen Ortſchaften 
erwachjen, hatten durch das deutiche Wefen, das fehr bald alles Slawiſche 
aus ihnen verbrängte, ſchon im 13. Jahrhundert einen großen Aufihwung 
genommen, aber alle Genoffen, felbft das alte, ehrwürdige Brandenburg, 
erſt dann überflügelt, als fie fid) (am 7. März 1307) zu einer Stadt 
verbanden, die unter ber Regierung und Verwaltung eines gemeinschaft 
lichen Rates ftand. Gleichwohl brachen zwifchen ihmen oft Eiferfüchteleien 
und Bwiftigfeiten aus; Daneben entbrannte hier wie anderwärts ber 
Kampf der Bünfte gegen die Geſchlechter. Im Jahre 1442 ward nun 
der Streit fo erbittert, daß die Viergewerke, Die eine Trennung des Rats 
der beiden Städte wünjchten, den Kurfürften zum Schiedsrichter anriefen. 
Raſch war er bei der Hand, ftand, ehe die Habernden zur Beſinmung 

4 


52 Kurfürft Friedrich IT. 


gefommen, mit 600 Reitern vor dem Spandauer-Thor, erhielt in der 
allgemeinen Beftürzung und Verwirrung Einlaß und bemächtigte fi) der 
Stadt (24. Februar 1442). Was fruchtelen da die alten Pergamente, 
die es ſchwarz auf weiß erwiefen, daß die Stadt berechtigt ſei, auch dem 
Landesherrn den Eintritt zu meigern, wenn er mit Kriegsvolt komme, 
und daß in ftädtifhe Dinge niemand einzugreifen habe als Rat und 
Bürgerfhaft! Der Kurfürft nahm die Schlüffel der Thore an fich, ſetzte 
für jede der beiden Städte einer befonderen, zum Zeil auß ben Ges 
ſchlechtern, zum Zeil von dem Ausf—huß der Viergewerke gebildeten Rat 
ein und beftimmte, baß derſelbe fortan jährlich von den Bürgern ge— 
wählt, vom Landesherrn beftätigt werben follte; zugleich verbot er den 
Städten, auf eigene Hand mit jemandem ein Bündnis zu fchließen. So 
zerriß er die ftädtifchen Rechtsbriefe und gab der Stadt eine Verfaffung 
mit populärem Anftrich, aber monarchiſchem Weſen; denn wenn nunmehr 
auch die Handwerker ihren Anteil an ber Verwaltung befamen, fo 
berrfchte doch in ber That der Fürft. Kaum war er abgezogen, fo 
brad) der allgemeine Unwille 108; die Bürger rottefen ſich zuſammen, 
verjagten die Kurfürftlichen und ftellten ihre alte Verfaſſung wieder ber. 
Nun behandelte Friedrich, fie als Empörer; er nahm ihnen zur Strafe 
mehrere Dörfer weg und begann 1443 auf einem Stüd Landes an der 
Spree zwiſchen Berlin und Köln den Bau einer Zwingburg. Die 
Stäbter ftemmten fid) nad) Kräften dawider, verübten auch in ihren 
Zorn gegen die Aurfürftlichen Diener manche Gewaltthat und fagten dem 
Kurfürften zuleßt offen ab. Aber die Hilfe, die fie von den übrigen 
Städten der Mark und von der Hanfa gefordert, blieb aus; bie märki— 
ſchen Stände, vom Kurfürften zur Entſcheidung ber Sache berufen, er- 
Härten fi) 1447 auf dem Landtag zu Spandau fogar gegen Berlin 
und Köln; diefe mußten fid) Daher unterwerfen. Die Anordnungen des 
Kurfürften vom Jahre 1442 traten wieder in Kraft; einige Führer der 
Bürgerjhaft wurben verbannt oder ihrer Lehen beraubt; alle anderen 
Bürger mußten dem Kurfürften Treue und Gehorfam ſchwören; fortan 
ſetzte er die ftädtifchen Behörden ein. So enbete 1448 der „berliner 
unwille“ mit dem volftändigen Siege des Fürften. Drei Jahre darauf 
ward auch das Furfürftliche Schloß an der Spree vollendet und Hielt Die 
Bürgerſchaft feitdem in dauernder Abhängigkeit. Der Kurfürft wählte 
es zum Giß feiner Regierung. So ward Berlin-Röln aus einer faft un- 
abhängigen und freien Stabt eine fürftlihe Nefidenz und Hauptftadt der 
Mark Brandenburg. 

Berlins Niederlage fchredte auch bie anderen Städte und fchaffte 
dem Kurfürften überall Gehorfam. Der Staat im ganzen Tonnte babet 
nur gewinnen; eben beöhalb vertrug fi, Friedrichs gewaltfames, ohire 
Zweifel widerrechtliches Verfahren gegen die Städte ganz wohl mit’ feiner 


Schwanenorden. 53 


Gottesfurcht; ſie ging bei ihm immer Hand in Hand mit der Politik. 
Dies zeigte fi fo recht in feiner Stiftung des ‚Schwanenordens“ (1443), 
eines Vereins von Ebelleuten und Edelfrauen, die fid) verpflichteten, un- 
tabelig und gottfelig zu leben und einander chriſtlich und brüderlich mit 
Rat und That beizuftehen*). Friedrich IL beabſichtigte damit zweierlei: 
feinen markiſchen Adel zu frommen Rittern zu erziehen und ihn zugleich 
fefter an die Perſon des Fürften zu fetten. Diefelbe Verbindung von 
Negentenklugheit und Religiofität zeigte fich in feinem Verhalten gegen 
die Kirche. Denn wenn er einerfeit3 durch damals ſchon feltene Werke 
der Frömmigkeit, durch eine Pilgerfahrt nach Jeruſalem (1453), durch 
die Stiftung des Doms in Köln an der Spree (1469), feine religiöfe 
Gefimmung bethätigte, jo geftattete er anbrerjeit3 ber Geiſtlichkeit doch 
teinerlei Übergriffe in rein ftaatliche Angelegenheiten; vielmehr befchränfte 
er ihre Gerichtsbarkeit und litt nicht, Daß fie, wie fonft wohl gefchehen 
war, Streitſachen der Laien vor ihren Stuhl zog. In den größten, wie 
in den Heinen Dingen bewährte er die gleiche maßvolle Bejonnenheit; 
aud) in rein perjönlichen Angelegenheiten. Zweimal wurde ihm eine 
Königöfrone angeboten, 1446 die polniſche durch einen Teil der polniſchen 
Magnaten, 1468 die böhmifche durch den Papft; er Ichnte beide Anträge 
ab, um fi) nicht auf Unternehmungen einzulafjen, die feine Kräfte wahr 
ſcheinlich weit überftiegen. i 

Der nachdenkliche Ernft, der ihm immer eigen war, ging allmählich, 
zumal nachdem ihn in feiner Familie durd) den Tod feines legten Sohnes, 
im Staate durch den ungünftigen Ausgang der pommerſchen Feldzüge 
viel Mißgeſchick getroffen, in fo tiefe Schwermut über, daß er befchloß, 
zu Gunften feines Bruders Albrecht abzudanken. Er that es 1470 auf 
dem Landtage zu Berlin, und nachdem hier Kurfürft und Stände unter 
Thränen und Segenswünfhen von einander Abſchied genommen, begab 
fh Friedrich nad) Franken auf die Plaſſenburg; dort ftarb er ſchon im 
folgenden Jahre. Will man recht ſchätzen, was er für die Mark geleiftet, 
fo muß man wiflen, mit wie geringen Hilfsmitteln er es that. Diejer 
Kurfürft hatte einen Feind, der ihm überall Hindernd in den Weg trat, 
die Armut — feine jährlichen Einkünfte beliefen fi auf nicht mehr als 
17500 rheiniſche Gulden, und doch hat er den Beſtand des Staates, 
der bei feinem Regierungsantritt 424 Geviertmeilen betrug, auf 614 ver- 
mehrt. 

*) Der Mittelpuntt des Schwanenordens (ber Übrigens feinen Stifter nicht lange über 
Bamerte) war Die Marienkirche zu Mlb-Brandenburg; das Mbgeldien ein Stern mit dem Wilde 
der Jungfrau Maria und des Ghriftusfinbieins, barunter ein Ring mit einem Schwan als 
Sumbild eines freubigen Abſchieds vom ber Welt, 


54 


Albrecht Achilles. 


Ein gewaltiger Ritter der Kurfürſt Albrecht, den man den deutſchen 
Achill nannte; auf allen Turnieren war er zu finden; in Stahl von Kopf 
zu Fuß oder im Lederkoller auf ſeinem Streithengſt, gleichviel, ſeine 
Lanze ſtreckte den Gegner allemal in den Sand. Viel lieber ritt er doch 
zum blutigen Ernft; in Deutſchland und Polen, Preußen, Ungarn und 
Böhmen, auf hundert Schlachtfeldern hat er mitgeftritten, einft, noch 
Burggraf, den Nürnbergern in einem Jahr neun Treffen geliefert; da 
ſchlug er fid) einmal durch 800 Nürnberger zum Stabtbanner Bahn, 
packte, hielt unter einem Regen von Schwerthieben die Fahne feft, bis 
feine Ritter Herangedrungen, und er fiegesfroh, ob aud) aus Mund und 
Naſe blutftrömend, wieder auf fein Roß fpringen Tonnte. Wie er an 
Kraft und Schönheit, an Heldenmut und Kriegsruhm, am aller ritter- 
lichen Zierde unter ben Rittern ſeinesgleichen nicht hatte, fo überftrahlte 
fein Hof durch Pracht und Glanz alle andern fürftlichen Höfe Deutſch- 
lands. Sein Wohnfiß, die Kadolzburg, war weit und breit berühmt; 
da gab e8 die herrlichſten Tefte, da fah man in den reichen Sälen die 
tapferften Ritter, die ſchönſten Damen, voll feiner Sitte und in köftlichem 
Staate. Da gingen die Pagen in roter Seide, und felbit die Pferde 
waren mit rotem Sammet bebedit. 

Auch die arme Mark hatte von ber fränkifchen Pracht gehört. Als 
mm Albrecht Achilles 1471 zur Huldigung nach Salzwedel kam, das für 
brandenburgiſche nie eine reiche Stadt war, empfingen ihn die 
Bürger mit dem Außerften, was fie von Pracht wußten: nad) der Ein- 
holung bradjte der Magiftrat feine Gaſtgeſchenke dar, — außer Hafer, 
Fiſchen, Hammeltenlen und Bier, zwei große Mulden voll Eingemachtes, 
Klaretwein und Eimbeder-Bier, ferner zwei noch größere Mulden voll 
Bohnentuchen mit Mandeln umd Ingwer, auch Körbe vol Apfel und 
Birnen. Der Kırfürft nahm das fehr geringſchätzig auf, er war an ganz 
andere Herrlichteiten gewöhnt. Noch weniger gefielen ihm die Sitten der 
Märker, die freilich ungefchlacht genug waren. Den märkifchen Abel nun 
gar ſah er für voll nicht an; er vermißte an ihm bie feine Art und 
das ritterliche Weſen der Franken, die er daher überall vorzog. Ebenſo 
verachtete er die Städter; er mochte Die Krämer nicht leiden: ihre bürger« 
liche Hantirung ſchätzte er nicht, ihre Rechte und Freiheiten dem Ritter 
und Zürften gegenüber hielt er für verwerfliche Überhebung und Hoch⸗ 
mut. Zwar beftätigte er ihnen, wie den andern Städten ihre Gerecht ⸗ 
fame, weil es einmal fo Brauch war; aber er ließ fid) teuer dafür be- 
zahlen. Er wollte fogar auf eigene Hand eine neue Steuer, die Bier⸗ 
ziefe, auflegen, was indes an dem Wiberfpruch der Stände foheiterte. 


ulbreqt Agilles. 55 


Sie bewilligten ihm dagegen (1472) ein für alle Mal 100000 Gulden, 
doch unter der Bebingung, daß dies Geld nur zur Dedung ber Landes- 
ſchulden verwendet werde; auch dürfe der Kurfürft feine andere Bede 
einbringen, als in den drei Fällen, für die Damals außerordentliche Auf- 
lagen geftattet waren, nämlich wenn er mit Beirat der Stände Krieg 
erheben, wenn er eine Niederlage erleiden, und wenn er feine Kinder 
verheiraten follte. Won der bewilligten Summe hatten die Städte bie 
größte Hälfte, Abel und Geiftlichfeit Die Heinere, einen Zeil der Kurfürft 
felber (für feine Domänen) zu leiften. Albrecht that Dies dadurch, daß 
er auf Grund eines Tatferlichen Rechts gewiſſe Waren mit einem Boll 
belegte. Darüber gab's nun mit den Ständen neuen Streit bis ein 
Schiedsgericht, gebildet aus Hohen Geiftlichen, Adligen, Bürgermeiftern 
und Landihöffen, zu Gunften des Kurfürften entſchied. 

Aber die Unzufriedenheit der Märker über den Boll, wie über 
Albrechts ganzes Auftreten war groß und dauernd; man äußerte, im 
Kriegsfall werde man keine Mannſchaften ftellen. Diefe Stimmung ver- 
leidete dem Kurfürften den Aufenthalt in der Mark noch mehr; fie be 
ftärkte auch die pommerſchen Herzöge, über die fi) Albrecht 1470 vom 
Kaifer hatte die Belehnung erteilen laſſen, in ihrem Widerftande. Den 
Waffen fepten fie die Waffen, der Lift ihren gefunden Verftand entgegen: 
verftridte fie der Markgraf in die Netze ſtaatskluger Verhandlungen, fo 
ſchlugen fie mit der Fauft durch; kurz die Bommern „waren nicht gut 
zu Flechten“. Verdrießlich Tehrte Albrecht nach Franken zurüd, nachdem 
er feinen älteften Sohn, ben Kurprinzen Zohann, in ber Mark zum 
Statthalter eingefegt. Johann Hatte in dieſem Amte einen ſchweren 
Stand, geringe Einkünfte, und dabei mußte er Kriege führen, mit ben 
Bommern, mit ben Ungarn und Schlefiern, denen er Glogau, das 
Witwenteil feiner Schwefter, ber Herzogin von Glogau, abringen follte. 
&r wurde hart bedrängt, befonbers vom Herzog Hans von Priebus. 
Endlich, (1478) erſchien der Kurfürft mit. einem fränkiſchen Heere wieder 
in der Mark und führte ben Sieg zurüd. Er bewährte jetzt feinen 
Namen, flug die Pommern, die im prenzlauer Vertrage 1479 feine 
Lehushoheit anerfennen mußten, ſchlug auch ben ſchlefiſchen Herzog Hans 
von Priebus ſamt feinen Ungarn; fie traten dann (im famenzer Bertrage 
1482) wenigftens Kroffen, Züllichau, Sommerfelb und Bobersberg an 
Die Mark ab. 

In den ruhmoollen Jahren 1478 und 1479 hatte die Mark ben 
alternden Helden zum letzten Male geſehen; er überließ fie fortan ganz 
und gar dem Pringen- Statthalter, während er jelbft auf der Kadolzburg 
prachtvoll Hof hielt oder für Die Wohlfahrt des deutſchen Reichs thätig 
war. Und doch beburfte die Mark fo jehr des überall gegenwärtigen 
Auges und Armes eines forgfamen Landesvaters. Prinz Johann konnte 


56 albrecht achiles. 


beim beſten Willen nur wenig leiſten; es fehlte ihm immer an Gelb; bie 
Städte wollten den Zoll, den ber Kurfürft aufgelegt, nicht erheben Laffen; 
andere Einkünfte verfchlang die Tilgung der Schulden, die durch den 
pommerſchen Krieg noch waren vermehrt worden. Er felbft litt an allem 
Mangel, lebte auch für feine Perſon höchſt ärmlich, wie er denn jeine 
Hochʒeit mit einer ſaͤchſtſchen Prinzeffin um der Koften willen Jahre lang 
auffcjteben mußte. 

Doch dankt das Haus Hohenzollern und mit ihm das Vaterland 
dem Kurfürften Albrecht eine große Wohlthat: jenes Hausgefeh, das unter 
dem Ramen Dispositio Achilles befanmt ift; er erließ es 1473 im Schloß 
zu Köln an der Spree und beftimmte darin feinem älteften Sohne bie 
Mark, zwei jüngeren Söhnen die fränkiſchen Herzogtümer Ansbach und 
Baireuth; dabei wurde feftgejeht, daß die Mark Brandenburg ftets un ⸗ 
geteilt dem Kurfürften gehören, das Burggrafenamt Nürnberg aber nur 
zwei regierende Herren (zu Baireuth und zu Ansbach) haben ſollte. 
Zweierlei bewirkte er dadurch: es wurde verhindert, daß die zollerſche 
Hausmacht fi durch Lämderteilumgen zerfplitterte, wie es in andern 
Fürftenhäufern, z. B. bei ben Wettinern, geſchah; und die zollerſchen 
Kurfürften wurden genötigt, in der Mark ihren dauernden Wohnſitz zu 
nehmen. Beides ift für Brandenburgs Glück und Größe von ben aller 
heilfamften Folgen gewefen. 

&o hat fid) Albrecht Achilles um bie Märter, deren Liebe er weder 
ſuchte noch fand, doch vielfach verdient gemacht. Er ftarb 1486 (zu 
Frankfurt am Main) 72 Jahre alt, mehr die Bewunderung ber Welt, 
als die rende feiner Unterthanen. 


Zohann Cicero. 


Die erften brei zollerſchen Kurfürſten waren tüchtige, zum. Teil 
große Männer gewefen, aber fie hatten den Märkern doch nie recht nahe 
geftanden, waren inner Franken geblieben. Ihre game Weiſe hatte 
für ihre brandenburgiſchen Unterthanen etwas Fremdartiges, ſelbſt Ab- 
ftoßendes; es kam bisher zur feinem Herzensbunde zwiſchen dem Fürften 
und dem Volke von Brandenburg. Seht aber wurbe ein ‚folder ge⸗ 
ſchloffen. Johaum, ber das Kurflrftentum erbte, während Aibrechts 
qweiter Sohn in Ansbach, ber dritte in Batreuth (Kulmbach) folgte, 
Johann war ein Zoller, aber zugleich ein ganzer Mürker. In Branden- 
bing zum Manne erwacfen, hatte er des Landes Sitte und Mundart 
angenommen, und weil er Land und Leute kaunte und ſich mit‘ ihnen 
eins fühlte, fo ſchäͤtzten fi beide Teile. Zwar fo ein Kriegsheld wie 
Albrecht Achilles war er nicht, obwohl e8 ihm an Mut und Entichloffen- 
heit nirgends gebrach; fein Sinn war friedlich, feine liebſten Neigunger 


Johann Cicero. 57 


gehörten der Wiſſenſchaft; er wußte gelehrt zu reden, in deutſcher und 
fremder Zunge, zumal auf Lateiniſch, wie ein Cicero. Am meiften gefiel 
den Mariern, daß er gleichſam die Ordnung und Sparfamfeit felber 
war; einen foldyen Fürften brauchten fie gerade. Dennoch bewilligte der 
Landtag 1488 die Forderung, die Albrecht Achilles mie hatte durchſehen 
Linmen, eine Steuer auf Bier, dem Sohne nur mit Widerftreben. Indeſſen 
geftand man ihm die nötige Beihilfe endlich zu: er durfte fieben Jahre 
hindurch die Bierziefe erheben, zwölf Pfennige für die Tonne, und zwar 
zu zwei Dritteln für fi), zu einem für die Städte. Nur die altmärkiichen 
Stãdte wollten ſich aud) jetzt nid fügen; am widerfeglichften war Stendal, 
wo das Volk die Steuerbeamten verjagte oder tötete; erft mit Waffen 
gewalt wurde der Kurfürft des Aufftandes Herr. Aber er täufchte das 
Bertromen der Stande nicht, hielt mit ihrem Gelde vielmehr fo wirtlid) 
Haus, brachte den Staatshaushalt in fo gute Ordnung, daß er nicht 
‚bloß (1490) die lauſthiſche Herrſchaft Zofjen um 16 000 rheinifche Gulden 
taufen, fondern auch alle Vorbereitungen zu einem großartigen Werke, 
zur Stiftung einer Lanbesuniverfität treffen Tomte. 

Den Gedanken dazu brachte er.1495 vom wormfer Reichstage heim; 
dort Hatte der geiftreihe und wohlmeinende Kaifer Marimilian L 
mancherlet heilſamen Borjchlägen, wie dem „ewigen Landfrieden“ und 
der Bildung eines Reichskammergerichts, feine Zuſtimmung erteilt, anderes 
Gute, beſonders durch den Wunſch, ein jeder Kurfürft möge in feinem 
Lande eine Hochſchule errichten, ſeinerſeits angeregt. Auch hatte bie 
wifienfdjaftliche Bilbung feit 1450, ſeit Gutenbergs Erfindung, einen 
folchen Auffhwung genommen, in ben Augen der Fürſten wie in der 
Öffentlichen Meinung einen fo hohen Wert erlangt, daß nirgends ber 
Bille fehlte, ihr neue Pflanzftätten zu erihaffen. Aber folde Stiftungen 
tofteten viel Geld; ein jeder Fürft rechnete fie fih zur Ehre, doch nur 
wenige hatten wie der brandenburgiſche die Mittel dazu. Johann be 
ſtinnnte Frankfurt a. D. zu dem neuen Sit der Mufen und begann mit 
Hilfe. des leipziger Profefiors Pifteris alle nötigen Einrichtungen vor⸗ 
zubereiten; aber er erlebte die Vollendung des Werkes nicht mehr; erft 
4 Zahre alt, ſtarb er (S. Januar 1499) zu Ameburg. Wie er zuerft 
unter den Zollern in der Mark feinen dauernden Wohnſfitz nahın, jo war 
er auch der erite fürfiliche Boller, der hier fein Grab fand. Er wurde 
im Aloſter Lehnin beigefeßt. Es iſt ihm nachmals (um 1550) von 
ſeinem Ente, ein herrliches Denkmal im Dom zu Köln an der Spree 
errichtet: worden, ein Werk des berühmten Peter. Biicher aus Nürnberg; 
auch ohne dies blieb das Andenken des reblichen und wohlwollenden 
Kurfürfien Johann bei- den Märkern lange in verdienten Ehren. 


58 


Innere Iuftände ber Mark im 15. Zahrhundert. 


Das 15. Jahrhundert, das lehte des Mittelalters, zeigt bereits bie 
erften Übergänge zu einer neuen Zeit. Da welten alte Formen, und aus 
der Verweſung keimt neues Leben; ba ftehen noch ehrwürdige Werke von 
Menfchenhand, gleich alten Riefenbäumen, aber ſchon raufc)t Gottes Odem 
beran, was innerlich morſch ift, niederzumwerfen, damit die junge Pflanzung 
Luft und Licht befomme. Was ſchoͤn und heilfam war in feinen Tagen, 
bat nun feine Zeit erfüllt und geht dahin, um Beſſerem Pla zu madjen. 
Wie herrlich erblühte im 13. Jahrhundert das deutſche Rittertum, im 
13. und 14. das deutſche Bürgertum! Stolz und frei wie der Adler ſaß 
der Edelmann auf feiner Burg, umd ein Bürger von Rürnberg, von 
Augsburg, von Ulm ımd fo vielen anderen reichen und freien Stäbten 
taufchte nicht mit Königen. Aber das niebere Volt ſank tiefer und 
tiefer in Knechtichaft und Elend, und die feiner warten follten, die Diener 
Gottes, ließen meift es verlommen und gaben ihm ftatt Brotes Steine. 
Dafür fallen nun — hier früher, dort fpäter — die Stände allzumal in 
die Hand des Fürften, der die Sonderftanten im Lande ummirft, dem 
Adel, den Städten, ber Geiftlichfeit ihre Macht nimmt, fo daß alle nicht 
mehr wenigen, fondern dem Ganzen dienen, welches der Fürft barftellt, 
benn fein Beruf tft es nun, „einem jeben das Seine” zu geben. Diefe 
Entwidemg der Dinge aus dem mittelafterlihen Feudalweſen zum 
abſolutiſtiſchen Staat iſt in unſerm Baterlande viele Menfchenalter hin- 
durch die Aufgabe ber Hohemzollern gemefen; aber ein gutes Stück ber 
Arbeit haben fie bereits im 15. Zahrhundert verrichtet. 

Denn in biefer Zeit bewältigten fie zuerft den Adel in der Mark, 
dann bie Städte. Jener warb wieher gewöhnt, daß er zu Hofe ging, 
den Rüden beugte und dem Fürften diente; dieje mußten aufhören, auf 
ihre Urkunden zu pochen, fie wurden gehorfame Landſtädte; beide ftenmten 
ſich doch noch oft dawider. Aber es traf fo manches zufammen, was 
auf den fürftlichen -Abfolutismus Hindrängte. Am meiften begünftigte 
ihn ‚die. Umwandlung im Kriege» und Finanzweſen, welche ſchon jetzt 
begann, Zwar noch galt die alte Weife, daß der Landesherr zum Kriege 
den Lehnsadel und ben Zuzug ber Städte aufbot, Truppen, bie ihm 
nicht unbedingt gehordyten und nad) bem Feldzuge wieder heimgingen. 
Rod) blieb auch Die alte Befteuerung in Kraft und den Landftänden ihr 
Recht, neue Steuern zu verfagen und die Form und Berwenbung ber 
bewilligten gu beftimmen. Auch konnte die Leiftungstraft bes Beftehenden 
noch immer befriedigen. Brachte die Mark doch zum Kriege vom 1470 
im Ganzen ein Heer von 21000 Mann auf, nämlid) 3200 Reiter von 
ber Riterjchaft, 5200 Man zu Roß und zu Fuß von dem Hofe, ben 
Herren und Prälaten, 11.000 von den Städten, wozu noch 2000 frän« 


Das Rriegsioefen. 59 


tiſche „Bäfte" oder Söldner des Kurfürften kamen. Aber ſchon bie Art, 
wie man die Steuern (Hufenfteuer, Orbede und Bierziefe, dazu im 
fpäterer Zeit das „Ungeld*, eine Verzehrsſteuer) und das Kriegsaufgebot 
zuſammenbrachte, war ſo ſchwerfällig, zeigte fo viele ftaatliche Sonber- 
weſen neben einander wirffam, daß bie Intereſſen bes Ganzen wenigſtens 
Teine Gewähr ihrer Sicherheit daran hatten. Da leifteten nicht bloß Die 
Biſchöfe (don Havelberg, Brandenburg, Lebus), die Übrige Hohe Beiftlichkeit, 
die Ritterfchaft, der Hof ein jeder Teil befonders; auch die Städte zerfielen 
wieder in zahlreiche Gruppen, die fogenannten „Spradien“ — Vereine, 
deren jeder einen Hauptort und mehrere Heine Städte enthielt — und 
jede Sprache Ieiftete wieder zu dem ftädttichen Betrage ihren Anteil be» 
fonders, wobei der Hauptort das Vorrecht hatte, den Hauptmann und 
Fahnrich zu ftellen. Noch mannigfaktiger war die Bewaffnung; da fah 
man ſeit den Huſſitenkriegen neben den eifenbepangerten Rittern die 
Büchfenmeifter mit ihren Haubigen, neben den Armbruftfchügen und 
Schwert · und Spieß-Trägern aud) Fußvolk mit Feuergewehren. Ein 
ſolches Gemiſch von Veraltetem und Modernem Konnte keinen Beſtand 
haben; das zweckmäßigere Neue mußte allein den Platz behaupten, das 
Lehnsheer dem Söldnerheer weichen. Denn ber Krieg verlor mm feine 
Ehre; was vermochte perfönliche Tapferkeit und ritterliche Rüftung gegen 
das Feuergeſchütz Die Mustetenkugel durchbrach Panzer und Schild 
fo leicht wie Die Kanonenfugel bie Burgmauer. Aber der Krieg wurbe 
man auch ein Handwerk. Denn die Gefchägleute jeder Gattung waren 
wie ihre Waffen ſtädtiſchen Urfprungs, bildeten Gilden, die ihre Kunft 
mußten gelernt haben und ihre Dienfte verkauften. In Süddeutſchland 
waren es gar bloße Bauernburfche (Landsknechte), welche bie Hakenbüchſe 
führten. Die Ritter zogen fi) daher allmählich von dem Kriegsdienft 
zurück und zahlten dafüͤr lieber eine Abgabe an den Lehnsherrn. Auch 
die Stübte-fanbeni die Yusrüftung zum Kriege, die jetzt, wo fle teures 
Feuergeſchutz geben follten, immer Yoftfpieliger ward, bald fo läftig, daß 
fie es vorzogen, fich durch Gelb ihrer Wehrpflicht zu entledigen. Dem 
Fürften war dies in der Regel ſehr lieb; denn Gälöner Heßen ſich, fo 
lange nur das Geld reidhte, immer und zu allem gebrauchen, gegen innere 
Feinde, wie gegen bas Ausland, Zugleich verlor ber- Adel an Anfehen 
und Einfluß, und das Volt im ganzer: entwöhnte fi der Waffen; bie 
Wehrhafligteit aber war immer bie ftärffte Süße der Voiksfreiheit und 
bie Wehrlöfigfeit ihr Tod. 

Eine andere Duelle der Macht, die ſich jet den Landesherren er» 
öffnete, war die Einffihrung des roͤmiſchen Rechts. Die Satzungen der 
alten römifchen Kaiſer, namentlich des Juſtinian, die auf ben neuen 
Hochſchulen in Deutſchland, den gUniverfitäten, nad) dem Mufter der 
parifer und bologner gelehrt wurden, begannen aud) bei uns das gute 


so Innere Zuftände der Mark im 15. Jahrhundert, 


deutſche Recht zu verdrängen und bie Fürſten mit der Einbilbung zu 
erfüllen, die abjolute Gewalt ftehe ihnen ebenſo rechtmäßig zu wie einft 
in Rom und Byzanz ben alten Imperatoren. Das römifche Recht ſchloß 
aber aud) die alte volkstümliche Öffentlichkeit und Miünbdlichkeit und die 
Befugnis ber Gemeinden felber das Urteil zu finden aus; e8 begünftigte 
das Schreiberwefen und legte die Gerichtspflege in Die Hände eines ge-⸗ 
Iehrten Nichterftandes. Auch hierdurch wuchs der Wirkungskreis bes 
Zürften ungemein, jowie die Zahl und Wichtigfeit des fürftlichen Beamten- 
tums, welches die Gelbftverwaltung der Gemeinden ſchwer bedrohte. 
Denn Geld wurde jet mehr als je der Hauptnerv der Regierung, und 
bie Verwaltung des Befonderen ſchafft mehr davon als die bloße Leitung 
bes Allgemeinen. 

Indefien alles dies fing eben erft an, den alten Beſtand zu ges 
fährden, und wenn die Iandesherrliche Gewalt härter drückte, fo wußten 
die Ebelleute und reicheren Bürger die ſchwere Laft vorerft noch von ſich 
felber abzumälzen und dem nieberen Volke zugufchieben. Der Bauer 
mußte zulegt die Summen aufbringen, welche die fürftlichen Söldner, 
Juriſten, Beamten koſteten, und die größeren, welche Adel, Geiftlichkeit 
und Städte zu ihren ſtets wachſenden Bebürfniffen brauchten. Auf ihn 
fielen auch von allen Fehden und Kriegen die härteften Schläge; denn 
Krieg bedeutete Lanbesverwüftung. Die anderen ſchützten fich nod) einiger 
maßen durch ihr Zufammenhalten auf dem Landtage, wenn nicht hinter 
ihren feften Mauern; der Bauer jaß im offenen Orten und war bei den 
Lanbftänden nicht vertreten. Man nannte ihn damals ben „armen 
Mann”; er war es. Und wie auf dem platten Lande der Adel den 
Bauer plünberte und knechtete, fo konnten in ben Städten bie reichen 
Gefchlechter den Heinen Bürger ausbeuten. Denn die Fürſten meinten, 
die Gemeinden leichter im Zaume zu halten, wenn bas öffentliche 
Xeben darin unter ber Herrichaft weniger vornehmer Familien ins Stoden 
‚geriet. 

Die Maſſe des Volls mußte, daher die Veränderungen, die in den 
öffentlichen Verhãltniſſen des Staatsweiens während biefes Zeitraums 
eintraten, als eine Verſchlechterung anfehen. Der Kurfürft hatte vollauf 
zu thun, den äußeren Beitand des Staates wieder feitzuftellen und im 
Innern die gefährlichften Feinde ber landesherrlichen Gewalt nieder 
zuwerfen. Überdies wibmeten ſich die Sollern erft gegen Ende bes 
Sahrhunderts ganz der Marl. So konnten Hier noch einmal ähnliche 
Buftände Platz greifen, wie unter ben Wittelsbachern und Luremburgern; 
wenigftens die Unficherheit der Straßen, die Räubereien und Fehden der 
Abdligen, die Verpfändung von Landesgütern bei ben häufigen Gelb» 
‚verlegenheiten waren Übel, über die man auch jegt mod) oft zu Hagen 
hatte. Und mm gar der Verluft, Ser die Stäbte traf! Daß fie feit 


Geiftige Iuterefien. 61 


der Mitte bes Jahrhunderts die obere Gerichtsbarkeit und das Öffnungs- 
recht nicht mehr befaßen, konnte verſchmerzt werben; aber aufer jenen 
Vorrechten hatten fie auch die wichtigeren des Stapelrechts und der Boll» 
freiheit mb damit bie feiteften Gtüßen ihres Handels eingebüßt; fie 
fingen an zu verfallen. Fürs erfte freilich gingen Handel und Wandel 
noch die alten Wege und gab es noch viel Reichtum bei Kaufleuten und 
Handwerkern. 

Im ganzen war doch die materielle Lage der Märker am Ende des 
15. Jahrhunderts nur wenig befler, als fie vor dem Erfcheinen ber 
Hohenzollern geweſen; aber es gab jeßt für fie in der Stärkung der 
landesherrlichen Gewalt eine große Hoffnung. Am meiften fonnte von 
diefer neuen Macht für die geiftigen Antereffen des Landes erwartet 
werben. In der Bildung ftand ja die Mark damals weit hinter dem 
übrigen Deutſchland zurüd; Kunft und Wiſſenſchaft Hatte hier noch 
feine Stätte und faßte doch jchon in Pommern Zuß, blühte ſchon in 
Schleſien; dort gab es bereit feit 1456 eine Univerfität (Greifswald, 
geftiftet von dem wolgafter Herzog Wratiflam IX.), umd Schlefien zählte 
zu dieſer Beit eine Menge von gebildeten Männern. In dem großen 
und reichen Breslau waren längft tüchtige Stadtſchulen, aud) gute ärzt ⸗ 
liche Einrichtungen vorhanden, während man in Berlin nichts dergleichen 
und erft feit 1488 eine Apothele fand. Eben jo übel wie mit der Bil« 
dung war es in ber Mark mit der GSittlichfeit beftelt. Das Hauptlafter 
war bier — wie freilich in ganz Deutihland — bas Saufen ober 
„Volltrinken“. Hohe und Niebere fröhnten ihm; man bradıte das 
Zechen zu einer gewiſſen Kunftfertigfeit, verbrauchte unglaubliche Maſſen 
von Bier, und felbft der Wein floß in Strömen. Auch andere Aus- 
ſchweifungen waren im Schwange, und die Geiftlichkeit ging ‚oft mit 
dem böfen Beifpiel voran. Sie war faft überall fo entartet, daß fie 
nicht bloß ben Volfsunterricht gänzlich vernadläffigte, fondern es fogar 
hinderte, wenn andere etwas für ihn thun wollten; wie benn 3. B. die 
Domherren von Stettin 1469 durchfeßten, bafı ‚bie. bafelbft begräinbeten 
lateiniſchen und deutſchen Stadtſchulen wieder aufgehoben wurden. Da⸗ 
gegen beförberten die Pfaffen jede Art von Aberglauben, und bejonders 
das „heilige Blut“ von Wilsnad florirte damals. Won weit her 
308 es die Gläubigen an, ſcharenweiſe kamen die Pilger und bis aus 
Polen und Ungarn. Meift waren fie von andern dazu gemietet, von. 
reihen "Sünbern, die gern fromme Merke in Bequemlichteit übten. 
Der Ballfahrer erhielt in Wilsnad von den Prieftern zum Beichen, 
daß er dageweſen, ein Bleiftüc in Form einer Hoftie; das fterte er 
an feinen Hut und bradjte es als Zeugnis ber vollbradjten Püger- 
fahrt heim. Übrigens glaubte man fteif und feſt nicht bloß an 
die Wunderkraft der Reliquien, fondern auch an Hexen und Heren- 


62 Joaqhim I. Reftor. 


meifter, an Zauberer und Teufel; — Gott und fein Reid) warb wenig 
geſucht. 


dZoachim I. Aeſtor. 

Vier gute Lehren gab Johann Cicero ſterbend feinem älteften Sohne: 
Gott zu fürchten, Gerechtigkeit zu üben, die Unterthanen zu ſchützen und 
dem Adel den Zaum nicht zu lang zu laflen. Joachim merkte fie ſich 
umd bat ihren vedlich nachgelebt. Er war erft fünfzehn Jahre alt, da 
er den Thron beftieg, aber fein frühreifer Geift wandte ſich gern ernften 
Dingen zu und ergriff fie mit felbftbewußter Willensftärfe. Auch er 
befaß eine fehr gelehrte Bildung, war ein zierlicher Redner, ein „Neftor" 
an fliegender Suade, und ein fo fertiger Lateiner, daß ihn fpäter die 
deutſchen Fürften auf den Reichstagen zu ihrem Sprecher zu wählen 
pflegten. Er verkehrte am liebſten mit Gelehrten, faß viel in feinem 
Studirzimmer oder beobachtete mit dem Hofafteologen die Sterne; denn 
er war ein guter Mathematitus und Aftronom und nad) Sitte ber Beit 
ein eifriger Sterndeuter. Aber über den Büchern vernachläſſigte er nie 
bie Regierung, er fah fid) auch auf der Erde und bejonders in feinem 
Staate fleißig um und hatte daher von allem im Lande fo gute Kenntnis, 
daß das Volk fie einer übernatürlichen Duelle zuſchrieb. Es hatte bald 
Grund auch feine ungemeine Thatkraft zu bewundern. 

Die große Jugend des neuen Kurfürften glaubte der Adel benußen 

- zu können, um das Joch wieder abzufchätteln und die Zeiten der Quitzows 
zu erneuen. Das Wegelagern nahm wieder überhand; manchen Edel- 
mann verführte dazu die Not, denn Mißwachs und Veit verheerten das 
Land, und viele Güter des Adels, der es in der Mark nie zu großem 
Reichtum gebracht, nährten ihre Befiker nicht mehr; andere Raubritter 
waren es aus bloßer Luft am Raufen und Plündern. Da betete wohl 
der Kaufmann, wenn er feine Straße z0g, und der Bauer, wenn er fein 
Vieh und Kom verwahrte: „Vor Köceriß und Lüderik, Vor Krachten 
und vor Ihzenplitz Behüt uns lieber Herre Gott!" Selbft aus dem Hof- 
gefinde des Kurfürften ging mancher Ritter bei Racht auf ben Yang. 
Das Übel forderte eine gründliche Heilung; Joachim hat fie bewirkt. 
Ohne Gnade ließ er einen feiner Höflinge, der einen Kaufmann beraubt 
hatte, Hinrichten. Darüber ergrimmte die Ritter- und Räuberbande; 
es wird erzählt, einer von ihnen*) habe dem Kurfürften an die Stuben- 
thür gefehrieben: „Jochimken, Jochimken, höde dy; wo wy dy Friegen, 
hängen wy by!“ und babe mit feinen Genofien im köpnicker Walde ges 


*) Die Sage nennt ihn v. Duterſtädt; bie beglaubigte Geſchichte weis aber von einen 
Dieb Bamens nur, bob er nom Rufücten eine Bergehens halber mit Gefängnis befaft 
und dann beguabigt wırbe. 


Das Kammergeriit. — Die Univerfität Frantfurt a. O. 68 


lauert, um bie Drohung wahrzumadjen; aber von ben Bauern rechtzeitig 
gewarnt, habe der Kurfürft den Rädelsführer fangen und zu Köln an 
der Spree vierteilen laſſen. Wenngleid, diefe Erzählung nur Sage und 
vielleicht eine bloße Fabel ift, fo ift doch foniel gewiß, daß der Sinn eines 
Teils jenes märkiſchen Adels ebenfo trogig nad) oben, wie gewaltthätig 
nach unten war. Die erften Mafregeln bes Kurfürften gegen die Land» 
beſchãädiger fruchteten wenig; die Räubereien dauerten fort. Da ließ 
denn, weil Drohungen und einzelne Beijpiele nicht halfen, ber Kurfürft 
die Übelthäter in Mafje aufgreifen und ihrer fiebzig, Darımter vierzig vom 
Adel, auf der Stelle aufhängen. „Adkiges Blut hab’ ich nicht vergoffen" 
(antwortete er auf bie Vorftellungen eines ihm verwandten Fürften), 
„Sondern Schelme und Mörder nad, Verbienft geftraft.* Auf feine Ver- 
anlaffung hielten auch die Städte und die Bauernichaften überall auf den 
Straßen Lanbreiter, die auf die Räuber paßten. So wurde das Land 
gefäubert. Um aber einen Hauptgrund des Fauftrechts, bie Mangels 
baftigfeit der Rechtspflege, die zumal gegen bie Großen wenig leiſtete, 
zu befeitigen, ftiftefe der Kurfürft (1516) mit Bewilligung der Stände 
das Kammergericht. Dafielbe beftand aus 12 Rechtskundigen (4 vom 
Kurfürften, 8 von ben Ständen eingefeht); es hatte als das oberfte Ge⸗ 
richt im Lande über den Adel und die Vorfteher der Städte, fowie der 
Hofe und Landgerichte, kurz über alle zu richten, Die ben bereits vor⸗ 
handenen Gerichten nicht unterworfen waren; das Recht, aus bem es 
anfangs noch ſchoͤpfte, war der Sachfenfpiegel, ſeit 1584 aber nur bas 
römiſche Recht; feine Sigungen hielt es alljährlich dreimal zu Köln an 
der Spree, eimnal zu Tangermünde ab. 

Noch großartiger war eine andere Stiftung, Die unter diefer Regie 
rung ing Leben trat, bie Gründımg der Univerfität Frankfurt a. O. 
Joachim warb eben fo fehr durd) feinen eigenen wiffenfchaftlichen Sinn 
wie durch bie Ehrfurcht gegen das Anbenten feines Waters getrieben, 
defien Lieblingswert zu vollenden. Am 26. April 1506 geihah bie 
feierliche Einweihung der Hochſchule; ihr erfter Rektor war Konrad Koch 
aus BWimpfen (Wimpina), die Lehrer zum Zeil geborne Märker, ber 
Mehrzahl nach aus Leipzig und Tübingen. Nach dem Mufter der 
leipziger Univerfität eingerichtet, blühte die franffurter raſch auf, ſank 
dann zwar wieder, hat aber im ganzen für die Verbefierung des Schul« 
unterrichts in der Mark ſehr Bebeutendes geleiftet. 

Diefe Einrichtungen koſteten natürlic) viel Geld, auch der Hofhalt 
des Kurfürften, der prächtig aufzutreten liebte, war ſehr Toftipielig. 
Joachim nahm daher die Stände ftärter in Anſpruch, als vordem zu 
geſchehen pflegte, und feine Strenge hatte ihn fo in Achtung gefegt, Daß 
feine Forderungen allemal bewilligt, insbefondere bie einträgliche Bierziefe 
zuletzt fo gut wie der Hufenſchoß eine ftehende Abgabe wurde. Aber er 


64 Joechim I. Reftar. 


konnte doch auch auf feine tüchtigen Gegenleiftungen hinweifen: auf bie 
öffentliche Sicherheit, auf die Verbefferung der Rechtöpflege, auf den 
neuen Mufenfik in der Marf, jelbft auf das, was er für die Verfaffung 
der Städte that. Bei feinen Rundreifen im Lande hatte er bemerkt, daß 
die Städte in Verfall gerieten, eine große Gefahr auch für den Staat, 
defien Einkünfte zu zwei Dritteln auß ihrem Stande famen, beffen Herz 
alſo, nad) Joachims Vergleid), der Bürger war. Wie konnte hiefem 
wichtigften Gliede aufgeholfen werben? Den Städten die alte Freiheit 
zurüdgugeben, daran dachte der Kurfürft nicht, nach wie vor mußten die 
Bürgermeifter und Ratsherren vom ihm die Beftätigung ihrer Ämter 
einholen; denn auf feine, Macht als Landesherr hielt er mit Eiferfucht; 
aber er gab unter Beirat ber ftädtifchen Behörden menigftens eime neue 
Stäbteordnung (die fogenannte Reformation), welche manche wohlthätige 
Beftimmung enthielt, 3. B. gleiches Maß und Gewicht für die ganze 
Marl. Noch mehr nüßte die Ordnung und Ruhe, die unter feinem ge 
rechten Zepter zu finden war. 

Zuweilen freilich verleitete ihn fein Eifer für das Recht, wie er & 
verftand, zu argen Mißgriffen. Der ſchlimmſte war die harte Verfolgung, 
die er über Die Juden erließ. An einem Sommertage des Jahres 1510 
(es war am 19. Zuli) jah man auf dem Neuen-Markt zu Berlin ein 
furchtbares Strafgericht. Auf einer Bühne ftanden Richter und Schöppen, 
vor ihnen als Angeflagte 38 fpanbauer, brandenburger und ftendaler 
Juden in ihrer alten Volkstracht und mit ſpihen, gelben ober weißen 
Hüten, ringsum das Voll. Der Richter verlas die Verhandlung, fragte 
die Angellagten, ob fie bei der Ausfage, die fie auf der Folter gemacht, 
verblieben, ob fie wirklich Hoftien zerfhnitten und beim Paffahfeft Ehriften- 
Finder gefchlachtet und das Blut zu Argeneien ober zu Bweden ihres 
teligiöfen Glaubens*) verwandt hätten. Zum Tode entichlofien fprachen 
fie Ja; vieleicht war die Anklage, die man fo oft gegen fie erhob, dies⸗ 
mal in der That wahr; längft hatte ja der harte Drud auch ben Juden 
zum Haß, zur Rachſucht und, wo er es wagen durfte, zu Greueln der 
Unduldfamteit und des Wahns gereizt, dem Aberglauben war er ohnehin 
ebenfo ergeben, wie der Chrift. Die Schöppen berieten, hald fiel das 
Urteil *"): die Frevler follten allzumal zu Aſche verbrannt werden. Run 


®) Nieol. Leutbinger. Chron., ed, prim., I. 1. 36: eo solent sanguine Judae- 
rum corpora defanctorum oblinire, ut si Messiae praeterierit seculum, in Christianorum 
sanguine serventur. 

*) 68 lautete: „Dieweil der böfe Eprift Paul Fromm, Keffelflider aus Bernau, fi; 
an dem Heiligen Sakrament vergriffen, bie Monftrang famt zwei Hoftien geftohlen und 
verkauft Hat, fo ſoll man ihn auf einen Wagen binden, bie Gaffen aufs und mieberführen, 
mit Zangen zeigen unb darnach in ein Feuer Iegen. Und bieweil die boshaftigen, fändben 
und verftodten Juden ihre böfe Mibhandlung des heiligen Sakraments und ihren graue 


Zubdenverfolgung. — Vertrag zu Seimnig. 65 


übergab fie ber Richter dem Henker, der Henker dem Gcheiterhaufen, 
während ein Rabbiner fie mit lautem Gefarige hebräifcher Lieder zur 
Standhaftigkeit ermahnte. Dann loderten über ben Schlachtopfern die 
Blammen auf und zufammen. Ihre Glaubensgenofjen aber wurben 
ſämtlich des Landes verwieſen. Was müßte den Wehrlojen der Schutz⸗ 
brief,. den ihnen der Kurfürft noch unlängft für ſchweres Geld gegeben? 
Er war durch das Urteil des Gerichts erloſchen; die nur gebulbet wurben, 
Ionnten jederzeit aus dem Staate vertrieben werben, defien Angehörige 
fie vor dem Geſetze niemals waren. 

Die inneren Angelegenheiten bildeten für Joachim Neſtor bei weiten 
den wichtigften Gegenstand feiner Thätigkeit. Er fcäßte die Segmmgen 
des Friedens zu hoch, als daß er die Ruhe, die ihm die Nachbarn gönnten, 
felber hätte ftören mögen; er war mit diplomatiſchen Erfolgen zufrieben. 
Als einen ſolchen durfte er den Vertrag anfehen, durch ben er (zu 
Grimnig am 24. Nuguft 1529) die langen Streitigkeiten mit Pommern 
für immer beendete. Zwar verzichtete er darin auf die Lehnshoheit über 
dieſes Land, aber die pommerſchen Herzöge erkannten dafür Brandenburgs 
Erbrecht feierlich an; in Zukunft erhielten fie die Belehnung ftets ums 
mittelbar vom Kaifer, aber bie Kurfürjten von Brandenburg wurden 
durch Berührung der Lehmsfahne als fünftige Erben mitbelehnt. Der 
Kalſer und die pommerſchen Stände beftätigten dieſen billigen Vergleich. 
Auch, auf Schleswig⸗ Holftein erwarb Joachim feinem Haufe eine gewiffe 
Anwartſchaft; kraft einer 1508 ausgeftellten Erffärung feines Schwieger- 
Vaters Johann von Schleswig-Holftein, Königs von Dänemark, wurde 
er im Jahre 1517 vom Kaifer mit dem Anfall bes Herzogtums Schleswig 
und ber Grafichaft Holftein unter ber Vorausſetzung belehrt, daß Johanns 
Sohn, König Chriftian I., ohne mönnliche Nachkommen ftürbe (ein Fall, 
der 1659 eintraf, aber nicht benupt werben konnte, weil jene Länder feit 
1633, feit Chriftians II. Sturz, ſich in Befi der jüngeren Linie des 
Haufes Schleswig-Holftein befanden). Eine unmittelbare Erweiterung 
feines Gebiets erhielt der Kurftaat nur durch den Heimfall ber Herrichaft 
Ruppin im Jahre 1524. 

Kurfürft Joachim I. war ein Muger und traftvoller Regent; bas er- 
unten die Unterthanen wie die Nachbarn bereitwillig an. Aber das 
Vertrauen auf feine höhere Einſicht artete bei ihm zuweilen in einen 
Eigenfinn aus, der in Heinen Dingen zur Wunderlichkeit wurde, in großen 
ihn gegen die berechtigten Forderungen ber Zeit verhärtete. Jenes zeigte 





hmm Mord am ſchuldloſen Chriftenfindern auch zu mehren Malen vor und auderhalb 
da Gerichts befanmt, darum foll man fie zu Pulver verbrennen, auf dab alle andern ein 
&rempel an ümen nehmen mbditen, dab fie folge und dergleichen Äbelthat nidt begehen 
alten“ 


Bierfon, preuß. Gedichte. L 5 


66 Die Reformation. 


fich in feinen aftrologifchen Schrullen. Er glaubte z. B. in der Sternen 
zu leſen, daß Berfin und Köln am 15. Juli 1525 durch ein ſchweres 
Wetter, ‚durch eine Sünbflut im Heinen untergehen werde. Troh aller 
Abmahnungen feiner Gemahlin begab er ſich baher am Morgen des 
genannten Tages mit feinem Hofftsat vor die Stadt hinaus, auf den 
tempelhofer Berg (bem jetzigen „Kreugberg“), um ſich vor dem Unglück 
in Sicherheit zu bringen; nachdem er vergebens gewartet, mußte er dann 
am Abend, beicjämt vor-feinen Unterthanen, in fein Schloß zurückkehren. 
Schlimmer war, daß er auch die Zeichen ber Zeit falſch deutete, daß er 
den Geiſt, ber damals die Reformation entzündete, nicht erkennen 
mochte, dann fid) gegen ihn verftodtte. 


Die Beformation. 


Über die Kirchenverfammlungen, die im 15. Jahrhundert es ver- 
ſuchten, die kirchlichen Schäden zu heilen, hatte das Papfttum gefiegt; 
bie Reformpläse Schienen zu Ende, umb viele Geiftliche trieben es nun 
ärger denn zubor, fo daß man Kaum fagen fonnte, ob ihr Leben oder 
ihre Lehre fehlerhafter war; aber die Vernunft mit ihren Bweifeln galt 
bem papftlichen Orakel gegenüber als Teufelsiwert. Auch wendete fid) 
die Kirche nicht‘ an Den Geift, fondern an die Sinne der Menfchen, die 
fie durch den Glanz bes Gottesbienftes beſtach. Pradjtvolle Aufzüge und 
reihe Schauftelamgen ergößten dort das Auge, ſchöne Mufit das Ohr, 
Raucherwerk die Nafe; nur der Verſtand ging leer aus, denn bie Gebete 
und Formeln waren lateiniſch, und was bie Mönche deutſch unter das 
Volt fehrieen oder im Beichtſtuhl flüfterten, ſtachelte oft nur die Leiden» 
haften und böfen Lüfte auf und erbaute felten das Herz und die Ber- 
munft. Aus diefer geiftigen Knechtichaft, Die um fo härter ımd allgemeiner 
war, weil die Hierarchie, durch die Wermengung des Geiftlichen mit dem 
Weltlichen ein Stant im Staate, in ihrer Entartung jet auch die 
materiellen Interefien vielfach verwirrte und bejchädigte, — aus dieſem 
Verderben bie Welt errettet zu haben, ift das Berdienft der nachbenklichen, 
glaubensernften deutſchen Nation, unb ein Sohn bes Bolles war's, ber 
Das Bamer zum Befreiungskampfe erhob. 

Martin Luther, eines armen Bergmanns Sohn, aber auf ber 
lateiniſchen Schule in Mansfeld, dann in Magdeburg und Eiſenach, 
endlich (jeit 1501) auf ber Univerfität zu Erfurt gebilbet, hatte vergebens 
verfucht, die religiöfen Zweifel, die ihn quälten, mit den üblichen Mitteln 
der Kirche zu befeitigen. Den Weg, ben fie als den ficherften anpries, 
aus der fündigen Menfchennatur durch möndjifche Weltentjagung und 
Abtötung des Fleifches hinauf zu Gott, ſchlug er mutig ein; 22 Jahre 
alt ging er (1505) ins Auguftinerfiofter zu Erfurt; aber die härteften 


Bartin Luther. 67 


Kafteiungen brachten feiner Seele feinen. Frieden. Da ftieh er auf einen 
feltenen Schatz, anf den Hort der Welt, den die römiſche Kleriſei fat in 
Vergefienheit gebracht ‚hatte, auf bie Bibel; fie erleuchtete. und tröftete 
in; nur durch den Glauben an den Grlöfer ‚wirft du ſeligl dieſe Er- 
kenntnis war fortan die Kraft, mit der. er.eine Welt überwand. Auch 
feinen Brübern die verſchüttete Duelle der Wahrheit wieber zu ericjliegen, 
das vergrabene Evangelium ans Sonnenlicht zu bringen, gab Gott ihm 
einen nahen Anlaß und einen großen Wirkungskreis; Luther ward, 1508 
Brofefior der Philoſophie an der ſechs Jahre zuvor gegründeten Uni- 
verfität Wittenberg und erhielt bajelbft, fett er (1512) Doktor der Then 
logie geworden, aud) das Amt eines Sthloßpredigers. Hier trat ihm 
mm in dem Tehzelſchen Ablaßkram 1617 die Verberbnis der Herrfchenden 
Kirche jo ſchamlos vor Augen, daß er- im, Sottes Namen den Kampf 
begann. In feinen 95 Theſen, die er (am 31. Oftober 1517) an bie 
Schloßlirche — Wittenberg ſchlug, hatte er nur erſt den Ablaßkram an⸗ 
—2 und behauptet, daß der Ablaß, vordem nichts als ein Erleß 

mißbräuchlicherweiſe bis zur Wergebung aller. Sünden 
Pd Geld fei getrieben worden, daß ber Papit keineswegs als Verwalter 
der göttlichen Gnade die Abfolution verkaufen bärfe, daß es ein Unſum 
und eine Gottesläfterung fei, zu jagen, wie Tehel that: „Sobald das 
Geld im Kaften Mingt, die Seele aus dem Fegfener pringt"; vieimehr 
werde; bie Vergebung der Sünden nur. durch. wahre Reue bewirkt. Aber 
ſchon dies Tühne Wort war eine große That geweſen, war wie ein Laufe 
feuer durch ganz Deutſchland gegangen, ben Guten und Berftändiger 
eine Freude, den Finſterlingen ein Schreden. Und Luther that mehr, 
drang dem Seinde immer tiefer in den Sih feiner Macht, lehrie (1519), 
daß die Herrſchaft des Papftes feine göttliche Eurichtung fei, weil bie 
Bibel von ihr nichts wife und weil in. Glaubensfacyen einzig und allein 
Die Bibel .entjcheibe, warf (1520) die Bannbulle, die der Bapft auf ihn 
geſchteudert, ins Feuer, brach aljo für immer mit Rom, forderte endlich) 
in Predigt und Schrift alle Welt zur Abſtellung der päpftlichen Miß- 
breuche und Irrlehren auf. „Wiberlegt mich ans der heiligen Schrift 
und ich will widerrufen, fonft nicht; denn ic) glaube weder dem Papft 
noch den Konzilien allein. Gegen das Gewifien vermag ich nichts. Hier 
ſteh' ich, ich kann wicht anders, Gott helfe mir! Amen." So ſprach er 
am 18. April 1521 zu Kaifer und Neid) in Worms, wohin ihn Karl V. 
geladen. Dort traf den Gebannten auch noch die Acht, aber jein Landes» 
dert, Kurfürft Friedrich der Weiſe, ſchütte ihn, und die Reformation 
durfte in Sachſen ungeftört Wurzel fchlagen. 

Es folgten nun die beiden großen Werke, durch welche bie neue 
Xehre ein bleibender Segen für Deutſchland ward: die Verdeutſchung der 
Bibel durd) Luther und die Begründung des deutſchen Volksſchulweſens 

5* 


68 Die Reformation. 


durch Melanchthon. Da rang ſich, vom lauteren Evangelium gemerkt, 
allerorten in Deutfchland der geſunde Menjchenverftand empor, ber jo 
Tange unter dem geiftlichen Druck gelegen, und das Volt, das am Staate 
wenig Anteil mehr hatte, warf ſich mit deito größerem Eifer in das 
irchliche Leben, wo es nun für jeden ein gleiches Recht, wo es wenigftens 
für den Gedanken und das Gewiſſen eine Freiheit gab. Mit Freuden 
fah es, wie von feinen Fürften einer nad) dem andern die neue Lehre 
bei fi) einführte; wie bie Übergetretenen dann feſt und entfchieben gegen 
den fpeierfchen Reichstagsabſchied (1529), der den Fortſchritt der Reform 
bedrohte, proteftirten, und wie bie Proteftanten (Kurfürft Hans von 
Sachſen, Landgraf Philipp von Heffen, Markgraf Georg von Ansbach, 
die Herzöge von Lüneburg, ber Fürſt von Anhalt und mehrere Reichs 
ftädte) unverzagt vor Kaiſer und Reich zu Augsburg 1580 ihr Iutherifches 
Glaubensbekenntnis ablegten. Denn die Reformation war raſch eine 
volfstämliche Sache, Luthers Kriegslied „Eine feite Burg“ ein Volkslied 
geworden. Auch fielen immer mehr Länder der neuen Lehre bei, z. B. 
ganz Pommern, wo im Jahre 1584 ein allgemeiner Landtag auf Antrag 
ber Herzöge Philipp von Pommern Bolgaft und Barnim von Pommern 
Stettin die Reformation nad) Luthers Lehre einzuführen beſchloß, Die 
dann unter Leitung des Dr. Bugenhagen ımd 1536 auch im Bistum 
Kamin vollbradyt wurbe. 

Doc) nicht überall gingen bie Wünſche des deutſchen Bolten, das in 
feiner Mehrheit proteftantifch gefimmt war, in Erfüllung. Auch vide 
weltliche Fürften, vornehmlich die Habsburger und Wittelsbacher (devem 
Widerftand eine Hauptſchuld an ber kirchlichen Spaltung Deutfchlands 
trägt) hielten feft zu Rom; feiner mit jo heftiger, erbitterter Feindſchaft 
gegen Luther als der Kurflrft Joachim Neſtor. Er war freilich zu Aug, 
um nicht einzufehen, welche Mifbräuche in der römifchen Kirche beftanden ; 
‚aber er meinte, fo große Dinge wie eine Kirchenverbefferung könnten und 
dürften nur von oben herab, von Papft und Kaifer, Yürften und Kon- 
silien, vorgenommen werben; ein Mann aus dem Volle dürfe fi ſolches 
nicht erbreiften. Und hatte nicht „Die Frechheit dieſes Mönchleins“ den 
Hohenzoller aud) in feinem Familienſtolz beleibigt? Der oberfte Pächter 
‘des beutfchen Ablaßhandels in Deutihland war ja Joachims Bruder, 
Erzbiſchof Albrecht von Mainz, der freilich dem Kaifer ftets zum Frieden 
mit den Lutheriſchen riet. Überdies, welche unfaubern Geifter jchlofien 
fich nicht der Reformation an! gar die Wiebertäufer in Münfter 15341 
Hatte nicht die Reformation auch ihre fehr gefährliche politiſche Seite? 
in ihrem Gefolge war ja jener große Bauernaufftand entbrannt, der 
1525 von Schwaben und Franken aus bis zur Ober und jelbft bis Oft⸗ 
preußen ganz Deutſchland verwüftele und ber nur die Mark verſchonte, 
weil bier die Lage bes gemeinen Mannes erträglich) war. Dem Banern- 


Brandenburg proteſtantijch. 69 


verftand konnte es eben nicht einleuchten, wenn alle Menſchen durch 
CHrifti Blut erlöft feien, warum gerade die Mehrzahl, die Bauern; 
Sllaven des Adels und der Geiftlichleit bleiben follten. Zwar ber Aufe 
ruhr des armen Mannes war rajd) don ben Fürften niedergeſchlagen 
worben, auch Luther, der Bauernfohn, hatte ſich gegen feine Brüder er» 
Hört; aber man fah doc), welche revolutionären Ideen in der neuen Lehre 
ſteckten. Aus allen diejen Gründen erflärte fid) Joachim gegen die Re- 
formation. Aber gerade feine leidenſchaftlichen Drohungen befeſtigten dag 
Zuthertum, denn fie veranlaßten die lutheriſche Partei ſich im ſchmal⸗ 
Zaldener Bunde (1531) zur Verteidigung ihres Glaubens achtumggebietenb 
zufammenzuthun. Überhaupt war es ein eitle8 Beginnen, daß Joachim 
fid) dem Strome der Beit entgegenftemmte; er konnte nicht einmal ver: 
hindern, daß diefer ſich über die Mark ergoß. Bornehme und Geringe 
nahmen bier begierig die neue Lehre auf, die von Sachſen und Magde- 
burg her eindrang. Da der Fürſt nicht voranfchritt, jo nahın das Volt 
von Brandenburg feine Sache in. die Hand; es richtete an ſehr vielen 
Drten den Gottesdienst nach lutheriſcher Weife ein, zwar nur im ftillen, 
denn wo das Luthertum dem Kurfürften offen entgegen trat, ſchlug dieſer 
es zu Boden, ohme ſich doch zu eigentlichen Verfolgungen ber Evan · 
geifcjen himreißen zu lafen. 

So ift aljo der Proteftantismus in Brandenburg zuerft durch das 
Volk begründet worden. Aber ein Lebensprinzip der Dynaftie und des 
Staates ward er durch die Bollern, die raſch auch. in der Mark bie 
Bege ber Zeit und des Volks einfhlugen. Schen zu Joachims I. Leb- 
zeiten fand das Luihertum in dieſem Fürftenhaufe warme und mächtige 
rende: der Zoller Albrecht von Preußen. war ſchon feit 1525 lutheriſch, 
amd ein Bruder defielben, Markgraf Georg don. Ansbad), Herzog von 
Zägernborf, war unter allen Proteftanten vielleicht der eifrigfte Er war 
es, ber 1530 zu Augsburg dem Kaiſer hitzig erflärte, lieber wolle er fi 
den Kopf abhauen laſſen, als vom Evangelium abftehen, worauf Karl in 
feiner nieberländifchen Mundart ihm lächelnd erwiderte: „Löwer Förſt, 
nit Kopp ab, mit Kopp ab!“ 

Selbft Joachims Gemahlin, Glifabeth, hing bem Luthertum an; fie 
war um ihres Glaubens willen und aus Furcht vor dem Zorn ihres 
Gatten 1528 nad) Sachſen geflohen und verkehrte dort mit Quther, der 
ans dem Möndjsftande ausgetreten unb feit zwei Jahren verheiratet war, 
wie ein Miglied feiner Familie. Entſcheidend für die Mark war es 
aber, daß auch Joachims Söhne, Joachim Hektor und Johann, ſich der 
neuen Lehre zumanbten. Vergebens befahl ihnen der Water noch auf 
dem Zobbette, päpftlid, zu bleiben; fie zeigten, als er (1685 zu Stendal) 
geftorben war, offen ihre Herzensmeiming. Am fehnelfften that es der 
füngere, Markgraf Johann von Küftrin, dem fraft des wäterlichen 


70 Die Reformation. 


Teftaments und zuwider ber Hausordnung ein Teil des Landes, die 
Neumark mit der Hauptftadt Küftrin und Kottbus, zugefallen war. Feſten 
raſch entfehloffenen Weſens führte er, mas er einmal als richtig erkannt 
hatte, auch auf der Stelle und vollftänbig aus. Mit Luthers Beirat 
richtete er ſchon 1586 bie Reformation in feiner Neumark ein, wie er 
denn aud) dem ſchmaltaldiſchen Binde beitrat. Der ältere Bruder, 
Joachim TI. (geboren am 13. Februar 1506), der die Übrigen Marken 
und bie Kurwürde erhalten. hatte, ging langſamet vor; erft nachdem er 
die völlige Umänderung des Kirchenweſens tm ftillen worbereitet Hatte, und 
die Hoffnung, durch ein beutfches Konzil zur Reform zu gelangen, ver- 
ſchwunden war, gab’ er beim lutheriſch geſinnten Biſchof von Brandenburg, 
Mathias v. Jagow, den Auftrag, die Reformatton in der Mark durch⸗ 
zuführen, und trat‘ ſelber am 1. Noventber 1639 zu Spandau öffentlich 
zur evangelifchen Kitche über. In der Nikolattirche dafelbft hörte er die 
Predigt des lutheriſchen Propftes Buchholtzer und empfürg Damm nebſt 
ſeinem ganzen Hofſtaat und vielen Rittern und Geiſtlichen das heilige 
Abendmahl im beiderlei Geſtalt aus des Biſchofs v. Jagow Händen. Am 
folgenden Tage predigte Buchholtzer in ber Dontlirche zu Köln an der 
Spree und erteilte dem Rate der Städte Berlin und Köln und vielen 
Bürgern das Heilige Abendmahl ebenfals nad) lutheriſchem Ritus. Die 
werigen, bie im Lande noch hie und ba an der römiſchen Kirche feft- 
hielten, durften ihren Glauben ungeftött behalten 

Die: geiftfichen Räte des Kurflirſten hielten darauf tm ganzen Lambe 
eine Kirchenviſttation ab, um den kirchlichen Auftand der Gemeinden zu 
erforſchen, arbeiteten auch eine Kirchenordnung ans, bie, von Luther und 
von ben märkifchen Ständen gebilligt, 1540 im ganzen Kurfürſtentum 
eingeführt wurde. Auf Joachims II. Wunſch, der den Glanz ſehr liebte, 
hatte man dabei noch manche Beremonten der römiſchen Kirche in das 
neue Wefen mit hinüber genommen. Luther war zufrieden, daß man bie 
Hauptfache befferte, daB man das Evangelium fortan lauter und vein 
predigte, das Abendmahl fo nahm, wie Chriftus es eingeſetzt hatte. „Yerre 
alten Kirchengebräuche“ — ſchrieb er mit großartigen Freiſinn ar Barh- 
Holger — „feien Außerlichteiten. Werm es dem Kurfürſten gefalle, fo 
möge Buchholtzer ein filbernes oder golbeites Kreuz tragen, ein Summel- 
ober ein linnenes Meßgewand anlegen oder deren zwei, brei fiber ein⸗ 
ander ziehen; habe der Kurfütft am einer Prozeffton um die Kirche nicht 
genug, fo folle er fiebenmal herumgehen; ja es ftehe dem Surfürften 
frei, felbft dabei zu fpielen und zu tanzen wie König David. Durch 
ſolche äußerliche Dinge könne bem Evangelium nichts zuwachſen und 
nichts abgehen, wenn nur dergleichen nicht als zur Seligkeit notwenbig 
erachtet würbe.“ 

Auch das märkifche Volt empfing num jene größte Wohlthat, welche 


Des Schulweſen. 1 


die Reformation überall in Deutſchland erwies, mo fie fiegte: es erhielt 
ein tühtiges Schulwefen. Denn da Luther. in einem guten Schul: 
unterricht ganz richtig das wirffamfte Mittel fah, auch religiäfe Erkenntnis 
im Volle zu fördern, da er vor allem verlangen mußte, daß ein jeber 
Chriſtenmenſch ſelber die Bibel leſe, jo ſetzte er durch, daß man in jeder 
evangeliſchen Gemeinde allemal auch eine Schule gründete, wo die 
Kinder vom Geiſtlichen ſelber oder von einem eigenen Lehrer in Gottes 
ort und werigftens aud) im Lejer-unterrichtet ‚wurden. Su demfelben 
gweck ſchrieb er feinen „Heinen Katechismus", ein Schulbuch, das bis auf 
diefen Tag wie die Bibel ein wahres Vollshuch ‚geblieben ift. Der evan⸗ 
geliſche Geiſtliche mußte die Bibel tn dem Urſprachen, mußte namentlich 
auch griechiſch verftehen; wem er.in feiner ‚Lehre ben Römifchen gegen- 
Aber feft fein wollte. ‘Daher Ichrten nun viele Dom- und Stadtſchulen 
neben dem Latein die griechiſche Sprache. So begünſtigte bie Reformation 
bie humaniſtiſchen Studien, denen fie ſelhſt ſoviel verdanfte. .. 

Eine eben: fo wichtige Veränderung zeigten bie politiſchen Verhält- 
niſſe der. enangelifchen Kirche; ber Landesherr betrachtete ſich ſelbſt als 
ihren oberften Biſchof; die Geiftlichkeit, wicht ‚mehr durch möndifdhe 
Gelübbe und durch dem Gölibat vom übrigen Volke abgefchieben, war 
mu an Ernb, aber nicht mehr ein Staat im Staate; ihr Stand 

ein Beasmtenftand. Denn alla bie großen Befifungen und Schäpe, 
pers die römiſch⸗katholiſche Geiftlichkeit im Laufe der Jahrhunderte für 
ihre Stifter, Kirchen und Mlöfter zufammengebradjt Hatte, fielen na durch 
die Reform in die Hand ber Meltlichen. Giniges nahmen die Stäbte - 
und Abligen, hei weitem das meiſte 399 ber Lanbeäherr ein; zum Zeil 
diente es fortan dazu, die ‚Kirchen. und: Schulen :auszuftatten, ſowie Die 
Geiſtlichen und Lehrer zu befolden, die der Patron, d: h. der Inhaber 
jener Stiftögäter, berief. Die landesherrliche Macht kam durch ſo großen 
Zuwachs an materiellen Mitteln, an Einfluß und Geltung auf der Bahn 
zum Abſolutismus · ein fehr betraͤchtliches Gtüc- vorwärts. Doc be 
wehrte fih ‚gerade ber. geiftliche Stand, geſtützt auf den regen kirchlichen 
Eier der Bevölkerung, noch lange feine Selbſtändigkeit aud) gegen die 
Obrigkeit, und auf. ber Kanzel donnerten Die-evangeltichen Prediger eben 
fo Heilig ‚gegen "Die Sünden der Vornehmen wie der Geringen. Das 
machte ihnen bei dem niedern Volle einen guten Namen, und da alle 
Stände in: der Ehrfurcht vor Gottes Wort mit einander weiteiferten, fo 
wor der Pfarrer in-feiner Gemeinde ein ‚großer Mann. 


Surfür Iondim IL ar and Markgraf Zohann von 


Das Mehr ober Minder von Entjchiebenheit war nicht ber einzige 
unterſchied im Charakter der beiden Brüder, die jet über die Marten 


72 Kurfürft Joachim II. Heltor und Markgraf Johann von Küftrin. 


herrſchten. Joachim zeigte Zeit feines Lebens ein gutmütiges, liebend- 
würbiges Weſen; alles um ihn her mochte er froh und glücklich machen, 
er war immer freigebig im Schenfen wie im Verſprechen. Er felbft 
fuchte das Vergnügen und fand e8 im Glanz, in der Pracht, in vers 
ſchwenderiſchen Feſtlichkeiten, die feine, reiche Phantafie ergötzten. Da- 
gegen war Johann ein ftrenger und genauer Herr, von einer Spar: 
famteit und Orbnungsliebe, die faft bis zum Geiz und zur Kleinigkeits⸗ 
Trämerei gingen. Er haßte allen unnützen Prunk: „Et, et, Herr Rat!“ 
fagte er einft mißbilligend zu einem, der am Wochentage in ben 
modifchen ſeidenen Strümpfen vor ihm erſchien — „id habe auch 
feidene Strümpfe, trage fie aber mır Sonntags." Daher fam es, daß 
er mit feinen vollen Kaffen oft dem Lande ımd dem Kurfürften aus- 
helfen konnte, während Joachim ftets in Geldnot ſteckte, weil er fo viel 
verjubelte ober verſchenkte. Gemeinſam war beiben Brüdern eine hohe 
Bildung des Geiftes, viel Neigung zur Wifienfchaft und eine Hare Ein- 
ficht in die Mittel und Wege der Stantshunft, fowie der Wille, ihre 
Länder in Blüte zu bringen. Aber Joachim ließ es im ganzen beim 
guten Willen bewenden; feine Vergnügungsfucht zog ihn zu oft vom 
Ernſt der Regentenarbeit ab, und feine Verſchwendung nahm ihm bie 
Nittel, fo viel Gutes zu ſtiften, als er gefollt hätte. Trotz feines 
heroiſchen Beinamens (dem er ſich als Kırrprinz in einem Feldzuge des 
Kaiſers wider bie Türken gewonnen) hatte er in feinen Weſen nichts 
Gewaltſames; aber es fehlte ihm auch jene Charakterfeſtigkeit, die feinen 
- Bruder auszeichnete. So war es mehr die Gunſt des Glücks als fein 

Verbienft, wenn imter feiner Reglerung das Staatsſchiff auch ar ſehr 
gefährlichen Klippen ohne Schaden. vorbeikam. 

Denn das Unwetier, das Iamge fiber den Häuptern der deutſchen 
Proteftanten geſchwebt, kam jept zum Ausbruch. Kaiſer Karl V. hatte 
feine auswärtigen Feinde, die Türken und Franzoſen, endlich zur Ruhe 
gebracht und ſchickte fich an, bie Rebellion in Deutſchland, als welche 
ihm das Verhalten der proteftantifchen Stände erſchien, zu erſticken. Er 
ädytete die Führen der Schmalfalbifchen, den Kurfürften Johann Friedrich 
von Sachfen und den Landgrafen Philipp von Heſſen, weit fie fld) ge- 
weigert, ihren Bund aufzulöfen, zerftörte durch geſchickte Benutzung ihrer 
Fehler die ſtarke Streitmacht der Verbündeten, brachte durch ben Sieg 
bei Mühfberg (1547) den Kurfürften Johann Friedrich, dur Umer- 
handlung auch den Landgrafen in feine Gewalt. Er meinte, nun in 
Deutſchland als Here und Meifter dazuftehen. In der That hatte das 
Haus Habsburg jetzt den Gipfel feiner Macht erreicht: Spanien und 
Amerifa, die Niederlande, Mailand, Neapel und Sizilien gehörten dem 
Katfer felbft; fein Bruder, Erzherzog Ferdinand von Ofterreich, gebot 
in Ungarn und Böhmen; jet war auch das freiheitsftolge Germanien 


Magdeburg. 73 


unterworfen. Karl V. beſchloß, hier den Schlußftein zu dem großen Bau 
feines Lebens, zur habsburgiſchen Weltherrichaft, zu legen. Er zerbrach 
die Bande, welche die Reichsverfoflung und die Wahlfapitulation dem 
Katjertum angelegt; aus eigener Machtvollkommenheit begann er die 
beutichen Berhältnifie zu ordnen, verlieh das Kurfürftentum Sachfen dem 
ſachfiſch· meißniſchen Herzoge Morig, der, obwohl Proteftant, ihm gegen 
die Schmalkaldiſchen beigeftanden, und befahl 1548 ben Broteftanten, 
fich der Entſcheidung des Konzils zu fügen, welches er 1545 in 
Trident zufammengebradht, vorläufig aber ſich in Religionsfachen fo zu - 
verhalten, wie er e8 in einer Verordnung (bem fogenannten „Interim“) 
vorjchrieb. 

Der Unwille im proteftantijchen Deutfchland war groß und all- 
gemein; viele gingen im ſtillen fchon mit Aufftandsplänen um; Hans 
von Küftrin erklärte ganz offen, er werde eher das Leben als den Glauben 
opfern. Indes bewaffneten Widerftand leiftete für jept mır erft eine ein⸗ 
sige Stadt, Magdeburg, deflen tapfere und glaubengeifrige Bürgerſchaft 
der ganzen Macht Karls V. Troß bot. Hier wurden alle Verfolgten mit 
offenen Armen aufgenommen, von bier, aus „unfers Herrgotts Kanzlei“, 
griffen Die Lutheriſchen in zahllofen Flugſchriften das Interim umd die 
fpanifche Tyrannei an. Glorreich verteidigte ſich die Stabt 1550 gegen 
die Reichsexekutionsarmee, die vom Kurfürften Moritz befeßligt wurde, 
und bei’ der ſich auch Kırfürft Joachim einfand. Magdeburg rettete 
damals durch feinen Heldenmut auch die nationale Ehre Deutſchlands, 
weiches wegen feines raſchen Grliegens tm Jahre 1547 von ben fleg- 
reichen Spanien verhöhnt und verachtet worden war. Aber das Bei- 
fpiel der ftandhaften Bürger gab mm auch den evangeliichen Fürften 
neuen Mut, Großes zu wagen. Sie vereinigten ſich insgeheim, und die 
Seele bes Bundes war gerade Morik von Sachen, den ber Katfer mit 
ber Belagerung Magdeburgs beauftragt hatte. Er grollte, weil Karl V. 
den Landgrafen Philipp noch immer im Gefängnis hielt. Die nämliche 
Beihwerde madjte Joachim von Brandenburg geltend, denn auf jeine 
umd Morigens Burgſchofi hatte fid) der Landgraf dem Kaiſer ergeben. 
Aber für Morik gab es nod) einen gewichtigeren Grund, ber proteftans 
tiſchen Sache beizufpringen; fie war ja großenteils durch feinen Ehrgeiz 
zu Sal gelommen, es drängte ihn, ihr wieder aufzuhelfen und fid) von 
dem Ramen eines Verräters feiner Kirche rein zu waſchen. Geſchwind 
traf er feine Mafregeln, rüftete, unterhandelte ſtill nad) allen Seiten, 
fand dann plöglich mit feinen Truppen in Oberdeutſchland und zwang 
durch feinen fühnen, unerwarteten Angriff den Katfer, der fein Heer bei 
der Hand hatte, dagegen die ganze proteftantiiche Partei fid) in Waffen 
erheben fah, zum pafjauer Vertrage (1552), in welchem er die wichtigften 
Forderungen der Lutherifhen zugeftand. Der augsburger Religions- 


74 Kurfürft Joachtm I. Heltor und Markgraf Johann von Küftrin. 


friede (1555) beitätigte ihnen die Freiheit und Beredjtigung ihres 
Glaubens. 

Waren auch der Friede, deſſen ſich Deutſchland, und die Sicherheit, 
deffen fi) das Luthertum nun Lange geit erfreute, fehr dankenswerte 
Wohlthaten, fo gab es doch zwei Sätze im augsburger Vertrage, die 
nachmals die Duellen großen Wnheils geworben find: erftens ben bes 
rüchtigten Grundfaß „eujus regio, ejus religio — ber Landesherr hat 
die Religion zu beftimmen“, die Unterthanen follten mır das Recht haben 
auszuwandern; zweitens ben „geiftlichen Vorbehalt", daß die noch übrigen 
latholiſchen Stifter nicht dürften enangelifch werden; der eine Punkt traf 
die Volfsfreiheit, der andere die deutſche Einheit ins Herz. Vergebens 
hatten die brandenburgtfhen Fürften im Verein mit Medienburg und 
Bommern befonders dem geiftlichen Vorbehalt widerfprochen. Joachim IL 
mußte fi damit begrägen, Daß die ewangelifche Partei thatfäcjlic in 
den Beſitz des Grftifts Magdeburg, er jelbft in den Genuß, feiner Lars 
besftifter Havelberg, Brandenburg, Lebus Im. Die völlige Einziehung 
(Säkularifation) derſelben bereitete er dadurch vor, daß er fie zunächft 
felbft oder durch feine Söhne verwaltete. Eben jo gelang es ihm, in 
Wagdeburg nad) dem Ableben feines Obeims Albrecht nad) einander 
feine Söhne Friedrich, und Sigismund zu Erzbiſchöfen wählen zu laflen, 
von benen dann ber Iehtere 1661 mit Zuſtimmung des Domlapitels die 
Reformation, der die Hauptſtadt längſt anhing, hier allgemein durchführte. 
Zum Zeichen aber, wie er ſich offen und auf ewig vom Papſte Iosfage, 
ließ der Kurfürft am 5. Oftober 1563 in feinem ganzen Lande ein großes 
Reformationzfeft feiern. Das war feine Antwort auf die Verbammung, 
welde das tridentiner Konzil kurz zuvor gegen alle Proteftanten ger 
ſchleudert hatte. Diefe Kirchenverfamsilung war nır. von Päpftiühen, 
meiſt Stalienern und Spaniern, abgehalten worden; die Evaugelifchen 
erflärten, über die Gewifſen habe auch ein Kongil feine Madıt. lm fo 
leichter wurde es den Roͤmiſchen, bort alle von den Proteftanten bes 
frittenen Lehren und Bebräuche ausprüdlic und für immer in ſchroffſter 
Beck du betätigen. Sd war dem auch für die bolge jede Vereinigung 

in Giaubensſachen abgeſchnitten. 

"Der. Proteftontismus ftellte den Hohenzollern eine neue Aufgabe; 
abet fie vernadjtäffigten. über derſelben nicht die alten: Teudenzen ihrer 
Dimaftie. Unter. biefen ſtand immer die Enweiterung ber Hausmacht 
obenan; auch Idochim IT. war darauf bedacht. Ohne Kriegsluſt und 
meift auch ohne beträchtliche Geldmittel, fand er mur in der Diplomatie 
bie Möglichkeit, für das Wachstum feines Haufes etwas: zu thun. Unb 
auf biefem Wege bat er gerade zu den allerwichtigften fpäteren Wer- 
en des Staats bei erſten Grund gelegt; denn er verſchaffte ihm 

auf Schlefien und auf Preußen eine Anwartihaft. Zwar wurde die 


Diftelmeter. — Die Berwaltung. % 


Erbverbräderung, die er 1537 mit dem Herzoge Friedrich von Liegniß, 
Brieg und Wohlau abſchloß und 1545 bei einer Doppelheirat zwifchen 
den Kindern beider Kontrahenten befräftigte, von dem Könige Ferdinand 
von Böhmen, bem Lehnsherm jenes Herzogs, für ımgiltig erflärt, aber 
Ferdinands Recht dazu, ſchon von ben Beteiligten mit Grund beftritten, 
galt den Hohenzollern ftets für anfechtbar; ihre Blicke wandten fi) von 
Zeit zu Beit immer wieder diefer Ausficht zu. Eine andere große Hoffe 
nung durften fie hegen, feit der König von Polen ſich hatte bewegen 
laffen, in die Belehnung, die er bem Herzog Albrecht Friedrich von 
Preußen mit dieſem Herzogtum erteilte, auch deſſen Vetter, den Kurfürſten 
Joachim II., aufzunehmen (19. Juli 1569). 

Das melfte Verdienft um ben glüdtichen Ausgang der Unterkanb- 
kungen mit Polen hatte Joachims Kanzler Lamprecht Diftelmeier, 
ein Staatsmann von ebenfo großer Rührigfeit als Gewandtheit. Er war 
wohl das’ erfte bedeutende Talent, welches bie brandenburgifche Staats- 
dienerſchaft vom deutſchen Auslande empfing. Ein geborer‘ Leipziger, 
Hatte er am Höfe des Kurfürſten Moritz von Sachſen jeine politiſchen 
Gaben gebildet; 1551 in die Dienfte Joachims getreten, leitete er (ſeit 
1558) deſſen ſämtliche Staatsgeſchüfte. Unter ſeinem Beirut wurde auch 
die innere Verwaltung der Mark auf einen befferen Fuß geſetzt. Na 
mentlich Die Rechtspflege: erhielt feftere Formen; für fie wurde ein In 
furſtliches Sofgericht gebildet, "während - die Finanzen don ber: füge 
kannten Kammer, die übrige Larbesverwaltung von der Kanzlei beſorgt 
wurden. 

Anter Joachims Verorbiuungen nehmen bie Qurnsgifehe einen breiten 
Blag ein. Er verbot 3. B., bei bürgerlichen Hochzeiten: mehr als 10. bis 
12 Tiſche für je 12: Perfonen zu Decken, ‚beim Spiel mehr als 800 Gulben 
zu verthun; am ſchtirfſten aber‘ bebrohte er die Pluberhofen. Sie ent⸗ 
hielten freilich mit ihren zahlloſen Falten zumetien an 100 Ellen Seide 
oder anderen koſtbaren Zeuges, ſo daß mancher Hofherr fein ganzes Ber⸗ 
inögen auf dem Leibe trug.“ Denn ein Par ſolcher Gofen koſtete vft 
ſo viel wie ein Landgut. Auch war dieſe Rarrheit ſo beltebt, daß die 
Prediger oft genug Gelegenheit fanden, ' auf den Kanuzeln wider "den 

„Binderteufel”. zu eifern. Der. Aufwand bewies inbes eind erfreuliche 
Watſache, daß es an Wohlhabenheit im Lande nicht-fehlte. In der That 
Hüßten unter :dem Schutze des Friedens beſonders die Gewerbe wieder 
auf, zumal die Tuchweberei, deren Hauptfitz in Stendal war; dort ‘gab 
es damals am 800 Tuchmachermeiſter. Hie ımb- de Aapperten auch ſchon 
Eiſenwerke, Kupferhännmer, ſelbft Papiermuhlen; bei Belitz bearbeitete 
man eine Salzquelle. Sogar Wein wurde produzirt und beſonders von 
Krofſen, aus ber Niederlauſitz und ber Mittelmark nach Pommern, 
Schweden, Polen, Preußen, Liefland ausgeführt. Den Stapel für dieſe 


76 Kurfürft Sonim IL Heltor und Markgraf Johann von Küftein. 


und andere Waren, welche ſeewärts gingen, hatte Franffurt a. O.; es 
war im 16. Jahrhundert der größte Handelsplap der Marl. Dem Nütz⸗ 
lichen fuchte Joachim das Schöne, für das er fo viel Sinn hatte, an bie 
Seite zu ftellen. Er berief geſchickte Baumelfter, Bildhauer, Maler, 
Muſiler nach Berlin, die der Pracht feines Hofes eine höhere Würde 
verliehen. Auch fir die Univerfität und das Schulmefen bes Landes 
that er manches. Gelbft eines einheimifchen Geſchichtsſchreibers (bes 
Chroniſten Leutinger) Tomte fid) die Mark damals rühmen. So ſchritt 
fie in allem auf der Bahn neuer Gefittung vor. 

Bon dem alten Fehde- und Fauſtweſen verſchwand nun bald jebe 
Spur. Zwar gab es noch immer viele arme umd raufluftige Edelleute 
in der Mark, aber fie fuchten jet den fürftlichen Kriegsdienſt, zogen nad) 
Ungarn, den Niederlanden, nad) Frankreich, überall hin, wo Geld und 
Ehre zu erfämpfen war. Joachim beſchrünkte dieſe Söldnerfahrten durch 
Verbote, nur dent Kaifer, dem Reich oder dem Evangelium follten brans 
denburgifche Schwerter helfen. Doc; war das Feld immer noch weit 
genug für den Trieb nad) Gewinn und Abenteuern. Aber das Stegreif- 
rittertum in ber Mark war längft zu Ende, und das Fauſtrecht blieb 
vergangen. Zum letzten Wale war es aufgefladert in deu kecken, wilben 
Wagſtucken des Hans Kohlhafe. Er war ein Bürger von Köln an der 
Spree gewejen, ein Kaufmann, der mit Honig, Wachs, Heringen im 
großen hanbelte*). Eine Unbill, die ihm im Herbft 1532 ein ſächfiſcher 
Edelmann, v. Zafchwig, angethan und für Die er non befien Obrigkeit 
feine Genugthuung erhalten hatte, trieb ihn zur Gelbfthilfe; er bewaffnete 
feine. Kuechte, ſchickte dem Kurfürften von Sachſen (am 1. März 1534) 
einen Abfagebrief und fiel in befien Land ein. Wie ein Raubritter von 
ehebem führte er feine Fehde, und lange mit Glück. Da er aber auch 
feinem eigenen Landesherrn Trotz bot, ward er geächtet, gefangen und 
1540 zu Berlin hingerichtet. 

Raufluft war. fonft wicht gerade der Fehler diefer Zeit, eher eine zu 
große Gemädjlichteit des Lebens. Den Lurus, dem er durch Geſetze zu 
feuern fuchte, ernmunterte Joachtm felbft doch durch fein eigenes ſchlechtes 
Beiſpiel. Seine Prachtliebe überftieg alles Maß. Koftbare Hoffefter 
glänzende Ritterfpiele, Heben wilder Tiere — Löwen, Bären, Auer- 
ochfen, bie im Tiergarten bei Berlin gehalten wurden — große Jagden 
und Wettrennen löften an feinem Hofe fortwährend einander ab; umd 
bei allen dieſen Feftlichkeiten wurbe der größte Prunk entfaltet; zahlreiche 
Dienerſchaſt (zur SHofhaltung gehörten 436 Perfonen), ſchweigeriſche 
Mahle, die teuerſten Gewänder und Geräte. Übrigens liebte es ber 
Kurfürft, daß das Volk an feinen Freuden teil nahm. Er veranftaltete 


*) Burkhardt, der hiſtorijche Hans Kohlhaſe, 1864. 


Kurfürft Joachim II. Heitor und Markgraf Johann von Küftzin. 77 


in Berlin aljährliche Nennen, wobei Edelleute und Bürger, Einheimifche 
und Fremde mithalten durften, zu Pferde und zu Fuß; die Preife waren 
bei ſolchem Lauffptel ein fetter Ochfe, ein Schwein, ein Bogen, ein Ferkel. 
Er miſchte ſich auch ſelbſt in die Volfsfefte, die er veranlaßte, und ein- 
mal, bei einem großen Knüttelkampfſpiel zwifchen den Berlinern und 
Spanbauern, in welchem ber ſpandauer Bürgermeifter (er hieß Bier) ihm 
den Sieg entriß, wäre es ihm faft übel ergangen. Immer aber litt fein 
Beutel, und was die Feſte übrig ließen, ging großenteils für die Günſt⸗ 
Unge und Freundinnen auf, unter denen Anna Sydow, „bie ſchöne 
Gieherin® (Witwe eines Stüdgießers), am befannteften ift. Dazu kamen 
die Bauten, die meift aus Prachtluſt, jelten — wie Die Befeitigung Span- 
daus — um bes Nubens willen geſchahen. Alles dies ruinirte die Fir 
nanzen; der Kurfürft hatte vom Vater her eine Schuldenlaft vorgefunden, 
ex vergrößerte fie noch beträchtlich, im Jahre 1540 war fie ſchon auf 
600.000 Thaler angewachſen, während bie jährliche Einnahme ſich nur 
auf 80000 Gulden belief. Der kurfürſtliche Rentmeifter, Thomas Mat» 
thias, der zugleich Burgermeifter von Berlin war, hatte daher einen fehr 
ſchweren Stand; er opferte fein eigenes Vermögen für feinen Herrn, Am 
erften wußte noch der Jude Lippold Geld herbeigufchaffen, der daher 
große Gunſt und dus Amt eines Kammerbieners, Müngmeifters und 
Dberften der Judenſchaft, freilich aber auch den Haß feiner; wie er für 
Geld wieder aufgenommenen Glaubensbrüder gewann; benn er miß⸗ 
braudjte feine Stellung zu allerki Erprefiungen. Zuletzt mußten doch 
immer wieder die Stände aus der Rot helfen. Dadurd; geriet der Kur⸗ 
fürft in große Abhängigkeit won ihnen; er mußte verſprechen, „keine 
wichtige Sache, daran das Gedeihen oder Verderben des Landes gelegen, 
shne Vorwiſſen und Rat der Stände zu beſchließen“; er mußte ben 
Ständen ſogar das Recht erteilen, ſelber die Steuern eingugiehen und zu 
verwalten, damit Die Gelder wirklidy zur Tilgung ber Landesſchulden ver 
wandt würden. Densod fand der Nachfolger noch eine Schuldenmaſſe 
von 2 600 000 Thalern vor! 

Markgraf Johann von Küſtrin wiriſchaftete anders; bis an ſeinen 
Tod ein Muſter von Ordnungsliebe und Sparſamkeit, von Maäßigkeit 
und Schlichtheit, konnte er nicht bloß viel Nügliches Ichaffen, nee Bande 
fisaßen und Brücden, Bafferleitungen und Fabriken, die Feſtungswerle 
von Käftrin und Peiz bauen, fondern auch noch im Yale 1656 zwei 
Herrſchaften kaufen — Storkow und Beeskow — ımb gleichwohl einen bes 
trähtlichen Schatz baren Geldes (man fagt gar 24 Wiſpel alter Düttchen 
ober etwa 14 Millionen Mark), ſowie durch manche wohlthätige Einrich-⸗ 
tung ben Namen eimes Vaters der Armen hinterlaſſen. Man hat ihn 
auch Johann Ofonomus genannt; er verdiente den einen wie den andern 
Ehrentitel. 


78 Johann Georg. 


Die beiden Brüder ftarben furz nacheinander, Joachim (66 Jahre 
alt) am 3., Johann am 13. Jamıar 1571. Da der letztere feinen Sohn 
hinterließ, fo wurben die Marken mwieber vereinigt; fie find feitdem wicht 
mehr getrennt worben. 


Ichann Georg. 


Es war eur hartes Gericht, das nun nad; Joachims Tode über die 
Ioderen Vögel am Hofe erging; denn der neue Herr, Johann Georg, faft 
in feinem Stück dem Baber, in vielen, befonbers in Rauheit, Orbmungs- 
liebe und Sparſankeit, dem Oheim gleich, rächte des Valers Schwächen 
ſchwer an defien-Günftlingen. Bor allem mußte Lippold büpßen. Ju 
einem Streite mit feiner rau war er von dieſer ber Bauberei bezichtigt 
worden; daraufhin wurde er verhaftet und geſtand nun auf der Folter 
noch Schlimmeres: er habe den verftorbenen Kurfürften beſtohlen und, um 
der Entdedung zu entgehen, ihn ſodann vergiftet. Zwar wiberrief er 
nachher alles, aber man hielt ihn für überführt, amd er wurbe auf grau 
fame Weiſe hingerichtet. Der Haß, ben ſich biefer Wucherer zugezogen, 
traf aber auch feine Glaubensgenofien; die ganze Judenſchaft wurde 
wieder aus bem Lande gejagt. Übel erging es auch ber ,ſchönen Gieße ⸗ 
rin“; fie fam auf die Feftung Spaudau, wo fie auch als Gefangene ftarh. 
Selbft der hochverdiente Thomas Matthias warb in Umerſuchamg ges 
zogen; man fanb aber nicht 10 Gulden baren Geldes bei ihm, und al 
ex ftarb, hinterließ dieſer rechtſchaffene Sinangminifter nicht foviel, daß er 
davon konnte anftänbig begraben werben. 

Loblicher waren Johaun Georgs Bemühungen, bie hinterlaffenen 
Schulden des Baters zu tilgen, er hatte lange Jahre daran zu arbeiten 
unb mußte ben Ständen große Opfer abfordern; doch gelang es ihm, 
weil das Land bie erhöhten Steuern gar wohl tragen konnte. Die 
Mittel desfelben mehrten fid) bejonders and durch die Einwanderumg re» 
formirter Niederländer, Die, nor der Glaubenstyvanmei Philipps II. von 
Spanien geflüchtet, ſich als Ackerbauer in den Flußniederungen, häufiger 
als Gewerbtreibende in den Städten nieberlieken und ben Kunftfleiß micht 
menig förderten. Bandes neue Gewerbe kam damals in der Mark in 
Aufnahene, mandyes alte ging zurück, wie dem namentlich der Weinbau 
bie und da anfing von ber Brammtweinbrennerei verdrängt zu werben. 
Im ganzen war ber Aufſchwung der Inbuftrie erheblich, und der all- 
gemeine Wohlſtand ſtieg. Es erſchien denn auch ſchon 1580 wieder ein 
neues Luxusgeſetz, das ſich freilich nur gegen den Aufwand ber Städter 
richtete. Dieſelben wurden nach Geſchäft und Vermögen in vier Klafſen 
geteilt; zum erften Stande gehörten hiernach die Doktoren, Pröpfte, 
Bürgermeifter, Richter, Ratsmänner, Schöppen und ber alte Stadtadel, 


Johann Georg. 79 


zum zweiten bie Viergewerle und wohlhabenden Bürger, zum dritten bie 
gemeinen Bürger, zum vierten Die Tagelöhner und Dienftboten. Sie alle 
erhielten genaue und fehr Heinliche Vorſchriften, wie fie fich leiden jollten, 
und wie viel fie bei Feftlichkeiten verthun dürften. 

Es find doch auch einige dauernde Erfolge aus diefer Regierung zu 
melden: bie Stiftung des Berlinif—hen-Öymmafiums zum grauen Klofter 
1574, wo des Kurfürften Leibarzt und Hofalchymiſt Leonhard Thurneyſſer 
zugleich eine Buchdruckerel errichtete; die Bollenbung bes kurfürftlichen 
Schloffes in Berlin, weiches dann, wie ein Zeitgenoffe fagt, in Deutſch⸗ 
land feines gleichen nicht hatte; bie Befeftigung Driejens, fowie ber 
Ansbon der Feſtungswerke von Spandau, Küftrin und Peiz burd) ben 
berühmten Baumeifter Graf Rochus v. Lynar; in der auswärtigen Po— 
litik 1594 die Erwerbung wichtiger Erbanfprüche durch bie —S 
bes Prinzen Johann Sigismund, Enkels des Kurfürſten, mit Anna, ber 
älteften Tochter des Herzogs Albrecht von Preußen und zugleich Erbin 
ber. jülich-Elevesbergfchen Rande; in kirchlicher Hinfidyt bie Vifltationg- und 
Konfiftorial-Orbrumg vom Jahre 1573, nad) welcher ein General-Super- 
imtendent alle zehn Jahre, und bie Kirchen-Infpeftoren alljährlid) den Zu- 
ftanb des märfifdhen Kirchenweſens unterfuchen follten, fowie ber Anteil, 
ben Johann Georg an dem Buftandelommen ber „Eintrachtsformel“ 
hatte. Diefe wichtige Belenntnisfchrift, die von fäcftichen und branben- 
burgiſcheu Geiftlihen, eifrigften Anhängern der ſtreng lutheriſchen Rich- 
tung, 1576 zu Torgau abgefaßt worden war und nebjt ber „augsbunger 
Konfefſion“ zu ben ſogenanuten fymbolifchen oder Grundbüchern der 
lutheriſchen Kirche gehört (publigirt im Jahre 1580), wirkte freilich alles 
andere eher als das, was ihr Name verſprach. Dem ber Kurfürft band 
feine Geiftlichtet nun fireng an jedes Wort, das fie enthielt. Er teilte 
den Fehler ber Zeit, bie religiöfe Umdulbjamkeit. Die Reinheit bes 
Iufherifhen Lehrbegriffs zu bewahren, jchien bei weiten bie wichtigfte 
Aufgabe der Kirche; aber man „wollte hriherifcyer fein als Luther jelbft 
und verfiel in denſelben blinden Autoritätsglauben, ben man ben. Rös 
müfchen. vorwarf. Zugleich ärtete ber gwiſt mit ben Anhängern bes 
wingli⸗ dalviniſchen Proteftontismus in wütende Feindſchaft aus; man 
war im lutheriſchen Norden und Oſten Deutſchlands faft. ebenjo eifrig 
bedacht, die Meinungen ber Reformirten, bie im Suͤdweſten herrichten, 
auszufehliehen, als fich gegen das Einbringen Tatholifirender 
zu verwahren. Das religiöfe Vorurteil, das übrigens bei jäntlichen 
Selten gleich ftart war, verwarf zuweilen auch Dinge, deren Güte jonft 
gar nicht geleugnet werben konnte, wie benn 3. B. die Proteftanten fich 
über ein Jahrhundert lang geweigert haben, Gregors XI. Kalender- 
verbefierung (nom Jahre 1582) anzunehmen. Die Päpftlichen ihrerjeits 
ſtenunten fi) mit Macht gegen die Verbreitung der aftronomijchen Lehre 


80 Joachim Friedrich. 


des Kopernikus, weil ſie Grund hatten, darin eine Ketzerei zu wittern. 
Es iſt fraglich, auf welcher Seite, ob bei Rom, Genf oder Wittenberg, 
damals die größte Intoleranz herrſchte. 


Zoachim Friedrich. 


Bei Johann Georgs Tode (8. Januar 1598) ftand fein Sohn und 
Nachfolger Joachim Friedrich ſchon im reifften Mannesalter, er zählte 
52 Jahre; aud) fein Vater war längft über die Jugend Hinaus, war 
45 Jahre alt gewefen, als er ben Thron beftieg; aber das Alter, das 
jenen einft noch ſchroffer machte, gab Joachim Friedrichs maßvollem 
Weſen nur größere Milde. Er gewann ſich raſch die Achtung der 
Märker; fie ſchätzten feine Einſicht, Mäßigung, Gerechtigfeitsliebe; fie be— 
wunderten bie ungemeine Umfiht und eftigfeit in Verwaltungsſachen 
und die genaue Kenntnis der auswärtigen Staatsverhältnifie, die er fich 
bereit8 als Adminiftrator des Erzbistums Magdeburg (jeit 1566) an⸗ 
geeignet hatte. Noch beliebter war feine Gemahlin Katharina, das treue 
Ebenbild ihres Vaters, des Markgrafen Johann von Küftrin; von ihrer 
frommen Wohlthätigfeit bewahrt Berlin noch heute ein Andenken: bie 
Schloßapothefe, die fie von dem Ertrag ihrer felbftbewirtfchafteten Meierei 
geftiftet, um armen Kranken unentgeltlid, Arznei zu liefern. Wie Vater 
und Mutter waltete die neue Herrichaft im Lande. Doch hatte Joachim 
Friedrich viel Mühe, ehe er den Staat ungeteilt überfam. Sein Vater 
war ſchwach genug geweſen, feinem älteften Sohne aus dritter Ehe, 
Chriſtian, die Neumark zu vermachen, und Die Stände, deren Entſchei⸗ 
dung der neue Kurfürft anrief, lehnten es ab, fid) in den Familienzwiſt 
zu mifchen; fo ſchien nichts übrig zu bleiben, als daß Joachim Friedrich 
die Anfprüche feiner Stiefbrüber auf den Beſitz eines Landesteils, wie 
er fofort gethan, aud) in Zulunft einfach abwies. Da trat der Vetter 
des Kurfürften, der alte Markgraf Georg Friedrid) von Ansbach und 
Baireuth, vermittelnd ein. Er war kinderlos und fein Beſitz bedeutend. 
Außer Ansbach und Baireuth gehörte ihm aud) das jchlefifche Herzogtum 
Jägerndorf, welches fein Vater Georg 1523 gefauft und dann noch durch 
die Herrfchaften Beuthen und Oberberg vergrößert hatte. Er ſchlug vor, 
fein Nachlaß folle zum Ausgleich dienen. Der Kurfürft war es zufrieden. 
So ſchloſſen die Bevollmächtigten ber beiden denn einen Vertrag (zu 
Gera 1598), nad) welchem dereinft von Georg Friedrichs Erbe nur Jä⸗ 
gerndorf an den Kurfürften, die fränkifchen Fürftentümer aber an befien 
Stiefbrüder fallen follten. Bugleid; wurde die Unteilbarkeit des Kur- 
fürftentums, und ausdrüdlid) auch noch die Primogenitur, die Erbfolge 
nad) dem Recht der Erfigeburt, als Grundgeſetz desfelben feftgeitellt. 
Nach dem Tobe Georg Friedrichs 1603 trat dieſer „geraer Hausvertrag“ 


Häufung ber Regierungsgeichäfte. 8 


wur Befriedigung aller Teile in Kraft. Prinz Chriftian erhielt durch das 
Los das Fürftentum Batreuth, fein jüngerer Bruder Joachim Ernft das 
Fürſtentum Ansbach. Das Herzogtum Jägerndorf (nebft Beuthen und 
Dberberg) gab der Kurfürft im Jahre 1607 feinem jüngeren Sohne 
Johann Georg; falls die Nachkommen desſelben ausftürben, follte es an 
Kurbrandenburg zurückfallen. 

Bald darauf erwarb Joachim Friedrich einen neuen Rechtstitel für 
die preußifche und kleviſche Erbſchaft, indem er fich, feit 1603 Witwer, 
mit Eleonore, der jüngeren Tochter Herzog Albrecht Friedrichs von 
Preußen vermählte und, von den märkiſchen Ständen mit Gelb dazu 
verjehen, den König und den Reichsrat von Polen bewog, ihn 1605 zum 
Bormund des gemütskranken Herzogs und zum Statthalter in Preußen 
zu ernennen. 

Die Ausdehnung der Staatsinterefien über fo ertlegene Gebiete ver» 
mehrte den Umfang der landesherrlicden Geſchäfte ſchon fehr weſentlich; 
aber auch in der inmeren Verwaltung wuchs bie Geichäftslaft, zumal 
nachdem nun (ſeit 1598) aud) bie Landesbistümer, Havelberg, Bran- 
denburg und Lebus, ganz und gar eingezogen und mit ber Mark ver- 
einigt worben weren. Überhaupt aber wurbe jetzt das Regieren mehr 
eine Kunft, welche genaue Sachkenntnis aller Verhältnifſe des bürgerlichen 
Xebens erforderte. Wie viel leichter hatte es ber Fürft im Mittelalter! 
Die kirchliche Verwaltung ging ihn nichts an; das Kriegsweſen war 
fehr einfach, ber Fürft hatte im Grunde mır bie Führung der Truppen 
zu übernehmen, welche feine Vaſallen und Städte für ihn aufbrachten; 
die Finanzen machten ihm noch die meifte Mühe, doch konnte er leichter 
als jegt von der Hand in ben Mund leben; in bie befonderen An- 
gelegenheiten der Gemeinden und einzelnen Stäbte fi) zu mengen, war 
nicht feines Amtes. Diefe Selbftverwaltung bes Volks, für den Fürften 
fo bequem wie für die Selbftändigfeit der Unterthanen notwendig, hörte 
jegt allmählich auf. Denn nachdem die bevorrechteten Stände, der Adel, 
der reiche Bürgerftand, die Geiftlichleit einer nach dem andern ihre Macht 
auf Koften ber Mafle des Volks gemißbraucht hatten, war dem Yürften 
mit der Gewalt zugleich die Pflicht zugefallen, was jene vordem, jeber 
in feinem Kreife, zum beften des Ganzen gethan hatten oder hätten thun 
follen, num felber zu leiften. Durch die Reformation oberfter Biſchof 
geworden, follte er die Lehre und das Leben feiner Geiftlichen, den Zu⸗ 
fland der Schulen, die Verwaltung der kirchlichen Stiftungen beaufe 
fichtigen; Die Veränderung bes Kriegsweiens und bejonbers bie Rechts- 
pflege nötigten ihn nicht bloß, eine Menge neuer Geſchäfte und Inter 
zu übernehmen oder zu verteilen, fonbern auch, was das Schwierigfte 
war, in das Steuerweſen Plan und Regel zu bringen und es vor allem 
fehr viel ergiebiger zu machen, damit für die mancherlei neuen Ausgaben 

Bierfon, preub. Geſchichte. L 6 


82 Joachim Friedrich. 


immer das nötige Geld vorhanden fei. Um aber die Steuerfraft des 
Landes in entfprechendem Maße zu erhöhen, mußte fid) der Fürft fortan 
mehr als bisher um den wirtfchaftlichen Zuſtand feiner Unterthanen be- 
kümmern; er mußte fuchen durch eigene Verordnumgen und Mafregeln 
dem Aderbau, den Gewerben, dem Handel zu nüßen. So häuften und 
entwickelten ſich die Gejchäfte und Tonnten ſelbſt unter dem Beirat ſach- 
tundiger Männer nur dann zweckmäßig behandelt werben, wenn bieje 
Berater nicht bloß in einzelnen Fällen, wie bisher wohl, fondern dauernd 
ihre Hilfe liehen. 

Diefe Erwägungen beftimmten den Kurfürſten Joachim Friedrich im 
Zahre 1605 (am 15. Januar*) ein ftehendes „Geheimrats-Kollegium" zu 
errichten. Es hatte die Bearbeitung aller Staatsangelegenheiten mit 
Ausnahme des Kirchenmwefens, das unter der Aufficht des kurfürſtlichen 
Oberkonſiſtoriums blieb, der Rechtspflege, Die das Hof- und Kammer- 
gericht, und der Lehnsfachen, welche die Lehnskanzlei behielt; es führte 
auch die Oberaufficht über die Landes-Hauptleute, die in den Provinzen, 
über die Vögte, die in Heineren Bezirken die Iandesherrlichen Rechte und 
Obliegenheiten bisher faft wie Statthalter verwaltet hatten. Die Mit- 
glieder ber neuen Behörde — neun am der Zahl —, meiſt gelehrte 
Staatsmänner und ohne Rangunterfhieb dem Adel und dem Bürger- 
ftande entnommen, wurden auf Lebenszeit angeftellt und hatten eine fefte 
Beſoldung, die teils in Geld, teils in freier Koft, Kleidung, Wohnung 
und Raturallieferungen beftand.. Sie verfammelten ſich wöchentlich zwei⸗ 
mal im Furfürftlichen Schloffe zu Berlin; den Vorſitz hatte der „Oberft- 
kammerer“, den Vortrag der zu beratenden Gegenftände der Staats: 
Kanzler; bei der Abſtimmung, deren Ergebnis der Kurfürft zu beftätigen 
pflegte, galt die Mehrheit. Der Geheime-Rat war alfo bei uns ber 
erfte Anfang zu einem Staatsminifterium. Aber daneben behielt ber 
Kanzler als oberfter Rat, gewiſſermaßen als Premierminifter, noch einen 
großen Wirkungsfreis, wie er denn namentlich die Zuftiz und die Land» 
tags = Verhandlungen leitete. Zu diefem höchften Staatsamte berief der 
Kurfürft gern einen Doktor der Rechte, und da noch nicht viele Adlige 
fid) den Studien zumandten, fo war in den erſten Zeiten gewöhnlich ein 
Bürgerlicher Kanzler. 

Bei der Ordnung bes höheren Beamtentums vergaß Joachim 


*) Neuen Stils (5. Januar alten Stils). Vom Jahre 1600 an ift in biefem 
Bude durchweg bie Datirung nad der neuen, gregorianifgen RKalender« 
rechnung erfolgt, bie ft dem Veginne bes 17. Jahrhunderts nicht Bloß in der gangen 
zbmifch-Tatpolifhen Welt, fondern auch ſchon in einigen peoteftantifcgen Ländern, 3. 2. in 
Preußen und Kleve, beftand. In Brandenburg wurde fie erſt im Jahre 1700 ein« 
gefüßet. — Man hat alfo Hier bei den Daten des 17. Jahrhunderts, wenn man den alten 
SH ermitteln will, zehn Tage abaugiehen. 


Geſqhichte bes Landes Preußen. 83 


Friedrich es nicht, defien Pflanzftätten zu vermehren; er gründete 1607 
zu Joachimsthal bei dem Jagdſchloß Grimnig ein Gymnaſium, das, 
reich mit Ländereien und Einkünften ausgeftattet, 130 Schüler, teils vom 
Adel, teils aus dem Bürgerftande, unentgeltlich erziehen follte. Damit 
entledigte er ſich zugleid, gegen das Schulwefen einer Ehrenpflicht, welche 
feit der Einziehung der Kirchengüter einem jeden evangelifchen Landes- 
herrn oblag. 

So kurze Zeit alſo aud) dieſer Fürſt regiert hat, kürzer als irgend 
ein anderer Hohenzoller in der Mark, — denn er ftarb ſchon am 
18. Juli 1608 — es war doc) durch ihn viel geichehen, um dem Nach— 
folger die großen Aufgaben zu erleichten, die ihm das Wachstum des 
Staats nad) Oſten und Weiten ftellen mußte; denn da und dort fanden 
bedeutende Ermerbungen gang. nahe bevor. . 


Geſchichte des Landes Prenfen bie zu feiner Bereinigung 
mit Brandenburg. 


In dem Küftenlande zwifchen der unteren Weichjel und der Düne, 
das im Norden und Weiten vom baltifchen Meere, im Süden und Dften 
von einem Kranz von Sümpfen und Geeen begrenzt wird, faß feit Ur- 
zeiten ein Bolt litauiſchen Stammes, welches ſchon im Altertum und 
zwar durch den Handel mit dem koſtbaren Bernftein, den bie See an 
feine Küfte warf, namhaft wurde. Die Römer nannten es (feit Tacitus 
90 n. Ehr.) mit dem germanifchen Namen, den fie von ben bazwifchen 
Bohnenden überfommen hatten, Äftier, d. i. Oftleute. Lange Zeit blieb, 
was Zacitus don ben Aftiern angemerkt — daß fie einen Götterdienft 
übten, deſſen Symbol aud) bei den benachbarten Stämmen felbft im 
Kriege Achtung und Ehrfurht fand, daß ihre Hauptwaffe die Holzkeule 
war, und daß fie mit großer Sorgfalt Aderbau trieben — diefer kurze 
Bericht blieb Jahrhunderte hindurch das einzige, was die gebildete Welt 
über das Volk des Bernfteinlandes belehren Tonnte. Wenigftens ift 
feine Spur erhalten, daß der Bernfteinhandel den Alten an fidherer 
Kunde mehr vermittelt Habe. Auch eine Gefandtichaft, welche die Aftier 
um das Jahr 500 nad) Stalien an den König Theodorich d. Gr. ſchickten, 
verbreitete kaum neues Licht. Erft gegen Ende des neunten Jahrhunderts 
ift etwas Genaues über die „Oſtleute“ aufgezeichnet worden, und zwar ‘ 
von dem englifchen Könige Alfred d. Gr. Er fchrieb nieder, was ihm 
ein gewiſſer Wulfftan aus eigner Anſchauung über die Aftier und ihr 
Land erzählte. Diejer Reifende war (um das Jahr 880) von Hedaby 
(Schleswig) zu Schiff nad) Truſo gefahren, einem Handelsort am 
Draufenfee bei dem jepigen Dorfe Preußiſch-Mark. Nachdem er von ber 
Weichſel, dem frifchen Haff (dem Ejftenfee, wie er es nennt) und bem 

6. 


84 Geſchichte des Landes Preußen. 


Elbing geſprochen, berichtet er über das Land und Bolt daſelbſt 
folgendermaßen: " 

„Das Eftenland ift jehr groß und bat fehr viele Burgen und im 
jeder Burg iſt ein König. Es giebt da fehr viel Honig und Fiſchfang. 
Der König und die veichften Leuten trinfen Pferdemild), die Un- 
vermögenden und Sklaven trinken Met. Es ift fehr viel Streit unter 
ihnen. Bier wird bei den Eften nicht gebraut, aber Met giebt es da 
genug. 

Es ift Sitte bei den Eften, daß, wenn jemand geftorben ift, er im 
Haufe bei feinen Verwandten und Freunden einen, auch wohl zwei Mo— 
nate unverbrannt liegen bleibt, und zwar bie Könige umd die anderen 
Bornehmen um fo länger, je größer ihr Reichtum ift, zumeilen ein halbes 
Jahr. Während biefer ganzen Zeit num bis zu dem Tage, ba man die 
Leiche verbrennt, geht e8 mit Zehen und Spielen body ber. Darauf an 
dem Tage, an welchem fie den Toten zum Scheiterhaufen bringen wollen, 
da teilen fie feine Habe, fo viel davon nad dem Trinken ımd Spielen 
noch übrig ift, in fünf, ſechs oder mehr Teile, je nad) dem Betrage. 
Dann legt man diefe Teile aus, den größten wenigftens eine Meile vom 
‚Hofe entfernt, den zweiten näher, dann den dritten, bis es alles auf bie 
Weite einer Meile ausgelegt ift; der geringfte Anteil muß an dem Hofe 
liegen, wo fi) der Tote befindet. Sodann verfammeln ſich die Männer, 
welche bie rafcheften Rofie im Lande haben, wenigftens in fünf oder ſechs 
Meilen Entfernung von dem ausgelegten Gute. Nun fprengen fie alle 
los, wobei der Reiter des fchnelliten Pferdes zum erften und größten 
Anteil gelangt, und fo einer nad) dem andern, bis alles genommen ift. 
Rachher reitet jeder mit dem Gewonnenen feines Weges und darf es bes 
halten; deshalb find dort bie ſchnellen Pferde ungemein teuer. Sit jo die 
Habe des Berftorbenen zerftreut, dann trägt man ihn hinaus und ver- 
brennt ihn famt Waffen und Kleidern. Gewöhnlich geht in dieſer Weile, 
durch das Trinken und Spielen und Wettreiten, das ganze Vermögen 
des Toten drauf. 

Die Berbremmung der Leichen ift bei den Eften eine Pflicht; findet 
jemanb ein unverbranntes menſchliches Gebein, fo mu man es teuer 
anslöfen. 

Die Eſten verftehen die Kunft Kälte zu erzeugen; eben beshalb 
liegen dort die Toten fo lange, ohne zu verwefen, weil um fie Kälte 
bewirkt wird. Sept man den Eften Gefäße voll Bier ober Wafler 
bin, fo können fie machen, daß jebes überfriert, e8 fei Sommer oder 
Winter." 

Durch die Dftjeefahrer wurden nun auch einige Stammnamen biejes 
baltifchen Volles befannt; man hörte, die nörblicher, zwiſchen dem kuri⸗ 
ſchen Haff und dem Kap Domesnäs haufenden Küftenleute hießen Kuren, 


Die alten Vreuden. 86 


die ſüdlicher wohnenden, beſonders die an der Pregelmündung hießen 
Semben oder Samländer. Geitbem kam bie unbeftimmte Bezeichnung 
Eſten in Abgang und wurbe auf ein weiter oftwärts haufendes Volk von 
ganz anderer Nationalität, auf die Finnen im heutigen Efthland über- 
tragen. Birmenwärts dagegen, nad) Polen und Rufland, verbreitete fich 
für einen Zeil Diefer Balten, und bejonders für die in Samland und 
am kuriſchen Haff wohnenden, der Name Prutten oder Pruzzen, ein 
Wort, das vermutlich mit dem litauiſchen protas „Verftand“ zufammen- 
hängt und die „Klugen", die „Wiffenden“ bedeutet.*) Denn auf der 
Bernfteintüfte beftand eine uralte Kultusftätte; von borther kam zu den 
verwandten Stämmen der Dienft der Götter. Als ſpäter die Chriftenheit 
von Deutſchland her zu einer methodifchen Bekämpfung dieſer Heiden 
ſchritt, erhielt das, wie gejagt, urſprünglich wohl religiöfe Wort einen 
nationalen Begriff und bezeichnete Die gejamte Bevölferung bes vom 
deutſchen Orben befehrten Gebietes zwiſchen ber Weichſel und ber unteren 
Memel, zwifchen der Dftfee und Drewenz. 

Die Pruzzen, oder wie der Deutſche ausſprach die Preußen, zerflelen 
in eine Menge Meiner Stämme; man unterſchied beſonders elf Gaue: 
Kulm und Pomefanien am öftlichen Weichfelufer, Pogefanten, Warmien 
oder Ermland und Natangen am friſchen Haff, Samlarıd zwifchen biefem 
und dem kuriſchen Haff, Nadrauen und Schalauen am kuriſchen Haff, 
Barten zwifchen Aller und Angerapp, Subauen und Galinden längs der 
mafurif—hen Seeen. Doch alle dieſe Stämme glichen fi in Sitte und 
Beife wie Brüder, obſchon fie feine ftaatliche Einheit bildeten. 

Die alten Preußen waren, wie noch jet die Litauer bei Tilſit und 
Gumbinnen, tüchtige, kernige Menfchen von ſchlankem, ftarfem Körperbau 
mit langen blonden ober hellbraunen Haaren und blauen Augen. Diejes 
Träftige Naturvolk hatte zu ber Zeit, als es in das vollere Licht der 
Geſchichte trat, d. h. im Anfang bes elften Jahrhunderts, ſchon eine 
gewifle Stufe der Gefittung erftiegen, ja faft eine höhere, als bie war, 
welche die Deutfchen vor ihrer Belehrung erreichten. Zwar aud) Die 
Preußen wohnten nur in Dörfern und auf Höfen, wo fie als Viehzüchter 
und Aderbauer dem fruchtbaren Boden zwifchen den ungeheuren Wäldern 
und Sümpfen hinreichenden Ertrag abgewannen; auch fie Tannten keine 
höheren Genüfſe als Jagd, Krieg und ZTrinfgelage; aber wie gewandt 
ihr Geift war, dafür zeugt ſchon das von ihnen erfunbene vortreffliche 
Adergerät, die „Boche”, ein Pflug, der noch jetzt in Oftpreußen gebraucht 
wird. Überdies betrieben fie außer mandjen Gewerben (ber, Linnen« 
weberei, der Schmiedekunſt und ZTöpferei) aud) einen Handel an ben 


Bal. hierüber meine Schrift „Elektron. Berlin 1869.” ©. 105. 


86 Geichichte des Landes Preußen, 


Küften, welcher befonders am Draufenfee und in dem bernfteinreichen 
Samland ungemein Iebhaft war. Sie gingen auch felbft zur See, um 
in den fremden Häfen, beſonders im ſchwediſchen Birka, für ihren Bern- 
fein und für ruffifches Pelzwerk deutfches Tuch und mancherlei metallene 
Geräte und Bierat einzutaufchen; von Seeraub jedoch hielten fie fich 
fern. Selbſt das „Strandrecht“ mißbrauchten fie nicht, wie es doch die 
meiſten chriftlichen Völker thaten; vielmehr halfen fie uneigennüßig den 
Schiffbrüchigen. Überhaupt bemerkt ein deutſcher Chronift bes elften 
Jahrhunderts, „es könnte viel Löbliches in feinen Sitten von dieſem 
Volle gejagt werden, wenn es den Glauben Chrifti hätte.” Thätigkeit 
galt als eine rühmliche Tugend, Arbeitsihen als ſchändliches Lafter; man 
fand im ganzen Lande Teinen Bettler. Gaftfreundfchaft, Treue und Dant- 
barkeit waren heilige Pflichten, der Diebftahl verachtet und wie Morb 
umb Ehebruch mit Todesftrafe belegt; auch den Frohfinn und bie gut- 
“ mütige Heiterfeit, die menfchenfreundliche, mildthätige Art der Preußen 
rühmte das Ausland. Ihre Lebensweife war ſchlicht und einfach; die 
Kleidung des Mannes ein Furzer, enger Rod von weißer ober blauer 
Farbe und je nad) dem Vermögen von Leinwand oder Tuch, um den 
Leib ein Ledergürtel, geſchmückt mit blanfen Metallplatten oder buntem 
Zierat aus Bernftein ober Thon; weite Beinfleider, lederne ober baftene 
Schuhe; dazu im Winter Tierfelle über den Rod und eine Pelzmütze. 
Die Weiber trugen lange linnene Kleider von grauer Farbe und einen 
Mantel, die Unverheirateten einen Blumenkranz, die Frauen eine Haube. 
Ahr Pub beftand in ausländifhen Arm- und Halsbändern, Ringen, 
Ohrgehängen. Die Fremden fagten wohl: „ber Preußen Gott ift ihr 
Bauch“; und allerdings war Inftiges Zechen in Preußen fehr beliebt; 
inbeffen welche Mafjen von Met und gegohrener Stutenmild, hier auch 
vertilgt wurden, die hriftlichen Deutfchen leifteten in Bier und Wein das 
nämliche. Im Eſſen waren die Preußen body immer mäßig. Ihre Koft 
beftand hauptſächlich aus Fleiſch, Brot und Milchipeifen. 

Die preußifhe Sprache, die feit 200 Jahren ausgeftorben und uns 
nur in einigen fpät abgefaßten Wörterverzeichniffen und in ein paar 
Überjegungen des lutheriſchen Katechismus”) erhalten ift, war eine 
Mundart des Litauiſchen; fie hatte einen fanften, milden Klang und in 





*) Zur Probe fei bier das Vaterunſer (nad; Abel Will's Sqhreibung, abgebruct bei 
NReffelmann, Sprache der alten Preußen ©. 13 ff.) mitgeteilt: TAwa noüson kas tu essai 
on Dangon. Swintints wirst twais emmes. Perlit twais Ryks. Twais quäits andäsin, 
kägi en Dangon tyt döigi no semien. Nouson deinennin geitien dais noümans schan 
deinan. Bhe etwerpeis noümas nousans Auschautins kai mes etwörpimsi noüsor.s 
auschautenikamans. Bhe ni weddeis mans en perbandäsnan. Schläit isrankeis mans 
esse wissan wargan. Amen. 


Die alten Preuben. 87 


ihren Formen eine ſehr gefällige Beweglichkeit; wie lieblich Mingen z. B. 
die Mannsnamen Dygune, Nawalde, Aftiot, Samile, Nautinge, Saleide, 
die Irauennamen Romeda, Namego. Die Schrift war, wie es fcheint, 
unbefannt; man fam dem Gedächtnis in ber Weife aller Naturvölker 
zu Hilfe, bediente fi, um die Tage zu zählen, eines Kerbftods oder 
Inüpfte Knoten an einem Riemen. Man rechnete übrigens nicht nad) 
Boden, jondern nur nad) Monden und Jahren; die Monate hießen nad) 
den Naturerjcheinungen, z. B. Zauben-, Linden-, Getreide, Laubfall- 
Monat. ‚ 

Am wenigften heimelte den germanifchen Sinn das Verhältnis an, 
in welchem bei den alten Preußen die Frau zum Manne ftand. Sie 
war nicht die berechtigte Genoffin, fondern die Dienerin ihres Gatten, 
dem Vater um ein bejtimmtes Maß Getreide oder für eine Anzahl Vieh 
abgefauft; denn die Kinder galten als deſſen unbedingtes Eigentum. 
Der Mann durfte jo viele Frauen haben, als er ernähren konnte. Den: 
nod) fehlte es der Ehe nicht an Würde; darauf deutete mancher poetifche 
Braud) hin. Am Tage ber Hodjzeit verfammelte die Braut ihre Freun— 
dinnen und fang mit ihnen ein Klagelied, daß fie mın nicht mehr die 
Eltern warten und pflegen dürfe. Dann ftieg fie in den Wagen, den 
ihr der Bräutigam ſchickte, um zu ihm zu fahren; war fie an ber Grenze 
feines Hofes angelangt, fo trat ihr ein Mann mit einem lodernden Teuer- 
brand und einem vollen Kruge entgegen. Dreimal umrannte er ben 
Wagen, dann den Krug ihr reichend, rief er: „Wie fonft in beines 
Vaters Haufe, jo hüte nun das euer im Haufe deines Gatten.” Unter 
fröhlichen Zeremonien wurde fie nun in das Haus und an ben Herb, 
ihren Tünftigen Chrenplaß, geführt, wo man ihr die Füße wuſch. Darauf 
wurde fie mit verbundenen Augen und den Mund mit Honig beneßt an 
alle Thüren des Haufes geführt und ftieß eine jede mit dem Fuße auf, 
- während die Begleiter fie mit Sämereien aller Art beftreuten und ihr 

zuriefen: „Halte feft am Glauben unferer Götter, fo geben fie dir alles.“ 
Es folgte ein heiteres Mahl mit Gefang und Tanz, wobei der Braut 
das lange Haar, die Zierde der Jungfrau, abgefehnitten und ihr Haupt 
mit einer befränzten Haube bedeckt wurde. 

Die Balten fahen in allem an Himmel und Erde, was ihren Ver- 
ftand oder ihr Gefühl betroffen madjte, etwas Göttliches; fie verehrten 
Sonne, Mond und Sterne, Donner und Bliß, hielten manche Bäume 
und ganze Haine, mandje Duellen und Seeen, die Schlangen und viele 
andere Tiere für heilig. Aber fie hatten das Göttliche in der Natur 
auch perfonifizirt und beteten zu beftimmten Göttern vor deren Bildern. 

. Ein ausgebildetes, uraltes Prieſterweſen gab diefem Kultus feite Formen 
und übte von Preußen aus aud) auf die verwandten Völker großen Ein- 
fluß. Der preußifche Oberpriefter, der ‚„ Kriwe“, hatte unter den baltifchen 


88 Geſchichte des Landes Preußen. 


Heiben ein Anfehn, faft wie in der Chriftenheit der Papft. Sein Wohnfik 
Romowe in der Landſchaft Nabrauen war der Mittelpuntt diefer 
ganzen großen Glaubensgemeinſchaft und zwiſchen Weichjel und Düna 
der heiligfte Ort. Hier in Romowe ftanden in drei Blenden, die in ben 
dicken Stamm einer heiligen Eiche gehauen waren, bie Bilber ber drei 
Hauptgötter: Perkunos, der gewaltige Donnergott, einem zornigen Manne 
glei), mit feuerfarbenem Geficht und fraufem Bart, das Haupt von 
Flammen und Blikftrahlen umlodert; vor ihm brannte ein ewiges Teuer. 
Im Donner verfündete er dem Dberpriefter, dem Kriwen, die Zukunft 
und feine Befehle. Roſſe (jeine Lieblingstiere), aud) Gefangene wurden 
ihm zu Ehren geſchlachtet; er ſpendete Kraft und Sieg. Neben ihm ftand 
Patrimpos, der lächelnde, glücbringende Gott der Fruchtbarkeit und des 
Aderbaues, wie ein ſchöner, blonder Züngling anzuſchauen, mit einem 
Ahrenkranz im Haare. Ihm brannten ais Opfer Getreidegarben und 
Weihrauch; fein Heiliges Tier war die Schlange. Auf der andern Seite 
ftarrte Pakollos, der finftere Gott des Todes und Verderbens, eine 
Greifengeftalt, mit totenbleichem Geſicht, langem, grauem Barte, ben 
tahlen Scheitel mit einem weißen Tuche ummunden. Drei Totenköpfe, 
— eines Menſchen, eines Pferdes, einer Kuh, — lagen vor feinem Bilde, 
die Beichen feiner blutigen Opfer; denn Dual und Angft alles Lebendigen 
war feine Freude, und feinen Zorn verjöhnte mır Blut. Von anderen 
göttlichen Wefen genoß Kurche, der nahrungipendende Gott, Die meifte 
Verehrung; aud) er wurde unter heiligen Bäumen angebetet. Das An- 
ſehen der Götter gab auch ihren Prieftern, den Waidelotten, die um ihre 
Heiligtümer wohnten, große Macht, die größte aber dem Kriwen, ber, 
als Oberpriefter und Oberrichter, von Romowe her feine Sprüche ergehen 
ließ, Drafel, die überall als göttliche Befehle galten. 

Mit den Prieftern teilten die Herrſchaft über das Volt die Häupt- 
linge ber einzelnen Gaue. Auf ihr Gebot war in Kriegszeiten jeber 
wehrhafte Mann verpflichtet, mit feinen Waffen — der Streitleule, ben 
Wurfleulen, der fteinernen Streitart, oder, wie es fpäter Sitte ward, 
mit Schwert und Spieß, Schild und Bogen — auf dem bezeichneten 
Sammelplage zu erſcheinen. Da kamen meift fehr zahlreiche Heere zu= 
fammen ; zumal das wohlbevölferte Samland vermochte viele taufend Reiter 
und Fußkämpfer zu ftellen; aber auch die andern Gaue brachten große 
Maffen ins Yeld; freilich war dies Aufgebot eben nichts weiter ald ein 
allgemeiner Landfturm, zu welchem ein jeber gehörte, der überhaupt nur 
eine Waffe tragen Tonnte. Zuweilen thaten ſich einige, nie alle Gaue 
gegen einen gemeinfamen Feind zufammen. Durch zähe Tapferkeit er« 
hielten fie ſich dennod) frei und waren im Kampfe furchtbare Gegner, ob- 
wohl fie von eigentlicher Kriegskunſt nichts verftanden. Ihr Auszug erfolgte 
unter heiligen Kriegsbannern, — Züchern, die mit Bildern von Gößen 


Die alten Preußen. 89 


und Tieren bemalt waren —; ihr Angriff geſchah mit Kühnheit und 
zift, die durch die Unwegfamteit des fumpfigen bewaldeten Landes unter- 
ftüßt wurde. Oft fiegten fie aus dem Hinterhalt oder durch verftellte 
Flucht. Am gefchickteften zeigten fie fi im Anlegen und Verteidigen 
fefter Burgen. Das Land war bedeckt mit ſolchen Wehren, die, aus 
Holz erbaut, metft auf Anhöhen oder an Flüffen, Seeen, Moräften lagen 
und von Wällen und Gräben umgeben waren. Zur Feier des Sieges 
brachte man den Göttern gern einen vornehmen Gefangenen zum Opfer 
dar; durchs 208 gewählt, warb er in voller Kriegsrüftung auf ein ge 
feffeltes Pferd gebunden, mit einem Scheiterhaufen umgeben und fo ver- 
brannt. Auch die übrigen Kriegsgefangenen behandelte man mit Grau- 
famteit. Denn durch lange Kriege mit den Nachbarvölkern, befonders 
mit ben Polen, durd) Kriege, die meift in entfeßlichen Verwüftungszügen 
beftanden, war die urfprünglich friedliche und milde Gemütsart der 
Preußen gewaltthätig und hart geworden. Dod) gegen Fremde, die als 
Säfte kamen, wie gegen Freunde und Stammgenofien blieb der Preuße 
menſchenfreundlich und wohlwollend. 

Wenn aud) die Häuptlinge einen ehr bedeutenden und dauernden 
Einfluß auf das Volt ausübten, fo war es dod) feine Gewaltherrſchaft; 
fie geboten über freie Leute, und in wichtigen Angelegenheiten des Gaues 
entſchied das Volk felber in feinen Verſammlungen, bei denen freilid, die 
Edeln, d. h. die von altersher durch Anfehen und Reichtum ausgezeich- 
neten Geſchlechter, eine gewichtigere Stimme hatten als ber gemeine 
Mann. Der Reichtum beftand in großem Grundbeſitz und Biehftand, 
ſchönen und fehnellen Pferden, Jagdhunden, Jagdfalken; Geld war nicht 
Üblich. Übrigens unternahm man Fein wichtiges Geſchäft, begann feinen 
Krieg, ſchloß Teinen Frieden, ohne durch den Mund der Priefter den 
göttlichen Willen erforjht zu haben; aber man gehorchte auch dieſen 
nicht aus Zwang, fondern aus Frömmigkeit. 

Was man vom Leben nad) dem Tode glaubte, war vernünftig und 
heilſam; Die Seelen der Guten kämen an einen Ort der Freude und des 
Genuſſes (den man ſich allerdings rein finnlic dachte); dort, im Rojus, 
bei den Göttern, würden fie alles wiederfinden, was ihnen hienieden lieb 
und teuer gewefen. Den Böfen war ein Ort der Dual und der Marter, 
Bella, zum entjeglichen Wohnſitz beitimmt. 

Dem Geftorbenen zu Ehren veranftaltete man ein feierliches Trauer- 
mahl. Mit weißen Kleidern geſchmückt, ward die Leiche im Kreife ber 
Freunde und Verwandten auf einen Stuhl geſetzt, und jeber trank unter 
Behllagen dem Toten zu, trug ihm aud) Grüße an liebe Verftorbene 
af. Dann gürtete man ihm ein Schwert um (eine weibliche Leiche 
erhielt ftatt deffen Nadel und Zwirn mit), legte ihn auf einen Wagen 
und fuhr nach dem Begräbnisplage. Männer folgten zu Pferde, hieben 


90 Geſchichte des Landes Preuben. 


mit ihren Waffen in die Luft, fuchten aud) durd) lärmendes Gejchrei die 
böfen Geifter von der Bahre fern zu halten. Auf dem Begräbnisplae 
war ein Erdhügel aufgeſchüttet; am nördlichen Ende beffelben befand ſich 
ein vierediges Grab, forgfam mit großen, aufrecht geftellten Steinen aus» 
gelegt, aud) wohl mit bunten Kiefeln gepflaftert; am ſüdlichen Ende ragte 
ein mächtiger Scheiterhaufen; auf dieſen wurde die Leiche gelegt, neben 
fie des Verftorbenen Roß, Hund, Waffen, Geräte und mancherlei Koft- 
barfeiten, dann alles in einer gewaltigen Zeuerlohe verbrannt. Denn 
man meinte, das irdiſche Leben. feße fid im Jenſeits unter gleichen 
Verhältnifien und Beihäftigungen fort. Während die Ylamme loderte, 
erhoben die Priefter das Lob des Verftorbenen, rühmten feine Thaten, 
zumal was er im Kriege volführt, und riefen begeiftert: „Schon fehen 
wir ihn, im bligenden Schmud der Waffen, hod) zu Roß, ben Jagd» 
falfen auf der Fauft, durch die Wolken zum Rojus emporziehn!" — 
War num der Scheiterhaufen verglüht, fo ſammelte man die Aſche des 
Toten und that fie nebft Schmuckſachen von Metall, Korallen oder 
Bernftein, aud) Münzen, die man als Zierat vom Auslande ein 
getauft, in eine thönerne Urne und feßte diefe in dem Grabe bei, 
welches dann mit Steinen gejchloffen und wie die Ajche des Scheiter⸗ 
haufens mit Erde bededt ward. So findet man noch heute Ajchen- 
töpfe, Waffen und allerlei Schmud in ber Erde als Denkmal an das 
alte Preußenvolk. 


So lange weithin nur Slawen wohnten, hatte im Süden und 
Weſten des Landes der Preuße für fein Volkstum, feinen Glauben und 
feine Freiheit "ihta fürchten, Die Verfuche, die jene teils mit ben 


Waffen, teil ılt des Wortes machten, ihn zu befehren, zu 
unterjochen, mal zurückgewieſen worden. Die ehrwürdigen 
Männer, d olniſchen Böten die Weichſel herabgefommen, 
den prager ! (997), den ſächſiſchen Mönch Bruno (1009), 
hatte er als ı Iange fie Frieden hielten, dann, als fie ihm 
feine Götter hlagen.*) Die Belehrung, die nad) langer 


*) Mbalbert, ein Dcheche von Geburt, prebigte zuerft bei Danzig; von dort fegelte er 
bie Weicfel hinab ins friſche Haff und mad der Pregelmündung. Hier wurbe er von den 
Samlönbern anfangs freundlich aufgenommen, dann als Beleidiger ihres Glaubens vew 
jagt. In der Nähe des Heutigen Fiſchhauſen betrat ex einen heiligen Hain; das wurde 
fein Verderben. Ein Haufen Eingebormer ſehte dem Entweiher nad), ein Waidelotte ftich 
ihm mit feinem Speer die erfte Wunde, die anderen töteten ihn vollends. Adalbert ftarb 
mit dem gottergebenen Sinn und ber Freudigkeit eines Märtyrers; als ſolchen Tanonificte 
ihn die romijche Kirche, die ihn auch den „Mpoftel der Preußen“ und den Schubheiligen 
des Landes nennt. 


Der deutfehe Orden. 9 


Pauſe nun im Jahre 1209 der Eiftercienfer-Mönd, Chriftian (aus dem 
1170 geftifteten Klofter Dliva bei Danzig) teils von Pommern aus, 
teils mit Hilfe der Polen unternahm, war zwar anfangs nicht ohne 
Erfolg geweien, fo daß ihn der Papft (1212) fogar zum „Bijchof von 
Preußen“ ernannte, aber fobald die Preußen gemerkt, daß ihnen mit der 
Taufe zugleid die Herrſchaft der Polen gebracht werde, fielen fie 1224 
mit einem großen Heere in das ſchon halb befehrte Kulmerland und 
in dag polniſche Mafovien ein, vertilgten wieder die Keime, Die das 
Ehriftentum unter ihnen getrieben, vernichteten dann im neuen Der 
heerungszügen aud) den polnifchen Ritterorben, den Herzog Konrad von 
Mafovien 1228 wider fie in Dobrin*) geftiftet hatte, und drohten nun 
ihrerfeit3 ben planmäßigen Angriff durch immer fortgefeßte Raubfriege 
zu vergelten. Die Polen mußten es eingeftehen, flawifche Kraft war 
ganz unfähig das Preußenland Chrifto zu unterwerfen; ftatt es zu er- 
obern, vermodjten fie nicht einmal die Grenzen des eigenen Gebietes recht 
zu beſchützen. Sie übertrugen die Aufgabe, an ber fie felbft gefcheitert 
waren, einer andern Nation, derjenigen, die in ber ganzen Chriftenheit 
den erften Rang einnahm und dem Heidentum bereit3 fo weite Lande 
abgerungen hatte, — ber beutfchen Nation. Wie erfolgreich kämpften 
für das Kreuz eben jeßt die beutfchen „Schwertbrüber" in Liefland, die 
deutfäjen „Warianenritter" noch vor kurzem im fiebenbürgifchen Burzen- 
land! Ahnliches war von diefen für Preußen zu hoffen. Denn der Ruhm 
der tapfern und frommen Herren „des deutſchen Haufes unferer lieben 
Frauen zu Jeruſalem“ war groß; Weltliche und Geiftliche wetteiferten, 
den Orden mit Gütern und Ehren zu befchenfen, er blühte zumal jeßt, 
da ein Held und ein Weifer wie Hermann von Galza, bes großen Hohen- 
ftaufen Friedrich IT. vertrauter Freund, fein Hochmeiſter war. Diefer 
Orden follte leiften, was der polniſche nicht gekonnt. Schon im Jahre 
1226 war vor dem Hochmeifter zu Venedig eine Gefandtihaft aus Polen 
eridjienen, die im Namen des bedrängten Herzogs Konrad umb des 
Biſchofs Chriftian um Hilfe wider die heidnifchen Preußen bat. Sept 
wurbe dies Geſuch dringender und mit annehmbareren Bebingungen 
erneut. Kaiſer und Papft unterftüßten die Bitte und ſchenkten dem 
Orden jenes ganze Heibenland, wenn er es erobere. Der Antrag wurde 
angenommen; die Kräfte und Erfahrungen des Drbens wandten fi) nun 
diefem neuen Arbeitsfelde zu. Im Jahre 1229 trafen die erften deutſchen 
Ordensbrüder an der preußtfchen Grenze ein, erhob ſich dort am linken 
Weichſelufer ihre erfte Burg, Vogelſang (gegenüber dem jegigen Thom); 
im Jahre darauf fandte Hermann von Salza die erfte eigentliche Kriegs» 
ſchar und in Hermann Balf den erften „Landmeifter" nad) Preußen. 

*) Das Heutige Dobresyn unterhalb Plod an der Weichſel. Ewald, die Groberung 
Preußens durch die Deutien, I. Halle 1872, ©. 119, 


92 . Geiſchichte des Landes Preußen. 


Das war ein anderer Feind, der jet herangezogen kam. Welche 
wunderbare Kraft befeelte ihn! nur wahrhafte Begeifterung konnte ja 
zum Eintritt in den Orden bewegen, denn feine Gefege waren ftreng, 
und den Aufzunehmenden erwartete ein Leben voll Entfagung und 
Mühſal. Urſprünglich aus einer Stiftung lübiſcher Kaufleute entftanden, 
die 1190 bei der Belagerung von Afton in Paläftina dort ein deutſches 
Hospital gründeten, hatte der deutſche Orden ſich bald (1198) nad) dem 
Vorbilde der Johanniter und Templer rittermäßig eingerichtet und nun 
nicht bloß kranke Pilger zu pflegen und fromme Wallfahrer zu beſchützen, 
fondern aud) mit dem Schwerte die Ungläubigen zu befämpfen. Aber 
& waren nicht diefe Aufgaben, was ben meiften Opfermut erforderte; 
dieſe Ritterorden legten zugleich die Mönchspflichten auf: Armut, Ge— 
horſam, Keufchheit das ganze Leben lang! Der ganze Menſch, Leib 
und Seele, gehörten fortan dem Drben. Am Tage beim Krantenbett oder 
im Sattel und Gefecht; in der Nacht oft wieder zu gemeinfamen Gottes⸗ 
dienſte; die Tracht ein ſchmuckloſes ſchwarzes Gewand, darüber ein 
weißer Mantel mit ſchwarzem Kreuz; als Nachtlager ein Strohfad nebft 
wollener Dede; die Speife einfach, oft kärglich — das war das Los des 
deutſchen Rittermönchs. Aber die fromme Schwärmerei und ein er- 
habener Ehrgeiz verflärten es in den Augen der Edelſten zum erftrebeng- 
werten, zum würdigſten Berufe. Und dieſe begeifterte Heldenſchar war 
doch nur die bahnbrechende Vorhut eines enblofen Heeres, dieſer Meinen 
Elite folgte die gewaltige Streit- und Arbeitskraft einer großen Nation; 
der deutjche Drden mußte fiegen, denn er führte das deutſche Wolf mit 
auf den Kampfplak. 

Kaum hatten die Ritter fidy im fühweftlichften Winkel Preußens feft- 
geſetzt und hier als Rüdhalt für ihre Streifzüge die Burgen Thorn und 
Kulm angelegt, fo ftrömten auch ſchon, auf die Kreuzprebigt der Kirche, 
aus Deutſchland taufende von bewaffneten Pilgern herbei, in dem 
näheren Preußen ſich denfelben Himmelslohn zu verdienen, den ſonſt dag 
ferne Paläftina bot. Mit ihnen wanderte eine Menge von deutſchen 
Anfledlern, bejonders aus Sachſen und Weitfalen, ein, die erft zum 
dauernden Beſitztum machten, was bie Ordensbrüder und Kreuzfahrer 
im rafchen Waffengang eroberten. Wie in der Mark Brandenburg, fo 
drang auch in Preußen mit dem deutſchen Schwert und Kreuze ber 
deutſche Pflug, mit dem Chriftentum das Deutichtum vor. Es ver- 
ging faum ein Jahr und um die Burgen waren die Städte Thorn und 
Kulm entftanden (1232). Die deutſche Einwanderung in Schwung zu 
bringen, gab ber Orden den Anfiedlern große Rechte und Freiheiten, die 
fogenannte „Kulmifhe Handfefte" (1233), eine Verfafiung, Die den Ge— 
meinden das Recht erteilte, ſich ihre Obrigfeiten jelbft zu wählen, für 
den Orden als Landesherrn nur geringe Leiftungen forderte und be 


Eroberung Preußens durch den beuffehen Orden. 93 


ſonders im Gerichtsweſen und Erbrecht den Bürgern große Borteile 
gewährte. 

Vom Kulmerlande aus ging nun bie Eroberung weiter am rechten 
Weichſelufer hinab und zugleid, nad) Dften in das innere Land. Jeder 
neue Schritt ward mit der Gründung einer Drdensburg und einer Ans 
fiedlung bezeichnet, bekräftigt. So fnüpfte fid) an den Bau Marien- 
werders (1233) die Unterjochung Pomefaniens; vier Jahre darauf an 
Elbings Mauern die Herrihaft über Pogefanien. Hier kam dem Orden 
die deutſche Volkskraft von einer neuen Seite, von der See, zu Hilfe. 
Die Lübeder, melde damals den Oftfeehandel zu beherrſchen anfingen, 
beeilten fi) um die Burg Elbing eine Stadt zu erbauen; denn am 
Elbingfluß, zwifchen dem Draufenfee und dem frifchen Haff, war ja die 
Stätte eines uralten Handels. Immer wieder durch neue Sreuzheere, 
1237 nod) durch den Beitritt des Schwertbrüderordens verftärkt, konnte 
der Orden in den nädjften Jahren auch Warmien, Natangen, Barten 
unterwerfen. Aber er verbankte feine Erfolge doch nicht bloß fich und 
feinen Landsleuten, fondern zum großen Teil dem Umftande, daß die 
Preußen nicht ihre ganze Kraft aufboten: jeder Stamm hatte gewartet, 
bis die Reihe angegriffen zu werben an ihn kam; fo waren bie Vers 
eingelten ber befieren Ausrüftung, der höheren Kriegskunft ihrer Feinde 
erlegen. Jetzt, als fie ſchon faft ihr halbes Land verloren fahen, bes 
gannen fie endlich nad) einem gemeinfamen Plane zu handeln; die unters 
worfenen Stämme erhoben fid) (1242) in Maſſe, während der Herzog 
Swantepolf von Hinterpommern, der längft die aufftrebende Macht des 
Ordens beneidete, diefen im Rüden anfiel. Jahre lang mußten die 
Deutſchen mit den erbitterten Feinden ringen, oft ſchien ihr Untergang 
nahe. Selbſt die Frauen der Anfiebler ergriffen nicht felten Schild und 
Schwert, um die Mauern der jungen Städte zu verteidigen, wie es mit 
großem Ruhme einmal die Kulmerinnen und die Elbingerinnen thaten. 

Endlich fiegte der Orden, zwang den Herzog zum Frieden (1248), 
die Abgefallenen wieder zum Gehorjam (1253), und das Werk der Er- 
oberung ſchritt von neuem vorwärts; zuerft über Galinden, dann, unter» - 
ftüßt durch ein Kreuzheer, das König Ottofar von Böhmen herbeigeführt, 
gegen Samland. Im Anfang des Jahres 1255 wurde biefer Gau bes 
zwungen, umd am Pregel ‘erhob ſich als Bollwerk des Deutfchtums und 
des Chriftentums eine fefte Burg, Königsberg, bald eine Stadt. Auch) 
die Samen mußten ſich nun taufen laflen und dem Orden unterthan 
werben. 

Aber das fremde Joch drückte bald unerträglich. Denn feit Her- 
mann von Salza's und Hermann Balfs Tode (1239) wurden bie Neu- 
befehrten von den Nittern nicht mehr mit weifer Milde, fondern faft wie 
Sklaven behandelt. Als daher im Jahre 1260 der Orden von ben 


94 Geiciäte des Landes Preuben. 


Kitauern in der Schladjt an ber Durbe eine große Niederlage erlitt, 
flog der Aufitand wie ein Lauffeuer durch das Land. Im feinen Wäldern 
bei den heiligen Eichen verſammelt, rief das preußiiche Wolf wieder um 
Rettung zu feinen alten Göttern, wählte feine beften Männer zu Yeld- 
herren und erhob fid) einmütig zum letzten Kampfe für feine Freiheit, 
feinen Glauben. Wunder der Tapferkeit geſchahen auf beiden Seiten; 
doch faft überall fiegte die Kraft des empörten Volkes; von Sieg zu 

. Sieg über zerftörte Burgen, Kirchen, Städte führten die preußifchen 
Fürften, Glande der Same, Glappo der Warmier, Auktumo der PBoge- 
ſane, Diwan der Barte und vor allen durch Klugheit und Mut aufs 
ragend der natangiſche Held Monte. Ihn hatten die Ritter vordem ge- 
fangen nad) Deutſchland geſchidt und taufen laſſen. Heimgekehrt ſah er 
das Elend feiner Brüder, und aus dem chriftlichen Henricus (Herkus) 
wurde wieber der Preuße Monte. Jetzt fuchte er deutſcher Kriegskunft 
mit ähnlichen Mitteln zu begegnen. ber die taufende, die unter dem 
Drdensbanner ftarben, wurden immer durch neue Kreuzfahrer erſetzt, 
während fid) das Preußenvolf im langen Vernichtungsfampf verbiutete. 
Einer nad) dem andern fielen feine Führer, zuleßt auch Herkus Monte; 
die Landichaften verödeten, die Heiligtümer ſanken in Aſche oder wurden 
nach Litauen geflüchtet, wo ein neues, Doch weniger ehrmürdiges Romowe 
entftand — dorthin reichte der Fremdling nicht. Aber in Preußen gewann 
er die Oberhand, er erfticte den Aufitand, eroberte 1275 Nadrauen, 
1276 Schalauen, warf endlich 1283 auch den Ießten freien Stamm, 
Sudauen, nieder. Sechs Jahre hatten fi) die Sudauer, von dem edeln 
Helden Stumand geführt, zwifchen ihren Sümpfen, Seen und Wäldern 
mannhaft gewehrt, dann, da Kampf nicht mehr retten konnte, Tieß ſich 
ein Zeil taufen ımb in dem verwüfteten Samland anfiedeln; die Mehr» 
zahl verfchmähte das Joch und wanderte, wie jo mancher andere Preuße, 
nad) dem befreundeten Litauen aus, wo nod) die diten Götter herrfchten 
und bie alte Freiheit. 

Die Blutarbeit eines. halben Jahrhunderts war beendet; über den 
Trümmern bes Heidentums ftand fiegreich für immer das Kreuz. Es 
war doch fein jehr hartes Los, was die Befiegten traf. Viele unter den 
preußifchen Edeln, namentlich die Witinge, vornehme, alte Grundbefiger, 
beſonders in Samland und am frifchen Haff, die fid) dem Orden rafcher 
und leichter gefügt, behielten ihre volle Freiheit, durften ihr Gut als 
ganz freies Eigentum oder als Friegsdienftpflichtiges Ordenslehen befigen ; 
die mit dem Schwert Unterworfenen, fowie die gemeinen Bauern mußten 
für ihren Befig Abgaben zahlen, Handbienfte leiften, beſonders bei den 
Burgbauten frohnden und dem Ordensbanner als Fußkämpfer folgen, 
während die Edeln zu Pferde dienten. In den Dörfern, die der Drben 
für fi nahm, übte er durch Vögte aud) die Gerichtsbarkeit aus; in den⸗ 


Germaniftzung. % 


jenigen, die an Witinge überlaffen wurden, verwalteten biefe die Rechts- 
Pflege. Leibeigen wurde das Volt in Preußen jo wenig wie in der 
Marf. Aber wie dort verlor es durch die Deutſchen allmählich mit der 
Unabhängigkeit und dem Glauben aud) feine Sprache und Sitte. Ya 
die Ritter gingen fogar planmäßig auf eine Ausrottung der preußiſchen 
Nationalität aus. Sie verboten dem Gefinde eines deutfchen Herm 
preußiſch zu reden; fie gaben dem Volle nicht eimmal der preußiichen 
Sprache kundige Seelforger. Es war ihnen jet ſchon mehr um regio 
als um religio zu thun; fie fragten wenig danach, daß ihre Unterthanen 
bloße Ramenchriften blieben und meiftens heimlich in dem alten Heiden- 
tum verharrten. So hatten die deutſchen Einwanderer alle Vorteile der 
Macht auch in geiftiger Hinficht, und das preußiſche Weſen verfam. 

Die Verdeutſchung des Landes ging übrigens auf fehr ähnliche 
Weiſe vor fi) wie in der Mark: deutfche Unternehmer Iegten im Auf- 
trage des Ordens auf wüften Boden deutfche Dörfer an, erhielten in 
dieſen ein Freigut nebft dem Schulzenamt, welches fie verpflichtete, von 
den Anftedlern ben Bins für den Orben, den Zehnten für bie Kirche ein» 
zufommeln und im Dorfgericht den Vorſitz zu führen; fie hatten die 
GSrundftüce bald an den Mann gebracht, weil der Boden fruchtbar war, 
umd ber deutfche Bauer nur mäßige Abgaben und Dienfte zu Ieiften 
brauchte. Auch viele ritterbürtige Freie zogen aus Deutjchland nad) 
Preußen. Ste wurden dort dom Drben mit erblichem Grundbeſitz be⸗ 
lehut und hatten ihrem Lehnsheren dafür innerhalb ber Landesgrenzen 
Kriegsdienst zu leiften. Sie bildeten mit jenen Schulzen den Stand der 
großen Freien oder der „Kölmer", jo genannt, weil ihr Gut ihnen nad) 
kulmiſchem (magbeburger) Recht gegeben war. Ein kölmiſches Gut maß 
durchſchnittlich zehn Hufen*), und der Dienft dafür mußte zu Pferde und 
in ritterlicher Rüftung geleiftet werben. Ebenſo genoffen die deutſchen 
Städte, die in großer Zahl erbaut wurben, viel Gunft; der Orden er- 
teilte den binnenländifchen kulmiſches oder magdeburger, den am Meere 
gelegenen Lübtfches Stadtredit. Ihr Handel und Gewerbe blühte raſch 
auf; manche, wie Elbing, Kulm, Braunsberg, Königsberg, traten früh— 
zeitig in den Hanfebund. In kirchlicher Hinficht zerfiel Preußen in vier 
Bistümer — Kulm, Pomefanien, Ermland, Samland — aber dieſe 
Stifter waren wie die Vafallen und Städte dem Orden unterthan. Die 
Landesherrichaft defielben beruhte auf den ftärfften Rechtstiteln, die man 
damals kannte, auf der Tatferlichen und päpftlichen Schenfung und auf 
der Eroberung. Um fo nachdrücklicher war feine Wirkſamkeit. Wie gut 


*) Ein Schulzenamt war etwas Meiner (410 Hufen). Ein deuties Banerngut maß 
2 bis 4 Hufen, melftens ebenfoplel daB Gut eines preuhifäjen Peeien, Halb fo viel ein 
preuhiſches Bauerngut. S. Lotar Weber, Preußen dor 500 Jahren, Danzig 1878, ©. 318 ff. 


9 Geſchichte des Landes Preußen. 


er feine Aufgabe verftand, wo es fi um materielle Dinge handelte, das 
zeigte er aud) in ben Siegen, die er Über die Natur des Landes gewann. 
Das weite Gebiet zwifchen Weichfel, Nogat und Elbing war damals 
zum Zeil voll ungeheurer Sümpfe und bei Hochwaſſer faft ganz unzu- 
gänglich, mehr, wie es fchien, für wilde Tiere als für die Kultur ge— 
ſchaffen. Hierhin berief nun der Orden im Jahre 1288 niederländiſche 
und andere beutfche Anfiedler, die mit dem Kampf gegen das Waſſer 
vertraut waren, gab ihnen viele preußifche Bauern zur Hilfe, beitätigte 
die Deichverfafjung, die fie unter ſich errichteten, und hatte die Freude 
zu fehen, wie nad) fehsjähriger Arbeit ein großer Teil des Landes, das 
jebt der große und Meine Werber heißt, trocken gelegt war. Hinter den 
Dämmen, die dem Eisgange Troß boten, ward mın der üppige Marſch- 
boden urbar gemacht, und die Bauernſchaften auf ihm waren bald weit 
und breit die reichſten. 

Einen Zeil feiner Kraft hatte der Orden bisher noch nad) Paläſtina 
richten müflen, als aber im Jahre 1291 hier aud) die legte chriftliche 
Vefte Akon an die Türken verloren gegangen, und jede Hoffnung ver- 
ſchwunden war, das heilige Land wieder zu gewinnen, bejchloß er, fi 
ganz und gar dem Kampf in ben Oftjeeländern, zumal gegen die Litauer, 
und der Regierung Preußens zu widmen. Im Jahre 1309 verlegte der 
Hochmeifter — es war Siegfried von Yeuchtwangen — feinen Sitz nad) 
Marienburg; dort an ber Nogat ragte mın „des Ordens Haupthaus“, 
prachtvoll wie je ein Königsſchloß, ein würdiger Schlußftein zum Bau 
dieſes großartigen Drbensftants. Fünfzehn Jahre darauf erhielt auch 
defien innere Verfaffung eine neue und zweckmäßigere Geftalt. Sie war 
fonft ariſtokratiſch geweſen; neben dem Hochmeifter und deſſen Stell- 
vertreter in Preußen, dem Landmeifter, jowie in Riga neben dem lie— 
fiſchen Landmeifter hatten die hohen Ordensbeamten oder Gebietiger — 
nämlich) der Großkomtur, der Land-Marjchalt oder Feldherr, der oberfte 
Spittler oder Auffeher der Krankenpflege, der Trapierer oder Kleider 
meifter, ber Trefiler oder Schagmeifter — einen weit greifenden Einfluß, 
und auch die Befehlshaber der einzelnen Ordensburgen, die Romture, 
viel Macht gehabt. Jetzt ſchärften die neuen Statuten, die der Hod- 
meifter Werner von Drfeln 1329 durchgeſetzt, den Brüdern nicht bloß 
die alte Zucht und Strenge des Lebens ein, ohne die das eble kriegeriſche 
und religiöfe Weſen des Ordens ſchwerlich beftehen Tonnte; fie paßten 
auch jene Ordensämter den gefteigerten Bebürfniffen, den größeren Ver⸗ 
hältniffen des Staates befier an, indem fie ihn zu einer Monarchie 
madjten. Aber diefe Monardjie war eine gemäßigte, die Gewalt bes 
Hochmeiſters fortan fo groß, daß er ſtets ben Gehorfam aller Ritter zum 
Wohle des Ganzen erzwingen konnte, und doch der Verantwortlichkett gegen 
das Generalfapitel (gegen die Verſammlung aller Gebietiger) nicht fo 


Die Herrichaft des deutſchen Ordens. 97 


weit entledigt, daß er vermodht hätte, das Ganze zu beihädigen. So 
ward ber Orden befähigt, ein Regiment zu führen, wie es in folder 
Weisheit und Kraft damals nirgend anderswo zu fpüren war. Unter 
feinem Zepter fonnten weder Selbfthilfe, Fauſtrecht, Fehdeweſen, nod) die 
Ausgeburten wilder Glaubenswut, die blutigen Keßergerihhte, konnte 
feine diefer Geißeln des Mittelalter8 auflommen. Der einzige, freilich 
ſehr dunkle Flecken an der Regierung des Ordens war das Unrecht, das 
er durch gänzliche Vernadjläffigung der geiftigen Interefien feiner preußiſch 
redenden Unterthanen beging. Er forgte väterlich nur für Die Deutfchen. 
Was er dieſem großen und herrſchenden Teil ber Bevölkerung Ieiftete, 
war bewundernswert; 80 Städte und 1400 Dörfer hat er ihm gegründet, 
und: die Befig- und Rechtsverhältniſſe in ihnen wußte er jo weife zu ge- 
ftalten, daß diefe Gründungen gedeihen mußten. Hier gab es feinen 
bevorredhteten Adelsftand und feinen überwuchernden Großgrundbeſitz, 
fondern einen zahlreichen freien und behäbigen Mittelftand, der neun 
Zehntel der Acker inne hatte. Sicher vor inneren Feinden baute hier der 
Landmann fein Feld, trieb der Städter fein Gewerbe; die Kriege wurden 
an den Grenzen ober in Feindesland geführt. Faſt alljährlich, wenn ber 
Binter die Sümpfe und Wafferläufe an der Grenze gangbarer gemacht, 
30g von Ragnit ober einer andern Grenzfeftung aus der Marſchalk oder 
ein Komtur mit einem Heere durch die Waldwildnis hinüber nad) Litauen 
zum Kampf gegen die Heiden. Faſt eben fo oft freilich brachen die 
Kitauer über Die Memel ins Preußifche herein mit Raub, Mord und 
Brand. Dod) ließ der Orden fie felten weit fommen, denn feine Streit- 
macht war groß und mwohlgeorbnet. Zu biefen „Kriegsreiſen“ wurden 
für gemöhnlid) die Befagungen der Grenzburgen und die „Maien" (Mann- 
ſchaften) der benachbarten Städte aufgeboten; aber faft immer ftanden 
auch Scharen freiwilliger Kreuzfahrer zu Gebote. Diefe „Säfte kamen 
nicht bIoß aus Deutfchland, ſondern auch aus Frankreich, Großbritannien 
und den Niederlanden; zahlreid fanden fi) unter ihnen auch fehr vor- 
nehme Ritter, Barone und Fürften ein. Viele lockte die weltliche Ehre, 
vom Hochmeifter auf litauiſchem Boden den Ritterfhlag zu empfangen 
oder mit ihm am „Ehrentiſch“ zu ſitzen, den er nad) König Artus’ Vor- 
bild mit großem Pomp zuweilen abhielt. So bradjte der Orden durd) 
eigene und fremde Kraft nicht felten Heere von zwanzig und dreißig 
taufend Mann zufammen. 

Aber bei großer Sicherheit und Ordnung genoß der Unterthan im 
Drdensftaat zugleich, ein damals ungewöhnliches Maß bürgerlicher Frei» 
beit; er behielt fein altes deutſches Recht, feine Selbftändigkeit und MWehr- ' 
haftigkeit. Und weil der Zandesherr wenig bedurfte, im Volke aber 
jeder die Früchte feines Fleißes für fid) erntete, fo konnten die Hoch— 
meifter fid) rühmen, nirgends in Europa zahle man fo werig Steuern 

Bierfon, preub. Geſchichie I. 


98 Geſchichte des Landes Preußen. 


wie in Preußen. Sie fonnten aud) auf das ftolz fein, mas fie Neues 
zur Wohlfahrt ihres Reiches thaten, auf die vorteilhaften Handelsverbin- 
dungen, die fie mit dem Auslande anfnüpften, auf die Förderung, die fie 
jeder nützlichen Thätigfeit zu teil werden ließen. Unter ihrem Schuße 
und durd die Verbindung mit der Hanfa, ber ſich die Städte Danzig, 
Thorn, Kulm, Elbing, Braunsberg und Königsberg angefchloffen hatten, 
wurde ber preußtfche Handel bald fehr beträchtlich. Die reichen Erträge 
des Landes an Getreide, Wachs, Honig, Bernftein (fpäter auch Bau- 
holz) gingen maſſenhaft nad, dem Weften, beſonders nad) England und 
den Niederlanden; dafür holte man gewerbliche Erzeugniffe, Wein, Me- 
talle, Scharlad), Leinwand, Salz. Die blühendfte und mächtigfte Stadt 
war ſchon in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts Danzig, der Haupt- 
ftapelplag des Weichjelhandels und Vorort des „preußifchen Duartiers* 
in der Hanfa. Geit 1310 in unbeftrittenem Beſitz des Ordens, der fie 
nad) dem Ausfterben der flawifchen Herzöge von Pomerellen teils mit 
Baffengewalt, teil durch Kauf erworben hatte, war fie durch ſtarke Ein- 
wanderung deutſcher, bejonders lübecker Kaufleute und Handwerker raſch 
germantfirt worden; ihre günftige Lage half ihr dann, die anderen deut- 
ſchen Städte weit zu überflügeln. Bon dem Reichtum und Gemeinfinn 
der alten Danziger zeugt heute noch die berühmte „Pfarrkirche“, an der 
man 57 Jahre lang (von 1343—1400) gebaut hat, und ber prächtige 
„Artushof“, ein Vereinshaus der Kaufherren, die um biefelbe Zeit unter 
fi die „Artusbrüderihaft" zu Handelszweden, aber aud) zu friegerifchen 
Übungen geftiftet Hatten. 

Rings um die reihen Bürger faßen im Lande wohlhabende Bauern; 
denn der gutgeftellte Landmann war aud) ungemein betriebfam, baute 
ſelbſt Wein fehr emfig und mit Erfolg. Behaupten doch Patrioten, daß 
der preußifche Rebentrank einft felbft einem fränkifchen Weinkenner fol 
gemundet haben! Zwar diefe vom Klima fo wenig begünftigte Kultur 
ging ſchon im fünfzehnten Jahrhundert wieder zu Grunde. Denn zu 
Anfang des Jahres 1437 erfroren alle Weingärten bei Mewe, Neuenburg, 
Schwetz, Kulm, Thom, und fie wurden mit wenigen Ausnahmen nie 
wieder angebaut. Defto trefflicher aber gediehen alle anderen Zweige 
der Landwirtichaft, befonders der Getreidebau und die Bienenzuht. Die 
Ernten an Weizen, die Erträge an Wachs waren oft überreid). 

So blühte Preußen oder „Neu-Deutfhland“, wie man es 
wohl genannt, wunderbar ſchön auf, zumal unter der Regierung feines 
größten, glorreichften Hocmeifters, Winrichs von Kriprode (1351 —82); 

es war fein golbenes Seitalter, e8 war für den Orden zugleich die Zeit 
des glängendften Kriegsruhms. Denn damals (1370 am 17. Februar) 
ſchlug er wider die litauiſchen Großfürften Dlgert und Kynftut jene lange 
gefeierte Schlacht bei Rudau, wo im harten Kampfe der tapfere Ordens⸗ 


Der Ordensſtaat am Ende des 14. Jahrhunderts. 9 


marſchall Hennig Schindefopf fiel und endlich die „Maien“, der Sage 
nad) von einem königsberger Schufter geführt, ben Sieg entſchieden; eine 
Schlacht, bie den eroberungsluftigen litauiſchen Staat, als er am ge- 
waltigften war, zwang, an der Grenze der deutſchen Pflanzung halt zu 
machen. Doch auch weld) eine Pflanzung! Diefer Ordensitaat war ja 
umfangreicher als manches berühmte Königreih, als England, Däne- 
mark, Neapel, und mächtiger als mandjes größere. Denn durch Kauf, 
wozu ber ungemeine Wohlftand des Landes, obgleich e8 verhältnismäßig 
nur wenig befteuert wurde, die Mittel gab, war Efthland (1346 von den 
Dänen), die Neumark (1402 vom Haufe Luremburg) erworben. Mit 
den Waffen gewann der Drben die Infel Gothland (1398), nachdem 
feine Flotte die „Vitaltenbrüber“ beftegt, umb fein Heer das Neft diejer 
Seeräuber, Wisby, erftürmt hatte. Und fo umfaßte der Ordensſtaat am 
Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts ein Gebiet von faft 3000 Duadrat- 
meilen mit etwa einer Million Einwohner*); er reichte von der Oder bis 
zur Düna, er war auf dem Gipfel feiner Macht. 

Aber mın ſank er; ſchon unterwühlten im Innern, beftürmten von 
außen ben ftolzen alten Bau überlegene neue Kräfte. Der äußere Feind 
nahm auf einmal eine andere und unendlich gefährlichere Geftalt an: die 
Litauer wurden (1386) von ihrem Großfürften Jagello zum Chriftentum 
befehrt und mit Polen zu einem Reiche vereinigt. Damit war bie 
urfprüngliche Aufgabe des Ordens befeitigt; fein Kampf mit den Nach— 
barn war nun fein Glaubensfampf mehr, der Kreuzfahrer herbeiziehen 
Ionnte. Der Feind dagegen war doppelt mächtig: er ftand auf allen 
Bunkten der weit gebehnten Landgrenze und drang eroberungsluftig an; 
denn die Litauer hatten durch die Taufe ihre alte Plünderungsluſt nicht 
verloren, und die Polen, die längft mit Neid und Gier auf das herrliche 
Neid) an der Ditjee fahen, hatten es bisher nur aus Ohnmacht unter- 
laffen, zu ernten wo fie nicht gefäet. Aber jet befaßen fie ja an den 
Kitauern fo ftarfe Helfer, und vor allem, dem Gegner wanfte in feinem 
eigenen Haufe der Boden unter den Füßen. Dies war in der That das 
Entſcheidende. Der Orden hatte fid) aud) als regierende Macht überlebt. 
Im Laufe der Zeit war die alte Sittenftrenge der Brüder dem Wohl- 
leben und Übermut gewichen; beſonders hatten die „Säfte“, die fahrenden 
Ritter, mit ihren wüften Sitten die ftrenge Zucht des Ordens durch ihr 
Beifpiel ober ihren Eintritt gelocdert. Dazu kamen Parteiungen; bie 
Franken, Baiern und Schwaben im Orden erbitterten durch Unverftand 
und Hochmut Die Nieberbeutfchen. Kurz, der Orden verweltlichte; aber je 


*) Preußen allein etwa 1200 Duabratmeilen mit 730000 Einwohnern. Pie Einnahme 
des Ordens betrug aus Preußen in bar und Raturallieferungen jäßelich ungefähr eine 
Mitlon Wert unfers Geldes; aber bie Rauffraft des Gilbens war ums Jahr 1400 fünf 
mal fo groß als heute . 





100 Geſchichte des Landes Preußen. 


loderer die Zucht in ihm felber wurde, befto ftraffer hielt er das Volk 
im Zügel; den verblaffenden Heiligenihein follte ihm ein ftärkerer Nimbus 
von irdifcher Majeſtät erfeßen. Indeſſen aud) nrit den Unterthanen war 
eine Veränderung vorgegangen; bie deutſchen fühlten ſich nicht mehr als 
Eindringlinge unter einem fremden, feindlich gefinnten Volke, nicht mehr 
als Sieger neben Befiegten, fondern. als Eingeborne des Landes und 
Bürger eines Volkes. Nachdem die Eroberung und Einrichtung längft 
war vollendet, nachdem durch die Taufe ber legten heidniſchen Nachbarn 
auch der Ausnahmezuftand eines ewigen Krieges jet war bejeitigt worben, 
konnte die Herrichaft des Drdens als eine unerträgliche Abnormität 
gelten; denn wer waren dieſe hochmütigen Ritter, die in ihrer Ge— 
famtheit die Landesherrſchaft bildeten? Es waren Fremdlinge, jüngere 
Söhne des Adels aus dem „Reich“, meift aus Süddeutſchland oder vom 
Rhein; fein Familienband verfnüpfte fie mit dem Wolfe, weldyes fie zu 
regieren kamen, und das Verdienft ihrer Vorgänger war nicht einmal 
durch Blutabſtammung ihres. Durfte dod) ftatutenmäßig niemand aus 
der in Preußen anfäffigen Ritterjchaft in den Orden aufgenommen 
werben; er war mur noch eine DVerforgungsanftalt für den Abel im 
„Reich“. Nun entarteten diefe Fremden gar, wurben aus gerechten und 
wohlwollenden Regenten felbftfüchtige Tyrannen. Denn fing nicht der 
Orden an, bie althergebrachten Rechte des Unterthans zu beſchränken, 
Handelsgeſchäfte zu treiben, die nur ben Städten zuftanden, willfürliche 
Steuern aufzulegen, aus Habſucht die Bauern an ihrem kulmiſchen Erb» 
echt zu beichädigen? Bisher hatte nur das Vol preußifcher Zunge den 
Drud der Herren aus dem Reich empfunden; jet fühlten aud) Die 
deutſchen Preußen fi) beſchwert und wie unter einer Fremdherrſchaft. 
Es war daher gewiß eine fehr gerechte Forderung, wenn die Stäbdter 
und Kölmer jeßt den Anſpruch erhoben, als „Landftände“, wie es deutſche 
Sitte war, aud) einen Anteil an dem Regiment zu nehmen. Aber davon 
wollte der Orden nichts wiffen. So geſchah's, daß die Unzufriedenen fi 
mit dem Gedanken vertraut machten, dem Orden Gewalt entgegenzufeßen; 
diefer Geift der Selbfthilfe erfüllte namentlich den „Eidechfenbund“, einen 
Verein, den die weftpreußifchen Rittergutsbefiger nad, Art der im Neid) 
florirenden Adelsbünde im Jahre 1398 zur Wahrung ihrer Rechte unter 
fic) geichloffen Hatten. 

So lagen die Dinge, als im Jahre 1410 Jagello's lange vor= 
bereiteter Angriff furchtbar erfolgte Mit einem Heere von wohl 
30 000 Reiten”) (Polen, Litauern, Söldnern aus Böhmen, Schlefien, 
Mähren, felbft Rufen und Tataren), mit ungeheurem Troß und 
60 ſchweren Geſchützen brach er ins Land. Auch der Orden bot alle feine 





Vel. Lotar Weber a. a. O. ©. 658 


Heinrich von "Plauen. 101 


Kräfte auf, aber er konnte dem wilden Anprall nur ein halb jo großes 
Heer entgegenftemmen. Am 15. Juli 1410 geſchah bei Tamenberg 
(zwiſchen Gilgenburg und Hohenftein) die entjcheidende Schlacht; die 
Tapferkeit der Brüder, die ihres alten Ruhmes würdig fochten, erlag der 
Übermadht. Der Hochmeifter felber, Ulrich v. Yungingen, fiel; mit ihm 
Die meiften Gebietiger, die Mehrzahl der Ordensbrüder und von dem 
Zandesaufgebot und den Söldnern viele taufend Mann. Aud) der 
Polenkönig hatte einen großen Zeil feiner Truppen verloren; aber mit 
den übrigen überſchwemmte er alles verwüftend das Land. Der Unter 
gang des Ordens fchien gewiß; doch für jet erſchien ihm mod) ein 
Netter. Mit dem Reſte des Heeres warf fid) der Komtur Heinrich von 
Blauen in die Marienburg und flug acht Wochen lang alle Stürme 
heldenmütig ab, bis Zagello fid) zum Rückzug entſchloß. Zum Hochmeifter 
gewählt, bewog Heinrich von Plauen dann (1411) den König von Polen 
zu einem Frieden, der dem Orden zwar große Geldopfer auferlegte, aber 
das Staatsgebiet nur ſehr wenig verkürzte. Er that nod mehr. Er 
wies den Weg, auf dem allein e3 nod) für den Orden und den Staat 
ein dauerndes Heil gab: Erneuerung der ftrengen Sittenzucht für Die 
Brüder, Anteil an der Regierung für die Stände; das war jeine ernfte 
Forderung. Er ſchickte ſich an, beides durchzuſetzen, bildete vor allem, 
um Die fteigende Unzufriedenheit des Landes, das mın ſchwer beitenert 
werden mußte, zu befänftigen, eineu „Landesrat“ (von 20 Ritterguts- 
befigern und 27 Bürgern) umd gab demfelben (1412) landſtändiſche 
Rechte. Aber diefe weile und volkstümliche Neuerung erbitterte die 
ftolgen Ordensritter; fie feßten den Hochmeifter ab (1413). Da ließ er 
fi) von Ehr- und Rachſucht feinerjeit3 verblenden und ſpann mit dem 
Könige von Polen hocjverräterifche Umtriebe an. Sie wurden entbedt 
-und der Orden verurteilte ihn zu Iebenslänglicher ſchwerer Haft. Dan 
brachte ihn nad) Brandenburg am frifchen Haff; dort mußte er bis an 
feinen Tod (1429) im Gefängnis ſchmachten. 

Mit Heinrich von Plauen fielen auch feine Reformen zu Boden. 
Sein Schickſal zeigt, daß, wenn der Orden fi) von den Schlage bei 
Tannenberg nie mehr erholte, der Grund tiefer lag als in der polnifd- 
litauiſchen Übermacht; er verdiente es, unterzugehen. 

Denn nım griff in ihm die Zuchtlofigkeit immer weiter um ſich; die 
Konvente, die Großfomture, der Deutjchmeifter (der die Befigungen im 
deutſchen Reid) verwaltete), der Meifter von Liefland erlaubten ſich Eigen- 
mächtigfeiten aller Art. Noch fchlimmer war, daß die Gelbnot des 
Ordens, der vom Kriege her noch viele Anſprüche zu befriedigen hatte, 
immer neue Steuern nötig maghte; denn das Land wollte fie nicht auf- 
dringen, wurde vielmehr deſto widerfpenftiger, je mehr die Achtung vor 
dem Orden j wand, und je größere Anforderungen berfelbe gleichwohl 


102 Geſchichte des Landes Preußen. 


ftellte. Es half nichts, daß er feit 1480 den Landesrat wieder berief 
und ihm das Steuerbewilligungs-Redjt zugeftand ; denn er verletzte dieſes 
und mandjes andere Recht der Stände doch wieder. Ritterſchaft und 
Städte fchloffen daher 1440 zu Marienwerder den „preußiichen Bund“ 
zur Verteidigung ihrer Gerechtfame; fie gedachten, bei dem Zerfall des 
Ordens fo frei und felbftändig zu werden, wie es die Reichsritter und 
Reichsſtädte im eigentlichen Deutjchland waren. Der Hochmeiſter wandte 
ſich in feiner Not an feinen natürlichen Schirmherrn, den Kaifer; deſſen 
Sadje wäre es freilich geweſen, der greulichen Zerrüttung „Neu-Deutich- 
lands" zu wehren; aber der unwürdige Fürft, der damals ben deutſchen 
Kaiſerthron verwahrlofte, Friedrich II. von Habsburg, begnügte ſich mit 
Worten, die das Verderben feines Schützlings befiegelten, weil er ihnen 
feine That folgen ließ. Er befahl (1453) dem Bunde fid) aufzulöfen, 
und als diefer ftatt deffen 1454 dem Orden den Krieg erflärte, unter 
Hans von Baifens Führung den Aufftand raſch durch das ganze Land 
verbreitete, ja ſogar ſich nicht entblödete, den König Kaſimir von Polen 
zu Hilfe zu rufen und als feinen Oberherrn anzunehmen; da ließ der 
Kaifer den Orden im Stich und ſah ruhig zu, wie der Pole ein deutſches 
Land der deutſchen Herrſchaft entriß. Denn was der Feind nicht mit 
dem Schwerte gewann, fiel ihm für Geld zu; die unbezahlten Söldner 
bes Ordens verkauften dem Könige von Polen fogar die Marienburg; 
weinenb verließ der unglüdlihe Hochmeifter Ludwig von Erlichshauſen 
im $rühling 1457 des Ordens altes Haupthaus für immer. Auch die 
Stadt Marienburg, die der Bürgermeifter Bartholomäus Blume helden- 
haft verteidigte, mußte ſich zulegt den Polen ergeben, und die Sieger 
fchleppten den treuen Mann auf das Blutgerüft (18. Auguft 1460). 
Dreizehn Jahre Iang dauerte diefer „weftpreußifche Städtekrieg“, der 
um ſo ſchrecklicher wütete, als nicht bloß das Volk und die Polen gegen - 
den Orden, fondern aud ein Zeil der preußiichen Stände wider dem 
andern tritt. Denn befonders in Oftpreußen blieben doch viele Städte 
und Lehnsleute dem Landeshern getreu. Zu Wafjer wie zu Lande rafte 
der Bürgerkrieg. Sah man doch am Lambertustag (17. September) 
1463 auf dem frifchen Haff eine Seeſchlacht, bei der jeder Teil preußiſch 
war, bier Danziger und Elbinger, dort Königsberger und Braunsberger; 
die erfteren fiegten, eroberten oder zerftörten 45 Böte und Schiffe, fingen 
oder erſchlugen an 1300 Mann. Zuletzt bezwang den Drden die Er- 
ſchöpfung; denn auch von feinen Vettern im Reich, der fränfifchen, 
ſchwäbiſchen, rheinifchen Reichsritterfchaft, und den Heinen Fürften, jelbft 
vom Deutjchmeifter erhielt er feine Hilfe mehr, ſeit ihm durch den Ver— 
kauf der Neumark (1454), dann noch mehr durch den Verluſt Weft- 
preußens die Verbindung mit Deutfehland zerftört war. Er mußte am 
19. Dftober 1466 den ſchimpflichen Frieden zu Thorn annehmen, 


Danzig. 103 


Pomerellen und die Bistümer Kulm und Ermland an die Krone Polen 
abtreten und durfte den Reft, die Bistümer Pomefanien und Samland, 
nur als ein polnijches Lehen behalten. Die Bedeutung des Drdens war 
dahin, das Land aber verheert, entwölfert, dem Slawentum preis gegeben, 
das nun allmählich darin Fuß faßte. 

Zunächſt hatten freilid) Die Stände erreicht, was fie wollten: die 
dem Orden treu gebliebenen mußten mit einem reichen Maße von Rechten 
und Freiheiten belohnt werben, die polniſch gewordenen genofjen in der 
That fait völlige Gelbftändigkeit. Und wenigftens Danzig, ftark in 
fi, hatte feinen Abfall nicht zu bereuen; e8$ warb im Grunde ein Frei 
ftaat unter polnifchem Schuße, zugleich der hochbegünftigte Hafenplatz des 
weiten polnifchen Reiches. Am Schluſſe des fünfzehnten Jahrhunderts 
erhob es fid) gar zu einer Weltftellung, ward die erſte Handelsftadt des 
norböftlihen Europas und überholte ſelbſt Lübeck. Während es durch 
den Sund feine Seeſchiffe in den Weſten des Erdteils fandte, auch einen 
großen Anteil an dem wichtigen Heringsfange auf Schonen nahm, 308 
es mittels der Weichfel und des Bugs feine Handelslinien durch Polen 
und Galizien nad) Ungarn und Siebenbürgen und ſüdweſtlich über 
Breslau in das Dbergebiet, über Krafau durch Mähren zur Donau, 
öftlidh) aber über Kowno (Kauen) durch Litauen. Die Hauptgeſchäfte 
diefes großartigen Verkehrs beftanden im Vertrieb von Getreide und 
Bauholz, die aus Litauen und Polen nad) Danzig für das überjeeifche 
Ausland gingen, und von Heringen und Salz, die diefes dafür gab”). 
Im Zahre 1481 gingen von Danzig 1100 große und Heine Schiffe mit 
Korn, bejonders Roggen, nad) Holland. Zum Schutze ihres und des 
hanſiſchen Seehandels führten die Danziger felbft auf eigene Hand See— 
kriege mit fremben Nationen oder beteiligten ſich an foldhen, die von der 
ganzen Hanfa geführt wurden, in hervorragender Weife, wie denn der 
danziger Seeheld Paul Benefe, unter den deutſchen Sciffern damals 
durch Kühnheit und Gefchiellichkeit der berühmtefte, in den Jahren 1469 
bis 1476 mandjes englifche und franzöfifche Schiff kaperte. Weltberühmt 
waren Danzigs Schiffswerften; fie lieferten Fahrzeuge bis nad) Portugal. 
Die anderen preußifchen Städte famen zwar Danzig an Reichtum, Macht, 
olfszahl bei weitem nicht glei), aber aud) fie waren wohlhabend und 


*) Die Preife ſchwankten in jener Zeit auf eine merfwirbige Weiſe: bie Taft Roggen 
foftete in Danzig von 7—32 Mark (u vier heutigen Marl); bie Grat nach Holland und 
landen 8-12 Golbgulden (gu 7'/, Mark unferes Geldes), der Erlös im Weiten betrug 
16—100 Golbgulden. Weizen Zoftete in Danzig 10—12 Marl, die Fracht nad; Seeland 
9 Goldgulden, wo er für 54 Golbgulden verfauft wurde. Das Shod Dielen koſtete 
7-10), Mark, die Saft Salz 6-40 Mark, Heringe 20-50 Marl. Das Salg bezogen 
die Danziger größtenteils aus ber Vai von Biscaya, bie Heringe aus ihrer eigenen Baltorei 
in Schonen — BWeinzeihs Danziger Chronik, herausgegeben von Hirſch, XVIIT. 


14° Geſchichte des Landes Preußen. 


wehrhaft, und im Befiß großer Privilegien. Um fo leichter bewahrten 
fie fich ihr deutſches Volkstum. Schlimmer ftand es auf dem platten 
Rande. Im Kulmerland niftete ſich, zuerft unter dem Adel, langſam das 
polnische Wefen ein; in Pomerellen, wo die urjprünglicye Bevölkerung, 
die Kaſchuben, nod) bei weitem die eingewanderte deutſche überwog, 
nahm e8 die Herrihaft an fi. Nur in den Weichjelniederungen, be— 
fonder8 im großen Werder, und am Haff blieb die Germanifirung und 
zwar auf Koften der preußifchen Urbevölferung im Fortſchreiten; im ſüd⸗ 
lichen Ermland, wo Polen — Mafuren — eingedrungen waren, kam 
fie zum Stilfftand. 

Der Orden, defien Hauptſtadt mın Königsberg war, fügte fid) an— 
fangs in fein Schickſal. Doch es war natürlich, daß er wünſchte, das 
ihm gebliebene Dftpreußen wenigftens in Freiheit zu befigen, und fo 
verfuchte er denn bald, die polniſche Lehnshoheit wieder abzuſchütteln. 
Er fegte dabei feine Hoffnung auf das deutjche Reich und mählte, 
um dieſes mehr für fid) zu intereffiren, Mitglieder deutſcher Fürften- 
familien zu feinen Hochmeiftern. Zuerſt, im Jahre 1498, den Mark- 
grafen Friedrich von Meißen, Herzog zu Sachſen, aus dem einfluß- 
reichen Geſchlecht der Wettiner. Aber vergebens mühte fi) dieſer ab, 
Papſt und Kaifer gegen die Polen ins Feld zu bringen, und jeine eigenen 
Mittel waren unbedeutend. Er ftarb (1510), ohne das geringfte ausge» 
richtet zu haben. 

Die Aufgabe, die er zu löſen micht vermocht hatte, trug der Orden 
nun dem Markgrafen Albrecht von Brandenburg-Ansbad)*) an; 
er übernahm das ſchwierige Amt (1511), und fo trat denn bier — es 
ift nicht das letzte Mal geweſen — zu großen Dingen ftatt der Wettiner 
das Haus Zollern ein. Es hatte anfangs wenig Freude an feinem neuen 
Beruf, zumal da von Reichswegen für bie deutfche Sache, die hier auf 
dem Spiele ftand, nichts gefchah und der Kaifer, wie gewöhnlich, das 
deutſche Intereffe dem habsburgiſchen opferte. Marimilian I. gab ſogar 
(im wiener Vertrage 1515) den Polen gegen dem deutſchen Orden ganz 
ausdrücklich freie Hand. Wergebens rang daher der Markgraf Albredit, 
dem verftümmelten Ordensftante wenigftend die Souveränetät wieder- 
zubringen. Wnabläffig, doc fruchtlos betrieb er den Krieg gegen Polen; 
er erſchöpfte feine geringen Machtmittel; er beftürmte das Reich um 
Hilfe. Traurig kehrte er 1524 von feiner Rundreiſe in Deutichland 
zurück, wo er umfonft an alle Thüren um Hilfe geflopft hatte. Nur eins 
brachte er mit, einen fruchtbaren Gedanken, einen Entſchluß, den ihm 
ſchon im Jahre zuvor Luther und Melanchthon angeraten: das veraltete 
Ordensweſen ganz abzujchaffen, Preußen in ein weltliches Fürftentum 


*) Geboren am 17. Mat 1490 in Ansbach. 





Herzog Albrecht I. 105 


umzuwandeln und darin eine Dynaftie zu gründen. Als er heimkam, 
fand er aud) fein Land ganz lutheriſch geftimmt; alle Stände, obenan 
der famländer Bifchof Georg von Polenz, der zu Weihnachten 1523 der 
neuen Lehre offen beigetreten, und viele Ordensbrüder hingen bereit3 der 
Reformation an. Albrecht beſchloß daher, da ihm die Mittel zur Fort- 
jegung des Krieges fehlten, fid) mit Polen auf Grund des thomer Frie- 
dens zu einigen und aus bem Schiffbruch des Drdens für fein Haus und 
das Land das Mögliche zu retten. Im Vertrage zu Krakau (9. April 
1525) erfannte er den König von Polen als feinen Lehnsherrn, diefer 
ihn als einen erblihen Herzog in Preußen an. Darauf löfte Albrecht 
mit Zuftimmung der meiften im Lande noch befindlichen Drdensbrüder 
den Orden auf, trat wie diefe und das ganze Volk zur evangelijchen 
Lehre über und verheiratete fih. Mit Freuden leiftete das Land dem 
neuen Herzoge die Huldigung; es fand in diefer Stantsveränderung nod) 
den Vorteil, daß feine ftändifchen Rechte mın auch noch durch die Krone 
Polen beftätigt wurden. 

Albrechts Beiſpiele folgte ſpäter der Meifter in Liefland, Gottharb 
Kettler. Die liefiſchen Ordensbrüder hatten fid) (im Jahre 1513) für 
Geld von der Herrichaft des deutſchen Ordens Iosgefauft, und eine zeit- 
lang freute ſich Liefland der gewonnenen Gelbftändigfeit. Aber es fand 
bald, daß es diefelbe mit eigener Kraft nicht behaupten könne. Die 
mosfowitifchen Barbaren fielen wie Wölfe ins Land, und nachdem die 
Xiefländer von diefen wilden Horden entſetzlich gelitten, mußten fie ſich 
nad) fremden Schuß umfehen. Kettler übergab das Land dem Könige 
von Polen, wurde von dieſem mit Kurland als einem erblichen Herzog⸗ 
tum belehnt, Töfte den Orden auf und ward, wie fein Wolf, lutheriſch 
(1561). 

Auch in Weftpreufen drang die Reformation bald durch. Mit ihr 
am raſch ein regeres Geiftesleben in alle Oftfeeprovingen; es keimte hier 
eine höhere deutſche Bildung auf; ihre fruchtbarfte Pflanzſchule ward die 
Univerfität zu Königsberg, die Herzog Albrecht 1543 geftiftet und 
am 17. Auguft des folgenden Jahres eröffnet hatte. Aber ſchon vor 
dieſem ſegensreichen Ereignis beteiligte fid) Preußen an dem Aufſchwung, 
den die Wiſſenſchaft zu Anfang des jechzehnten Jahrhunderts nahm, mit 
ungemeinem Erfolge; denn ein Preuße war es ja, der damals die groß- 
artigfte wiſſenſchaftliche Erfenntnis aller Zeiten gefunden hat: die richtige An- 
fiht vom Weltgebäude verdankt die Menfchheit dem frauenburger Gelehr- 
ten Rilolaus Kopernifus. Er wurde am 19. Februar 1473 zu Thorn 
als Sproß einer germanifirten polnifchen Yamilie*) geboren, ftudirte in 


*) Seine Mutter, Barbara, geborene Wahelrode, war eine thorner Biirgerstochter aus 
einem unzweifelhaft deutjchen Geſchlecht, fein Bater, Nifolaus Koppernit, war ein thorner 


106 Geſchichte des Landes Preußen. 


Krakau und Bologna Medizin und Mathematit und erhielt im Jahre 
1499, als er fid) entſchloß, dem geiftlichen Stand zu erwählen, durch 
feinen Oheim mütterlidjerfeits, Biſchof Waßelrode von Ermland, eine 
Pfründe als Domherr zu Frauenburg und in dieſer die Mittel, fid) faft 
ganz ber frühgeliebten Aftronomie zu widmen. Um diejelbe Zeit, als 
Zuther feinen Krieg gegen die felbftzufriebene Werfheiligkeit eröffnete, 
machte Kopernifus jene Entdedung, die den menſchlichen Stolz in fid) fo 
tief demütigt, in Gott fo hoch erhebt, daß die Erde nicht feft und ruhig 
dafteht, umfreift von Sonne und Planeten, fondern, felbft ein bloßer 
Wandelftern, die Sonne umfliegt. Sein Sonnenfyften, mit welchem er 
der Schöpfer der neueren Sterntunde ward, verftieß freilich gegen einige 
Stellen der Bibel und konnte daher als Ketzerei gelten; doch gab er das 
Bud), in welchem er feine neue Lehre vortrug — „de revolutionibus 
orbium celestium“ (über die Umwälzungen ber Himmelstörper) — auf 
Zureden feiner Freunde endlich dod zum Drude hin. Die Veröffent- 
lichung erlebte er indes nicht mehr; ald man ihm — am 24. Mai 1543 
— das erfte Eremplar des joeben fertig gewordenen Werkes brachte, lag 
er bereit3 im Sterben. Das Bud) war in Deutfchland, und zwar im 
Nürnberg, gedrudt worden; doc hatte auch Preußen in feinen größeren 
Städten bereits Buchdrudereien aufzuweifen. Auch einen eigenen Ge» 
ſchichtsſchreiber erhielt e8 damals, der mit mehr Wifienfchaftlichkeit als 
die bisherigen Chroniften zu Werke ging; es war Lufas David, Rat des 
Herzogs Albredit. 

Dennod) ſchien es, als würde das deutſche Wefen, jelbft im Herzog- 
tum, in polniſche Zuftände geraten, zunächft die Monarchie einer Dligarchie- 
erliegen. Es hatte ſich im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts aus den 
Rittergutsbefigern ein Adel gebildet, der, begünftigt durch den Verfall 
der Ordensmacht, feinen Beſitz und feine Rechte auf Koften der Heinen 
Bauern vergrößerte und zuleßt dieſe zu feinen Unterthanen herabdrüdte, 
Er gab nun auf den Landtagen den Ton an, und wie nad) unten, jo 
dehnte er feine Macht auch nad) oben aus. Die Gelegenheit dazu gab 
ein fonfeffioneller Streit. Der ofiandrifd) gefinnte Hofprediger Funk (aus 
Nürnberg) erregte durch unvorfichtiges Eifern den Zorn der Anbers- 
gläubigen. Der Herzog ſchützte ihn, da verffagten ihn die preußifchen 
Stände beim König von Polen. Es kamen polnifche Gefandten und 
unterfuchten; weinend gab der alte fünfundachtzigjährige Herzog nad), 


Bürger, aber von Herkunft, wie es ſcheint, Pole. Cr ſoll als junger Mann nad; Thom 
aus Krafau eingewanbert fein. Gewiß ift, dab er in der damals zwar unter polnifcher 
Oberhoheit fteßenben, aber im übrigen deutjchen Gtabt Thorn nicht bloß Bargerrecht erhielt 
und in eine angefehene Familie heiratete, fondern aud) (1465) zum Mitgliede des Schoppen- 
geriäts ermwäßlt wurde; auf jeden Fall alfo muß er fich fruhgeitig in Gitte und Sprade 
germanifirt Haben. 


Johann Sigismund. 107 


und Funk wurde enthauptet (im Jahre 1566). „Borussi novitatis avidi“ 
jagt ein zeitgenöſſiſcher Chronift, „die Preußen find neuerungsfüchtig“. 
Nach diefem Siege traten die Stände noch felbftbewußter auf, und als 
Herzog Albrecht 1568 ftarb, erflärten die Regimentsräte (ein abliger 
Ständeausfchuß) defien jechzehnjährigen Sohn Albrecht Friedrich zwar 
für mündig, bereiteten ihm aber, da er mit Kraft die Zügel ergriff und 
ben Anmaßungen des Adels und ber ftreitfüchtigen lutheriſchen Geiſtlich⸗ 
keit entgegentrat, fo viele Kränfungen, daß er in eine Gemütskrankheit 
verfiel, zu welcher der Kein freilich ſchon in ihm lag. Denn feine Mutter 
(Anna Maria von Braunſchweig, zweite Frau Albrecht I.) war epilep- 
tiſch, und deren Vater lange Beit geiftestrank geweſen. Gleichwohl ver- 
heiratete man den jungen Herzog; e8 war die Prinzeffin Marie Eleonore 
von Jülich, welche das wenig beneidenswerte Los traf (1573). Er zeugte 
mit ihr zwei Kinder, Anna und Eleonore; aber von feinem Tiefſinn 
genas er nicht, und nun hatte der herrichluftige Adel gemonnenes Spiel; 
er leitete durdy jenen Ausſchuß den Staat; der Vormund des Herzogs 
und Regent des Landes, feit 1578 Albrecht Friedrichs Vetter, Markgraf 
Georg Friedrich von Ansbach), befaß wenig bemerfbare Macht. 

Anders mußte e8 werben, werm ein jo großer NReichsfürft, wie ber 
Kurfürft von Brandenburg, als Regent ins Land kam; darum fahen es 
die Stände fehr ungern, als Joachim Friedrich mın 1605 wirklich Vor 
mund und Statthalter wurde; fie hätten lieber felbft diefe Amter geführt. 
Es bildeten ſich zwei Parteien im Lande, die „Duerulirenden”, welche 
dem Brandenburger entgegen arbeiteten, und die „Proteftirenden”, bie 
ihm ergeben waren. Die erfteren fuchten und fanden Rüchalt an den 
Polen, welche am liebften aus Preußen eine polniſche Provinz gemacht 
hätten und dem Kurhaufe allerlei Schwierigkeiten bereiteten. Aber die 
HZollern ließen fi) nicht abhalten. Joachim Friedrichs ältefter Sohn 
Johann Sigismund war eben auf der Reife nad) Preußen begriffen, 
als ihn die Nachricht von dem Tode feines Vaters ereilte. Trotzdem 
febte er feine Reife fort; die preußiſchen Verhältniffe mußten geordnet 
werden. Wie viel Mühe koftete es ihm, fie nad) Wunſch zu ordnen! 
Aber er erreichte feine Abficht; 1609 erhielt er vom Könige von Polen 
die Vormundfchaft, 1611 die Belehrung, und als fein krauker Schwiegers 
vater 1618 endlich ftarb, konnte Die Vereinigung: des Herzogtums mit 
dem brandenburgiichen Staate von ftatten gehen. 


Ichann Figismund. 


Durch feine Gemahlin Anna fiel dem Kurfürften Johann Sigismund 
nod) eine andere wichtige Erwerbung zu, ein Beſitz am entgegengeſetzten 
Ende Deutſchlands, am Rhein. Annas Mutter, Marie Eleonore, war 


108 Vorgeſchichte ber julich · kleve · bergichen Lande. 


die älteſte Schweſter des Herzogs Johann Wilhelm’ von Jülich-Kleve— 
Berg, welcher im Jahre 1609 Finderlos ftarb. Er hinterließ eine reiche 
Erbſchaft, viele blühende Herrſchaften. Da war zuerit das Herzogtum 
Kleve, ein fruchtbares Niederland zu beiden Seiten des Rheins von Duis— 
* burg über Wefel big Emmerid), dazu in Weftfalen die gewerbfleißigen 
Grafſchaften Mark (an der mittleren Ruhr) und Ravensberg (am Teuto— 
burger- Walde zwijchen Ems und Wefer), dann die Herzogtümer Jülich 
(an der Roer zwifchen Erft und Maas) und Berg (am rechten Rhein- 
ufer zwifchen Ruhr und Sieg), endlich) die Herrſchaft Ravenftein an der 
Maas. 

Eine Ländermaffe, an Volkszahl und Ertrag wohl dem Preußenlande 
vergleichbar; aber wie anders in Hiftorifch-politifcher Entwicelung! Dort 
eine ftaatliche Einheit und eine große Vergangenheit; hier vielerlei Ter- 
ritorien und Meine Geſchichten. Dort blickte man auf wenige Yahr- 
Hunderte zurück, aber fie hatten einen bedeutenden Inhalt. Hier waren 
die Erinnerungen, im einzelnen betrachtet, nicht fehr erheblich, aber groß- 
artig durch die Länge der Zeiten, in die fie reichten. 


Vorgeſchichte der jülich-kleve-bergſchen Lande. 


Faſt alle diefe Gebiete waren Sitze einer uralten Kultur; mit Aus⸗ 
nahme von Mark und Ravensberg lagen fie ja fämtlid) an ober nahe 
dem Rheinftrom. Hier hatten einft Jahrhunderte lang die Römer ges 
herriht und gebaut; noch mandyer Ort führte auf fie feinen Namen 
zurüd. In den Stürmen der Völkerwanderung war dann das welſche 
Weſen auch auf dem linken Ufer dem Germanentum erlegen; aber ber 
fiegreihe Franke zivilifirte fid) bald und wurde Träger einer neuen, der 
chriſtlichgermaniſchen Bildung. Auch eine eigene Vollgart entftand hier, 
wo oberdeutſche Stämme fid mit niederdeutſchen gemifcht hatten; doch 
überwog in ber Gitte des Niederrheinländers das fränkiſche, in der 
Sprache das ſächſiſche Element. 

Frühzeitig ſchlug das Lehnsweien Wurzeln; ſchon unter den Karo— 
lingern ftanden aud) hier an der Spitze der Gaue als richterliche Beamte 
Grafen, welche ihr Amt zu Lehen trugen, erft vom Könige, dann, als 
beim Berfall des Tarolingijchen Reichs die Sondergewalten, Die Herzog- 
tümer, auflamen, vom Herzoge; e8 war hier am unteren Rhein ber 
Herzog von Niederlothringen. So blieb es bis zur Hohenftaufenzeit, wo 
das lothringiſche Herzogtum einging und die Grafſchaften reichsunmittelbar 
wurden. Die Lehen waren inzwifchen auch erblich und das Amt eine 
Herrſchaft geworden. Es gab mun eine Nenge kleiner Fürſten am 
Niederrhein. 


Vorgeſchichte der jülich-leve-bergichen Lande. 109 


Zu ben älteften Dynaftengeſchlechtern gehörten hier die Grafen von 
Kleve. Ihr Stammbaum hub mit dem achten Yahrhundert an, mit 
Elias Grail, jenem Schwanenritter der Sage, der fid) im Jahre 711 mit 
Beatrir, der Erbin von Teiſterband und Kleve, vermählte. ZTeifterband 
an der Waal ging dem Haufe bald wieder verloren; aber über Kleve 
haben noch fieben und zwanzig Grafen aus dem Stamme Grails ge 
herrſcht. Es find darunter manche nicht unwert des Gedächtniſſes: 
Dietrich V. (1219—1244), der Kallar (1230) und Weſel (1241) Stadt- 
echt gab; Dietrich VI. (1244—1261), ein gewaltiger Krieggmann, wegen 
feiner wilden &ehdeluft „der kleviſche Wolf" genannt; Dietrich VII. 
(1275—1305), der vom Kaifer Rudolf das Münzredjt empfing und als 
er deſſen Nichte heiratete, zum Brautſchatz ftatt einer Summe von 2000 
Mark Silbers und einer Rente von 400 Mark die Städte Duisburg und 
Kranenburg erhielt. Der lebte dieſes Geſchlechts war Johann II.; er 
ftarb 1368; fein Land fiel an das ihm verfchwägerte Haus ber Grafen 
von der Mark. 

Diefe Familie hieß urfprünglih von Altena, nad) einem ſüdlich 
von Zferlohn an der Lenne gelegenen Schloſſe und war eine Seitenlinie 
der Grafen von Berg. Im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts erwarb 
ein Graf von Altena die Burg Mark bei Hamm; fie gab dann dem 
Gefchlecht den Namen. In vielen Fehden, befonders mit dem Erzbiſchof 
von Köln, der als Herzog von Weftfalen ihrem Aufftreben entgegen ftand, 
vergrößerten fi) die Grafen von der Mark. Vieles gewannen fie auch 
durch Erbſchaft. Im Jahre 1225 war der Erzbifchof Engelbert von 
Köln, ein geborner Graf von Berg, auf Veranlafjung feines Vetters, des 
Grafen Friedrid) von Iſenberg, ermordet worden; dafür traf diefen die 
Acht und ein qualvoller Tod, er wurde zu Köln gerädert. Den größten 
Zeil feiner Güter aber, die zwifchen der Ruhr und Lippe lagen, nahm 
Graf Adolf II. von der Mark als fein Verwandter in Beſitz; zu ihrem 
Schutze gründete er die Stadt Hamm (1226). Zu der Seit, als das 
Mevifche Grafengeſchlecht dem Erlöſchen zumeigte, ſchien das gleiche 
Schickſal auch dem markiſchen zu drohen. Denn Engelbert, das Haupt 
besfelben, war finderlos, und feine Brüder, Adolf und Dietrid), waren 
geiftlih. Durch ihre Mutter Margarete, Nichte Johanns IE. von Kleve, 
hatten fie auf deſſen Erbe Anſpruch; es wurde dem zweiten Bruder Adolf 
beftimmt, der den Stamm fortfeßen follte. Gern legte er dafür feine 
hohen geiftlichen Würden nieder, den erzbiihöflihen Stab von Köln 
famt dem bijchöflichen von Münfter. Als nun fein Großoheim Johann 
geftorben war, eilte er ſogleich nad) Kleve, um weldjes ſich aud) andere 
Bewerber regten, beftätigte im voraus den Ständen dieſes Landes ihre 
Privilegien, gewann fo ihre Gunft und empfing Die Huldigung als 
Adolf I. Graf von Kleve (1368). Zwei Jahre darauf verheiratete er 


110 Vorgeſchichte der jũlich · kleve · bergſchen Lande. 


fich mit einer Gräfin Margarete von Berg; fie gebar ihm viele Kinder. 
Er ftiftete daher eine Nebenlinie, indem er nad) dem Tode feines Bruders 
Engelbert (1391) die Grafihaft Mark an feinen zweiten Sohn Dietric) 
gab. Das Mevifche Gebiet vergrößerte er durch die Orte Schwelm ımd 
Hagen, die er nad; einer fiegreichen Fehde vom Erzftift Köln erwarb 
(1392). Er ftarb 1394. Glücklich in allen feinen Unternehmungen, war 
er aud) ein jehr Iebensluftiger Mann, dem Scherz, der Liebe, den gefel- 
ligen Freuden ungemein ergeben. Yrohfinn und Freundſchaft zu pflegen, 
ftiftete er 3. B. im Jahre 1381 eine „Geckengeſellſchaft“, der außer ihm 
noch 35 Ritter und Herren angehörten. 

Ihm folgte als Graf von Kleve fein ältefter Sohn Adolf IL 
(1394—1448). Unter diefem fam das kleviſche Haus zu noch größerer 
Macht. Sein Dheim, Herzog Wilhelm von Berg, griff ihn wegen eines 
Zwiſtes über den kaiſerswerther Zoll im Bunde mit Geldern, Jülich und 
andern Nachbarn an, wurde aber in der Schlacht bei Kleverham unweit 
Kleve von ihm befiegt und nebſt einigen feiner Verbündeten gefangen 
genommen (1397). Freiheit und Frieden mußte er mın durch Abtretung 
mehrerer Ortſchaften, namentlich) Remagen, Sinzig, Emmerid), erfaufen; 
der gleichfalls gefangene Graf von Salm Töfte fi) aus, indem er die 
Herrſchaft Ravenftein an Kleve überließ. Im folgenden Jahre 1398 
befam Adolf nad) dem Tode feines Bruders Dietrich auch die Grafſchaft 
Mark nebft Lippftadt; in der Reihe ihrer Beherricher zählt er als 
Wolf VI. So groß war feitdem fein Anfehen, daß ihn der Kaifer 
Sigismumd im Jahre 1417 auf dem Reichstag zu Koftnig zum Herzog 
don Kleve erhob. Noch gegen Ende feines Lebens ſah er neuen Macht- 
zuwachs. Im Jahre 1444 geriet die Stadt Soeft mit ihrem Landes- 
herrn, dem Erzbifchof Dietrich) von Köln, in Streit; der Erzbiſchof wollte 
der Stadt eine Steuer, den zehnten Pfennig, auflegen; die Bürger 
weigerten ſich; man griff beiderfeits zu den Waffen. Soeft nahm nun 
den Sohn des Herzogs von Kleve, den jungen Herzog Johann, zum 
Herm an und verteidigte fi), von diefem kräftig unterftüßt, aufs tapferſte 
gegen den Erzbifchof. Vergebens brachte der Kölner von Münfter, Hil— 
desheim, Naffau und anderwärts Hilfstruppen ins Feld; auch ein großes 
böhmifches Söldnerheer, das er angeworben, richtete nichts aus; bie 
„ſoeſter Fehde“ verwüftete jahrelang Weftfalen, aber die Stadt blieb 
unbezwungen. Der Erzbifchof mußte 1449 Frieden machen und Soeft 
dem Herzog von Kleve laſſen. Johann I. (1448—1481) erwarb fpäter 
auch noch Kanten von dem Erzftift (1464). 

Sein Sohn Johann IT. (1481—1521) war in feinen Fehden nicht 
jo glücklich. Ein Krieg gegen Geldern und Utrecht zerrüttete nutzlos feine 
Finanzen, die überdies durch die Verforgung feiner zahlreichen Baftarde 
litten; er war genötigt, fid) einen ſtändiſchen Rat — acht Notabeln aus 


Vorgeſchichte der jülich-Fleve-bergfhen Lande. 111 


dem Herzogtum Kleve, vier aus der Grafihaft Markt — zur Aufficht 
über feine Geldangelegenheiten am die Seite zu ſetzen (1501). Defto 
ausſichtsvoller war die Zukunft; fein ältefter Sohn, Prinz Johann, hei— 
ratete 1510 zu Düffeldorf die Prinzeffin Marta, Erbtochter von Jülich, 
Berg und Ravensberg. 

Die Grafen von Jülich, zuerft im Begim des zehnten Jahr: 
Hundert? erwähnt, fpielten lange Beit eine ziemlich untergeordnete Rolle; 
Fehden, die fie, um ihr Herrichaftsgebiet zu erweitern, gegen ihre Nach— 
barn, namentlich gegen das Erzftift Köln und die Reichsftabt Aachen, 
unternahmen, liefen meift übel ab. Graf Wilhelm V., der Aachen durch 
einen Handſtreich in feine Gewalt bringen wollte, büßte gar mit dem 
Xeben; im Straßenkampfe flug ihn famt drei Söhnen ein handfefter 
Schmied mit feinem Hammer tot (16. März 1278). Erft durd) kaiſerliche 
Gunſt und glückliche Heiraten wurde die Familie bedeutend. Im Jahre 
1336 erhob Kaifer Ludwig der Baier den Grafen Wilhelm VII von 
Jülich zum Markgrafen; im Jahre 1857 machte Kaifer Karl IV. den- 
felben zum Herzog. Wilhelm, als Herzog ber erfte feines Namens, 
hatte zwei Söhne; der ältere, Gerhard, kam durch Heirat mit Margarete, 
Erbtochter von Berg und Ravensberg, in den Befik diefer Länder, wo 
er eine Geitenlinie des Haufes Jülich gründete; er fiel in einer Fehde 
1361. Der jüngere Sohn Herzog Wilhelms, ebenfalls Wilhelm geheißen, 
war mit Maria von Geldern vermählt. Diefer folgte feinem Water 1360 
als Wilhelm II. von Jülich, und ihm hinwieder 1393 fein Sohn Wil- 
heim II., der im Jahre 1377 Geldern geerbt Hatte. Die Bereinigung 
der beiden Herzogtümer dauerte jedoch nicht lange. Denn mit Wil- 
helms III. Bruder, Reinhold IV., ftarb diefer Bweig der Familie 1423 
aus, und nun fiel Geldern an das Haus Egmont, Jülich an das Haus 
Berg. 

Schloß Berg ober Burg an ber Wipper, füdlid von Solingen, 
war ber Stammfiß eines Grafengejchledhts, weldyes um 1170 ſich in zwei 
Linien fpaltete, Altena und Berg. Die bergiiche erlofch im Mannes- 
ſtamm ſchon 1218 mit dem Grafen Adolf IV., der auf einem Kreuzzuge 
im Drient umkam. Gein Befig ging an den Gemahl feiner Tochter 
Margarete, den Herzog Heinrich IV. von Limburg, über, der nun wieder 
zwei Linien ftiftete. Des Herzogs älterer Sohn, Adolf, wählte für feinen 
Teil die Grafihaft Berg; der jüngere, Walram, befam das Herzogtum 
Limburg. Doc) behielt Graf Adolf V. das alte bergiiche Wappen — 
eine Rofe — nicht bei; er meinte, es fei durch den Frevel und bie 
Schande feines Verwandten Friedrid) von Iſenberg entehrt, und führte 
daher für Berg das limburgiſche ein, den gefrönten Löwen im weißen 
Felde. Auch der Tod Adolf war ritterlich; er fam 1255 auf einem Turnier 
zu Neuß um. Sein Sohn und Nachfolger Adolf VI. hatte ein ſchlimmeres 


112 Vorgeſchichte der jdlih/ klebe · bergchen Lande. 


Ende. Es war zwiſchen ihm und dem Erzbiſchof Siegfried von Köln 
ein Streit entſtanden; mit Adolf von Berg verbündeten fich Herzog Jo— 
hann von Brabant, Graf Walram von Jülich, Graf Eberhard von der 
Mark und die Stadt Köln; mit dem Erzbijchof die Grafen Reinhold von 
Geldern, Adolf von Naffau, Walram von Falkenberg und Dietrid) von 
Mörs. Die beiden Parteien rangen in einer blutigen Schlacht (bei 
Borringen am 5. Juni 1288) mit einander; Adolf fiegte, nahm den 
Erzbiſchof felbft gefangen. Faft ein Jahr lang mußte diefer in Haft 
bleiben und erlangte nur gegen ſchweres Löfegeld (12000 Mark kölniſch) 
feine Freiheit wieder. Dafür rächte er fi) ſchwer. Durch verräteriichen 
Überfall brachte er Adolfs Perfon in feine Gewalt und verweigerte ihm 
auf immer die Auslöfung: „Sankt Peter habe Güter genug; aber er 
werde ihm zeigen, was es heiße, einen Erzbiſchof gefangen zu halten.” 
Der Graf blieb bis an feinen Tod (1295) gefangen. Mit feinem Entel 
Adolf VII. (1308—1348), dem Gründer der Städte Mühlheim (1322) 
und Lennep (1325), erloſch der Mannsftamm diefer Dynaftie; es folgte 
kraft weiblichen Erbrechts die ravensbergſche. 

Die Grafen von Ravensberg, ſeit Beginn des zwölften Jahr— 
hunderts nad) der Burg Ravensberg bei Bielefeld jo genannt, — ur= 
ſprünglich hießen fie nad) einem Drt im Osnabrückſchen von Kalverlage 
— waren unter den weſtfäliſchen Gefchledhtern eins der angefehenern. 
Ihr Hauptort war Bielefeld, das ſchon im neunten Jahrhundert erwähnt 
wird, doch erft um 1226 Stadtrecht erhielt. Durch Erbteilungen 
ſchwächte fi das Haus; es gewann dann zwar im Anfang des vier- 
zehnten Jahrhunderts durd) die Vermählung des Grafen Otto IV. (1308 
bis 1328) mit Margarete, der Erbtochter Adolfs VII. von Berg, eine 
große Anwartichaft; aber bevor fich noch dieſe verwirflichte, erlofch das 
Geſchlecht in der männlichen Linie mit Ottos VII. Bruder Bernhard 
(1346). 

Es blieb eine Tochter Ottos IV. übrig, wie ihre Mutter Margarete 
geheißen; fie war, wie ſchon oben erwähnt, mit dem Prinzen Gerhard 
von Jülich vermählt, und diefer ward nun als Gerhard I. Graf von 
Ravensberg und nad) dem Tode Adolfs VII. im Jahre 1348 auch Graf 
bon Berg. 

Sein Sohn und Nachfolger Wilhelm I. (1360 — 1408) wurde 
1380 vom Kaifer Wenzel zum Herzog von Berg erhoben, und deſſen 
Sohn, Herzog Adolf I. von Berg (1408—1437) war es, der im Jahre 
1423 nad) dem Ableben feines Vetters Reinhold von Jülich auch dieſes 
Herzogtum erbte. Ihm folgte in der Herrichaft der drei Länder — 
Jülich, Berg und Ravensberg — fein Neffe Gerhard II., und diefem 
defien Sohn Wilhelm II. (1475— 1511). Durch Ießteren kam bie 
jülichſche Familie mit den brandenburgiſchen Zollern in nähere Ver— 


Vorgeſchichte ber jütich-Aleverbergfhen Lande. 113 


bindung; denn er vermählte fich mit Sibylle, einer Tochter des Kurfürften 
Albrecht Achilles. Söhne entiproßten diefer Ehe nicht; daher erwirfte 
Herzog Wilhelm im Jahre 1508 vom Kaifer Marimilian I. ein Privileg, 
durch welches feine Tochter Maria zur Erbfolge in feinen Ländern be 
rechtigt wurde. Sie brachte dieſes Recht dann ihrem Gemahl Johann 
von Kleve zu, der denn auch nach Wilhelms II. Tode 1511 in ben 
Beſitz kam. Zwar proteftirte dagegen das Haus Sachſen, indem es fid) 
auf eine Anwartſchaft berief, die Kaifer Friedrich III. 1483 dem Herzog 
Albrecht von Sachſen erteilt hatte; doc, hatte dies feinen Erfolg. Viel—⸗ 
mehr wurde Johann II. von Kleve nad) feines Vaters Tode 1521 von 
dem Kaifer Karl V. mit allen ſechs Ländern — Kleve, Mark, Raven- 
ftein, Jülich, Berg, Ravensberg — in befter Form belehnt. 

Er war num einer der mächtigften deutſchen Fürſten und hätte, be— 
ſonders in den kirchlichen Wirren, die jet eintraten, einen weithin be— 
flimmenden Einfluß üben können. Es fehlte ihm auch nicht an einer 
gewiſſen Thatkraft; gegen das Raubrittertum z. B. fchritt er fo energiſch 
ein, wie fein Beitgenoß Joachim I. von Brandenburg; in Kleve ließ er 
einmal — es war zu Pfingften 1531 — zwei Freiherren, von Falfen- 
burg und von Zaffenftein, nebft elf andern Edelleuten, die der Wege- 
lagerei überführt waren, aufs Rad flechten. Aber wie jener Joachim 
vertannte er ben Geift und die Gewalt der firchlichen Bewegung; er 
glaubte, fie zugleich belämpfen und leiten zu können, und befriedigte 
fo feine Partei. Er geftattete, daß einer feiner Unterthanen, der Lehrer 
Adolf Klarenbach aus Weſel 1529 in Köln wegen lutheriſcher Ketzerei 
mit dem Feuertode beftraft wurde, und erließ doch andererſeits (1532) 
eine Kirchenordnung, die den Geiſtlichen befahl, das Evangelium durch— 
aus als einzige Duelle der Heilslehre zu betrachten. So nahm ſich denn 
das Boll aus eigenem Antrieb der Kirchenverbefierung an. Es fiel in 
feiner Mehrheit der neuen Lehre bei, nur daß beſonders am Rhein neben 
den Iutherifchen auch zwinglifche Prediger Anhang fanden. Am ent 
fchtedenften wandten ſich die weftfälifchen Gebiete der Reformation zu; 
von den Städten Soeft und Lippſtadt verbreitete fi) das Luthertum 
über die Graffchaft Mark, von der Stadt Herford über bie Grafſchaft 
Ravensberg. Unter dem folgenden Herzog Wilhelm III. „dem Reichen“ 
(1539—1592), der fein lebelang unentjchieden zwifchen dem alten und 
dem neuen Glauben ſchwankte, behielt dann troß mancher Bemühungen 
der im Lande wie bei Hofe immerhin noch anfehnlichen katholiſchen Partei 
das proteftantifche Bekenntnis im ganzen das Übergewicht. Wilhelm II. 
hatte im Jahre 1546 durch Kaifer Karl V., deſſen Nichte, Maria von 
Öfterreich, er geheiratet, für feine fämtlichen Lande das Recht der weib- 
lichen Erbfolge, falls der Mannsſtamm ausgehe, feſtſetzen laſſen. Diejer 
Tal trat bald ein, denn fein Sohn und Nachfolger Johann Wilhelm 

Vierſon, preuß. Geſchichte. T. 8 


114 Zohann Sigismund. 


(1592—1609) war der legte feines Geſchlechts. Er war aud) der un⸗ 
glücklichſte. An einer unheilbaren Geiftesfranfheit leidend, lebte er 
ftumpffinnig in feinem Schloffe zu Düffeldorf fi) und den Seinen zur 
Laſt. Auch ſchwere Unthat verdunfelte das reiche Haus. Des blöd» 
finmigen Herzogs Gemahlin, die ſchöne Jakobe von Baden, fiel dem Neide 
ihrer Schwägerin Sibylle zum Opfer, die fie erft mit ſchmählichen An- 
Hagen angriff, daun ermorden ließ (1597). 


Kaum war Zohann Wilhelm (am 25. März 1609) geitorben, als 
auch ſchon Bevollmächtigte des Kurfürften Johann Sigismund im Namen 
ihres Herm in Düffeldorf, Kleve und anderwärts den brandenburgifchen 
Adler und das Befikergreifungspatent anſchlugen. Aber raſch traten 
noch andere Bewerber um das Erbe auf; vor allen ber Pfalzgraf Wolf 
gang von Neuburg, als Sohn der zweiten Schweſter Johann Wilhelms; 
aber auch die dritte und die vierte Schwefter erhoben Anſprüche; ebenfo 
der Kurfürft von Sachſen. Da hielten die beiden Hauptprätendenten, 
der Kurfürft und der Pfalzgraf, es für das befte, fidh in Güte zu ver- 
einigen; fe verabredeten (tm DVertrage zu Dortmund am 10. Zuni 1609), 
das Land bis auf weiteres gemeinfam zu verwalten. Eintracht that 
ihnen um fo mehr not, da der Kaifer aus Eiferfucht auf Brandenburgs 
wachſende Macht willens ſchien, die ftreitigen Länder an ſich zu nehmen. 
Auch die Holländer und Spanier, damals mit einander im Kriege, 
miſchten fid) ein, weil es ihnen nicht gleichgiltig fein Tonnte, in weſſen 
Gewalt diefe wichtigen Grenzlande fielen. Es ſchien über die jülichſche 
Erbfolge zu einem allgemeinen Kriege zu kommen; bereits ſchickte ſich der 
König von Frankreich, Heinrid) IV., an, die Führung aller Feinde Habs- 
burgs zunächſt an diefer Stelle zu übernehmen. Sein plößlicher Tod 
(1610) vertagte den großen Kampf; aber zwifchen den jülichihen Erben 
wurde die Gegnerſchaft bald durd ein anderes Motiv noch verichärft. 
Es trat nämlich der Pfalzgraf, nachdem er fic im November 1613 mit 
einer bairifchen Prinzeffin verheiratet hatte, zur latholiſchen Kirche über, 
während ber Kurfürft — zu Weihnachten 1613 — zur teformirten Kirche 
übertrat; beide erhielten num ftarfe neue Stüßen, der eine an ber ganzen 
katholiſchen Partei, der andere an den kalviniſchen Holländern. Indeſſen 
zogen bie Nebenbuhler es denn doch wor, fid) friedlich zu vergleichen; 
im Vertrage zu Xanten 1614 teilten fie das Erbe zu gleichen Teilen, 
und durch das Los fielen Jülich und Berg an Wolfgang, Kleve, 
Mark, Ravensberg und Ravenftein an Johann Sigismund. Freilich 
blieben auch jeßt nod) manche Streitpunfte zu erledigen, bejonders über 


Johann Sigismund. 115 


Navenftein, welches der Pfalzgraf ſich aneignete, und vollftändig ift 
das Ganze erſt viel fpäter (im kleveſchen Erbvergleich 1666) geordnet 
worden. 

Es war fehr natürlich, daß man des Kurfürften Religionswechfel fo 
auslegte, als ob er dadurch das Herz der zahlreichen Reformirten in 
Zülich-Kleve-Berg und den Arm der falvinifchen Nachbarn habe für fi 
gewinnen wollen. Bum Teil hat dieſes Motiv wohl aud) in der That 
bei feinem Entſchluſſe mitgewirkt; aber er folgte hierbei zugleich feiner 
religiöfen Überzeugung. Die reformirte Lehre fand damals bei dem 
höheren Ständen des proteftantifchen Deutfchlands überhaupt viel Ein- 
gang, teils weil ihre Anfiht vom Abendmahl mehr einleuchtete, teils 
weil ihre Geiftlichfeit nicht ganz fo unduldfam geworben war, als bie 
Yutherifche. Der Kurfürft ſelber erflärte öffentlich: „er maße fid) über die 
Gewiſſen feine Herrichaft an; eine ſolche ftehe überhaupt feiner Obrigfeit 
zu, aber ebenfowenig den Unterthanen über die Obrigkeit; er wende fich 
feiner Überzeugung gemäß zur reformirten Kirche, werde aber die Unter- 
thanen ungeftört bei ihrem Luthertum lafſen; nur das gegenfeitige Ver— 
ketzern auf den Kanzeln verbiete er aufs ſtrengſte.“ ber dies Toleranz. 
edit, das erfte in der Welt, welches ein chriftlicher Fürft gegeben, war 
gar nicht im Geichmad der Zeit, die für wahrhafte Duldung fein Ver⸗ 
ftändniß hatte. Es befriebigte daher kaum die Reformirten, deren Kirche 
1614. durch die Confessio Johannis Sigismundi in der Mark, 1617 
durch deſſen Apologia in Preußen feften Grund befam. Dagegen bei 
den Zutheranern, alſo bei der Mehrzahl feiner Unterthanen, erregte des 
Kurfürſten Abfall die größte Unzufriedenheit. An manchen Orten reizte 
die Geiftlichfeit durch ihre heftigen Klagen und Schmähungen das Volt 
gar zu Aufläufen ımd Ruheſtörungen, befonders in Berlin, wo ber 
Diakonus Stuler an der Petrificche einen Aufftand der Bürger gegen 
die Neformirten veranlaßte (Dftern 1615). Diefe Unordnungen waren 
freilich bald unterbrüdt; aber auch die Stände wurden ſchwierig, Die 
brandenburgiichen konnten erft durch feierliche Verbriefung der kirchlichen 
Landesrechte zu Geldbewilligungen bewogen werden; die preußtichen, ge⸗ 
ftügt auf den König von Polen, als Oberlehnsherrn, entzogen dem Kur- 
fürften ſogar den größten Teil feiner Iandesherrlihen Befugniſſe in 
Preußen: die Macht ging bier faft ganz in die Hände der „NRegiments- 
räte“, d. h. bes Adels über. Im Kleveſchen gab es andere Widerjacher; 
ba hielten die Spanier noch immer einen Teil bes Landes, namentlich 
Weſel, befegt. Kurz, weder im Often noch im Weften wurde Johann 
Sigismund des Befikes froh, um den er die Macht feines Haufes er- 
weitert hatte; feine Saten waren für die Zukunft, erft lange nad) feinem 
Hingange haben fie ihre reiche Frucht getragen. Aber das Verdienft 
bleibt ihm immer, dem hohenzollerſchen Staat an der Memel und am 

3. 


116 Der dreibigjährige Krieg. 


Rhein das Heimatsrecht gegeben zu haben. Che indes der Größere 
tam, der das Recht zur Wahrheit machte, war der Dynaftie und dem 
Kande noch eine ſchwere Zeit des Elends beſchieden. Zohann Sigismmd 
erlebte fie zu feinem Glück nicht mehr; er verfiel im Spätherbft 1619 
in eine tödliche Krankheit, und nachdem er am 2. Dezember 1619 die 
Regierung feinem Sohne Georg Wilhelm übertragen, ftarb er bald 
darauf, erft 47 Jahr alt, am 2. Januar 1620, noch ehe die Flammen 
des eben ausgebrochenen Krieges, bes fürchterlichiten, den jemals die 
Welt gefehen hat, nad) der Mark hinüberfchlugen. 


Der drreifigjährige Arien. 


Die Religion war dem Deutſchen von jeher eine hochwichtige 
Herzensangelegenheit; aber fo lange die Weife des Mittelalters galt, 
welche die Vertretung und Geftaltung jedes Bebürfnifies zum ausfchließ- 
lichen Vorrecht eines beftimmten Standes machte, "war der Deutfche zu= 
frieden, die kirchlichen Zeremonien umd guten Werke zu verrichten, welche 
ihm die Geiftlichfeit als den Inbegriff der Religion darftellte. Durch 
die Reformation kam eine andere, die Lehre vom allgemeinen Prieftertum 
auf; ſelbſt follte fich nun jeder Chrift den Weg zu Gott und zur Selig- 
keit ſuchen, und diefer Weg war allein der Glaube. Seht erft ergriff 
die Religion fo recht den ganzen Menfchen; fie wurde zugleich Sache des 
Verftandes und Herzens, läuterte zugleich die Erkenntnis und ftählte den 
Willen. Es trat ein jeder für ein Bekenntnis ein, von defien Wahrheit 
er fich jelbft überzeugt ober überredet hatte. Drängte das Bedürfnis. 
nad) Verföhnung mit Gott früher zu äußeren Werken der Frömmigfeit, 
zu Faften, Kafteiungen, Wallfahrten, Schenkungen, Gelöbniffen, fo trieb 
das religiöfe Gefühl jet aucd) den Laien, und felbft den gemeinen Mann, 
für die Reinhaltung feiner Glaubenslehrſätze in jedem Augerfblicde und an 
jedem Orte fein Gut und Blut einzufeßen.- Es geſchah dies mit um fo 
größerem Eifer, das Volk faßte die Religionsfache um fo leidenſchaftlicher 
auf, je weniger Anteil es jet an den politif—hen Dingen hatte. Vor 
dem Glaubenseifer trat nun die Liebe weit zurück, weil es Pflicht ſchien, 
Andersgläubige, wenn fie auch nur wenig von der orthodoren Meimmg 
abwichen, zu verketzern und zu verabſcheuen; galt doch derjenige Prediger 
dem Volle für den beften, welcher am heftigften auf die anderen Be— 
kenntniſſe fhalt. Priefter und Gemeinde feuerten ſich gegenfeitig immer 
aufs neue zum Haß wider die übrigen Selten an. Die deutſche Sonder» 
fucht durfte num aud) in den Kirchen ihre Triumphe feiern; die Span= 
mung zwifchen den Religionsparteien in Deutſchland wuchs in einen 
furchtbaren Grade. Überdies hatten fie mit einander noch wichtige Redjts- 


Georg Wilhelm. 117 


ftreitigfeiten zu erledigen: der augsburger Religionsfriede gab nur den 
Zutheranern, nicht aud) den Reformirten im Reid) eine ſtaatliche An- 
erfennung, und den geiftlichen Ländern verweigerte er die Reform geradezu. 
Beide Ungerechtigfeiten wurden von den Katholifen mit Hartnädigkeit 
verfochten. Dabei betradjtete die römifche Kirche jenen Frieden nur als 
einen Waffenftillftand, war weit entfernt dem Proteftantismus, was er 
errungen, laſſen zu wollen, fondern rüftete fid) zum entſcheidenden Kampfe. 
Als gewandten Vorkämpfer ſchickte fie den Zefuitenorden ins Feld. Diefe 
geiftliche Gejellfchaft, deren Gedanke, obgleich in einem fpanifchen Gehirn 
ausgebrütet und von italienifcher Arglift großgezogen, doch auch der 
deutſchen Einfalt zu imponiren vermochte, hatte ſich frühzeitig in Baiern 
eingeniftet und begann gegen das Ende des fechzehnten Jahrhunderts von 
hier aus über Deutfchland ihre unheilvolle Wirkſamkeit zu breiten, eine 
Birkfamteit, die der katholiſchen Kirche eben fo große Erfolge, wie ſchwere 
Schuld gebracht hat. Denn ihr Zweck, Roms Weltherrihaft durch offene 
und heimliche Bekehrungen als Prediger und als Jugendlehrer wieber- 
herzuftellen, heiligte den Jüngern Loyolas aud) das unfittlichite Mittel. 
Überall in Süddeutſchland bearbeiteten fie die Maſſen, verführten und 
verpefteten mit ihrer Moral die Mächtigen, fäeten Unfrieben, feheuten 
kein Verbrechen. Sie waren e8, die das Teuer des Fanatismus, das in 
ben Gemütern brannte, zur Glut des Wahnfinns ſchürten; ihre Schüler, 
die Habsburger und die bairifchen Wittelsbacher waren es, die mın dag 
ganze blühende Reich, in jammervollen Brand ſteckten. 

Aber daß dieſe Dynaften es vermochten, daß fie dem deutſchen 
Proteſtantismus und allen Intereſſen des deutſchen Waterlandes tiefe, 
faft unheilbare Wunden ſchlagen konnten, war die Schuld der Evan- 
geliſchen felber. Denn während die fatholifhe Partei feſt zufammenhielt 
und in einem wohleingerichteten Qereine, der „Liga” unter der Mugen 
Leitung des Zefuitenfreundes Herzog Mar von Baiern, eine ftarfe Militär- 
macht bildete, blieben die Proteftanten uneinig und unthätig. Gerade ihre 
mächtigften Fürften, die von Kurbrandenburg und Kurſachſen, fahen es 
ruhig mit an, wie der Krieg, der 1618 in Böhmen anhob, raſch zum 
Unheil für die gemeinſame Sache ausſchlug. War es doch gerade Die 
Stimme Kurſachſens, die 1619 bei der Kaiferwahl die Entſcheidung gab 
und dem Habsburger Ferdinand II., dem fanatifchen Papiften, die Krone 
Deutſchlands und dadurch die Mittel zur Bezwingung der proteſtantiſchen 
Böhmen verfchaffte. So erreichte der lutheriſche Kurfürft allerdings, daß 
Böhmen nicht „dent Kalvinismus in den Rachen fuhr“; aber dafür fuhr 
& nun dem Papfttum in den Rachen, und manch Iutherifches Land 
mußte mitfahren. 

War Hans Georg von Sachſen ein Verräter aus Dummheit und 
Unduldfamteit, fo legte Georg Wilhelm von Brandenburg die Hände 


118 Der breibigjährige Krieg. 


aus bloßer Schlaffheit und Unentfchloffenheit in den Schoß. Diefer un- 
würdige Sproß eines tüchtigen Stamntes hatte 1619 nad) feines Vaters _ 
Johann Sigismunds Tode den Kurhut erhalten, er trug ihn zu feinem 
und feines Landes Unglück. Es half dem fehwachen Manne nichts, daß 
er fi) ſtill gehalten, als fein Schwager Friedrich V. von der Pfalz das 
Königreich Böhmen in der Schlacht am weißen Berge bei Prag (1620) 
verlor; daß er ruhig geblieben, als der Kaifer dann in Böhmen und in 
feinen übrigen Erbländern den Proteftantismus zu Boden ſchlug; daß er 
ſtill gefeffen, als Ferdinand nunmehr den Krieg in dag Reid) trug und 
durch Tillys Feldherrnkunft die Meinen Fürften, die fühn der gemeinfamen 
Sache beijprangen, bezwang und Süd- und Mittel-Deutfchland unter 
jochte; — es half ihm nicht einmal, daß er feine dynaſtiſchen Interefſen 
verlegen laffen und ſich mit Worten begnügt hatte, als der Kaiſer (1622) 
das Herzogtum Zägerndorf, weil deſſen Befiber, des Kurfürften Oheim 
Johann Georg, dem Böhmenkönig treu gemwefen, einzog und einem 
Fremden, dem Grafen von Lichtenftein gab; nichts half ihm Dies alles — 
feine Varteilofigfeit z0g ihm nur Schläge von allen Geiten zu. Er mußte 
fi) feinen andern Rat als davon zu gehen; er fiebelte nach Preußen 
über, wo er fand, was er am meiften liebte, ungeftörte Muße, gute Leibes 
Nahrung und Notdurft und veicjliches Jagdvergnügen. Dort gab e8 da» 
mals einen wahrhaft urwalblichen Wildftand. Hatte doc des Kurfürfter 
Vorgänger im Jahre 1612 bei einer großen Jagd im Amt Neuhaufer 
8 Anerochjen, 45 Elenne, 10 Bären, 79 Wölfe, 11 Eher, 32 Bachen, 
77 Friſchlinge, 76 Hirfche, darunter einen Sechsundzwanzigender, erlegt! 
In dieſes Eldorado zog fid) alſo Georg Wilhelm zurücd und pflog ab- 
wechſelnd der Ruhe beim vollen Becher und des edeln Waibwerks. 
Unterbefien braufte (1626) der Kriegsfturm aud) über Nord-Deutſch-⸗ 
land Hin, und vor Tillys ligiſtiſchen, Wallenfteins kaiſerlichen Horben 
brachen die legten Wehre der Proteftanten wie Halme. Die einzigen, die 
noch den Mut zum Widerftande gehabt, die niederſächſiſchen Stände 
jamt ihrem Führer, dem Dänenkönige, erlagen in der Schlacht bei Lutter 
am Barenberge, und mın war Ferdinand IT. im beutfchen Reiche ber 
Herr und Meifter. Wenn er wollte, jo konnte er jept feine kaiſerliche 
Pflicht erfüllen und dem Vaterlande den Frieden geben; alle Helfer und 
GSenofien des Böhmenkönigs Friedrich von der Pfalz, — Ernſt von 
Mansfeld, Georg von Durlach, Chriftion von Braunſchweig, Chriftian 
von Dänemark — waren ja wie jener felbft befiegt. Aber wenig küm⸗ 
merte es die Herren in Wien, daß im Reich die Kriegsfurie Voll und 
Fürften zur Verzweiflung brachte, daß der eiferne Arm einer vertierten 
Soldatesfa der Nation das lebte Mark auspreßte; konnte man doch 
hoffen, durch jene Heuſchreckenſchwärme bewaffneter Blutjauger der katho— 
liſchen Kirche umdb dem Haufe Habsburg zu unumfchränkter Herrichaft 


Stralſund. 119 


über ganz Deutſchland zu verhelfen. So fuhren denn die Wallenſteiner 
fort, als die gefürchteten Luftigen Herren der Welt das Land zu ruiniren, 
praßten und fehwelgten, raubten und mordeten, hauften wie Türken und 
Zataren, in Feindes- und in Freundesland. 

Auch in der Mark; fie büßte entjeglic für die Unfähigfeit ihres 
Fürften; freilich zugleich für ihre eigene Sünde. Denn die Stände ge- 
mährten dem Landesherrn nicht die Mittel ein hinreichendes Soldheer 
zu unterhalten, und Georg Wilhelm legte zwar nad) dem Sprüchwort 
„Not kennt fein Gebot” doch Steuern auf und warb Söldner, aber nicht 
fo viel, um die Grenzen wirklich, wie er wünſchte, gegen jedermann 
ſchützen zu können. Nachher famen dann die Dänen oder die Mans— 
feldifhen oder die Kaiferlichen und erpreßten das hundertfache. Die 
Mark berechnete ſchon 1630 den Schaden, den fie bloß an Abgaben und 
Leiftungen für das fremde Kriegsvolk erlitten, auf 20 Millionen Thaler! 
Es ging hier wie damals faft überall in Deutſchland. Obgleich) die alte 
Volksbewaffnung in Verfall geraten und die Sitte aufgefommen war, die 
Landesfehden durch Mietlinge ausfechten zu laffen, obgleich nicht mehr 
das wehrhafte Volt — der Adel mit feinen Knechten, die Bürgerſchaft 
mit ihren Geſellen — fampfesfroh und wohlgerüftet ins Feld zog, fondern 
Landsknechte, die gerade fo lange treu biteben, als der Sold pünktlich 
gezahlt wurde, und die immer den wehrlofen Unterthan ärger plagten als 
den Feind, fo fehlte es doch den Ständen an dem rechten Gemeinſinn 
und der opferfreudigen Thatkraft, um den letzten Grofchen zu einer ordent⸗ 
lichen Verteidigung des Landes herzugeben. Keine wahre Vertretung des 
Volks, fondern nur der Benorrechteten, feilfchten fie mit dem Landesheren 
und bewilligten in der Regel zu fpät oder zu wenig. Unfähige Fürften, 
engherzige Stände und Bepölferungen, die fid) felbft zu verteidigen weder 
Kraft noch Mut mehr hatten, das waren mit wenigen Ausnahmen bie 
Gegner, die des Kaiſers Macht vor fich hatte. 

Was deutiche Gemeinwefen, wenn in ihnen alle für einen und einer 
für alle eintraten, jelbft in dieſer Unglücszeit noch vermodjten, davon 
gab doch eben Straljund ein herrliches Beifpiel. Diefe einzelne Stadt 
wagte, wovor fo viele Fürſten zurücbebten: fie bot dem Friedländer 
Trotz. Meifter aller Dftfeefüften von ber Nordipige Jütlands bis zur 
Weichſel und vom Kaifer zum „Admiral des oceanifch«baltifchen Meeres" 
ernannt, damit er dem Haufe Habsburg auch nod die Herrfchaft zur 
See erobere, erfah ſich Wallenftein die freie Reichs- und alte Hanfeftadt 
Stralfund zum Stüßpunft für feine hochfliegenden Pläne; er gebot ihr, 
fein Kriegsvolf aufzunehmen. Aber die Bürgermeifter und Worthalter 
der Stadt — Steinwig, Goſen, Hafert, Koch hießen die Ehrenmänner — 
entflammten ben Mut des Volkes, und fo fehworen Rat und Bürger 
insgeſamt auf das Evangelium, treu bei ihrem Glauben zu bleiben und 


120 Der dreißigjährige Krieg. 


für Recht und Freiheit den legten Blutstropfen zu verfprigen, und als 
nun (am 23. Mai 1628) die Wallenfteiner vor den Mauern erjchienen, 
ſchlugen fie, verjtärft durd) 6000 ſchottiſche Söldner, welche die Könige 
don Dänemark und von Schweden zu Hilfe gefchiekt, Wochen lang Sturm 
auf Sturm ab. „Und wäre Stralfund mit Ketten an den Himmel ge- 
bunden, fo müßte es herunter“, rief der Friebländer in wilden Zorn; 
aber vergebens opferte er feine Rotten. Dagegen erſchien den Belagerten 
zum Entſatz am 20. Zuli die dänische Flotte in den Gewäſſern von 
Rügen, und auch von Schweden war neue Hilfe nahe. Der See nicht 
mãchtig, entſchloß fi) Wallenftein die Belagerung aufzuheben*); am 
2. Auguft zogen feine Scharen von Stralfund ab; zum erften Male war 
fein Wille gefcheitert. 

Indefien Stralfunds erfolgreicher Heldenmut war aud) der einzige 
Lichtblick, der damals in den Abgrund von Unglüc fiel, welcher das 
deutfche Volt auf ewig zu verfchlingen fchien. Überall anderwärts zer- 
traten ihm die Tatferlichen Kriegsknechte Wohlftand und Freiheit, Recht 
und Ehre, rotteten ihm die katholiſchen Priefter, die Jeſuiten voran, 
wohin fie unter dem Schuß der Soldaten reichten, den evangelifchen 
Gottesdienft aus, dem feine weit überwiegende Mehrzahl anhing. In den 
habsburgifchen Erblanden geſchah das Katholifhmachen im großen; in 
Schleſien z. B. erwarb ſich ein Graf Dohna mit feinem Regiment einen 
berüchtigten Namen als „Seligmacher" ; er legte den Proteftanten Sol 
daten ins Haus, die den Wirt und feine Familie jo lange mißhandelten, 
bis die Unglücklichen ihrer Religion abfagten und katholiſch wurden. 
Doc) ließen viele lieber Haus und Hof im Stich umd gingen für ihren 
Slauben ins Elend. 15000 ‚Einwohner zählte die Stadt Lömwenberg, 
als die Schreckenskunde kam, die Faiferlichen Soldaten und Mönche 
rücten an; da wanderte die ganze Gemeinde aus; die Seligmadjer fanden. 
nur nod) 24 Bürger vor. So ging es an vielen Orten. 

Aber um dieſe Erfolge zu ſichern, die Herſtellung des tatholiſchen 
Weſens auch im Reiche für alle Zeit zu befiegeln, erließ Ferdinand IL 
ein Geſetz, welches mit einem Federzuge einen ſehr großen Teil des pro> 
teftantifchen Mittel- und Nord-Deutjchland der katholiſchen Kirche zu 
ſprach; fein „Reftitutiong-Edift“ (1629) befahl auf Grund des geiftlichen 
Vorbehalts, daß die feit 1552 proteftantijch geworbenen Stifter, alſo 
namentlich Magdeburg, Bremen, Minden, Halberftadt, Verben, Lübeck, 
Brandenburg, Havelberg, Lebus, Kamin, Meißen, Merjeburg, Naumburg, 
wieder Tatholifch würden; aud) jollten die katholiſchen Landesherren das 
Recht haben, ihre andersgläubigen Unterthanen zur Annahme des Kathor 
lizismus zu zwingen; endlich follten die Reformirten vom Religiongfrieden 


98. 0. Hanke, Wallenftein S. 129. 





Das Reſtitutions · Edilt. 121 


ausgeſchloſſen bleiben. Mit der Vollſtreckung dieſes Machtgebots beauf⸗ 
tragte Ferdinand die 100000 Mamn, die ihm Wallenſtein auf Deutjch- 
lands Koften hielt, und die Truppen, welche unter Tilly der Liga ge- 
horchten. Da fanf in mandjer altehrwürdigen Stadt, die fo unglücklich 
war, einjt unter einem Biſchof geftanden zu haben, der legte Reft ehe 
maliger Größe; die Soldaten zerftörten ihren Wohlftand und ihre Freiheit, 
die Pfaffen ihren Glauben. Wieder war's unter fo vielen nur eine, die 
mutig fid) des Jochs erwehrte: Magdeburg hielt ein halbes Jahr lang 
den Wallenfteinfchen ftand; im September 1629 mußte das kaiſerliche 
Kriegsvolf von ihren Mauern unverrichteter Sadje wieder abziehen. 

Aber die Proteftanten im ganzen und großen Tonnten fi) aud) jetzt 
nicht zu einmütigem Widerftande aufraffen, wenn der Nation im fol- 
genden Jahre wenigftens ein Teil ihrer Laſt, der Faiferliche Feldherr und 
die größere Hälfte des Taiferlichen Heeres, abgenommen wurde, ſo geſchah 
dies durch das Zufammenwirken fehr verſchiedener Kräfte: Papft und 
Liga wie die Evangelifchen, das Ausland wie das beutfche Volt, alle 
jahen das ungeheure Wachstum ber habsburgifchen Herrſchaft mit Ber 
forgnis und forderten daher auf dem Kurfürftentage zu Regensburg 1630 
die Abjegung des gewaltigen Mannes, defien Schultern die Faiferliche 
Macht ftügten. Yerdinand II. hörte wenig auf die jammernden Klagen, 
die Deutſchlands Elend malten und einen Stein hätten rühren mögen: 
wie die Kriegsleute dem Volk durch Folterqualen im eigentlichen Sinne 
des Worts den Ießten Heller abpreßten, wie fie fehwelgten, während 
Bürger und Bauer verhungerten, wie fie alle erdenklichen Greuel bei Tag 
und Nacht verübten, Städte und Dörfer verbrannten, die Männer aus 
Übermut marterten, die Frauen notzüchtigten, Unzählige verftümmelten 
und mordeten, wie bereit8 ganze Landſchaften veröbet und das Volk in 
fo ſcheußliche Vertierung gejunten fei, daß an manchen Orten die Men- 
ſchen vor Hunger einander wie Kannibalen aufgefrefien. Alles das war 
an Ferdinand II. verloren, es geſchah ja „zur Ehre Gottes" und zum 
Nutzen Habsburgs. Als aber aud) feine Beichtväter, die ganz richtig bei 
Ballenftein felbftfüchtige Hintergebanfen politiſcher Art gewittert, auf die 
Abfegung des Übermäcjtigen drangen, da gab der Kaiſer nach, entlief feinen 
Feldherrn ımd verringerte fein Heer. Dennoch war für die Evangeliſchen 
damit nur wenig gewonnen; denn Tilly, jetzt auch kaiſerlicher Generaliffi- 
mus, vereinigte unter feinem Befehl doch noch 70.000 Faiferliche und 
ligiſtiſche Soldaten, bei der fchlechten Verfafſung der proteftantifchen 
Stände eine mehr als genügende Streitmacht, um den Willen der Katho— 
liſchen auch ferner durchzufeßen. 

Aber ſchon war der Netter auf deutſchem Boden erſchienen, der 
Auge und fromme Held, der die evangeliſche Sache wieder aufrichten 
ſollte. Am 6. Juli 1630 war der Schwebentönig Guſtav Adolf auf 


122 Der breibigjährige Krieg. 


der Inſel Ufedom in Pommern gelandet. Hier vertrieb er raſch bie 
Kaiferlichen, fäuberte von ihnen auch die Nachbarinjel Wollin und bes 
berrfchte nun die Odermündungen, bereit, feinen Befreiungszug in das 
Reid) anzutreten. Er brachte nur ein Heines Heer mit, 15000 Mann, 
teils Schweden, teils gemorbene Schotten und Deutfche; aber in ſich das, 
was allein den deutſchen Proteftanten fehlte, einen tüchtigen Yührer. 
Guſtav Adolf ftand damals in der Blüte feiner Kraft, er war 36 Jahre 
alt, eine hohe Heldengeftalt, mit breiter Stirn, Adlernafe und rollenden 
blauen Augen; ein Feldherr vol großartiger Entwürfe und kühner Thate 
traft, bereits vielfach erprobt in fiegreichen Kämpfen mit Dänemark, 
Polen und Rußland. Seinen unglüdlichen Glaubensbrüdern in Deutich- 
land beizuftehen trieb ihn zunächſt freilich ein politifcher Beweggrund*): 
er wollte die deutjchen DOftjeefüften dem Kaifer entreißen, um Schweden 
in den Beſitz ber Herrfchaft über das baltifche Meer und deſſen Anlande 
zu bringen. Aber mit diefem Ehrgeiz parte ſich ein reges Mitgefühl für 
das Leid der unterdrücten Religionsverwandten. Der Vorteil Schwedens 
ließ ihn das Schwert ziehen; er ſchwang. es deſto freudiger, weil er zu⸗ 
gleich) der Sadje des Evangeliums dienen konnte. Sie adelte feine Waffen. 
Welch ein feltener Geift der Frömmigkeit und des Gottvertrauens erfüllte 
ihn und fein Heer! So lange er lebte, waren feine Schweden ebenfo 
rechtſchaffene wie tapfere Soldaten. Wie ehrenmwert zeichnete ſich fein 
Kriegslager vor dem wüften, wilden Treiben der kaiſerlichen Mordbrenner- 
banden aus, die er zu befämpfen Fam! Bürger und Bauern ftaunten, 
da fie fahen, daß die Schwediſchen ehrlich bezahlten, was fie brauchten, 
daß fie niemanden ſchunden und placten, daß jedes Regiment täglich 
feine Morgen- und Abendandacht verrichtete, daß mit einem Wort unter 
Guſtav Adolfs Bannern chriftliche Mannszucht herrſchte. Und er felbft, 
wie leutfelig gegen ben Geringften, er, der furchtbare Krieger, wie mild 
außer der Schladht! Mit ſtürmiſchem Jubel nahm ihn überall das 
evangelifche Volk auf. 

Nicht jo defien bebeutendfte Fürften; fie zitterten vor der Macht 
des Kaifers, und in dem Helfer fürchteten fie den Herm. Die Kurfüriten 
von Sachſen und Brandenburg hätten am liebften eine bemaffnete 
Neutralität gehalten, zu ber fie doch bei weitem nicht die Mittel hatten, 
am wenigften die geiftigen. Sie follten ſich entſcheiden: für den Kaiſer 
oder für die Schweden? Aber dort wie hier fahen fie für ſich felbit 
Gefahr und Nachteil voraus. Und Georg Wilhelm hatte noch einen 
befonderen Grund, wenn er zögerte, den Schweden fein Land zu öffnen; 
denn dieſe erhoben den Anfprud), Pommern, welches fie den Kaiferlichen 
raſch abgenommen, dauernd zu behalten, verlegten aljo bereits Branden- 
burgs Intereſſe. 

*) Bal. G. Droyfen, Guftad Molf, Leipzig 1870. 


Herftörung Magdeburgs. 123 


Während fi) nun Guſtav Adolf damit aufhielt, den Kurfürften 
Georg Wilhelm, der fein Schwager war, zu bereben, baß er ihm die 
Feftung Spandau als Rüchalt einräume, dann, als dies endlich erreicht 
war, durd) ähnliche Verhandlungen mit Sachſen die eit verlor, traf die 
evangelif—hen Deutfchen ein Schlag, der die Notwendigkeit der fremden 
Hilfe aud) ihren Fürften ins hellſte Licht ſetzte: Magdeburg, das treue, 
ehrenreiche, das letzte Bollwerk der deutjchen Proteftanten fiel. Diefe 
Stadt hatte im Vertrauen auf den Beiftand, den ihr der Schwedenkönig 
verhieß, ſich ftandhaft dem Reſtitutions⸗Edikt widerſetzt, hatte ftatt des 
tatholiſchen Erzherzogs Leopold den proteftantiichen Markgrafen Chriftian 
Wilhelm (Oheim des Kurfürften von Brandenburg) als Stiftsverwalter 
aufgenommen und wochenlang ſich mit einer Bejakung von 5000 Bürs 
gern und 2300 Sölbnern, die der ſchwediſche Oberft v. Falkenberg be 
fehligte, gegen ein Heer von 30000 Ligiften und Kaiſerlichen unter Tilly 
und Pappenheim gehalten. Aber das Mikverhältnis der Kräfte war zu 
groß, es begann auch am Pulver zu fehlen, und die Hilfe von Schweden⸗ 
tönig, auf die Falkenberg immerfort vertröftete, fam nicht. So blieb 
nur Ergebung übrig oder Untergang. Ergebung an Tilly aber war 
gleichbedeutend mit Verluſt beides, der politifchen und der Glaubens- 
freiheit. Darım behielt in der Stadt die Partei, die es zum äußerſten 
kommen lafſen wollte, die Oberhand, und Magdeburgs Geſchick erfüllte fich.*) 

Es war am Dienstag den 20. Mai 1631 zwifchen 6 und 7 Uhr 
Morgens, — Beſatzung und Bürgerjhaft der Stadt hatten fi, da die 
Nacht und der Frühmorgen fill vergangen waren, für Diesmal Feines 
Überfalls gewärtig, dem Schlafe oder forglojer Ruhe hingegeben. Diejen 
Augenblid hatte Tilly berechnet. Unvermerkt ließ er durch Pappenheim 
die Sturmleitern anlegen; raſch und kühn führte diefer den Handftreid) 
aus. Faft ohne Gegenwehr wurden die ſchlaftrunkenen Wachen auf den 
Mauern niedergemadht, während zugleich ein Haufe Kroaten durd) das 
Fiſcherthor in die Stadt drang. Da erſcholl die Sturmglode. Es war 
zu fpät. Oberft Falfenberg warf fi) mit denen, die er in der Eile ges 
fammelt, tapfer dem Feinde entgegen; eine Stunde lang währte ber hef⸗ 
tigfte Straßenfampf; aber immer ftärfer wogten die Kaiferlichen durch 
die eroberten Thore herein, Falkenberg fiel, ohne Einheit hie und ba 
tämpfend erlagen bie Bürger der Übermadht. Um 9 Uhr gelte rings 
der Kaiferlichen Freudengefchrei: „all gewonnen! all gewonnen!" Wie 
werm ein ganzes Heer von Tigern Iosgelafien wäre, fo ftürzten biefe 
30000 Barbaren — Kroaten, Ungarn, Italiener, Niederländer und 
Deutſche — alle mit gleicher Gier, von Wein erhibt, fanatifchen Reli» 
gionshaß ſchnaubend und durch den verzweifelten Wiberftand der Magdes 


*) Bot. Wittich, Magdeburg, Guftav Abolf und Kill, Berlin 1874, I. 139 ff. 


" 124 Der dreißigfährige Krieg. 


burger zu wütender Rachſucht entflammt, über die unglücklichen Einwohner 
ber, fchoffen und hieben, verftümmelten und prügelten; da ward weder 
jung nod) alt, weder Kinder noch Weiber, weber der Schwangeren oder 
Wöchnerinnen nod) der Säuglinge gefchont. Hatten fie nicht von ihren 
Mönchen und Pfaffen gelernt, daß verfluchten Ketzern kein Erbarmen ge— 
- bühre? Go fäbelten die Tillyſchen in der Katharinenfirche 53 Menſchen, 
meift Frauen, die mit gefalteten Händen um ihr Leben baten, nieder, 
zerftücten in der Johanniskirche Säuglinge, zerhieben die Mütter. Mit 
der Mordfucht zugleich feierten die anderen Lüfte, viehijche Wolluft, 
Raubſucht und Wöllerei, ihre hölliſchen Feſte. Jedes Haus ward ger 
plündert, die Frauen und Mädchen geſchändet, dann ermordet oder zu 
neuer Mißhandlung verfauft. Da ftürzten fid) viele, ihre Ehre zu retten, 
in die Elbe oder überließen fich unter den Dächern dem Feuer, das, von 
verzweifelten Bürgern angelegt, feit 11 Uhr Mittags raſch Straße auf 
Straße ergriff. Es war barmberziger als die Soldatesfa, der Tilly dreis 
tägige Plünderung verſprochen, und deren ſcheußlichem Wüten nun ver- 
geben hie und da ein menſchlich gefinnter Offizier zu fteuern verfuchte. 
Zwölf Stunden lang rafte um’ Mord und Schändung der Brand; dann 
war's vollendet. Mit den Häufern ſank das Rathaus, ſanken ſechs 
Pfarrkirchen, fanken die Thore, Türme und Brüden in Schutt und Aſche. 

Da lag nun Magdeburg, nachdem es 700 Jahre geblüht, geftern 
noch eine der fhönften, reichten Städte Deutſchlands, jetzt ein rauchender 
Zrümmerhaufen. Von insgefamt 723*) Häufern blieben nur 139 Häufer 
nebft dem Dom und dem Klofter Unferer-Lieben-Frauen vom Feuer ver- 
ſchont. Die Menſchen aber, die dem Gemepel entgangen waren, mußten 
um ſchweres Löfegeld ihr Leben erfaufen; doch erlitten aud) fie noch viel 
Übles, befonders die Frauen und Mädchen, deren viele im Lager zu Tode 
gemißhandelt wurden. Diejenigen Gefangenen, die fid) nicht auslöfen 
Tonnten, wurden von den Soldaten niedergehauen oder verfauft; im 
Halberftabt kamen ſechs Wagen voll Kleiner, elternlofer Kinder auf den 
Markt; viele davon ſteckten die Kaiferlichen in Klöfter, um fie katholiſch 
zu madhen. Noch drei Tage lang trieben die Soldaten. mit Aus- 
ſchweifungen aller Art auf den Trümmern der Stadt ihr Weſen, feierten, 
wie fie es fred) nannten, die „magdeburger Hochzeit". Am 24ften endlich 
30g Tilly die Truppen heraus und begnadigte die noch etwa hie und 
da verftecten Einwohner; e8 waren nicht mehr viele; von 36000 Men- 
ſchen, Einheimifhen und Hereingeflüchteten, die Magdeburg beherbergt 
hatte, waren 26000 umgefommen. Über 6000 Tote wurden von ben 
Kaiferlichen in die Elbe geworfen, bis der Fluß fi) an dem Leichen: 
damm ftaute. Sonntags aber den 25. Mai feierte Tilly auf dem Un- 


*) ©. Geiälätsblätter für Stadt und Land Magdeburg XI (1876). 


Der breißigjährige Krieg. 125 


glüdsort, der einft Magdeburg war, ein großes Siegesfeft; ein Triumph» 
feft zugleich der Tatholifchen Kirche, der zu Ehren Magdeburg in Marien- 
burg umgetauft ward. Da jah man den alten, grimmen eldherrn, die 
unheimliche Geftalt, Hein und mager, mit breiter, runzliger Stim unter 
dem irren, grauen Har, mit finftern Augen, langer Nafe und Kinn, 
ſpitzem Knebelbart, angethan mit einen grünen Atlaswams, auf dem 
Haupt einen Meinen Hut mit langer, roter Feder, die Hände auf der 
Bruft gefaltet, auf der er immer eine gemeihte Hoftie trug, fi) an dem 
Pomp feiner Kirche erlaben, der er fo inbrünftig ergeben war. Da 
fangen die Mönche und die bluttriefenden Henkersknechte des Habsburgers 
ihr Tedeum, ſchwenkten die Priefter über den qualmenden Leichenhaufen 
ihre Weihrauchfäffer. „Seit Jeruſalems und Trojas Berftörung fei feine 
größere Viktoria erfahren und erhört worden“, meldete man frohlodend 
nad Münden und Wien. 

Aber es war nur ein Trümmerhaufen, was Tilly gewonnen, und 
nod) ftärfer als das Entfegen war bei den Proteftanten die Erbitterung. 
Neu aufflanmte jet der Aufftand wider die kaiſerliche Tyrannei. Zuerſt 
in Heflen, wo ein herzhafter Fürft, Landgraf Wilhelm, die Fahne erhob; 
dann in Weimar, in Mecklenburg. Kurſachſen ermannte ſich wenigfteng 
zu haftigen Rüftungen. 

Guſtav Adolf aber faßte jet den ſchwankenden Kurfürften von 
Brandenburg, den fein öfterreichifch gefinnter Minifter Graf Adam vom 
Schwarzenberg übel beraten, fefter an umd zwang ihn (21. Juni 1631) 
zur Verteidigung der gemeinfamen Sache mit ihm ein Bündnis abzu- 
ſchließen, kraft defien jener den Schweden Spandau und Küftrin öffnete 
und monatlih 30000 Thaler Hilfsgelder zahlte, auch die wenigen 
Truppen, die er beſaß, zu des Königs Heer ftoßen ließ. Darauf fäuberte 
Guſtav Adolf die Altmark vom Feinde und rückte nad) Sachſen, deſſen 
Kurfürft, von Tilly hart bebrängt, jetzt ſelbſt die Schweden um Hilfe 
anflehte. Sie fam; bei Breitenfeld (nördlich von Leipzig) erbleichte der 
Stern des Kaiſers; die Tapferkeit der Schweben und die Kriegskunſt 
ihres Königs errangen über Tilly ımd Pappenheim den Sieg (am 
17. September 1631). Vom Jubel des befreiten Volkes umjauchzt, zog 

Guſtav Adolf triumphirend durch Thüringen und Franken dem Rheine 
zu, während Herzog Bernhard von Weimar ihm die Faiferlihen Scharen 
in Weftfalen verjagte und General Arnim mit ſächfiſchen und märkiſchen 
Truppen in Böhmen einfiel, dann Schlefien befreite. 

Aur einer Tonnte den Kaifer retten, Wallenftein, der ſchnöd' ent 
laſſene; und unter Bedingungen, die ihn Ferdinand L. faft zum Mitkaiſer 
machten, willigte er ein, dem Haufe Ofterreich zu helfen. Raſch hatte er 
ein ſtarkes Heer zufammengeworben, und nachdem Tilly im Frühling 1632 
beim fruchtlofen Bemühen Baiern zu verteidigen gefallen war, ſah auch 


126 . Der dreißigiahrige Krieg. 


die zerſprengte Liga in Wallenſtein ihren einzigen Hort. Er ließ ſeine 
alten Widerſacher doch einige Zeit vergebens bitten; dann zog er den 
Schwedenkönig durch geſchickte Stellungen und Märſche von Süddeutſch- 
land ab nach Sachſen; hier (bei Lützen am 16. November 1632), maßen fi) 
beide große Gegner im Entſcheidungskampfe. Wallenftein verlor das 
Spiel, verlor auch feinen beften General, Bappenheim; aber den Schweden 
koſtete der Sieg ihren König. Der Schade für die, evangelifhe Sache 
war groß; das Bündnis, defien Haupt Guftan Adolf geweſen war, fiel 
jest auseinander. Nur die Heineren proteftantifchen Reichsftände hielten 
feſt an den Schweden, deren Kanzler Arel Orenftierna nun die gemein- 
famen Angelegenheiten leitete. Dagegen die beiden Kurfürften fielen ab. 
Der Kaiſer gab nad), daß das Reftitutionseditt — zunächſt auf 40 Jahre 
— außer Wirffamfeit geſetzt wurde, trat an den Kurfürften von Sachſen 
die Laufig ab und erteilte dem Kurfürften von Brandenburg das Ver- 
fprechen, daß er in feinem Erbrecht auf Pommern geſchützt werben folle; 
dafür verband fi) Sachſen mit ihm (im prager Trieben 1635) zur Ver- 
treibung der Schweden, und auch Brandenburg ſchloß fi ihm dann an. 

Deutichlands Elend ftieg nun auf eine grauenhafte Höhe. Denn das 
Haus Habsburg, von der Gefahr, die ihm Wallenfteins übermäßige Macht 
bereiten Tonnte, durch defien Ermordung (1634) befreit und nad) dem 
Prager Frieden wieder ftark wie einft, ſchien jeßt feinem alten Nebenbuhler, 
Frankreich, fo gefährlich, daß deſſen großer Minifter Richelieu ihm offen 
den Krieg erflärte. Außer den ſchwediſchen, Taiferlichen, ſtändiſchen Werbe 
trommeln wirbelten nun auch franzöftiche im Reiche, und die verwilderten 
Deutichen, denen ſchon nichts mehr übrig blieb, als zum Nußen ber 
Fremden und der Jeſuiten ihr eigenes Volt zu ſchinden ober ſelbſt ge- 
ſchunden zu werben, ftellten ſich ſcharenweiſe zu jedweder Fahne; fie 
mußten Bettler und Sklaven fein oder Henker und Folterknechte. Denn 
es war längft fein rechtſchaffener Krieg mehr, fondern ein Wetteifer im 
bewaffneten Freveln. Auch die Schweden thaten es feit Guſtav Adolfs 
Tode den andern an viehijcher Roheit und barbariicher Graufamteit 
gleich. Welche Greuel wurden verübt! Wie hauften Ferdinands Truppen 
3. B. in Schlefien! Als fie 1633 dort wieder eindrangen, gab es feine 
Dual, die fie den unglüdlichen Einwohnern nicht angethan hätten. Um 
ihnen Geld abzuprefien, das bei den meiften gar nicht mehr vorhanden 
war, ſchnitten fie lebendigen Menjchen Riemen aus der Haut, die Fuß- 
fohlen auf, Naſen und Ohren ab, hingen fie bei den Füßen auf, machten 
Feuer unter ihnen an, füllten ihnen Miſtjauche (den ſogenannten ſchwedi— 
ſchen Trank) in den Hals, ftachen ihnen die Augen aus, ftedten bren- 
nenden Kien und Schwefel unter die Nägel, fchnitten den rauen bie 
Brüfte ab, zerſchmetterten Kinder an den Wänden, ſchändeten Frauen 
and Zungfrauen, felbft auf Kirchhöfen und in Kirchen, zu Tode, — und 


Der dreibigjährige Krieg. 127 


fo thaten nicht bloß die kaiſerlichen Soldaten, ſondern aud) ihre Oberſten, 
namentlich Piccolomini. Dazu erzeugte dag Kriegselend Hungersnot und 
Peſt; die Leichen lagen zulegt haufenweife auf den Gaflen, die Stadt 
Ohlau ftarb gar bis auf 20 Bürger aus, in Priebus blieben mur 
7 Männer und 30 Witwen übrig. Der Hunger trieb an manchen 
Drten fogar zur Menfchenfrefierei. In Schlefien gingen ganze Banden 
von Bauern auf die Menſchenjagd; ein Führer derjelben, genannt Mel- 
chior der Schüß, foll mit eigener Hand 500 Menjchen, meift Soldaten 
erlegt und mit feinen Genoſſen verzehrt haben. Wie in Schlefien fo ging 
«3 in den meiften deutjchen Landen zu. Denn mit gleicher Verheerung 
bauften die Kaiferlichen in Pommern und den Marken, die Schweden in 
Sachſen, die Franzofen und, als Bundesgenofien des Kaifers, die Spanier 
im weftlihen Deutſchland. Es machte wenig Unterichied, ob das Kriegs- 
vol in Freundes oder Feindes Land kam; die Behandlung der Ein- 
wohner war überall ziemlich diefelbe. So wurde Deutihland, das vor- 
dem fo mächtige, blühende, in ein Leichenfeld voll Trümmerhaufen und 
Mörderhöhlen verwandelt. Durch diefen grauenvollen Krieg, den ber 
Fanatismus und die Herrichfucht Yerdinands II. jo großgezogen, waren 
bereit8 im Jahre 1637, als diefer Völferverderber ftarb, an zehn Mil- 
lionen Menſchen umgelommen. 

Und noch war das Ende nicht abzuſehen. In feinen letzten Lebens⸗ 
jahren hatte Ferdinand IL, der Not gehorchend, endlich den guten Willen 
gezeigt, Deutichland den Frieden zu geben. Auch fein Nachfolger, Fer⸗ 
dinand III., hätte fi) gern mit den Ständen des Reichs geeinigt; aber 
& war nun ſehr ſchwer, Die Fremden, die feit jo langer Zeit in Deutſch⸗ 
land die Herren fpielten, ohne zu große Opfer wieder 108 zu werden; 
die Verhandlungen rückten nicht von der Stelle; noch Zahre lang dauerte 
der unfelige Krieg. 


Drittes Bud. 


Eriedrich Wilyelm der große Anrfürf, 


& war eine jammervolle Erbſchaft, die Georg Wilhelm hinterließ, als 
ihn endlich (am 1. Dezember 1640 zu Königsberg) der Tod befeitigte. 
„Freund und Feind" — fo Hagte der Stadtrat von Berlin — „hätten 
das Land zur Wüfte gemacht; die es ſchützen follten, die Offiziere, ließen 
fi ſchwere Summen zahlen, lebten Herrlich, ohne die Mannſchaft zu be- 
zahlen, für welche fie den Gold zögen, während die @emeinen ver- 
hungerten ober fortliefen. Vor den Furfürftlichen Reitern fei fein Stüd 
Vieh, ja fein Menſch fiher, weshalb der Aderbau gar nicht mehr betrieben 
werden könne. Alle Gefchäfte und Nahrung hörten auf. Städte und 
Dörfer ftänden wüft: auf viele Meilen finde man weder Menfchen noch 
Dieb, weder Hund noch Kae. Democh würden die Arisgefteuern mit 
Gewalt beigetrieben. Den Bürgern habe man Käufer, Acer, Gärten, 
Wieſen und Weinberge genommen und den Offizieren gegeben, die von 
Steuern frei feien, wodurd) die übrigen Bürger überlaftet und genötigt 
würden zu entlaufen. Seit drittehalb Jahren habe Berlin allein, ohne Köln, 
für die urfürftlichen Völker ohne den Hofſtaat beinahe 70000 Thaler be= 
zahlt, fei außerdem von den Schweben hart gedrüdt worden. Die Rats⸗ 
dörfer lägen in Aſche, Die Beamten, Geiftlihen und Schullehrer könnten 
nicht befolbet werben. Viele hätten fich beeilt, durch Waſſer, Strang 
und Meſſer ihrem elenden Leben ein Ende zu machen, und die Übrigen 
feien im Begriff mit Weib und Kind ihre Wohnungen zu verlaffen und 
in das bitterfte Elend zu gehen." Andermärts in der Mark ſah e8 noch 
viel ſchlimmer aus. Die Bauern zumal, die doch den Grund des Staates 
bildeten, waren überall Bettler, und in der Uckermark fielen Die ver- 
hungernden einander jelbft an, kochten, brieten und fraßen Menſchenfleiſch. 


Buſtand bes Sandes 1. 3. 1640. 129 


Wo es noch Kapitalien gab, da fehlten wieber die Arbeitskräfte; denn 
Krieg und Peft hatten im Wolfe furchtbar aufgeräumt. Ganze Land» 
ſtriche waren zur Einöde geworben, das Wild fo zahlreich, daß es die 
Bauern faft auffraß. Da man kaum das nadte Leben friftete, fo war 
an geiftige Intereſſen nicht zu denken, faft alle Schulen und Gymnafien 
in der Mark lagen wüft und hörten feit Jahren weder eines Lehrers 
noch eines Schülers Stimme. Ähnliche Leiden drückten in ben weftlichen 
Landſchaften. Sie alle fehrieen um Hilfe zu dem Fürften, der jet feines 
Vaters Thron beftieg. Und doch hatte keine Provinz Luft, für die andere 
das geringfte zu leiften, fie fühlten ſich nicht als ein Staat; ohnmächtig 
in ihrer Zerfplitterung, wollten fie gleichwohl nicht eins fein im Handeln 
wie im Leiden. Und die Furfürftliche Macht, von der man alles ers 
wartete, war bod) fo gering. Der Minifter Graf Schwarzenberg füchte 
den Einfluß, den er unter Georg Wilhelm zum Schaden des Staats be 
fefien hatte, feftzuhalten. Die Truppen, jo unbedeutend an Zahl fie waren 
(6000 Mann), gehörten nicht einmal ganz dem Landesherrn; fie hatten 
auch dem Kaifer, als dem Verbündeten des Kurfürften (feit 1637), ſchwören 
müflen. Bon außen drohten die Schweden, bie ganz Pommern ımd 
mehrere märfijche Feftungen befaßen, jeden Augenblic ins Land zu fallen; 
der Kaifer andererfeits forderte die Fortfegung des Bundes, obwohl die 
Taiferlichen Truppen immer wieber als Feinde verfuhren. Viele Land- 
ftride waren völlig in den Händen der Kriegführenden, alle ein Spiel— 
ball derfelben. 

So war es eine Herkulesarbeit, die dem neuen SKurfürften zuflel; 
ex follte fich zum Herm in feinem Reiche machen, follte es nad) allen 
Seiten fügen und der unermeßlichen Not des Volkes abhelfen. 

Er war doc) noch ein fo junger Mann, 20 Zahre alt (geboren am 
16. Februar 1620 zu Köln an der Spree), aber jene eiferne Zeit, bie ihn 
gebar, brach oder ftählte raſch die Charaktere; ihn hatte fie früh gereift, 
denn ihre Schreden traten dem Knaben nie nahe genug, um ihn zu 
überwältigen, und ragten doch fo weit in fein Leben, um es ernſt zu 
flimmen. Bon Frauen, dann von den Hofmeiftern Johann von der 
Bord) und Romiltan Kalkuhn, genannt Leuchtmar, fi erzogen, ward Prinz 
Sriedricd Wilhelm 1634 nad) Holland, damals einem Aſyl des Friedens, 
auf die hohe Schule geſchickt. Dort fah er mit eigenen Augen, wie weit es 
felbft ein Feines Volt in Macht und Wohlftand bringen fan, wenn e8 unter 
der Leitung geſchickter, erleuchteter Staatsmänner mit Fleiß und Ausdauer 
alle Vorteile feiner Lage auszubeuten verfteht. Leiftete nicht Holland, 
dieſer Heine Küftenftrich, bereits feit fiebzig Jahren der ganzen ſpaniſchen 
Macht den erfolgreichften Widerftand, und wurben nicht die Holländer, 
tapfer im Kriege, raftlos betriebfam im Frieden, alljährlid; reicher 
und reicher durch) blühenden Handel, ſchwungvolle ii Bie 

Bierfon, preub. Geſchichte. L 


130 Friedrich Wilhelm der große Kurfürft. 


war da jedes Fledchen Erde nutzbar gemacht; Gärten und Aderftüde, 
Fabriken und Warenläden, Schiffe und Frachtwagen, Schulen und Kunft- 
werfftätten überall dicht neben einander, und eines förderte das andere. 
Dort lernte er auch Menſchenwürde und edle Duldung ſchätzen, denn die 
Holländer waren ein freies Voll umd verfolgten Andersgläubige nicht. 
Diefe Bilder ſchöner Kultur Hatten in feiner jungen Seele gehaftet und 
follten ihm zu feinem eigenen Wirken die Mufter geben. Aber dort war 
aud fein fittliches Wefen feft und ſtark geworden; der Sieg, den jein 
Ehrgefühl über die Verführungen des üppigen haager Lebens errungen, 
verbürgte dem Züngling eine würdige Zukunft; denn, wie damals der 
Erbſtatthalter von Holland, Prinz Friedrich Heinrich von Dranien, be 
wundernd prophezeite: „wer fich felbft befiegt, der ift zu Großem fähig." 
So hatte Friedrich) Wilhelm ſchon früh jene umbebingte Herrichaft der 
Vernunft über feine Leidenſchaften erlangt, in der er nachmals das Recht 
fand, aud) feinem Volke feinen Willen aufzunötigen. 

. Der Kraft fi) bewußt, das Schwere, was ihm oblag, und nod) weit 
mehr zu leiften, in der That an zäher Ausdauer, entſchloſſener Energie, 
wie an innerer Zucht allen überlegen, mit einem Scharfblick ausgerüftet, 
der durch bie Verfommenheit des Staates hindurch noch zu tüchtigen 
Machtmitteln drang und fie für neue, großartige Ziele fi erſah, — 
jo griff nun der junge Kurfürft rüftig und mit feftem Gottvertrauen fein 
Bert an. 

Zunãchſt verficherte er fi) der Truppen. Die Oberften, die ihm 
nicht Treue ſchwören wollten, wurden famt ihren Regimentern entlaffen; 
aus den übrigen bildete er 1641 ftatt der bisher auf Zeit angenommenen 
Soldſcharen ein eines ftehendes Heer, e3 waren 3000 Mann, — der 
erfte Keim der heutigen preußifchen Armee. Dann ſchloß er, durch 
Schwarzenbergs Ableben (1641) von einem Hinderlichen und den Staat 
Ihädigenden, wenn auch nicht geradezu verräteriichen Minifter befreit, 
einen Waffenftilfftand mit den Schweden und beſchwichtigte den Katfer 
durch den Beweis der Notwendigkeit dieſes Schrittes. Noch nicht ſtark 
genug, fein Recht mit dem Schwerte zu verteidigen, benußte er den Um⸗ 
ftand, daß feiner ber Triegführenden Teile den anbern ganz befiegen 
konnte; denn beide wurden nad) jedem großen Erfolge wieber durch die 
Eiferfucht ihrer Verbündeten, dort der Franzoſen, bier ber Ligiften, ge 
hemmt. Dies erleihterte dem Kurfürften die einzige Kampfart, die ihm 
vor der Hand blieb, — die Verftellung; und er war darin Melfter; mit 
großer Schlauheit und Gewandtheit wußte er beide hinzuhalten, ſich 
zwiſchen ihnen parteilog zu bewegen, bis er fein Heer allmählich auf 
8000 Mann gebracht hatte und mun in der Lage war felbftändiger auf 
äutreten — jehr zum Verdruß aller Mächte. ringsum, die immer barin 
einig gewefen, man müfje den Kurfürften von Brandenburg „nicht auf⸗ 


Friedrich Wilhelm der grobe Kurfürft. 131 


tommen lafſen“. Es gelang ihm ſchon bei den Sriedensunterhandfungen, 
die Kaifer und Reich im März 1644 zu Münfter mit Frankreich, zu 
Dsnabrüd mit Schweben eröffnet hatten, eine nicht ungemwichtige Stimme 
zu führen. Sie wäre ohne Bweifel weit einflußreicher geweſen, hätte 
den Abfchluß des von Millionen erfehnten Friedens rafcher herbeigeführt, 
wenn feine Bewerbung um die Hand feiner Bafe, der jungen Königin 
Ehriftine von Schweden, die ihm ſchon Guſtav Adolf zugedacht hatte, 
don Erfolg geweſen wäre; aber die Schweden fürdteten feinen herrifchen 
Charakter, und Chriftine ſcheute ſich überhaupt zu Heiraten; fo zerſchlug 
ſich der Plan. Friedrich Wilhelm vermählte fi) dann (1646) mit Luife 
Henriette von Dranien*), ber ſchönen und frommen Tochter des Erb- 
ftatthalter8 der Niederlande, Prinzen Friedrich Heinrich, die ihn glüd- 
licher machte, als er e8 mit ber eigenwilligen, launiſchen Chriftine je 
hätte werben fönnen. Seitdem trat ber Zwieſpalt der ſchwediſchen und 
brandenburgifchen Interefien ganz unverhüllt hervor und erfchwerte das 
Friedenswerk fehr. 

Den Zankapfel bildete Pommern. Dem Rechte nach gehörte diefes 
Land, da fein Herriherhaus im Mat 1637 mit Bogislaw KIV. aus- 
geftorben war, zu Brandenburg; aber die Schweden weigerten fich es 
herauszugeben und verlangten, daß der Kurfürft dafür anderwärts in 
Deutſchland entſchädigt werde. Friedrich Wilhelm fträubte ſich lange. 
Wie viel Geld und Blut hatten nicht feine Vorgänger geopfert, um einen 
Anſpruch auf jene wohlgelegenen Küften mit ihren wichtigen Häfen und 
tapferen Bewohnern zu erwerben, und nun, ba bie Hoffmingen von Jahr⸗ 
hunderten ſich endlich erfüllen konnten, follte er fein gutes Recht wieder 
verlieren! Aber mit derfelben Hartnaͤckigkeit, wie er für fein Recht, 
ftritten die Schweden für ihren Anſpruch. Auch die Franzoſen machten 
die übertriebenften Forderungen; ımd die deutſchen Yürften wollten eben. 
falls Anteil an der Beute des alten Reichs haben. Dazu kamen die 
religiöfen Angelegenheiten, bie jetzt freilich hinter den politifchen weit 
zurückſtanden; denn Das lange Kriegselend hatte die Glaubenswut doch 
merklich abgekühlt. Drei Sahre lang feilfchte man auf ben Yriebens- 
Kongrefien, haderte, ſchwankte hin ımb ber; Die allgemeine Erſchöpfung 
zwang endlich am 24. Ditober 1648 zum Abſchluß. Der Schwächere 
mußte hierbei manche Opfer bringen, doch auch die großen Mächte hatten 
fich überzeugt, daß fie nicht in allen Punkten ihre Wünfche könnten zur 
Geltung bringen, und fo gab faft ein jeber der Hauptbeteiligten tn biefem 
ober jenem Stüde etwas nad. Brandenburgs und Schwedens wiber- 
frreitende Intereſſen waren dahin ausgeglichen worden, daß zwiſchen 
beiden eine Teilmg Pommerns ftattfinden folle. 

” %) Geboren am 27. November 1627, geftorben am 18. Juni 1667; Im Andenken ger 
oͤlleben auch durch die Stiftung des Waifenhaufes zu Oranienburg bei Berlin (1665). 
9° 


132 


Rückblick auf die ältere Geſchichte des Landes Vommeru. 


Das flawifche Volk, welches fid) im fechften und fiebenten Jahrhundert 
nad) Ehrifti Geburt das baltifhe Küftenland von der unteren Weichjel 
bis über die Obermündungen aneignete und von feinem Wohnfig am 
Meere (pomorzi) bei feinen binnenländifchen Stammesgenofien den Namen 
Bommern erhielt, war von feinen nächſten Verwandten, den Polen, in 
Sprache und Sitte nur wenig, aber im Charakter fehr erheblich ver- 
ſchieden. Denn den Pommer zeichnete in ungewöhnlicdem Grade bie 
Tugend der Standhaftigfeit aus; feine Tapferkeit war von der zäheften 
Ausdauer, feine Treue und Anhänglichkeit unerſchütterlich. Zahrhunderte 
lang rangen die Polen und die Dänen, dann die Brandenburger nad) 
dem Befig diefes Oſtſeelandes; aber mit feinem ober geringem Grfolg; 
Bommern behauptete fi im wefentlichen unabhängig, und wenn es im 
Dften an Gebiet verlor, fo gewann es dagegen im Weiten. 

Die Sübgrenze bildete lange Zeit der Nebefluß und war durch eine 
Anzahl von Burgen befeftigt, um deren Beſitz zwiſchen Pommern und 
Polen mancher blutige Kampf tobte. Beſonders heftig wurde der Streit, 
als die Polen ſich dem Chriftentum zuwandten und mit der Macht ihres 
Reiches zugleich den neuen Glauben ausbreiten wollten. Die polniihen 
Chroniken verzeichnen aus dieſer Zeit viele Siege, unter denen der größte 
am Laurentiustage (10. Auguft) 1113 bei der Burg Natel über die 
Pommern erfochten wurde. Allein auf Die Dauer gelang ben Polen die 
Unterwerfung biefer Nachbarn nicht; die pommerſchen Häuptlinge ſchüt— 
telten das fremde Joch immer wieber ab. Ebenſo wenig vermodjten die 
Dänen, die oft mit Polen im Bunde angriffen, bier Fuß zu faflen; das 
Pommernvolf ließ ſich durch feine Niederlage entmutigen und beharrte 
auf feinem Boden und bei feiner einheimifchen Herrichaft. 

As erfter Erbfürſt in Pommern wird uns Swantibor I. (um 1100) 
genannt; ihm gehordjte das ganze Volk von der Oder bis zum Weichſel. 
Nach feinem Tode 1107 teilten feine Söhne. Die beiden älteren nahmen 
für ſich das Land zwiſchen Peene und Berfante mit ber Hauptftabt 
Stettin; die beiden jüngeren erhielten den Strid) von ber Berfante bis 
zur Weichſel mit der Hauptſtadt Danzig; ber erfte Teil hieß nun Vor⸗ 
pommern oder Slawien, der zweite Teil — das Land der Kafchuben, 
wie die Oftpommern wegen ihrer Pelzröcke (polniſch Kazha) auch wohl 
genannt wurden — hieß mun Hinterpommern oder Pomerellen. Rah 
dem Erlöfchen der Hinterpommerfchen Linie (1295) kam zu Anfang des 
vierzehnten Jahrhunderts das öftliche Pomerellen mit ber Stadt Danzig 
an den deutſchen Orden und teilte dann die Geſchicke Weftpreußens; dag 


Rücdblid auf die ältere Geſchichte des Landes Pommern. 138 


weftliche Pomerellen dagegen gelangte in ben Befik der vorpommerſchen 
Dynaftie, die nun im Often bis zur Stolpe gebot. 

Der Stifter diefer älteren Linie, Wartislaw I., hat fid) durch bie 
Bereitwilligfeit, mit welcher er den Biſchof Otto von Bamberg (1124) 
das Ehriftentum in Pommern predigen ließ, ein großes Verdienſt er- 
worben; feine Nachfolger nahmen mit dem Glauben auch Sitte und 
Sprache der Deutſchen auf. Im Jahre 1181 verbanden fie aus freien 
Stüden ihr Land mit dem beutfchen Reich und ließen fi vom Kaifer 
‚mit Pommern als einem Herzogtum belehnen. Reichsunmittelbar follte 
indes nach Friedrich Rotbarts Meinung diefes wendiſche Land nicht 
werden; vielmehr erteilte er um biefelbe Zeit Die Lehnshoheit über Pom⸗ 
mern wie über Mecklenburg dem Markgrafen von Brandenburg, der ja 
in dieſen ®egenden an Kaifers ftatt walten follte. Biel Blut ift im 
Laufe der Zeiten um diefen Anfpruch geflofien, ohne daf die Märker ihn 
durchſetzen konnten. 

In den langen Kriegen während der Heidenzeit war Pommern ſehr 
entvöllert worden; deshalb konnte die deutſche Einwanderung hierher in 
breiten, vollen Strömen gerichtet werden. Die Anzöglinge kamen größten- 
teils aus Niederjachfen; fie brachten die plattdeutſche Sprache und Art 
mit, die fi, obwohl auf friedlichen Wegen, raſch über Bommern ver 
breitete. &o wurde hier auf den zäheften ber ſlawiſchen Volksſtaͤmme 
der fernigfte Bweig vom deutichen Baume gepflanzt; die Geſchichte hat 
gezeigt, wie glücklich diefe Miſchung war. 

Auch die Lutizen zwiſchen der Peene und Reckenitz, hier Eircipanen 
genannt, waren im zwölften Jahrhundert zum Chriftentum befehrt worben; 
doch nicht aus eigener Bewegung, fondern durd die Waffen Heinrichs 
des Löwen. Nach dem Sturze diefes Yürften fuchten hier die Herzöge 
von Pommern die Herrichaft an fid) zu nehmen. Aber auch die Fürften 
von Rügen, feit 1168 Chriften und däntfche Bafallen, ftrebten nad} diefem 
Beſitz, und um fid) das nahe Feſtland zu fihern legte Fürſt Jaromar 
von Rügen dort 1209 eine deutjche Handelsftadt, Stralfund, an. Zus 
letzt wurde geteilt; der Rykfluß beftimmte zwifchen dem pommerfchen und 
dem rügifchen Gebiet die Grenze (1237). Auch die Herzöge von Pom- 
mern hielten es für nüßlic), Das neuerworbene Land mit einer deutſchen 
Kolonie zu belegen; fie gründeten im Berein mit dem Abt bes reichen 
Kiofters Eldena 1238 am Ryk die Stabt Greifswald, welche für ihre 
ältefte Refidenz im Weften, für bie wendiſche Stadt Wolgaft, gleichjam 
die Vormauer bilden follte, 

Im demfelben Jahre fpaltete fi) die vorpommerſche Dymaftie in 
zwei Linien, von Stettin und von Demmin; doch ftarb die Iehtere ſchon 
1263 wieder aus, ımd nun vereinigte Herzog Barnim I. von Gtettin 
ganz Vorpommern unter feiner Herrſchaft. Won längerer Dauer war 


134 R Bogislaw X. 


die nächfte Erbteilung, welde von Barnims Söhnen 1295 vorgenommen 
wurbe. Der ältere, Bogislam IV., erhielt dabei das Land im Norden 
der Flüffe Peene und Ihna — das Herzogtum Pommern-Wolgaft; 
der jüngere, Dito I., das Land füblich jener Grenze — das Herzogtum 
Bommern- Stettin. Dem Sohne Bogislaw IV., Herzog Wartiglaw IV. 
von Wolgaft, verdantte die Dynaftie dann eine wichtige neue Erwerbung; 
er ſchloß 1321 mit Witzlaw IV. von Rügen eine Erbverbrüberung; und 
als derfelbe vier Jahre darauf kinderlos ftarb, vereinigte er die Infel, 
fowie das rügifche Feftland — Herzogtum Bart — mit feinem Staate. 
Auch das Herzogtum. Bommern- Stettin ift nach dem Erlöſchen der hier 
regierenden Familie, 1464, an das Haus Wolgaft gekommen, und als 
auch eine Nebenlinie desfelben, von Bart, 1478 ausgeftorben war, fand 
Äh ganz Pommern von ber Redenig bis zur Stolpe unter einem Herrn 
beifammen. 

Diefer erfte Alleinherrfcher des Gefamtlandes war Bogislam X. 
(1478—1523), einer der vortrefflichiten Regenten, die Pommern gehabt 
bat. Wie fo viele tüchtige Männer, ift er aus der Schule einer durch 
Rot und Druck harten Zugend hervorgegangen. Seine Mutter Sophie 
hatte fich mit ihrem Gemahl, dem Herzog Erich U., überworfen und 
lebte von ihm getrennt zu Nügenwalde. Um bie Erziehung ber Kinder, 

„bie der Herzog ihr gelafien, befümmerte fie ſich nicht; man ſah ben 
Prinzen Bogislaw in zerriflenen Kleidern und Schuhen auf ben Straßen 
berumlaufen, ſich mit den Gafienbuben prügeln und, wenn ihn hungerte, 
bei irgend einem mildgefinnten Bürgersmann zu Gafte gehn. Der ein- 
zige Unterricht, den er genoß, war der in ber rügenwalder Knabenſchule 
erteilte. Da erbarmte fi) ein Bauer aus der Umgegend, Hans Lange 
vom Dorf Lanske, des vernachläffigten Fürftenfohnes. Er bewirkte, daß 
die Herzogin ihn zum Eigenbauer des jungen Prinzen machte, fo daß er 
nun an diefen feinen Pachtzins geben durfte. Dann ging er mit dem 
Knaben zum Schneider und Schuhmacher und Hleidete ihn vom Kopf bis 
zu den Füßen neu und ftandesgemäß. Dieje Veränderung übte auf 
Gemüt und Geift des Prinzen einen höchſt wohlthätigen Einfluß; er 
ftrebte von jet an, auch in feinen Sitten und Kenntniffen die fürftliche 
Art zu zeigen. Bald darauf ftarb fein Vater (1474), und nım trachtete 
die unnatürlihe Mutter, den Prinzen aus dem Wege zu fchaffen, um 
fid) felbft der Regierung zu bemädhtigen. Bogislaw entwich zu feinem 
treuen Bauern; Hans Lange half wieder. Er rüftete den Prinzen ftatte 
lich als Ritter aus, ritt mit ihm auf die nächſten abligen Güter und 
bat die Ebelleute, den jungen Herzog zu feinem Verwandten, dem Herzog 
Wartislaw von Bart, zu geleiten. Dies geſchah, und das Geleit ver- 
mehrte fid) von Ort zu Ort fo fehr, daß Bogislaw mit 300 Reifigen 


Bogislaw X. 135 


in Bart anfam, wo er mit allen Ehren aufgenommen wurbe*): Auf 
die Nachricht von diefen Erfolgen ihres Sohnes gab die Mutter ihre 
Sache verloren und entfloh mit ihren Zuhaltern nach Danzig. Bogislaw 
uber erhielt nun überall im Lande ohne Weigerung die Huldigung. Yaft 
ein halbes Zahrhundert lang bat er dann das Regiment geführt und 
mit folder Kraft und Weisheit, daß ihn manche den „Großen“ nannten. 
Benigftens waren die Wohlihaten groß, die er feinem Wolfe erwies; denn 


*) Thomas Kantzow, Chronik von Pommern (aus dem fehzehnten Jahrhundert), 
Herausgegeben von Bohmer, Stettin 1835, II. &. 134 f.: „Hertod) Vugflaff bleff in unacht 
umb wmofte tho Rugenwolde mit ben gemeinen ſcholern in be Ecole gan; und feilde em 
unberwilen an ſcho und kleidern, und ath mit den Morgen, wat fe heben; beme be 
Moder was em Hart und gram. Do he awerſt begunde grot tho werben, do kumpt ein 
Buhr tho em van Lanhle, de Het Hans Lange, be febe: Dertoch Wugflaff, wo geiftu jo 
den, eft du mergen #50 Bus Horft? Wultu nicht fr froden (einfehen), dat du ein furft 
BIf? Do beflagede He fi foner Moder Hardeheit. Go gaff he em Rat, He fäolde de 
Moder bidden, bat fe em en awergewe, bat he fyn Buhre mochte fun und em be pacht 
gewen. Dat debe Hertoch Bugflaff und erhielt dorch de Rebe fo vele, bat ib de Moder 
thofeeben was. Do he dat ben Buhren febe, do was de Buhre fro umb febe: Hertoch 
Bugflaf, du galt min Sohne fon; amerft id Tan wol gedenfen, wenn du nu thor reger 
zinge fumft, werftu miner weinich gebenten; darum fhaltu mi thofeggen, wen du thom 
Regimente humft, dat du mi de tit mins Lewens wilt fry gewen an padit, denſte unb Iant« 
fihate (Bins); und mehr beger id nit. So wil id bi vorftreden, wat min vermogen is. 
&o jede he em dat to. Do geiht de Buhre tom Wantfnider mb nimpt want: uih und 
Uedede ben Hertogen van unben bet bowen, unb kofte em ein perd umb ein ſchwert und 
wat em bartho van moden was. Underdes wart ſyn vater Hertoch Erich tho Wolgaft 
trank und ftarff. Do dat de Buhre Horde, ging He hen und mebder under de Edeliude 
und vermande je hemeliten, dat fe eren hern jholden annemen und nicht gedulden, dat he 
umb der Moder hats willen fo ſcholde als ein fhlimmenige verſtot werden. Do he nu 
imeinde, bat he der falen einen wech gemateb Hedde, febe He: Bugflaff, id wil fid nit 
ſchigen, dat di alhir fo im Drete Lift und leſt di verftoten. Tehe Heu tho dem bel 
und jegge, du bift ere here, bat fe di hanthawen. Do bat de junge her Horbe, wort he 
fro und Tred) ein gemote und fettede fi vor, na des Buhren Mede tho dofm. Denne fo 
unadttidt he tHovorn geholden was geworben, fo hebde He dennod) ftebes Luft und beger 
150 hogen und furftlifen Dingen. ff zeit de Buhre mit em hem und bradite em erften 
dhom megeften Ebelman, de nam en gutfif an; awerft be Edeiman forditete fick vor be 
Meder. So brachte he en vorkdan; bar nemen en de jungen gejellen vom Abel gern an, 
beögelifen of etlife van ben vornemeften des Adels; denne ein jeber was awer der unbültdhe 
Teit der Mober unduldich. Alſo toch balde en ganz hupen tho em, bat he in forter tit by 
bren Hundert perben by fid frei. it den reit he van dem einen thom andern in Stede 
und Dorper und ermanebe fe, bat fe en alfe eren hern erfenmen ımb annemen wolben; und 
zeit dama tho fynem Wedbern, Hertoch Wartiflaff, togede em de fale an unb gebralede 
fines Rabes* u. ſ. w. 

Bogislaro bewies fi) dankbar gegen ben treuen Bauern; er hielt ihm immerbar als 
feinen väterlien Freund. Gr mollte ihn und feine Kinder von allen Abgaben und 
Dienften Yosfpreien. Gans Lange nahm es jedoch mur für fich an, nicht aber für feine 
Radlommen; er meinte, „ein Bauer mihbraude feine Freiheit oft und warde umter foldien 
Begänftigungen nur faul“. 


136 Hinterpommern. 


mit ſtarker Hand forgte er für ftrenges Recht gegen jedermann, für all- 
gemeine Herrichaft der Gefehe, für Ruhe und Ordnung nad) außen und 
imen. Mandy alter Mißbrauch mußte fallen; die Wegelagerei wurde 
ausgerottet, das graufame Strandrecht, nachdem ber Herzog auf einer 
Meerfahrt zum heiligen Lande 1497 felbit foldhe Not kennen gelernt, für 
immer abgeſchafft. 

Nach ihm blieb das Herzogtum nicht ange umgeteilt. Schon im 
Jahre 1532 fonderte es ſich wieder in zwei regierende Linien, beren 
ältere zu Wolgaft, die jüngere zu Stettin refidirte. Die Grenzen wurden 
jet fo beftimmt,- daß zum Herzogtum Wolgaft das Land weſtlich ber 
Dber und Swine, zum Herzogtum Stettin das Land im Often diefer 
Gewäfler, doch mit Einfhluß der Städte Stettin und Garz, gehörte. 
Seitdem gewöhnte man fi, das weftliche Pommern bis zur Ober Bor- 
pommern, das öftliche, Hinter der Oder belegene, Hinterpommern 
zu nennen. Übrigens behielten fidh die beiden Regierungen einige wichtige 
Randesangelegenheiten zu gemeinfamer Behandlung vor; namentlich Ho— 
beitsrechte über die Univerfität Greifswald und über das Bistum Kamin. 
Gemeinſchaftlich wurde von ihnen denn aud) bie Iutherifche Kirchen⸗ 
verbefierung eingeführt; Die Herzöge Philipp I. von Wolgaft und 
Barnim XI. von Stettin beriefen zu dieſem Zweck 1534 einen allge 
meinen pommerfchen Landtag nad) Treptow an ber Rega; hier ftellten 
fie ihren Antrag und die Stände genehmigten ‚mit großer Majorität die 
Reform, welche dann unter Leitung des gelehrten Bugenhagen nachdrück⸗ 
lich ins Werk geſetzt wurbe. 

Noch einmal kam es zu einer Vereinigung von ganz Pommern, als 
das von Philipp I. geftiftete Haus 1625 erlofch und ber Herzog von 
Stettin e8 beerbte. Aber dieſer Fürſt, es war Bogislaw XIV., beendete 
auch Die Reihe der einheimifchen Herricher. Mit feinem Tode 1637 hörte 
Pommerns Selbftändigfeit auf. 

Noch verdient aus jenen Zeiten ein Beifpiel unbeugjamer Rechts- 
pflege Erwähnung. Es ift bemerkenswert wegen des Opfermuts, ben 
der Richter Dabei zeigte. Es war Jo achim Appelmann, Bürgermeifter 
von Stargard; fein einziger Sohn hatte als Räuber feine Baterftabt be- 
fehbet und war gefangen worden; der Water, ein zweiter Brutus, ließ 
ihn Hinrichten (1575). So gewann im fechzehnten Jahrhundert ein 
Bürger neben den Zürftermamen in der pommerſchen Geſchichte Nach⸗ 
ruhm, wie im fünfzehnten ein Bauersmann. 


Der weſtfãliſche Friebe. 


ALS die Friedensbotſchaft durch die Lande flog, konnte das deutſche 
Volt es kaum glauben, daß der Krieg, der nun 30 Jahre gewütet, 


Der weitfäliiäe Friede. 137 


wirflich zu Enbe ſei. Viele weinten vor Freuden, während andere, von 
dem maßlojen Elend ftumpf geworben, es verlernt hatten zu hoffen. Die 
wenigften fragten nad) den Bebingumgen, ber Mehrzahl ſchien der bloße 
Friede ſchon ein unenblicher Gewinn. So nahm man im ganzen danfbar 
bin, was im einzelnen aus Gutem und Üblem gemifcht war. 

Den meiften Vorteil hatte das Ausland errungen, Frankreich, dem 
außer Metz, Toul und Verdun jetzt auch das Elſaß abgetreten war, und 
Schweden, welches Vorpommern, Stettin mit Uſedom und Wollin, Garz, 
Damm ımd Gollnow, ferner die Bistümer Bremen und Verden als 
Reichslehen und noch fünf Millionen Thaler erhielt. Zur Entihädigung 
ber Reichsſtaͤnde, die durch den Vertrag eine Einbuße erlitten, dienten 
hauptſaͤchlich die geiftlichen Girter. Durch ſolche glich man aud ben 
Verluſt bes Kurfürften von Brandenburg aus. Er erhielt das übrige 
Hinterpommern und außerdem die vormaligen Bistümer Kamin (an ber 
rechten Obermündung), Halberftabt”) (jet die Kreiſe Halberftadt, Aſchers⸗ 
leben und Oſchersleben) und Minden**) (die Kreife Minden und Lübbecke) 
als Yürftentümer, das Erzbistum Magdeburg (die Kreife Magdeburg, 
Reuhaldensleben, Wolmirftäbt) als Herzogtum; doch follte Ieteres bem 
bisherigen Abminiftrator, Prinzen Auguft von Sachſen, noch bis an 
defien Tod verbleiben. Bas an Rechten und Einkünften bier früher ber 
geiftliche Fürft gehabt, ftand num dem weltlichen zu, ber ihm in der 
Landesherrichaft gefolgt war. Es wurde alfo der Staat zum Erben der 
weltlichen Macht der Kirche eingefeßt. Auch in der Religionsfrage ſelbſt 
drang bie Vernunft durch. Es wurde den drei Konfeffionen — Katho— 
Iiten, Zutheranern, Reformirten — im beutfchen Reiche gleiches Recht 
zuerkannt. Die Duldung fiegte freilich noch bei weitem nicht ganz und 
völlig. Bon den habsburgiſchen Erblanden blieb die Gewifſensfreiheit 
überhaupt ausgefchlofien, mit Mühe erwirften die Schweden ımb ber 
Kurfürft von Brandenburg, daß ber Katfer den evangeliichen Glauben 
wenigftens in einem Zeile Schlefiens zu dulden verſprach. Im Reiche 
erlangten nur die feit 1624 katholiſch gemachten Gebiete Glaubens- 
freiheit; früher Gefchehenes ließen die Katholiken nicht wieder abftellen. 

Kaifer Ferdinand II. hatte feine Übermacht zu arg gemißbraucht, 
es war durch das Haus Habsburg über Deutfchland zu viel Unheil ge- 
Tommen, als daß die Deutſchen gerade jet ſchon eine Verminderung der 
Taiferlihen Gewalt hätten bedauern follen. Ste nahmen es vielmehr 
mit Befriedigung auf, daß der weftfältfche Friede die Reichsverfaffung 
auf Koften des Kaiſertums fehr weſentlich veränderte. Die Reiche» 
Hände erhielten den Genuß der ehemals Löniglichen Rechte (Regalien), 


H Geftiftet SIE von Ludwig dem Brommen; evangelijch geworben im Jahre 1591. 
=) Gefüftet vom Karl dem Großen (vermutlich 803); evangeltid) feit 1566. 


138 Der weitfällihe Friede. 


fogar das Recht, Bündniffe unter fi) und mit fremden Mächten zu 
fließen und Kriege zu führen, außer gegen Kaifer und Reich; in ihrer 
Geſamtheit erhielten fie zugleich einen beftimmenden Einfluß auf alle 
Reichsſachen; denn fie bildeten mit dem Kaifer ben Reichstag, der fortan 
alles entſchied und feit 1663 in Regensburg permanent war. Dem 
Kaiſer blieben im Grunde nur nod) einige Ehrenredte. Unter dem 
Namen einer Monarchie war das deutſche Reich) von jet am auch ger 
ſetzlich eine Ariftofratie, ein ziemlich lockerer Verein zahlreicher Fürften, 
großer und Heiner, geiftlicher und weltlicher, auch Ritter, Herren und 
Städte — 1189 Landesherrichaften — die faft wie Souveräne geboten; 
ein Bundesſtaat, defien Vielköpfigkeit ihn zu ewiger Richtigkeit verdammte 
und allen Umtrieben und Angriffen des Auslandes preisgab. Das übelſte 
war, daß die ganze Beute des alten Beitandes ausſchließlich den Herr- 
ſchaften zufiel, und das Volk auf dem Reichstage jegt ebenfo wenig eine 
Vertretung hatte wie vordem. Aus der DVerwüftung des breißigjährigen 
Krieges rettete es nur ein hohes Gut, feinen Glauben; alle übrigen Güter, 
Wohlftand und Gemeinfinn, Selbft- und Rechtsgefühl und deren Tochter, 
die Freiheit, waren dahin. Es brauchte die Arbeit von Menichenaltern, 
dieſe Verlufte wieder zu erjeßen. 

War nicht der Friebe, den es num gewann, beinahe der Friebe eines 
Kirchhofs ? Das deutſche Volt, 1618 das größte Europas, war 1648 
auf ein Drittel feiner Zahl zufammengefhmolzen; damals an Reichtum 
und Bildung, an Freiheit und Gefittung, in Kunft und Wiſſenſchaft, 
Handel und Wandel, Aderbau und Gewerbe allen Nationen ber Erde 
voran, ftand es jet in diefem allen Hinter gar vielen weit zurück; in 
manchen Stüden mußte es fait wieder von vorne anfangen. Man konnte 
in vielen Gegenden meilenweit gehen, ohne einen Menfchen, ein Haus zu 
erbliefen; dafür ſchwärmten überall Wölfe und andere wilde Tiere. Wie 
langſam brachte es bie verarmte, verſchuldete Benölferung wieber dahin, 
die Arbeiten bes Friedens mit Erfolg zu betreiben! Am ſchwerſten kamen 
die geiftigen Beftrebungen wieder in Gang. Auch die Buchtlofigkeit 
und Unfitte, die im Kriege ſich eingeniftet, wichen einer befleren Ordnung 
und Gefittung nur fehr langſam. Das Volt war geiftig und leiblich 
verfommen. Um fo weniger fonnte e8 daran denken, gegen bie Fürften 
feine ehemaligen Rechte zu verteidigen. Die alten Landſtände, an ſich 
eine höchft mangelhafte Volksvertretung, verloren nun faft überall in 
Deutihland den legten Neft ihrer Bedeutung. Die Unterthanen hatten 
fi im Kriege gewöhnt, den einzigen ſchwachen Schuß, der ihnen über 
haupt zu teil werben konnte, bei dem Landesherm zu finden. Die Um— 
ftände nötigten dieſen, da die Stände fi) fo ſchlecht bewährten, aus 
eigener Machtvolltommenheit Steuern aufzulegen und Soldaten zu halten. 
Im Frieden machte er aus diefem Notbehelf eine Gewohnheit und aus 


Gründung bes brandenburgiic-preußlien Staates. 139 


der Gewohnheit ein Recht. Faſt unbeſchränkt nad) oben, gegen ben 
Kaiſer, wurde er es ganz bem Volke gegenüber. Yortan regierte er meift 
nad Willtür, mit wenigen Räten, von feinem Kabinet aus; mit Hilfe 
feiner Soldaten und Beamten brach er leicht jeden Widerftand der Unter- 
thanen, — errichtete mit einem Worte die abfolute Fürſtenmacht, bie 
nad) fogenanntem göttlichen Recht herrichte. 

Zerſchlagen und verkommen wie das beutiche Volk, verfallen wie 
das deutſche Reich) war, gab es für die Nation nur eine Hoffnung: daß 
bei der Berrüttung bes Ganzen das deutſche Leben ſich um jo that» 
Träftiger in den Zeilen entwideln, und baß einer dieſer Teile, gleich 
einem frifhen Schoß aus altem, blißzerjpaltenem Eichenftamme, Trieb 
und Saft genug haben werde, um mächtig auf- und anzuwachſen zu 
einem neuen großen Staate, in welchem fich alles deutſche Volt nen 
fammeln und erheben könne. Und zu diefer Hoffnung wurde jet in ber 
That der Grund gelegt. 


Grünbung bes brandenburgifc-prenfiifchen Staates. 


Das Haus Hohenzollern, ſchon vor dem Kriege eins ber mächtigften 
in Deutfchland, wurde nad demfelben nur noch von dem Kaiferhaufe, 
von Habsburg, überragt. Denn der weftfälif—he Friede hatte feinen 
Beſitz fehr beträchtlich vermehrt; es beherrfchte nun ein Gebiet von 
2000 Duabratmeilen, und die neugewonnenen Lande waren nicht bloß 
ausgedehnt, fondern auch fonft wertvoll, Hinterpommern burd feine 
Lage an der See, fowie durch die zähe Kernkraft und ungemeine milis 
tariſche Tüchtigteit feiner deutſch-kaſchubiſchen Benölferung, die Bistümer 
durd) ihren fruchtbaren und vergleichsweiſe wohlangebauten und ſtark bes 
völferten Boden, fowie dadurch, daß fie den Hohenzollern zu einer weiteren 
Ausbreitung in das eigentliche Innere Deutſchlands gute Stützpunkte 
boten. Aber die neuen wie die alten Lande entbehrten jedes Bujammen- 
hanges; über die ganze norddeutſche Tiefebene von der Memel bis zum 
Rhein zerftreut, auch durch die Verſchiedenheit ihrer Gewöhnung getrennt, 
lagen fie weit auseinander; es waren lauter Heine Sonderftaaten, jeder 
an und für fi) ohne höhere Bedeutung. Friedrich Wilhelm beſchloß, 
ihnen eine ſolche zu geben, indem er fie zu einem einzigen Staatskörper 
verbände. Hatten fie nicht im Grunde innerlich die wichtigſten Intereſſen 
gemein? Ihre Bevöllerungen, ſämtlich evangeliſch, konnten zu einem 
großen norbbeutfchen Volle proteftantifcher Religion erwachſen und mit 
vereinten Kräften einen Staat bilden, fähig als Hort des Proteftantismus 
und als Bollwerk Deutſchlands in den Welthändeln eine Rolle zu fpielen, 


140 Gründung des brandenburgiſch · preußiſchen Staates. 


ja felber eine Weltmacht zu werden. Das war das erhabene Ziel, das 
er feinem Haufe und feinen Völkern ſteckte. 


Diefe hohe Aufgabe zu Löfen bedurfte es aber vor allem eines 
tüchtigen, immer ſchlagfertigen Heeres, und da deſſen Beftand dem Lande 
große Geldopfer auferlegen mußte, jo war zweierlei nötig: daß ſich der 
Landesherr in der Steuererhebung nicht von ben Ständen beichränten 
ließ, und daß er durch gute Finanzwirtfchaft und durch Hebung bes 
Volkswohlſtandes die Steuerlaft erträglich machte. Dabei konnte freilich 
ein Kampf mit den eigenen Unterthanen nicht ausbleiben. Denn von 
einem gemeinfamen Staatsleben wollten dieſe nichts wiflen; jede Land» 
ſchaft meinte, die andere gehe fie nichts an. Sollte die Einheit über den 
Bartitularismus fiegen, fo blieb dem Kurfürften nichts übrig, als bie 
Rechte der Sonberftaaten zu durchbrechen und ſich unumſchränkt zu 
machen. Friebrid Wilhelm war entichloffen, dieſen Bruch, mit dem alten 
Rechte zu vollziehen. 

Am meiften fperrten fi) die preußifchen Stände gegen das „bran= 
denburgiſche Weſen“, und Preußen hatte freilich auch unter allen Pro— 
vinzen die meifte Eigenart und eine eigentümliche große Geſchichte. 
Schon 1646 begann bier der Kampf. Der Kurfürft brachte einige bran- 
denburgifche Truppen ins Land, die Stände bejchwerten fi: es dürften 
in Preußen nur einheimifche Truppen ftehen. Wie fah es aber mit diefen 
aus? Der Adel verweigerte den ſchuldigen Lehndienft, und die von den 
Ständen geworbenen Söldner Tiefen auseinander oder plagten die Bauern. 
In ähnlicher Weife Ietftete man in den übrigen Provinzen die Wehr- 
pflicht. Wer konnte es dem Kurfürften verargen, daß er ohne viel Feder⸗ 
leſens Steuern auflegte, um fein ftehendes Heer zu bezahlen? Ebenſo 
nötig war, baf er es unabläfftg vermehrte, denn ber weftfälifche Friebe 
befreite keineswegs mit einem Male Deutfchland von ben fremden Kriegs- 
völfern; es bauerte noch einige Jahre und koſtete viel Mühe, die 
Schweden, die Kaiferlichen, die Holländer aus ben Furfürftlichen Feſtungen 
berauszubringen. Auch zogen bald neue Kriegswetter im Oſten herauf, 
gegen die man gerüftet fein mußte. Die Verftärkung des Heeres ward 
denn auch fo Iebhaft betrieben, daß der Kurfürft im Jahre 1651 ſchon 
16 000 Mann, vier Jahre darauf 26000 Mann und 72 Geichäße ins 
Feld führen konnte. Treffliche Gehilfen bei der Einrichtung und Führung 
diefer Truppen waren ihm der General Otto von Sparr*) (früher 
Katferlicher Generalfeldjeugmeifter), ein vorzüglicher Ingenieur und ber 
eigentliche Gründer des brandenburgifchen Geſchützweſens, und ber Feld⸗ 


®) Geboren Im Jahre 1605 zu Lichterfelde bei Berlin, geftorben am 19. Mai 1668 
zu Prenden bei Bernau. v. Mörner, Märkiihe Kriegs-Oberften, 


Das Herr. 11 


marſchall Georg Derfflinger*), Schäpfer der brandenburgifchen Reiterei. 
Auch Derfflinger hatte feine Schule in einer großen Armee gemacht. 
Sohn eines aus Diterreich geflüchteten Proteftanten, war er, fechzehn 
Jahre alt, im Jahre 1622 in böhmifche, dann in ſächſiſche, 1637 in 
ſchwediſche Dienfte getreten, wo er es bis zum Generalmajor bradjte. 
Nach Beendigung des Krieges fiedelte er ſich in der Mark an und trat 
in den Dienft des Kurfürften, der ihn fpäter zum Feldmarſchall machte 
und feine Erhebung in den Freihermftand bewirkte. 

Die Söldner waren befonders darum dem Lande fo überläftig ge⸗ 
wejen, weil fie in der Regel ſich felbft nahmen, was zu ihrer Vers 
pflegung gehörte, weil fie überhaupt gegen Bürger und Bauern bie 
Herren fpielten. Das ftehende Heer wurde beſſer eingerichtet; ber Kur 
fürft brachte Befoldung und Berpflegung in fefte Ordnung und hielt 
firenge Mannszucht. Um die großen Summen, die e8 koftete, aufzu⸗ 
bringen — ſeit 1655 jährlich bereits eine Million Thaler — begann er 
die in früheren Zeiten verpfänbeten Domänen zurüczufordern, verfuchte 
auch dag Steuerweſen zweckmäßiger unb ergiebiger zu geftalten, nament ⸗ 
lic) durch Einführung inbirelter Abgaben. Aber bie Stände widerfprachen 
allerorten; beſonders die Ritterſchaften wiefen das alles als eine Be 
einträchtigung ihrer Vorrechte zurüd. Um fo mehr war der Kurfürft 
genötigt, ba die regelmäßigen Einkünfte nicht zulangten, immer wieder 
mit außerordentlichen Geldforberungen vor bie Stände zu treten. Ver— 
gebens antworteten fie mit Klagen über den Drud, mit Bitten um 
Verminderung der Wilitärlaft. Er legte auf, was er beburfte; zuletzt 
nahın ex von ben ftänbifchen Steuerbewilligungsredht faft nur noch 
formell Notiz. Gr entjchulbigte ſich mit der Not. Die Folge hat ihm 
gerechtfertigt; heut urteilt man von ihm, baf er wohl that, wenn er bie 
Stände als eine nicht mehr zeitgemäße Einsichtung bei Seite ſchob und 
alle Stantsgemalt ais fürftliches Recht an fid) nahm — er bereitete ba» 
durch eine allgemeine Gleichheit der Staatsbürger unter einander vor —, 
daß er wohl that, wem er die Privilegien einer Minorität verlegte, — 
ex müßte damit der Mehrzahl. Sein Joch war hart, aber er fpannte die 
Untertanen nicht bloß um feinetwillen in dasſelbe, fomdern auch zum 
Heile des Ganzen. . 

Denn wenn er fi) in den alleinigen Befig ber Landesregierung 
feste, fo war er doch weit davon entfernt, Diefelbe nun, wie es ander» 
wärts geſchah, an feine Diener und Günftlinge zu überlaffen; Friedrich 
Wilhelm regierte perſönlich, und fein perſönliches Intereſſe war das 


) Geboren am 16. März 1606 zu Neuhofen in Oberdfſterreich, geſtorben am 
14. Februar 1695 anf feinem Gut Guſow im Barnim. 


142 Gründung des brandenburgijh- preubiſchen Staates. 


Staatswohl. Der geheime Rat hatte die Gefchäfte mur vorzubereiten, 
der Kurfürft entſchied überall felbfl. Statt des Kanzlers ftand an der 
Spige der Staatsbiener jeßt der „Oberpräfident“; aber auch er hatte in 
wichtigen Dingen feine eigene Macht. Viele Jahre hindurch bekleidete 
unter Friedrich Wilhelm der Freiherr Otto von Schwerin*) biefe 
Stelle; aber ein fo gewiegter Staatsmann er aud) war und jo vorzüg- 
liche Dienfte er leiftete, beftimmenden Einfluß hatte er doch hauptſächlich 
mur darum, weil er zugleich ber vertraute Freund feines Fürften war, 
der ihn wegen feines Edelfinns fehr hoch ſchätzte. Das eigentliche Zen- 
trum des Staats war das Kabinet, wo ber Fürft allein ober mit einige 
geſchickten Gehilfen, wie eben Schwerin einer war, die Maßregeln erſann, 
die Entichlüffe faßte, die dann, von der hohen Beamtenjchaft in die Form 
von Verordnungen gebracht, nach allen Richtungen bas öffentliche Leben 
anregten oder geftalteten. Wie viele und wie mamigfaltige Impulfe 
gab diejes Herz dem Staatskörper! Es ift faft fein Gebiet menſchlicher 
Wohlfahrt zu nermen, dem nicht der große Kurfürft ein gleiches, warmes 
Intereſſe zugewandt hätte. 

Seine erfte Sorge betraf natürlic den Landbau. Die Unzahl von 
wäften Feldern und Yeuerftellen, die er namentlich in ben märktfchen 
Dörfern vorfand, follten ſchleunigſt wieder befiedelt werben. Auf feinen 
eigenen Domänen gelang es bald; denn er bot die liberalften Bedingungen, 
gab den Einwanderern zu den verlaffenen Hufen und Häufemn auch Frei⸗ 
beit auf ſechs Jahre von der Pacht und von allen öffentlichen Lafter. 
Zangfamer kamen die adligen Güter wieder in Anbau, dem tüchtige 
Bauern gingen, wenn fie wählen konnten, lieber auf die kurfürſtlichen 
Kammergäüter; der einheimifche Bauer dagegen, ber, durch den Krieg an 
den Bettelftab gefommen, nun froh fein mußte, wenn ihm der benachbarte 
Edelmann überhaupt ein Stüd Land, fowie Gerät und Korn, es zu be— 
ftellen, gab, ließ ſich die drüdendften Bedingungen, ja ſelbſt die Leib- 
eigenfchaft gefallen, aber arbeitete dafür auch läffiger als vordem. 

Gewerbe und Handel hatten dem Kurfürften längft für die veichften 
Duellen de3 Wohlſtandes gegolten; jenem fuchte er zunächſt durch Ver⸗ 
ordnungen aufzubelfen, die den Zunftzwang loderten und es jungen Anz 
fängern im Handwerk erleichterten vorwärts zu kommen; dieſen belebte 
er wieder, indem er die Verkehrswege im Lande verbefierte und vermehrte. 
Schon im erften Jahrzehnt feiner Regierung ſuchte er fogar einen groß- 
artigen Seehandel zu fchaffen, errichtete 1646 eine oftindifche Handels 
geſellſchaft, beabfichtigte 1650 von den Dänen das Fort Dansburg (jetzt 
Trankebar) an der Küfte Koromandel zu kaufen; feine Schiffe follten von 


*) Geboren den 18. März 1616 zu Stettin, geftorben ben 14. November 1679 zu 
Berlin. 


Kultur, 143 


den hinterpommerſchen und oftpreußifchen Häfen aus an dem Welthandel, 
der die Holländer fo reich machte, Anteil nehmen. Jener Kauf unter 
blieb dann freilich aus Mangel an Geld, und aud) die oftinbifche Ge— 
fellſchaft gedieh micht vedht. Sehr erfolgreich bagegen, auch für ben 
Handel, war eine andere Schöpfung aus jener geit, die Poft. Unter 
Johann Sigismund begonnen, im 30jährigen Kriege aber ganz in Ver- 
fall geraten, wurde diefe nüßliche Einrichtung jegt neu belebt und 
mit Hilfe des Voftdireftors "Michael Matthias planmäßig ausgebildet ; 
durch den „Reichserhpoftmeifter“, Grafen von Thum und Taris, und 
defien Privilegium, allein im deutſchen Reiche Poſten anzulegen, ließ fich 
der große Kurfürft nicht ftören; ſchon 1650 beftanden von der kur⸗ 
tänbifchen Grenze bis Geldern (auf 187 Meilen) brandenburgiſche Reit- 
poften. Gerade für diefen Staat mit feinen weithin zerftreuten Gebieten 
war die Poft ein Bedürfnis erften Ranges; fie erleichterte nicht bloß 
den Verkehr im allgemeinen, fie z0g um die Provinzen ein engeres 
politiſches Band, leiftete der Einheit des Staatsweſens großen Vorſchub. 

Zugleid mit den materiellen Kräften bes Landes follten bie geiftigen 
gewedt und erhöht werben. Es fam für den Staat zunächſt darauf an, 
die Inftitute, aus denen feine Organe, die Beamten, Lehrer und Geift- 
lichen, herorgingen, alfo die höheren Schulen wieder in Blüte zu bringen. 
Der Kurfürft wußte indes, daß wahre Geiftesbilbimg fo recht mur bei 
Freiheit der Wiſſenſchaft und ihrer Lehre gedeiht; er ftattete daher ihre 
Bflanzftätten nicht nur mit genügenden Einfünften aus, ſondern beftätigte 
und mehrte aud) ihre Rechte und Freiheiten. So that er namentlich an 
der halb verwäfteten Wniverfität Frankfurt a. D., an dem zerftörten 
joachimsthaler Gymnafinm, das er 1655 nach Berlin verlegte, an der 
reformirten Univerfität, die er auf Wunſch der kleviſchen Stände (eben- 
falls im Jahre 1655) zu Dutsburg errichtete. 

Friedrich Wilhelm war in feinen perſönlichen Neigungen eher einfach 
und ſchlicht; man fah ihn wohl felber auf dem Markt in Berlin ſich 
Singvögel faufen, die er ehr Tiebte, ober in feinem Garten am Schloß 
mit Schere und Gießkanne umbergehen. In feiner Häuslichkeit ging es 
nicht eben Iururids ber, und fein hamptfächlichftes Vergnügen, Die Jagd, 
ber er mit Eifer oblag, war wenig koſtbar. Sein Privatleben, beglückt 
durch eine Frau voll Geift, Gemüt umd Anmut, durch die vortreffliche 
Luiſe, war eben fo wirtlich wie ehrbar. Aber wenn er als Fürft auf 
trat, dann mußte alles an ihm und um ihn großartig und prunkvoll 
fein. Denn die Welt urteilte damals noch mehr als jeßt nach dem 
Anſchein und hielt Teicht den Zürften für den mädhtigften, der die größte 
Pracht entfaltete. Mit peinlicher Ängftlichfeit und größter Eifer» 
ſucht behandelten alle Stände und am meiften bie regierenden Häupter 
beſonders auch die Rangverhältnifie. Es galt für eine höchſt wichtige 


144 Gründung des branbenburgifchrpreußifejen Gtantes. 


Angelegenheit jedes Staates, daß fein Beherrſcher alle ihm gebührenden 
Ehrenbezeigungen ſtets ganz und voll erhielt. Zahlloſe Förmlichleiten 
und die lächerlichften Rangftreitigkeiten nahmen allemal, wenn Staaten 
mit einander verhandelten, die Thätigleit der Gejandten aufs äußerfte 
in Anfprud). Am weiteften trieb e8 darin der deutſche Reichstag; man 
vergeubete dort Die koſtbare Zeit mit Fragen wie diefe: dürfen nur die 
furfürftlichen Geſandten auf roten Stühlen figen? dürfen es nicht auch 
die fürftlichen? ober find Ießteren nur grüne Stühle zu verftatten? und 
wenn nicht, dürfen Diefe grünen fürftlihen Stühle dann wenigftens auf 
dem Teppich felbft ftehen, wie die kurfürftlichen, oder nur auf den Franfen? 
Auf ſolche Förmlichkeiten legte nun auch Friedrich Wilhelm viel Wert; 
er mußte es, weil man ihn fonft gewiffermaßen als ehrlos betrachtet 
hätte. Ein wahrhaft wichtiges Staatsinterefie opferte er ihnen doch nie 
auf, er war nur aus Politik prachtliebend; denn durch äußeren Glanz 
gewann er ſelbſt und fein Staat in der öffentlichen Meinung an Ges 
wicht und Macht. Aus diefem Grunde, aber aud) um ihrer felbft willen 
begünftigte er die Künfte, berief viele ihrer Meifter an feinen Hof; bie 
berühmteften darunter waren in dieſer erften Periode feiner Regierung 
der Maler Honthorft, die Elfenbeinjchniger Leonhard Stern und Michael 
Dabler, der Bildhauer Larfon, der Erzgießer Vignerol, der Baumeifter 
Memhardt. Sie kamen größtenteils aus Holland, damals dem Haupt» 
fiße der Kumft, und durch fie wurde der holländifche Geſchmack, den der 
Kurfürft jo fehr liebte, befonders auch in der Art zu bauen und die 
Zimmer auszufhmüden, damals in der Mark Mode. Großen Aufſchwung 
nahm in Berlin aud) die Stempelſchneidekunſt; denn der Kurfürft ergößte 
fich gern an großen und koſtbaren Medaillen und ließ folche bei jeder 
Gelegenheit ſchlagen. Dem Glanze des Hofes follte das Ausfehen der 
Refidenz entiprechen; der Kurfürft that frühzeitig manches für ihre Ver- 
ſchönerung, machte z. B. ſchon 1647 durch Anpflanzung von Baune 
veihen einen Anfang zu dem berühmten Schattengang „Unter den Linden* 
in Berlin. 

Während er fo in Heinen wie in großen Dingen für die innere 
Kräftigung und äußere Ehre feines jungen Staates forgte, vergaß er 
doch nie, daß diefer Staat in dem religiöfen Intereſſe ein Recht und eine 
Pflicht von europäifcher Bedeutung zu übernehmen habe; berjelbe Konnte 
und mußte, um eine Weltmacht zu werben, als ein Schupftaat des Pro- 
teftantismus zunächft in Deutfchland baftehen; das war für ihn ein 
Xebensprinzip. Um fo notwendiger war es zugleid), daß er nicht das 
lutheriſche oder reformirte Belenntnis, jondern den ganzen vollen, ben 
eigentlichen PBroteftantismus, die Glaubensfreiheit, auf feine Fahne ſchrieb. 
Denn nur durch die Eintracht jener beiden Selten, in bie es zerfiel, 
konnte fein Volt ſtark und glücklich, nur durch die Vertretung der ges 


Erwerbung der Souveränität, 145 


famten evangelifhen Kirche der Staat feiner Aufgabe gerecht werben. 
Religiöfe Duldung war alfo für Brandenburg-Preußen die richtige Politik; 
an ihr hätte der große Kurfürft fetgehalten, auch wenn fie ihm nicht 
ſchon von feinem Herzen wäre vorgefchrieben worden. Er war daher 
unermüdlich, die Einigkeit unter den Reformirten und Lutheranern her⸗ 
äuftellen, worin ihm freilich feine unduldſamen Unterthanen nod) mehr 
wiberftrebten als in feinen politiichen Bemühungen; unermüdlich auch, 
fid) überall im Auslande bedrüdter Proteftanten anzunehmen. Er fcheute 
dabei, wenn Borftellungen nichts halfen, felbft nicht vor dem Kriege 
zurüd, ließ 1651 den General Sparr mit 5000 Mann in das Herzogtum 
Berg einrücen und zwang fo den fatholifchen Herzog don Jülich und 
Berg, die proteftantifchen Jülicher weniger hart zu bedrücken als bisher. 
Dem Kaifer gegenüber, der feine Teßerifchen Unterthanen ebenfalls ver- 
folgte, mußte er ſich freilich mit Worten begmügen. 

Bas er that, waren ja überhaupt nur erft Anfänge, Keime; aber 
Anfänge zu allem Großen, was der Staat nach ihm geleiftet hat, Keime, 
die gepflanzt zu haben ein weltgefchichtliches Verdienft war. Und doch 
Stand er ſelbſt noch bei weiten nicht am Ende feiner Laufbahn; es war 
ihm noch vorbehalten, den Staat, den er gegründet, in die Reihe der 
europãiſchen Staaten als gleihberechtigten und unabhängigen einzuführen 
und zu beweifen, daß feine Schöpfung in Krieg und Frieden haltbar fei. 


Grwerkung der Sonveränität. 


In jener Zeit, wo Gewalt galt und Lift mehr als Recht half, wäre 
es für jeden jchwächeren Staat Selbftmord gewejen, dem ftarfen Nachbar 
mit Ehrlichkeit zu begegnen; ber große Kurfürft hielt es nicht für feines 
Amtes, in der Politik fittlicher fein zu wollen als die andern; er be— 
kämpfte fie mit gleichen Waffen. Eine folhe Taktik war aber nirgends 
mehr am Orte, als wo er ſich in den Konflitt von Mächten gezogen ſah, 
die mehr materielle Mittel hatten als er. Diefer Fall trat im Jahre 
1654 ein, als zmwifchen Karl X. Guſtav von Schweden und Zohann 
Kaftmir von Polen ein Krieg ausbrach; jener hatte als Iutherifcher Re— 
präfentant des Haufes Waſa durch Chriftinens Abdankung einen Thron 
erhalten, den dieſer als Haupt ber älteren Linie beanfpruchte. Aber 
Karl X., begierig auf der Bahn feines großen Oheims Guftan Adolf 
unfterblichen Kriegsruhm zu erringen, beſchloß das Geinige nicht mır zu 
behaupten, ſondern noch durch Eroberungen zu vermehren; mit einem 
ftarfen Heere feiner ebenfo friegsluftigen und beutefüchtigen Schweden 
fiel er (im Juli 1655) das polnifche Reid; an. Hier waren nun zwei 


Feinde, Ge alle beide zu bem jungen Staate, der zwiſchen ‚nen lag, in 
Bierfon, preud · Gefhiähte. L 


146 Erwerbung ber Souveränität. 


natürlicher Gegnerſchaft ftanden. Denn Schweden ſchloß ihm die Ober 
und verriet ſchon die Abficht, fi), wenn e8 obfiege, der ganzen Dftfee- 
küſte zu bemächtigen, von ber e8 dem Haufe Brandenburg ein jo wichtiges 
Stüd vorenthalten hatte; und Polen hemmte fein Aufftreben, fo lange 
es die Lehnshoheit über Preußen befaß. Beide forderten, je nad) dem 
Auf und Abſchwung ihres Kampfes, ſchmeichelnd oder drohend den Bei- 
ftand des Kurfürften, der jedem bald unentbehrlich fehien; denn die 
Schweden hinderte die weite Entfernung ihrer Hilfsquellen, die Polen der 
unordentliche Zuftand derfelben. Friedrich Wilhelm hatte zuerſt ſich 
neutral halten, eine Mittelmacht bilden wollen, um dann demjenigen bei- 
äutreten, der die meiften Vorteile biete. Aber dem erften Angriff war 
das polnifche Reich fo raſch erlegen, e8 war der Schwedenkönig fo über- 
mächtig geworden, daß diefer den Kurfürften nötigen konnte, fich auf 
feine Bedingungen mit ihm zu verbinden und im Vertrage zu Königs- 
berg (17. Januar 1656) ftatt der polnifchen Lehnshoheit über Preußen 
die ſchwediſche anzuerkennen. 

Seitdem konnte es ſich für Friedrih Wilhelm nur darum handeln, 
die Verbindung, in die ihn der Eroberer gezwängt, und die ihm Polens 
Rache, wenn es fiegte, zuziehen mußte, fo zu wenden, daß er in jedem 
Falle aus ihr als Gewinner hervorging. Es kam ihm zu ftatten, daß 
es fi) bald zeigte, Polen war leichter zu erobern als zu behaupten; 
ſchon im Februar 1656 brad) dort ein allgemeiner Volksaufftand gegen 
die Schweden aus, und Johann Kafimir ftand bald wieder mit 
40000 Mann bei Warſchau. In dem Grade nun, als ſich für KarlX. 
die Schwierigkeiten der Lage mehrten, ftieg Brandenburgs Hilfe im 
Preiſe; er machte glänzende Verheißungen, er wollte Polen teilen und 
ein gutes Stüd davon dem Kurfürjten geben, wenn berfelbe ihm bei 
ftehe dieſes Reich zu zerftören. Aber dann wäre ja an die Stelle eines 
wenig gefährlichen Nachbarn ein übermächtiger getreten; Friedrich Wil- 
heim hielt e8 vielmehr in feinem Intereſſe, nicht Polen durd) Schweden 
verjchlingen, fonbern beide fid) durch den Krieg ſchwächen zu laſſen, um 
felbft defto ftärfer zu werden. Er ftellte daher übertriebene Forde— 
rungen für ganz geringe Leiftungen; feine Abfiht war, Zeit zu ge— 
winnen. Endlid), als er hinreichend gerüftet war, gewährte er dem 
Schwebenkönig das lange gewünfchte Bündnis (zu Marienburg am 
25. Juni 1656): kraft defielben follte die ganze brandenburgiiche Macht 
fid) mit der ſchwediſchen zur Eroberung Polens für Karl X. vereinigen, 
des Kurfürften Lohn in dem erblichen fouveränen Befig der Woiwod⸗ 
haften Poſen, Kaliſch, Siradien, Lenczicz und Wielun beftehen. Auch 
jetzt war Friedrich Wilhelm im Herzen feineswegs gewillt, Polens Unter« 
gang herbeizuführen; er fuchte vielmehr auch in Warſchau Unterhands 
lungen anzufnüpfen, die freilich nod) nichts fruchteten; in lächerlichem 


Sqhwediſch · polniſcher Krieg. 147 


Hochmut erklärten die Polen vielmehr, fie wollten den ungetreuen Vaſallen 
mit Stumpf und Stiel ausrotten, und Johann Kaſimir ſprach ſtolz: 
„wenn fich der Kurfürft ihm zu Füßen würfe, fo wifle man noch nicht, 
ob er Gnade fände.“ 

Natürlich hielten diefe Drohungen den Marſch der Brandenburger 
nicht auf; 8600 Mann ftark, zogen fie an der Seite von 9000 Schweden 
gegen Warſchau heran. Vor diefer Stadt, bei Praga, lagerte neben 
Schmwärmen von Tataren der Kern der polnischen Streitmacht, 40 000 
Mann, meift Reiterei. In einer ftarken Stellung verſchanzt und auf ihre 
Zahl vertrauend, erwarteten die Polen fiegesgewiß ben Feind, „der nur 
ein Frühſtück für ihre Tataren ſei.“ Ihr Hochmut Fam fchnell zu Fall. 
Am 28. Juli (18. Juli alten Stils) ordneten die Verbündeten ihr Meines 
Heer zur Schlacht, rechts die Schweden unter ihrem Könige, links die 
Brandenburger, die von dem Kurfürften und ben Generalen v. Sparr 
und Graf v. Walde geführt wurden. Der fumpfige, waldige Boden 
zwang in einzelnen Heerhaufen zu kämpfen und verzögerte bie Snticheis 
dung; doch warfen die Verbündeten am diefem Tage den Feind auf feine 
Verſchanzung zurüd; am folgenden drängten fie ihn zum Zeil ſchon 
hinaus, denn während der Kurfürft eine wichtige Anhöhe des Schlacht- 
feldes eroberte und gegen alle Angriffe der tatariſchen Reiter und des 
polnifchen Fußvolls behauptete, ſchwenkte Karl Guſtav mit dem übrigen 
Heere hinter den Brandenburgern und durch die umſchwärmenden Tataren 
lints ab, fo daß der Flügel des Feindes umgangen war. Am dritten 
Tage (30. Zult) galt e8 dem Zentrum, der ftärfften Stellung, wo im 
Balde vor Braga hinter vielen Verhauen das polnische Fußvolk, daneben 
auf Hügeln verſchanzt und durch Reiterei gedeckt das polniſche Geſchütz 
ſtand. Mit dem Rufe „Gott mit ung!“ ftürmten die Brandenburger, 
don Spare umſichtig und kühn geführt, zuerft gegen die Verhaue im 
Gehölz, die fie vafch einnahmen, dann unerwartet gegen die Höhen, wo 
die Reiter über den Haufen geworfen, die Geſchütze erobert und auf die 
Polen gerichtet wurden. Da wid) aud) der feindliche rechte Flügel, den 
unterbes die Schweden angegriffen. Im wilder Flucht ergoß fi) bald 
vor den nadjdringenden Siegern das polniſche Heer gegen die Weichiel- 
brüde, die von der Vorftabt Praga nah Warſchau führt. Vergebens 
bat und flehte Johann Kafimir, vergebens ermahnte die Königin; weder 
Adel noch Fußvolk war zum Stehen zu bringen. Hinter den prächtig 
gefleideten, koſtbar bewaffneten polnifchen Reitern flogen unwiderftehlich 
die brandenburgifchen, die, kärglich ausgerüftet, als Erkennungszeichen 
micht reiche Federbüſche, fondern Eichenlaub an den Hüten trugen. Mit 
dem Refte feines Heeres floh Johann Kafımir nad) Lublin. 

Doch felbft im Siegesraufche vergaß Friedrich Wilhelm nicht, was 
ihm die Politik gebot. Nachdem er mit feinem Verbündeten die Freude 

10° 


148 Erwerbung ber Souveränität. 


genoffen, triumphirend in Warſchau einzuziehen, kehrte er mit bem 
Brandenburgern nad) Preußen heim. Karl X. konnte daher den Sieg 
nicht fo, wie er gewollt hätte, ausbeuten. 

Vielmehr zogen ihm feine mehr glänzenden als reellen Erfolge jebt 
ringsum neue Feindſchaften zu; die Holländer fandten eine Flotte ins 
baltifhe Meer, das ein ſchwediſcher See zu werden ſchien; die Rufien 
fielen in Liefland ein; da fäumten auch die Dänen nicht, Schweden 
ihren Groll zu zeigen: auf allen Seiten ſah fid) der allzu hoch ſtrebende 
Emportömmling bedroht. Gern hätte num der Kurfürft fein Bündnis 
mit Schweden abgeftreift, zumal da auch ber Kaifer rüftete und dieſe 
Rüftung Brandenburg bedrohte. Er unterhandelte biehin und dorthin, 
aber da er fid) nad) feiner Art überall Hinterthüren offen hielt, fo zog 
ihm feine vielgewandte Politik das Mißtrauen aller zu und fein Staat 
mochte glauben, daß er mır notgebrungen ſich mit Schweden eingelafien. 
Er blieb daher feinem Bundesgenoffen vorläufig nod) getreu. Beide hatten 
auch bald Urſache feft zufammenzuhalten. Denn die leicht zeriprengten 
Reitermaffen des polnifchen Adels fcharten fid) ebenſo leicht wieder zu= 
fammen, fie eroberten Warſchau und bedrängten die ſchwediſchen Garni- 
fonen in Polen; zugleich fielen litaniſche und tatarifhe Horden in das 
Herzogtum Preußen ein, verbrannten hier viele Dörfer und Städte, er- 
ſchlugen oder raubten eine große Zahl von Menſchen (Dftober 1656). 
Es half wenig, daß die Verbündeten den Polen und Litauern einige 
Niederlagen beibrachten; Johann Kafimirs Heer erhielt fortwährend Zu— 
lauf; im November z0g er die Weichſel hinab nad Danzig und konnte 
dort ein Freudenfeft feiern. Er ftattete damit zugleich jener Stadt feinen 
Dank ab. Die Danziger hatten ihre Lage unter dem ſchwachen Zepter 
Polens immer ſehr vorteilhaft gefunden, daher von Anbeginn dieſes 
Krieges feit zu Polen gehalten, die Angriffe der Schweden tapfer ab- 
gewiefen und dadurch der polniſchen Sache in den Augen Europas fehr 
genützt. Darum befannte jet der polnifche Kanzler feierlichſt, in dieſer 
einzigen Stadt fei das ganze polnifche Reich) wider die Gewalt eines 
furchtbaren Feindes erhalten worden. 

Karl X. hielt es nunmehr für geraten, den Kurfürjten ganz für 
fid) zu gewinnen; er jeßte mit ihm im DVertrage zu Labiau (am 20. No- 
vember 1656) feft, der Kurfürft ſolle das herzogliche Preußen und Erm- 
land als fonveränen Befiß, Schweden aber den Reſt des königlichen 
Preußens mit Pomerellen, ſowie Samogitien, Semgallen, Kur: und 
Liefland erhalten. Außerdem überließ er Seezölle, die er in Preußen 
angelegt, an Brandenburg, das dafür 120000 Thaler als Entſchädigung 
zahlte. 

Dem Andringen, nun mit aller Macht wieber gegen Polen los⸗ 
zubrechen, wid, der Kurfürft jedoch aud) jegt aus; denn da Schweden 


Berkräge zu Labiau, Wehlau und Bromberg. 149 


noch andere Feinde zu befämpfen hatte, fo wäre auf ihn- die Hauptlaft 
des polniſchen Krieges gefallen; am meiften durd) brandenburgifche Kräfte 
wäre im Falle des Sieges Schwedens Herrichaft zwifchen der Marf und 
dem Herzogtum Preußen hergeftellt worden — das fonnte er nicht 
wollen; fein näcjfter Zweck, ſich der aufgedrungenen ſchwediſchen Lehns- 
Hoheit zu entwinden, war erreicht, auch feine ferneren Anftrengungen 
durften nur dem Vorteil des eigenen Staates gelten, mit welchem 
Schwedens Interefie, fo lange es auf der deutſchen Seite der Dftfee 
beharrte, unvereinbar blieb. Karl X. fah fich zuletzt genötigt, Polen 
fahren zw laffen und feine Waffen gegen Dänemark zu Tehren, welches 
ihm mittlerweile den Krieg erflärt hatte. Zornig führte er 1657 feine 
Schweden durch die Marken, die er wie Feindesland verwüftete, und fiel 
in Holftein ein. Obgleich er num dort große Fortſchritte machte, fo war 
& für jeden fharffinnigen Staatsmann doch unzweifelhaft, daß Karls 
Unternehmungen am Ende überall fcheitern würden, weil fie über 
Schwedens Kräfte hinausgingen. Friedrich Wilhelm wenigftens erkannte 
dies ſchon jet und hielt daher den Zeitpunkt für günftig, von dem 
ſchwediſchen Bündniffe entſchieden zurückzutreten. Dazu drängte ihn auch 
die Not feiner öftlichen Provinzen, bejonders der Neumark, Die von 
Litauern und Tataren greulic) verheert wurde, Er ſchloß daher unter 
Yaiferlicher Vermittlung am 19. September 1657 zu Wehl au mit Polen 
einen Vertrag, in welchem er alle Eroberungen herausgab, auch Bei— 
ftand gegen Schweden verſprach, dafür aber ein wichtiges Zugeftändnis, 
die Aufhebung der polnifchen Lehnshoheit, die Anerkennung feiner Sou- 
veränität im Herzogtum Preußen, erhielt. Bald darauf beſprachen 
Zohann Kafimir und Friedrid) Wilhelm in einer Bufammenfunft zu 
Bromberg mit einander, wie fie fid) gemeinfchaftlid, gegen Schweden 
ſchützen ſollten. Der Kurfürft traf bier jedoch bei den polnifchen Großen 
auf fo viel Erbitterung, daß er dem General Sparr, der mit Truppen in 
der Nähe ftand, den Befehl gab, auf Bromberg zu marſchiren und zu 
tun, was des Landes Ehre und Wohlfahrt verlange, denn, fügte er 
binzu, „die Polen wollen mir leges allbier vorfchreiben". Sparr rücte 
an, und unter diefem leifen Drud kam hier denn am 5. November 1657 
ein ergängenber Vertrag zuftande, der dem Kurfürften noch bie Herr 
Iaften Lauenburg und Bütow als erblichen Beſitz, Elbing (das er 
freilich) erft den Schweden entreißen follte) als Pfand für eine fünftige 
Zahlung von 400 000 Thalern verſchaffte; dagegen verpflichtete er fich, 
ben Polen während dieſes Krieges 4000 Mann Hilfgtruppen zu ftellen, 
zu deren Unterhalt ihm 120 000 Thaler und als Pfand für dieſe Summe 
die Staroftei Draheim zugefagt wurden. 

Um fid) nun gegen die Rache Karls X. zu fihern, der jehr auf 
gebracht war und ihm über feine zmweideutige, zuleßt bundbrüchige 


150 Erwerbung der Souveränität. 


Handlungsweife bie bitterften Vorwürfe machte, verband fi) der Kıkrfürft 
aud mit Dänemark und Ofterreih. Diefe Mächte waren freilich ſchlechte 
Stüßen; denn die Dänen wurden von Karl X. bald befiegt und «im 
März 1658) zum Frieden gezwungen, Leopold von Ofterreich aber zeigte 
fd) gegen Brandenburg unzuverläffig und eiferſüchtig. Es zeichnet 
Friedrich) Wilhelms großartigen Charakter und beweift, wie er bie 
Trummen Wege feiner Politik nur aus Notwehr und zu wirklich würdigen 
Zielen ging, daß er bei der Kaiſerwahl, die im Juli 1658 ftattfand, 
trotz Habsburgs Ungunft auf deſſen Seite trat. Ludwig XIV. von 
Frankreich hatte die größten Anftrengungen gemacht, die deutſche Krone 
zu erhalten, durch fein Geld waren bereitS drei Kurfürften für ihn ger 
wonnen; da nun Böhmen als öfterreichiiches Erbland hier nicht mit« 
ftimmte, fo mußte Brandenburg den Ausſchlag geben. Die Franzofen 
boten Geld, aber der Kurfürft, fo hoch gerade er den Wert dieſes Nervs 
aller Dinge jhäßen mußte, und fo wenig er aud nad) Sitte der Zeit 
gegen bdefien Annahme fid) zu fträuben pflegte, und obwohl er von 
Frankreich überhaupt für die Vergrößerung feines Haufes unvergleichlid) 
mehr erwarten konnte, als von Öfterreich, entſchied dennoch aus deutfcher 
Geſinnung unbedenklich für Leopold. 

Unterdeſſen verfolgte Karl X. einen neuen ausſchweifenden Entwurf; 
nur ein Königreich ſchien feiner Eroberungsluft ein angemefjenes Ziel; da 
es ihm in Polen mißlungen war, fo verfuchte er fein Glüd an Dänemark. 
Er ermeuerte bier unter einem guten Vorwande den Krieg, hielt das 
däntfche Feftland und die Heineren Infeln befeht, landete im Auguft 1658 
° in Geeland und belagerte Kopenhagen. Nachdem er das däniſche Reich 
zerftört und Norwegen an fid) geriffen hatte, gedachte er auch den Kur— 
fürften nieberzumerfen. Friedrich Wilhelm ließ e8 aber nicht dazu fommen; 
er feuerte die Verbündeten an und zog felbft mit feiner ganzen Macht 
zur Unterftügung Dänemarks herbei. Mit den Kaiferlichen vereinigt, 
drang er in Schleswig-Holftein ein, eroberte 1659 auch Zütland, ließ 
die Schweden fogar auf den Infeln angreifen. Im November 1659 ſetzten 
die Verbündeten auf einer holändifchen Flotte nach Fühnen über, und 
die Tapferkeit des brandenburgifchen Generals v. Duaft war e8, bie 
dann bier im Treffen bei Nyborg (am 24. November) zumeift den Sieg 
erringen half. Ebenfo eifrig betrieb der Kurfürft in Vorpommern, in 
Weitpreußen, in Kurland den Krieg, überall fochten feine Truppen mit. 
Karls X. Sache ftand verzweifelt ſchlecht. Während er die eit vor 
Kopenhagens Wällen verlor, wurden eine nad) der andern feine Garni» 
fonen aus den polnifehen Eroberungen, ja ſchon aus den beutfchen Ber 
fißungen vertrieben. Da fand Schweden einen mächtigen Beiftand an 
Frankreich, das jeht wie immer ein Freund der Feinde Habsburgs 
war. Ludwigs Minifter Mazarin drohte ein Heer nad) Deutfchland zu 


Friede zu Oliva. 151 


ſchicken, falls man Schweden nicht einen ehrenvollen Frieden bewillige. 
Die Holländer, Dänen, Polen waren gern dazu bereit, am eifrigſten 
wünſchten die letzteren der Kriegslaſten überhoben zu fein. Der plöß- 
liche Tod Karls X. (im Februar 1660) verftärkte ihre friedliche Stim- 
mung. Um nicht allein auf dem Kampfplag zu bleiben und die Vorteile 
eines allgemeinen Vertrags einzubüßen, mußten nun auch Öfterreidh und 
‘Brandenburg gelindere Saiten aufziehen. So wurde bei den Verhand- 
Iungen, weldye die Gejandten der Beteiligten fjeit dem Dezember 1659 
in Danzig und dem Danziger Dorfe Zoppot unter einander angeknüpft 
hatten, die Strömung immer günftiger für Schweden. Vergebens 
ftemmte fi) der Kurfürft entgegen, der aus dem Kriegsbrande gern 
größeren Gewinn davongetragen hätte, er mußte fid) fügen. Am 
3. Mai 1660 wurde dort im Klofter Dliva zwifchen Polen, dem Kaifer 
und dem Kurfürften einerfeitS und Schweden andererjeit3 ein Friede 
unterzeichnet, ber die Verträge zu Wehlau und Bromberg bejtätigte, im 
übrigen alles auf den Stand vor dem Kriege feßte. 

Mit Schmerz fah der Kurfürft aud) Diesmal feine Hoffnung auf 
Vorpommern geſcheitert. Dennoch, konnte er zufrieden fein. Der fünf 
jährige Krieg hatte alle Dftfeeländer ſchwer betroffen, von jeder der teil» 
nehmenden Mächte große Opfer an Blut und Geld gefordert, und doch 
zuletzt nur einem wefentliche Vorteile gebracht, ihm felbft, dem Kur- 
fürften; aber er war aud) der einzige geweſen, der unter allen Wechſeln 
der Ereigniffe den Dingen immer eine vorteilhafte Seite abzugewinnen 
und allemal ebenfo tapfer dreinzufchlagen als klug zu beredynen verftand. 
Die Gegner warfen ihm freilid) vor, feine Staatskunſt fei vol Arglift 
und Pfiffigfeit. Aber er konnte ſich mit dem Bewußtfein tröften, daß 
fie felbft ihm eine ſolche Politik aufgenötigt; daß er, nicht mächtig 
genug, mit Gewalt fie abzuwehren, dur Schlauheit ſich hatte der An— 
ſprüche erwehren müflen, die beide Parteien an ihn machten, ımd daß 
es feine Pflicht war, das Gut und Blut feiner Unterthanen einzig und 
allein für einheimiſche Interefien hinzugeben. Übrigens erhöhte gerade 
die Verſchlagenheit feiner Politik das Anfehen, welches der Kurfürft bei 
den leitenden Männern Europas genoß; er galt ſchon jept für einen 
Meifter der Staatskunft, und man fürdjtete feinen Ehrgeiz um fo 
mehr, weil er ſich auch als tapfern und geſchickten Feldherrn bewiefen 
hatte, 

Und wel, köftliches Gut hatte er gewonnen, — bie Souveränität! 
Er ftand mın mit gleichem Recht neben den Herrchern der Erde, wenn 
feine Macht auch noch nicht die Höhe der großen Könige und Kaifer 
rings erreichte. Unter feinen Landen war nun doch eins, wo er nie 
manden als Gott über fi) erfannte; in Deutſchland noch ein Lehnsmann, 
war er it Preußen ein volltommen unabhängiger Fürſt. Woran hier 


152 Erwerbung ber Souveränität. 


feit zwei Sahrhunderten die Herricher, zuerft Die Hochmeifter, dann die 
Herzöge, vergebens gerüttelt, die polnifche Lehnshoheit lag jet zer- 
trümmert am Boden. Das deutſche Grenzland, das dem Slawentum 
ſchon halb im Rachen ſteckte, war mın für immer gerettet, war wieder 
deutſch und felbftändig geworden. Damit hat ſich der Hohenzoller Friedrich 
Wilhelm ein hohes Verdienft um das ganze deutſche Volk erworben. 
Denn Oftpreußen war mehr als ein Stüd Land, e8 war nun ein un? 
abhängiger Staat in der Welt; ein Staat, aus deſſen Souveränität erft 
das preußijche Königtum, ein „Neubeutichland”, aus deſſen Volkskraft 
erft die Erhebung von 1813 hat entftehen können. 

Zunãchſt freilicd) diente die Souveränität nur zur Gründung des 
Abſolutismus; denn jegt war mit der polniſchen Dberhoheit die Stütze 
dahin, an die fid) die preußiſchen Stände noch hätten lehnen Können, und 
was wollten ihre vergilbten Pergamente gegen das blanfe Schwert, was 
ihre Rechte gegen die Macht ausrichten? Der Kurfürft trat ihnen als 
der Herr entgegen, der er fein wollte und im Interefie des Einheitsftants 
allerdings auch fein mußte. Während des polniſch-ſchwediſchen Krieges 
hatte ihn Die Notwendigkeit entſchuldigt, als er in Preußen troß des 
Widerſpruchs felbft feiner dortigen Beamten, der Dberräte, eine Hufen= 
und Vermögensftener ausfchrieb und durch feinen Statthalter, den Fürften 
Radziwil, ftarfe Lieferungen an Getreide und anderen Kriegsbedürfnifien 
eintreiben und Steuer auf Steuer folgen ließ, obwohl das Herzogtum 
durd) Die Einfälle der Litauer, Tataren und Polen ſchon 1656 auf große 
Strecken verödet, 13 Städte, 249 Dörfer und Höfe, 37 Kirchen ein- 
geäfchert, 23000 Menſchen erfchlagen, 34000 in bie Sklaverei fort- 
geichleppt waren. Aber die Unzufriedenheit des Landes ftieg zur äußerften 
Erbitterung, als der Kurfürft aud) nach dem Frieden gewaltfam und ver- 
faflungswidrig verfuhr, als er nicht abließ aus eigener Willkür Steuern 
aufzulegen und durch militärifche Exekution von den Verweigernden ein- 
zutreiben, als er Die Willfürherrfchaft zu verewigen fich anfchickte, indem er 
Städte und Adel einzeln aufforderte, ihm nun als Souverän zu huldigen. 
Die Stände entſchloſſen ſich zum emticheidenden Kampfe für ihr Recht, 
die Sache mußte endlich zum Austrag kommen. Sie antworteten, die 
Huldigung dürfe nur auf dem Landtage und nur gegen Betätigung ber 
Landesrechte erfolgen, vor allem müſſe die ungeſetzliche Beſteuerung auf- 
hören; und da der Kurfürft auf feinem Sinn beharrte und neue ftrenge 
Befehle ſchickte zu Huldigen und zu zahlen, fo wuchs die Aufregung, und 
die Stände bereiteten fi) zum offenen Widerftande vor. 

Die Seele defelben war der Schöppenmeifter von Königsberg, 
Hieronymus Rode, ein Mann von umbeugfamer Willenskraft und 
rüdfichtslofer Verwegenheit, banfrot in feinen DVermögensverhältniffen, 
aber unerſchütterlich in feinen Abfichten und Anfichten. Durch Wieder 


Hieronymus Rode. 153 


berftellung des alten polniſch⸗preußiſchen Weſens glaubte er zugleid) feinen 
eigenen Nutzen und das Gemeinwohl, an dem ihm nicht weniger lag, am 
beften fördern zu können. Ehre und Geld hoffte er dabei für ſich, Recht 
und Freiheit für fein Vaterland zu gewinnen. In dem Kurfürften fah 
er nur den tyrannifchen Unterdrücer, den Räuber der Rechte feiner 
Stadt und des Landes, jener Rechte, die mit Gut und Blut erfauft und 
durch fo viele Eide der Landesherren, ja des Kurfürften felber bekräftigt 
waren; er hielt es für feine, für aller Preußen heiligfte Pflicht, die Frei- 
beiten, die fie von den Vorfahren geerbt, unverfürzt auf ihre Nachkommen 
zu bringen. Im diefer Überzeugung, ber Geſetzmäßigkeit feiner Abfichten 
fid) bewußt, forderte er feine Mitbürger auf, für die gute Sache mit Leib 
und Leben einzutreten. Königsberg beftand damals aus brei Städten, 
der Altftadt, dem Kneiphof und dem Löbenicht, die durch einen Magiftrat 
und durch die Verfammlung ber Schöppen regiert wurden. Es faßen 
Semäßigte in biefen Behörden, aber bei weitem die Mehrzahl derfelben, 
fo wie die Maſſe der Bürgerjchaft hing Rode an, der wie ein Volls- 
tribun gebot. Auch die meiften Geiftlichen, Lutheraner, die ben refor- 
mirten Kurfürften um feines Bekenntniſſes und feiner Toleranz willen 
haßten, regten das Volk in Rodes Sinne auf. Von den übrigen Städten 
im Herzogtum waren zwar viele mit Königsbergs Haltung nicht ein- 
verftanden, da aber andere dieſem beiftimmten und die Hauptftadt für 
die natürliche Führerin der übrigen galt, fo konnte Rode wohl jo auf- 
treten, als ftehe er an der Spike des ganzen preußiichen Bürgertums. 
Er fuchte nun nach Art des preußifchen Bundes von 1440 eine fefte 
Bereinigimg der Stände herbeizuführen und Iud ben Adel ein, ſich troß 
des kurfürſtlichen Verbots zur Beiprehung ber Lage des Landes in 
Königsberg zu verfammeln. Es kamen auch über zweihundert Edelleute 
und hielten am 11. Februar 1661 unter dem Vorſitz ihres Führers, des 
Generals Albrecht von Kaldftein, auf dem altftäbtifhen Rathauſe eine 
Sitzung. Die Unternehmung ſchien Erfolg zu haben; denn der Kurfürft 
berief num endlich (im Mai) einen Landtag, und diefer ſprach fich ein- 
mütig für das alte Landesrecht aus; felbft die gemäßigtften unter den 
Ständen verlangten, der Kurfürft folle ihre Privilegien ungefränft laſſen, 
die Königsberger aber erflärten entjchloffen, „fie würden Friedrich Wilhelm 
als einen Fürften, der alle Fürften in der Welt an großen Eigenfchaften 
übertreffe, freudig empfangen; wenn er aber fäme, fie zu unterdrüden, 
fo würden fie Gewalt mit Gewalt abtreiben." Der Statthalter richtete 
nichts aus: den Briefen des Kurfürften, der die ſtändiſchen Rechte nur 
infofern beftätigen wollte, als fie feiner Souveränität nicht widerſprächen, 
der alfo in der That eine bedingungslofe Hulbigung forderte, eine un- 
umſchränkte Gewalt in Anſpruch nahm, ſetzten die Stände immer Dies 
jelbe unleugbare Thatfache entgegen, der König von Polen habe zu 


154 Erwerbung der Souveränität. 


Wehlau und Dliva nichts abtreten können, was er nicht befeflen; fie 
feien freie Leute gewejen auch unter polnifcher Oberhoheit. Gewalt 

" mußte den Knoten löfen. Die Mißvergnügten bedachten fid) feinen Augen- 
blid, die Polen um bewaffneten Beiftand anzugehen; ihr Gefichtskreis 
reichte noch nad) der Weife des Mittelalters über die engen Grenzen 
ihres Sonderweſens nicht hinaus. Sie wollten unter der Herrihaft von 
Polen bleiben, um ihre Verfafjungsredjte zu behalten. 

Königsberg hatte auf Rodes Anregung den Antrag eingegeben: „Da 
die Unterwerfung Preußens unter die Krone Polen zur Zeit des Ordens 
nur mit Bewilligung der polnischen Stände geſchehen fei, mithin auch 
nur mit deren Bewilligung aufhören dürfe, fo folle die Souveränitäts- 
frage auf einem polnifchen Reichstage erledigt werden." Die Oberräte 
antworteten mit dem ausbrüdlichen Verbot, Gejandte nach Polen zu 
ſchicken. Dennod ging Rode im Februar 1662 nad) Warſchau und 
forderte zu bewaffnetem Einfchreiten auf; er trat gleichſam im Namen 
aller Städte auf und ſchloß feine Bitte um Hilfe mit der Erklärung, 
„die Königsberger wollten eher dem Teufel unterthänig werben, als länger 
unter ſolchem Drude leben." Aber der König von Polen ließ es aus 
Zurdt vor dem Kurfürften bei wohlwollenden Worten bewenden. Auch 
der preußifche Abel täufchte Rodes Erwartungen; er fiel von ber gemein- 
famen Sadje ab. Denn als der Kurfürft nad) dem Grundſatz „teile 
und herrſche“ auf dem Landtag die Hufenfteuer, die den Abel traf, auf 
gab und nur eine Accife verlangte, welche größtenteils von den Städten 
getragen werden mußte, fo bewilligte Der Adel diefelbe und ließ fich die 
Erklärung gefallen, „da Landesherr und Oberftände die Accife wollten, 
fo hätten fi) die Unterftände (die Städte) der Mehrheit zu fügen.“ 
Damit war es dem Kurfürften gelungen, den Landtag zu fpalten; er 
hatte das Spiel ſchon halb gewonnen. Am 25. Oktober 1662 langte 
er jelbft mit einer Truppenabteilung in Königsberg an, entichloffen, den 
legten Widerftand mit Gewalt zu brechen. 

Es kam vor allem darauf an, der Oppofition ihr Haupt zu nehmen. 
Der Kurfürft ſchickte daher fogleich nach feiner Ankunft einen Oberften, 
er hieß Hille, mit einer Schar Musketiere ab, um Rode feitzunehmen. 
Aber die Bürgerfchaft lief mit Stangen und Spieken zufammen und hieb 
auf die Soldaten ein, bis dieſe unverrichteter Sache ins Schloß zurüd- 
wichen. Befler gelang eine Lift. Der Kurfürft ließ (am 30. Oftober) 
die Bürgerſchaft auf die drei Rathäufer entbieten, als gelte es eine Be- 
ratung. Unterdefien mußte Oberft Hille mit 100 Dragonern durch die 
Stadt ziehen, ſcheinbar um einen Zug Rüftwagen vor Die Stadt zu ge 
leiten; plötzlich wandte er um, fperrte mit den Wagen die Straße, wo 
Rode wohnte, bemächtigte ſich defielben, der arglos zum Fenſter hinaus- 
ſah, umd bradjte ihn eiligft aufs Schloß. Alsbald ließ der Kurfürft, 


Ludwig von KRaldftein. 155 


was gefchehen, der auf den Rathäufern verfammelten Bürgerſchaft an- 
zeigen. Sie nahm die Mitteilung ſchweigend auf; denn fie erfuhr 
zugleich, 3000 Soldaten feien im Schloßhofe aufmarſchirt, die Kanonen 
vom Schloßplatz, ſowie von dem nahe gelegenen Fort Friedrichsburg 
auf die Stadt gerichtet. Die Bürger mußten zufrieden fein, daß ber 
Kurfürft nun auf dem Schloß ftatt der roten SKriegsfahne die weiße 
Friedensfahne aufziehen ließ und verſprach, mit Rode nur nad) dem 
Rechte zu verfahren. Er hielt übrigens fein Verſprechen nicht; zu ge— 
fährlich ſchien ihm diefer Mann, um ihn wieber loszulaſſen; er ſchickte 
den Gefangenen als einen Hochverräter auf die Feſtung Kolberg, dann 
nad) Peiz und ließ ihn dort bis an feinen Tod (1678) in beftändiger, 
wenn aud) nicht ftrenger Haft verbleiben. 

Die Sadje, weldjer Rode gedient hatte, war feit feinem Falle hoff: 
nungslos geworden. Zwar bemog die zähe Ausdauer, mit der die bald 
wieder geeinigten Stände an der Verfaffung fefthielten, und der allge 
meine Unmille des Landes den Kurfürften, jo weit nachzugeben, daß er 
am 12. März 1663 in der „Affecuranz“ urkundlich umd auf fürftliche 
Treue und Glauben alle hergebradhten Privilegien der Stände beftätigte 
und verhieß, ohne Rat und Bewilligung des Landtags weder Steuern 
aufzulegen noch Krieg anzufangen. Auch nahm er (am 1. Mai) die 
Acciſe zurüd und räumte den Oberräten in gewiflen Landesfachen einige 
Selbftänbdigkeit ein. Aber alles dies that er nur, um endlich Die Hul- 
digung des Landes zu erlangen. Nachdem fie am 18. Oktober 1663 im 
Schloß zu Königsberg erfolgt war — in Gegenwart polnifcher Gejanbten 
empfing der Kurfürft, auf einem rotfamtnen Throne figend, den Eid der 
Eheleute, der Abgeordneten der Städte und Zünfte umd aller Beamten; 
fie ſchworen, daß fte ihn für ihren alleinigen, wahren und unmittelbaren 
Oberherrn erfännten und ſich durch nichts davon wollten abbringen 
lafien, — feitbem trat Friedrich Wilhelm in Preußen als unumfchräntter 
Herr auf. Wenn er noch Hin und wieder ben Landtag berief, fo ge 
ftattete er ihm nur über die Art und Weife der Erhebung, nicht über die 
Bewilligung der Steuern zu entjcheiden. An feinen Eid band er fi 
nicht; er Heß die ftändifchen Privilegien nur dann gelten, wenn fie ihm 
nicht fehadeten. Die Beſchwerden bes Landtags eben jo wie ber freien 
Bauern, auf denen die Laft der Einquartierung und ber immer wad}- 
fenden Auflagen am härteften drücte, waren vergebens. 

Noch einmal rührten fi die Unzufriedenen. Im März 1669 erſchien 
der Oberft Ludwig von Kaldftein, wie fein Vater der General, ein 
leidenfchaftlicher Feind des Kurfürften, in Warſchau, um dort im Verein 
mit Rodes Sohne den König und die Großen zu bewegen, baf fie bie 
preußiſchen Stände, in deren Auftrag er zu kommen vorgab, gegen bie 
brandenburgifche Willkürherrſchaft unterjtüßten. Er behte die Polen 


156 Erwerbung der Souveränität. 


immer heftiger auf und ging felbft fo weit, den brandenburgifehen Ge- 
fandten von Brandt vor verfammeltem Reichstage gröblich zu beleidigen. 
Allein er konnte einen Krieg nicht entzünden und beftegelte nur fein 
eigenes Verderben. Denn der Kurfürft bewies, daß fein Arm aud) bis 
Warſchau reiche. Brandt mußte, da die Polen den Hochverräter ſchlechter⸗ 
dings nicht ausliefern wollten, fich deſſelben mit Lift und Gewalt be— 
mächtigen. Als ihn Kaldftein eines Tages befuchte, Tieß er ihm durch 
verftecht gehaltene brandenburgifche Soldaten — es war eine eine Ab- 
teilung Dragoner unter Hauptmann Montgommery — überfallen, binden 
und fnebeln, dann in eine Tapete wiceln und fchleunigft zu Wagen von 
Warſchau nad) Preußen ſchaffen (am 28. November 1670). Er jelbft 
flüchtete bald nach der kecken That und empfing von feinem Herrn, um 
die Erbitterung der Polen zu bejänftigen, zum Schein eine Strafe, 
fpäter defto reichlicheren Lohn. Kaldftein aber wurde von Furfürftlichen 
Richtern als Hochverräter verurteilt und am 8. November 1672 zu 
Memel Hingerichtet. Er erlitt fein Unglück ebenſo ftandhaft und ruhig 
wie Rode, mit dem er den guten Glauben an fein Recht teilte, obwohl 
and) er feineswegs ganz uneigennüßige und reine Abfichten verfolgt 
hatte. 

Alles Widerftreben half alfo nichts. Durch Drehen und Deuteln, 
Verſprechen und Drohen, zulegt mit offener Gewalt, die vor feinen 
Rechtsbruch zurückſcheute, brachte der Kurfürft die preußifche Verfafjung 
auf den Fuß der brandenburgijchen, verwandelte fie aus einer Art von 
Adelsrepublif in eine unumſchränkte Monardjie, wo niemand Recht hatte 
als der Fürft. 

Mit gleicher Energie wie am Pregel bradjte er aud) am Rhein und 
an ber Elbe fein landesherrliches Anfehen zur Geltung. In Kleve 
hatten fid) die Stände, die frühere umnfichere Stellung der Landes- 
herrſchaft benutzend, Rechte ertroßt, die dem Fürſten nicht viel mehr als 
den Titel übrig ließen. Friedrich Wilhelm fügte ſich diefem Verhältnis, 
fo lange er mußte. Als ihm ber olivaer Friede die Hände frei machte, 
war eine feiner erften Mafregeln ein Staatsftreid gegen die kleviſche 
Verfafſung. Alle Beſtimmungen derfelben, die ihn zu fehr beengten — 
namentlid) daß er ohne Erlaubnis der Stände nicht Truppen ins Land 
bringen, noch folche dort werben dürfe, fowie daß die Stände befugt 
feien, zum Schuß ihrer Privilegien ſich eigenmächtig zu verfammeln und 
Widerftand zu leiften — hob er auf, ftellte die übrigen Geſetze zu einer 
neuen Verfafjung zufammen und erzwang durch Androhung militärifcher 
Erekution die Annahme derjelben durch den Landtag (3. November 1660). 

In Magdeburg hatte er überhaupt noch Fein Regierungsredht, 
aber doc) eine nahe Anwartſchaft. Auch hatten ihm die Stände bes 
Landes (am 4. April 1650 zu Großfalza) die Eventualhuldigung ge— 


Erbverglei zu Kleve. 157 


leiſtet. Nur die Stadt Magdeburg verweigerte dieſe; fie beanjpruchte 
die Stellung einer freien Reichsſtadt. Auch hier endete der Kurfürft den 
Streit zulegt durch raſche Gewalttat. Im Frühling 1666 ließ er plöß- 
lid) einige Regimenter unter dem Feldmarſchall Sparr in die Nähe der 
Stadt rüden und befahl drohend Unterwerfung. Beftürzt, zu ſchwach 
einen ſolchen Kampf zu beftehen, ergaben ſich die Magdeburger; durch 
Vertrag vom 6. Juni 1666 zu Klofter Bergen willigten fie ein, branden- 
burgifche Befagung einzunehmen und dem Kurfürften die Huldigung zu 
leiften; am 23. Juni fand letztere ftatt; die wichtige Elbfeftung, das 
Hauptthor zu den Marken, war brandenburgifd). 

In demfelben Jahre, doch auf friedlichem Wege, beendete der Kur- 
fürft einen langen Streit, den er wegen feiner rheinifchen Lande mit dem 
Haufe Pfalz Neuburg gehabt hatte. Er war der Anficht, die Teilung 
vom Jahre 1614 fei feine gerechte gewefen, zumal da Ravenftein dem 
Haufe Brandenburg vorenthalten worden. Sehe man den Wert ber 
geſamten jülichſchen Erbſchaft = 100, fo fei Zülih = 38, Kleve = 20, 
Berg = 18, die Grafihaft Markt = 14, Ravensberg = 6, Raven- 
ftein = 4; der Pfalzgraf habe alfo ftatt der Hälfte, die ihm gebühre, 
drei Fünftel inne. Diefer brachte dagegen mancherlei Gründe der 
Billigkeit vor. Der Kurfürft entfchloß fi nun, die Sache zu gütlichen 
Austrag zu bringen. Im Erbvergleich zu Kleve (am 19. September 
1666) begrügte er fid) mit Kleve, Mark und Ravensberg und ließ fi 
dann für Ravenftein mit einer Geldfumme abfinden. Er gewann dadurd) 
an dem Herzog von Zülich-Berg einen Yreund, der feitdem treue Nach- 
barſchaft hielt, und fein Regiment in Kleve ſchlug defto feſtere Wurzeln. 

So ſchaffte ſich Friedrich Wilhelm zum Pflegen und Schützen feines 
jungen Staates überall freie Hand. Inzwiſchen dauerte feine Arbeit 
auch in der Verwaltung erfolgreich fort, bejonders im Kriegs» und 
Finanzfach. Schon im Jahre 1656 hatte er dem Heere ein „Kriegsrecht” 
gegeben, welches alle Verhältniſſe desfelben ordnete; 1665 wurde e8 in 
deutſcher Sprache (ftatt der in Rechtsbüchern Damals üblichen Tateinifchen) 
neu herausgegeben, aud) ein fürmliches „Übungs-Reglement" hinzu- 
gefügt. Zwei Jahre darauf (1667) feßte er die längftgewünfchte Steuer- 
reform wenigjtens in einem Zeile feiner Staaten durch. An bie Stelle 
einer fehr drüdenden und doch wenig einträglicyen Abgabe, der „Kon- 
tribution", trat zunächft in den Städten der Mark Brandenburg eine Be- 
fteuerung gewifjer Lebensmittel und Handelsgegenftände, die Accife. Sie 
traf alle Einwohner gleihmäßig, wurde daher ohne Beſchwerde getragen 
und führte doc) große und regelmäßige Einnahmen herbei, welde dazu 
verwandt wurben, den Unterhalt des Heeres fiherer zu ftellen. Freilich 
auch bei der Ordnung des Steuerwefens bereicherte fid, der Staat wieder 
auf Koften einzelner. Zu den wichtigften Privilegien der Ritterſchaft ge» 


158 Erwerbung ber Souveränität. 


hörte e8, daß fie, abgejehen von dem Lehnspferde und der Grumdfteuer, 
die ihre Hinterfaffen aufbrachten, fteuerfrei war; dieſes Vorrecht beſchnitt 
nun der Kurfürft auf jede Weife und verbot bejonders, die adlige 
Steuerfreiheit auf diejenigen Güter auszudehnen, welche der Adel im 
Laufe der Zeit von den verarmten Bauern an fid) gebracht hatte. Auch 
die Pfarrer, Freiſaſſen und Schulzen waren bisher von manchen Steuern 
frei gewefen, fie blieben jet nur in dem Yalle bevorredhtet, wenn fie 
ihre Privilegien durdy Urkunden beweiſen fonnten; eine ſchwierige Auf- 
gabe, denn wie viele Dokumente waren in der langen Kriegszeit ver 
loren gegangen! ine andere Geldquelle eröffnete ſich der Kurfürft in 
mandjerlei Monopolen, bejonders in dem Alleinhandel mit Salz und 
Mühlſteinen. Heilfamer war die Finanzmaßregel, die er 1666 vornahm; 
er hob nämlich die Münzgerechtigfeiten aller Städte auf und nahm das 
Münzrecht ganz an ſich. 

Auch das dritte Machtmittel außer dem Heere und den Finanzen, 
das Beamtentum, wurde nad) Erwerbung der Souveränität noch nutz⸗ 
barer gemacht. Der Kurfürft jeßte in alle Stellen, wo es nach den 
Landesverfafjungen nur immer anging, ohne Unterjchied Brandenburger 
und Preußen, Pommern und Nheinländer und beförderte fo die Ver— 
ſchmelzung der Landſchaften zu einem Staate; zugleich aber gemöhnte 
er alle Beamten, ben Weifungen, die vom Mittelpunkt des Staats, aus 
dem Kabinet ober dem Geheimen-Rat, famen, unbedingt zu gehorchen, 
was einerfeitö feinen Abfolutismus ftärfte, andrerfeits erft eine einheitliche 
und folgeredjte Verwaltung ermöglichte. So bahnte er die Bentralifation 
des Staates An. 

Friedrich Wilhelms befte Rechtfertigung liegt in feinen Leiftungen; 
er gab den Unterthanen mehr, als er ihnen nahm. Diejelbe Ber 
ſchraͤnktheit, mit der das Volt alles Heil in dem veralteten Sonder- 
vorrechten ſah, zeigte fi) in feinen Mangel an Unternehmungsgeift, in 
feinem Beharren bei dem gewohnten Saumfal. Es that ein Zreiber 
not, die Kräfte zu weden und auf die rechte Stelle zu wenden. Dies 
iſt im fiehzehnten und achtzehnten Jahrhundert das Amt des abfoluten 
Herrſchers geweſen; der große Kurfürft führte es jeßt, nachdem jeder 
Widerftand gebrochen war, mit voller Kraft. Er zog nicht mur, wie 
früher, fremde Anftebler herbei, um die verödeten Feuerftellen wieder an- 
zubauen; er verorbnete auch, daß jüngere Bauernföhne wüfte Höfe an- 
nehmen müßten, befahl, die mit Fichten bewachſenen wüften Ader von 
den Wölfen zu jäubern und wieber urbar zu machen, gab, ohne fi) um 
die engherzigen Zunftgeſetze zu kümmern, denen, die fi auf verlafienen 
Stellen in den Städten anbauten, Bürgerrecht und erleichterte die Auf- 
nahme in Die Gewerke, verbot den Bünften gewifje Klaſſen, 3. B. die 
Kinder von Schäfern, auszuſchließen, erklärte diefe für ehrlich. So 


Friedrich · Wilhelms · Kanal. 169 


ſchaffte er auch das Edikt von 1573 ab, welches den Juden verbot, 
fih in der Mark niederzulafien, und öffnete den im Jahre 1670 aus 
Öfterreich verjagten feine Staaten; doch nahm er nur eine bejtimmte 
Anzahl füdifcher Familien auf, denen er dann gegen eine beftimmte Ab- 
gabe erlaubte Handel zu treiben. Daß feine Bevormundung fehr nötig 
war, bewies ber Buftand der Haupt» und Refidenzftadt Berlin. Nach 
alter Weile ſah es um die Reinlichfeit ihrer Straßen gar übel aus; an 
vielen Häufern ragten die Schweineftälle auf den Weg. Dagegen fchritt 
der Kurfürft ſchon 1660 mit einer neuen Gafjenordnung ein. In und 
bei der Stadt ftritten fi) auf manchen Strecken Gebüſch und Sumpf 
um bie Herrihaft; auch bier legte der Kurfürft felbft Hand ans Wert, 
ließ (1670) den „Friedrichswerder“ austrocknen und ausroden; von ihm 
rührt ferner der erfte Anfang der Sriedrichftabt und der Dorotheenftadt 
her (1673). Biel that zum Aufkommen der Städte feine beffere Art zu 
befteuern; die Berliner fchrieben es der Einführung der gerechten Acciſe 
zu, daß der Bürger feine Laft nun leichter trug und Daß binnen zwei 
Jahren in Berlin 150 Häufer wiederhergeftellt oder neu erbaut werben 
Tonnten. 

Der Kurfürft that aber auch viel, was dem Nährftand unmittelbar 
nügte. Er ermunterte zum Bau von Fabriken und ging darin felbft 
voran, errichtete in Marienwalde, Regenthin, Joachimsthal Glashütten, 
in Peiz und Rathenow Eifenhämmer, in Wiefenthal einen Blechhammer. 
Ein Verbot ausländifcher Waren ſchützte die junge einheimtfche Induſtrie. 
Die meiften Verdienfte erwarb er fid) um den Handel, beſonders durch 
den Bau des drei Meilen langen Friedrich-Wilhelms-Kanals bei 
Mülrofe zwiſchen Oder und Spree. Man arbeitete daran ſechs Jahre 
lang (1662 — 1668); bie leitenden Baumeifter waren der Piemonteſe 
Philipp von Chiefe*) und der Brandenburger Ernſt Blefendorf; die 
Brüden und Schleufen baute der Holländer Smids. Am 28. März 1669 
fuhren die erften Kaufmannsſchiffe, fünf große Kähne von Breslau, durch 
den Graben und langten am 4. April in Berlin an, von wo die Waren 
nad) Hamburg verfehifft wurden. Bald darauf kamen dann hamburger 
Schiffe durd den Kanal nad) Breslau und Frankfurt. Es war mit 
diefem Werke des großen Kurfürften wie mit den anderen: einzelne fanıen 
dadurch in Schaden, aber das Ganze gewann ungemein. Bisher hatte 
nämlich Frankfurt a. D. ben Stapel zwifchen der Mark und Polen ge- 
Habt und war der Mittelpunkt des Oderhandels geweſen; diefe Vorteile 
büßte es nun zum großen Zeil ein. Dagegen brachte die neue Straße 
nicht bloß Berlins Handel, das jept in ber Mitte eines Waſſerweges 


®) Erfinder jener Wagen (Chaiſen), die man nad; der Stabt, wo fie zuerft gebaut 
wurden, Berlinen nannte, 


160 Erwerbung der Souberänität, 


zwiſchen den großen Pläßen Hamburg und Breslau lag, fondern auch 
den gejamten Berfehr der Marken in unvergleichlich höhern Schwung. 
Damit aud) die Unterthanen das ihrige thäten, dem Kaufmann die 
Wege zu ebnen, befahl der Kurfürft, überall die Brüden, Damme und’ 
Wege auszubefiern, auch Krüge und Wirtshäufer an den Landftraßen 
anzulegen. Er trieb im Kleinen wie im Großen zum Fortſchritt. 

Wie er aus allem, was er gering und vernachläffigt überkam, wenn 
es brauchbar war, etwas Tüchtiges zu machen wußte, dafür zeugt bie 
herrliche Bibliothef, die er gegründet hat. Im Schlofje zu Berlin fand 
er einmal auf dem Boden unter dem Dad; eine Menge von Büchern 
liegen, Erbftüde von Johann Cicero und Joachim I.; er beſchloß auf 
der Stelle, aus ihnen eine rechte „Geiftesnahrung” herzuftellen, berief den 
gelehrten Johann Rave als Oberbibliothefar, übergab ihm die Bücher, 
ließ fie (1661) in einem befonderen Flügel des Schloffes aufftellen und 
wies einige Heine Einkünfte an, um fie fortwährend zu vermehren; durch 
Ankauf, Schenkungen, auch durch Freieremplare, die jede Buchhandlung 
des Landes von allen neuen Werfen einfenden mußte, ift die Bibliothek 
dann raſch gewachſen. In einem Nebenzimmer ließ der Kurfürjt ein 
Antiken-, Kunft- und Naturalien-Rabinet einrichten, für welches er eben- 
falls eifrig ſammelte. 

Die energifche Schöpferkraft, mit der er fo viel Neues umd Großes 
ins Leben rief und bei frifchem Leben erhielt, war nüßlichen Vorſchlägen 
leicht zugewandt; er lehnte einen Antrag nie darum ab, weil er zwar 
viel verjprechend, aber ſchwierig oder abenteuerlich ausſah. Es drängten 
fid) daher auch Leute an ihn mit Entwürfen, die unter dem Schein ber 
Gemeinnützigkeit nur die Bereicherung des Projeftenmachers bezweckten. 
Der Kurfürft ließ ſich indeffen felten und nie lange täufchen; fein ſcharf 
auf das Wejentliche gerichteter Blick wurde durch feine lebendige Phan- 
tafie zuweilen abgelenkt, doc fand er ſich allemal bald wieder zurecht. 
So täufchte ihn zwar aud) die Alchymie; er glaubte an fie, wie man es 
damals allgemein that; aber er hielt darauf, daß ihm für fein Gelb 
doch auf jeden Fall irgend etwas Nützliches geichafft werde; und fo fand 
denn der Leiter feines Laboratoriums (auf der Pfaueninfel bei Potsdam), 
der Holfteiner Kundel, zwar nicht die Kunft Gold zu machen, aber 
die Kunft, das Nubinglas zu bereiten. Faſt ebenfo phantaftifd wie 
die Alchymie, aber edel und ſchön war der Plan einer „Univerfal- 
Univerfität" und „Gelehrtenrepublif”, den ihm (1666) der ſchwediſche 
Reichsrat Benedikt Skytte voll Begeifterung für die Wiſſenſchaften vor— 
trug. Der Kurfürft follte eine mwohlgelegene Stadt in der Mark, etwa 
Tangermünde, zur Treiftätte für alle Gelehrten und Künftler der ganzen 
Welt umwandeln; bier follten Jünger und Freunde der Mufen, die in 
ihrem Vaterlande aus religiöfen oder politifchen Gründen verfolgt 


Toleranz. 161 


würben, fi) anfiedeln, hier volle kirchliche und bürgerliche Freiheit finden, 
um ganz ihren Studien zu leben. Diefe Gelehrtenftadt follte unter des 
Kurfürften Schutz und Oberhoheit ſich felbft regieren und ein ewiger 
Triebe ihr Vorreht, das Latein ihre gemeinfame Sprache fein. Dan 
würden gebildete Fremde in Maffe einziehen und mit dem geiftigen Ver- 
mögen auch die materiellen Mittel der Mark außerordentlich vermehren. 
Friedrich Wilhelm ergriff lebhaft dieſen glänzenden Plan; er gedachte 
allen Ernftes, ihn zu verwirklichen. So erſchien denn, am 22. April 
1667 vom Kurfürften unterzeichnet, ein „Sründungspatent für die neue 
brandenburgifche Univerfität der Völker, Wiſſenſchaften und Künſte“, 
welches allen Nationen und Sekten, auch Juden, Muhamedanern und 
Heiden, wenn fie ihre Irrtümer für fi behielten und als ehrliche Bürger 
lebten, in diefer neuen Stadt, dem „Sih der Mufen, Tempel der Wiffen- 
haften, Werkftatt der Künfte, Zufluchtsort der Tugend und Königsſitz 
ber erhabenften Herricherin der Welt, der Weisheit“, gleiches Bürgerrecht, 
republifanifche Verfafſung und ewigen Frieden verhieß. Allein Skyttes 
Prophezeiung, die Gelehrten und Reichen würden nım aus allen Ländern 
nad) der Mark, wie nad) einem gelobten Lande, ftrömen, um Bürger ber 
neuen Weltimiverfität zu werben, ging nicht in Erfüllung, und ber Plan 
blieb auf dem Papiere liegen. 

Zu den jchönften Zierden dieſes idealen Baues gehörte die religiöfe 
Duldung, die hier herrſchen follte; der große Kurfürft, auch hierin feinem 
Volke weit voraus, hatte fie immer geübt, aber der Abfolutismus gab 
ihm dazu erft die rechte Kraft. Wie läfterlic) verfegerten ſich noch immer 
feine Unterthanen! wäre es nad) ihrem Willen gegangen, fie hätten 
feinen Andersgläubigen unter fid) geduldet. Zum Glüd hatten nicht fie, 
fondern ihr erleuchteter Fürft die Macht. Schon 1661 erlaubte er den 
Socinianern, die, weil fie über die Dreieinigfeit anders dachten als die 
Evangeliſchen und Katholifhen, aus Polen vertrieben waren, fi) an 
verödeten Stellen in Preußen anzuſiedeln. Welchen Schrei bes Un- 
willens erhoben darüber die preußifchen Stände! Und doch waren bie 
Soeinianer friedliche, ftille Leute, die ehrlich umd fittlich das wüfte Land 
bauten. Es koftete dem Kurfürften viele Mühe, fie vor den Verfolgungen 
der Stände zu fehlen; aber er fchüßte fie. Einen ebenfo harten Kampf 
gegen die Unduldſamkeit hatte er in der Mark durchzufechten. Hier 
hörten die Zänfereien der lutheriſchen ımd reformirten Geiftlichen nicht 
auf, und namentlich die Lehrer vom „grauen Klofter” in Berlin thaten 
fi) in Schmähungen gegen die Kalviniften hervor. Unter den Luthe- 
ranern felbft haderte man wieder über Die Zeufelaustreibung. Der Kurs 
fürft verſuchte es zuerft mit vernümftigem Bureden, veranftaltete (1662) 
zu Berlin ein Religionsgeſpräch zwiſchen Geiftlihen der beiden Be— 
fenntniffe; allein. dies Mittel verfing jetzt jo wenig wie je; die Zank— 

Bierfon, preub. Geſchichte. 1. 1 


162 Erwerbung der Souveränität. 


füchtigeren blieben dabei, Nebendinge zu behandeln, als ob daran das 
Seelenheil hänge. Da ſchritt denn der Kurfürft mit Strenge ein. Er 
verbot (1664) beiden Zeilen, auf der Kanzel einander zu ſchmähen, und 
geftattete, die Kinder auf Verlangen der Eltern ohne Teufelaustreibung 
zu taufen. Diefes Edift mußten die märkifchen Geiftlichen unterfchreiben; 
über zweihundert fügten fi), andere verweigerten es ftandhaft. Um 
durch ein Beiſpiel zu fchreden, feßte der Kurfürft zwei von den Unge- 
horſamen ab; einer berjelben war ber berühmte Lieberbichter Paul 
Gerhardt). Seit 1657 Diakonus an ber Niklolaikirche zu Berlin, 
hatte er fi) hier durch frommen Lebenswandel und forgfame Geelforge, 
fowie durch feine ſchönen Kirchenlieder die allgemeine Liebe und Achtung 
erworben. Ganz Berlin bat um feine Begnadigung; der Kurfürft ge 
währte fie (im Januar 1667), ſprach aber die Erwartung aus, daß Ger- 
Hardt wenigftens fich nad) dem Sinne des Edilts richten werde. Allein 
dieſer achtete die Freiheit des Predigtamts zu hoch, um dem Kurfürften 
darauf auch nur den allergeringften Einfluß einzuräumen; er gab daher 
nun freiwillig fein Amt auf und zog mit rau und Kindern nad) feiner 
Heimat Sachſen, wo er einen neuen Wirkungsfreis (als Prediger in Lübben) 
fand. So achtungswert Gerhardts Überzeugungstreue auch war, der Kur- 
fürft hatte von feinem Standpunkte gewiß Recht, wenn er dem ärgerlichen 
Hader ein für allemal einen Riegel vorjchieben wollte. Die Unparteilich- 
teit, mit der er alle Sekten in feinem Staate zwang Frieden zu halten, 
ift ihm um fo höher anzurechnen, da er feineswegs inbifferent, fonbern 
vielmehr feinem reformirten Glauben treu ergeben war. Er hat die Auf⸗ 
richtigkeit feines Bekenntniſſes oft genug bewieſen; am beutlichften, als 
ihm eine anfehnliche Partei in Polen 1667 den Thron anbot. Friedrich 
Wilhelm lehnte den Antrag entſchieden ab, weil er dann hätte katholiſch 
werden müflen; und als ber polntfche Krongroßfeldherr Lubomirski 
meinte, „e8 fomme nur darauf an, ein par Mal die Meſſe zu hören, 
übrigens könne er ja glauben, was er wolle, und die Krone fei wohl eine 
Mefie wert" — ließ ber Kurfürft durch feinen Gefandten v. Hoverbeck 
antworten, „er werbe feinem Glauben nie, aud) nicht zum Scheine untreu 
werben; er hätte wohl Kaiſer werben können, wenn er bie Religion hätte 
ändern wollen". So entiprangen aud) die Übrigen Anordnungen, die er 
als Landesbiſchof traf, die Mafregeln zur Hebung der gefunfenen Kirchens 
zucht, die Verbote wider das Fluchen und Läftern und wider die Sabbat- 
entheiligung, die häufigen Bettage, bei ihm ebenfowohl aus echter Fröm⸗ 
migfeit als aus weiſer Staatsfunft. 
Das war bie Art, wie er bie Souveränität handhabte; fie gereichte 
in Staat und Kirche dem Ganzen zum Heil, und ſchon am Ende bes 


*) Geboren 1606 zu Gräfenhainichen, geftorben 1676 zu Lübben. 


Fehrbellin. 163 


erften Jahrzehnts nad) dem Frieden von Oliva wurde die Schöpfung des 
großen Kurfürften von fremben Staatsmännern mit Bewunderung be 
trachtet. Wenn die Unterthanen Die großartige und Heilfame Veränderung, 
die mit dem Staate vorging, auch noch nicht begriffen, ihr Fürft durfte 
jagen, daß er fein Thum glaube vor Gott verantworten zu Minen. So 
betrachtet Löft ſich der Widerſpruch, daß Friedrich Wilhelm nie die Palmen 
md das Neue-Teftament von ſich ließ und gleichwohl fo oft und ſchwer 
bie Rechte feiner Stände kränkte, 

Aber noch fragte es ſich, ob nicht das Gute, was geleiftet wurde, 
auch ohne dieſe harte Belaftung des Volks, Über die man klagte, ge 
ſchehen konnte, ob nicht die Militärmacht, die der neue Staat fein follte 
und die fo viel Steuern forderte, eine Chimäre, nicht die Someränität 
dem Auslande gegenüber ein eitler Zitel wär. Die Zeit kam fchnel, 
diefe Zweifel zu löſen. 


Schrhellin. 


Was das Hans Habsburg Im dreißigfährigen Kriege an Macht und 
Anfehen in Europa verloren, das hatte zumeifl Frankreich gewonnen. 
Diefer Staat war durdy die Auge und energiſche Politik der Minifter 
Nichelien und Mazarm zu einer in ſich feſt geeinten, ſtarken Monarchie 
ausgebildet worden; durch Ludwig XIV. wurde jeßt fein höchſtes Lebens- 
prinzip der Mbfolutismus. Worten war Hier der König der Inbegriff 
alles Kechts und aller ®ewalt, und des Königs Befriedigung der Zec 
des ganzen Staats, wie Lubwigs berüchtigtes „Iötat o’est moi“ es in 
äußerfter Schroffheit ausſprach. Alle Kräfte dieſes großen Reichs, alles 
Geld, alle Fäufte und Talente, alle Leiber und Geifter, ftanden ihm zu 
unbebingter Verfügung. Ein Fürſt von fo ungeheurer Machtfülle war 
eine Gefahr für ganz Europa, ein Verderber feiner fchmärheren Nach ⸗ 
bar, wenn er feinen Willen. gegen fie Tehrte. Und Ludwig XIV. war 
dazu entichloffen, die Welt follte feinen Willen als Geſetz aufnehmen. 
Sein vaftlofer Chrgeiz, feine brennende Herrſchſucht ftellten ihm Die Auf» 
gebe, an ber bie Habsburger geicheitert waren: eine Univerſalmonarchie 
zu gründen. Er ging dabei mit großem Geſchick zu Werke; er Hatte 
Überdies ben ungemeinen Vorteil, Daß an ber Spitze der anderen Groß⸗ 
ſtaaten in Europa damals unfähige Männer flanden, und daß bie Ver- 
faflung feiner bebeutendften. Nachbarn bie elendefte von der Welt war. 
Zumal das beutfche Reid), durch dem breißigjährigen Krieg zerrüttet, 
durch den weſtfältſchen Frieden zu ewiger Ohmmacht verurteilt, bot troß 
feiner Otöße und ber Steeitbarfeit feiner Bölfer ällen Raub- umb Herrſch- 
gelüften bes Auslands leichte Beute bar, ein Tummelplap fremder Ränte 
und frember Kriege. Die Kleinftanten, beſonders die deutfchen, hatten 

11* 


164 Fehrbellin. 


zwar manchen tüchtigen Herrſcher aufzuweiſen; aber ihre ſchlechten Leiden⸗ 
ſchaften, die Eiferſucht, die Habſucht, ließen ſich leicht in den reich loh— 
nenden Dienſt des franzöfſiſchen Großkönigs bringen. So gelang. es 
dieſem, mit Lift und Gewalt die Leitung der europäiſchen Dinge an ſich 
zu reißen und faft ein halbes Jahrhundert lang zu behaupten. Zwei 
Zürften von vergleichsweiſe geringer Macht reiteten Europa vor völliger 
Unterjo_hung, der erfte hemmte Ludwigs allzuhohen Aufſchwung, der 
zweite drückte ihn nieder; der eine war der große Kurfürft, der andere 
der große Oranier. 

Friedrich Wilhelm hatte bereits einen fo -hohen Ruf als Feldherr 
und Stäatsmann erlangt, feine Kriegsmittel waren bereits fo beträchtlich, 
daß ſchon etwas darauf ankam, welche Partei er in den Welthändeln 
ergriff; er konnte den Ausichlag geben. Das wußte er ſehr wohl und. 
fuchte es zum Vorteil feines Staates zu benupen. Mit allen Höfen 
Mnüpfte er Verbindungen an, immer bedacht, wie er die Entwidelung der 
Dinge zu feinem Nußen wende. Seine Stellung unter den Souveränen 
war indes jehr ſchwierig; fie betrachteten ihn mißgünftig oder alt; einige 
haßten ihn, weil er auf ihre Koften groß geworben war, andere, weil er 
nicht ihren, fondern feinen Interefien gedient hatte. Nur Ludwig XIV. 
fuchte aufrichtig feinen Bund, weil er mit feiner Hilfe die Herrſchaft in 
Deutſchland zu erringen hoffte, und niemand Tonnte dem Kurfürften 
mehr nüßen oder ſchaden als gerade Ludwig XIV. Dennod; blieb Friedrich 
Wilhelm ber Sache Deutfchlands getreu und trat in der Entſcheidungs⸗ 
ftunde allemal gegen Frankreich auf, das er dann unter allen deutſchen 
Fürften am fräftigften befämpfte. So ward der Staat, den er gegründet, 
ſchon unter ihm Deutſchlands Schwert. 

Der aachener Friebe, in welchem die Tripel-Allianz Englands, Hol 
lands und Schwedens den franzöfifchen König 1668 nötigte, den größten 
Zeil ber ſpaniſchen Niederlande, nachdem er fie rajch erobert, wieder 
fahren zu laſſen, hatte Ludwigs Stolz ſchwer verlegt, während feine 
Raubfucht, wie die des Tigers, der Blut gelecdt, nur heißer entflammt 
war. Er brütete Radje. England und Schweden waren durch das 
Meer oder die Entfernung geihüßt; aber die Holländer, dieſes kleine 
Krämervolf vor feiner Thür, das feine Entwürfe zu durchkreuzen und ben 
großen Monarchen Frankreichs zu beleidigen gewagt, fie follten ſchwer 
büßen. Ohnehin reizte ihr republifanifches Wefen, bejonders die freie 
Prefie, die bei ihnen über feinen Despotismus zu Gericht faß, feinen 
Born, ihr reiches, ſeemächtiges Land feine Habſucht. Er beſchloß fie zu 
vereinzeln und dann zu überfallen. Sein Gelb ebnete ihm alle Wege, es 
fprengte die Tripel-Allianz und mächte den liederlihen König Karl II. 
von England wie bie ſchwediſchen Minifter zu feinen Söldnern; es brachte 
auch dag öſterreichiſche Minifterium auf feine Seite und verftärkte die 


Ludwig XIV. 165 


-franzöftiche Partei unter den beutfchen Fürften, indem es ben bewaffneten 
Beiftand der Biſchöfe von Köln und von Münfter und der Herzöge von 
Xüneburg erfaufte. Gern hätte Lubwig auch den Kurfürften von Bran- 
denburg, die größte Macht in Rorbdeutichland, gewonnen; er bot ihm 
einen Anteil an der in Holland zu erwartenden Beute, er mifchte geſchickt 
Schmeicheleien, Verſprechungen und Drohungen; er bat endlich, wenig. 
ſtens parteilos zu bleiben. Aber Friedrich Wilhelm vergaß großmätig, 
wie kalt ihn Die Holländer immer behandelt hatten, wie fie ſich immer 
noch weigerten, die Hevifchen Feſtungen herauszugeben, die fie als Pfand 
für eine alte Schuld*) bejeßt hielten; er ließ ſich auch dadurch nicht 
irren, daß fie feine Warnungen mißtrauiſch abwiefen und Feine Anftalten 
trafen, ſich gegen ben nahenden Sturm zu rüften. Er dachte jetzt mır 
an Europas und Deutjchlands Gefahr und ohne zu wägen, ob er für 
feine Hilfe viel oder wenig Dank und Lohn zu erwarten habe, beichloß 
er ben Bebrohten beizufpringen. Denn „wenn des Nachbars Haus 
brennt“, meinte er, „fo gilt e8 dem eigenen“ und „was neutral zu 
fein ift, habe ich ſchon vor biefem erfahren; man wird dabei 
allemal übel traftiret. Ich habe auch verſchworen, mein lebe 
lang nicht neutral zu fein, und würde mein Gewiffen damit 
befhweren.“ Da nun Ludwig XIV. ſah, der Kurfürft wolle im Not» 
fall auch ganz allein Holland verteidigen, fo bewog er die Schweden 
insgeheim zu bem Verſprechen, für franzöfiſche Hilfsgelder jeden Reichs- 
ſtand anzugreifen, der den Holländern beiſtehen würde. Der Kurfürft 
ahnte es; dennoch blieb er feſt, und als nun im Mai 1672 Frankreich 
und deffen Verbünbete unter nichtigen Vorwänden an Holland ben Krieg 
erflärten und es zu Wafler und zu Lande mit ungeheurer Übermadjt 
anfielen, als zugleich, franzöfti—he Truppen ins beutiche Neid, drangen 
und im Bunde mit dem Erzbifchof Kurköln bejegten, da war es, wie 
ein oͤſterreichiſch gefinnter Gejchichtichreiber gefteht, „allein aus fo vielen 
deutfchen Yürften der Brandenburger, der aus wohlverftandener oder 
angeborner Großmut und Baterlandsliebe ohne Wanken für die Ber 
drängten zum Schwert griff." **) Holland fehwebte in der That hart am 
Rande des Abgrunds; denn da hier die republifantfche Partei, um den 
Einfluß des Prinzen von Dranien nieberzuhalten, das Landheer ver» 
nachläffigt hatte, fo Tonnten die Franzoſen unter Türenne das unvor- 
bereitete Land alsbald bis Amfterbam Hin überſchwemmen. In diefer 
Rot ſchöpften fie nun Troft und Mut zum Widerftande aus den Maß- 


H Die ſogenannte Hoehierihe Schuld, die, von Johann Sigismund Aufgenommen, 
nun durch Binfeszins don urfprüngfih 100000 Thalern auf zwölf Milionen Gulden an- 
gewachſen war. 

 ) Wagner, hist. Leopoldi Caesaris, August. Vindelic, 1719, I. 280. 


166 Fehrbellin. 


nahmen, bie ber Kurfürſt zu ihrer Rettung traf. . Er verband fi) mit- 
ihnen zu Schub und Trug, ſchloß mit dem Kaifer einen Vertrag zur 
Sicherung der deutſchen Grenzen und brad) dann (im September 1672) 
mit 20000 Mann nach dem Rhein auf. Hierdurch zog er nun einen 
großen Zeil der franzöfiſchen Streitmacht von ben Holländern ab und 
auf fi; Türenne ließ feine Beute fahren und fiel ins Kleviſche ein. So 
war den Holländern Luft gemadjt. 

Mehr freilid, richtete der Kurfürft nicht aus. Sein Bund mit dem 
Kaifer erwies ſich als Hemmſchuh. Leopold hatte fi) durch einen ges 
heimen Vertrag mit Frankreich zur Neutralität verpflichtet und wünfchte 
fi) zwar den Anſchein zu geben, als ob er Deutſchlands Intereſſen bes 
jchühe, war aber keineswegs gejoinen, dabei die Lorbern und ben Ein- 
fluß des Brandenburgers vermehren zu helfen. Daher erhielten die Be 
fehlshaber der kaiſerlichen Truppen, bie dem Vertrage gemäß zu bes 
N een, von Wien aus insgeheim die Weiſung, die 
nur ſcheinbar zu unterftügen, in ber 

ezliche Feldherr Montecucult 
den Kurfürften nicht nad) Kleve, fondern nach dem hein zu marfchiren, 
bereitete aber unterwegs und nachdem fie, Ende „ enblid) am 
unteren Moin angelangt waren, jo viele Schwierigkeiten, bie Beit 
thatlos Yeritrich, und man zulegt, im Dezember, ohne irgend e 












mußte. Dann legte zwar Montecuculi das Kommando nieder, abe 
fein Nachfolger Bournonpille hinderte den Kurfürften nicht weniger. 
Unterbeffen hatten dieſem bie münfterfgen Truppen Ravensberg und 
Matt, die franzöſiſchen Kleve verwüſtet, und er hatte nur ben Troſt, daß 
fein eigentlicher Zweck, Hollands Rettung, erreicht war. Denn durch feine 
Dazwilchenkunft hatten die Generalftaaten Zeit gemonnen, ſich in befiern 
Verteidigungezuſtand zu fepen. Die oraniſche Partei unter ihnen erhielt 
bie Dberhand und gab in dem jungen Prinzen Wilhelm II. von Oranien 
der Republik ein Haupt, das zu einem erfolgreichen Kampfe gegen Fran- 
veich wohl befähigt war, Run rührten fi) auch andere Mächte für bie 
gemeinfame Sache; Spanien rüſtete, Dänemark bot den Holändern Sold- 
tzuppen an, Sollte der Kurfürft unter Diefen Umftänden fi noch weiter 
am Kriege beisiligen? Die Holländer zeigten ihm eine empörende Uns 
daukbarkeit, zahlten bie vertsagsmäßigen Subfibien unregelmäßig und 
Hellten fie zulegt ganz ein. Und doch konnte er ohne biefe Veihilfe fein 
Heer, das jetzt 40000 Mann betrug, nicht unterhalten. Seine Bes 
ſitzungen am Rhein und in Weftfalen waren in der Gewalt des Feindes 
und durch den Krieg ſchwer beſchädigt; der Kaiſer und viele Reichsftände 
im Bunde mit Frankreich, die anderen deutſchen Fürſten nicht geneigt, 
dem kühnen Brandenburger den Rücken zu decken. Der Kurfürſt kam 


Friede zu Vofſem. 167 


zu dem Schluß, daß er feine Staaten nicht länger ohne Not dürfe zu 
Grunde richten laflen; er ging auf Lubwigs Vorfchlag ein und ſteckte 
fein Schwert wieder in die Scheide; im Frieden zu Voſſem (einem 
Dorfe zwiſchen Brüffel und Löwen) am 6. Juni 1673 erhielt er von 
Frankreich feine verlorenen Gebiete wieder und verfprady dagegen, ben 
Feinden des Königs feinen Beiftand zu leiften, außer in dem alle, daß 
diefer das deutſche Reich angreife. 

Indeſſen dauerte der Anftoß, den er zu einem allgemeinen Bunde 
gegen Ludwig XEV. gegeben, mächtig fort. Frankreichs Herrſchſucht er- 
ſchien bald aud) defien bisherigen Freunden unerträglich; der Kaifer trat 
nun im Bunde mit Spanien und Holland aufrichtig und entichieden zur 
Abwehr der Sranzofen auf und ließ im nächſten Frühjahr Truppen an 
den Mittelrhein rücken; England, Münfter und Köln hielten fi jetzt 
neutral. So mußten die Franzoſen ihre Macht vom Niederrhein ftroms 
aufwärts ziehen; fie überließen Die Hevifchen Feſtungen Wefel, Rees und 
Schenkenſchanz, die fie 1672 den Holländern abgenommen, im Mai 1674 
dem Kurfürften und brachen in die Pfalz ein, die fie entjeglic) ver- 
beerten. Darüber erflärte ihnen das deutſche Reich den Krieg. Friedrich 
Wilhelm war feinen Augenblid zweifelhaft, ob er ſich begnügen folle, 
nur feine pflichtmäßige Truppenzahl als Reichsſtand zu ftellen ober bie 
Franzoſen wieder mit feiner ganzen Macht zu befämpfen. Er wählte 
das ietztere; denn ihm empörte der Übermut, die Gewaltthat, bie ber 
Fremde fi) gegen deutſche Länder erlaubte. Er ſchloß daher am 1. Zuli 
1674 mit dem Kaifer, mit Spanien und Holland gegen Frankreich ein 
Schuß und Trugbündnis und machte ſich anheiſchig für Subfidien 
16 000 Mann zu ftellen; man fegte feft, fein Teil dürfe ohne den andern 
einen Frieden eingehen. Dann brach er (im Auguft) mit 19000 Mann 
durd Thüringen und Franken auf und zog nad) Straßburg, wo er fid) 
im Oltober mit 30000 Mann Faiferlicher und Reichstruppen vereinigte. 
Aber auch jet erfuhr er von dieſen nichts als Hemmung. Bergebens 
drängte er ihren General — es war wieber Bournonville — zu einem 
energiſchen Angriff; Bournonville ließ die beften Gelegenheiten unbenußt; 
man mußte zuleßt wieber das Elſaß räumen und über ben Rhein zurück⸗ 
gehen. Selbft die öfterreichiicjen Unterfeldherren waren empört über das 
Benehmen ihres Generals, der bald wie ein Verräter, bald wie ein Feig⸗ 
long handelte, den Sranzofen, we er Tonnte, Vorſchub leiſtete und den 
Kurfürften, wo diefer einen Vorteil errang, im Stiche ließ. Zweifelhaft 
if, ob er nur unfähig gewejen, oder ob ihm fein Verhalten von Wien 
ber vorgejchrieben war. Lieber felbit feine Vorteile haben, als bem 
Brandenburger etwas zu verbanfen — war allerdings die Maxime ber 
Herren in Wien. 

Wenngleich nun auch diefer Feldzug für die Franzoſen günftig ſchloß, 


168 Fehrbellin. 


fo lag dem Könige doch alles daran, fi) den Kurfürften, der unter allen 
feinen Feinden der thätigfte-war, vom Halſe zu fchaffen; um fo leichter 
hoffte er mit den übrigen fertig zu werden. Er bewog daher die ſchwe— 
diſche Regierung, den Vertrag, den fie mit ihm: gefchlofien, nunmehr zu 
erfüllen und den Kurfürften im Rücken anzugreifen. Da er drohte, fonft 
fein Geld mehr zu zahlen, fo ſchickte Karl XI. denn auch im Dezember 
1674 ein Heer von 14000 Mann aus Vorpommern in die Mark, um 
den Kurfürften zum Frieden mit Frankreich zu zwingen. Anfangs hielten 
die Schweden gute Mannszucht, bald aber erneuerten fie alle Greuel des 
breißigjährigen Krieges, brammten und raubten und preßten den Ein- 
wohnern durch entjeßliche Martern Geld ab. Der Kurfürft Ing während- 
defien mit dem brandenburgifchen Heere fern bon der Heimat in ben 
Binterquartieren am Main, beichäftigt, feine Streitmacht für den nächſten 
Feldzug wieder vollzählig und fchlagfertig zu machen. In ben Marken 
befanden fi) nur wenige Truppen; der Statthalter, Fürft Johann Georg 
von Anhalt-Defau, Schwager des Kurfürffen, mußte fi daher auf einen 
Parteigängerfrieg beſchränken, bei welchem ihm das Landvolk half. Die 
Bauern, vornehmlich in der Altmark, über die ſchwediſchen Bedrüder ers 
bittert, bewaffneten fi), fo gut es ging, mit Spießen unb Heugabeln, 
Drefchflegeln und Senfen, und fammelten fi unter Fahnen mit der 
Inſchrift: 
Wir ſind Bauern von geringem Gut 
Und dienen unſerm Kurfürſten mit unſerm Blut. 

Mancher Schwede wurde von ihnen erſchlagen, aber das Land litt bei 
dieſem Kriege entſetzlich, und in offenem Felde es mit dem Feinde auf- 
zunehmen, Dazu war Das ungeübte Landvolk doch zu ſchwach. Die Hilfe 
mußte vom Kurfürften jelber kommen. 

Schweben ftand damals noch im vollen Glanze feines Kriegsruhms; 
auch feine Machtmittel fchienen denen des Kurftaates bei weitem über- 
legen. Letzterer war überdies auf feine eigenen Kräfte angewiejen; dem 
trog allen Drängens brachte der Kurfürft feine Bundesgenofien nicht 
dahin, ihm anders als mit Worten beizuftehen. Die Gefahr war um 
fo größer, da der König von Polen Johann Sobiesfi mit Ludwig XIV. 
fogar den Plan entwarf, Preußen plößlich wieder an fi) zu reißen. 
Friedrich Wilhelm blieb indes guten Muts: „Gott habe ihn bisher aus 
vielen Gefahren errettet und werde ihn auch jeßt nicht zum Gejpötte 
feiner Feinde werden laſſen.“ Im ſolcher Zuverficht brady er am 5. Juni 
1675 mit 15000 Mann aus feinem Hauptquartier zu Schweinfurt am 
Main auf, um fein Land aus den Klauen der graufamen Feinde zu 
erretten und an dieſen volle Rache zu nehmen. Über Schleufingen, 
durch den thüringer Wald, über Arnftadt, Heldrungen, Staßfurt ging 
der Zug in Eilmärſchen auf Magdeburg zu. Im Staßfurt befahl er 


Rathenow. 169 


einen Fafttag für alle feine Untertdanen auszufchreiben; zum Text der 
Predigt gab er den Troftiprudy des Jeremias: „Aber der Herr ift bei 
mir wie ein ftarfer Held, darum werben meine Verfolger fallen und 
nicht obftegen, fondern follen fehr zu Schanden werden.” Am 21. Zuni 
war er in Magdeburg, wo fogleich die Thore gefperrt werden mußten, 
damit die Kunde wicht vor ihm felber zu den Schweden gelange. In 
der That ahnten dieſe nicht, wie nahe der Rächer ſei; fie glaubten ihn 
noch immer in Franken; ein Gerücht, das ihn mit dem Kürzlich verftors 
benen Kurprinzen Karl verwechſelte, fagte ihn gar tot. Sorglos zogen 
alfo die Schweden am rechten Havelufer von Brandenburg nad) Havel- 
berg hinab. Der Kurfürft beſchloß, raſch ihre Linie in der Mitte zu 
durchbrechen und die getrennten Zeile einzeln zu ſchlagen. Nachdem er 
in Magdeburg kurze Raft gehalten, um die ermübeten Truppen zu ben 
größeren Anftrengungen, die ihrer warteten, fich Fräftigen zu laſſen, mußten 
am Abend bes 22ften 5600 Reiter aufftgen; 1000 Mann auserlefenen Fuß⸗ 
vos und 13 Gefchüge, auch Kähne zum Flußübergange wurden auf 
120 Wagen gebracht; und nun ging's der Havel zu. Regengüfle machten 
Die Wege grundlos und hemmten die Schnelligkeit des Marſches; dennoch 
war berjelbe fo hurtig, daß, als ber Kurfürft in der Nacht zum 25. Juni 
vor Rathenow an der Havel anlangte, die Schweden, 6 Kompanien 
Dragoner, die in der Stadt lagen, noch immer feine Ahnung von feiner 
Ankunft hatten. Indeſſen fam es darauf an, dieſen feften Platz im Fluge 
zu nehmen. Mit Lift und Kühnheit gelang dies. Rathenow war durch 
Die Havel gedeckt, welche vor der Stadt eine Heine Inſel bilbete und mit 
zwei Zugbrücken verfehen war. Vor ber äußeren Brüde erfchien nun 
morgens 2 Uhr Derfflinger mit einigen Reitern und verlangte als ſchwe— 
difcher Offizier Einlaß; der Wachtpoſten machte Einwendungen, wurde 
im Geſpräch überrannt, die Inſel bejegt und von den nachdringenden 
Mannfhaften die innere aufgezogene Brücke durch Paffiren des Flufies 
umgangen.") Unterbefien griff eine andere Abteilung, die auf Kähnen 
ſeitwärts gelandet war, ein zweites Thor an und fprengte es. Go in 
die Mitte genommen, erlagen bie Schweden bald, fo tapfer fie auch 
fochten; 390 von ihnen wurden getötet, 270 gefangen, während von den 
Brandenburgern nur 20 gefallen fein ſollen. 

Durch diefen kühnen Handſtreich war das ſchwediſche Heer geipal- 
ten; ein Zeil (3000 Mann) ftand unter dem Marſchall Karl Guftav 
von Wrangel in Havelberg, die Hauptmacht unter defien Bruder, dem 
General Waldemar v. Brangel, in Brandenburg. Der letztere zog fi) 
nun auf die Kunde von Rathenows Fall eiligft nad) dem Rhin hin, um 
Havelberg zu erreichen. Der Kurfürft ſetzte ihm nad), ſchickte zugleich 


*) Sigmund Dietrich v. Bucht Tagebuch, Herausg. v. G. v. Keffel, Berlin 1865 I.©. 117 


170 Sehrbellin. 


einige Reiterhaufen unter der Führung des Wegs kundiger Landleute 
durch das Havelländifche Luch, ein Moor, das für ein größeres Heer 
nit gangbar war, um fo den Schweden am Rhin zuvorzulommen und 
dort die Brüden abzubrechen; es follte ihm keiner der Feinde entrinmen. 
Bei Nauen erreichte fein Vortrab unter dem General Lütke die ſchwediſche 
Nachhut und brachte ihr eine Schlappe bei (27. Juni). Doc) gelang es 
dem ſchwediſchen Hauptheer noch über ben Glin, ein fandiges Flachland 
nörblid) von Nauen bis Kremmen, und dann weiter norbweftlich durch 
das Ländchen Bellin in die Nähe von Fehrbellin zu gelangen. Hier war 
ingwifchen bie Brücke über den Rhin, wie der Kurfürft befohlen, von dem 
vorausgeſchickten Oberften Henniges zerftört worden, und Derfflinger riet, 
auf einem Umwege borthin zu eilen, wo die Schweden durch den Rhin 
würben aufgehalten werben. Aber ſchon erreichte der brandenburgiſche 
Vortrab, 1600 Reiter, von dem Prinzen Friedrich von Heffen-Homburg”) 
geführt, um 6 Uhr Morgens (Freitag am 28. Juni [18. Juni alten 
Stil]) den Feind und griff mit Ungeftäm an; dem ber Prinz war ein 
hitziger Kriegsmann troß feines ſilbernen Fußes, ben er ftatt bes 1668 
vor Kopenhagen verlorenen trug, und immer voran im Gefecht. Die . 
Schweden ſetzten ſich mın zwifchen den Dörfern Ribbeck und Halenberg 
feſt; aber ber Prinz bebrängte fie jo heftig, daß fie, um ihre Rückzugs- 
linie zu decken, fid) weiter nach Fehrbellin zogen. Der Kurfürft hatte 
währenbbefien mit ber übrigen Reiterei (4000 Mann) und 13 Geſchützen 
herankommen können und zwang den Feind, eine Schlacht anzunehmen. 
Es war ein tühnes Beginnen, beun bie Schweden zählten bier 7000 
Mann Fußvolks, 4000 Reiter, 38 Gejchüße, waren aljo Doppelt jo ſtark. 
Aber auf Seiten der Brandenburger war die höhere Kunft bes Feldherrn 
und ber größere Ungeftüm der Soldaten. Wrangel ftelte fein Heer vor 
dem Dorfe Linum auf, den linken Flügel an einen großen Sumpf, ben 
rechten an bewaldete Sandhügel gelehnt, Die er jebod) zu beſetzen ver» 
fünunte. Hurtig benußte Derfflinger den Zehler, ließ im Schupe eines 
dichten Nebels die Anhöhen durch Mörners und Bomsborfs Dragoner 
befeßen und hier Kansnen auffahren; jo bedrohte er Die Schweden in der 
Seite und im Rüden. Behauptete er ſich bier, fo war der Sieg für bie 
Brandenburger faft gewiß. Mit Reiterei und Fußvolk ftürmten daher 
die Schweden gegen ihn an. ber Derfilingers Heine Heldenſchar wich 
feinen Fuß breit; „fie wollten fich bei den Kanonen eher begraben laſſen“, 
tiefen die hraven Dragouer, und der Bring von Homburg unterftüßte fie 
aufs tapferfte. Immer neue Regimenter kamen von beiden Seiten in 
den Kampf. Die Schweben fchlugen fid) als altverfuchte Krieger; die 
Brandenburger, Offiziere und Gemeine, als Leute, die entichlofien find zu 


*) Geboren am 9. Juni 1633, geftorben am 24. Januar 1708 zu Homburg. 


Feldzug in Pommern, 171 


fiegen oder zu ſterben. Unter ftrömendem Regen, der bis zum Ende der 
Schlacht anhielt, wogte der Kampf. Der Kurfürft felber focht im Die 
teften Gebränge; kaum daß ihn die Seinigen mitten aus ben ſchwediſchen 
Neitern beraushauen konuten. Um 11 Uhr Vormittags war ber Tag 
entſchieden; das tapferfte der ſchwediſchen Regimenter (v. Dalwig) gang 
miebergehauen, ber rechte Flügel der Schweden zerjprengt, der Reft ihres 
Heeres auf dem Rüdzug nad der Stabi Fehrbellin. Hierbei geſchah es, 
daß eine ſchwediſche Kanonenkugel ben Stallmeifter Emanuel v. Froben 
an ber Seite des Kurfürften tötete — ein Vorfall, den die Sage dann 
weiter ausgeſchmückt hat. 

Die Schweden verloren in dieſer Schlacht 2400 Mam an Toten 
und Berwundeten, außerdem 8 Fahnen, 2 Standarten, eine Kanone, 
200 Gefangene; die Brandenburger zählten 500 Tote und Berwundete, 
Unter den Gebliebenen war auch ber tapfere Oberft v. Mörner. Noch 
auf dem Schlachtfelde verlich der Kurfürft dem Oberften Hermiges, 
Sohn eines altmärkifchen Bauern, für die vorzügliche Tapferkeit, Die ex 
im Treffen bewieſen, ben Adel mit dem Namen von Treffenfeld. 

Es war ein glängenber Sieg, nicht durch Glückszufall ober mit Über- 
macht, fondern durch Auge und kühne Zeitung, beharrliche und todess 
mutige Ausführung von einem Tleinen Heere über ein weit zahlreicheres 
erfochten, über Truppen, welche bis bahin ber Schreifen Guropas und in 
der That bie beiten des Nordens geweien waren. Mit dem Tage von 
Behrbellin, da die Brandenburger zum erften Male allein gegen eine 
hochangeſehene Ratian eine offene Feldſchlacht fchlugen, zum erften Male 
allein einen großen Sieg erraugen, beginnt bie hellſtrahlende Ruhmes- 
bahn des jungen braubenburgifch-preußifchen Heeres und Staates, defſen 
Bürde unter den Staaten Europas nun dargethan war; ein vollwichtiges 
Zeugnis für Die Berechtigung der neuen Souveränität dem Auslande wie 
dem eigenen Volle gegenüber. Der große Kurfürft konnte wie Cäſar 
von ſich rühmen: ich kam, ich ſah, ich fiegte; aber mit noch gerechterem 
Stolz durfte er zm feinen Unterthanen fagen: ich habe euch die alten 
Rechte genommen, mit denen ihr die Beute jebes fremden Kriegsherrn 
waret; ich habe euch dafür einen Staat, ber ſich jelber ſchützen kann, 
und Achtung und Ehre in gang Europa gegeben. 

Diefelbe Gewandtheit und Kraft, mit der er ben Sieg gewann, zeigte 
er bamn in ber Benußung besfelben. Er betrieb die Verfolgung Der 
Feinde jo uachbrädtlich, daß ſich ihr Rüchzug bald in Ikucht auflöfte. Im 
Wittftorf vereinigte General Wrangel feine Heerestrümmer mit ben 
Zruppen feines Bruders, der auf die Rachricht von der Schlacht Havel⸗ 
berg geräumt Hatte. Aber Die Beſtürzung ber Schweben war jo groß, 
baß ihre Reihen fich färfer durch Defertion der geworbenen Söldner, ber 
ſonders ber deutſchen, als durch das Schwert der Feinde lichteten. So 


172 dehrbellin. 


zogen fie eilig durch Mecklenburg nach Wismar. Kaum ein Drittel des 
Heeres, welches er im Winter in die Mark geführt, brachte Feldmarſchall 
Wrangel wieder zurück. 

Das Land war gerettet, der Feind zu Schanden geworden; jubelnd 
empfing das Volk feinen fiegreichen Fürften; in allen Kirchen, ſowie im 
Lager des Heeres wurde ein Dankfeft begangen; die Freude war groß. 
Die Brandenburger begannen zu fühlen, was es heißt, berühmt zu werben 
in der Welt. Denn wie ein Lauffeuer flog der Ruf von Fehrbellin 
duch Europa. Die gefürchteten Krieger Guſtav Adolf und Karl 
Guſtavs an Tapferkeit ebenfo jehr wie an Feldherrnkunſt übertroffen; 
ihr wohlgepflegtes, ausgeruhtes Heer, eine Infanterie, die Siegerin über 
Sſterreich umd über Polen, geſchlagen, faft verrichtet von einer Reiter- 
ſchar, die feit elf Tagen nicht abgefattelt hatte; — diefer branden- 
burgiſche Ruhm erfreute jedes deutſche Herz, es labte fi an dem Ge— 
danken, daß die Stunde der Vergeltung an den Fremden gelommen 
mar, es erquickte fi) an der Rache, die endlich für Deutſchlands Leiden 
begann. 

In dem Maße freilich, als Brandenburgs Bebeutung und des großen 
Kurfürften Anfehen bei allen Mächten flieg, mehrte ſich auch der Neid; 
allein für jet überwog doch der Wunſch, an den Früchten feines Sieges 
teil zu nehmen. Der Kaifer, die deutſchen Fürften, aud Dänemark 
waren daher mun bereit, ihm zu helfen. Friedrich Wilhelm beab- 
fihtigte, die Schweben ganz aus Deutſchland zu vertreiben, und er war 
auf dem beften Wege zu diefem Ziele. Im Oktober erftürmte fein Ges 
neral Bogislam von Schwerin die Feſtung Wollin uud beſetzte Swine- 
münde. Der Kurfürft felbft zwang bald darauf das fefte Wolgaft zur 
Ergebung. Auch die Dänen und Katferlihen waren nicht müßig. Am 
Ende des Jahres hatten die Verbündeten den Schweden faft alle ihre 
deutfchen Befigungen abgenommen. Ein Verſuch, den bie Ießteren im 
Januar 1676 von Stralfund aus machten, die verlorenen borpommerjchen 
Plätze wieder zu gewinnen, wurde von Schwerin und Derfflinger ab- 
gewieſen; die Brandenburger eroberten in dieſem Winterfeldzuge vielmehr 
noch Udermünde. Ludwig XIV. bot dem Kurfürften mın einen Sonder 
frieben an; aber diefer ging nicht barauf ein, er blieb feinen Bundes- 
genoffen treu und feßte den Krieg fort. Im Sommer und Herbft 1676 
fielen dann aud) Peenemünde, Anklam, Löcnig, Demmin, Damm; Stettin 
wurde eingeſchloſſen. Selbft zur See fügte der Kurfürft dem Feinde 
Schaden zu; feine Kreuzer, die er in Holland mit Hilfe eines Kaufmanns 
Benjamin Raule hatte ausrüften laſſen, brachten viele ſchwediſche Kauffahrer 
und zwei Kriegsſchiffe (von 22 und 16 Kanonen) triumphirend in ben Hafen 
von Kolberg ein; zu Waffer wie zu Lande fah man den roten brandenburgi= 
ſchen Adler fiegreich fliegen. Der Ruhm mußte freilich) von den Unterthanen 


Eroberung, von Stettin. 173 


teuer bezahlt werben, die Steuern wurden immer ſchwerer und härter; 
denn bloß die Beſatzung der eroberten Pläe und die Einſchließung Stettin 
toftete monatlich 100 000 Thaler, und die Verbündeten zahlten die ver- 
ſprochenen Hilfsgelder nicht; Spanien unb Holland ſchuldeten dem Kurs 
fürften bereits 1300 000 Thaler. 

Die jpäte, doch reiche Frucht des nächften Jahres 1677 war die Er- 
oberung von Stettin. Es war eine mühfame Arbeit geweſen. Denn ber 
Beſatzung (3000 Mann unter dem Oberften v. Wulffen) ftand die Bürgers 
ſchaft mit gleicher Ausdauer zur Seite, fie vergalt jetzt durch unerſchütter⸗ 
liche Treue, daß ber Schwedenkönig ihre Privilegien ftet geachtet hatte. 
Die Aufforderung des Kurfürften ſich zu ergeben beantworteten fie mit 
Kanonenihüffen, und als dann bie regelmäßige Belagerung begann, zu 
Lande fi) das brandenburgifche Heer ſamt den lüneburgiſchen und 
münſterſchen Söldnern, zu Waſſer die holändifchen Kaper des Kurfürften 
immer enger um bie Stadt Iegten, als dann befien ſchweres Geſchütz 
von Magdeburg, Berlin und Küftrin den Waflermeg herab fam und num 
(eit dem 14. Auguft) 200 Feuerſchlünde donnerten, da ſanken unter 
dem furchtbaren Kugelhagel die ftarten Türme, die Marienkirche, die 
Pfarrkirche, das Gymnafium, die Jakobikirche, in Trümmer, aber ber 
Mut der Stettiner blieb feft; ob auch überall die feindlichen Minen 
fpielten, das Fußvolf ſtürmte, — fie wehrten fi, Soldaten und Bürger, 
wie Verzweifelte. Doch mit gleicher Hartnäckigkeit ftritt der Kurfürft. Es 
war ein Wetteifer des Heldenmuts; die Bürger nahmen bei den Aus— 
fällen ihre Soldaten nicht wieder in die Stadt auf, wenn fie nicht Ge— 
fangene mitbrachten; der Kurfürft feßte immer feine Perſon aus und 
einem abmahnenden Diener antwortete er: „Wann haft du je gehört, 
daß ein Kurfürft von Brandenburg erichoffen worden?” *) Fünf Monate 
lang währte fo die Belagerung, und noch war der Mut ber Stettiner 
nicht gebrochen. Sie wurden von ihren Iutherifchen Geiftlichen immer 
aufs neue angefewert, und die armen Leute hatten nach Zerſtörung 
ihrer Häufer bei weiterem Widerftande ohnehin nichts mehr zu verlieren. 
Die tapfere Stabt war ſchon nichts mehr als ein Schutthaufen, da zwang 
Pulvermangel fie zur Ergebung; am 27. Dezember öffneten die Bürger 
dem Karfürften die Thore: „er möge ihren hartnädigen Widerftand vers 
zeihen, fie hätten der Krone Schweden ihre Schuldigkeit gethan; mit 
gleicher Treue würden fie zu dem Kurfürften ftehen, der jeßt ihr Landes» 
herr werde". Es waren ihrer bei der glorreidhen Derteidigung 2433, 
von den Schweben alle bis auf 300 umgelommen. Nachdem der Schutt 
in den Straßen einigermaßen weggeräumt war, hielt Friedrich Wilhelm 
feinen feierlichen Einzug (6. Januar 1678); Knaben und Mädchen in 


9 9. Buch a. a. O. 288, 292. 


174 Fehrbellin. 


Trauerkleidern bewilllommneten ihn; der Magiftrat und die Bürgerſchaft 
Teifteten die Huldigung. 

Des Kurfürften Freude über bie Bezwingung dieſer ſtarken Feſte, 
des wichtigften Waffenplatzes und der Hauptftaßt von Pommern, war 
groß; Stettin bildete unter feinen Waffenthaten ein würdiges Geitenftüd 
zu Fehrbellin. Um fo feheler fahen die Nachbarn drein; zu Wien fagte 
mar nun ſchon ganz laut und mit Nachdruck, „dem Kaiſer gefalle es 
nicht, daß ein Königreich der Wenden am baltifchen Meere erftehe”. 
Auch die andern Verbündeten wurden immer Tälter; die Holländer aber 
gingen gar in ihrer Selbftfucht fo weit, daß fle mit Frankreich im Auguft 
1678 zu Rimmwegen Frieden ſchloſſen; fie verloren nicht ein Dorf, ihre 
verratenen Bundesgenofjen mochten für fich jelber forgen. Ihr Abfall 
wer für ben Kurfürften ein neuer Grund, feine Eroberungen weiter aus⸗ 
zubehnen, damit er nachher beim Friedensſchluß deito befiere Bedingungen 
erhalte. Auf einer Flotte von 350 einen Fahrzeugen, die er bei Peene- 
münde verfammelt und unter das Kommando des berühmten holländiſchen 
Admirald Kornelius Tromp geftellt Hatte, ging er mit Reiterei, Fußvolk 
und Kanonen nad) Rügen, landete glücklich und eroberte die Inſel 
(25. September). Damm legte er fi) vor Stralfund, beſchoß die Stadt 
aus 150 Geihügen, bezwang fie, die Wallenftein nicht hatte erobern 
Tonnen, in wenigen Tagen und ließ ſich (am 29. Oktober) von ber 
Bürgerjchaft Huldigen. Am 16. November fiel auch Greifswald, und 
mm waren bie Schweden völlig aus Pommern, aus Deutſchland, ver⸗ 
trieben. 

Sie fuchten jept dem Kurfürften von einer andern Seite beizulommen. 
Während die Franzofen Kleve beſetzten, brach im November ein ſchwedi⸗ 
fches Heer von 16000 Rann unter bem General’ Horn aus Liefland 
auf und fiel in das Herzogtum Preußen em. Schon hofften die Polen, 
dieſes Land mit Hilfe der Schweden wieder zu bekonmen, zumal ba bie 
Bevölterung, namentlich in Königsberg, die harte Herrſchaft des Kur 
fürften nur mit Widerwillen ertrug. Auch Tonnte die eiltg aufgebotene 
Dollswehr dem Feinde nur wenig Widerſtand Teiften. Doc; gelang 
& dem tapferen General v. Görkfe, dem „Paladin des großen Kur- 
fürften“*), ber mit 3000 Mann voraufgeſchickt worden, wenigſtens ben 
Bregel zu halten Und fchon väcke auch ber Kurfürft mit fliegender 
Eile heran. Mitten im fivengften Winter (Januar 1679) ließ er 
5500 Reiter und 3500 Mann ausgewählten Fußvolls mit 34 Gefchügen 
unter Derfflinger, Götze, Schöning durch Ponmern und. die Mark nach 
Breugen abmarſchiren; er ſelbſt zog mit, obgleich er Tränfelte. Aber die 


*) Zoaim Eruft v. Görhfe, geb. am 11. April 1611, geftorben am 27. Märg 1682 
auf feinem Gut Friedersdorf bei Lebus. 


Winterfeldzug 1678,9. 175 


Schweden hielten ihm nicht ftand. In Marienwerber (23. Januar) ließ 
ihm Görtzke melden, ber Feind habe Kunde von feinem Herannahen 
und trete den Rüdzug an, den er felbft durch Fräftige Verfolgung 
möglicft aufhalte. Sofort ſändte ihm der Kurfürft 3000 Reiter zu, und 
während biefe über Schnee und Eis woraneilten, ließ er das Fußvolk 
auf 1000 Schlitten fteigen und folgte in unglaublicher Schnelligfeit, über 
Breußifh- Holland und Heiligenbeil, danm Sonnabend ben 25. Januar 
Beben Meilen weit über das gefroreme frifche Haff; am 26. war er in 
Königsberg. Die Schweden flohen unterbes von Infterburg nach Tilſit 
und verloren durch Mangel und Krankheiten, fowie durd das Schwert 
viele Leute. Um ihnen den Rückzug abzufchneiben, fie ganz zu ver 
nichten, verftärkte ber Kurfürft Görtzles Abteilung durch 1000 Reiter, 
die der tapfere Treffenfeld führte, und marſchirte felber von Labiau aus 
zit dem Hauptheere, Reiten, Fußvolk und Kanonen, quer über das 
luriſche Haff nad) der Mündung der Gilge (Mitiwoch den 29. Januay). 
Am folgenden Tage vereinigte er ſich in ber Nähe von Tilfit mit 
Treffenfeld, der ſoeben (am 29ften) die Nachhut der Schweden bei 
Splitter ereilt und niebergehauen hatte. Raftlos folgten die Branden- 
burger. Immer mehr ſchmolz das Heer der Schweden zufammen. Selbſt 
als ihr Überreft, 3000 Waffenfähige, die preußiſche Grenze hinter fi) 
hatte, hörte die Jagb nicht auf. Der Kurfürft führte zwar Ende Januar 
fein erfchöpftes Heer, das einen Marſch von 100 Meilen gemacht hatte 
und furdtbar von ber entjeßlichen Kälte litt, aus Schamaiten nad) 
Preußen zurüd und legte es hier in Die Winterquartiere; ließ aber 
Treffenfeld mit 1000 Reitern, Daun Schöning mit 1500, die Verfolgung 
fortjegen. Bis acht Meilen vor Riga jagte Schöning den Schweden 
nad), vergebens ftellten fich dieſe einmal den DVerfolgern tapfer entgegen; 
fie wurden geworfen; ohne Gepäd und Geihüß, nur mit 1500 Mann 
gelangten fie nach Liefland zurüd; der ſchwediſche Konmtandant von 
Riga ließ foger in der Angft vor den brandenburgiſchen Reitern die 
Bälle der Feftung mit Wafler begiehen, daß fie glatt frören. 

So hatte der große Kurfürft auch Preußen im Sturm errettet und 
fi wie feinem Heere neue reiche Lorbern gewonnen. Dennoch ging ihm 
der Lohn fo vieler Anftrengungen, Vorpommern, durch die Treulofigfeit 
feiner Verbündeten wieder verloren. Sie jchlofien (außer Dänemark, 
befien geringe Macht indes feine Stütze bot) einer nad) bem anderen 
Frieden mit Frankreich; dem Beiſpiele Hollands folgte erft Spanien, 
dann (am 5. Yebruar) ber Kaifer und das deutſche Reich. So blieb 
der Kurfürft allein auf dem Kampfplatz. Vergebens verjuchte er durch 
Unterhandlungen Ludwig XIV. zu bewegen, daß er ihn im Befige feiner 
Eroberungen laſſe. Der franzöfiſche König blieb unbeugſam dabei, 
Schweben habe Vorpommern um Frankreichs willen verloren und müfle 


176 Fehrbellin. 


es durch Frankreich wieder belommen. Nun war ja Brandenburg bei 
weiten wicht ſtark genug, es allein mit ber übermacht Fran 
reihe, Schwedens, vielleicht auch Polens aufzunehmen; felbft einige 
deutſche Fürſten, wie der Herzog von Lüneburg, führten in frans 
zöfiſchem Solde Truppen gegen den Kurfürften herbei. Gleichwohl 
ſchwankte diefer eine zeitlang. Bulept fügte er ſich der bittern Note 
wendigfeit. Er mußte fi mit einem Beinen Landftric am rechten 
Oderufer, mit Gelbfummen, die Ludwig zahlte, und anderen unbebeu- 
tenden Vorteilen begnügen, alle übrigen Groberungen aber, ganz Vor⸗ 
pommern, an Schweden zurüdgeben. Dies war der Inhalt bes 
Vertrages, ber am 29. Juni 1679 zu Gt. Germain en Laye 
zwilchen Brandenburg und Frankreich abgefchloffen wurde. Natürlich 
nahm Schweden diefen vorteilhaften Frieden, den ihm Ludwig verihafft 
hatte, eiligft an, obgleich es verdrießlich that, weil alles ohne fein Zu- 
thun gefchehen war. Schmerzlich ergriffen, brady Friedrich Wilhelm, da 
er die Friedensurkunde unterzeichnete, in den Vers des Virgil aus: 
„Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor!* (Möchte bereinft aus 
meinen Gebeinen der Rächer erftehen), und zum Texte der Friedend- 
predigt, die num im Lande gehalten wurde, beftimmte er die Worte des 
Pſalmiſten (118, 8): „Es ift gut auf ben Herrn vertrauen und ſich 
nicht verlaffen auf Menſchen“. „Es ift nicht der König von Frankreich”, 
fprad) er zu feiner Umgebung, „ſondern der Kaiſer, das Reich, alle 
meine Verwandten und Verbündeten find es, Die mic) zu dieſem Frieden 
genötigt. Ihre Eiferfucht ift die Urſache, und fie wird ihnen, fei es 
auch ſpät, einft vom König von Frankreich bezahlt werden." Die 
Strafe kam bald; fie war — Straßburg. 

Aber eins blieb dem Kurfürften, was ihm niemand wieder ent- 
winden konnte, der hellleuchtende Ruhm. "Sein Staat hatte die Feuer- 
probe beftanden; aus furdhtbaren Gefahren ging er mit hohen Ehren, 
wenn aud) ohne äußeren Gewinn hervor. Und auch das deutſche Volt 
ſchuldete dem großen Kurfürften viel. Hatte er nicht die deutjche Waffen- 
ehre glänzend wieberhergeftellt, die Schweden gezüchtigt, Ludwigs XIV. 
Vordringen, als es am gefährlichften für ganz Europa ward, zuerft ges 
hemmt? Schande genug für die anderen, daß fie ihn durch ihren Abfall 
zwangen, die Schweden wieder auf deutſchem Boden fi) einniften zu 
laſſen! Friedrich Wilhelm handelte weile und gerecht, wenn er fortan 
mehr als je nur den Vorteil feines eigenen Staates im Auge hatte; 
in diefem mußte der Rächer und Retter des heillos zerrütteten deutſchen 
Reichs erwachſen. 


177 


Des großen Kurfürſten letzte Begierungsgeit. 


Der brandenburgifche Name war durch die Siege des Kurfürften an 
allen Enden Europas berühmt geworben; in Berlin erſchienen im Jahre 
1679 Gefandte von Völkern, die man bier faum dem Namen nad) 
kannte, von dem Baren der Moskowiter, Feodor Aleriewitfch, von dem 
Khan der Tataren, Murad Gherai, brachten Geſchenke und boten Freund» 
Ihaft und Bund an. Aud) fremde Erdteile Iernten die brandenburgiſche 
Kriegsmadjt achten. Im Jahre 1678 fegelten zwei Fregatten des großen 
Kurfürften nad; Weftindien und machten dort Jagd auf franzöftiche 
Schiffe. Zwei Jahre fpäter unternahm Friedrich Wilhelm fogar einen 
förmlichen Seekrieg. Es galt den Spaniern, bie ihm zwei Millionen 
Thaler rüdftändiger Subfidien ſchuldeten und auf gütlichem Wege nicht 
zur Zahlung zu bewegen waren. Der Kurfürft ließ daher im Hafen von 
Pillau ſechs Fregatten don 20 bis 40 Kanonen ausrüften, mit 600 Matrofen 
and 300 Soldaten bemannen und unter dem Oberbefehl bes Kapitäns 
Kornelius van Beveren auslaufen, um im atlantifchen Meer ſpaniſche 
Schiffe abzufangen. Ste brachten aud) einige Fahrzeuge auf, darımter 
bei Oſtende ein mit brabanter Spigen und Tüchern reich) beladenes 
Schiff von 60 Kanonen, fehlugen fi am Kap St. Vinzent mit einer 
doppelt fo ftarfen feindlichen Flotte herum (80. September 1681); da 
aber alle Seemächte diefen Kaperzug, weil er ihren Handel ftörte, miß- 
billigten, fo ließ es der Kurfürft dabei bewenben. 

Alle Lorbern, die Bewunderung Europas, das Staunen ferner Völker 
tonnten indes den großen Kurfürften nicht über die Opfer tröften, die er 
in dem eben geenbigten Kriege gegen Frankreich ımd Schweden nutzlos 
feinem Volle auferlegt. Und wenn er ſich fragte, durch wen ‘er am 
meiften geſchädigt worden fei, fo mußte er nicht fomohl die Franzoſen, 
als feine ungetreuen Verbündeten anlagen. Er änderte daher feine 
Bolitit und ſchloß mit Frankreich (im Dftober 1679) einen geheimen 
Freundſchaftsvertrag. Dadurch erreichte er zunächft, daß feine Mevifchen 
Lande rafcher von den Franzoſen geräumt wurden, ſodann daß er ficher 
vor dem Übelwollen feiner Widerſacher, namentlich Schwedens, in Ruhe 
die Erneuerung der finanziellen Kräfte und überhaupt der Wohlfahrt 
feines Staates betreiben konnte. 

Das Ziel, feinen Staat auch nad) außen zu vergrößern, verlor er 
darüber nicht aus den Augen. Einiges gelang ihm noch in diefer Hinficht. 
Durd) den Tod des magdeburgifchen Adminiftrators, Prinzen Auguft von 
Sachſen, kam er endlich (im Jahre 1680) in den Befiß des Herzogtums 
ſamt den Städten Magdeburg und Halle. Durch Verheiratung feines 
jüngern Sohnes Ludwig mit der Prinzeffin Luiſe von Radziwil, Erbtochter 

Bierfon, preuß. Geſchichte 1. 12 


178 Des großen Kurfürften legte Regierungszeit. 


des im Jahre 1670 verftorbenen reformirten Fürften Bogislam Radziwil, 
gewann er (1681) feinem Haufe die litauiſchen Herrſchaften Tauroggen 
und Serrey. Durd) Aufnahme des Titels „Graf von Hohenzollern“ 
(1685) unter feine übrigen Titel ſuchte er der Zukunft vorzuarbeiten, 
indem er das Gedächtnis an die Verwandtſchaft der brandenburgifchen 
Bollern mit dem in Schwaben blühenden und Hohenzollern geheißenen 
Zweige des Geſamthauſes erneuerte. 

Aber am meiften beichäftigte ihn jet der Gedanke, in Schlefien die 
Vergrößerung zu ſuchen, bie ihm in Vorpommern miklungen war. Cr 
hatte dort nad) feiner Überzeugung Rechte genug. Jägerndorf war noch 
immer nicht feinem Haufe wiedergegeben. Dazu waren nun noch neue 
Anfprüche gefommen. Denn im Jahre 1675 war die herzoglihe Familie 
von Liegnitz, Brieg und Wohlau ausgeftorben: der Kurfürft forderte, 
daß ber Erbvertrag von 1537 berüdfictigt und ihm wenigftens ein Teil 
der Erbichaft überlaffen werde. Aber Leopold I. lehnte dieſes Verlangen 
turz ab und behielt jene Länder als erledigte Lehen der Krone Böhmen 
für fi, ſchloß aud) mit Baiern ein Bündnis gegen ihn, falls der Kur 
fürft feine Anfprüde mit den Waffen verfechten follte. Ebenſowenig 
wollte er von der Abtretung Zägerndorfs etwas wiflen. 

Friedrich Wilhelm fühlte fid, von neuem und aufs empfindlichfte in 
feinen Intereſſen gekränkt. Um fo weniger hatte er Luft, für den Kaiſer 
und das deutfche Reich abermals zu den Waffen zu greifen, als dieſelben 
von Ludwig XIV. in neue Not gebracht wurden. Denn die Franzoſen 
machten fi) den Zwieſpalt Habsburgs und Hohenzollerns raſch zu muße; 
nit empörender Anmaßung riß Ludwig (1681) mitten im Frieden durch 
fogenannte Reunionen mehrere Grenzftrihe am linken Ufer bes Ober 
rheins, namentlich die altberühmte Reichsſtadt Strakburg an fi. Der 
Huge Habsburger Karl V. hatte einmal geäußert, wenn zu gleicher Beit 
Bien und Straßburg bedroht wären, fo würde er unbedenklich zuerft 
zu Straßburgs Rettung herbeieilen. Leopold I. hatte weder den Vers 
ftand nod) die Kraft feines Ahnen geerbt, er ließ die hochwichtige Stabt 
dem Feinde, that jo, als ob ohne Friedrich Wilhelms BVeiftand, der fich 
damit begrrügte, die von Frankreich gewonnenen Dänen von einem Eins 
fall in Norddeutſchland abzuhalten, die Macht des Haufes Habsburg 
famt den Kräften Süddeutſchlands nicht Hinreichte, und wollte Doch 
jenen Beiftand, den er verwirft hatte, durch fein Dpfer wiedergewinnen; 
die Wahrheit war, Oſterreich mochte jet fo wenig wie fonft aus 
eigenen Mitteln etwas für Deutſchland thun. So behielt Ludwig XIV. 
feinen Raub. 

Indefien der Kurfürft kam von feiner Verftimmung bald zurüd. 
Sein deutſches und fein religiöjes Gefühl empörte ſich über die An« 
maßungen des Franzoſen, über den Fanatismus des Katholiken, der fein 


Des potsbamer Editt. 179 


Freund fein wollte und doch fortfuhr Deutſchland und den Proteftantis- 
mus zu kränken. Er trat daher der Koalition bei, die fi) damals in 
Europa unter des Draniers Leitung gegen Frankreich zu bilden begann. 
Im Auguft 1685 ſchloß er als älteftes und oberftes Haupt der Refor- 
mirten mit Holland einen Vertrag zu gegenfeitiger Verteidigung; die 
Beſchützung der proteftantifhen Interefien war dabei der geheime Zweck, 
die Erhebung Wilhelms II. auf den Thron feines Schwiegervaters, des 
tatholiſchen Jakob Stuart von England, die nächfte Abfidht. Ganz und 
offen aber brach der Kurfürft mit Ludwig XIV., als diefer im Oftober 
1685 nicht bloß das Edikt von Nantes aufhob, welches, von Heinrich IV. 
1598 gegeben, den franzöftjchen Reformirten bisher die freie Ausübung 
ihrer Religion verftattet hatte, jondern auch — nad) dem Beifpiel der 
Habsburger — benen, die fid) weigerten, katholiſch zu werben, Dragoner 
ins Haus legte, ja felbft die Auswanderung verbot. Da war es ber 
große Kurfürft, der dem Umvillen bes evangelifchen Europa gegen ben 
Tyrannen lauten und ſcharfen Ausdrud gab. Er erließ auf der Stelle 
(am 8. November 1685) eine offene Bekanntmachung, das „potsdamer 
Edikt“, worin er alle verfolgten evangelifchen Franzoſen einlud, in fein 
Land, unter feinen Schuß zu kommen; er verſprach ihnen bie freunds 
lichſte Aufnahme, verlafiene Stellen in Dörfern und Städten, volle 
Religionsfreiheit und gleiches Recht mit feinen übrigen Unterthanen, 
auch eigene Kirchen, Schulen, Gerichte, ſowie jegliche Unterftügung beim 
Anfange ihrer Wirtſchaft. Viele taufend Hugenotten folgten freudig dem 
großmätigen Rufe, während Ludwig XIV. ergrimmte, daß fein finfterer 
Fanatismus vor der ganzen Welt, der er fo gern als Gipfel ber Bildung 
erſchien, nad) Verdienſt gefenngeichnet war. Ebenſo erließ der Kurfürft 
an den Herzog von Savoien, der Ludwigs Beifpiel nachahmte, ein ab- 
mahnenbes Schreiben und lud die Walbenfer, die jener verfolgte, zu fich 
ein. Einige hundert derſelben fiebelte er in der Altmark an. Er hielt es 
immer für feinen glorreichften Titel, daß man ihn das Oberhaupt der 
Reformirten in Europa nannte. 

Dennoch geihah es zum großen Teil auch aus allgemein deutſchem 
Batriotismus, wenn num der Kurfürft Frankreichs entſchiedener Feind 
ward. Soeben war die ſimmernſche Linie des wittelsbachiſchen Haufes 
Kurpfalz auögeftorben, und nun erhob Ludwig XIV. dem deutichen 
Stantsrecht zuwider, nad) welchem das Land an den Zweig Pfalz-Reu- 
burg fiel, im Namen feiner Schwägerin, der Herzogin von Orleans, 
einer Schwefter des letzten ſimmernſchen Kurfürften, Anſprüche nicht bloß 
an deſſen Privatbefig, fondern an bie ganze Hinterlaſſenſchaft. Die 
Pfalz ſollte franzöfiſch werden! Dieſes Unglüd von Deutichland ab» 
zuwenden, vergaß der Kurfürft feinen Groll und verband fi, im März 
1686 wieder mit dem Kaifer. Es war charatteriftiich für Habsburgs 

12° 


180 Des großen Kurfürften Ichte Begierungsgeit. 


Politik, wie fie die Wohlgefinmtheit des Hohenzollern ausbeutete: dafür, 
daß Briedrid) Wilhelm mit ihm ein Schuß» und Trutzbündnis fchloß, 
von weichen im Kriegsfal Deutſchland und der Kaifer größeren Nutzen 
zu erivarten Hatten, als der brandenburgifche Staat, dafür ferner, daß 
Friedrich Wilhelm, um nur allen Hader aus dem Wege zu räumen, feine 
Anfprüche auf die fchlefifchen Herzogtümer aufgab, trat ihm Leopold ben 
ſchleſiſchen Kreis Schwiebus ab, und auch dieſe geringe Leiſtung that 
er tur gum Schein; bern indem er ſchlau einen Zwiſt in der kurfürſt⸗ 
lichen Familie benutzte, erlangte er insgeheim von dem SKurprinzen 
Friedrich bie Zuſicherung, daß berfelbe bei feiner Thronbefteigung den 
Kreis Schwiebus ihm wieder zurüdigeben werde. Der Kurprinz ftand 
nämlich mit feiner Gtiefmutter, der zweiten Gemahlin des SKurfürften, 
Dorsthea von Holftein, auf gefpanntem Fuße; er glaubte, fie arbeite 
daran, ihn zum Beften feiner Stiefbrüder zu benadhteiligen. Run hatte 
der Kurfürft (mn 26. Januar 1686) ein Teftament gemacht, in welchem 
er feinen Söhnen zweiter Ehe gewiſſe Teile des Staates als erbliche 
Stattheiterfchaften beftimmte. eine Abfidht dabei war: bie Prinzen 
durch fürftenmäßtge Ansftattung davor zu behüten, daß fie nicht, wie 
damals viele thaten, durch Ausficht auf glänzende Verforgung fi zum 
Übertritt zur Tatholtfche Kirche verlocken liehen. Übrigens meinte er 
der Einheit des Staates damit nicht allzu nahe zu treten; denn dem 
Kurfürften Tohte bie volle Oberhoheit verbleiben. Allein er hielt bag 
Teftament geheim, teilte es nur bem Kaifer, ber es beftätigen follte, 
mit, md der Taiferliche Befandte in Berlin Konnte daher, auf biefe 
Urkunde weifend, ben Kurprinzen in Schrecken  fegen”). Diefer ging 
in die Falle. Schon aus politiſchen Gründen ein Gegner der franz» 
fiſchen, ein Freund der öfterreichtfägen Allianz“), warf er fid nun dem 
Katfer, im deffen Macht es ftand, das Teftament bereinft auf ſich be- 
ruhen zu laffen, ganz in bie Arme unb fuchte ſich defien Gunft zu 
erwerben, indem er durch einen geheimen Revers (vom 8. März 1686) 
auf Schwiebus verzichtete. Erft nachdem dies geſchehen, unterzeichnete 
der kaiſerliche Bevollmächtigte jenen mit bem Kaifer gefchloffenen Traktat 
(12. März). 

Ohne Ahnung vom dem faljchen Spiel, welches der wiener Hof 
mit ihm trieb, beeilte ſich ber Kurfürft dem Kaifer ſeine Freundſchaft zu 
bethätigen. @r ſchickte ihm bie erlefenften Truppen, den beiten Feld⸗ 
herrn feines Heeres gegen Die Türken zu Hilfe Im Juli 1686 langten 
fie, 6900 Mann mit 16 Gefchügen unter dem General Hans Adam von 
Scyöning, vor Ofen an. Die Brandenburger waren den Türken in 


*) Exdmannsbörfer 1. d. preub. Jahrbücher Bb. 18, ©, 429-440. 
=") Kante, Genefis deb preuf. Gtantes IIT., 364 ff. 


Auhere Politik, 181 


Ungarn ſchon alte gefürchtete Bekannte; zum erften Male erjchienen fie 
hier im Jahre 1663, 2000 Mann ftark unter dem Herzog von Holftein- 
Plön als Kontingent zum Reichsheer; in ben Jahren 1664, 1672, 1683, 
bald als Hilfstruppen des Kaifers, bald des Königs von Polen, waren 
fie wiebergelommen; und immer hatten fie ſich ausgezeichnet. Seht 
leifteten fie bei der Srftürmung Dfens (2. September 1686) die vor 
zäglichften Dienfte; fie hießen wegen ihres Heldenmuteg bei den Türken 
die „Seuermänner”, und auch der kaiſerliche Feldherr, Herzog Karl von 
Lothringen, war über fie voll des hächften Lobes; im Herbſt 1686 kehrte 
die tapfere Schar zurüc, um 3000 Wann geringer an Zahl, die im 
Kampfe mit den Ungläubigen gefallen waren. 

Zu derjelben Zeit rettete der Kurfürft Hamburg, befien fid ber 
König von Dänemark zu bemächtigen Anftalt machte. Schon war 
Shriftian V. mit 15000 Mann in die Nähe der Gtabt gerückt, als ein 
brandenburgifcher Gefandter erſchien — es war ber Geheimerat Paul 
Fuchs, damals der gewandtefte unter den Miniftern Friedrich Wil- 
helms — und in freundlicher Form, aber mit Nachdruck darauf drang, 
daß Dänemark feine Entwürfe gegen Die Stadt aufgebe. Andernfalls 
werbe der Kurfürft Hamburg mit derfelben Entſchloſſenheit zu verteidigen 
wifien, als gelte es Berlin*). Der König wagte es denn auch wicht, 
feinen Zwift mit der wichtigen Grenzſtadt, die er fo gern unter ſich ges 
bracht hätte, bis zum Kriege zu treiben, fondern zog mit feinem Heere 
wieber ab (September 1686). 

Die Iepte That des großen Kurfürften nad) außen hin war ein 
Schlag gegen Frankreich und ein Verdienft, um den Proteftantisuus. 
Im März 1688, fon ſchwer Trank, ſchloß er mit feinem Neffen, dem 
Prinzen Wilhelm II. von Dranien, einen geheimen Bertrag, kraft heilen 
6000 Brandenburger unter dem Befehl des berühmten Marſchalls 
v. Schomberg, den er zu biefem Zwecke 1687 in feinen Dienft gezogen 
hatte, nach) Holland gehen, von dort den Prinzen nad) England begleiten 
und ihm helfen follten, den Thron des katholiſchen Stuarts zu ftürzen. 
Noch im Tode beſchäftigte ihn diefe Unternehmung, bie in der That 
dann erfolgt ift und mit Brandenburgs Hilfe den Gngländern ihre 
„glorious revolution“ geſchafft hat. Sterbend gab er feiner Leibwache 
für den legten Tag feines Lebens die Parole: London! Amfterdam! Es 
war fein letztes politifches Wort. 

Über feinen Kriegen und diplomatiſchen Verhandlungen hatte er 
doch nie die innere Verwaltung aus den Augen gelafien. Das Eigen⸗ 
tümliche feines Staates beftand ja darin, daß dieſe kunftreiche Maſchine, 


*) Electori perinde fore, Hamburgum an Berolinum oppugnetur. Pufendorf, de 
rebus gestis Frideriei Wilhelmi, XIX. 39. 


182 Des groben Kurfürften lehte Regierungszeit. 


deren Triebrad der Fürſt war, nirgends ins ſtocken geraten durfte, 
wenn fle das Große, was verlangt wurde, leiften ſollte. Darum 
gingen fortwährend die Geichäfte aus allen Fächern der Regierung in 
das Kabinet, der Fürft mochte im Felde ober baheim fein. Die 
Sentralifation der Verwaltung mehr durchzuführen, erteilte Friedrich 
Wilhelm in feiner legten Zeit dem Geheimen-Rat*) immer größere Be- 
fugniffe. Aber zugleich verfuchte er jetzt, da der Abjolutismus feftftand, 
eine Verföhnung mit den alten Sonberinterefien, die er befiegt hatte, 
herbeizuführen. Nur foviel follten die Stände von ihren früheren 
Rechten verlieren, als zur Herftellung ber unumfchräntten Monarchie 
durdjaus notwendig fei. Denn ‘je weniger Geift und Leben in dem 
Ständetum geblieben war, befto größeren Wert legten die Unterthanen 
auf beflen verfnöcherte Tormen. So geſchah es benn im Sinne der 
öffentlichen Meinung, daß ber Kurfürft den Edelleuten, Geiftlichen und 
Bauern verbot Handel zu treiben, den Hörigen und Leibeignen, zu 
ftudiren oder Handwerker zu werben; daß er ferner den Beamten ein— 
ſchärfte, die Nitterfhaft und die ftädtifchen Magiftrate, denen das 
Untergericht zuftand, in ihrem gefeßlichen Anteil an der Rechtspflege 
nicht zu beeinträchtigen; wie er andrerjeit8 durch ein Edikt (vom 
9. Februar 1688), welches dem Kammergericht gebot, Kurfürftliche Ver- 
ordnungen nur dann zu beachten, wenn fie mit den Geſetzen überein: 
ftimmten, aud) die Selbftändigfeit der höheren Juſtiz ficher ftellte. Aber 
er ging weiter. Weil er in der Lebensfrage des Staates, in dem 
‚Heer: und Steuerweien, ein Recht der Ritterjchaft vernichten mußte, fo 
hielt er es für billig, derem übrige gefehliche oder herkömmliche Rechte, 
auch wenn fie auf Mißbräuchen beruhten, umangetaftet zu laſſen. Die 
widtigften unter dieſen Rechten bezogen fid) auf das Verhältnis des 
Gutsherrn zu den Gutsbauern und waren Beftgtitel, in die hinein- 
zugreifen ſoviel hieß als das Eigentum verändern. Der Kurfürft glaubte, 
dem Adel, dem er im Intereſſe des Staates fo viele Opfer abforberte, 
deren nicht noch zu Gunften des gemeinen Marmes auferlegen zu 
können; er war eher geneigt, ihn foviel thunlich zu entſchädigen. So 
tam e8, daß er die Macht der Stände nad) oben verfürzte, nach unten 
aber beftehen ließ, ja fogar bekräftigte und vermehrte. Der Abel hatte 
tm Laufe der eit die Bauern zu feinen Unterthanen und Dienftleuten, 
an vielen Orten, befonder8 in der Udermarf und in Pommern, zu 
feinen Leibeigenen herabgebrüdt; diefen Mißbrauch, den er vorfand, 
erfanmte Friedrich Wilhelm in feinen „Bauern-, Gefinbe-, Hirten- und 


*) Die Mitglieder deffeben hieten feit 1682 wirktice geheime Räte zum Unten: 
ſqhiede von denjenigen Beamten, bie nur ben Xitel, nicht die Geſchafte eines geheimen 
Rates Hatten. 


Die Verwaltung. — Das Heer. 183 


Schäfer-Drdnungen“ vom Jahre 1678, 1681, 1683 als geſetzlich an. 
Der Bauer blieb danady an die Scholle gebunden und mußte feiner 
Gutsherrſchaft drei Jahre dienen; der Xeibeigene war fogar verpflichtet, 
foviel und folange Hand- und Spanndienfte zu leiften, als die Herrichaft 
nur immer verlangte. Hier fagte ber große Kurfürft alfo nicht, wie er 
es bei Steuer und Kriegsfachen that: „Die Rechte der Stände ftelle er 
nit in Wbrede, allein der Zeit müßten auch Landesverträge und Grund» 
gejege weichen“. Hier ſchonte, ja begünftigte er vielmehr das alte feu— 
dale Weſen. 

Es war eine Art von Kompromiß zwifchen dem neuen Abjolutismug 
und ber alten Ariftofratie: der Minorität blieb e3 erlaubt, die Majorität 
bis zu einem beftimmten Grabe auszunußen, aber fie mußte jeßt einen 
großen Zeil dieſes Nutzens für den Staat hergeben, der im Intereſſe 
aller errichtet war. . 

Auch in feinem Verhalten gegen das Heer bewies der Kurfürft, daß 
es ihm darauf anfam, die großen Laften, die er den alten Ständen auf 
legte, nicht unnötig zu vermehren. Durch Werbung und für Sold zus 
fammengebradht, Tonnte das ftehende Heer nicht von dem edeln Geift der 
Vaterlandsliebe, fondern nur von bem kriegeriſchen Standesgeift, von der 
Ehr- und Ruhmesliebe zu jenen vorzüglichen Leiftungen gefpornt werben, 
auf denen die Macht des Staates beruhte. Daher war e3 natürlich, daß 
der Soldat befonbere Begünftigungen erwartete, daß er fich beſſer dünfte 
als der Zivilift, und daß er leicht übermütig und gewaltihätig wurde. 
‚Aber der Kurfürft ſchritt dagegen allemal ernſtlich ein, Bielt ftrenge 
Mannszucht, beſchützte Die Unterthanen fehr nachdrücklich; er war wohl 
geneigt, diefem neuen Stande im Staate viel Ehre, aber fein Vorrecht, 
am wmenigften Gewalt über die anderen Stände zu geben. In feinen 
„Marche, Duartier- und Verpflegungs-Reglements" (1670 und 1678) 
machte er die Offiziere für die Ausfchreitungen ber Gemeinen verant« 
wortlich, verbot bei Vermeidung vierfacher Erftattung und eremplarifcher 
Strafe das geringfte an Geld oder Geldeswert von den Unterthanen zu 
fordern oder gar zu erprefien, befahl, die Truppen follten nicht eher die 
Duartiere verlafien, bis bie Offiziere von den Verwaltungsbeamten und 
Magiftraten ein Zeugnis ihres Wohlverhaltens erlangt hätten. Ebenſo 
kräftig wußte er Übergriffen im Heere jelbft zu fleuern; bie häufigen 
Rangftreitigfeiten ber Offiziere befeitigte er durch die Verordnung vom 
Februar 1684, daß ſich der Rang nad) dem Dienftalter richten folle. 
In einem anderen Armeebefehl (am 8. Yebruar 1688) verbot er den 
Offizieren, die Prügelftrafe gegen die Gemeinen anders als unter be 
ftimmten gefeßlichen Formen anzuwenden. 

Wenngleich die Stärle des Heeres nach dem Bebürfnifie wechielte, 
jo war doch aud) der Friedensbeftand für einen Kurftaat jehr beträchtlich. 


184 Des großen Runfürften Icpte Regierungszeit 


Bei dem Tode des Kurfürften zählte das Heer 28000 Mann, darunter 
5000 Reiter. Es war mufterhaft ausgerüftet, die Reiterei zumal ſah 
jetzt anders aus, als da fie bei Warfchau den Feind jagte; fie war reich 
gelleidet in verziertem Lederkoller, Küraß, Helm und langen Gtiefeln. 
Die Dragoner hatten einen an der Seite aufgefchlagenen Filzhut und 
einen reichgeſtickten Waffenrock, defien Armel mit dunkeln Duerbändern 
benäht waren. Auch an der Uniform des Fußvolls warb nicht geſpart; 
die blauen Tuchfleider faßen weit und bequem; der Mustetier trug 
dazu einen Zeberhut, der Pifenier eine Pickelhaube. Außer den Pie 
nieren, welche Panzer, Säbel und 14 Fuß lange Pilen hatten, führten 
alle ſowohl Feuergewehr als andere Waffen, nämlich die Reiterei Karas 
biner, Piftolen und lange Schwerter, Die Dragoner Säbel, kurze Pilen 
und leichte Musfeten, die Musfetiere Degen und Lunten- Musteten, 
welche beim Abfeuern auf Gabeln gelegt wurben. Die Iufanterie, zu 
zwei Dritteln aus Musfetieren, zu einem aus Pikenieren beftehend, focht 
in ſechs Gliebern. Beim Feuern ſchoß zuerft das ferhfte Glied, während 
die andern auf den Knieen lagen, dann ſchoß das fünfte u. f.w. Beim 
Stechen kniete das erfte Glied nieder, fällte die Pike, die es gegen ben 
Fuß ftügte, und zog gleichzeitig den Degen; die hinteren Glieder blieben 
ftehen und fällten die Pilen, fo dab das ſechſie Glied dieſelben am 
höchften hielt. Der Dienft ber Musketiere war am ſchwerſten, denn fle 
mußten auch nod) ſpaniſche Reiter mit fi) tragen, Holzböde, die fie in 
der Schlacht als eine Art Verſchanzung vor fid) aufpflanzten. Die Unter- 
haltung ber Truppen, dazu das Feſtungsweſen und die 1663 in Kolberg 
errichtete Ritteraiademie (eine Art Kriegsſchule), dies alles Toftete jährlich 
über eine Million Thaler baren Geldes; eine Summe, welche auf beftimmte 
Einkünfte — die Grundftewer, Die Bölle, das Stempelpapiergeld und bes 
fonder8 Die Aceife — angewieſen war, während andere Einfünfte, wie 
die Erträge der Boft und der Domänen, zur Erhaltung des befonbers 
feit der zweiten Heirat des Kurfürften im Jahre 1668 prächtiger ge 
wordenen Hofftaais und der Beanten dienten. Zuletzt belief ſich die 
Geſamtansgabe des Staates auf 2/, Million Thaler. 

Diefe Leiftung dem Lande zu erleichtern und die Steuerfräfte für 
die Zuhmft noch zu fteigern, fehte die Regterumg ihre Arbeit als Pflegerin 
jedes Erwerbszweiges ımermäblid, fort. Ihre Sorgfalt lieh es nicht bei 
allgemeinen Anordnungen bemwenben, fie trieb aud im einzelnen. So 
befahl der Kurfürft (1685) den Ackerbürgern, Hinter ihren Häufern Baum 
gärten anzulegen, und ben Geiſtlichen, feinen Mann zu trauen, der nicht 
nadjweife, daß er wenigftend ſechs Obftbäume verebelt und ſechs junge 
Eichen gepflanzt habe. Er felbft ging mit gutem Beiſpiel voran und 
war ein eifriger Gärtner; aus feinem Obft- und Küchengarten zu Berlin, 
wo er oft genug mit eigener Hand fäete und pfropfte, verbreitete fich 


Induftrie und Geehandel. 185 


denn namentlid, aud) ber feinere Gemüfehau über die Mark. Wie hart 
er übrigens die Untertanen anfaflen mußte, um fie aus ihrem Saumfal 
zu ziehen, erhellt aus ben polizeilichen Vorſchriften, Die er für Berlin 
erließ. Diefe Stadt, befonders durch die frembe Eimwanderung fehr ge 
wachſen, jeit 1674 auch durch einen neuen Gtabtteil, die Doretheenftabt 
mit der vierfachen Lindenallee erweitert, zählte am Ende diefer Regierung 
20 000 Einwohner, dreimal mehr als am Anfang derfelben, aber noch 
immer fehlten jene Zeichen höherer Bivilifation, die der Kurfürft an den 
hollandiſchen Städten und felbft in vielen Reichsſtädten bemerkt hatte: 
Rettigkeit und. Ordnung im Außeren. Cr befahl daher 1680: „wer den 
Unrat auf die Straße werfe, dem folle er wieder ins Haus geworfen 
werden; wer unfittlicher Weiſe die Straße verunreinige, folle an ben 
Pranger kommen, Kinder dafür mit der Rute beftraft werben, da man 
ſolch ſäuiſches Weſen nicht dulden könne und zur Rotdurft öffentliche 
Bedürfnisanftalten vorhanden feien." Er erließ auch eine neue euer 
löſchordnung (1682), eine Laternenordnung, nötigte die Hausbeſitzer vor 
ihren Häufern pflaftern und kehren zu lafien, den Magiftrat aber, das 
Ganze ftreng zu beauffichtigen. 

Bas die Produftion in feinen Staaten henunte, war jedoch weniger 
die Trögheit der Unterthanen als deren Mangel an Kenntnis, Geſchick- 
lichkeit und Kapital, Auch aus dieſem Grunde zog der Kurfürft unabläffig 
Einwanderer, am liebften aus dem gebildeten und wohlhabenden Weiten 
herbei. Diefe Fremden, befonders die Franzoſen, von denen im Jahre 1672 
zu Berlin eine „franzöfiiche Kolonie” gegründet worben, aber auch Pfälzer, 

‚ Holländer, brachten wicht bloß Arbeitskraft, ſondern aud) jene 
Vermögen, die bier fehlten, in den Kurfiaat. Sie bürgerten in der Marl 

neuen Induftriezweig ein, 3. B. die Tabalsſpinnerei (1681) und 
den Tabalsbau (1685); fie waren es, die fih am Häufigften zu jenen 
Privilegien meldeten, welche der Kurfürft zur Einführung neuer Manu 
fatturen fo gern erteilte; fie halfen ihm auch feine Fabriken anlegen, die 
das einheimifche Gewerbe erweitern follter (1674 ein Gtahlwert, 1686 
eine Gewehrfabrit, 1686 eine Buderfiederei und eine Gaze-, Seide unb 
Kreppfabrit, 1687 ein Blech⸗ und Zinnhaus). Qurh fie, die in allen 


Wie die Franzoſen in der Induſtrie, fo waren die Holländer im 
Seehandel dem Kurfürften ſehr brauchbare Gehilfen. Nachdem er mit 
ihrem Beiftande fi) eine Flotte verſchafft hatte, wollte er auch eine 
überfeeifche Kolonie haben. Auf den Rat feines Admirals, des Hol» 
länders Benjamin Raute, richtete er feinen Blid nad) Guinen. Dort 
ließ er mit einigen Regerhäuptlingen Verhandlungen anknüpfen, und 


186 Des groben Kurfürften lehte Regierungszeit. 


als fie ihn zu ihrem Oberherrn angenommen und verſprochen hatten, 
nur mit brandenburgifhen Schiffen Handel zu treiben, aud die Ers 
bauung eines Forts auf ihrem Gebiete zu geftatten, errichtete er 1682 
eine „afrifanifche Handelsgeſellſchaft“ und fchidte den Major Otto 
Friedrich von ber Gröben mit zwei Kriegsſchiffen und einer Kompanie 
Soldaten nad) Guinea, um dort die Niederlafjung anzulegen. Gröben 
erbaute 1683 auf der Goldküſte zwiſchen Arim und dem Kap der drei 
Spigen das Fort Großfriedrihgburg, in deffen Nähe dann noch zwei 
andere brandenburgifche Pläge, Acoda und Tacarari, befeftigt wurden. 
Mit großem Staunen fahen die Berliner (1684) eine Geſandtſchaft von 
Negerhäuptlingen anlangen, die gefommen waren, ihrem Herm, dem 
Kurfürften zu Huldigen. 1685 umterwarf fid) ihm aud) die Infel Arguin 
zwifchen dem grünen und weißen Vorgebirge am Senegal und erhielt 
ebenfalls ein Fort als Befeftigung und Handelsplag. Die Waren, welche 
die Brandenburger in Guinea eintaufchten, beftanden in Goldftaub und 
Sflaven; letztere verfauften fie dam in Amerika, wie es damals alle 
feefahrenden Nationen Europas thaten. Um das Aufblühen dieſer 
Handelsgejellfchaft bemühte fich befonders der Minifter Paul Fuchs, der 
nit bloß als Diplomat, fondern auch als Verwaltungsbeamter fich 
große Verdienfte um ben Staat erwarb. 

-Der Kurfürft förderte feinen Seehandel indes noch von einer anderen 
Seite. Er bemußte einen Streit, der zwifchen der Fürftin von Oftfriede 
land und den Ständen des ſehr freiheitlic, verfaßten Staates ausbrach, 
um als Mitdirektor des weftfälifchen Kreijes, zu welchem Oſtfriesland 
gehörte, fi) hinein zu mifchen; er verband fid) mit den Ständen und 
legte 1682 zu ihrem Schutze brandenburgifhe Truppen nad) Emben 
und Greetfiel an ber Ems. Emden, der wohlgelegene Rorbfechafen, 
wurde nun die Haupfftation für die brandenburgiſch⸗preußiſche Kriegs: 
flotte, neun Schiffe von 20 bis 40 Kanonen, welche der Kurfürft 1686 
von Benjamin Raule für 109000 Thaler an ſich faufte; Emden wurde 
zugleich der Sig der afrifanifchen Kompanie. So hatte der hohenzollerſche 
Staat auch am der Norbfee Fuß gefaßt. Freilich) war die Handels- 
marine von Hinterpommern und Oſtpreußen noch micht fo weit ent 
wide, um mit Friedrich Wilhelms großartigen Ideen Schritt zu 
halten; dazu Tamen die Sinberniffe, welche die weftindiiche Kompanie 

Hollands aus Eiferſucht den Brandenburgern in den Weg ftellte; Kurz die 
afritaniſche Unternehmung gedieh nicht recht, und der Kurfürft geftand, 
daß jeder Dukaten, den er aus afrilaniſchem Golde prägen laffe, ihm 
zwei andere fofte. Aber er durfte hoffen, daß feine Nachfolger, wenn fie 
feine Anfänge Aug und fräftig weiterführten, mit der Zeit zu beſſeren 
Ergebniffen tommen würden. Und wenn jenes Geld in Zukunft doch 
feine Zinfen trug, fo war es würbiger verloren, als die Summen, welche 


Zod bes großen Kurfürften. 187 


an anderen Fürftenhöfen für fchlimmere Liebhabereien verjchwendet 
wurden. Weber Mätreffen noch Günftlinge ſchöpften in Berlin aus dem 
Sädel des Fürften ober des Staates. Wohl über zierten Friedrich 
Wilhelms Hof viele treffliche Gelehrte und Künftler aus Holland, Franke 
reich, Italien, Deutſchland, unter denen der Stahlſchneider Leigebe aus 
Schleſien, der Kupferftecher Bartſch und vor allen ausgezeichnet ber 
Biograph des Kurfürften, der berühmte Gelehrte Samuel Pufendorf, zu 
nennen find. 

So konnte der Einfluß des Hofs auf die geiftigen Intereſſen des 
Landes nur heilfam fein. Der Kırfürft fuhr überdies fort, ihnen aud) un 
mittelbar zu nüßen, gründete 1671 eine Ritterafademie zu Frankfurt a. D., 
1683 eine Stadtſchule (das fpätere Gymnafium) auf dem Friedrichs⸗ 
werber zu Berlin, eröffnete feine Bibliothef, die im Jahre 1687 ſchon 
1618 Handjchriften und 20600 Bände enthielt, mit größter Liberalität 
dem ganzen Publikum. 

Diefer überall anregende und raftlos thätige Mann war doch feit 
dem franzöfifchen Kriege körperlich jelten geſund; er hatte ſich durch bie 
Beſchwerden im Felde die Gicht zugezogen, die ihn dann nicht mehr ver⸗ 
ließ. Im Anfange des Jahres 1688 ging diefe Krankheit in Wafjerjucht 
über, und bald eröffneten ihm feine due, daß feine Lage hoffnungslos 
fei. Er hörte e8 mit großer Fafſung und traf ſtill feine Vorbereitungen. 
Am 7. Mai verfammelte er den Kurprinzen, die Minifter, die Mitglieder 
des Geheimen-Rats zu einer feierlichen Sigung und nahm als Landes- 
herr Abjchied. „Er wohne nun zum legten Male bem Rate bei; ir 
wenigen Tagen were er fterben. Seine Regierung fei voll geweſen von 
Mühe und Sorge für ihn und durch die vielen Kriege voll Übel für 
feine Unterthanen. Gern hätte er die Laften des Volkes vermindert, bie 
Ungunft der Beiten habe es verwehrt. Alle Welt aber wiſſe, wie er ben 
Staat nad) dem Tode feines Vaters gefunden, und wie er ihn jebt 
binterlaffe, in ziemlichem Wohlſtand und großem Anfehen, gefürchtet von 
den Feinden, geachtet bei den Freunden. Diefen aufftrebenben Staat 
übergebe er dem Kurprinzen mit der Ermahnung, ben ererbten Ruhm zu 
wahren und zu vermehren; bie Waffen, denen der Staat feine Sicherheit 
und feinen Glanz verdanke, immer zur Hand zu haben; die Unterthanen 
zu lieben; treue Räte zu hören.“ Dann dankte er ben Räten für ihre 
redlichen Dienfte, forderte fie auf, feinem Sohne mit gleicher Treue zu 
dienen, und fagte jedem lebewohl. Alle erwiederten mit Thränen: 
Nachdem er dann aud) von feiner Familie Abſchied genommen und mit 
feinen Hofpredigern gebetet hatte, war er bereit zu fterben. Sonntag 
am 9. Mai verfammelte er noch einmal feine Kinder um fein Bett, 
fegnete fie und rief inbrünftig: „Komm Here Jeſu! ich bin bereit!“ 
dann mit leiferer Stimme: „Ich, weiß, daß mein Erlöfer lebt, und ber 


188 Des groben Kurfürften Icpte Regierungszeit. 
wird mich hernach aus ber Erde auferwecken“; neigte fein Haupt und 
verſchied. 


Friedrich Wilhelm hatte in feiner 48jahrigen Regierung Großes ge⸗ 
leiſtet; Großes für feine Dynaftie, die er ſouverän nad) außen und ab⸗ 
folut nad) innen, Großes für fein Volt, das er vermittelft des Abſolu⸗ 
tismus zu einer tuchtigen Nation gemacht hatte. Denn die Länder und 
VBölkermaſſe, die er vom Water überkommen, war jet nicht bloß um 
etwa die Hälfte vermehrt — von 1472 auf 2013 Duadratmeilen, von 
900 000 auf 1,500000 Einwohner — Land und Leute waren aud) aus 
der Berriffenheit zahlreicher Sonderweien umgewandelt in einen feiten 
einigen Staat, und in diefem Machtmittel geſchaffen, Hüfsquellen eröffnet, 
von denen man hier vordem feine Ahnung hatte: ein ftehenbes Heer von 
28000 Mann ausgezeichneter Truppen, ftarfe wohlverſehene Feftungen, 
reiche Einkünfte, die Staatseinnahmen von einer halben Million Thaler 
auf 2), Million gebraht und ein Schaf von 650 000 Thalern gejam- 
melt; dazu ein glängenber Ruhm feinem Haufe gewonnen, fein Staat mit 
Ehren in die Reihe der Weltmächte eingeführt; wenn einer, fo verdient 
Friedrich Wilhelm den Beinamen des Großen, ben ihm fchon die Mit- 
welt zuerfannte. Es ift wahr, die Mittel, die er gebrauchte, machen 
mehr feinem Berftande als feinem Herzen Ehre; „Friedrich Wilhelm war 
(wie fein Seitgenoffe Burnet jagt), wenig empfindlich bei den Leiden der 
Menſchheit; er belaftete feine Unterthanen außerordentlich, um fein Ge— 
pränge zu erhalten und feinem friegerifchen Geifte Raum zu geben.“ 
Aber was als Gepränge erſchien, barg in ſchimmernder Hülle eine preis« 
würdige Schöpfung, und die Waffen allein gaben ihr Luft und Licht. 
So manches gebrochene Recht klagte ben großen Zoten an; aber im 
Wibderftreit der Interefien, die er vorfand, konnte nichts gedeihen; er glich 
dem Arzte, ber ſchonungslos die Teile ſchneidet und brennt, damit das 
Ganze gefunde und erftarfe. 

Benn er dem Volke feinen Willen aufgwang, fo war biefer ber 
meifere; wenn er viel von den Unterthanen forberte, fo forderte er von 
ſich nicht weniger. Denn feine Werke, feine Macht und fein Ruhm waren 
mit feinem Schweiße jo gut wie mit dem Schweiße feines Volkes her⸗ 
geftellt worben. Im feinen Schlachten ſetzte er fein eigenes Leben fo gut 
ein wie jeber feiner Krieger. Seine Tage verbrachte er mit Arbeit und 
Sorge für den Staat, nicht wie fo viele andere Fürften mit Lüften und 
Ausſchweifungen. Durch ein ehrbares mäßiges Leben feinen Unterthanen 
ein gutes Vorbild, troß feines reizbaren Temperaments allezeit beſonnen 
im Handeln, war er mit Recht ein Selbftherricher, weil er mit Ehren 
ein Selbftbeherrfcher war. 


189 


Innere Iuftände des braudenburgiſchen Staates im 
ſebzehuten Jahrhundert, 


Das Vollsleben, im Mittelalter fo bunt und Träftig, ift nun ver» 
blaßt; die Einwohner des Staates führen, fett die Monarchie abfolut 
geworben, nicht mehr ein öffentliches, nur ein Privatleben; fie find bloß 
Unterthanen und noch nicht Staatsbürger. Denn der Fürft ift mit feinem 
Heere und mit feiner Beamtenſchaft das einzig Bewegende und Erhaltende 
im Staate; das Bolt hat nur die Mittel herzugeben. Statt der polis 
tifchen Intereſſen erregen feit ber Reformation die kirchlichen das Volt; 
hierin hält e8 am längften feine Selbftändigteit feft. Aber auch in der 
Kirche erlangt das landesherrliche Anſehen zuleht völlig die Oberhand. 
Das Bolt gewöhnt ſich in allem und jedem dem Yürften die Leitung zu 
laffen und bald greift die Benormundung ber Regierenden aud) in das 
Privatleben ber Regierten ein. 

Diefe Entwidtelung, die im fechzehnten Jahrhundert begann, erreichte 
im fiebzehnten ihren Abfchluß. Am meiften wirkte dazu der dreißig⸗ 
jährige Krieg, weil er bie Verrottung des alten Beſtandes, namentlich) 
bie Mängel bes ſtändiſchen Staates, bloklegte und bie Abfolutie nötig 
machte. Die verjdjiebenen Klaſſen des Voll verloren dabei nicht ein 
und dasfelbe. Denn da der Landtag nur die Ritterfchaft, die Geift- 
lichkeit und den vornehmen Bürger vertrat, fo geſchah es oft, daß was 
diefer Minderheit geflel, der Maſſe des Volks zum Schaden gereichte. 
Darım fagte Georg Wilhelm ſehr treffend, als er von den Ständen 
1624 einmal wieder vergebens Steuern zur befieren Verteidigung des 
Landes verlangte: „die bemofratifche Weſen, wo die Stände herrichten, 
jet nicht zu dulden; e8 würbe ſehr bald zu einer oligarchifchen Verfafſung 
umſchlagen, wofern nicht die Monarchie obſiege.“ In der That, wo die 
Stänbe das Heft hatten, wie in Preußen zur Zeit des Herzogs Albrecht 
Friedrich, war das Land im Grunde eine Adelsrepublif. 

Aud) in der Mark hätte der Adel mächtig um fid) gegriffen, bevor 
der große Kurfürft die Macht der Stände zerbrach. Seitdem die Hohen 
zollern ben märfifchen Edelleuten das Fehde- und Raubweſen gelegt, 
wenbeten fich dieſe mehr den friedlichen Beichäftigungen des Landbaues 
zu. Aber die meiften Rittergüter in der Mark waren weder durch Größe 
noch durch Fruchtbarkeit des Bodens fo ergiebig, um ben Anſprüchen 
ihrer Befiper genügen zu können. Ihr magerer Ertrag fette den Edel- 
mann nicht in den Stand, wit dem Lupus der reichen Handelsherren in 
der Stadt oder der großen benachbarten Gutsbeſitzer in Mectenburg und 
Sachſen Schritt zu halten. Dazu kam, daß feit der Reformation eine 
Menge von fetten Pfründen, Kanonifaten, Dompropfteien, Orbengrittere 


190 Imnere Zuftände des brandenburgiſchen Staates im fiebzehnten Jahrhundert. 


ftellen, fortfielen, die fonft dem Adel zur Verforgung feiner jüngeren 
Söhne gedient hatten. Die Beamtenlaufbahn konnte doch nur ein Heiner 
Zeil einfchlagen; fie koſtete auch Geld und Mühe, zum Studiren hatten 
verhältnismäßig nur wenige Luft. Alles dies wirkte zufammen, um ben 
Adel auf das Beſitztum des Bauernftandes Hinzutreiben, zwar jetzt 
richt mehr als Wegelagerer, aber als „Bauernleger”, als Auskäufer der 
Bauerngüter. Die adligen Beſiher benußten dazu jede Gelegenheit. Sie 
hatten fi das Vorrecht angemaßt, nicht bloß in den abligen Dörfern, 
d. h. in Denen, welche einft durch die adlige Herrichaft gegründet waren, 
fondern auch in allen denen, wo fie von altersher ein richterliches oder 
fonft ein Amt im Namen der Kirche oder des Markgrafen ausübten, die 
Bauern für eine beftimmte Summe aus ihrem Beſitze auszufaufen. 
Diefe Höfe und Ländereien fügten fie dann als Vorwerke oder Schäfe 
zeien ihren Nittergütern Hinzu. So ſchmolzen die freien Bauerngüter 
immer mehr zufammen, am rafcheften die Lehnfchulzengüter, die beim 
Erlöfchen der Familie auch dem Rechte nach an die Gutsherrfchaft zurück⸗ 
fielen. Dann kam der dreißigjährige Krieg; er legte eine Unzahl von 
Bauernftellen und ganze Dörfer wüft; der Abel riß diefe herrenlofen 
Güter an fi) und vermehrte dadurch feinen Beſitzſtand ungemein. Nach 
dem Frieden fiedelte er dann Bauern darauf an, die wenig befier als 
Zeibeigene waren. Doch aud) die wenigen nidjtabligen Landleute, Die 
fi) frei erhalten Hatten, mußten fi) aus Armut oft zu Dienften ver- 
ftehen, die leicht in völlige Abhängigkeit ausarteten. Kurz es gab ſchon 
faft feinen Bauern mehr, der nicht entweder in einem Edelmann oder in 
einer Stadt oder in dem Fürften als Domänenbefiper eine Gutsherr⸗ 
ſchaft Hatte. Auch konnte ſich der Bauer felten mehr zu Wohlitand aufs 
ſchwingen. Denn die Steuern, welche die Stände bewilligten, wurben 
größtenteils auf ihn gewälzt; er war es, der für den Adel die meiften 
Abgaben aufbracdhte, die dieſer zu zahlen Hatte. Auch in den Städten 
fielen die ſchwerſten Laften auf Die ärmeren Bürger. Namentlich ges 
nofien die Hausbefiger Freiheit von mancherlei Abgaben, z.B. an vielen 
Orten Bollfreiheit, und die Kontributionen, die erft der Krieg, dann der 
bewaffnete Friede nötig machte, wurden nicht nad) dem Vermögen, fons 
dern nad) der Kopfzahl verteilt. 

Da war denn die Art, wie der große Kurfürft zu beſteuern an⸗ 
fing, ingbefondere die Accife, Die alle nach gerechtem Maße traf, für die 
Mafje des Volks eine Wohlthat. Daher kam es, daf die Bürgerfchaft 
in vielen Städten den Rat zwang, feinen Widerſpruch gegen die ver- 
fafiungswidrigen Maßregeln des Kurfürften fallen zu lafien. Ebenfo war 
die Kopffteuer, die der Kurfürft zuweilen erhob, zwar ungeſetzlich, aber 
gerecht, denn von ihr war durchaus Feiner befreit. Der Kurfürft ſelbſt 


Die Städte. 191 - 


zahlte für feine Perjon 1000 Thaler, und fo ein jeder im Lande, der 
Geringfte ſechs Groſchen. 

Die Lage der Bauern war nicht überall dieſelbe. In manchen 
Gegenden, z. B. in der Altmark und in Preußen, gab es noch viele 
freie Hofbefitzer, in anderen hatten die Bauern der Gutsherrſchaft 
nur ganz beftimmte Abgaben und Handdienſte zu leiſten; in einigen, 
3. B. in der Ndermart und in Pommern, waren fie mit ungemefjenen 
Zaften überbürdet. Ein wirffames Mittel, fie in Knechtſchaft zu brin- 
gen oder zu halten, hatte der Abel an der Verwaltung der Polizei 
und des Untergericht® in feinen Dörfern. Welcher Bauer wollte 
da gegen ben Edelmam auflommen, wenn er aud noch fo jehr im 
Rechte war? 

Die ftädtifhe Bevölkerung lebte noch in den Formen bes 
Mittelalters; es gab noch einen von der Bürgerjchaft erwählten Nat, 
der die Stabt mit Hilfe der Stabtverordneten verwaltete, es gab noch 
Zünfte und Innungen. Aber ihre Gelbftändigfeit hatten dieſe Kor- 
porationen faft ganz verloren. Der Rat verwaltete das Untergericht, 
die Polizei und das ftädtifche Vermögen nur nad) den Anmeifungen 
der Regierung, die Stadtverordneten wählte er feit Joachim II. felber 
aus ber Gemeinde. Die alten Gefchlechter waren im breißigjährigen 
Kriege größtenteils ausgeftorben. Die werigften unter den angejehenen 
Bürgern beſaßen nod) die Mittel, die alten Ehrenämter um der Ehre 
willen zu verwalten. Denn die Verwaltung foftete jetzt, da die Schrei- 
berei das öffentliche und mündliche Verfahren verdrängt hatte, viel mehr 
Zeit und Mühe. Übrigens follten ja der Rat fowohl, wie die Stabt- 
verorbneten, nichts fein als die gehorfamen Diener des Fürften, der fie 
beftätigte. 

Nachdem die Städte den beften Teil ihrer Privilegien verloren hatten, 
war aud das Bürgerrecht kein ſo wertvolles Gut mehr. Dody hielt man 
die Schranken, die eine frühere Zeit darum gezogen, auch jetzt aufrecht; 
es koſtete, bis der große Kurfürft eingriff, viel Geld, um Bürger und 
Meifter zu werden. Auch fonft bewahrte man das alte Ständewefen 
wenigſtens in der Form. 

Für jede der drei Klaffen, in die man die Städter unterſchied — 
zur erften gehörten die Bürgermeifter und Ratsherren, die Geiftlichen, . 
Richter, Lehrer und edlen Familien; zur zweiten die wohlhabenden 
Kaufleute und Handwerker; zur dritten Die gemeinen Bürger und 
Dienftleute — überhaupt für jeden Stand galten noch immer be 
ſtimmte Kleider und Aufwand⸗ Ordnungen, die oft von Polizeiwegen 
eingefhärft wurden. Manche Berufsarten hatten einen Makel an fi: 
die Schäfer, Wächter, Büttel, hie und da jelbft die Leineweber hießen 
unehrlid; eine Unbill, die endlich der große Kurfürft wenigftens vor 


- 192 Innere Zuftände des brandenburgijchen Staates im fiehzehnten Sahehundert. 


dem Geſetz abftellte, wenn er auch die Vorurteile des Volks noch nicht 
ausrotten Tonnte. 

Die Regierung eignete fi) damals faft überall in Europa bie 
Lenkung der Rationalthätigleit zu; für den hödjften Zweck der Staats- 
wirtihaft galt das Geldmachen, und für die beften Mittel dazu hielt 
man die Einrichtung privilegieter Fabriken, Zolltarife, Aus- und Ein- 
führ« Verbote. Bei biefem „Merkantilfoftem“, das ber franzöflfche Dis 
nifter Colbert aufgebracht, erfuhr ber Verkehr im allgemeinen ebenfo 
viel Hemmnis als Vorſchub. Aber für Deutfchland und namentlich für 
die Marten, wo der große Kurfürft es handhabte, war es infofern ganz 
angemefien, als hier die Selbftthätigfeit des Bürgertums erft wieder 
geweckt ımb erzogen werben mußte. Der deutſche Handel und Wandel 
lag jeit dem dveißigfährigen Kriege zu tief damieder, um fich jelbft 
helfen zu können; vielmehr Löfte fi fein alter Hort, die Hanja, die 
längft feine Bebeutung mehr hatte, 1669 ganz auf, es blieb mur ihr 
Name, ben fortan die Städte Hamburg, Lübeck und Bremen fortführten. 
Der Landesherr mußte aljo helfen. Unter feiner Fürſorge erholte fich 
denn auch der märfifche Handel einigermaßen. in Naturereignis kam 
dabei zu flatten. Im ſechzehnten und fiebzehnten Jahrhundert verloren 
ſich nämlich die Heringszüge aus ber Dftfee, wo man ihnen allzuftark 
and forglos nachgeftellt hatte, und beſchränkten ſich auf die Norbiee. 
Seitdem nahm der Handel mit biefen Fiſchen nad) bem öftlichen Deutſch⸗ 
land bis Polen hin feinen Hauptweg von Hamburg die Elbe hinauf und 
durch bie Marken. Er war auf dieſer Straße ſchon unter Joachim II. 
ſo beirächtlich, daß ber Bol bei Lenzen dem Kurfürften jährlich 70.000 
Dulaten gebracht haben fol, und im Jahre 1614 verftenerte man dort 
eine halbe Million Tonnen Heringe. Unter ben Produkten, welche die 
Mark felbft zur Ausfuhr brachte, war altmärkiſches, befonders garbelegener 
Bier das bebeutendfte. Bier diente aud) im Lande als Hauptgetränt. 
Den Weinbau, ber in der Mark und faft in ganz Norddeuſſchiand einft 
fo anfehmlich war, hatte der breißiglährige Krieg bier völlig vernichtet, 
und diefe Kultur kam richt wieder auf, weil fie eine ganz befondere 
Geſchicklichkeit und Erfahrung erforderte. An die Stelle des Weins trat 
jeßt bet vielen ein ſchlimmeres Genußmittel, der Branmtwein. Gegen 
Ende des jechzehnten Jahrhunderts von einem Apotheker zu Rordhaufen 
erfunden, wurde der Branntwein zuerft als Medizin, bald aber zum 
Gaumenkitzel gebraucht. Größere Verbreitung fand er während des 
dreißigjährigen Krieges, der aud) die Sitte des Tabakrauchens in ber 
Mark bekannter machte. Etwas fpäter, doch noch zur Zeit des großen 
Kurfürften, entftanden auch hier ſchon Schenken, wo Thee, Kaffee, Cho- 
tolade, Limonade genoffen wurde. 

Eine große Plage für den Verkehr war immer bie Unzahl von 


Das geiftige Leben. 193 


Münzftätten im deutſchen Reiche und ber Mißbrauch gewejen, den die 
Zandesherren mit dem Münzrecht trieben. Am ärgften aber wurbe ber 
Unfug im breißigjährigen Kriege. Wucherer und Juden zogen das gute 
Geld aus dem Verkehr und bradjten dafür beſchnittenes md ſchlechtes 
in Umlauf. Zu biefen „Kippern und Wippern“ kamen noch Falfch- 
möünger, und bie berechtigten Städte und Fürften nahmen teil an dem 
allgemeinen Betruge, indem fie immer leichtere Münzen ſchlugen. Zuletzt 
war faft mir faljches ober Kipper- und Wippergeld zu fehen. Diefen 
Übelftänden fteuerte in ber Mark das neue Mimzgeſetz von 1666, wor 
nad nur der Kurfürft das Münzrecht hatte, und ber Wert der Münzen 
feft beftimmt wurbe; ein Joachimsthaler (jo genannt nad) ber böhmifchen 
Bergwerksftabt Joachimsthal) oder kurzweg ein Thaler war ſeitdem 
etwa gleich vier Mark heutigen Geldes, und 24 Groſchen machten einen 
Thaler aus. 

And) zur Zeit ihrer größten Blüte, ihrer Macht und Freiheit hatten 
die brandenburgijchen Städte nie das Bild der Anmut und Schönheit, 
nur eines derben Wohlftandes gezeigt. ALS fie im breißigjährigen Kriege 
veröbeten und verarımten, ſchien es, als ob das alte Slawentum mit 
feinem Schmuß, feiner Unordnung bier wieder aufgelebt fe. Zum Gluck 
war ber ftrenge Treiber da, der wieber Ordnung ſchaffte. Der große 
Kurfürft fegte es gegen die Läffigkeit der Bürger doch endlich durch, daß 
man es für nüßlid hielt, die Straßen regelmäßig zu reinigen, zu 
pflaftern und zu beleuchten, daß man fi) daran gewöhnte, Brunnen an« 
auflegen, Baumgärten zu pflanzen, feuerfefte Schornteine zu ſehen und 
die Häufer nicht mehr mit Stroh zu decken. Diefer Fortſchritt in der 
Kultur geſchah freilich zunächſt nur ba, wohin das eigene Auge bes 
Fürſten drang; allmählich machte man indes auch anderwärts bie neue 
Mode mit. j 

Die ſchlimmſten Übel, die ber breikigjährige Krieg bem deutſchen 
Volle angethan, waren jedoch nicht die Berlufte an materiellen Gütern, 
auch nicht einmal an politiſchen Rechten, fondern die Schäden, welche 
es an feinem Geifte nahm: Die Verwilderung ber Sitten, das Erlöſchen 
des Freiheitsſinnes. Ja ſelbſt die Religiofität war entarte. Das 
Glaubensleben äußerte fi) überall im Lande vorzugsweiſe in der Un— 
duldfamfeit. Bei manchen führte das Elend der Kriegszeit zum voll 
ftändigen Unglauben, bei vielen verdidte es noch den Aberglauben, von 
dem fi) ohnehin niemand frei hielt. Er war ſchon im jechzehnten 
Jahrhundert dicht genug; ſah man doch im Jahre 1559 auf ben Fel- 
dern von Berlin am hellen Tage Gefpenfter. Im fiebzehnten Jahr: 
Hundert wuchs er mächtig. Nicht nur daß man an Geiſtererſcheinungen, 
an Zauberei. und Wunderzeihen aller Art glaubte, daß man fid) durch 
die „pafauer Kunft”, die befonders bei dem Kriegsvolt im Schwange 

Fierfon, preuß. Geſchichte I. 13 


194 Innere Buftände des brandenburgiſchen Staates im fiebgehnten Jahrhundert. 


:war, ımverwunbbar zu machen fuchte, daß man Tränke braute, um Per- 
onen zur Liebe zu zwingen, und unter allerlei Beſchwörungsformen nad) 
verwunfchenen Schäßen grub; — ber Aberwiß fteigerte fi) auch zu ver- 
folgungswiätigem Yanatismus. Der Glaube an Heren und Zeufels- 
bündner wurde mordfüchtig und zugleich, epidemiſch. Vor ihm war nun 
kein Stand, fein Alter, Fein Geſchlecht, nicht Tugend noch Verdienft 
fiher. Es genügte, daß eine Yrau unheimlich oder ſonderbar ausſah, 
um fie in den Auf einer Here zu bringen. Jeden Unfall ſchob man auf 
den Teufel und feine Spießgefellen. Blinder Verdacht, Reid, Hab, Rach- 
fucht, alles trieb zur Angeberei. Die Thorheit war fo anſteckend, daß 
viele ſich felbft für Genoſſen des Teufels hielten. Und wer als Here 
ober Zauberer angeflagt wurde, verfiel der entjeglichften Behandlung. 
Man folterte die Unglücklichen jo lange „von Rechtswegen", bis fie von 
fi) oder andern alles, was man wollte, eingeftanden, daß fie durch bie 
Luft zum Herenjabbat geritten, die hölliſchen Fefte auf dem Blocksberg 
mitgemadjt und in des Teufels Namen gezaubert hätten. Dafür wurben 
fie dann in allen Formen Rechtens verurteilt und verbrannt. In allen 
deutſchen Ländern ging mit furchtbarer Wut dieſe Herenjagd; überall 
Ioderten Scheiterhaufen als Opferflammen für den allgemeinen Wahr. 
Von 1651—1676 wurden allein im Hennebergfchen 22 Weiber, im Bis- 
tum Neiße in dem einzigen Jahre 1651 gar 200 Perfonen, meift alte 
Franen, aber auch junge Mädchen, Kinder und Männer, als Heren oder 
Herenmeifter verbrannt. Anderwärts ließ damals die Peft ſchon nad; 
in den Staaten bes großen Kurfürjten hatte fie überhaupt weniger um 
fich gegriffen. 

Die geiftige Roheit und die gemeine Sinnlichkeit, weldhe dem Aber- 
glauben die meifte Nahrung gaben, zeigten fid auch in der maßlofen 
Schwelgerei, der die Deutjchen, wenn fie die Mittel dazu hatten, damals 
überall fröhnten. Saufen, Spielen und Fluchen, das war bei den meiften 
die Würze des Lebens. Dazu kam mın das feinere und defto gefähr- 
lichere Gift franzöfiſcher Unfitten. Ludwigs XIV. Hof war ber Sammel- 
platz aller reizenben Lafter und Wollüfte und hierin wie in Pracht und 
Eleganz das Mufter der übrigen Fürftenhöfe, die wieder für ihre Wölter 
den Ton angaben. So drangen auch in Deutſchland die franzöftfchen 
Moden und Sitten und mit ihnen die franzöftfchen Lafter ein; und um 
gute Lebensart und feine Sitte an der Duelle zu erlernen, das modiſche 
Weſen aus erfter Hand zu erhalten, holte man aus Paris die Meifter 
der Bildung, franzöftiche Köche und Friſöre, Schmeider und Tanzmeifter, 
Sprachlehrer ımd Guvernanten, oder man reifte felber nach Paris, um 
fich das Deutſchtum abzufcleifen. 

Friedrich Wilhelm fuchte diefem Unweſen dadurch zu begegnen, baß 
er feinen Unterthanen das Reifen nad) Paris verbot. Das half jedoch 


Das geiftige Leben. 1% 


wenig, und mande ausländifche Weile fand gerade durch das Beiſpiel 
des Kurfürften Eingang, der feinen Hof mit modiſchem Glanz und Pruuk 
ausftattete und feinem Volle die weftlichen Nachbarn, beſonders bie 
Holländer, in vielen Dingen freilich) mit Recht, als Mufter vorſtellte. 
Buerft nahm der Adel die frembe Art an, er wurde höflich und modiſch, 
dem Adel äffte wieber der Bürgerftand nad, zumal in der Putz⸗ und 
Titelſucht. Gelähmt, gebrochen wie ber deutſche Nationalgeift feit Dem 
Dreißigjährigen Kriege war, konnte der Kurfürft nicht eimmal hindern, 
daß die Ausländerei aud) in der Sprache allgemein Platz griff. Die 
vaterlänbiiche Zunge wurde durch eine Anzahl fremder, befonders frau⸗ 
zöficher Wörter und Wendungen entftellt und bei vielen zu einem 
wahren Kauderwelſch· verberbt. Woher follte ihr auch ein wirkſamer 
Schuß gegen ſolche Mißhandlung kommen? An den Hochſchulen herrſchte 
unumſchränkt die Sprache der Gelehrten, das Latein; in ben vornehmen 
Kreifen ber Geſellſchaft, im diplomatifchen Verkehr und an vielen Höfen 
galt das Franzöfiiche als zierlichfter ımd ammmtigfter Ausdruck; bort 
wie bier begannen die Träger ber Bildumg, die Stimmführer der öffent 
lichen Meinung fi ihrer Mutterfpradhe, als einer barbariſchen Mund- 
art, faft zu ſchämen. Da ſich fo viele ber fühigften Köpfe von ber 
deutſchen Literatur abwandten, fo geſchah es , daß dieſe in der That 
nur geringes leiſtete; die Blüten, die fie im ſiebzehnten Jahrhundert trieb, 
die ſchönen evangeliicgen Kirchenlieder, z. B. Paul Gerhardts „Befichl 
du deine Wege“ und in der Proſa bie philoſophiſchen Werke des My—⸗ 
ftiters Jalob Böhme, eines Schuhmachers aus Görlitz (geb. 1575, geft. 
1624), waren doch nur Ausnahmen und wurden von ber Mafle des 
Wertloſen weit übermogen. Das einzige Lob, welches man ben meiften 
Schriftſtellern jener Beit erteilen Zaun, ift, daß fie dem Verfall der deut⸗ 
fen Art und Sprache entgegemarbeiteten. Das Beſte geichah in biejer 
Beziehung durch die Dichter, befonbers durch bie „fchlefildje Dichter- 
ſchule“. Ihre Erzeugniſſe hatten zwar wenig poetifchen Wert, aber ber 
Reinheit und Regelmäßigleit der Sprache nüßten fie mehr als die ge 
Vehrten Sprachgejellichaften, die an vielen Orten in Deutſchland denſelben 
Zweck verfolgten und deren einer, „ber fruchtbringenben“ in Berlin, der 
Kurfürft jelber beitrat. Unter jenen Schlefiern erwarb fi Martin Opitz 
(geboren zu Bunzlau 1597, geftorben zu Danzig 1639) das große Ver- 
bienft, daß er in feinem Bude „won ber deutſchen Poeterei (1624) 
wieber den natürlichen Fluß des deutſchen Verſes zur Geltung brachte 
und für ben verwilderten Bersbau fprachgemäße Regeln aufftellte. Neben 
ihm gewannen aud) die Schlefier Andreas Gryphius (1616—1664) und 
Friedrich von Logau (gef. 1665), ber letztere als Schöpfer bes Sinn. 
gedichts, verdienten Ruhm. Auch das Herzogtum Preußen brachte da= 
mals eine Dichterſchule von einiger Bedeutung hervor; es gehörten zu 
13% 


196 Immere Zuftände des brandenburgiſchen Etaates im fiehzehnten Jahrhundert. 


ihr die königsberger Dichter Roberthin, Alberti und der berühmte Simon 
Dach (geb. 29. Juli 1605 zu Memel, geft. 15. April 1659 als Profeflor 
der Poefie zu Königsberg), deſſen Lied „Anmchen von Tharau“ noch heute 
gefungen wird. 

Bas für Kunft und Wiſſenſchaft geihah, ging im allgemeinen body 
mehr von den Landesherren als vom Volle aus; die wahren Site ber 
Muſen und Grazien waren nicht die Univerfitäten, die vielmehr in ge— 
ſchmackloſer Pedanterie erftarrten, fondern die Fürftenhöfe. In der Mark 
hatten ſich die Unterthanen ohnehin nie viel an geiftigen Beftrebungen 
beteiligt. Allmählid, wurde bies nun anders. Namentlich der Adel 
ließ mit der Zeit die alte Roheit fahren und mwenbete fid) häufiger als 
fonft den Studien zu, weil nur durch fie der Weg zum höheren Beamten- 
tum ging. So hatte denn jchon der große Kurfürft unter feinen Räten 
und Höflingen viele gelehrte Männer, die auf märkiſchem Sande geboren 
und erwachſen waren. Joachims I. Wort, „in der Mark feien die Ge— 
lehrten fo felten wie weiße Raben“, war alſo jeßt feine Wahrheit mehr. 
Wenn aber die Bildung bes Volkes aud) im großen und ganzen nicht 
unbebeutende Fortfehritte machte, fo hatte man dies den Schulen zu ver— 
danfen, die nad) Einführung der Reformation gegründet worden. Freilich 
war aud) in diefem Stüd bie Vermüftung bes dreißigjährigen Krieges 
nur fehr ſchwer zu verwinden! Wie viel ſchön Teimendes, wie viel alt 
ehrwürdiges hat er nicht zerftört! Cr vernichtete dem deutſchen Volke 
auch den beften Teil feiner uralten Bräuche und Luftbarkeiten. Es hatte 
ben fröhlichen, frifhen Mut verloren und war auf lange Zeit mähfelig 
und ftumpf geworben. 

Am werigften Tonnten num geiftige Volksbeluſtigungen gedeihen. In 
der Mark hatte man deren zu Anfang bes fiehzehnten Jahrhunderts 
kennen gelernt. Damals durchzogen englifhe Schaufpielerbanden ganz 
Norddeutſchland, eine foldye kam auch nad) Berlin und führte hier unter 
Leitung eines gewifen Hans Stockfiſch Schaufpiele auf, Die als etwas 
Neues großen Beifall fanden; denn was man bier von theatralifchen 
Weſen bisher gefehen, waren nur kirchliche Darftellungen, die alten geift- 
lichen „Myfterien“ (bibliihen Inhalts), und Schulakte, beides durchaus 
ernft und meiftens langweilig. Aber dieſer erfte Anfang zu einer öffent- 
lichen Schaubühne kam im dreißigjährigen Kriege wieder ab, und nach 
dem Frieden: durfte dergleichen nicht wieder eingeführt werden, weil 
Friedrid) Wilhelm die Anficht der Geiftlichen teilte, die das Theaterweſen 
für umfittlich hielten. Er verbot fogar Faftnachtsfpiele und öffentliche 
Luftaufzüge und geftattete mır Mummenſcherze. Dagegen begünftigte er 
Beluftigungen, die zugleich nüßten, und führte namentlich Schützenfeſte 
und Weihnachtsmärkte ein. 

Nicht viel anders wie in der Mark fah es in den Übrigen Provinzen 


Das geiftige Leben. 197 


des Staates aus; doch bemerkte man in ben Bistümern einen gewiſſen 
Bohlftand und Überrefte jener forgfältigeren Kultur des Landes, die einft 
unter dem frieblichen Krummftab dem fetten Boben Reichtümer abge— 
warn. Hier, wie in Kleve und Weftfalen, hatten ſich die Bauern mit 
ihrem Beſitz auch einen großen Teil ihrer alten Freiheit erhalten. Auch 
in der Bildung ftanden die Bewohner der neu hinzugelommenen Gebiete 
den Märlern, Pommern, Preußen etwas voran, wie denn bie größten 
wiſſenſchaftlichen Leiftungen, welche damals in den Staaten des großen 
Kurfürften geſchehen find, nämlich die Erfindung der Luftpumpe und der 
Elektriſirmaſchine (1650), Thaten eines Magdeburgers, des Bürgermeifters 
Dtto don Guericke, waren. 


Biertes Bud. 


Bom Tode Friedrich Wilhelms des Großen bis zum Regierungs⸗ 
antritt Friedrich des Großen. 


änrfürk Friedrich II. 


Der große Kurfürſt hatte von ſeiner erſten Gemahlin, Luiſe von Oranien, 
drei Söhne, Karl Emil, Friedrich und Ludwig; nur der mittlere, obwohl 
an Körper und Geiſt ſchwächer als die Brüder, überlebte ihn; es ſchien, 
als wenn die Natur, wie fie pflegt, die Größe des Waters durch bie 
Kleinheit feines Nachfolger ausgleihen wolle. Sie hatte Sriebrid, II. 
ftiefmütterlich bedacht, ihm einen ſchwächlichen Körper, der noch durch ein 
verwachfenes Rückgrat entftellt wurde, und mittelmäßige geiftige Anlagen, 
als herrſchenden Charafterzug aber die Eitelfeit mitgegeben, wie er denn 
ſchon als zehnjähriger Knabe einen Orden — de la göndrosit6 — ftiftete. 
Daß gleihwohl aus dieſem unbebeutenden Weſen etwas Befleres wurde 
als ein hohler Gert, verdankte man dem ausgezeichneten Erzieher des 
jungen Prinzen, dem wackeren und Mugen Dandelmann. 

Eberhard von Dandelmanın, geboren am 3. Dezember 1648 
zu Lingen, hatte fid) durch gründliche Studien und durch Reifen nad) 
den damaligen Hauptfigen aller Kultur, nad; England, Holland, Frank⸗ 
reich und Italien, eine frühreife und vieljeitige Bildung erworben. Seine 
Talente, feine Gelehrfamkeit und Welterfahrung empfahlen ihn dem 
großen Kurfürften, ber ihn (1663) zum Erzieher feines zweiten Sohnes 
wählte. Dandelmann widmete fich diefem Amte mit ganzer Hingebung; 
er nahm die mittelmäßigen Fähigkeiten bes Knaben, der damals ſechs 


Dandelmann. 199 


Jahre alt war (geb. 11. Zuli 1657 zu Königsberg), mit Kraft und Emft 
in Bucht, und es gelang ihm, dem Prinzen nicht bloß viele Kenntniſſe, 
wie fie ein Fürftenfohn braudjte, beizubringen. fondern auch dem Willen 
des Prinzen einen gewiffen Halt und Adel zu geben. Dabei pflegte er 
wie ein Vater die Gefundheit feines Zöglings und rettete ihn zweimal 
vom Tode, als berjelbe, gefährlich erfrankt, von allen andern ſchon aufe 
gegeben war. Selbft fein Meines Vermögen opferte er im Dienfte des 
Kurpringen. Friedrich vergalt diefe Treue, indem er ſich willig Dandel- 
manns Leitung hingab und defien höherer Einficht und ebelen Abfichten 
unbedingt vertraute. Er bedurfte aud) als Kurfürft eines fo tüchtigen 
Beraterd. Denn die Erziehung hatte an ihm zwar viel Gutes gewirkt, 
aber feine Natur doch nicht von Grund aus ändern können. Er war 
gutmätig und wohlwollend, von aufrichtiger Trömmigfeit und wenigftens 
in feiner erften Zeit von der Eitelfeit noch nicht fo verbiendet, um nicht 
Belehrungen, felbit wenn fie verlegten, dankbar hinzunehmen. Dieſe Züge 
traten zuweilen fehr ſchön hervor. Sein Hofprediger Kochius war ein 
frenger Eiferer, der Anftößiges wie ungerügt ließ. Einmal führte der 
junge Kurfürft felber bei einem Hoffefte eine Maskerade auf, die dem 
Geiftlichen unſchicklich ſchien; Tags darauf kam Kochius, feinen Unwillen 
au äußern; aber die Hofleute ließen ihn nicht vor. Da predigte er denn 
am nächften Sonntag vor dem ganzen Hofe und dem Kurfürften über 
den anftößigen Vorgang. Als Antwort ſchickte ihm fein Herr reiche Ges 
ſchenle (600 Thaler und eine Amtsbeftallung für feinen Sohn) zum Dank 
dafür, daß er ihm ohne Menſchenfurcht öffentlich Die Wahrheit gejagt. 
Kochius bewies hier übrigens, wie ernſt es ihm um Die Sadje zu thun 
war. Denn als der Hofmarſchall, der des Kurfürften Sendung bradjte, 
ſich dabei die Ermahnung erlaubte, Kochius möge den Hof künftig doch 
mehr ſchonen, rief Der rebliche Seeljorger: „Ehe daß ich ein pflichtver⸗ 
geflener ftummer Hund werde, mag Geld und Amt dahin fahren”, und 
damit warf er bie Geſchenke Hin und eilte fort. Nur mit Mühe ver- 
mochte der beftürzte Marſchall, der fi tauſendmal entſchuldigte und feine 
unbefugte Rede wiberrief, den Prediger zu bewegen, daß er bie kurfürft⸗ 
lichen Gaben annahm. 

Aber fo gut auch Friedrichs III. Herz fein mochte, fein Wille war 
ſtark nur wo es dem Schimmer galt, und fein Geift blieb ohne höheren 
Schwung. Feierlichleiten, Aufzüge, Yormeln voll Prunk und Pomp er» 
fühlten feine Seele und bildeten die Freude und das Geſchäft feines 
Xebens. Hier befand er fi) in feinem Elemente, niemand verftand es 
befier, glänzende Hoffefte zu veranftalten; fein Hofmarſchall, fein Bere 
monienmeifter that es ihm in Erfindung und Beobachtung von Regeln 
der Gtifette gleih. Er war, wie fein Enkel von ihm jagt, groß in 
Heinen Dingen ımd Hein in großen. Denn wenn auch feine Eitelfeit, 


200 Kurfürft Friedrich III. 


die ihn ſein lebelang zur Erhöhung ſeines Anſehens trieb, ſich als ein 
nützliches Motiv für den Staat erwies, fo war doch die Kunſt des Re— 
genten, des Staatsmann und des Feldherrn nicht eben feine Sache; er 
überließ fie meiftens feinen Dienern. So lange nun Dandelmann bier 
feine rechte Hand blieb, ftand es aud) gut um die Regterung. 

Es kam zumädjft darauf an, den Kurfürften von den für das Staats- 
wohl immerhin bedenklichen Verpflichtungen, die ihm das Teftament feines 
Vaters auferlegte, und zugleich aus den Schlingen Öfterreich8 zu befreien. 
Das eine gelang: Friedrich III. ftieß fofort nad) feinem Regterungsantritt 
jene Verfügung, die eine Art von Länderteilung anorönete, um und fand 
feine Stiefmutter und Stiefbräder durch Jahrgelder, Güter und Amter 
ab. Im Jahre 1692 wurde diefe Angelegenheit durch ben Erbvergleich 
zu Potsdam auf eine für alle Zeile befriedigende Weiſe georbnet. 
Der ältefte Sohn Dorotheens, Markgraf Philipp, erhielt die Herrichaft 
Schwedt, wo er eine Seitenlinie des Haufes Brandenburg ftiftete, die 
1788 ausftarb. Dagegen ließ fi) der Kaifer das Recht, das er hinter 
liſtiger Weiſe erfchlichen, nicht wieder nehmen. Vergebens erflärte 
Friedrich IIT., er fei als Kurprinz ſchmählich betrogen worden, der öfter- 
reichiſche Gefandte habe ihm nichts davon gejagt, daß Schwiebus eine 
Entſchädigung für die ſchleftſchen Hergogtümer war, umb ihm durch 
falfche Darftellungen ein Verſprechen abgelodt, zu dem er als Kurprinz 
nicht einmal befugt gewefen. Er gab endlich nach, trat Schwiebus wieder 
ab und erneuerte fogar (1695) die Allianz mit dem Katfer durch einen 
Vertrag, der diefem wieder branbenburgifche Hilfstruppen zuficherte, 
während er felbft für feine Opfer und Leiftungen mit geringen Entſchä · 
Digungen, — einer Geldfunme (250 000 rheiniſchen Gulden) und der An⸗ 
wartſchaft auf Oftfriesland, fowie auf die fränkiſche Grafſchaft Limburg 
mit der Herrichaft Speckfeld abgefunden wurde; — er handelte fo, weil 
er fid) von dem Bündniſſe mit Öfterreich wenigftens für bie Zukunft 
große Vorteile verſprach. 

Seine auswärtige Politit nützte überhaupt zunächſt mehr anbern 
als ihm ſelbſt; aber fie ebnete ihm Die Wege zu dem Biel, das er ſich 
in feinem Herzen ftedte. Sie floß übrigens aus wahrer Überzeugung. 
Für Deutſchland und für den Proteſtantismus gegen Frankreich, das 
war die Richtung, die ihm der große Kurfürft vorgezeichnet und die 
Friedrich IT. aus eigener Neigung beibehieltl. Bon ben alten Raͤten 
feines Vaters und von Dandelmann unterftügt, hat er ſchon im erſten 
Jahre feiner Regierung dem deutſchen Vaterlande und der evangelifchen 
Kirche die weientlichften Dienfte geletftet, indem er den furchtbarften Feind 
beider, Ludwig XIV., troß aller Lockungen aufs äußerſte belämpfte und 
die Pläne ausführte, über denen fein Water geftorben war. Als tur 
November 1688 Wilhelm von Oramten in England einfiel und Jakob II. 


Krieg gegen Ludwig XIV. %1 


vertrieb, waren e8 brandenburgifche Hilfstruppen, die nebft holländiſchen 
unter dem Befehl des Marſchalls Schomberg ihm dabet halfen, während 
amdere Brandenburger ihm umterbes in Holland ben Rüden deckten; 
und als Ludwig XIV. zu derſelben Seit gegen das deutſche Reich ben 
angebrohten Raubfrieg unternahm, bie Pfalz mit feinen Heeren über- 
ſchwemmte, Kurköln und Kurmainz anf feiner Seite, Baiern ihm geneigt, 
Mittel und Süd-Deutfhland ihm offen ftanb, und felbft ber Kaifer, 
umwillig über des proteftantifchen Oraniers Erfolg, zögerte, — da war 
es wieder der Brandenburger, ber dem Vaterlande entichlofien beifprang 
and mit Hilfe der anderen norddeutſchen Proteftanten bie große Gefahr 
abwehrte. Er reitete die wichtige Stadt Köln, indem er zeitig branben» 
burgifche und —* Truppen hineinwarf, ließ dann im Winter 
1688/89 noch 20 000 Mann Brandenburger unter Schäning und Barfuß 
an den Rieberrhein marſchiren und Weftfalen vom Feinde jäubern. Nım 
kamen auch die Sübbeutfchen in Bewegung, und bie greuliche Berwüftung 
ber Pfalz, wo die Franzofen im Frühling 1689 wie Kannibalen hauften, 
empörte felbft ben Jeſuitenfreund Leopold. Denn alle Schandthaten des 
Dreißigjährigen Krieges wurden bier von ben Franzoſen noch Aberboten; 
diefe Nation zeigte jetzt, wie fo oft im ihren Sriegen, welch Brutale 
Roheit, welch frecher hinter dem dirnis ihrer äußeren Manier 
lichkeit lauerten. Unter Frevelthaten ber ſcheußlichſten Art verwandelten 
dieſe Mordbrenner auf Befehl ihres allerchriftlichften“ Königs das mehr“ 
loſe Land in eine Einöbe. 

Aber diefe Maßregel vermehrte nur den Abfchen, wicht ben Schrecen 
vor Ludwigs Macht; die öffentliche Meimmg Europas, bie bereit3 anfing 
eine Macht zu werden, brandmarkte den Barbaren, und ihre Urteile er» 
hielten Nachdruck durch bie große Koalition, welche ſich jept gegen ihn 
bildete. Deutfehland, Holland, England, Spanien, Savoien — alle Rad . 
barn verbündeten fi}, um den Despoten, der fie alle befchäbigte oder 
bebrohte, nieberzuwerfen. Es — um ihn geſchehen, wem ſie einig 
blieben und mit Thatkraft handel 

——— 1 a nö 1 em Friedrich IIT. 


‚ während die Kaiſerlichen Mainz beramten, die Feſtungen 
Alan und Rheinbergen und legte fid) daun (Ende Juni 1689) 
vor Bomn, bei deſſen Belagerung er viel perſönlichen Mut zeigte. 
Hier wie in Mainz verteibigten ſich bie Franzoſen inbes mit großer 
Sertnädigleit; fie Bielten biefe wichtigen Mläge bis in ben Herbft; 
erft am 12. Ditober 1689 konnte der Knrfürft als Steger in Vonn 


einziehen. 
Dem guten Anfang entiprad) jedoch der Fortgang des Krieges nicht, 


202 Kurfürft Friedrich III. 


vielmehr machte der Feind in den nächſten Jahren wieder Fortſchritte; 
die Schuld trug hauptſächlich der Kaiſer, der feine Kraft lieber zur 
Vergrößerung feiner Hausmacht gegen die Türken verwendete. Denn 
(wie der fpanifche Gefandte ſehr richtig bemerkte): „die Taiferlichen Räte 
fragten wenig danach, ob ganz Deutfchland zu Grunde gehe, wenn nur 
in Ungarn eine elende Hütte erobert werde.“ Dabei ſchien es Ofterreid) 
faft darauf anzulegen, daß auch Brandenburg ſich um die Verteidigung 
Deutichlands fein Verdienſt erwerbe. Dem obwohl Friedrich III. im 
diefem Feldzuge faft doppelt fo viel Truppen geftellt Hatte als alle 
anderen Reihsftände, fo gab ihm ber Kaifer doch einen weit Heineren 
Anteil an den „Winterquartieren", d. h. an ben SKriegstontributionen, 
die das Reich für die Reichstruppen aufbrachte, und ließ nicht zu, daß 
die Brandenburger fi) bis ins Jülichſche einquartierten. Die Folge war, 
daß im nächſten Frühjahr (1690) der Feind in das ſchutzloſe Zülich eins 
fiel und es furchtbar verwüſtete. Aber auch Wilhelm III., jegt König " 
von England, belohnte den Kurfürften mit Undank; er zahlte ihm, dem 
der Krieg ſchon drei Millionen Thaler getoftet, nicht einmal die ver⸗ 
ſprochenen Hilfsgelber, obgleich, fein Gefandter in Berlin doch anerkannte, 
„Brandenburgs Beiftand habe wefentlich zur Rettung und Freiheit Eng» 
lands beigetragen.“ Es war wohl fein gemeines Beifpiel von Pflicht 
treue, wenn Friedrich nichtödeftoweriger ben Krieg mit allem Nachdruck 
fortfepte und auf die lodendften Anerbietungen Frankreichs endlich) kurzweg 
erflärte, „wer ihm noch einmal ein ſolches Schreiben bringe, den werbe 
er aufhängen lafſen.“ Die anderen deutſchen Stände dagegen wurben 
täffig, Spanien konnte längft fich felbft micht mehr helfen, bie Truppen 
Wilhelms II. erlagen dem Talent des franzöftichen Feldherrn, des Mar» 
ſchalls von Luremburg — alles dies erhöhte den Wert der brandenburs 
giſchen Hilfe. Die Verbündeten fiherten fie fi, indem fie im Vertrage zu 
Lennick (bei Brüffel) am 6. September 1690 dem Kurfürften eine monat» 
liche Subfidie von 100000 holländiſchen Gulden verfprachen, wovon 
Spanien die eine, Holland und England die andere Hälfte übernahmen. 
Dafür verpflichtete fich Friedrich III., während des ganzen Krieges 
20 000 Mann feiner Truppen auf dem linken Rheinufer zu halten, die 
in Verbindung mit dem fpanifch-holländifch-englifchen Heere die Nieber- 
lande verteidigen follten. Ähnliche Subfidienverträge ſchioß Wilhelm TIL, 
jetzt die Seele der Koalition, mit andern deutſchen Fürften, mit Savoien 
und dem Kaifer. Er hielt überhaupt die Bewegung Europas gegen 
Ludwig XIV. im Gange, wenn aud die Eiferfucht, die Schlaffgeit und 
der Eigenfinn vieler Bundesglieder es nicht zu großen Erfolgen kommen 
ließen. Am beften ging’s noch am Niederrhein, wo König Wilhelm felber 
den Oberbefehl führte und an den Brandenburgern in feinem Heere 
ausgezeichnete Truppen hatte; er geftand ven ihnen, „es jet fchönes 


Krieg gegen die Türken, %3 


Fußvolk, doch noch tapferer als ſchön“, ımb als er 1695 die Feſtung 
Ramitr wieber gewann, fagte er zu dem brandenburgiſchen Feldmarſchall 
Flemming in feinem Niederdeutſch: „ES ift ſeker, dat juge Truppen den 
größten Part an der Eroberung haben. Ic bin dem Herrn Korförften 
fehr obligirt umd ju alle.” 

In jener Zeit kämpften die Brandenburger zugleich in ben Nieber« 
landen, in Italien und in Ungarn, wider Franzoſen und Türken, wider 
des Reichs und des Kaifers Feinde. Sie halfen ben Katferlichen 1694 
die lombardiſche Feftung Cafale erobern; fie hatten an allen Siegen über 
die Türken einen hervorragenden Anteil. In der glücklichen Schlacht bei 
Salankemen (gegenüber der Theißmündung) am 19. Auguft 1691, wo 
General v. Barfuß fie führte, bezahlten fie den Steg mit dem jechften 
Zeil ihres Heeres, 1000 Mann ar Toten und Verwundeten, und das 
Lob bes Faiferlichen Feldherrn, Ludwig von Baden, war ihr einziger 
Lohn; der Kaifer wollte nicht eimmal die nötigen Werbegelber hergeben, 
um die Lücken in ihren Reihen auszufüllen. Dennoch ließ fid) Friedrich TIL 
bewegen, im nächften Jahre wieder 6000 Mann nad) Ungarn zu fchiden, 
die dann ſieben Jahre dort blieben, zuleßt, wie hier das ganze kaiſerliche 
und Reichsheer, unter dem Oberbefehl des Prinzen Eugen von Savoien. 
Der „edle Ritter“, wie ihn das alte Volkslied nennt, entfaltete in dieſen 
Turkenkriegen jene außerorbentlichen Feldherrntalente, jene Umficht und 
Klugheit, Thatkraft und Rafchheit, bie ihn bald zur ftärfften Säule des 
habsburgiſchen Thrones machten; dabei zeigte er fi, obwohl zu Paris 
(1663) ımb aus romaniſchem Geſchlecht geboren, ganz wie ein rechter 
deutſcher Mann, befonmen und tapfer, heldenkühn und befcheiben, ans 
erfennend jedes fremde Verbienft. Er mußte es zu ſchätzen, was ihm 
die Brandenbirrger waren; nad) der Schladjt bei Benta (unweit Szegebin) 
am 11. September 1697 umarmte er öffentlich den kurfürſtlichen General 
v. Schlabrenborf und bezeugte, daß er „nächit Gott ihm und der Tapfer⸗ 
fett feiner Brandenburger den herrlichen Sieg verdanke.“ 

Während Friedrich IIT. fo bie Kräfte feines Staates überall für 
Deutſchland und für ſterreich opferte, ließ Katfer Leopold die Dinge 
am Rhein gehen, wie fie mochten, und bie Sranzofen hätten dort noch 
mehr Schaden ftiften Törmen, wenn wicht Ludwig, um bei bem bevors 
ftehenden Erlsſchen ber fpanifchen Dynaſtie freie Hand zu haben ımb 
feine Kräfte für dies Ereignis zu fparen, ſelber zum Frieden geneigt 
gewefen wäre. Deutſchland zog freilich auch jo den fürzeren; denn nadjs 
dem fi) Ludwig mit feinen übrigen Gegnern einzeln geeinigt, ſtand es 
ihm wieber allein gegenüber und mußte feine Bebingimgen hinnehmen, 
wie es für ein Reid, fic) ſchickte, deffen Verfaffung fo elend und beffen 
Kaiſer immer bereit war, zwar bie Deutfchen für Ofterreich, aber nicht 
bie Ofterreicher für Deutichland fechten zu lafſen. So warb benn am 


204 Kurfurſt Friedrich III. 


20. Oktober 1697 der Friede zu Ryswick geſchloſſen, in welchem Ludwig 
einige feiner Reunionen herausgab, aber Straßburg und die Souveränität 
über das Elfaß behielt, auch mit ftillem Beifall des intoleranten Kaiſers 
und ber Tatholifhen Reichsfürften, namentlich, des Kurfürften non ber 
Pfalz, es gegen den Widerſpruch der Evangelifchen durchſetzte, daß in 
der Pfalz die evangelifche Kirche, wo er fie durch feine Morbbrenmer aus⸗ 
gerottet, wicht wieder hergeftellt werben durfte. Viele taufende der tefor- 
mirten Pfälzer mußten nun ihrer fchönen Heimat den Rüden fehren; 
Ludwig aber erreichte durch dieſe fchreiende Ungererhtigfeit, die zugleich 
für Deutſchland eine Schmach war, zweierlei: er fügte dem verhaßten 
Proteftantismus beträchtlichen Schaden zu, und er fäte zwiſchen ben 
Evangelifchen und den Katholifchen in Deutfchland Unfrieden, der dieſes 
Reich noch ſchwächer machen mußte, als es ohnehin war. 

So hatte Ofterreich wiederum dem proteftantifchen Waffenbrüdern, 
die ihm überall fo treulich beigeftanden, übel gelohnt und feinen deutſchen 
Pflichten gefehlt, und das Haus Hohenzollern war noch nicht mächtig 
gerug, ftatt Habsburgs ganz allein Deutſchland zu beihirmen. Fried» 
rich III. erflärte öffentlich: „Allein habe er nicht im Selbe bleiben Können, 
wie zu eigenem großen Nachteil fein Vater nad) dem nimweger Frieden. 
Er habe fi unter allen Reichsfürften zuerft vor den Riß geftellt, Bünd- 
niffe gefchloffen und veranlaßt, aud) über 20000 Mann größtenteils 
auf eigene Koften gehalten und fic jo gezeigt, ba, wenn man einig 
geweſen wäre, die Sache einen befleren Ausgang genommen haben würde.“ 
Er jelbft gewann für feine außerordentlichen Anftrengungen in biejem 
langen Kriege an materiellen Vorteilen durchaus gar nichts. Defto 
größeren Nutzen zog der Habsburger; während deutſches Land am Rhein 
franzöſiſch wurbe, breitete er fein Donaureich weithin unter den Süd⸗ 
ſlawen aus; nachdem er zu Ryswid Deutſchland in Schaden gelaflen, 
Tonnte er zwei Jahre daranf zu Karlowig die Früchte des Türfentrieges, 
den vollftändigen Beſitz Ungarns und Siebenbürgens, fowie den Erwerb 
von Slavonien und Sirmien, für fi, einernten. 

Eins hatte Brandenburg doch erreicht: die Welt ſah, daß diefer 
junge Staat Vortreffliches Leiftete, obwohl ber große Mann dahin war, 
der ihn gefchaffen. So konnte Friedrich IM. durch das fteigende Anſehn 
feines Haufes wie durch das Bewußtfein für eine gute Sache und mit 
Ruhm gekämpft zu haben, fi) ermuntert fühlen nad) dem zu ftreben, 
was ihm heimlich ber Zweck feines Lebens fchien: auch äußerlich ben 
Königen der Erbe gleich zu fehen. Aber jener moralifche Erfolg konnte 
aud dem Lande einigermaßen als Erfa gelten für die Opfer, die es 
gebracht hatte, zumal da die übrige Regententhätigfeit des Kurfürſten in 
diefer Zeit nicht olme Verdienft war. Denn wenn Friedrich III. aud) in 
vielen Dingen ber Schein über das Weſen ging, fo mußte er doch ganz 


Ermwerbungen. 205 


wohl, wo die wahren Interefien feines Haufes lagen, daß ber Staat fich 
mit moralifhen Erfolgen nicht begnügen, fondern zugleich materiell 
wachſen müfle, und er machte auch einige Anftalten ihn zu vergrößern, 
benupte wenigftens Gelegenheiten, bie fi von ſelbſt darboten. Im 
Jahre 1697 war Auguft der Starke Kurfürft von Sachſen zum König 
von Polen gewählt worden, er hatte dafür feinen Glauben und große 
Geldſummen hingegeben und er bedurfte, um die teure Krone mit An« 
ftand zu tragen, nod) größerer Summen. Daher wandte er fi) an feinen 
Nachbar, den Brandenburger, ber zwar ebenfalls für glänzende Richtig- 
keiten viel Geld verthat, aber doch, wenigftens in feiner erften Zeit, nicht 
fo viel verſchwendete, um nicht auch zu nützlichen Dingen noch bie Mittel 
zu haben. So Tamen unter DVermittelung eines Juden einige Kaufs 
geihäfte zuftande: Sachſen trat für 300000 Thaler die Erbvogtei 
über das Reichsftift Duedlinburg und die Reichsvogtei und das 
Schultheißenami der Reichsftadt Nordhaufen, für 400.000 Thaler das 
Amt Peteräberg bei Halle erb- und eigentümlid; an Brandenburg ab. 
Die Dueblinburger und Nordhäuſer waren es freilich nicht zufrieden; 
fie ſahen richtig voraus, Daß ihre Rechte und Freiheiten unter dem ab» 
foluten Zepter ber Hohenzollern nicht würben beftehen bleiben, aber ihr 
Einfprud) Half nichts. Sriebrich ließ fofort zwei Kompanien nad} 
Quedlinburg marſchiren, die ſich mit Lift und Gewalt der Stadt bes 
mächjtigten und die Huldigung erwirften (1698). Ähnlich verfuhr er 
einige Jahre darauf mit Nordhaufen (1703); doch befam dieſe Stabt 
fpäter — unter Friedrichs Nachfolger im Jahre 1715 — gegen eine 
Geldfumme ihre Freiheit wieder. Die Geldmot bes polniſchen Königs 
ſchien Friedrich I. auch in Preußen eine anfehnlicde Stadt verfchaffen zu 
tönnen, er forderte von ihm Elbing oder das Geld, wofür es im Jahre 
1657 an Brandenburg verpfändet worden, und da er keins von beibem 
erhielt, fo zwang er Elbing, nachdem eine Überrumpelung mißglüdt war, 
mit Gewalt, brandenburgiſche Beſatzung einzunehmen (10. Rovember 1698). 
Doch fehlte ihm die Feſtigkeit, was er in Händen Hatte, gegen die 
Kriegsdrohungen Polens zu behaupten; er ließ fi) (1700) vom Kaifer 
zu einem Vergleich bereden, Traft befien Die Brandenburger die Stabt 
räumten, die nun eine polnifche Garniſon aufnehmen mußte. Die 
Bolen gaben ihm dafür die moskowitiſche Krone und andere Kleinobien 
ihres Kronfchaßes in Pfand; als fie dann Die Summe body nicht bes 
zahlten nahm Sriedrid) 1703 wenigftens das elbingiſche Landgebiet 
in Befip. 

Noch ein anderer und weit wichtigerer Gewinn fiel dem Haufe Hohen» 
zollern durch Augufts Rangerhöhung zu. Kurſachſen war von alteräher 
das Haupt der deutſchen Proteftanten geweſen. Diefe Führerſchaft kam 
nun, da die Kurfürften von Sachſen feit 1697 Katholiken waren, natur: 


206 Kurfürft Friedrich II. 


gemäß und thatſächlich an Brandenburg, das ſich jo in ber Stellung, 
die ihm der große Kurfürft angewiefen, betätigt und verftärkt ſah. 
Friedrich III. verfannte auch hier feine Aufgabe nicht; es that feinem 
frommen Herzen und feinem Chrgeize wohl, für ben Beſchützer aller 
feiner Glaubensgenofien auf dem Feſtlande zu gelten. Auch erfüllte er 
wenigftens gegen bie proteftantiichen Einwanderer, die ihm ber Vater 
noch auf dem Sterbebette als heiliges Vermächtnis empfohlen, die Pflicht, 
welche jener Ehrenanſpruch ihm auferlegte. Mit offenen Armen und 
thätiger Unterftügung nahm er fie auf, woher fie aud) famen. Am 
ftärfften floß der Strom ber Einwanderung aus Frankreich, vorzüglid, 
aus den lothringiſchen Bistümern Metz, Toul und Verdun, dann auch 
aus der Pfalz. Im Jahre 1700 betrug die Zahl der Franzofen allein 
im Magdeburgifchen 15000, neben ihnen jaßen ebendort Wallonen und 
franzöfijche Schweizer, auch 400 pfälziiche Familien, welche bie feit Tillys 
Zeit noch zerftört liegenden Stadtteile anbauten und hier, wie bei Stendal 
und Burg, Tabals-, Gemüfe- und Obftbau trieben. Sie alle erhielten 
nicht nur Gelegenheit und Beihilfe zur Anfieblung, fondern aud) viele 
Privilegien. 

Aber fie belohnten auch die Gaftfreundfchaft, Die ihnen der Staat 
erwies, reichlich durch das große Kapital an geiftigen und materiellen 
Mitteln, welches fie mitbrachten. Man zählte nun ſchon 43 neue Ger 
werbe, die fie im Lande eingeführt hatten; denn namentlich von dem 
Franzoſen traten zwar viele in das Heer oder in den Beamtenftand ein, 
bei weiten die meiften aber waren Induftrielle. Durch fie erhielt manche 
Probuftion fogar einen hohen Aufſchwung, insbefondere die Fabrikation 
von Geiben-, Leder⸗, Golde und Silberwaren; ımd die Regierung half 
ihnen dabei, indem fie Walkmühlen, Prefien, Färbereien und Waren- 
magazine anlegte. Die Eingeborenen ſahen freilich zu den Begünftie 
gungen, weldje die rührigen Fremdlinge genofien, ziemlich ſchel; doch 
Tam aud) ihnen der vegere Verkehr zu gute, und bie Vermiſchung mit 
den Einwanderern wirkte wenigſtens in der Haupfftadt, wo fie am 
ftärfften war, jelbft auf den Nationalcharakter vorteilhaft ein. Denn zu 
ber deutſchen Gründlichkeit und Bieberkeit kam durch das einfließende 
franzöfiſche Blut in die Berliner eine große geiftige Beweglichkeit und 
Gewanbtheit. Es wuchs in dieſer Stadt micht bloß die Vollsmenge 
erheblich, (50 000 Einwohner im Jahre 1709), fondern auch die Rührig- 
Teit und das Vermögen. Für den Staat aber war die Gewohnheit, von 
überall her Kräfte an ſich zu ziehen und ohne Rückſicht auf Nationalität 
und Religion in feinen Dienft zu nehmen, nicht bloß infofern fehr heil⸗ 
jam, als fie die Schroffheiten des deutſchen und proteftantifchen National 
geiftes, die Neigung ſich aus» und abzufchließen, die Unduldſamleit gegen 
andere Stämme und Belenntniffe, abjchleifen Half, ohne doch deſſen 


Thomaſius. — Brande, 207 


rund und Vorzüge zu zerftören, fie nüßte zugleich als eine reiche Duelle 
ftet3 frifchen neuen Lebens. Die Nachfolger des großen Kurfürften haben 
dem auch diefen weifen Grundfaß, ihr Land allen Talenten zu öffnen, 
nicht wieder aufgegeben. &r führte unter Friedrich III. aud) zu einer 
Schöpfung, welde für das geiftige Streben im Wolfe außerordentlich 
ſegensreich war, zu der Stiftung der Univerfität Halle. 

An ber leipziger Hochſchule trieb damals ein arger Keber fein Wefen; 
jo wenigftens erſchien er den ftrengen Lutheranern und fteifen Bedanten, 
die bier auf den Kathedern thronten. Es war ein junger Doktor der 
Rechte, Chriftian Thomafius, der fid) erfühnte, allerlei Neuerungen 
aufzubringen: er verteibigte die Reformirten und die gemäßigten Luthe— 
raner; er meinte, die Orthodoxen feien unduldfam und zum Teil Heuchler; 
er nannte die Weiſe feiner Kollegen Perüdentum; er griff gar die könig⸗ 
liche Majeftät an, indem er zeigte, die Lehre, die fürftliche Gewalt ftamme 
direft von Gott, fei abgeſchmackt, ſei der Vernunft und ber heiligen 
Schrift fremd, und behauptete, daß zur Souveränität ſchlechterdings aud) 
die Zuftimmung des Volks gehöre; endlich, was nicht die Meinfte Keberei 
war, er redete auf dem Katheder und in feinen Schriften nicht Inteinifch, 
fondern deutſch! Alles dies reichte mehr als hin, ihn zu ftürzen. Nach-⸗ 
dem feine gelehrten und frommen Feinde den Krieg mit ber Zunge und 
Feder wider ihn eine Weile ausgehalten, riefen fie die Obrigfeit zu Hilfe, 
die dem gefährlichen Doktor ein für alle Mal den Mund verbot. Auguft 
der Starke wollte ihn fogar ins Gefängnis werfen lafien; Thomafius 
entfloh aber (1690) und ging nad) Berlin, an den Hof eines Fürften, der 
fi) eine Ehre darans machte, freifinnig zu fein. Friedrich III. nahm 
ben ausgezeichneten Gelehrten freudig in feinen Schuß, gab ihm den . 
Ratstitel, ein Zahrgehalt und die Erlaubnis, in Halle philofophiiche und 
juriftiſche Vorlefungen zu halten. Dieſe Vorträge, voll Geift und Lebendig- 
teit und in allgemein verftändlicher Form, zogen bald fo viele Zuhörer 
herbei, daß die Wohnung des Gelehrten fie nicht faßte. Auch die deutſche 
Zeitichrift, die Thomaſius feit 1688 herausgab, bie erfte in dieſer Sprache, 
fond vielen Beifall. Man erkannte e8 dankbar an, daß er bie Wiſſen⸗ 
ſchaft, indem er ihr eine deutſche Zunge gab, weit mehr in das Volt 
brachte, als es bisher möglich war, und daß fie bei ihm ohne Gelehrten- 
trämerei doch gründlich blieb und fogar ein neues Feld beichritt; denn 
Thomafius war der erfte, der in Deutichland ein wiſſenſchaftliches Natur⸗ 
recht lehrte. Der Kurfürſt beichloß Daher auf Dandelmanns und des 
berliner Geiſilichen Spener Rat, den Keim, den Thomafius in Halle 
gepflanzt, in Pflege zu nehmen und dort eine Univerfität zu gründen. 
Schon fein Vater hatte ja den Gedanken gehabt, für die Lutheraner im 
Magdeburgifchen und in den angrenzenden Landſchaften eine eigene Hoch-⸗ 
ſchule zu errichten, damit fie nicht im Auslande, zumal in dem unduld⸗ 


208 Kurfürft Friedeich LIL. 


famen Sachſen, zu fubiren brauchten; denn Frankfurt und Duisburg, 
waren reformirt und Königsberg zu entlegen. Dieſen Gedanken führte 
Friedrich II. aus; er berief den Theologen Frande, den man in Erfurt 
feines Amtes entfegt und verbannt hatte, und andere tüdhtige Gelehrte 
nad) Halle, erteilte der neuen lutheriſchen Univerfität am 30. Juni 1692 
ihr Privilegium, welches der Kaifer im folgenden Jahre beftätigte, und 
weihte fie am 20. Juni 1694 mit großer Pracht ein. Ste zählte damals 
ſchon 765, zehn Jahre darauf an 2000 Stubirende und wurde für ganz 
Deutſchland, am meiften für den preußiſchen Staat, ein höchſt wirffamer 
Born der Wiſſenſchaft, brachte überdies durch den Zufluß wohlhabenber 
Fremden auch felbft in materieller Hinficht manchen Vorteil. 

Wie Thomaflus, fo gereichte namentlich auch Francke der neuen Unie 
verfität und dem neuen Vaterlande zur höchſten Zierde; fein Rame leuchtet 
mit hellem Glanze durch alle Zeiten. Denn er ift der Stifter jenes 
„Siegesdenkmals bes Gottvertrauens und der Menfchenliebe”, des welt 
berühmten hallefchen Waifenhaufes. Auguft Hermann Frande (geboren 
am 12. März 1663 zu Lübeck) hatte bei dem Studium ber lutheriſchen Theo⸗ 
logie, die er zu feinem Lebengberuf gewählt, frühzeitig an dem ftarren 
Formeltum der Strenggläubigen Anftoß genommen. Er ſchloß fi) daher 
derjenigen Richtung in der proteftantifchen Kirche an, die, am entſchiedenſten 
von Jalob Spener vertreten, im Gegenfaß zu der dürren Wortflauberei und 
dem geiftlichen Hochmut der Theologen auf werfthätige Liebe drang. Die 
Pietiften“, wie man Spener3 Anhänger nannte, fehten das Weſen des 
Chriftentums in Reinheit und Wärme des Herzens, Innerlichkeit bes 
Glaubens, fruchtbringende Frömmigkeit. Im diefem Sinne legte auch 
Francke die Bibel aus. Bon Leipzig, von Erfurt verjagt, fand er eine 
Zuflucht in Halle, wo feine begeifterten Predigten eben jo fehr das Volt 
wie die Studenten hinriſſen. Aber der reichite Segen ruhte auf ben 
Werken riftlicher Barmherzigkeit, die der fromme Mann hier unternahm. 
Ihn rührte es tief, wie verjunfen in geiftigem und leiblichem Elend die 
unteren Volksſchichten waren; er opferte, es zu lindern, feine eigenen ge⸗ 
ringen Einkünfte und bewog auch andere zu helfen. Die Almojenordnung, 
die er in der Vorſtadt Glaucha einführte, fand fo vielen Beifall, daß. 
feine Armenbüchfe nie leer ward. In dem felfenfeften Vertrauen, Gott 
werde ihm immer barmberziger Menſchen Beiftand erwecken, begann er 
nun mit einem Kapital von 4%, Thaler eine dauernde Stiftung; er fing 
damit eine Armenfchule an, kaufte für zwei Thaler Bücher und gab einem 
Studenten monatlid) einen Thaler, damit er ihn beim Unterricht der armen 
Kinder unterftüge. Bald ſchickten ihm auch wohlhabende Bürger ihre 
Kinder zu umd bezahlten dafür. Der Ruf der Anftalt wuchs immer 
höher, fo entftand allmählich das halleſche Pädagogium. ber ber 
bloße Unterricht linderte die Not wenig; Francke beſchloß, die Kinder 


Freiherr v. Canftein. — Säläter. 209 


ganz in Pflege zu nehmen. Ohne Geld, aber von Gottes Hilfe überzeugt, 
legte er am 3. Auguft 1698 den Grundftein zu dem großen halleſchen 
Waifenhaufe. „Da war fein Vorrat“, fchrieb er nachmals, „nicht 
eime Hütte zu bauen, gejchweige ein Waifenhaus für ein par hundert 
Menſchen; aber der Herr hat's mit der That bewiefen, daß er fid) zu der 
Sache befennen wolle, und von Woche zu Woche gleichjam zugebrödelt, 
was die Rotdurft erforderte, daß die Waifenkinder nicht Hunger gelitten 
und bie Bauleute bezahlt wurden. Mit Gott hat es mir noch niemals 
gefehlt, aber mit Menfchen und ihren Vertröftungen vielmals; wenn's 
aber mit dem einen fehlte, hat Gott den andern erweckt, wenn ſich eine 
Quelle verftopft hat, hat ſich die andere eröffnet." Am reichften fteuerte 
ber Freiherr von Eanftein bei; diefer edle Mann gab fein ganzes Ver- 
mögen ber, um in der Buchhandlung des Waifenhaufes eine große Bibel- 
anftalt zur Verbreitung bes göttlichen Worts zu gründen. Neben diefen 
Schöpfungen entftanden noch ein neues Pädagogium und Lehrerfeminar, 
eine Töchterfchule, ein Krankenhaus, ein Witwenhospital. Die Franckeſchen 
Stiftungen erwuchſen faft zu einer Meinen Stadt und haben über Hundert» 
taufende von Menfchen Segen verbreitet. Am 8. Juni 1727 ftarb 
Frande; die dankbare Nachwelt fehte ihm ein Denkmal mit der In— 
ſchrift, die das Geheimnis feiner wunderbaren Leiftungen enthält: „Er 
vertraute Gott.“ 

Was Trande that, geihah ohne befondere Unterftügung des Kur- 
fürften,; doch durfte fich Diefer e8 immerhin zum Verdienſt anrechnen, 
Märnmer wie Thomaſtus und Frande gefchüßt zu haben. Er bewies auch 
gegen Pufendorf, den er 1688 aus ſchwediſchen Dienften förmlich in die 
feinigen gezogen, einen ebeln Freiſinn, ließ ihn für die „Geſchichte des 
großen Kurfürften“ die geheimften Staatsichriften im Archiv benußen, 
und als das treffliche Werk fertig war, belohnte er den DVerfafler, ber in 
einer Zeit, wo es Sitte war, den Fürften zu fehmeicheln, mit unerhörter 
Bahrhaftigfeit und rücfichtslofer Treue gefehrieben hatte, durch reiche 
Gefchente und hohe Ehren. Pufendorf ftarb 1694, 62 Jahre alt; er war 
der erfte in Deutfchland, der die Gefchichtfchreibung auf einen höheren 
Standpunkt als denjenigen der Chroniken oder fritiflofen Sammelwerke 
erhob. Auch auf die Entwicelung bes Staatsrechts haben feine gelehrten 
Arbeiten einen fördernden Einfluß geübt. 

Die Kunft begänftigte Friedrich II. fehon darum, weil ihre Werke 
am meiften in die Augen fallen. Er vermehrte daher mit verſchwenderiſcher 
Freigebigfeit die Zahl feiner Hoflünftler, umter denen nun auch ſchon 
ziemlich viel Eingeborne waren, wie die Maler Belau aus Magdeburg, 
Eitefter aus Potsdam, Geride aus Spandau, und fo bedeutende Talente, 
wie Andreas Schlüter”), der „Michel Angelo Deutſchlands“, und 


*) Geboren 1662 zu Hamburg. 
Bierfon, preuß. Geſchichte I. 14 


210 Rurfürft Friedrich TIL 


Eofander von Göthe. Manch vorzügliches Kunftwerk ftammt aus diefer 
Zeit, vor allen berühmt Schlüter Neiterftatue des großen Kurfürften, 
ferner das Zeughaus in Berlin, an welchem Nering und Schlüter, und 
das Schloß im Dorfe Lützen bei Berlin (bald Charlottenburg genannt), 
an weldem Schlüter und Göthe fid) verewigt haben. Des Kurfürften 
Namen trägt die Friedrichstadt in Berlin, die durch Nering gebaut 
wurde; als diefer 1695 farb, ftanden hier ſchon 300 Häufer. Die bil- 
enden Künfte follten indes in ber Mark aud) eine Anftalt haben, die 
für fie wäre, was eine Univerfität für die Wiſſenſchaften; zu diefem 
Ende errichtete Friedrich III. 1699 zu Berlin eine „Alabemie der bils 
denden Künfte". Die Dicht- und Tonkunft ſchätzte er weniger; fie 
fanden an feiner Gemahlin Sophie Charlotte*) eine defto wärmere 
Freundin. 

„Diefe ſchöne und geiftreiche Fürftin war es“ (mie Friedrich der 
Große fagt), „welche die wahre gejellihaftliche Teinheit und Liebe zu 
den Künften und Wiſſenſchaften nad) Preußen und Geift und Würde 
in die von ihrem Gemahl jo jehr geliebte Etikette brachte.“ Voll Liebe 
zur Weltweisheit, in ber fie daheim zu Hannover der große Leibniz 
unterwiejen, fo unermüdlid in alle Tiefen und auf alle Höhen der Er« 
kenntnis zu dringen, daß Leibniz ihr einft fagte: „es ift unmöglich), Sie 
zufrieden zu fielen, Sie wollen das Warum des Warum wifien“; be— 
geiftert für Bildung und Aufklärung und von einer Freifinnigteit, die 
ihr den Namen der „republifanifchen Königin" verſchaffte; — fo ftimmte 
fie freilich wenig zu ihrem zeremoniöfen Gatten, defien Bomp fie nicht 
ſchätzen konnte. Aber im Kreife begabter und Fenntnigreicher Männer, 
wo man frei von läftigem Formelweſen fi) von wahrhaft rebenswerten 
Dingen, befonders von wichtigen Streitfragen des Glaubens und 
Wiſſens unterhielt, zumal in ihrem Charlottenburg, wo nichts den Reiz 
der äfthettjchen und philofophifchen Gefellichaften ftörte, und niemand 
erſchien, der fi) nicht durch Geift und Bildung hervorthat; da fühlte 
fie fich glücklich, da gab fie aud) andern manche ſchöne Anregung. Auch 
ihre äußere Erſcheinung nahm ein, man rühmte die Würde ihrer Hal- 
tung, die lebhaften blauen Augen, die reine zarte Farbe der Haut, das 
tohliehwarze Todige Haar. Weniger heilfam war ihr Einfluß in polie 
tiſchen Dingen; fie ließ fid) hier zu viel von perfönlichen und Familien- 
Intereſſen leiten. Doch mifchte fie fi nur ſehr felten in Staats 
ſachen. 


) Sie war eine hanndverjche Prinzeſſin, geb. 30. Otibt. 1668 zu Schlotßz Iburg Im 
Stift Osnabräd, Tochter des Herzogs, Tpäteren Kurfürften Ernft Auguft don Hannover, 
der damals das Bistum Dsnabrük (ais iutheriſcher Mpminiftentor) inne Hatte, und Entelin 
der ungidalichen Pfalggräfin Eliſabeth Stuart. Der Kurfürft Hatte fie 1634 (ein Jahr nach 
dem Tode feiner erften Gemahlin Eliſabeth Henriette von Heffen-Kaffel) geheiratet. 


Dandelmanns Sturz. 211 


Alles was bis zum ryswicker Frieden im Staate und nach außen 
geſchah, war unter Danckelmanns Leitung vollführt; und ſeine raſtloſe 
und nützliche Thätigleit fand bei dem Kurfürſten auch lange die verdiente 
Anerkennung. Er erhob ihn 1695 zum oberften Staatsdiener, zum 
Oberpräfidenten, und fagte in ber Beftellung: „Dandelmann fei ein 
vollftändiges Beifpiel ungefärbter Treue, unabläffigen Eifers in Beför 
derung des Ruhms des Kurfürften; er habe allein durch feine Ratjchläge 
zu dem Glanze und der Größe des Staates nächſt Gottes Segen das 
meifte beigetragen, daher erhebe ihn der Kurfürft zur vornehmſten Würde, 
um barzuthun, mit welder Dankbarkeit er die ihm von feiner zarten 
Jugend an geleifteten Dienfte erkenne, durch welche er zur Furcht Gottes, 
zur Liebe feiner Unterthanen und demnach zu einem gütigen und gerechten 
Regimente angeleitet worden.“ Seitdem war Dandelmanns Macht: fait 
unbejchräntt; im Staate und am Hofe ging alles durch feine Hand. Er 
führte die Geſchäfte, unter deren Überlaft er faft erlag, mit feltener Uns 
eigenmüßigfeit und mit Geſchick, und wie hoch er von ihrer Würde dachte, 
erhellt daraus, daß auf feine Veranlaſſung feit 1695 alle Iandesherrlichen 
Edilte von einem Minifter gegengezeichnet wurden, der dadurch für ihren 
Inhalt die Verantwortung übernahm. 

Aber fein ftrenger Ernft, fein fchroffes durchgreifendes Verfahren 
erbitterte die Höflinge, ber fhulmeifterliche Ton, den er jelbft gegen den 
Kurfürften anſchlug, erſchütterte feine Stellung. Freilich hatte er Grund 
genug zu hofmeiftern. Denn die Verſchwendung bes Hofes, wo Scharen 
von Schmeichlern ſich der Furfürftlichen Yreigebigfeit erfreuten, überftieg 
bei weiten Das Maß, welches der Staat geftatten durfte; aber der Kur— 
fürft zog es vor, fortwährend die Steuern zu erhöhen, als feine Pradjt- 
liebe und Treigebigfeit zu beſchränken. Dandelmann ftemmte fid) nach 
Kräften entgegen, body bekehrte er feinen Herm nicht und verfcherzte nur 
defien Gunft. ‚Der Kurfürftin war er geradezu verhaßt; es erzürnte fie, 
daß er in der auswärtigen Politik öfters dem Intereſſen des Haufes 
Hannover entgegenwirfte. So kamen die Hofleute, die unabläffig an dem 
Sturze bes umbequemen Minifters arbeiteten, ihrem Biele immer näher. 
Am geichicteften operirte dabei ein gewifler v. Kolbe, ein Pfälzer, ber 
1688 nad} Berlin übergefiedelt und in den Dienft des Kurfürften getreten 
war. Diefer Höfling, durch ein gewandtes ſchmeichleriſches Benehmen, 
durch gefällige Formen, die feine geiftige Unbebeutendheit verdeckten, 
feinem [wachen und eiteln Herm angenehm und bald unentbehrlich, be- 
nutzte an der Spitze des Hofgefindes ſchlau jede Blöße, die Dandelmanns 
rauhes Wefen bot, und reizte die Eigenliebe des Kurfürften fo lange, bis 
diefer Danckelmanns Verdienſte vergaß und fi) gewöhnte, deſſen unlieb⸗ 
fame Art als Staatsverbredhen anzufehen. Er äußerte: „Dandelmann 
will den Kurfürften fpielen; doc) ich werde ihm zeigen, Daß ich der Herr 

14° 


212 Kurfürft Friedrich III. 


bin.“ Der bedrohte Minifter erkannte, daß er in Ungnade gefallen war; 
er bat daher um feine Entlaffung, die er in buldvollen Worten erhielt 
(7. Dezember 1697). Aber feine Feinde wollten ihn völlig verderben; 
auf ihre Einflüfterungen ließ der Kurfürft am 20. Dezember den reblichen 
Mann verhaften, auf die Feftung Spandau bringen, feines großes Vers 
mögens berauben und unter den Tädherlichften Beſchuldigungen mit einem 
Prozeß verfolgen, der den Zweck hatte, bie ſchreiende Ungerechtigkeit des 
Kurfürften zu bemänteln. Dandelmann kam dann auf die Feftung Peiz, 
und erft nad fünf Sahren wurde feine Haft gemilbert, erft nach zehn 
Jahren ganz aufgehoben, doch durfte er aud) dann nur ar einem be= 
frimmten Orte (tin Kottbus) wohnen und erhielt nur einen Meinen Zeil 
feiner Eintünfte wieder. 

Nach Dandelmanns Sturz famen die Stantsgefchäfte unter die Leitung 
des neuen Gimftlings, in die Hände Kolbes, oder wie fein neuer Titel 
bald Tautete, des Reichsgrafen v. Wartenberg. Diefer verfolgte num 
im Grunde fein anderes Intereſſe als die Befriedigung feiner Habjucht. 
Er fättigte fie mit unerhörtem Raube, bezog von ben zahllofen wichtigen 
Amtern, die fein Herr ihm erteilte, ein jährliches Gehalt von 100000 Thalern, 
fammelte von den Gejchenten feines Herm ımb den Gaben derer, bie 
durch ihn etwas erlangen wollten, ein Vermögen von mehreren Millionen. 
Um fi) auch für die Zukunft zu fichern, berebete er (1699) den Kur 
fürften, ihm urkundlich zu verſprechen, daß er wegen feiner Amtsführung 
nie folle zur Rechenfchaft gezogen werben. Darauf geftügt, plünberte er 
ſamt fernem Anhange feitdem ſchamloſer dem je. 

Während der Hof ein Schauplab ſchmählicher Hofränke und nichtes 
nupiger Günftlingsherrfchaft wurde, blieben im Staate die alten Über 
lieferungen des großen Kurfürften zwar noch in Geltung, aber ihre wohl⸗ 
thätige Wirkſamkeit ſchwand in demfelben Verhältnis als die Vergeudung 
der Geldmittel des Staates fortſchritt. Es fehlte nun ſelbſt für ſolche 
Anftalten an Gelb, die dem Kurfürften befonders wert waren. Bu diefen 
gehörte Die „Soctetät der Wiſſenſchaften“, die er am 11. Juli 1700 zu 
Berlin geftiftet; es war mır den eifrigen Bemühungen ihres geiftigen 
Urhebers und erften Präfidenten, des großen Leibniz zu danken, daß 
man die Geldverlegenheiten einigermaßen überwand und dem Stiftungs- 
brief die That folgen ließ. Gottfried Wilhelm Leibniz, der Ariftoteles 
feiner Zeit, ein Univerfalgelehrter und zugleich ein Genie, der Erfinder 
der Differenzialrechnung und der Vater der deutſchen Philofophie, war 
von Geburt ein Leipziger, durch fein Amt ein Hannoveraner, aber fein 
Wirken galt dem ganzen Deutfchland, er trat überall anregend ımb 
fördernd hervor, wo der Wiſſenſchaft ein neuer Dienft zu leiften oder 
edle Humanität zu verfechten war. Daher hielt er fich oft in Berlin 
auf, wo ein ehrgeiziger Yürft gern den Mäcen des Idealen madjte, und 


Erhebung Preubens zum Königreich. 213 


wo ber Zweck der neuen Afademie — ausgezeichnete Gelehrte aller Fächer 
zu einer Gefellihaft zu vereinigen, um gemeinfam an der Hebung bes 
öffentlichen Unterrichts und aller Wiſſenſchaften zu arbeiten — ſich leichter 
als in den andern norddeutſchen Hauptjtäbten erreichen ließ. Auf feine 
Veranlafſung geſchah es au), daß Friedrich III. in den Stiftungsbrief 
die befondere Beitimmung aufnahm: „dieſe Societät foll eine deutſch-⸗ 
gefinnte und namentlich auch um die Erhaltung der deutſchen Sprache 
in ihrer anftändigen Reinigfeit zur Ehre und Zierde der deutfchen Nation 
beforgt fein, damit die uralte deutſche Hauptiprache in ihrer natürlichen 
Reinheit und Selbftändigkeit erhalten werde und nicht ein ungereimter 
Miſchmaſch und Unkenntlichkeit daraus entſtehe.“ Aber gerade die Vor 
nehmen und Gelehrten gaben hierin überall in Deutſchland ein fchlechtes 
Beiſpiel; „wer nicht franzöfiich Tann, der kommt zu Hofe nicht an", war 
in Berlin und anderwärts ein allzu wahres Sprüdwort. Leibniz hatte 
noch fpäter zu Magen: „der Miſchmaſch Hat abſcheulich überhand ge» 
nommen, jo daß die Prediger auf der Kanzel, die Sachwalter auf der 
Kanzlei, ber Bürgersmann im Schreiben und Reden mit erbärmlichem 
Franzöſiſch ihr Deutſch verderben." Ebenſo mißmutig war er über die 
ewige Geldnot des Hofes, die ben Fortgang des Stiftungswerks ver- 
zögerte. Erſt 1710 wurden die Gebäude der Afabemie, ſowie die Stern- 
warte der Geſellſchaft fertig, und die Einnahmen blieben kärglich. Am 
reichſten flofien fie noch aus dem Kalenberverlag, ben ihr der Kurfürft 
übergeben hatte. Hier. leiftete fie auch das Nüplichfte, was von ihr zu 
rühmen war; fie führte mit Zuftimmung der Regierung im Jahre 1700 
den verbefierten gregorianifchen Kalender ein. Dieſe Neuerung geihah 
jo, daß man den Tag nad) dem 18. Februar 1700 als 1. März 1700 
rechuete. 


Grhebnug Yrentzens zum Königreich. 


Seit dem großen Kurfürſten iſt der Fortſchritt das Lebensprinzip 
der hohenzollerſchen Monarchie, iſt es hier mehr als anderwärts die 
Pflicht eines jeden Regenten den Staat um ein bedeutendes zu fördern. 
Ein jeder wird es thun in der Richtung, wohin ihn Fähigkeit und Nei— 
gung treiben. Friedrich LI lebte für Glanz und äußere Würde; darin 
hat er denn auch dem Staate feine einzige große That geleiftet: er erhob 
ihn zum Königreich. , 

Sein Haupt mit einer Königsfrone zu ſchmücken, das war ihm längft 
als höchſtes und würdigftes Biel erſchienen. Dahin fpornte ihn immer 
wieder das Beifpiel anderer Herrfcher. Drei Fürften an feinen Grenzen, 
von geringerer Macht als er, gewarmen damals glänzende reife, fein 
Better Wilhelm von Oranien 1688 den englifchen Thron, fein Schwieger- 


214 Erhebung Preußens zum Kdnigveich. 


vater Herzog Ernft Auguft von Hannover 1692 die Kurwürde, fein 
Nachbar Auguft von Sachen 1697 die polnifche Krone. Friedrich II. 
beſchloß, nicht Hinter ihnen zurückzubleiben. Denn was er in feinem 
Herzen aufs glühendfte wünſchte, das ſprachen viele Stimmen des Aus— 
lands ſchon offen aus; wenigftend Ludwig XIV., der Bar Peter und 
die Holländer gaben deutlich zu verftehen, daß fie ihn gern für einen 
König anfehen würden. Aber mußte er fid) nicht aud) aus ſtaatsmänni— 
ſchen Gründen um diefen Titel bemühen? ine ſolche Rangerhöhung 
gab der Souveränität doch erft die rechte Weihe, gab dem Wefen, das 
der große Kurfürft gefchaffen, erft die redjte Form; denn das Königtum 
vereinigte alle Provinzen, alle Unterthanen unter einem gemeinfamen 
Namen zu einem neuen Ganzen und ftellte den Fürſten überall dem 
Auslande frei gegenüber. Allerdings konnte er die Fönigliche Würde nur 
an diejenige Landſchaft Impfen, wo er fouverän war, an das Herzog- 
tum Preußen; aber als Zeile des ganzen Töniglichen Staats Löften fich 
doc auch die deutſchen Provinzen weit leichter aus der Vaſallenſchaft, 
in der fle der Form nach zum beutfchen Kaifer und infofern zum Haufe 
Habsburg ftanden. 

Eben bier lag freilich die Hauptfchwierigkeit der Ausführung. Ohne 
die Zuftimmung bes römifchen Kaifers, der mwenigftens den Deutfchen 
jelber noch immer als das weltliche Oberhaupt ber Chriftenheit galt, 
ſchien dem Kurfürften die Annahme der Töniglichen Würde ebenfo uns 
pafiend, als wenn jemand in eine Gejellichaft träte, ohne geladen zu fein. 
Daher ſetzte er alles daran, den Kaiſer für fi zu gewinnen, hielt von 
Anfang an zur öfterreichifchen Politik, der er andernfalls ſchwerlich fo 
viel nachgegeben hätte, wie er es z. B. in ber fehwiebufer Sache that. 
Aber troß dieſes und vieler anderen großen Dienfte, die der Kurfürft 
dem Haufe Habsburg erwies, war ber Kaifer nicht gemeint einzumwilligen; 
auch ohne jenen Zitel war ber hohenzollerſche Staat ſchon ein gefährlicher 
Nebenbuhler; follte Habsburg dem aufftrebenden Emporkömmling, den 
es bisher vergebens nieberzudrüden verfucht, nun felbft helfen wieder ein 
Stück höher zu Aimmen? Jahrelang dauerten die Verhandlungen, die 
übrigens fehr geheim geführt wurden, und der Kurfürft ſah den Wunſch 
feines Herzens nod) immer ımerfüllt. Da traten Greigniffe ein, die dem 
Eigennuße des Kaiſers abnötigten, was defien Danfbarfeit nicht Ietftete, 
und Friedrich II. konnte erfaufen, wo man wicht ſchenken wollte, 

Schon daß fich im Jahre 1693 unter mehreren deutſchen Fürften 
ein Verein bildete, der ben Zweck Hatte, die neue hannöverſche Kur zu 
beftreiten, und daß diefe Unzufriedenen fid) nach dem ryswicker Frieben 
immer fefter an Frankreich anfchlofien, war für den Kaifer ein Gegenftand 
großer Beunrubigung. Eine andere Sorge brachte ihm das Heraufziehen 
des nordifchen Krieges, der zwifchen Karl XII. von Schweden einerjeits 


Der wiener Kron-Trattat. 215 


und dem Zaren Peter, dem Könige Auguft von Polen und Friedrich von 
Dänemark andrerjeits im Jahre 1700 ausbrady und gar leicht nad) 
Deutſchland und in die öfterreichifchen Erbländer hinüber greifen konnte. 
Zunder zu einem Brande lag bier befonders in Ungarn aufgehäuft. 
Xeopold hatte die ungarifche Verfafiung gebrochen, die ungarifchen Pro—⸗ 
teftanten aufs furchtbarſte bedrückt, felbft die Vornehmen, die Magnaten, 
ſchwer verlegt. Ein Aufftand konnte hier jeben Augenblid ausbrechen. 
Bei weiten die größte Verlegenheit aber bereitete dem Kaifer der Stand 
der fpanifchen Angelegenheiten. Karl II. von Spanien war ohne Nach— 
Iommen; mit ihm erloſch der fpanifche Zweig des Haufes Habsburg, 
feine Länder mußten nad) dem Rechte an den öfterreichifchen Zweig 
fallen; Karls Tod ftand nahe bevor, und Leopold I. jah fid) im Geifte 
ſchon als Beſitzer aller der Reiche, die einft unter dem mächtigen Zepter 
Karls V. geftanden und nun, vermehrt durch bie großen Erwerbungen 
Ferdinands I., Öfterreich zu einer ſchwindelnden Höhe erheben mußten. 
Aber es zeigte fi) bald, daß das reiche Erbe nicht fo ohne weiteres an⸗ 
zutreten war. Auch Ludwig XIV. bewarb fid) darum; er hatte zwar 
nur zweifelhafte Rechtsgründe vorzubringen (er war ber Sohn der älteren 
Zante und der Gemahl der älteren Schwefter Karls II., die bei ihrer 
Verheiratung nad) Frankreich auf die Erbfolge in Spanien verzichtet 
hatten, während ihre jüngeren Schweftern, die Mutter und die Gemahlin 
Leopolds I., einen ſolchen Verzicht nicht zu leiften brauchten); aber Lud— 
wig war gewohnt feinen Willen nad) feiner Macht, nicht nad) feinem 
Rechte abzumeflen; er war entſchloſſen, wenigftens einen großen Teil ber 
ſpaniſchen Staaten an ſich zu bringen. Die Waffen mußten aljo ent 
ſcheiden. Denn Leopold wollte auf keinen Fall feine Anſprüche fahren 
lafien. Er weigerte fi) fogar in den Teilungsplan zu willigen, welchen 
die Seemächte, England und Holland, vorſchlugen. Wer follte ihm aber 
in dem ſchweren Kampfe helfen? Viele deutſche Yürften, namentlich 
Batern, waren für Frankreich, andere, wie Kurfachien, in eigene Händel 
verwidelt. Die Seemächte wollten wenigftens nicht das ganze Erbe an 
Oſterreich bringen. Denn fie mochten weder das Haus Bourbon noch 
das Haus Habsburg übermächtig werben laffen. Unter dieſen Umftänden 
erhielt ber Beiftand Brandenburgs, das 30000 Mann vorzüglicher 
Truppen auf den Beinen hatte, einen unjchäßbaren Wert. So entſchloß 
fich der Kaifer zu dem Schritt, gegen ben er fi} fo lange gefträubt, und 
ber ihm auch jetzt fehr fauer fiel. Er gab endlich feine Zuſtimmung 
zu Friedrichs II. Wunſche. Am 1. November 1700 ftarb zu Madrid 
Karl U. und warb defien Teftament eröffnet; kraft defielben war ber 
Prinz Philipp von Anjou, Enkel Ludwigs XIV., zum Univerfalerben ein- 
geſeht, und Ludwig genehmigte dieſe Beftimmung. Fünfzehn Tage darauf, 
am 16. November, unterzeichnete Kaifer Leopold zu Wien den Kron- 


216 Erhebung Preußens zum Königreich. 


Vertrag, durd) welchen er ſich verpflichtete, ben Kurfürften von Branden- 
burg, falls ſich derfelbe zum König in Preußen ausrufen laſſe und Eröne, 
aud als ſolchen zu ehren und anzuerkennen, fowie zu befördern, baß 
andere Mächte ihn ebenfalls dafür anerfennten. Dagegen ermeuerte 
Friedrid) den alten Bund und verpflichtete fi, dem Kaifer, falls wegen 
der fpanifchen Erbfolge Krieg entftehe, 8000 Mann Hilfstruppen auf 
eigene Koften zu ftellen. 

Es war ein gutes Geſchäft, das ber Kaifer hier machte; feine An⸗ 
erfennung war Friedrich II. zwar ſehr wünfchenswert, aber doch nicht 
fo notwendig, daß er nicht auch ohne diefelbe den Königstitel hätte an⸗ 
nehmen Tönnen; fo war der Preis, den er bafür zahlte, gewiß übergroß. 
Und er hielt nicht mır, was er verſprochen; er Teiftete aus freien Stüden 
weit mehr; nicht mit 8000, fondern mit 25000 Mann hat er dem Kaiſer 
beigeftanden. Freilich die Weitjehenden ahnten ſchon jetzt, daß Preußen 
in nicht ferner Zukunft Ofterreich überflügeln werde, und hielten daher 
jede Erhöhung Hohenzollerns für einen Schaden, ben Habsburg erlitt. 
Prinz Eugen fagte in diefem Sinne: „die Tatferlichen Minifter feien des 
Henkens wert, die dem Kaiſer geraten, die preußiſche Krone anzuere 
kennen“. Aber auf die Dauer den Lauf der Dinge zu hemmen, wäre 
aud ein Eugen nicht imftande gewejen, und Habsburg verkaufte mit 
Recht ſehr teuer, was es mit der Zeit umfonft hätte gewähren müſſen. 
Übrigens ftand es nicht fo, daß der Kaifer den Kurfürften zum König 
erhob, davon war feine Rede. Friedrich als fouveräner Herzog 
in Preußen machte fich felbft zum König. Es handelte fi) einzig 
und allein um eine Frage ber Etifette; ber Kaifer gab nichts als die 
Anerkennung. 

Kaum wär der Kronvertrag unterjchrieben, als Friedrich TIL. ſchleu- 
nigft alle Anftalten traf, die Krönung mit großer Pracht in Königsberg 
zu vollziehen. Am 17. Dezember brach er mit feinem Hofftaat dorthin 
auf; das Gefolge war fo zahlreich, daß man in vier Abteilungen reifen 
mußte und bis Königsberg 30 000 Pferde Vorſpann gebrauchte. Am 
2often langte der Kurfürft dort an und ordnete nun ſelbſt die Bere- 
monien und Zeftlichfeiten aufs genauefte. Am 15. Januar 1701, während 
die Gloden läuteten, die Kanonen donnerten, rief auf allen Plägen der 
Stadt ein Herold unter dem Jauchzen bes Volles aus: „es jei durch die 
allmeife Vorfehung dahin gebiehen, daß das bisherige fouveräne Herzog⸗ 
tum Preußen zu einem Königreich aufgerichtet und defien Souverän 
Friedrid) I. König in Preußen geworden.” Den Titel König in Preußen 
und nit von Preußen nahm Friedrich darum an, weil ihm mur ber 
Öftliche Teil des Preußenlandes gehörte. 

Am 17. Januar ftiftete er dem preußiichen ſchwarzen Adlerorden 
zum Andenken an die Gründung des Königreichs, befien höchfter Orden 


Breubentum. 217 


derjelbe fortan war, mit dem Wahliprud; Suum cuique, Jedem das 
Seine. Am Dienstag den 18. Januar erfolgte die Krönung; fie geſchah 
mit einer nie gefehenen Pracht und Seierlichkeit. Zum Zeichen, daß er 
feine Krone feinem Menſchen verdante als fich jelbft, ſehte Friedrich fie 
fig) felber auf fein Haupt und krönte ſodann die Königin. Darauf ging 
der ganze Zug aus dem großen Gale des Schloffes in bie Kirche; dort 
ließ der König nach ber Seftpredigt fi und die Königin durch die beiden 
Dberhofprediger, die er zu Bifchöfen erhoben, den reformirten und den 
lutheriſchen, feierlichft falben. ine lange Reihe von Zeftlichkeiten ver- 
berrlichte das große Ereignis. Sie Tofteten, wie der Krönungsſchmuck, 
viele Millionen. Aud) das Volt befam feinen Anteil an der allgemeinen 
Luft. Es ergößte ſich an dem Schaugepränge; es fehlte auch nicht der 
bei der Kaiſerkrönung übliche Ochſe, der, mit Schafen, Rehen, Fakein 
Hafen, Hühnern gefüllt, auf freiem Platze gebraten und mit dem roten 
und weißen Weine zweier Springbrunnen dem Volke preisgegeben wurbe. 

Noch in demfelben Jahre wurde die neue Königswürde von den 
wmeiften Staaten anerkannt, außer dem Katfer zuerft von Polen, England, 
Dänemark, von Rußland, Holland, der Schweiz, Savoien, Kurpfalz, 
Hannover, dann nad) und nad von den übrigen. Nur der "Bapft pro 
teftirte; doc, hatte das natürlich nicht den geringften Erfolg. 

Friedrich der Erfte, wie er nunmehr als König hieß, glaubte es 
feiner neuen Würde ſchuldig zu fein, die Pracht feines Hofes, der bereits 
vorher föniglich eingerichtet war, noch zu fteigern. Er ahmte in jeder 
Hinficht die Etifette und den Glanz des verfailler Hofes nad). Die Ver 
ſchwendung ging dabei ins maßloſe und die Förmlichkeit ins lächerliche. 
Eine Unzahl neuer Hofbebienten aller Grade wurde angeftellt, die, wie 
die vielen Tefte, ungeheure Summen koſteten. Selbft darin wollte Fried⸗ 
rich es Ludwig XIV. gleich thun, daß er an feinem Hofe eine Mätrefie 
bielt, aber er that es nur zum Schein; in ber Wirklichfeit fi) oder 
feinen Hofleuten Ausſchweifungen zu geftatten war er viel zu religiös 
und fittlih. Er hatte zu der fogenannten Mätrefje — es war die Gräfin 
Wartenberg, eine ungebildete Frau von niederer Herkunft — weiter fein 
Verhältnis, als daß er zu beftimmten Beiten ber Hofetifette gemäß mit 
ihr auf und abfpazierte. So weit ging alfo bei ihm bie abgeſchmackte 
Bewunderung des franzöflichen Königtums, daß er lieber den Schein 
des Lafters annahm, als in irgend einem Stücke von feinem Mufter ab⸗ 
zuweichen. Und Doc war er in der Politit und Religion, aljo in den 
wejentlichen Dingen, ein entjchiebener Gegner Ludwigs XIV. 

Die großen Ausgaben, welche die Rangerhöhung des Staates mit 
fi) brachte, waren für das Land eine ſchwere Laft; die Unterthanen 
mußten fehwer dafür fteuern, daß fie num königlich preußiſch hießen. 
Dennoch war der Gewinn weit größer als der Preis, den er foftete. Der 


218 Friedrich 1. als König. 


Staat erhielt eine eigene Nationalität; die getrennten Stämme, bie zu 
ihm gehörten, wurden leichter und raſcher zu einem ganzen Körper ver- 
ſchmolzen, fett alle denfelben Namen, als Preußen, alle diefelbe Farbe, 
die [hwarz-weiße Fahne, trugen. war das Preußentum entwidelte 
ſich nunmehr im Unterfchjied von dem übrigen Deutſchland auch um fo 
beftimmter als ein eigenes Weſen; der preußifche Staat trat um fo ent» 
ſchiedener in feiner Befonderheit auf. Aber bei der allgemeinen Zerrüttung, 
dem unbeilbaren Verfall des deutſchen Reichs, das längft nur noch dem 
Namen nad) beitand, war e8 ein Segen für das deutjche Volt, daß unter 
den zahlloſen deutfchen Staaten, in die es zerrifien war, einer ſich zw 
einem Körper entwidelte, der auf eigenen Füßen ftand und auf eigene 
Hand das leitete, was das ganze nicht vermochte, nämlich Deutſchland 
mit Kraft und Ehren zu vertreten und, indem er ein Stück Deutſchlands 
nad) dem andern an fid) zog, Die Hoffnung gewährte, daß er zuleßt alle 
getrennten Glieder wieder vereinigen, und daß fo allmählich aus dem 
preußifchen der deutfche Staat erwachſen werde. 

Daß aber Preußen diefen Weg einfchlagen mußte, dazu trieb eben 
feine neue Würde am fräftigften. Denn um mit Ehren ein Königreich) 
zu fein, durfte es nicht ftehen bleiben; es war noch Klein und hatte Doch 
ſchon einen großen Namen, es mußte unabläffig ftreben, größer und 
mächtiger zu werben, hinein zu wachen in ben weiten Königsmantel. 
So erhielt e8 mit der Krone den Sporn zu immer weiterem Fortſchritt. 
Um mit Friedrichs des Großen Worten zu reden: „Friedrich I. ſchien 
zu feinen Nachfolgern zu fagen: id) habe eudy einen Zitel erworben, 
macht euch befien würdig! ic) habe den Grund zu eurer Größe gelegt, 
vollendet das Wert!" — 


Sriedrich 1. als König. 


Dem Teſtament gemäß, deſſen rechtlicher Beftand freilich von den 
Gegnern beftritten ward, folgte in Spanien auf Karl II. der Bourbon 
Philipp V. Nicht mur die Spanier, auch die Befehlshaber in den Neben- 
landen, in Sizilien, Neapel, Mailand, Mantua, Belgien Huldigten ihm, 
und Ludwig XIV. war bereit, ihn mit der ganzen Macht Frankreichs zu 
ſchützen. Democh unternahm es der Kaifer, ihn aus feinem Beſitz zu 
verdrängen und bie fpanifche Monarchie für feinen jüngeren Sohn Karl 
zu erftreiten; im Frühling 1701 rücte fein Heer unter dem Prinzen Eugen 
ins Feld, zuerft nad) Italien. So entbrannte der ſpaniſche Erbfolge- 
trieg. Leopolds einziger Bundesgenofie war anfangs der neue König 
von Preußen. Aber bald traten, beſorgt vor ber kolofjal gewachſenen 
Macht Bourbons, die Seemächte auf feine Seite, und mit engliſchem 


Der fpantiche Erbfolgekrieg. 219 


und hollänbifchen Gelde gewann er dann nod) eine Schar von Fleineren 
Genoſſen; im Zahre 1702 war halb Europa — Ofterreich, Preußen, das 
beutfche Reich, England, Holland, Dänemark, Savoien und Portugal — 
gegen Frankreich verbündet, und die Heere diefer Koalition wurden von 
den größten Feldherren der Zeit, von dem englifchen Herzog Marlborough 
und von dem Prinzen Eugen, befehligt. Das Genie biefer Generale 
wog den Vorteil auf, den Ludwig als unumfchränkter Herr der Gefamt- 
Traft feines großen Reiches hatte, während die Koalition oft uneinig 
war; aber wenigftens im Anfange, ehe noch die Mittel feiner Gegner 
reht in Fluß kamen und zuſammenwirkten, Tonnte Ludwig body im 
Bunde mit Kurköln und Baiern hoffen, auf feinen ſtärkſten Nachbar, 
Deutichland, einen lähmenden Schlag zu thım. Ein großes bairifch- 
franzöftiches Heer drang 1703 tief in das Innere von Süddeutſchland 
ein und ſchickte fi an, im nächften Jahre Ofterreich zu erobern. Daß 

dieſe Gefahr abgewehrt und der Feind aus Deutſchland wieder heraus- 
geijlagen wurde, war das Verdienſt der beiden Feldherren Eugen, der 
von Stalien, Marlborough, der von den Niederlanden berbeieilte, und 
unter den Truppen hauptfächlich der Preußen. 

Friedrich III. hatte dem Krontraftat gemäß 8000 und für englifch« 
holländiſche Subfidien nod) 15000 Mann geſchickt, die größtenteils in 
dem Heere Marlboroughs am Niederrhein ftanden und fämtlic mit hohem 
Ruhme ftritten. Es war dort in den Niederlanden im Jahre 1702, daß 
die ſchwarzweiße Königsfahne ihre Schlachtenweihe empfing; fie wehte 
zum Siege bei der Belagerung von Kaiferswerth, Benloo, Stephanswerth, 
Nuremonde, Lüttich), dann 1703 vor Rheinberg, Bonn und Geldern — 
Feftungen, welche die Preußen teils allein, teils an der Seite ihrer Ver» 
bündeten eroberten. Zugleich fochten fünf NRegimenter Preußen in 
Baiern, fie deckten bei Höchftätt am 20. September 1703 den Rüdzug 
des Taiferlihen Generals Styrum; mit welcher Tapferkeit, bezeugt der 
franzöſiſche Teldherr Villars jelbft: „die franzöftfche Reiterei“, berichtet 
er, „durchbrach einen Teil des Nadjtrabs, allein die übrigen Bataillone, 
das preußifche Fußvolk, machten feftgeihlofien jedesmal gegen die An⸗ 
griffe der Neiterei ein fo furdhtbares Teuer, daß fie nicht ein, einziges 
Mal durchbrochen werden konnten und von ihr endlich nur nod) begleitet 
wurden." Mit einem Verluſt von 900 Mann retteten bier die Preußen 
das übrige Heer. J 

In allen dieſen Kämpfen, beſonders aber in dem letzten, zeichnete 
fich ein junger preußiſcher General durch kaltblütigẽ und zugleich ftür- 
mifche Tapferkeit aus, der Fürft Leopold von Anhalt-Defjau, ber 
hier, 26 Jahre alt, feine lange Heldenlaufbahn begann. Ein rauber 
derber Kriegsmann ohne höhere geiftige Bildung, aber von Natur zu 
allem begabt, was der Soldat ımd der Feldherr Teiften follen, und mit 


220 Sriebrig I. als König. 


Leib und Seele dem Kriegshandwerk ergeben, verband er Verſchlagenheit, 
kriegeriſche Einficht und Erfindfamkeit mit ungeſtümem Mute und eifiger 
Kälte mitten im Feuer. Glanz, Schein und Formenweſen verachtete er, 
wie er fi denn aud) über die Vorurteile der Geburt hinwegſetzte: er 
hatte zum Entfegen feiner ftolzen Familie eine Apothekerstochter aus 
Deſſau geheiratet und lebte mit feiner Annalieſe ſehr glüdlich. Aber fait 
noch wohler als bei ihr fühlte er fid) auf dem Schlachtfelde. Und ſchon 
jest war der tapfere Jüngling die Bewunderung von Fremd und Feind. 
Sein König erfannte feine Verdienfte, er machte ihn zum Oberbefehls- 
haber aller derjenigen preußifchen Truppen, 12000 Mann, die er zur 
Verteidigung des deutſchen Reichs am Rheine hielt (1704). Mit diefen 
gab Leopold nun dem gejamten verbündeten Heere ein ſchönes Mufter 
von Heldenmut. 

Marlborough Hatte ſich im Auguft 1704 glücklich mit Eugen ver- 
einigt, fie griffen am 13. Auguft bei Höchftätt unweit Donauwörth das . 
baieriſch⸗ franzöſiſche Heer an. Ihren linken Flügel führte Marlborough, 
ihren rechten Eugen. Unter dem Ießteren fochten die Preußen. Auf 
beiden Seiten verfügte man über große Truppenmaflen, über mehr als 
50000 Mann; die Schlacht war langwierig und fehr blutig. Marlbo- 
zough ftanden die Franzofen unter General Tallard gegenüber, dem 
Prinzen Eugen ein anderes franzöfifches Corps unter General Marfin 
und die Baiern unter ihrem Kurfürften. Die Stellung der Francos 
Bavaren war fehr ſtark und fie ſchlugen fich gut., Endlich fiegte die über 
legene Feldherrnkunſt Marlboroughs. Doc daß er fiegen gekonnt, war 
vor allem den Anftrengungen ber Preußen zu banken, welche die Schlacht, 
als fie faft ſchon verloren war, mit zäher Ausdauer gehalten hatten. 
Prinz Eugen erkannte ihnen denn auch öffentlich „ein unfterbliches Lob“ 
zu, „maßen ich denn“, wie er nach Berlin fchrieb, „mit Augen gefehen, 
wie befonder8 von der Infanterie jo hoch als niedere Dffiziere und Ge— 
meine mit unerſchrockener Standhaftigfeit wider den Feind gefochten, 
defien Gewalt etliche Stunden lang ausgehalten und endlich geſamter 
Hand durch ihr ftarkes Feuer benfelben in eine ſolche Konfufion haben 
jegen helfen, daß er ihrer Tapferkeit mit großer Präcipitanz entfliehen 
und uns das Feld und fomit diefe herrliche Victorie überlaffen müfjen.“ 
Beſonders rühmte er „die heldenmütige Führung des Generals Fürften 
von Anhalt-Defiau, der auf Teinerlei Weiſe feine Perſon geſchont oder 
vor irgend welcher Gefahr ſich entfärbt, fondern mit großer Unerſchrocken⸗ 
heit feine Leute in⸗das bärtefte Treffen geführt, fo daß man ihm ben 
Gewinn des vortrefflichen Sieges zu feinem unfterblichen Nachruhm 
großenteilg zuzufchreiben hat." 

Im nächſten Jahre führte Leopold von Deſſau 8000 Preußen an 
der Seite der Öfterreicher nad) Ztalien. Der Oberfeldherr Prinz Eugen 


Der ſpaniſche Erbfolgekrieg. 221 


ſollte hier der kaiſerlichen Sache vollftändig das Übergewicht verſchaffen, 
während Marlborough wieder die Niederlande deckte. Unter dem letzteren 
fand eine andere preußiſche Hilfsſchar, welche der General von Lottum 
befehligte. Beide Abteilungen hatten großen Anteil an ben Siegen, bie 
nun auf beiden Kriegstheatern erfochten wurden, und einer derjelben, bei 
Caſſano am 16. Auguft 1705 über Vendome davon getragen, hat eine 
beſonders ehrwürbige Erinnerung Hinterlaffen. Denn ber Mari), unter 
befien Klängen bie Preußen dort fiegten, wurde als „deflauer Marſch“ 
in der Armee unfterblich. Ebenſo zeichneten fi) die Preußen in ben 
größeren Schlachten aus, bie mit ihrer Hilfe Marlborough am 23. Mat 
bei Ramillies, Eugen am 7. September 1706 bei Turin gewann. „Der 
Fürft von Anhalt”, berichtete Prinz Eugen nad; Wien, „hat mit feinen 
Truppen bei Turin abermals Wımder gewirkt. Zweimal traf ih ihn 
im ftärfften Feuer felbft an der Fronte derfelben, und ich kann es nicht 
bergen, fie haben an Mut und Ordnung die meinigen weit übertroffen. 
Für die Bequemlichkeit folder Truppen muß man ſoviel als möglich 
forgen, die Preußen verbienen es, und es ift fein Preis zu hoch, wos 
durch ich ihr Ausharren erfaufen kann.“ Zwei Jahre blieb dies Heer 
noch in Stalten, und König Friedrich I. bemußte nebenbei diefe Gelegen- 
beit, um fid) auch bei dem Papft im Reſpekt zu fehen. Er hieß ein 
Reiterregiment gegen den Kirchenftaat ziehen und nötigte dadurch ben 
Bapft, gegen die preußiſche Königswürbe wenigftens nicht mehr laut zu 
proteftiren. Es hat freilich noch 80 Jahre gebauert, ehe man ſich in 
Rom dazu bequemte, ben Marchese di Brandenburg offiziell als preußi-⸗ 
{hen König anzuerkennen. 

Der Krieg beſchränkte ſich nun auf das Land am Rheine. Prinz 
Eugen zog nad) den Niederlanden und befiegte im Verein mit Marlbos 
rough die Franzofen bei Oudenarde (11. Zuli 1708) und bei Malpla- 
quet (17. September 1709). Auch in diefen Schlachten gebührte ben 
Preußen, die hier von Lottum, Fink v. Finkenftein und Natzmer geführt 
wurden, ber größte Teil des Dates, wie Marlborough und Eugen be 
zeugten. 

Ludwig XIV. war erjhöpft; er bat um Frieden, wollte auf das 
ganze fpanifche Erbe verzichten; aber die Verbündeten verlangten, er folle 
felber feinen Enkel aus Spanien vertreiben. Diefe lebte Demütigung 
wies ber greife König zurüd. Er harte aus, und das Glück belohnte 
feine Standhaftigkeit. 

Im Jahre 1710 ftürzte eine Hoflabale das engliſche Whig⸗ Mini⸗ 
ſterium und damit auch die Politik, die unter Wilhelm III. und nach 
defien Tode (1702) unter ber Königin Anna für England maßgebend 
gewefen war. Bon nm am leitete die Partei ber Tories den Staat; 
fie neigte ſchon aus Haß gegen den Herzog Marlborough, den eifrigſten 


222 Friedrich I. als König. 


Freund des Krieges, zum Frieden, und als gar 1711 Kaifer Zofef I.; 
der ältefte Sohn Leopolds, dem er 1705 in ber Regierung gefolgt war, 
ohne Söhne ftarb und Karl VI., eben jener Prätendent bes fpanifchen 
Thrones, deutſcher Kaifer wurde, da hatte England in der That nicht 
mehr ben Beruf, die Sache Habsburgs wie bisher zu verfechten. Es 
unterhanbelte daher und fein Abfall zog auch die Holländer mit; fo war 
der große Bund gefprengt. 

Friedrich I. erlebte den Abſchluß des Friedens nicht mehr, der ganz 
gegen feinen Willen zum Schaden bes Kaiſers war eingeleitet worden. 
Er hatte immer getreu bei feinen Verbündeten ausgehalten, unabläffig 
Erſatzmannſchaften in die Kriegslager geſchickt; man rief nie vergebens 
fein großmütiges, deutſches Herz an. Er vergaß freilich), daß man erjt 
fol gerecht fein und dann großmütig; er vergaß befonders, daß feine 
Unterthanen für Subfidien nad) Flandern zu ſchicken, damit fie ſich dort 
für Holländer und Engländer töten ließen, im Grunde nichts war al 
Seelenverfäuferei. Er beſchwerte fein Volt auch dadurch, daß er, um 
das ganze regelmäßige Heer im Auslande verwenden zu können, (1702) 
in allen Provinzen noch eine Art Landwehr errichtete, eine „Landmiliz“ 
aller waffenfähigen Mannſchaft vom 18. bis 40. Lebensjahre, welche die 
Verteidigung der Grenzen übernehmen follte. Jeden Sonntag mußte 
fie ihre Kriegsübungen halten, worüber die Geiftlichen mit Recht jehr 
eiferten. 

Zu dieſer drücenden Mafregel griff der König aus Bejorgnis vor 
den Gefahren, die feinem Lande durch den norbifchen Krieg drohten. 
Denn während im Weften des Erbteils ber ſpaniſche Erbfolgekrieg loderte, 
flammte es auch im Oſten von Kriegsfeuer; da glänzte noch einmal der 
ſchwediſche Kriegsruhm auf, trug von Norden her Karl XII. den Schrecken 
feiner Waffen. Im rafchen Siegeslauf zwang er Dänemark zum Frieden, 
Rußland zum Rüdzug, Polen und Sachſen zur Ergebung, nötigte im 
Bertrage zu Altranftäbt 1706 Auguft den Starken, der poiniſchen Krone, 
die ber Schwede einem Privatmann, Stanislaus Lesczynski, geſchenkt, 
zu entjagen und fchrieb jelbft dem Kaifer Gejege vor. Denn als er auf 
feinem Zuge nad) Kurſachſen im Frühling 1706 bei Steinau die Oder 
überſchritt, da ftanden Hier zahllofe evangelifche Schlefier verfammelt und 
baten den Schwedenkönig mit Thränen um Hilfe, Magten, wie ihnen ber 
Kaifer durch die Jeſuiten ihre Kirchen, 600 allein in Niederjchlefien, ge» 
nommen, wie er ihre Geiftlichen verjagt, ihren Gottesdienft verboten 
babe, und wie fie nun elendiglich in Wäldern und Einöben fi) ver- 
Triechen müßten, wenn fie Kirche halten wollten; viele feien gär, um der 
habsburgifchen Tyrännei zu entgehen, ausgewandert oder Tatholifch ges 
worden; bie anderen erwarteten nun, daß er fie rette. Karl XII. ver- 
ſprach e8, und er war gewohnt, fein Wort zu halten, feinen Willen mit 


Erwerbungen. 223 


dem Schwerte durchzuſetzen. Seine Drohungen ſchreckten den wiener Hof 
und bewirkten, baß bie Proteftanten ber Fürftentümer Liegnitz, Brieg, 
Bohlau, Ols, Breslau die Religionsfreiheit, die ihnen der weſtfäliſche 
Friede ausgemacht hatte, mm durch Die „altranftäbter Konvention” vom 
1. September 1707 wieder erhielten. Mit diefem ſchönen Werfe war 
Schwedens kurze Rolle ald Großmacht ausgefpielt. Zwei Jahre darauf 
verlor e8 in den ruffifchen Steppen bei Pultawa für immer feinen Kriegs⸗ 
ruhm und die Herrichaft des.Nordens. Karls XII. Starrfinn vollendete 
den Ruin, den feine Tollkühnheit veranlagt; während der „Eiſenkopf“ 
jahrelang fi in der Türkei abmühte, dem Zaren, ‚feinem Befieger, einen 
neuen Feind zu erwedten, fiel daheim feine eigene Macht in Trümmer, 
verheerten die neu verbündeten Dänen, Rufen und Sachſen feine deut⸗ 
fen Provinzen, riß Auguft II. wieder das polnifche Reich an fich. 

Es lag nahe, daß aud) Preußen bier eingriff, denn der Krieg tobte 
vor feiner Thür. Auch verſprach der Zar einen Anteil an ber ſchwe— 
difchen Beute. Aber Friedrich I. blieb parteilos, er wiberftand allen 
Lockungen, obwohl er ſich füglich mit dem Nutzen feines Staates hätte 
entſchuldigen können. Nur wo ihm ein Recht zuftand, mochte er fi 
vergrößern; da verfäumte er die Gelegenheit nicht. Die bebeutendfte Er» 
werbung machte er auf folche Weife durch die „oranifche Erbſchaft“. Er 
war Wilhelms III., der 1702 kinderlos ftarb, nächſter männlicher Ver 
wandter und nad) dem Recht defien Haupterbe. Wilhelm hatte jedoch 
durch ein Teftament einen Seitenverwanbten zu feinem alleinigen Erben 
und die Generalftanten zu Vollſtreckern diefer Verfügung eingefeßt. Es 
gab darüber nun einen langwierigen Streit, doch ergriff Friedrich von 
einigen Teilen des Erbes entſchloſſen Befig, zuerft von der Herrichaft 
Lingen an der Ems, dann von der Stabt und Grafihaft Mörs (am 
linken Rheinufer, gegenüber den Mündungen ber Ruhr und Lippe), einem 
Ländchen, das der Kaifer 1707 zu einem Yürftentum erhob. Auch auf 
das Fürftentum Neuenburg (Neufchatel) und die Grafihaft Balendis 
(Valengin) in der Schweiz hatte Friedrich I. als Prinz von Dranien, 
welchen Titel er feit 1702 führte, gegründete Anfprüche, überließ aber, 
da noch andere Bewerber auftraten, die Entjheibung den Ständen diefer 
Landſchaften. Sie erkannten ihm 1707 als ihren Oberherm an; Doch 
hatte der König von Preußen bier im Grunde nur Schuß- und Ehren- 
rechte; die beiden Ländchen blieben felbftändig, wurben der preußifchen 
Monarchie nie einverleibt. Dur Kauf erwarb Friedrich in demfelben 
Jahre die Grafihaft Tecklenburg in Weftfalen; er bezahlte dem Be— 
fiber, einem Grafen von Solms-Braunfels, dafür 250 000 Thaler. In 
feiner Eigenſchaft als Haupt der deutſchen Proteftanten endlich erwarb 
er 1708 die Grafihaft Geyern in Franken; der letzte Befiter vermachte 
fe ihm, um fie nicht in die Gewalt eines Katholiten kommen zu laſſen. 


224 Friedrich I. als König. 


Im ganzen freilich war die auswärtige Politik des Königs wenig 
erſprießlich, denn die Subfidienverträge und der fortwährende Kriegszu⸗ 
ftand legten ohne entſprechende Vorteile dem Lande fehwere Laften auf, 
die es um fo härter drücten, da auch ber Hofftaat ungeheure Summen 
toftete. Die Vorftellungen der Stände, die wenigſtens in der Provinz 
Preußen noch zu murren wagten, blieben ohne Wirkung. Und doch war 
Friedrich I. von Natur ein fo gutmütiger Mann. Manche Züge bewieſen 
&. Ein Plusmacher ſchlug ihm einft vor, Die 11 Tage, die bet der An- 
nahme des neuen Kalenders im Februar 1700 entfielen, den Beamten 
am GSolde abzuziehen;.er lehnte e8 mit den Worten ab: „ich will, daß 
meine Leute mich nicht chikaniren, ich fie aber aud) nicht.” Seine ver- 
ſchwenderiſche Wirtfchaft führte ihm indes dazu, das ganze Volk zu chika⸗ 
niren. Die Zahl und Höhe ber Steuern mehrte fid) von Jahr zu Jahr: 
zu den alten Steuern kamen neue, als SKronftener, Schloßbaugelder, 
Kegationsgelder; und felbft die notmendigften Lebensbebürfnifie entgingen 
dem Zöllner nicht. Da immer wieder Ebbe in den Kaflen war, fo ver- 
fiel man auf die fonberbarften Mittel Geld zu machen. Friedrich trug, 
um feinen etwas verwachſenen Buckel zu verbeden, eine große Perücke 
oder Abel. Diefe franzöftiche Erfindung war nun am berliner Hofe und 
fonft im Lande Mode geworden, ber König legte daher eine Perücken- 
fteuer auf und befahl jede Perücke zu ftempeln, während er andererfeits 
wieder durch ein Edikt gegen den Luxus eiferte, was fich in feinem 
Munde ſeltſam gemig ausnahm. Ein ander Mal erfchien eine Verord- 
nung, man folle im ganzen Lande die Schweinsborften ſammeln und 
an die Regierung abliefern, bie einen großartigen Borftenhandel beab- 
fihtigte und ſich davon viel Gewinn verſprach. Der leichtgläubige König 
verſuchte es auch mit der Alchymie. Ein Schwindler, der fi Graf 
v. Ruggiero nannte, lockte ihm mit dieſer Hoffnung viel Gelb ab, bis 
der Betrug zu handgreiffid) wurde, und ber König feinen Goldmacher in 
Küftrin aufhängen ließ (1709). Eine befiere Finanzquelle war der Juden⸗ 
ſchutz. Beim Regierungsantritt Friedrichs III. gab e8 in der Mark mır 
132 füdifche Yamilien, davon 31 in Berlin. Friedrich nahm indeſſen für 
Geld immer mehre in feine Staaten auf und ſchützte fie auch gegen bie 
Verfolgung des Voltes, das ihnen Schuld gab, in einem Gebete „Alenu* 
den Heiland zu läftern. Um bas Jahr 1700 war ihre Zahl in jämt- 
lichen Provinzen auf 700 Familien angewachfen, und in Berlin wurbe 
ihnen (1712) fogar erlaubt, fich eine allgemeine Synagoge zu bauen, die 
erfte dieſer Art in der Hauptftabt. . 

Einen anfehnlichen Poften unter den Einnahmen bildeten die aus— 
ländifchen Subfidien, aber fie deckten bei weitem nicht die Koften für die 
Hilfstruppen. Das Heer verſchlang überhaupt etwa die Hälfte der ge 
ſamten Staatseinkünfte; denn es wurbe unabläffig vermehrt, betrug im 


Kunft und Wifienfhaft. 225 


Jahre 1709, alle Bewaffneten eingerechnet, an 50 000 Mann mit 40 Ge 
neralen, nämlich) 23 000 Soldaten in Flandern, 8000 in Stalien, 12 bis 
13000 im eignen Lande, 5000 Mann Miliz („Wibranzen“) in der Pro— 
vinz Preußen und 2000 Invaliden, für die unter diefer Regierung zuerft 
Berforgungsanftalten in den „Snvaliden-Rompanien“ gegründet wurden. 
Beim Tode Friedrichs I. belief ſich ber feldbienftfähige Veſtand auf 
30000 Mann. Der Sold war höher als Heutzutage; er betrug im 
Durchſchnitt für jeden Mann jährlid) 50 Thaler; am meiften Toftete im 
Verhältnis die Garde, die der König aus Eitelfeit ſehr prächtig ein- 
richtete. Abgefehen von ber wenig zahlreichen Landmiliz beftand das 
‚Heer aus geworbenen Leuten, die teils von der Regierung, teils von ben 
Gemeinden aufgebracht wurden und gewöhnlich auf drei oder ſechs Jahre 
Dienft nahmen. Die Kriegszucht war ftreng, ber Dienft ſchwer, daher 
Defertion häufig; nur harte Strafen hielten diefe Söldner zuſammen, 
die doch vor dem Feinde jo ruhmvoll fochten. Denn wen der innere 
Beruf zum Soldatenhandwerk fehlte, ben riß in der Schlacht das Bei— 
fpiel oder der angeftammte Kriegerfinn zu tapferer That fort. Auch die 
beſſere Bewaffnung hatte an den Erfolgen bes Heeres einen Anteil; an 
Stelle ber Pile und des Lumtenfchlofies traten in diefer Zeit das Bajonett 
und das franzöftfche Gewehrſchioß 

Schon als Kurfürft hatte Friedrich) mehr für den Glanz als für ben 
Nutzen gewirkt, als König leiftete er für die eigentliche Wohlfahrt feines 
Volles noch weniger. Er machte einige Anſätze dazu, den Anbau des 
platten Landes zu heben, aber fie waren ohne Energie und Erfolg; er 
verbot einmal feinen Amtleuten, die Bauern zu prügeln; aber wer ſah 
den Herren auf die Finger? Er feßte Preife zur Ausrottung der Wölfe 
aus, ſechs Thaler für einen alten, drei für einen jungen Wolf; aber er 
erließ zugleih, um feiner Prachtliebe zu fröhnen, Jagdgeſetze, welche die 
Schonung des Wildes anbefahlen und dadurch bewirkten, daß fi) na- 
mentlich die Wildſchweine zum großen Schaden des Aderbaues übermäßig 
vermehrten. Um feinen Jagden noch mehr Reiz zu geben, ließ er jogar, 
was fchon fein Vater einmal verjucht hatte, Elenne und Auerochſen aus 
Preußen nad) den Wäldern der Mark verpflanzen und verbot‘ fie zu 
ſchießen, wie er aud) die Biber an der Elbe ſchützte. Doc) hielten ſich 
die Elenne und Ure diesmal nicht beſſer als vordem; fie wollten fi in 
der Mark nicht einheimifch machen laffen. 5 

Was er für die Gewerbe that, beſchränkte fi) im Grunde auf die 
zahlreichen Einfuhrverbote augländifcher Waren und darauf, daß er die 
Alademie ber Wiſſenſchaften ermunterte, den Seidenbau zu pflegen, ben 
ein Franzofe im Jahre 1698 bei Berlin eingeführt hatte. Diefer neue 
Induftriezweig blieb indes ſehr unbedeutend. 

Bierfon, preub. Geſchichte. I. . 15 


226 Friedrich I. als König. 


Unter einer fo läffigen Regierung mußte ein plößlich hereinbrechendes 
Landesunglück befto verderblicher wirken. Ein ſolches traf nun in ben 
Jahren 1709—11 die öftlichen Teile des Staats, das eigentliche König- 
reich. Von Polen her wurbe dort die Peſt eingefchleppt und verheerte 
weit und breit bie Oftfeelande zwifchen der Memel und Oder. Andere 
Krankheiten — meift von Mangel und Elend bei Mißwachs und Ver: 
tehrsftodung erzeugt — gefellten fi Hinzu. Oftpreußen verlor durch 
alle dieſe Geißeln 236 000 Menſchen, ein Drittel feiner Bevölkerung; in 
Königsberg ftarben 7000 Menſchen, Litauen lag auf weite Streden wüſt. 
Einigermaßen half dann bie Natur, indem fie die Fruchtbarkeit ber 
Überlebenden vermehrte. Auch das polniſche Preußen und Pommern 
litten viel; in Danzig farben damals 32600 Menfchen; in Pommern 
waren mande Stäbte ganz verödet. Die Mark blieb von diefer Peft 
verſchont, hier hob fid) die Bevölkerung und zugleich der Wohlftand be- 
traͤchtlich — eine Folge ber ftarfen Einwanderung und bes gefteigerten 
Verkehrs, dem der Lurus des Hofes viel Nahrung gab. Man merkte 
dies befonders in Berlin, wo der Ertrag der Accife auf das Vier- und 
Fünffache, die Einwohnerzahl von 20000 auf 50000 ftieg, und An— 
bau und Verſchönerung, beſonders ber Friedrichsſtadt, gute Fortſchritte 
machten. 

Am meisten that Friedrich noch für Kunft und Wiſſenſchaft. Er 
ftiftete 3. 3. im Jahre 1700 zu Halle eine reformirte Schule, die 1712 
in ein Gymnafium verwandelt wurde, beichenkte die königliche Bibliothek 
fo reichlich, daß fie ſchon 1702 aud) im Auslande Ruf hatte, und war 
immer bereit, nad) Ludwigs XIV. Beifpiel, zur Unterftüßung von Ge— 
lehrten und Künftlern Geld zu fpenden. Die Duelle diefer Freigebigkeit 
war die Prunffucht, eben daher ſtammte wohl auch das neue Amt, mit 
dem er ben Staat bedachte: er feßte 1696 einen Benjor ein, ohne deſſen 
Zuſtimmung fortan Feine Drudichrift erfcheinen follte. Doch bedurften 
wenigftens die Märker in diefer Beziehung eher eines Sporns, als eines 
Baumes; denn noch immer war unter ihnen im Vergleich zu ben Bes 
völferungen des weftlichen Norddeutſchlands wenig geiftiges Leben zu 
merken; man kaufte und las felten ein Buch, am erſten noch religiöfe 
Schriften, mit foldhen wurden denn auch bie Druckereien, deren es nun 
in Berlin doch ſchon zehn gab, am meiften bejchäftigt. Für fie war freis 
lid) die Zenſur einigermaßen nötig. Denn noch immer herrſchte zwiſchen 
Kutheranern und Reformirten fein rechter Friede. Der Kurfürft verfuhr 
bier ebenjo, wie fein Water, dem er in ber Duldſamkeit und in ber 
Frömmigkeit gli. Auch er verjuchte die Reformirten und Lutheraner 
mit einander zu verfchmelzen, und er wurbe darin von den gemäßigten 
Zutheranern, bejonders von den Pietiſten, gut unterftüßt. In ihrem 


Tod König Friedrichs I. 227 


Sinne war es, daß er die Teufelaustreibung und die Privatbeichte für 
unverbindlich erklärte. 

Wenn Friedrichs I. innere Regierung nur wenig Verdienfte hatte, 
fo lag dies daran, Daß er fie ganz dem Grafen Wartenberg überließ, 
der die wichtigften Amter wiederum mit feinen Geſchöpfen befeßte. Alle 
diefe Günftlinge ſuchten einzig und allein ihren Privatvorteil und küm— 
merten fid) wenig um das Interefie des Staates. Erft gegen Ende feines 
Xebens gingen dem ſchwachen Könige über ihr Treiben die Augen auf, 
und auf Andringen des Kronprinzen ſchickte er (1710) das eine Haupt 
der Kamarilla, einen Grafen Wittgenftein, auf die Feſtung, das andere, 
Wartenberg jelbft, (1711) ins Ausland. Doc; gab er dem noch immer 
geliebten Günftlinge zugleich Beweife feiner Huld. Wartenberg und 
defien Frau mußten nad) Frankfurt a. M. ziehen, aber fie durften nicht 
bloß die Schäße, die fie in Berlin zuſammengebracht, mitnehmen, fondern 
es erhielt der Günftling jogar nod) ein Jahrgehalt von 24000 Thalern; 
indes ftarb er ſchon im März 1712. 

Auch in feiner Familie hatte Friedrich manchen Kummer; nad) dem 
Tode Sophie Charlottes (1. Februar 1705) und zweier Entel ließ er ſich 
bereben noch einmal zu heiraten; aber biefe dritte Gemahlin, Sophie 
Zuife von Medlenburg- Schwerin, eine frenge Lutheranerin, verbitterte 
ihm durch ihre religiöfe Unduldſamkeit das Leben. Sie verfant dann in 
Schwermut, die plöglic zum Wahnfinn umſchlug. In diefem Zuftande 
überfiel fie eines Tages den König in feinem Zimmer und erfchrecte den 
ſchon Fränklichen zum Tode; er glaubte die „weiße Frau“ gejehen zu 
haben, jenes Nachtgefpenft, welches, nad) der alten Sage, im Hohen⸗ 
zollernſchloß ericheint, wann immer bier ein Todesfall bevorfteht.*) Er 
ftarb am 25. Februar 1713, aufrichtig betrauert von feinen Untertanen, 
die den gutmütigen Fürften troß feiner großen Schwächen liebten und 
nachfichtiger über ihn urteilten, als die Nachwelt. Zur Anficht der Späs 
teren ſchadete e8 ihm, daß er „in der Geſchichte zwifchen einem Vater 
and einem Sohne fteht, deren überlegene Talente ihn verdunkeln.“ Aber 
auch in das günftigfte Licht geftellt, zeigt feine Regierung doch immer 


*) &8 follte der Geiſt einer Gräfin Kunigunde von Orlamünde fein, die aus Liebe zu 
dem Grafen Mbreät von Bollern (um 1350) ihre Kinder getötet Habe, aber, gerade um 
diefer Unthat willen von ihm veriämäßt, dann in Verzweiflung durch eigne Hanb geftorben 
fe. Aus Race gehe fie nun im Haufe der Bollern, Unheil verkündend, um. — Thatjache 
äft nur, daß Kunigunde, eine geborene Herzogin von Meran, bie Witwe bes Grafen Otto von 
DOrlamfinde-Plaffenburg, des lehten feine® Stammes, war, daß ihre Güter, darunter die 
Bloffenburg, fraft Erbvertrages an bie Burggrafen Johann IT. und albrecht von Nürnberg 
felen, und daß fie 1351 ftarb umd in ber alten Kloſterkirche bei Nürnberg begraben Liegt. 
Dort findet fid) noch ihr Denkmal; fte ift Im Gewande ber weiben Frauen von Gifterg (dev 
Kiftergienfer-Ronnen) abgebilbet, 

15° 


228 Friedrich Wilhelm J. 


einen häßlichen Flecken: daß er das Blut und das Geld feines Volkes 
aus Gitelfeit in fremdem Dienfte vergeudete. Giebt es für folchen 
Menſchenhandel überhaupt eine Entfhuldigung, fo ift es nicht die Sitte 
der Zeit, fonbern ber Preis, ben er befam, — die Königsfrone für 
Hohenzollern, ben Preußennamen für den Staat umd neuen Kriegsruhm 
für das Heer. 


ẽEriedrich Wilyelm J. 


Friedrich J. erzielte aus ſeinen drei Ehen nur ein ihn überlebendes 
Kind, den Kronprinzen Friedrich Wilhelm, den ihm ſeine zweite Gemahlin 
Sophie Charlotte am 15. Auguft 1688 zu Berlin gebar. Es prägte ſich 
ſchon in dem Knaben eine jehr beftimmte Eigenart aus, die von dem 
Weſen der Eltern weit abwich. Cr ſtrohte von Gefunbheit und Kraft, 
aber auch von unbänbdiger Heftigleit und hartköpfigem Eigenfinn; in 
allen körperlichen Übungen, vorzüglic in denen, bie zum Kriegsdienft ger 
hörten, that er e8 allen Alterögenofien zuvor; aber feine geiftigen Fähig- 
keiten beichräntten fi), wie es ſchien, auf gefunden, berben Menfchen- 
verftand. Gerab ımd wahrheitsliebend, fchlicht und einfach, haßte er nicht 
nur das Gefünftelte und Formelhafte, fondern auch Kunft und Wifjen- 
ſchaft, fofern fie nicht handgreiflich müßten und von ſelbſt einleuchteten. 
Das geiftreiche und gelehrte Wefen feiner Mutter machte auf ihn ebenjo 
wenig Eindruck, wie der zeremoniöfe Prunk feines Vaters; er veradhtete 
beides, und feine Erzieher verftanden es nicht, feinen Billen zu beugen. 
Sehr frühzeitig, ſchon in feinem neumgehnten Jahre (am 14. Rovember 
1706), war er verheiratet worben, und feine Frau — e8 war Sophie, 
Tochter des Kurfürften Georg I. von Hannover, fpäteren Königs von 
England — bejaß, obgleid, ein Jahr älter (geboren am 26. März 1687), 
doch fein Herz ftets ungeteilt; aber einen fänftigenden Einfluß auf fein 
bärenhaftes Weſen hatte aud) fie nicht in erheblichem Grade. So blieb 
er geiftig ungebildet und fittlich roh. Aber in diefer harten Schale lag 
ein Kern deutſcher Biederfeit und Rechtichaffenheit, und wenn er das 
Schöne und Angenehme, das Erhabene und Ideale nicht zu würbigen 
wußte, fo verftand er ſich um fo befier auf das Nügliche. 

Kaum hatte fich Friedrich Wilhelm von dem Leichnam feines Vaters 
erhoben und den kindlichen Schmerz zurückgedrängt, jo fchritt er raſch 
durch die Scharen der Höflinge in fein Zimmer, ließ fi die Lifte der 
Hofbeamtenfchaft geben und durchſtrich fie von oben bis unten. Die 
ganze bisherige Wirtfhaft mit ihrem glänzenden Flitter, ihrer verſchwen⸗ 
derifchen Pracht hörte auf; von 100 Kammerherren blieben nur zwölf; 
ohne Rüdfiht und Schonung, ohne Anfehen ber Perſon wurden alle 
Befoldungen und Gnadengehälter, die er für überfläffig oder zu hoch 


Charalteriſtit. 229 


hielt, geftrichen oder verkürzt. Das Leichenbegängnis feines Water war 
das legte Vrachtfeft, welches er duldete; fortan wurbe der Hof auf ben 
einfachften, jchlichteften Fuß gefeßt und Sparjamkeit die Lofung. Die 
Reſidenz nahm ein anderes Geficht an; ernfte Stille auf den Gaflen, 
rührige Emfigfeit bei der Arbeit; die Freude wagte jelbft in ben Häufern 
kaum fic laut zu äußern. Bald merkte das ganze Land, daß mit dem 
neuen Könige eine neue Zeit gefommen war. Schien es nicht, als ob 
ein Spartaner den Thron beftiegen? Ein ftämmiger, handfeſter Mann, 
nicht hoch von Wuchs und einigermaßen wohlbeleibt, aber robuft und feft 
wie ein Turm, das blühende Geficht ernft, aufrichtig, gebieteriſch; die 
großen grauen Augen ftandhaft, wachſam und glänzend von beftänbigem 
Feuer und Leben; ftarfe Baden und Kiefern, die blonden Hare in einen 
langen, ftarfen Zopf gebunden, das Ganze ein Bild derbfter Gefundheit, 
entichlofienfter Kraft — jo war Friedrich Wilhelms äußere Erſcheinung, 
und fie fpiegelte feinen innern Menſchen wieder. Faſt konnte es feinen 
ſchrofferen Gegenja des Charakters geben als zwiſchen Friedrich I. und 
feinem Sohne. Jener gutmütig und ſchwach und ein Verehrer bes 
glänzenden Scheins; dieſer unerbittlich, von rückſichtsloſer Energie, ein 
Veibenfchaftlicher Vertreter des Weientlichen. Und das Weſentliche ſah er 
allein in dem unmittelbar Nüplichen. Hurtige, raftlofe Thätigfeit, Orb» 
nung in den Geichäften, Ehrbarfeit und Mäßigkeit im Leben verlangte 
er von den Unterthanen und war darin felber ein Mufter. Er faßte das 
Königtum auf als ein Amt, ihm von Gott gegeben, bie Faulen und Uns 
gerechten zur Arbeit und Rechtſchaffenheit anzuhalten, jeden in feinem 
Kreife, den Privatmann wit den Beamten. Sic bewußt, das Rechte zu 
wollen, bielt er ſich felbft für das Fleiſch gewordene Recht, und jeder 
Widerſpruch, gejchweige ein Widerftand gegen feinen Willen erſchien ihm 
als Bosheit oder Thorheit; er zerbrach ihn mit eiferner Yauft. So war 
er ein Despot, body felten ein ungerechter; denn fein natürlicher Verſtand 
Vieß ihm faft immer das Richtige treffen. 

Raub und derb griff er den Staat an, ri ihm ben Fiittertand 
eines prachtvollen Hofitants ab, der am Marke des Landes gezehrt hatte; 
aber dafür verftärkte er die wahren Machtmittel. Das junge Königreich) 
ftand dem Namen nad) ebenbürtig neben den alten, aber was bebeutete 
Preußen mit feiner Meinen Armee und feinem zerſtückelten Gebiete, feinen 
par Millionen Einwohnern und faum 30000 Soldaten neben den ber 
nachbarten Großſtaaten Öfterreih, Rußland, Frankreich, die Heere von 
100000, 130000, 160000 Mann unterhielten? Sollte es mit Ehren 
eine Rolle in Europa fpielen, fo mußte es feine Kräfte aufs äußerfte an- 
fparmen und aufs forgfältigfte zu Rate halten, um feine militärtfchen 
Reiftungen fehr beträchtlich fteigern zu können. Es fam darauf an, daß 
der Staat möglichft viel Soldaten und Geld habe; danad) richtete 


230 Friedrich Wilhelm I. 


fi) fein Anfehn und feine Geltung in der Well. Das Kriegswejen und 
das Finanzwejen waren daher für Friedrich Wilhelm die allerwichtigfter 
Angelegenheiten; ihnen widmete er fid) mit bem ganzen Eifer feiner ener= 
giſchen Natur. Er hatte übrigens für fie eine angeborne Vorliebe; ſchon 
als Knabe ergögte ihn nur das Soldatifche, und er galt früh für geizig. 
Seine Neigungen und feine Überzeugungen trieben ihn alfo in biejelbe 
Bahn; auch feine Talente lagen in derſelben Richtung. Sie waren 
groß, aber durchaus praktiſch; feinem Scharfblick entging nicht bie Meinfte 
Unebenheit ober Unregelmäßigfeit im Heerweſen wie im Getriebe der 
inneren Verwaltung; er fah jeben blinden Knopf im Heere und jeben 
falſchen Voften in den Rechnungsbüchern; wußte mit ungemeinem Ge— 
ſchick nicht bloß den alten Beſtand beſſer zu ordnen, fondern auch neue 
Geldquellen und Regimenter zu jchaffen, bie neuen und alten aber zu 
einer vorzüglichen Kriegsmaſchine auszubilden; denn er war ein ebenfo 
guter Ererziermeifter wie Hauswirt. Auch gedachte er nicht, feine Aufe 
gabe, feinen Beruf in fremde Hände zu legen; er felbft, der König, ſah 
und bearbeitete alles im Staat. „Saget dem Fürſten von Anhalt", fo 
äußerte er fich gleich nad) feiner Thronbefteigung, „daß ich felbft der 
Finanzminifter und Feldmarſchall des Königs von Preußen bin; das 
wirb den König von Preußen aufrecht erhalten.“ 

Mit der alten Günftlingsherrihaft war es aus; der König, der 
alles Recht des Staates in fih fühlte, war auch aller Pflicht eingeben. 
Er arbeitete, — nicht wie die meiften anderen Könige zum Schein, 
ſondern wirklich. 

Nur auf die auswärtigen Angelegenheiten verftanb er fid) wenig. 
Es mangelte ihm die nötige Kenntnis der europäifchen Staatsverhältnifle, 
vor allem aber die diplomatiſche Kunft, feine Gedanken zu verſtecken und 
gewandt zwifchen ben wiberftreitenden Interefien des Auslandes ſich nad) 
dem feften Ziele des eigenen Vorteils Hindurd) zu winden. Er war zu 
offen und ehrlich, um felbft in einer guten Sache heucheln zu Können; fo 
wurde er von dem verfehlagenen fremden Diplomaten leicht hintergangen 
und außgebeutet. Gein Herz gehörte Deutſchland und dem Kaiſer; er 
haßte alle Ausländerei gründlich, am meiften aber die Franzoſen. Daß 
er unter dieſen Umftänden doc erft fpäter in das Schlepptau ber ſchlauen 
öſterreichiſchen Politik geriet, daß bie auswärtigen Geſchäfte Preußens 
anfangs mit Umficht und gutem Erfolg betrieben wurden, verbantte ber 
König dem Augen und geſchickten Minifter Ilgen, den er am ihrer 
Epige vorfand und beließ. 

Zwar durfte auch Ilgen nicht jelbftändig verfahren, aber Friedrich 
Wilhelm war verftändig genug, feinen Rat in der Regel zu befolgen. Es 
war dies um fo nötiger, als der Staat gerade bei feinem Regierungs- 
antritt ſich nach außen hin in fehr ſchwierigen Verhältnifien befand. Noch 


Friede zu Utrecht. 231 


war ber ſpaniſche Erbfolgefrieg im Gange, und der nordiſche Krieg 
Ioderte eben wieder in größter Nähe auf. Friedrich Wilhelm hatte feinen 
Grund den erfteren fortzuſetzen; er ſchloß ſich vielmehr den Mächten an, 
die zu Utrecht über den Frieden verhandelten. Es lag ihm nur daran, 
für die großen Opfer an Gelb und Blut, welche fein Vater in diefem 
Kriege gebracht, einige Entſchädigung zu erhalten; dieſelbe wurde ihm 
aud durch Englands Unterftügung gegen den Willen Hollands und 
Oſterreichs zuteil. Preußen erhielt in dem utredhter Frieden (11. 
April 1713) das bisher zu den fpanifchen Niederlanden gehörige Ober- 
Geldern (an der Maas); dagegen verzichtete Friedrich Wilhelm, als er 
am 15. Mai 1713 dem Frieden beitrat, auf die Teile der oranifchen 
Erbſchaft, die in Frankreich lagen, namentlich auf das Fürftentum Orange, 
deſſen Zitel er indeflen fortführte. Auch wurde jegt die preußifche Königs- 
würde von Frankreich und Spanien anerkannt. 

Erwägt man, daß Friedrich I. fraft des Kronvertrags nur verpflichtet 
gewefen, dem Kaifer 8000 Mann Hilfstruppen für ben Erbfolgefrieg zu 
ftellen, daß er aber ftets weit mehr geleiftet, fo war der Erfaß, den der 
utrechter Frieden gab, doch nur geringfügig. Dber-Geldern, oder wie es 
eigentlid) feit 1339 hieß, das Herzogtum Geldern hatte fruchtbaren Boden 
und eine gewerbfleißige Bevölferung, aber nur geringen Umfang (22 Dua- 
dratmeilen mit 50 000 Einwohnern). 

Das letzte Stüc der oraniſchen Erbſchaft, welches dem König von 
Preußen noch zufam, die Baronie Herftal im Bistum Lüttig, brachte 
Friedrich Wilhelm bald darauf mit Gewalt an fi, wie er auch fonft 
fein Recht ohne viel Federleſens durchſetzte, wo er die Macht dazu hatte. 

Nachdem die Seemächte vom Kampfplage abgetreten waren, fehlten 
dem Kaifer die Mittel, die bisher von jenen befoldeten Truppen weiter 
zu unterhalten; er war außer Stande, allein die ſpaniſche Monarchie den 
Tranzofen abzunehmen; aud) Preußens vertragsmäßige Hilfe hätte dazu 
nicht genügt. Karl VI. fügte fid) daher in das Unvermeidliche und 
ſchloß im März 1714 zu Raftatt für feine Erblande, im September 1714 
zu Baden für das beutfche Reich Trieben, indem er die Bedingungen 
des utrechter Friedens annahm. Kraft desſelben wurde das ſpaniſche 
Erbe geteilt: der Bourbon Philipp V. behielt Spanien mit den Kolonien, 
der Habsburger Karl VI. erhielt die Nebenländer, Belgien, Mailand, 
Neapel, Sardinien (das er fpäter an Savoien für Sizilien abtrat). Das 
deutſche Reich fuhr dabei am übelften; für alle Leiden des langen Krieges, 
in den es die habsburgiſche Hauspolitik geftürzt, empfing es nicht den 
geringften Erſatz. Die Jeſuiten am wiener Hofe verhinderten jogar, daß 
die ſchmähliche Klaufel des ryswicker Friedens, welche den pfälzifchen 
Proteftanten jo ſchweres Unrecht that, zurückgenommen wurde. Deutfch- 
land hatte wieder einmal für das Haus Habsburg feine Haut zu Markte 


232 Friedrich Wilhelm I. 


getragen und dieſem große neue Befigungen erkämpfen helfen, fich ſelbſt 
aber Schimpf und Schaden geholt. Es war ein Glück, daß menigftens 
der Norboften, Preußen, jein Interefje wahrnahm. Diejer Staat leiftete 
denn auch im nordifhen Kriege, indem er zunächſt für fich ſelbſt 
arbeitete, ber gemeinfamen deutſchen Sache die erheblichften Dienfte. 
Während Karl XII. in ohnmächtigem Trotze nod) immer in ber 
Türkei verweilte, machten die nordifchen Verbündeten, Rußland, Polen 
und Dänemark, alle Anftalten, den Schweden auch diejenigen Feſtungen 
zu entreißen, bie fie noch in ihren deutſchen Provinzen beſaßen. Beibe 
Teile lagen dem Könige von Preußen an, fi) in ben Streit hineinzu⸗ 
mifchen. Triedrid) Wilhelm meinte es anfangs gut mit Schweben; er 
war nicht willens, von defien Unglüd Nußen zu ziehen. Anbererfeits 
fühlte er feinen Beruf, ſich für fremde Interefien zu opfern. Er wünſchte 
parteilos zu bleiben, vor allem aber den Krieg vom beutjchen Boben 
fortzubannen. Er erbot ſich daher, die ſchwediſchen Feftungen in Deutſch⸗ 
land, namentlid; Stettin und Wismar, mit feinen Truppen zu beſetzen 
und für Karl XII. bis zum Srieden zu verwahren; ber Krieg follte fi) 
auf die außerdeutfchen Länder befchränfen. Damit waren alle einverftan- 
den, aud) die ſchwediſchen Bevollmächtigten; nur Karl XIT. nicht. Run 
rückte (im Juli 1713) ein ruffifches Heer von 24 000 Mann durch Med- 
lenbutg in Pommern ein, verheerte das Land, verbrannte die Stadt 
Garz und belagerte Stettin. Wermittelft ſächſiſchen Geſchützes, welches 
der König Auguft geſchickt hatte, wurde die Stadt im September bom ⸗ 
barbirt, und ihr Befehlshaber machte, um fie zu retten, den Vorſchlag, 
daß fie bis zum Frieden neutral fein und gemeinfchaftlich vom Herzog 
von Holftein, dem Schwager Karls XII., und von dem Könige von 
Preußen befeßt werben folle. Friedrich Wilhelm ging mit Freuden 
darauf ein; derm es lag ihm alles daran, die Ruſſen ſich nicht in PBoms- 
mern einmiften zu laſſen. Daher begab er fid eilig nah) Schwedt, wo 
fi) der ruſfiſche Minifter und Feldherr Mentſchikow aufhielt, und ſchloß 
bier mit diefem und dem General Flemming, bem Bevollmächtigten des 
Königs Auguft, am 6. Oktober 1713 einen Vertrag, nad) welchem er an 
Rußland umd Polen 400 000 Thaler Belagernngstoften zahlte, dagegen 
follten ihm alle ſchwediſchen Feftungen in Deutihland, zunächſt Stettin, 
ala Sequefter, d. h. in Verwahrung bis zum Frieden, übergeben 
werben. Demgemäß rücte am folgenden Tage eine preußiſche Befagung 
in Stettin ein, die Rufſen und Sachſen aber räumten Pommern. Ob— 
wohl nun ber ſchwedter Vertrag für Karl XI. wirffid) vorteilhaft war, 
fo weigerte fi) der eigenfinnige und mißtrauifche Fürft dennoch, ihn an⸗ 
zuerkennen. Dadurch aber wurde Friedrich Wilhelm ganz in das Lager 
der Verbündeten getrieben; denn da er num fürchten mußte, feine 400 000 
Thaler und fonftigen Koften nicht wieder zu erhalten, fo trat er dem 


Krieg mit Schweden. 233 


Bündnis der Feinde Schmwebens bei und machte mit Peter I. insgeheim 
ab, daß im fünftigen Frieden Stettin und die Odermündungen an 
Preußen, Ingermannland und Karelien aber an Rußland kommen follten 
(12. Juni 1714). 

Die ſchwediſchen Angelegenheiten ftanben ſeitdem hoffnungslos, zus 
mal da auch Georg I. von Hannover, feit 1714 König von England, 
eine drohende Stellung einnahm. In Schweden dachte man ſchon daran, 
Karl XU. zu entthronen. Da endlich verließ diefer die Türkei und er- 
ſchien nad) einem Ritte von 14 Tagen ımerwartet in Stralfund (22. 
November 1714). Bon bier aus forderte er Friedrich Wilhelm I. auf, 
ihm Stettin zurüdzugeben, indem er fo that, als habe Preußen aus jenem 
Bertrage gar Fein Recht. Aber Friedrich Wilhelm, der für fein Gelb 
beforgt war, aud) um feinen Preis die Ruſſen ober Polen an der Obder- 
mönbung dulden wollte, beſchloß nun, den für feinen Staat jo wichtigen 
Befiß nicht wieder aufzugeben, und als dann Karl fein Recht mit Gewalt 
verfocht und die Injel Uſedom befeßte, die nach preußifcher Erflärung 
zum Sequefter gehörte, zog er gegen Schweben das Schwert (April 1715). 

Der Ausgang des Kampfes Tonnte kaum zweifelhaft fein. Karl XIL 
verteidigte fi) in Stralfund mit aller Tapferkeit gegen das verbündete 
Heer ber Preußen, Dänen und Sachſen; aber die Übermacht war zu 
groß. Nachdem die Preußen durch die Eroberung Wfeboms und ber 
peenemänber Schanze die Waſſerwege für das ſchwere Geſchütz freige- 
macht, nachdem fie dann unter Leopold von Deſſau (15. November) 
Nügen eingenommen unb Karl XIT., der zur Rettung der wichtigen 
Inſel aus Stralfund herbei eilte, zurücgefchlagen hatten, Tonnte dieſes 
legte ſchwediſche Bollwerk in Ponmern fid) nicht länger halten, Karl 
entfloh nach Schweden, und Stralfund ergab ſich (23. Dezember). Im 
nädjften Frühling verloren die Schweden auch Wismar, welches in die 
Gewalt der Dänen und Hannoveraner geriet, und fie befaßen num in 
Deutſchland Teinen Plaß mehr. Karl XII. bot die lehte Kraft feines er- 
ſchöpften Neiches auf, unternahm jeßt einen neuen Feldzug gegen das 
daniſche Rorwegen, aber er fand bier (1718) nicht die gejuchte Rache, 
fondern ben Tod. . 

Imdefien war im übrigen Europa an die Stelle der Kriegsunter- 
nehmungen ein Spiel diplomatifcher Verhandlungen getreten, bei welchem 
fi) das Verhältnis ber einzelnen Staaten zu einander fortwährend nad) 
Zaune ober Berechnung veränderte. Das nordiiche Bündnis lockerte fich 
dabei; man verfuchte ganz neue Kombinationen. Der Aufſchwung ber 
ruſſiſchen Macht an der Dftfee beeinträchtigte Polen und erfchredte die 
Seemächte, aber der Weg zur Niederhaltung Rußlands fchien über 
Preußen gehen zu müſſen. Diejer kriegsmächtige Staat war überdies 
den hannöverjchen Welfen, den fatholifchen Wettinern und ben Habs— 


234 Friedrich Wilhelm I. 


burgern gleihmäßig im Wege. Sie faßten den Plan, ihn in großem 
Maßftabe zu berauben; Georg I., Auguft IT. und Karl VI. ſchloſſen zu 
diefem Zweck am 5. Januar 1719 zu Wien einen Vertrag; nachdem 
Preußen niedergeworfen, follte e8 an Hannover feine weftlichen Provinzen, 
an Polen feine Souveränität verlieren. Die Nachricht von Karls XII. 
Tode änderte indes die Stimmung der englifhen Staatsmänner, und 
der Vertrag blieb auf dem Papier. Doc) erhielt der bedrohte König 
davon Kunde. Schon 1718 war ein ungariicher Edelmann Namens 
Kiement, vordem ein politifcher Agent des wiener Hofes, nach Berlin ge⸗ 
kommen und hatte dem Könige, indem er Wahres mit Erlogenem mifchte, 
eine furchtbare Verſchwörung enthüllt: der ganze Hof fei von dem Kaifer 
und dem Polenkönig gewonnen; man wolle ihn, den König, auf ber 
Jagd aufheben, ben Kronprinzen Tatholifc erziehen lafien und unter 
kaiſerlicher Vormundſchaft auf den Thron fegen. Zum Beweife brachte 
er gefäljchte Briefe des Prinzen Eugen und anderer bedeutender Männer 
zum Vorſchein. Friedrich Wilhelm glaubte ihm und verfiel in finftere 
Schwermut, lange Zeit fprad) er mit feiner Umgebung fein Wort, legte 
fid) nie fehlafen, ohne geladene Piftolen zur Hand zu Haben; endlich 
wagte es Leopold von Defjau, ihn um die Urfache feines Kummers zu 
fragen; es fam zu Erörterungen, die damit endeten, daß Klement feinen 
Betrug geftand und (1720 zu Berlin) aufgehängt wurde. Aber fo viel 
Wahres war allerdings an feinen Erzählungen geweſen, daß Hannover, 
Sachſen und Hſterreich, wenn auch nicht gegen die Perfon des Königs, 
ſo doch gegen den preußiichen Staat ein Attentat beabfichtigt hatten*). 
Kein Wunder aljo, daß der König die Freundſchaft des einzigen ver- 
bünbeten Hofes, ber e8 wirklich mit ihm gut zu meinen fchien, des ruffie 
ſchen, nody mehr als bisher fuchte; der Rüdhalt an Rußland nüßte ihm 
überdies, wenn Schweden etwa den Krieg in Deutjchland erneuern follte. 
Daran dachte num freilich) Die ſchwediſche Regierung feineswegs; die 
Königin Ulrike Eleonore, Schwefter und Nachfolgerin Karls XII, beeilte 
fich vielmehr um jeden Preis Frieden zu ſchließen. Mit Preußen kam 
derjelbe am 1. Februar 1720 zu Stodholm zuftande; Friedrich Wil- 
heim zahlte danach an Schweden zwei Millionen Thaler und vermittelte, 
daß es Wismar und Vorpommern weftlic der Peene wieber erhielt, da⸗ 
gegen trat Schweden den Strich VBorpommerns zwiſchen Peene 
und Oder, alfo Stettin, bie Odermündungen, Uſedom und 
Bollin, auch Damm und Gollnomw an Preußen ab. Im nädjften 
Jahre erfolgte die feierliche Huldigung diefer Landſchaft. 

So war e8 Friedrich Wilhelm I. geglüct, zu erreichen, was einft 
der große Kurfürft vergebens erjehnt hatte: Stettin und bie untere Oder 


*) Droyfen i. d. Beitirift f. preuß. Geſch. V. 10. ©. 635 ff. 


Friedrich Wilhelms I. Staatsvermaltung. 235 


bis ans Meer waren dem Auslande abgerungen, waren preußiich, — 
für den Staat, für ganz Deutjchland ein großer Gewinn. Denn mit 
diefen 94 Duadratmeilen fruchtbaren Bodens kam zugleich wieder ein 
Teil des Ternhaften pommerjchen Volles an das Vaterland zurüd, und 
in Stettin hatte Preußen nun einen Fuß am Meere, um an dem Welt 
handel ganz anders als bisher Anteil nehmen zu können. Die gebrachten 
Opfer waren im Vergleich damit fehr gering; dieſe Ermerbung, bei ber 
es fi) im Grunde mır um ein feſtes Zugreifen gehandelt, koftete faft 
nur Gelb, im ganzen an fieben Millionen Thaler; aber fie war Doch 
eben nur für einen Staat möglid) gewefen, ber einen gefüllten Schatz 
und ein tüchtiges Kriegsheer befaß, und Zriebric Wilhelm hatte das 
Verbienft, vom erften Tage feiner Regierung an biefe beiden Macht» 
mittel ganz ungemein vermehrt zu haben. Auch in Zukunft rüftete er 
fein lebelang fo eifrig, als ob es jeden Augenblick losgehen folle. Er 
machte Preußen ganz eigentlich zu einem Militärftaat, ohne doch defien 
toftbare Kräfte durch einen Krieg ferner aufs Spiel zu fegen; er ſchien 
das Gewehr immer anzulegen, ohne abzudrüden. Aber durch feine Arbeit 
find jene Mittel gejhaffen worben, die nachher in Friedrichs des Großen 
genialer Hand fo Unerhörtes wirkten. Diefe Arbeit, die merkwürdige 
Leiſtung eines praftiichen Genies, ift zugleich der Hauptinhalt von Frieb- 
rich Wilhelms nüßlichem Leben. 


Sriedric Wilhelms I. Staatsverwaltung. 


Das deutſche Volt war feit dem 3Ojährigen Kriege immer tiefer in 
Knechtſchaft geſunken; faft überall! wurden die Stände, die ihm früher 
nod) einen Schein von Freiheit bewahrt hatten, die gehorfamen Diener 
der Zürften; wo fie aber Macht behielten, bemußten fie biefelbe haupt» 
ſächlich im Intereſſe des Adels. Der Unterfchieb in den einzelnen Landen 
war nur, daß in einigen ber Adel mehr, in anderen weniger Vorrechte 
befaß; die Maffe des Volks hatte überall bloß zu gehorchen. Sie konnte 
es ſchon als einen Gewinn betrachten, wenn fie ftatt vieler Herren einen 
erhielt, fie mußte in der abfoluten Monarchie um fo mehr ihr Heil finden, 
wenn an ber Spitze ein mohlgefinnter Despot ftand. So war es in 
Preußen. Friedrich Wilhelm I. faßte die unumſchränkte Gewalt, die er 
von feinem Vater und Großvater geerbt, in ber allerweiteften Bedeutung 
des Wortes auf. „Ich bin König und Herr und kann machen, was ich 
will”, fagte er und duldete feinen Widerſpruch. „Räfonmir er nicht!“ 
war die barſche Antwort, mit der er jeden Einwand nieberichlug. Er ver- 
langte und erzwang unbedingten Gehorfam. Aber in der Art, wie er 
die unumfchränfte Gewalt handhabte, und in ber Richtung feines Willens 


236 Friedrich Wilhelms I. Staatsverwaltung. 


lag etwas Demokratiſches. Schon fein Privatleben zeigte in feiner 
Schlichtheit und rohen Tugend jenes altrömifche republikaniſche Wefen, 
das fein Sohn an ihm rühmt*). Friedrich Wilhelm richtete feinen Hof 
einfach bürgerlich ein; ftatt Prachtgewänder, melde die alte ſpaniſch- 
burgundiſche Etikette dem Fürften damals vorfchrieb, trug er zuerft im 
Europa als König ben einfachen Soldatenrock; auch in Speiſe und Ge— 
rät, in Rebe und Sitte war er wie ein Soldat ober Bürgersmann, ſchlicht 
und recht, ohne Förmlichkeit und Komplimente; und die ftrenge Sittliche 
keit, die er bei ben Seinigen einführte, mußte jeden ehrbaren Hausvater 
ſehr erbauen. Als Herrſcher ging er jelbft ganz tm Dienfte des Staates 
auf. Sein Grundſatz war: dem Wohle des Ganzen müſſe ſich jeder Ein- 
zelne unterorbnen. Er that es felbft. Vom frühen Morgen war er auf, 
feines Amtes zu warten, und gönnte ſich kaum die einfachften Bequem- 
lichkeiten; raſtlos war er bald hier, bald dort, um überall nad) dem 
Rechten zu fehen; er kümmerte fi) um das Kleinſte. Unabläffig über 
wachte und trieb er die Beamten, daß fie ebenfo eifrig wie er ihre Pflicht 
thäten. Sein Auge und feine Fauft waren überall, vom oberften bis 
zum niedrigften zitterten alle vor ihm. Ebenſo derb und grob fuhr er 
den Offizier an wie den Gemeinen, den Minifter wie den Schreiber, wo 
einer feine Schuldigfeit nicht that oder nicht zu tun fehien. Ohne Ums 
ftände ſchickte er den Stantsminifter, der ſich verging, auf die Feftung, 
wie er ben Thorfchreiber in Potsdanı, der die Bauern am frühen Mor: 
gen vor dem Thore warten ließ, mit ben Worten: „guten Morgen, 
Herr Thorſchreiber!“ eigenhändig aus dem Bette prügelte. Sein Ver- 
fahren wurde freilich bei feiner natürlichen Heftigfeit oft hart und tyran« 
niſch, aber e8 brachte die Staatsmaſchine in trefflichen Bug, und fein 
ſchwerer Arm beugte den Edelmann fo gut wie die andern Unterthanen 
ins Staatsjoch. 

Denn wie er vom ganzen Volke dieſelbe Schlichtheit und Arbeitfam- 
feit verlangte, die er felbit bewies, jo forderte er auch von allen Ständen 
ohne Unterſchied Die gleiche Hingabe an ben Staatäwillen. Daher brüdte 
er dem Adel den Daumen feit-aufs Auge, und bie Steuerfreiheit, die 
berjelbe für ſich und feine Güter genoß, wurbe jeßt zum Nuben des 
Staats durchbrochen. Es erſchien (am 5. Januar 1717) eine Verordnung, 
die alle Adels, Schulzen- und Bauern-Lehngüter im Lande zu Allodials 
und Erbgütern erflärte, das „Lehnpferd“ aufhob und dafür einem jeden 
Rittergut eine fefte Steuer von 40 Thalern, einem jeden Schulzen- und 
Bauerngut eine verhältnismäßig geringere Abgabe auferlegt. Gegen 
dieſe Verfügung, die freilich ganz revolutionär war und den Feudalſtaat 
an der Wurzel untergrub, erhob fid) unter der Nitterfchaft ein großer 


*) Oeuvres de Frederic le Grand, Berlin, 1846. I. 126. 


Der abfolute Selbſthertjcher. 237 


Anwille. Sie wollte nicht, wie ein gewöhnlicher Unterthan, Abgaben 
zahlen. Sie war feit Errichtung der ſtehenden Heere in doppelter Weife 
bevorzugt worden: erftens nämlich trug fie wegen ihrer Steuerfreiheit 
nicht die Laft der Heerestoften, die vielmehr von dem übrigen Volke, bes 
züglich von den Hinterfafien des Adels, aufgebracht wurden; und zweitens 
erhielt der Adel die meiften Offizierftellen und damit eine gute Verforgung 
durd) eben jenes Heer, welches Bürger und Bauer unterhalten mußten. 
Bon biefen Vorrechten wollte nun der Abel keins aufgeben. Friedrich 
Wilhelm I. ſetzte aber feinen Willen durch. Zuerſt fügte ſich die Ritter 
ſchaft in der Mark; anberwärts wiberftand fie länger; bejonders hart⸗ 
nädig zeigte ſich Die magbeburgifche; fie verffagte den König beim Reichs- 
hofrat in Wien (1726), ber ihr denn auch Recht gab umb dem Herzog 
von Magdeburg bei Androhung kaiſerlicher Ungnade und Exekution ges 
bot, fein ungefehliches Verfahren einzuftellen. Aber der König vom 
Preußen kümmerte fid) um biefe Drohung nicht, fondern zwang durch 
militärifche Beitreibung der Steuer den widerjpenftigen Adel fein Bor«- 
recht fahren zu lafien. Ebenſo vergeblidy. ftemmte ſich der Abel ber 
Provinz Preußen gegen ben Willen des Königs. Friedrich Wilhelm 
zerbrach die alten Rechte rüdfichtsloes, wo fie mit dem Staatswohl in 
Widerſpruch ftanden. Er ſprach dies kurz und bündig und ſehr berb 
felber aus. Zugleich mit jener Grundſteuer führte er ftatt mehrerer 
alter unzwedlmäßiger Abgaben einen feften Hufenſchoß ein, der ebenfalls 
den Adel traf, wem auch zunächſt nur defien Bauern. Der Feld⸗ 
marſchall Graf Dohna proteftirte dagegen im Namen ber oftpreußifchen 
Landitände. Diefe Neuerung fei landesverderblich und höchſt bedenklich; 
„tout le pays sera ruine“ hieß es in biefer franzöftich abgefaßten Be— 
ſchwerde. Der König fehrieb fpöttifch an den Rand: „tout le pays 
sera ruine?“ Nihil Kredo, aber das Kredo, daß die Jun— 
ters ihre Autorität Nie pos volam wird ruinirt werben. 
Ich ftabilire die Souverainete wie einen Rocher von 
Bronce.“ Er fpielte damit auf das liberum Veto des polniſchen 
Adels an: nie pozwalam, d. h. ich erlaube es nicht! Und in ber That 
hatte der preußiſche Adel von jeher viel Luft, ein Zunterregiment wie in 
Polen aufzurichten. 

Aud) die Geburtsvorrechte des Adels beachtete Friedrich Wilhelm 
wenig. Als ein Mlevifcher Freiherr ſich darüber beſchwerte, daß ein ge 
wiffer v. Pabft, der von geringerem Adel war, in der Kirche einen vor⸗ 
nehmeren Sit einnehme, ſchrieb der König zurüd: „Diefes fein Thorbeit, 
in Berlin ift fein Rang, tn Kleve mus feiner fein. wen Pabft über mir 
ſitzet in der Kirche fo bleibe ich doch was ich bin, mein extraction bleibt 
allezeit." Nach dieſem vorurteilsfreien Grundſatz richtete ſich Friedrich 
Wilhelm auch bei der Wahl feiner Beamten. Es galt ihm dabei gleich, 


238 Friedrich Wilgelms I. Staatsverwoltung. 


ob jemand adlig oder bürgerlich) war, auch zwifchen Lutheranern und 
Reformirten machte er feinen Unterſchied; er bejeßte die Stellen nach der 
Tüchtigkeit. 

Der große Kurfürft hatte die Verwaltung zentralifirt; unter feinem 
Nachfolger war fie lockerer geworben; Friedrich) Wilhelm I. zog bie 
Bügel wieder feft an. Er verband unb ordnete die Gefchäfte plan- 
mäßig, verteilte fie unter beftimmte Abteilmgen, deren Xeiter das 
Staatsminifterium bildeten. Er felbft mit zwei Kabinetsräten war der 
Mittelpunkt; alles und jedes, was im Staate vorging, follte ihm be— 
richtet werben, und er erteilte auf ben Bericht allemal kurz und beftimmt 
Beſcheid. 

Kein Zweig der Verwaltung war unter Friedrich J. ſo vernachläſſigt 
worden, wie das Finanzweſen. Es war hohe Zeit, daß hier Ordnung 
und beſonders Sparſamkeit eingeführt wurde. Freilich ging Friedrich 
Wilhelm I. dabei vielfach in das andere Außerſte über; er war in 
mancher Hinficht geradezu geizig. Er ſchien dann das Geld nicht bloß 
als Mittel, fondern auch als Zweck zu lieben. Sein Hof empfand das; 
der König ſchaffte allen Lurus ab, ließ ſich täglich ben Küchenzettel vor⸗ 
legen, ſtrich ober verkürzte zu teure Speifen; dod) hielt er auf anftändige 
Küche, jo etwa wie damals ein wohlhabender Bürger oder Gutsbefitzer 
zu fpeifen pflegte. Dagegen ließ er fi) manchmal von Miniftern und 
Generalen zu Tiſche bitten und aß dort gern die toftbaren Gerichte 
und Saucen, die er fich jelbft an feinem Tiſche verfagte. Indeſſen der 
Staat hatte den Vorteil von feiner Sparſamkeit. Zu wirklich nützlichen 
Ausgaben, wenn fie das materielle Wohl des Landes weſentlich förberten, 
hatte und gab er immer Geld ber. Dagegen machte er fi) auch fein 
Gewifien daraus, den Unterthanen ziemlich; tief in den Säckel zu greifen, 
und hörte öfter auf die Finanzpläne von Plusmachern, als dem Bolfe 
lieb war. Der verhaßtefte unter dieſen war ein gemifier Eckardt, ber 
ums Jahr 1738 den König veranlafte, die ftäbtifchen Kämmereikaſſen in 
Aufficht zu nehmen und deren überſchüſſe einzuziehen. 

Um der ganzen Verwaltung fefte Regeln zu geben und ein einheit- 
liches Zufammenwirken aller Beamten herzuftellen, vereinigte der König 
1723 die bisher getrennten Behörden, das General-Kommiflariat, welches 
die Verwendung der Kriegsgefälle beauffichtigte, und das General-Domänen- 
Direktorium, welches die Domänen verwaltete, zu einem einzigen Kolles 
gium mit dem Titel eines General:Dber-FinanzKriegs- und Domähen- 
Direktoriums, kurzweg auch General-Direftorium genannt. Er jelbft 
hatte die Inftruftion, die den Geſchäftskreis und die Einrichtung besfelben 
zegelte, erdacht und ausgearbeitet; fie war ein Meifterftüc, bewunderns⸗ 
wert ſowohl durch ihre Zweckmäßigkeit im allgemeinen als durd) die 
Klarheit und Sorgfalt, womit fie das Kleinfte wie das Größte ordnete. 


Finanzen. 239 


Sie machte unabläffigen Fleiß, unausgeſetzte Aufficht zur ftrengiten Pflicht 
und forgte für gegenfeitige Überwachung der Beamten, damit überall 
nad) Möglichkeit gefpart, die Einkünfte auf alle erfinnliche Weiſe erhöht, 
und das beigetriebene Geld ſtets zur Verfügung bereit gehalten werde. 
In diefer neuen Behörde, deren Präfident der König ſelbſt war, gipfelte 
die ganze Verwaltung. Die Mitglieder teilten unter ſich die Geſchäfte 
nad Provinzen und Fächern und hielten täglich Sitzung; jeder Minifter 
mußte wöchentlich einmal in der Sitzung erſcheinen und die ihn betref- 
fenden Sachen vortragen. Minifter wie Räte mußten im Sommer um 7, 
im Winter um 8 Uhr anweſend fein, wenn ein Minifter ohne krank zu 
fein ober ohne Erlaubnis eine Stunde zu ſpät kam, fo zahlte er 100 Du- 
Taten Strafe; wer zweimal ganz fehlte, wurde faffirt; „denn wir fie be— 
zahlen, daß fie arbeiten follen“, fagte der König. Den Schlendrian 
ſchaffte er gründlich ab, vertilgte ihn aud) aus den Provinzen, wo die 
Kriegs- und Domänenkammern ähnliche Snftruktionen bekamen, die ſämt⸗ 
lich darauf hinausliefen: Eriparungen zu machen, die Einkünfte zu fteigern, 
die Gefälle ftreng beizutreiben, genauefte Rechnung zu legen. Ebenfo 
nüglich war die Oberrechenkammer, die er in demfelben Jahre 1723 
errichtete. So kamen fefte Ordnung, unabläffige Thätigfeit, forgfame 
Überwachung in bie ganze Beamtenfchaft. 

. Die gefamten Staatseinfünfte zerfielen in die Kriegs- und in die 
Domänengefälle; zu den erfteren, von welchen der Unterhalt der Truppen 
beftritten wurde, gehörten die Kontribution, das Kavalleriegeld, die Lehn- 
pferdegelder, die Kriegsmetze und die Acciſe. 

Die Kontribution wurde hauptfächlih von dem platten Lande 
aufgebradjt. Ihr Name bezeichnete urſprünglich mehrere und ganz ver- 
ſchiedenartige Steuern, wie Hufen- und Giebelſchoß, Schloßbaugelder, 
Gefandtichaftsgelder; einige davon waren nur auf Zeit bewilligt, andere 
beftanden nur in einzelnen Provinzen. Der König ſchlug alle zu einer 
feften ordentlichen Kontribution zufammen, die im weientlichen eine Grund» 
fteuer war und von den Hinterfaflen des Adels und ben Löniglichen 
Bauern einkam. Sie wurde auf alle Provinzen gleihmäßig verteilt, 
damit man, wie der König vorjchrieb, die Laſt überall mit gleichen 
Schultern trage. Sie ergab 1740 fait 2443. 000 Thaler. 

Das Kavalleriegeld war eine neue Abgabe des platten Landes 
als Entgelt dafür, daß die Reiterei, deren Einquartierung und Ver- 
pflegung bis 1716 dem Lande zur Laft fiel, nun in die Stäbte verlegt 
wurde. Es machte 1740 etwa 70000 Thaler aus. 

Die Kriegsmebe beftand in der Abgabe eines Groſchens vom 
Scheffel Weizen oder Malz und 6 Pfennige vom Scheffel Roggen. 

Die Lehn- und. Ritterpferdgelder betrugen für jedes Rittergut 


240 Friedrich Wilfelms J. Staatöverwaltung. 


40 Thaler jährlich, bei ſchlechtem Boden weniger; in der Mark brachten 
fie 36.650, im ganzen Staat zulekt 60.000 Thaler. 

Die Accife wurde von Friedrich Wilhelm auch in den Städten 
derjenigen Provinzen eingeführt, wo fie noch nicht üblich geweſen; nur 
mit ber Provinz Geldern machte er hiebei eine Ausnahme. Diefe 
Steuer war unter allen bie ergiebigfte, aber fie wurde jegt ſehr drückend, 
weil der König ein höchſt läftiges Syſtem Fleinlichfter und peinlichfter 
Beauffihtigung vorſchrieb, damit nur ja feine ımverfteuerte Ware dem 
Zollbeamten entgehe. Mit ftrengen Strafen verfolgte er jede Umgehung 
ber Accife bei den Einwohnern und jeden Unterfchleif bei den Beamten. 
Überdies fchraubte er Die Steuerfäße hier noch mehr als bei an- 
deren Abgaben in Die Höhe. Acciſe und Lizent brachten ihm zuletzt 
1400 000 Thaler. 

Zu den Einkünften fam noch die Rekrutenkaſſe. An fie mußte 
jeder, der ein Amt, eine Beförderung, Gmabe, Titel oder gerichtliche 
Vollmacht erhielt, eine beftimmte Summe entrichten. Daraus entwidelte 
fich ein förmlicher Handel mit Titeln und Stellen, wenigftens mit ums 
bedeutenderen Amtern. Bern man fonft ein unbefcholtener und anſtän⸗ 
diger Mann war, konnte man z. B. einen Hofrat3-Titel mit 400, ben 
eines Kriegsrats mit 500 Thalern Taufen*). Oft überboten fid) die 
titelfüchtigen Bewerber; der König entichteb für ben, ber mehr gab. 
Übrigens gingen bie wirklichen Beamten ben bloßen Zitelträgern im " 
Range vor. Wollte ein Zube heiraten, fo koſtete auch dies eine Abgabe 
an die Rekrutenkafſe. Im ganzen hatte die Judenſchaft für Trauſcheine 
und gerichtliche Vollmachten jährlich 4 bis 5000 Thaler an dieſe Kaffe 
zu zahlen. Auch Strafgelder mancherlei Art flofien in dieſelbe. Es 
war nichts Seltenes, daß der König für leichtere Verbrechen Gnade vor 
Recht ergehen ließ, wenn ber Übelthäter gehörig an die Rekrutenkaſſe 
zahlte. Oft belegte er auch ein Vergehen ganz willkürlich mit Geldbuße. 
So mußte z. B. einmal eine Baronin, die im Witwenftande ein Kind 
geboren hatte, ihre Sünde mit 13000 Thalern büßen. Aus diefer 
Rekrutenkafje bezog der König die Unfummen, bie ihm feine „langen 
Kerle" kofteten. 

Sämtliche Staatsausgaben außer denen für das Militär wurben 
von den Domänengefällen beftritten; zu dieſen gehörten auch die Ein- 
fünfte vom Salz, Berg-, Hütten und Poſtweſen, von den Zöllen unb 
vom Stempel. 


) Im Jahre 1717 waren bie Preife der Titel geringer, damals zahlte man an bie 
Tönigfihe „Babrifentaffe” für einen Hofratstitel 200 Lhaler, für einen blohen Ratstitel 100, 
für einen Getretärstitel 50 Thaler König, Berlin IV., 1, 66. Später wurden bie For⸗ 
derungen erhöht. 


Das platte Sand, Al 


Das Salz ließ die Regierung in ihren Salinen, namentlich bei 
Schönebed und Halle, gewinnen und verkaufte es zu einem beftimmten 
Preiſe an bie Unterthanen. Die Einfuhr fremben Salzes war ftreng 
verboten. Jeder Hausvater mußte bei hoher Strafe nach der Anzahl 
feiner Angehörigen und feines Viehes vierteljährlich ein beftimmtes Maß 
taufen. Der Staat gewann damit zuleßt 544000 Thaler. 

Ebenfo verhaft wie die Acciſe wurbe dem Volle das Zollweſen, weil 
der König die Zölle fteigerte, den Städten die Zollfreiheiten, die fie etwa 
noch hatten, nahm und jeden Betrug hart beftrafte. 

Die Stempelung wurde auf alle Beſoldungsquittungen und fchrift- 
lichen Eingaben bei den Behörden ausgedehnt; jelbft Arme blieben nicht 
ausgenommen; bieje Steuer brachte zuleßt 35.000 Thaler. 

Das Poftwejen, namentlich von dem Poſtrat Grabe, der auch 
Ettrapoften einführte, ſehr verbeſſert, wurde Durch mancherlei Verord⸗ 
nungen, 3. B. daß verſchlofſene Briefe und Pakete unter 20 Pfund nur 
durch die Königliche Poſt durften befördert werden, für Die Stantstaffe 
ergiebiger gemacht. Es warf i. 3. 1740 ungefähr 180000 Thaler ab. 

Die meifte Sorgfalt aber wendete der König ben Domänen zu. 
Gleich nad) feiner Thronbefteigung erhob er (durch Hausgeſetz vom 
13. Auguft 1713) alle Krongüter zu einem Familien-Fidei-Rommiß, von 
welchem nie ein Stüc veräußert werben follte. Wohl aber vergrößerte 
ji es A: alljährlich durch neue Ankäufe. Dabei befferte er unabläſſig 

der Bewirtſchaftung, ordnete, fparte, benutzte jede Hilfsquelle. Da 
—8 Sümpfe ausgetrocknet, neue Kulturen eingeführt, die alten höher 
entwidelt. &r bewährte fich hier als vorzüglichen Landwirt; Die Erträge 
boben fi) mit jedem Jahre und warfen zuleßt über 2 610000 Thaler 
ab. Die Erbpacht, die man unter feinem Water verfucht hatte, fchaffte 
er jedoch wieder ab; er verpachtete feine Güter nur auf Beit, und zwar 
immer auf ſechs Jahre. Die Mufterwirtihaft feiner Domänen wirkte 
nun durch ihr Beijpiel auch fehr vorteilhaft auf den Anbau bes 
ganzen Landes; eben jo wie die zahlreichen Entwäflerungen, bie der 
König in fumpfigen Gegenden vornahm. So wurde namentlich das 
havelländiſche Luch bei Frieſack durch Abzugsgräben zum großen Vorteil 
ber Umgegend nutzbar gemacht (1718—1724). Werner ließ der König 
von Polizeiwegen ſchädliche Ziere vernichten, bot z. B. 1731 in der 
Mark alle Unterthanen zur Bertilgung der Heufchreden auf — eine 
Landplage, die damals hier weniger felten war als heutzutage, — ließ 
große Wolfsjagden anftellen, was beſonders in Preußen ſehr notthat, 
denn e8 gab dort faft mehr Wölfe als Schafe. Der König ſetzte daher 
einen höheren Preis auf die Erlegung eines Wolfs, er ſelbſt zahlte dafür 
je 2—6 Thaler, die Städte mußten in ihrem Gebiete das dreifache 
geben. Andererſeits vermehrte er freilich die Zahl ber ſchädlichen Tiere 

Bierfon, preuß. Geichichte. I. 16 


242 Friedrih Wilhelms I. Staatäverwaltung. 


Denn aus Leidenfchaft für die Jagd ließ er in feinen Korften die wilden 
Schweine und Hirfche fi zu ungeheurer Menge vermehren. Dafür hatte 
er das Vergnügen auf mander Jagd in ber Mark und in Pommern 
mit feinem Gefolge 1000 bis 1900, ja einmal fogar 3600*) Wildſchweine 
zu erlegen, die dann für 3—6 Thaler das Stück von Privatleuten, vor⸗ 
züglich aber von den Juden gefauft werden mußten. Die Juden konnten 
dieſen Zwang nur durch jährliche Abgaben an die Armenhäufer ablöfen. 
Strenge Geſetze ſchützten das Wild; aud) Biber, Lüchſe und Fiſchottern 
durfte in Königlichen Forſten kein Unterthan erlegen. 

Bon dieſer Verirrung abgefehen, war, was ber König als Landes» 
vater leiftete, von größtem Werte. Immer beftrebt, alle Klafſen des 
Volks gleichmäßig zu belaften, damit feine überbürbet werbe, erließ er 
viele Verordnungen, welche die Lage des Bauern erleichterten ; insbeſon⸗ 
dere fuchte er die harten Frohndienſte, weldye die Bauern ihrer Guts⸗ 
herrſchaft zu leiften hatten, in einen Geldzins zu verwandeln. Dies ges 
ſchah indes doch nur hie und da. Dagegen ſchaffte er den Mißbrauch, 
ben die Beamten mit dem Borjpanns-Poftrecht trieben, gründlich ab. 
Unter feinem Vater war es aufgelommen, daß jeber Beamte ſich von 
den Bauern eine Vorjpannspoft verſchaffen konnte. Friedrich Wilhelm 
unterjagte dies ftreng: „Ich will nicht,“ fehrieb er (1717), „daß die 
Herren Beamten in den Provinzen mit meiner Bauern Pferden fpazieren 
fahren." In einer andern Verfügung (vom Jahre 1715) verbot er, fein 
Pächter oder Beamter jolle fich unterftehen, die Unterthanen bei ben 
Hofdienften auf dem Lande mit Peitſchen⸗ oder Stockſchlägen zu miß- 
handeln ober zur Arbeit anzutreiben. Jeder Übertreter dieſes Geſetzes 
ward das erfte Mal zu fechswöchentlichem Karren in ber Seftung, das 
zweite Mal zum Strange verdammt. Auch ſonſt ſchützte der König bie 
Geringen gegen die VBornehmeren; es follte einem jeben und von jedem 
fein Recht geſchehen. 

Die Hauptfache war ihm aber, wie er dem Rahrungsftande bes 
Volks aufhelfen könne. Es handelte ſich hier um zwei Dinge: Die Be- 
völferung zu mehren umd ſie zu bemittelten Leuten zu erziehen. Mit 
allem Nachdruck drang er darauf, daß die Gemeinden und Gutsbeſitzer 
die wüften Feldmarken, die verödeten Kofftellen wieder mit Bauern bes 
feßten, und er ging jelbft mit gutem Beifpiel voran, begünftigte bie 
alten Koloniften, zog dur Gewährung vieler Vorteile neue herbei. 
Ebenſo eifrig ſuchte er die Bevölkerung der Städte zu Beben. Er erflärte 
(1721), e8 nicht mehr mit anfehen zu können, daß die wüften Stellen in 
den Städten unbebaut lägen. Er verfprady allen Anfiedlern jeder Nation 
auf 15 Jahre Steuerfreiheit, gewährte auch mandjerlei andere Unter- 


*) Im Jahre 1729. Babmann, Friedr. Wil. ©. 378. 


Bauten unb Einwanderungen. J 243 


fügung, und er hatte die Freude, bis zum Jahre 1725 eine Menge ganz 
ober teilweife zerftörter Städte wieder neu und ſchöner aufgebaut zu ' 
fehen, namentlich Krofien, Köslin, Iſerlohn, Kalbe, Kroppftäbt, Wege: 
leben, Loburg, Mansfeld, Wittſtock, Oſchersleben, Horichleben, Ermsleben, 
Seehauſen, Aſchersleben, Rieſenburg, Luckenwalde, Unna. Ju Stendal 
fand er 365 wüſte Feuerſtellen; er belohnte jeden, der hier ein neues 
Haus baute, mit einem Amt oder Titel, ſelbſt als Obergerichtsrat, 
Advolat, Bürgermeifter, gab auch Geld ber, 3. B. 26000 Thaler für 
Lichen, 30000 für Templin, ähnliche Summen für Plettenberg, Breder- 
feld, Hamm. Am meiften that er in biefer Beziehung für Berlin; bie 
Friedrichsftadt, bie bei feinem Regiermgsantritt nur etwa 300 Häuſer 
enthielt, wurde durch ihn um Das fünffache erweitert. Freilich die Mittel 
waren tyranniſch gem. Er befahl ganz einfach den Beamten und 
Bürgern bier Häufer zu bauen. Ein General (von Derihau), als Dber- 
auffeher des Baues, legte ihm von Zeit zu Zeit eine Lifte von Leuten 
vor, die feiner Meinung nad) vermögenb waren. Danad) wies ber 
König denfelben Baupläge an, ımd fie mußten ihr Geld in Häufer 
fteden. Da half auch den Unbemittelten feine Widerrede, und mancher 
wuinirte fh; auf Bittſchriften um Erlaß des Baues erwiederte der König 
wohl: „ber Kerl hat Geld, foll bauen.“ So erhoben ſich raſch ganze 
Straßen; im Jahre 1737 beftand Die Friedrichsftadt bereits aus 1682 
Häufern. Auch die andern Stadtteile vergrößerten fi), ımb bie Ein- 
wohnerzahl- Berlins wuchs bis zum Jahre 1740 auf 98000 Seelen. 
Die Stadt Potsdam ift geradezu eine Schöpfung Friedrich Wilhelms I. 
zu nennen. Vorher ein Dorf — fie Hatte 1713 kaum 400 Ein- 
wohner — wuchs fie, feit er (1722) fein Leibregiment hierher verlegt 
und feine bejondere Fürſorge ihr zugewendet, jo jchnell, daß in zwanzig. 
Jahren die Bevölkerung hier auf 20 000 ftieg. 

Ein wahrer Wohlthäter wurde der König der Provinz Preußen. Er 
fand diefes Land in dem allertraurigften Buftande: ganze Kreife waren 
öde und ausgeftorben; 60000 Hufen lagen nod im Jahre 1721 ganz 
wüſt. Friedrich Wilhehm bewies hier jo recht Mar, daß fein Geiz mır 
eine ſchroffe Form wohlangebrachter Sparfamteit war. Er gab Millionen 
ber, um den Zuftand Preußens und Litauens zu verbeflern. Die Kolo- 
uiften, die er berief, erhielten von ihm indes außer Geldunterftügungen 
noch vielfach andern Vorſchub, vornehmlich, Sicherheit vor der Leibeigen- 
ſchaft. Er gab auf dem preußiſch⸗litauiſchen Domänen den Bauern bie 
Güter als freies Erbe (1720); boch durften fie nicht ohne Erlaubnis 
fortziehen, hatten auch gewifie Handdienfte zu leiften. Die Handwerker 
erhielten noch größere Begünftigungen: Reifeloften, Steuer-Freijahre, 
unentgeltliches Bürger und Meifterrecht in den 52 preußiſchen Städten. 
Im ganzen verwandte der König von 1721—1728 an fünf Millionen 

16* 


244 Sriedrich Wilhelms I. Stantsverialtung. 


Thaler auf Anfegung neuer Einwanderer. Es kamen beren vornehmlich 

“viele aus der Schweiz, aus Schwaben, Franken, ber Wetterau und 
Niederſachſen; im ganzen bis zum Jahre 1728 an 20000 neue Fa— 
milten. 

Den größten Zufluß verfchaffte dem Lande aber wieder die Ber- 
folgungsfucht fremder Fürften. Die Reformation war im füböftlichen 
Deutſchland während bes breißigjährigen Krieges größtenteils aus- 
gerottet morben; dennoch hatte Der proteftantifche Glaube felbft unter 
dem Regiment ftreng katholiſcher Fürften dort noch viele heimliche An— 
bänger. Am meiften war dies in bem Erzbistum Salzburg ber Fall. 
Allen Verfolgungen feßte der lutheriſch gebliebene Teil der Bevölkerung, 
meift ſchlichte Landleute, ftandhaftes Duden, ftille Ausdauer entgegen. 
Zuletzt begnügten ſich die Erzbiſchöfe damit, daß die Proteftanten, ohne 
ihre Meinung aufzugeben, fidh äußerlich zur Landeskirche hielten. Im 
Zahre 1727 kam aber ein fanatiſcher Eiferer auf den biſchöflichen Stuhl, 
der Freiherr von Firmian. Diefer rief die Jeſuiten herbei und ließ 
durch diefelben eine ftrenge Inquiſition halten. Um die Lutherifchen vor 
den Kutholifchen zu unterfcheiben, wurde befohlen, die Bauern follten 
den katholiſchen Gruß „Gelobt ſei Zeus Chrift!" gebrauchen ımd ein 
Stapulier, d. 5. einen Schulterrod nad) mönchiſchem Zufchnitt, tragen, 
keine religiöfen Zuſammenkünfte Halten umb kein Iutherifches Buch, 
namentlich nicht die Bibel, befißen oder gar leſen. Die Lutheraner 
wollten aber von ihren Meinungen und Bräuchen nicht lafſen, und es 
eiging nun wider fie eine graufame Verfolgung. Dennoch richtete ber 
Erzbiſchof nichts ans; als er nachforfchen ließ, wie viel Ketzer wohl in 
feinem Sande feien, meldeten ſich troß aller Bebrängniffe 20678 als 
Belenner des lutheriſchen Glaubens. Zugleich fandten die Bauern einige 
Hausväter aus ihrer Mitte nad) Regensburg und nad) Berlin, um bei 
Kaifer und Reich umb bei ber größten proteſtantiſchen Macht in Deutfch- 
land um Hilfe zu bitten. Die Borftellungen der evangeliſchen Fürſten 
fruchteten aber nichts, Firmian rüftete vielmehr Truppen, um die Ketzer 
mit Gewalt katholiſch zu machen, und Kaiſer Karl VI. ſchämte ſich nicht, 
unter einem fheinbaren Vorwande ihm zu bemfelben Zweck Soldaten zır 
ſchicken. Auch jegt noch blieben die Bauern feft, ſchworen ſich (im 
Auguft 1731) mit bem Finger auf das Salz zu, bei ber augsburgiſchen 
Konfeffion zu verharren und einander mit Rat und That beizuftchen. 
Bewaffneten Aufruhr erhoben fie nicht; ihr leibender Wibderftand rührte 
jedoch dem Erzbiſchof Teineswegs; er fuhr fort, fie mit Kerfer und Geld- 
ftrafen heimzufuchen und verbot ihnen auch die Auswanderung. 

Da trat Friedrich Wilhelm als ihr Beſchützer auf und drohte, bie 
Katholiken in feinem Staat genau fo zu behandeln, wie der Erzbiſchof 
bie Lutheriſchen. Man wußte, daß Friedrich Wilhelm Wort hielt; der 


Die proteftantifjen Salzburger. 245 


Erzbiſchof erlaubte daher (11. November) werigitens die Auswanderung; 
aber unter ben härteften Bedingungen. Dem weftfälifchen Frieden zum 
Troß verfagte er den Auswanderern die einjährige Frift zum Verlauf 
ihrer Habe und nahm ihnen die Kinder unter 12 Jahren weg. Mitten 
im Binter ließ er die dürftigften unter den Lutheranern, wie fie gingen 
und ftanden, durch Soldaten über bie Grenze treiben; zu hunderten 
mußten die Unglücklichen, Darunter viele Weiber und Mädchen, zum 
Zeil halb nadt ins Elend gehen; die Kinder wurden den Zefuiten in 
bie Zuchtſchulen überliefert. Aud) die bairifche Regierung zeigte ihren 
katholiſchen Eifer; fie ließ die Ankömmlinge wochenlang troß der ſtrengen 
Kälte an der Grenze liegen, ehe fie den Durchzug in barmberzigere 
Zänder erlaubte. Die anderen Reichsſtaͤnde und der Kaiſer begnügten 
fich mit Redensarten, Friedrich Wilhelm aber erflärte in einer öffentlichen 
Belanntmahung vom 2. Februar 1732 alle diefe Auswanderer in feinen 
Schuß nehmen zu wollen, er biete ihnen Preußen als Zufluchtsort und 
neues Vaterland an und wolle, daß man fie fortan als preußiiche 
Unterthanen betrachte. Er erſuchte den Erzbiſchof, fie mit ihren Kindern 
ungehindert zu entlafjen, und gab feinem Verlangen durch Drohungen 
Nahdrud. Ähnliche Vorftellungen erließ er an den Kaifer und an bie 
Tatholifchen Reichsfürften Der Erzbiſchof gab nad), aud) die andern 
Kalholilen ſcheulen nun die öffentliche Meimung; fo durften denn die 
proteftantifchen Salzburger ihre Güter verfaufen, wobei fie freilich von 
den habgierigen erzbiſchöflichen Beamten ehr benachteiligt wurden, und 
zogen mm im Frühling 1732 mit Sad und Pad und mit Weib und 
Kind aus ihrem fhönen Alpenlande in die Fremde. Friedrich Wilhelm 
ſchickte ihnen Bevollmächtigte entgegen, die ihnen täglich für dem 
Mann 4, für die Frau 3, für ein Kind 2 Grojchen Reife-Entihädigung 
zahlten. Sie gingen faft ſämtlich nach Preußen; ſchon auf der Reije 
von ihren evangelifchen Glaubensgenofien überall liebevoll unterftügt, 
erfuhren fie in Berlin den rührenbften Willkommen. Die königliche 
Familie, Die Geiftlichfeit, die Bürgerfchaft empfingen den eriten größeren, 
Zug am Leipziger Thore in feierlicher und gaftlicher Weiſe (9. Juni). 
Mehr als 17000 diefer treuen und frommen Leute ließen ſich nun unter 
dem hohenzollerſchen Bepter nieber; fie wollten fi) aber nicht zerftreuen, 
ſondern fiedelten fi in Maffe nebeneinander in Preußen und Litauen 
an, in der Gegend von Memel, Tilfit, Gumbinmen und Infterburg. 
Jeder blieb, was er gewefen, Knechte und Mägde im Dienft ihrer 
Herrſchaft, Hauslente und Tagelöhner erhielten Gärten und Heinere 
der, die Handwerker wurden in den Städten untergebracht, bie Bauern 
befamen Bauerngüter umd diejenigen, welche größere Höfe gehabt, konnten 
fich Lölmifche Güter, deren eine große Menge feil war, für einen billigen 
Preis Taufen. Es brachten auch wirklich gar viele ein anſehnliches 


246 Friedrich Wilfelms I. Staatsverwaltung. 


Vermögen mit, und der König forgte dafür, daß ihnen aus Salzburg 
zugeſchickt wurde, was man dort zurüdbehalten hatte. Sein Gefandter 
mußte dem Erzbiſchof das Verzeichnis ber rüdftändigen Güter vorlegen 
und diefelben abforbern (1734). So erhielten die Ausgewanderten vom 
Erlös ihrer Bauernhöfe (es waren an 2000) etwa vier Millionen Gulden, 
wobei fi) der Erzbiſchof doch noch durch ftarfe Abzugsgelder und beffen 
Beamte durch Unterfchlagungen fehr bereicherten. Der preußiſche Staat 
aber hatte einen ebleren Gewinn: fleißige tüchtige Menfchen, blühende 
Fluren und bei dem deutſchen Volke einen neuen Ruhm als Vorkämpfer 
und Beſchirmer der Gewiffensfreiheit und des Proteftantismus. 

Friedrich Wilhelm ſetzte übrigens feine Bemühungen um den Anbau 
Kitauens bis an feinen Tod fort, und am Ende feiner Regierung hatte 
das Land, welches er faft leer gefunden, eine halbe Million Einwohner 
und fo gute Kultur, wie kaum irgend eine ambere beutjche Provinz. 
60.000 Hufen, 12 Städte, 332 Dörfer, 49 Domänengüter waren ner 
angebaut. Der Urheber dieſer ſchönen Schöpfung hatte es fid) aber auch 
Millionen von Thalern und viele perjönliche Mühe koſten laſſen, hatte 
felber nicht nur alles befohlen und angeordnet, fonbern much die Aus- 
führung bis ins Kleinfte überwacht. 

Nicht ganz fo viel leiftete dieſe Regierung für den Aufſchwung der 
Manufakturen. Eine Menge von Lurusgewerben gingen zu Grunde, da 
der König allen Lurus an feinem Hofe abſchaffte und die Unterthanen 
ihm darin größtenteils nachfolgten Diele Handwerker trieb auch die 
Furcht vor gewaltfamen Werbungen aus dem Lande. Dennoch wußte 
der König Die Induftrie im ganzen zu fteigern. Er meinte, der Stein 
der Weifen liege darin, daß das Geld im Lande bleibe; es komme alſo 
darauf an, alle Lebensbebürfniffe durch inländiſche Werkftätten und 
Fabriken herzuftellen. Daher vermehrte er bie bereits beftehenden Ein- 
fuhrverbote fremder Waren und fügte Ausfuhrverbote einheimijcher 
Robftoffe Hinzu, ein damals zweckmäßiges Verfahren, welches denn auch 
befonbers die Wollen-Manufaktur fehr förderte. Friedrich Wilhelm 
half ihr zunächft dadurch auf, daß er den Unterthanen verbot, anderes 
Tuch zu tragen äls märkiſches, und auch das ganze Heer mır mit in- 
länbifchen Zeugen befleiden ließ. Um aber brauchbare Waren zu liefern, 
gründete er 1713 mit Hilfe bes höchſt einfichtsvollen und geſchickten 
Finanzrats Kraut, eines um die Verwaltung auch fonft ſehr verdienten 
Minifters, das berühmte Lagerhaus in der Klofterftraße zu Berlin, 
eine Tuchfabrik im großen, die befonders feinere Tücher lieferte. Ger 
ſchickte Wollenweber aus den Nieberlanden wurden für fie verfchrieben, 
das Heer mußte feinen Bedarf von ihr entnehmen, bald fand fie auch 
tm Auslande viel Kundſchaft, weil ihre Erzeugniffe vorzüglicd) waren. 
Der König zog außerdem eine Menge von Handwerkern ber Wollen 


Die Induſtrie. 247 


induſtrie, als Spinner, Weber, Färber, ins Land, gewährte Vorteile 
aller Art, und da num dieſes Gewerbe bald wirklich allgemein in Aufs 
nahme kam, fo verbot er zu deſſen Gunften nicht bloß frembe Wollen- 
waren, fondern auch Baummollenzeug, alle gedructen und gemalten 
Kattune. Seine Swangsmaßregeln waren auch hier wieder fehr hart. 
Auf offener Straße ließ er manchmal ſelbſt Frauen die Kattunkleider 
vom Leibe reißen. Übrigens duldete er ebenfowenig an feinem Hofe 
etwas Ausländifches. Dadurch erreichte er mit der Zeit, daß die mär- 
kiſche Tuchmacherei wieder in ben guten Ruf kam, den fie im Mittel 
alter gehabt Hatte. Auch gewannen die Städte eine Menge fleißiger 
Anzöglinge. Unter den jetzt einwandernden Handwerkern waren jeit 
1732 in Berlin namentlich die proteftantifchen Böhmen zahlreich, die ihr 
Baterland um ihres Glaubens willen hatten verlaffen müffen. Es waren 
größtenteils Wollenweber und Spinner; fie bildeten bei Berlin und bei 
Potsdam die böhmiſche Kolonie, die der König mit vielem Wohl- 
wollen behandelte. 

Unter den Verordrumgen, die er zum Beften ber Weberei erließ, ift 
eine recht bezeichnenb für feine Art; er befahl durch Edikt vom 14. Juli 
1723: „Die Höferinnen und andere Händlerinnen auf den Straßen’ unb 
Märkten follen nicht Maulaffen feil halten, fondern fie follen bei Strafe 
der Konzeffionsentziehung Wolle und Flachs fpinnen, ſtricken oder nähen." 
Faulheit war ihm ein Greuel, fie hatte von ihm feine Schonumg zu erwarten. 

Ein großer Teil der Fabriken wurde auf fönigliche Rechnung betrieben; 
doch gab Friedrich Wilhelm troß feiner Gelbliebe Monopole gern auf, 
wenn ihm beren Schäblichkeit für die Unterthanen einleuchtete. Dies be— 
wies er in feiner Behandlung des Tabaksbaues, der in dem ungünftigen 
Klima der Mark fehr wenig gebieh. Der König gab daher die Einfuhr 
und Bearbeitung des Tabals frei. Dadurch hob fid) dieſes Gewerbe, 
befonders ſeit 1736 in Potsdam die erfte Schnupftabaksfabrik entftanden 
war. Friedrich Wilhelm I. legte äuch den Grund zu der fpäteren aufer« 
ordentlichen Blüte der Gefchäftshäufer Splittgerber und Daum; er unter» 
ftügte fie in ihren induftriellen und kommerziellen Bemühungen auf das 
freigebigfte. Dagegen überließ er den Seidenbau fi ſelbſt; denn alle 
feine Verfuche ihn empor zu bringen blieben ohne Erfolg. Ein neuer 
und Berlin eigentümlicher Erwerbszweig war die Herftellung der blauen 
Farbe, die, 1706 von dem berliner Chemiker v. Diesbach erfunden, im 
Jahre 1726 allgemein belannt wurde; der Kronprinz gab ihr damals 
ben Namen ,preußiſches Blau". 

Für den Handel war durch Zwang nichts auszurichten, die Nach- 
barn ließen fich nicht fo bearbeiten wie die Unterthanen; fte feßten dem 
preußiſchen Einfuhr:Verboten ähnliche entgegen, und das ſchadete beiden 
Teilen. Friedrich Wilhelm beſchränkte fih Darauf, die Schmarotzer⸗ 


248 Friedrich Wilhelms I. Staatsverwaltung. 


pflanzen des Handels zu beſeitigen. Als ſolche betrachtete er die afrifa= 
nifchen Befigungen, da fie nichts Reelles einbrachten; er verfaufte fie im 
Jahre 1720 an die Holländer für 7000 Thaler, 200 Dufaten und 12 Neger. 
Doch jollte jene Schöpfung des großen Kurfürften nicht ganz würdelos 
enden. Der preußiiche Befehlshaber von Großfriedrichsburg hatte kurz 
vorher fid) nad) Europa begeben und die Fefte dem Negerhäuptling Kuni 
zur Behütung übergeben. Als nun’ die Holländer mit ihrem Kaufdoku⸗ 
ment Tamen, wies Kuni fie zurück und erflärte, die Fahne und. Feftung 
nur feinem Herrn übergeben zu wollen. Sieben Jahre lang verteibigte er 
Großfriedrichsburg, bi er ber Übermacht erlag. Wie die Faktorei in 
Guinea, jo gab Friebrid Wilhelm aud) die Seehanbelsgefellihaft zu 
Emden auf; feine Vorgänger hatten freilich von biefer Verbindung nur 
Koften gehabt und feine Vorteile. As ſchädlich erjchienen ihm ferner 
die Juden, in deren Händen ein nicht unbeträchtlicher Teil des Klein- 
handels war, und als gar einige derſelben große Betrügereien verübten, 
ließ er bie berliner Zuben (1721) in der Synagoge verfammeln und 
durch den Oberhofprediger Jablonsky mit dem Bann belegen, wollte fie 
aud) aus dem Lande treiben; durch Geld und durch die Fürfprache ihrer 
Sönner erwirkten fie indes fernere Duldung. Im Jahre 1728 belief ſich 
die Gejamtzahl der im preußifchen Staate einheimifchen Juden auf 
1191 Familien, welche jährlid) 15 000 Thaler Schutzgeld ımd 4800 Thaler 
an die Refrutenkafe zu zahlen hatten. 

Ales, was ber König für die Mehrung des Nährftandes und für 
die Hebung bes Erwerbes that, hatte allerdings eben das Wohl der Unter 
thanen felber zum Zwecke; aber zunächft arbeitete er dabei für den Staat: 
er fuchte damit die Steuerfraft des Volkes zu ftärfen, weil diefe ihm den 

- Wehrftand erhielt. Denn das Heerwefen lag ihm doch am meiften 
am Herzen; es war ber eigentliche Mittelpunkt feiner erftaunlichen 
Thätigfeit. Für feine lieben blauen Kinder, wie er feine Soldaten nannte, 
arbeitete er fo raftlos von früh bis fpät. Er machte den Soldatenftand 
zum erften im Staate; alle Prinzen feines Haufes beftinmmte er für Diefen 
Beruf; er felbft legte faft nie die Uniform ab. Nur der Degen konnte 
nad) feiner Meinung ehren, erheben und auszeichnen. Seine perjönliche 
Xiebhaberei, die raſch zur Leidenſchaft wurde, erhielt eine ftarfe Stüße 
an feiner politifchen Überzeugung; -in der That lag die einzige Sicher⸗ 
beit und Gtärfe des Meinen preußiſchen Staates in einem guten Here. 
Der Soldat war alſo das zweckmäßigfte Werkzeug zu befien Erhaltung, 
und ohne denjelben mußte das Ganze zufammenfallen. Sodann — wer 
gehorchte feiner Natur nad; befier als ber Soldat? und blinder Ge— 
horſam mußte einem abfoluten Fürften, zumal von Friedrich Wilhelms 
Charakter, für die wichtigfte aller Unterthanenpflichten gelten. Auch ar- 
beitete er in feinen Bweige der Verwaltung, nicht einmal im Finanzfad), 


Kantonfgftem. — Die langen Kerle. 29 


jo unausgefegt felber wie im Militärweien. Das Heer zu vermehren 
und zur allervolltommenften Kriegsmaſchine auszubilden, das war an 
jedem Tage fein Sinnen und Trachten. Und er bat darin Außer 
orbentliches geleiftet. Es gab kaum irgend eine neu erſchloſſene Geld» 
quelle, die er nicht, ſei es ganz ober teilweife, auf dieſes Feld leitete. 
Mit dem Aufblühen der Finanzen hielt daher die Vermehrung des Heeres 
gleichen Schritt; ſchon 1715 war es auf 45000 Mann verftärkt; 1721 
auf 51.000 Mann; vier Jahre fpäter auf 64.000; zulegt, im Jahre 1740, 
zählte es 83500 Mann, darunter 18000 Reiter und 64000 Man 
zu Fuß. 

Die Rekrutirung geſchah nad) alter Weife, und da Freiwillige fi) 
bei weitem nicht in hinreichender Bahl dem Werber ftellten, jeder General 
aber dafür verantwortlich war, daß fein Regiment den vollen Beſtand 
hatte, fo nahmen die Dffiziere die junge dienftfähige Mannſchaft mit 
Gewalt weg, und viele junge Burfche entwichen ins Ausland. Ber-- 
gebens verbot der König, folche Bürger, Bauern und Dienftboten, die 
nicht nad) Angabe der Zivilbehörde Taugenichtſe wären, mit Gewalt 
auszuheben. Es gejchah doch, weil es eben notwendig war, und weil 
bie Dffigiere wußten, daß der König fie nicht beftrafen werde. Um mm 
diefen Mißbräuden gründlich) abzuhelfen, führte Friedrich Wilhelm im 
Jahre 1733 das Kantonfyftem und damit eigentlich allgemeine Be- 
waffnung ein. Das Land wurde nach Kantonen oder Bezirken ımter die 
einzelnen Regimenter und in ben Kantonen die Teuerftellen unter bie ein- 
zelnen Haupimannſchaften verteilt. Dieſe refrutirten ſich mm planmäßig 
aus ben ihnen zugewiefenen Stellen. Frei von ber Dienftpflicht waren 
nur einzige Söhne oder die ihres Vaters Wirtſchaft übernehmen wollten, 
ferner die Söhne der Geiftlichen und Staatsbeamten, ſowie alle, welche 
ein Vermögen von 6000 Thalern beſaßen, endlich Die erfte Generation 
der fremden Einwanderer. Alle übrigen Bürger und Bauern durften 
ausgehoben werben. Es ftand ganz; im Belieben der Generale und 
Hmuptleute, wie viele und wen fie aus ben Dienftpflichtigen ausheben 
wollten, und fie erlaubten fich Dabei die ärgften Eigenmächtigfeiten und 
Erpreffungen. Die Offiziere betrachteten ihre Kompanien wie Pachtgüter, 
aus denen fie möglichft viel Nutzen für ſich ziehen könnten. Der König 
fah ihnen durch die Finger, wofern fie ihm nur eine Leidenſchaft be- 
friedigten, die eben fo ſeltſam als verberblich für den Staat war. 
Er liebte nämlich über alles möglihft lange Soldaten. Er meinte, 
ein recht großer ftattlicher Mann fei vorzugsweiſe für ben Kriegsdienfi 
geeignet, und er ging in Diefer Anficht fo weit, daß er über der Körperlänge 
faft alle anderen Eigenfchaften vergaß. Schon gleich im Anfange feiner 
Regierung erhöhte er das Rekrutenmaß auf 5 Fuß 6 Zoll. Bejonders 
aber fein Leibregiment, das potsdamer, mußte die längften Leute haben, 


250. Friedtich Wilhelms I. Staatsverwaltung. 


die nur in der Welt zu finden waren. Diefe Liebhaberei für „lange 
Kerle" artete bei ihm mit der Beit in eine förmliche Sucht und Narrheit 
aus. Er, der fonft jo fparfame, faft geizige Monard) opferte Millionen, 
um aus allen Eden und Enden der Welt Riefen herbeizufchaffen. Er 
bezahlte je mach der Größe hunderte und taufende von Thalern als 
Handgeld; für einen befonders langen Refruten zahlte er einmal 5033 
Thaler, für einen andern, einen Srländer Namens Kirkland, fogar 
7553 Thaler. Diefe Thorheit war der Hauptgrund, warum die Aus- 
hebung im Lande felber nicht genügte; denn es kam ja darauf an, vecht 
große Soldaten dem Könige vorftellen zu können. So gingen denn un» 
geheure Summen, vom Jahre 1713 bis 1735 an 12 Millionen Thaler, 
für Werbungen ins Ausland, und die Hälfte des preußifchen Heeres be— 
ftand aus Fremden, zum Teil dem Auswurf aller Nationen. 

Die Geldopfer waren bier aber bei weiten nicht das Schlimmfte. 
‘Der König brad) tiber feine Liebhaberei aud) die einfachſten Gebote des 
Rechts und der Sitte. Er erlaubte feinen Werbern die größten Gewalt- 
taten gegen feine Unterthanen und gegen Auswärtige, band fid) an 
fein Gefeß, verkaufte Amter und Gnaden für ein Gejchent mit langen 
Kerlen. Es wurde auf dieſe in Preußen eine förnliche Hebjagd gehalten. 
Niemand, wes Standes und Berufs er war, konnte den Späherblicen 
und den Fäuften der Werber entgehen, wofern er das Unglück hatte, 
ungewöhnlich lang zu fein; er wurde ohne Barmherzigkeit ergriffen und 
als Soldat eingekleidet ober mußte fi) durch Gejchenke an die Offiziere 
und durch Stellung eines langen Erſatzmannes auslöfen. Gelbft die 
Studenten und andere fonft Befreite waren davor nicht ficher; fein Aus- 
länder von befonderer Körpergröße mochte mehr in Preußen ftubiren 
oder reifen. Mit gleichem Eifer fpürten die Werber in den fremden 
Laͤndern umher; wo Überredung und hohes Handgeld nicht half, bemäch- 
tigten fie ſich mit Lift und Gewalt ihrer Opfer und fchleppten fie oft unter. 
größten Lebensgefahren nad) Preußen. Friedrich Wilhelm kam dadurch 
mit allen Nachbarn in die übelften Verwickelungen, oft ganz nahe einent 
Kriege. Sonft benutzten die fremden Mächte auch vielfach feine Schwäche, 
um ihn durch einige lange Kerle, die fe ihm ſchickten, zu dieſem ober 
jenem Verhalten zu bewegen oder in dieſer Wetfe ſich erkenntlich zu zeigen. 
So erfreute ihn der Zar Peter zum Dank für das Gejchent eines reichen 
Bernfteinfabinets einige Jahre lang mit Sendung großer Kerle. Es ent- 
widelte fid) aus ſolchen Bezeigungen ein förmlicher Menſchenhandel. 
Friedrich Wilhelm machte ſich in diefem Falle gar fein Gewifien daraus, 
feine Unterthanen als Sklaven, als Ware zu behandeln. Auf Bitte der 
Zarin Anna, die dagegen vier Flügelmänner geſchickt hatte, ließ er (1731) 
eine Anzahl Waffenfhmiede in Hagen aufgreifen und nad) Rußland 
transportiren, damit fie dort ihre Kunſt verbreiteten. Kein Gebot 


Der Solbatenftand. 251 


der Klugheit, Feine Vorſchrift ber Religion hielt bei dem Könige wider 
diefe Sucht ftand. Cr meinte, bier wie überall Recht zu thun, glaubte, 
die Natur habe die langen Menſchen nur für ihn geichaffen, da Fein an⸗ 
derer Fürft fie nad) Verbienft würdige. Es war bei dem fonft fo 
frommen Manne ganz umfonft, daß man ihm einmal durch einen namen- 
Iofen Brief die Bibelftelle 2. Mofe 21 v. 16 ins Gebächtnis rief: „Wer 
einen Menſchen ftiehlt ımb verkauft, ber foll bes Todes fterben“; daß 
ein andermal ein Geiftlicher — es war der Prediger Rüben in Dueblin- 
burg — auf der Kanzel gegen biefen Menjchendiebftahl ſprach. Friedrich 
Wilhelms Frömmigkeit hörte in dieſem Punkte vollftändig auf. Übrigens 
war Rüben fo ziemlich ber einzige unter ber preußiſchen Geiftlichfeit, ber 
fid) mit ſolchem Freimut zu äußern wagte. Die allgemeine Unterthänig« 
keit hatte auch diefen Stand ergriffen, er durfte ebenfo wenig „räfonniren“ 
wie die andern. Er that e8 auch nicht, vielmehr waren es gerabe bie 
lutheriſchen Geiftlichen, die dem Volle die Lehre vom leidenden Gehorfam 
der Unterthanen und vom göttlichen Recht der Könige am nachdrück- 
lichften einprägten. Dadurch beftärkten fie bie Fürſten in ihrer Eigen- 
mäcjtigfeit und thaten viel, beren Abfolutie auch tn ber öffentlichen Mei- 
nung feft zu gründen. 

Die langen Kerle vom Leibregiment hatten es übrigens, wenn fle 
erſt im blauen Rode ſteckten, nicht ſchlecht. Site waren bie Günftlinge 
des Königs, er gab ihnen zu ihrem Monatsfold von 4 Thalern Zulagen 
von 5 bis 20 Thalern, forgte tr allen Stücken für ihr leibliches Wohl- 
ergehen, verſchaffte ihnen fpäter nicht ſelten begüterte Frauen oder ver- 
forgte fie auf andere Weiſe. Alle übrigen Soldaten erfreuten fi nur 
geringer Vorteile; zwar die im Kriegsbienft alt ober unbrauchbar ges 
wordenen fanden bei bem Könige leicht Unterftügung, und für die Kinder 
verftorbener Soldaten und Offiziere ftiftete er (1734) das große pots- 
damer Baifenhaus; das war aber and) alles, bemm mehr zu thun 
hatte ber König nicht bie Mittel. Wenig half dem Goldaten das Ber 
wußtfein, daß fein Stand der vornehmfte im Staate war; dies entichä- 
bigte ihn bei weitem nicht für bie Leiden und Mühen des Berufs. Die 
Kriegszucht im preußifchen Heere war furchtbar ftreng. Raub und hart 
behandelte der Offizier den Gemeinen, und wer räfonmtrte, mußte breißig 
mol Spießruten laufen; thätlicher Widerftand wurde mit dem Tobe bes 
ftraft. Überhaupt ftand auf bie meiften Vergehungen ber Tod, zumal 
auf Defertion. Der Dienft war höchft mühſam. Yortwährend mußten 
die Mannſchaften fi im Marſchiren und Feuern Üben, und bie Kor 
porale ahndeten jeden fälfchen Griff oder Schritt mit ihren Hafelftöcen. 
Durch unabläffiges Üben und Prügeln machten fie den preußiſchen Sol- 
daten zu einer Grerziermafchine von größter Volltommenheit; namentlich 
Die Infanterie Ieiftete darin Außerorbentliches, fie bewegte fich weit ge- 


252 Friedrich Wilhelms I. Stantsverwaltung. 


nauer und ſchoß viel fchneller als jede andere der Welt. Der eigentliche 
Schöpfer dieſer erftaunlidhen Ausbildung bes preußiſchen Fußvolls war 
Leopold von Deflau, der, jo unäbertrefflich wie unermüdlich im Dreffiren, 
hier feine praftifchen Talente bewies; er führte 1718 im ganzen Heere 
den eifernen Ladeſtock und den Gleichichritt ein, Erfindungen, die, von 
ihm feit 1698 bei den Grenadieren verjucht, ſich bald als ungemein zweck⸗ 
mäßig bewährten. Mit derſelben peinlichen Genauigkeit wie auf bie 
Regeln und Griffe, jah man auf Die äußere Ericheinung des Soldaten. 
Das Fußvolk war blau, die Reiterei weiß, die feit 1725 eingeführten 
Hufaren rot gefleidet; Maß ımd Schnitt der Uniform war bis ins Hein- 
lichte vorgeſchrieben, aud) die äußerſte Sorgfalt im Putzen ber Kleider 
und Baffen ftrenge Pflicht, deren geringfte Verfäummis mit dem Stod 
ober mit hartem Arreſt beftraft wurde. Diefer Kamafchendienft wie Die 
ganze rauhe und geifttötende Abrichtung der Soldaten madjte ben Kriegs⸗ 
dienft zum Schreden und Abſcheu jedes ftrebjamen Gemütes. Der Hab 
und die Furcht waren in den gebildeten Ständen natürlich am ftärfften. 
Bumal im Anfange, als die Gewohnheit noch nicht ihre Macht geübt 
hatte, war es ein Tag bes Entjeßens und der Trauer, wenn bie vote 
Binde, das Zeichen der Aushebung, vom KompaniesChef einer Familie 
ins Haus gejchiet wurde. Wer ba fonnte, flüchtete aus dem Lande. 
Erft mit der Zeit wurde der Soldatenftand weniger fürchterlich, wurde 
es gar Ehre, einen oder mehrere Söhne im Heere zu haben, zumal in 
einem geadhteten Truppenteil, wie die Artillerie. 

Der Adel allein Tonnte zufrieden fein, dem ihm fait ausſchließlich 
wurben bie Offizierftellen eingeräumt. Noch unter dem großen Kurfürften 
und unter Friedrich I. war die Hälfte der Heeresbefehlshaber bürgerlichen 
Standes geweſen. Friedrich Wilhelm änderte nun dieſes Verhältnis zum 
Vorteil des Adels; er that es weniger darum, weil er dieſe Bevorzugung 
dem Anfehen des Offizierftandes und zugleich dem urfprünglichen Beruf 
der Ritterſchaft ſchuldig zu fein glaubte, als vielmehr, weil verabichiedete 
Dffigiere des Adelſtandes leichter bei den Ihrigen auf dem Lande wieder 
eine Verjorgung erhielten, denn Penfionen zahlte der Staat nicht. Dazu 
tam, daß die Gemeinen größtenteils Knechte vom Lande waren, ber 
Junker war ihr Gutsherr, er fchien ſich daher auch zu ihrem milttäri« 
ſchen Befehlshaber am meiften zu eignen. Die Offiziere hatten aber in 
der Geſellſchaft eine höchſt bevorzugte Stellung; fie fpielten in ihren 
Garnifonplägen faft Die Herren, fie rangirten vor allen anderen Ständen 
— immerhin freilich mit mehr Recht als anderwärts bie fürftlichen Be 
dienten, von denen 3. B. nach der Rangorbnung des Herzogs Wilhelm 
von Zei (1691) der Kammerdiener des Fürſten vor dem Pfarrer und 
Rettor, der Hausfellner vor dem Advokaten, ber Leibſchneider vor dem 
Konreltor und Schullehrer rangirte! Wie dort der Hofbienft, jo galt in 


Der Soldatenſtand. 258 


Preußen der Kriegäbienft für bie ehrenvollſte und wichtigfte aller Berufs» 
orten. Der König bielt ſich zu den Offizteren als ihr Kamerad. Seine 
GSünftlinge, überhaupt alle, bie am Hofe etwas vermochten, waren Ge— 
nerale und Oberften, Adjutanten und Mafore; fein vertrautefter Freund 
der Feldmarſchall Leopold von Deſſau. Bon biefem ging auch ber Ton 
aus, der den ganzen Offizierſtand beherrichte. Er teilte ihm feine folda» 
tiſchen Tugenden, Geradheit und Chrlichfeit, Blinden Gehorfam und 
Zapfekfeit, aber auch feine Fehler mit, nämlich Plumpheit, Grobheit und 
Mangel an jeder wiſſenſchaftlichen Bildung. Die Iebtere wurde in dem 
Kreife diefer Kriegsleute geradezu verachtet; wer mehr wußte, als feinen 
Ramen zu ſchreiben, gar der Gelehrte, hieß ein Tintenkleckſer, Schmierer 
und Pebant; und Friedrich Wilhelm ftimmte darin von Herzen ein. 
Defto mehr hielt er bei feinen Offizieren anf Gottesfurdht und Sparſam⸗ 
keit. Spieler und Verſchwender fanden vor ihm keine Gnade. Es war 
fonft Sitte geweien, daß bie Oberften als Inhaber der Regimenter die 
Fähnriche, Leutnants und Hanptleute ernannten; Friedrich Wilhelm 
ſchaffte dieſen Brauch ab, er ſelber behielt ſich das Recht vor, auch die 
unteren Offizierſtellen zu beſetzen, und vermochte nun ein von Grund aus 
tüchtiges Offiziercorp8 zu bilden. Im anderen Heeren konnte man eine 
Dffizierftelle mit Geld erfaufen, im preußiſchen galt nur die Braudjbar- 
Teit. Freilich nahm ber König vorzugsweiſe Edelleute, aber der Kriegs 
dienft galt damals allgemein als der natürliche Beruf des Adels. Und 
bet ben Einwanderern, die einen bürgerlichen Erwerbszweig nicht zu 
übernehmen hatten, insbefonbere bei ben franzöftfchen Flüchtlingen, Die 
fich dem Soldatenftande widmen wollten, fragte Friedrich Wilhelm nicht 
nach der Abftammung. Ihrer viele durften in die Kabettenhäufer treten, 
die er von Magdeburg und Kolberg nach Berlin verlegte und als Pflanze 
ftätten des Offiziercorps in feine beſondere Obhut nahm. 

Der Unterhalt der Truppen wurde in bie genanefte Ordnung ge» 
bracht; Waffen, Uniformen, Sold und was ihnen fonft zukam, mit 
größter Pünktlichkeit und in vorfcriftsmäßigem Stanbe geliefert. Dies 
entſchädigte einigermaßen für die Knappheit, Die in allem herrichte. Zwar 
bie höheren Offiziere hatten nicht bloß ein austömmliches Gehalt, ſondern 
durch ihren Handel mit langen Kerlen, welche fie bem Könige alljährlich 
für fein Leibregiment abließen, auch beträchtliche Nebeneinkünfte. ber 
bie unteren Offiziere, welche fid am meiften im Dienfte plagen mußten, 
Tonnten bei ihrem Monatsjolbe von 11—18 Thalern nur Tärglich leben. 
Der Sold bes Gemeinen, ſeit dem breißigjährigen Kriege fortwährend im 
Sinken, war jetzt gar gering; er betrug monatlich zwei Thaler. Außer 
dem befamen die Soldaten befttimmte Naturällieferungen ımb wurden auf 
Koften der Bürger in den Städten einguartiert, tn Berlin nach Anwei- 
fung des neuen Servisreglements vom Jahre 1724. 


254 Friedrich Wilhelms I. Staatsverwaltung. 


Die Landmiliz, weldye Friedrich I. errichtet hatte, wurde von feinem 
Nachfolger als unzweckmäßig wieder aufgehoben; er verachtete ein ſolches 
Volksaufgebot, und um ben großen Unterfchied desfelben von feinem 
zegelmäßigen Heere hervorzuheben, verbot er (im Jahre 1718) bei 100 
Dufaten Strafe, feine Soldaten „Miliz“ ober „Militär zu nennen; 
diefe Wörter galten ihm gleid) Schimpfnamen. Doc, führte er fpäter 
felbft wieder eine Art von Landmiliz ein, indem er im Berlin, in Pom · 
mern, Preußen und im Mogbeburgifchen LZandregimenter von Ausges 
dienten Soldaten bildete und jährlich zu vierzehntägigen Übungen zu» 
ſammenkommen ließ. 

Viel Sorgfalt verwandte er auf die Feftungen; fein befter Gehilfe 
war bier der Ingenieuroberft Walrave. Es wurden vorzüglich die Werke 
Weſels, Magdeburgs, Stettins, Memels verftärkt; auch die übrigen 
Feſtungen, Pilau, Kolberg, Küftrin, Spandau, Minden, Geldern, in 
guten Verteibigungszuftand gebracht. Außerdem gab es noch 23 feite 
Plätze: die bedeutendften darunter waren Peiz, Damm, Udermünde, 
Demmin, Driefen, Löcknitz, Reinftein, Oberberg, Lingen, Sparenberg, 
Orſoy, Lippftabt, Mörs; die Hauptftädte Berlin und Königsberg hatten 
nur geringe Befeftigung. 

In den Finanzen, der Pflege des Nährftandes und im Heere, in 
diefen drei Hauptgegenftänden feiner Thätigkeit ſtellt fi) das praktiſche 
Weſen des Königs von der vorteilhafteften Seite bar; doch verlor er die 
übrigen Staatsinterefien nie ganz aus den Augen, und was ein bäuris 
ſcher, aber gefunder Verſtand, ein rohes, aber bieberes Gemüt heilfames 
für fie leiften konnten, geſchah. Am wichtigſten war darunter Die Rechts⸗ 
pflege. Wenn ſich Friedrich) Wilhelm in der Heftigkeit feiner Leiben- 
ſchaften aud) felber zuweilen über das Recht hinwegſetzte, fo war er doch 
im Grunde ein. rechtlicher Charakter. Er wollte, daß jedem fein Recht 
geichehe, und bet feiner natürlichen Ungebuld, daß es auf der Stelle ges 
hehe. Er haßte daher den fchwerfälligen Gang ber damaligen Prozeh- 
führung und das gelehrte römifche Recht mit feinen vielen Formalitäten. 
Er urteilte lieber auf der Stelle ab, wie die alten biblifchen Könige und 
Nichter, damit alles einfach und ſchnell abgemadjt werde. „Die ſchlimme 
Zuftiz fchreit gen Himmel, und wenn ich's nicht remedire, fo lade ich 
felbft Die Verantwortung auf mich“, mit diefen Worten wandte er fid) 
gleich nad) feinem Regierungsantritt an ben Juſtizminiſter v. Katſch und 
befahl ihm, das Gerichtsweſen zu vereinfachen, zu verbefiern. Es erſchien 
dann aud) eine Reihe von Verordnungen, welche manches Gute ftifteten; 
namentlich wurde der Gebrauch der Zortur fehr eingefchränft und der 
Unfug des Herenprogefies abgeſchafft, alle richterlichen Erlaſſe fortan im 
Namen des Königs und nicht, wie bisher, in dem ber einzelnen Gerichts« 
behörden ausgefertigt, endlich einige Zuftizkollegien, befonders das Kammer« 


Die Rehtöpflege, 255 


gericht, zweckmäßiger eingerichtet. Um alle dieſe Verbeflerungen erwarb 
fi, der Juſtizminiſter Cocceji die meiften Verdienfte. Samuel Eocceji 
(von Eocg), der Sohn eines Profefjors an der Univerfität Frankfurt a. D., 
erhielt im Jahre 1701 ebenfalls dort eine Brofefiur der Rechte und wurde 
dann wegen feiner Tüchtigkeit und Rechtichaffenheit zu verſchiedenen Hohen 
Verwaltungs- und Yuftizämtern befördert. Er gehört zu den ausgezeich- 
netften Juriften, Die Preußen gehabt hat. Friedrich Wilhelm erfannte 
auch feinen Wert und ftellte ihn 1737 an die Spike des ganzen Gerichts- 
weſens. Bu rechter Wirkſamkeit kam er indefien erft unter dem folgenden 
Könige. 

Das wichtigfte aller Rechtsinftitute war für ben König das Fiskalat. 
Denn die Fiskale dienten ihm nicht mar zur Ausſpürung von Verbrechen 
und Vergehungen, fondern auch zur Überwachung ber Behörden; fie 
Hatten alle Gejegwibrigfeiten, die zu ihrer Kenntnis kamen, anzuzeigen, 
aber ganz beſonders darauf zu adjten, ob bie zahlloſen Befehle bes Königs 
auch pünktlich und vollftändig ausgeführt würden. Da nun Friedrich 
Wilhelm denjenigen Fislal am meiften ſchätzte, der die größte Zahl von 
Angaben machte, fo fam das Demmzirwejen fehr in Schwung, und bie 
Fislale waren als öffentliche Spione ſehr gefürchtet und wegen bes Mif- 
brauchs, den viele von ihnen mit ihrem Amte trieben, gehaßt. Wer es 
zu arg machte, fiel dann freilich beim Könige auch wieber in Ungnade 
und wurde auf die Feſtung geſchickt. 

Friedrich Wilhelm betrachtete fid) fo ganz als Inbegriff alles Rechts, 
daß er überzeugt war, am beften für feine Unterthanen zu forgen, wenn 
er alle wichtigen Rechtshändel felbft entichieb. Cr gebot daher (1717), 
alle Urteile in Kriminalfachen, die Leib, Leben, Ehre und Gut angingen, 
ihm zur Beftätigung oder Abänderung vorzulegen. Aber über jedes Ver⸗ 
gehen wie über eine ihm perfönlich angethane Kränkung erbittert und 
von Natur jahzornig und hart, verichärfte er faft immer bie Strafe. Er 
mifchte fich auch fonft unbedenklich in den Gang bes Rechts, unb da er 
ohne tiefere Rechtskenntnis nur nach augenblidlicher Anficht und Stim- 
mung entſchied, fein Wort aber Befehl war und auf der Stelle ausge» 
führt werden mußte, fo hatte die Art feiner Rechtspflege allerdings etwas 
Türkiſches; oder vielmehr felbft ein türkiſcher Paſcha wagte felten unge - 
ftraft, was der König von Preußen wagen durfte. Die eiferne Zucht, 
die er im Heere aufrecht Hielt, follte im ganzen Wolfe herrſchen; feine 
Strafen waren hart bis zur Grauſamkeit. Totſchläger begnadigte er 
niemals, wenn auch noch fo gewichtige Milderungsgründe dafür fprachen. 
Er hielt ſich unerſchütterlich an das bibliſche Wort: „Wer Menſchenblut 
vergießt, des Blut foll auch vergofien werben.“ Aber es gereicht ihm 
zu hohem Ruhme, daß er Dabei fein Anfehn der Perſon kannte; Offi- 
ziere wie Biviliften, Edelleute wie Bürgerliche traf fein Arm mit gleicher 


256 Frie drich Wilfelms I. Gtaatsvermaltung. 


Schwere. Selbft die Fürbitte feiner Günftlinge oder frember Mächte bes 
wog ihn bier nicht, Gnade für Recht ergehen zu laſſen. Seine Geſetze 
gegen das Duell waren furchtbar ftreng, aber fie feßten Feine Ausnahmen 
zu Gunſten des Offizierftandes feft und wurden gegen alle mit gleicher 
Strenge vollftredt. Er ermahnte in feinem Duellverbot vom Jahre 1713: 
„Jeder folle fi) bemühen, die Ehre eines rechtſchaffenen Soldaten mehr 
durch Tapferkeit gegen bie Feinde des Königs und des Baterlandes als 
in unnützen Händen zu erwerben, ba Gott fi) die Rache vorbehalten 
umd dazu Könige und Obrigkeiten auf Erben verordnet habe." Übrigens 
ftrafte er Real-Injurien, als Ohrfeigen und Schläge, je nad, Umftänden 
mit Gefängnis von 2-6 Jahren. Die ſcheußliche Strafe, daß Kindes 
mörderinnen in Säden erfäuft wurden, die fie felbft Hatten nähen müſſen, 
führte er wieder ein; aber er fuchte dem Verbrechen dadurch ben wirk- 
ſamſten Anlaß zu nehmen, daß er verbot, „es folle ſich niemand unter 
fteben, einer Perfon, bie im Rufe ber Schwangerfchaft ftehe, Vorwürfe 
darüber zu machen oder fie zu beſchimpfen, bei Vermeidung harter Ber 
ftrafung und öffentlicher Abbitte von Selten des Beleidigers." Diefer 
edle Bug tft ihm um fo höher anzurechnen, weil ihm gerade bie Verlegung 
der Keufchheit fo wie auch der ehelichen Treue amt meiften ein Greuel 
war. Auf leichtere fleifchliche Vergehungen ftand Geldbuße; Ehebreche⸗ 
tinnen wurben auf eine gewiſſe Zeit aus dem Laube verwiejen, Ehebrecher 
milder beftraft. Da man wußte, daß der König drafonifche Geſetze 
liebte, fo legten ihm die Minifter zuweilen härtere Verordmmgen zur 
Unterſchrift vor, als recht ober billig war; fo einmal ein Geſetz, nad) 
welchem Bigamie mit dem Tode gebüßt werben follte. Friedrich Wils 
heim lehnte es aber ab, indem er hinaufſchrieb: „ba würden viel Leute 
fterben müfjen®. 

In anderen Punkten zeigte er fich wieder ftrenger, al mar erwarten 
durfte, namentlich bei Vergehungen gegen das Eigentum. Überführte 
Diebeshehler ließ er ohne Umftände an ben Pranger ftellen, ftäupen, 
brandmarken und aus dem Lande weifen; ebenfo erging es ausländiſchen 
Dieben und ſolchen Zuben, bie mit geftohlenen Sachen handelten. Wild» 
Diebe mußten 6 Jahre auf einer Feftung karren; Wilderer, die in könig⸗ 
lichen Jagdrevieren betroffen wären, follten gar aufgehängt werben (Ge 
feß vom 9. Januar 1728); Bankerotirer wurden als Diebe und Fälſcher 
betrachtet und mit dem Pranger, Seftungehaft, Staupenſchlag, Landes: 
verweiſung, bei betrüglichem Banterot ſogar mit dem Strange beftraft. 
Stand auf Seiten ber Geredhtigfeit auch noch das Geldinterefie des Kö— 
nigs, fo war er gegen Diebe und Betrüger ebenfo unerbittlich wie gegen 
Totfcjläger. Beamte, die Unterjcjleife machten, wurden aufgehängt. Auch 
bier galt ihm ber Vornehme gleich dem Geringen. Ein Kriegs- und 
Domänenrat, v. Schlubhut, hatte die falzburger Koloniften in Litauen 


Die Rechtspflege. 257 


um einen Zeil der für fie beſtimmten föniglichen Gelder gebracht. Das 
Kriminalfollegium in Berlin erfannte auf Feftungsarreft. Der König 
verſchob feine Entſcheidung, bis er felbft, wie er jährlich zu thun pflegte, 
nad) Königäberg reifte, um die Truppen und die Domänen zu befichtigen. 
Nach feiner Ankunft forderte er den Kriegsrat vor fi), warf ihm fein 
Vergehen vor und fündigte ihm an, er werde ihn hängen lafien. Schlub- 
Hut, der Sprößling der älteften und angejehenften ritterjchaftlichen Familie 
Preußens, berief fid) auf feine Adelsvorrechte: „Es fei nicht Manier, fo 
mit einem preußifhen Edelmann zu verfahren, er werde die fehlende 
Geldſumme erftatten." Da übermannte den König der Jähzorn; er ließ 
auf der Stelle einen Galgen errichten und den Ritter auffnüpfen (Juli 
1231). 

Friedrich Wilhelm ging bei ſolchem Verfahren von der Anficht aus, 
daß Unterjchleif der Beamten befonders darum fo ſchlimm fei, weil zum 
Diebftahl die Untreue gegen ben Brotherrn komme. Aus ähnlicher Er- 
wägung floß das fürdhterliche Strafgejeß, welches er 1736 gegen Haus: 
Diebe erließ. Sie wurden, werm der Diebftahl durch Einfteigen oder 
Einbrud) verübt war oder eine Summe über 50 Thaler betraf, vor der 
Thür des Beftohlenen aufgehängt; jo geſchah es z. B. einer Dienſtmagd, 
die nur 3%/, Thaler geftohlen hatte. Auf geringe Diebftähle ohne Ein- 
fteigen oder Einbrud) ftand vierjährige Feſtungsarbeit. 

Des Königs leidenſchaftlicher Haß gegen das Unrecht trieb ihn auch 
fonft oft zu übereilten und ungerechten Handlungen, mancher Unfchuldige 
wurbe beftraft, weil den König die Hitze fortriß, oder das Mißtrauen in 
die Gerechtigkeit der Behörden ihn verblendete. Einmal hatte das Kris 
minal-Kollegium einen Musfetier wegen Einbruchs und Diebitahls zum 
Tode verurteilt. Nun war der Verbrecher aber ein langer Kerl, daher 
überredete defien General den König leicht, das Gericht habe zu hart ent- 
ſchieden. Der König ließ zornig die Räte zu fid) fommen, überhäufte 
fie mit Schimpfworten, ftieß dem einen mit dem Stod ein par Zähne 
ein, prügelte alle zur Thür hinaus, daß fie mit blutigen Köpfen das 
Freie erreichten. Hinterher fah er dann wohl feine Übereilung ein; aber 
nicht immer war der Schaden gut zu machen. Sogar an Yuftizmorben, 
die bei Friedrich Wilhelms eifriger Gerechtigfeitsliebe ſchwerlich ftattge- 
funden hätten, falls er ruhiger zu Werke gegangen wäre, fehlte es nicht. 
Der Kommandant von Berlin, General v. Glafenapp, berichtete ihm 
einmal, die Handwerfsburfchen hätten fi) empört, weil man fie beim 
Zurmbau der Betersficche zwingen wollte, auch am blauen Montag zu 
arbeiten. Der König, gerade verreift, ſchrieb zurüc: „Rädel aufhenten, 
ehe ich heimfomme!" Run fand fid) unter den Handwerksburfchen fein 
Rädel, wohl aber hieß ein Offizier fo, der freilich mit jenem Aufftande 
sicht das geringfte zu thun hatte, aber nichtsdeſtoweniger zum Tode vor- 

Bierfon, preub. Gefchihte I. 17 


258 Brlebricg Wilhelms I. Staatsverwaltung. 


bereitet wurde. Denm der General war an blinden Gehorfam gewöhnt, 
und die Rückkehr des Königs ftand nahe bevor. Indes kam zu rechter 
Zeit noch ein Kabinetsfefretär hinzu, der ben Befehl des Königs richtig 
deutete: mit Räbel jei der Näbelsführer gemeint. Da ließ Glafenapp 
den Leutnant 108 und griff einen aus ben gefangenen Handwerksburſchen 
heraus, der rote Hare Hatte und ihm daher befonbers verbächtig ſchien; 
den ließ er alsbald aufhängen. 

Die ſcharfen Geſetze gegen das Lafter und die barbarifchen Strafen 
wirkten indeffen eben wegen ihrer Überzahl und ihres Übermaßes nicht 
fo viel, als ber König hoffte. Die fürchterlichen Hinrichtungen mit ihrer 
Öffentlichkeit und dem geiftlichen Gepränge wurden zu einem Schaufptel, 
das, zu oft wiederholt, die Gemüter eher abſtumpfte als erſchreckte. Da 
das Hängen und Köpfen, das Rädern und Stäupen, Brandmarfen und 
Verſtümmeln, zumal in Berlin, an der Tagesordnung war, fo gewöhnte 
fi, das Bolt daran, und die Furcht wurde ſchwächer. Noch mehr verlor 
die Gefängnisftrafe ihre Schreden, denn die Gefängniffe und die Feftung 
Spandau wurden nie leer. Doch erreichte der König, daß das Geſetz 
überall: wirllich Achtung fand, daß fein Verbrecher durchſchlüpfen konnte, 
und daß die Übelthat, fo viel möglich, ſchon hienieden ihren Lohr befanr. 

Friedrich) Wilhelm war aber nicht bloß der Richter, ſondern auch 
der Budjtmeifter feiner Unterthanen. Er hielt ebenfo ftreng auf gute 
Sitten als auf das Recht ımb handhabte die Polizei nicht milder als 
das Gefeh. Er zwang ſogar frembe Gefandten erft ihre Schulden zu be— 
zahlen, ehe fie Berlin verließen, und gab dann ein Geſetz, daß niemand 
fremden Geſandten oder Minderjährigen, felbft nicht minderjährigen preu= 
Fifchen Ptinzen, etwas leihen follte. Auch im Kleinften hielt er auf Ord⸗ 
nung; wer 3. B. öffentliche Laternen befchädigte, wurde mit Geldftrafe 
von 200 Thalern beftraft, oder geftäupt und auf 10 Jahre des Landes 
verwieſen. Auf Hazardfpiel (mie Landsknecht und Pharao) ftand eine 
Geldftrafe von 100 big 400 Dufaten oder Gefängnis. Cbenfo ftrenge 
wurde das Volltrinden unterfagt. Das Polizeiweſen war ein Verwal⸗ 
tungszweig der Kriegs: und Domänenkammern; in Berlin fpielte aber 
ber König auch felbft den Polizeidireftor, und das war für die Berliner 
unbequem gemig. Keine Unregelmäßigfeit entging dem ſcharfen Blide 
des Königs, ber täglich in der Stadt umherfuhr und nad) allem ſah. 
Wen er auf ber Straße fand, der ward gemuftert, und mißflel etwas an 
ihm, fo wurbe er ſcharf ins Eramen genommen und nach Befinden hart 
angefahren oder wohl auch mit dem fpanifchen Rohr durchgeprügelt. 
Erſcholl der Ruf: der König kommt, fo wurden die Straßen Ieer, jeder 
flüchtete; denn wer konnte wiſſen, ob dem ftrengen Herrn nicht irgend 
etwas mißfallen werde. Aber wehe dem, der auf bem Entweichen ertappt 
ward; er hatte den Stod doppelt zu fühlen. „Lieben folt ihr mich, 


Die Polizei. 259 


nicht fürchten!” herrichte der König mit geſchwungenem Rohrſtock ben 
Erſchreckten zu. Übrigens meinte er es auch hier im Grunde gut, und 
ſolche Aufſicht kam der Stadt zu nutze. Die Berliner gewöhnten fi 
an genaue Ordnung und Reinlichfeit auf den Straßen und überhaupt 
an forgliche Pflege aller gemeinnügigen Anſtalten. Wohlthätig waren 
auch die Polizeiverordnungen, welche den Preis des Fleiſches, Bieres 
und Brotes alljährlich) feſtſetzten; fie jchüßten den armen Mann vor 
Überteuerung;; ferner die Geſetze gegen die Verfälſchung des Weines, 
Biers und Tabals, welche die Gejundheit des Volfs gegen den ſchänd⸗ 
lien Eigennug gewiffenlofer Kaufleute ficherten; endlich die Geſinde⸗ 
ordnung, die troßigen und ungehorfamen Mägden mit dem Zuchthaufe 
drohte. Auch in das Privatleben feiner Unterthanen griff Friedrich Wil- 
helm ohne Umſtände ein: die Gafteseien und Familienfeitgelage wurden 
fehr eingeihränft; das Gejundbeittrinten, weil e8 zum Saufen verleite, 
bei ſchwerer Strafe verboten; junge Leute, die ihr Vermögen verſchwen⸗ 
beten, und überhaupt liederliches Gefindel in die Zuchthäufer gebracht; 
Taugenichtſe ohne weiteres auf den hölzernen Eſel gefeßt ober mit: dem 
ſpaniſchen Mantel an den Pranger geftellt, oder in Ketten und Banden 
zum König geholt, der fie dann aud) wohl eigenhändig abprägelte. 
Gegen die feilen Dirnen, deren Zahl befonders in Berlin um fo mehr 
zunahm, ba den Soldaten das Heiraten fehr erſchwert war, veranftaltete 
der König von Zeit zu Zeit durch die Polizei einen allgemeinen Streif- 
zug, ber fie mafjenweife in die Zucht- und Spinnhäuſer lieferte, ohne Doc 
auf die Dauer viel zu helfen. 

Sogar die Mode wurde von Friedrich Wilhelm polizeilich gemaß ⸗ 
regelt. Es Fam vor, daß er Damen, die in unanftändiger Kleidung er 
ſchienen, mißhandelte. Er ſchritt überhaupt energiſch gegen die parifer 
Sitten ein. Harbeutel und bunte Kleidung litt er nicht; man durfte 
fid) vor ihm nur im fteifen Soldatenzopf und in einfacher deutſcher Tracht 
ſehen laſſen. Um die franzöfiſche Mode recht verächtlich zu machen und 
zugleich feinen Widerwillen gegen das parifer Weſen aufs ſchärffte aus- 
zudrücken, ließ er die Regiments-Profoffe oder Büttelfnechte, welche vom 
Volke als unehrlich verachtet wurden, franzöfifch Heiden; fie mußten einen 
ungeheuren Harbeutel von Pferbeharen, einen grünen Rod mit gelben 
Aufichlägen, gelbe Wefte und Kniefträmpfe tragen. In diefer Tracht er- 
ſchienen fie unter dem Hohngelächter des Volks bei einer Revue, die der 
König in Gegenwart des franzöfiihen Gefandten abhielt. Leßterer ärgerte 
fi) nicht wenig; aber das Volk nahm ſich die Lehre zu Herzen, wurde 
von der Nachahmungsſucht geheilt und befam wieder Achtung und Ge 
ſchmack für die deutſche Tracht. 

Des Königs praktiſche Richtung beftimmte auch die Art ſeiner kirch⸗ 
lichen Thätigkeit. Er war .ein abgeſagter Feind ſpitzfindiger Dogmen- 

17% 


260 Friedrich Wilhelms I. Staatsverwaltung. 


ftreitigeiten, e8 fam ihm auf die Sache, auf das Wefen an. Frande 
und ähnliche werkthätige Seelforger waren Männer nad) feinem Herzen. 
Gute Moral und fruchtbare Frömmigkeit hielt er für die Hauptſtücke des 
Chriſtentums. Wie er felber den Gottesdienft genau beobadjtete, fo 
mußten es auch feine Familie, feine Beamten und Offiziere; für die Sol- 
daten richtete er regelmäßige Feldpredigten ein, verteilte auch unentgeltlich 
unter Die Soldaten und Armen eine große Zahl von Erbauungsichriften. 
Aber Kopfhänger und Muder haßte er; einem Theologen, der befondere 
Betftunden einrichtete, unterfagte er es mit den Worten: „Das ift bloße 
Heuchelei, davon ich nichts halte." Auch verbot er lange gelehrte Pre— 
digten, Die Predigt ſollte ſchlicht und Har fein und nicht über eine Stunde 
danern; fonft werde fie langweilig und unwirkſam. Um die Firchlichen 
Angelegenheiten in befjere Ordnung zu bringen, gründete er 1713 ein 
evangeliſch⸗ reformirtes Kirchen direktorium umd erließ eine Verord⸗ 
nung, welche Die geiſtlichen und Schulſachen in allen Provinzen gleich- 
mäßig regelte. Für jede Provinz wurde ein Kirchen-Infpektor ernannt, 
der Die Amtsverwaltung der Geiftlichen und das Vermögen der Kirchen 
und Schulen daſelbſt zu benuffichtigen hatte. Die Beratung der Kirchen- 
und Schulfachen geſchah in reformirten Gemeinden durch das Presbyte- 
rium, eine Verfammlung, die aus dem Prediger und den von ber Ge— 
meinde gewählten Kirchen =Vorftehern beftand. Wornehmlich pflegte der 
König die alte Einrichtung der Kirchenbuße. Er ordnete fie an gegen 
Unzucht, Ehebruch, Diebftahl, Meineid, Fluchen, Läfterung, Frefien und 
Saufen, Entheiligung des Sonntags, Ungehorjam ber Kinder, überhaupt 
gegen jedes öffentliche Argernis; fie beſchränkte fi) darauf, daß der 
Seiftliche den Sünder vor der Gemeinde über feine Reue und Befferung 
befrggte und deu Bußfertigen wieber in den Schoß der Gemeinde auf- 
nahm. Die Kirchenbuße für gefallene Mädchen wurde aufgehoben. 
Die Spaltung der Evaugeliſchen in Lutheraner und Neformirte war 
aud) diefem Könige jehr zuwider, umd er duldete nicht, daß fie fi) in 
Zank und Verfolgung äußerte. Er behandelte beide Teile mit Unpartei- 
licleit, und wenn er den Lutheriſchen mancherlei alte Zeremonien, Über- 
refte des Papismus, nahm, fo geſchah es, um menigftens im Gottesdienft 
die Vereinigung anzubahnen, was um fo nötiger war, als viele Kirchen 
fimultan waren, d. h. abwechſeind von beiden Konfeffionen benupt wurden. 
Er jelbft bewies feinen Freiſinn dadurch, daß er feiner Gemahlin ge 
ftattete, lutheriſch zu bleiben, umd feine Kinder von Geiftlichen beider 
Konfeſſionen in den Religionsfenntniffen prüfen ließ, er that überhaupt 
alles, was er konute, um eine Vereinigung herbeizuführen. Cr fchrieb 
über diefen Gegenftand, der ihm jehr am Herzen lag, aus Wufterhaufen 
am 10. September 1726 an ben hutherifchen Prediger Roloff in Berlin 
folgenden denhvürdigen Brief: 


Kirchenſachen. 261 


„Der Unterſchied zwiſchen unſer beiden evangelifchen Religionen iſt 
wahrlich ein Pfaffen-Gezänk. Denn äußerlich iſt ein großer Unterſchied, 
wenn man es (aber) examiniret, ſo iſt es derſelbige Glaube in allen 
Stücken, ſowohl der Gnadenwahl als heilige Abendmahl; nur auf die 
Kanzel da machen fie eine Sauce, eine faurer als die andre. Gott 
verzeihe allen Pfaffen, dann die werden Rechenſchaft geben am Gericht 
Gottes, daß fie Schulragen aufwiegeln, das wahre Werk Gottes in Un- 
einigfeit zu bringen. Was aber wahrhaftig geiftliche Prediger find, bie 
fagen, daß man ſich foll einer den andern dulden, und nur Ehrifti Ruhm 
vermehren, unfern Negften lieben als ung felbft, zu leben und Chriftlich 
zu wandeln und nur auf Ehrifti Verdienſt fid) verlaffen, die werden ge- 
wiß felig. aber es wird nicht heyßen: bift du Iutherifch, bift Du refor- 
mirt? es wird heyßen: haft du meine Gebothe gehalten? (nicht): bift 
du im der Schule ein braver Disputator gewefen? es wird heyken: weg 
mit die Leßte ins fewer zum Teuffel. Die (aber) meine Gebothe ge- 
halten, kommet zu mir in mein Reich, denn ſoll dir viele Freude will- 
tommen fein. Gott gebe uns alle feine Gnade, und gebe allen feinen 
Evangeliſchen Kindern, daß fie mögen feine Gebothe halten, und daß 
Gott die möge zu teuffel alle ſchicken, die Uneinigkeit verurſachen. Darzu 
helfe uns Gott der allmädjtige Vater unfers Erlöfers Jeſu Chrifti durch 
feinen bittern Tod. Amen. 

Friedrich Wilhelm.“ 

Nach diefem feinem Glaubensbelenntniffe handelte der König aud), 
und es gelang ihm wirklich troß des Widerftrebens der Strenggläubigen 
eine größere Annäherung der beiden SKonfeffionen anzubahnen. 1786 
mußten die Prediger feharenweife nad) Berlin kommen, um ſich beſonders 
im Punkte der Duldfamkeit von ihm prüfen zu lafien; diefe „Priefter- 
enten” hatten in der That den beabfidhtigten Nutzen. Doch hielt er auf 
Reinhaltung der Lehre und war daher allen Selten abgeneigt, wenn er 
fie aud) im ganzen mit Duldung und Schonung behandelte. Zuweilen 
ließ er fi) freilich, von feinen Umgebungen zu harten Mafregeln reizen, 
falls man ihn überreden Tonnte, eine Sekte ober ein Geiftlicher greife mit 
einer Lehre den Staat an. So nötigte er einige Mennonitenfamilien zur 
Auswanderung, weil fie ben Soldatenſtand als unchriſtlich verwarfen, 
und bie Socinianer erhielten wenigftens feine neuen Rechte. Am meiften 
Auffehen machte feine Strenge gegen ben damals weltberühmten Philo— 
ſophen Chriftian Wolff. Diefer halleſche Profefjor war mit feinen ortho— 
doren Kollegen in einen theologiſchen Streit geraten, und man verflagte 
ihn bei dem Könige. Friedrich Wilhelm wollte die Sache unparteiiich 
unterfuchen laſſen, als ihm aber feine ®enerale vorftellten, nad) der 
Wolffiſchen Philofophie dürfe ein entlaufener Soldat nicht geftraft werden, 
weil er feiner Qorherbeftimmung nad) nicht anders habe handeln können; 


262 Friedrich Wilhelms I. Staatsberwaltung. 


da ergrimmte ber Sriegsherr in bem Könige, und er jagte den gefähr- 
lichen Profefior auf der Stelle aus dem Lande (1723). Indeſſen foldye 
Fälle übereilten Eifers waren bei ihm in kirchlichen Dingen äußerft 
felten; fonft war er hier durchaus tolerant. Das bewies er auch feinen 
Tatholifchen Unterthanen gegenüber; er ftörte fie in ihren hergebrachten 
Rechten nicht, und nur wenn feine eigenen Glaubensgenofjen im Aus- 
lande bebrücdt wurden, fo drohte er den Katholiken in Preußen mit 
gleihem Druck, weil ihm dies das wirkſamſte Mittel ſchien, die fremden 
Fürſten zu derjenigen Duldung zu nötigen, die er jelbft übte. Denn die 
Evangelifchen überall vor Verfolgung zu ſchützen, war ihm heilige Pflicht, 
und unabläſſig verwendete er ſich für die bedrängten. Auch that dies not; 
denn die Jeſuiten bewirkten noch immer manche Verfolgung, die an die 
Greuel des vergangenen Jahrhunderts erinnerte. 

Furchtbar war namentlid das blutige Trauerfpiel, das fie damals 
in Thorn aufführten. Diefe deutſche Stadt gehörte, wie fait ganz Weft- 
preußen, jeit 1466 zu Polen, hatte aber ihre eigene Verfafjung und große 
Vorrechte; aud), durch ein Privilegium de3 polnifchen Königs Sigismund 
Auguft vom Jahre 1557, die Neligiongfreiheit. Sie war evangeliſch. 
Aber im fiebzehnten Jahrhundert errichteten hier die Zefuiten, beſchützt 
und unterftüßt von den Polen, die durd) fie zu fanatifchen Katholiken ge— 
worben waren, ein Kollegium, verleßten vielfach) die Rechte der Evange— 
liſchen, entriffen ihnen mit der Zeit fogar alle Kirchen bis auf eine und 
ſchürten auf jede Weiſe den Haß, der zwifchen den Fatholifchen Polen und 
den evangelifchen Deutſchen beftand. Num gefchah es, daß bei Gelegen- 
beit einer Tatholifchen Prozeffion (am 16. Juli 1724) die Studenten des 
Zefuitenkollegiums ſich grobe Mißhandlungen gegen zuſchauende Pro- 
teftanten erlaubten. Da fam die Erbitterung des Volks zum Ausbruch); 
es erftürmte das Zefuitenneft, begnügte fid) aber mit der Zerftörung des 
Hausgeräts. Diefen Vorfall beuteten num die Zefuiten zum Ruin der 
Stadt aus. - Sie verflagten die Bürgerſchaft beim polniſchen Hofe; auf 
ihren Betrieb rückten polnifche Truppen in die Stadt, und polniſche Be— 
vollmächtigte, die der Hof zur Unterfuhung abgeſchickt hatte, erließen ein 
furchtbares Urteil. Nicht bloß Harte Geldbußen mußten die Evangeliſchen 
tragen; fie verloren auch nod) ihre letzte Kirche und mußten der Heinen 
Tatholijchen Minderheit die Hälfte des Rates, der Schöppen und des 
Bürgerausfchufles einräumen; außerdem wurben mehrere der Angefehenften 
unter ihnen teils mit dem Kerker, teils mit dem Tode beftraft. Vergebens 
verwendeten fid) der Rat von Danzig und die Könige von Dänemark, 
Schweden, England, befonders eifrig auch Friedrich Wilhelm für die 
unglüdliche Stadt. Die Jeſuiten jepten es durdy, daß das Bluturteil 
mit aller Härte. vollſtreckt wurde. Am 7. Dezember fielen bie Häupter 
der Opfer — es waren der Präfident Rösner und neun Bürger. Sie 


Die geiftigen · Intereſſen. \ 263 


hatten ſich durch die Mönche von ihrem lutheriſchen Glauben nicht ab- 
bringen lafſen und ftarben ftandhaft. 

Friedrich) Wilhelm gedachte einen Augenblick, dafür durch Krieg 
Rache zu nehmen und den Evangelifchen mit Gewalt Recht zu ſchaffen; 
er unterhandelte deshalb mit Peter dem Großen; als aber biefer balp 
darauf (im Februar 1725) ftarb, ließ er es bei Vorftellungen bewenden, 
weil er meinte, ohne Bundesgenoffen zu einem großen Kriege nicht mächtig 
genug zu fein. Sein Wort erwirkte den polnifchen Proteftanten wenigfteng 
in der Folge einige Erleichterung. 

Auch beim Kaifer Iegte er für deſſen evangelifche Untertanen oft 
Fürbitte ein. Der wiener Hof indes Tieß ihm reden und die Sefuiten 
falten; hier hatte man es mit feinem Karl XII. zu thun. So kamen 
benn in den habsburgifchen Ländern, namentlich in Ungarn und Schle— 
fien, immer wieder Glaubensverfolgungen vor; 1727 3. B. ſchloß ber 
Kaiſer das evangelijche Witwen- und Waifenhaus, welches ein frommer 
Paſtor im Dorfe Glaucha des Fürftentums Ols mit großem Erfolg ge- 
gründet hatte; und Friedrich Wilhelm vermochte nichts weiter, als die 
verjagten Lehrer und Geiftlichen in feinen Staaten zu verforgen. 

Sein eigenes biſchöfliches Amt übte er am liebften durch fromme 
Berke aus. Er baute eine große Zahl von Kirchen, z. B. (1722) die neue 
Garniſonkirche in Berlin; vollendete ebendafelbft 1733 die Peterskirche, 
bie er ſich viel Geld hatte koſten lafjen, um, wie er fi) ausbrückte, zu 
weijen, daß er Gott lieb habe; vermehrte auch die Zahl der Geiftlichen, 
an denen bisher ein fo großer Mangel war, daß viele in zwei oder drei 
Kirchen predigen mußten. Zum Beften der Armen, Gebrechlichen und 
Waiſen errichtete er manche höchſt wohlthätige Anftalt, namentlich im 
Jahre 1727 die Charits in Berlin, ein großes Krankenhaus, das, vom 
Könige mit reichen Einkünften ausgeftattet, gleich im erften Jahre 300 
Kranke verpflegte; und fein Beifpiel ermunterte die Privatwohlthätigfeit, 
wie denn die Witwe des berliner Bürgermeifters Kornmeſſer 1719 und 
bie franzöſiſche Kolonie 1729 in Berlin, der Goldſchmied Schindler 1730 
zu Schöneiche, der Tuchmacher Steinbart zu Züllichau, der Prediger 
Kuntze zu Landsberg a. W. Waifenhäufer gründeten. Auch die Gemeinden 
thaten, was fie konnten. Belief ſich doc, die Einnahme der berlinifchen 
Armenkaſſe im Jahre 1715 bei einer im Vergleich zu heute fehr wenig 
bemittelten Benölferung von 50000 Seelen auf 13000 Thaler; freilich 
genügte fie noch nicht, denn ber Hilfsbebürftigen waren 3243, und der 
König mußte ihr einen Zuſchuß geben. Allmählich minderte fih dann 
bie Zahl der Armen, weil Fleiß und Sparfamteit zunahmen. 

Bon einem Fürften, der wie Friedrich Wilhelm Geiftesbildung ebenfo 
wenig ſchätzte als befaß, Hatten Literatur und Kunft nichts Gutes zu-er- 
warten. Beſonders die ſchönen Künfte wurden durd) ben Tod ihres 


264 Friedrih Wilhelms I. Staatsverwaltung. 


Göonners Friedrichs I. hart betroffen; mit der Hofgunft endete ihre furze 
Blüte, und da fie im Volke noch nicht feftgewurzelt waren, fo verfielen 
fie ganz. Die Verbreitung der Wiſſenſchaft hielt Friedrich Wilhelm fogar 
für ſchädlich; denn bei vielem Wiſſen, meinte er, feien die Unterthaner 
leichter zum Räfonniren und zum Ungehorfam aufgelegt. Daher verbot 
er bei’feinem Regierungsantritt die berlinifchen Zeitungen, und als er fie 
dann 1715 doch wieder erlaubte, feßte er ihnen einen Zenfor, durch 
den fie fo beſchnitten wurden, daß es fi) nicht der Mühe verlohnte fie 
zu leſen. Wollte man etwas von den Vorgängen im Staate wiflen, fo 
mußte man ausländifche Zeitungen Iefen, namentlich die holländifchen, 
die damals in Europa die freimätigften und angefehenften waren. Wenn 
Friedrich Wilhelm das Gelehrtentum veradhtete, jo mag ihn der Umftand 
einigermaßen entſchuldigen, daß die damalige deutſche Gelehrſamkeit ımd 
Schriftftellerei wirklich in hohem Grade abgefchmadt, pedantiſch und 
Ichwerfällig war. Die meiften Gelehrten verdienten den Spott, mit 
welchem der König fie bei jeder Gelegenheit überhäufte. Denn ſie 
bradjten von den Univerfitäten und aus ihren Büchern nichts als totes 
Wiffen zufammen, ftroßten von fremdem Witz ohne eigenes Urteil und 
führten über jeden Fall, der ihnen vorkam, einen Schwall von Sentenzen 
im Munde, die, aus den Werken der Griechen und Römer entlehnt, zur 
Sache meift in feiner vernünftigen Beziehung ftanden. Antwortete ihnen 
ber König: „ich will nicht wiffen, was Ariftoteles gejagt hat, fondern 
was ihr felber von ber Sache, um bie id) euch frage, für eine eigene 
Meiming habt”; fo verftummten die Pedanten in der Regel und be= 
ftärkten ihn dadurch in feiner Überzeugumg, dab ein Quentchen Mutter⸗ 
witz, von gehöriger Autorität unterftüßt, mehr als ein Zentner Schulwitz 
vermöge, Die Aademie der Wiffenfchaften wollte er zuerft ganz aufs 
heben; fie war in der That, wo nod) fo vieles Nützliche im Schulweſen 
fehlte, ein leeres Schaugepränge; da fie ſich aber erbot, zur Ausbildung 
von Wundärzten ein anatomifches Theater zu errichten (was auch 1717 
geſchah), fo ließ er fie beftehen, entzog ihr aber viele Einkünfte und ber 
wies ihr feine Geringihägung, indem er zu ihrem Präfidenten nad) dem 
Tode des großen Leibniz feinen Hofnarren, Paul Gundling, einen ge 
lehrten Bedanten, ernannte. Diefelbe Ungunft bezeigte er den andern 
gelehrten Anftalten. Für die königliche Bibliothek fand er im Etat 1000 
Thaler ausgefeßt; weshalb, begriff er nicht; er jelbft las von gedruckten 
Sahen mur die Bibel und Kreuzbergers Morgenandaditen; er hielt es 
für umndg die Büchermaffen, die in der Bibliothef lagen, noch zu vers 
mehren. Er ſtrich aljo die 1000 Thaler und übenwies dieſe Einnahme 
einem feiner Generale. Von den Univerfitäten verlangte er, daß fie 
recht viel wohlhabende Fremde ins Land zögen, damit die Acciſe fi 
möglichft hebe. Gleichwohl leiſtete er ihnen nichts; ja bie Univer⸗ 


Die geiftigen Intereffen. 265 


fitäten wurden nicht bloß in ihrem Vermögen und ihren Rechten eher 
geſchmälert als gefördert, fondern auch in der öffentlichen Meinung er- 
niedrigt. Denn fie alle traf die Demütigung, die der König einmal (e8 
mar am 12. November 1737) der Untverfität Frankfurt a. O. bereitete, 
als er diefe Stadt befuchte. Auf feinen Befehl mußte der Magifter 
Morgenftern, ein gelehrter Mann, der aber dem Könige als Hofnarr 
diente, mit ben Profefforen eine öffentliche Disputation, betitelt: Ver— 
nünftige Gedanken von der Narrheit und den Narren, halten. Im Beis 
fein des Königs, der Studenten und aller Profefforen, die durch Unter- 
offigiere zufammengetrieben wurden, erſchien Morgenftern auf dem Katheder 
in einem grelbunten, mit lauter Hafen beftictten Anzuge, einen Fuchs- 
ſchwanz ftatt des Degens an der Seite und eine große Perücke auf bem 
Kopfe. In diefem Aufzuge mußte er den Beweis führen, daß die alten 
Schriftfteller bloß alte Salbader und Narren gewefen, und die Profefforen 
Roloff und Fleiſcher mußten ihm opponiren. Der Theologe Mofer wies 
ein gleiches Auſinnen von fih. Der König meinte zwar darauf: „Es ift 
ja nur erlaubter Spaß. Jeder Menſch Hat feinen Narrn, ich ben Sol» 
datennarrn, Ihr den geiftlichen Hochmutsnarrn, ein anderer einen ans 
deren.” Aber foldye Auftritte, bie das geſamte Gelehrtentum lächerlich 
machen follten, brachten feinem Zeile Ehre. Im Grunde ließ der König 
die- Univerfitäten nur um derjenigen Wiſſenſchaften willen beftehen, die 
für das praftifche Leben von handgreiflichem Rutzen waren, dieſe allein 
achtete er; vornehmlich die Theologie und die Medizin; für fie that er 
auch manches, ftellte z. B. das Medizinalweſen 1723 unter eine eigene 
Behörde (das Collegium Medico-Chirurgicum zu Berlin) umd legte zum 
Nupen der Kräuterhinde auf bem Boden des bisherigen Föniglichen 
Hopfen» und Küchengartens vor dem Potsdamer-Thore zu Berlin einen 
botanifchen Garten an (1715). 

Große Berbienfte dagegen erwarb er ſich un das eigentlihe Volks⸗ 
ſchulweſen. In den Anfangsgrünben des Chriftentums, des Leſens, 
Schreibens, Rechnens ſollte jeder, auch ber allergeringfte feiner Unter- 
thanen bewanbert fein. Cr befahl (durdy das Schulgeſetz don 1717) 
allen Eltern, die Kinder vom fünften bis zum zwölften Jahre in bie 
Schule gu fchidden, ben Geiftlichen, niemand zu Fonftrmiren, ber nicht 
wenigftens leſen könne; er fchente ſelbſt feine Koften, um den Clementar- 
Unterricht In "Schwung zu bringen, ließ auch feine Rekruten bei den Re 
gimentern im Schreiben, Leſen und im Ehriftentum untetrichten. In der 
Provinz Preußen, wo das Dorfihulmeien am meiften darniederlag, 
gründete er am 1000 neue Dorfichulen und gab im Jahre 1735 dazu 
150 000 Thaler der. 

So war er immer auf das mittelbar Nüßliche bedacht und wirkte 
darin überall Großes; ohne äußeren Glanz, aber‘ auf foliden Grundlagen 


266 Auswärtige Berhältniffe. 


erwuchs der Staat unter feiner Verwaltung zu einer feltenen inneren 
Kraft und Haltbarkeit. Da aber Friedrich Wilhelms heilfame Thätig- 
keit frei und ungeftört wirken konnte, verbankte der Staat dem langen 
Frieden, den er unter diefem Könige genoß. 


Auswärtige Berhältniffe. 


Friedrich Wilhelm folgte einem richtigen Inſtinkte, wenn er fi) wohl 
hütete, die Waffen, die er zur Verteidigung des Staates immer bereit 
hielt, zu Angriffskriegen zu gebrauchen; denn fein wahres Element war 
die imere Verwaltung. Die Macjtmittel, die er mit fo vieler Arbeit 
zuſammenbrachte und aus Vorficht nicht auf das Kriegsfpiel jeßen mochte, 
waren jedoch bereits zu bedeutend, um von den fremden Mächten nicht 
veranfchlagt zu werden; man rechnete ſchon mit Preußen als einem an- 
ſehnlichen Faktor in den Weltverhältnifien und fuchte den König bald in 
diefe, bald in jene Verbindung zu ziehen. Die europälfche Politif war 
damals im Grunde eine Kette non Hofintrigen; das perfönliche Intereſſe 
der Fürften, ihre Samilienbeziehungen und ihre Launen vereinigten ober 
ſchieden die Staaten bald fo, bald anders. Große Beweggründe fehlten 
ebenfo ehr wie große Könige. Die Mittel und Wege aber waren krumm 
und unehrlich; jedes Kabinet fuchte das andere zu hintergehen und aus- 
zubeuten. Hier galt es, der Lift mit Lift, der Gewandtheit mit Gewandt- 
heit zu begegnen. Das war fein Feld, auf dem ſich Friedrich) Wilhelm 
zu Haufe fühlen konnte, er war fein Diplomat, Seine äußere Politik 
hatte baher einen unſichern Gang und wenig Erfolg. Ein beftimmtes 
Biel ſteckte fie fi) zwar: Friedrich Wilhelm wünſchte ſehnlichſt für den 
nahe bevorftehenden Yall des Erlöſchens ber Kurlinie Pfalz-Neuburg die 
Herzogtümer Jülich und Berg zu erwerben. Aber er verftand es nicht, 
die rechten Mittel zu wählen. Er meinte von der Gunſt des Kaifers 
erlangen zu fönnen, was nur durch fühnes Bugreifen erreichbar geweſen 
wäre; baran verhinderte ihn nun feine Rechtlichkeit. Ex Tonnte mit Hilfe 
des Auslandes, namentlich Frankreichs und Englands, auf Koften Deutich- 
lands größer werden; doch das geftattete feine echt. beutiche Gefinnung 
wicht; überdies war ihm alles Franzöſiſche in tieffter Seele verhaßt, und 
aud) das Haus Hannover, das in England regierte, mochte er nicht 
leiden, obwohl Georg I. von Hannover fein Schwiegervater war. Er hätte 
möüffen den natürlichen Gegenfag Hohenzollerns und Habsburgs in Deutſch⸗ 
land fefthalten und zu feinem Vorteil wenden; aber er war perſönlich 
dem Kaifer ergeben. Kurz, er war ein Gefühlspolitifer. Seine Stellung 
wurde noch dadurch ſchwieriger, daß er durch feine Rarrheit für lange 
Kerle fi mit feinen Nachbarn in fortwährende Händel vermidelte, daß 
er im diplomatiſchen Verkehr mit argwöhniſcher Giferfucht auf jede wirk⸗ 


Hofparteien. 267 


liche oder ſcheinbare Kränkung ſeiner Würde achtete, vor allem, daß er 

feiner Leidenſchaftlichleit auch da ben Zügel ſchießen ließ, wo es auf 

Tältefte Berechnung ankam. So geſchah es, daß er in ber auswärtigen 

Politik Haltlos und unfelbftändig Hin und her ſchwankte und gewöhnlich 

von benjenigen in feiner Umgebung geleitet wurde, die geſchickt genug 
. waren, ihren Einfluß auf ihn ihm felber zu. verbergen. 

Niemand vermochte dies beſſer als der General von Grumbkow, 
ein Mann von vielfeitiger, wenn auch oberflächlicher Bildung, ein 
genauer Kenner der Menjchen und der Höfe. Durch ein jehr gewandtes 
und munteres Benehmen gewann er die Gunft, durch die biebere Gerad- 
beit und Sreimütigfeit, Die er erheuchelte, gewann er auch die Adhtung 
des Königs; zuleßt wurde er ihm ein unentbehrlicher Gefellfchafter, weil 
er ben Schwächen feines Herm, die er von Grund aus fannte, fehr ge- 
ſchickt fehmeichelte, dann and), weil er einen ganz borzüglichen Tiſch 
führte und den König der Mühe und Koften überhob, ein Haus zu 
machen und vornehme Fremde glänzend zu bewirten. Der König fpeifte 
oft bei ihm und pflegte feinen Gäſten zu jagen: „Wenn ihr feiner als 
bei mir eſſen wollt, müßt ihr zu Grumbkow gehen.“ Um ihn dabei zu 
-unterftügen, gab er ihm übrigens anfehnliche Tafelgelder. Dieſer Gimft- 
ling, ber auch zum Minifter ernannt wurde, wußte ſich nun als Ratgeber 
in ber äußeren Politik einen ſolchen Einfluß zu verſchaffen, daß die 
fremden Mächte ihn in ihren Sold zu ziehen fuchten, und der gewiffen- 
loſe Mann ging darauf ein, verriet den König und den Staat, um mit 
fremdem Gelde den großen Aufwand zu beſtreiten, den fein ſchwelgeriſches 
Reben erforberte. Doch war er beim Publikum faft nicht weniger be- 
liebt als bei feinem Herm; denn nad) feinem Grundſatz „Ieben und 
leben lafſen“ bezeigte er fi gegen jedermann freundlich und gefällig; 
auch erhielt. er allein noch in Berlin die Überbleibfel des guten Ge- 
ſchmads, des feinen Weſens aufrecht, welches ımter der vorigen Regie— 
rung bier geherrſcht hatte. Es gab wenige, bie ſchon bei feinen Leb⸗ 
zeiten ihn als das erkannten, was er war: ein faljcher und treulofer 
Selbftling. 

Nicht geringeren Einfluß auf den König hatte der Fürft Leopold 
von Deffau. Diefer berühmte Kriegshelb war kein glatter Höfling 
wie Grumbkow, vielmehr ein rauher Soldat, „ungeſchlacht von Aus— 
jehen, ein langer, ſtarkknochiger, hariger Mann wit wolfigen Brauer, 
wachſamen, hurtigen Augen; die Geſichisfarbe blänfich, wie wenn Das 
Schießpulver nod) in ihm ftedte” ; aber dieſer fehnurrbärtige Degenlnopf 
verſtand es wie einer, die Entjchließungen des Königs, wo biefer ſchwankte, 
nad) feinem Willen zu Ienfen. Friedrich Wilhelm verehrte ihn wegen 
-feiner milttärifchen Verdienſte; auch ftimmten beide in ihrer foldatifchen 
und wirtſchaftlichen Weife überein, jo daf es dem Fürften werig Mühe 


268 Auswärtige Verhaltniſſe. 


toftete, fein Anfehen bei dem königlichen Freunde in allen Dingen geltend 
zu machen. Er fprad) allemal zu Gunften des Kaifers, dem er fehr zu= 
gethan war, und unterſchied fi) darin von Grumbfow, welcher e8 immer 
mit dem Meiftbietenden hielt. Diefen beiden Günftlingen und ihrem 
Anhang gegenüber ftand die Partei der Königin Sophie, die bei ihrem 
Gemahle ebenfalls viel galt. Sie war eine hochgebildete Frau, gütig, . 
tadellos in ihren Sitten; daher allgemein geadjtet und geliebt. Ihren 
Einfluß richtete fie vornehmlich auf eine enge Vereinigung der verſchwä⸗ 
gerten Häufer Hannover und Brandenburg; nichts Tag ihr mehr am 
Herzen als eine Doppelheirat zwifchen ihren beiden älteften Kindern, dem 
Kronprinzen Friedrich und der Prinzeffin Wilhelmine, mit denen ihres 
Bruders, bem nachherigen Prinzen von Wales und deſſen Schweſter 
Amalie, herbeizuführen. 

Es ſchien anfangs, als werde ihr diefer Plan glüden. Ein Bünd- 
nis, weldes im April 1725 zwifchen Spanien und Öfterreid) zuftande 
fam, veranlaßte die Höfe von Paris und London ſich ebenfalls mit 
einander zu verbünden; die beiden Gruppen ftellten fi) einander feindlich 
gegenüber; man hielt einen allgemeinen Krieg für wahrfcheinlih. Da 
war e8 nun von höchſter Wichtigkeit, welche Partei der König von 
Preußen, der Kriegsherr von 50 000 Mann ſchlagfertiger Truppen, er- 
greifen werde. Friedrich Wilhelm war gerabe mit dem Kaifer gejpannt, 
weil biefer den Appellationen der magbeburger Ritterfhaft Gehör gab; 
er ließ fi) daher von feiner Gemahlin zu einer Reife nad) Hannover 
und dort von feinem Schwiegervater zum Bündnis mit ihm bereben. 
So wurde in Herrenhaufen bei Hannover am 3. September 1725 
ein Vertrag abgefchloffen, kraft deffen Frankreich, England und Preußen ſich 
bei einem etwa ausbrechenden Kriege gegenfeitige Unterftügung und für 
den Tall des Ausfterbens der Linie Pfalz-Neuburg dahin zu wirken ver⸗ 
ſprachen, daß die Herzogtümer Jülich und Berg an Preußen kämen. 

Nun bot der Katfer alles auf, um Friedrich Wilhelm von feinen 
neuen Verbündeten abzuziehen. Er ſchickte zu dieſem Zweck den General 
dv. Sedendorf als Gefandten nad) Berlin. Sedendorf war ganz der 
Mann für diefen Auftrag. Gewandt und ſchlau wie Grumbkow, als 
ein tüchtiger General und angenehmer Gefellfchafter von Friedrich Wil- 
helm längft geichägt, ſetzte er fi) jeßt, indem er fic den Eigentümlich- 
teiten des Königs genau anpaßte, ganz in deſſen Gunſt. Für feinen 
Zweck war ihm jedes Mittel recht; er beſtach Grumbkow und andere 
Günftlinge des Königs, und da Leopolb von Deffau ohnebies kaiſerlich 
gefinnt war, fo bildete fid) am Hofe eine ftarfe und überaus thätige 
öfterreichtiche Partei. Friedrich Wilhelm felbft kam ihr auf halbem 
Wege entgegen. Es reuete ihn fhon, in feinem Ärger über ben wiener 
Hof fi) auf Die Seite des Auslands geftellt zu haben. Er konnte nun 


Hofintrigen. 269 


einmal die Franzoſen nicht leiden; er äußerte dieſen Widerwillen derb 
genug: „er ſpucke jedesmal aus, ſo oft er einen Franzoſen ſehe.“ Auch 
feinem Schwiegervater, einem ſtolzen, pedantiſchen Herrn, war er int 
Herzen abgeneigt und zürnte, daß diefer die Verabredung wegen der 
Doppelheirat, die man zu Herrenhaufen feftgefeßt, nicht abſchloß. So— 
dann befürchtete er, England und Frankreich „wollten ihn nur gebrauchen, 
die Kaftanien aus dem Feuer zu holen." Geine gewöhnliche Vorliebe 
und Verehrung für den Kaifer drang wieder durch. Am 12. Oftober 
1726 unterzeichnete er zu Königs-Wufterhaufen einen Vertrag, in 
welchem Öfterreih und Preußen ſich ihren Befipftand gegenfeitig ge- 
wäbrleifteten und eintretenden Falls einander mit 12000, bezüglid) mit 
10000 Mann Hilfe verjprachen. Friedrich Wilhelm erfannte dabei die for 
genannte pragmatifche Sanktion an, d. h. das vom Kaifer 1713 erlafjene 
Hauögejeß, wonach befjelben beim Mangel männlicher Nachkommen feine 
ältejte Tochter,. Maria Therefia, die gefamten habsburgifchen Länder 
erben ſollte. Der Kaifer verſprach dagegen nad) dem Ausfterben von 
Pfalz-Reuburg das Herzogtum Berg an Preußen bringen zu helfen; 
wobei er wieder mit der alten Falſchheit feines Haufes handelte, denn 
die Erbfolge in Jülich und Berg hatte er kurz vorher, int Auguft 1726, 
bereit dem Pfalzgrafen von Sulzbach zugefichert, Tür, den Augenblid 
war aljo in Berlin die faiferliche Partei fiegreid), ‚und der wiener Hof 
ließ es nicht an Geld fehlen, fie in feinem Intereſſe feftzuhalten; fo 
wurde ‚namentlid” Grumbfow durd) ein.. Zahrgehalt von 1000 Dukaten 
zu fernerem Dienft gewonnen. Doch gab die Königin, das Haupt der 
englijch-franzöfijchen Partei am Hofe, ihre Sache noch nicht verloren. 
Don beiben Seiten beftürmte man ben König; Die eisen ‚beriefen fi) 
auf fein deutſches Gemüt, die andern ftellten ihm vor, Hſterreich und 
Spanien wollten dem Broteitantismus wieder zu Leibe, Friedrich Wil: 
helm wählte einen vortrefflichen Ausweg; .er- erflärte dem Taiferlichen 
fowie dem engliihen Kabinefte, Deutſchland müſſe neutsal bleiben, und 
er war. nicht dahin zu bringen, daß er, dem einen Beiftand zum Angriff - 
auf den andern veriprad. So ging das. drohende Kriegsunwetter vor- 
erft worüber. Dennod) blieb die Möglichkeit, daß es zwiſchen ben Weit- 
mächten und. dem Kaifer dad) nod) ‚zum Kampfe kommen werde. Jene 
fürchteten, Karl VI. werde feine Tochter an den ſpaniſchen Infanten ver- 
heiraten und fp eine neue Univerſalmonarchie heritellen; ber Kaiſer aber 
hätte gar zu. gern auf friedlichen oder gewaltfemem Wege alle Mächte 
zur Anerkennung, wo möglich ‚zur Gemöhrleiftung, feiner pragmatifchen 
Sanktion gebracht. Daher fuhr man. beiderjeits fort, fi um Preußens 
Hilfe zu bemühen. In diefer Zeit: ftarb Georg J.; fein Sohn. und Nad- 
folger Georg II. ftand ſich mit Friedrich Wilhelm noch weniger gut aß 
fein Vater; er nannte feinen Schwager nur den „Unteroffizier, aud) 


270 Auswärtige Verhältnifie. 


wohl den Erzjandftreuer des heiligen römischen Reichs, was dieſer mit 
Titeln, wie „Komddiant”, „Mantelfad" u. dgl. erwieberte. 

Die unfreundlihe Stimmung der beiden Schwäger war bem Kaifer 
fehr erwünſcht. Denn fie erleichterte es ihm, den König von Preußen 
durch leere Verſprechungen hinzuhalten und mittlerweile mit Georg IL 
gründlic) zu entzweien — ein Geſchäft, welches Sedendorf mit gewiſſen ⸗ 
lofer Betriebjamteit volführte. Unermüdlich, den König gegen feinen 
Schwager und gegen feine Frau und Kinder aufzuheßen, damit ber 
Bruch zwiſchen den verwandten Königsfamilien unheilbar werde, ſchlug 
er geſchickt alle Saiten in Friedrich Wilhelms Herzen an, die zu feiner 
Abficht ftimmten; den Geiz, indem er vorftellte, die engliſche Heirat 
werde viel Geld koften; den Stolz, indem er von der englifchen Hoffart 
ſprach, die fid) herabzulaffen meine, wenn fie eine Berfchmägerung mit 
Preußen zugebe; den Despotismms, indem er den Widerftand der Gattin 
und der Kinder gegen eine andere als die engliſche Heirat wie einen 
anmaßlichen Eigenwillen darftellte. Es gelang ihm. Der König wandte 
fich immer entfchiedener von der englifchen Partei ab und der öfter 
reichiſchen zu; endlich, da Georg II. mit einer ganz Maren und runden 
Zuſage in der HeiratSangelegenheit zurüchielt, wurde Friedrich Wilhelm 
über ihn fo aufgebracht, daß er fi} am Ende des Jahres 1728 zu 
einem Schritt entſchloß, den er gewiß nicht gethan hätte, wem jein 
alter Minifter Ilgen noch am Leben geweſen wäre. Aber diejer kluge 
Berater war furz vorher geftorben, und Friedrich Wilhelm feitdem ganz 
in den Neben des öfterreichifchen Gefandten. So ſchloß er am 23. Der 
zember 1728 für ſich und feine Nachkommen den berliner Vertrag; 
in demfelben gewährleiftete er die pragmatiſche Sanktion, Dagegen ver⸗ 
ſprach ihm der Kaifer unter allerlei Klaufeln die Erbfolge in Berg. 
Das waren die Hauptpunkte; im übrigen war der Vertrag ein Verteidi— 
gungsbündnis; er ſollte aber, jo ward feftgefebt, in allen Stüden null 
und nichtig fein, fobald ein Zeil ihn breche. Friedrich Wilhelm gab 
damit völlig den herrenhauſer Bund und feine Freundſchaft wit England 
und Frankreid; auf und war fortan im Schlepptau Öſterreichs. Yür 
ſolche Dpfer erhielt er nichts als eine unbeſtimmte Verheißung, die der 
Kaiſer zu Halten im Ernſte gar nicht gewillt war. Vielmehr fuchte ber 
wiener Hof dem Haufe Hohenzollern: auch andere Ausfichten auf Macht» 
zuwachs zu veriperren, und wirkte deshalb dahin, daß die Kinder Friedrich 
Wilhelms an unbedeutende deutjche Prinzen und Pringeffinnen verheiratet 
würden. Troh des Widerftrebens der Königin und ihrer Kinder ſetzten 
Sedendorf und beffen beſoldete Helfershelfer diefen Plan auch durch. 
Auf ihren Betrieb verheiratete Friedrich Wilhelm zunädjft feine zweite 
Tochter Luiſe mit dem Markgrafen von Ansbach, dem fie als Mitgift 
die Grafſchaft Geyern zubrachte (1729); den anderen erwachſenen Kindern 


Der Kronprinz. 271 


kündigte er ähnliche unerwünfchte Ehen ar, und ba gerade ihr Wider- 
ſpruch ihn in feinem Willen erft recht beftärkte, jo ſchürte Seckendorf bie 
Zwietracht tn der königlichen Familie eifriger als je. 

Friedrich) Wilhelm glaubte übrigens große Urfache zu haben, mit 
den Seinigen unzufrieden zu fein, zumal mit feinem älteften Sohne. 
Der Kronprinz Friedrich war mm zu einem Züngling erwachſen, feurig 
und geiftvoll, aber in allem, was dem Vater am hödhften galt, deſſen 
gerades Gegenteil. Der geiftlofe Gamafchendienft, die knickrige Hofhal- 
tung, des philiftröfe und rohe Weſen des Waters ſtießen ihn eben fo 
ſehr ab, wie ihn die verbotenen Früchte, die geiftigen Genüſſe der Wiflen- 
ſchaft und Kunft umd bie finnlichen der Liebe anzogen. Auch die kirch- 
lichen Übungen und Lehrſätze erſchienen ihm als leeres, abgeſchmacktes 
Formelweſen. Der König fah dies alles mit Schmerz und Ingrimm. 
Er tobte und raſte, wenn eine neue Anregelmäßigfeit im Leben des 
Kronprinzen ihm hinterbracht wurde und feine Überzeugung beftätigte, 
Fri fei gottlos umd liederlich, ein fchlechter Soldat und ein fehlechter 
Wirt. Er begriff nicht, wie viel feine verkehrte Erziehung verſchuldete, 
die mit brutaler Gewalt verfucht Hatte, dem anders gearteten Sohn nad) 
des Vaters Weſen umzuformen. Der ſchlechte Erfolg feiner Bemühungen 
reigte ihn nur zur Wut, nicht zur Überlegung. Er tyrannifirte den Sohn 
immer härter, und Gedendorf, ber einen fhärferen Blick hatte und die 
große Ratur in dem Züngling ahnte, war allemal bemüht, diefen in noch 
ſchwärzerem Lichte erſcheinen zu laſſen. Dennoch war die Königin ein- 
mal nahe daran, den ſehnlichſten Wunſch ihres Lebens erfüllt: zu fehen; 
im April 1730 traf die lange erwartete förmliche Bewerbung des eng- 
liſchen Hofs um die Hand der Prinzeffin Wilhelmine ein, und auch die 
Verlobung des Kronprinzen mit feiner engliſchen Bafe fehien ſich zu 
verwirklichen. Aber auch jetzt behielten Sedendorf und Grumbkow bie 
Oberhand, thre Einflüfterungen brachten den ſchwankenden König wieder 
gegen feinen Schwager auf; die Unterhandiungen mit England zerſchlugen 
fich noch einmal. Als dann der Kronprinz in Verzweiflung über ben 
Drud, unter welchem ihn der Vater hielt, und über bie unmürbigen 
Mifhandlungen, die er erdulden mußte, einen Fluchtverſuch machte, der 
mißlang und Die Verhältniffe in’ der königlichen Familie bis zur An— 
erträglichteit verſchlimmerte, da’ hatte bie kaiſerliche Partei völlig ge- 
wonnenes Spiel. Denn um ben Hausfrieden herzuftellen und aus 
ihrer harten Lage herauszukommen, fügten fi) die Kinder in des Vaters 
Bünde, Wilhelmine heiratete den Erbprinzen von Bayreuth (1731), 
und Friedrich erfaufte die Befreiung aus ber Feftung Küftrin damit, 
daß er ſich (1782) mit der Prinzeffin Eliſabeth von Braunfchweig-Bevern 
verlobte. 

Unterdefien war in den europäifchen Verhältniſſen ein Wechſel ein 


272 Auswärtige Verhältniffe. 


getreten; der König von England hatte die pragmatifche Sanktion ge- 
währleiftet, und der Kaifer hielt es nun in feinem Intereſſe, den berliner 
und den londoner Hof mit einander wieder auszuföhnen, damit er felbft 
an beiden um jo feſtere Stützen fände. Seckendorf mußte daher verfuchen, 
das mühfame Werk, welches er mit der Verlobung des Kronprinzen zu 
ftande gebracht, wieber rückgängig zu machen. Aber Friedrid Wilhelm 
‚hielt feit an feinem gegebenen Worte; Die Heirat wurde vollzogen (1733). 
Auch feine dritte Tochter Charlotte vermählte der König bald darauf 
den früheren Beftimmungen gemäß, fie wurde die Frau des Prinzen 
Karl von Braunſchweig⸗Bevern. Diefe Ehen, von der Politik gefchlofien, 
bradjten feinem Zeile Segen; der wiener Hof, der fie geftiftet, gewann, 
wie bie Folge lehrte, amt wenigften dabei, daß er bie Jugend bes preußi= 
ſchen Thronfolgers unglücklich gemacht hatte. Friedrich Wilhelm aber 
gingen ſeitdem allmählic) Die Augen auf über das unmwürdige Spiel, das 
der Kaifer mit ihm trieb. Doc; führte er feine auswärtigen Angelegen- 
beiten darım nicht geſchickter. Er verfäumte aud die günftigfte Gelegen- 
heit, durch einen Fühnen Streich feinem Staate beträchtliche Vorteile zu 
verfchaffen, eine Gelegenheit, welche Die Lage Polens damals bot. 
Stanislaus Lesezynsfi, der im Jahre 1710 entthronte König von 
Polen, war Schwiegervater Ludwigs XV. von Frankreich geworden und 
hatte viel Ausfidht, nad) dem Tode Augufts I. mit franzöfifcher Hilfe 
Die verlorene Krone wieder zu gewinnen. Öfterreih, Rußland und 
Preußen wollten aber einen Yürften mit ſolchem Rückhalt nicht zum 
Nachbar haben; und der ruffifche Bevollmächtigte Graf von Löwenwolde 
ſchloß daher im Dezember 1732 mit Friedrich Wilhelm einen Vertrag 
(u Königs-Wufterhaufen), wonach die drei Mächte einen portugieftfchen 
Prinzen zum polnifchen König machen wollten; Preußen follte für feine 
Mitwirtung das Herzogtum Berg, fowie für einen feiner Prinzen die 
Anwartſchaft auf Kurland erhalten. Diefer Vertrag wurde inbefien in 
Petersburg und Wien nicht genehmigt. Die beiden Kaiferhöfe traten 
vielmehr, als -Auguft H. ftarb, für defien Sohn Auguft II. auf und 
ſchickten Geld nach Polen und Truppen an die Grenze, um die Wahl 
desfelben durchzuſetzen. Dafür verſprach Auguft Die Anerkennung der 
pragmatifchen Sanktion, worauf der Kaifer um fo höheren Wert legte, 
- weil Auguft nit der älteren Tochter weiland Kaiſer Joſefs I. vermählt 
war. Der polnifche Reichstag wählte ‘aber Lesczynski; nur eine kleine 
Anzahl polnifcher Edelleute rief unter dem Schuß eines bis Warſchau 
eingerücten ruffifchen Heeres den Kurfürften von Sachſen zu ihrem 
Könige aus. Polen war indes längft nicht mehr in der Verfaffung, 
feine Gelbftänbigfeit gegen das Ausland aufrecht zu erhalten. Die Ent- 
ſcheidung Tag nit in der Zahl der Stimmen, fondern der Bajonette. 
Auch jäumte Ludivig nicht, feinem Schwiegervater mit den Waffen bei- 


Der polnifhe Erbfolgekrieg. 273 


zuftehen; er fündigte im Verein mit Spanien und Sardinien dem Kaifer 
den Krieg an und eröffnete denfelben mit Erfolg zugleich in Deutſchland 
und Stalien (Oftober 1733). 

Friedrich Wilhelm konnte nun, wenn er feinen Vorteil zu Rate zog, 
entweber für Stanislaus eintreten, der von den Rufen in Danzig be- 
lagert wurde, konnte Weftpreußen an ſich nehmen, oder, wenn er nicht 
mit Frankreich gemeinjame Sache machen wollte, wenigftens verhindern, 
daß das deutſche Reich wieder, wie gewöhnlich, als Schildfnappe Habs- 
burgs fi) für frembe Interefien in Krieg ſtürzte. Er that feins von 
beiden, fonbern ließ fid) von Seckendorf bewegen, auch jet dem wiener 
Hofe zu helfen und für den Reichskrieg zu ftimmen. Er bot dem 
Kaifer fogar außer den vertragsmäßigen 10000 Mann Hilfstruppen 
nod) 30000, wenn er ihm Berg wirklich einräume. Das wurde aber 
abgelehnt, Deutfchland und felbft der Kaifer hatten nachher den Schaden 
dabon. 

Zwar in Polen gingen die Sachen ganz nad) Öfterreih® Wunſch. 
Die Ruflen lagerten, 36 000 Mann ftark, unter Anführung des Generals 
Münnich vor Danzig und bedrängten die Stadt mit ftürmen und 
bombardiren. Die Danziger wehrten fid) zwar tapfer und hartnäckig. 
Stanislaus hatte die Beſatzung auf 10000 Mann verftärkt, eben fo groß 
war die Zahl der bewaffneten Bürger. Die Belagerung währte ein 
halbes Zahr (vom Januar 1734 bis zum Juli). Einmal (im Mai) 
landete auch eine franzöfifche Hilfsichar (2370 Mann). Aber Münnich 
erhielt fortwährend Verſtärkung; ein ſächſiſches Heer ftieß zu ihm, eine 
ruſſiſche Flotte fperrte die Weichfel. Am 21. Juni ergaben fi die 
Franzoſen und Polen in der Feſte Weichjelmünde. Nun konnte fi auch 
die Stadt felber nicht mehr halten. Stanislaus, als Bauer verkleidet, 
verließ fie und entwich durch das danziger Werder auf preußifches Ge⸗ 
biet und in den Schuß des Königs Friedrich Wilhelm, der ihn im 
Schloß zu Königsberg als Gaft aufnehmen ließ. Danzig aber mußte 
fid) ergeben (9. Yuli), dem König Auguft huldigen und ſtarke Strafe 
gelber zahlen; feine alten Rechte und Freiheiten behielt es, fein Wohl 
ftand aber hatte durch biefe furdhtbare Belagerung auf längere Beit 
gelitten. 

Sehr übel ftanden dagegen bie kaiſerlichen Angelegenheiten in Italien, 
wo die Franzofen die Lombardei eroberten, und am Rhein, wo bas 
faiferliche und Neichsheer ganz mäßig blieb. Der altersſchwache Prinz 
Eugen, der den Oberbefehl führte, war nur noch der Schatten jeiner 
früheren Größe, die Reichöfontingente wie immer uneinig und faumfelig. 
Es fragte fi), ob der wiener Hof Preußens thatkräftige Hilfe durch 
wirkliche Gegenleiftungen erwerben wollte — denn mit Worten ließ ſich 
Friedrich Wilhelm nun nicht länger abjpeifen — oder ob der Kaifer mit 

Vierſon, preuß. Geſchichte. I. 18 


274 Zriedrich Wilhelms I. Familienleben und Ende. 


Frankreich auf ſchlechte Bedingungen Frieden fchließen ſolle. Karl VI. 
30g das leßtere vor. Er vertrug fi), ohne bie Reichsftände zu fragen, 
im wiener Frieden (präliminirt im Oktober 1735) mit dem Haufe Bour- 
bon dahin, daß Stanislaus auf Polen verzichtete, dagegen die deutſchen 
Herzogtümer Bar und Lothringen erhielt, welche nad feinem Tode an 
Frankreich fallen follten; ferner trat der Kaifer Neapel ımd Sizilien für 
Barma, Piacenza und Tosfana an Spanien ab; dagegen wide bie 
pragmatiſche Sanktion von Spanien und Frankreich anerkannt. So ver 
untreute das Haus Habsburg dem beutjchen Reiche abermals eine jchöne 
Provinz. Friedrich Wilhelm aber war in feinem deutſchen Gemeinfinn 
eben fo fehr wie in feinem preußifchen Selbftgefühl tief gefränkt, er 
äußerte ummutig: „der Kaifer traftirt mich und alle Reichsfürften wie 
Schubjacks, was ic gewiß nicht verdient Habe." Wenn er jo überdachte, 
wie freu er immer zum Kaijer gehalten, wie er ihm jo oft das Intereſſe 
feines Staats, die Wünfche feiner Familie zum Opfer gebracht, und wie 
ſchnöde er allezeit dafür belohnt worden, da wollte ihm faft vor Grimm 
das Herz zeripringen, und erbittert rief er einft (am 2. Mai 1736), in- 
dem er auf den Kronprinzen zeigte: „Da fteht einer, der mich rächen 
wird!" Sehr bald fiel auch die letzte Hoffnung, bie er, wenn ſchon nicht 
mehr auf die Dankbarkeit, doc auf die Rechtlichkeit ſterreichs gejegt 
hatte, zu Boden; denn im Januar 1739 ſchloß ber Kaiſer mit Yrank- 
reich einen Vertrag, dab Berg ebenfo wie Jülich nad) dem Tode bes 
Kurfürften Karl Philipp von Pfalz-Neuburg an Karl Theodor von Pfalz⸗ 
Sulzbach übergeben und gegen etwaige preußiſche Einſprüche gewähr- 
leiftet werben ſollte. Damit brad) Karl VI. ausdrücklich ben berliner 
Vertrag vom Jahre 1728; dod) eben dadurch war aud) Preußen feiner 
Verpflichtung, die pragmatifche Sanktion zu gewährleiften, entledigt und 
hatte für die Zukunft nad) allen Seiten freie Hand. 


Seiebric Wilhelms I Familienleben und Eude. 


Ber von Dresden oder einem andern der damaligen Fürftenhöfe 
nad) Berlin fam und fah, wie hier der König lebte, mußte, wenn anders 
er ein gefundes Urteil und ein deutſches Herz hatte, von höchſter Achtung 
vor Friedrich Wühelms rauhem, aber ehrenwertem Charakter erfüllt 
werben. Hier gab es feinen prunkenden Hofftaat, feine Prachtfefte, feine 
Mütrefien, keine koftbaren Truppen von Sängern ımd Zängern, Rammer- 
dienen und Lafaien, die anderwärts das Mark des Volks verpraßten. 
Hier ging es ſchlicht und recht her, wie in einem ehrbaren wohlhabenden 
Bürgerhaufe. Friedrich Wilhelm hatte im Grunde feinen eigentlichen 
Hofftaat. Die wenigen Hofbeamten, bie er hielt, waren zum Zeil 


Tabetstollegtum. 275 


Militir-Offiztere; aud) die unteren Bedienten nahm er teilmeife aus dienſt⸗ 
thuenden Soldaten. Auf feine Tafel famen für gewöhnlich kein Buder- 
wert, feine feinen und ausländiſchen Speifen, außer für bie Königin und 
die Prinzeffinnen; dagegen reichlich Wildpret und Fifche, überhaupt gute 
Hausmanngtoft und nicht mehr als vier Gerichte; dazu inländifches Bier 
oder Aheinwein. So war aud) die ganze Tagesordnung einfach bürger- 
lich. Um 5 Uhr im Sommer, um 7 Uhr im Winter ftand der König 
auf und las in einem Andachtsbuche. Dann kamen feine Kabinetsräte 
oder Sefretäre und hielten Vortrag. Die eingelaufenen Schreiben wurden 
eröffnet und vom König furz beantwortet. Darauf konnte jeder, der ein 
Geſchäft ober Geſuch hatte, fid) melden und feine Sache vorbringen. Um 
10 Uhr ging der König zur Wachtparade, von ba in den Stall (auf der 
Breiten-Straße), erteilte Befehle und Tehrte ins Schloß zurüd. Um 
12 Uhr fpeifte er mit feiner Familie und den etwa eingeladenen Offi- 
zieren ober Fremden. Dann ritt ober fuhr er aus, meiftens nad) der 
Friedrichsſtadt, um die neuen Anlagen zu befehen und fonft das Treiben 
in der Stabt zu beobachten. Nach feiner Rückkehr erteilte er die Parole, 
erledigte noch einige Geſchäfte und ging um 5 ober 6 Uhr in feine 
Abendgejellihaft, das fogenannte Tabakskollegium, wo er in der 
Negel bis 9 Uhr biieb. 

Diefes Tabakskollegium war für gewöhnlich feine einzige Erholung. 
Man ſaß bier auf hölzernen Stühlen, rauchte holländifchen Kanafter aus 
Thonpfeifen und trank dudfteiner Bier, das fi) jeder felbft aus einem weißen 
Kruge einfhentte. Wollte jemand etwas efien, fo ging er in das Vorzimmer, 
wo Halter Braten, Butterbrot und Wein bereit ftand. Die Geſellſchaft 
war felten zahlreich; Friedrich Wilhelms vertrautefte Generale, Leopold 
von Defjau, Grumbkow und Seckendorf gehörten immer dazu: ferner lud 
er einige Minifter ein, zumellen auch andere Leute, die ihn gerabe in⸗ 
tereffirten, 3. B. die Gelehrten Gundling, Morgenftern, Graben zum 
Stein; letztere als eine Art von Hofnarren. Denn man unterhielt fich 
bier ſehr zwanglos; Schmirren und derbe, oft fabe und rohe Späße 
wurden erzählt; am liebften die Gelehrten verjpottet; aber aud) die wic- 
tigften Dinge, Angelegenheiten bes Hofs und des Staates geſprächsweiſe 
abgethan. Der König fehüttete hier über alles und jebes fein Herz aus, 
und die anderen burften fich ebenjo freimütig äußern. Er brachte von 
bier manchen bebeutfamen Eindrud mit, der ihn oft in feinen Handlungen 
beftimmte; das Tabakskollegtum war daher faft wie ein geheimer Staats⸗ 
rat, und feine Günftlinge wußten bier durch ein geſchicktes Wort oft mehr 
zu bewirken, als fonft ein Mintfter durch lange Vorträge. 

Eben fo einfach mußte feine Familie leben; er hielt in feinem Palaft 
auf diefelbe Ordnung, bie er in Bürgerhäufern wollte beobachtet wiflen. 
Einft trug er dem Propft Reinbed auf, der Königin zu fagen, fie möge 

18° 


276 Friedrich Wilhelms I. Familienleben. 


in Monbijon (ihrem Schloß in Berlin) nicht fo ſpät Geſellſchaft bei fich 
haben, der König könne es erfahren und übel nehmen. Auch durfte nie> 
mand aus feinem Haufe beim Gottesdienst fehlen. Hoffefte und Zeier- 
lichkeiten liebte er nicht, ftatt ihrer hielt er Mufterungen über die Regi— 
menter ab. Sonft vertrieb er fid) die Zeit, befonders wenn er frank war, 
mit Malen; denn müßig konnte er nie fein. Won wahrer Kunft war 
dabei freilich nicht die Rede. Eben jo wenig gab es in Berlin Hof- 
ſchauſpiele oder Hoflonzerte. Nur in dem Zirkel der Königin ſchätzte 
und übte man. muftfalifhe und andere äfthetifche Unterhaltung. Ste war 
aud) die einzige, die am Hofe dem rohen, bäurifchen Weſen ber Generale 
fteuerte; im ihrer Gegenwart durfte man nie durch ein derbes oder ge= 
meines Wort den Anftand verlegen. Friedrich Wilhelm jelbft Hate alles 
Zeremoniel; er machte feine Komplimente und wollte feine hören; natür— 
lic) umd geradezu — fo war immer feine Weife, und er gab für die‘ 
Umgebimg ben Ton an. Kein fhleichender Höflingstritt, fondern der 
dröhnende Schritt rauher, kerzengerader Kriegsleute ging durch bie 
preußifhe Königsburg. Hier ſprach man nicht franzöſiſch wie an allen 
anderen beutjchen Höfen, fondern ehrliches, wenn auch nicht elegantes 
Deutſch. 

Das Hauptvergnügen des Königs beſtand in der Jagd, der er, wie 
alle rohen Gemüter, leidenfchaftlid) ergeben war. Er legte um Wuſter⸗ 
haufen und Potsdam einen „Parforcegarten“ von mehreren Meilen im 
Umfange an, wo er jährlich) zwanzig ober dreißig Mal jagte und dabei 
täglich minbeftens 10 Stüd Wildes eigenhändig ſchoß; außerdem hielt er 
auch anberwärts oft Jagden ab, befonder8 gern in Preußen, wo es das 
mals immer noch Bären, Auerochfen, Elentiere, Wildſchweine und Füchje 
in Menge gab. 

Friedrich Wilhelm liebte feine Frau und Kinder aufrichtig; er war 
feiner Gattin unverbrüdlic treu und that fi) darauf nicht wenig zu 
gute. Auch war wirklich feine eheliche Treue bamals an einem Fürſten 
eben fo felten, wie feine fonftige Nüchternheit und Mäßigfeit und fein 
ganzes bürgerlich) deutſches Weſen. Aber bei aller Liebe war er doch 
ein fehr ftrenger Hausvater. Er forberte von Frau und Kindern diefelbe 
Untermürfigfeit, denfelben blinden Gehorfam wie von feinen andern 
Unterthanen. Nun ftimmten aber die Neigungen feiner Familie keines⸗ 
wegs mit ben feinigen überein; fte hätte gern aud) ein fo angenehmes 
Xeben geführt wie andere Fürſtenhäuſer. Sie vermißte ſchmerzlich alle 
höheren Genüffe, und ſelbſt bie erlaubten wurden ihr karg zugemeffen. 
Der König gab für den königlichen Marftall, die Kellerei, Livree- und 
Tafelgelber im ganzen nur 48 000 Thaler jährlid aus, — eine Keinig- 
keit im Vergleich zu den Millionen, die der ungeheure Luxus anderer 
Königshöfe koftete. Und doch war es eine fehr zahlreiche Familie, die 


Sein Ende. 277 


davon unterhalten werden mußte. Denn vierzehn Kinder hat Sophie 
ihrem Gemahl geboren, von denen zehn zu Jahren kamen. Indeſſen 
mehr als die Sparjamfeit des Hofhalts fiel der Königin und ihren 
Kindern die ftrenge Überwachung läftig, der fie unterworfen waren. 
Sie durften nichts, auch nicht das Unfchuldigfte, vornehmen, ohne daß 
der König es erlaubte, und diefer geftattete bloß, was feinen Ideen von 
Schicklichkeit und Ordnung entſprach. So führten fie ein eingezogenes, 
genau geregeltes und nüchternes Leben, aber aud) ein unglückliches. 
Denn der Zwang, die Entjagung erbitterte fie, und ihre Unzufriedenheit 
brachte den König fo auf, daß er zum Haustyrannen wurde, der feine 
Anordnungen oft mit rohefter Gewalt durchſetzte. Das Verhältnis ver- 
ſchlimmerte fi), als die Kinder fi) ganz natürlich immer enger an bie 
Mutter anfchloffen und beſonders in der Heiratsangelegenheit mit ihr ge- 
meinfame Sache gegen den Vater machten. Er ſah fie num faft nie, 
ohne fie zu befchimpfen und zu prügeln; fo verſcherzte er ihre Achtung 
und Liebe; durch Momente herzlicher Zärtlichkeit, die er ihnen gern zeigte, 
wenn fie genau feinen Willen thaten und babei froh ausfahen, konnte 
dies Mißverhältnis nicht leicht wieder gut gemacht werben. 

Friedrich Wilhelm hatte von Haufe aus einen Ferngefunden, kräftigen 
Körper; aber feine unruhige Ihätigfeit und die Beſchwerden, denen er 
fich fortwährend ohne Schonung unterzog, rieben ihn auf, Er gönnte 
fid) feine Bequemlichkeit; Teine Arbeit, keine Reife ging ihm ſchnell genug. 
Wenn er die Provinzen bereifte, was alljährlich geihah, ging es im 
Fluge dahin, jedem Wind und Wetter zum Trotz, oft auf grundlofen 
Wegen und durch eine Unzahl von Geſchäften. Bei einer Infpektions- 
reife im Jahre 1730 von Wehlau über Gumbinnen, Ragnit,. Tilfit, 
Memel, Heidefrug und zurüd nad) Königsberg machte er in ſechs Tagen 
86 Meilen und befichtigte Dabei über 60 Amter und Städte. Solche 
Anftrengungen, bie oft vorfamen, bazu die unbändige Leidenfchaftlichkeit 
feines Gemüts untergruben allzufrüh feine Gefundheit; er hatte 1734 
einen heftigen Anfall von Podagra, der ihn dem Tode nahe bradjte und 
von dem er fid) nie wieder ganz erholte. Dieje Krankheit, dazu fein 
angeborner Zähzorn, verwirrte zuweilen feinen fonft ſo Maren Geiſt. Es 
geſchah in ſolcher unzuredhnungsfähigen Stimmung, daß er einmal mit 
Salz geladene Piftolen an feinem Bette liegen hatte, die er auf feine 
Bedienten abfeuerte, wenn fie einen Befehl nicht zu feiner Bufriebenheit 
vollzogen. In dem entjeglich Falten Winter von 1739 zu 1740 brad) 
die Krankheit mit neuer Heftigfeit aus; er erfannte bald, daß fein Ende 
nahe war, und ließ den Propft Roloff kommen, um fi) zum Tode vors 
zubereiten. Da gab es nun einen harten Kampf zwiſchen dem Autofraten 
und dem Seelforger. Friedrich Wilhelm zählte alle feine Sünden aus— 
führlich Her, aber behauptete troß alledem recht gehandelt und alles zu 


278 Friedrich Wiljelms I. Ende. 


Gottes Ehre gethan zu haben. Roloff hinwieder beftand darauf, daß er, 
ftatt zu beichten, lieber in fid) gehe und feinen harten Sinn ändere, und 
da die zähe Natur nicht nachgeben wollte, jo redete er ihm immer ftrenger 
ins Gewiflen, wie er oftmals feine Unterthanen gebrüdt, Todesurteile 
geſchärft, auch manche ungerechte Hinrichtung verfügt habe, und wollte 
don ben Staatsgründen als Rechtfertigung por Gott nichts wiflen. Ende 
lic) fagte Friebrid Wilhelm: „Sr font meiner nicht; Er ſpricht als 
ein guter Chrift und ehrlicher Mann mit mir. Ich danke Ihm dafür und 
erkenne num, daß id) ein großer Sünder bin.” Diefe milde Stimmung 
blieb auch, als ſich das Leiden dann ein wenig beflerte. Ende April 
1740 ließ er fid) von Berlin nad) feinem geliebten Potsdam bringen. 
Doch bald kehrte die Krankheit mit doppelter Stärke zurüd. Er 
ließ nun den Kronpringen von Ruppin herbeiholen und verlebte mit ihm 
und feiner übrigen Familie noch einige Tage voll gegenfeitiger Zärtlich- 
teit. Der Kronprinz, ber in den legten Jahren die großen Verdienſte, 
die rebliche Arbeit des Königs, überhaupt ben eblen Kern in ihm hatte 
erfennen lernen und feinen Vater trotz defien früherer Härte wirklich liebte, 
war tief betrübt und floß über von aufrichtigen Thränen. Auch der 
König hatte num eine beffere Meinung von feinem Sohne, und in feinen 
Unterhaltungen ahnte er wohl, was alles in feinem Fri ftede. Sie 
verftanden fid nun gegenfeitig, die beiden tüchtigen, wenn auch fo ver- 
ſchie denen Naturen. „Ihut mir Gott nicht viele Gnade“, rief der König 
gerührt, „daß er mir einen ſolchen Sohn gegeben?" Diefer küßte weinend 
die Hände des Vaters, ber ihn umarmte und jchluchzend Hinzufügte: 
„Mein Gott, id) fterbe zufrieden, weil id) einen fo würdigen Sohn zum 
Nachfolger habe!" Er ordnete dann gefaßt alles an, wie es bei feiner 
Beerdigung gehalten werben follte. Zum Tert ber Leichenpredigt befahl 
er den Spruch zu nehmen: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft.” 
Dem Volke folle gefagt werden, daß er als ein großer armer Sünder 
fterbe, der aber bei Gott und dem Heiland Gnade gefucht. Übrigens 
folle man ihn in ben LZeichenreben weder verachten noch Ioben und übers 
banpt feine „Fagon mit ihm vornehmen‘. Am 31. Mai früh morgens 
nahm er zärtlichen Abſchied von feiner Frau und feinen Kindern. Dann 
verfammelte er feine Offiziere, Minifter und Räte, dankte ihnen für ihre 
Treue, fagte ihnen lebewohl, tröftete noch den fonft fo rauhen, nun zu 
Thrãnen gerührten Leopold von Deſſau und übergab dem Kronpringen 
die Regierung. Darauf Tieß er fich in fein Bett bringen, betete inbrünftig: 
„Herr Zefu, du bift mein Gewinn im Leben und im Sterben“, ſegnete die 
Seinigerr und beobachtete dann mit feltener Fafſung durch Bewegung 
der Glieder, wie ber Tod immer weiter von feinem Leibe Befik nahm. 
Er forderte einen Spiegel, jah ftarr hinein und fagte: „So fieht aljo der 
Tod aus! ich granle mir nicht vor dir!" Dann zum Chirurg, ihm den 


Innere Zuftände Preußens bei Friedrich Wilhelms I. Tode. 279 


Arm reichend: „Wie lange habe id) nod zu leben?" Diefer zudte die 
Achſeln und ſchwieg. „Woher weiß Er denn, daß es mit mir aus ift?“ 
„Euer Majeſtät Puls bleibt aus! er fteht ſtill!“ „Er ſoll micht ftill 
ftehen!" rief der König mit leter Kraftanftrengung feiner energtichen 
Natur und drohte mit krampfhaft geballter Yauft. Da ftand der Puls. 
Er ſank tot aufs Lager. 


Innere Zuſtünde FVreutzens bei Sriedricd Wilhelms I. Tode. 


Friedrid) Wilhelm war 52 Zahre alt geworben und hatte 27 Yahre 
regiert; und welch arbeitfames, entbehrungsvolles Regentenleben! Aber 
aud) wie reid) die Frucht, welche es getragen! Er hinterließ den Staat 
nicht nur umfangreicher, fondern auch innerlich unendlich ftärker, als er 
ihn überlommen. Der Flächeninhalt betrug jet 2145 Geviertmeilen; 
die Einwohnerzahl 2486 000 Menſchen in 12317 Dörfern, 34 Fleden, 
386 Städten. Das trefflich geſchulte und mit allem Kriegsbedarf reichlich 
ausgerüftete Heer zählte 83500 Mann. Die Einkünfte waren ebenfalls 
mehr als verboppelt, ja verdreifacht gegen ihren Beftand unter Friedrich I. 
Sie waren auf 7371700 Thaler erhöht. Davon wurden 5977400 Thaler 
auf das Heerwejen verwendet, 6 bis 700000 Thaler jährlich in den 
Schaf gelegt, der Reft, etwa 700000 Thaler, zum Unterhalt des Hof- 
ſtaats und der Zivilverwaltung verausgabt. Und obwohl Friedrich Wil- 
heim während feiner Regierung an 10 Milltonen auf den Anbau des 
Landes verwendet, für 5 Millionen neue Krongüter, für 2 Millionen 
Güter für die nachgebomen Prinzen, für 1Y/, Million Silberzeug gelauft 
hatte, fo Hinterließ er doch einen Schatz von baren 8 700 000 Thalern 
und eine Million an Beftänden in den Generalftaatsfafien. 

Er hinterließ aber auch ein fräftigeres, tüchtigeres Volk, als er vor⸗ 
gefunden. Sein Beifpiel und feine firenge Zucht gewöhnte die Unter» 
thanen an ein nüchterne® und arbeitfames, ordentliches und ehrbares 
Leben. Thätigkeit und gute Haushaltung wurben unter ihm hervor⸗ 
ftechende Züge im BVoltscharakter, und fie bewährten die Kraft, die fie 
überall haben: fie machten das Volt wohlhabend und glücklich. Eine 
andere höchft wohlthätige Folge dieſer Regierung war bie ftrenge Sitt- 
lichkeit, die im ganzen herrſchte; ferner Die militäriſche Disziplin, Die 
Durch ihn zu einer preußiſchen Nationaleigentümlicjleit wurde. Unter 
feiner Regierung war es, daß der Ausdrud Subordination entſtand, 
zur Bezeichnung jenes ftrengen Gehorſams, der nicht bloß bie erfte Tugend 
des preußifchen Soldaten war, fondern nun auch alle Schichten der 
übrigen Bevölferung. durchdrang; er galt in den Schulen und in den 
Familien, wie im Heere und in der Beamtenwelt. Auch die Schlichtheit 


20 Innere Buftände Preußens bei Friedrich Wilhelms I. Tode. 


und Einfachheit, der rechtfchaffene und gerade Sinn bes Königs, dieſe 
deutfchen Tugenden Tamen tm Lande mwieber zu Ehren. „Es fand ſich 
zu dieſer Zeit unter dem Volle eine Tugend, die ohne Aufheben geübt 
ward, die man fo heute nicht wieder findet, nämlich Die allgemeine Treue, 
der herrſchende gute Glaube, die Aufrichtigfeit im bürgerlichen Verkehr. 
Eine Zufage war damals mehr wert, als jet ein mit allen Yormali= 
täten verjehener Kontrakt, und der aufrichtige, derbe Handidlag eines 
damaligen biebern Berlinerd galt fo viel als heutzutage Brief und Siegel. 
Das half wiederum der Nächftenliebe auf; denn niemand hatte zu be» 
forgen, daß er Hintergangen ober beſchwindelt werden würbe, und jo 
nahm denn auch ber öffentliche Kredit zu. Ein mutwilliger Schuldner, 
ein Mann, der fein Wort brach, ftand in feiner Achtung mehr, er warb 
als ein Betrüger verabjcheut.“ *) 

Gegen den Lurus hatten auch frühere Fürften gar oft Geſetze ges 
geben, aber fie waren im wejentlichen wirkungslos geblieben. Die Be- 
fehle Friedrich Wilhelms dagegen wurden befolgt, nicht bloß weil er 
ihre Ausführung forgfam überwachte und mit Strafen raſch bei ber 
Hand war, fondern hauptfächlich, weil er felbft mit gutem Beifpiel voran= 
ging. Dem damals galt das Sprichwort: wie der Herr, jo der Knecht, 
aud für das Verhältnis des Fürften zum Wolfe, wenigftens in Hinficht 
auf bie äußere Weife des Lebens. Da des Königs Tafel einfach und 
mäßig befegt war, fo prangte auch der bürgerliche Tiſch nicht mehr mit 
Leckereien des Auslands, aber man fand auf ihm gutes Fleiſch und Ge— 
müfe, trefflihe Fiſche, Schinken, Würfte, Brot, Butter und Käfe, alles 
reichlich und wohlfeil, — dem man war fleißig und verthat fein Geld 
nicht für überfläffige Dinge — umd ſchmackhaft zubereitet; denn die Hauss 
frauen felber waren gute Köchinnen. Bemühten ſich doch felbft Frauen 
vom erften Range, vor der öffentlichen Meinung, bie der Köntg aufge 
bracht hatte, ſich durch ſelbſtthätige Wirtichaftlichkeit guten Ruf zu er- 
werben. Gattinnen der Feldmarſchälle und Staatsminifter wetteiferten 
mit den Frauen der Bürger und Bauern, ihr Hausweſen ordentlid) zu 
beforgen und überall felbft mit Hand anzulegen. Die Hausfrau, welchen 
Standes auch immer, war felten, die wicht mit ihren Töchtern und Mägden 
mehr beim Spinnrocken ımd in der Küche, als anberwärts verweilte. Es 
hätte einer jeden als Schande gegolten, ihr Leinen- und Tiſchzeug nicht 
felbft zu verfertigen; bie metften Mübchen hatten davon vor ber Hochzeit 
foviel zuſammengebracht, daß fie in ber Ehe feinen Groſchen dafür zu 
verwenden braudjten. 

Unverzärtelt und unverborben, in der Furcht Gottes und der Eltern 
wuchs das junge Geflecht heran. Die einfache, gefunde Koft und Lebens- 


e Amiga. a. D. 2, 88. 


Sittenzudt. 281 


art gaben fefte ımd dauerhafte Körper. Mar trank wenig Branntwein 
und Wein, aber vortreffliches inlänbifches Bier, z.B. bermaner und rup⸗ 
piner. Kaffee ward in Berlin nur an zwei Orten geſchenkt; er war jehr 
teuer und nur als Leckerei befannt. Auch das Tabakrauchen hatte noch 
wenig Verbreitung, obwohl es in der Mark ſchon 1620 durch englijche 
Truppen, die dem Böhmenkönig zu Hilfe zogen, bekannt geworben war. 
Dagegen kam befonders durch die franzöftfchen Einwanderer das Schnupfen 
in Mode. Kartoffeln, oder wie fie Damals hießen Erbnüfle, waren ſchon 
im Jahre 1651 auf der furfürftlichen Tafel zu Berlin erſchienen. Aber 
man gab wenig auf diefe Frucht. Im größerem Umfange pflanzte man 
fie in Berlin erft feit dem Jahre 1728 und zwar bei der Charits an; 
fie dienten aber nur als Viehfutter. 

Auch die Vergnügungen des Volks waren fehr einfach und befchräntten 
fich auf Privatgeſellſchaften; ſelbſt hohe Familienfeſte, wie Hochzeiten und 
Kindtaufen, wurden ohne Pracht und Prunk gefeiert. Öffentliche Schau- 
ſpiele gewährten nur die Mufterungen der Regimenter und die zahlreichen 
Hinrihtungen und anderen öffentlichen Strafen. Die Schaufpieler waren 
verachtet, galten als ehrios, und bie Truppen, die ſich zuweilen einfanben, 
waren in der That alles eher als Künftler; fie führten geſchmackloſe 
Singfpiele und andere Vorftellumgen auf, an benen die rohen, plumpen 
Späße des pöbelhaften Hanswurſt die Hauptſache waren. Außerdem 
gab es eine Menge von Marktichreiern, Taſchenſpielern und Gauklern, 
Die auf den Märkten das Volk beluftigten. Wenn fie aber unzüchtige 
Späße machten oder auf Betrug ertappt wurben, fo ließ fie der König 
durch Soldaten aufgreifen und wie andere Bagabumden in Buchthäufer 
oder über die Grenze bringen. Dasſelbe Schickſal hatten die Bigenmer 
und alle Schwindler und Glücgritter, die nad) Preußen lamen, um das 
Voll auszubeuten. Dagegen genoß ein gemiffer von Edenberg, „der 
ftarte Mann“, eine zeitlang die Gunft des Könige. Er fam 1717 nad) 
Berlin und veranftaliete „Affembleen“, in denen ee feine Künfte als 
Herkules, Seiltänzer und Schaufpieler unter großem Beifall des Hofs 
und der Berliner zeigte. 

Die Mäßigkeit und Strenge der damaligen Sitten verminderte nicht 
bloß den Hang zu einem Iodern Leben, jondern auch die geichlechtlichen 
Ausfchweifungen. Die Wolluſt durfte fi) wenigſtens nicht offen zeigen. 
Jedenfalls hielt man die Ehen gewifienhafter,, man ſah fie für heiliger 
an, ald es in fpäteren Beiten geſchah. Auf dem platten Lande ließ der 
König fogar Strafregifter über fleiſchliche Vergehungen führen; doch auch 
in dieſer Beziehung wirkte jein Beifpiel noch mehr als feine Verord⸗ 
nungen. 

Ebenfo verhielt es ſich mit der öffentlichen Gottesverehrung. Der 
König übte fie ſelbſt aufs genauefte, wie er ftreng ‚darauf hielt, daß 


282 Innere Zuftände Preußens bei Friedrich Wilhelms I. Tode. 


wenigſtens alle, die in feinem unmittelbaren Dienft fanden, fleißig im 
die Kirche gingen. Übrigens war der kirchliche Sinn im Volke ohnehin 
feftgewurzelt und konnte felbft durch die fteifen und Iangweiligen Pre— 
digten, die man damals von den Kanzeln zu hören pflegte, im ganze 
nicht erſchüttert werden. 

BVielleiht in feinem andern Stüde war der Umſchwung der Sitte, 
der nad) Friedrich Wilhelms Thronbefteigung in Preußen eintrat, fo aufs 
fallend, al$ in der äußeren Erfcheinung der Menfchen. Das Schminken 
und Malen der Geſichter, das Pudern und aller Lurus in der Kleidung 
hörte auf. Man gewöhnte fi, wie der König, ein übermäßig gepuptes- 
Frauenzimmer für eine feile"Dirne zu halten. Die flitterhafte parifer 
Mode kam in Verruf, die einfache deutfche in Aufnahme, oder vielmehr 
es bildete ſich eine eigene preußifche Mode auch für die Kleidung. 
Denn die Tracht im Bürgerftande näherte fich fehr derjenigen, die im 
preußifchen Heere herrſchte. Sie war äußerft reinlich umd ſchmucklos, 
die Farbe gewöhnlich blau, der Stoff inländiſches Wollenzeug ober 
Zinnen. Elegant waren freilich dieſe Kleider nicht, aber dauerhaft und 
wohlfell, und wenn fo ein Bürgersmann in feinem einfachen blauen Tuch - 
rock, der langen Wefte, den fnappen, an ben drallen Beinen eng ans 
liegenden Hofen daherſchritt, gerade und feft und ein Tritt wie der andere; 
nirgends ein Fleck ober Stäubchen, alles rein und nett; auf dem Haupte 
den breiedigen Hut und hinten den fteifen Zopf — fo hatte er ein gar 
ehrwürbiges und braves Anfehen. Dieſe ehrbare Tracht erhielt ſich lange, 
und man nannte jpäter diejenigen, die ihr treu blieben, Friedrichwilhelms- 
männer. Jeder, der nur einige Bebentung hatte, trug einen Degen; 
anfangs auch Die Schüler, denen ber König es aber ſchon 1715 verbot; 
außerdem trugen Gelehrte, Ärzte und Räte einen roten Mantel. Die: 
Abdvofaten, Die ber König haßte, weil er meinte, daß fe die Leute bloß. 
zur Prozeßſucht verführten, durften ſich nicht anders als ſchwarz kleiden; 
dadurch wollte fie der König dem allgemeinen Spotte ausfegen, welde 
Anficht dem auch gelang. 

Allerdings Hatte dies ganze preußiiche Weſen, das ber König auf 
bradjte, auch feine ſehr beträchtlichen Schattenfeiten. Die Tugend, die 
in diefem neuen Sparta herrſchte, war nicht bloß ſehr vauh, ſondern 
auch, wenigftens in mander Beziehung, mehr äußerlicher Art. Die 
Kirchen waren immer vollgepfropft, aber gar viele, die darin ſaßen, 
trieb weniger das Bebürfnis ihres Herzens als der Befehl ihres Vor⸗ 
geſetzten; und auch andere Pflichten wurben oft genug nur aus Bwang ger 
leiftet. Und dann — wie ärmlich jah es um allen höheren Genuß des 
Lebens, um Kunft und Wiffenihaft aus! Selbſt das Heerweſen drohte 
in Hußerlichteiten aufzugehen. Friedrich II. fagt darüber: „Im aueng 
der Regierung Friedrich Wilhelms hatte man fid) damit beichäftigt, bei 


Endurtheil. 283 


den Regimentern Ordnung und Mannszucht einzuführen. Da aber von 
biefer Seite nichts übrig blieb, fo wendete man die Aufmerkſamkeit nun 
auf ſolche Dinge, die ins Auge fallen. Der Soldat mußte fein Gewehr, 
der Reiter feinen Zaum und Sattel, ja jelbft die Stiefel ſpiegelblank 
machen. Zuletzt artete die an ſich müßliche Reinlichkeit im Tächerlichen 
Mißbrauch aus. Man vernadjläffigte das eigentlich Wichtige über die 
Beihäftigung mit Kleinigkeiten.“ Indes eben diefe blanfgepußte Armee 
bewies dann gleich in der erften Schlacht (1741 bei Mollwitz), daß fie 
nicht bloß die ſchönſte in Europa, fondern auch die tapferfte war und 
eben fo wohl zu fiegen als zu pußen wußte. 

Und fo muß man aud) von dem Volke fagen, welches Friedrich 
Wilhelm erzog, daß es im ganzen und großen wirklich jene derbe Tugend 
und Züchtigkeit befaß, auf die e8 dem Könige ankam. Er wollte in 
feinen Staaten bloß gute Soldaten, fleißige, bemittelte Bürger und 
fromme Chriften haben, und er hat dieſen Zweck in einem Umfange 
erreicht, wie ſchwerlich ein Fürſt vor oder nad) ihm. Das aber, was er 
feiner Natur nad) nicht geben konnte und wollte, ein reges und ſchönes 
geiftiges Leben, das war damals in Deutſchland überhaupt nicht zu 
finden; e8 erwuchs erft mit den großen Heroen der deutſchen Literatur 
und Philojophie, die bei Friedrich Wilhelms Tode meift noch ungeboren 
waren, und mit dem neuen deutſchen Nationalgeift, dem Friedrich Wil- 
helm vorarbeitete, indem er feinem großen Sohne die Mittel ſchaffte, 
denfelben vor allen Völkern wieder zu Ehren zu bringen. Darum ſchuldet 
nicht Preußen allein, fondern das ganze deutſche Volk dieſem Könige 
den größten Dank; er war nicht liebenswürdig, aber in hohem Grade 
achtungswert, zumal wenn man ihn vergleicht, um bon den ausländi- 
ſchen Fürften zu fchweigen, mit bem liederlichen Auguft II. ober dem 
ſchwachtopfigen Auguft III. von Sachfen, mit dem fähigen und trägen 
Kaifer Karl VI. und dem meiften andern deutſchen Landesvätern jener 
Zeit, die nichts thaten als praffen und ſchwelgen und ben Franzoſen 
fpielen. Um fo ungerechter urteilte die befangene Mitwelt, wenn fie in 
Friedrich Wühelm I. faft nur ben rohen Soldaten, ben jähzormigen 
Zyranmen fah; Die unparteiti—hen Nachkommen werben ihn immer troß 
aller feiner Schwächen zu den Wohlthätern ber Menſchheit rechnen. 


Zünftes Bud. 


Sriedrich der Große. 


As Luther erftand und die Ketten, die Roms Prieſterſchaft dem 
beutfchen Volfe angelegt, mit fühner Hand zerbradh, da ſchien er Deutſch⸗ 
land zum Vaterlande der Geiftesfreiheit zu weihen. Aber wie bald eilten 
Befreier und Befreite, den Glauben wieder in herrifche Formeln zu ban= 
nen, wie bald ſchwor auch der Proteftant wieder auf die Worte menſch⸗ 
licher Meifter! Hie Luther! hie Kalvin! gellte es — und Rom triums 
phirte. Oder war es nicht im legten Grunde eben der Settenhaß ber 
Evangelifchen wider einander und daher ihre Uneinigkeit, was dem Haufe 
Habsburg die Möglichkeit gab, im dreißigjährigen Glaubenskriege Deutjch- 
land zugrunde zu richten? So enbete das Seitalter der Reformation, 
das fo herrlich begonnen, im allgemeinen Ruin der Nation. Zwar aus 
der Welt geſchafft konnte der wahre Proteftantismus, das Recht ber 
Vernunft über Menſchenſatzung, nicht wieber werben; aber er war ver— 
knöchert in ftarrem Dogmenmefen, und mie der Glaube lag auch das 
Meinen und das Wiffen unter der Wucht zahliofer Vorurteile darnieber. 
Mit dem geiftigen Bankrot Hielt Schritt der politiſche. Der Reichskörper 
war in Auflöfumg, ein Spott ımd Spielball des Auslands, das fi) un- 
geftraft an ihm vergriff und bereicherte. In dem glorreichen Kaiferftaat, 
der einft der mächtigfte war in der Chriftenheit, trieben jet hunderte von 
Landesherren mit taufenden von Hofichranzen und Mätreffen ihr Weſen; 
das deutſche Bolt aber war nichts als ein unfreier Haufe, den die Yürften- 
ſchaft nach Luft und Laune tn abfolutem Gottesgnadentum beherrichte und 
meift ſchmaͤhlich ausſog. In troftlofer Jämmerlichkeit und lächerlicher 
Kleinlichleit verſank das deutſche Leben. Nur in Preußen war noch Hoff: 
nung; bier herrſchten unter Friedrich Wilhelm I. rohe Tugend und ge» 


Friedrichs Erziehung. 285 


funder Menfchenverftand und ſchufen etwas Tüchtiges; aber der eifernen 
Zucht des Willens fehlte das Bewußtfein hoher, ebler Ziele; unter ihr 
geriet der junge preußijche Staat in Gefahr zu erftarren; auch die legte 
Hoffnung des deutſchen Volkes ſchien zu verborren. Da erweckte ihm 
Gott zum zweiten Male in Norbdeutichland den Retter, den Genius, ber 
auf ben Thron dieſes Kriegerftantes wieder das Panier der Geiftesfrei- 
beit pflanzte und der Aufflärung in ihrem Kampfe wider die Vorurteile 
mächtig Bahn brach, den Helden, den Sieger. über halb Europa, deſſen 
Thaten dem deutfchen Nationalleben wieder einen großen Inhalt und 
einen Weltruhm gaben, den König, um beffenwillen allein es für bie 
Nachkommen der freiheitsftolgen Germanen feine Emiebrigung war, uns 
umſchränkten Fürſten zu gehorchen. Diefer Einzige, Friedrich der Große, 
indem er Grunbfäße verfündete, Thaten verrichtete, an denen ber deutſche 
Volksgeiſt fi) mächtig erhob, ward zum Vorfämpfer einer neuen befferen 
Zeit, nicht für Preußen allein, für ganz Deutichland, defien größter Sohn 
er geweſen ift. 


Es war am Sonntag den 24. Januar 1712 Vormittags um halb 
zwölf Uhr, daß zu Berlin dem alten Könige Yriedri I. ein Enkel ge- 
boren ward. Der neue Prinz, der dritte Sohn Friedrich Wilhelms und 
Sophie Dorotheens, deren zwei erjte Söhne bald nach ber Geburt ge- 
ftorben waren, erhielt in ber Taufe nad) feinem Großvater Friedrich und 
nad) feinem Paten, dem Kaiſer Karl VI., die Namen Karl Friedrich; 
der Vater nannte ihn indes kurzweg Fritz. Seine erfte Erziehung wurde 
ganz der Mutter und nad) damaliger Hoffitte einer franzöfljchen Er— 
zieherin, der Frau v. Rocoulle, überlaffen, einer aus Frankreich geflüch- 
teten Proteftantin, die bereits Friedrich Wilhelms Kinderjahre gepflegt 
hatte. Zumächft durch fie, die nur franzöfiſch fprach, gewann Friedrich 
eine große Vorliebe für dieſe Sprache; fpäter, als er die Damalige Ge— 
ſchmackloſigkeit der deutſchen Sprache mit der Eleganz der franzöſiſchen 
verglid), wurbe er in feiner Neigung noch mehr und für immer beftärkt. 
Als er in fein fiebentes Jahr ging, wurde ihm der General v. Finfen- 
ftein, ein alter frommer Kriegsheld von mafellojer Rechtſchaffenheit und 

. verdient durch manche tapfre That, übrigens in feinem Benehmen -foldas 
tiſch abgemefien und kalt, zum Oberhofmeifter, der Oberſt v. Kalkitein, 
ebenfalls ein zuverläffiger Kriegemann, zum Unterhofmeifter gegeben. 
Der eigentliche Lehrer war ein Deutichfrangofe, von ber franzöftichen 
Kolonie in Berlin; er hieß Duhan de Jandun und befaß eine mehr⸗ 
feitige, wenn auch oberflädliche Bildung, beſonders aber viel Geſchmack 
für die ſchönen Künfte. Der Erziehungsplen, den der König feitießte, 


286 Friedrich der Große. 


enthielt folgende Grundſätze: als Säule aller Wohlfahrt müfje man feinem 
Sohne eine rechte Liebe und Furcht Gottes, dabei auch Abſcheu vor allen 
nicht evangelifchen Lehren beibringen; fodann Begierde zum Ruhme, zur 
Ehre ımd Bravour; ferner Liebe zur Ordnung und Sparfamteit; ganz 
befonder8 aber wahre Luft zum Soldatenftande. Die Hofmeifter follten 
ihm aufs nachdrücklichfte einprägen, daß er vor ber Welt ein verachteter 
Menſch wäre, wenn er nicht Soldat würde. In den Wifſenſchaften follte 
er nur bag Nötigfte und Nützlichſte Iernen: wenig methobiihe Gram- 
matit, wenn er fi nur eine fließende franzöſiſche und deutſche Schreib» 
art aneigne; die alte Gefchichte obenhin, die neue und vornehmlich die 
preußiſche ſehr genau; ebenjo Geographie, Natur⸗ und Völterrecht; die 
Rechenkunſt aber, die Mathematik, Artillerie und Okonomie aus dem 
Grunde. Auf dreierlei alfo fam es an: der Prinz follte ein guter Soldat, 
ein guter Wirt und ein guter evangelifcher Chrift werden. Um dieſe Ab- 
fihten zu erreichen, ging man mın in allen Stüden mit dem Zöglinge 
fo zu Werke, als gelte es einen Refruten zu brillen. Er zeigte ſchon im 
zarten Alter außerordentliche Fähigkeiten, lernte alles mit ber größten 
Keichtigfeit, war munter und gutartig und voll Geift. Aber wie er 
heranwuchs, fand er an ber einfeitigen Zucht, in die man ihn nahm, 
immer weniger Gefallen. Die wunderlichen Spipfinbigfeiten und bürren 
Formeln der damaligen Gottesgelahrtheit, die man ihm als Chriftentum 
einzuprägen fuchte, wurden ihm langweilig und verächtlih, und daß er 
manchmal zur Strafe Palmen umd den Katehismus auswendig lernen 
mußte, machte ihm ben ganzen Religionsunterricht erft recht verhaßt. 
Ebenfo wurde ihm die äußere Gottesverehrung durch die vielen religiöjen 
und firhlichen Übungen, die er auf Befehl machen mußte, ganz verleidet. 
Auch dem geiftlofen Mechanismus der damaligen Kriegsübungen konnte 
er feinen Geſchmack abgewinnen. Sein zu allem Schönen und wahrhaft 
Großen aufftrebender Geift durchbrach biefen engen Kreis von Gedanken 
und Abfichten, zu benen man ihn abridten wollte. Ihn reiste das 
Ideale, das ihm Duhan in den ſchönen Wiſſenſchaften und Künften wies. 
Die Denker und Dichter der altklaſſiſchen und der franzöſiſchen Literatur 
zogen ihn unendlich mehr an, als die ftelfen Pebanten, die ihm Religion 
beibringen, ober bie rohen Exerziermeiſter, die ihm als Mufter des Ruhr 
mes bienen follten. So wurden bie Bücher feine liebſte Beichäftigung, 
und ba die franzöftichen Schriftfteller damals die geiftreichften waren, - 
fo wählte er fie zu feiner ausfchließlichen Lektüre. Die Welt aber, die 
fie ihm erſchloſſen, war eine ganz andere, als er fie um fich ſah. Dort 
herrſchten Phantafie und Witz, und die Sinne ergößten fid) wie Der Geift. 
Wie armlich und elend erſchien dagegen das fnappe, enge Soldatenweſen 
des berliner Hofes! 

Die lebhafte und empfängliche Ratur bes Prinzen konnte fid) ebenfo 


Friedrichs Erziehung. 287 


wenig mit der Lebensweiſe wie mit ber Geiftesrichtung befreunden, die 
Friedrich Wilhelm ihr vorſchrieb. Weil der Vater alle feineren Genüffe 
veradhtete, fo follte ihnen auch der Sohn entjagen; nicht bloß die geifti- 
gen, Mufit, Theater, heitere Gejelligkeit, wurden dem Prinzen verwehrt, 
jeibft jeder Schmuck und Glanz des Haushalts, jede Bequemlichkeit und 
Armehmlichkeit in Kleidung und Koft. Alles, was er thun und laffen 
follte, jeder Pfennig, den er ausgeben, jede Stunde, die er verwenden 
wollte, unterlag der Aufficht und Meinlichen Zucht des Waters. Keine 
Abweichung von ber borgeichriebenen Ordnung blieb ohne Rüge ober 
Strafe. Dagegen empörte fid) das aufkeimende GSelbftgefühl des jungen 
Prinzen um fo mehr, da ihm das Treiben des Vaters wertlos und 
umgebildet vorkam. Er war von Natur freifinnig umb gegen fi und 
andere freigebig; ber Drud, unter dem man ihn hielt, konnte dieſe 
Triebe nicht erfticen, wohl aber erhöhte er den Hang zu einem ungebun⸗ 
denen, angenehmen Leben, da das Verbot defien Genuß noch füßer 
machte. Übrigens fand er, fo wie feine gleichgefinnte Schweſter Wil- 
beimine, einen Rüchalt an der Mutter, die auch die Studien und jede 
erlaubte Lebensfreude 'begünftigte. 

Da war e8 ein Ereignis für ihn, als er im Februar 1728 in Be- 
gleitung des Vaters bem üppigen dresdner Hof befuchen durfte. Der 
zauberifhe Glanz und die märdenhafte Pracht, die er bier ſah, ent- 
zückten feine Sinne; aber der fechzehnjährige Jüngling erlag bier auch 
der Verführung, und er gewöhnte fich jeitdem an Ausjchweifungen mit 
dem weiblichen Geſchlecht. Hatte er ſchon früher oft Schulden gemacht, 
weil ihn ber Vater für einen Prinzen allzu ärmlich hielt, fo nahmen mit 
dem loderen Leben auch bie heimlichen Ausgaben erft recht überhand. 
Friedrich hatte aber auch etwas Gutes von Dresden mitgebradht, nämlich 
eine große Liebe zur Muftl. Durch Vermittelung der Königin kam ber 
berühmte Flötenfpieler Duanz von dort nach Berlin und unterrichtete 
den Kronprinzen in feiner Kunft, welche Friedrich bald meifterhaft inne 
hatte; fie ward ihm für fein ganzes Leben eine unerfchöpfliche Duelle 
der Erheitermg und Tröftung. 

So entwicelte er fi) im geraden Gegenſatz zu den Abfichten feines 
Vaters und wurde nach defien Anficht weber ein guter Chrift, noch ein 
guter Soldat und Haushalter, ſondern liederlich und gottlos, ein Ver— 
ſchwender und franzöſiſcher Windbeitel, „ein Duerpfeifer und Poet“. 
Für den jeltenen Genius, der in diefer Natur ſteckte, hatte Friedrich 
Bilhelm fein Auge; er ſah nur, daß fein Sohn in allem das Gegenteil 
von ihm felber war, und das reichte vollftändig bin, bemjelben zu ver- 
dammen. In der That, dieſem war nicht wohler, als wenn er, von der 
Parade heimgefehrt, die Uniform mit dem bequemen Schlafrock ver- 
tauſchen und nad) feinen Büchern oder ber geliebten Flöte greifen ober 


288 Friedrich der Große. 


im Kreife beiterer geiftreicher Genoffen ſich fröhlich unterhalten Tonnte. 
Aber dann erſcholl mitten im Iuftigen oder gelehrten Geſpräch plötzlich 
der weithinfchallende Tritt des „Alten“. Da hieß es sauve qui peut, 
die Freunde flüchteten, die Bücher und Muftfalien, vor allem der bro- 
katene Schlafrod flogen bei Seite, der Prinz warf ſich in die Uniform. 
Doch nicht leicht entging dem jcharfen Blick des ftrengen Vaters, daß 
man fi) hier wieder auf franzöſiſch unterhalten, und die kurze Freude 
wurde hart gebüßt. Wenn ſchon fo harmloje Erluftigungen Rügen und 
Strafen nad) fid) zogen, wie groß war erſt ber Zorn des Vaters, wenn 
er die Ausfchmweifungen feines Fri erfuhr! Er prügelte auf den Sohn 
108, wo er ihn ſah. Am fchlimmften wurde e8, als dieſer in der Heirats- 
frage dem Willen bes Vaters entgegenarbeitete. Grumblows und Seden- 
dorfs Aufheßereien goffen dabei immer l ins Feuer. Der König wurde 
halb verrücdt vor Wut. Täglich erneute er die ftürmifchten Auftritte. 
Der Kronprinz und feine Schwefter, obwohl num ſchon beide erwachſen, 
wurben mit den ärgften förperlichen Mißhandlungen, die Königin mit 
den kränkendſten Drohworten überhäuft. Einft, als Friedrich eines Mor- 
gend in das Zimmer feines Vaters trat, faßte ihn diefer bei ben Haren, 
warf ihm zu Boden und bieb auf ihn mit dem Stode fo lange ein, bis 
er fi mübe geprügelt; ein ander Mal hätte er ihn ohne das Herbeis 
fpringen eines Kammerdieners erwürgt. Auch vor Fremden flug er 
ihn und höhnte dabei: „Wenn mein Vater mic) jo behandelt hätte, ich 
wäre taufendmal für eins entflohen, aber Du haft fein Herz und bift 
nur ein Poltron.” 

Der Gemißhandelte griff endlich) zu dem verzweifelten Mittel, auf 
welches ihn der Spott feines Vaters verwies. Als er auf einer Reife 
mit dem Könige in die Nähe der franzöfiichen Grenze fam, es war im 
Dorfe Steinfurt auf dem Wege von Heilbronn nach Heidelberg am 
4. Auguft 1730*), ließ er durch einen ihm ergebenen Pagen heimlich 
Pferde herbeifchaffen, um nad) Frankreich, und von dort nad) England 
zu feinem Oheim zu flüchten, wohin zu gleicher Zeit fein Freund, 
Leutnant v. Katte, von Berlin abreifen follte. Aber feine Umgebung 
nötigte ihn zu bleiben und entbedte feine Abficht bem Könige. Bald 
darauf (am 7. Auguft in Frankfurt a. M.) erhielt diefer burc aufge 
fangene Briefe des Kronprinzen den unmiberleglichen Beweis der beabfid; 
tigten Flucht. Nun kannte fein Zorn keine Grenzen. Er fiel über den 
Prinzen ber und ftieß ihm mit dem Stock das Gefiht blutig. „Nie hat 
das Geſicht eines brandenburgifchen Prinzen ſolche Schmach erlitten“, 
rief der Gemißhandelte, ohne doch zu wanken. Auf Bitten der Begleiter 


*) Dab die Kataftrophe am vierten erfolgt ift, weift Carlyle nad), hist. of Friedr. IE. 
of Prussia, London 1858. Vol. II. 245. 


Im Gefängnis. 289 


mäßigte ſich der König endlich fo weit, daß er einwilligte, den Kron- 
pringen während ber Rückreiſe nicht mehr jehen zu‘ wollen. Doch ſchon 
am 12., als fie in Weſel anlangten, ließ er den Sohn vor fid) bringen 
und fragte ihn: warum er habe befertiren wollen. Friedrich antwortete 
entihloffen: „weil Sie mid) nicht wie Ihren Sohn, fondern wie einen 
nieberträchtigen Sklaven behandelt haben.“ „Du bift alfo nichts als 
ein feiger Dejerteur ohne Ehre", fagte der König. „Ich habe fo viel 
Ehre als Sie”, erwiederte der Prinz, „und nur das geihan, was Sie 
mir hundertmal gejagt haben, Sie würden es in meiner Stelle thun.“ 
Die trefiende Sprache der Wahrheit reizte den König fo, daß er wütend 
den Degen zog, um feinen Gohn zu durchbohren. Der General 
von der Mojel deckte mit feinem Leibe den Bedrohten und brachte den 
König zur Befinnung. Der Gefangene wurde wieder abgeführt und 
nad) der Ankunft in Berlin kriegsrechtlich verhört. Er benahm ſich auch 
hier mit größter Seftigfeit und Unerfchrodenheit. An feinem Leben lag 
ihm nichts mehr; er beflagte nur, daß andere, namentlid) der in Berlin 
ergriffene Katte, feinetwegen leiben mußten. Alle, die es mit ihm ge- 
halten, felbft in ganz unfchuldigen Dingen, wurden mehr oder minder 
hart beftraft; er felbft als Deferteur auf die Feftung Küftrin geſchickt. 
Hier jaß er feit dem 4. September in ftrenger Haft. ine zeitlang 
dachte der Vater fogar allen Ernftes daran, ihn nad) der Strenge bes 
Kriegsrechtes als fahnenflüchtigen Offizier hinrichten zu laſſen; er beftellte 
über ihn ein Kriegsgericht, welches am 28. Oktober 1730 zu Köpenid 
Sigung hielt. Aber die Offiziere, die es bildeten, erflärten fich zu einem 
Erkenntnis über den Kronpringen nicht für befugt, zulegt riß ber Feld⸗ 
marſchall non Bubdenbrod feine Weite auf und rief: „Wenn Euer 
Majeftät Blut verlangen, jo nehmen Sie meins! Jenes befommen Sie 
nicht, fo lange ich noch ſprechen kann.“ Dies und die Fürſprache der 
andern Generale, auch der fremden Mächte, endlich die nie erloſchene 
väterliche Liebe beftimmten den König zur Milde. Gr ließ Gnade vor 
Recht ergehen und begnügte fi) mit Gefängnisftrafe Doch hatte 
Friedrich noch den bittern Schmerz, daß fein Freund für ihn fterben 
mußte. Am 6. Rovember wurde der unglücliche Katte, der fich indes 
edel und chriſtlich ergeben zeigte, als Deferteur und Verſchwörer zu 
Küftrin enthauptet. Dergebens hatte der Prinz geforbert, man möge 
mit der Erehition inne halten und durch eine Staffette dem Könige 
melden, daß er, der Kronprinz, bem Tode ober der Thronentjagung ober 
dem ewigen Gefängnis fid) unterwerfen wolle, wenn ber Freund ver-, 
ſchont bleibe.”) Kattes Haupt fiel; ein Blutopfer mußte der König 
haben. 


*) Ranfe, Reun Bucher preubtfher Geſchichte I. 318. 
Bierfon, preuß. Geſchichte. L 19 


290 Friedrich der Grobe. 


Diefer Schlag erfchütterte Friedrichs Herz in allen feinen Tiefen; 
mit eiferner Fauſt griff ihn das Schickſal an und lehrte ihn, feine 
unüberwindlichen Notwendigkeiten anzuerkennen; der Ernft des Lebens 
ſenkte fi) in das junge Gemüt des Prinzen. Er unterwarf fi) dem 
Willen des Vaters, bereute feinen Anteil an der Schuld ihres Zer— 
würfnifjes und richtete fortan feinen Blick nicht nur auf das Schöne 
und Angenehme, fondern aud) auf das Nüpliche und Nötige des Lebens. 
Nach einigen Wochen durfte er das Gefängnis verlaffen, mußte aber unter 
ftrenger Aufficht in ber Stadt Küftrin bleiben und in die dortige Kriegs— 
und Domänenfammer als Auskultator eintreten (20. November). Hier 
arbeitete er nun regelmäßig und fleißig mit, erhielt von den Räten 
Unterricht in Finanz⸗, Handels, Gewerbe- und Bolizeifachen, in der 
Landwirtihaft und Domänenverwaltung und eignete fi) einen Schatz 
von Kenntniffen in allen wichtigen Verwaltungszweigen an. Mit dem 
Verſtändnis ftellte fich rafch auch der Sinn für die Arbeit ein, und man 
bemerkte bald, wie er für bie Staatswiſſenſchaften nicht bloß Eifer, 
fondern auch ganz ungemeines Talent hatte. Faſt noch mehr erfreute 
e8 den König, als man ihm berichtete, der Prinz laffe jetzt auch in re— 
ligiöſen Dingen mit fi) reden und gebe feinen Glauben an die unbe- 
dingte Gnadenwahl auf; denn diefe Lehre, nad) welcher der Menſch für 
feine Handlungen nicht verantwortlich, fei, war dem gefunden Verftande 
Friedrich Wilhelms von jeher am verhaßteften. Er entichloß fi mun, 
den Sohn wiederzufehen. Am 15. Auguft 1731 beſuchte er ihm in 
Küftrin, ftellte ihm mit väterlicher Wärme noch einmal fein Unrecht vor 
und fragte ihn, warum er doch einen Water anfeinde, der nur für ihn 
arbeite und damit nicht einmal feine Freundſchaft erwerben fünne. Da 
ſchmolz die eherne Rinde um des Sohnes Herz, er empfand, daß ihn 
der König wirklich liebe, und warf fi ihm mit aufrichtigen Thränen 
zu Füßen. Auch der Vater war gerührt; er milderte die Haft bes 
Bringen, ber ſeitdem die nächften Amter um Küftrin bereifen durfte, doch 
in feiner Lebensweiſe an genaue und läftige Vorfchriften gebunden blieb. 
Der Vater wollte ihn gründlid, zur Ordnung, Nüchternheit und Arbeit- 
famteit erziehen. 

Wenn nun aud) des Prinzen Geift viel zu energijch war, um ſich 
wirklich ganz nad) den Abficdyten des Vaters zu formen, wenn er aud) 
auf defien Lieblings- Ideen teilweife nur zum Schein einging, fo war 
doch die Schule, die er in Küftrin durchmachen mußte, für ihn von 

. großem und heilfamem Erfolge. Seine frühere einfeitige Richtung wurde 
gründlich gebrochen; er befam Geſchmack am Verwaltungswefen, an mili- 
täriſchen Dingen, an der gejamten Politik. Der Umgang mit würdigen 
und tüchtigen Männern, die ihn rüdfichtsvoll, aber ohne Schmeichelei 
behandelten, wirkte ebenfals ſehr vorteilhaft. Er wurde befonmener, 


Seine Heirat. 291 


tälter, überhaupt männlicher. Andererſeits bildete ſich nun freilich auch 
eine gewiſſe Härte des Gemüts immer mehr in ihm aus, zu welcher die 
tyrannifche Zucht des Waters frühzeitig den Grund gelegt hatte. 

Es war natürlich, daß der Zwang, die Eingeſchränktheit des Tüftriner 
Lebens dem jungen Prinzen jehr mißfallen mußte; er fehnte fi) nad) 
freierer Bewegung, nad) ben gefelligen und geiftigen Genüſſen der Haupt- 
ftadt, fo knapp dieſe auch unter Friedrich Wilhelms Regiment bemefien 
waren. Nun entging e8 ihm nicht, daß er eine angenehmere Geftaltung 
feiner Verhältnifje doch nur durch den Vater erreichen könne; er beſchloß 
daher, defien Gunft durch ein großes Opfer zu erfaufen. Gr willigte 
ein, ihm die Wahl feiner Braut ganz zu überlaffen, nur möge fie weder 
häßlich nod) dumm fein. Der König, über dieſe Nachgiebigkeit hoch er- 
freut, ſchlug ihm die Pringeffin Elifabeth von Braunfchweig, die damals 
fiebzehn Jahre alt war, vor. Der Prinz war e8 zufrieden und durfte 
nun (im Yebruar 1732) Küftrin verlaffen. Am 10. März gefhah zu 
Berlin die Verlobung. Dafür nahm ihn ber König wieder ganz zu 
Gnaden auf, führte ihn als Rat in das Generaldireftorium ein und gab 
ihm feinen Dffiziersrang zurüd. Am 12. Juni 1733 erfolgte zu Salz 
dalım die Trauung, und Friedrich, führte mın einen eigenen Hofhalt — 
anfangs in Berlin, fpäter (feit 1736) auf dem ihm vom Könige gefchentten 
Gute Rheinsberg in der Nähe feines Garnifonsortes Neu-Ruppin. Ein 
rechtes Eheglüc konnte zwar aus dieſer Heirat nicht erblühen, zumal fie 
auch mit Nachkommen nicht gefegnet war. Friedrich hat die Gemahlin, Die 
man ihm aufzwang, nie recht geliebt. Sie befaß weder jo viel Schönheit 
noch fo viel Geift, um ihn zu fefleln, aber verftändig, tugendhaft, gebildet 
und gutmätig wie fie war, gewann fie bald feine Hochachtung. Er geftand 
fpäter einem feiner Vertrauten: „Ich müßte ber verächtlichfte Menſch von 
der Welt fein, wenn ich fie nicht wahrhaft achten follte; denn fie ift fehr 
ſanft, höchſt gelehrig und über die Maßen gefällig, indem fie jedem meiner 
Wünſche zuvorzutommen fucht.“ Übrigens war er ihr immerhin mehr zu- 
gethan, als er es andern zu fagen für gut fand; auch führte er mit ihr 
wenigftens in ben erften zehn Jahren eine wirkliche Ehe. 

Zu Rheinsberg, entrüct ber läftigen Nähe des Königs, Iebte er der 
ſchönſten Muße, fand fein höchſtes Glück in den edlen Freuden, welche die 
Freundſchaft, die Wiffenihaft und die Kunft gewähren. Er umgab fid) 
bier mit liebenswürbigen und geiftreichen Männern, gleichgefinnten Seelen, 
welche die innigfte Zuneigung mit ihm verband. Der feingebildete Keyjer- 
lingk, der ritterliche Fouque, Jordan, der durch Humor, Knobelsdorf, der 
durch Kunftfinn erfreute, auch ältere Männer von Geift und Bildung, 
Offiziere oder Gelehrte, waren die Genofjen dieſes auserwählten Kreijes. 
Es fehlte nicht an finnlichem Vergnügen, aber der geiftige Genuß war der 
geſuchteſte. Denn ein ibenler Sinn beherrichte dieſen Verkehr. Poeſie 

19% 
[4 


292 Friedrich der Große. 


Muſik und Philofophie waren Friedrich liebfte Erholungen; um ihret= 
willen feßte er fid) auch mit berühmten Gelehrten und Dichtern des Aus— 
landes in Verbindung, unterhielt mit diefen einen regen und vertrauten 
Briefwechſel; denn jeber geiftreiche Denfer war fein Freund. Doc, mehr 
als die Menſchen Iehrten ihn die Bücher und fein eigenes Nachdenken. 
Mit unerfättlichem Wiffensdurft forſchte er dem höchſten Problemen ber 
Menſchheit nach: dem Weſen der Seele und Gottes, dem Verhältnis des 
menſchlichen Willens zum Schidfal. Die wichtigften Tragen des Glau— 
bens und Wiſſens traten an feine Seele. Er fuchte fie zu Iöfen, indem 
er der Leibniz. Wolffifchen Philofophie, die Damals Deutfchland beherrichte, 
ihre beiten Gedanken entlehnte; er bildete fi fo eine Miſchung von 
Philoſophie und Religion, die ihn beruhigte. „Es genügt mir“, ſchrieb 
er 1736 an einen Freund, „daß ich von der Unfterblichfeit meiner Seele 
überzeugt bin; daß idy an Gott und an den glaube, welcher gefandt 
ward die Welt zu erleuchten und zu erlöfen; daß ich beftrebt bin, mich 
nad) Kräften tugendhaft zu machen; daß id) dem Schöpfer die Anbetung 
widme, welche das Geſchöpf ihm fehuldig ift, und gegen meine Neben- 
menſchen die Pflichten eines guten Bürgers erfülle, nicht als Tönnte ich 
mir den Himmel mit meinen Werfen verdienen, fondern in der Über- 
zeugung, daß Gott ein Weſen nicht ewig unglücklich machen kann, das 
ihm dankbar ift, weil er ihm fein Dafein gegeben." 

In diefer Stimmung wandte er fid) der Richtung zu, die damals 
jeder freifinnige Kopf nahm. Es galt, aus dem ftarren Formelweien der 
herrſchenden Rechtgläubigkeit heraus und zu einer Weltanfchauung zur 
tommen, bie vor der reinen Vernunft beftehen konnte. So entbrannte 
ein erbitterter Kampf ber natürlichen freien Denkkraft gegen den blinden 
Autoritätsglauben. Er begann in England. Hier traten am Anfange 
des achtzehnten Jahrhunderts Philofophen auf, die als Prüfftein ber 
Wahrheit einer jeden Lehre einzig die mit Erfahrung ausgerüftete Ver— 
nunft anerkannten und für zweifelhaft oder falfch hielten, was von diefer 
nicht bewieſen werben konnte. Sie forberten daher in religiöfen Dingen 
allgemeine Duldung und Vernunftmäßigfeit des Glaubens; in politifchen 
verwarfen fie die theologifche Lehre von der Göttlichfeit der unumfchränkten 
Monarchie und lehrten das natürliche Recht der menjchlichen Freiheit. 
Keiner unter diefen englifchen Skeptikern ging dabei mit jo vieler Wiflen- 
ſchaftlichteit zu Werke, als John Lode; doch drang auch feine Wirkſam⸗ 
feit vorerft nicht über ben Kreis ber gelehrten Welt hinaus. Da war 
es nun von den größten Folgen, daß ber bedeutendfte Schriftfteller Frank⸗ 
reichs, Voltaire, ſich die Lehre Lockes aneignete und es zu feiner Lebens» 
aufgabe machte, fie in ber Welt zu verbreiten. Denn die ganze höhere 
Geſellſchaft von Europa lebte und webte in der franzöfiichen Literatur, 
und Voltaire war ein Meifter des Stils, anmutig und elegant, von 


In Rfeinsberg. 293 


blendendem Witze und unvergleichliher Gewandtheit. Mit der ſcharfen 
Lauge des Spottes übergoß er die unduldfame und fteife Rechtgläubig- 
teit, deckte ſchonungslos alle Vorurteile und Mißbräuche in Staat und 
Kirche auf, und da er von dem edlen Kerne auch des damaligen Chri— 
ftentums feine Ahnung hatte, wie er denn überhaupt zwar ein ſehr 
glängender, aber feichter Denker war, fo griff er ohne Unterſchied Die 
würdigen und die nichtsnußigen Erſcheinungen des damaligen Kirchen- 
wejens an; er verwarf alles Religiöfe als Aberglauben. Indeſſen zu- 
nãchſt waren es doc) wirkliche Übel, die er angriff: die Verfolgungsfucht 
und Anmaßung der Priefter, welche alle Wahrheit gepachtet zu haben 
vermeinten, die übermütige Willkür und Unfittlichfeit der Höfe. Eben 
diefe Mißftände empörten den jungen Philofophen von Rheinsberg. Um 
fo lieber begrüßte er den berühmten franzöfifchen Schriftfteller als Geiftes- 
verwandten, befien Meifterfchaft im ſprachlichen Ausdruck und defien fun= 
telnden Wit er Tängft bewundert hatte. Seit Auguft 1736 führte er mit 
ihm einen Briefwechſel, einen geiftigen Verkehr, der nicht ohne Einfluß 
auf Friedrichs religiöfe Überzeugung blieb. Zwar der bobenloje Frei— 
geift, wie jener Franzoſe, wurde er nie; er bewahrte fi) vielmehr ein 
jelbftändiges Urteil, und feine deutſche Vernunft ftand dem Glauben an 
ein göttliches Dafein und an die Unfterblichleit der Seele mit Ernft und 
Kraft bei; aber er verlor immer mehr ben Sinn für das Unterjcheidende 
in ben Religionen der Erde. Er jah wie Sofrates ein, daß alle menjc- 
liche Weisheit in den oberften Fragen der Erkenntnis ung im Stiche lafle; 
und da er nicht glauben, fonbern wiflen wollte, fo fam er über den 
Zweifel nicht hinaus. Die Nutzanwendung aber, die er zog, war in 
hohem Grade verftändig: er vermarf jede Art von Religionsverfolgung, 
er forderte für die andern wie für ſich felbft unbedingte Glaubens» und 
Gewifiensfreiheit. So wurde er bei aller Unkirchlichkeit ein Verfechter 
dieſes wichtigen proteftantifchen Prinzips, das felbft in feiner Heimat, in 
Deutſchland, fo tief darniederlag. Er ließ fi) aud) in den Freimaurer 
Orden aufnehmen; es geſchah 1738 insgeheim zu Braunſchweig. Da er 
aber die erwarteten bedeutenden Aufſchlüſſe über die Myfterien von Gott 
und Welt hier nicht fand, fo zog er ſich bald wieber zurück, hat auch 
die Loge, bie er als König 1740 zu Berlin gründen ließ („zu ben drei 
Weltkugein“, eröffnet am 13. September) niemals jelbft betreten. 

Auch in den ftaatlihen Verhältnifien wollte und fuchte er die Wahr- 
heit, und die Anfichten, die er aus dem Studium der Geſchichte und aus 
eigenem Nachdenken von der menſchlichen Gejellihaft gewann, legte er 
in Schriften nieder, welche ein Denkmal feines treuen Strebens wie feiner 
eblen Gefinnung find. Zeigte er ſchon in feiner Abhandlung: „Über den 
gegenwärtigen Zuftand von Europa” (1738) eine ſcharfe Erfenntnis der 
politifchen Weltlage, jo war fein „Antimacchiavell“ (gebrudt 1739, ver- 


294 Friedrich der Große. 


öffentlicht 1741) auch für die Völker ein Ereignis. In diefer Schrift 
fuchte er den Mackhiavelli, den er für einen Fürftenfchmeichler hielt, zu 
widerlegen und predigte über Pflicht und Recht der Fürften die freifin- 
nigften Grundfäge. Es war etwas ganz Neues, daß ein Kronprinz im 
die Ohren der Tyrannen die Stimme der Menſchlichkeit rief, die den 
Mißbrauch verdammte, den fie mit ihrer Gewalt trieben. Die fredhe 
Vergeudung der Staatsmittel; die geiftlichen und weltlichen Bedrückungen 
des Volles; die Niederträchtigfeit des Menfchenhandels, durch den fo 
viele deutfche Fürſten fich fehändeten, indem fie ihre Soldaten für Gelb 
dem Auslande verkauften; alle dieſe Schäben des damaligen Staatslebens 
geißelte er hier mit ebenfoviel Witz und Ernft, wie fonft die Pedanterie 
und Verfolgungsfucht der Gelehrten und Priefter. Er zeigte: „Der Fürft 
ift nicht der Herr, er ift der Diener des Volks, er verdankt feine Macht 
urſprünglich mit Recht nur der Volkswahl. Sein höchftes Interefie muß 
das Wohl der Unterthanen fein. Kein Menſch hat das Recht, ſich 
eine unbefhränfte Herrfdhaft über feine Mitmenfhen anzu— 
maßen, vermöge deren er über ihr Leben und ihre Güter ver- 
fügen und fie unglüdlid) madhen fann, wenn es ihm beliebt. 
Die Gefellihaften find nicht dazu gebildet, um der Wut eines Schänd- 
lichen oder dem Intereſſe eines Ehrgeizigen zu dienen. Nur bie Tyrannei 
der Regierungen bringt die Völker zut Empörung.“ 

Während Friedrich ſich fo mit dem Geiſte edler Aufklärung durch- 
drang, war er zugleich bemüht, fich die Formen und Fertigkeiten anzu— 
eignen, die zur Regierungsfunft gehören; er verfäumte über ben theore- 
tiſchen nicht die praktiſchen Übungen. Wenn er zu feiner Erholung 
Verſe dichtete oder mit feinen Freunden eine ſchöne Gefelligfeit übte, 
wenn er zu feiner Belehrung Geſchichte und Philoſophie, Kriegskunft und 
Politik ftudirte, fo arbeitete er doch auch fehr emfig als Verwalter feiner 
Domäne und als Oberft feines Regiments. Er mußte es fehon um 
feines Vaters willen, deſſen Argwohn noch keineswegs ganz bejeitigt war. 
Doch gelang es ihm, den König durd) den Fleiß und die Gefchictichkeit, 
die er in den militärifchen und Verwaltungsfachen zeigte, zufrieben zu 
ftellen. Das Verhältnis zwiſchen Vater und Sohn wurde zuleßt fogar 
ein recht inniges; fie lernten ſich beide [häpen und hatten fih im Grunde 
immer geliebt. 

Im Frühling 1740 endete dies vheinsberger Leben, das dem jungen 
Fürften mit ſolcher Glückſeligkeit nie wieberfehrte, der Tod des Vaters 
berief ihn auf den Thron, für den er ſich in der Stille jenes reizenden 
Hofhalts fo würbig vorbereitet hatte. 


295 


Sriedrichs Chronbefteigung und erfie Begierungshandlungen. 


Dienftag am 31. Mai 1740 war e8, daß die große Königsfonne in 
Preußen aufging, die alle Geftirne des Jahrhunderts überftrahlen follte. 
Wird fie mit mildem, Harem Lichte ein Zeitalter der Menfchenfreunde 
und ber Philoſophie heraufführen? fprießt an ihrem Lächeln ein Leben 
auf vol Luft und Pracht? Leicht und heiter ſchien den meiften die Zu- 
funft; wie flogen dem neuen Könige die Herzen entgegen, in Erinnerung 
an die Leiden feiner zarten Jugend und an die rauhe Zucht, die alle 
gebrüdt hatte! Und nun ftatt des alten Brummmbären von Vater der 
liebenswürdige Sohn auf dem Throne. Schon fein Außeres ſprach jeden 
freundlich an; feine nicht hohe), doch anmutige Geftalt mit der breiten, 
erhabenen Bruft, fein jchönes, freies, ausbrudsvolles Antlig mit den 
ftrahlenden dunfelblauen Augen. Aber bligten fie nur von dem Feuer 
der Jugend, die erft 28 Jahre zählte, oder funkelte nicht noch etwas 
anderes, höheres darin, das niemand zu deuten wußte? 

AS er von dem Zobbette feines Waters kam, erjchien vor ihm der 
alte Fürft von Defjau, umfing mit Thränen feine Kniee und ſprach fein 
Beileid, aber audy feine Erwartung aus, daß ihm und feinen Söhnen 
ihre Stellen und ihm jelbft die Autorität, die er bei dem verftorbenen 
Könige gehabt, verbleiben würden. Friedrich drängte feine ſchmerzlichen 
Gefühle zurüd; er fagte dem Fürften die Beftätigung der Stellen zu; 
aber von des Fürften Autorität fei ihm nichts befannt. „Nachdem id) 
König bin”, feßte er Hinzu, „denke ich auch das Amt eines ſolchen zu 
verwalten und ber einzige zu fein, der Autorität befigt." Er fühlte fic) 
als König; er ift es ganz umd völlig geweſen vom erften bis zum legten 
Augenblic feiner Regierung. 

Noch an demfelben Tage begab er ſich nad; Berlin, wo ihn das 
Volt mit lautem Jubel empfing; er übernachtete im Schloß. Mit welchen 
Empfindungen erwadjte er am Morgen, geweckt von dem Lebehoch eines 
Regiments (es war das Glaſenapp'ſche), das ihm unter den Fenſtern des 
Schloſſes den Eid der Treue ſchwur! Darauf erfchienen die Generale; 
er empfing fie mit der Würde eines Kriegsherrn, der zugleich König ift. 
„Sie werden", ſprach er, „in mir einen Herm finden, ber die Armee 
nicht weniger liebt und pflegt, als der verftorbene König. Aber an zwei 
Dinge will id) Sie erinnern: das eine, die Truppen müflen ebenſowohl 
brauchbar fein als ſchön, und das zweite: fie dürfen dem Lande nicht 
verderblich werden, das fie beſchützen follen. Gegen einige von Ihnen 
liegen Klagen über Härte, Habfucht und Übermut vor; ftellen Sie die- 


*) Griedrih II. maß 5 Fuß 5 Boll. 





2% Friedrichs Thronbeſteigung und erfte Regierungshandlungen. 


ſelben ab! Ein guter Soldat muß ebenſowohl menſchlich und vernünftig 
ſein als herzhaft und brav.“ Dann zu den Miniſtern: „Ich denke, daß 
das Intereſſe des Landes auch mein eigenes iſt, daß ich fein Intereſſe 
haben kann, welches nicht zugleich das des Landes wäre. Sollten fi 
beide nicht mit einander vertragen, fo ſoll allemal der Vorteil des Landes 
den Vorzug haben." Diefe Sprache eines abfoluten Königs war in Europa 
unerhört, und Friedrich II. meinte fie ernft genug. Gleich feine erften 
Handlungen waren Maßregeln einer menſchlichen und edlen Gefinnung. 
Die grimmige Kälte des vergangenen Winters und das darauf folgende 
ſchlechte Frühlingswetter ftellten eine Hungersnot in Ausfiht; ſchon jetzt 
war das Getreide teuer und überall knapp. Da öffnete num Friedrich 
die königlichen Kormmagazine und ließ allen Dürftigen Getreide zu ge— 
ringen Preifen verfaufen, forgte auch durch dauernde Anftalten für die 
Unterftügung der Armen. Eine Reihe von Kabinetsbefehlen richtete ſich 
fodann gegen die gewaltfame Willkür, gegen das einfeitig Durchgreifende 
des bisherigen Regiments. Schon am 3. Juni hob er auf Antrag des 
Zuftizminifters Coccejt die Anwendung der Folter ganz und für immer 
auf und tilgte fo diefen Schandfleck der damaligen Rechtspflege; nur 
ſehr langſam folgte das übrige Deutjchland feinem Beifpiele nad. An 
demfelben Tage befeitigte er noch die beftehenden Ehebeſchränkungen, 
indem er es jedem freiftellte, in allen nicht in der heiligen Schrift 
ausdrücklich verbotenen Fällen fi) ohne Koften und Dispenfationen zu 
verheiraten. Am 4. Juni verbot er den Offizieren die gewohnten Bru- 
talitäten gegen die Gemeinen und gegen den Bivilftand; ebenjo die ge- 
waltfamen Werbungen. Die Laft, welche die königliche Zägerei dem 
Lande aufgebürdet, nahm er ab; er verachtete die Jagd als ein rohes 
Vergnügen und flug den Schaden, ben der Landmann burd) fie litt, 
zu hoch an, um micht gegen ihre Übel einzufchreiten. Cin anderer 
Kabinetsbefehl (vom 31. Juli) richtete fi) gegen die Grauſamkeit ge— 
wifjer Gerihtsftrafen: jo fchaffte er die Barbarei ab, daß Kindesmörbe- 
rinmen — meift unglüdliche verführte Mädchen — einen Sad nähen 
mußten, in welchem fie dan erfäuft wurden; er führte ftatt des „Südens“ 
die Enthauptung ein. 

Hebung der Gittlichfeit erwartete er hauptfächlich von den Mächten 
der Aufklärung. Um jo mehr hatte er fi) immer in feines Waters 
Seele gefhämt, daß die Wiſſenſchaften in Preußen fo ungünftig behan- 
delt wurden. Es war eine feiner erften Sorgen hier zu befiem. Er 
gab auf der Stelle der Afademie die ihr entzogenen Einkünfte zurück 
und bewog den vertriebenen Philofophen Wolff, wieber fein Lehramt in 
Halle anzunehmen. Zugleich erging eine ſchmeichelhafte Einladung ar 
den berühmten franzöfifchen Gelehrten Maupertuis, die berliner Afademie 
der Wiſſenſchaften neu zu geftalten, die denn aud) im Sinne der Aufs 


Aufklärung. 297 


Märung raſch mit bedeutenden Gelehrten des Auslands beſetzt wurde. 
Aber was das meijte, ja ein umgeheures Auffehen in ber Welt machte, 
war der Bejcheid, den Friedrich II. (am 22. Juni 1740) auf eine An- 
frage des geiftlichen Minifteriums erteilte. Er befahl: „Die Religionen 
müſſen alle tolerirt werden und muß die Regierung nur das Auge darauf 
haben, daß feine der andern Abbruch thue. In meinen Staaten 
kann ein jeder nad) feiner Fagon felig werden.“ Die ganze 
Welt erftaunte über dies Königswort; ein folder Grundſatz allgemeinfter 
Duldung war bisher nod) von feinem großen Throne verkündet worden. 
Ein gewaltiger Beifallsfturm aller Aufgeflärten, einer noch Heinen, Doc) 
mächtig aufftrebenden Partei, erhob fich; fie fahen einen der Ihrigen auf 
einem Königsthrone. Der große Haufe der Finfterlinge aber, der ge— 
krönten wie ber ungekrönten, erſchauderte. Auch Preßfreiheit geftattete er 
und. munterte felber den berliner Buchhändler Haude zur Herausgabe 
einer literariſch⸗politiſchen Zeitung auf; fie erjchien bereit8 im Juni 1740, 
unter dem Titel „Nachrichten von Staats» und gelehrten Sachen". In— 
defien das Publitum war für dergleichen noch nicht reif; es fehlte im 
Volke durchaus an politifher Bildung; das Beitungsweien gedieh nicht. 
Übrigens handhabte Friedrich auch fpäter Feine eigentliche Zenfur; bis an 
fein Lebensende verfaufte man in Berlin ungehindert die efelhafteften 
Spottſchriften auf ihn, ohne daß er fi) darum kümmerte. Wenn er ab 
und zu fi) einmifchte und einmal ein Buch wegnehmen und vemichten 
tieß, fo geſchah es jedesmal aus rein jadjlichen Gründen. Er war per- 
ſönlich durchaus gleichgiltig gegen ſolche Prefvergehumgen umb ließ die 
Schreiber wie die Schreier gewähren. 

Eine großartige Sachlichkeit, das war überhaupt vom erften Augen- 
blicke an der deutlichfte Charakterzug des neuen Königs. Das erfuhren 
alsbald die Freunde und die Feinde des gewejenen Kronprinzen. Jene 
umbdrängten ihn in der Hoffnung auf ein Reich der Günftlinge. Sie 
wurden bitter enttäufcht; er zeigte fi) Targ im Belohnen, im Erhöhen. 
Der Nuben des Staates galt ihm mehr als perſönliche Rüdfiht; nur 
Würdigfeit Fam in Anfchlag. Doch freilich zeigte ſich Hier der Fürft in 
ihm von einer vorteilhafteren Seite als der Menſch. Nicht mit Unrecht 
Hagten manche, daß er undanfbar ſei. Denn nicht allen, die um ihn 
ſchwer gelitten, wie der Familie v. Katte, bewies er fi nun erfenntlich. 

Mehr that er für feine Angehörigen. Er erleichterte ihr Privatleben 
umd zeichnete fie aus, wie es anftändig war für ihn und fie. So erteilte 
er (1744) dem älteften feiner Brüder, dem Prinzen Auguft Wilhelm, 
als präfumtivem Ihronfolger, den Titel „Prinz von Preußen“ und über- 
wies einem jüngeren Bruder, dem Prinzen Heinrich, das Schloß Rheins⸗ 
berg. Die Königin-Mutter — ebenfalls ein Titel, den er in Preußen 
einführte — erhielt die Mittel, in Monbijon ein angenehmes Leben zu 


298 Friedrichs Thronbeſteigung und erfte Regierungshanbtungen. 


führen und hat ſich immer ſeiner Liebe und Dankbarkeit erfreut. So be— 
gegnete er auch ſeiner Frau mit höchſter Achtung und auch mit einiger 
Zuneigung; erſt ſeit 1743 oder 1744 wurde ihr Verhältnis ein rein for⸗ 
males, weil der phyſiſche Zweck der Ehe für ihn nicht mehr erreichbar 
war; als Königin hielt er fie immer. Einen politifhen Einfluß aber 
räumte er weder feiner Familie noch feinen Vertrauten ein. 

Die Befürchtungen derer, die dem Kronprinzen geſchadet, erfüllten 
fi) noch weniger als die Hoffnungen feiner Genofien. Die Haupt- 
ſchuldigen, Sedendorf und Grumbkow, waren bereit? vom Schauplag 
abgetreten; jener hatte 1735 Berlin für immer verlafien; er faß num im 
‚der Feftung Graz, in die ihn fein Kaifer für einen ſchlecht geführten 
Türkenkrieg geſchickt; Grumbkow war tot. Die anderen behielten, wenn 
ſie nur fonft Verdienfte Hatten, ihre Stellen und Ämter, wie wenn nichts 
vorgefallen wäre. 

Überhaupt irrten ſich Diejenigen, welche gemeint, nun werde alles 
ganz anders werden. Nur die Mängel und die lÜbertreibungen der 
früheren Staatsverwaltung wurden befeitigt; die gefunden und tücjtigen 
Elemente, welche in ihr bei weitem das Übergewicht hatten, blieben un⸗ 
angetaftet. Es erfolgte hier fein Syſtemwechſel. Sparfamteit blieb an 
der Tagesordnung, das Finanzweſen in der gewohnten Regelmäßigfeit; 
nur daß die Sparjamfeit nirgends in Geiz ausarte, daß in der Hofe 
haltımg ber Anftand und die Würde des Königtums, in dem Staats- 
weſen die geiftigen Intereſſen beffer gewahrt würben, biefe berechtigte 
Forderung bildete im Grunde den einzigen Unterfchied zwiſchen der neuen 
und der alten Weife. Ebenſowenig rüttelte Friedrich an der ſtärkſten 
Säule des Staates, an bem Heere. Vielmehr verftärkte er e8 noch, er 
richtete neue Regimenter, wodurd in wenigen Monaten ein Zuwachs 
von 16000 Mann erzielt warb; die Toftfpielige und unnüße Riefengarde 
dagegen ſchaffte er ab; die 3000 langen Kerle, die das potsbamer Leib- 
regiment gebildet, wurden teils entlafjen, teils in andere Regimenter ein- 
geftellt. Auch das Beamtentum erfuhr feine wefentlichen Veränderungen, 
und der neue König fah ebenſo eifrig nach allem felbft, wie der alte. 
Er beharrte im Mittelpunkt der Geichäfte als Selbftherricher, und er 
zeigte gleich nachdem er die Regierung übernommen, jene unglaubliche 
Arbeitskraft, die nicht vor und nicht nach ihm von irgend einem 
andern Fürften erreicht worden ift. Durch fie nicht weniger wie durch 
fein Genie wurde Friedrich II. im eigentlichften Sinne des Worts die 
Seele des Staates. 

Soviel jah man nun ſchon, Veränderungen wollte er nicht vor- 
nehmen, wenn fie nicht wirkliche Derbefferungen waren. Mit folden 
war er aber rajch genug bei der Hand. Für die große Mafle des Volles 
wurde ſchon jegt, bejonders in zwei Punkten, viel Gutes gethan. Erftens: 


Lebensweiſe. 299 


die vielen willkürlichen Eingriffe in den Gang der Rechtspflege hörten 
auf; Friedrich ſorgte für unparteiiſche und raſche Juſtiz; aber in deren 
geſetzlichen Gang mifchte er fich fonft nicht ein. Zweitens: die bisher 
vernadjläffigten Zweige der Induftrie wurden in forgjame Pflege ge— 
nommen; er gründete ſchon im Juni eine eigene Minifterial-Abteilung 
für Gewerbe und Handelsſachen, die unter dem fehr thätigen DMinifter 
v. Marſchall ftand, ımd ermunterte auf alle Weife auch die Lurus-Gewerbe. 

Nehmen wir dazu, wie der neue König fofort Die Ideen des Zahr- 
hunderts vom Throne verkündet: Aufllärung, allgemeine Religiong- 
duldung, ſelbſt Preßfreiheit, wie er Wiflenfhaft und Kunft in ihren Rang 
wieder einjeßt, jo ift Mar, daß er feine Aufgabe darin ſah, dem Staate 
die alte Solidität zu erhalten, aber die Erftarrung, in die er zu ver» 
fallen drohte, zu löſen und in allen Richtungen geiftige Bewegung zu 
weden, zu verbreiten. Diefer Aufgabe widmete er ſich mit Leib und 
Seele; er regelte feine Xebensweife ftreng nad) den großen Pflichten 
feines Amtes; fein anderer Beamter ließ es ſich fo fauer werben wie 
der König. Um 4 Uhr fand er auf, dann famen feine brei Schreiber 
(die geheimen Kabinetsräte Eichel, Schumacher, Lautenjad) mit ihren 
Berichten, bald darauf ebenfo die Minifter; kurz und bündig erteilte er 
auf alles Beſcheid und arbeitete mit ihnen bis 10 Uhr, dann mufterte 
er die Truppen bis Mittag, fchrieb wieder bis 5 Uhr und erholte fich 
Abends in guter Gejellichaft, nicht in einem rohen Tabakskollegium, 
fondern im Kreife feingebildeter Freunde wie Keyferlingt, Jordan und 
der vieljeitige Algarotti; da ergößte er fi) zwanglos in geiftvollem 
Geſpräch mit Laune und Wig, mit Mufit und Poeſie. Leere Feierlich- 
keiten und Formeln verachtete er, wie er denn die Huldigung (zu Königs- 
berg am 20. Juli, zu Berlin am 2. Auguft) ohne alles Gepränge an- 
nahm. Auf der Huldigungsmedaille ließ er fogar das übliche „Won 
Gottes Gnaden“ fort; nannte fid) auch auf den Münzen nicht wie feine 
Vorgänger Rex Borussiae (König bes Preußenlandes), jondern Borussorum 
Rex (König der Preußen). Nicht alle waren mit diefer Einfachheit zu» 
frieden, wenn ſchon der Hof zu Charlottenburg — dort wohnte Friedrich 
damals — nicht ohne Eleganz gehalten wurbe. 

Ließ der König die Freunde auf Feine Weiſe fid) in fein Amt ein- 
miſchen, fo war von einer Einwirkung der fremden Geſandten vollends 
feine Rebe. „Um einen richtigen Begriff von der neuen Herrſchaft zu 
geben“ (berichtet am 2. Oftober der däniſche Gejandte Prätortus aus 
Berlin), „jo muß ich fagen, daß der König von Preußen ſchlechterdings 
alles felbft thut, und baß, ausgenommen ben Minifter von Boden, der 
Sparfameit predigt und damit umgemeinen, ja noch größeren Eingang 
findet als unter der vorigen Regierung, Seine Majeftät feinen Rat von 
irgend einem Minifter leiden. Ich habe viele Refolutionen und Antworten 


300 Friedrichs Thronbeſteigung und erfte Regierungshandlungen. 


dom Könige gefehen; fie vereinigen lakoniſchen Ausdruc und bewunbderng- 
würdigen Geſchäftsblick. Unglücklicherweiſe ift nicht einer um ben König, 
der fein ganzes Vertrauen hätte, und defſſen man fich bedienen Tönnte, 
um mit Erfolg die nötigen Einleitungen zu machen.“ Das war freilich 
für Preußen vorteilhafter als für das Ausland. 

Bon Natur neigte Friedrich eher zu einem friedlichen, von Kunft 
und Wiſſenſchaft durchgeiftigten Wohlleben; aber er war Fürft und wollte, 
wie er felbft jagt, da er einmal fein Handwerk treiben mußte, darin 
nicht? Halb thun. Ein Stüc des preußifchen Staatsweſens, wie er es 
überfam, lag ganz darnieder: die auswärtige Politik. Wie viele Tehler 
waren hier von Friedrich Wilhelm I. begangen, wie viele gute Gelegen- 
heiten verjäumt, wie oft Preußens Gewicht ohne Nutzen für den eignen 
Staat in die Schale Öfterreich8 gelegt worden, und wie wenig Achtung 
Hatte in Folge defien der vorige König bei feinen Mitfürften gehabt! 
Wozu waren aber alle Kräfte des jungen Staats aufs höchſte angeſpannt, 
‚wenn nicht fein Anfehen, feine Macht ftiegen? Sein Interefie, fein Lebeng- 
‚prinzip forderte Zuwachs an Gebiet, an Einfluß. Die Großmächte Europas 
fahen mit Geringſchätzung, die andern alten Staaten mit Neid auf diefen 
neuen Emporkömmling; er mußte feine Stellung ſichern, indem er fie 
verftärtte, indem er größer und allen andern wahrhaft ebenbürtig wurde. 
Dazu trieb Friedrich aber aud) der eigene Ehrgeiz; er wollte nirgends 
und nie der Zweite fein. Reizvoll ſchlug des Ruhmes „lockender Silber 
Hang“ an das Herz des jungen Königs und tönte dort mächtig wieder. 
Er beſchloß, fich einen Namen in der Gefchichte und feinem Staate einen 
Rang in der Welt zu erwerben. 

Das eine Gute hatte die auswärtige Politik Friedrich Wilhelms 
doch gehabt, daß fie feinem Nachfolger ganz freie Hand ließ. Preußen 
war durch Feine Allianz nad) irgend einer Seite gebunden; es konnte 
jede günftige Gelegenheit lediglich in feinem Intereſſe benutzen, und 
Friedrich bewies fehr bald, daß er es verftand, raſch zu handeln. Die 
Bewohner der zur oranifchen Erbſchaft gehörigen Herrichaft Herftall 
verweigerten ihm, geftüßt auf den Beiftand des Bifchofs von Lüttich, 
in befien Gebiet diejes Ländchen lag, die bedingungsloſe Huldigung, 
weil Herftall ein Lehen von Lüttich ſei; alsbald ließ Friedrich Truppen 
in das Bistum einräcen, kümmerte fi) nicht un die drohende: Ein» 
ſprache des Kaifers und nötigte den Biſchof zu einem Vergleich, in 
weldjem der König ihm feine an ſich wenig wertvollen Rechte auf Her= 
ftall gegen eine beträchtliche Geldfumme (200 000 Thaler) überließ. 
Bald darauf bot fid) ihm zu ganz anderm, zu gemaltigem Aufſchritt eine 
Gelegenheit; eine von dem Gelegenheiten, welche das politiiche Ausſehen 
eines Weltteils umgeftalten, wenn die Zeit einen Fürſten findet, der fo 
groß ift wie fie. 


301 


©rfter ſchleſiſcher Krieg. 


Am 26. Dftober 1740 fprengte ein Kurier in den Schloßhof zu 
Rheinsberg, er brachte eine wichtige, eine ungeheure Poft. Soll man 
ihn vorlafjen? der König lag fieberfranf darnieder. Aber es galt fein 
langes Baudern, die Depeihe wird dem Kranken übergeben, und fie 
heilt ihn beſſer als alle Medizin. Denn diefe Nachricht beruft ihm zu 
wirleifrigftem- Handeln. Kaifer Karl VI. war am 20 ften geftorben. Fried⸗ 
rich überſah ſchnell und Hell wie der Bliß, was alles aus diefem un- 
erwarteten Ereignis folgen fonnte und für ihn folgen jollte. Er ſchüttelte 
die Krankheit von fi ab; alle feine Nerven waren feſt und ftraff ge— 
ſpannt zu der That, die er fofort befchlofien. 

Er fah voraus, daß die pragmatiiche Sanktion, für deren Anerken- 
nung ber verftorbene Kaifer jo große Opfer gebracht, feiner Tochter 
Maria Therefia wenig nützen werde. Der Kurfürft Karl Albert von 
Baiern, Sohn einer Tochter Kaiſer Joſefs I., war von feinen gerechten 
Anfprüchen auf das habsburgifche Erbe nie zurüdgetreten; e8 mußte eim 
öfterreichifcher Erbfolgefrieg entftehen und Europa fi) fpalten. Frant- 
rei, der alte Feind des Haufes Habsburg, würde ohne Bweifel das 
feinige thun, um biefe Macht zu ftürzen, die ihm auf dem Feſtlande 
allein das Gegengewicht hielt, und England war feit dem vorigen Jahre 
im Kriege mit Spanien, dem engen Verbündeten Frankreichs. Es mußte 
einen allgemeinen Weltlampf geben, um die Erhaltung oder Bertrümme- 
rung, wenigftend um die Schwächung ber öſterreichiſchen Monarchie. 

Auf welcher Seite follte Preußen ftehen? Die pragmatiihe Santtion 
band es nicht; denn Karl VI. hatte felber die Bedingung gebrochen, 
unter der Friedrich Wilhelm I. einft jenes Hausgeſetz gewährleiftete. 
Das eigene Interefje war allein maßgebend; und diefes ftand im Gegen- 
ſatz zu dem öfterreichifchen. Wie ſchnöde hatte der wiener Hof das Haus 
Hohenzollern allezeit behandelt, wie eifrig deſſen Auftommen zu hindern 
gefuht! In der That beide waren natürliche Nebenbuhler. Nicht als 
ob Friedrich diefe zum Teil dod) immerhin deutſche Macht hätte dem 
Auslande opfern mögen; er beſchloß, fich felbft auf ihre Koften zu ver⸗ 
größern. Die Macht dazu hatte er: ein ftarkes, fchlagfertiges Heer, einen 
gefüllten Schag. Er wollte nicht umfonft Herr folder Mittel fein. Auch 
an rechtlichen Anfprüchen fehlte e3 nicht. Die ſchleſiſchen Herzogtümer, 
auf die der große Kurfürft gegen Schwiebus hatte verzichten müſſen, 
und die feinen Nachfolgern zuftanden, weil man Schwiebus ihnen hinter- 
rücks wieber entzogen hatte, dies fo wohlgelegene Land Schlefien konnte 
und wollte er, ſei es ganz ober teilweife, an fid) bringen. Er mußte 
&; denn erft durch eine fo anfehnliche Vergrößerung fam ber preußiiche 


304 Schlefien. 


fordere er Vertrauen und freundnachbarliches Betragen.“ In Wien ließ 
er durch Borcke ſein Ultimatum ſtellen: „er erbiete ſich, die Länder des 
Hauſes ſterreich in Deutſchland mit feiner ganzen Macht gegen jeber- 
mann, der fie angreifen wollte, zu garantiren und darüber mit dem 
wiener Hofe, mit Rußland und den Seemächten eine enge Allianz zu 
ſchließen; er wolle feinen ganzen Einfluß für die Kaifermahl des Groß- 
herzogs Franz verwenden und diefelbe gegen jedermann aufrecht erhalten; 
er fei bereit, ben wiener Hofe, damit er ſich in Verteidigungszuftand 
feen könne, eine Summe von zwei Millionen Gulden bar zu zahlen; 
er fordere dafür die Abtretung des Herzogtums Schlefien." „Die Könie 
gin wird Schlefien niemals abtreten“, war die ftolze Antwort. 


Schlefien. 


An der Oftfeite des Sudetengebirges und nörblid) vom mährifchen 
Geſenke liegt in elliptifcher Geftalt und der Länge nad) von Südoſt nach 
Nordweit von der Oder durchftrömt ein ftattliches, fruchtbares Land, uns 
regelmäßig nad) Norden und Dften abgedacht, 700 Geviertmeilen im Um⸗ 
fang; fein „bös Land*)“, fondern reich durch die Mineralſchätze feines 
Bodens im oberen, gebirgigen, durch hohen Ertrag an Korn und Flachs 
im unteren, ebenen Teile. Es war zu des Tacitus Zeit von deutſchen 
Stämmen bewohnt, den Duaden und Lygiern; dann, als in der Völler⸗ 
wanberung auch hier die alten Bewohner ganz ober teilweife nad) Süb- 
weften auswanderten, drangen im fechiten Jahrhundert Slawen und zwar 
Polen ein. Schlefien bildete nun lange Zeit einen Zeil des polnifchen 
Reiches, welches feit 842 von Herzögen aus dem Geſchlecht des Bauern 
Piaſt (am Goplofee) beherrfcht wurde. Im Jahre 965 trat Miesko I. 
von Polen zum Chriftentum über und befehrte auch fein Volt. Bald 
darauf erhielt Schlefien ein eigenes Bistum, zuerft zu Smogra (unweit 
Namslau), feit 1062 zu Wratislaw oder Breslau. Ein Erbfolgeftreit 
in dem piaftifchen Fürftenhaufe gab die Beranlafjung, daß Schleften 1163 
unter Vermittelung des Kaifers Friedrich Rotbart vom polnifchen Reiche 
abgetrennt und einer Geitenlinie der Piaften zuerteilt wurde. Es war 
ein Fürft aus diefem Geſchlechte, der Herzog Heinrich von Niederſchlefien, 
der am 9. April 1241 auf der Wahlftatt bei Liegnig gegen die Mongolen 
fo ruhmreich fiel. Jedoch das größte Verdienſt, welches bie piaftifchen 


®) Rad) einer alten, aber jalſchen Etzmologie Tommt das Wort Schleſien (pofniich 
Ziezi) von dem polnifen zle „fhlimm“ Her. Die rictige Ableitung {ft von Eleza, dem 
früßeren Namen der Heinen Lohe, eines Nebenflufles ber Oder, wo am Berge Slefle ober 
Zabotha (ieft Bobten) ein altes Nationalheiligtum ber poiniſchen Benöfterung lag. Dal. 
Söafarit, laniicje Alterthümer der Ugeit, Herausgegeben v. Wuttfe, II. 378. 


Solefiens ältere Geſchichte. 305 


Herzöge, bie nunmehr Jahrhunderte lang über Schlefien regierten, fich 
erworben haben, liegt in ihrer ganzen Geiftesridhtung: fie ftrebten deutſch 
zu werben; fie ähnelten darin ben flawijchen Herzögen von Pommern. 
Auch ging die Germanifirung raſch genug von ftatten; wie dort, fo hier 
auf friedlichen Wege, durd) Einwanderung deutſcher Bauern und Bürger, 
Edler und Priefter und durd) Einführung deutfcher Sitte und Art. Allmählich 
erhoben fich faft alle Sige der 21 Kaftellaneien oder Burggrafſchaften, in 
die das Land im zwölften Jahrhundert zerfiel, zu deutfchen Städten, und 
fo fammelte fi) aud) um andere Burgen und um viele Klöfter deutfches 
Bürgertum. . Übrigens geſchah die Verdeutſchung in Schlefien zwar ohne 
Baffengewalt, aber fonft ziemlich) auf dieſelbe Weiſe wie in den wendi- 
ſchen Marken. 1261 erhielten die ſchleſiſchen Städte, zuerſt Breslau, 
magbeburger Recht; von ihnen und von den Eiftercienferflöftern verbreitete 
fich deutfche Bildung über das Land. Schon im vierzehnten Jahrhundert 
war die deutſche Sprache die herrſchende. 

Seine politifche Selbſtändigkeit bewahrte Schlefien ſich aber nicht; 
feine Herzöge ſchwächten durch fortwährende ZTeilungen des Landes in 
eine große Zahl von Fürftentümern ihre Kraft jo fehr, daß es dem 
Könige Johann von Böhmen gelang, die meiften fchlefifchen Fürften zu 
feinen Lehensträgern herabzudrüden. Johanns Sohn, Kaifer Karl IV., 
verleibte dann 1355 Schlefien völlig der böhmifchen Krone ein. So kam 
dieſes Land zwar an das beutfche Reich, aber nur mittelbar, als böh- 
mifches Lehen. Es teilte nun die Schickſale Böhmens, kam mit diefem 
1527 durd) den Tod Ludwigs IT. von Ungarn und Böhmen in Folge 
von Erbverträgen und durch Wahl der Stände in den Beil des Erz- 
herzogs Ferdinand von Öfterreidh und wurde 1547 mit Böhmen zu einem 
habsburgiſchen Erblande erflärt. 

Faſt überall in den fchlefifchen Fürſtentümern hatten die Landftände 
eine ſehr ausgedehnte Macht: fie beſaßen nicht mır das Steuerbewilligungs- 
recht, fondern auch das Recht ber Gefehgebung. Der allgemeine Land- 
tag beitand aus den abligen Befigern und aus Abgeordneten der Stäbte 
und ber Geiftlichfeit; er ftimmte ftändeweife ab. Seit dem fechzehnten 
Sahrhundert verwaltete er die Gefchäfte des Fürftentums durch einen 
regelmäßig tagenden engeren Ausſchuß. Angelegenheiten, die ganz 
Schlefien betrafen, ordnete der Fürftentag zu Breslau, eine Verſammlung 
aller ſchleſiſchen Herzöge und der Abgeorbneten der Ritterjhaften und 
Städte. Er war auch der oberfte Gerichtshof des Landes; auf ihn 
konnte man fid) von den Urteilen der ftädtifchen und der ritterſchaftlichen 
Gerichte berufen. 

Unter den deutſchen Ländern, bie Luthers Lehre aufnahmen, war 
Schlefien nicht das letzte, und vergeblich fuchte Ferdinand I. hier der 
Reformation zu fteuern. Die Bewegung ergriff Fürften und Völker, 

Bierfon, preuß. Geichichte. 1. 20 


306 Motinis. 


Städte und Klöfter; nur wenige der letzteren blieben katholiſch. 1570 be 
gann aber bie Reaftion, die Jeſuiten nifteten ſich in Breslau und ander- 
wärts ein, und die Habsburger wendeten immer ftärferen Drud an. Er 
wurde maßlos, als Ferdinand II. durch Tilly und Wallenftein den Sieg 
über feine proteftantifchen Unterthanen gewann. Der dreißigjährige Krieg 
veröbete das Land und vernichtete hier die Glaubensfreiheit und das 
politifche Recht; dies um fo leichter, da im Laufe der Beit alle piaftifchen 
Herzöge ausgeftorben und deren Länder als erledigte Lehen eingezogen 
waren. Die Taiferlichen Beamten regierten fortan im weſentlichen unbe 
ſchränkt. Der Adel hielt fid, durch Unterdrüdung des Bauern ſchadlos, 
den er leibeigen machte; der Birrgerftand war verarmt und ohne Selbftän- 
digkeit. Die alte ſchöne Kultur des Landes war dahin; Ackerbau, Handel, 
Gewerbe, alle Vollswohlfahrt Tag unter dem fchlechten Regiment ber 
Habsburger darnieder. Nur Mönche und Pfaffen gebiehen, emfig be- 
müht, den evangelifchen Glauben, dem immer nod) Die Mehrzahl anhing, 
überall im Lande auszurotten. Zwar hatte ber weftfälifche, dann der 
altranftädter Vertrag dem ſchleſiſchen Proteftanten einige Rechte aus- 
bedungen; allein der wiener Hof adhtete fie nicht. Kinder gemifchter 
Ehen wurden mit Gewalt katholiſch gemacht, jeber Übertritt zum Pro 
teftantismus graufam beftraft, die ottesverehrung der Evangelichen 
verboten ober, wo dies zu viel Lärm gemacht hätte, doch auf alle Weife 
geftört und beſchränkt, Dagegen das katholiſche Weſen mit ebenfoviel Eifer 
gepflegt und gefördert. Kurz, das Jod) der Papiſten laſtete ſchwer auf 
dem Lande, und es war ein Wunder, daß noch fo viele dein Proteitan- 
tismus treu blieben; e8 war dies dem wohleingerichteten Schulmefen und 
der allgemeinen Verbreitung der deutſchen Bibel zu verdanken — durch 
beides zeichnete ſich Schlefien bereit8 im fechzehnten Jahrhundert aus. 
Aber mit der Zeit gelang es ben Zefuiten fiberall, aud) den Schul— 
Unterricht der Evangelifhen zu lähmen; ihre eigenen Schulen, anfangs . 
gut beftellt, verfielen, als fie den Sieg errungen und feinen Nebenbuhler 
mehr zu bekämpfen hatten; die geiftige Finfternis, bie fiber dem katho— 
liſchen Zeile des Volles lag, drohte auch den Überreft des evangelifchen 
Geiſteslebens zu verihlingen. Dabei wurde nicht einmal für die mate- 
riellen Intereſſen geforgt. Bei dieſer -traurigen Verfafjung des Landes 
erſchien Friedrich der Große den Proteftanten in Schlefien als ein Retter 
und ſelbſt manchen: Katholiten willkommen. 


Aollwit. 


Der wiener Hof hatte nicht die geringften Anftalten getroffen, das 
Land, in welches die Preußen nun einrüdten, in ordentlichen Verteidi- 
gungszuftand zu ſetzen. Es gab in Schlefien damals kaum 8000 Mann 


Friedrichs Einzug in Breslau. 307 


öfterreihijcher Truppen; fie mußten ſich auf die Beſetzung der wichtigften 
Feſtungen, Glogau, Brieg, Neiße, beſchränken. Gern hätten die öfter 
reichiſchen Behörden fid) wenigftens ber Hauptſtadt Breslau verfichert, 
fie forberten den Magiftrat auf, von dem Befagungsrecht, welches die 
Stadt von altersher bejaß, für diesmal abzufehen und öfterreichifche 
Truppen aufzunehmen. Der Magiftrat, gut habsburgifch gefinnt, wollte 
einwilligen; aber da erhob ſich die Bürgerſchaft, fie war meift evangeliſch 
und entſchloſſen, ihr Recht zu behaupten. Rad) einer großen ftürmifchen 
Zollsverfammlung erflärte ihr Sprecher, der Schuhmacher Döblin (ein 
Katholit, aber Preuße von Geburt) dem Magiftrat, fie wollten feine 
böhmifchen Truppen, fie würden die Stadt felbft verteidigen, und alsbald 
30g die Bürgermehr bewaffnet und geordnet auf und befeßte bie Thore. 
Es war Mar, die Bürgerfchaft hielt es mit den Preußen; viele fagten 
ganz offen: „Num werben wir das Zoch der Papiſten abfchütteln‘. Die- 
felbe Stimmung herrſchte in ganz Nieberfchlefien vor, wo die Evange⸗ 
liſchen die Mehrzahl bildeten. Durch gute Mannszucht, durch Teutfeliges 
Benehmen gewann Friedrich aud) die Schwanfenden. Ohne allen Wider: 
fand nahm er das Land ein, am Neujahrstag 1741 langte er vor 
Breslau an, fiherte der Stadt vorläufig Neutralität zu und hielt am 
3. Januar unter großem Zulauf und Zubel durd) das Schweibniker-Thor 
feinen Einzug. Am Ende des Monats hatte er ganz Schlefien bis hinauf 
zum Zabluntapaß in feiner Gewalt, mit Ausnahme ber drei Feftungen 
Neiße, Brieg, Glogau, die er vor der Hand nur einſchloß. Es ftand 
ihm der Weg durch Mähren, auf Wien frei. Aber er wollte mır Schle- 
fin behaupten, nicht die öfterreichiſche Monarchie zertrümmern. Er legte 
Baber feine Truppen in die Winterquartiere und wartete ab, ob fich der 
wiener Hof nun williger bezeigen werbe. . 

Doch auch jetzt lehnte Maria Therefia die preußifchen Anerbietungen 
— für die Abtretung Schlefiens oder doch eines guten Stücks bavon 
Gewährleiftung ihrer Erbfolge, die Kaiſerkrone für ihren Gemahl, außer 
dem fofort zwei Millionen Gulden und 10000 Mann Hilfstruppen — 
ganz entfchieden ab. Der Hohmut in Wien war noch ungebrochen. 
„Einem Färften“, hieß es dort, „ber dem Katfer das filberne Waſch⸗ 
becken zu halten habe, komme es nicht zu, ber Tochter bes Kaiſers Ges 
ſetze vorzufchreiben." Allzufeſt zählte Maria Therefia auf den Beiftand 
der Fremden. Sie rief die Seemächte, ſowie ganz Deutſchland zu Hilfe 
gegen den Friebensbrecher. 

Es entbrammte nun zumächft von hüben und drüben ein erbitterter 
Federkrieg. Der halleſche Zurift Ludewig mußte fehr gelehrt ber Welt 
beweifen, daß Preußen ein unzweifelhaftes Recht auf Schlefien habe, wer 
nigftens auf das Herzogtum Jägerndorf, welches Ferdinand II. 1622 
widerrechtlich dem hohenzollerſchen Haufe entriffen, und auf die Herzog« 

20° 


308 Mollwiß. 


tümer Liegnitz, Brieg und Wolau, welche kraft der Erbverbrüderung vom 
Jahre 1537 nad) dem Ausfterben der Piaſten (1675) hätten an Bran- 
denburg fallen follen. Dagegen fuchten wiederum die öfterreichifchen Ge— 
lehrten zu beweifen, daß alle dieſe Fürftentümer als böhmifche Lehen mit 
Recht eingezogen worben feien. Auf beiden Seiten hatte man einen 
mehr oder minder guten pergamentenen Rechtsboden; und hier wie dort 
foht man mit Gefchid. 

Indeſſen der Federkrieg that es nicht, die Waffen mußten entjcheiben. 
Denn and) die mäßigften Forderungen des Königs — er wollte fid) mit 
Niederichlefien begnügen, wenn man es ihm ohne weiteres abtrete — 
fanden mm höhniſche Antwort: „Wenn er auf der Stelle Schlefien 
räume, wolle Maria Therefia ihm vergeben und nicht auf Schadenerjaß 
beftehen!" Da erflärte er dem englifchen Geſandten erbittert: „Ich will 
eher umkommen als von meinem Unternehmen abftehen. Die andern 
Mächte follen fi nicht einbilden, daß id) mic, mit Drohungen ein- 
ſchüchtern laſſe. Ich werde zeigen, daß id) eher bereit bin als fie, ben 
erften Schlag zu thun.“ Übrigens richtete er fi in Schlefien als Be- 
fiber ein, nahm die Landeseinkünfte an fi, warb Rekruten, hielt aber 
in allem darauf, daß das Volt nirgends bedrüdt, vielmehr jeder in 
feinen Rechten geſchützt werde; es verftand ſich von felbft, daß die Evan- 
geliſchen ihren Gottesdienft nun frei ausüben durften, er ließ für die ver- 
waiften Gemeinden Prediger aus der Mark kommen, verleßte aber auch, 
dulbfam wie er war, die fatholifche Kirche nicht. 

Mittlerweile fammelte fid) in Mähren ein öfterreichifches Heer, un 
die Preußen aus Schlefien hinauszuwerfen. Zugleich erhielt ber König 
Nachricht, Ofterreich, die Seemächte, Rußland und Sachſen beabfichtigten, 
fi) gegen ihn zu verbünden und feine Länder zu teilen. In der That 
war wenigftens Georg II. von England entſchloſſen, die pragmatifche 
Sanktion aufs allerfräftigfte zu verteibigen. Friedrich befchleunigte daher 
die Eroberung Glogaus, welches ber junge Prinz Leopold von Deffau 
in ber Nacht vom 8. zum 9. März mit großer Kühnheit umd geringem 
Verluſt erftünmte, und befahl dem alten Deffauer, mit 33000 Mann 
von der Mark aus Sadjfen und Hannover zu bedrohen. Er felbft zog 
auf Neiße zu, während das öfterreichifche Heer unter General v. Reipperg 
von Süden herankam. 

Montag Mittags am 10. April — Neipperg wollte fi) gerabe in 
feinem Hauptquartier beim Dorfſchulzen in Mollwig zu Tiſche ſetzen — 
erhielt er die Meldung, die Preußen feien dicht in der Nähe und in 
vollem Anmarſch zur Schlacht. Haftig fuchte er, fo gut es ging, fein 
Heer ebenfalls fchlachtbereit aufzuftellen. Doch verſtrich darüber einige 
Zeit; aber. bie Preußen rädten nicht, eilig, fondern mit manöverartiger 
Genauigkeit an. So Tonnten die Ofterreicher noch ihre Schlachtlinie 


10. April 1741. 309 


einrichten. Um 1 Uhr ftanden fie einander gegenüber; beide Zeile gleich 
an Zahl (jeder hatte etwa 19000 Mann), auf Seiten der Preußen war 
die Infanterie und Artillerie zahlreicher, bei den Ofterreichern Dagegen 
eine große Übermacht an Reiterei; das Terrain war beiden gleich günftig, 
eine ununterbrocdyene Ebene, die der öfterreichifchen Kavallerie guten 
Spielraum bot; dagegen gaben ein Bad) und fumpfige Wiefen der linken 
preußifchen Flanke eine ftarfe Dedung. Auf beiden Geiten wurben 
Fehler in der Aufftelung gemacht; denn Reipperg war ein mittelmäßiger 
Zeldherr, und Friedrich noch durchaus ein Neuling. Gegen zwei Uhr 
griffen die Preußen an, in der ſchönſten Ordnung, mit fliegenden Fahnen 
und klingendem Spiel; ihre Kanonenkugeln eröffneten die Schlacht. Sie 
ließ fi) bald für die Angreifer ſehr übel an. Die öfterreichifche Ka— 
vallerie, 30 Schwadronen unter dem General v. Römer, ftürmte wie eine 
Windsbraut auf den rechten Flügel der Preußen los und hieb deren 
Reiterei, zehn Schwadronen Schulenburgs, in wilde Flucht. Vergebens 
fuchten Schulenburg und der König felbft die Flüchtigen zu fammeln; 
jener fiel, den König, der im dichteften Getümmel focht, bemogen feine” 
Dffiziere, das Schlachtfeld zu verlafien und den Dberbefehl an den Feld⸗ 
marſchall Schwerin zu geben; man bielt alles für verloren. Aber wäh- 
rend bie Reiter wie Spreu im Winde zerjtoben, ftand das preußifche 
Fußvolk unerſchütterlich, wie aus Stein gehauen, ſowohl die Hauptmacht 
auf dem linken Flügel unter dem Prinzen Leopold von Deſſau, als die 
Heine abgefehnittene Schar auf dem rechten Flügel, welche der General 
dv. Binterfeld befehligte. Die preußifchen Bataillone waren in Pelotons 
geteilt, vier Mann hoch; die beiden erften Glieder luden und ſchoſſen 
knieend, die beiden andern hinter ihnen ftehend; die Offiziere komman⸗ 
dirten, die Gemeinen feuerten, alle ruhig und feft wie auf bem Ererzier- 
plap, überallhin Front; jede Bewegung genau wie ein Uhrwerk. So 
ſchlugen fie fünfmal den Anprall der feindlichen Neiterei, die von allen 
Seiten fie anfiel, gelafien ab. Römer fiel, und feine Reiter verfagten 
endlich gegen dieſe Feuerfluten, die unaufhörlich aus den preußifchen 
Musteten auf fie her rollten. Ebenſowenig richtete die öſterreichiſche In— 
fanterie aus, die nun Neipperg felbft heranführte. Ein hölliſches Gewehr- 
feuer. (wie er felbft berichtet) empfing ihn; die Preußen ſchoſſen fünfmal, 
die Ofterreicher in berfelben Zeit kaum zweimal. Reippergs Heer, war 
„burdjlöchert wie ein ‚Sieb“. Und nun nimmt Schwerin fein ganzes 
Fußvolk zufammen, in Reih und Glied vorwärts; läßt jämtliche Feld⸗ 
mufit auffpielen und rückt vor mit fliegenden Fahnen. Ein öſterreichiſcher 
Offizier fehrieb darüber ein par Tage nachher: „Ich kann wohl fagen, 
mein Lebtage nichts Schöneres gefehen zu haben. Die Preußen mars 
ſchirten mit der größten Contenance und fo ſchnurgleich als wenn es auf 
dem Paradeplap wäre; das blanfe Gewehr machte in der Sonne ben 


310 Moltvig. 


ſchönſten Effeft, und dag Feuer ging nicht anders als wie ein fortwäh- 
rendes Donnerwetter." Die öfterreichifche Armee wankte, wid) vor dem 
nie erlebten Feuer, das in maffenhaften Salven ohne Unterlaß daher— 
fuhr. Nach Sonnenuntergang, um dreiviertel auf acht Uhr, trat Neip— 
perg den Rüdzug ar. 

So hatten bie kriegsungewohnten preußiſchen Infanteriſten die alten 
Regimenter Oſterreichs beſiegt. Sie waren alſo nicht umfonft zwanzig 
Jahre lang von Friedrich Wilhelm und dem alten Deſſauer gedrillt 
worden; die unabläffige Zucht und der eiſerne Ladeſtock hatten ſich vor- 
trefflich bewährt, und der Kamaſchendienſt war doch nicht fo wertlos 
gewejen; der alte ehrliche Friedrich Wilhelm war herrlich gerächt am 
feinen Spöttern. Sein Korporalftod trieb bier ſchöne Lorbern. Aber 
es lag auch fo mancher von feinen „lieben blauen Kindern“ tot auf 
dem fchneeigen Siegesplatz. Auch ein hohenzollerſcher Prinz, Markgraf 
Friedrich) von Schmwebt, war gefallen. Im ganzen hatte ein jedes ber 
beiden Heere hier an Toten, Verwundeten, Vermißten über 4000 Mann 
verloren. 

Doch war mit folhen Opfern der Sieg bei weiten nicht zu teuer 
erfauft; wie ander8 und wie viel beffer ftand es jeßt um Preußen! 
Friedrid) war alfo nicht der tolle Abenteurer, für den ihn die Welt er= 
Märte, als er dem großen Öfterreich Krieg bot. Er Hatte nicht Ielht- 
finnig über feine Mittel hinaus geftrebt. Mit Bewunderung ſah Europa 
bier eine neue Militärmacht erftehen, die fic mit jeder anderen meſſen 
und fiegen konnte. Der junge preußifche Staat hatte fi den Platz der 
Ebenbärtigteit unter den Großmächten der Welt erzwungen, den er 
beanfpruchte. Man mußte mit ihm fortan als mit einem gleichen 
rechnen. Das war noch viel mehr wert, als ber milttärifche Erfolg, den 
jener Sieg bradjte, nämlich die Behauptung ganz Schlefiens und die 
Eroberung Briegs, welches im Mai fiel. 

Die Schlacht bei Mollwitz gab für Europa das Signal zu einem 
allgemeinen Kriege; fie war wie eim Funke ins Pulverfaß. Denn bie 
Mächte, die gegen Oſterreich feindliche Abfichten hatten, aber erft ab- 
warten wollten, wie Friedrichs Unternehmen ſich anlafje, befamen num 
Mut und Luft, auch zu handeln. Frankreich ſchloß mit dem Kurfürften 
von Batern einen Vertrag, durch welchen es fich verpflichtete, ihn mit 
Geld und Truppen zu ımterftäßen, und machte fich anheiſchig, ihm zu 
einem Zeile ber öſterreichiſchen Erbſchaft und zur deutſchen Kaiſerkrone 
zu verhelfen. Spanien und Sardinien traten biefem Bunde bei; fie 
wollten den Dfterreihern in Italien zu Leibe gehen. Auch Sachen, 
begierig, am ber habsburgiſchen Beute teil zu nehmen, ſchloß fidh dem 
Berbündeten an. Dagegen traten, um das europätjche Gleichgewicht 
zwiſchen Habsburg und Bourbon aufrecht zu erhalten, die Seemächte, 


Der dſterreichiſche Exbfolgefrieg. 311 


England und Holland, für Oſterreich ein, ſchickten Hilfsgelder nach Wien 
und verfpradyen Soldaten; um fo weniger dachte Maria Therefia daran, 
dem verhaßten Könige von Preußen nachzugeben. Friedrichs Lager bei 
Strehlen war unterbeflen der Mittelpunkt eines lebhaften diplomatischen 
Verkehrs; von allen Höfen famen die Gefandten; die einen ſuchten ihn 
für Ofterreid), die andern für Frankreich zu gewinnen. Er hörte alle 
ruhig an; ihre Drohungen, Verfpredjungen, Schmeicheleien blieben gleid) 
wirtungslos; er zog allein fein Antereffe zu Rate, und da Maria 
Therefia ihm nicht einmal Niederfchlefien, geſchweige das ganze laſſen 
wollte, jo verband er fid) am 4. Juni mit Frankreich, das ihm ben 
Beſitz von Niederſchleſien gewährleiftete, wogegen er dem Kurfürften von 
Baiern feine Stimme bei der Kaiferwahl verfprady und auf Berg zu 
Gunſten des Haufes Pfalz verzichtete. Übrigens war er entſchloſſen, 
ganz Schlefien zu behalten. Am 10. Auguft ließ er durch den Prinzen 
Xeopold von Deſſau die Stadt Breslau befegen und am folgenden Tage 
fid) von der Bürgerfhaft und von der fatholifchen Geiſtlichkeit die Hul- 
digung leiften. Vor allem aber verftärkte er in Schlefien fein Heer. Aus 
den Mitteln dieſer Provinz felbft ließ er mehrere neue Regimenter er- 
richten; es war darunter auch ein nad) polniſch-tatariſchem Mufter ges 
bilbetes und anfangs meift aus Polen beftehendes Corps Ulanen*), eine 
Art Teichter Neiterei, die bisher in der preußiſchen Armee nicht üblich 
geweſen. 

Mittlerweile wurde Maria Thereſias Lage immer verzweifelter; der 
preußifch-franzöfifche Vertrag hatte ihre Feinde kühner, ihre Freunde be— 
denklicher gemacht. Am legten Tage des Juli drangen bairifche Truppen 
über den Inn; der öfterreichifche Erbfolgefrieg war ausgebrochen. 
In der Mitte des folgenden Monats gingen die Franzoſen, 70000 
Mann ftark, über den Rhein, um den Kurfürften von Baiern zu unter» 
ftügen, der dann im September ben größten Teil bes Erzherzogtums 
befegte. Zugleich rücten fächfiiche Truppen an die böhmiſche Grenze. 
Der öfterreichiiche Staat fchien verloren; er war es, wenn Friedrich, 
wie er es konnte, ſich mit feiner weit überlegenen Streitmadjt, bie hier 
63 000 Mann ftart war, auf Neippergs Truppen in Oberjchlefien warf, 
auf das einzige Heer, welches Maria Therefia überhaupt beſaß. Er 
konnte es vernichten, nad) Wien marſchiren und Öfterreich den Todesſtoß 
verfegen; aber er wollte es nicht. Was wäre denn bie Folge der Ber- 
trünmmerung dieſes Staates gewejen? Nichts anderes als die Verwirte 
lichung ber franzöftichen Pläne. Diefe aber beftanden darin, bie öfter- 
reichiſche Monarchie fo zu teilen, daß im Deutſchland drei oder vier 
ziemlich gleich ſtarke Mittelmächte entftänden, etwa Baiern mit Böhnten, 


®) Kriege und Heldengeſchichte Friedrichs IT., Königs in Preußen. Erfurt 1743, ©. 240. 


312 Erſter ſchleſiſcher Krieg. 


Tirol und Oberoſterreich, Sachſen mit Mähren und Oberſchleſten, Preußen 
mit Niederfehlefien; das Haus Habsburg follte dann Ungarn und ben 
Reft der öfterreichifchen Landſchaften behalten. Bei einer folchen Umge— 
ftaltung her Karte Europas befam Frankreich; aud) ohne eigene Gebiets- 
erweiterung bie Herrſchaft über Deutfchland, über den ganzen Weltteil; 
denn wer war dann mächtig genug, ihm die Spitze zu bieten? Zu 
jolden Entwürfen gedachte nun Friedrich II. fi) nicht gebrauchen zu 
laſſen; er war zu beutfch, er war vor allem zu Mug dafür. „Wie unver- 
zeihlich“, rief er aus, „wäre es geweſen, das Joch von Dfterreich zu 
brechen und fi) dafür franzöfifche Ketten zu ſchmieden!“ Er beſchloß 
daher, auf Maria Therefias Bitten, die fi) jegt in ihrer höchften Be- 
drängnis aus Preßburg, wohin fie geflüchtet, friedefuchend an ihn wandte, 
einzugehen und mit dem Kriege inne zu halten. Am 9. Oktober 1741 
kam zwifchen ihm und ben öfterreichifchen Bevollmächtigten zu Klein- 
Schnellendorf (bei Friedland im Waldenburgfchen) in Form eines 
Protokolls eine geheime Abmachung zuftande, durch welche ihm Nieder- 
ſchlefien nebft Neiße überlaflen wurde, wogegen er verſprach, neutral zu 
bleiben. Er erflärte aber ausdrücklich, er binde ſich an diefe Verabredung 
nur auf fo lange, als ber wiener Hof fie geheim halten werde; auch 
müfje diefer vorläufige Vertrag nor Ende des Jahres in einen boll- 
ftändigen verwandelt fein. Daher unterzeichnete er das Protofoll auch 
nicht, um für alle Fälle gegen Frankreich ben Schein bewahren zu 
innen. Die Ofterreicher ränmten darauf Neiße, die Preußen nahmen 
in Oberfehlefien Quartier und ließen Neipperg ungehindert nad) Mähren 
abmarjchiren. 

Der König verleibte darauf Niederſchleſien feinem Staate ganz und 
völlig ein, empfing (7. November) zu Breslau feierlich bie Huldigung 
der Fürften und Stände des Landes, deren Privilegien er indes nicht 
beftätigte, weil er feine Vorrechte anerkennen wollte, Die ihm und der 
Maſſe des Volks ſchädlich wären, und vergab bei dieſer Gelegenheit die 
esiten preußiſchen Fürftenhüte, indem er bie ſchleſiſchen Grafen v. Hahfeld⸗ 
Trachenberg und Schönaic-Carolath in den Fürſtenſtand erhob. Sodann 
wurde bie Verwaltung dieſer neuen Provinz in allen Stüren auf preußi ⸗ 
ſchen Fuß gejept. 

Der Bertrag von Klein-Schnellendorf war für Maria Therefia in 
hohem Grade vorteilhaft, denn er machte ihr auf der gefährlichiten Seite 
Luft. Neippergs Heer konnte auf Wien ziehen und Die überall zerſtreuten 
Streitkräfte Öfterreih8 um fi ſammeln. Es wuchs damm auch raſch 
durch Buzüge, namentlich aus Ungarn, zu einer bedeutenden Macht art, 
bie bald das Feld zu halten imftande war. Die Ungarn wurben ba 
mals Habsburgs Retter; mit einem zahlreichen Reiterheere zogen fie aus, 
den alten Thron der Habsburger wieder. aufzurichten. ö 


Shhlacht bei CHotufig. 813 


Im Oktober war Ober: und faft ganz Niederöfterreid, in die Hände 
der Baiern und Franzoſen gefallen, im November nahmen dieſe mit den 
Sachſen vereint aud) Böhmen ein, und da Friedrich, erzürnt, daß man 
den Klein-Schnellendorfer Vertrag doch veröffentlicht hatte, von neuem 
zu den Waffen griff und Mitte Dezembers Mähren beſetzen ließ, fo ſah 
& um Maria Therefias Sache immer nod übel aus. Der große Unter 
ſchied war aber, daß fie jeßt ein ftarfes Heer hatte. In raſchem Kluge 
drang dasfelbe unter dem General Khevenhiller längs der Donau hinauf, 
jagte die Baiern und Franzoſen vor fi Her und fiel verwüftend in 
Baiern ein. Karl Albert war feiner Aufgabe nicht im entfernteften ge— 
wachſen; eitel und unfähig zu allem Tüchtigen, vergnügte er fich in Prag 
bei feiner Krönung, dann in Frankfurt a. M., wo ihn (am 24. Januar 
1742) die Kurfürften als Karl VII. zum Kaifer wählten, mit prunkenden 
Feſtlichkeiten. Ebenſo unfähig zeigten fid) die franzöfifchen Generale 
Belleisle und Broglie. Überdies beftand zwifchen ihnen und ihren deut- 
ſchen Verbündeten viel Eiferfudt und Uneinigfeit. Der einzige, ber 
Plan und Ordnung in das Ganze hätte bringen können, König Friedrich, 
ward mit feinen Ratſchlägen nicht gehört, weil bie anderen, befonders 
Sachſen, ihm nicht trauten. So fam es, daß Die Ofterreidyer in Böhmen 
Fortſchritte machten und in Baiern ſich fogar der Hauptftadt München 
bemächtigten. Vieleicht wäre Khevenhiller noch weiter vorgedrungen, 
wenn nicht Friedrich, obwohl von den Sachſen ſchlecht unterftügt, Wien 
bedroht hätte, indem er 5000 Preußen in Öfterreich einfallen und brand- 
ſchatzen ließ; Zietenſche Hufarem ftreiften bis Stockerau, vier Meilen vor 
Bien. Nun wendete fi die Hauptmacht der Öfterreicher nad) Mähren, 
und Friedrich, der bier nur geringe Streitkräfte zur Verfügung hatte, zog 
fi, wie die Sachſen, nad) Böhmen zur, während der alte Deſſauer 
Dberfchlefien deckte. 

Seit Monaten wurde der wiener Hof von deſſen treueftem Werbün- 
deten, dem Könige von England, mit Ratfchlägen beftürmt, den gefähr- 
lichften Gegner, Friedrich II. in Güte zu befriedigen, damit man bie 
Arme gegen bie übrigen frei befomme. Maria Therefia zog es aber vor, 
erft noch einmal das Glüd der Schlachten zu verjuchen, und befahl daher 
ihrem Schwager, dem Prinzen Karl von Lothringen, dem fie ihr 
Heer anvertrant hatte, nachdrücklich anzugreifen. In der Mitte des Mo- 
nats Mai 1742 rückte diefer gegen die Preußen, die am fühltchen fer 
ber oberen Elbe bei der böhmiſchen Stabt Chrudim lagerten, ins Feld. 
Gern hätte er zwifchen ihnen und Prag Stellung genommen, um fie von 
den Sachſen und Franzoſen, die bort ftanden, ganz abzuſchneiden; er 
marſchirte daher auf Czaslau und Suttenberg zu, aber ‚wie er am 
16. Mai in Ronnow, füdöftlih von dem Städtchen Czaslau anlangte, 
war ihm Friedrich mit einem Teile des preußiſchen Heeres ſchon zuvor⸗ 


314 Erſter ſchleſiſcher Krieg. 


gekommen und hatte durch einen Gewaltmarſch Kuttenberg erreicht, wäh- 
end der andere Zeil, der ihm unter dem Prinzen von Deſſau nachfolgte, 
foeben vor Czaslau vorbeimarſchirte. Beide Heere, einander nun fo nahe, 
brannten vor Begierde, fi mit einander zu mefien. Prinz Karl hoffte, 
den Feind in den Dörfern zwifchen Czaslau und Kuttenberg zerftreut zu 
finden und überfallen zu können; er eilte daher noch in der Nacht zum 
17ten mit feiner Streitmacht nach Czaslau. Hier aber erfuhr er, bie 
Preußen feien bereit8 in einem Lager weiter nördlich vereinigt; in. der 
That langte der König eben von Kuttenberg her bei Chotufiß, wo ihn 
der Prinz Leopold von Deflau erwartete, an. 

Das Dorf Chotufit liegt kaum eine Meile nördlich von Czaslau; 
es bildete jeßt (am frühen Morgen Donnerftags den 17. Mai) den Mit- 
telpunkt der preußifchen Stellung. Der linke Flügel unter dem Prinzen 
Leopold von Deffau breitete fi) nad) dem Butlinka-Bach aus, er beitand 
größtenteils aus Reiterei, die aber hier auf vieldurchſchnittenem Boden 
fich nur ſchlecht entfalten konnte; den rechten Flügel, gelehnt an die 
Czirkwitzer Seen und Teiche, machten die von Friedrich felbft foeben 
hergeführten Bataillone aus. Das preußiſche Heer zählte 28000 Mann 
mit 88 leichten Geſchützen, das öfterreichijche 30 000 Mann mit 40 Ka 
nonen. Um ben Eifer der Seinigen noch mehr anzufeuern, ließ Prinz 
Karl bekannt machen, das Avancement folle von jet an ohne Rüdficht 
auf die Religion, vielmehr nur nad) der Tüchtigkeit gefchehen. Um 7 Uhr 
Morgens marſchirte er heran, da eröffneten die preußifchen Geſchütze auf 
der ganzen Linie die Schlacht. Dann warf fid) alsbald die preußiſche 
Reiterei des rechten Flügels mit blintenden Säbeln auf die öſterreichiſche; 
fie zeigte bier, daß ihr König fie nicht umfonft ſeit Mollwig neir geftaltet 
und, eingeübt hatte. Bald wälzt ſich der ungeheure Staubwirbel — der 
Boden war jandig, das Wetter heiß und troden — ſchneller und ſchneller 
nad) Süden, denn die Ofterreicher fliehen; auch zwei öſterreichiſche Fuß- 
Regimenter werden niebergefäbelt. Aber nun rüdt die Kavallerie-Reſerve 
des Feindes vor, und die Preußen haben bier Feine friſchen Schwadroner 
zur Hand. So hält, ſchwankt der Reiterfampf bald unentſchieden und 
wirr bin und ber. 

Auch auf der andern Seite erringt der Feind Vorteile, treibt die preußis 
ſchen Schwadronen, die vor Chotufitz ftehen, zurück, bringt auch ein Bataillon 
vom Regiment Prinz Leopold, welches fich vor dem Dorfe entgegenftellt, 
zum weichen; fchon ift er in Chotuſitz umd ſteckt es in Brand. Da wirft 
id, den Wankenden, Flichenden der Yeldprediger des Regiments Prinz 
Leopold, der junge Magifter Seegebart*), entgegen; er bittet, beſchwört, 
ex bringt einen Trupp zum ftehen, fammelt nod) einen; fein begeifterndes 


9) Zoadim Friedrich Seegebart, geb. am 14. April 1714 im Magbeburgticen. 


Brlede zu Breslau. 315 


ort hallt weiter und weiter. Von neuen Kriegsfener erfüllt, Tehren 
die Regimenter in die Schladjtlinie zurüd, wo der größte Zeil bes 
Fußvolls noch unerjchüttert, aber mit Ieter Kraft hält. Die preußiſche 
Infanterie mit ihrem fihern und ſchnellen Feuern und ihrer eifernen 
Standhaftigfett thut hier abermals Wunder. Da liegt z. B. ein ganzes 
öfterreichifches Regiment, das löwenkühn beranftürmte, niedergeſtreckt in 
Reih und Glied, die Musteten neben fi. Wie zuchtlos dagegen die 
öſterreichiſche Reiterei! Wo fie fiegt, zerftreut fie fi) alsbald, um zu 
plündern. 

So wogt der heiße Kampf vier Stunden lang. Da ftellt fich 
Friedrich in eigener Perfon an die Spihe feines Fußvolls und macht 
auf Front und Flanke des linken feindlichen Flügels mit Kanonen- und 
Musketenfener Angriff auf Angriff, bis dieſer weicht. Prinz Karl, um 
den Reft feines Heeres zu retten, räumt das Schlachtfeld und tritt um 
12 Uhr Mittags den Rüdzug nad) Süden an. 

Der Sieg war gewormen, Dank ber Tapferkeit der preußiſchen 
Truppen, die für fie um fo ehrenvoller war, als bei ber fehlerhaften 
Aufftellung ihrer mehr als die Hälfte mit gefchultertem Gewehr hatten 
ftehen, der Meinere Teil alfo die ganze Arbeit allein verrichten müſſen; 
Dank auch dem Iutherifchen Gottvertrauen, das ſelbſt den Feldprediger 
zum Helden machte. Einen großen Anteil an dem Siege fonnte der 
König jedod) fich felber zufchreiben. Der mangelhafte Schladhtplan, den 
ihm die Umftände aufgenötigt, war weſentlich durch feine Umficht und 
Entjehlofienheit wieder gut gemacht worden. Am meiften aber freute 
& ihn, daß feine Schöpfung, die Kavallerie, fid) fo gut bemährt hatte, 
wenn aud) die Infanterie es war, bie den Tag entſchied. Der Sieg 
Toftete den Preußen 4000 Mann an Toten und Berwimbeten, während 
die Feinde an Toten, Berwundeten und Gefangenen über 6000 Mann 
und 18 Kanonen verloren; aber er trug eine fehöne Frucht, den Trieben, 
den Maria Therefia, obſchon widerftrebenden Herzens, mın anbot. Sie 
hörte jet williger auf Englands Ermahnungen und entihloß fich zu 
großen Opfern. Friedrich aber, mit ebenfo viel Recht gegen Frankreich 
und feine anderen Verbündeten mißtrauifch, wie diefe gegen ihn, auch 
von Anfang an gemeint, nur für Preußen, nicht für andere zu arbeiten 
und keineswegs Ofterreich zum Nutzen Frankreichs zu unterdrüden, ſchlug 
gern in Die dargereichte Hand ein. So kam das Friedenswerk, welches 
der preußifche Minifter v. Podewils und der englifche Geſandte Hynd⸗ 
ford im Ramen Friedrichs und Maria Therefias vorbereitet hatten, zu 
Breslau am 11. Juni 1742 glücklich zuftande; diefem Vertrage folgte 
dann (am 28. Juli) der förmliche Friedensſchluß zu Berlin. Die Be 
dingungen waren im wefentlihen folgende: Öſterreich tritt ganz Nieber- 
ſchleſien und Oberjehleften bis zur Oppa, fowie die Grafihaft Glag und 


316 Exfter ſchlefiſcher Krieg. 


das mährifhe Ländchen Katſcher für immer an Preußen ab; dagegen 
verpflichtet fid) der König von Preußen in dem öfterreichifchen Erbfolge- 
kriege neutral zu bleiben, auch die Summen, welche holländifche und 
englifhe Kaufleute zur Zeit des polnifchen Erbfolgefrieges dem Kaiſer 
Karl VI. auf Schlefien geliehen (im ganzen etwa vier Millionen Thaler) 
au bezahlen. 

Es war ein herrlicher Preis, den Friedrich) fo feinem Staate ge- 
wann: bi8 auf den bergigen Gtrid) im Süden mit den Städten Trop- 
pau, Zeichen, Jägerndorf, der fortan das öſterreichiſche Schlefien hieß, 
gehörte nun ganz Schlefien zu Preußen, ein fo fruchtbares, volkreiches 
Land, 680 Geviertmeilen, mit 1,400 000 Einwohnern, die in 161 Städten, 
in 5000 Dörfern lebten, gewerbfleißige, tüchtige Menfchen, faft zu zwei 
Dritteln Proteftanten und deutſchen Stammes, in Kultur und Charakter, 
tin Sitte und Religion den Stämmen verwandt, zu denen fie nun ges 
hart wurden. Der preußifhe Staat war durch diefen Zuwachs an 
Umfang um ein Drittel, an Volkszahl und Einkünften faft um die Hälfte 
vergrößert und konnte nun in der großen Politit ganz auf eigenen Füßen 
fteben. 

Und welch ein Anfehn hatte der junge König von Preußen fid) ver- 
ſchafft! Sein Ruf als Feldherr ftand feit, wenn ſchon wenige ahnten, daß 
bier nicht bloß ein militärifches Talent, daß hier ein Feldherrngenie erften 
Ranges vorhanden, daß feine bisherigen Thaten nur ein Heiner Anfang zu 
einer glänzenden Reihe von Siegen waren. Ebenſo bewunderte man Die 
Gewandtheit und Umficht feiner Staatskunſt. Selbft daß er feine Bun- 
desgenofſen im Stiche gelafien, erhöhte ihn eher in dem Augen der da= 
maligen Diplomatie und Fürftenfchaft, die (mit feltenen Ausnahmen) den 
Grundſatz befolgte, Verträge gerade fo lange zu beobachten, als fie dem 
eigenen Staat zum Vorteil gereichten. Worin aber die feltenfte Eigen- 
ſchaft, das größte Verbienft des Königs beruhte, daS deutete er felbft 
an, indem er mit Bezug auf den Friedensihluß fagte: „man müffe 
wifjen, zu rechter Zeit inne zu halten.“ Die Selbftbeherrichung, 
bie er in der Schule der Leiden, unter ber Zucht Friedrich Wilhelms 
und im Gefängnis zu Küftrin gelernt, hier brachte fie dem Stante ihren 
erften reichen Segen: die weife Mäßigung drückte dem kühnen und glüd- 
lichen Krieger, dem Mugen Staatsmann ben Stempel der wahren Größe 
auf. So war es feine Prophezeiung mehr, fondern bereit3 das Urteil 
aller Scharfblidenden, jene Transparent-Injchrift, die bei des Königs 
feftlihem Empfange zuerft in Zauer am 15. Juni 1742 aufleuchtete: 

„Friderico Magno!“ 


317 


Oftfriesiand. 


Bald nad) ber Eroberung Schlefiens vergrößerte Friedrid) feinen 
Staat noch nad; einer andern Seite, doch auf ruhigem Wege ohne allen 
Aufwand von Geld oder Blut, bloß durch rafches Zugreifen. Im Yrühs 
ling 1744 nahm er Oftfriesland in Befig. 

Der germanifche Volksſtamm der Triefen war einft über die ganze 
Nordſeeküfte von der Wefer bis zur Schelde verbreitet; von dieſen Ur- 
figen aus befiedelte er auch die Inſeln und Küften des weftlichen Schless 
wig. Im fteten Kampfe mit den Fluten, deren er ſich durch Deiche 
und Dämme zu erwehren fuchte, verlor er viel Boden; im Süden gegen 
die Stämme des Hinterlandes ſchützten die weiten Moore. Nachdem 
Karl der Große Friesland mit dem fränkiſchen Reiche vereinigt, folgte 
der größere Teil ber Friefen den Geſchicken der Niederlande und ift 
jegt holländiſch; das an der Ems belegene Oſtfries land dagegen be— 
wahrte bis tief in das Mittelalter ſeine Selbſtändigkeit und kam dann 
zum deutſchen Reiche. Noch im vierzehnten Jahrhundert lebten dieſe 
Frieſen, ein Volk von Bauern und Fiſchern, nach eigenen Geſetzen, ohne 
Fürſten und Adel und berieten ihre gemeinſamen Angelegenheiten in 
Vollsverſammlungen beim Upſtalsboom in ber Nähe von Aurich. Innerer 
Hader und die Unruhen der feeraubtreibenden Vitalienbrüder begünftigten 
um 1400 bie Erhebung von Häuptlingen, welche die Gerichtsbarkeit in 
ihrem Bezirk erblich an ſich brachten, fonft aber die Freiheit des Volles 
nicht beichränfen Tonnten. Solche Häuptlinge waren die Eirffena zu 
GSreetfiel, die 1454 vom beutfchen Kaifer zu Reichsgrafen, 1654 zu 
Fürften von Oftfriesland erhoben wurben. Ste erweiterten ihr Laͤndchen, 
das zuerft nur ein geringes Gebiet am Ausfluß der Ems umfaßte, durch 
die Erwerbung des Harlinger Landes öftlich von dieſem Fluſſe (1604). 
Aber fie flürzten fi dadurch in Schulden und in Folge deffen in Streit 
mit den Ständen. Oſtfriesland war jeitbem voll Zwift, in den auch 
auswärtige Mächte gezogen wurben, wie denn namentlid der große 
Kurfürft ſich einmiſchte und 1682 im Taiferlichen Auftrag Emden bejegte. 
Diefer Umftand war dann bie Veranlaffung, daß fein Sohn Friedrid) III. 
nochmals (1695) die Anwartichaft auf das Fürftentum erhielt. Als nun 
am 25. Mai 1744 das Haus Cirfena mit Karl Edzard ausftarb, 
ließ Friedrich der Große Traft jenes Rechtstitels auf der Stelle durch 
500 Mann Preußen, die zu dieſem Zwede fchon jeit 1740 in Emden 
lagen, überall im Lande die preuftfchen Adler und die Beſitzergreifungs⸗ 
patente anſchlagen. Es waren im Namen ber weiblichen Verwandten Karl 
Edzards däntfche Truppen eingetroffen, aber fie machten ſich mm eiligft 
davon. Der alte Parteihaber im Lande verftummte jet, die Stände 


318 Der zweite ſchlefiſche Krieg. 


traten in Aurich zufammen und Huldigten dem Könige von Preußen, ber 
dagegen die oftfriefiiche Verfaffung beftätigte. 

Friedrid) brachte die Verwaltung, die Rechtspflege bald in Die 
befte Ordnung; das Land blühte unter feinem Zepter herrlich auf; es 
empfing nur Wohlthaten von feiner Verbindung mit Preußen; eine Menge 
vortrefflicher Anftalten und Einrichtungen wurden aus den alten Provinzen 
bieher übertragen, und die Gegenleiftung dafür war nicht beträchtlich, 
denn die ganze Steuer, die Oftfriesland jährlich dem Könige gab, bes 
trug nur 24000 Thaler, und die Refrutenftellung Taufte es wmit 
16000 Thalern jährlicd) ab. Doch war diefer Befig (54 Duadratmeiler 
mit 97000 Einwohnern) für den preußifchen Staat infofern von Wert, 
weil er in Emden nun einen vortrefflihen Nordfeehafen Hatte Die 
Dftfriefen wurden bald gute Preußen, fie liebten. und verehrten ihren 
großen König aufs höchſte. Als er im Jahre 1751 feinen erften Beſuch 
bei ihnen machte, warb er mit einem Jubel empfangen, wie er feinem 
der alteinheimifchen Fürſten jemals zu teil geworden. 


Der zweite flehfihe Krieg. 


Die Nachricht vom breslauer Frieden traf Frankreich und die ans. 
dern Feinde Öfterreich8 wie ein Donnerſchlag; man erzählt, der Mar- 
ſchall Belleisle, damals die Seele der franzöſiſchen Politik, ſei über die 
unerwartete Neuigfeit in Ohnmacht gefallen, der franzöfiiche Premier, 
Kardinal Fleury, in Thränen ausgebrochen bei dem Gedanken, daß Frank- 
reichs hochfliegende Pläne nun feheitern müßten, und daß fie ſelbſt, die 
alten geriebenen Politiker, von einem Neuling fi) hatten Hinter das Licht 
führen lafſen. Aber fie mußten ihre Erbitterung nieberlämpfen, mußten 
an fi) halten, um nicht Friedrich ganz auf Öfterreich® Geite zu treiben 
und jo ihre Niederlage zu befiegeln. Schon jet nannte Fleury den 
jungen Preußenkönig l’arbitre de l’Europe, den Schiedsrichter Europas. 
Er war es. Von beiden Parteien umworben, entſchied er fi) vor der 
Hand für feine, fondern wartete ab, wie ſich die Dinge nunmehr ent- 
wideln würben. 

Sie nahmen bald eine Wendung, die fein Einjchreiten wieder nötig 
machte. Denn die Franzofen führten den Krieg ohne Glüd und Geſchick, 
Belleisle wurde nad) tapferm Widerftande aus Böhmen gedrängt; im 
nãchſten Frühjahr (1743) verlor Karl VII. fogar fein eigenes Erbland 
‚Baiern, von welchem Maria Therefia förmlich Befig ergriff. Auch die 
jogenannte pragmatiſche Armee — ein Heer, welches Georg II. im Bunde 
mit den Holländern zufammengebracht hatte und nun an den Main 
führte — erfocht bei Dettingen unweit Aſchaffenburgs (im Juni 1743) 


Vorbereitungen. 319 


über die Franzoſen einen Sieg, während das Heer des Prinzen Karl 
gegen den Oberrhein heranzog. Noch vor Ende des Sommers war 
Deutſchland von den Franzofen gejäubert, und die Öfterreicher griffen 
ihrerfeits den Feind in feinem eigenen Lande an; fie drangen ins Elſaß 
ein. Auch in Stalten ſchlugen fie ihre Gegner aus dem Felde. Welch 
ein Triumph für Maria Therefia! Bon Schlefien abgejehen, war ihr 
nun alles wiebergewonnen und Baiern dazu erobert. Vergebens bat 
Karl VII. um Frieden; fie gedachte, ihm auch noch dem Bierat der 
Katferkrone zu nehmen. Aber mit ihrem Glücke erneuerte fi) der herbe 
Schmerz um ben Verluſt Schleſiens und der Rachedurſt für den Schimpf, 
den Ofierreich durch einen im Verhältnis fo Meinen Staat wie Preußen 
erlitten hatte. „Ihr Schmerz”, jchrieb der englifche Geſandte feinem 
Hofe, „tft fehr groß. Alle Übel ſcheinen ihr gering gegen die Abtretung 
Schleftens. Ste vergißt die Königin und bricht wie ein Weib in Thränen 
aus, wenn fie einen Schlefier fieht”. Diefe Thränen, die fie beim Ab» 
ſchluß des breglauer Friedens geweint, brannten auf ihrem ftolzen 
Herzen; fie wünfchte nichts fehnlicher, als num auch Friedrich IL, dieſen 
Atheiften, dem man alles zutrauen Tönne, zu demütigen und ihm 
Schlefien wieder zu entreißen. 

In diefer Abficht wurde fie auch von dem Könige von England 
beftärkt, dem das Entftehen einer neuen Großmacht feineswegs angenehm, 
dem als Welfen und als Kurfürften von Hannover der Aufſchwung 
Preußens fogar höchft widerwärtig war. Er hatte den breslauer Trieben 
nur darum angeraten und (durch Vertrag von Weftminfter am 29. No— 
vember 1742) gewährleiftet, damit Ofterreich erft wieder auffommen könne, 
Eiferfüchtig wünfchten die hannöverſchen und Ihrem Könige zu Gefallen 
and) die engliſchen Staatsmänner vielmehr, daß das Haus Branden- 
burg, wie früher immer, eine untergeordnete Stellung in Europa fpiele; 
fie meinten, „wenn Öfterreich jept Frieden mit Batern fchließe, jo werde 
der größte Vorteil darin beftehen, daß es Preußen erbrüden könne“, und 
Georg II. fchrieb an Maria Therefia die bedeutfamen Worte: „Was 
leicht genommen ift, kann auch leicht wieber herausgegeben werben.” 
In diefem Sinne war e8, daß Öfterreihh, England und Sardinien am 
13. September 1743 zu Worms einen Vertrag mit einander fchlofien, 
in welchem fie fid) mit Bezugnahme auf eine Unzahl von Verträgen alle 
ihre Befigungen gewährleifteten, Schlefien aber und die Verträge von 
Breslau und Veftminfter mit vielfagendem Stillihweigen unerwähnt, 
aljo zweifelhaft ließen. Auch die holländifchen Staatsmänner waren der 
Anfiht, Maria Iherefia habe das Recht, Schlefien zurüczuforbern, und 
Sachſen gewährleiftete dem wiener Hofe durch Bundesvertrag vom 
20. Dezember 1742 die pragmatifhe Santtion, ebenfalls ohne Schlefien 
auszunehmen. Dabei rüftete Maria Thereſia immer ftärker, und Kure 


320 Zweiter fchlefifcier Krieg. 


mainz und Kurföln gaben für Gelb Truppen an England und Öfter- 
reich, während Sachſen und Rußland ganze Heere verſprachen. 

Alles dies beobachtete Friedrich mit fteigender Beforgnis; immer 
beftimmter drängte ſich ihm Die Überzeugung auf, er werde zur Behaup- 
tung Schlefiens nod) einen Krieg zu beftehen haben. Er war entfchlofien, 
eher die andern zu überrafchen, als fid) überraſchen zu laſſen. Auch 
hatte er die Zwiſchenzeit vortrefflich benußt. 

Schlefien war nun im weſentlichen ganz nad) dem Mufter ber 
übrigen preußifchen Provinzen eingerichtet. Auch bier zentralifirten 
Kriegs: und Domänenfammern bie Verwaltung der Landesträfte, wäh- 
rend die kirchlichen Angelegenheiten von Oberkonfiftorien, die Rechtspflege 
von Oberämtern in den Haupfftädten Glogau, Breslau, Oppeln beaufs 
fichtigt wurden. Der Abel verlor den größten Teil feiner Macht, und 
den Reft derfelben, den natürlichen Einfluß, den er auf dem platten 
Lande behielt, zog der Staat dadurch, in feinen Dienft, daß er aus den 
adligen Gutsbefigern die Landräte nahm, die mın als fönigliche Beamte 
die Polizei in den 48 Landkreiſen handhabten. Die Geiftlichfeit mußte 
fid) ebenfalls ganz dem Staate unterordnen; die evangelijche that es 
gern, die tatholifche, geleitet von dem milden und verftändigen Kardinal 
vd. Sinzendorf, Fürftbifchof von Breslau, fügte fi wenigftens ohne 
Biberftreben, weil der König zwar den proteftantiichen Glauben in alle 
feine Rechte einfeßte, aber den katholiſchen unangetaftet ließ. Ebenſo ge 
noffen alle andern Sekten Duldung, wie denn bie Schwenkfeldianer, 
weldye Kaifer Karl VI. im Jahre 1720 durch die Zefuiten hatte vers 
treiben Taffen, fon im März 1742 von Friedrich waren zurüdgerufen 
worden. Überhaupt erhielt das ſchleſiſche Volt nun nach Menfchenaltern 
zum erften Male wieder einen wirklichen Landesvater; der König reifte 
felber häufig im Lande umher, unterſuchte den Zuftand aller Nahrungs- 
zweige und befierte an jedem. Dabei zeigte er fo viel freundliche Herab- 
faflung, erteilte aud) dem Geringften fo bereitwillig Gehör, ſchrieb feine 
Verfügungen in fo humanem Tone und Geifte, daß er allgemeine Bu- 
neigung gewann. Höchſt wohlthätig wirkte feine Reform des Steuer- 
weſens. Die Grundftener war hier bisher fehr ungleich verteilt, daher 
drüdend und ungerecht gewefen; ber König erleichterte die Laft, indem 
er fie gleichmaͤßig machte. Alle Grundſtücke ohne Ausnahme, fie mochten 
der Geiftlichfeit, dem Abel, dem Bauernftande oder als Domänen bem 
Landesherrn gehören, wurden befteuert; die Vorftellungen bes Adels und 
der Geiftlichkeit, Die fteuerfrei fein wollten, wurden zurückgewieſen. Diefe 
neue Ordnung brachte zunächft dem Könige, brachte aber aud) ben 
Schlefiern ſelbſt die größten Vorteile, das empfanden fie ſchon damals; 
und dieſe Provinz ift dafür den Hohenzollern immerdar fo treu und 
ergeben gewefen, wie nur irgend ein altes Stammlanb. 


Eroberung Prags. 321 


Die Einkünfte der Provinz beliefen fi) im Jahre 1744 auf 
3265 000 Thaler, faft ein Drittel der gefamten Staatseinnahme; der 
Refruten, die der König — jedoch ohne jede gewaltfame Werbung — 
aus Schlefien zog, waren 18000. So lieferte das Land felbft einen 
großen Zeil der Mittel zu feiner Verteidigung. Durch Ordnung und 
Sparfamteit war aud) der Staatsſchatz, den der erfte Krieg faft geleert 
hatte, nun wieder auf 5840000 Thaler") angewachſen, enthielt alſo Geld zu 
zwei Feldzügen, An der Vermehrung und Vervolllommmung bes Heeres, 
namentlich der Reiterei, arbeitete der König unabläffig; er verbot den 
Kavallerie-Offizieren bei Strafe infamer Kaffation, fi je und irgendwo 
vom Feinde angreifen zu laffen, vielmehr immer den Feind zuerft anzu= 
greifen. Die fchlefifchen Feſtungen wurden verftärtt, zum Zeil nen an- 
gelegt. Im Frühling des Jahres 1744 hatte ber König 120000 Mann 
ſchlagfertiger Truppen und war in der Verfafjung, das Seinige gegen 
das wieder erftarfte Öfterreich verteidigen zu können. Als daher um 
diefe Zeit die Überzeugung, Ofterreich werde nad) volfftändiger Befiegung 
der Franzoſen über ihn herfallen, bei ihm zur Gewißheit wurde, beſchloß 
er, dem Feinde zuvorzulommen, verbündete fi) insgeheim (15. April 
1744) zu Schuß und Trutz mit Frankreich und ſchloß dann öffentlich 
am 22. Mai 1744 mit dem Kaifer, mit Kurpfalz und Heflen-Kaffel einen 
Vertrag (die fogenannte frankfurter Union), des Zwecks, Karl VII. gegen 
den wiener Hof zu unterftüßen. Die Franzoſen, fo ermutigt, führten den 
Krieg in den Niederlanden und am Rhein nun mit größerem Nachdrud, 
während Friedrich, als „Beſchützer des deutfchen Kaiſers und der deut 
ſchen Freiheit", Ende Auguft mit 80000 Mann in Böhmen einfiel und 
Prag einſchloß. Am 17. September ergab es ſich nad) heftiger Be— 
ſchiehung 

Dieſe Waffenthat, glänzend an ſich, war noch durch mancherlei 
Umſtände für den kriegeriſchen Schwung des Heeres nicht wenig erhebend. 
Die Offiziere hatten von neuem einen Prinzen ihres Königshauſes auf 
dem Felde der Ehre fallen ſehen: Markgraf Wilhelm von Schwedt war 
in den Laufgräben vor Prag geblieben, wie fein älterer Bruder Friedrich 
auf dem Blachfeld von Mollwitz. Die Gemeinen befeuerte ein anderes 
Beifpiel: beim Sturm auf Prag hatte der Grenadier Krauel zuerft 
den Wall erftiegen und nachdem er fich verſchoffen, mit dem Degen 
fo lange gefodhten, bis die andern folgten und bas Werk erobert war. 
Dofür z0g ihn ber König in feiner gemeinen Montur zur Marſchalls- 
tafel, machte ihm zum Leutnant und gab ihm eine fette Pfründe in 
Magdeburg. \ 

Nach der Eroberung Prags fiel ohne Wiberftand ganz Böhmen in 


*) Droyſen, Preuß. Politit V. 2, 119. 
Fierfon, preuß. Belhichte. L a 


322 Breiter fleftider Krieg. 


Die Gewalt des Siegers. Aber die Franzoſen unterftüßten Friedrichs 
Bewegungen nicht, wie er es doch mit ihnen abgemacht. Anftatt Han- 
mover. anzugreifen und dadurch ben golden Strom, ber aus dem eng- 
liſchen Schahz / in Öfterreich8 Tafchen floß, zu unterbrechen, ober wenigftens 
in Süddeinſchland vorzugehen, ließen fie das Hauptheer der Öfterreicher 
ungeftört vom Rhein nad) Böhmen abziehen. Inzwiſchen hatte fich 
auch der Dresdner Hof mit dem wiener verbünbet, und fo rückten im 
Dftober von Norden her 20.000 Sachſen, von Süden 60000 Öfterreicher 
in Böhmen ein. Die Bewegungen der lehteren leitete ein alterfahrener 
Strateg, der Feldmarſchall Traun, fo geſchickt, daß er durch feine 
Manöver dem Könige raſch Terrain abgewann, und dieſer ſich zuletzt 
genötigt ſah, fein durch fehlechtes Herbftwetter, Mangel an Lebensmitteln 
und den feinen Krieg mit den Bauern und den leichten ungarischen 
Reiten erichäpftes Heer im Dezember aus Böhmen wieber zurüd- 
zuführen. Run ging auch Mähren, defien fich ber preußiſche General 
von der Marıwig bemächtigt hatte, wieder verloren, und die Ofterreicher 
tonnten don dort ans in Oberfchlefien eindringen; bereits forderte Maria 
Thereſia fleghoffend alle Schlefer zum Abfall auf. Auf Friedrichs 
Befehl jagte indes der alte Deffauer im Januar 1745 den Feind 
bier wieber heraus und beſetzte auch ben öfterreichiſchen Anteil diefer 
“ Probinz. 

Die Heere bezogen nun endlich die Winterquartiere; deſto emfiger 
arbeiteten die Federn der Diplomaten. Am 8. Jannar 1745 fchlofien 
Ofterreich, Sachſen und die Seemächte im Vertrage zu Warſchau fich 
enger gegen Frankreich und Preußen aneinander; am 20. Januar ftarb 
Kaiſer Karl VII, und im April vertrug fich defien Sohn Mar Zofef zu 
Füflen mit Maria Therefia dahin, daß dieſe ihm Batern zurüdgab, er 
aber feinen Anfprüchen an das habsburgſche Erbe entfagte; damit zerfiel 
die frankfurter Union. So wurde Friedrich! Lage immer ungünftiger. 
Schon waren alle andern beutjchen Yürften für Maria Therefia ge 
mwonnen, und mit Englands Hilfe hatte fie auch die ruffiiche Kaiferin 
Elifabeth ganz auf ihre Seite gebracht. Bereit dachte fie daran, nicht 
nur Schlefien wieder zu erobern, fonbern gar Preußen zu teilen, und 
am 18. Mai 1745 in einem Vertrage mit Auguft II. von Sachſen und 
Polen, der, angeftachelt von feinem Minifter Brühl, den „böfen Nachbar" 
aufs Außerfte haßte, wurde ihr Gedanke zur diplomatiſchen That; die 
beiden fegten feft, Sachſen folle Magdeburg, Krofien, Züllichau, Schwie⸗ 
bus, das Haus Habsburg aber Schlefien und Glatz erhalten. 

Die Gefahr für Friedrich, für Preußen war furchtbar; 

König fah ihr mit feftem Blick ins Auge; der Übermacht —* 
nur auf die eigene Kraft angewieſen — denn Frankreich hatte genug zu 
thun, um nur ſich ſelbſt zu verteidigen — blieb ihm ein unerſchuͤtterlicher 


Schlacht dei Hohenfriebberg. 323 


Halt in feinem Willen. Seine Minifter, fein Hof zagten; er beſchämte 
fie mit feiner Seelengröße, indem er ihnen eine fremde vorhielt: „Eine 
Frau, die Königin von Ungarn, ift nicht verzweifelt, als die Feinde vor 
Wien, ihre Provinzen befegt waren!- Sollten wir nicht den Mut dieſer 
Frau haben?" Er war entſchlofſen, alles zu behaupten oder alles zu 
verlieren, lieber mit Ehren umterzugehen als ein ruhmloſes, ohnmächtiges 
Xeben zu führen. „Es ift feiner unter uns“, fdhrieb er aus feinem 
Kriegslager in Schlefien nach Berlin, „der ſich nicht lieber das Rückgrat 
brechen ließe, als einen Fuß breit Erbe aufzugeben.” Diefe feine mann- 
hafte Gefinnung hatte er im der That feinem ganzen Heere eingeflößt; 
jeder Soldat war wie ber König bereit, feine Pflicht zu thun; in 
Friedrichs, in Preußens Ehre ſah jeder bie feintge. So ermarteten fie 
mit faltem Blut den Feind. 

Diefer zog Ende Mai mit feiner Hauptmacht, 75000 Hſterreicher 
und Sadjfen unter dem Oberbefehl des Prinzen Karl von Lothringen, 
über das Riejengebirge gegen Schweidnitz hin, um Niederfchlefien zu er- 
obern, während ungarifche Reiterei in Oberſchleſien längs der Oder 
Hinab ftreifte. Die leptere ließ der König durch den Markgrafen Karl 
von Schwebt und den Hufarengeneral Bieten zurüdtreiben; er felbft ging 
mit 60000 Mann dem Prinzen Karl entgegen und bezog zwiſchen 
Jauernik und Striegau ein durch Anhöhen gebectes Lager. Bon hier 
aus fah er am 3. Jumi, wie bie Yeinde ımvorfichtig aus den Gebirgs- 
päflen und die Höhen bei Hohenfriebberg herab kamen, in der Richtung 
auf Striegau marſchirten und dann forglos zwiſchen Hohenfriebberg 
und Striegau fid) zur Raſt legten, ihr linker Flügel, die Sachſen, 
voran. Hier in ihrem Feldlager gedachte fie der König zu überraichen 
und zog hurtig fein Heer näher an Striegau. Als ber Morgen graute, 
Freitags dor Pfingften am 4. Juni 1745, gab er den Generalen feine 
Befehle zur Schlacht. Der preußiſche Vortrab vertrieb die Sachſen von 
den Höhen; fie feßten fid) dann in der Ebene Hinter Gräben, Moräften, 
Heden, aber vom preußtfchen rechten Flügel unter dem Prinzen Dietrich 
von Deflau und den Generalen Rothenburg, Stille und Winterfelb, die 
raſch über das ftriegauer Waſſer famen, heftig angegriffen, mußten fie 
nad) tapferem Widerſtande weichen; um 7 Uhr waren fie in voller Flucht. 
Nun ftürzte Friedrich auf die Ofterreicher, die fi) unterdeſſen langſam 
in Schlachtordnung geftellt hatten. Ein wütender Kanıpf entbrannte. 
Bon einem Hagel von Kartätj—hen empfangen, erlitten die Angreifenden 
große Verlufte; eins der Regimenter (Bevern) hatte 500 Verwundete, 
200 Tote. Dennoch wichen fie nicht. Da entſchied die preußiſche Ka— 
vallerie den Tag. Der verwegene General v. Geßler ftellte fi mit dem 
pommerſchen Dragoner-Regiment „Batreuth" an ihre Spitze, jagte mit 
ihr zwiſchen dem preußtichen-Fußvolf hindurch auf das öſterreichiſche 


21% 


324 Breiter ſchleftſcher Krieg. 


und hieb es nieder. Binnen einer Stunde fprengte er zwanzig Bataillone, 


eroberte 66 Fahnen. Um 8 Uhr Morgens war ber Feind überall ge— 
fchlagen, feine Trümmer ins Gebirge geworfen. 4200 tote ober ver- 
wundete Breußen, 9500 Öfterreicher und Sachſen lagen auf dem Schlacht 
felbe. Außerdem verloren die Verbündeten über 7000 Mann an Gefan- 
genen, 66 Kanonen, 76 Fahnen. 

Furchtbar hatte der Donner der Schlacht an das Riefengebirge ge- 
fchlagen; jo weit man ihn hörte im ſchleſiſchen Lande, fielen die Pro— 
teftanten ſcharenweiſe auf die Kniee und beteten zu Gott um den Gieg 
für die evangeliſche Sache. Welch ein Jubel in Breslau, als jpät Abends 
blafende Poſtillone den Sieg verfündeten! Friedrich ſelbſt empfand, daß 
bier noch etwas Höheres gemwaltet als tapferer Mut und üiberlegene 
Kriegstunft: „Gott hat meine Feinde verblendet und mid, wunderbar 
geſchützt“, fagte er zu dem franzöfifchen Gefandten. Nach Berlin meldete 
er freudenvoll: „Unfere Kavallerie hat Wunder gethan; alle Corps haben 
geſchlagen, alle vortrefflich; auch meine Brüder (die Prinzen) haben wie 
Zöwen für das Vaterland gefochten; wir haben Wort gehalten. Die 
Welt ruht nicht fiherer auf den Schultern des Atlas, als Preußen auf 
einer ſolchen Armee." 

Die Engländer ſetzten nun die Diplomatie wieder in Bewegung, 
um einen billigen Frieden herzuftellen, Maria Therefia wollte indes noch 
einmal das Waffenglüc verfuchen. „Wenn ich morgen", fagte fie, „mit 
Friedrich abſchließen müßte, fo würde ic) ihm nod) Diefen Abend eine 
Schlacht liefern." Eben errang fie ja auf einer andern Seite einen 
Erfolg, der ihrem Stolze fehr fhmeichelte: ihr Gemahl, Franz von 
Kothringen, Großherzog von Toskana, wurde (am 13. September 1745) 
don ber Mehrzahl der Kurfürften zum Kaifer gewählt; freilich konnte 
diefe Würde ohne Macht den unbedeutenden Mann nicht größer machen, 
aber fie bot dem wiener Hofe eine Handhabe, um bei Gelegenheit, wie 
früher, aus dem Verfall des deutfchen Reichs in der einen oder andern 
Weiſe Nutzen zu ziehen. Die „Kaiferin-Königin" forderte alfo eine neue 
Schlacht; Friedrich gewährte fie ihr. Zwar feine Lage an der oberen 
Elbe in Böhmen, wohin er dem geichlagenen Feinde gefolgt, war ber 
dentlich genug; denn im der Hoffnung auf nahen Frieden hatte er fi 
darauf beſchraͤnkt, durch den General v. Naſſau Oberfchlefien von dem 
ungariſchen Aufgebot (dem fogenannten Infurgenten) und den aufftändi- 
ſchen polnifhen Bauern des Gebirgs, den Gorallen, fäubern, Kofel wieder 
erobern und den öfterreichiichen Anteil befeen, durch den alten Deffauer 
aber bei Halle ein Heer gegen Sachfen aufftelen zu laffen. Er jelbft 
wer withätig geblieben, fein eigener Gegner, Prinz Karl, daher im Stande 
geweſen, fein Heer wieder bis zur Übermad)t gu verflärfen. Es fragte 
fi) num, ob ber öſterreichiſche Feldherr daraus werde Nupen ziehen können. 


Schlacht bei Soor. 325 


Das preußifche Heer Iagerte, 22000 Mann ftarf;-bei Soor, einem 
Dorfe unfern Trautenau, in einer ungünftigen Stellung, bereit nach 
Schlefien abzumarfdiren, wenn Prinz Karl mit feinen 33000 Mann es 
nicht verhinderte. Dieſer machte den Verſuch; er wollte den König un- 
vermutet überfallen, zog fid) in der Nacht zum 30. Septeniber, einem 
Donnerftag, nahe an Trautenau heran und befeßte eine wichtige Höhe 
Getzt Batailleberg genannt) bei Neu-Rognitz mit einer ftarfen Batterie, 
28 Kanonen; von hier überragte fein linker Flügel weit den preußifchen 
rechten. So brad) der Morgen an und zeigte dem Könige die ganze, 
große Gefahr. Aber fchnell gefaßt erkannte er auch fofort den Punkt 
und die Mittel, auf die es num ankam. Sofort mußten fid) die Seinigen 
zum Angriff formiren und rechtshin gegen den linken öſterreichiſchen 
Flügel abſchwenken; von einem Nebel begünftigt, den die aufgehende 
Sonne noch nicht durchbrach, wurde Diefe Bewegung raſch und glücklich 
ausgeführt. Dann, ohne Zaubern, ging es die fteilem Höhen hinan, wo 
der Feind ftand. Unter einem Kanonen- und Bombenfener, deſſen gleichen 
fie noch nie ausgeftanden, ftürzte ſich Die preußifche Reiterei, 20 Schwa- 
dronen Buddenbrod’s, General v. Golf voran, in den Grund vor dem 
Batailleberg, dann diefen hinauf, den der Feind für unangreifbar hielt, 
und auf die 44 Schwadronen des linken feindlichen Flügels, der hier in 
drei Treffen hintereinander und neben der großen Batterie fand. Die 
heldenmütige That gelang, die öfterreichiiche Kavallerie wurde geworfen 
und floh. Nun rücte preußifche Infanterie, ſechs Bataillone, unter dem 
verheerenden Teuer der Batterie hinan, gegen die ftarfe feindliche In⸗ 
fanterie auf der Mitte des Batailleberges; aber von dem entſeßlichen 
Teuer gelichtet, wankten ihre Reihen, und die Ofterreicher unter dem Ruf 
„Maria Therefia" ftiegen zur Verfolgung hinab. In diefem Augenblid 
erichienen dur die Zwiſchenräume der erften preußifchen Linie fünf 
friſche Bataillone Preußen unter La Mothe und Bonin mit Hingendem 
Spiel, zum Tode bereit, warfen den Feind, erftürmten Berg und Batterie. 
Der linke öfterreichifche Flügel war geſchlagen. Mit gleicher unwider- 
ftehlicher Tapferkeit eroberten die Preußen num unter den Augen ihres 
Königs auch bie anderen Höhen und Gehölze im Bentrum und auf 
der rechten Seite. Um 11 Uhr Vormittags war der Sieg erfochten, 
Prinz Karl mit Verluſt von 7000 Mann ımd 22 Kanonen auf 
dem Rückzuge über die Elbe. Das preußifche Heer zählte 4000 Tote 
und Verwundete; unter ben erfteren befand ſich auch ein Schwager 
des Königs, der Prinz Albert von Braunſchweig, der an der Spipe 
feines Regimentes fiel. „Ich bin nahe daran gemeien -überrafcht zu 
werben“, ſchrieb Friedrich noch an demſelben Abende nad) Berlin, 
„aber Gott ſei gelobt, alles iſt gut. Die Schlacht war furchtbar, aber 
glorreich. 


326 Bweiter ſchlefiſcher Krieg. 


Vorerſt war der Ruhm der Unüberwindlichkeit der Truppen und 
des Feldherrngenies ihres Königs das einzige, was die preußiſche Taktik 
und Mannszucht bei Soor errungen hatten. Denn Maria Thereſias 
Stimmung blieb kriegeriſch. Die Öfterreicher und Sachfen, durch ruffifche 
Verheißungen kuhn gemacht, entwarfen fogar den Plan, gerade jetzt mit 
verboppelter Kraft den Krieg zu führen, ihn ins Herz von Preußen zır 
ſpielen; während des Königs Heer fid) in Schlefien in die Winterquar- 
tiere Iegte, rüfteten fie, um nicht bloß dieſe Provinz, ſondern felbft die 
Markt zu ü n. "Die Abfiht war, das ſächſiſche Hauptheer follte 
fi) in ‚ber 3 mit Dem Heere des Prinzen Karl vereinigen und 
Schlefien dı Mark abfchneiden, ein anderer öſterreichiſcher Heer 
haufen, be unter dem General Grünne vom Rhein heimkehrte, 
follte dann der Laufib ins Brandenburgifche einfallen und auf 

e aber raſch entichlofien dieſen Plan, 
er ging er aus Berlin zum Heere 
Löwenberg und Bunzlau zufammen, 
Vorhut des fächfiih-öfterreichiichen - 
dorf (in der Nähe von Görlik), 
hren Bunbesgenoffen nicht unterftügt 
oifchen Die Heere bes Prinzen Karl 
igte jenen, nad) Böhmen zurückzu— 
brandenburgifchen Grenze auf das 
ückzuziehen. So war Friedrich „uns 
inter feine Feinde gefallen und hatte 
fprengt. Et bejeßte nun die ſächſiſche 
er mit Verwüſtung und Plünderung 
ichfifche Landvolk wie einen Befreier 
ontributionen ausſchrieb, fo hielt er 


ücte unterdes der alte Fürſt von 

er Langſamkeit, bis der König, aufs 

jemand zu ſchonen, durch beit bie 

1, ihm aufs gemefjenfte befahl, ben 

ehen. Es geſchah; der alte Defjauer, 

durch eine große That feinen Ruhm 

zzuſtellen. Mit 33.000 Manrı zog er 

der Nähe diefer Stadt, am linken 

0 Mann Hinter Moräften, bie ihn 

ch weiter weſtlich hatte das ſächſiſche 

00 Mann unter dem General v. Ru⸗ 

. ng hinter Felsſchluchten und Bächen 
auf ben fteilen und von Ei8 und Schnee bebeikten Höhen bei Keſſels— 


Sqhlacht bei Keflelsborf. 327 


dorf inne; es ſchien unmöglich, Diefe Berge, die mit Kanonen geſpickt 
waren, zu erftürmen. Dennod) griff Leopold von Deffau ohne ‚Zaubern 
on. Um 2 Uhr Nachmittags, Mittwoch den 15. Dezember, rief er fein 
altgewohntes „Nun in Gottes Namen!“, ftellte fid) mit .gezogenem Degen 
an die Spitze feines Fußvolls und begann den Sturm. Mit gefchultertem 
Gewehr, unter den Klängen des Defiauer Marjches Hetterten die erften 
ſechs Bataillone hinauf über Eis und Schnee in den mörderifchen Kugel- 
hagel, der ihre Reihen furchtbar lichtete. Andere drangen hinauf in das 
Dorf; doch jegt vor noch ftärferen Batterien wichen fie wieder. Schon 
glaubten die Sachſen und Öfterreiher den Sieg in Händen zu haben. 
Aber unerſchrocken führte der alte Fürft die übrige Infanterie feines 
rechten Flügels in das Feuer hinein, ließ aud) die Reiterei einhauen, 
eroberte Kefjelsdorf, den Schlüffel der feindlichen Stellung, noch einmal 
und zwang hier den Feind zur Frcht 

Unterdefjen griff auch der li 
moraftige Tzſchonengrund von de 
Prinz Morik von Deflau, ein g 
dem Vater. gleich an Heldenmut 
zuerſt in dag moraftige Gewäſſer, 
dann die Felſen hinan und wiebe 
mußten fie die von Eis und Sch 
um auf der. andern Seite, eine 
Mimmen; dies alles unter dem | 
‚wirt, drangen fie mit lautem € 
bald, Reiter und Fußvolk, fid) 
alles entjchieden, und. ber alte ! 
löcherten Mantel ritt vergnügt .c 
fongene und 48 Kanonen ber. © 
hatte ber Tag freilich den Sieger 
diefe in gedeckter Stellung gefod 
Mann tot ober verwundet, von 
auf Pirna zurüd. Es war bie | 
ftändig — al? Nation — fhlugı 
ihnen and) ‚hier feinen Beiltand 
doch ‚plünderte es auf dem Wege 
erbarmungslos ans. 

Friedrich. war auf. dem Morſche n 
weiten ber .Ranonendonner hörte. und 
brachten ihm ſächſiſche Flüchtlinge die 
Am 17ten befuchte er die Wahlftatt. 
ritt ex dem alten Fürſten entgegen, fti 
Hauptes,, fagte ihm viel Schmeichelhaftes 


323 Zweiter jäjlefiier Krieg. 


Schlachtfelde umherführen. Das war ein füßer Moment in bem Leben 
des greifen Helden*), dieſer wohlverdiente Triumph, mit dem er feine 
lange ehrenvolle Soldatenlaufbahn jo ruhmreich abſchloß. Fünfzig Jahre 
lang war er ber brandenburgiſchen, der preußiſchen Fahne gefolgt, und 
immer hatte er die Preußen zum Siege geführt, jeßt wie ehedem; glor- 
reich einft gegen Franzoſen, Baiern und Schweden, glorreidy nun wieber 
gegen Sachſen und Öfterreicher. Und hatte er nicht auch am den Siegen, 
die fein junger König felbft erfochten, einen Anteil? Gewiß, die ftraffe 
Zucht, die mechanische Fertigkeit, der harte Kriegerfinn, die zumal das 
preußiiche Fußvolk auszeichneten, waren größtenteils des alten Deſſauers 
Werk, der jo lange es gedrillt. Num hatte er bei Keffelsdorf aud) fein 
altes Zeldherrntalent neu und fchön bewährt. Auch die Truppen ernteten 
die verdienten Lobſprüche ihres Königs, namentlich das pommerjche In— 
fanterie-Regiment von Zee, das allein 24 Geſchütze erbeutet und fi) 
überhaupt höchſt tapfer geichlagen hatte. Alle Offiziere desſelben er- 
hielten den Orden pour le merite, den Friedrich im Jahre 1740 geftiftet 
und den er nur an wirklich hochverbiente Kriegsleute vergab. Das Re 
giment befam ein neues Siegel mit der Injchrift des Schladhttages, eine 
gleiche Auszeichnung, wie nad) der hohenfriedberger Schlacht das Regiz 
ment Baireuth, welches in fein Siegel die Zahl 66 (der erbeuteten 
Fahnen) aufnehmen durfte. 

Der Feldzug war nun entſchieden, ganz Sachſen in Friedrichs Ger 
walt, am 18ten z0g er in Dresben ein. Die Kriegsluft der Verbündeten 
war gebrochen. König Auguft II. von Polen bat um Frieden, England , 
erflärte, dem wiener Hofe feine Subfidien. mehr zahlen zu wollen, wenn 
derjelbe nicht nachgebe; fo ließ denn Maria Therefta ihre ftolzen Pläne 
fahren und bot wieder die Hand zum Frieden. Friedrich zeigte auch 
jetzt eine weife Mäßigung; er wollte nur das Seinige behalten, nicht das 
Glück unnütz herausfordern. Er Hatte in ungleichem Kampfe die Über: 
macht der Feinde mit eigener Kraft fiegreid) beftanden, und war es 
nicht Ruhm genug, daß er mit Auguft von Sachſen in defien eigener 
Hauptſtadt abſchloß, umd der öfterreichifche Bevollmächtigte dafelbft er» 
ſchien, um Frieden nachzuſuchen? Sein Kampf hatte einen ehrenvellen 
Trieben bezweckt, einen folhen nahm er num an. Derjelbe, am 25. Des 
aember 1745 zu Dresden zwiſchen Preußen einerjeits und Sachſen und 
Oſterreich andererſeits abgeichlofien, beftätigte in der Hauptſache einfach 
den breslauer Frieden; Maria Therefia verzichtete noch einmal feierlich 
auf Schleſien und Glag, Friedrich erfannte ihren Gemahl als Kaiſer 
an, und Auguft II. zahlte an Preußen eine Million Thaler Kriegskoſten. 
Die Preußen räumten nun Sachſen. Das Vaterland begrüßte freudig 


) Geboren am 3. Zuli a. Gt. 1676, geftorben am 9. April 1747 zu Deffau. 


Die Jahre des Friedens von 1745—1756. 329 


die Sieger, die mit den Lorbern auch die Friedenspalme brachten, und 
wohl hatte es Grund, feinem jungen Könige dankbar zu fein; fo viel 
Ruhm, fo viel Zuwachs an Macht, wie ihm durd) die beiden ſchleſiſchen 
Kriege zu teil ward, foftete dem Lande felbft fait nichts. Der Krieg, 
nur in Feindesland und in dem füdlichen Schlefien geführt, hatte die 
alten Provinzen nicht beſchädigt, hatte ihnen nicht einmal neue Steuern 
pder dem Staate Schulden auferlegt, fondern nur den Staatsſchatz er- 
ſchöpft. Selbft der. Verluft an Blut war vergleichäweije gering, und die 
Anzahl des Heeres eher vergrößert gegen den vorjährigen Beftand; denn 
von ben 45000 Gefangenen, die Friedrich in diefem Kriege gemacht, 
nahmen fehr viele bei ihm Dienfte. Kurz, Schlefien, dieje große Erwer- 
bung, war mit wenig Koften gewonnen; freilid; war Preußen der Einfag 
und Friedrich der Spieler geweien. 

Am 29. Dezember kam der König in Berlin an, umjauchzt von 
unermeßlichem Jubel der Bevölferung, die ihn mit Pracht einholte und 
feierlich als den „Großen“ begrüßte. Dafür erkannte ihn nun aud) das 
Ausland an. Friedrich aber, von Waffenruhm gefättigt, gedachte fortan 
in Ruhe an dem Glücke feiner Unterthanen zu arbeiten; er wußte, größer 
als er war, konnte er nur nod) werden im Frieben. 


Die Jahre des Friedens von 1745—1756. 


Wenn Friedrich in der auswärtigen Politik für feinen erhabenen 
Zweck, Preußens Größe und Macht, aud) verwerflihe Mittel, nämlich 
Zweideutigkeit und Vertragsbruch, wicht fcheute, jo fonnte er fid) einiger- 
maßen damit entjchuldigen, daß in der Diplomatie feiner Zeit überhaupt 
& die Regel war, lieber andere zu bintergehen, als fi) täufchen zu 
laſſen. Wie oft ift fein ehrlicher Water von dem wiener Hofe über 
tölpelt worden! Friedrich meinte nun, ſich berjelben Waffe bedienen zu 
dürfen. 

In der inneren Politik wenigftens blieb er jenen Idealen getreu, 
die er als Kronprinz fic) gebildet und in feinen Schriften verfündigt 
hatte: Auftlärung und Duldung, Gerechtigkeit und Gleichheit vor dem 
Geſetz, Regſamkeit und Vernunft in allen Teilen des Staats; fein lebe» 
lang hielt er hier feſt an ben ebelften Grundfätzen ber Regentenkunſt. 
„Die Bürger“, fo fchrieb er noch als Siebzigjähriger, „haben einem 
ihresgleichen den Vorrang nur wegen der Dienfte eingeräumt, welche fie 
von ihm. erwarteten, nämlich, Aufrehthaltung der Geſetze, Handhabung 
der Geredjtigteit, Verteidigung des Staats gegen befien Feinde, Wiber- 
ftand gegen Sittenverberbnis und Hebung des Wohlftandes. . . . . Es 
giebt kein Wohl als das allgemeine des Staates, mit dem der Fürſt 


330 Die Jahre des Friedens von 17451766. 


unauflöslid) verbunden ift. Er muß ſich unaufhörlic, zurückrufen, daß er 
Menſch, wie der geringfte feiner Unterthanen, und daß er der erfte 
Diener des Staats ift.“ Diejen freifinnigen Geift atmen aud) die 
Xehren, welche er 1744 dem für volljährig erklärten Herzog Karl von: 
Würtemberg auf den Weg mitgab. „Glauben Sie nit“, fo ſchloß 
ex feine Grmahnung, „daß Das würtemberger Land Ihretwegen 
seihaffen ift, fondern daß die Vorfehung Sie hat geboren werben 
lofien, um das Volt glücklich zu machen.“ Seine Perlen der Weisheit 
unb des Ebelfinns waren freilich bei dem ſchlechten Herzen jenes Bringen 
fortgeworfen. Und doch waren Diefe Perlen echt. Friedrich ſprach ſchoͤn, 
aber er. handelte ebenfo. In jedem Augenblicke blieb er ſich feiner 
Pflichten gegen den Staat bewußt; er meinte, der Yürft werbe gut genug 
bezahlt für fein Amt, um orbentlic) zu arbeiten; darum geizte er mit 
der Zeit, und feine Erholungen, würdig an ſich, waren ihm mur Mittel, 
um feine Arbeitskraft zu ftärfen. 

Er gönme ſich kaum fünf bis ſechs Stunden Schlaf, obwohl ber 
Schlaf auch ihm ſüß war. Im Sommer. ftand er um’ drei, im Winter 
um vier Uhr auf, las dann im Schlafrock die wicjtigeren Schreiben ber 
Behörben und Privatleute, hörte den Armeebericht des Generaladjutanten 
und erteilte ihm die Befehle. Darauf folgte eine Baufe, in welcher er 
einige Gläſer Wafler und Taſſen Kaffee trank und, im Zimmer auf und 
abgehend, ‚auf -jeiner Flöte phantafite, während feine Kabinetsräte ben 
Reſt der eingegangenen Briefe in Auszüge brachten. Diefe las er dann 
und gab-mündlid oder ſchriftlich auf alle Veſcheid. Dazwiſchen aß er 
etwag Ohſt, das er ſehr liebte. und ſich zu allen Jahreszeiten von ſeinen 
Gartnern ſchaffen ließ, Dann zog er feine Uniform an, Die er nun bis 
zur Nacht nicht wieber ablegte. Darum hielt er.auf bequeme Kleidung, 
und ſchwerlich Hätte ein wohlhabender Privatınann fo abgetragene und 
geflidte Nöde, Beinlleider und Stiefel angezogen, wie der König ge- 
wöhnlig trug.- Zn wenigen. Minuten hatte er ſich gewaſchen, angelleidet 
und zart. Dann gab er ben Kommandanten bie Paxole, fchrieb Tas 
wilienbriefe, Inß,-erleilte Audienz, ritt. oder ging fpazieren und fpeifte um 
12: Upr.-@ Mittag, ſechs Schüſeln in zwei Gängen, gewöhnlich in: Ge 
felfiheft von Aeben-Iis zehn Perlonen. Er liebte flart. gemürte und 
ledere Epeiſen · der franzoſiſchen und itglienifchen Küche und trank dazu 
hm mit. Wafſer gemiſchten Wein. Die Unterhaltung mußte lebhaft 
and: geiftaoll. fein; :er ‚jelbft, wigig und kenntnisreich, beteiligte ſich Dabei 
durch manches fcharfe Wigwort und hatte es gern, wenn die anderen 
ebenin von Geiſt fprüheten; doch wahrte er feine Würde; am wenigften 
durfte man ihm mit plumper Schmeichelei kommen. Bon ihm jelbft 
börte man nie.etmas Blattes; worauf auch das Geſpräch fallen mochte, 
er wußte felbft das Gewöhnlichite ins Bedeutende zu erheben; er abelte 


Das Beamtentum. 331 


alles.”) Nach der Tafel blies er wieber Flöte, unterzeichnete bie Beſcheide 
und Verordnungen, die feine Kabinetsräte hatten ausarbeiten müffen, 
ſchrieb auch oft ſelbſt noch einige kurze treffende Worte Hinzu, trank 
Kaffee und hörte entweder ſeine ſogenannten Vorleſer, Franzoſen, welche 
ihm Nachricht von den neueſten Erſcheinungen der Literatur gaben, oder 
ſchrieb an feinen Werten, hiftoriſchen polltifdjen oder philofophifcen 
Auffäpen oder Gedichten. Dann folgte die muſikaliſche Unterhaltung. 
Bei ben Konzerten, bie er fid) halten ließ, blies er oft felbft die Flöte 
oder hörte berühmte Künftler, wie Quantz und Benba, oder Stüde von 
Johann Sebaftian Bad. In den erften Jahren beſuchte er gern die 
Oper und das Ballet, für welche er von Frankreich und Italien Künftler 
von Ruf bezog, 3. B. bie berühmte Tänzerin Barberini. Dann fpeifte 
er zu Abend, wieder in Geſellſchaft feingebilbeter und geiftvoller Männer, 
mit denen er fid) über Literatur und Kunft, Geſchichte und Philofophie 
unterhielt. 

So lebte er regelmäßig bes Winters zu Berlin ober Potsdam, bes 
Sommers (feit 1747) im Schloffe Sansſouci, und dieſe ſchön geordnete 
Lebensweife, die eine emfte und angeftrengte Thätigfeit mit ebler Er- 
holung verband, erhielt ihm feine urigemeine geiftige Spannkraft. 

Friedrich war ein Gelbftherrfcher wie nur je ein Fürfl. Da war 
ſchlechterdings niemand, der ihn beeinflußt Hätte; vielmehr ging alles 
Veſentliche von ihn perfänli aus; bie Beamten, auch die oberften, 
waren ‚nie mehr als ſeine Bertzenge, die eusführten, was er’ angab. 
Sein Scharfblict; feine Menſchenkenntuis Tiehen ihn überall: den-techten 
Mann für jebes 'bebeutenbere Amt finden; --feber wurde: nach feinen 
Talent und feiner Einſicht gebraucht. Wachſamkeit, Arbörtfamteit, un⸗ 
beftechliche Ehrlichleit — das waren- Die vornehmſten Eigenſchaften, bie 
er ‘vom: jeitien Beamten verlangte, und er ſah ſtreng barauf, daß fie 
dieſen Anſpruchen gerrügten. Er bildete · bei! ihuen weder Übergriffe 
noch Kachiaͤffigkeiten; beit deutfchen Schlendrian ließ er fo wenig, wie 
fein Vater in- Preußert aufkommen. Überhaupt hielt er es immer für 
feine- Aufodbe, der tuchtigen Berwaltung, bie er vorfand, ihre ganze 
Wirfoinfeit zu fleheen, abet berbei ihre Schrofffelten unb:;den Drud, den 
fe Abtei;- zu- vermeiden.‘ Bon oben id unten chatte ein jeder Veamte 
biimbitrigs ai gehorchen/ ‘aber ber Kbnig befahl auich mir; was-fühe den 
Stant- redt: unb notwenbig war. 'ÜBtigend- wollte net zügleich ehren · 
hafte md gebildete Veantte und behandele die: "werbtenten- wall wii. 
render Achtung. 

Ann cchemich beine fich ms Siaisirfenuin zut Beta 





4) Mömoire du princs de Ligne sur le roi Prödörie 16 Grand, r 31: jemals ön 
ientendit de Iuf rien de- vülgaire; il ennoblissoit tout. 


332 Die Jahre des Friedens von 1745—1756. 


lung derjenigen Landesangelegenheiten, die e8 dem Könige zur Entſchei— 
dung vorzulegen hatte. Die Finanz, Handels: und Fabriffachen vers 
blieben dem Generaldireftorium. Unter dem leßteren ftanden in den 
Provinzen als höchſte Verwaltungsbehörden die Kriegs: und Domänen: 
kammern und unter diefen in den Kreifen die Landräte, die indes feit 
1743 eine größere Wichtigkeit erhielten. "Dem fie befamen Sitz und 
Stimme in den Kammern und erftatteten dem Könige, wenn er die Pros 
vinzen bereifte, mündlich Bericht. So lernte dieſer die Verhältnifie der 
einzelnen Kreife genauer kennen als bisher, und das war für einen Staat, 
in dem der König alles machte, fehr heilfan. 

Diefe wohlgeglieberte und ftreng beauffichtigte Mafchine, die preußiſche 
Beamtenſchaft, arbeitete denn auch ganz vorzüglich und förderte unaufs 
börlid) neue Hilfsquellen im Lande an den Tag; zumal in der neuen 
Provinz Schlefien, wo man unter öfterreihifcher Verwaltung es fi und 
andern bequem gemacht, aber eben darum aud) wenig geleiftet hatte. 
Jetzt herrſchte audy dort preußiſche Thätigfeit, die zwar manchmal in 
Vielregiererei ausartete, aber im ganzen äußerjt wohlthätig wirkte. 

Dem geſchilderten Charakter des Staates entiprady die Taftenmäßige 
Gliederung des Volkes. Friedrich, der fie vorfand, war daher weit ent- 
fernt, fie befämpfen zu wollen; er hielt die fcharfe Abjonderung der 
Stände vielmehr für nützlich. Denn wenn jeder in jeiner Stelle ver- 
harrte, und der Sohn fpäter in die des Vaters trat, jo kam die Ma- 
ſchinerie des Staates nicht in Unordnung, und ihre Dauer ſchien durch 
die Sitte des Volkes felbft gewährleiftet. Das war der vornehmfte 
Grund, warum Friedrich, obwohl er gelegentlid, über Adelſtolz und Titel- 
ſucht philoſophiſch ſpottete, dennoch es ungern jah, wenn jemand aus 
feinem Kreife in einen andern hinübertrat. Nichts war für den Staat 
wichtiger, als tüchtige Beamte, namentlid) aber ein tüchtiges Offiziercorps 
zu haben. Als natürliche und befte Bezugsquelle galt hier nun auch dem 
Könige der Adel; er meinte, ein bürgerlicher Offizier, der ſich feige ge 
zeigt und weggejagt worben, finde immer noch ein Unterfommen, nicht 
aber ein abliger, der feiner Geburt halber fein bürgerliche Gewerbe be» 
treiben dürfe und in der Regel auch nichts weiter gelernt habe, als den 
Kriegsdienft. Darum befige der Adel allerdings von Ratur und dur 
Erziehung mehr Ehrgefühl und alfo mehr Tapferfeit als andere Stände. 
Auch war es nod) immer Thatfache, daß der Bauer als Soldat lieber 
einem Landjunker gehorchte als ſonſt jemandem, daß der Adel überhaupt 
mehr Anfehen beim gemeinen Mann hatte. Aus biefen Gründen, denen 
bei Friedrich ein ariftofraticher Zug in feiner Natur noch mehr Gewicht 
verlieh, geſchah es, daß er die höheren Amter und bie Offizierftellen wo 
mögli) nur an Edelleute gab, und aus eben denfelben Gründen fuchte 
er den Abel in feinem Befigftande zu erhalten, verbot Bürgerlichen und 


Das Heerweſen. 333 


Bauern ablige Rittergüter zu erwerben, wie er anbererfeit8 ben Edel⸗ 
Ieuten verbot, die Bauern auszufaufen. Diefe Bevorzugung des Adels, 
irrtümlich wie fie war, fehadete dem Staate erft fpäter, als bie Sitten 
und ber Geift des Volkes ſich geändert hatten, und als der kluge 
Menſchenkenner nicht mehr auf dem Throne ſaß, der die Tüchtigen von 
den Unfähigen zu unterſcheiden wußte. Denn Friedrich verlangte natür- 
lid) bei Belegung der Amter, daß zur adligen Geburt noch perfönliches 
Verdienft hinzukomme. Einem hannöverjchen Grafen, der für feinen 
Sohn eine Dffizierftelle nachſuchte, erwiederte er: „wenn ber junge 
Mann dienen wolle, helfe ihm der Titel Graf zu nichts; er werde 
befördert werden, wenn er fein Handwerk gut gelernt”, und ſetzte 
eigenhändig Hinzu: „die jungen Grafen, melde nichts gelernt haben, 
find in allen Ländern ignorants; wenn par miracle ein Graf zu 
etwas gut fein könnte, fo müßte er fich nichts auf feinen Titel zu gute 
halten, denn das find nur Poſſen. Alles hängt vom perfönlichen Ver— 
bienft ab.“ 

Überhaupt verwendete der König auf das Heerwefen eine ganz 
vorzügliche Sorgfalt; fortwährend übte und vermehrte er die Truppen, 
nad) dem Grundſatz des DVegetius, daß ber Friede das Studium, ber 
Krieg die Ausübung ber Kunſt fei. Die Kriegszucht blieb eifern wie bie 
altrömifhe; die Aushebung und Werbung drückend, wenn aud) burd) 
Friedrichs ftrenge Ordnung und Auffiht gemildert. Selbft bie vor- 
nehmften Generale, z.B. den alten Deffauer, traf ſcharfe Zurechtweiſung, 
fobald fie ſich Übergriffe erlaubten. Übrigens wurden die Wohlhaben- 
den und mandje Städte, wie Berlin und Potsdam, umd Bezirke, wie 
Oftfriestand, von der Kantonspflicht.ganz ausgenommen; Dagegen, um 
dem platten Lande nicht zu viel Arbeitsfräfte zu entziehen, jährlich 
7—8000 Mann geworben, meift Fremde, oft der Ausmurf aller Länder. 
Daher mußte denn aud) die Kriegszucht, die ſolche Leute in Ordnung 
und Gehorſam halten follte, barbariſch ftreng bleiben. Won den jungen 
Offizieren forderte der König nicht allein untabelhaftes Betragen und 
Kenntniſſe, fondern auch Geift. Alle follten mit Leib und Seele dienen; 
daher ſah er e8 nicht gern, wenn bie Offtziere heirateten; Huſaren⸗ 
offiziere durften e8 gar nicht. Die Oberften und Generale follten nicht 
nur die Mannszucht aufs ftrengfte beobachten und darin für ihre Unter- 
gebenen verantwortlich fein, fondern auch die Eigenſchaft befigen, in 
dringenden Fällen ihren Entſchluß auf eigene Hand zu fafſen. Aus- 
ſchweifungen, Spiel und Trunk ließ er nirgends einreißen. Bon den 

- Gemeinen durfte höchſtens der dritte Mann verheiratet fein. Dagegen 
gab es 3. 8. bei ber Garde fogenannte „Liebſtenſcheine“, d. h. der 
Kompaniechef erlaubte, daß der Soldat mit einem Frauenzimmer, das 
er irgendwo eingentietet, in wilder Ehe lebte. Scheidungen folder Ver- 


334 Die Jahre des Friedens von 145-1756. 


bältnifie fanden felten ftatt. Won den Kindern der Soldaten, den foge- 
nannten „Eiſenkindern“, wurden die Knaben in der Regel wieder Sol- 
daten, Die Mädchen, oder wie ber preußiſch⸗litauiſche Ausdrud war, die 
„Margellen“, wurden Soldatenliebften. 

Jahrlich vom Februar bis Juni bereifte der König die Provinzen und 
mufterte überall die Regimenter, führte auch, um die Offiziere im größe- 
ren Dienft zu üben, große Feldmanöver ein. Geine eigenen Erfah: 
rungen und Erfindungen im Kriegsfach legte er in einem Buche nieder, 
das er feinen Generalen zum Studiren mitteilte, übrigens gehetm hielt. 
Da die Gleichförmigkeit in allen Äußerlichkeiten viel Einfluß auf dem 
mechaniſchen Teil der Taltik hat, fo wurde das Drillen unabläffig fort- 
geſetzt. Auf beides, den Heinen wie ben großen Dienft, legte der König 
viel Wert. Er war daher bet ben Mufterungen ſchonmgslos ftreng, 
furchtbar fchon fein zorniger Ablerblid, und ein donnerndes „Scher Er 
fich zum Teufel“ fegte ohme Anfehen ber Perfon den General aus bem 
Dienft, defien Regiment nicht zur Bufriebenheit erſchien. ber dafür 
waren auch bie Truppen unübertrefflich in Bucht und in militäriicher 
Fertigkeit. Die fremden Geſandten ftaunten, wenn fte bei den Übungen 
fahen, wie die Schwadronen im vollen Lauf auf das erfte Signal halt 
machten umb eine treffliche Ordnung behmpteten, ober wie eine Infan- 
terielinie von 19000 Wann vorrüdte, 80 Schritt in einer Minute, fo 
gerade, als wenn fie nad) der Schnur abgemefjen wäre. Übrigens richtete 
Friedrich alle Übungen zu einem Zwede ein, zum Siege in ber eld- 
ſchlacht; auf den Krieg wär alles berechnet. Der ftärffte und ebeifte 
Trieb zum Siege, die Vaterlandsliebe, fehlte einem großen Teile feiner 
Soldaten, den fremden Geworbenen. Das konnte Friedrich nicht ändern 
und war in den Übrigen Staaten nicht anders. Um fo mehr kam es 
ihm darauf an und war fein vornehmftes Bemühen, die Triegerifche Tu⸗ 
gend des Heeres aud) im Frieden aufredjt zu erhalten. Er ſetzte fle in 
drei Dinge: Ordnung, Gehorfam und Tapferkeit. Die zum Gewohnheit 
gewordene Orbmmmg bewirke, daß in der bringenbften Gefahr bie Ver 
wirrung der Preußen doch noch mehr Haltung in ſich habe als der ge— 
mwöhnliche Zuftand des Weindes. Der Gehorfam mache, daß niemals 
über die Ausführbarfeit einer gebotenen Unternehmung Yin und ber ges 
redet, daß allemal auf der Stelle zur Ausführung gefchritten werde, und 
daß niemand verzweifle. Die Tapferkeit beruhe darauf, daß bie Offiziere 
nur von den Waffen ihr Glück erwarten, nur darin ihren Ehrgeiz finden, 
und daß auch der Soldat Zutranen zu fich felbft habe und es als Ehren: 
puuntt betrachte, niemals zu weichen. i 

Um das Jahr 1750 beftand das Fußvolk aus 48 Feld- und 13 
Sarnifonregimentern, zufammen 122 Bataillonen, jedes durchſchnittlich 
zu 870 Köpfen, im ganzen 106000 Mann; die Reiterei aus 80 Schwa- 


Das Yinanzwefen. 335 


dronen Hufaren, jede zu 120 Mann, und 130 Schwadronen Kürafftere 
und Dragoner, jede zu 158 Mann, insgefamt etwa 30000 Mann; das 
ganze Heer alfo aus 136000 Mann.‘ Der König vermehrte es indes 
noch von Zahr zu Jahr. Denn durch) die Eiferjucht der großen, bie 
Mißgunſt der Heinen Staaten von allen Seiten bebroht, mußte er immer 
Gewehr bei Fuß ftehen; Nachbar und Feind waren für ihm dieſelben 
Begriffe; daher bei jeder Steigerung feiner Einkünfte immer fein erfter 
Gedanke, ob er nicht ein par nee Regimenter errichten Töne. 

Eben deshalb blieb er au im Finanzweſen dem Syftem feines 
Vaters treu; er ließ es im weientlichen, wie es war. Aber er fchärfte 
dem Generaldirektorium. ein: „Das Plus tft verflucht, welches durch das 
Unglück anderer Leute gemacht wird. Und werm in Steuerfachen zwiſchen 
einem königlichen Amt und einem Rittergut ein Streit ausbreche, fo folle 
das Direktorium lieber dem Könige Unrecht thum als dem Gutsbefiger, 
denn was für ihn ein einer Verluft fei, das rette dieſen oft vom Unter- 
gang." Er fuchte, wo er konnte, bie Laften zu erleichtern. „Das Herz 
biute ihm”, fagte er einmal, „wenn er an zwei Auflagen denke, das 
Servis in ben Städten und die Kavalleriegelder auf bem platteri Lande; 
er würbe fie fo gern aufheben, aber ber Zuftand der Kaflen geftatte es 
noch nicht." Mit den Einkünften Schleftens, die unter feiner Verwaltung 
raſch auf 3%, Million Thaler ftiegen, beliefen fid) die gejamten Eimah⸗ 
men des Staats im Jahre 1752 auf mehr dem 12 Millionen Thaler, 
und tm Schage lagen damals ſchon wieder 7 Millionen, zu demen jähr- 
lich zwei hinzugefügt wurden; das Ergebnis einer feltenen Sparfanifett. 
Für ſich ſelbft nahm der König jährlich nur 190 000 Thaler, davon ver- 
brauchte er für Reifen 20000, für Befoldung und Penſton bes Hofftaats 
17.000, für die Königin-Wutter 50 000, für feine brei Brüber je 12.000, 
für die beiden Schweitern je 3000 Thaler.‘ Er bekümmerte fi um bie 
geringften Kleinigkeiten des Staatshaushalts, um, wo es mit: Anftand 
möglich war, zu fparen; bie Höffinge meinten bald, er jet faft geiziger 
at fein Vater. Aber. er wußte, ‘wie ſauer es dem Volke fiel, die Abgaben 
aufzubringen, und hielt es daher für die größte Sünde, mit dem Gelde 
bes Landes‘ verſchwenderiſch umzugehen. Er legte aud) feine neuen 
Steuerlaften auf, denn die vorhandenen waren ſchon ſchwer gemig. 

Überhaupt ging er in der. Pflege der Steuerkraft die Wege feines 
Baters. Den Landbau, den er innmer als die Grundlage bes Wohlſtands 
im Staate betrachtete, hat er, wo er num konnte, gefördert. Anftebler 
aus dem fächfifchen Voigtland, aus‘ der Pfalz und vom Rhein, auch 
böhmifche Huffiten wurden herbeigezogen, wüfte Landſtriche in Kultur 
genommen. In den Wäldern und Brüchen Pommerns gründete er 59 An- 
fiedelungen; bis zum Jahre 1755 hob fid) die Bevölkerung des platten 
Landes in dieſer Provinz. von 228559 auf 280 342 Seelen. Im ganzen 


336 Die Jahre des Friedens von 1745—1756. 


legte er während dieſer Zeit des Friebens etwa 280 neue Dörfer an. 
Sehr verbienftvoll war die Entwäflerung des Nieder-Oderbruchs, bie er 
in den Jahren 1747 bis 1756 unternahm. Die Berge zwifchen Hoch- 
und Niederwrietzen wurden durchſtochen und ein Kanal gegraben, ber 
den Strom ableitete. Bald fam hier eine neue Landſchaft zum Vorſchein, 
die nun unter dem Einfluß von Luft und Some ein fruchtbares Feld 
für den Anbau wurbe und ſich rafd) mit Dörfern bedeckte. Eine Menge 
von Edikten folte der Landwirtichaft immer mehr aufhelfen. Der König 
befahl z. B., auf dem Lande alle leeren Pläge mit Obftbäumen zu be— 
pflanzen, neben den Häufern Gemüfe- und Hopfengärten anzulegen; for- 
derte Die Bauern auf, Flachs, Wein, Waid, Kümmel, Anis, Safran, 
Luzerne, Rübfen und Kartoffeln zu bauen; fchenfte der Stadt Potsdam 
auserlejene Weinſtöcke zum Anpflanzen; befahl, nicht nur in der Mark, 
fondern jelbft in Pommern Maulbeerbäume anzupflanzen; ließ — ber 
erſte in Deutichland — zur Verbefferung der Schäfereien Merino-Widber 
aus Spanien fommen. 

Allein dies ftete Treiben und Drängen nüßte body weit weniger, 
als er fi) davon verſprach. Es hätte die Lage des Landmanns von 
Grund aus umgeftaltet, derjelbe hätte zum völlig freien Marne mit ganz 
freiem Beſitz gemacht werden müfjen, wenn eine Kultur, wie der König 
fie wünfchte, erblühen follte. Woher follte dem Bauer, deſſen Land, Zeit 
und Kraft faft überall ganz oder zum größten Zeil der Gutsherrſchaft 
gehörte, woher follte ihm der Trieb kommen, fid) fo eifrig zu bemühen? 
Aber ihn zu einem freien Erbbefiger zu madjen — das wäre eine Revo: 
Iution gewefen, welche Friebridy nicht unternehmen konnte. Denn woher 
die Entſchädigung nehmen für fo ungeheure Opfer, die der Abel hätte 
bringen müflen? Mit Gewalt aber deſſen Eigentum und Vorrechte in 
einem fo großen Maßftabe zu befchneiden, das ſchien ihm nicht nur un 
gerecht, fondern auch für den Staat ſchädlich, weil der Abel es war, ber 
die Offiziere lieferte. Überdies war der Sinn des niederen Volkes 
jelber auf einen ſolchen Umfturz jet noch nicht gerichtet, war vielmehr 
knechtiſch; mußte doch der König nod) im Jahre 1783 den gemeinen 
Leuten in Schlefien, welche ihm Bittſchriften überreichten, durch Kabinets- 
ordre verbieten, auf die Erde niederzufallen; fie follten nur vor Gott 
knieen. Darum beichränfte er fi) darauf, die Lage der Bauern einiger- 
maßen zu erleichtern. Er befahl dem Generalbireltorium (1747), gründ⸗ 
lich zu unterfuchen, ob die Domänenpächter bisher den Bauern hart ges 
fallen oder riftlicd) mit ihnen umgegangen und auf ihre Erhaltung 
thätlic) bedacht geweien. „Sit der Amtmann“, fagte er, „ein Bauern 
plader, fo ſoll er, wenngleich er fonft gut gewirticaftet und richtig 
gezahlt hat, aus dem Amte geſchafft und ein anderer, billiger, ehrlicher 
Paͤchter aufgefucht werben." Jeder Kammerpräfibent, der über Bitten 


Das Landvolt. — Die Städte. 337 


der dürftigen Unterthanen um Nachlaß faumfelig und zu fpät berichte, 
fole 30 Dulaten Strafe zahlen. Auch befahl er, die Frohnden der 
Bauern überall,. fowohl auf den Domänen als auf den adligen Gütern 
zu beſchränken; wöchentlich fünf ober gar ſechs Tage für Die Gutsherr- 
haft zu ſcharwerken, fei für ben gemeinen Mann unerträglich; da müffe 
einmal Durchgegriffen werben, bie Bauern follten wöchentlich nur brei 
Tage dienen. Imdefien die Beamten, Domänenpächter und Ebelleute 
hielten gegen ben Bauer zufammen, und Die Befehle fruchteten wenig. 
Ebenſo vergeblidy bemühte fid) der König, die Adligen im guten zur 
Aufhebung der Leibeigenſchaft und der Erbunterthänigkeit zu bewegen, 
wie er felbft wenigftens auf feinen litauifhen Domänen vielfach that, 
und zur Gewalt konnte er in biejem Punkte eben nicht greifen. Dagegen 
febte er eine befiere Behandlung der Landleute durch. Er befahl (1749), 
ein Beamter, ber einen Bauer mit bem Stock ſchlage, folle mit ſechs- 
jähriger Zeftungsftrafe belegt werben. Er beftrafte einen Grafen Fran- 
tenberg zu Gräbigberg, ber feine Bauern tyrannifirte, und jagte dadurch 
aud) den andern Heine Despoten in Schlefien einen heilſamen Schreden 
ein; unter ihm konnte das alte Junkerregiment nicht fortbeftehen. Eben- 
ſowenig durften die Hauptleute und Oberften fortfahren, die Enrollirten 
gewifiermaßen als Zeibeigene zu behandeln und für Beurlaubung ihnen 
Geld abzuprefien. Mit einem Wort, er duldete überhaupt nicht, daß Ge- 
waltjamteiten, fei e8 von den Herrichaften oder den Behörden gegen bie 
Unterthanen verübt wurden; man follte ihm nicht durch Bebrüdung die 
Leute aus bem Lande ſcheuchen, nicht durch Mißhandlung die Soldaten 
aus Reih' und Glied treiben. 

Die Städte blieben durchaus unabhängig von der königlichen Ver— 
waltung; aber ber König nahm darauf Bedacht, daß jeder bei feinem 
Gewerbe beftehen könne. So z. B. verbot er, zu Gunſten königlicher 
Domänen den Städten das Recht des Bierausihants zu befchränten; 
das fei gottlos ımd ftrafbar, „indem dadurch den Bürgern ihre Nahrung 
entzogen und ber Hals abgefehnitten werde.“ In der Beförderung der 
Induſtrie, die er die rechte Duelle des Mehrertrags für ben Staat 
nannte, faßte er weitere Geſichtspunkte als Friedrich Wilhelm I., info 
fern er nicht nur die alten Gewerbe verbefierte, fondern auch neue ein- 
‚führte und nicht den Luxus verhindern, fondern nußbar machen wollte. 
Damit das Geld, das für fremde Fabrikate ins Ausland ging, im Lande 
jelbft verdient werde, zog er auch geſchickte fremde Handwerker und Fa— 
brifanten herbei, die Einheimiſchen zu unterrichten und anzufpornen, und 
ſchützte die einheimtfche Arbeit durch Verbot fremder Ware. Diefen 
Schuß hielt er, wenn Preußen fid) im Warenbezug der Abhängigkeit vom 
Auslande entwinden und eine eigene Induſtrie bekommen follte, für 
durchaus notwendig. Wie fein Vater, trieb er nicht bloß unabläffig zum 

Bierfon, vreud. Geihlähte. I. 22 


338 Die Jahre des Friedens von 17451756. 


Fleiß, fondern legte auch felbft neue Fabriken an, z. B. 1743 in Reu- 
ftabt-Eberswalde eine Eifen- und Stahlfabrit, in der Mark (1753) ganze 
Wollfpinner- Dörfer. So kam auch mancher jüngere Induſtriezweig, 
namentlid) die Zuderfiederei und die Papierfabrifation, mit geringerem 
Erfolg die Seidenfabrifation in Aufnahme. 1741 wurde die Kattun- 
druderei, 1744 die Baumwollen-Spinnerei und Weberei eingeführt. Wie 
fehr feine Fürſorge bis ins einzelne ging, erſieht man aus Aufzeichnun- 
gen, die er zu feiner eigenen Erinnerung einft auf einer Reife in Schlefien 
gemacht hat. „Im Schweidnig und Neiße, bemerkte er, fehle es noch 
an Biegeldächern, er müſſe daran benfen, fie zu fehaffen; in Schmiede- 
berg fühle man ſich von der Kaufmannſchaft gedrüdt, bie Sache ver- 
diene Überlegung. In Pleß fei eine neue proteſtantiſche Kirche nötig, 
an anderen Stellen Kirche und Schule zu weit entfernt, um von den Ein- 
wohnern benußt zu werden. Er denkt daran, wie das ſchlechte Land hie 
und da zu verbefiern, das Holz, deſſen man fonft einmal entbehren werde, 
mehr zu fehonen fei. Er merkt fid an, wo es in den Gärten an Ge— 
müfe oder an Obftbäumen fehle. Striegau bedürfe einer Manufaktur; 
er wiſſe nichts anderes als etwa Vitriol dafelbft bereiten zu laſſen; aber 
beſonders gebreche es in Dberfchlefien an Induſtrie. In Gleiwig lafle 
ſich eine Fabrit von Halbbaummwolle und Halbleinen anlegen; in Tar- 
nowi würden Kunftichreiner befhäftigt werden können; für Waren, wie 
die nürnberger, zu benen es an Holz nicht fehle, würden Krakau und 
Teſchen einen guten Markt darbieten. Wie ein Hausvater, der fein Bes 
fitztum im erften Frühjahr durchſchreitet, um fi) die Arbeiten des Som- 
mers zu überlegen, bemerkt er an jeber Stelle woran es gebricht, und 
was ſich thun laffe.” *) 

Hungersnöte, wie fie zu umferer Zeit z. B. in der Provinz Oſt⸗ 
preußen eingetreten, konnten unter Friedrichs bevorinundendem Regiment 
nicht vorfommen. Er beherrichte, wie ſchon fein Water gepflegt, durch 
ſtets gefühlte Speicher die Getreidepreife und hielt fie in beftimmten 
Schranken; der Scheffel Roggen follte nie weniger als 16 Grofchen und 
nie mehr als 1 Thlr. 8 Gr. gelten. Diefe Grenzen Kat derfelbe denn auch 
in der That während der ganzen langen Regierung Friedrichs d. Br. felbft 
nad) Mißwachs und im Kriege nur felten und wenig**) überfcjritten. 

Manchmal freilich ſchadete dieſe unabläffige Einmifhung. Denn 
um nur das Geld im Lande zu behalten, wurde ber Unterthan oft ges 


*) Ranke, Reun Bücher preubiicher Geſchichte, III. 413. 
*) Rämtic) im Juni 1740 1 haler, 12 Groſchen. 
nm 1762 4 hl. jletes Gelb (etwa 2 Thle. gutes Geld). ° 
„ . 1972 1 She. 18 Gr. 
Sogar im fiebenjährigen Kriege ftieg der Roggen (aufer im Jahre 1762) im Preife 
nie zu 2 Thir. guten Geldes. 


Induſtrie. — KRechtspflege. 339 


zwungen, ftatt guter ausländifcher Ware ſchlechte einheimifche zu kaufen. 
Der Handel, der feiner Natur nad) freie Bewegung liebt, gebieh daher 
anter der übereifrigen obrigfeitlichen Bevormundung weniger, als wohl 
gefchehen wäre, wenn man ben Unterthanen jelbft größeren Spielraum 
gelafjen hätte. Doc; waren die Erfolge der Regierung felbft hier nicht 
unbebeutend; die allgemeine Handelsbilanz foll fogar z. B. für das Jahr 
1752 eine Gefamtausfuhr des Landes von etwa 22 Millionen Thaler, 
eine Gejamteinfuhr von 17 Millionen ergeben haben. Das Beite, was 
Friedrich zur Beförderung des inneren Verkehrs that, waren feine Kanal» 
bauten. Er ließ in den Jahren 1743 bis 1745 den 4)/, Meile langen 
plauenfhen Kanal von ber Havel über Genthin in die Elbe, in den 
Jahren 1744 bis 1746 ben 6'/, Meile langen Finow- Kanal zur Ber- 
bindung der Havel mit der Oder anlegen, baute 1740 ben Swinekanal 
und 1746 bie Stadt Swinemünde. Hiedurd) und durch Ermäßigung der 
Dberzölle hob ſich der Oderhandel und beſonders die Stadt Stettin ganz 
ungemein. Der überfeeiihe Handel aber, zu deſſen Gunften er Emden 
zum Freihafen machte (1752) und eine afiatifche und eine bengaliiche 
Handelsgeſellſchaft ftiftete, wollte nicht aufblühen. 

Benn Zunahme des Wohlftandes und ber Bevölferung ein günftiges 
Zeugnis für die Regierung ift, fo muß man jagen, Friedrichs Be— 
mühungen um die Pflege des Nährftandes waren überaus heilfam und 
fegensreih. Denn daß der Wohlftand beträchtlich wuchs, erfieht man 
aus ber obenerwähnten Steigerung des Steuerertrags, da neue Auflagen 
nicht hinzugelommen waren; aud die Eimvohnerzahl ftieg in den alten 
wie in den neuen Provinzen ſehr bedeutend; fie betrug 1756 im ganzen 
preußiſchen Staate fünf Millionen. 

Das größte Verdienft in ber inneren Verwaltung erwarb fi Fried- 
rich um die Rechtspflege. Er fand fie ganz verwahrloft, zumal auf 
dem platten Lande. Dort hatten die Löniglichen Amtleute die Juſtizver⸗ 
waltung gepachtet und übten fie meiftens ohne Sachkenntnis umd nur 
als Erwerbsquelle. Es gab z. B. in der Neumark nicht einen einzigen 
verpflichteten und rechtskundigen Gerichtsverwalter. Sie erhöhten will- 
kürlich die Sporteln, und ihr corpus juris war ber Stod. Sie famt 
ihren Gerichtsverwejern Iebten vom Raube. Die Obergerichte waren 
auch vol Mißbräuche; die ſchlecht befoldeten Räte legten fid, auf Neben- 
verdienſte, die Richter verfchleppten Die Aften; die Abvofaten waren 
großenteils unmifende Menſchen. Diele hatten ihre Stellen gefauft. 
Die Prozeſſe waren Tangwierig und koſtbar; in ber Regel verlor ber 
Arme, gewann der Reiche. Friedrich Wilhelm I. hatte gemeint, dieſen 
Zuſtand dadurch verbeſſern zu können, daß er willürlic in den Gang 
der Rechtspflege eingriff und felbft entfchieb. Aber damit half er doch 
nur in einzelnen Fällen, und zuweilen machte fein Einjchreiten die Ver 

PR 


340 Die Jahre des Friedens von 17451756. 


wirrung nur ärger; es beburfte-einer gründlichen Reform. Diefe nahm 
num Friedrich II. vor. Er beauftragte den Zuftizminifter Coccefi, ben 
Berfall der Zuftiz bis in die Wurzeln zu unterfuchen und abzuitellen. 
Cocceji, troß feiner 70 Jahre ungemein rüftig und energifch, legte ſchon 
im März 1746 feinen Entwurf vor; derfelbe ging auf drei Punkte, Um- 
bildung der Kollegien, des Verfahrens und der Gefeßgehung, und er- 
langte in allen Stüden die volle Zuftimmung des Königs. Die Reform 
wurde nun zuerft in Pommern, wo die Mißbräuche himmelfchreiend 
waren, fobann in ben anderen Provinzen eingeführt, und die Landftände 
gaben bereitwillig eine Geldbeihilfe für die Koften des Werkes her. Bu- 
nädjft erſchien 1747 ber Codex Fridericianus, ein Gefeßbuch, welches 
die neue Gerichtsorbnung enthielt. Die Obergerichte wurden danach 
mit lauter gelehrten, erfahrenen und zuverläffigen Richtern befet, Die 
bei hinreichender Bejoldung fid) ganz ihrem Amte widmen Tonnten; 
die Untergerichte kamen wieder in die Hände wirklicher Zuriften. Neu 
war das Inſtitut der Ausfultatoren und Referendarien. Die Gebühren 
wurben ermäßigt und feftgeftellt, die Prozeſſe rafch und ohne Schifanen 
erledigt. 

Der Haupterfolg der Coccefiichen Reform beftand jedoch darin, daß 
fie den preußiichen Zuriftenftand gleichſam neu begründete, ihn auf feine 
eigentliche Beftimmung hinwies und ihm bie Möglichkeit verichaffte, 
feinem Berufe zu leben; ferner darin, daß die Rechtspflege von der Ber 
waltung getrennt und nur wiſſenſchaftlich Befähigten anvertraut wurde. 
Friedrich enthielt fi den Gerichten gegenüber jeder Eigenmächtigkeit. 
„Ich habe mic) entfchloffen”, fprady er, „den Gang ber Prozeſſe nie zu 
ftören. Die Geſetze müffen ſprechen und der Souverän ſchweigen“. In 
der That kam e8 ausnehmend felten vor, daß er ein gerichtliches Urteil 
abänderte, und dann nur in ben Fällen, wo er überzeugt war, man 
babe ungerecht entſchieden, oder das Gefeß fei zu hart. Und wenn er 
bier zuweilen eingriff, fo geichah es allemal zu Gunften der Armen und 
Gedrücten gegen die Großen und Reichen; wie er 3. B. nicht dulden 
wollte, daß man einen armen Wilddieb um eines. gefchoffenen Hafen 
willen auf zwei Jahre ins Zuchthaus ftede, während Die Geſetze gegen 
weit größere Verbrechen viel milder waren. Überhaupt behielt er allein 
fid) das Recht vor, die graufamen Strafen, welde die Gerichte nad) 
Lage ber Gejeßgebung damals erfannten, zu beftätigen oder zu ber» 
werfen. Er mollte die Gründe jebes Todesurteils ſelbſt prüfen, er allein 
willkürliche Verhaftung und Einfperrung, wenn fie nötig war, verfügen; 
„feinen Beamten und Miniftern wollte er die gefährliche Waffe der 
Eigenmacht nicht anvertrauen, wie in ben anderen Staaten feiner Beit 
geihah, wo Minifter, Mätrefien, Hofleute oder ber erfte befte Beamte 
über Xeben, Freiheit und Eigentum des Staatsbürgers verfügten. Die 


Rechtsbflege. 341 


Feſtungskommandanten durften durchaus keine Gefangene annehmen ohne 
einen von dem Könige eigenhändig unterzeichneten Befehl, durch welchen 
die Natur und Dauer der Haft genau vorgeſchrieben war. Dies war 
damals in keinem andern Staate der Fall und ein Mittel, daß ſich 
niemand hierin die geringfte Ungerechtigkeit erlauben durfte.“ *) Übrigens 
übte Friedrich felbft jene ftrenge Gerechtigkeit ohne Anfehen der Perſon, 
die er den Richtern zur Pflicht machte. Er ſchärfte den Juſtizbehörden 
ein, die Rechtsſachen nicht nur zu entfcheiden, fondern auch in Ausfüh- 
zung zu bringen und ſich dabei auch dur königliche Verord— 
nungen nidt ftören zu lafjen. Denn ihre höchſte Pflicht fei 
die Zuftiz, auf die-fie gefhmworen. 

Diefe neue Rechtsordnung ficherte alfo Perfonen und Eigentum 
gegen Willkür und gewaltfame Eingriffe der Verwaltung, indem fie jeden 
unter die alleinige Herrihaft der Geſetze ftellte. So gab fie dem Unter- 
than das Gelbftgefühl und das Bewußtfein eines Rechtsdaſeins und 
machte den preußifchen Staat, der bis dahin ein Militärftaat war, auch 
zu einem Rechtsftaat. Die Juſtiz befam alfo zugleich einen politifchen 
Beruf; eben darum nahmen die Stände überall im Lande einen lebendigen 
Anteil daran. Sie priefen das Unternehmen des Königs als ein herr⸗ 
liches vaterländiſches Wert. occeji entwarf 1749 aud) ein allgemeines 
beutfches Landredit, das, in der Vernunft und Landesverfaffung gegründet, 
die Herrſchaft des römifchen Rechts bejchränfen und ein zeitgemäßes 
deutfches Geſetzbuch darftellen follte. Das war der Anfang des fpäteren 
„preußifchen Landrechts“, deſſen Vollendung der hochverdiente Mann nicht 
mehr erlebte. Von feinem Könige mit Ehren überhäuft und zum Groß- 
Tanzler erhoben, ftarb er im Zahre 1755. Friedrich fagt von ihm die 
ſchönen Worte, die ihn und jenen ehren: „Soccefi war wie Tribonian 
für die Gefepgebung und das Glüd ber Menſchen geboren.“ **) 

Denfelben Grundfag: „Gleichheit vor dem Geſetz“ hielt ber König 
aud in den kirchl ich en Verhältniſſen feit. Die Religionen wurden alle 
von ihm gebuldet, und fie follten gleiche Duldung unter einander üben. 
Ich bin neutral“, fagte er, „zwiihen Rom und Genf; wer den andern 
beeinträchtigt, wird verurteilt." Die Reformirten, bisher in Schlefien 
ausgejchlofien, erhielten hier jetzt Religionsfreiheit, ebenſo wie die Luther 
raner. Die atholifche Geiftlichkeit in Schlefien wurde nicht bebrüdt, aber 
mit ihrer Herrichaft war es vorbei; fie mußte fid, in das Staatsweſen, 
wie e8 in Preußen war, ſchicken lernen, und dies wurbe ihr erleichtert, 
weil ber gemäßigte, friebliebende Mann, der auf dem Biſchofsſtuhl von 
Breslau faß, die Duldfamkeit des Königs auf jede Weife unterftüßte. 


*) Gchloffer, Gef. d. 18. Jahrh. IL. 274. 
=) Oeuvres IV. 2. 


342 Die Jahre des Friebens von 17451756. 


So bildete ſich zwifchen beiden Zeilen ein gutes Einvernehmen. Gern 
erlaubte der König den Katholiken auch den Bau einer katholiſchen 
Kirche zu Berlin (die Hedwigskirche). Aber gehorchen mußte ihre Geift- 
Yichfeit ihm eben fo gut wie die evangelifche. Als das Domtapitel in 
Breslau fi, feinen Beftimmumgen über den Nachfolger des Biſchofs 
(1743) widerſetzte und in Briefwechfel mit Rom und Wien trat, wurden 
die Domherren ſcharf verwarnt: „Ich habe und will euch im Gewiffen 
und in ber Religion nichts thun“, ſprach er zu den Verſammelten, 
„aber wenn ihr fortfahrt, mit dem Auslande zu fonfpiriren und meinen 
Willen nicht zu thun, fo babe ich Yeitungen, ungehorfame Leute dort 
einzufperren. Wenn ich euch alle auf einmal fortgejagt hätte, fein Hahn 
würde danach gefräht haben.“ Cr fehte feinen Willen dur; nach 
langem Sträuben wählte das Kapitel, als Singendorf 1747 geftorben 
war, den Domherrn Grafen Schaffgotich zum Biſchof. Eben fo wenig 
durften die katholiſchen Geiftlihen in Schlefien ihre früheren Rechte 
über Evangelifche behalten; hinfichtlich der gemifchten Ehen beftimmte 
der König fon 1743, daß die Söhne in der Religion des Waters, 
die Töchter in der Religion der Mutter erzogen würden; übrigens 
ftellte er es durchaus jedem frei, ſich zur Tatholifchen oder zur evan- 
geliſchen Kirche zu befennen. Die übergroße Anzahl der Tatholifchen 
Feiertage wurde beſchränkt. Außer den Sonntagen follten die Katho— 
liken nur noch 13, die Evangeliſchen 9 Feſttage feiern. Die Evan- 
gelifhen in Schlefien erbauten fi bis zum Jahre 1750 fiber 200 neue 
Kirchen; dennoch ftieg ihre Zahl bei weitem nicht wieder jo hoch, 
als fie vor dem breißigjährigen Kriege gewelen; zu große Verheerungen 
hatte die kirchliche Reaktion unter dem habsburgiſchen Zepter hier an= 
gerichtet. 

Obgleich nun der König unparteiifche Gerechtigkeit gegen beide 
Kirchen übte, fo wußte er doc) gar wohl, daf nur die evangelifche ihn 
von Herzen liebte, und daß fein Staat weſentlich ein proteftantifcher war. 
Aus politiſchen Gründen beharrte er denn aud) an der Spike bes pro- 
teftantifchen Deutſchlands. Ihm felbft waren die Glaubensmeinungen 
gleihgiltig, aber als Staatsmann erfannte er, wie unendlich wichtig fie 
für Die Menfchheit feien. Er hielt darauf, daß das Volk in feinem religiöfen 
Slauben nicht erjhüttert würbe, und er ſchickte einmal einen Buchhaͤndler 
auf ſechs Monate nad) Spandau, weil berfelbe eine beutjchgeichriebene, 
alfo deni großen Publikum zugängliche Spottfchrift gegen die chriſtliche 
Religion verbreitet hatte. Doch konnte der Theologe Edelmann es in 
Berlin unter allen Deutfchen zuerft wagen, (1747) drudten zu laffen, Jeſus 
ſei ein bloßer Menſch geweſen, von Gott, mit vortrefflihen Gaben aus⸗ 
gerüftet, um eine Religion der Liebe und Vernunft zu lehren; die Welt 
fei ewig, die Seele unfterblid, und ein Teil Gottes; es gebe weber Engel 


Das Kichemegiment. 343 


noch Teufel; die Bibel fei von Menſchen gefehrieben; die Gründe unferer 
Erkenntnis beruhten allein in der Vernunft, in der Erfahrung und Wahr- 
fcheinlichfeit. Diefe und andere rationaliftiiche Lehren durfte Edelmann 
verfündigen, ohne daß Friedrich, wie die Geiftlichen verlangten, ihn da- 
für beftraft hätte. Seine Schriften wurden dann zwar als gemeinjhäd- 
lid) verboten, Edelmann felbft aber fonft nicht behelligt; er lebte ruhig 
in Berlin bis an feinen Tod (1767). 

Ein Staat, deffen Lebensprinzip die unbedingte Hingebung aller an 
den Fürften, als an die Seele des Staates, war, konnte nicht wohl die 
Preßfreiheit geftatten. Eine folche verträgt ſich überhaupt nur mit Ge— 
meinwejen, in denen das Volk der Bevormundung von oben her wirklich 
entwachlen ift. Dies war in Preußen jo wenig wie anderwärts auf 
dem europäifchen Yeftlande der Fall, etwa Holland ausgenommen. Dü- 
her kam Friedrich IT. fehr bald von jener unbefchränften Entzügelung 
der Prefie, die er bei feinem Regierungsantritte verfucht hatte, wieder 
zurüd und führte aufs neue die Zenſur ein. Schon 1743 erjchien die 
Haube- und Spenerjche Zeitung in Berlin ftatt mit dem früheren Motto: 
„Wahrheit und Freiheit!" mit der Umfchrift um den preußiſchen Adler 
„Mit Königlicher Freiheit.” Aber zu Senforen wollte der König nur 
vernünftige Männer, die nicht jede Kleinigkeit aufmußten, und er ließ fie 
ihr Amt mit jo großer Freifinnigfeit üben, daß man fpäter glaubte, 
es habe unter ihm immer völlige Preßfreiheit beftanden, was doch nicht 
der Tall war. Freilich im Vergleich zu den andern Staaten ımd zu 
den beiden folgenden Regierungen war Friedrichs Zenfur faſt Preß⸗ 
freiheit zu nennen. 

Bei dem traurigen Zuftande, in welchem ſich damals das geiftige 
Xeben ber Deutjchen befand, bei der Geſchmackloſigkeit und Roheit faft 
aller ihrer. literarifcden und Künftlerifchen Erzeugnifte, war es bem Könige 
nicht zu verübeln, daß er die feine franzöfifche Bildung, die er felbft be⸗ 
faß, ber einheimifchen vorzog. Er traute den Deutfchen auch fein Ins 
terefle für Literatur zu; in der That war ein ſolches felbft in Berlin fo 
gering, daß eine Literaturzeitung, Die 1750 von Formen herausgegeben 
ward, aus Mangel an Lefern eingehen mußte. Da er es nun weder 
für möglich noch für wänfchenswert hielt, bie Deutfchen in den Wiflen- 
ſchaften und Künften zu Franzoſen zu machen, fo überließ er fie hier 
ihrer eigenen Weife. Aber fein Beijpiel — die Thatſache allein, daß 
ein fo großer König jelber fchriftftellerte, felber Mitarbeiter an der ber- 
liner Aademie war und feine Erholung nur in äfthetifchen und philo- 
ſophiſchen Beftrebungen fuchte — Die hohe Achtung, die er ben fremden 
Gelehrten und Künftlern erwies, alles dies bewirkte vieleicht mehr, als 
Kabinetsbefehle vermocht hätten, daß der Sinn für geiftige Beftrebungen 
allmählich erwachte, daß ſich fähige Köpfe auf jene Dinge warfen, bie 


344 Die Jahre des Friedens von 1745—1756. 


Friedrich dem Großen fo teuer waren. Der König felbft ahnte von 
diefer langſamen Erhebung des Nationalgeiftes nichts; doch wo er ein 
höheres Streben wahrnahm, unterftüßte er es bereitwillig. So begün- 
ftigte er 3. B. das Unternehmen des Prediger8 bei der Dreifaltigfeits- 
firhe zu Berlin Johann Julius Heder, ber hier im Jahre 1747 
eine Schule von ganz neuer Art anlegte, eine „ökonomiſch⸗mathematiſche 
Realſchule“ mit dem Zwed, junge Leute für das Handelsfach oder für 
Künfte, Gewerbe, Landwirtſchaft auszubilden. Man pflegte damals folche 
neue Anlagen durch Lotterien emporzubringen, fo geſchah es auch bei 
der Gründung diefer Anftalt. Der König erteilte ihr den Namen einer 
töniglichen Realſchule und erwies ihr mancherlei Wohlthaten; nach 
ihrem Vorbilde find fpäter alle anderen Realfchulen entftanden, die heute 
im deutſchen Schulwefen einen fo breiten und wohlverdienten Plaß ein» 
nehmen. Im ganzen freilich geſchah zu dieſer Zeit für die Schulen und 
Univerfitäten ſehr wenig; Friedrich ließ bei ihnen faft alles beim alten. 
Defto eifriger bemühte er fi) um die Akademie der Wiſſenſchaften, bie, 
durch Maupertuis umgeftaltet, im Jahre 1744 ihre Sihung eröffnete 
und fi) num auch mit philofophifchen Forſchungen beichäftigte. Ste war 
wefentlich franzöſiſch, und ihre Denkichriften erichienen in diefer Sprache. 
Es gab indes unter ihren Mitgliedern außer den Franzofen und franz 
zöſiſch gebildeten Schöngeiftern doch auch manche tüchtige deutſche Ger 
lehrte, wie den Mathematiker Euler und den Raturforſcher Lieberkühn, 
der Die eleftrifchen Berfuche Lubolfs und Winklers weiter verfolgte. 
Einer der fleißigften und literarifch bebeutenbften Mitarbeiter war Friede 
rich II jelber. Er ſchrieb in dieſer Zeit die Geſchichte feines Hauſes 
und Landes, 1746 bie Gefchichte feiner Zeit und der beiden erften 
ſchleſiſchen Kriege; Werke, an denen namentlich die große Treue und 
Bahrhaftigkeit der Darftellung zu rühmen ift. Indem nun Friedrich 
dadurch zeigte, daß fich der Degen mit der Feder gar wohl vereinigen 
lafie, brachte er die Schriftftellerei als folche zu Ehren — und das war 
immerhin ein Verdienft auch um Die deutfche Literatur. Einer der beften 
Dichter, die Preußen überhaupt hervorgebracht hat, Ewald v. Kleift, 
ber berühmte Sänger bes Frühlings, dichtete damals und war ein preußi- 
ſcher Offizier. Auf anderem Gebiete, als gelehrter Schriftiteller, that 
ſich in dieſer Zeit zu Berlin der Geiftlihe Süßmilch hervor, der Be 
gründer einer wifjenfchaftlichen Statiftik. 

Friedrich beſaß zu viel Sinn für die Kunft, als daß er nicht gleich 
nad) feinem Regierumgsantritt ſich beeilt hätte, feine Umgebung durch fie 
zu ſchmücken. Zahlreiche Schönbauten gaben Berlin, welches jept (im 
Jahre 1750) 113.000 Einwohner zählte, bald das Anfehen einer euro⸗ 
paiſchen Hauptſtadt. Schon 1742 wurde das von Knobelsborf in eblem 
Stile erbaute Opernhaus mit einer Graunſchen Oper eröffnet. Dann 


Seifige Iutereſen 345 


wurde das Afademiegebäude, das Invalidenhaus, die katholiſche Kirche, 
die neue Domkirche (1750), der Palaft des Prinzen Heinric) gebaut; der 
Tiergarten, der bisher mehr einem Jagbrevier gli), durch Knobelsdorf 
1741 in einen geihmadvollen Park umgewandelt, und auf dem Weinberg 
bei Potsdam erhob fi) (1746) nad) einem gleichfalls von Knobelsdorf 
entworfenen Plane inmitten prächtiger Parkanlagen ein Schloß, welches 
Friedrich anfangs 1a Vigne (den Weinberg), dann fein „Sansſouci“ 
nonnte. Am meiften indes kam die Mufit in Aufnahme. Der König ver- 
wenbete auf die italieniſche Oper und die franzöftfche Bühne viel Gelb. 
Damit auch in den Schulen die Singefunft beffer als bisher betrieben 
werbe, führte er (1746) im ihnen drei Gingftunden wöchentlich) ein. 
Übrigens drang bie Liebe zur Kunft nicht tief in das Volk; fie beſchränkte 
fid) mehr auf den nächſten Kreis, der den königlichen Hof umgab. 

Als Privatmann hat Friedrich viel Unglüd gehabt. &r befand fi 
nod) im jüngeren Mannesalter, als er bereits die Hoffnung auf Bater- 
freuden aufgeben mußte; ein häugliches Glück war ihm verfagt. Er ver- 
mißte e8 freilich nicht fehr; fein Herz war für Frauenliebe nicht gefchaffen. 
Defto empfänglicher war er für die Freundſchaft; bei dieſer fuchte er 
Freude und Troft. Aber die Reihen der Jugendfreunde, an benen er 
mit faft zärtlicher Zuneigung und mit unerfchätterlicher Treue hing, lich⸗ 
tete allzurafch der Tod. Bis zum Jahre 1746 waren Suhm, Keyſerlingk, 
Camas, Jordan, Dühan geftorben; bald folgten Golz, Stille, Rnobels- 
dorf. Er fühlte fi) wie verwaift. Der einzige, den er in feinem Mannes» 
alter nicht nur achten, ſondern auch lieben lernte, ber ihm ein wirklicher 
Freund wurde, war der Marquis d’Argens, ein Mann von eblem Herzen 
und feiner Bildung ımb bem Könige aufrichtig ergeben. Dagegen machte 
Friedrich mit Voltaire, den er fo hoch fchäpte, fchlimme Erfahrungen. 
Er berief ihn 1750 zu ſich, erhob ihn zu feinem Kammerherrn, überhäufte 
ihn mit Ehren und Geſchenken. Aber Voltaire zeigte in Berlin die ganze 
Haßlichkeit feines Charakters. Seine Gitelfeit, Eiferjucht, Habſucht und 
Rachgier erregten fortwährend die ärgerlichften Auftritte; er fuchte jebes 
fremde Verdienſt zu unterbrüden und ftiftete am Hofe allerlei Ränfe an. 
Da er auf Friedrichs wohlwollende, doch ernfte Borftellungen nicht hörte, 
fo fiel er 1753 in Ungnade und ging wieber nach Frankreich zuräd. 
Dort vergalt er des Königs Iangjährige Freundſchaft dadurch, daß er 
beffen Gedichte, die er ihm geftohlen, veröffentlichte und überdies in 
einer niederträdjtigen Schmähfchrift defien Charakter verfeumbete. Auch 
Dies verzieh ihm der König; fie traten fpäter wieder mit einander in 
Briefwechfel, der erft mit Voltaires Tode aufhörte. Friedrich brauchte 
Agn als Grammatiler und Stiliften. „&8s ift recht Schade“, ſchrieb er 
ſchon 1749 an Algarotti, „daß eine fo nichtswürdige Seele mit einem 
jo herrlichen Genie verbimben fein Tann; allein ich Habe feiner zum 


346 Die Jahre des Friedens von 1745—1756. 


Studium der franzöſiſchen Sprache nötig, Man kann Schönes von 
einem Böfewicht lernen. Ich will fein Franzöſiſch, was geht mid) feine 
Moral an!" Dennoch begann Friedrich nad) ſolchen Erfahrungen, fein 
Gemüt immer mehr zu verichließen. Er gewöhnte fid) auf perfönliche 
Verhältniffe zu verzichten, und fand feine Befriedigung bald nur noch 
in der unermüdlichen Arbeit für den Ruhm und bie Wohlfahrt feines 
Volkes; er hatte nur noch eine Leidenſchaft: Preußens Ehre und Glüd. 
Selten hat ein Menſch ein jo lebendiges und ftarfes Pflichtgefühl gehabt 
wie er. „Ein Fürft“, fagte er im feinem politifchen Zeftament 1752, 
„der aus Schwäche ober um feines Dergnügens willen das edle 
Amt verfäumt, das Wohl feines Volles zu befördern, ift nicht allein 
auf dem Throne unnüß; er macht fid) fogar eines Verbrechens ſchuldig. 
Denn nicht dazu ift der Fürft zu feinem hohen Range erhoben und mit 
der höchſten Gewalt betraut, um ſich mit dem Marke des Volkes zu 
mäften und im Glücke zu fehwelgen, während das Volt leidet. Der 
Fürſt ift der erfte Diener des Staates und gut genug bezahlt, 
um bie Würde feiner Stellung aufrecht zu erhalten, aber man verlangt 
von ihm, daß er nachdrücklich zum Wohle des Staates arbeite.“ 

Ein König von folder Gefinnungs- und Handlungsweife durfte wohl 
die Volksſouverãnität verfünden und doch felber unumſchränkt herrichen. 
Für einen ſolchen König trug man aud die Laften gern. Sie waren 
in Preußen hart genug: welche ſchwere Steuern, welch drüdenber Kriegs- 
dienft! Aber das Geld und die Kinder des Volks dienten einzig und 
allein echt vaterländifchen Bweden: Preußens Ruhm und Größe. Aller 
dings, Die Stärke des Heeres war für den Heinen Staat unnatürlich hoch 
(150000 Mamn im Jahre 1755); aber alles, was Friedrich für Aufs 
Härung, Duldung, Gerechtigkeit, Gleichheit vor dem Geſetze that, warb 
nur dadurch möglich, daß er allen alten Vorurteilen waffenftart trogte. 
Bar er doch mit feinen Ideen der Zeit boransgeeilt, als er Die Aufklärung 
auf den Thron erhob. Wie haßte ihn Die ganze alte Geſellſchaft, die 
unfähigen und unwürdigen Fürften, die auf den meiften andern Thronen 
jaßen, mit ihren geiftlichen und weltlichen Schranzen und Schmarotzern! 
Sie wanden fid) unter den Geißelhteben feines bittern Spottes, dem er 
rückfichtslos Die Bügel fchießen ließ; fie waren beihämt von feinen 
Thaten; fein ganzes Wejen war eine ungeheure Neuerung und eine ftete 
Drohung für fie. Und mn der Neid der großen Mächte ringsum! Wie 
Hätte gegen ſoiche deindſchafl Preuden beftehen mögen ohne ein über- 
mäßig großes Heer! Das fühlte Friedrichs Volt gar wohl; es fragte 
nicht danach, ob es wie alle anderen Deutſchen in der Form der Des⸗ 
potie beherrſcht wurde, das verftand ſich Damals in Deutſchland von felbft; 
es war zufrieden, daß es — ein feltener Fall — gut regiert wurde. 
Denn barin eben lag ber unermeßliche Unterſchied zwiſchen Friedrichs 


Der fiebenjährige Krieg. 347 


Abfolutie und derjenigen faft aller andern deutfchen Fürften, daß er alles 
für fein Volt, dieſe aber alles für ſich thaten; daß feine Herrſchaft edel 
und ruhmreich, die Herrſchaft jener ſchmachvoll und erbärmlic) war; daß 
in Berlin ein tüchtiger König, anderwärts ein Haufe von Günftlingen, 
Schrangen und Gunftdamen regierte. Und dann bie reichen Ehren, Die 
der Staat durd) ihn erwarb, waren nicht ſchon fie der Opfer wert, die 
gebracht wurden? Es entbrannte eine preußiſche Vegeifterung, die fiber 
manche Leiden binweghalf und zu größeren Leiftungen befägigte. Kurz, 
Friedrich war ein rechter Volkskönig und wahrer Vater des Vaterlandes, 
der feines gleichen nirgends hatte. Mit Recht nannten ihn feine Preußen 
Friedrich den Einzigen. 


Der iebenjährige Brieg. 


Durch Friedrichs Genie und feines Volkes Tapferkeit war das Ziel 
erreicht, welches der große Kurfürft einft feinem Hauſe vorgeftect, und 
welchem Sohn und Enkel mit Anftrengung und Talent und mit Glüd 
ugeftrebt hatten: der norbbeutiche Staat als Hort des Proteftantismus 
auf dem Kontinent war feftgeftellt, Brandenburg-Preußen eine Groß⸗ 
und Weltmacht geworben. Diefes Ereignis, obwohl aus der Ratur der 
Dinge und Menjchen hervorgegangen, erweckte body, wie jedes große 
Neue, zunächft nur den Widerſpruch und Wiberftand aller der Mächte, 
die ein Interefie an dem ortbeftehen des Alten hatten ober zu haben 
vermeinten. Es war natürlich, daß Diefe fi) wider den Einbringling 
und Emportömmling vereinigten, und notwendig, daß leßterer aud) gegen 
alle zufammen feinen Platz behauptete. Diefes fachliche Berhältnis er⸗ 
hielt nım dadurch einen ganz bejonbers fchroffen Ausbrud, daß es ſich 
fofort in ein perſönliches umſetzte. Denn zu einer Beit, wo fait alle 
Staaten despotiſch verfaßt waren, kam es im ber Regel weit mehr auf 
die Stimmung ber Fürften als auf die Imterefien ber Staaten an. 
Und es traf fi) damals, daß im größten Teile Europas beides zu 
Ungunften Preußens zufammenfiel. Das Auflommen dieſer neuen Groß ⸗ 
macht, zumächft und am meiften auf Koften Ofterreichs geſchehen, war 
doch and) ein Nachteil für die beiden anderen Hauptmädjte des Feſt ⸗ 
landes, für Frankreich und Rußland. Denn jenes büfte feinen alten 
und ihm bisher fo vorteilhaften Einfluß in Deutſchland ein, wenn hier 
der Rorben von Preußen wie der Güben von Öfterreidy beherricht warb; 
Rußland aber konnte nicht hoffen, fo ungeftört nach dem Weften vorzu« 
dringen, wenn es bier auf zwei deutſche Hauptmächte, ſtatt auf eine ſtieß. 
Die deutfchen Kleinftanten endlich mußten fürchten, allmählich von einer 
Macht verſchlungen zu werden, die fi in Deutſchland fo erfolgreich aus- 


348 Der fiebenjährige Krieg. 


breitete. Selbit Schweden durfte fid) von ihr bedroht fühlen, fo lange 
«3 nod) ein Stück von Pommern befaß. 

Um fo energifcher konnten fid) auf dieſem Boden nun die perfüns 
lichen Leidenfchaften bewegen. Die europäifche Fürſtenſchaft hafte Fried- 
ri) den Großen; feine geiftige Überlegenheit erbitterte, feine felbftver- 
geflene Regententhätigkeit beſchämte ſie; die freifinnigen Grundfäße, die 
er in politifchen und religtöfen Dingen verfündigte, erregten ihren Abs 
ſcheu und ihren Schreden. Bei den föniglidhen und kaiſerlichen Höfen, 
die bisher die Mittelpunkte der hohen Politik geweien, fam noch der 
Ärger Hinzu, daß man nicht bloß einen neuen Rebenbuhler in der Welt 
habe, fondern daß ber Kollege in Berlin fo widerharig fei und Iedig- 
lich auf eigenen Füßen ftehen wolle. In der That, Friedrich der Große 
wußte feine Würde, wenn aud) fein Staat die Fleinfte unter den Groß— 
mädjten war, überall aufrecht zu erhalten; ohne glänzenden Aufwand 
fpielte feine Diplomatie dod) eine große Rolle. „Denke Er, daß ic) mit 
100 000 Bann Hinter Ihm ſtehe“, ſchrieb er einem feiner Gejandten, 
der fid) über die farge Befoldung beflagte, die dem Anfehen des Staats 
Abbruch) thue. Die Franzoſen waren feit hundert Jahren gewohnt an 
deutſchen Höfen die Gönmer und Beſchützer zu ſpielen; damit Tamen fie 
in Berlin ſchlecht an. Die Ruffen hätten den König von Preußen gern 
wie einen polniſchen Satrapen behandelt; damit war es auch nichts. 
Ebenſowenig konnte in Berlin von einem Anfehen des deutſchen Kaifers, 
d. h. des wiener Hofes, die Rede fein. Friedrich trat ihnen allen voll 
Selbftgefühls entgegen; er wid) nicht einen Zoll breit von feiner Würde 
und feinem Vorteile ab. 

Aber nicht nur unbequem war er allen, fie fürchteten ihn aud. Er 
galt für ehrgeizig, für ebenfo unternehmend als unruhig und unzuver- 
läffig, für einen Mann, der rücfichtslos in der Wahl der Mittel nur 
feinen Zwed verfolge, für einen ſehr gefährlichen Mann, der zu allem 
fähig, von dem man fich des Schlimmften verjehen dürfe, der mit feinem 
vollen Schatz und überftarken Heere immer bereit fei, die Nachbarn an⸗ 
aufallen und zu berauben. Sie hatten ja erfahren, wie Hug und gewandt 
diefer Eroberer feine Macht brauchte, wie fein Glüd feinen Fähigkeiten 
glei) war, und fie meinten, er laure nur darauf neue Gewaltjtreiche zu 
vollführen. 

Kurz, die erlauchte Gefellihaft betrachtete ihren ruhmgekrönten Mit 
fürften voll Mißtrauens und Mißvergnügens. Friedrich wußte es wohl, 
aber er veradjtete fie zu gründlih, um ſich mit ihnen auf freundlicheren 
Fuß ftellen zu mögen. Von Natur zu ftahlichtem Wi geneigt, erfparte 
er feinem der Machthaber, ob gekrönt oder ungefrönt, die beikenden 
Spottreben, die ihm in reicher Fülle auf die Zunge famen. Er fpielte 
den Satyr mündlich und ſchriftlich gegen alle und jeden. Es war aud) 


J 


Europaiſche Verſchwdrung gegen Friedrich ben Großen. 349 


ſchwer, nicht zu ſpotten, wenn man betrachtete, wie es damals um die 
Regierungen Europas ſtand. In Frankreich ein Ludwig XV., der, nur 
ſeinen Vergnügungen lebend, den Staat kopfloſen Miniſtern und einer 
Favoritin, der Marquiſe von Pompadour, überließ; in Petersburg eine 
Kaiſerin Eliſabeth, bei der die Trägheit und die Liederlichkeit um die 
Herrſchaft ſtritten; in Wien die Bigotterie der Maria Therefia und die 
Wechſelgeſchafte ihres Strohmanns, des Katfers; in Schweden eine bru- 
tale und unfähige Adelsherrihaft; in Sachſen ein Fürft, der als ſolcher 
abfolut nichts that und feinen Minifter Brühl das Land ruiniren ließ; 
an den übrigen: beutfchen Höfen meiftens Pfaffen und Junker oder Günft- 
linge beiderlei Gefchlechts am Ruder, oder gar biebere Landesväter, wie 
jener Karl Friedrich Wilhelm von Ansbach (1723—1757), der einmal 
feiner Mätreffe zum Spaß einen Schornfteinfeger vom Dache ſchoß, weil 


fie den Mann gern wollte herunterpurzeln fehen, und der nachher ber 


Bungernden Witwe bes Ermordeten als Entihädigung fünf Gulden gab. 
Sollte da ein fo geiftreicher und wißiger Fürſt wie Friedrich an ſich 
halten und nicht dieſe Menfchen geißeln, wie fie e8 verdienten! Ratür- 
Hd) wurde jebes bittere Wort denen, die es traf, hinterbracht; fein Spott 
reigte fie zur Wut und entflammte die Rachſucht, die um fo Heftiger auf 
Ioberte, da die mächtigften unter den &etroffenen Weiber waren. 
Niemand ſchürte den allgemeinen Haß gegen Friedrich II. eifriger 
als Maria Therefin; fie bildete den Mittel: und Vereinigungspunkt aller 
feiner Widerfacher. Niemand hatte auch fo viel Grund zur Feindichaft 
wie fie. Den Kampf um ihres Vaters Erbe hatte fle gegen die alten 
Mächte Europas glücklich beftanden; im aachener Frieden 1748 war ber 
öſterreichiſche Erbfolgefrieg ehrenvoll für fie beenbigt worden; außer einem 
Heinen &ebiete in Ztalien, Parma und Piacenza, das fie an Spanien 
abtrat, hatte fie das Ihrige glücklich behauptet. Rur dem Könige von 


. Preußen, diefem Staate, ben Habsburg bisher ald Vaſallen zu betrachten 


pflegte, war fie erlegen; nur an ihn hatte fie Schlachten und eine Pros 
vinz verloren; auf ihre Koften war er groß und berühmt geworben. 
Und was für ein Verluft war jene Provinz! Zog Friedrich nicht aus 
den ſchleſiſchen Domänen jegt zehnmal fo viel und aus ganz Schleften 
zwei Millionen Thaler mehr als einft ihr Vater, und 40000 Soldaten, 
wo biefer kaum 4000 erhalten? Dies alles ſchien ihr auf Die unge 
rechtefte und gehäffigite Weiſe entriffen zu fein. Und wer konnte wifjen, 
ob der böfe Nachbar nicht wieder einmal über fie herfalle; er rüftete ja 
von Jahr zu Jahr ftärter. Und nicht bloß Habsburgs Größe und Macht 
und ihr eigener Ruhm, aud) die Tatholiiche Religion, bie ihr ebenfo ſehr 
am Herzen lag, hatte durch Friedrich ſchwere Einbuße erlitten. Denn 
war nicht Schlefien ſchon auf beſtem Wege geweien, ganz katholiſch zu 
werden? nun triumphirte dort wieder ber Proteftantismus! Alles, was 


350 Der fiebenjährige Krieg. 


ihr ſchlimmes je zugeftoßen, war ihr von Friedrich II. gelommen, von 
diefem abfcheulichen Zreigeift; wie haßte fie dieſen böfen Dämon ihres 
Lebens, ihres Haujes! Ihn zu demütigen, zu vernichten, mindeftens das 
Berlorene wieber zu erobern, das war ihr fefter Entſchluß. Darum 
brachte fie die Verwaltung ihrer Staaten in beffere Ordnung, namentlich 
die Finanzen und das Heer, welches auf 200 000 Mann erhöht wurde. 
Darum trieb fie ihre Diplomaten zu verboppelter Emfigkeit, um bie 
beiden VBorbedingungen, bie fie fid) ftellen mußte, zu verwirklichen: fie 
wollte den Frieden nicht ohme weiteres brechen, fondern unter irgend 
einem guten Vorwande; und fie wollte nicht allein angreifen, dazu 
war Öfterreid) einem Friebrid) dem Großen gegenüber nicht ftarf genug, 
fondern im Bunde mit mehreren, mit Übermadjt. Sie arbeitete alfo 
daran, einen großen europäifchen Bund gegen den gefährlichen Empor- 
tömmling zufammenzubringen. 

Da bot ſich ihr nun zuerft Rußland als Bundesgenoffe bar. Die 
Kaiferin Elifabeth, erbittert durch Friedrichs Spottreden und angetrieben 
von ihrem Kanzler Beſtuſchef, dem Öfterreich beftochen hatte, ſchloß mit 
ihr ſchon 1746 ein enges Bündnis, in welchem fie der Kaiferin-Königin 
Schlefien wieber zu erobern verfprad), falls Friedrich einmal ſterreich 
oder Rußland oder Polen angreifen ſollte; und auch der ruſſiſchen Nation 
ſuchte Elifabeth ihren Haß gegen Preußen mitzuteilen, wie fie denn 
(1753) den Senat in Moskau die Erflärung abgeben ließ: „man müſſe 
ſuchen, das aufftrebende Preußen wieder zu dem früheren mittelmäßigen 
Zuſtande zurücdzubringen." Der dritte im Bunde war Auguft von 
Sadjjen und Polen, oder vielmehr fein Günftling Brühl, der Friedrich 
den Großen mit ber ganzen Kraft feiner Meinen Seele hakte und dem 
wiener Hofe beim Ränkeſchmieden eifrig handlangerte. Gern hätte 
Maria Therefia ihren alten Freund, den König von England herbei 

. gezogen; aber fo abgeneigt biefer feinem Neffen auch war, in England 
entſchied nicht die Laune des Fürften, fondern das Interefie bes Staates, 
und zu dieſem ftimmte die Unterdrüdung des proteftantifchen Preußens 
keineswegs. 

Dagegen gelang dem wiener Hofe eine Verbindung, die niemand, 
auch nicht Friedrich der Große, für möglich gehalten hatte; fo ſehr 
wiberfprad) fie aller politiſchen Vernunft: Frankreich wurbe bafür ges 
wonnen, Preußen zu Gunften Öfterreichs zerftören zu helfen. Zwar lag 
& im franzöſiſchen Intereſſe, Preußen wieder zu einem Mittelftante 
berabzubräden, aber doc mur in dem Falle, daß Habsburg bavon feinen 
Nuten zog. Dennoch. geſchah das Unerwartete; ein Meifterftüd ber 
Diplomatie, welches der öfterreichifche Kanzler, Graf Kaunitz, Maria 
Therefias rechte Hand, zuftande gebracht hatte. Freilich Toftete es viele 
Mühe; die franzöſiſchen Staatsmänner wollten ſich nicht überreden lafſen, 


Bund zwiſchen Öfterreih und Frankreich. 351 


der uralte Gegenſatz zwiſchen ben Häufern Bourbon und Habsburg fet 
nur ein Vorurteil, Frankreichs jahrhundertelanges Ringen mit Öfterreic) 
- ein Irrtum geweſen; Kaunitz fannte aber die Hebel, die hier anzu— 
wenden waren. Auf feinen Rat vergaß fid) die ftolze Kaiferin, Die 
fittenftrenge Maria Therefia fo weit, daß fie die Vermittelung der Pom— 
padour in Anſpruch nahm, ihr Artigfeiten erwies, Gefchenfe machte. Es 
bieß fogar, fie habe eigenhändig an fie gejchrieben. Wie ftach dies 
gegen Friedrichs Verhalten ab, der jener Perſon immer feine Berady- 
tung bezeigte und feinem Gefandten verbot, ihr Beſuche abzuftatten, was 
doch alle übrigen Gejandten thaten. Ludwig XV. felbft, der feine Auss 
ſchweifungen durch Frömmelei gut zu machen meinte, wurde dadurch 
don Preußen abgemwendet, daß man ihm vorftellte, Friedrich fei ein 
Gottesleugner, und Preußens Unterdrüdung ein Gewinn für den Kathos 
lizismus. 

Den Ausſchlag gab aber das Verhältnis zu England. Im Jahre 
1755 brachen zwiſchen den Engländern und den Franzoſen in Nordamerika 
und zur See Feindſeligkeiten aus, welche die Vorboten eines Krieges 
zwiſchen dieſen beiden Nationen waren. Georg II. lag nun alles daran, 
ſein geliebtes Kurfürſtentum Hannover durch eine Hilfsmacht decken zu 
lafſen. Er wandte ſich an Oſterreich, aber Maria Thereſia wies ihn ab, 
weil ihr jet die Freundſchaft Frankreichs wichtiger war. Er wandte 
fid) num an Preußen. Friedrich wußte zum großen Teil von ben öfter 
reichiſchen Entwürfen und Umtrieben, namentlich fannte er die Verhand⸗ 
lungen zwifchen den Höfen von Wien, Dresden und Petersburg; „ein 
beſtochener jächfifcher Kanzelift, Namens Mentel, hatte ihm Abfchriften 
davon verihafft. Eben darum rüftete er ja jo unabläffig, weil er ben 
Sturm heraufziehen fah. Als nun Georg II. ihm ein Bündnis antrug, 
fo ging er darauf ein, weil er meinte, e8 werde den Frieden in Deutſch⸗ 
land ſicher ftellen. Denn die Engländer hatten durch ihr Gold bei ber 
ruſſiſchen Kaiferin viel Einfluß, und was Frankreich betraf, fo ſchien es 
allzu unwahrfcheinlih, daß es zu HÄſterreichs Nuhen wirklich mit ihm 
bredjen werde. Er ſchloß alfo zu Weftminfter am 16. Januar 1756 
mit England einen „Neutralitätspertrag”, fraft deſſen beide Teile 
fi) Beiftand gegen jeden Angriff in Deutſchland verſprachen. In Paris 
ſchrie man nun abgeihmadter Weife über den „Abfall des Königs von 
Preußen“, der feine alten Verbündeten, die Franzoſen, verlafie; man 
war dort feit entſchloſſen, Deutſchlands Neutrafifirung nicht zu dulden; 
unter feiner Bedingung wollte man darauf verzichten, den König von 
England in feinem hannöverjchen Beſitz anzugreifen. So gelang e8 ‚denn 
Kaunitz jebt, Ludwig XV. dahin zu bringen, daß er (an 1. Mai 1756 zu 
Berfailles) mit Maria Therefia ein förmliches Verteidigungsbündnis 
einging, defien Spige gegen Preußen gekehrt war. Nun durfte Maria 


. 


352 Der fiebenjährige Krieg. 


Therefia hoffen, mit franzöflichem Gelde auch Schweben, die deutſchen 
Fürften und befonders Rußland ins Feld zu bringen. In der That, 
die ruffifche Kaiferin gab unbedenklich die Freundſchaft mit England 
auf; ihr Haß gegen Friedrich II. war fo leidenſchaftlich, daß fie amt 
liebſten ſogleich losgeſchlagen hätte. Dies verhinderte Kaunitz indeffen; 
man fam überein, in biefem Jahre die diplomatiſchen und militärtfchen 
NRüftungen zu vollenden und im nächſten Frühjahr den König von allen 
Seiten anzugreifen. Maria Therefia fah ſchon im Geiſte ihre alten 
Teilungsplaͤne verwirklicht und den verhaßten König von Preußen zu 
einem bloßen Markgrafen von Brandenburg herabgebrüdt. Denn nad) 
ihrem Entwurfe follte Schlefien mit Glatz an Ofterreich, das Königreich 
Preußen an Polen, dafür Kurland und Semgallen an Rußland, Magdes 
burg an Sachſen, Pommern an Schweden kommen; Frankreich aber 
durch das Herzogtum Luremburg oder Kleve belohnt werben, während 
die ſpaniſchen Bourbonen für Parma und Piacenza Belgien bekämen. 
Die Abfiht war, Rußland follte angreifen und der Kape die Schelle an 
hängen, Ofterreich als Bunbesgenofie folgen, die Franzoſen (die ihren 
Krieg gegen England zur See jchon jegt eröffneten) würden dann, nebft 
den Schweden, Beiftand leiſten; Sachſen wollte fid) erft auf den Turnier- 
plag wagen, wenn der Ritter im Sattel warte. 

So verſchwor fi) Europa gegen Preußen; eine Todesgefahr auch 
für den Proteftantismus, für ganz Deutſchland, defien aufbämmernde 
Aufflärung ben Duntelmännern, befien Grenzmarken dem Auslande über: 
liefert werben follten. Es fragte ſich für Friedrich, nicht ob der Krieg 
zu vermeiden, fonbern wie er am beften aufzunehmen fei. Bor die Wahl 
geftellt, abzuwarten, bis das Neb fid) rings um ihn jchließe, oder rafch 
und fühn jelber anzugreifen, entſchied er fi für das letztere; dem er 
felbft war fampfbereit, jeber Augenblid aber, den er den Feinden zur 
Vollendung ihrer Rüftungen ließ, vermehrte deren Kraft und erſchöpfte 
die feinige. So erhob er fid, wie ber gereizte Löwe zu einem Haupt ⸗ 
ſchlage. Wenn er Kurfachfen überfalle, dann ſterreich bebränge, fo 
werde die Hauptlaft des Krieges auf deſſen Verbündete fallen, er jelbft 
aber den Vorteil haben, den Krieg in Feindesland zu führen und für 
Preußen die Streitmittel zu gewinnen, welde Sachſen an Oſterreich 
geben wollte. Dann werde fih, fo hoffte er, die furdhtbare Ver⸗ 
ſchwörung gegen ihn in Rauch auflöfen. Er griff zu den Waffen aus 
Vorſicht. 

Denn dies — der Wunſch nach einem ſichern Frieden, und nicht 
Ruhm⸗ ober Eroberungsſucht — war es, was jetzt ihn trieb. Gern hätte 
er ben Degen in der Scheibe gelaflen; jenen verhängnisvollen Vertrag 
von Weitminfter war er ja eben darum eingegangen, weil er gemeint 
hatte, dadurch fid) und Deutſchland vor Krieg zu behüten. Und noch 


Firma, 353 


jet mochte er nicht jede Hoffnung aufgeben. Bielleicht würde Oſterreich 
fi) noch im legten Augenblicke befinnen; er verfuchte es; zweimal lie 
er durch feinen Gefandten am wiener Hofe in freundlicher Weife Auf- 
Härung über den Zweck der öfterreichifchen Rüftungen verlangen und 
fragen, ob die Truppen, die man in Böhnten zufammenziehe, vieleicht 
gegen ihn gerichtet feien; ob ihn die Kaiferin-Königin wenigftens darüber 
beruhigen wolle, daß fie ihn weder in diefem, noch im folgenden Jahre 
angreifen werde. Aber Maria Therefia erteilte nur ungenügende und 
ausweichende Antworten (21. Auguſt). Da war er entjchieden: „Beffer 
zuporzufommen als fi) zuvorfommen zu laſſen“, ſchrieb er dem Könige 
von England. Am 29. Auguft 1756 brad) er mit 67000 Mann und 
224 Geſchützen in Sachſen ein. Der Krieg begann. 


Kurſachſen, ein Land faft jo groß wie Schlefien und noch bevölferter 
und wohlhabender als diejes, mußte ſchon feiner geographifchen Lage, der. 
böhmiſchen Päffe wegen, fi) bei jedem Kriege zwifchen Preußen und 
Öfterreich im Beſitz ber norddeutſchen Großmacht befinden, wenn diefe 
mit Ausfiht auf Erfolg kämpfen ſollte. Seine Beſetzung war daher 
ebenfowohl eine militärifhe wie eine politifche Notwendigkeit. In viers 
zehn Tagen war fie vollbracht; die ſächſiſchen Truppen, 17000 Mann, 
befehligt vom Feldmarſchall Rutowski, zogen fi in ein verfchanztes 
Lager bei Pirna zurüd. König Auguft mit Brühl und dem Hofftaat 
flüchtete auf den Königftein, von wo er alle Anträge Friedrichs, ſich mit 
ihm zu verbünben, entſchieden abwies und feine Sachſen ermahnte, für 
ihn bis zum legten Blutstropfen zu kämpfen. Friedrich ſchloß nun das 
ſächſiſche Heer bei Pirna ein und zwang unterbefien alle Kräfte des 
Landes in feinen Dienft. Es wurden ftarfe Lieferungen beigetrieben, 
aber gute Mannszucht gehalten und auch fonft das ganze ſächſiſche Land 
fo behandelt, als wäre es eine preußiiche Provinz. Verwaltung und 
Handel gingen ihren Gang; ben ſächſiſchen Unterthanen wurde, wo fie 
es bedurften, Brot und Satkorn geliefert. Die Beamten wurden durch 
Handſchlag in Pflicht genommen oder, wenn fie fi weigerten, entlaffen 
und durch Preußen erjeßt. 

Die Einfhließung des ſächfiſchen Lagers dauerte jedoch länger, als 
Friedrich erwartet Hatte. Es war fehr feit, geihügt durd) die Höhen 
zwiſchen dem Sonnen- und Königftein, und Friedrich wollte nicht ftürmen 
laffen, weil er die ſächſiſchen Truppen ſchon als feine eigenen anfah; er 
befahl, fie durch Hunger zur Ergebung zu nötigen. Unterdeſſen hatte 
Maria Therefia, hocherfreut, daß der Verhaßte ihr den lange gewünſchten 

gierfon, preub. Geſchichte. I. 23 


354 Der fiebenjährige Krieg. 


Vorwand gab, Europa gegen ihn in Waffen aufzubieten, ihre Rüftungen 
beſchleunigt und ſchickte nun ein Heer ab, welches verſuchen follte, bie 
Sachſen zu befreien. Der Feldmarſchall Bromne, Oſterreichs namhaf- 
tefter General, rücte mit 33000 Mann und 94 Geſchützen längs der 
Elbe nach der ſächſiſchen Grenze vor. Friedrich ging ihm, nachdem er 
eine Abteilung feines Heeres bei Pirna zurückgelaſſen, mit einer andern, 
24 000 Mann und 100 Geihügen, entgegen; er traf ihn am 30. Sep⸗ 
tember beim böhmiſchen Städtchen Lowoſitz am rechten Elbufer. Eilig 
bejeßte er in der Nacht ben Schlüfjel der feindlichen Stellung, zwei vor 
derfelben liegende Höhen, links den Lobofch- und rechts den Homolfaberg, 
und befahl Morgens 7 Uhr bes 1. Dftobers den Angriff. Ein dichter 
Nebel verhüllte ihm anfangs die Aufftellung der Öfterreicher; erft als 
derjelbe gegen Mittag fiel, kam es zu einer regelmäßigen Schlacht. Nach 
einem heftigen, doch unentſchiedenen Neitergefechte ftürmten die Ofter- 
reicher tapfer ben Loboſchberg, das preußifche Fußvolk trieb fie aber mit 
Gewehrfeuer, dann, als es fi) verſchoſſen, mit gefälltem Bajonett und 
mit Kolbenfhlägen zurüd. Nun drangen die Preußen bis Lowoftg nad, 
das mit öſterreichiſchen Truppen überfüllt war, ftecten die Stadt in 
Brand und jagten den Feind hinaus. Um 3 Uhr Nachmittags trat 
Browne. mit Verluft von 3000 Mann, 3 Kanonen, 3 Fahnen, 700 Ge 
fangenen den Rüdzug an. Die Sieger verloren 3300 Mann an Toten 
umd Vermundeten; „das find nicht mehr die alten Öfterreicher!" meinte 
Friedrich, und von feinen eigenen Kriegern fagte er: „Nie haben meine 
Truppen ſolche Wunder der Tapferkeit getan, ſeitdem 1 die Ehre habe 
fie zu kommandiren.“ Die Folgen dieſes Siege waren für ihn fehr 
günftig; er hatte Die aus dem beiben erſten ſchleſiſchen Kriegen über- 
Tommene Anſicht von ber Unbeftegbarkeit der Preußen und von ber über 
legenen Feldherrnkunſt ihres Königs von neuem beftätigt, das Heer 
wieder für den Sriegsruhm begeiftert und, was zunächft am wichtigiten 
war, Sachſen behauptet und dem ſächſiſchen Heere die Hoffumg auf 
Beiftand abgeichnitten. 

Dieje braven Truppen bduldeten bereit? die äußerfte Not, während 
ihr König und Brühl es ſich an nichts fehlen liegen, und die Welt ſich 
über das eingefchlofiene „ſächſiſche Pilet” Iuftig machte. Endlich, da ein 
Verſuch am 11. Dftober aus dem Lager herauszubrechen und mit 
Browne, der fid) zu dieſem Behufe bis Schandau herangewagt, in Ver— 
bindung zu treten, vollftändig mißglücte, fo waren zwar die immer 
ſchmählich vernachläſſigten und jetzt durch Hunger, Kälte und Näffe er- 
ſchöpften Truppen noch zum Widerftande gegen bie Preußen bereit, aber 
mit Recht erflärte ihre Generalität, es ſei unmöglich mit ben durd) 
72 ftündigen Hunger abgematteten Soldaten, den völlig unbrauchbaren 
Bferden, ohne Brot, Futter, Geſchütz und Munition durch die preußifchen 


Rapltulation zu Pina. 355 


Berhaue zu dringen, und jelbft wenn das gelänge, fich weiter zurüdzus 
ziehen; ein folhes Unternehmen würde das Meine Heer nur unnütz auf 
die Schlachtbank führen. Rutowski knüpfte daher mit dem preußtichen 
General Winterfeld, der die Belagerer befehligte, Verhandlungen ar. 
Diefer ließ fofort 72000 Pfund Brot für die ausgehumgerten herbeis 
ſchaffen. König Auguft aber wollte den Beſchluß des Kriegsrats nicht 
beftätigen, befahl vielmehr den Angriff, obgleich er ſelbſt ſich wohl hütete, 
den fichern Körigftein zu verlaffen. Als man ihm aber fagte, auch ber 
Königftein könne leicht ausgehungert werden, gab er nad), und fo wurbe 
die Kapitulation zu Pirna am 15. Oktober abgefchloffen. Das 
ganze fächftfche Heer, noch) 14000 Mann mit 49 Kanonen, wurde kriegs⸗ 
gefangen; die Offiziere wırrden auf das Verſprechen, nicht ferner gegen 
Preußen dienen zu wollen, ſamt dem Könige und dem Hofftaat entlafien, 
die Gemeinen in das preußifche Heer geftedt. Brühl reifte mit feinem 
Könige nad) Warſchau, wo er fortfuhr zu ſchwelgen und Schätze zu 
fammeln. Sachſen aber mußte die fÄhlechte Politik feines Fürſten ſchwer 
büßen; auf fein Land fiel die Laft des Weltkrieges, der nun entbrannt 
war, fehwerer. 

Seit Menjchenaltem hatten die Sachſen von ihrem Fürftenhaufe 
ſchweren Schaben und eine arge Mifregierung erlitten. Man durfte an« 
nehmen, daß fie feine Anhänglichkeit an eine Familie haben könnten, die 
weber auf ihre Achtung noch auf ihre Liebe Anſpruch befaß, die nicht 
einmal die Religion ihres Landes und ihrer Väter fi) bewahrt Hatte. 
Ohne Bebenten verleibte daher Friedrich die ſächſtſchen Truppen feinem 
Heere ein. Aber die Sachen blieben ihrem Fürſtenhauſe unerſchütterlich 
treu und hielten es im Herzen mit Öfterreich, obwohl befien Truppen 
auch im ber Folge viel übler in Sachſen hauften als bie Preußen; fie 
liefen einzeln oder mafjenhaft davon ober fochten fchlecht, brachten ihrem 
neuen Kriegsherrn alſo mehr Radjteil als Nupen. Übrigens hatte ihre 
Ausdauer bei Pirna der Sache Oſterreichs ſehr wefentlich genüßt. Denn 
Maria Therefia, die andernfalls Böhmen verloren hätte, erhielt nun Seit 
ihre Kriegsrüftungen zu beendigen. Es war nicht das erfte und nicht 
das letzte Mal, daß Sachſen zu größtem eigenem Schaden die Habs— 
Burger rettete. Und doch betrachtete man in der wiener Hofburg nach 
dem alten dort herrſchenden Grundſatze ſolche Aufopferung im Grunde 
nur als Pflicht, 

Die preußifchen Heere bezogen nun in Sachſen und Schlefien die 
Binterquartiere, und die Muße bis zum nächſten Feldzuge wurde beider- 
ſeits mit Rüſtungen und mit einem erbitterten Federkriege ausgefüllt. 
König Auguft erfüllte die Welt mit feinen Klagen; Katfer Franz richtete 
ein drohendes Abmahnungsſchreiben (Dehortatorium) an Friedrich, der 
von feiner „Empörung“ abftehen folle, und an bie preußifchen Dffiziere, 

23° 


356 Der fiebenjährige Krieg. 


die er aufforderte, ihren König zu verlaffen. Natürlich hatte dies feinen 
Erfolg. Der deutiche Reichstag zu Regensburg beſchloß (am 17. Januar 
1757) mit einer Majorität von 60 Stimmen, die von Frankreich erfauft 
waren, ben Reichserefutionskrieg gegen den „Friedensſtörer“, und der 
Kaifer fegte dann noch einen neuen Trumpf hinauf, indem er an Friedrich 
den Großen eine mit ber Acht drohende „Citation“ erließ”). Diefelbe 
follte dem preußifchen Geſandten in Regensburg „infinuirt” werden. 
Diefer aber, ein Herr v. Vlotho, der ſchon früher den Reichstag ver- 
höhnt hatte, indem er darauf beftand, durch das Diktiren einer 15 Bogen 
ftarfen Schrift die alterprobte Schreibgeduld der Reichstags - Pedanten 
zur Verzweiflung zu bringen, warf den taiferlichen Notar, Doktor April, 
der ihm die „eitationem fiscalem* überbrachte, zur Thür hinaus (14. Of: 
tober). Übrigens bewies Friedrich II. durch den Abdruc der Akten des 
geheimen Archivs in Dresden, deren er fid) gleich bei feiner Ankunft da- 
ſelbſt troß des perſönlichen Widerſtandes der Königin von Polen bemäd; 
tigt hatte, daß fein Kriegszug nichts anders als eine That der Notwehr 
war. Wiplinge fagten, der Krieg fei von Friedrich IT. aus Vorficht, 
von den Gegnern aus Spekulation unternommen. 

Es ſchien do, als wenn Maria Therefia ganz richtig ſpekulirt 
hatte. Welch eine uͤbermacht brachte fie ringsum gegen Preußen ins 
Feld! Am 22. Januar 1757 fiherte ihr die ruſſiſche Kaiferin vertrags⸗ 
mäßig gegen Subfidien und ben Befig Oftpreußens ein Hilfsheer zu. 
Am 1. Mai ſchloß Frankreich mit ihr einen ähnlichen Vertrag, worin es 
fid) verpflichtete, ihr 105 000 Mann Sranzofen und 10000 Baiern und 
Bürtemberger als Hilfstruppen zu ftellen, auch jährlih 12 Millionen 
Gulden Subfidien zu zahlen. Ihrerſeits verſprach Maria Therefia, 
80000 Soldaten aufzubringen, und trat an Frankreich einige Stüde 
Belgiens ab. Im Falle des Gieges follten Schlefien, Glatz und Kroffen 
an Oſterreich; Magdeburg, Halberftadt und der Saalfreis an Sachſen; 
Stettin an Schweden; Kleve und Obergeldern an Kurpfalz; Luremburg 


*) Die Citation lautete: „. . . . Alſo heiſchen und Laden Wir Ihn, Churfurſten zu 
Brandenburg, von Römih-Kalferlicher Macht, auch Gerichts. und Rechtswegen, hiemit 
ernfttich und wollen, dab derſelbe innerhalb zwey Monaten demnächſt nach Infinutt» oder 
Verfündigung biefer Unfer Kaiferlichen Ladung — felbft oder durch einen gevollmächtigten 
Anwald an Unferm Kaijerlichen Hofe, welder Orten derjelbe alsdann feyn wird, — er 
feine, um zu fehen und zu hören, daß Ex, Churfurſt zu Brandenburg, oberzehfter Urſachen 
wegen in Unfere und des Reichs dt mit Verluſtigung aller von Uns und dem Held 
habenden Lehen, Gnaden, Privilegien, Erpectationen und Preyheiten mit Urthel und Hecht 
geiprodien und erfläret werde, oder aber erheblich beftändige Urfachen, ob er einige Hätte, 
warum fothane Erflärung nicht geſchehen folle, dagegen in Rechten fürzubringen und darauf 
der Sachen und aller deren Gerichtstäge und Termine bis zum Beſchluß und endlichen Ber 
ſcheid abzuwarten ... . . Darnach weiß Er, Churfürft, fid zu richten“, jhlob das Schrift» 
ſtac (22. Auguft 1757). Schäfer, ber fiebenjährige Krieg, I. 445. 


Reichsexelutions · Beſchluß. 357 


und Belgien für Parma und Piacenza an die fpanifchen Bourbonen 
fallen. Später trat aud) der ſchwediſche Reichstag, durch franzöfiiches 
Geld beitochen, dem Bunde förmlich bei und verſprach gegen Subfidien 
ein Heer von 25000 Mann. 

Ebenfo leicht ließen fid) die Fürften der deutſchen Mittel- und Klein- 
ftaaten erfaufen; gern hätten fie fowohl von Frankreich als von Eng- 
land Geld genommen; die meiften indes verkauften fi) oder vielmehr 
ihre Landesfinder an Frankreich. Der Herzog von Würtemberg zog 
während dieſes Krieges 7500 000 Livres, Kurpfalz 11 300 000, Kurköln 
7300000, Baiern (bis 1768) 8700000, Sachſen (von 1750-63) 
8768 882, Baireuth 1 100000, der Herzog von Zweibrüden (bis 1772) 
4379 000, Hefiendarmftadt erhielt 1759 ein Almofen von 100 000, Kurs 
mainz 500 000, Walded 50000, Lüttich, Mecklenburg, Naſſau⸗ "Soar- 
brüden zufommen etwa 3.000.000. Sehr große Summen empfing Öfter- 
reich, nämlich (von 1757—1769) 82652479 Livres. Maria Therefia 
verwendete aber dieſes Geld wenigſtens im Intereſſe ihres Staates; die 
anderen Fürften trieben einfach Menfchenhandel, verkauften ihre Unter- 
thanen zu Bmweden, die dem Vorteil Deutſchlands ober ihrer engeren 
Heimat ganz fremb waren. Auch die Schweizer dienten dem Auslande 
für Sold, zogen das Geld aber für fi; bei den Deutfchen zogen es die 
Fürften und verpraßten e8 mit ihren Günftlingen und Beifchläferinnen, 
während ihre armen Soldaten als Kanonenfutter dienten und, wenn fie 
nicht in der Fremde eingefeharrt wurden, nachher als zerichoffene Krüppel 
betteln gingen. Mußte da nicht jeber wahre Vaterlandsfreund für den 
König von Preußen Partei nehmen, für den großen Gegner dieſer er- 
bärmlichen Geſellſchaft, die fid) unter Habsburgs Aufpicien verſchwor, um 
DOftpreußen ruffiich, ganz Pommern ſchwediſch, Lurxemburg fpanifch zu 
maden! In der That war die öffentliche Meinung nicht bloß in 
Preußen, deſſen Volk feinem Heldenfönig mit Begeifterung anhing, ſon⸗ 
dern aud) in dem übrigen proteftantifchen Deutſchland für Friedrich ge- 
ftimmt; um fo mehr, da der Bapft diefen Krieg für einen Religions- 
krieg erflärte und den Tatholiichen Mächten erlaubte, ihre Geiftlichkeit 
zu dieſem Zwecke zu befteuern. 

Obgleich nun Friedrich offenbar die Sache ber Freiheit und des 
Proteftantismus verfocht, jo blieben die Engländer dod) anfangs unthätig, 
and in Deutichland ftanden nur einige Heine Staaten, Braunfchweig, 
Baden, Hefien-Kaffel, die thäringifchen Herzogtümer und Schaumburg- 
Kippe auf Preußens Seite oder vielmehr auf Englands, denn dieſes 
zahlte ihnen das Geld, wofür fie ihre Soldaten zur Verteidigung Han- 
novers abſchickten. Friedrich war alfo in der Hauptſache auf feine 
eigenen Kräfte angewieſen. . 

Auch erkannte er volllommen die Größe der Gefahr; er mußte, daß 


358 Der fiebenjährige Krieg. 


es ein Kampf um das Dafein war, der ihm bevorftand. Zu den Vor- 
bereitungen, die er traf, gehörte aud) eine Art Teftament, welches er zu 
Berlin am 10. Januar 1757 niederſchrieb. Es war eine geheime In— 
ftruction, in der er feinen Minifter Grafen Finckenſtein anwies: 

„Im Yale, daß ich getötet werde, follen die Angelegenheiten ganz 
ohne die geringften Änderungen ihren Lauf behalten, und ohne daß man 
bemerken kann, daß fie ſich in andern Händen befinden; in diefem Yale 
muß man die Huldigung an den Prinzen von Preußen Hier wie in 
Preußen und Schlefien beichleunigen. Wem id) das Unglüd hätte, vom 
Feinde gefangen zu werden, fo verbiete ih, daß man auf meine Berfon 
die geringfte Rüdficht nehme, oder daß man im allergeringften darauf 
achte, was ich etwa aus der Gefangenfchaft fehreibe. Wenn mir ein 
foldes Unglüd begegnet, fo will id mid für den Staat 
opfern, und man fol alsdann meinem Bruder Gehorfam leiſten, 
welden fo wie die Minifter und Generale ich mit ihrem 
Kopfe dafür verantwortlicd made, daß man für meine Ber 
freiung weder eine Provinz noch Löſegeld anbiete, daß man 
vielmehr den Krieg fortſetze und alle Vorteile benuße, ganz 
fo als hätte ic) niemals in der Welt eriftirt. Zum Zeichen, daß 
dies nach Marer und reifer Überlegung mein fefter und ernfter Wille ift, 
zeichne ic mit meiner Hand und drüde mein Siegel darauf. 

Friedrich.“ 

Nicht um ſeine Perſon, nur um den Staat war ſeine Sorge; das 
war die Geſinnung, mit der er nun — im Frühling 1767 — in den 
Krieg wider halb Europa zog. 

Das Spiel ſchien ſehr ungleich. Von allen Seiten rückten die 
Feinde heran; 175000 Oſterreicher (darunter 13 000 bairiſche, würtem⸗ 
bergiſche und ſächſiſche Söldner), 105000 Franzoſen, 32000 Mann 
Reichstruppen (darunter 10000 von Frankreich gemietete Baiern und 
Würtemberger), 100 000 Ruffen, 22.000 Schweden, im ganzen 434 000 
Mann. Diefer uͤbermacht hatte Friedrich nur 200 000 Manıt gegenüber 
zu ftellen; freilich gehörten fie ihm unbedingt und waren die beften Truppen 
dieſer Zeit, ſowie er der größte Feldherr des Jahrhunderts. Natürlich 
wartete er die aus allen Himmelsrichtungen langjam und ohne rechten 
Plan herantommenden Scharen der Feinde nicht ab, fondern führte nad) 
feiner Art den Krieg in der Dffenfive. Seine Mittel waren zu gering, 
um die entlegenen Provinzen Dftpreußen und Kleve zu verteidigen; 
er mußte fi) auf die Behauptung Niederdeutſchlands . beichränfen. 
Hannover follten die Engländer deden helfen; er felbft übernahm die 
wichtigfte Aufgabe, nämlich die Verteidigung Sachſens, Schlefiens, der 
Marken. Als die befte Verteidigung ‚betrachtete er mit Recht den An- 
griff. In drei Kolonnen brach er daher im April nad) Böhmen ein. 


Schlacht bei Prag. 359 


Die Öfterreicher zogen ſich auf Prag zurüd. Vor dieſer Stadt nahm 
der öfterreichijche Oberfeldherr, Karl von Lothringen, mit 72000 Mann 
eine ftarf verſchanzte Stellung, zur linken den Bisfa- und Taborberg, 

. davor ftelle Hügel, rechts die Höhe von GSterboholi mit Zeichen und 
Sümpfen. Freitag am 5. Mai Morgens 10 Uhr griff Friedrich mit 
64.000 Mann ihn hier an. Während die preußifche Reiterei unter Zieten 
nad) heftigem Kampfe die feindlihe in die Flucht trieb, arbeiteten fid) 
die Infanteriebataillone durd) den Schlamm und über die Stege zu ben 
Höhen von Sterboholi heran; aber rottenweife ftürzten fie zerichmettert 
vor den Batterien nieder, und der öſterreichiſche Unterfeldherr, Browne, 
warf fie dann mit feinen Grenabieren völlig zurück, bis er jelbft tötlich 
verwundet wurde. Vergeblich fuchten Schwerin und Fouqus die gefchla- 
genen Bataillone wieber zu ordnen. Hier war es, wo der 7T3jährige 
Schwerin vom Pferde ſprang, fich felbft an die Spike eines Regiments 
ftellte, eine Fahne ergriff mit den Worten: „Heran meine Kinder!" und 
fie in den Kartätſchenhagel führte. Fünf Kugeln ftrecten ihn tot nieder, 
die Sahne bedeckte den fterbenden Helden. Hier ward dem ritterlichen 
Touque die rechte Hand zerſchmettert, in die linfe nahm er den Degen 
und führte feine Scharen weiter. 

Auch Prinz Heinrich, Bruder des Königs, fprang vam Pferde und 
befeuerte die Seinigen; an der Spike des Regiments Itzenplitz erftieg er 
eine feindliche Gefhüghöhe, den Taborberg. Aber die Entjcheidung brachte 
Friedrich felber. Mit 12 Bataillonen feines linken Flügels marſchirte er 
heran und trieb die öſterreichiſchen Grenadiere vom Schlachtfelde; dann 
durchbrach aud) des Königs Schwager, Prinz Ferdinand von Braun» 
ſchweig, ber einige Regimenter des rechten Flügels herbeiführte, das 
feindliche Sentrum. Die Ofterreicher traten nun überall den Rüdzug an, 
um 8 Uhr Abends war die mörberifche Schlacht beendet. 

Sie koſtete dem Gieger 13 000 Mann, die tot oder verwundet auf 
der Wahlftatt lagen, und den Felbmarfhall Schwerin, den Bater feiner 
Soldaten und erfahrenften Feldherrn feiner Zeit. Friedrich der Große 
fagt von ihm: „Schwerin allein war mehr als 10000 Dann wert. 
Sein Tod machte den Siegeslorber welf, der durch ein zu koſtbares Blut 
erfauft war. Diefer Tag fah die Säulen des preußifchen Fußvolls 
fallen.” Auch das Offiziercorpg hatte ſchwer gelitten; dem Beifpiel der 
Generale hatten die unteren Befehlshaber nachgeeifert; man fagte da— 
mals, es habe, wie bei Lowoſitz der Soldat, fo bei Prag der Offizier 
das meifte gethan.*) Bon den Öfterreihern wurden ungefähr auch 
13000 Mann getötet oder verwundet, und fie verloren ebenfalls einen 


®) Die Feldzüge der Preußen wider die Sachſen und Ofterreicher, wider bie Franzoſen 
und Reichstruppen, wider die Ruſſen und Schweden, Brankfurt 1760 II. 38. 





360 Der fiebenjährige Krieg. 


vorzüglichen Feldherrn, den Marſchall Browne. Sie büßten außerdem 
5000 Gefangene, 60 Kanonen und eine Anzahl Fahnen und Stan— 
darten ein. 

Das geſchlagene Heer warf fi) vol Verwirrung nad) Prag, wo 
nun 50000 Mann lagen. Dennoch unternahm es der König, diefe fefte 
und weit ausgebehnte Stadt zu belagern. Denn wenn fie fiel, ftand ihm 
der Weg nad) Wien offen, wo der Schreden jo groß war, daß man 
bereit Vorkehrungen traf, die Archive fortzuſchaffen. Aber Prag hielt 
fi), weil das nötige Belagerungsgeihüg nicht raſch eintraf, und weil 
dann Entſatz kam. Der Mann, der ihn brachte, der in diefer Not und 
überhaupt in diefem Kriege die habsburgifche Monarchie rettete, war der 
öſterreichiſche Feldmarſchall Graf Leopold v. Daun. 

Daun hatte nad) dem aachener Frieden das Heerweſen Öfterreicys 
auf einen befieren Fuß hergeftellt, was ſchon in der Schlacht bei Lowoſitz 
zu merken war. Don feiner Kaiferin nun zum Sriegsführer berufen, 
zeigte er ſich durch Charakter und Fähigfeiten ganz geeignet, Oſterreichs 
natürliche Vorteile zur Geltung zu bringen. Höchſt bedächtig und vor— 
fihtig in feinen Maßregeln wollte er nie etwas aufs Spiel feßen, gab 
fid) aber auch nie eine Blöße; ein gelehrter und überaus behutjamer 
Feldherr, aber für diefen Krieg der rechte Mann. Denn er wußte, es 
kam darauf an, Zeit zu gewinnen, ben Krieg in die Länge zu ziehen, da— 
mit ſich die ungeheure Übermacht entwickeln und den Heinen preußiſchen 

" Staat erdrüden könne. Der ftürmifchen Genialität Friedrichs ſetzte er 
eine zähe, müchterne Kriegführung entgegen; er kannte die Überlegenheit 
des Königs im Entwerfen und Durchführen großer, geiftvoller Pläne; 
fein Siel war daher nicht jowohl, Friedrich zu fchlagen, als vielmehr fi) 
nit von dieſem fchlagen zu lafien. Denn das an Hilfsquellen reiche, 
alte, feftftehende Ofterreich, zumal mit halb Europa im Bunde, konnte den 
Krieg länger aushalten als dag viel ärmere, junge, aufftrebende Preußen. 
Eben darım mußte Friedrich, ſchlagen und immer wieder ſchlagen, und 
jedes Mal fiegen; denn Bögerung verzehrte die materiellen Mittel feines 
"Staates, und eine verlorene Schlacht warf ihn an den Rand des Unter» 
ganges. So lagen in ber That die Dinge. Eins freilid) wog den Unter- 
ſchied an Geld und Menfchenzahl auf: in feinem eigenen, an Hilfsmitteln 
unerſchöpflichen Geiſte und in der Stärke und Größe feines Charakters 
fand Friedric) ftets den Erfaß für die Ungunft des Geſchickes, für die 
Mängel feiner äußeren Lage. Dod) war es richtig, einem ſolchen 
Schlachtenmeifter gegenüber eine Feldihlacht zu vermeiden; ein Hannibal 
mußte nit den Bauderkünften eines Fabins befämpft werden. Darum 
liebte es Daun, unangreifbare Stellungen zu wählen und fi) durch 
nichts herauslocken zu laſſen. \ 

So that er aud) jeßt, als Friedrich mit einem Teile feines Heeres 


Kollin. 361 


{34000 Mann) von Prag herbeieilte, um den Gegner, ‘den er allzu 
gering achtete, zu fhlagen und dadurd) die Übergabe jener Stadt zu 
beſchleunigen. Er verſchanzte fid) mit den 60000 Mann, die er von 
allen Seiten an ſich gezogen, auf den Bergen bei Kollin am linken 
Ufer der oberen Elbe. Am 18. Juni (einem Sonnabend) griff der 
König an, und mit folhem Erfolg, daß Daun ſchon den Rückzug an- 
ordnete; aber die preußifche Neiterei unter Zieten unterftüßte den An- 
griff der Infanterie nicht gehörig, und diefe felbft hatte feine Reſerven 
mehr, weil ein Zeil de3 Fußvolks (unter v. Manftein) vorjchnell in den 
Kampf eingetreten war.*) So ging durd) mancherlei Fehler und Miß- 
griffe, am denen der König felbft die wenigſte Schuld hatte, der halb- 
gewonnene Sieg wieder verloren; der preußifche Angriff wurde abges 
ſchlagen, bie Preußen von den ſchon erftürmten Höhen wieder herunter 
geworfen. Mit neuem Mute hieben die Öfterreicher und bejonders die 
ſächſiſchen Söldner ein, die hier wie bei Pirna das Haus Habsburg 
tetteten. Der König bemühte ſich vergebens, feine weichenden Scharen 
zu ſammeln; mit wenigen Leuten ritt er gegen eine öfterreichiiche Batterie 
vor, bis er von einem Begleiter gefragt wurde, ob er allein fie nehmen 
wolle. Da hielt er an, betrachtete durch fein Glas bie Stellung des 
Feindes, ritt gelafjen nad) feinem rechten Flügel hin und gab den Bes 
fehl zum Rückzuge, der bei der heldenmütigen Tapferkeit der Truppen 
des linken Flügels, namentlid, Bietens, ungeftört erfolgte. Faſt 14 000 
Preußen lagen in ihrem Blute auf dem Schladhtfelde, darunter faft das 
ganze erfte Bataillon Leibgarde, in Reih und Glied tot, wie einft vor 
Pyrrhus die römischen Legionen. Daun auf feinen Höhen Hatte nur 
8000 Tote und Verwundete. Hocherfreut blieb er ftehen, wo er war, 
zufrieden, daß er gefiegt. Dieſe Thatſache: Friedrich der Unüberwind- 
liche endlich, werm auch durch große Übermadht, geichlagen, Oſterreich 
zum erften Mal Sieger über ihn, erregte in Wien und bei allen Feinden 
Preußens einen ungeheuren Zubel, in der Umgebung des Königs und 
in feinem Heere eine tiefe Beftürzung, eine um fo tiefere, weil dieſe Nieder- 
lage fo unerwartet fam. Maria Therefia veranftaltete glänzende Triumphs 
fefte und belohnte ihr Heer mit reichen Geſchenken, ftiftete aud zum An— 
denken dieſes großen Tages den Therefienorden. 

Friedrich felbft war anfangs tief erfchüttert; in Nimburg, wo fi 
feine Truppen ſammelten, ſaß er auf einer Brummenröhre wie Marius 
auf den Trümmern von Karthago; in trübem Sinnen zeichnete er mit 
dem Stock Figuren in den Sand, und als er den einen Überreft feines 
erſten Bataillons Leibgarde vorbeimarfchiren ſah — vor wenig Stunden 


*) Bol. M. Dunder, Aus der Zeit driedriche d. Gr. und Friedr. Wilh. III, Leipzig 
1876, &. 49 fi. 


362 Der fiebenjäßrige Krieg. 


noch das prachtoollfte der Welt — da rollten über fein Antlig ftille 
Thränen. Es war feine erfte Niederlage, und wie mußte fie auf die 
Zukunft wirfen! Lange faß er fo trauernd da; fein Gefolge ftand 
ſchweigend um ihn. Da trat ein alter Hufar heran, reichte ihm einen 
Trunk Waſſer und ſprach treuherzig: „Trinken Sie, Majeftät, und lafjen 
Sie Bataille Bataille fein! Es ift mır gut, daß Sie leben! Unſer 
Herrgott giebt uns ſchon noch einen Sieg." Der wohlgemeinte Troft- 
ſpruch freute den König; er faßte fi, fand feine philoſophiſche Ruhe 
wieder. Sein elaftijcher Geift erhob fid) raſch von dem ſchweren Schlage. 
„Wie fehr würde der große Kurfürft erftaunen“, konnte er fi, fagen, 
„wenn er feinen Urentel mit den Ruflen, den Öfterreichern, mit faft ganz 
Deutfejland und hunderttaufend Franzoſen im Handgemenge jähe? Ich 
weiß nicht, ob es mir eine Schande fein wird zu unterliegen; aber‘ 
das weiß ih, daß wenig Ruhm dabei fein wird, mic) zu erbrüden.“ 
Übrigens war er entjchlofien und wußte ſich fähig, die Scharte von 
Kollin wieder auszuwetzen. Zunächſt freilich fah er ſich in die Ver— 
teidigung gedrängt, und auch in ihr zeigte er fi) als Meifter. Da die 
Belagerung Prags nun aufgehoben werden mußte, fo benußte er bie 
Langſamkeit Dauns und des Prinzen Karl und brachte fie durch einem 
höchſt geſchickten Rückzug nad) Sachfen wenigftens um die andern Früchte 
des folliner Sieges. 

Mit dem größeren Teile des Heeres follte der Prinz Wilhelm von 
Preußen das nördliche Böhmen behaupten; er ließ fi) aber vom Feinde 
berausdrängen und erlitt überdies auf feinem Rückzuge in die Laufig. 
beträchtliche Verluſte. Friedrich machte ihm darüber öffentlich) die bit- 
terften und härteften Vorwürfe. Als er (am 29. Zuli zu Baupen) vor: 
der Armee des Prinzen erſchien, ließ er Die Generale dor fid) kommen 
und einen Kreis fchließen; dann mußte fein Adjutant auf den Prinzen 
zutreten und folgende Erflärung abgeben: „Seine Majejtät befiehlt mir, 
Eurer Königlichen Hoheit zu melden, daß er Urſach hat, mit Ihnen 
ſehr unzufrieden zu fein, und daß Sie verdienen vor ein Kriegsgericht ges 
ftellt zu werden, weldes Sie und alle Ihre Generale zum Tode verur-, 
teilen würde, aber daß Seine Majeftät die Sache nicht jo weit treiben 
wolle, da er in Ihnen nicht den Bruder vergefien kann.“ Darauf ritt 
der König, ohne den Prinzen eines Blickes zu würdigen, weg. Übrigens 
mar diefe Strafe wohlverdient. Denn Prinz Wilhelm war ein fanfter 
und liebenswürdiger Mann, aber ohne feines Bruders Energie und Geift, 
und wenn aud) perfönlid) tapfer, doch ohne Befähigung zu dem Yeld- 
berrnamt, welches er übernommen; der König hatte ihm daher den 
General Winterfeld zum Berater gegeben, aber der Prinz defien Rat» 
ſchläge oft nicht befolgt, weil er Winterfeld haßte. Er nahm fid) die 
erlittene Kränfung jehr zu Herzen; fie foll feinen bald darauf erfolgter 


Großjägersborf. — Haftenbed 363 


Tod verjchuldet haben. Er ftarb, noch ehe ein Jahr verging, zu Dranien- 
burg, ohne vorher, wie er ſehnlichſt gemünfcht, in einer Schlacht feine 
Hingebung zeigen zu können. Friedrich wollte ihn feine 10 Mann mehr 
anvertrauen. In Preußen galt nun einmal fein Anjehen der Perſon; 
Friedrich war auch darin groß; er duldete ſchlechterdings nicht, daß 
irgend wer, fei er ein gemeiner Soldat oder Prinz von Geblüt, ben 
Staat durd) feine Unfähigkeit beſchädigte. Denn feine und feiner Unter 
thanen Rettung beruhte einzig und allein darauf, daß Prinzen, Generale 
und Gemeine allzumal vor dem Gejeß der Not gleich waren. ſterreich 
konnte es eher aushalten, daß feine Geſchäfte von hohen Adligen und 
Prinzen fehlecht geführt wurden, und Prinz Karl hatte dort nicht zu 
fürdten, daß es ihm gehen merbe, wie Friedrichs Bruder; aber in 
Preußen mußte ein jeder faſt das Übermenfchliche Ieiften, wenn das 
Ganze follte gerettet werben. 

Kollin war die Lofung für die andern Mächte, die preußifchen 
Staaten jegt mit allem Eifer anzufallen. In Oftpreußen rüdten, alles 
nad) ihrer Art verwüftend, die Ruſſen ein, 100000 Mann mit 300 Ka- 
nonen, unter dem Feldmarſchall Aprarin. Friedrich konnte ihnen dort 
nicht mehr als 30000 Mann entgegenftellen, die der greife Feldmarſchall 
Lehwald befehligte. Sie griffen am 30. Auguft die ruſſiſche uͤbermacht 
bei Großjägersdorf (gwifchen Wehlau und Infterburg) an, wurben 
aber nad) tapferem Kampfe befiegt und mußten dem Feinde diefe 
Provinz überlafien. Unterbeffen drangen 100000 Franzofen unter greu- 
lichen Verwüſtungen über die Weſer; es befehligte fie der Marſchall 
d'Eſtroͤes, ein General von geringem Wert. Allein ihm ftand ein noch 
unfähigerer Yeldherr gegenüber, der Herzog von Cumberland, Sohn 
König Georgs II. Dur die Schuld dieſes Prinzen erlitt das hans 
növerjche Beobadhtungsheer (54.000 Mann) am 26. Zuli bei Haſten⸗ 
bed unweit Hameln eine Niederlage. Zum Unglüd taugte das han= 
növerjche Minifterium, dem die Regierung Hannovers an Stelle des in 
England refidirenden König-Kurfürften oblag, nicht mehr als der Gene- 
ral. Es beftand, wie faſt immer, feit die Dynaftie nach London über- 
gefiebelt war, aus jelbitfüchtigen Junkern und beſchränkten Zuriften. Diefe 
Männer gaben nun feige und eigenmügig Ehre, Vaterland und die Mit: 
bürger preis, um die Landgüter der adligen Herren und ihre eigene 
Beamtenbespotie zu reiten, und überlieferten durch eine Kapitulation ben 
Franzoſen das ganze Land; der Herzog von Gumberland, der feit Haften- 
bed den Kopf völlig verloren hatte, beftätigte diefe | himpfliche Ergebung, 
indem er am 8. September mit dem Feinde die Konvention zu Klofter 
Seven abſchloß, von weiterem Kampfe abftand umd fein Heer auflöfte, 
Die Tranzofen konnten nun das Land in aller Ruhe ausfaugen; fie ver 
übten denn aud) gegen die unglüdlichen Hannoveraner allerlei Schand⸗ 


364 Der fiebenjährige Krieg. 


thaten, und ihr neuer Befehlshaber, der Herzog von Richelieu, ging dabei 
mit dem Beifpiel zuchtlofer Ausfchweifung voran; er raubte und erpreßte 
Hunderttaufende, und von dem Vermögen derer, die er in Deutſchland 
an den Bettelftab gebracht, bezahlte er in Paris feine Schulden und ließ 
fid) ein prachtvolles Luſtſchloß bauen. Ein anderes franzöfifches Heer 
unter dem Prinzen Soubife ftieß zu dem Reichsheer, weldyes der Prinz 
von Hildburghaufen in Franken fammelte; beide ſchickten ſich nun an, 
durd Thüringen nad) Sachſen vorzudringen. 

Der König verjuchte mittlerweile in der Lauſitz bie Öfterreicher, 
den nächſten und gefährlichften Feind, zu einer Schlacht zu bringen. 
Daun vermied eine ſolche; als dann aber der König nad) Sachſen 308, 
um die Franzofen und das Reichsheer abzuwehren, überfielen die Öfter- 
reicher unter Nadafty am 7. September beim Dorfe Moys (in der Nähe 
von Görlig) eine preußifche Heeresabteilung unter Winterfeld und bradjten 
ihr eine Niederlage bei; Winterfeld felbft, Friedrichs Liebling, erhielt eine 
tötliche Wunde. Die Niederlaufig, Niederichlefien, die Mark ftanden nun 
den Ofterreichern offen; fie ſchickten auch eine Streifpartie unter Haddik 
nad) Berlin, welche (am 16. Oktober) eine Vorftadt befeßte, aber dann 
nad) Erhafhung einer Geldfumme rafch wieder abzog, da es hieß, der 
König komme. Auch die Schweden ſetzten fid) in Bewegung; 22 000 
Dann ftark, gingen fie über die Peene und brandichapten in Vorpommern 
und in ber Udermart. Es war feine Provinz mehr, wo nicht Feinde 
ftanden. „Der Untergang des Haufes Brandenburg", fehrieb damals 
der englifche Gefandte Mitchell nach London, „ift wahrſcheinlich, und 
damit fällt die Freiheit der Menſchheit zu Boden. Nur bie 
Wahl bleibt, ob man ein Slave Oſterreichs oder Frankreichs ſein will 
— welche jammervolle Ausſficht!“ 

Auch Friedrichs Familie hielt alles für verloren. Sie war mit die— 
ſem Kriege von vornherein nicht einverſtanden geweſen; ſie glaubte, er 
gehe weit über Preußens Kräfte. Hatte doch Prinz Heinrich ſchon im 
Dftober 1756 dem Könige erklärt: er ſehe feinen Grund, die Sache aufs 
äußerfte zu treiben; Friedrich fei nicht der erfte Fürft, der eine Provinz 
habe abtreten müſſen. Jetzt meinten die Verwandten alle, mit dem Haufe 
Hohenzollern fei es aus. 

In diefer fchredlichen Lage — feine fämtlichen Länder von über— 
mädjtigen Feinden überzogen und zum Zeil widerſtandslos in deren 
Händen; fein Heer geihwäht und entmutigt durch die Schlacht von 
Kollin, durd) die Verlufte in der Lauſitz, zu erjchöpft durch Entbehrungen 
und Märjche, um den überall vordringenden zahlreichen Gegnern überall 
die Spitze zu bieten; feine Brüder, feine Feldherrn ohne Vertrauen, ja ohne 
Hoffnung auf die Möglichkeit eines günftigen Erfolges; er felbft außer 
dem öffentlichen aud durch häusliches Unglüd (den Tod feiner Mutter 


Die Reichdarmee. 365 


am 28. Juni) ſchwer getroffen; rings Trübfal und Ruin — ftand Friedrich 
allein aufrecht gegen das halbe Europa, nur die Kraft feines Geiftes 
gegen das Unglüd, entſchloſſen zu fiegen oder zu fterben, und ehe er das 
von ihm gefchaffene Reich aufgebe, fi mit dem Schwerte in der Hand 
unter defien Trümmern zu begraben: „Ein wahrer, ein echter König, 
groß wie je einer, der in der weiten Vorzeit auf einem Throne ſaß; 
ein König, defien Andenken unter den Preußen, unter den Deutjchen wird 
genannt werden, fo lange ihre Spradye noch das Wort Groß bewahrt, 
fo lange nod) ein Deutſcher Gefühl für dieſes Wortes Bedeutung haben 
wird.“ *) 

Der Triumph der Feinde fchien gewiß; Friedrich war bereit, wie 
Cato und Brutus fi) eher das Leben zu nehmen, als ihn zu verherr⸗ 
lichen. Die Philofophie, die dem Schickſal fi) beugt, war nicht für ihn; 
er wies ſolch Anfinnen zurüd. Voltaire riet ihm, fi) philofophifch ins 
Unvermeibliche zu fügen und nachzugeben. Der König antwortete: „Vol⸗ 
taire in feiner Einfiedelet kann fid) in Frieden den Tugenden des Weifen 
bingeben; aber ic), vom Schiffbrudy bedroht, muß dem Sturme troßend 
als König denken, leben und fterben." 

Diefe großartige Gefinnung, eherne Eingeweide und ein ftählernes 
„Herz wider das Unglüd, dieſe bewundernswürdige Selbſtbeherrſchung 
hielt ihm Auge und Sim Mar; und während er zum Kampfe auf Leben 
und Tod ging, behielt er foviel Seelenruhe, um fi in den Augenbliden 
der Muße mit wiſſenſchaftlichen Dingen zu befchäftigen. Als er auf 
feinen Märfchen durch) Leipzig fam (am 15. und am 26. Oktober), unter 
hielt er fi) dort ein par Stunden lang mit dem berühmten Profefior 
Gottſched über franzöfifche und deutſche Literatur und ſprach einem Ge— 
lehrten glei), der jein Iebtag nichts anders getrieben. In feinem großen 
Geifte fand er denn auch die Mittel zu feiner Rettung — und damit 
zur Rettung Preußens und ber beften SInterefien Europas. Zunächſt 
beſchloß er Sachſen zu verteidigen, welches die vereinigten Franzoſen und 
Reichstruppen von Thüringen aus bedrohten. 

Die Reichsarmee, die den Exekutionsbeſchluß des regensburger 
Reichstags ausführen ſollte, befand ſich, wie zu erwarten war, in elender 
Verfaffung, ſchlecht ausgeräftet und von unfähigen Generalen geführt, 
aud) unluftig und zuchtlos. Es waren die Truppen ber Reichsftände, 
die gegen Preußen Partei genommen, hauptſächlich Baiern, Pfälzer, 
Würtemberger, außerdem ſchwäbiſche, fränkiſche, oberrheiniſche Kontin⸗ 
gente; ein buntes Gemiſch, zum Zeil das fchledhtefte Gefindel, das man 
hatte einfangen können. Jeder Reichsgraf und Prälat ftellte fein Dutzend 
Leute, die Beſchaffenheit kümmerte ihn wenig. Am beften waren noch 


*) Stenzel, preub. Geſch, V. TI. 


366 Der fiebenjährige Krieg. 


die Truppen der größeren Kleinftaaten. Aber aud) fie hatten mehr Luft 
zum Davonlaufen als Friedrich den Großen zu befriegen. Es zeigte ſich 
fogar ein Geift unter ihnen, der in Deutſchland ganz neu war, obwohl 
man fi) eher wundern mußte, daß er fo ſpät Fam. Das Volk in ben 
Kleinftanten fing an zu Täfonniren, es wollte nicht länger verkauft 
werden! Als der würtemberger Despot in Stuttgart dem franzöſiſchen 
Kommiffär 4000 Soldaten übergab, empörten fie ſich gegen diefen Men- 
ſchenhandel und zogen in hellen Haufen nad) Haufe. Sie meinten, fie ſeien 
nicht dazu da, für das Ausland fi totſchießen zu laſſen. Ahnliches 
geihah in Baden. Die meiften diefer braven Leute gingen ſcharenweiſe 
nad) Franken, um fi) dem Freicorps des preußtfchen Oberften v. Mayr 
anzufchließen, der dort gerade alles in Schredten feßte. Auch die anderen, 
die von den Franzoſen und Öfterreichern mitgejchleppt wurden, nahmen 
jede Gelegenheit wahr, zu Friedrich dem Großen überzulaufen. War er 
doc) der einzige, dem zu dienen troß aller Gefahr und Beichwerde für 
diefe faft vaterlandslofen Deutſchen noch rühmlich ſchien. Das deutſche 
Volk, wenigftens die Proteſtanten, war überhaupt gut preußiſch gefinnt. 
Und die Franzoſen forgten dafür, daß fich diefe Gefinmung befeitigte. 
Denn wohin fie famen, plünderten und mißhandelten fie ihre deutſchen 
Bundesgenofien, beſonders die proteftantifchen Thüringer und Sadjien, - 
Franken und Schwaben, ebenfo wie die hanmöverfchen und heſſiſchen 
Keber, bis aufs Blut, verbrannten bie Dörfer, befubelten die Kirchen. 
„Auf 100 Lieues in der Runde“, fehrieb einer ihrer Generale, „ift das 
Land verheert, als fei Teuer vom Himmel darauf gefallen.“ Daher 
wurde denn auch in vielen proteftantijchen Reichslanden, felbft in Wür- 
temberg, von ben Geiftlichen für den König von Preußen gebetet. Er 
galt für die Schugwehr des Proteftantismus gegen bie Papiften von 
Wien und Paris. Die Gebildeten, auch in den Tatholifchen Ländern, 
bewunderten längft den großen König. Die Freimaurer jämtlicher deut⸗ 
ſchen Provinzen boten ihm ihre Hilfe an, „da das Augenmerk feiner 
Feinde nur dahin gerichtet fei, erft ihn als den mächtigſten Beſchützer 
des deutſchen und beſonders proteftantifchen Volkes Hein zu machen, um 
nachher die deutſche Freiheit umzuftürzen." Doch nahm er den Antrag 
nicht an. Am größten war natürlich, die Begeifterung in Preußen felbft; 
die Pommern insbejondere errichteten auf ihre Koften Landmilizen und 
berittene Freiſcharen, welche bei der Verteidigung der Landesfeftungen 
und im Meinen Kriege gegen bie Schweden und fpäter gegen die Ruflen 

- treffliche Dienfte leifteten. „Alte Edelleute, die ſchon feit Jahren auf ihren 
Gütern zurüdgezogen lebten, nahmen die Schwerter wieder von ber 
Band ımd traten als Offiziere bei diefen Milizen ein.” Selbſt in Kur⸗ 
ſachſen betete man für Friedrichs Steg; denn die franzöfiſch-reichsländi⸗ 
ſchen Truppen hauften hier greulich. 


Roßbaqh 367 


Dieſes Heer war, 64 000 Mann ſtark, unter dem Befehle Soubiſes 
und Hidburghaufens an die Saale gerüct und Iagerte zwilchen der 
Unftrut und der Saale ſüdlich von Merjeburg, in jener Ebene, die fo 
viele Schlachten gefehen hat. Ihnen gegenüber nahm der König, ber 
mit 22000 Mann von Leipzig herangezogen war, eine Stellung zwiſchen 
den Dörfern Roßbach und Nebra. Die Franzoſen, namentlich der 
Flügel, den der Marſchall Broglie befehligte, Hatten eine ſehr vorteil- 
hafte Stellung. Der König machte daher eine Bewegung, welche die 
Gegner für einen Rüdzug nahmen. Sie wurden übermütig, glaubten, 
er fuche ſich aus ihren Händen zu reiten, und gaben ihre Stellung auf, 
um das preußifche Lager bei Roßbach einzufchließen. Sonnabend den 
5. November früh Morgens begannen fie den Iinten Flügel der Preußen 
zu umgehen; fie wollten Friedrich den Großen wie in einem Sad fan- 
gen. Bom Dad) des Schlofjes in Roßbach jah Friedrich diefem Manöver 
zu, das ihm anfangs unglaublich fchien; fehr vergnügt ftieg er dann 
hinab und verzehrte mit vielem Appetit fein Mittagsmahl; ebenſo gemäch- 
lich, fpeiften feine Soldaten; das preußifche Lager ftand unbeweglich. 
Die Franzoſen hielten diefe Gemütsruhe für dumpfe Verzweiflung. Um 
1 Ahr ftieg Friedrich, wieder auf den Turm und beſah ſich den rings» 
bherumgiehenden Feind, um 2'/, Uhr befahl er die Zelte abzubrechen und 
in Schlachtordnung zu treten. In einem Augenblid war e8 gethan — 
„io plöglich”, jagt ein franzöſiſcher Berichterftatter, „wie wenn ſich im 
Opernhaus die Scene verändert.” Dann fehte ſich das Heine Heer in 
Mari), des Königs fchneidigfter General, v. Seydlitz,) mit der Reiteret 
voran, links ab, verdeckt durch einen fehmalen Höhenzug. Um 3/, Uhr 
war er am Feinde und ftürzte wie ein Donnerwetter drein. Ohne ihnen 
Zeit zum Aufreihen zu lafjen, fiel er mit feinen 38 Schwadronen auf 
die 52 der Feinde und fprengte fie wie Spreu vor dem Winde ausein- 
ander; in paniſchem Schreden flohen fie bis über die Unftrut. Unterdes 
eröffnete der König mit der preußifchen Infanterie auf die franzöfiſche 
und reichsländiſche vom Janushügel aus ein entſetzliches Kanonenfeuer, 
dem, wie bei Mufterungen, ein regelmäßiges Musfetenfeuer folgte. In 
einer Viertelſtunde waren aud) hier die Feinde Über den Haufen geworfen, 
und Seyblig vollendete ihre Niederlage, indem er mit feiner Reiterei in 
ihren Rücken einhieb. Um ſechs Uhr befand fich das ganze franzöftich- 
deutſche Heer auf der Flucht, mer bie Finfternis des Abends rettete die 
Beftegten vor völliger Vernichtung. „Unfer größtes Glück“, berichtete 
Hildburghaufen an den Kaifer, „war, daß es Nacht wurde; fonften wäre 
bei Gott nichts davongekommen.“ Die Preußen, von denen übrigens 
mr die Heinere Hälfte wirflicd) zum Schlagen gelangt war, verloren nur 


H Friedr. Wilh. v. Sepblih geb. 3. Behr. 1722 zu Kalkar bei Kleve, geſt. 7. Ron. 1773. 


368 Der fiebenjährige Krieg. 


165 Tote und 376 Verwundete. Unter den Ießteren befand ſich auch 
Prinz Heinrich. „Der Prinz", fchrieb der Feldmarſchall Keith an feinen 
Bruder, „ift, obwohl nicht gefährlich, verwundet; dieſe Familie kann nicht 
lange leben, jo ſehr feßt fie fi) der Gefahr aus. Der König war an 
dem gefährlichften Poften." Die Zeinde ließen 700 Tote, 2000 Ver- 
wunbete, 5000 Gefangene auf dem Schlachtfelde. Einige taufend andere 
fielen auf der Flucht in preußifche Hände oder wurden niebergefäbelt, 
manche von den erbitterten Bauern wie Wölfe totgeſchlagen; die übrigen 
eitten in voller Auflöfung nad) Franken zurüd. Prinz Soubiſe jelbft, 
von einem pommerfchen Dragoner, der ihn lebendig fangen wollte, hart 
verfolgt und braun und blau geſchlagen, verdankte nur der Schnelligkeit 
feines Pferdes feine Rettung. Alle deutſchen Völkerſchaften, groß und 
Hein, Freund und Feind, Proteftanten und Katholiken, waren mit dieſem 
Siege über die Franzoſen fehr zufrieden und betrachteten ihn als einen 
Nationaltriumph. Denn die Franzoſen Hatten durch ihre Verachtung 
alles Deutichen, durch den Übermut, womit fie Deutichland geſellſchaftlich 
wie politiſch und militärifh zu mißhandeln gewohnt waren, durch den 
Vorzug, ben die Türften ihnen überall vor den Eingebornen einräumten, 
fi) beim ganzen deutſchen Volle verhaßt gemacht. 

Nachdem diefer Feind vor der Hank befeitigt und Sachſen gerettet 
war, eilte Friedrich mit feinem Heinen Heere troß der ſchlechten Wege in 
Geſchwindmärſchen nad) Schlefien, das feiner Gegenwart dringend bes 
durfte. Diefe Provinz hatte der Herzog Auguft Wilhelm von Bevern, 
ein Better der Königin, mit 30000 Mann beden follen; aber er hatte 
fo viele Fehler begangen, daß bie Öfterreicher die wichtige Feftung 
Schweidnitz erobern und ſich in einer Mafle von 90000 Mann durch 
Dberfchlefien und die Grafſchaft Glatz ins Niederſchleſiſche ergießen konnten. 
Am 22. November ließ er ſich gar bei Breslau eine Niederlage bei— 
bringen und Tags darauf gefangen nehmen. Die Refte des geichlagenen 
‚Heeres führte Bieten dem aus Sachſen heraneilenden Könige zu. Da 
am 24. November auch Breslau in die Hände der Oſterreicher geriet, 
fo ſchien Schlefien für Maria Therefia wieder gewonnen, fie rebete in 
öffentlichen Anſprachen die Schlefier bereits als ihre Unterthanen an; 
die fatholifche Bevölkerung, beſonders die Geiftlichkeit, war ihr ohnehin 
geneigt ; viele Beamte leifteten ihr die Huldigung, voran der Fürft-Bifchof 
Graf Schaffgotich, der dem Könige, feinem Wohlthäter, jet mit ſchnö— 
deſtem Undank lohnte. 

So galt es denn für Friedrich, Schleſien durch einen großen Schlag 
von neuem zu erobern; zwar zählte ſein Heer, auch nach der Vereinigung 
mit Zieten (am 1. Dezember in Parchwitz) nur 32 000 Mann, und die 
Öfterreicher unter Karl von Lothringen und Daun hatten eine faſt drei- 
fache übermacht und eine gute Aufftellung; aber Friedrich war feſt ent 


Leuthen. 369 


ſchlofſen fie anzugreifen, „und wenn fie auf den Kirhtürmen von Breslau 
oder auf dem Zobtenberg ftänden". Es war ein Wagftüd von äußerfter 
Gefährlichkeit; doch den Heldenmut, der ihn jelbft erfüllte, wußte er 
feinen Truppen mitzuteilen; die Sieger von Roßbach glähten von frifcher 
Begeifterung, die bei Breslau Geſchlagenen brannten, es jenen gleich 
zu thun. Nachmittags am 3. Dezember vor dem Abmarſch von Parch- 
wiß verfammelte Friedrich die höheren Offiziere um ſich: „Ich werde", 
fprad) er, „gegen alle Regeln der Kunft das faft dreimal ftärfere Heer 
des Prinzen Karl angreifen, wo id) es finde. Es ift hier nicht die 
Trage nad) der Zahl der Feinde ober nad) der Wichtigkeit ihres ge- 
wählten Poftens; alles das, hoffe id), wird die Herzhaftigfeit meiner 
Truppen und die richtige Befolgung meiner Anordnungen zu überwinden 
ſuchen. Ich muß diefen Schritt wagen, oder es ift alles verloren. Wir 
müſſen den Feind ſchlagen oder ung alle vor feinen Batterien begraben 
lafien. So denfe ich, fo werde id) handeln. Machen Sie diefen meinen 
Entſchluß allen Offizieren des Heeres befannt; bereiten Sie den gemeinen 
Mann zu den Auftritten vor, welche bald folgen werden. Kündigen Sie 
ihm an, daß id) mid) berechtigt halte, unbedingten Gehorfam von ihm 
zu fordern. Wenn Sie bebenten, daß Sie Preußen find, fo werben Sie 
fid) gewiß dieſes Vorzugs nicht unwürdig machen. Iſt aber einer, der 
ſich fürchtet, alle Gefahren mit mir zu teilen, der kann noch heute feinen 
Abſchied erhalten, ohne von mir den geringften Vorwurf zu leiden." Er 
hielt etwas inne. Keiner rührte fi), begeiftertes Schweigen war rings 
die Antwort; nur einem, dem tapfern Major v. Billerbed, fuhr es laut 
heraus, was alle dachten: „Das müßte ja ein infamer Hundsfott jein!* 
Mit freundlichem Lächeln fuhr der König fort: „Schon im voraus hielt 
id) mic) überzeugt, daß Feiner von Ihnen mid) verlaffen würde; ich rechne 
alfo ganz auf Ihre treue Hilfe und den gewifien Sieg. Sollte ic) 
bleiben und Sie für Ihre geleifteten Dienfte nicht belohnen können, 
fo muß es das Vaterland thun. Gehen Sie in das Lager und wieber- 
holen Sie den Regimentern, was Gie jet von mir gehört.” Dann 
des Eindruds gewiß, den feine Worte in jedem Herzen gemacht, ſprach 
er mit kurzem, fejtem Kommandoton: „Das Kavallerieregiment, welches 
nicht fofort, wenn es befohlen wird, ſich unaufhaltſam auf ben Feind 
ftürzt, laſſe ich ſogleich nach der Schlacht abfigen und made es zu 
einem Garnifonregiment. Das Bataillon Infanterie, das, es treffe, 
worauf es wolle, zu ſtocken anfängt, verliert Fahnen, Säbel und Borten 
der Montirung. „Nun, meine Herren“, embete er, „leben Sie wohl; 
in kurzem haben wir den Feind geichlagen oder wir ſehen uns nie 
wieder!" 

AS der König dann gegen Abend durch das Lager ritt und mit 
einzelnen Leuten jedes Regiments freundlich ſprach, empfing ihn überall 

Bierfon, preuß. Geſchichte I. 2 


370 Der fiebenjährige Krieg. 


begeifterter Jubel. Die alten Krieger drängten fi) um ihren König, mit 
dem fie jo manche heiße Schlacht gewonnen, und ſchworen ihm Sieg 
oder Tod zu. Einem pommerfchen Regiment von befannter Tapferkeit 
fagte er: „Nun Kinder, wie wird's ausfehen? Der Feind ift nod) ein- 
mal jo ftarf als wir!" „Lat man goot fin”, antworteten die Soldaten, 
„do fin doc keene Pommern mang! ju meet woll, wat wi könne.“ 
„Freilich weiß ich das“, erwiderte der König, „ſonſt könnte ich die 
Schlacht nicht Kiefern. Nun fchlaft wohl. Morgen haben wir den Feind 
geſchlagen, oder wir find alle tot!" „Man too!" rief das Megiment. 

In diefer Stimmung marfcjirten fie am 4ten dem Feinde entgegen. 
Prinz Karl ftand mit mehr als 80000 Mann und 208 Geſchützen in 
einer jehr feften Stellung an der Lohe bei Breslau. Daun riet, fie nicht 
zu verlaffen. Aber Prinz Karl und die meiften andern Generale meinten, 
es ſei unter ihrer Würde mit einer fo ungeheuren Übermacht einer Hand 
voll Volks, diefer „berliner Wachtparade“ gegenüber, hinter Verſchan— 
zungen ftehen zu bleiben. Sie gingen daher bis über die Weiftrig dem 
Könige entgegen; als der fie jo keck ins offene Feld kommen fah, ſprach 
er freudig: „Der Fuchs ift aus feinem Loche gegangen, nun will ic) 
feinen Übermut beftrafen." Am folgenden Tage, Montag den 5. De- 
zember, ftellte Prinz Karl fein Heer in Schlacjtreihe, die Linie war eine 
Meile lang; fie erſtreckte fi) von Nipern (nordweſtlich von Breslau) 
über Frobelwitz nach Leuthen und Sagſchütz. Es war dag erfte und 
das letzte Mal, daß die Öfterreicher e8 wagten, bei hellem Zage und zu 
offener Feldichlacht Friedrich dem Großen entgegen zu gehen. 

Kampfesfroh, geiftliche Lieder fingend, rüdten die Preußen an: 
„Gieb, daß ich thu mit Fleiß, was mir zu thun gebühret, Wozu mid) 
dein Befehl in meinem Stande führet; Gieb, daß ich's tue bald, zu der 
Seit, da ich's fol, Und wenn ich's thu, fo gieb, daß es gerate wohl!” 
Der Geift mußte erfegen, was der Zahl gebrach; e8 waren ihrer nicht 
mehr als 32000 Mann mit 166 Geichüßen. 

Der König entfaltete an diefem Tage die ganze Größe feines Feld⸗ 
herrngenies. Er wählte die ſchiefe Schladhtorbnung, mit der einft Epa- 
minondas bei Leuftra die Spartaner befiegte. Durch verftellte Bewe— 
gungen gegen den rechten feindlichen Flügel hielt er diefen in Unthätig- 
keit, während er in Wirflichfeit den linken bedrohte. Er erfand dazu eine 
Stelungsart, nicht unähnlich der macedonifchen Phalanx, indem er feine 
Hauptfraft auf feinem rechten Flügel vereinigte, in einen Heinen, tiefen 
und dichten Schlachtkörper, der, aus der Ferne gejehen, einem höchſt un 
ordentlich zufammengeftellten Menfchenhaufen glich. So ſchob er aufmar- 
ſchirend einen Trupp nad) dem andern in Keilform nad) rechts dicht an- 
einander. „Die guten Leute paſchen ab", jagte Daun, „laſſen wir fie 
ziehen!“ Da, auf Friedrichs Wink, entwirrte fid) plötzlich der lebendige 


Leuthen. 371 


Knäuel zu fehönfter Ordnung und fiel mit ungeheurer Wucht auf ben 
linken öfterreichifchen Flügel. Mit äußerfter Genauigkeit und Rafchheit 
wie auf den Übungsplage ward jeder Zug des Feldherrn von feinen 
Soldaten ausgeführt. Um 1 Uhr erfolgte der furdhtbare Anprall. Die 
Kriegswut der Preußen war fo heftig, daß der Feind bald zu wanken 
begann. Buerft wichen die Würtemberger und Baiern, die, von ben 
Ofierreichern ins Vordertreffen geſchoben, wenig Luft hatten, der Kaiferin 
als Kanonenfutter zu dienen. Dann ſchlugen Morik von Deſſau mit 
dem Fußvolk und Bieten mit der Reiterei aud) die ehe warfen 
ein Regiment aufs andere, während der König jelbft das Dorf Leuthen, 
wohin fic jet endlich der rechte öfterreichifche Flügel zog, eroberte. Die 
ganze Schlachtreihe des Teindes wurde fo von den Preußen aufgerollt, 
von allen Seiten hieb ihre Reiterei in Die verwirrten feindlichen Maflen, 
ſchoß ihr ſchweres Geſchütz Breſche. Um 4%, Uhr war Friedrichs Sieg 
überall entſchieden, und das große öſterreichiſche Heer zertrümmert. Die 
früh anbredjende Nacht war der einzige Schuß der Fliehenden. Bis in 
die Nähe von Lifſa drangen die Preußen nad). 

Es war ein glorreicher Tag, glorreich durch die Leiftung des fieg- 
reichen Feldherrn — „das Meifterftück des großen Friedrich“ hat Napo- 
Teon I. diefe Schlacht genannt —; glorreich durch die unerhörten Erfolge — 
der Feind hatte 10000 Tote und Verwundete, 21000 Gefangene, 116 
Kanonen, 59 Fahnen verloren; glorreic, durch die moralifche Größe des 
Heinen preußiſchen Heeres. 5000 Mann waren ihm getötet ober verwundet, 
aber die Gefallenen biuteten und farben mit der nämlichen Begeifterung, 
mit der fie fochten. Ein gefangener bairijcher General ftieß auf einen 
preußifchen Grenadier, der in feinem Blute ſchwamm; beide Füße waren 
ihm abgeſchofſen, aber er rauchte ruhig Tabak. Der Baier wunderte fich, 
der Preuße verjeßte Taltblütig: „Ick ſterw for Fritze!“ Ein anderer 
preußiſcher Grenadier verlor fein Bein; er ftüßte ſich auf fein Gewehr 
als Krüce und ſchleppte fih an die vorbeimarſchirenden Gefährten. 
„Fechtet als brave Preußen!" ſchrie er, „ſiegt oder fterbt für euren 
König!" Waren je die Thaten ber alten Griechen und Römer bemwun- 
dernäwürbiger? Und als das Heldenheer gefiegt und in der dunkeln 
falten Winternacht auf dem gewonnenen Blutfelde ftand, da fiimmte ein 
Grenadier das Lied an: „Nun danket alle Gott!" und Regiment auf 
Regiment, zuletzt dag ganze Heer fingt mit: „Nun danket alle Gott!“ 

Unterdefjen war der König mit einigen Bataillonen nad) Lifja voran— 
geeilt, um bier bie Bräde über die Weiſtritz zu beſetzen. Das Städtchen 
war voll Ofterreicher, der Körig begab ſich mit wenigen Begleitern aufs 
Schloß. Da war er mitten unter den Feinden; feine Freiheit ftand auf 
dem Spiel. Boll Geiftesgegenwart rief er den Erftaunten zu: „Guten 
Abend, meine Herren! Sie haben mic) hier wohl nicht vermutet. Kann 

240. 


372 Der fiebenjährige Krieg. 


man bier auch noch unterfommen?" Verblüfft bücten fie ſich ehr— 
furchtsvoll; bald darauf fam das Gefolge des Königs und nahm fie ger 
fangen. 

Der wichtigſte Erfolg der leuthener Schlacht war für die Preußen . 
die völlige Wiebereroberung Schlefiens. Schon am 19. Dezember ergab 
fi) Breslau mit 17000 Mann; nur Schweibnig hielt ſich etwas Länger. 
Die Verfolgung des gejchlagenen Heeres betrieben Bieten und Fouqué fo 
eifrig, daß Prinz Karl nur 37000 Mann und zwar im elendeften Zu= 
ftande nad) Böhmen zurüdführte; er legte nun endlich den Oberbefehl 
nieder. 

Auch auf den anderen Kriegsſchauplätzen endete der Feldzug günftig. 
Die Ruſſen zogen fid) bald nach der Schlacht bei Großjägersdorf wieder 
aus Preußen zurüd, und der Feldmarſchall Lehwald wurde nun ander- 
wärt3 verwendbar; er ging mit feinem Heinen Heere nad) Pommern und 
vertrieb dort die Schweden, eroberte ſogar Schwediich- Vorpommern bis 
auf Stralfund und Rügen. Nod) wichtiger war der Umfchlag, den die 
Kriegsangelegenheiten in Hannover erhielten. Der König Georg II. bes 
ftätigte den ſchimpflichen Vertrag von Klofter Zeven nicht, beſchloß viel- 
mehr den Krieg fortzufeßen und wurde darin von feinem großen Minifter 
Pitt aufs Fräftigfte unterftügt. Pitt ſah ein, wollte England feinen 
Krieg gegen die bourboniſchen Mächte mit Erfolg führen, fo mußte es 
ihm zu Lande eine befjere Wendung geben; Amerika, das war Pitts An- 
ficht, mußte in Deutſchland erobert werben. Auch hielt er es für „uns 
ehrenhaft, ben wundervollen Mann zu Grunde gehen zu laffen, welcher 
Englands Bundesgenofje und gegen feine Abſicht und Erwartung durch 
feinen Anſchluß an England in eine fo gefährliche Lage gefommen jei. 
Friedrich ftehe da als das unerjchütterte Bollwerk Europas wider die 
mädhtigfte und boshaftefte Verbindung, die jemals die Unabhängigkeit 
der Menſchen bedrohte, und fei — was für England das Wichtigfte — 
allein noch im Stande, den Franzofen in Deutſchland die Spihe zu 
bieten.“ So dachte aud) das englifche Parlament. Georg II. erbat ſich 
daher von Friedrid dem Großen einen Feldherrn für das wiederherzu⸗ 
ftellende hannöverſche Bundesheer und zwar als folhen ihren beider» 
feitigen Verwandten, den bisher preußifchen General Prinz. Ferdinand 
von Braunfhweig.‘) Gem willigte Friedrich ein, und fo übernahm 
denn Yerbinand fofort den Dberbefehl über die von England beſoldeten 
Hannoveraner, Heſſen, Braunfchweiger und vereinigte fie mit englifchen 
und einigen preußifchen Hilfsſcharen zu einem neuen, tüchtigen Heere. 
Ferdinand war der befte, geeignetite Mann für diefen ſchwierigen Poſten 


9 Er war ein jüngerer Bruder der Königin Eltabeth, Gemahlin Friedrichs bes 
Großen, und am 12. Januar 1721 geboren. Geftorben iſt er am 3. April 1192. 


Ferdinand von Braunſchweig. 373 


als Befehlshaber eines fo gemijchten Heeres; er wußte mit feinem Takt 
die verfchiedenen Elemente, die e8 bildeten, jedes nad) feiner Natur zu 
behandeln, und feine Unparteilichfeit, feine Milde und Uneigennügigfeit 
. gewannen ihm rafch aller Herzen. Er beſaß Feldherrntalente, angeborene 
und in der Schule Friedrichs gebildete, und er hatte das Glück, mas 
ihm an foldyen noch etwa fehlte, in einem Gehilfen zu finden, der nichts 
fein wollte, als fein ungenanntes Werkzeug, Es war fein Privat 
jefretär Philipp Weftphalen*), ein militärifhes Genie, das bald bie 
Seele der Kriegführung Ferdinands wurde. Dem Prinzen war die Auf- 
gabe geftelt, Hannover zu ſchützen; es zeigte ſich bald, daß er noch mehr 
vermochte. 

Das Zahr 1757 Tief ab; wie reich an flaunenswerten Schaufpielen 
und Wechſelfällen war diefer ewig denkwürdige Feldzug gemefen! 700000 
Krieger der gebildetften und friegerifcheften Nationen der Welt auf deut⸗ 
{chem Boden in Waffen gegen einander; ein Bündnis faft aller Groß— 
mädjte gegen den einzigen Mamt, und es hatte ihm nichts anhaben 
können. Geine Staaten waren gerettet, Kurſachſen behauptet; im zahl- 
reichen Treffen und in fünf Hauptſchlachten hatten die Preußen glorreich 
mit der Übermacht gerungen und meiftens gefiegt. Friedrich hoffte, 
Marta Therefia werde nun zum Frieden neigen; aber fie beharrte um 
fo fefter bei ihrem Vorſatz, weil Elifabeth von Rußland und Ludwig XV. 
fortfuhren, die Kräfte ihrer Staaten der öfterreichifchen Politit zum Opfer 
zu bringen. Bon beiden Seiten wurde im Winter eifrig geräftet. Die 
Gegner Tonnten dies hei der Größe ihrer Staaten leichter; Friedrich er- 
hielt die erforderlichen Mittel nur durch den nachdrücklichſten Wirfeifer. 
Das Befte mußten natürlich feine eigenen Staaten leiften und thaten es 
aud) mit opferfreudiger Hingebung ; namentlid) Pommern und die Mark 
zeichneten fich dabei aus, wie fie denn auch bie tüchtigften Soldaten 
lieferten. Auch leifteten fie nicht bloß für die Feldarmee dag ihrige; nad) 
dem Borgange Bommernd wurde noch von den Ständen Magdeburgs, 
der Kurmark und Oftpreußens eine freiwillige Landwehr errichtet, die 
bejonders in Pommern ſich fehr nützlich machte. Sie hat dort unter 
Wedell und Belling aufs tapferfte gegen die Schweden und Rufſſen ge= 
fochten und höchſt wirffam die Feftungen geſchützt. . 

Aber der König durfte feine Völker nicht durch Überbürbung 
erſchöpfen; fie waren ohnehin ſchwer belaftet und litten durd) die Ver— 
wüftungen des Krieges viel. Deshalb erhöhte er die Steuern nicht, die 
bereits im Frieden auf Kriegshöhe geftanden hatten. „Wenn es fein 


9) Cr Sieb eigentlich Weftphal und war Sohn eines Poftneifters; 1764 wurde er 
geadelt. — Dal. über ihn die Einleitung zu feiner „Geſchichte der Feldzüge des Herzogs 
Ferdinand von Braunfhweig-Lüneburg“, Herausgegeben von feinem Entel &. d. Weitphaen, 
Berlin 1859. 


374 Der fiebenjährige Krieg. 
x 


muß“, meinte er, „will ich lieber feinblihes Land als meine armen 
Unterthanen treten." Er bebrüdte alſo die Feinde. 

Zu diefen gehörte teils offen, teils insgeheim aud) die katholiſche 
Geiſtlichkeit in Schlefien; fie erfuhr daher manche Härte. Doc) war der 
Drud, der fie traf, jehr unbedeutend gegen die ſchwere Laſt, melde " 
Sachſen, Anhalt, deſſen Regenten ſich zweideutig benommen, Mecklenburg⸗ 
Schwerin und überhaupt alle diejenigen Länder erbuldeten, die, gegen 
Friedrich verbündet, in feine Gewalt gerieten, und die er num lehrte, 
wie er fi) in feinem Berliniſch ausdrüdte, „menagements für einem 
großen Nachbarſtaate zu haben“. Denn die Not zwang ihn zu Maß— 
regeln, die er aus freien Stüden nie gethan hätte. Namentlich Sachſen 
mußte ihm die Mittel an Geld, Getreide, Pferden, Rekruten liefern, die 
nod) fehlten. Leipzig, welches ſchon 1756 eine halbe Million Thaler 
gezahlt, mußte jeßt wieberum 900000 Thaler entrichten. Ebenſo wur- 
den im Verhältnis die anderen Städte befteuert. Die Lieferungen von 
Kriegsbedürfnifien aller Art nahmen fein Ende; an 13000 Mann 
murden als Rekruten ausgehoben. Man berechnete fpäter, daß Friedrich 
während des fiebenjährigen Krieges im ganzen aus Sachſen mohl 
70000 Rekruten und an Kontributionen, Lieferungen von Lebensmitteln 
und anderm Bedarf 40 bis 50 Millionen Thaler gezogen habe.) Auch 
Medienburg-Schwerin mußte büßen, was fein Fürſt verbrochen. Der 
Herzog hatte vor allen eifrig auf die Achtserklärung gegen Friedrich ge— 
drungen; jetzt war er entflohen und ließ feine Unterthanen leiden. 
Friedrich hat aus dieſem Lande während des Krieges über acht Mil- 
lionen Thaler**) und 16000 Rekruten gezogen. Er hielt aber hier wie 
überall ftreng auf Ordnung, litt feine Erprefiung im Einzelnen, Teine 
Plünderung und machte den Drud erträglidy, indem er ihn auf das 
Ganze verteilte, während feine Feinde, wohin fie famen, eben fo ftart 
erpreßten, aber außerdem plünderten und unnüß zerftörten. Ein ſächſiſcher 
Schriftfteller jener Zeit bemerkt: „Das weiß id}, daß die Bedrückungen 
und Plünderungen der Öfterreiher und Reichstruppen in Sachſen alle 
Herzen von ihnen abwandten, und man öffentlich ſagte, man wolle 
lieber die ordentliche Laſt der Preußen als den beſchwerlichen Troft der 
Befreier tragen.“ Den übelften Ruf im Brennen und Sengen, Plün- 
dern und erftören hatten die Kroaten und Panduren; die Rufen und 
beſonders die Franzofen machten es faft noch fchlimmer, hauſten in der 
Regel barbariſch. Die Kriegführung der Preußen war im Vergleich da- 


) Berhältnismäßig mehr Hatte der Schwedenldnig Karl XIT., als er vom September 
1706 6i8 zum Eeptember 1707 Sachſen beiekt hielt, dieſem Lande entnommen, nämlid, in 
Geld und Geldeswert 23 Millionen Thaler und 12000 Retruten. Vehſe, Geh. d. Höfe 
d. Haufes Sachſen IV. 322. 

*) Boll, Geh. Medlenburgs II. 307. 


1758. 375 


mit milde und menſchlich zu nennen; bei ihren Einfällen in Feindesland 
begnügten fie fid) mit ftarfen Brandſchatzungen, die namentlich in den 
fränfifchen Bistümern durch preußiſche Parteigänger, wie den Oberſt 
Mayr, oft beigetrieben wurden. 

Ein anderes trauriges Mittel, wozu Friedrich die Umftände nötigten, 
war das Prägen leichten Geldes; das thaten auch andere deutſche Für- 
ften, die ſich nicht wie er mit der Not entſchuldigen konnten. 

Eine dritte ſehr ergiebige Hilfsquelle floß ihm aus feinem Bündnis 
mit England. Hier hatte der Sieg bei Roßbach ungeheuren Jubel er- 
regt; das ganze englifhe Wolf erglühte voll Bewunderung für ben 
großen König; es feierte ihr wie einen Abgott, diefen Helden des Pro- 
teftantismus, wie ihn Pitt nannte. Mit Freuden bemilligte das Parla- 
ment im April 1758 die Erneuerung des Bundes dahin, daß England 
nicht nur die Befoldung des hannöverſchen Heeres übernahm, fondern 
aud an Friedrich für die Dauer des Krieges jährlid, ein Hilfsgeld von 
670.000 Pfund Sterling (4'/, Million Thaler) zahlte. 

Durch raftlofe Thätigkeit hatte Friedrich im Winter 1757/58 die 
Lücken in feinem Heere ausgefüllt. Er ſetzte feinen Feinden, die im 
ganzen Diesmal 316 000 Streiter aufitellten, 175 000 Mann Feldtruppen 
entgegen; darunter war das hannöverfche Heer von anfangs nur 30 000 
Mann, welches Prinz Ferdinand befehligte. Der letztere eröffnete ben 
Feldzug. Mitte Februars überfiel er die Franzoſen, die unter dem 
Oberbefehl des Grafen Clermont, von Goslar bis zur Ems zerftreut, 
im Winterquartier lagen. Sie leifteten nirgends wirkſamen Widerftand, 
fondern zogen ſich mit großem Verluſt bis über den Rhein zurüd. Fer— 
dinand ließ ihnen aud) dort feine Ruhe, ging über den Fluß, griff am 
23. Zuni bei Krefeld mit 33000 Mann Elermonts 47000 an und 
ſchlug fie aufs Haupt. Auch Elermonts Nachfolger, Contades, und ein 
anderes franzöſiſches Heer, daS unter Soubiſe am Main ftand, richteten 
nichts aus. Weftfalen bis zum Rhein, Niederſachſen und Heflen bis zur 
Lahn blieben von ihnen befreit. 

Unterbefien hatten Die Preußen Schweidnig wieber erobert (17. April) 
und waren dann durch Oberſchleſien in Mähren eingefallen, um Olmüß 
zu belagern. Dieje ſtarke Feftung ließ ſich aber mit jo unzureichenden 
Mitteln, als Friedrich gegen fie zur Hand.hatte, nicht einnehmen, und 
das dfterreichifche Heer unter Daun und Laudon gewann Zeit, das 
preußijche Lager fo zu umftellen, daß die Zufuhr aus Oberjchlefien ab- 
gefehnitten wurde. Der König fah fid) (am 1. Zuli) zum Rückzuge ge 
nötigt; er war in der fchwierigften Lage, ohne Schießbebarf und Lebens- 
mittel einem überlegenen Feinde gegenüber, der alle Päfle aus Mähren 
nad Schlefien verfperrte und ſicher hoffte, ihn auf dem Marſch durd) 
das gebirgige Land zu vernichten. Was Friedrich rettete, war wieder die 


376 Der fiebenjährige Krieg. 


Erfindfamteit und die Stärke feines Geiftes. Er ſchlug plötzlich den 
Weg nad) Böhmen ein, gewann dadurch einen Vorfprung, und als nun 
Daun folgte, Laudon von der einen, bie leichte öſterreichiſche Reitere 
von allen Seiten drängte, ſchlängelte er fi), immer zum Fechten bereit, 
durch meifterhafte Wendungen Schritt vor Schritt durch Feinde und 
Hohlwege, über Berg und Thal, famt feinem unermeßlichen Wagenzug 
unbefhädigt hindurch. So fam er am 9. Auguft glücklich über Königin- 
gräß und Friedland nad) Landshut in Schlefien und brachte alle feine 
4000 Wagen, Geihüb und Gepäd, Kranken und Verwundeten 
wohlbehalten heim. Ein Rückzug, der hochberühmt ift in der Kriegs— 
geſchichte. 

Der König wandte ſich nun gegen einen Feind, der ihm bisher 
noch nicht vor die Augen gekommen war, die Rufen. Im Januar 
bereit8 waren fie, diesmal befehligt vom Grafen Fermor, wieder in 
DOftpreußen eingerüdt; doch behandelten fie das Land jet mit etwas 
mehr Schonung, weil fie e8 bereit3 als einen Zeil ihres Reiches betrad)- 
teten. Auch mußten die Stände fofort — am 24. Januar (alfo am 
Geburtstage des Königs!) — in Königsberg der ruffifchen Kaiſerin den 
Huldigungseid leiſten. Daß fie es thaten, daß manche, in denen nod) 
der Geift Kaldfteins und Rodes ſich regen mochte, e3 fogar anſcheinend 
gern thaten, hat Friedrich der Provinz nie vergefien; er hat Beit feines 
Xebens Oftpreußen mit feinem Fuße mehr betreten. Vier Jahre lang, 
big zum Frühling 1762, hat die Provinz unter dem ruſſiſchen Doppel= 
adler geftanden. Das Volk fügte fi) ımter die neue Herrichaft, 
weil e8 eben mußte; aber immer erfehnte es ben Augenblick der Be— 
freiumg*). 

Nachdem Fermor von Dftpreußen im Namen Eliſabeths Befig er— 
griffen, zog er langſam und planlos durch das polnifche Weftpreußen, 
wo ihm nur Danzig die Thore ſchloß, der Dder zu. Anfangs Auguft 
fielen feine Horden wie ein Heuſchreckenſchwarm auf die Neumark. Sie 
verübten hier die furchtbarften Greuel; namentlich die Koſaken und Kal 
müden plünderten, fengten, marterten, ſchändeten, mordeten ohne Unter 
ſchied des Alters und Geſchlechts, verbrannten eine Unzahl Dörfer und 


) Ein Prediger in Tollmingkemen erhielt, wie bie andern Geiftlichen der Provinz, 
dem Befehl, ein großes ruffifces Weit zu feiern; er that e8 in folgender Weije: „Mir Ift*, 
fprad) er, nochdem er die Kumzel beftiegen, „mir ift befohfen den heiligen alerander zu 
jeiern. Es mag ein guter Mann geweien fein; allein ich kenne ihn nidt und ihr kenut 
ihn nicht. Deshalb Laffet uns, lieben Brüder, die Gtelle der Heiligen Schrift 2. Timoth. 4, 
2. 14: „„Wegander der Schmied Hat mir viel Bdfes bewieſen, der Herr bezahle ihm nad 
feinen Werten⸗ · zum Tert fir unfere Heutige Betragtung nehmen.” (J. D. €. Preub, 
Seiebrih d. Gr. 2. Aufl. Berlin 1837, I. 272.) Diefer tahne Prediger war ber als 
nũtauiſcher Dichter berühmte Donaleitis. 


. Bornborf. 377 


die Stadt Küftrin, da fie die Feſtung, welche der Oberft Schad von 
Wuthenow aufs tapferfte verteidigte, nicht zu erobern vermochten. In— 
grimmig eilte Friedrich von Schlefien herbei, dieſe Wilden zu zlchtigen 
und fein Land vor gänzlihem Ruin zu retten. Am 12. Auguft fchrieb 
er aus Liegnitz an den General Grafen Dohna, der jenfeit der Ober 
Iommandirte und zu ſchwach geweſen war, die Neumark zu retten. „Wir 
müffen nun anfangen die Ruſſen tüchtig abzuprügeln, und wenn Ihr 
über die Oder gehet, fo jaget allen Euren Offizieren: Meine Devife wäre 
fiegen oder fterben, und derjenige, welcher nicht jo bächte, möchte dies= 
feitS bleiben und könnte ſich zum Teufel fcheren." Am 22. Auguft war 
er bei Küftrin, wo er fi) mit den Truppen Dohnas vereinigte. Diefe, 
meift oftpreußifche Regimenter, fahen beffer aus, als die feinigen, hatten 
aber auch nichts geleiftet; „meine fehen aus wie die Grasteufel“, fagte 
Friedrich, „aber fie beißen.“ 

Fermor ftellte nun fein Heer, 52000 Mann, bei Borndorf (nörd⸗ 
lich vom Einfluß der Warthe in die Oder) auf. Mit 32000 griff ihn 
Friedrich) am Freitag den 25. Auguft Morgens 9 Uhr an. Er befahl, 
feine Gnade zu geben, fondern die Barbaren famt und ſonders nieder 
zumachen; doch verachtete er den Feind zu ſehr, wenn er auf einen 
leichten Sieg hoffte. Einige preußifhe Bataillone wurden anfangs fo- 
gar zurüdgetrieben. Aber Seydlig mit der Reiterei leiftete hier wieder 
Großes; feinem Anfturm erlag erft die Kavallerie, dann die Infanterie 
des Feindes; gegen Mittag war der ruffiiche rechte Flügel teils nieder- 
gehauen, teils in Moräfte gedrängt, wobei es ſich zeigte, daß die Ruffen 
Teichter zu befiegen als vom Felde zu treiben waren. Sie ftanden wie 
die Mauern und ließen ſich ftumpffinnig abſchlachten. Auch auf dem 
anderen Flügel — wo Dohnas Negimenter zum großen Teil die Flucht 
ergriffen — rettete der Scharfblick und die Entſchloſſenheit des tapfern 
Seydlitz die Schlacht; mit 61 Schwadronen, welche jeit 12 Stunden im 
Sattel waren, ftürzte er fid) auch dort auf die ruſſiſche Reiterei und 
warf fie auf ihr Fußvolk, bis der Feind um 8, Uhr Abends vom 
Schiachtfelde wich. Mangel an Schießbedarf hinderte die Sieger, ihn zu 
vernichten. Doch war das Morden jo wütend geweien, daß dieſe Schlacht 
zu ben blutigften gehört, die je gefochten wurden; bie Rufen verloren 
an. Toten und Verwundeten 18000 Mann, die Preußen 10000. er: 
mor, der die Brücken über die Mützel abgebrochen fand, blieb nots 
gedrungen an dieſem Flüßchen ftehen, bis er eine andere Rüdzugslinie 
gefunden hatte; in der darauf folgenden Nacht zog er fi unbemerkt 
norbwärts ab und ging langfam durch Hinterpommern nad) Polen zus 
rüd. Friedrich mußte ihn entkommen laffen, weil feine Reiterei zu ab» 
gemattet war und die Infanterie feine Munition mehr hatte, Übrigens 


378 Der fiebenjährige Krieg. 


rief ihn die Bebrängnis feines Bruders Heinrich), den er als Wächter 
Sachſens zurücgelaffen, dorthin. 

Diefer Prinz”), der an Talent wie an feiner Geiftesbilbung dem 
Könige nahe fam, war unter allen Generalen gerade für einen Ber- 
teidigungsfrieg am meiften befähigt; denn er befaß eine ungemeine 
Geſchicklichkeit, fich felbft feine Blöße zu geben, aber die Blößen des 
Gegners zu benußen. So ergänzten die Brüder einander, der jüngere 
mit feiner Augen Umficht, vorfichtigen Beſonnenheit; der ältere mit feiner 
kühn andringenden Willenskraft und gewaltigen Lebendigkeit. Den gan— 
zen Sommer hinburd hatte Prinz Heinrich mit einem fleinen Heere 
Sachſen glüdlid) gebedt; es zog fi mun aber eine zu große Übermadit, 
das Hauptheer der Ofterreicher unter Daun und das neugebildete Reichg- 
heer unter dem Prinzen von Bweibrüden, gegen ihn zufammen und 
drohte ihn in feinem Lager bei Dresden von vorn und im Rüden an— 
zugreifen. Auf die Kunde von Friedrichs eiliger Armäherung aber wid) 
Daun fofort in ein feftes Lager bei Stolpen zurüd und beichränfte ſich 
feinerfeit8 auf die Defenfive, die er mit gewohnter Behutfamteit führte. 
DVergebens fuchte ihn der König zu einer Schlacht herauszuloden; jener 
folgte ihm zwar, wie er öftlid) in die Lauſitz ablenkte, aber ftets auf den 
Bergen in unangreifbaren Stellungen. 

Hier beging nun der König die Unvorfichtigkeit, dicht vor dem hoch⸗ 
gelegenen öfterreichifchen Lager bei Hochkirch (unfern Bauten) am Norb- 
abhange des laufiger Gebirges, in einer fo gefährdeten Stellung, daß 
alle Generale widerſprachen, ein Lager zu beziehen, und hielt eigenfinnig 
daran feit; er veradjtete den Yeind, der doch doppelt jo zahlreich war 
(60 000 gegen 30.000), und meinte, Daun würde auch jegt nicht wagen, 
ihm anzugreifen. Aber auf Antrieb feines Unterfeldherrn, General 
Lascy, entſchloß ſich Daun wirklich die Gunſt der Umftände zu benußen. 
In der Nacht vom 13. zum 14. Dftober brad) er mit feinem Heere in 
aller Stille gegen das preußiſche Lager auf, wo Friedrich mit feinen 
Kriegern ſorglos ſchlief. Raſch waren die Wachen überwältigt, bie 
Oſterreicher ſtanden mitten im Lager, fielen über die Schlaftrunfenen 
her und richteten auf die Preußen deren eigene Geſchütze. Nur Bieten 
mit feinem Hufarenregiment wurde nicht überrumpelt, er hatte vorſich⸗ 
tiger Weife nicht wie die andern abjatteln lafſen und griff nun tapfer 
an. Defto volftändiger war bie Überrafdjung bei allen übrigen Truppen- 
teilen. Aber jeßt bewährte fi) wieder bie preußifhe Mannszucht. 
In diefer entjeglichen Not wäre gänzlicher Untergang das Los jedes 
andern Heeres geweſen; denn was halfen bier Mut und Tapferkeit? 


9 Geboren am 18. Januar 1726 zu Berlin, geftorben am 3. Huguft 1802 zu 
Rheinsberg. 


Hochtirch. 379 


aber die Mannszucht half. Kaum hatte das Kriegsgeichrei ſich durch 
das Lager verbreitet, jo fprangen die Soldaten halb nadt aus den Zel- 
ten heraus; in der dichten Finfternis der Nacht ergriffen fie ihre Waffen, 
ftellten fi in Reih und Glied. In wenig Augenblicden ftand ber größte 
Teil des Fußvolls und der Reiterei in Schlachtorbnung, warf auch 
hie und da den Feind zurück. Stundenlang wittete ber erbitterte Kampf 
Mann gegen Mann. Bmweimal eroberten und verloren die Bataillone 
Keiths die große Batterie mitten im Lager, welche die Preußen, wie fie 
zu den Fahnen eilten, reihenweife zu Boden ftredte. Hier fiel Keith, 
fiel Prinz Franz von Braunfchweig, ein Schwager des Könige. Von 
vom und im Rücken angegriffen, mußten die Preußen diefen Schlüffel 
ihrer Stellung, fowie das in Brand geratene Dorf Hochkirch aufgeben. 
Nur den Kirchhof verteidigte der Major v. Lange, ein zweiter Leonidas, 
gegen alle Angriffe einer achtfachen Übermacht. Ebenſo Bielt Major 
v. Möllendorf einen Hohlweg beim Dorfe Drefa. Um 7 Uhr Morgens 
zerteilte fid) der Nebel, der bisher das Gewühl von Fremd und Feind 
bedeckte. Friedrich, der gleich allen andern fi) dem ftärkften Teuer aus— 
gejeßt hatte, befahl nım ruhig ımd gefaßt den Rückzug; das Heer mar- 
ſchirte in größter Ordnung ab und ftellte fich eine Meile vom Schladht- 
felde wieder in Schlahtordnung auf. Daun aber verichanzte ſich in 
feinem Lager und ließ den ambrofianifchen Lobgefang anftimmen. Ihm 
waren 6000 Mann tot oder verwundet und 1000 gefangen; die Preußen 
dagegen hatten 9000 Mann au Toten, Verwundeten und Gefangenen 
und 101 Geſchütze verloren, dazu zwei ihrer beften Generale, nämlich 
Keith, der gefallen war, und Morik von Deſſau, der eine Verwundung 
erlitten ‚hatte, an welcher er (1760) ftarb. 

Friedrich, nie größer als nach einen Unfall, weil dann die ganze 
Stärke feines Charakters und die Vielgewandtheit feines Geiftes ins 
Mittel traten, machte alle Pläne zunicht, die Daun auf feinen Sieg 
bauen konnte. Diefer hatte gehofft, ihn von Schleſien, wo ein öfter 
reichiſches Heer Neiße belagerte, abzuhalten, und während Laudon dieſe 
Provinz erobere, felbft ganz Sachſen zu befegen. Daraus wurde nichts. 
Friedrich kam ihm durd) Gewaltmäride im Bogen um Görlik zuvor, 
ließ bei Hirfchberg den Prinzen Heinrich gegen ihn zurüd und gelangte 
glüctih nad) Neiße, deffen Belagerung mun aufgehoben werden mußte. 
Nachdem er Schlefien vom Feinde gejäubert, eilte er dann raſch wieder 
nach Sachſen, wohin mittlerweile Daun marſchirt war, und befreite auch 
dieſes Land. Die Öfterreicher gingen darauf in die Winterquartiere nad) 
Böhmen und Mähren; und der einzige Gewinn, den Daun von dem 
Überfall bei Hochtirch zog, war ber geweihte Hut und Degen, welchen 
ihm der Papſt für den Sieg über die Ketzer jchentte. 

Ebenſo wenig glücte e8 den Ruffen und Schweden; jene waren im 


380 Der fiebenjährige Krieg. 


Oktober wieder in Pommern eingebrochen und belagerten Kolberg, Tonnten 
es aber nicht nehmen und kehrten nad) entjeglichen Verwüſtungen wieder 
in ihre Quartiere in Polen zurüd, Die Schweden aber, die nun auch 
wie Räuberbanden den Krieg führten, wurden von Dohna mit leichter 
Mühe aus der Uckermark nad) Stralfund zurücgefcheucht. Am Ende des 
Feldzugs ftand man auf dem alten Fleck. Friedrich war immer noch 
unbefiegt; man hatte ihm weder Schlefien noch Sachſen entreißen können, 
und für Oftpreußen und Kleve fand er reichen Erfah in Sadjfen, Meck— 
lenburg, Schwebifc-PBommern, Anhalt und Weſtfalen. 

Alle Teilnehmer biefes vermüftenden Krieges waren geneigt zum 
Frieden, nur Maria Therefia nicht. Eben hatte fie vom Papft (Kle- 
mens XIII.) für ihre Verdienſte gegen ben Ketzerkönig den Titel „Apo- 
ſtoliſche Königin“ erhalten. Aber fie bedurfte dieſes neuen Anſporns 
nicht einmal; denn fie war überzeugt, Die Übermadht müffe enblid) ob- 
fiegen. Sie wendete daher alles an, um den Kriegseifer ihrer Verbün— 
deten meu zu beleben. Dies gelang ihr auch. In Frankreich fah zwar 
jedermann außer dem Könige, der ganz in den Händen feiner Umgebung 
war, das DVerkehrte einer Politif ein, die Frankreichs Kräfte in Habs- 
burgs Dienft vergeudete; e8 wurde in Paris fogar Mode, den König 
von Preußen zu bewundern; aber der Hof beharrte in feinem blinden 
Haffe, und die Nation hatte damals nur zu gehorchen. Ähnlich ftand es 
in Rußland, defien Staatsmänner und Feldherren nicht viel Luft hatten 
für Ofterreich zu kämpfen, auch vorausfahen, daß nad) dem Tode der 
Kaiferin Elifabeth, welcher bei ihrer Trunkſucht und fonftigen Lieberlich- 
feit nicht fern fchien, Die Politif des Staates ſich völlig ändern würde. 
Indefien Maria Therefia beſtach die ruffifchen Großen und gewähr- 
Teiftete dem ruſſiſchen Staate überdies ben Beſitz Dftpreußens. Sie 
befoldete auch mehrere deutſche Reichsfürſten; andere wurben, wie die 
Schweden, von Frankreich erfauft. Kurz, der große Bund blieb beftehen. 
Er ſchickte im Frühling 1759 zufammen 350 000 Mann ins Feld, näm— 
lich 109000 Öfterreicher, 76000 Auffen, 12000 Schweden, 28 000 
Mann Reichstruppen, 10000 von Frankreich) befoldete Sachſen und 
115000 Franzoſen. Dagegen Tonnte Friedrich mit der äußerften An- 
ſpannung feiner Kräfte und bei härtefter Bedrückung der eroberten 
Lander nur 130 000 Mann eigener Truppen aufftellen, während das Heer 
des Prinzen Ferdinand auf 75000 Mann gebracht wurde. Dieje Un- 
gleichheit der Zahl war befto gefährlicher, weil ſich im preußifchen Heere 
bereit8 ein fühlbarer Mangel an tüchtigen Offizieren und alten Soldaten 
zeigte. Die überall zufammengebrachten Werblinge konnten troß der Be— 
geifterung, weldye Friedrich bei feinen Soldaten erregte, doch die Kern- 
truppen nicht erjeßen, die auf jo vielen Schladhtfeldern verfcharrt Tagen; 
nod) weniger waren die mit Gewalt in Feindesland Ausgehobenen ein 


Minden. 381 


guter Erfaß für die Preußen. Andrerjeits hatten die Feinde, namentlich 
die Ruſſen und Öfterreicher, in diefem Kriege viel gelernt und nahmen 
an Kriegstüchtigkeit zu, während es ihnen an Refruten nie gebrach. 

Ferdinand von Braunſchweig eröffnete aud) Diesmal den Feldzug. 
Er griff am 13. April 1759 das franzöſiſche Heer Broglies bei Bergen 
(in der Nähe von Frankfurt a. M.) an, wurde zwar zurückgeſchlagen, 
hinderte aber die Fortſchritte der feindlichen Hauptmacht unter Contades 
und nötigte fie durch geſchickte Wahl der Stellungen, an der Wefer eine 
Schlacht anzunehmen, in der er fie vollftändig befiegte. Diefe Schlacht, 
am 1. Auguft bei Minden 45000 Franzofen von 37 000 Verbündeten 
geliefert, wurde vornehmlich durd) die Tapferfeit de3 englifhen, hannö— 
verſchen und Heffiichen Fußvolf3 gewonnen, welches binnen zwei Stunden 
drei Schlachtreihen feindlicder Reiterei und das Zentrum des Gegners 
durchbrach. Die Franzofen verloren dabei über 7000 Mann und wären 
ganz vernichtet worden, hätte nicht der englifche Reitergeneral Lord 
Sadville fid) feige und Eopflos benommen. Sie mußten num nicht bloß 
ihre Entwürfe auf Weftfalen und Hefien fahren lafien, jondern auch bis 
zum Schluffe des Jahres fi) wieder über den Main und Rhein zurüde 
ziehen. 

Während Ferdinand von Braunſchweig im weſtlichen Deutſchland fo 
glücklich und ruhmvoll kämpfte, ging es den Preußen im Oſten ſehr ſchlecht. 
Es kam darauf an, auch diesmal die Vereinigung der ruſſiſchen und öfter 
reichiſchen Heere zu verhindern, nad) welcher Maria Therefias Feldherren 
in den vorigen Feldzügen vergebens geftrebt hatten. Friedrich fandte 
daher den General v. Wedel mit unbedingter Vollmacht, gleichſam als 
Diktator, zu den preußifchen Truppen, die zwiſchen Dder und Warthe 
den aus Poſen heranziehenden Ruffen gegenüber ftanden. Er follte den 
Feind aufhalten, während der König jelbft von Sachſen aus den Ofter- 
reichern Schach biete. Aber Wedel, obwohl wegen feiner ftürmifchen 
Tapferkeit ein Liebling Friedrichs, zeigte ſich als Feldherr ungeſchickt 
und einſichtslos. Mit feinem kleinen Heere von 28000 Mann griff er 
am 23. Zuli die ruffifche Hauptmacht, 72 000 Mann, die unter Soltitow 
bei dem Dorfe Kay (unfern Züllichau) fehr vorteilhaft aufgeftellt war, 
ungeftüm an, wurde aber, jo tapfer feine Truppen aud) kämpften, von 
der Überzahl zurückgeſchlagen, und jet war die Bereinigung Soltitows 
mit dem öflerreichijchen Heere, welches der Kroatengeneral Laubdon*) eilig 
durch die Lauſitz berbeiführte, nicht mehr abzuwenden; fie erfolgte am 


) €o, ober auch Laudohn, ſchrieb er felbft feinen Namen. Er war aus Liefland, 
aus einer Familie, bie bort urfprünglid; ans Großbritannien eingewanbert unb mit ber 
ſchotiiichen Familie Zoubon verwandt geweſen fein fol. Val. Wraxall, memoirs of the 
eourts of Berlin, Dresden cet. 1799, I. 839. 


382 Der fiebenjährige Krieg. 


3. Auguft; das verbündete Heer verſchanzte ſich, 88000 Dann ftark, am 
rechten Dderufer bei Frankfurt. 

Sofort verließ der König Sachſen, übergab Schlefiens Wacht feinem 
Bruder Heinrich und eilte mit dem Kerne feines Heeres nad) der Neumark. 
Am 12. Auguft führte er dasſelbe (48000 Mann) gegen die Höhen 
zwiſchen Srankfurt und Kunersdorf, auf denen das faft doppelt jo 
zahlreiche ruffifch = öfterreichtiche Heer gelagert war. Schon hatten die 
Preußen durd) das Kartätjchenfener hindurch und über die meiften Höhen 
und Batterien hinweg, vor denen fie taufende ihrer Brüber, darunter 
auch den Dichter Major Ewald von Kleift, gelaflen, den ganzen linfen 
ruffifchen Flügel bezwungen und mehr als 80 Kanonen erobert; ihr Sieg 
war gewiß, wenn ber König inne hielt. Dem die Truppen, erſchöpft 
von einem Eilmarſch von 6 Meilen, von einem vielftändigen Kampf in 
größter Sonnenglut, und gelihtet durch den Kugelhagel, konnten zwar 
den Gegner befiegen, aber nicht vernichten. Doc) eben biejes verlangte 
der König; er ſchnitt felbft den ſchon flüchtenden Ruſſen bie Rüdzugs- 
linie ab und befahl einen meuen Angriff. Das brachte die Ruffen zur 
Verzweiflung; vom Terrain unterftügt, wehrten fie den letzten Anfall ab, 
und Laudons frifche Truppen, die im entſcheidenden Augenblicke den er- 
matteten Preußen in die Geite fielen, neigte die Schale völlig. Todes« 
müde erliegt das preußiſche Heer, gerät in Unordnung, in Flucht. Um— 
fonft ſucht fie der König zu ſammeln, der unerſchüttert im ftärkften Feuer 
ausgehalten. Bwei Pferde wurden unter ihm erichoffen, und nur ein 
goldenes Etui hielt eine Musketenkugel ab, die ihn ſelbſt erreichte. Ver— 
zweiflungsvoll rief er: „Kann mich denn keine verwünſchte Kugel treffen?“ 
Ein Rittmeifter v. Prittwitz riß ihn emdlid) aus dem Gewühl heraus und 
vettete ihn vor der Gefangenſchaft. Er war wie betäubt, hielt alles für 
verloren. In ber That, es war ein furchtbarer Schlag. Die Preußen 
büßten bier 17 000 Mann an Totert und Verwundeten und 1400 an Ge— 
fangenen ein; ihr Heer war faft aufgelöft. 

Auch die Ruſſen und Ofterreicher hatten 16 000 Tote und Verwun⸗ 
dete; aber wenn fie ihren Sieg bemußten, wie ſchlimm ftand es dann um 
Preußen! Doch zum Glüd war dies eben einer ber Unterfchiede zwiſchen 
Friedrich dem Großen ımd feinen Gegnern, daß er Siege zu benußen 
verftand, und fie nicht. Soltikow fchrieb feiner Kaiferin: „Noch einen 
ſolchen Sieg, und ich bringe dir die Botſchaft davon mit dem Stabe in 
der Hand allein.“ Er meinte übrigens nicht mit Unrecht, die Auffen 
hätten genug geleiftet; Daun müſſe nun feinerfeitS aud) etwas thun. Da 
Dies nicht geſchah, fo blieb er ebenfalls unthätig, und Friedrich gewann 
Zeit, ſich wieber aufzurichten. Schon wenige Tage nad) der fürdjterlichen 
Niederlage war er wieder ganz der alte, voll Gelbftvertrauen und That» 
Traft, entjchlofjen mit den gefammelten Trümmern feines Heeres diesſeit 


Kunerdorf. Magen. 383 


der Oder eine neue Schlacht zu wagen. „Ich will mich den Feinden in 
den Weg ftellen”, jchrieb er am 16. an d’Argens, „und mic, töten laffen, 
um meine Hauptftadt zu reiten. Wenn ich mehr als ein Leben hätte, ich 
würde es für mein Vaterland opfern.“ Die Feinde rüdten aber wicht 
vor, und er fonnte von allen Seiten, aus Pommern, Sadjjen, felbft vom 
Heere des Brinzen Ferdinand Verftärfungen an ſich ziehen, Geſchütze aus 
feinen Feftungen kommen laſſen, kurz fein Heer wieder in guten Stand 
feßen. Im September gingen die Ruſſen enblic nad) Niederjchlefien, 
wichen aber dem Könige, der ihnen folgte und hier eine Schlacht anbot, 
aus und Tehrten im Dftober nad) Polen zurüd, weil auch Daun aus der 
Lauſitz wieder nach Sachſen zurücgegangen war. 

Eben bier trafen den König noch fehr empfindliche Verlufte. Nach 
der funersdorfer Schlacht hatte er dem Befehlshaber von Dresden, bem 
‚General v. Schmettau die Weifung erteilt, im Außerften Notfall, jedoch) 
unter günftigen Bedingungen die Stadt zu räumen. Als nun Schmettau, 
der zur Berteidigung der großen Stadt nur über 5000 Mann unſicherer 
Truppen verfügte, von Haddik mit 28000 OÖfterreichern und Reichs— 
foldaten belagert wurde, übergab er am 9. September die Stabt gegen 
freien Abzug der Befagung. Auch die Vorräte und die Kriegstafie von 
5, Million Thaler rettete er dem Könige. Die Umftände hatten fich 
aber für diefen inzwijchen fo viel günftiger geftaltet, daß er über. Schmet- 
taus allzu eilfertige Befolgung feines Befehls jehr ungehalten war. Das 
Übrige Sachſen wurde durd) die Tapferkeit des Generals v. Wunſch, der 
die Reichötruppen und Haddik abwehrte, und beſonders durch die vor⸗ 
trefflichen Maßregeln des Prinzen Heinrich, der Dam durch meifterhafte 
Bewegungen bei Dresden fefthielt, für den König behauptet. Diefe 
Xeiftung des Prinzen war um fo banfenswerter, al& er Damals körperlich 
— an Gicht und Hämorrhoiden — viel litt und feine Seele voll trübfter 
Beſorgniſſe vor der Zukunft war. Auch der König war zu biefer Zeit, 
wie fehr oft während des Krieges, krank. Er hatte bie Gicht in der 
linken Hand, im Knie und rechten Fuß, außerdem bag Fieber. Nichts- 
deſtoweniger läßt er fi) Ende Dftober in diefem Yuftande von zwei 
Soldaten in einer Sänfte von Sophienthal in Schlefſien nah, Sachſen 
fchleppen und erjcheint mit feinem Heere im Fluge vor Meiben! Als er 
im Sachſen ankam, war ihm bier noch nicht genug gefchehen; Die Ofter- 
reicher follten auf der Stelle genötigt werden, nad Böhmen zurückzu⸗ 
gehen, umd er ſchickte daher den General von Fink mit 13000 Mann 
in Dauns Rüden. Fink aber ließ fi in feiner allerdings fehr un- 
günftigen Stellung im Gebirge bei Maren, fübweftlid von Pirna, von 
Daun, ber ihn mit 36000 Mann Öfterreicher und Reichstruppen um- 
ftellte, einfehließen und gab ſich nad) kurzem Kampfe gefangen (21. No» 
vember). Ein preußijches Kriegsgericht verurteilte Fink dafür zu ein 


384 Der fiebenjährige Krieg. 


jähriger Feftungsftrafe. Am 3. Dezember überwältigten die Öfterreiher 
nod) eine andere preußifche Heeresabteilung, 1400 Mann unter dem 
General Dieride, bei Meißen und zwangen fie troß heftigen Wider 
Standes zur Ergebung. Dresden mit feiner Umgebung konnte nun nicht 
wieder gewonnen werben; es war vergebens, daß Friedrich mitten im 
ftrengen Winter Dauns Heer gegenüber bei Wilsdruf ein Lager bezog; 
beide Zeile litten fehr von der Kälte, ohne etwas auszurichten; Friedrich 
mußte fid) begnügen, daß das ganze übrige Sachſen in feiner Gewalt 
verblieb. 

So endete ber Feldzug doch weit weniger nachteilig, als man nad) 
der funersdorfer Schlacht erwarten mußte. Allein Friedrichs Macht 
beftand hauptſächlich in jeinen Heeren, feiner Perfon und feinem Geifte; 
nun war er felbft zwar troß förperlicher Leiden, troß der Gicht, die ihn 
marterte, troß des Ergrauens feiner Hare, des Ausfallens feiner Zähne 
nod) immer der ungebeugte Held voll fchnellfräftigiten Geiftes; aber bie 
Truppen waren jo arg gelichtet, daß ihre Vernichtung durch einen letzten 
Feldzug erwartet werden fonnte. Die Feinde rüfteten daher aufs neue 
mit altem Hafe, und im Frühling 1760 ftanden dem hannöverſchen 
Bundesheer von 75000 Mann wieder 115000 Franzoſen, dem Könige 
felber 130.000 Oſterreicher, 120000 Ruffen, 20000 Reichsſoldaten, 
10090 Schweden gegenüber. Diefen 280 000 Mann follte er mit 90.000 
die Spiße bieten; auch diefe Zahl hatte er wieder nur mit der größten 
Anftrengung, nur durd) härteften Drud, namentlich auf das unglückliche 
Sadjjen, erreicht. Die Lieferungen an Geld, Lebensmitteln, Pferden waren 
ungeheuer; der Drud fteigerte fi hier und in den anbern eroberten 
Ländern mit jedem Jahre. Aber was follte Friedrich; machen? Seine 
Gegner beherrfchten mehr als CO Millionen Menjchen*), er ſelbſt kaum 
fünf; überdies waren Kleve und Dftpreußen nicht in feiner Gewalt. Wollte 
er nicht untergehen, jo mußte er, was er in Händen hatte, unbarmherzig 
ausnützen. Es mangelte ihm denn auch nicht an Geld, er verftand es ſogar, 
immer über die Koften feiner Yeldzüge hinaus etwas übrig zu behalten. 
Sein Budget lautete jo: Preußen bringt für die Armee 4 Millionen 
Thaler auf, Sachfen und das übrige eroberte Gebiet 7, England, defien 
Gold mit Kupfer verjept wird, 8, das Münzregal 7, macht 26 Millionen; 
das Heer koftet 25 Millionen ; bleibt dem Könige noch 1 Million. Schwerer 
hielt es immer Die nötige Mannfchaft zu beſchaffen. Er überſchwemmte 
daher das ganze deutjche Reich mit feinen Werbern, die offen oder heim- 


) Rad meiner Sqhahung hatte damals Frankreich etwa 22 Millionen Einwohner 
Rußland 20, Öfterreic) 14, die wider Preußen ftehenden deutſchen Reichelander (mit Muse 
{hub von Kurfadhfen, weiches 1680 000 Einwohner zählte) zulammen 5%/,, das fhmeblice 
Reh 20. Millionen. 


1760. 385 


lich durch alle Mittel Menſchen zu erhafchen fuchten. Und der Ruhm der 
preußiſchen Waffen war fo groß, die Verheißungen der Werber fo lockend, 
daß gar viele aus Tranfen, Schwaben und vom Rhein jelbft ohne Hand⸗ 
geld kamen; andere wurden, bejonders in Sachſen, mit Gewalt ausge» 
hoben, aud) feindlicye Gefangene ohne weiteres ins preußifche Heer geftedkt. 

Wie kam e8 nun, daß ein ſolches Gemiſch zufanmengeraffter Re- 
fruten doch zu fo vorzüglichen Soldaten wurde und Thaten vollführte, 
die den nächſten Feldzug ruhmvoll machten wie je einen? es war nicht 
der Korporalftod‘, nicht die eiferne preußifche Mannszucht allein, die an 
ihnen jo Großes leiftete; fondern ein Edleres, Friedrichs begeifternde Per⸗ 
fönlichfeit und der Zauber friegerifcher Ehre, der um die ſchwarzweiße 
Sahne ſchwebte. Und dann, der Kern des Heeres war doch eingeboren, 
und was für ein trefflicher Geift bejeelte ihn! Die Veteranen, fo viele 
ihrer noch übrig waren, teilten ihren alten Spartanerfinn raſch den 
Neulingen mit. Die Bauernjungen, die in Pommern und Brandenburg 
vom Pfluge geholt wurden, die halberwachienen Kabetten, die Knaben 
der pommerfchen und märkiſchen Junker, die man zu Offizieren machte, 
weil ihre tapfern Väter und Brüder im Spital oder auf den Schlacht- 
feldern lagen, — wie ftritten fie alsbald fo wader; es war, als hätten 
fie ihr lebtage nichts anderes gethan als marſchiren und fechten! Wahr: 
lich, nicht Friedrich der Große allein, wie fpäter Napoleon verfleinernd 
fagte, fondern eben fo gut fein preußifches Volt hat den fiebenjährigen 
Krieg geführt und gewonnen. Er ftellte ben Geift, die Brandenburger 
und Pommern ftellten jene ſchlachtenfrohen Heldenſcharen ing Feld, die 
den anderen Preußen zum Mufter dienten. Auch die fremden Deutjchen 
in feinem Heere erfüllten fi) rafch mit preußifcher Gefinnumg. Für fie 
war Preußen das kriegeriſche Gemeinweſen deutſcher Nation, 
das ſich zu Deutſchlands Ruhm mit Franzoſen umd Rufen, mit Schweden 
und Ungarn, Kroaten und Panduren und allen den andern Slawen 
Öfterreihs herumſchlug. Wenn irgendwo, fo war Deutfchland damals 
im preußifchen Lager. 

Friedrich pflegte fonft ſelbſt den Feldzug zu beginnen; diesmal 
nötigte ihn die Heine Zahl feiner Streitmacht abzuwarten, was die Feinde 
tun würden. Sie begannen mit einem Angriff auf Schlefien; Laudon 
fiel mit 50 000 Mann in die Grafichaft Glatz ein und bedrohte von hier 
aus zugleich die Feftungen Glatz, Schweidnig und Breslau. Bon den 
Scharmägeln, die hierbei vorfielen, verdient eins erwähnt zu werben, weil 
es jo recht den Geiſt der preußifchen Truppen bezeichnet. Am 15. März 
1760 traf Laudon auf das pommerfche Infanterieregiment von Man— 
teuffel, welches auf dem Marjche von Neuftadt in Oberfchlefien nad 
Neiße begriffen war. Er wollte es abjchneiden und ließ es zu dieſem 
Zweck vorn von einem Dragoner-Regiment, hinten von einem Küraffier- 

Bierfon, preus. Geſchichte. L 26 


386 Der fiebenjährige Krieg. 


regiment, in der Seite von einem Hufarenregiment, im ganzen von 5000 
Reitern angreifen. Er bot ihm Kapitulation an, drohte und veriprach. 
Manteuffel führte den Laiferlichen Offizier vor die Front und teilte die 
Botſchaft mit: „Wir wollen eud) was... ... * war die Antwort der 
Pommern. Nun von allen Seiten im offenen Felde angefallen, ver⸗ 
teidigte fi) das Regiment Schritt vor Schritt vorwärts, zwei Meilen 
weit, biß es in Steinau im der Nähe von Neiße ankam. Hier fehrte 
Laudon endlich um, weil er zwiſchen zwei Feuer zu kommen fürdhtete. 
Das Gefecht hatte ihm 300 Mann, dem tapfern Regiment nur 140 
Mann gekoftet. 

Als Friedrich den Einfall der Öfterreiher in Schlefien erfuhr, be- 
fahl er von Sadjfen aus dem General Youqus, der mit 13000 Mann 
vor Breslau ftand, ben Feind wieder nad) Böhmen zurüczujagen; ein 
Auftrag, der bei jolhem Mißverhältnis der Kräfte Übermenfchliches ver- 
langte. Doch ging ber ritterfiche Fouqus dem Yeinde fofort auf den 
Leib; er wurde aber (am 23. Juni Morgens 2 Uhr) bei Landeshut 
von Laudon mit dreifacher Übermacht (31000 gegen 10000) von allen 
Seiten angegriffen und nad) ſechsſtündigem, verzweifeltem Kampfe über- 
mannt. Nur ein Meiner Teil ſchlug fid) durch; 3000 Preußen lagen tot 
oder verwundet, 4000 wurden gefangen, darunter aud) ber heldenmütige 
Fouqus, der, ſchwer verwundet, fein Leben nur der Treue feines Reit 
knechts Trautſchke verdankte. Fouqus machte hier wie überall feinen 
Namen de3 preußifchen Bayard wahr. Laudon aber beflecte feinen Sieg, 
der ihm übrigens auch 3000 Tote und Verwundete Toftete, durch barba= 
rifche Behandlung der wehrlofen Stabt Landeshut, wo die Öfterreicher 
auf ihres Feldherrn Erlaubnis nicht bloß plünderten, fondern aud), wür- 
dige Nachfolger der Tillyihen, die greulichften Schandthaten verübten. 
Nun fiel auch Glatz; der Kommandant d'O (der dafür Friegsrechtlich zum 
Tode verurteilt wurde) übergab diefe Feſtung faft ohne Schwertftreich, 
mutlos teils wegen der Schwäche ihrer Beſatzung, teils wegen der Ein- 
verftändniffe, welche Laudon mit den Zefuiten umd überhaupt mit den 
Katholiken in der Stadt unterhielt. 

Jetzt follte Prinz Heinrich Schlefien gegen bie Ruffen im Norboften 
und gegen die Öfterreicher im Südweſten ſchützen; er hielt wenigftens 
beide hin, entjegte Breslau, das vom General v. Tauenpien tapfer ver- 
teidigt wurde, und verhinderte überhaupt hier weitere Unfälle; bei feinen 
geringen Mitteln kein Meiner Erfolg. 

Der König fuchte inzwifchen Daun, der mit weit überlegenen Streit 
kräften in Sachſen ftand, zu einer Schlacht zu bewegen, was ihm jedoch 
nicht gelang. Auch die Belagerung von Dresden (14. bis 30. Juli) 
mißglücte, wenngleich da8 Bombardement in ber Stabt große Ver- 
heerungen anrichtete. Zuletzt entſchloß er fi), auf die Nachricht, die 


Liegnif. 387 


Auffen näherten fich Schleften wieder, jelbft dorthin zu gehen. Ein denf- 
würdiger Mari! Vor ihm z0g das öfterreichifhe Hauptheer unter 
Daun, begierig, Schlefien vor ihm zu erreichen und bie Vereinigung mit 
Laudon und Soltitow zu bewerfftelligen; hinter ihm Lascy mit einem 
andern öfterreihifchen Heere. Durch meifterhafte Bewegungen fam er zwar 
glücklich nad) Schlefien, aber bei Sauer vereinigten ſich alle öfterreichifchen 
Truppen, 100000 Mann; bei Neumarkt, nicht weit davon, ftanden 
20 000 Ruffen unter dem General Tſchernitſchew; dazwiſchen bei Liegnig 
Friedridy mit 30000 Mann. Die Öfterreicher gedachten, ihn hier wie 
in einer Falle zu fangen, mindeftens ein Geitenftüd zu Hochkirch zu 
liefern. Die Naht zum 15. Auguft heftimmten fie zu dem Überfall. 
Friedrich erhielt aber noch am Abend vorher Nachricht von dieſem Plane, 
verließ mit derfelben Heimlichfeit wie ber Feind fein Lager, ftellte fein 
Heer in der Nacht um 12 Uhr auf den Höhen in Schlachtordnung und 
erwartete den Feind. Es war eine ftille fternhele Sommernadjt. Die 
Soldaten lagerten mit dem Gewehr im Arm und unterhielten ſich durch 
Erzählungen; die Offiziere gingen Tpazieren, die Generale ritten beobach⸗ 
tend umher. Der König — 

„Auf einer Trommel ſaß der Held 

Und daqte feine Schlacht 

Den Himmel über fi zum Belt 

Und um fid ber die Radt.* 

Es fing eben an zu dämmern, als Laudon mit 35000 Mann an⸗ 
rückte, um den Überfall rechts zu beginnen, während Daum mit dem übrl- 
gen Heere an der Katzbach links und Lascy vom Schwarzwaſſer her im 
Rüden angreifen follten. Er war fehr erftaunt, fo plößlich auf den 
König zu ftoßen, faßte ſich aber ſchnell und marjchirte unter dem feind- 
lihen Feuer auf. Dem er rechnete auf Dauns und Lascys Hilfe. Jener 
aber wurbe durch den rechten preußiichen Flügel unter Bieten an der Kap- 
bad) feitgehalten, und Lascy konnte nicht über das ſchwarze Wafſer 
Iommen; unterdeſſen warf ſich Friedrich mit den 15000 Mann feines 
Hinten Flügels auf den doppelt fo ftarten Feind und ſchlug ihn nad) zwei» 
flündigem Kampfe in die Flucht. Um 5 Uhr Morgens trat Laudon 
mit Verluft von 4000 Mann an Toten und Verwundeten, 6000 an &e- 
fangenen, 82 Kanonen, 28 Fahnen den Rückzug an. Die Arbeit war 
gethan, die Morgenſonne beleuchtete den blutigen Wahlplag, auf dem 
auch 1400 Preußen tot ober verwundet lagen. Sie beichien zugleich 
‚einen angenehm rührenden Auftritt. Der König hielt vor dem Regiment 
Bernburg; es war bei Dresden wegen zu geringer Leiftung herabgeſetzt, 
feiner Ehrenzeichen, Borten und Seitengewehrs, entkleidet worden; jetzt 
hatte e8 mit bergweifelter Tapferkeit gefochten, die verlorene Ehre wieder 
zu erfämpfen. Der König blidte es gerührt an. Vier alte Soldaten 

2 


"388 : Der fiebenjäßrige Krieg. 


traten heraus, fielen ihm in ben Bügel und umfahten flehend feine Kniee. 
„Ya Kinder, ihr follt fie wieder haben!“ antwortete Friedrich. Das 
Regiment war begnadigt, erhielt feine Ehrenzeichen wieder und von 


* Könige ein öffentliches Lob. 


Darauf ſetzte ſich Friedrich mit dem ganzen Heere und der ganzen 
Beute, allem Geſchütz, allen Gefangenen und Verwundeten wieber in 
Mari. Um 9 Uhr morgens war das müde, mit dem ungeheuren Troß 
belaftete Heer in vollem Zuge nad) Parchwitz gegen bie Ruſſen, die nun 
Schlefien wieber ränmten. Die Furcht vor dem Könige lähmte dann 
auch die Bewegungen ber Öfterreicher wieder. 

Inzwiſchen legte fi (am 26. Auguft) eine rufftfc-ichwebtiche Flotte, 
faft 40 Segel ſtark, vor Kolberg und bombardirte die Stadt, die zugleich 
von der Lanbfeite mit 15000 Mann beftürmt wurde. Allein ber tapfere 
Kommandant, Dberft v. d. Heyde, flug, unterftüßt von der wackeren 
Bürgerjchaft, umter welcher ſich ſchon jeßt der Schiffer Joachim Rettel- 
bed, damals ein junger Mann, durch patriotifchen Eifer auszeichnete, alle 
Angriffe tapfer ab, und zuletzt brachte der General Werner, ber aus 
Schlefien berbeieilte, Entjag (18. September). Dagegen glüdte dem 
Feinde ein Handftreid) auf Berlin. Ein ruffiihes Streifcorps unter 
Zottleben, das hier am 7. Dftober erſchien, wurde zwar von der Heinen 
Beſatzung zurücgefchlagen, die Ruſſen erhielten aber Verftärkung, außer- 
dem kam ein öfterreichijches Heer ımter Lascy heran, der Feind zählte 
nun 42000 Mann; jo mußte die umbefeftigte Stadt am 9. Dftober 
Tottlebens Bedingungen annehmen: den Eimvohnern wurde Sicherheit 
des Eigentums und der Perfon, auch Freiheit von Einquartierung aus« 
gemacht; dagegen zahlte die Stabt den Ruſſen 1 700 000 Thaler. Zott- 
leben, ber dem Könige insgeheim zugethan war, hielt gute Mannszucht; 
mar Tönigliche Vorräte ließ er, wie er mußte, ausräumen. Der reiche 
Kaufmann Gotzkowsty erwarb fi) damals um feine zweite Vaterftadt*) 
Berlin große Berbienfte; durch fehr beträchtliche Geldopfer, bie er freie 
willig darbrachte, rettete er wichtige öfferttliche Anftalten, wie das Lager- 
haus, vor dem Unheil, das fie fonft betroffen hätte; er war es auch, der 
für Die Stadt jene günftigen Bedingungen hatte erwirfen helfen. BWäh- 
rend die als Barbaren verrufenen Ruffen fi, in Berlin wie zivilifirte 
Leute benahmen, hauften die Ofterreicher und deren ſächſiſche Sölbwer 
in ben Vorſtädten und befonders in Charlottenburg wie Wilde; nur 


*) Er war in Komik (1710) geboren. Goptowsty hat and der Stabt Leipzig wäh. 
zend bes Krieges große Woflihaten erwieſen. Racmals am er felbft in Rot, da Half ihm 
Teiner; weder Ipig noch Ephraim, bie großen Häufer, die er einft unterftügt, noch Die 
Magiftrate und Raufmannfeeften von Berlin und Leipzig ftanden ihm bei. Der König 
hatte ihm ſchon vorbem 150.000 Thaler gegeben und hieit dies für gemug. Aura, Bohr 
towato maqhte (1766) ohne feine Schuld Bankot und ftarb (1775) in Armut, 


Zorgan. 389 


Botsdam, wo Efterhazy befehligte, wurde mit Schonung behandelt. 
Übrigens machten ſich die Feinde auf die Nachricht „Der König kommt!” 
ſchon am 12. Oktober ſchleunigſt davon unb zogen verwüftend, bie Ruffen 
durch die Neumark nad) Polen, die Ofterreicher durch die Mittelmart 
nad) Sachſen. Dorthin wendete ſich auch Daun, entfehlofien, in Ver— 
bindung mit den Reichstruppen biefes Land zu behaupten; borthin zog 
auch Friedrich, ebenfo feft entfchloffen, e8 wieberzugewinnen, denn Sachſen 
war feine befte Vorratsfammer, und ber Winter nahte heran. Verlor 
er die Schlacht, die er fuchte, fo wollte er zum Lepten fchreiten. „Ich 
betrachte den Tod“, fehrieb er damals an d'Argens, „wie ein Stoiter. 
Nie werde ic) mic) zu einem nachteiligen Frieden zwingen laſſen; feine 
Überredung wird mid) je dahin bringen, meine Schande zu unterzeichnen. 
Entweder laſſe id) mich unter den Trümmern meines Paterlandes be— 
graben, oder, wenn das Schickſal, welches mid) verfolgt, diefen Troft für 
zu füß hält, werbe id) meinem Unglück felbft ein Ende machen. Nach— 
dem ich meine Jugend meinem DBater, mein reiferes Alter meinem 
Baterlande geopfert, glaube ich mit Recht über mein Alter verfügen zu 
können. Habe ich für andere gelebt, jo will ich für mich fterben. Wenn 
man alles verloren und Feine Hoffnung weiter hat, dann tft das Leben 
eine Schande und der Tod eine Pflicht.“ 

In dieſer Stimmung ging er auf ben Feind los. Daun ftand, 
durch Lascy verftärtt, mit 65000 Mann und 400 ſchweren Geſchützen 
in einer fehr feften Stellung auf den Höhen zwiſchen dem Dorfe Süptig 
und der Stadt Torgau, Sümpfe und Gräben vor fi. Hier griff 
ihn der König mit 44000 Mann und 250 Kanonen Montag am 3. Ro- 
vember Nachmittags 2 Uhr an. Sein rechter Flügel — 16000 Mann 
unter Sieten — follte die Süptiger Höhen umgehen und fo den Öfter 
reichern ben Rückzug verlegen, ber linke Flügel, 28000 Mann, vom 
Könige felbft geführt, den Feind inzwifchen durch heftigen Anfturm im 
Zentrum und näher an Torgau zum Weichen bringen. Daun empfing 
die bergan marjchirenden Preußen mit einem Gefchüßfeuer, wie es feit 
Erfindung des Pulver nicht erlebt worden war. Hunderte von Kanonen, 
wie auf. einen Punkt gerichtet, fprühten unaufhörlich Tod und Verberben. 
Es war ein Bild der Hölle, die fi zu öffnen fchien, ihren Raub zu 
empfangen). Die älteften Srieger beider Heere hatten nie ein foldyes 
Feuerſchauſpiel geſehen; felbft der König brach in bie Worte aus: „Welch 
furchtbare Kanonade! hat man je eine ähnliche gehört?" Auch war bie 
Wirkung über alle Borftellung gräßlich. In einer halben Stunde lagen 
die 5500 Grenabiere, bie ber König herangeführt, in ihrem Blute, nad) 
dem fie dreimal Sturm gelaufen; dem Könige felber wurden zwei Pferde 


*) Worte des Mugenzeugen d. Archenholz, ebenjähriger Krieg, ©. 366. 


390 Der fiebenjährige Krieg. 


unter dem Leibe getötet, eine Gewehrkugel traf feine Bruft, wurbe aber 
durd) den mit Sammet gefütterten Pelz aufgehalten, fo daß fie ihn nur 
leicht verwundete und betäubte. Kaum wieder zu ſich gelommen, rief 
er: „An meinem Leben liegt heute am wenigften. Laßt uns unfere 
Schuldigleit thun! Weh dem, ber fie nicht thut!“ Cr griff mit dem 
Fußvolk immer von neuem an; man rüdte im Kartätfchenfeuer immer- 
fort zufammen, um bie Lücen auszufüllen. Die Dunkelheit brach ein, 
die Kräfte waren erjhöpft; Daun ſchien den Sieg zu behalten. Er 
fertigte Eilboten nad) Wien und Warſchau ab, fein Glück zu melden. 

Aber er hatte zu früh triumphirt. Denn als Bieten den Kanonen- 
Donner der Schlacht ſchwächer werden und fic entfernen hörte, ſchloß er 
daraus, daf des Königs Angriff mißlungen fei, und brach num aus 
feinem Hinterhalt 108, marſchirte vor, in Dauns Rüden, griff Abends 
5 Uhr den linken Flügel auf den Süptitzer Höhen an. Es galt hier ben 
Schlüffel der feindlichen Stellung. Das erkannten bie preußifchen Gene- 
tale, die in der Nähe fanden, die Untergebenen Bietens, Möllendorf und 
Saldern, wie bie von des Königs Flügel, Hülfen und Leſtwitz. Raſch 
befegte Möllendorf einen Paß, der hinaitfführte, und mit Saldern vereint 
drang er bon vom burd das brennende Dorf Suptitz, während von 
hinten teten felber gegen die Anhöhen ftürmte, Die es beherrichten. 
Hülfen umd Leſtwitz endlich fammelten einige Truppen des linfen 
preußifchen Flügels, und da bem erftern alle feine Pferde totgeſchoſſen 
waren, umd Alter und Wunden ihn verhinderten zu Fuß zu marſchiren. 
fo ließ fich der tapfere Degen auf einer Kanone ins feindliche Feuer 
ſchleppen. So wurden die Höhen in ber Dumtelbeit, wo ber Preuße 
ſich oft nur nach dem fleten Wirbel feines. Deſſauer-Marſches orientirte, 
nad) hartem Kampfe erftirmt, und Bietens, Salderns, Hüljens Vete⸗ 
ranen ſchlugen alle Angriffe Bascys, ber fie wieder erobern wollte, 
ftandhaft zurüd. Um Halb zehn Uhr Abends war ber Sieg für bie. 
Preußen entichieben. Won ber Dumfeldeit begünitigt, führte Daun fein 
geihlagenes Heer über eilig bergeftellte Schiffbrüdten auf das rechte 
Elbufer hinüber. 

Die Verwirrung in ber finftern Nacht war groß. Scharen von. 
Freund und Feind isrten auf dem Schlachtfelde umber, auf den Hähen und 
im torgauer Walde. Hier lagerten in der Heibe bei zahlloſen Feuern 
hunderte von Verſprengten, blaue Preußen und weiße Oſterreicher, frieb- 
lich neben einander; fie wußten nicht, wer geftegt habe, unb waren über- 
eingefommen, fid) bei Anbruch des Tages derjenigen Macht zu ergeben, bie 
das Feld. würde behauptet haben. Friedrich jelbft verbrachte die Nacht 
in der Kirdye des nahen Dorfes Elsnig; hier ließ er ſich feine Wunde ver⸗ 
binden und ſchrieb dann auf den Stufen des Altar feine Befehle für 
den morgenden Tag. Wie entlaftete fich fein Herz, als bei Aufgang der 


1760/1761. 391 


Sonne die Niederlage bes Feindes zu fehen war! Und für Hans Joachim 
v. Zieten*), den braven märfifchen Landjunker, war es der Gipfel des 
Glücks, da der König ihn vor der Front umarmte und die Soldaten jubelten: 
„Es lebe der König! es lebe unfer Fritz! es lebe Bieten, unſer Vater, der 
König ber Hufaren!" 

Die Ofterreicher verloren in diefer mörberifhen Schlacht 12.000 
Tote und Verwundete, 8000 Gefangene, 45 Kanonen, 29 Fahnen; der 
Verluſt der Preußen betrug im ganzen 14000 Mann. Der Preis des 
Sieges war Sachſen, das mit Ausnahme Dresdens wieber in preußifche 
Gewalt fiel. 

Nicht glüdlicher führten Friedrichs Feinde auf den anderen Schau- 
plägen den Krieg. Die Schweden wurden von ben Freilcharen des 
unternehmenden Oberften v. Belling und des ebenjo kühnen Generals 
Berner wieder über die Peene gedrängt, und die Franzofen fanden an 
dem Prinzen Ferdinand und deſſen tapferem Neffen, dem Erbpringen Karl 
von Braunſchweig, fo gewandte Gegner, daß fie troß ihrer Überzahl 
im weftlichen Norddeutſchland nur geringe Fortſchritte machten. Nichts: 
deftomeniger gaben Maria Therefia und ihre Verbündeten die Hoffmung, 
ben König von Preußen doch noch zu unterdrüden, nicht auf, zumal da 
die politifchen Verhältnifie Europas für ihn jet noch ungünftiger wur- 
den, als fie es längft fehon waren. Am 25. Oktober 1760 ftarb nämlich 
König Georg II. von England, Friedrichs einziger Freund umd Bei 
ftand unter den Königen und Kaifern. Sein Nadjfolger, Georg II., 
war ein Mann von ſchwachem Charakter und beſchränktem Verftande, 
der fid) völlig von einem unmürbigen Günftlinge, dem Lord Bute, Teiten 
ließ. Beide haften Friedrich, weil er ein großer Mann und ein Frei- 
geift war, und es gelang dem Minifter Pitt nur mit Mühe, die eng- 
liſche Politif vorläufig noch in der Richtung zu Kalten, die fie bisher 
verfolgt hatte. Das Übelfte war, daß die inländifchen Hilfsquellen, aus 
denen Friedrich feine Streitmittel bezog, mehr und mehr verfiegten. 
Seine Erbftaaten waren verheert und konnten zum Zeil die Abgaben 
nicht mehr aufbringen. Die andern Länder, über die er Macht hatte, 
waren durch fünfjährige Ausſaugung erſchöpft. Der vorjährige Feldzug 
hatte 27%, Million Thaler. gefoftet, der beuorftehende bedurfte wicht 
weniger. Die Schraube mußte alſo wieder angetrieben werben, um neue 
Mittel Heranszuprefien. Eben auf feine Erihöpfung rechneten ja bie 
Feinde; gegen bas Elend des Krieges blieben fie taub; zu ihrer Herrſcher⸗ 
höhe drang es nicht. 

„So gingen in Deutſchland Bürger und Bauern zu Grunde, während 


*) Geboren am 28. Mai 1699 zu Wuftrom bei Ruppin, geftorben am 27. Januar 
1786 zu Berlin. - 


392 Der fiebenjährige Krieg. 


Fürften und Beamte reich wurden, denn fie benutzten für ihre felbftfüch- 
tigen Zwecke auch fogar das allgemeine Elend. Neben den unzähligen 
Heinen Tyramen, ihrem Hofgefinde, ihren Schranzen und Knechten fteht 
nur ein einziger Fürft, der ahnt, was wahre Größe ift und verleiht, 
ber feine Regentenwürbe fühlt und, wo er fann, das Wolf gegen gierige 
Kaſten und beſchränkte Pfaffen in Schuß nimmt! Auch Friedrich übte 
freilich, Gewalt und Bedrückungen; aber er ftand auch ganz allein gegen 
halb Europa; er führte blutigen Krieg, aber er teilte auch alle Gefahren, 
alle Mühfeligfeiten, alle Rot ber geworbenen Soldaten, die nur er 
allein zu begeiftern und mit Patriotismus zu erfüllen verſtand. Maria 
Thereſia und ihr hoher Adel folgten dem Grundfape, dem Öfterreich 
feine Größe verdankt, fie zögerten, fie zauberten, fie ließen Das Elend 
des Krieges ſich verlängern, feft überzeugt, daß ber letzte Fiſchzug um 
fo reicher ausfallen werde, je trüber das Wafler geworben fei. Kaiſer 
Franz wucherte und fpielte eine Nebenrolle in Wien, wie feine Reichs- 
armee in Deutſchland; die Franzoſen lagen indefien als Hilfe deutſcher 
Geſetzvollſtreckung noch im April 1761 von Frantfurt bis Gotha verteilt. 
Städte und Dörfer des Reichs veröbeten, Getreide, Rindvieh, Pferde 
waren in Mitteldeutichland kaum mehr anzutreffen. Das Elend hatte 
den höchften Grad erreicht; die immer mehr wachſenden Schulden faft 
aller Gemeinden von Weftfalen, Hefien, Gotha raubten auch fogar, die 
Hoffnung einer befferen Zukunft. Während das Volk in Elend unter- 
ging, floffen reichliche franzöfifche oder engliſche Subfidien in die 
Schatullen der Fürften, und dieſe zogen fogar (wie 5. B. ber Landgraf 
von Heffen) von ben Engländern für jebes Glied ihrer verftümmelten 
Soldaten ein beftimmtes &elb; die Verftüinmelten ſelbft betteiten hernach 
als Invaliden bei ihren verarmten Mitbürgern.* *) \ 

Während des Winters 1760/61 hielt ſich Friedrich zu Leipzig auf, 
beihäftigt mit den Vorbereitungen zu dem neuen Feldzuge und nach 
feiner Art jeben Augenblick, den ihm bie Sorge und die Arbeit feines 
Berufs übrig ließen, mit Tünftlertfichen Genuß. oder wiffenſchaftlichem 
Studium ausfüllend. Damals (Mitte Dezember) lernte er hier audy ben 
Dichter Gellert kennen und: ſchaͤzen, der ihm feine hübſche Zabel vom 
Maier vortrug. Diefer Aufenthalt in Leipzig follte auf lange Zeit fir 
Friedrich die letzte Erholung geweien fein. Schwerer und ſchwerer wurde 
mit jebem Jahre die RKot und Laft des Srieges. 

Far nãchfien Friching (1761) ruckten wieber 410 000 Mann (160000 
Franzoſen, 130000 Öfterreicher, 100000 Ruſſen, 18000 Reichsfoldaten, 
12.000: Schweden) gegen ben großen König at. Da bie Koalition auf 
Friedrichs Mangel an Streitkräften als auf ihren wirfamften Bundes» 





*) Schloſſer a. a. D. II. 387. 


Lager bei Bungeliif. 393 


genoffen zählte, fo wechielte fie mit ihm feine Gefangenen mehr aus. 
Dennod) ftampfte Friedrich noch immer die Erfaßmannfchaften gleichlam 
aus ber Erbe hervor; in unglaublicher Schnelle war die Armee Tampf- 
bereit. Zwar die Zahl der alten Soldaten in ihr war mır noch gering, 
gleihwohl bewährten ſich die Neulinge, vermiſcht mit den Veteranen, die 
Geworbenen ober gewaltſam Ausgehobenen, vermifcht mit den geborenen 
Preußen, weit befier, als man hätte vermuten follen. Der Grundfag 
ſchien richtig, dem Friedrich feinen Generalen ſtets einzuprägen fuchte, 
13 preußifche Bataillone feien allemal 30 feindlichen überlegen. Ex brachte 
im ganzen diesmal 171.000 Dann zufanmen, nämlich 75000 Mann des 
hannöverſchen Bundesheeres und 96000 Mann feiner eigenen Truppen. 
Die Aufgabe war wieber diefelbe, Ferdinand von Braumfchweig hatte 
Die Franzoſen abzuwehren, Friedrich nahm die andern, namentlich die 
Ruffen und Öfterreicher, auf fi. Jener eröffnete ben Feldzug; mitten 
im Winter Anfangs Februar überfiel er die Franzofen in ihren Winter 
quartieren und trieb fie an ben untern Main zurück; doch gewannen fie 
während bes folgenden Monats ihre Stellungen wieder. Dagegen er 
holten fi die Reichstruppen nicht fo raſch von dem Gehreden, ben 
ihnen ein ähnlicher Streifzug des preußifchen Generals Syburg einjagte. 
Er warf fie im April aus Thüringen und bem Vogtlande bis nad) 
“ Bamberg zurücd und bradjte aus Franken eine Million Thaler erhobener 
Kriegsitenern, 4000 Gefangene, 16 Gefüge mit nach Sachſen, was 
den Mut der Neulinge im preußiſchen Heere nicht wenig hob. Die 
Hanptfache blieb immer, die Ruffen und Oſterreicher abzuwehren, Die 
abermals fi, in Schlefien vereinigen und dieſe Provinz erobern wollten. 
Friedrich ließ daher den Prinzen Heinrich mit dem kieineren Teile des 
Heeres zur Verteidigung Sachſens zurück und eilte mit ben übrigen 
Truppen Anfangs Mei in 9 Tagen — dem ſchnellſten Marſche dieſes 
Krieges — von Meißen nad) Schweidnitz. Hier bewies das alte Wort 
ſich wahr, daß Die Kraft bes Heeres in den Füßen ftede. 

Es gelang ihm nun in Schlefien durch geſchickte Stellungen ımb 
vorfichtige Züge die Gefahr doch bis tief in den Sommer hinein zu ver⸗ 
zögern; erft am 15. Auguft Konnte Laudon mit feinem Heere bei Jauer 
zu dem ruffiicjen ſtoßen. Friedrich hatte nun mit ſeinen 57000 Mann 
132000 Öfterreicher und Ruffen gegen ſich; Rettung durch eine Zeld- 
ſchlacht, fonft fein Tiebftes Mittel, durfte er diesmal nicht verfuchen. 
Denn fein feines Heer war das größte und befte, das er überhaupt 
noch hatte; er durfte es nicht aufs Spiel-fehen, ſelbſt ein Sieg hätte 
«3 einer ſolchen uͤbermacht gegenäber ruinirt. Sein erfinderifcher Geift 
gab- ihm Die befte Auskunft; er bejchloß, fid) mit den Beinben gleichjem 
an einem Punkte feftzunageln und fo fein Land zu decken. Sonft nicht 
gewohnt ſich zu verſchanzen, bezog er jet am 20. Auguft bei Bun zelwitz 


394 Der fiebenjährige Krieg. 


(nördlich von Schweidnitz) ein Lager, das er mit unerhörter Gefchwin- 
Digfeit zu einer ungeheuern Feſtung umſchuf. Den ganzen Bezirk in 
einem Umfange von zwei Meilen überfäete er mit Schanzen, Geſchützen, 
Palliſaden, durchwühlte er mit Minen, Wolfsgruben und Gräben; fo 
wurden die natürlichen Schwierigfeiten des Bodens — ein Wald, ein 
Moraft und das Striegauer Waſſer, auch mehrere Hügel, wie der Wür- 
bener Berg — außerordentlich verftärtt. In brei Tagen und Nächten 
war das Werk gethan, das Heine Heer bis an die Zähne verſchanzt — 
ein Meifterftücd der Kunft, in welchem fid) die Lehren ber Taftit mit 
denen der Befeſtigungswiſſenſchaft wie nie zuvor vereinigt zeigten. Richts- 
deftoweniger hätte Laudon es gern angegriffen, weil er meinte, 57.000 
Mann könnten ſich bei der großen Ausdehnung ihres Lagers nicht gegen 
einen allgemeinen Angriff von 132000 Mann halten; Buturlin, der 
ruſſiſche Befehlshaber, wollte aber nichts wagen, und fo begnügte man 
fid) die Preußen einzufchließen. Friedrich konnte es kaum glauben, er 
hielt fi) immer fampffertig. In Erwartung eines nächtlichen Angriffs 
ließ er die Truppen am Zage raften, jede Nacht aber Gewehr bei Fuß. 
ftehen. Das Gepäd wurde Abends nad) den Höhen von Würben geſchickt 
und kam Morgens zurüd. Es war ein mühfeliges Leben. Denn die 
drückende Hitze vermehrte die Schwere bes Dienftes, und dazu fam Mangel 
an Lebensmitteln, bejonders an Schlachtvieh und Gemüfe, nur Brot war 
hinreichend vorhanden. Getreulich teilte der König die Entbehrungen. 
und Anftrengungen der Seinigen; fein Hauptquartier war in einer 
Schanze, wo feinem Nachtlager oft jelbft das Stroh fehlte. Die Preußen, 
bielt auch in diefer Not das Pflichtgefühl aufrecht. Drei Wochen ftanden 
die Heere einander jo beobachtend gegenüber; ba nötigte der aud im 
werbünbeten Lager ausbredjende Mangel die Rufjen zum Abzuge (10. Sep- 
tember). Buturlin ließ 20000 Mann unter Tſchernitſchew bei ben 
Dfterreichern zurück und ging mit den übrigen nad) Poſen; dort aber. 
ta ihm eine preußifche Streifſchar unter General v. Blaten zuvor und 
verbrannte ihm Die Magazine, fo daß er noch tiefer nach Polen hinein 
mußte. Nach Buturlins Abzug glaubte fi) Laudon, obwohl noch an 
Zahl ben Preußen weit überlegen, doch zum Angriff zu ſchwach; er trat 
daher ebenfalls den Rüdzug an und verſchanzte ſich feinerjeits bei Freie 
burg (weitlih von Schweidnitz). 

Der König. war gerettet; body follte dieſer Feldzug nicht ohne einige 
empfindliche Unfälle für ihn endigen. Als er. nämlich, mm Laudon von 
Schweibnig abzuziehen, eine Bewegung nad Glatz hin machte, übers 
rumpelte jener plötzlich die Feſtung Schweidnitz (im ber Nacht vom 
30. September zum 1. Oktober). Sie war, wie alle preußifchen Feſtungen, 
von wenigen und meift untüchtigen Leuten bemannt; denn Friedrich 
tonnte nicht viele, und bejonders nicht bie guten Soldaten entbehren, er 


Scweibnig. Kolberg. 395 


brauchte fie im Felde. Um fo leichter gelang es Laudon bei der Nadj- 
läffigfeit des Kommandanten v. Zaftrow und mit Hilfe eines Einver- 
ftändnifjes, welches er mit den in Schweidnitz befindlichen Kriegs— 
Yefangenen angelnüpft, bie Feſtung zu erfteigen und nad) zum Zeil 
heftiger Gegenwehr zu erftürmen. Die Öfterreicher plünderten nun bie 
unglüdliche Stadt mehrere Stunden lang — eine Barbarei, die von ben 
Ruſſen in Laudons Heer nicht nachgeahmt wurde. Der Befit biejes 
Stügpunktes ermöglichte es nun dem Ofterreichern, zum erften Mal in 
diefem Kriege ein regelmäßiges Winterquartier am ſchleſiſchen Gebirge zu 
beziehen. 

Einen andern Erfolg gewannen die Feinde in Pommern, wo nad) 
viermonatlicher Belagerung und hartnädiger, tapferfter Verteidigung bie 
Feſtung Kolberg endlich durd) Mangel an Schießbebarf ımd an Lebens⸗ 
mitteln gezwungen wurde, fid) (am 16. Dezember) dem ruffiſchen Gene» 
tal Romanzom zu ergeben. So konnten jet bie Ruffen im öftlichen 
Teile Hinterpommerns Winterquartiere nehmen. Den Engländern wäre e8 
ein leichtes geweſen, Kolberg zu fügen; fie hätten nur einen Zeil ihrer 
Seemacht in die Oſtſee zu ſchicken brauchen; allein aus Furcht vor Han⸗ 
delsſtockungen ütberließen fie während des ganzen Krieges das baltifche 
Meer dem Feinde. Auf ben übrigen Kriegsthestern änderte fi) die Lage 
nicht. In Sachſen machten weber Daun noch bie Reichsarmee, die vom 
Bringen Heinrich fehr gefickt in Schach gehalten warden, irgend welche 
Fortſchritte. Mit den Schweden führte Oberft v. Belling ben Tleinen Krieg 
jo glücklich, daß: fie zuießt immer wieber auf ihr eigenes Land weſtlich der 
Peene beſchränkt blieben. - Die Franzoſen endlich, die unter Soubiſe vom 
Niederrhein, unter Broglie.vom Main her: vorgedrungen waren, trieb Prinz 
Ferdinand troß- ihren Überzahl (100 000 gegen 60.000) abermals aus 
Braunſchweig und Weſtfalen zurück, nachdem ex ihnen in einer hartnädigen 
zweitägigen Schlacht am 16. ‚und. 16. Zuli 1761 bei Billinghaufen 
an ber Lippe eine Riederlage beigebracht. Unfähig zu fiegen, bezeichneten 
fie ihren Rückzug durch völlige Verheerung und Pländerung jener Länder. 

Schweiduih' und. Kolbergs Fall waren zwei harte Schläge für. die 
vielgeprüften Preußen; ‚aber. ein weit furchtbareres Unheil bedrohte fie 
gegen das Ende biefes Jahres; ein Unheil, von ben fid) der Staat 
wahrfcheinlich nie mehr erholt hätte, wenn. es. nicht durch Gottes Fügung 
wäre abgewendet worben. Ein Elender, der ſchleſiſche Baron v. War⸗ 
kotſch, ber ben König trog mancher Wohlthaten haßte, weil dieſer dem 
Junkerregiment in Schlefien im Wege war, entwarf den Plan, ihn den 
Dfterreichern in die Hände zu fpielen. ‘Die Gelegenheit ſchien günftig. 
Friedrich hatte in ſeinem Hauptquartier zu. Woiſelwitz bei Strehlen, in 
der Nähe der Güter des Barons, um feine perfönliche Sicherheit unbe- 
forgt, nur 13 Mann. feiner Leibwache bei ſich. Warkotſch verriet dies 


396 Der fiebenjährige Krieg. 


dem zunãchſt bei Strehlen ftehenden Kroatenhauptmann Walliſch vom 
Regimente Laudon. Es wurde verabredet, Walliſch ſolle in der Nacht 
zum 1. Dezember heimlich eine Abteilung Oſterreicher nach Woiſelwitz 
ſchicken, um ſich der Perſon des Königs zu bemächtigen. Ein katholiſcher 
Pfarrer der Umgegend, Namens Schmidt, vermittelte den Briefwechſel 
zwifchen Warkotſch und Walliſch. Aber der Jäger des Barons, Mathias 
Kappel, der die Briefe zwifchen den Verſchworenen hin- und hertrug, 
ſchöpfte Argmohn; er übergab daher einen Brief feines Herm nicht an 
Schmidt, fondern an den Iutherifchen Ortspfarrer, Gerlach, der ihn da» 
mit zum Könige ſchickte. So wurde der verräterifche Anfchlag noch in 
der lehten Stunde (Abends am 30. November) entdeckt und Friedrich 
gerettet. Warkotſch und Schmidt flohen nad) Ofterreich, wo der erftere 
fein Leben durch ein Jahrgehalt friftete, welches ihm Maria Therefia 
zahlte; Kappel erhielt vom Könige zur Belohnung eine einträgliche 
Förfterftelle bei Oranienburg. 

Der Feldzug des Jahres 1761 Hatte ohne Schlachten Friedrichs 
Lage doch ungünſtiger geftaltet als irgend einer ber vorhergehenden; ein 
Stüd von Schlefien, ein Stüd von Pommern war verloren und das 
1759 eingebüßte Stück von Sachſen nicht wiebergewonnen. Auf einen 
engeren Kreis als je eingeſchränkt, ſchien ber König nicht einmal die 
geringe Streitmacht mehr aufbringen zu können, die er noch im Früh 
ling bes verwichenen Jahres ins Feld geftellt hatte. Denn die Er- 
ſchoͤpfung feiner Länder nahm mit jedem Monat zu, und die Hilfsquelle, 
die bisher aus dem englifchen Schape floß, war verfiegt. Im Herbft 1761 
verbrängte Bute den großen Pitt aus dem Miniftertum, kündigte bem 
Könige von Preußen den Subfidienverträg und beraubte diefen jo eines 
beträchtlichen Teils feiner Geldmittel. Maria Therefla und bie ihr ver- 
bündete Zürftenfchaft, zu ber jeht auch der König Karl III. von Spanien 
als Bunbesgenofie Frankreichs trat, fahen ſchon im Geifte ihren großen 
Gegner aus feinen Wunden fi, verbluten, und fo ſicher war die Katjerin- 
Königin ihres Erfolges, daß fie einen Teil ihrer Truppen verabjchiebete, 
weil fie Griparungen machen wollte; denn ſchon längft bezahlte fie aus 
Mangel an barem Gelbe faft nur mit Papier. Auch die Hoffnung, bie 
Friedrich eine zeitlang hegte, daß die Türken und Tataren einen Krieg 
gegen Öfterreich und Rußland beginnen, und daß fid) dann die gebrüdten 
Proteftanten Ungarns erheben würben, verwirffichte ſich nicht. Dennoch 
biieb er ungebeugt; er rüftete mit alter Thatfraft. In biefem fehlime 
men Winter 1761/2 war e8, daß er eine neue Truppe, die „reitenbe 
Artillerie", die er ſchon im Winter 1758/9 erfunden, allgemein in fei- 
nem Heere einführte. Die andern Mächte konnten ihm Dies aus Gelb- 
not nit nachmachen. Überhaupt ſpannte er die Mittel, die ihm noch 
übrig blieben, aufs Außerfte an, um feine auf 60000 Mann zuſanmen ⸗ 


Tod ber Katjerin Eliſabeth. 397 


geſchmolzene Streitmacht nach Möglichfeit zu verftärken, immer ent- 
ſchloſſen, bis auf den letzten Fußbreit zu fechten; für ben Fall bes Er— 
liegens trug er Gift bei fih. Auf alles gefaßt, blieb er mutig; denn 
noch hatte er Soldaten, jo wenige es aud) waren. „Nehmen fie mir 
Rand und Leute und lafjen fie mir meine Regimenter“, pflegte er zu 
jagen, „jo gebe ich nichts verloren.“ 

Übrigens unterftüßte ihn die Waterlandsliebe feines Volkes fo eifrig, 
daß in ber That zum Verzweifeln fein Grund war, fo lange Friedrichs 
Geiſt noch aufrecht und Preußen nicht vertilgt war. Die Landleute 
zumal, bie ihr alles im Kriege verloren und nur ihre Kinder noch übrig 
hatten, wetteiferten faft, die Söhne als Soldaten bei bem Heere zu 
haben; ohne Murren ımd oft mit ftolzer Freude gab ber Vater einen 
nad) dem andern hin. Ein fiebzigjähriger Schäfer im Halberftädtiſchen 
rühmte fi ſechs Söhne im Dienft des Königs zu haben; als er jetzt 
auch den fiebenten, legten geben follte, fagte er: „Herr Hauptmann, ſag 
Er mir ehrlich: brennt e8 dem König auf den Nägeln? — Nun, dann 
nehm’ Er ihn in Gottes Namen!" in anderes Beifpiel: in der Grf- 
ſchaft Ravensberg fanden fid), als die Franzoſen das Land in Befib ger 
nommen, 50 preußiiche aus bem Ravensbergifchen gebürtige Dejerteure 
ein, weil fie nun, da ihre Heimat nicht mehr im Beſitz des Königs war, 
ihrer Pflicht 108 zu fein meinten. Aber die Bauern belegten dieſe 
Sahnenflüchtigen mit dem Bann, die Kirche verfagte ihnen Beichte und 
Abendmahl, das väterliche Haus die gaftliche Schwelle. Ste mußten zw 
den Fahnen zurüdtehren.*) Ebenſo patriotiſch bewies fid) der Abel; ber 
ſonders der pommerjche. Immer von neuem lieferte er Nachſchub für die 
Lücken im Dffiziercorps; er am wenigften jparte mit feinem Blute. 

Die Standhaftigfeit des Königs ward belohnt; am 19. Jannar 1762 
erhielt er eine große Glückspoſt: ferne erbitterte Feindin, die ruffiſche 
Kaiferin Elifabeth, war endlich (am 5.) geftorben. Diefes Ereignis ver- 
änderte die ganze Lage der Dinge. Denn Eliſabeths Neffe und Nach- 


*) Auch die Markaner, belonders bie Gauerländer, zeichneten fich durch opferfreubigfte 
Baterlandsliebe ans, die ihnen wie ben Ravensbergemm um fo höher anpuerönen wor, da 
fie meift in Geindeshand waren. Cine Tages ericien im preubiücen Feldlager vor dem 
Könige ein Tanger Bug dom Bauerburidjen, wahre Gnafsfinder an Gröbe. „Wer feib 
ige?“ fragte ber König. „Sauerländer.” „Was wollt ihr?“ „Dienen.* „Wer Hat euch 
Hergefäjtätt“ „Unfere Bäter“ ¶ Wie viele find umtertmegs befertiett" „Reimer. Wie 
Hätten ja fomft nicht au Zommen brauchen — tr Haben auh mas mitgebrugtt mb 
bamit Holte ber Sprecher einen ſchweren Beutel aus dem Duerfadt und zählte dem ger 
rahrten Könige einige hundert Thaler auf den Tijc. — Dieier Geichichte Haben fich 
unendlich oft mod) die Rinder und Kindesfinber in ben Dörfern ber Graficaft Mark er- 
freut, und das Ende war immer, da ber alte Erzähler, melft ein narbenvoller Invalide, 
mit Thranen fein „bat Fridericus Rep“ vief, und Arok und Mein voll Begeifterumg 
einftimmte, . 


398 Der fiebenjäßtige Krieg. 


folger, Peter III. von Holftein-Gottorp," war ein leibenfchaftlicher Ber- 
ehrer und Bewunderer Friedrichs des Großen; er ftellte fofort alle Feind⸗ 
feligfeiten ein, wechſelte mit dem Könige die Gefangenen aus und ſchloß 
troß alles Abmahnens der anderen Fürften, ſogar Englands, defien Mi- 
nifterium fich nicht ſchämte, ihm einen Zeil Preußens anzubieten, am 
5. Mai einen Frieden mit Preußen auf den Stand vor dem Kriege. Er 
verhandelte jelbft um ein Bündnis; er wollte mit Friedrich Hilfe das 
Herzogtum Schleswig, auf welches er Familienanſprüche hatte, ben 
Dänen entreißen. Beide Fürften überhäuften fi mit Freundſchafts- 
und Ehrenbezeigungen. Peter ließ fogar die Truppenabteilung, die unter 
Tſchernitſchew in ber Grafſchaft Glatz lagerte, zum Heere bes Königs 
ftoßen. Am 22. Mai folgte Schweden dem Beifpiele Rußlands und 
ſchloß Frieden mit Preußen. Friedrich äußerte ſich dabei ſehr wegwer- 
fend: „er wife eigentlich) gar nichts von einem Kriege mit den Schwe- 
den; Belling, der mit ihnen Händel gehabt, würde ſich wohl mit ihnen 
vertragen." Auch dieſer Friede wurde auf den Stand vor dem Kriege 
bergeftellt. Die Königin von Schweben, Friedrichs Schwefter, deren Ge— 
mahl bei feiner völligen Abhängigkeit von dem ſchwediſchen Adel ben 
Krieg nicht hatte verhindern können, war jetzt die Vermittlerin. Friedrich 
ließ denn auch dem ſchwediſchen Reichsrat erflären, daß er bloß um ihret= 
willen die Sachen auf dem alten Fuße laſſe. 

Wiewohl er nun auf einer Seite Luft befommen hatte, fo blieben 
doch auch in diefem Jahre noch Feinde genug zu befämpfen: 155 000 
Öfterreicher und Reichsſoldaten, und 140000 Franzofen. Der König 
verteilte feine Streitkräfte — es waren diesmal, abgefehen von den 
70000 Mann des Prinzen Ferdinand, 120000 eigene Soldaten — fo 
daß 42000 unter dem Prinzen Heinrich gegen das öſterreichiſch- reichs⸗ 
ländifche Heer in Sadyfen, 78.000 unter ihm felbft gegen die Ofterreicher 
in Schlefien aufgeftellt wurden. Es kam hier darauf an, um jeben 
Preis Schweidnitz wieberzuerobern. Daum dedte es aber mit 88.000 
Mann, die er auf den Bergen bei Reichenbach hinter ftarten Verjchan- 
zungen aufgeftellt hatte, und ließ ſich durch feine Bewegung der Preußen 
von der Feftung abziehn. Wergebens entjandte der König den Herzog 
bon Bevern, den er wieder zum Heere zurüdberufen, mit 14000 Mann 
nad) Oberjchlefien und ließ Troppau einnehmen; auch als eine andere 
preußifche Schar verheerend in Böhmen einfiel, rührte Daun ſich nicht. 
Friedrich ſchickte ſich daher an, ihm durch eine Schlacht zu vertreiben. 
Schon hatte er alles vorbereitet, als General Tſchernitſchew, der mit 
feinen 20000 Ruffen ihm bei der bevorftehenden Schlacht helfen follte, 
die beiden unwilltommene Meldung brachte, Peter III. fei am 9. Juli 
von feiner Gemahlin entthront worden, und die Ießtere befehle ihm, mit 
feinen Truppen fofort daS preußiſche Heer zu verlafien; zugleich trafen 


Burlersdorf. 399 


Nachrichten ein, daß die neue Kaiſerin die Feindſeligkeiten gegen Preußen 
wieder aufnehmen wolle. Friedrich faßte fich indeſſen ſehr bald, er be— 
redete den ruſſiſchen General, ſeinen Abmarſch noch einige Tage zu ver— 
zögern und dem Kampfe, wenn auch nur als Zuſchauer, beizuwohnen, 
damit Daun, der von dem Umſchwunge der Dinge in Rußland noch 
feine Kenntnis hatte, verhindert werde, den gegen die Ruſſen aufgeſtellten 
Zeil feines Heeres anderwärts zu verwenden. Sofort befahl er dann 
(am. 21. Zuli) den Angriff. Der Schlüffel der feindlichen Stellung waren 
die Höhen von Burkers dorf nebft dem Paß don Leutmannsdorf; fie 
zu erftürmen wurben bie beften preußifchen Regimenter unter Anführung 
der Generale v. Möllendorf und Graf v. Wied verwendet. Aud) ftritten 
fie mit gewohnter Tapferkeit; weder die fteilen Abhänge, nod) die Wälle 
und Wolfsgruben, Palifaden und Kanonen, bie aus jedem Berge eine 
Feftung machten, konnten die Tortichritte der Preußen aufhalten. Denn 
heute", hatte der König gejagt, „muß es biegen oder brechen". Wo 
feine Pferde hinantonnten, fehleppten die Soldaten jelbft die Kanonen 
hinauf. In vier Stunden waren Höhen und Paß erobert. Daun trat 
mit Verluft von 3000 Mann an Toten und Verwunbeten, 1000 Ge— 
fangenen, 14 Gefhügen den Rückzug in das Gebirge an. Den Preußen, 
deren Heer dem Feinde diesmal an Zahl ziemlich gleich geweſen war, 
toftete der Sieg nur 1500 Tote und Verwundete. 

Der König hatte überdies die Genugthuung, daß feine Preußen 
allein die Arbeit gethan; denn die Auffen ftanden während des ganzen 
Kampfes ruhig in ihren Lager. Sie waren überhaupt in den wenigen 
Wochen ihrer Anwefenheit nie gebraucht worden: fein Ruſſe blutete für 
den König von Preußen; er wurde nad) wie vor allein mit feinen Fein- 
den fertig. Am folgenden Tage zog Tſchernitſchew, für feine Gefällig- 
keit reich befchentt, nad) Polen ab, und bald darauf zerftreuten fid) auch 
die Beforgniffe, die Friedrich vor Rußlands neuer Politik gehabt hatte. 
Katharina II., obwohl al Frau verächtlich und befledt durch das Ver- 
brechen des Gattenmordes, war wenigftens durch hohe Klugheit ber Krone, 
die fie an fid) geriffen, würdig; fie erkannte ſehr bald, daß für Ofter- 
reich zu fechten nicht im Intereſſe Rußlands liege, und da fie felbft der 
Ruhe beburfte, um fi) auf ihrem Throne feftzufeßen, beftätigte fie den 
Friebensvertrag und ließ alle noch in Hinterpommern und Oftpreußen 
bejegten Pläge fofort räumen. Doc nahm fie auch für Preußen nicht 
Partei, und fo hat Friedrich den Ruhm, nad) Englands Abfall und 
Rußlands Rücktritt den Krieg ohne irgend einen Bundesgenoſſen doch 
fiegreic) beendet zu haben. 

Bunädjft betrieb er nun die Belagerung von Schweibnig. Diefe 
Feſtung fiel jedoch nicht fo raſch, wie er gehofft. Sie hatte eine aus— 
erleſene Beſatzung von mehr als 12000 Mann, war mit allen Bebürf- 


400 Der fiebenjährige Krieg. 


aiffen und mit ſtarken Schußwerken verjehen und hatte in dem Kom⸗ 
mandanten Guasco einen Befehlshaber, der ihre tüchtigen Verteidigungs- 
anftalten jehr gut zu handhaben wußte. Die Preußen anbererfeits lei» 
fteten überhaupt im Belagern immer weit weniger als in offener Feld⸗ 
ſchlacht; denn Friedrichs lebhaften Geifte fagte ein langſames Verfahren, 
das doch gerade im Feftungsfriege gut angebracht ift, nicht zu; dagegen ent 
ſprach ein ſolches ganz der bedächtigen Natur der Sfterreicher. Dies 
Verhältnis beftätigte ſich auch jet. Daun griff, um Schweibnig zu ent⸗ 
jeßen, den Herzog von Bevern, der mit 7000 Mann und 88 Geſchützen 
bei Reichenbach ftand, bier am 16. Auguft mit 48000 Mann und 
184 Geſchützen an, wurde aber, da Bevern ſich ſehr tapfer und einfichts- 
voll verteidigte, auch vom Könige die nötigen Verftärkungen erhielt, mit 
einem Verluſt von 1000 Mann gefcjlagen und zog ſich wieber in das 
Gebirge zurüd. Nichtsdeſtoweniger hielt fid) Guasco noch zwei Monate 
lang, weil der König, durchaus darauf beftand, die Feſtung folle fid) auf 
Gnade oder Ungnade ergeben. Erft am 9. Oftober ergab fid) der tapfere 
Kommandant; er ſamt feiner ganzen Bejaßung (mod 10000 Wann) 
wurden friegögefangen. 

Unterdeffen wußte Prinz Heinrich in Sachſen, der immer ruhmvoll 
in feinem fehwierigen und undankbaren Amte aushielt, mit großem &e- 
ſchick den Heinen Krieg gegen die Öfterreicher und Reichstruppen durche 
zuführen. Die unternehmenben Generale Seyblig, Kleift und Belling 
feßten dem Feinde in vielen Gefechten ımabläffig zu, fielen in Böhmen 
ein und brandſchatzten bis Eger. Zweimal zog fid) die Reichsarmee vor 
ihnen aus Sachſen zurüc und überließ Franken ben preußifchen Huſaren; 
zweimal gab ihnen die öfterreichifche Heeresabteilung Böhmen preis, 
denn der Reichsfelbherr, der italienifche Prinz Serbelloni, betrachtete den 
Dienft als Nebenfache; er war ein vornehmer Mann und ſehr phleg- 
matiſch, hörte oft die wichtigften Rapporte im Bette an, ein Bud) in 
der einen, eine Taſſe Chofolade in der anderen Hand, beantwortete die 
Berichte kaum und hatte beftändigen Streit mit dem Hoffriegsrat in 
Bien, der noch jehlechtere Pläne machte als er. Endlich war man body 
in Wien feiner müde, und Haddik kam an feine Stelle. Diefer und fein 
Unterfeldherr, der Prinz von Stolberg, drängten num die Preußen eine 
zeitlang zurüd, bis Prinz Heinrich, auf Seydlitz' Anregung plöglid, (am 
29. Dftober) die Hauptmacht ber vereinigten Reichstruppen und Dfter- 
reicher unter dem Prinzen Stolberg bei Freiberg angriff und nad) 
gweiftündigem Kampfe in die Flucht flug. Das Hauptverdienft auch 
bei der Ausführung hatte der General Seydlitz, der an ber Spike der 
Neiterei, dann des Fußvolks, die leichten Truppen der Oſterreicher über 
den Haufen warf, das Reichsheer aus feinen Verſchanzungen trieb, auch 
die regelmäßigen Regimenter ber Öfterreicher aus dem Felde ſiug und 


1762. 401 


ben Feind weithin verfolgte. Stolberg verlor 7400 Mann (barumter 
4400 Gefangene), Prinz Heinrich nur 1400. 

Bald nad) diefem glänzenden Siege langte Friedrich jelbft in Sachſen 
an, das mın, mit Ausnahme Dresdens, vom Feinde gejäubert murbe; 
diefer zog fi) nad) Böhmen zurüd, verfolgt von Kleift, der dort aber- 
mals einen glücklichen Streifzug unternahm. Dieſer Kieift, ein geborner 
Pommer (aus Stavenow), gehörte mit Mayr und Belling zu den aus—⸗ 
gezeichnetften Parteigängern der Armee. Man nannte ihn den grünen 
Kleiſt, weil er Oberft der grünen Hufaren war umd 1760 noch ein Ba» 
taillon ſogenannter grüner Kroaten errichtet hatte. Sein Name wurde 
jedt weithin ein Schrecken der deutſchen Feinde Preußens. Denn kaum 
war er wieder in Sachſen, als ihn Friedrich (Mitte November) mit 
30000 Bann auf einen neuer Streifzug, diesmal ins Reich, ſchickte; er 
wollte dadurch die Reichsſtäude, die ohnehin bes Krieges müde waren, 
zur Neutralität zwingen. Kleiſt brady alfo verheerend in Franken ein, 
brandſchatzte Kulmbad), Bamberg, Windsheim, Rotenburg, nahm (am 
29. November) Nürnberg ein, erhob auch hier ftarfe Kriegsfteuern und 
tieß feine Hufaren bis in die Rähe von Regensburg ftreifen; fie tränkten 
ihre Rofie in der Donau. Da mußten die unfchuldigen Bürger und 
Bauern im Reid; wieder für bie Sünden ihrer Landesväter büßen, die 
ſich an Frankreich und Ofterreich verkauft hatten. Bon ihren großen 
Bundesgenoffen befamen dieſe Kleinen mın Feine Hilfe. Oſterreich ſchloß 
vielmeht (am 27. November) mit Preuhen einen Waffenftillftand auf 
ruhige Haltung der Winterquartiere in Sachfen und Schlefien und über 
ließ das Reich feinem Schickſal und den preußiſchen Hufaren, die zwar 
die Barbarei nicht verübten, weldhe man von Kroaten und Panduren, 
Ruſſen und Franzofen gewohnt war, aber body arg genug hauften. 

Auch die Franzoſen hatten wieber fehr unglüdlich gefochten. Im 
Juni warf fie Prinz Ferdinand über die Diemel bis nad) Kafjel zurüd, 
amd nachdem er ihren jächflichen Söldnern bei Lutternberg am rechten 
Zulda-Ufer (23. Zumi) eine Niederlage beigebracht, ſchlug er fie felbft bei 
Bilhelmsthal (24. Juni). Sie zogen dann alle ihre Truppen vom Nieder 
and Oberrhein her zufammen und drangen mit großer Übermadht zur 
Ohm und Lahn vor; aber’ au) jeßt hielt er ihnen fo geſchickt den Wiber- 
part, daß er vor ihren Augen Kaſſel belagern und (am 31. Oktober) 
einnehmen konnte. Mit dieſer Waffenthat ſchloß hier der Feldzug, deſſen 
Erfolge dem verräteriſchen Lord Bute höchft unangenehm waren. 

Ebenſo unglüdlic lief für Die Franzoſen der Seekrieg ab, ben fie 
in Verbindung mit den Spamiern gegen England führten. Die Bour- 
bonen machten daher Frieden mit Georg III. Am 3. November 1762 
wurde ber Vertrag zu Fontainebleau abgeſchloſſen. Die Engländer 
gewannen darin ſehr bedeutende Vorteile (den Beſitz Kanadas und 

Bierfon, preuß. Geſchichte. L 26 


402 Der fiebenfährige Krieg. 


anderer überſeeiſcher Länder), ließen aber den König von Preußen treuloß 
im Stich. Denn fie machten rückſichtlich Deutfchlands nur aus, daß beide 
Zeile ihre bisherigen Verbündeten auf keine Weife mehr unterftüßen 
follten. Das hannöverſche Bundesheer löſte fi) nun auf, und die Fran⸗ 
zoſen räumten langſam bie Plätze, bie fie in Deutſchland befept hatten. 
Da num kein franzöſiſches Geld mehr in die Säckel der mit Öfter- 
reich verbündeten deutſchen Fürften floß, fo fiel für diefe der Hauptgrund 
zum Kriege fort, und fie hörten jet auf die Klägen ihrer Unterthanen, 
die Kleiſts verheerender Streifzug zur Verzweiflung brachte. Zwar Öfter- 
reich hatte, als es Deutſchland zum Kriege gegen Friedrich, hetzte, ſich 
verbindlich gemacht, den Krieg nicht eher aufzugeben, als bis das Reich 
völlig ſchadlos geftellt und bie Neichsftände, die ihr Kontingent zum 
Reichsheere geſchickt, die Vergütung aller ihrer Koften erhalten hätten. 
Aber warn hatte das Haus Habsburg jemals dergleichen wirklich ger 
leiſtet? Es dachte auch jegt nicht daran, und eben um fich aus biefer 
Verlegenbeit herauszuziehen, hatten die Öfterreicher ſchlauer Weife jenen 
einfeitigen Waffenſtillſtand gefchlofien, ber den Preußen erlaubte, durch 
Verheerung des Reichs dieſes zum Sonderfrieben zu zwingen. In ber 
That riefen bie meiften Reichsftände, namentlich Pfalz und Baiern, ihre 
Truppen vom Reichsheere ab und baten um Frieden. Auch Medlenburg, 
Mainz, Würzburg, Bamberg erflärten fi für neutral. So fam die 
Kaiferin-Königin von ihrer Verpflichtung gegen das Reid) los. 
Friedrich, der nun niemand mehr zu befämpfen hatte als Öfterreid), 
durfte mit leichtem Mut in die Zukunft jehen. Er ließ wieder ſtark 
werben, befteuerte Sachfen nad) Möglichkeit, nahm einen Zeil der ent» 
lafienen Truppen bes Herzogs Ferdinand in Sold und machte den Ent: 
wurf, den nächſten Feldzug mit 200000 Mann zu eröffnen, bie in 
Sachſen, Schlefien und am Rhein (gegen die öfterreichijchen Niederlande) 
zugleich wirken follten, während eine Abteilung von 25000 Mann die 
noch feindlichen Reidjsftände, zumal ben Despoten von Würtemberg züch- 
tige. Aber bie Öfterreicher verloren jeßt die Zuft, ben Kampf fortzufegen. 
„Ste Hatten, wie fie pflegten, bisher mit phlegmatifcher Klugheit im 
Trüben gefiſcht, ihr reiches Land hatte wenig gelitten; andere hatten für 
fie gefochten und gezahlt, und ihr guter Kaifer Franz als Bankier die 
Konjunkturen benutzt.“ Diefe Zeit war vorüber; fremdes Blut und Geld 
ftand ihnen nicht mehr zur Verfügung; es galt num, allein den Kampf 
weiter durchzufechten. Aber wie follte Maria Therefia hoffen, ben großen 
König mit eigener Kraft zu befiegen, den fie im Bunde mit halb Europa 
nicht hatte überwinden können? Cr ftand ihr jeßt nad) fieben ſchweren 
Feldzügen furdjtbarer als je gegenüber, benn fie war mın mit ihm allein 
auf dem Plan. hr Haß beugte ſich der Klugheit, der Notwendigfeit; 
fie entſchloß fi zum Frieden. Der Kurprinz von Sachſen übernahm die 


Friede zu Hubertsburg. . 403 


Vermittelung. Friedrich ging gern darauf ein; er hatte ja immer den 
Trieben gewollt, freilich nur einen ehrenvollen; einen ſolchen erlangte er 
num. Im Februar 1763 kamen die drei Bevollmächtigten von Preußen, 
Oſterreich und Sachſen (die Hofräte von Hergberg, Kollenbach und 
Fritſch) auf dem Schloffe Hubertsburg (zwifchen Meißen und Leipzig) " 
aufammen und ftellten den Frieden auf der Grundlage feit, die Friedrich 
verlangte: nämlich auf den Stand vor dem Kriege. Am 15. Februar 
1763 wurde die Friedensurkunde unterzeichnet, die Ofterreicher räumten 
Glatz, die Preußen verließen Sachſen. 

Doc) ehe Friedrich diejes Land dem Könige Auguft II. zurüdgab, 
Heß er bier noch die rückſtändigen Kriegsftenern eintreiben, und mit 
folder Härte, als gelte es den letzten Thaler, den letzten Wispel Korn 
berauszuprefien; im Kriege hart geworden, blieb er es aus Gtaatd- 
räſon. Auch befahl er, um in feinen Staaten den großen Verluft an 
Menſchen zu erſetzen, die preußifchen Soldaten follten fid) in Sachſen 
raſch noch Frauen oder Bräute nehmen. Hierin gehorchte man gern, 
denn die Sachſinnen waren bei den preußifchen Kriegern fo beliebt, wie 
diefe bei jenen. So zog denn im Frühjahr 1763 eine große Menge 
von Weibern und Mädchen mit den Preußen aus dem Lande; fie trugen 
das ihrige bei, Friedrichs verheerte Länder wieder zu bevölfern. Auch 
viele ſaͤchſiſche Schulmänner wurden mitgenommen. Kurz, Friedrich fuchte, 
fo lange er noch in Sachſen die Gewalt hatte, von hier aus möglichit 
viel‘ für Die Wieberherftellung feines eigenen verwüfteten Landes zu thun, 
und wenn fi) die Sachſen nad) feinem endlichen Abzuge jehnten, fo 
haben fie dann erleben müſſen, daß das erfte, was ihr lange entbehrter 
Auguft II. that, darin beftand, daß er dem erjchöpften Wolfe neue 
Steuern auflaftete. 

Friedrich war der legte Preuße, der aus Sadhjfen ging. Am 30. März 
fpät Abends erſchien der vielgeprüfte Heldenkönig wieder in den Ring- 
mauern Berlins. Aber er war nicht mehr der heitere, muntere Fürft, der 
einft' Die Freude fuchte und verbreitete; ernft und ftil ging er dem lauten 
Jubel der Berliner aus dem Wege, bie feit dem frühen Morgen die 
pruchtigſten Vorbereitungen zu einem Triumphzuge für ihn veranftaltet 
hatten. Ihn verließ die Sorge nicht mehr; fie wechſelte nur die Geftalt: 
hinter ihm lag Kampf, vor ihm Mühfal. Aber die Nation jauchzte auf 
voll ftolzer Freude im allgemeinen Friedens-Oankfeſt. Frohlockend warb 
in allen Kirchen Preußens gebetet: „Sie haben mid) oft bedrängt von 
meiner Jugend auf, aber fie haben mich nicht übermocht!" 


Der Krieg war beendet; doc; welche Opfer hatte er gefordert! Er 
Toftete dem Erdteil über eine Million Menſchen; alle Staaten, die an 
26· 


404 " Der fiebenjärige Krieg. 


Abm teil genommen, nur Preußen nicht, waren mit ungeheuren Schulben 
belaftet, die hernach noch den Urenfel brüdten. England hatte in Amerika 
viel erreicht und in Europa viel genüßt, aber aud) feine Staatsſchuld 
von 12 auf 146 Millionen Pfund vermehrt. Dagegen bezahlte Frank⸗ 
reich die Schande, Die es fo reichlich Davon getragen, mit 677 Millionen 
Livres, Ofterreich feine Niederlage mit 100 Millionen Thaler Schulden. 
Nord⸗ und Mitteldeutfchland waren verwüftet, am wildeften, wo die Fran⸗ 
zofen gehauft; ein Offizier fchrieb 1762, daß er fieben Dörfer in Heſſen 
durchritten und darin nur einen einzigen Menfchen gefunden habe; dies 
war ein Prediger, ber ſich Bohnen kochte. Sachen, Anhalt, Medien- 
burg waren ausgefogen, Brandenburg, Pommern, Schlefien, Böhmen 
mehr oder weniger verheert; zahllofe Dörfer und Städte zerjtört ober 
ausgeraubt, hunderttaufende von Menſchen in Armut und Elend gebracht. 
Und der Zweck diefes ganzen Krieges, die Abficht des großen Bundes 
europätfcher Fürftenfchaft war dennoch vollftändig geſcheitert; man hatte 
Friedrich dem Großen nicht ein Dorf nehmen können; man hatte mit 
aller Übermadjt doch nur Schimpf und Schande geerntet, denn Friedrich 
blieb unbezwungen, und fein Ruhm eine Beihämung für feine Wider 
ſacher. Das alſo war da8 Ende aller der Umtriebe und Anftrengungen, 
das bie Frucht von Maria Therefins Haß, jener Kaiferin, die man in 
Öfterreich als die frömmfte und tugendhaftefte Fürftin Europas feierte. 

Man hat den fiebenjährigen Krieg mit dem bdreißigjährigen ver- 
glichen; war's doch beide Male im wejentlichen ein Kampf zwiſchen Rord⸗ 
und Süddeutſchland, und beide Male vom Haufe Habsburg verurſacht 
und genährt. Aber wie anders in allen übrigen! Damals das Ausland 
fiegreih, und Deutfchland von den Fremden erniedrigt, zertreten, zer⸗ 
ſtückelt; jetzt deutſche Kraft triumphirend über Nuffen und Schweden, 
Franzofen, Ungarn und Kroaten; — damals das deutſche Rational- 
bewußtfein verfommen und verloren, jeßt aufitrebend, voll neuen Lebens. 
Denn diefe Großmacht, die fo trefflich die allerſchwerſte Feuerprobe bes 
ftanden, war eine rein deutſche, und Friedrichs Ruhm ein deutſcher 
Ruhm. Im ihm, dem großen Manne des Jahrhunderts, ber die Be— 
wunderung der gebildeten Welt, das Staunen der fernften Völfer war, 
mußte fich jeder Deutſche erhoben fühlen. Mit ihm fiegte nicht Preußen 
allein, fiegte auch das deutſche Volk, fiegte die neue über die alte Beit. 
Friedrichs Sache war ja zugleid) die Sache des Fortſchritts und der 
Aufklärung. Der Geift der Deutichen, von allem dem Außerordentlichen, 
daß fie erlebt, in feinen Tiefen aufgeregt, nahm jetzt einen großartigen 
Schwung; es folgte jene geiftige Revolution, die unfere klaſſiſche Litera- 
tur gebar. Aber wenn im proteftantifchen Deutſchland nun die wunder 
vollen Blüten der Poefie, die reichen Ernten der Kunft und Wiſſenſchaft 
auffproßten, fo fol man nicht vergefien, daß der beite Tau, ber fie be 


Bom Hubertöburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Großen. 405 


feuchtete, das Blut und der Schweiß von Friedrichs und feiner Preußen 
flaunenswerten Thaten war, daß die Sturm- und Drangperiode der 
deutichen Literatur ihre befte Kraft aus dem großartigen Pathos zog, 
welches vom fiebenjährigen Kriege her — biejer Heroenzeit Preußens — 
die Zugend des proteftantifhen Deutfchlands burchbebte. „Der erfte 
wahre und höhere Lebensgehalt“, jagt Göthe, „am durch Friedrich 
den Großen und die Thaten bes fiebenjährigen Krieges in die deutſche 
Poefie.“ 


Vom hubertsburger Frieden bis zum Tode 
Eriedrichs des Großen, 


Der Ruhm, den der fiebenjährige Krieg dem preußifchen Volle ge- 
bracht, war ein edles Gut, aber auch der Preis war groß. Man be 
rechnet, daß Preußen dieſer Krieg eine halbe Million Menfchen (darumter 
180.000 Soldaten, 1500 Dffiziere, 31 Generale) und 125 Millionen 
Thaler gekoftet hat. Friedrich) handelte weile, daß er den Frieden an- 
nahm, fobald er es mit Ehren konnte. Denn „die Ruhe”, fagte er felbft, 
„war für Preußen nötiger als für die übrigen Staaten, weil es faft 
allein die Laſt des Krieges getragen. Es glich einem Menfchen, ber von 
Wunden zerriffen, von Blutverluſt erfchöpft und in Gefahr war, unter 
dem Drude feiner Leiden zu erliegen; ber Staat bedurfte einer Leitung, 
die ihm Erholung gab, ftärfender Mittel, um ihm feine Spanntraft 
wiederzugeben, Balſam, um feine Wunden zu heilen. Der Adel war 
erihöpft, die Meinen Leute ruinirt, eine Menge von Ortſchaften ver- 
brannt, viele Städte zerftört; eine volllommene Anarchie hatte die Ord- 
nung ber Polizei und Regierung umgeworfen; bie Finanzen waren in 
größter Verwirrung, mit einem Worte die allgemeine VBerwüftung war 
groß." Am ſchwerſten hatte das platte Land gelitten. Denn gegen Ende 
des Krieges mußte man, um ben fortwährenden Abgang bei den Regi- 
mentern zu erjeßen, ſelbſt Burſchen von 14 und 15 Jahren als Rekruten 
einziehen. In vielen Gegenden konnten die Felder aus Mangel an Hän- 
den nicht beftellt werben; anberwärts betrieben Frauen und Greife bie 
Gefchäfte des Acerbaues. Unter dem pommerſchen und brandenburgifchen 
Adel gab e8 Familien, welche zwanzig und mehr Mitglieder in dieſem 
furchtbaren Kriege verloren hatten”), Frauen, Die zugleich über ben Ver— 
luſt von Vätern, Männern, Brüdern und Söhnen trauerten. Das Geld, 
d. h. das fchledjte, vom Münzjuden Ephraim Hergeftellte, war im üÜber- 
fluß vorhanden, aber um fo wertlojer, da die Lebensbedürfniſſe knapp 
waren und in ungeheuren Preijen ftanden; um ein Pfund Fleiſch zu 


*) € fielen 5 B. 19 von Kamele, 20 von Belling, 54 von Kleift. 


406 Vom Hubertsburger Frieden bis zum Tode Friedrichs bes Großen. 


holen, mußte man faft mit einem ganzen Sade voll „Ephraimiten" auf 
den Markt gehen. Sehr übel wirkte dann noch die Herabſetzung dieſes 
ſchlechten Geldes, die bald nach dem Frieden eintrat und Hunderte von 
wohlhabenden Leuten an ben Bettelſtab bradjte. 

Alle diefe Wunden zu heilen, in dem verwüfteten Staate eine friſche 
Sat der Kultur zu beftellen, und doch zugleich in jedem Augenblicke 
bereit zu fein, die errungene Großmadhtftellung zu verteidigen, dieſe harte 
und fehwere Arbeit hat der alternde König noch 23 Jahre lang mit 
beifpiellofer Gewiflenhaftigfeit, wenn auch von Irrtümern nicht frei, ver⸗ 
richtet. 

Ohne. Anleihen zu machen und ohne die Steuern in Preußen zu er⸗ 
höhen, hatte Friedrich den Krieg durchgeführt; am Ende besjelben waren 
alle feine Feinde und Nachbarn tief verjhuldet, er allein hatte nad 
Geld; nad) fo vielen Feldzügen, die ihm aus den Kaſſen feines eigenen 
Staates im ganzen 90 Millionen Thaler gekoftet, behielt er doch den 
legten Thaler in der Tafche. Diefe Thatſache ift einer der ftärkften 
Pfeiler geweien, auf denen fein Anſehen bei den andern Fürften rubte. 
Er that daher alles, um das Ausland in dem Glauben, Preußens Kraft 
ſei nicht erſchöpft, noch zu beftärken, und begann fofort nad dem Frieden 
toftbare Prachtbauten, 3. B. den Bau des neuen Palais bei Sansſouci, 
welcher 3000000 Thaler koſtete und im Jahre 1770 vollendet war. 
Dabei erreichte er zugleich den Zweck, viele arbeitölofe Leute zu beſchäf⸗ 
tigen und zu ernähren. Aber aud) unmittelbare Wohlthaten ließ er feinem 
Volke reichlich zufließen. Die Vorräte, die er zum neuen Feldzuge ge⸗ 
ſammelt, 40 000 Scheffel Getreide, 60000 Pferde, wurden an mittellofe 
Landleute zur Beftellung des Ackers gegeben. Diele Landesteile erhielten 
auf einige Jahre Steuererlaß, andere außerdem bare Unterſtützung, 
Schleſien allein drei Millionen Thaler. Dem verarmten Adel wieder 
aufzubelfen, der ihn ja aud in allen Schlachten fo wacker gedient hatte, 
gab er gern nad) und nad) Millionen her. Ebenſo wenig ermüdete er in 
feinen Verſuchen, die &ewerbe zu befördern, munterte auf, und fpendete, 
wo es notthat, mit vollen Händen Geld; felbft Fehlſchlaͤge entmutigten 
ihn darin nicht, wie denn ber fruchtlofe Verſuch, eine Uhrenfabrik in 
Berlin anzulegen, dem Könige von 1766-1775 über 141000 ‚Thaler 
toftete. Zum Wiederaufbau abgebrannter Städte gab er ebenjo reichlich, 
und als einmal (1785) die Greiffenberger ihm dafür ihren Dank aus- 
ſprachen, antwortete er: „Ihr Habt nicht nötig euch dafür bei mir zu 
bedanten; es ift meine Schuldigkeit, meinen verunglüdten Unterthanen 
aufzuhelfen; dafür bin ich da.“ 

Dagegen legte er aber auch gleich nad; dem hubertsburger Frieden 
feinen Unterthanen eine Laft auf, die fie fehr empfindlich drückte und 
bei vielen das Andenken an die Wohlthaten diefer Regierung tief in 


Die Regie, 407 


Schatten ftellte; das war die neue Accifeverwaltung, die ſogenannte 
Regie. Friedrich wußte zu gut, was gerade für feinen Staat das Geld 
bedeute: Preußen hatte unter ben andern Staaten feinen aufrichtigen 
Freund, alle betrachteten es noch; mit Mißtrauen, einige mit Haß; es 
mußte ewig auf Kriegsfuß ftehen, bedurfte immer eines übermäßig großen, 
ftets fehlagfertigen Heeres und eines vollen Schatzes. Aber zu dieſen 
Keiftungen, zu feinem Range als Weltmacht ftimmten feine materiellen 
Mittel ſchlecht; die Staatseintünfte mußten daher noch gefteigert werben. 
Unter ben Berfuchen, bie zu dieſem Zwecke geſchahen, war auch die Ein- 
führung ber königlich, preußiſchen Lotterie (1763); aber e8 bedurfte er- 
giebigerer Dnellen. Der König beſchloß daher, befonders die Accife, auf 
welche die Erhaltung bes ftehenden Heeres ſchon von dem großen Kur 
fürften begründet worden war, ftärfer auszubeuten, und da man in 
Frankreich damals die Kunft am beften zu kennen fhien, dem Wolle 
durch geſchicklte Steueroperationen ohne Schaden viel Geld abzunehmen, 
fo holte er darüber den Rat des franzöftichen Staatsökonomen Hel- 
veiius ein (1764) umd berief dann aus Frantreich einen Steuerfünftler, 
be Laımay, der num mit 200 feiner Landsleute nad) Preußen kam und 
eine neue „General-Adminiftration ber königlichen Gefälle" einrichtete 
(1766). Es gelang ihm wirklich, die Steuern in beflere Ordnung zu 
bringen; aber bie Accife wurde zugleich auf alle Arten von Waren aus— 
gebehnt und erhöht, und härter als dieſe Mehrabgabe drückte die ge— 
Höffige Art der Eintreibung. Denn unter diefen Franzoſen gab es der 
Gauner nicht wenige, die, wenn fie die föniglichen Kaffen füllten, zugleich 
ihre eigenen Taſchen bedachten. Am umerträglichiten war, daß die Regie» 
beamten überall die Häufer nach fteuerpflichtigen Waren durchſuchen 
durften; die Pladerei der Unterthanen war groß. 

Am fehwerften laftete ber Steuerbrud auf den Lurusbebürfnifien. 
Der König meinte, wenn er ſolche Artikel fehr verteuere, dem Wolfe 
eher eine Wohlthat zu erweifen. Daher behnte er das Monopolwefen, 
das in den damaligen Staaten üblich war, namentlich auf den Kaffee 
und Tabak aus. Mit diefen Waren, handelte fortan die Regierung 
allein; bie Kaufleute mußten ihr biefelben zu einem beftimmten Preiſe 
abnehmen. Das erregte die meifte Unzufriedenheit. Denn Kaffee und 
Tabak wurden nicht bloß teurer, jondern von den Kleinhändlern auch 
oft verfchlechtert. Es begann ein heimlicher Krieg des Publikums gegen 
die Zollbeamten. Riemand machte fi) ein Gewiffen daraus, die Accife 
zu betrügen, und der Schmuggel blühte. Denn ber von Hamburg ein- 
gefcjwärzte Kaffee koſtele 4%, Silbergroſchen das Pfund, der Tönigliche 
aber 1 Zhaler (= 24 Groſchen). Die Zollbeamten ihrerjeits, bie 
„Kaffeeriecher*, ſchnüffelten überall nad) eigenmächtig, d. b. ohne Gteuer- 
zettel, gebranntem Kaffee umher und vergalten den allgemeinen Haß und 


408 Vom Hubertöburger Frieden bis zum Tode Friedrichs bes Großen. 


Spott durch um fo ftrengere Beauffichtigumg, oder wo es anging, durch 
Erprefiungen. Kamen dann Klagen über die hohe Kaffeeftener, fo ant» 
wortete der König: „Die Leute möchten ſich doch wieber an das Bier 
gewöhnen, wie ihre Väter; er felber fet in feiner Jugend mit Bierfuppe 
erzogen worben; Bier fei viel gefünder als Kaffee." Diefes ausländiſche 
Getränt war aber bereits ein Bedürfnis aller Stände, auch des Arten - 
Mannes geworben. 

Übrigens waren die finanziellen Ergebniffe nicht einmal groß; der 
Staat zog aus der Regie zulept jährlich doch nur eine Mehreinnahme 
von 11/, Milton, aus der Tabaksverwaltung 1200000 Thaler. Weit 
bedeutender als diefe künftliche Steigerung der Staatseinkänfte war bie 
natürliche, die fi) aus dem Zuwachs der Steuerfraft ergab. Und Bier 
bat fich Friedrich, wirfliche Verbienfte erworben. Was er vor dem fieben- 
jährigen Kriege für die Hebung des Nährftanbes gethan, wurde nun wieder 
aufgenommen; namentlich, fuchte er Die Einwanderung zu befördern. Es 
find unter feiner Regierung an 250 000 Koloniſten ins Land gekommen, 
neben nichtsnutigem Gefindel and) ſehr viele brauchbare Leute, bie 
mandje wüfte ®egenb in blühende Kultur brachten. Bit großen Koften 
unb reichen Erfolge ließ er z. B. feit 1767 die Brüche an ber Varthe 
und Nehe, von 1777 bis 1782 den dFinerbruch bei Ziefar, feit 1778 den 
Drömling in der Altmark anbauen. Er war es aud), ber ben Kartoffel- 
bau in Preußen allgemein machte. Er ließ ihn von den Kanzel herab 
empfehlen, ſchenkte einzelnen Ortſchaften ganze Wagenladımgen von Kar« 
toffeln zur Ausfat und bewirkte Halb mit Überredung, halb mit gwang, 
daß biefe Frucht fett 1770 maffenhaft angepflanzt wurde. Bur Unter 
ftüßung des hilfsbedürftigen Adels gründete er in den einzelnen Pro- 
vingen (zuerft 1770 in Schlefien) fogenannte „Landfeaften", d. h. Krebit- 
verbände der Nittergutsbefiger mit dem Zweck, ſich gegenfeitig in 
Gelbverlegenheiten beizuftehen; als Mittel diente Die Ausgabe von Pfand- 
briefen, welche, auf die verſchuldeten Güter ausgeftellt und mit 5 Prozent 
verzinft, von ber Landſchaft wie bares Geld in den Verfehr gegeben 
wurden. Diefe Einrichtung rettete eine Menge von Familien vom Unter- 
gange und war eine große Wohlthat für ben Adel, die ben andern 
Ständen nicht ſchadete, und Die er verdiente. Denn das foll mar nie 
vergefien, daß ber preußiſche Adel, beſonders von Brandenburg und 
Pommern, dem Staate ganz außerordentlich große Opfer an Gut und 
Blut gebracht hatte und daher Anſpruch auf Dankbarkeit befaß. Friedrich 
gab feinen Offizieren Ruheftandsgehalte bloß nach Gutbünken, dieſe 
waren alſo reine Gnadenſache; daher erflärt nur der Patriotismus bes 
Adels und bdefien Waffenluft feine Bereitwilligfeit zu dienen, ba ber 
Dienft hart, der Sold befonders in den unteren Stellen Targ, die Alters- 


Abel und Bürgerftand. 409 


verſorgung ganz unficher war. Nur bie Ehre entſchädigte, denn ber 
Dffigier rangirte vor jedermann. 

Unbillig aber war es, wenn Friedrich nicht bloß auf alle Weife die 
Errichtung adliger Majorate begünftigte, fondern auch ben Verlauf 
abliger Güter an Bürgerliche geradezu verbot und, um biefe noch ficherer 
von ſolchen Käufen abzuhalten, verorbnete: fein bürgerlicher Käufer eines 
Nittergutes folle die damit verbundenen Ehrenrechte — Patrimonial- 
Gerichtsbarkeit, Patronat über Kirche und Schule, Kreisftandſchaft, 
Jagdrecht — erlangen. Es floß bei ihm biefe Bevorzugung des Adels 
aus berjelben Anficht von defien ftaatlichem Beruf, die ihn Dazu bewog, 
die höheren Verwaltungsämter und Offizierftellen wo möglich nur mit 
Edelleuten zu beſetzen. Wurden doch gleich) nach dem Frieden die bür- 
gerlichen Offiziere, die fid) während des Krieges bei den Regimentern 
heraufgebient hatten, größtenteils verabfchiedet; nur ausnahmsweiſe ber 
hielt Friedrich Offiziere dieſer Art im Dienft, fofern nämlic) deren Bor- 
gejehte ihre Verdienſte bezeugten; und dann pflegte er fie zu abeln. 
Ebenfo waren und blieben die Kabettenhäufer bloße Adelsinftitute. Der 
König verfiel hier in denfelben Fehler, der feine ganze Stellung zu ber 
deutſchen Geſellſchaft Tennzeichnete: er hielt das Urteil, das er in feiner 
Jugendzeit fich gebildet, aud im Alter feſt. Damals freilich, war der 
Adet wirluch an Bildung, Fähigkeit und Reichtum allen andern Ständen 
überlegen und daher die befte Stüße des Staates. Mit ber Zeit hatte 
aber das Bürgertum den Adel in allen Beziehungen erreicht, in vielen 
überholt; ging doch aus dem britten Stande jeßt gerade bie große 
geiftige Bewegung hervor, welche in Philoſophie und Dichtkunſt Deutich- 
land an die Spike ber Nationen ftellte. Bon diefem Umſchwung der 
Dinge hatte Friedrich feine Ahnung. 

Dagegen leiftete er dem Mittelftande nicht wenig durch feine Förde⸗ 
zung des bürgerlichen Gewerbes. Um Schleftens Linneninduftrie, bie 
er das Peru der preußiſchen Könige zu nennen Tiebte, noch zu verbeſſern, 
legte er Hier Spinnfchulen an und erzielte fo immer größeren Abjap; 
ſchleſiſche Leinwand ging ſchon damals bis nad Amerika. Was man 
in Preußen brauchte, follte man hier felbft erzeugen und außerdem einen 
uͤberſchuh an das Ausland verfaufen, diefem dagegen möglichft wenig 
Baren und möglichft viel Geld abnehmen: das war ber leitende Ge— 
danke des Merkantilweiens, wie er es verftand, daher trieb er unauf- 
hörlich, neue Fabriken zu errichten und die alten zu verbeflern. Schon 
1761 war in Berlin die erfte Porzellanfabrit (nad dem Wufter ber 
meißner) errichtet worben, fie verjah bald das ganze Land mit ihren 
trefflichen Erzeugnifien; allmählich) wurden in den Haushaltungen bie 
zinnernen Geräte durch Porzellan und Fayence verdrängt. Auch bie 
Spipenflöppelei, zuerft 1743 von den Mädchen im potsdamer Waifen- 


410 Bom huberisburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Großen. 


hauſe ‚betrieben, blühte raſch auf; ebenſo die Geiben-, Sammet⸗ unb 
Kattunmanufaktur. Die königliche Papiermühle in Eberswalde verſchenkte 
der König, da es ihm bei allem dieſen Unternehmungen nur darauf an⸗ 
kam, die einheimiſche Induſtrie zu heben. Zu dieſem Zwecke ſandte er 
auch einen Beamten nach England, um. den Bau der Dampfmaſchine zu 
ftudiren, und fiedelte dieje Erfindung nach Preußen über. 

Das geſamte Hüttentvejen erhielt durch den Mintfter v. Heinitz, ber 
Bergbau in Oberfchlefien durch ben Grafen v. Reben einen hohen Auf 
ſchwung. Die Rührigleit der preußiſchen Induftrie nahm denn auch fo 
du, daß es im Jahre 1785 16500 Wabrikanten gab, welche Arbeiten tm 
Werte von 30/, Million Thaler lieferten, wovon 11 Milltonen auf 
Schlefien, 9 auf die Mark Brandenburg fielen. Das Zunftweien ftanb 
bei dem Könige in großer Mißachtung; er erkannte es noch an, wie er 
denn 5. B. im Jahre 1769 die Zahl ber Butterhänbler in Berlin be- 
fiimmt feftfeßte (27 bei einer Bevölkerung von damals 132 000 Men⸗ 
fen); aber oft verleßte er es and), befonders um bas Meiſterwerden 
zu erleichtern. Feind jedes Müßigganges und jeber Verſchwendung, 
ſchaffte er bei ben Handwerkern den „blauen Montag“ ab, wie. bet den 
Katholiken die überfläffigen Yeiertage. 

Zum Beften des Handels legte der König 1765 in Berlin bie 
königliche Bank an, bie den Kaufleuten zu billigen Zinſen Geld vorſchoß; 
Provinzialbanken dienten demfelben Bwede in den Provinzen. 1772 er- 
richtete er die Seehandlungs-Geſellſchaft in der Abficht, unter 
preußifcher Flagge einen Handel nad) Spanien und anderen auswärtigen 
Platzen einzuleiten; fie erhielt den Alleinhandel mit Salz und Wachs und 
mußte ihren Gewinn zu gemeinnäßigen Unternehmungen verwenden. Für 
den Binmenhanbel wurde namentlich der Bau bequemer Waſſerwege eifrig 
fortgefeßt. So ließ er in den Jahren 1764 bis 1766 den johannisburger 
Kanal bauen, ber nun in einer. Länge von 12 Meilen die mafurtfchen 
Seen verband. Zum Beften der Memelichiffahrt Iegte er 1778 den 
Gilge-Kanal an. Unter feiner Regierung ift in Preußen fo viel für den 
Flußverlehr gethan worden, wie unter ber feinigen. 

Aber immer ordnete ber König das Intereſſe des Handels der alls 
gemeinen Wohlfahrt unter; Getreideausfuhr z.B. war nur dann erlaubt, 
wenn in Berlin der Scheffel Roggen 1 Thaler, in Pommern oder Magde- 
burg 18 Groſchen koſtete. Durch ſolche Beſchränkung und durch feine 
Magazine rettete er in den Hungerjahren 1771 und 1772 fein Volt vor 
der Hungersnot, die ringsum in den Nachbarſtaaten wütete. 

Das Heer koftete unter Friedrich dem Großen im Verhältnis bei weitem 
mehr als heut; es verſchlang °/,, fpäter */, der Staatzeinmahmen; den⸗ 
nod) hatte der König für jedes nützliche Unternehmen ftets Geld, fchentte, 
unterftüßte, vergütete immerfort mit vollen Händen. Im ganzen hat. er 


Verwaltung. Rechtöpflege, 411 


in. ſolcher Weiſe während ber 20 Jahre von 1763 bis 1788 vievund⸗ 
zwanzig Milliouen Thaler für Beförderung des Ackerbaues, des Handels 
und ber Gewerbe hergegeben. Und woher kamen dieſe großen Summen, 
die er dem Volle ſpendete? Sam Teil eben aus dem Ertrage der ver⸗ 
haßten Regie, zum größeren Teile aber aus den Erjparungen, die der 
König in ſeinem eigenen Haushalt machte. Er hatte ſich fo zu fügen 
ein Gehalt als König von 1200 000 Thalern ausgeworfen — eine Heine 
Summe, wenn man fie mit den Zivilliſten ber anderen Fürften verglich. 
Damit beftritt er feinen Hofftant. Aber er verbrauchte bavon fehr wenig, 
ſchränkte feine perfönlichen Ausgaben ein, wo er nur Zonnte; je älterer 
wurde, befto einfacher und kärglicher beftelkte er feinen Haushalt, behalf 
fic) zulegt mit zwei Leibpagen, während andere Fürſten deren hunderte 
hatten, ftrid an dem Vetrage der Küchenzettel, was ihm zu viel fchien, 
gab feine glänzenden Leite, kaufte ſich feine prächtigen Kleider und kam 
mit dem ſechſten Zeil jener Summe aus"). Das übrige verwendete er 
zur Verbeſſerung des Landes. „Da Preußen arm iſt“, ſprach er, jo 
muß der Regent dieſes Landes fparfam fein und in feinen Angelegen⸗ 
beiten bie ftrengfte Drbnung halten. Giebt er das Beifpiel der Ver⸗ 
ſchwendung, jo werben feine Unterthanen, die arm find, ihm nachzuahnen 
ſuchen und ſich ruiniren. 

Überhaupt wurden die Fehler, die ſich in dem Syſtem feiner Ber- 
waltung fanden, durch die perjönliche Sorgfalt des Königs zum Teil 
wieder gut gemadjt. Auch durfte er troß Regie und Adelsbegünftigung 
mit Recht zu eimigen umzufriedenen Unterthanen jagen: „Man folle ihm 
das Land zeigen, wo es befier wäre, da wolle er mit ihnen hingehen.” 

Wegen zweierlei Dinge ift Sriedrich der Große in ganz Europa beim 
gemeinen Manne berühmt geweſen: als fiegreicher Kriegähelb unb als 
gerechter Richter. Unter den entfernteften Nationen, in Portugal und 
Sizilien priefen bie Bünteljänger, ftelten die Puppenthenter die Ge— 
ſchichte vom Windmüller bei Sansfouci dar, der den König von Preußen 


*) Ein Fremder, ber 1770 Friedrichs Kleiderlaunner zu befehen Gelegenheit Yatte, ſah 
da zwei blaue Röde mit roten Auficlägen und zerriffenem Futter, zwei mit Schnupfiabar 
überfäete gelbe Weiten, drei Bar gelbe Hofen, ein faft unbenußtes, aber 10 Jahre altes, 
blaues, fülbergeftictes Kleid, weldes fo zu fagen Friedrichs Bratenrod war. Arnim, Bere 
traute Geſchichte des preuß. Hofes III. 69. — Wie ber König in feinem Hofhalt aud; bei 
Reinigkeiten auf größte Sparfamteit ah, dafür folgendes Zeugnis bei Preuß Friedrich d. Gr. 
1. 142): ls 1784, 9. Robember, eine Heine „Extra-Gonfumtion* bei ber Eöniglichen 
Hofläe „in Summa* mit 25 Thlr. 10 Gr. 11, Pf. angegeben war, ſchrieb Friedrich 
danmter: 

ngeftollen dan ongefer 100 aufter ſeindt auf den Tiſch geivehen Koften 4 Taller bie 
Kuchen 2 Thaler, quapen Leber 1 Thaler der Fichſch 2 Thaler. Die Kuchen auf Rufiſch 
2 Thaler macht 11 Thaler, das übrige geftohlen ba ein Chen mehr Heute ift geivehen 
Hering und Erpfien fan 1 Thlr. Koften alfo was über 12 ift impertinent geftohlen. Bd.” 


412 Bom hubertaburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Groben. 


mit · dem berliner Kammergerichte bedrohte, und vom Waſſermüller Arnold 
bei Bommerzig, um den fo viele vomehme Herren auf bie Feſtung famen. 
Der alte Zeig mit feinem Krückftock warb durch fie der populärfte Fürft 
in der weiten Welt. Was war das für ein Zubel, als das Volk in 
Liſſabon ihn einmal leibhaftig vor fi) jah! es war aber nur der Schiffs- 
Tapitän Nettelbeck, den fie faßten und im Triumph durch die Straßen 
trugen. Run wifien wir zwar, daß Friedrich in der Sache des Müllers 
Amold in Wirklichkeit fich fehr vergriff; die füftriner Richter, die den Mann 
verurteilten und die Mühle verkaufen ließen, thaten nach dem Geſetz, 
und der Graf Schmettau, dem fie für rücftändigen Zins den Erlös zu— 
ſprachen, und ber Großkanzler und die berliner Rammer-Gerichtsräte, 
die das Urteil beftätigten, verleßten keineswegs Das Recht. Denn bie 
Behauptung des Müllers, daß ihm von einem Dritten durch Anlegung 
eines Karpfenteich® das Waſſer entzogen und er dadurch in bie Unmög— 
Hohleit verfeßt fei, den Zins zu entrichten, war eine Unwahrheit, obgleich 
fie vom Könige auf falfchen Bericht eines Offizierd hin geglaubt wurde. 
Zu fp&t erkannte er nachmals, daß wenigftens hier der Meine Mann 
gegen den großen Unrecht gehabt habe. Aber die edlen Ahfichten bes 
Königs, feine ftrenge Gerechtigkeitsliebe leuchten ewig hell auch aus biefer 
Übereilung hervor, und gerade dieſer Fall trug nicht wenig dazu bei, 
die Machtigen zu ſchrecken und das Vertrauen bes Volles, das jener 
potsdamer Winbmäller einer Drohung des Königs gegenüber in ben 
Borten „es giebt noch Richter in Berlin!“ fo einfach ſchön ausſprach, 
aufs ftärkfte zu befeftigen. In der That, Friedrichs Rechtapflege war 
bes höchften Lobes wert. Hier hörte bei ihm jede Vorliebe für Perſonen 
oder Stände auf, und er war allemal geneigt, eher dem Armen und 
Geringen beizwipringen. Zu wiederholten Malen fchärfte er ben Richtern 
ein, durchaus ohne Anfehen der Perſon zu richten, es fei Prinz, Ebdels 
mann ober Bauer*). Auch ließ er bekannt machen, jedermann könne zu 
jeber Zeit ſich perſönlich an th richten, werm ihm Unrecht geſchehe. Er 
betrachte fi) als Anwalt der Armen und Gebrücten, und während er 
den Adel fonft vielfach begünftigte, duldete er doch nie, daß derſelbe ſich 


*) In dem Protololl, das er (am 11. Degember 1779) über den Müller Arnoldſchen 
Fall aufnahm und allen Gerichten zuicidte, heißt ed: „Die Zuftigfollegia müflen nur 
wiffen, daß ber geringfte Bauer, ja der Bettler eben fowohl ein Menſch ift mie Se. Mar 
jeflät und bem alle Zuftig widerfahren muß, indem vor ber Juſthz alle Leute gleich find, 
«8 mag fein ein Prinz, der gegen einen Bauer Ylagt, oder auch umgelehet, fo iſt der Pring 
vor ber Zuftig dem Bauer glei und muf mad; der Gerechtigkeit verfahren werden ohne 
Anfehn der Perfon. Darnach mögen fich die Zuftigtollegien in allen Mrovinen num zu 
richten Haben, und wo fie nicht mit der Zuftig ohne alles Anfehn ber Perſon und des 
Standes gerade durchaehen, fondern bie natürliche Billigkeit bei Geite jehen, fo follen fle 
& mit Se. Mojeftät zu tum kriegen. Denn ein Juftiztollegium, das Ungerechtigkeit 
ausübt, ift gefährlicher und fhlimmer als eine Diebesbande.“ 


Das allgemeine Landrecht. 413 


Übergriffe gegen die anderen Stände erlaubte. Er ftrafte unnachfichtlich, 
wenn ihm foldhe Fälle zu Ohren kamen, und dadurch wurde befonders 
die Lage der Bauern erleichtert. Sie befanden ſich faum irgendwo in 
einem fo erträglichen Buftande wie in Preußen, hatten nirgends fo viel 
Schuß gegen die Unbil der Beamten und Edelleute wie hier. 

Ganz konnten Friedrichs vortreffliche Abfichten, die auf Befreiung 
der Bauern gingen, freilich nicht erfüllt werden, weil dazu eine völlige 
Erneuerung des geſellſchaftlichen Zuſtandes notwendig geweſen wäre Er 
überzeugte ſich durch eine Probe ſelbft davon. Am 23. Mai 1768 erließ 
er von Kolberg aus ben Befehl: „ES follen abfolut und ohne das ges 
ringfte Räfonniren alle Leibeigenſchaften ſowohl in Töniglichen als adligen 
und ftädtifchen Dörfern von Stund an gänzlich abgeſchafft werden.“ 
Die Stände widerfpracdhen einmütig: „es ſei die fogenannte Leibeigen⸗ 
Thaft in Pommern und überhaupt in Preußen mır eine Gutspflichtigteit, 
die ohne Ruin der Gutsbeſitzer nicht könne aufgehoben werben; auch 
werde die Folge fein: Wegziehen der Bauern, Entvölferung bes Landes, 
Austreten der waffenfähigen jungen Mannſchaft.“ Da ließ es Friedrich 
in einem Bezirk (im Amte Balfter in der Neumark) verjuchen, hob bie 
Leibeigenſchaft auf und machte die Bauern zu Eigentümern der Höfe 
und Inventarien. Alsbald ging ein großer Teil der Freigelaffenen auf 
und davon nad) der Weichjel, nach der Ober, überhaupt dahin, mo 
befierer Abſatz der Produkte und befferer Lohn zu finden war. Biele 
verkauften fogar ihr Vieh und entwichen mit dem Erlös. Kurz, bie 
Prophezeiung der Stände traf ein, und ber König erneuerte biefen Ver⸗ 
ſuch, der fo fhlecht abgelaufen war, wicht wieber. Aber wenn er bie 
großen Mipftände des Yeudalweiens, die noch auf dem platten Lande 
berrfchten, nicht abſchaffen konnte, ſo bemühte er ſich wenigftens fie zu 
mildern; 1773 entband er den Landmann von allen neuen Frohnden. 

Ein bleibendes Denkmal jeiner Yürforge für eine gute Rechtspflege 
ift das allgemeine preußiſche Landrecht, das er gegen Ende feiner 
Regierung durch den Großlanzler Carmer ausarbeiten ließ. Diefes neue 
Geſetzbuch war das erfte, welches is deutſcher Sprache erſchien, und das 
Ergebnis der gründlichften Unterfuchungen, ber gewiflenhafteften Be- 
mühungen und eines freifinnigen Geiftes. Carmer, felbft ein ausgezeich- 
neter Zurift, bediente ſich dabei der Hilfe eines vorzüglichen Fachmanus, 
des durch gebiegenes Wiſſen, wie durch unermübliche Wirkſamkeit hervor⸗ 
tagenden Geheimrat? Svarez. Im April 1784 legte Carmer auf Befehl 
des Königs den Entwurf auch dem Publikum zur Prüfung vor. Zugleich 
wurden für diejenigen, die Verbeſſerungen angeben würden, Prämien von 
50 und 24 Dutaten ausgefeht. Den Abſchluß des Ganzen erlebte Fried⸗ 
rich ſelbſt nicht mehr; es trat erft 1794 in Kraft und bildet noch jept 
eine Haupt-Örundlage des in Preußen geltenden Rechts. 


414 Bom Bubertsburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Großen. 


Die materiellen Intereſſen des Staates nahmen einen fo großen 
Teil der Einkünfte in Anſpruch, daß für bie geiftigen werrig übrig blieb. 
Es erſchien zwar glei; nad) dem Frieden ein vortreffliches „General⸗ 
Landſchulreglement·, aber bie beabfichtigte allgemeine Verbeſſerung bes 
Volksſchulweſens wurde aus Mangel an Gelbmitteln Dann doch wieder 
unterlafien. Was der König nicht Teiftete, übten unter feinem Schutze 
patriotiiche Märnmer aus; ber Minifter v. Zedlitz, die Geiftlichen Büſching, 
Heder, v. Felbiger, v. Rochow erwarben ſich um das Schulweſen große 
Verdienfte. Mehr that ber König für die Künfte, namentlich die Ton— 
kunſt, in der er felbft ein Meifter war; bie Oper und das franzöfiſche 
Schaufpiel exhielten, Iepteres wenigftens bis zum Begirm bes batrifchen 
Erbfolgekrieges 1778, aus dem Töniglichen Privatfäcel beträchtliche Zu—⸗ 
ſchufſe. Unter ben vielen Bauten, die er in dieſer Zeit aufführen ließ, 
zeichnen ſich außer dem neuer Palais’ zu Potsdam namentlich die beiden 
Kirchtürme auf dem Gensdarmenmarkt zu Berlin aus; fie wurden In 
den Jahres 1780—85 errichtet; ferner ebemdafelhft das Bibliotheks⸗ 
gebäude (1777), die Köntgsbrüde (1778). Seinen treuen und hochver⸗ 
dienten Feldherren Schwerin, Winterfeld, Keith, Seydlitz fette er auf dem 
Wilhehnaplah in Berim Bildſaulen zum ewigen Bebächtnis- ihrer ruhm⸗ 
vollen Thaten und zur Racheiferung für bie Überlebenden ; nad) feinem Tobe 
Kamen noch die Oeukmäler ietens und des alten Deflauers Hinzu — in 
Europa die erfte und lange Zeit die einzige Heldengallerie biefer Art. 

In die kirchlichen Dinge mijchte ſich Friedrich nur Infofern ein; als 
er jeden Übergriff einer Sehe in das Rechtsgebiet der andern zurückwies. 
Wenn nur dem Staate gegeben wurbe, was be3 Staates war, jo durfte 
men glauben, was man wollte. Doch verfannte er den Wert der Reli» 
giofttät für dem. Staat und für das Glück ber Menfchheit keineswegs, 
umd auch er forderte, daß bie Jugend in wahrer Gottesfurcht erzogen 
wärde. Bu wieberholten Malen hat er den Schulmeiſtern eingefchärft, 
daß fie der Jugend Religion beibringen follten. Unter aller vorhandenen 
Religionen. ieh er die proteftantifdje für bie vergleichsweiſe efte: Auch 
wolltener; dah der: proteftentifche Charakter. des States nicht erfchüittert 
werde. Daher gab er ein wihtiges Biolamt felten und ungern einem 
Katholiken, während er in der Armee zwiſchen den beiden Konfefftonen 
feinen Unterfchied machte. Juden ließ er gar nicht zu einem Amte zur. 
Den von ber Akademie 1763 zum Mitglied vorgefdjlagenen Philoſophen 
Mendelsſohn ſtrich er eigenhändig von der Lifte aus. Aufnahme in das 
Land weigerte er um des Glaubens willen niemandem. Bei ihm fanden 
alle beshalb Verfolgten Schuß. Er duldete in feinen Staaten fogar bie 
Jeſuiten, und als Papft Klemens XIV. deren Orden aufhob, durften fie 
in Preußen bleiben, weil fie fi) damals um den fatholifchen Jugend» 
unterricht einige Verdienſte erwarben; unter Friedrichs Regiment war 


Friedrichs Stellung zur deutſchen Literatur, 415 


nicht baran zu benten, daß Pfaffen Schaden ftiften könnten. Übrigens 
betrachtete er ſich als oberften Biſchof ſowohl der Katholiten als der 
Proteftanten, und. wie er (1773), um die Arbeitszeit zu verlängern, ben 
dritten Feiertag der hohen Fefte und von ben herfömmlichen vier Buß⸗ 
tagen im Jahre drei aufhob, fo ftrich er auch von den 35 latholiſchen 
Feſttagen 17 ab, wozu der Papſt feine Einwilligung geben mußte. 

Bezeichnend ift auch eine andere Verordnung; er änderte nämlich 
das eingeführte Kirchengebet: „Laß Dir, o Gott, empfohlen fein Ihro 
Majeftät, unfern teuerften König" dahin ab, daß es fortan hieß: 
„Lab Dir, o Gott, empfohlen fein, Deinen Knecht, unfern König.“ 
Kirchliche Frömmigkeit beſaß Friedrich ber Große nicht; er ging faft nie 
in eine Kirche und fpottete über die meiften Glaubensfagungen; aber er 
war darum nicht ohne Religion. „Mein Syſtem“, ſchrieb er einft, „ber 
fteht darin, daf ich das höchfte Weſen anbete, welches allein gut, allein 
barmherzig und deshalb allein meiner Verehrung würdig ift; daß ich bie 
Lage der unglüdlichen Menjchen, die mir befannt find, erleichtere, alles 
übrige aber dem Willen des Schäpfers unterwerfe, der über. mid) ver⸗ 
hängen wird, was ihm gut ſcheint, und von dem ich, gejchehe auch, was 
da wolle, nichts zu fürchten habe.“ Die allgemeinften. religiöſen Wahre 
beiten hielt er auch ſpäter feit; aber Die beſonderen Meimmgen der ein- 
zelnen Belenntuiſſe, die fein Verſtand ſich nicht aneignen Tonnte, waren 
ihm teils gleichgiltig, teils laͤcherlich. 

Die allgemeine Deut und Gewiffensfreiheit; die er geſtattete, durfte 
fich aud) in der Prefie äußern, nur nicht gegen den Staat. Doch went 
man in Büchern und Zeitungen ihr perjönlich angriff, fo ließ er es ruhig 
geſchehen. Gegen keinen Zürften find fo viele Gchmähfchriften erſchienen 
wie gegen Friedrich dem Großen, : und zwar vor befien Augen im Berlin 
ſelbſt. Er kümmerte ſich nicht darum oder lachte darüber, wie er that, 
als er einmal in der Jaͤgerſtraße zu Berlin an einem Haufe einen großen 
Auflauf traf und als Urſache eine Karikatur dort angejchlagen bemerfte, 
die ihn mit einer, Kaffeemühle auf dem Schoß darſtellte. Er lachte und 
Vieß dag ‚Bild niedriger hängen, damit bie-Lemte es heffer ſehen könnten. 
Das Volt jubelte ihm zu und zerriß das. Bild. 

Friedrichs Vorurteil gegen beutfche Literatur bonnte durch feine Be 
kanntſchaft mit fo mäßig begabten Geiftern wie ‚Gottfheb und Gellert 
zwar erjhüttert, aber nicht außgerottet werben; überbie mar er, wie er 
felbſt fagte, num eim zu alter Kerl, um ſich die nee deutſche Bildung 
noch anzueignen. Denn er ſprach und ſchrieb gut frangöfifch, aber ſchlecht 
deutſch. Doc) bedauerte er diefen Mangel; er vergaß nie, daß er ein 
deutſcher Fürft war. „Was ift“, ſchrieb er 1785, „rühmlicher für einen 
Deutſchen, als rein deutſch ſprechen und ſchreiben!“ Noch in feinem 
fpäten Greifenalter bejchäftigte ihn der Gedante, wie ber beutjchen Lite- 


416 Vom hubertsburger Frleden bis zum Tode Friedrichs des Großen. 


ratur aus ihrer Verkommenheit wohl aufzuhelfen ſeil. Gr verfaßte 1779 
eine Abhandlung darüber, ein gut gemeintes Schriftchen, das aber be 
weift, wie ganz unbelannt er mit dem großen Aufſchwung war, ben bie 
Sprache, bie er verbeſſern wollte, bereit3 genommen hatte. Freilich die 
deutfchen Auffäge, die allein ihm zu Geficht kamen, nämlich bie Berichte 
feiner Juſtiz⸗/ Finanz⸗ umd anderer Kollegien, waren nod) immer in 
jenem barbarifchen Stil voll langathmiger, holpriger Perioden, der feinen 
Schönheitsfiun von jeher fo ſchwer beleidigt hatte. Dennoch gab er ſich 
gern der Hoffnung Bin, daß einft auch die Mufen in Preußen ihren Sitz 
aufſchlagen würden. „Einft werden wir“, fo heißt es in jener Abhand⸗ 
Img, „unfere Haffiichen Schriftfteller haben; jeder wird fie Iefen, um fi 
daran zu bilden, unjere Nachbarn werben deutſch lernen, an ben Höfen 
wird man es mit Freuden ſprechen. Schon Die Hoffnung macht wich 
glücktich, daß Kumft und Wiffenſchaft, wie vormals in Griechenland und 
in Stalien, dereinft in Preußen ihre Wohnftatt finben werben.” Der alte 
Mann geftand es nicht gern, aber es ging ihm nahe, daß er ſich um bie 
gelehrten und ſchönwifſenſchaftlichen Arbeiten feiner Nation fo werig ber 
Kimmert hatte. Auf feine Beranlaffıng wurde in Königsberg eine 
„beutfche Gefellfchaft" geftiftet, welche die Ausbildung der Mutterſprache 
zu ihrem Haupizweck Hatte; andy befahl er, den deuſchen Unterricht in 
den Schulen Hinfort zweckmäßiger zu betreiben. Mehr als dieſe wenigen 
Einzelheiten wirkte immer bie Anregung, die er bem deutſchen National» 
geift durch feine Großthaten gegeben hatte. 


Answärtige Angelegenheiten. 
Die erfte Teilung Polens. 


Der hubertsburger Frieben beendete zwifchen Preußen und Öfter» 
reid) den Krieg, aber nicht die Feindſchaft. Die beiden Staaten waren 
natürliche Rebenbubler, fo lange jeder eine beutiche Großmacht blieb. 
„Kape bleibt Katze, was fe auch thun mag“, pflegte Friedrich von dem 
wiener Hofe zu fagen; er traute ben Öfterreichern niemals.‘ Auch zu: ben 
andern Großftaaten hatte Preußen fein freumbliches Verhältnis; es ſtand 
einfam de, nur auf ſich felbft geftügt, und ba es in Hinficht auf feine 
materiellen Mittel, auf Bevölterumg und Landgebiet bei weitem bie Heiufte 
unter ben europäifchen Großmächten war, fo enthielt Diefe Vereinzelung 
große Gefahren. Zu ſchwer war der Kampf mit halb Europa geweien, 
als daß Friedrich ſich ihm noch einmal hätte ausfeen mögen, und 
da von allen feinen früheren Feinden Rußland ſich ihm am gefähre 
lichſten erwiefen, fo fuchte er jetzt befien Freundſchaft. Im Jahre 1764 


Die exfte Teilung Polens. 417 


ſchloß er mit der Katferin Katharina ein Bündnis zu gegenfeitiger Unter- 
ftügung in Notfällen. Dadurch kam er nun zwar, was ihm zunächſt 
das Wichtigſte war, ans feiner Iſolirung heraus; aber das Verhältnis, 
in welches er eintrat, hatte freilich auch fein Bedenkliches. Denn Preußen 
konnte von feinem Bunbesgenoffen nicht Nupen ziehen wollen, ohne feiner- 
feits demfelben Vorteile zu gewähren. Es fragte ſich, ob die Intereſſen 
beider Staaten überall gehörig zujammenftimmten, und bies war doch 
teineswegs ber Fall. Friedrich wußte es wohl, aber er mußte die Dinge 
nehmen, wie fie lagen; übrigens war er Teineswegs gemeint, ſich mehr 
benußen zu laffen, aß billig wäre Er machte die Freundſchaft mit 
Rußland zu eimem Faktor der preußiſchen Politik, aber er war nicht der 
Wann, aus der Freundſchaft eine Vaſallenſchaft werden zu lafien. Er 
brauchte für feine Stellung in der Mitte Europas eine Rückendeckung im 
Dften; gerade deshalb konnte er nicht darauf verzichten, auf den Oſten 
mitgeftaltend einzuwirten. Und eben jept bereiteten ſich bort die größten 
Veränderungen vor. 

Rußlands gewaltige Raturkraft, Hug geleitet und. ſcharf geſpornt 
von einer herrfchfüchtigen Fürftin, die fid) gem die Semiramis des Ror- 
dens nennen ließ, drängte immer gewaltiger gegen die ſchwachen Boll- 
werle von Mittel- und Südeuropa, gegen Polen und bie Türkei. Fried⸗ 
richs Bachſamkeit entging Teiner der begehrlichen Blice, die Katharina II. 
zunächft auf Polen warf. Diefer große, aber verrottete Staat ſchien zum 
warnenben Beifpiel auserfehen, wohin bie ungezügelte Herrichaft von 
Edelleuten und Prieftern ein Volk führen muß. „Lange bevor bie treu- 
Iofe Politik der Nachbarn dort gewaltſam in die Dinge eingriff, war das 
enbliche 208 dieſer zerrütteten Staatsverbindung mit Sicherheit voraus: 
zuſehen: erlag fe nicht einem gewaltfamen Stoße von außen, jo mußte 
fie an dem Prozeſſe innerer Zerſetzung zu Grunde gehen, den der Mangel 
aller gefunden geſellſchaftlichen Bildung und jeder ftaatlichen Organiſation 
langfam, aber ſicher vorbereitete. Ein Volk von Sklaven, tumultuariſch 
geleitet von einer leichtfertigen und abentenernden Ariftofratie, in welcher 
fi) die Untugenden der Barbarei mit Laftern der Ziviliſation verſchmol⸗ 
zen, rohes Sarmatentum und überfeines, verfaulendes Franzoſentum ar 
einander geliebt, — das alles unter einer fogenannten republifanichen 
Verfaffung, weiche bie Anarchie der Cinzehwillfür (das liberum veto 
jedes der hunderttauſend Gdelleute) und die Gedanken und Gejehes- 
verwirrung auf ben Thron erhob, wer wollte von biefem unheilbaren 
Bufte eine gedeihliche Entwidelung erwarten?“ *) Dean aud) die Mög- 
lichkeit der Beſſerung fehlte, der Kern jeder Volkskraft, das Bürgertum. 
Hier gab es keinen Mittelftend, nur Herren und Kuedhte. Handel und 


*) Häuffer, beutiche Geſchichte I. 138. 
‚Bierfon, prenf. Geſchichte. J. 27 


418 Bom Hubertßburger @rieben bis zum Tode Friedrichs bes rohen. 


Wandel lag in den Händen der Juden, die mit dem Adel und der ka— 
tholifchen Geiftlichfeit um die Wette das leibeigene Bolt ausbenteten. 
In dem Staate wie in den Haushaltungen. berichte jene wüfte „polnifche 
Wirtſchaft“, die in der ganzen Welt berüchtigt ift. Ein Wahllönig ohne 
Macht, ein Reichstag, ber feinen Beſchluß faflen Tomte, ohne die ganze 
Nation in wilder Parteiung zu fpalten — das waren bie Lenker des 
Reichs: fie hatten feit Jahrhunderten nichts gethan, Polen aus den Zus 
ftänden bes Mittelalters heraus zu führen. Darum mußte e8 nun, 
morſch geworden, in Trümmer fallen. 

Schon in ber Mitte des fiebzehnten Jahrhunderts war den Nach- 
barn der fehr natürliche Gedanke gefommen, Dies ohnmächtige, zerrüttete 
Reid) unter ſich zu teilen. Sie waren aber damals noch bei weiten 
nicht groß genug, einen ſolchen Biffen verfchlingen und verdauen zu 
können. Geitdem hatten fie in materiellem und geiftigem Wachstum 
noch größere Fortſchritte als Polen Rückſchritte gethan. Namentlich 
waren mittlerweile Rußland umd Preußen Großmächte geworden, und 
das letztere bedurfte nicht bloß im allgemein deutſchen Intereffe, ſondern 
was die Hauptſache war, um feiner ſelbſt willen wenigſtens desjenigen 
Stücks von Polen, das durd) Naturrecht und Rotwendigfeit zu Deutfch- 
land und Preußen gehörte, nämlich des polnifchen Weſtpreußens, eines 
deutſchen Landes, das die Polen nur nad) dem Rechte der Gewalt be 
faßen. Seit Oftpreußen mit Brandenburg vereinigt war, ſeit es einen 
brandenburgifch-preußtfchen Staat gab, war die Ausfüllung der Lüde nur 
eine Trage der Zeit, und Friedrich der Große hatte ſchon als Kronprinz 
die Erwerbung Weftpreußens als dringend notwendig erkannt. 

Dennod war Rußland für Polen ein viel gefährlicherer Feind; es 
wollte nicht eine polnifche Provinz, es wollte ganz Polen an fid) reißen 
ober biefes Neid) doch mindeftens in völlige Abhängigfeit von fi) 
bringen. Dies war ſchon Peters des Großen Abficht, fie vererbte auf 
feine Nachfolger, und Katharina II. war feft entichloffen fie durchzu⸗ 
führen. Welche ungeheure Gefahr für das ganze Abendland! Die furdt- 
bare, eroberungsfüchtige ruſſiſche Macht, durch Polens Befip oder Beherr- 
{hung zum Koloß gewachſen, ftand dann an der Schwelle Deutichlanbs, 
des Herzens von Europa. „Es könnte dann wohl“, ſchrieb Friedrich 
feinem Bruder Heinrich, „den Öfterreichern Schmerz und Neue bereiten, 
daß fie dies barbarifche Volt nad) Deutfchland gerufen und es ben Krieg 
gelehrt haben; aber ihre Leidenschaft und ihr Haß Hat fie über die Folgen 
verblendet, und wie die Sachen jetzt ftehen, fehe ich feine Rettung mehr, 
als daß man mit der Zeit einen Bund der größten Staaten bildet, un 
fi) dieſem gefährlichen Strome entgegenzuftellen.” Allein dazu war in 
der That feine Ausfiht. Bon dem fchlaffen Regierungen Frankreichs 
und Englands konnte Friedrich für fid) nichts Gutes, von dem neid- und 


Die erfte Teilung Polens. 419 


haßerfüllten wiener Hofe konnte er nur Schlimmes erwarten. Das einzig 
Richtige unter den damaligen Umftänden war, Preußen teil nehmen zu 
lafien an der Beute, die Rußland erftrebte. 

So faßte es denn auch Friedrich auf. Sein Bund mit Katharina 
gewahrte ihm einigen Einfluß auf die ruſſiſche Politik; er bemußte diefen 
fehr gewandt dazu, Rußlands ungebuldige Eroberungsfucht zu zügeln 
und möglichft zu feinem eigenen Vorteil zu wenden. Katharina II. hatte 
nad) dem Tode Augufts II. die Wahl des polniſchen Edelmanns Sta- 
nislaus Poniatowski zum Könige von Polen erzwungen (1764) und ge- 
brauchte nun ihren Einfluß, um die Lage der Diffidenten in Polen zu 
verbeffern. Als natürliche Schirmherrin der Griechifch» Katholtfchen for- 
derte fie für dieſe und, hierbei von Friedrich unterftäßt, auch für bie 
Evangeliſchen gleiche Rechte mit den Römiſch-Katholiſchen. Darüber 
entbrannte in Polen der Bürgerkrieg; ein Zeil bes Adels tonföberirte 
ſich gegen, ein anderer für die Rufen und deren Schüßlinge. Katharina 
ließ Truppen in das Land einrücen und befiegte die Konföberirten. Zu- 
gleich bedrohte fie das osmaniſche Reich, und da es ſich emporraffte, um 
Polen und ſich felbft gegen die moskowitiſchen Übergriffe zu ſchützen 
(1768), entriß fie ihm in einem glücklichen Kriege die Moldau und bie 
Waliachei, und ſchien nicht geſonnen, dieſe wichtigen Länder wieder heraus- 
zugeben. Damit griff fie aber dem habsburgiichen Donaureiche an bie 
empfindlichfte Stelle; außer der polntfchen brannte mın aud) die türkische 
Frage; die eine wie die andere gefährdete Deutſchlands Sicherheit und 
den Frieden Europas. Kam es zum Kriege zwiſchen Rußland und 
Öfterreih, fo mußte Friedrich kraft des Vertrages von 1764 dem erfteren 
eimen bewaffneten Beiftand leiſten; dazu hatte er aber gar feine Luft. 
Es war ihm ſchon beſchwerlich genug, daß er in Gemäßheit jenes Ver⸗ 
trages an Rußland, feit es mit der Türkei im Kriege war, ein Hilfsgelb 
(Hihrlic) 480 000 Thaler) zahlen mußte. Er verfuchte deshalb eine Ans 
näberung an den wiener Hof; in der That konnte die ruſſiſche uͤbermacht 
nur durch feftes Bufantmenhalten ber beiden deutſchen Großftaaten zurüd- 
gebrängt werben. Daher veranlaßte er den jungen Kaifer Joſef II. ihm 
einen freundſchaftlichen Befuch zu machen, welcher am 25. Auguft 1769 
zu Neiße ftattfand. Friedrich fprach bei dieſer Gelegenheit die beher- 
zigenswerten Worte: „Wir Deutichen haben lange genug unter einander 
unfer Blut vergofien; es ift ein Sammer, daß wir nicht zu einem beſſeren 
BVerftändnis kommen können.” Im folgenden Jahre erwiberte er biefen 
Beſuch zu Reuftabt in Mähren. „Fir Ofterreidy“, ſprach Joſef verbind⸗ 
lich, „giebt es fein Schlefien mehr.” 

Es blieb indes bei ſchönen Worten. Denn wenn Sofef II. aud) 
nicht umbin konnte, den großen König zu bewundern, fo haßte er ihn 

Pro 


420 Vom Hubertsburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Großen. 


im Grumde doch faum minder, als Maria Therefia felber e8 that.*) 
Das gegenfeitige Mißtrauen wurde nicht gehoben; body erreichte Friedrich 
durch dieſe Annäherung an Ofterreic, den beabfihtigten Zweck, Rußland 
einzufchächtern und es für einen Vorſchlag, den er ſchon im März 1769 
zur Löſung der öftlichen Wirren hatte thun laffen, williger zu machen. 
Damals hatte er durch feinen Gejandten in Petersburg bemerflich ge 
macht, die Differenzen mit Oſterreich wären zu heben, wenn Rußland 
den Zürken einen billigen Frieden zugeftehen und fi mit Preußen und 
Öfterreich zu einer Teilung Polens verbinden möchte.“) Damals war 
Katharina nicht darauf eingegangen. Jetzt aber, da Öfterreich in betreff 
der Donaufürftentümer eine drohende Haltung annahm, da die Türken 
zum Widerftande neuen Mut faßten, und in Polen die Konföberirten fi 
wieber erhoben, fing fie an ihre Anfprüche herabzuftinmen. 

Den entſcheidenden Anſtoß gab dann, daß Marta Therefia (im No— 
vember 1770) ein Stück polnifchen Gebiets, den Zipſer Kreis, bejeßte. 
Die Zarin brachte nım ihrerjeits — zunächſt in einem Gefpräch mit dem 
Prinzen Heinrid) von Preußen, der im Januar 1771 Petersburg befuchte 
— den Gedanken einer Teilung Polens auf die Bahn. Friedrich förderte 
benfelben weiter, vermittelte auf Grund desſelben zwiſchen Wien und 
Petersburg. Dort wie hier mußte man diefen Ausweg als das Mleinere 
von zwei Übeln, die zur Wahl ftanden, anerkennen. Am 5. Auguft 1772 
ſchloſſen bie drei Mächte den Zeilungsvertiag. Kraft desjelben nahm 
Rußland Litauen (2000 Duadratmeilen), Ofterreidh Galizien (1300), 
Preußen aber das untere Weichfelland, Weftpreußen und den Netzediſtrikt 
(645 Duadratmeilen), in Beſitz. Den polnifchen Reichstag und König 
zwangen fie durch Waffengemalt zur Einwilligung. So gelang e8 Yried- 
rich dem Großen, ben Frieden zu erhalten, das osmanifche Reid, und 
den größten Zeil Polens aus Rußlands Klauen zu erretten und feinen 
eigenen Staat um eine höchft wichtige Provinz zu vergrößern. Sein 
Anteil war äußerlich zwar der Heinfte, aber durch Lage und Beſchaffen— 
heit des Landes ungemein wertvoll. Weftpreußen mit Marienburg, El— 
bing, Kulm, Romerellen und Ermland (body ohne Danzig und Thom, 
die noch polniſch blieben), dies &ebiet ſchloß die Lücke zwiſchen Oftpreußen 
und dem Kerne der Monarchie und brachte der inneren Kraft des Staates 
einen beträchtlichen Buwads. Denn diefe neue Provinz war fruchtbar 
und ziemlich gut bevölfert, und die 600 000 Einwohner, bie darin Iebten, 
waren großenteil$ Deutfche. 

So warb „Neubeutfcjland“, das der Habsburger Kaifer Friedrich III. 
einft ruhig hatte den Polen ausliefern laſſen, durch den hohenzollerſchen 


*) Maria Thereſia und Zofef II., Correfponbenz, Heransg. d. Arneth, I. HOF. u. a. 
Bol. Beer, Erſte Zheilung Polens II. 39 f. 


Die erfte Teilung Polens. 421 


Friedrich dem Vaterlande wieder zurückgebtacht. War die Teilung Polens 
auch ein Gewaltftreich, das deutſche Volt hat doc, allen Grund Friedrich 
dem Großen dafür dankbar zu fein; Weftpreußen felber fegnet den Tag, 
da Friedrich es wieder deutſch machte. Ganz Europa, am lauteſten 
Frankreich und England, jchrie Beter über die unerhörte Gewaltthat der 
drei Oſtmächte, und da man Friedrich für den Urheber hielt, während 
er doch nur der Vermittler war, fo fiel auf ihn am meiften das Ge— 
bäffige der That. Aber war es fo ſchlimm, daß ein deutſcher Fürft den 
Bolen 1772 ein deutfches Land fortnahm, welches fie 1466 von Deutjch- 
land abgerifien hatten? und werm bies nicht anders gefchehen Tonnte, 
als daß zugleich polnifche Länder an Rußland und Ofterreich Tamen, wo 
fonft lag die Schuld davon als in dem Unverſtand der Polen, weldhe 
die Rufen ins Land gerufen, in der Zerrüttung ihres Staats, der nicht 
mehr lebensfähig war, und in der Unthätigfeit der Weftmächte, welche 
der ganzen Entwidelung müßig zugejehen hatten, anftatt rechtzeitig ein- 
gugreifen! . 

Schon am 13. September 1772 nahm Friedrich Weftpreußen in 
Beſitz; am 27. ließ er fi) in Marienburg buldigen. Er nannte ſich 
feitdem nicht mehr König in Preußen, fondern König von Preußen, ' 
weil er nun auch den weitlichen Teil befaß. Ein Jahr darauf genehmigte 
der polnifche Reichstag diefe Abtretung, verzichtete auch auf dem der⸗ 
einftigen Rüdfall Preußens nach dem Erlöſchen des brandenburgiſchen 
Haufes; ebenſo auf die Oberlehnshoheit über Bütow und Lauenhurg und 
auf bie Einlöfung des Amtes Draheim. Im Mai 1775 ließ Friedrich) 
auch zu Inowrazlaw im Nepebiftrilt die Huldigung vomehmen. Gleich) 
in ben erften Zahren baute er zur Sicherung des Gewonnenen eine neue 
Feſtung, Graudenz, die 1776 fertig war. Er hatte übrigens die Grenzen 
gegen Polen etwas weiter ausgedehnt, als er eigentlich durfte. Er that es 
nad) dem Beifpiele Oſterreichs, beffen Beherrſcherin die Teilung Polens 
zwar beflagte, Doch zugleich möglichft ausnutzte. „Sie weinte und heute“ 
(fagte Friedrich der Große von Maria Therefia), „aber babei riß fie ein 
weit größeres Stüd an fi), als abgemadjt war.“ 

Die neue Provinz „Weitpreußen“ wurde fehr ſchnell auf preußifchen 
Fuß eingerichtet und aller der Wohlthaten teilhaftig, welche die alten 
Lande unter Friedrichs Zepter genofien: Gewiflensfreiheit (die vornehm- 
li) den zahlreichen und bisher gedrüdten Proteftanten erwünſcht war), 
raſche und unparteitfche Rechtspflege, befleres Schulweſen (das hier ganz 
im argen gelegen) und eine Verwaltung, die, wenn fie vom Lande an 
Steuern und Rekruten viel verlangte, dagegen aud) alle Erwerbszweige 
belebte und neue Hilfgquellen eröffnete. In letzter Beziehung wirkte außer 
der Einführung der Poſt namentlich der bromberger Kanal jehr 
beilfam, den Friedrich binnen eines Jahres (1772—73) zur Verbindung 


422 Bom huberisburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Groben. 


der Brahe bei Bromberg mit ber Netze bei Nakel, alſo ber Weichſel mit 
der Oder, erbauen ließ. Er toftete 750000 Thaler, aber er hob bie 
Binnenfhiffahrt‘ nicht nur in Weftpreußen, fondern aud) in den weiter 
weftlic) gelegenen Provinzen ehr beträchtlich, und der wichtige polniſche 
Getreide- und Holzhandel kam nun großenteils in preußifche Hände. 
Auch der ähnlich nüßende Kraffohllanal zwifchen den Flüffen Elbing und 
Nogat ftammt aus Friedrichs Zeit (1783). In den Städten wurde den 
Evangeliſchen und Deutſchen das Übergewicht, wo fie es verloren, wieder 
zurückgegeben, und die Zefuitenfollegien in Gymmaften verwandelt. Auf 
dem Lande begann das Kolonifiren, wie es die Hohenzollem überall ge- 
pflegt, wohin fie vordrangen. Friedrich hat in diefen Gegenden 1400 
deutſche Familien angefiebelt. Doch auch das eingeborne Landvolk fand 
Urfache, den Herrfcjaftswechfel zu fegnen. Friedrich ſchaffle bie perfän- 
liche Leibeigenfchaft der Bauern, die an vielen Orten beftand, ſamt ihren 
barbariſchen Sitten ab, und indem er zahlreiche Elementarſchulen erridh- 
tete und die Herrſchaft des Gefehes an die Stelle ber früheren Adels- 
und Priefterwilltür jeßte, hob er das niedere Volk allmählich) aus der 
geiftigen Stumpfheit empor, in welche es, ſeitdem das Land zu Polen 

' gehörte, verfunten war. Bald kam das deutſche Weſen hier wieder in 
Blüte, und die alte polniſche Wirtſchaft zog fich vor ihm immer weiter 
an die Grenzen zurüd. 

Die Kulturfiege, die Friedrich hier erfocht, gehören zu den fehönften 
Erinnerungen an feine Seit; aber ber Dank für fie gebührt zum großen 
Teil aud) den eifrigen und umfichtigen Gehilfen, die er bei dieſem Werke 
hatte, den beiden Präfidenten v. Domhardt und dv. Brentenhof, 
zweien Beamten, die um MWeftpreußens Hebung und Germanifirung bie 
größten Verbienfte gehabt haben. Namentlich hat Brentenhof viel ge- 
leiſtet.) Ein Mann von großem praftifchem Geſchick, ungemeiner Ar- 
beitskraft und bingebendem Eifer, war er bei der Wiederherftellung ber 
Neumark und Pommerns nad) dem flebenjährigen Kriege des Königs 
rechte Hand. Der Wiederaufbau der Ortſchaften, die Aufhilfe des Guts- 
abels, die Entwäflerung der Brücher, die Herbeiziehung von Kolomiften, 
alle Arten von Landverbefierungen wurden hier mit feiner Hilfe ins 
Werk gefeßt, und viele gingen von ihm felbft aus. Ebenſo wirkte er 
dann nad) der Teilung Polens im Nepediftrikt; er Hat aud) den Bau 
des bromberger Kanals entworfen und ausgeführt. Achtzehn Jahre 
lang, von 1762, wo er aus deſſauiſchem Dienfte übergetreten war, bis 
an feinen Tod im Jahre 1780, nüßte er fo dem preußifchen Staate, 
und er feßte dabei fein Vermögen zu. Der einzige Lohn, den er hinter- 


9) Bol. Leben des Franz Sqhonberg d. Brentenhof, Kal. Preuß. Geheimen Ober- 
Finanz, Kriegs: und Domainenrathe (von Meihner), Leipgig 1782. 


Der batrifäje Erbfolgekrieg und der deutjche Fürftenbun. 423 


ließ, war Friedrichs anertennende Äußerung, „es gehöre unter die Bor- 
züge feiner Regierung, einen Diener wie Brenfenhof gehabt zu haben.“ 


Der bairiſche Erbfolgehrieg und der deutſche Fürſtenbund. 


Als Joſef II. nad) dem Tode feines Vaters Franz I. 1765 zum 
deutſchen Kaifer gewählt wurde — Friedrich der Große gab ihm gem, 
wie er es im hubertsburger Frieden verfprochen, feine Stimme, denn 
was bedeutete damals jene Würde? — da gedachte der junge Fürft 
große Dinge mit feinem neuen, hochklingenden Titel auszuführen, ein 
ftarfes deutſches Kaifertum herzuftelen und das Reich zu reformiren. 
Er fand aber jehr bald, daß dieſer fchöne Traum fich nicht verwirklichen 
Heß. Auch der Hleinfte Verfuh, in den Wuft der Reichsverhältniſſe 
Drdnung zu bringen und bie verknöcherten Formen zu beleben, fcheiterte. 
Seine Reformen vermehrten nur den unermeßlichen Ballaft von Akten, 
den bie Schreiber bes Reichshofrats und Reichslammergerichts ſeit Jahr⸗ 
Hunderten aufgehäuft. Auch der Heinfte Landesherr wollte fein Titelchen 
feines fouveränen Rechts ober Unrechts aufgeben; die großen dachten 
ohnehin nicht daran. Nachdem er fi einige Jahre in diefem Hoffnungs- 
Iofen Beginnen vergeblid, abgemüht, gab Joſef feine redlichen Abfichten 
notgedrungen auf und fehlug fid auf die große Heerftraße, die feine 
Borgänger feit Rubolf I. gegangen waren; er beſchloß, da er dem 
Reiche nicht helfen konnte, das Kaifertum zum Nuben feines Haufes 
auszubeuten, wie Habsburg es immer und mit fo viel Erfolg gethan. 
Darin traf er mit den alten Überlieferungen der wiener Hofburg und 
mit der Politik des Minifters feiner Mutter, des Grafen Kaunitz, zu⸗ 
ſammen. In Wien konnte man es nicht verjchmerzen, daß man in 
Schlefien nicht nur eine ſchöne Provinz, ſondern auch einen großen Teil 
des alten Einflufjes auf Deutſchland verloren, daß fi) neben Dfterreich 
eine andere deutſche Großmacht gebildet hatte. Man beichloß, fih für 
Schleſien an einem anderen deutſchen Lande zu entichädigen, und als im 
Zahre 1777 bie bairiſche Linie des Haufes Wittelsbach mit dem Kur- 
fünften Mar Joſef ausftarb, ſchien dies eine vortreffliche Gelegenheit, 
um Baiern zu erwerben. Bivar gab es noch eine pfälifche Linie 
Wittelsbach, und fie war erbberechtigt. Aber Joſef II. bewog das 
Haupt berjelben, den Kurfürften Karl Theodor von der Pfalz, ihm einen 
großen Teil von Baiern abzutreten; dagegen wollte er deſſen uneheliche 
Kinder mit Titeln, Einkünften und Ländereien verforgen, auch zum 
Beften der verſchwenderiſchen Hofhaltung des Kurfürften ein gutes 
Stüc Geld hergeben. So wurden bie Baiern, wie eine Herbe Vieh, 


424 Bom hubertsburger Frieben bis zum Tode Friedrichs des Großen. 


verhandelt. Im Januar 1778 beſetzten die öſterreichiſchen Truppen das 
Land. Joſef U. meinte, jo die ſchleſiſche Erpedition Friedrichs bes 
Großen kopiren zu können. 

Er hatte aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Jede Ver— 
größerung Öfterreih® in Deutf—hland war ein Nachteil für Preußen; 
Friedrich ſchritt Daher ein, er veranlafte ben mächftberedhtigten Erben, 
den Herzog Karl von Bfalz-Siweibräden, gegen ſterreichs Gemaltthat 
zu proteftiren und Preußen um Hilfe anzurufen, und als feine Verhand⸗ 
lungen mit dem wiener Hofe nicht# fruchteten, zog er, obgleich ſchon hoch⸗ 
betagt, das Schwert und brach mit einem Heere in Böhmen ein (6. Juli 

1778). Die Öfterreicher, die hier raſch ihre Truppen verſtärkten, bes 
zogen eine fefte Stellung zwifchen Prag und der oberen Elbe. Bu einem 
bedeutenden Bufammenftoß Tam es aber nicht; denn Maria Therefia, 
nım alt ımd friedfertig, mochte ſich und ihre Völker nicht wieder in bie 
Schrecken eines großen Krieges ftürzen, fah auch ein, wie ungerecht 
diefer bairifche Handel war. Auf ihren Befehl mußte Kaunitz die abge- 
brocjenen Unterhandlungen mit Zriebrid) dem Großen wieder anknüpfen. 
Auch das Ausland mifchte ſich hinein, Rußland drohte, Frankreich ver 
mittelte. Zuletzt gab Joſef II. nad). So ward am 13. Mai 1779 der 
Friede zu Teſchen geſchloſſen, in welchem Hlterreich mit einem Heinen 
Teile Baierns, dem fogenannten Innviertel, abgefunden wurde, alles 
übrige aber wieber herausgeben mußte. So war Zofefs Plan gejcheitert, 
und Friebrid, hatte Baiern gerettet. 

Diefer bairifche Erbfolgekrieg — Kartoffelfrieg nannten ihn die 
Soldaten, weil es bei Streifzügen und Fouragtrungen geblieben war — 
koftete dem preußifhen Staate doch 29 Millionen Thaler und 20000 
Mann, welche durch Seuchen im Lager und auf ben Märjchen in 
Böhmen umgelommen waren. Dafür hatte Preußen eine große moralifche 
Eroberung gemacht; «8 ftand als Schüßer der Heinen deutſchen Fürften 
gegen bie habsburgiſche Vergrößerungspolitik ba. Selbft katholiſche 
Stifter fleten nun in Berlin um Hilfe, weil Joſef II. fortfuhr, macht⸗ 
loſe Reichftände zu vergemwaltigen. Hatte früher öſterreich die Reichs- 
ftände in fein Schlepptau genommen, jo fiel diefe Rolle nun Preußen zu. 
Friedrich der Große übernahm fie mit gewohnter Thatkraft. Es mochte 
ihm wohl feltfam vorkommen, jegt in feinem Alter den Schirmherrn 
jener verrotteten Reichsverfaffung zu fpielen, die man abgeſchmackter 
Weiſe die deutſche Freiheit. nannte und Die er fein lebelang verachtet 
hatte; aber er that es gern, weil er dadurch den leitenden Einfluß in 
den deutjchen Dingen in bie Hand bekam. Übrigens wenn mar, wie es 
doc) fein follte, mit dem Katfertum den Begriff des mächtigen Schußes 
für die Kleinen und Schwachen und einer ftarten Anwaltihaft für das 
Bol verband, fo mußte man geftehen, Friedrich der Große entiprad) 


Der bakstfäe Erbfolgelsieg. 425 


dieſem kaiſerlichen Wefen am allerbeften. Denn er war doc; ber einzige 
deutſche Fürft, der in feinem Staate einen gewiſſen Rechtszuftand, eine 
geficherte Wirkfamleit der Gerichte einführte und aufrecht hielt; er, ob» 
wohl Proteftant, oder Freigeiſt, wern man will, doch ber einzige, ber 
jelbft die katholiſchen Kirchengäter und Orden, die Damals von den an 
gejehenften Tatholifchen Regierungen auf das gemwaltthätigfte behandelt 
wurden, in feinen Landen ungefränft ließ; er endlich der einzige, der 
den nieberträchtigen Menfchenhandel, welchen eben jet wieder fo viele 
deutſche „Lanbesväter“, namentlich die von Hannover, Hefjen-Kafiel, 
Ansbach, Zerbft, mit ihren gebuldigen Unterthanen betrieben, nicht nur 
mit Worten an den Pranger ftellte, ſondern auch mit wirkſamer That 
befämpfte. Er verweigerte im Jahre 1777 ben als Kanomenfutter nad) 
Amerifa vertauften Truppen den Durchzug durch feine Staaten und er- 
ſchwerte dadurch dieſen Menjchenhandel jo, daß das Geſchäft ing ſtocken 
geriet, wie denn namentlich ein von England mit dem Herzog von 
Würtemberg beabfihtigter Lieferungsvertrag mm, wegen ber Sperrung 
des Rheins bei Wefel, nicht zu ftande kam. Friedrich that dies zumächft 
freilich, um Deutſchlands Wehrkraft daheim zu behalten ımd weil er mit 
der von England befämpften jungen Republit fympathifirte — er zuerit 
von allen unbeteiligten Souveränen hat fie anerkannt, hat ihren Ge— 
fandten Benjamin Franklin empfangen und mit ber Union einen Freund» 
ſchafts· und Handelsvertrag voll freifinniger und humaner Grundfäße 
geihloffen (10. September 1785) —; aber er befeindete jene Seelen- 
verfäuferei Doch aud darum, weil fie eben fein Herz empörte. Auch 
war es nod) in frifchem Angebenfen, wie nachdrücklich er in einem an- 
dern Falle ſich der Bevöllerung eines deutſchen Kleinftantes wider fürft- 
liche Willküur angenommen. Als kurz nach bem fiebenjährigen Kriege 
der Herzog Karl von Würtemberg die Verfafiung feines Landes und 
Die Gerechtſame der proteſtantiſchen Kirche in demfelben verlept hatte, 
wurde er von den würtembergiichen Ständen vergebens bei bem Reichs- 
bofrat in Wien verkllagt. Da wandten fie fih um Hilfe nad Berlin. 
Sofort ließ Friedrich) dem Reichshofrat erklären, er fordere ein rafches 
und unpartetifches Erkenntnis in der würtembergifchen Sache, und feinen 
Gejandten in Stuttgart, den Grafen Schulenburg, wies er an, „wenn 
der Herzog bei feinem Stück beharre, in hohem Tone zu ihm zu fprechen - 
und ihm bie Zähne zu zeigen“ (Juli 1766). Dies half; ber Herzog 
lenkte ein, vertrug fid) mit feinen Ständen und ftellte die würtem⸗ 
bergifche Verfafjung wieder her. Dann hatte die Rettung Baiernd ge: 
zeigt, daß Friedrich jo gut die Fürftern wie das Volk in ihrem Rechte 
zu ſchützen verftand. Kurz, gegenüber ber revolutionären Politik, die 
Kaifer Joſef mit löblichem Reformeifer, aber ohne Friedrichs prattiſches 
Genie, daher in überftürzender Haft verfolgte — „ein guter Kopf“, 


426 Vonm Huberköburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Großen. 


fagte Friedrich von ihm, „Schade, daß er immer den zweiten Schritt 
thut, ehe er dem erften gethan Hat“ — gegenüber dem tumultuariſchen 
Reformiren in Öfterreid), wo Joſef nad) feiner Mutter Tode (1780) 
das unterfte zu oberft Tehrte, um im nu die zahliofen feudalen und 
priefterlihen Mißbräuche auszurotten; gegenüber den Angriffen, die ber 
Kaifer, um das Kaifertum zu ftärken, gerade nur auf die wehrlofen 
Reichsglieder verſuchte — mußte Friedrichs freifinnige und kühne, aber 
zugleich befonnene und gerechte Art den Deutfchen im beften Lichte einer 
echt konſervativen Politik erfcheinen. 

So erlebte man es, daß der Friedensbrecher von 1740, der Gründer 
einer Großmacht, für welche die Feſſel des Reichsverbandes nicht mehr 
vorhanden war, vierzig Jahre Darauf Die Aufgabe erhielt, das alte deutſche 
Reich gegen den Kaifer zu vertreten. Es war dies eine natürliche Folge 
von ber Nebenbuhlerſchaft der beiden deutſchen Großſtaaten und von ber 
Politik Joſefs II, Vergrößerung auf Koften des Reichs zu fuchen. 

Der Kaifer feinerfeits, durch den Fehlſchlag von 1779 belehrt, nicht 
abgefhredt, ging mın gefchicter zu Werke, er gewann Rußland für 
feine Pläne in Deutſchland, indem er Katharinas II. Anfchläge auf das 
türfifche Reid) zu unterftüßen verſprach. Friedrich war wieder vereinzelt; 
um jo eifriger fuchte er eine Stüße der preußifchen Macht in Deutfch- 
land ſelbſt herzuftellen; er arbeitete an einer Union der deutſchen Fürften, 
deren Haupt Preußen fein follte. Dod) bedurfte es eines fehr dringenden 
Anlafjes, um den fhläfrigen Gang der Meinftantlichen Diplomatie in 
den Zug und nad; ber Richtung zu bringen, die Friedrich verlangte. 
Im Januar 1785 trat ein öſterreichiſcher Plan ans Licht, der die Klein- 
ftaaten mit Entjeßen erfüllte und fo fein angelegt war, daß er ſchien 
gelingen zu müſſen. Joſef II. machte nämlich dem Kurfürften Karl 
Theodor von Baiern den Vorſchlag eines Ländertawfches; er follte 
Baiern an Oſterreich abtreten und dagegen bie .öfterreichif—hen Nieder- 
lande mit dem glänzenden Titel eines Königs von Burgund erhalten. 
Rußland unterftügte den Vorſchlag, Frankreich trat demfelben wenigſtens 
nicht entgegen; Karl Theodor, prunkfüchtig und eitel, übrigens ohne 
rechtmäßige Leibeserben und baher nur um die Verforgung feiner Baftarbe 
befümmert, war dazu bereit; kurz Baiern wurde jetzt doch noch eine 

+ öfterreichifche Provinz, wofern nicht Preußen wiederum dazwiſchen trat. 
BVerzweiflungsvoll meldete der Herzog Karl von Pfalz-Zweibrüden dieſe 
neue Gefahr nad) Berlin: „Eure Majeſtät“, ſchrieb er an Friedrich den 
Großen, „find allein im Stande, die umfafjenden Entwürfe eines Fürften 
aufzuhalten, deſſen verzehrender Ehrgeiz und Habgier mit feiner Macht 
zunimmt. Ihre Großmut und erhabene Weisheit geben Ihnen den 
Willen, Ihre Macht die Mittel dazu. Achtungsvoll und dringend flehe 
id) Sie an, bie Vernichtung eines Fürftenhaufes abzuwenden, das Eure 


Zweite Rettung Baierns. 427 


Majeſtät ſchon einmal fo großmütig gerettet haben." Friedrich war 
hurtig genug mit der Hilfe bei der Hand. Diefe ſchöne Gelegenheit, 
im Bunde mit allen landesfürftlichen Sympathien, die ſich durch Ofter: 
reichs Gewaltfchritte ſchwer verlegt fühlten, im Bunde zugleich mit der 
Voltsftimmung, welche über das ſchnöde Verhandeln von Land und 
Leuten empört war, im Intereſſe endlich des europäifchen Gleichgewichts, 
das dur einen ſolchen Zuwachs ber öfterreichiichen Macht geftört 
wurde, aljo mit ben beften Rechtstiteln die Hegemonie in Deutjchland 
zu übernehmen — diefe Gelegenheit ließ er fich nicht entichlüpfen. Er 
ſchickte fofort einen energiſchen Proteft gegen den beabfichtigten Länder 
tauſch nach Wien, nötigte dadurd) den Kaifer und den Kurfürften, den 
Tauſchplan abzuleugnen, was fie ungefchiet genug thaten, und betrieb 
troß feiner 73 Jahre mit jugendlichem Feuer den Abſchluß eines „deut⸗ 
{hen Fürftenbundes“ zur Verteidigung ber beutfchen Reichs- und 
Rechtsverhältniffe. Die erſchreckten Mittel- und Kleinftaaten gingen 
gern darauf ein. Am 23. Juli 1785 erfolgte zu Berlin die Unterzeich- 
mung dieſer neu geftifteten Union, bie, nad) Art der ſchmalkaldiſchen 
eingerichtet, mur den Zwed hatte, ihre Mitglieder gegen wilffürliche 
Beichlüffe des Reichsoberhauptes zu fichern. Außer Preußen, dem 
Haupte diefes Vereins, nahmen teil: Hannover, Sachen, Kurmainz, 
Weimar, Gotha, Zweibrüden, Braunſchweig, Baden, Heffen-Kaflel, An- 
halt, Ansbach und einige andere Kleinftanten; namentlich die wehrlofen 
Heinften drängten ſich fcharenweife unter Preußens Ägide. Eine wirf- 
liche Verbefferung der Reichsverhältniffe, eine Heilung der deutſchen 
Zerriffenheit wurde mit diefem Fürftenbunde weder beabfichtigt noch her- 
beigeführt; aber ben Zweck, ben Friedrich Damit verfolgte, Hat er vollftändig 
erreicht: Oſterreich mußte abermals feine Pläne auf Batern fahren laffen; 
mit Joſefs Übergriffen in Deutſchland war es vorbei, und Preußen 
ftand da im Glorienfchein eines Horts der deutjchen Reichsverfaffung, 
weldje die Nation damals, fo fonderbar es uns heute ſcheinen mag, als 
ein der Erhaltung wertes Gut betrachtete. Allerdings war jene Der- 
faſſung troß ihrer Erbärmlicjfeit doch das einzige politifche Band, weldyes 
die beutjchen Völker noch einigermaßen zufammenhielt. Infofern machte 
fich Friedrich durch die Stiftung des deutſchen Fürftenbundes in der That 
um Deutfjland verdient. Es war das lehte politifche Werk in feinem 
ruhmvollen Regentenleben. 

So ſchloß durch eine ſeltſame Fügung die Politik, die im Verkehr 
der Völker immer die Madjt über das Recht geſetzt, die jo viel Alt- 
hergebrachtes über den Haufen geworfen, mit einer Konfervirung des Alt- 
beftehenden, deren Motiv wie Rechtsgefühl ausjah. Doch verdient ber 
Retter Baierns, der Stifter des Fürftenbundes ebenfowenig das Lob der 
Moraliften, wie der Eroberer Schlefiens und Weſtpreußens ihren Tadel. 


428  Bom hubertsburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des rohen. 


Denn dieſe urteilen nad) einem Geſetzbuch, welches, wenn es für Die 
Staaten gelten follte, der natürlichen Entwidelung der Dinge Gewalt 
anthäte. Aber die oberfte Pflicht der Könige ift ihre Pflicht gegen ben 
eigenen Staat, und Preußen mußte wachſen um zu leben. Wenn ſein 
Wachstum heute dieſen beſchädigte, morgen jenem aufhalf, jo kann man 
das eine bedauern, ſich über das andere freuen, aber man wird von 
dem Urheber —* Wachstums nur ſagen dürfen, er habe in beiden 
Fällen feine Pflicht gethan. Es ift wahr, Friedrich handelte gegen aus⸗ 
wärtige Mächte ohne Achtung vor Verträgen und ohne Berüdfichtigung 
ihrer Wohlfahrt, er beraubte Öfterreich, zerftückelte Polen, täufchte Frank» 
rei, er demütigte und verlegte halb Europa, er war in ber That ein 
böfer Nachbar; aber er war es nur darum, weil er mit mehr Klugheit 
und Kraft jene Interefienpolitif trieb, die jeder andere Staat aud) vers 
folgte oder doch anftatt einer dynaſtiſchen hätte verfolgen ſollen. Er 
that, was fach und zeitgemäß, was für Preußen damals nötig und 
nützlich war — er regierte fein politiſch unreifes Vol nicht wie ein Ton- 
ftitutioneller König von England, fondern als ein aufgeflärter und wohl 
meinender Despot, und hantirte Die fremden Mächte nicht wie ein Zurift, 
fondern als Schöpfer eines Großſtaats. So erwarb er fich den dauern⸗ 
den Dank feines Volles, welcher den einzig richtigen Maßſtab für die 
Güte eines Regenten giebt. Nur wer Friedrichs Zwecke nicht billigt, oder 
leugnet, daß er dieſe erreichen mußte und auf feinem anderen Wege er- 
reihen konnte, nur der wird Friedrichs Politik als gewaltthätig, willkür⸗ 
lic) und gewiffenlos verdammen; die gerechte Gejchichte urteilt über Friedrich 
den Großen mit Jean Paul: „Es ift leichter, ein großer als ein recht⸗ 
ſchaffener König zu fein“, und febt Hinzu: „er war beides." Es ift 
leichter, bewundert als gerechtfertigt zu werden; ihm ift beides zu teil 
geworden. 


Eriedrichs Des Grotzen Ende. 


Die große Königsfonne ging nun zur Ruhe, das Leben glänzte und 
funtelte nicht „mehr in Sansſouci; einer nach dem andern waren bie 
alten Freunde dahin gefterben, und die wenigen Genofien ber Jugend 
waren altersſchwach und ftumpf geworden; aber die Sorgen blieben. 
Friedrich felbit bereiteten allerlei Krankheitsfälle vor, das abgetragene 
Futteral feiner Seele, wie er ſich ausdrückte, zu verlafien. Seit er feine 
Vorderzähne verloren, hatte er auch die treue Flöte fortlegen müflen. 
Die heiteren Späße feiner Franzoſen waren verhallt. Er kam aud) von 
feiner Bewunderung des franzöfiichen Weſens zurüd: „Ich will feine 
Franzoſen mehr", ſchrieb er 1777, „fie find gar zu liederlich und machen 


Fuedrichs des Großen Ende. 429 


lauter liederliche Sachen.“ Eigentlich hatte er Die Franzoſen im allges 
meinen nie fehr gern gehabt; nur die einzelnen glänzenden Köpfe unter 
ihnen waren ihm wert gewejen; aber jeßt fehlten auch diefe. Freudlos 
und düfter ging's zuleßt an feinem Hofe her. Der forgenvolle, grämliche 
König, nur in feiner Arbeit lebend, ſuchte und fpendete fein Vergnügen; 
er bieß in feiner eigenen Familie nur der „alte Sauertopf‘. Nur hin 
und wieber ergößte ihn ein intereffanter Befuch, 3. B. Mirabeau's (am 
25. Januar 1786). Seine Hunde waren nod) feine einzige Freude; fein 
altes Herz hing an ihnen mit einer Bärtlichfett, Die es für keinen Men⸗ 
chen mehr empfand. 

Aber dieſer alte, abgelebte und einſame Menſch verrichtete feine 
Königsarbeit fort und fort mit derſelben Pflichttreue und dem nämlichen 
Aufwande von Geift und Kraft, wie in den Tagen feiner Jugend. Als 
ihm im Jahre 1782 die Gicht feine rechte Hand unbrauchbar machte, da 
lernte ber fiebzigiährige Greis noch mit der linken leſerlich fchreiben. 
Die Schwächen des Alters, die Gebredhen des Leibes bezwangen ihm 
den großen Willen niemals. „Ein König von Preußen”, ſprach er, 
„barf nicht ſchlafen.“ Er kannte wohl diefe feltene Monarchie. Sie 
war fein Staat, ben gleichfam bie Ratur hatte erwachſen laſſen, „ſon⸗ 
dern eine äußerft fünftliche und fehr zufammengefeßte, auf tiefe Berech- 
nung gegründete Mafchine, in der alle Teile genau in einander griffen, 
für welche ber Fürft zugleich Schöpfer, Trieblraft und immer wacher 
Auffeher war. 

Da faß der alte Meifter, der wundervolle Mann des Krieges, wie 
ihn der große Pitt nannte, mm im viele Jahre langen Frieden in 
jeinem Sansſouci und rechnete von früh bis fpät und ſah nad), daß bie 
Zähne des Künftlichen, vielfach abgeftumpften Räderwerks volllommen in 
einander griffen,- daß die Reibung nicht zu ſtark würde, oder wohl gar 
die Zapfen aus ben Löchern wichen; immer half er Stodungen nad), 
änderte aber im Wefentlichen nichts, dem er würde das Ganze ver- 
nichtet haben, das noch Dauer verſprach, ſondern fuchte nur noch die 
Bewegung zu erleichtern und zu befchleunigen, ohne doch bie Federkraft 
zu erhöhen, bemm dieſe war fehon auf das Außerfte geipannt. Er war's 
jelbft. Aber ſchon ein Blick des alten Zauberers, eine ftrenge Formel 
beflügelte alle und fpornte zur äußerften Anftrengung. Da ſaß er bis 
zuleßt, fein immer waches, durch die Nacht dringendes Auge abwechſelnd 
um ſich her werfend und auf die Mafchine heftend, ohme ber Liebe Freu⸗ 
den, ohne des Glaubens Tröftungen, ohne der Hoffnung Süßigkeit zu 
bedürfen, wie ein Gott, und ſchoͤpfte den Urquell feiner Thatkraft aus 
fi, zur unabwendbaren Erfüllung feiner Pflicht, ‚der Erhaltung der all- 
gemeinen Ordnung und des Rechts für alle, vom Könige bis zum Bauer, 
und zum Schuße der Unterdrücten gegen ihre Dränger, eins der größten 


430 Vom HubertSburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Großen. 


Wunder der Welt, welches den Sterblichen erfchienen, um ihnen zu zeigen, 
was die Allmacht des göttlichen Schöpfers vermag, und die Bruft mit 
Glauben und Demut zu erfüllen.“ *) 

Auch vergötterte ihn fein Voll. Fremde, die nad) Berlin kamen, 
3. B. Georg Forfter, konnten es nicht begreifen, daß hier „alles bis auf 
die gefcheiteften, einfichtspollften Leute den König wie närrifd) anbetete“, 
und Wieland in Weimar meinte: „Friedrich ift ein großer Mann, aber 
vor dem Glüd unter feinem Stock zu leben bemahre uns der Himmel!“ 
Und allerdings war ber preußifche Staat eine Despotie, wenn aud) die 
befte. Aber die anderen deutſchen und feftländifhen Monarchien waren 
allefamt eben auch Despotien und Teineswegs die. beften. Und went 
man aus ben fchönen Worten, die Friedrich kurz vor feinem Tobe 
ſprach: „Ich bin es müde, über SHaven zu herrſchen“, eine Anklage 
gegen ihn felbft hat machen wollen, jo war das eine große Ungerech-⸗ 
tigfeit. Friedrich hat den Sklavenſinn, der in dem deutſchen Unterthan 
ſteckte, wicht gefchaffen, er fand ihn vor als einen Grundpfeiler bes ab» 
ſoluten Staates; hätte er den Staat umftürzen und mit einem unmln- 
digen Volle die Gewalt teilen follen, die niemand fo gut zu gebrauchen 
verftand wie er? Ein fo thörichter Gedanke lag ebenjo wenig in den 
Bedürfniffen der Zeit, die vielmehr einen aufgeflärten und edlen Despo- 
tismus verlangte, wie in den Neigungen des Philofophen von Sansfouci. 
Aber indem Friedrich die Unwiffenheit und die Vorteile befämpfte, die 
Köpfe aufklärte und die Geifter regfamer machte, hat er das feinige dazu 
gethan, die Dummheit der Völker zu brechen, welche bie ftärffte Stüße 
ihrer Knechiſchaft ift. Der Inſtintt des Volles felbft, das den alten 
Fritz mit feinem Krückſtock zu feiner Lieblingsfigur gemacht Hat, irrt 
might. 

Ein Augenzeuge*"), der (am 21. Mai 1785) in Berlin den König 
ſah, erzählt: „Der König fam von einer Revue durch das Hallefcje-Thor. 
Er ritt auf einem großen, weißen Pferde. Er trug bie einfache, blaue 
Montirung mit roten Aufichlägen, Kragen und goldenem Achſelband, 
alt und beftaubt, die gelbe Wefte voll Tabak; dazu hatte er ſchwarze 


*) Stengel a. a. 0.1.5. Einleitung.) — Anders betrachteten freilich manche preukiiche 
Geiſtliche ihren König. „Sriebrid) II. ift zur Höfe gefahren" — fo follen gar 1786 zwei 
fettiner Prebiger von der Kanzel herab den Tob des Landesvoters berfünbet Haben.(?) (Mira- 
beau de la monarchie Prussienne sous Fröd6rie le Grand, Londres 1788, 1. 238). — 
Dagegen gab eb ah foldje, welde die Ehrfurcht dor ihm bis zur Wlaßphemie trieben: 
WS Feiebrich der Große einft in Potsdam bei dem Kinde eines Dffiiers Pate ftand (ev 
Abit Viſchof Cplert), ſprach der Geiftliche bie Taufformel fo: „id taufe did) im Ramen 
Friedrihs des Großen." „Sei Er kein Rare!” herrſchte diefer ihn an, „laufe Er, wie 
Seines Amtes IR!" 
v. d. Manih, Nachlaß 1. 18 ff. 


Urteile über Friedrich ben Großen. 431 


Sammethofen an und einen alten dreiedigen Montirungshut auf, mit 
der Spige nad) vorn. Hinter ihm waren eine Menge Generale, dann 
die Abjutanten, enblic) die Reitknechte. Das ganze Rondeel (jet Belle: 
Aliance-Plat) und die Wilhelmstraße waren gedrückt voll von Menfchen, 
alle Fenfter voll, alle Häupter entblößt, überall das tieffte Schweigen 
und auf allen Geſichtern ein Ausdrud von Ehrfurcht und Vertrauen, wie 
zu dem gerechten Lenker aller Schickſale. Der König ritt ganz allein 
born und grüßte, indem er fortwährend den Hut abnahm. Er beobach- 
tete dabei eine jehr merkwürdige Stufenfolge, je nachdem die aus den 
Venftern ſich verneigenden Zuſchauer es zu verdienen ſchienen. Durch) 
das ehrfurchtsvolle Schweigen tönte mır der Hufſchlag der Pferde und 
das Gefchrei der berliner Gaffenjungen, die vor ihm hertanzten, jauchzten, 
die Hüte in die Luft warfen oder neben ihm berfprangen und ihm ben 
Staub von den Stiefeln abwiſchten. Bei dem Palais ber Prinzeffin 
Amalie (die er zu beſuchen kam) war die Menge noch dichter, der Vor⸗ 
hof gebrängt voll, doch in der Mitte, ohne Anweſenheit irgend einer 
BVolizei, geräumiger Pla für ihn und feine Begleiter. Er Ienkte in ben 
Hof hinein, die Flügelthüren gingen auf, und die alte, lahme Prinzeffin, 
auf zwei Damen geftüßt, bie Dberhofmeifterin Hinter ihr, wankte bie 
flachen Stiegen herab ihm entgegen. Sowie er fie gewahr wurbe, ſetzte 
er ſich in Galopp, hielt, fprang raſch vom Pferde, zog den Hut, um⸗ 
armte fie, bot ihr den Arm und führte fie die Treppe hinauf. Die Flüs 
gelthüren gingen zu, alles war verſchwunden, und noch ftand bie Menge 
entblößten Hanptes, fehweigend, alle Augen auf den Fleck gerichtet, wo 
er verſchwunden war, und es bauerte eine Weile, bis ein jeder fich ſam⸗ 
melte und ruhig feines Weges ging. Und doch war nichts gejchehen: 
feine Pracht, fein Feuerwerk, Feine Kanonenſchüſſe, feine Trommeln und 
Pfeifen, feine Muſik, Fein vorangegangenes Ereignis. Nein, nur ein 
dreiundfiebzigjähriger Mann, ſchlecht gekleidet, ftaubbebect, kehrte von 
feinem mühſamen Tagewerf zurüd. Aber jedermann wußte, daß biefer 
Ate auch für ihn arbeite, daß er fein ganzes Leben an dieſe Arbeit ge⸗ 
jet und fie feit 45 Jahren noch nicht einen einzigen Tag verfäumt 
hatte. Jedermann ſah auch die Früchte feiner Arbeiten, nah und 
fern, rund um fid) her, und wenn man auf ihn blidte, jo regten ſich 
Ehrfurcht, Bewunderung, Stolz, Vertrauen, kurz alle edleren Gefühle des 
Menſchen.“ 

Dieſes treue Leben lief nun ab. Schon ſeit Jahren peinigte ihn 
die Gicht, im Frühling 1786 bildete ſich bei ihm bie Waſſerſucht aus; 
er Tomte nicht mehr liegen, mußte Tag und Nacht ſitzend auf dem Stuhl 
zubringen, er litt unendlich), aber ohne Klage und ohne die Regierungs- 
geihäfte im geringften zu unterbrechen. Die Kabinetsräte, bie ſonſt erſt 
um 6 Uhr Morgens erſchienen, wurden jegt vielmehr ſchon um 4 Uhr 


432 Bom Hubertsburger Frieden bis zum Tode Friedrichs des Grohen. 


gerufen. „Mein Zuftand“, fagte er ihnen, „nötigt mich, Ihnen bieje 
Mühe zu machen, die für Sie nicht lange dauern wirb. Mein Leben 
ift auf der Neige; die Zeit, Die ich noch habe, muß ic) benußen; fie ger 
hört nicht mir, fondern dem Staate." Noch am 15. Auguft, der Krant- 
beit faft ſchon erlegen, beforgte er feine Regierungsgeihäfte; am folgen- 
den Tage fehritt die Auflöfung näher; in ber Nacht darauf, 2 Uhr 
- 20 Minuten früh, Donnerftag am 17. Auguft 1786 brad) fein Auge auf 
immer. 

Erſchütternd ging bie Trauerkunde vom Tode bes größten Fürften 
durch die Welt. „Wann wird wieder ein jo großer König das Zepter 
führen?“ fprad) der Feind, Fürft Kaunig in Wien. — Damals wurde 
von den Aftronomen ein neuer Stern entdeckt; mit Begeifterung nahmen 
ihn alle Akademien als „Friedrichs Ehre" in ihre Karten auf. Wenn 
am Himmel ein Stern vergeht, fo glänzt fein Licht noch lange in bie 
weiten Yernen; fo war e8 aud mit Friedrich. Er war längft tot, als 
entlegene Völker ihn noch zu den Wundern der Erde rechneten. Im 
Jahre 1787 reifte Göthe in Sizilien; aus Galtanifetta berichtet er: 
„Wir mußten von Friedrich II. erzählen, umd die Theilnahme der Ein« 
wohner an diefem großen König war fo Iebhaft, daß wir feinen Tod 
verhehlten, um. wicht, durch eine ſo unſelige Nachricht unfern Wirthen ver- 
haßt zu werben." 

Friedrich Hatte gewünfcht, im Garten vom Sansſouci neben feinen 
getreuen Hunden begraben zu werben; ber Nachfolger erfüllte jedoch biefen 
Wunſch nicht, fondern ließ die Leiche in der Gruft Ber Garniſonkirche 
zu Potsdam beiſetzen. Laufende eilten. von nah und. fern herbei, dem 
großen Toten das Geleit zu geben. Die Gedärhtnisrede wurde im 
ganzen Lande über bie Bibelſtelle 1. Chronica 18, 8 gehalten: „Ich habe 
dir einen Ramen gemacht, wie die Großen auf Erden Ramen haben.“ 
Er felbft aber durfte in feinem Teſtamente von ſich jagen: „Seitbem ich 
zur Führung ber öffentlichen Geſchäfte gelangt bin, habe ich mit allen 
Kräften, welche die Natur mir verliehen hat, und’ nach Maßgabe meiner 
geringen Ginfichten mic, beftrebt, ben Staat, weichen ich die Ehre gehabt 
babe zu regieren, gluͤcklich und blühend zu madhen. Ich habe Geſede 
und Gerechtigleit herrſchen laſſen; ich habe Ordnung und Pünktlichkeit 
in die Finanzen und in die Armee jene Zucht gebracht, wodurch fie vor 
allen übrigen Truppen Europas den Vorrang erhalten hat." &r hätte 
hinzuſetzen Können: „ic, habe eine neue Kriegsfumft begrümbet, indem ich 
zuerſt die Waffen dem Terrain anpaßte und den Kreis der großen Dpe- 
rationen erweiterte, umd eine neue Politik, indem id) den Regenten für 
den erften Diener des Staats erflärte." — Und was für ein Erbe Hinter- 
ließ er! Aus einem Lande von faum 2200 Duadratmeilen und 2!/, Mil- 
lionen Einwohnern war ein Staat von 3600 Duabratmeilen mit beinahe 


Innere Zuftände Preußens unter Friedrich dem Großen. 433 


6 Millionen Bewohnern geworden, aus einem Heere von 83.000 ein Heer 
von 200000 Mann; es gab 800 neu angelegte Ortichaften; die Ein- 
Tünfte waren von 7%, auf 22 Millionen Thaler*) gehoben und ber 
Staatsſchatz mit 55**) Millionen Thaler gefüllt. Mehr als dies: Preußen 
war aus einer Mittelmacht eine Großmacht geworben, und glänzendfter 
Kriegsruhm, ftarfes Selbftbewußtfein, kräftige Nationalität — dieſe Er- 
rungenfchaften waren Güter, die ihm nie mehr fonnten ganz verloren 
gehen, weil aud) im Unglüc die Erinnermg art Friedrich den Großen 
ein nie ruhender Sporn fein mußte, die erftiegenen Höhen der Ehre und 
Macht wieder zu gewinnen. — „Meine letzten Wünſche“, fo ſchließt 
Friedrichs Teftament, „in dem Augenblide, wo id) den legten Haud) von . 
mir gebe, werben für die Glücfeligfeit meines Reiches fein. Möge es 
ftetS mit Gerechtigfeit, Weisheit und Nachdruck regiert werden, möge e8 
durch die Milde feiner Gefege der glüclicjite, möge es in Rückſicht auf 
die Finanzen der am beiten verwaltete, möge es durch ein Heer, das nur 
nad) Ehre und edlen Ruhme ftrebt, der am tapferften verteidigte Staat 
fein! DO möge Preußen in höchſter Blüte bis an das Ende 
der Zeiten dauern!" — 


Innere Zufände Freußens unter Friedrich dem Großen. 


In einem patriarchalifch regierten Staate nehmen die Unterthanen 
raſch den Ton des Hofes an, am erften Die Bewohner der Hauptftabt, 
und da in der Regel das Kleine und Schlechte leichter und angenehmer 
nachzuahmen ift als das Gute und Große, jo kann man ſich nicht wun- 
dern, wenn Friedrichs Einfluß auf die Weiſe feines Volks, zunächft der 
Berliner, weniger heilfam wirkte, als er jelber e8 wünfchte. Die Ber- 
liner waren von jeher aufgemecteren Geiftes als die anderen Preußen; 
fie hatten eine Meinung für fi) und äußerten fie, wenn's ging; wes- 
halb ſchon Friedrich Wilhelm I., der fein Räfonniren vertragen konnte, 
zu fagen pflegte: „Die Berliner taugen nichts". Als mm Friebrid U. 
ans Ruder kam mit feinem geiftvollen Weſen, feinem ungebundenen Wiß, 
da wurde es bald Mode, im Denken und Urteilen, im Reben und 
Schreiben das Kühne und Neue, Feine und Blendende dem ſchlicht 
Berftänbigen und Rüchternen vorzuziehen. Die geſchmackloſen Scharteken 
und feichten Abhandlungen, die noch in den vierziger Jahren erjchienen 
waren, verſchwanden, aber fie madjten vielfach nur leichtfertigen Schriften 


*) Nämlih 6Y, Million Grundfteuer, 515 Million von den Zöllen und ber Regie, 
10 Willionen von den Domänen und Forſten. 

*) Genau 55202003 Thaler. Riedel, der brandenburgijch / preußiſche Staatshaushalt 
in den beiden Iegten Jahrhunderten, Berlin 1866, ©. 121. 

Bierfon, preub. Geſchichte. 1. 2 


434 Innere Zuftände Preußens unter Friedrich dem Großen. 


Platz; an die Stelle der philiftröfen, aber ehrbaren Rede trat oft nichts 
als ein ſchlüpfriger Witz, der auch die ehrwürdigſten Dinge in den Kot 
308. Freche Spötter hielten ſich für Schöngeifter, urteilten keck über 
alles und jedes ab. Eben dieſe Zügellofigfeit der Prefie veranlaßte den 
König, fie durch Verordnung vom 14. April 1748 wieder zu beſchränken, 
indem er den Druck anftöhiger Aufſätze und Schmähfchriften verbot; doch 
handhabte er die Benfur fo milde, daß nur das Argſte fern gehalten 
wurde. " 

Die Anregung, die er dem Nationalgeifte gab, trug indes auch ge- 
funde und eble Früchte. Es bildeten fic) -tüchtige Köpfe; es erfchienen 
wertvolle gelehrte Arbeiten, namentlich, im Gebiete der vaterländiichen Ge— 
ſchichte: Beckmann's märkiſche Hiftorien (1750), Dreyhaupt’s Beichreibung 
des Saalfreifes, Lenz’, Hertzberg's, Gerden’s diplomatische Quellenſchriften, 
Buchholtz' Geſchichte der Kurmark (1759), Pauli's preußifhe Geſchichte; 
es erſchienen feit 1750 fogar äfthetifche Schriften: eine Fritifche Mufit- 
zeitung, Die erfte in Preußen, eine Literaturzeitung von Ramler und 
Sulzer, das erfte gute kritiſche Blatt diefer Art in Deutſchland. 

Einen befonders wichtigen Abſchnitt in der Geſchichte des geiftigen 
Lebens machte dann der fiebenjährige Krieg. Der Gejchmad für Lektüre 
drang durch ihn erft tief in das Publikum. Namentlich der berliner 
Bürger kümmerte fi) angelegentlicher als je um Zeitungen und Flug- 
ſchriften; man wollte immer das Neuefte vom Kriegsſchäuplatz wiflen, 
man intereffirte ſich für die öffentlichen Angelegenheiten ebenfo ſehr als 
für die eigenen. Damals entftanden denn auch in Berlin die „politiſchen 
Kannegießer, die im biefigen Luftgarten das Schickſal der Staaten und 
Nationen im voraus entſchieden, Blut wie Waflerftröme vergoffen und 
im Sande ungeheure Pläne, Lager und Entwürfe zu fehredlichen Be— 
Tagerungen zeichneten." Indeſſen die Neugier weckte doch auch eine edle 
Wißbegierde, und die Teilnahme an den wechſelvollen Schickſalen des 
großen Königs pflanzte in das Volk den erften Keim zum Gtaatsbür- 
gertum. Geſchichtliche, geographifche, politiihe Kenntniſſe ftiegen im 
Wert, und der Buchhandel hob fid) ungemein. Die Luft zu leſen er- 
hielt fi aud) als der merfwürdige Krieg beendet war; fie artete fogar 
allmählich faft zur Sucht aus. Der Aufihwung, den die deutſche Lite- 
ratur damals überhaupt nahm, förderte natürlich diefen Trieb. Belefen- 
beit wurde in Kreifen ein Lob, wo man vordem nur von Dingen des 
Haushalts geredet. Bald nahm auch das weibliche Gefchlecht daran teil; 
es gab felbft eine Dichterin, die Schuhmacherfrau Anna Luife Karfy”), 
die in Berlin nicht wenig Auffehen machte. Sogar Mägde und Bediente 
fingen an zu leſen; allerorten entftanden Leihbibliotheken, die ſtark bes 


*) Geboren 1722 auf dem Meierhof Hammer bei Schwiebus, geftorben 1791 in Berltn. 


Literatur. 435 


nußt wurden, fowie eine Unzahl von literariſchen Zeitjchriften und Leſe— 
geiellihaften. Neben dem Guten und Schönen, was hieraus floß, zeigte 
fich freilich) auch) manche üble Folge; es gab jetzt viel mehr Wiſſen im 
Volle, aber dieſes Wiſſen war doch zum größten Zeil oberflählih und 
unverbaut. . 

Ein ähnlicher Umſchwung erfolgte im Schulmejen; man trieb nicht 
mehr fo pebantifch und einfeitig die alten Sprachen, man führte neben 
den toten auch die lebenden ein und neben den Sprachen die Realten; 
aber ehe man bie rechte Mitte fand, verging doc) einige Zeit, und in- 
zwiſchen brachte man es nur zu einer ungrünblichen Vielwiſſerei. 

Im ganzen jedoch war der Fortſchritt fehr bedeutend. Viel trug 
zur Klärung der Köpfe, zur Veredelung bes Geſchmacks die „allgemeine 
deutſche Bibliothek“ bei, eine kritiſche Beitichrift, melde, feit 1765 in 
Berlin von. dem Buchhänbler Nikolai herausgegeben, das Publikum über 
gute und ſchlechte Erzeugnifle der deutfchen Literatur belehrte. Sie war 
die Fortfegung der berühmten „Literaturbriefe”, die, in den Jahren 1759 
bis 1765 bei Nikolai in Berlin herausgefommen, bier zuerft ein Fritifches 
Tribunal errichteten. Der vorzüglichfte Mitarbeiter an denfelben war 
anfangs Leſſing, der Schöpfer der wiflenfchaftlichen Kritik und der Er- 
meuerer ber deutſchen Profa — in beiden Richtungen ein bahnbrechendes 
Genie; durd) Anteilnahme an jener Zeitfhrift und durch öfteren, Tängeren 
Aufenthalt in Berlin damals dem preußtfchen Kreife angehörig. Ehen 
hier dichtete er auch fein Luftipiel „Minna von Barnhelm“, die ebelfte 
poetiſche Frucht des fiebenjährigen Krieges, ein wahrhaftes National- 
drama (1764). Berlin war nun einer ber Hauptbrennpunkte - aller 
geiftigen, namentlich aber ber äfthetifch » literarifchen Beftrebungen; es 
308 als große Stabt und als Hauptftabt bes gefeierteiften Königs eine 
Menge fremder Talente an, die fich freilich auf die Länge bier felten 
heimisch fühlten, weil e8 ihnen an Aufmunterung von oben fehlte. Die 
deutſche Mufe ging unbelohnt und „ungeehrt von .des großen Friedrichs 
Xhrone“, obwohl fie ihm doch nicht bloß in der baroden Geftalt ber 
Karſch näher getreten war. Dafür wurde bie deutſche Mufe aber auch 
keine Hoffe; fie bewahrte fich ihre eble Selbftändigkeit; an dem Heinen 
Fürften, der ihr in Weimar einen freien, ſchoͤnen Si bereitete, fand fie 
einen Fremd und Pfleger, der feine Bedeutung nicht fich, ſondern ihr 
verdankte. 

Es war doch ein ſehr anſehnliches Kontingent, das Preußen zu dem 
Heere deutſcher Geiſter ſtellte, welches damals in der Wiſſenſchaft und in 
der ſchönen Literatur ſo reiche Lorbeeren errang. Unter den ſechs Dichter⸗ 
fürſten, welche als die Heroen deutſcher Schriftverfafjung gelten, waren 
zwei geborene Preußen: der erhabene Dichter der Oden und bes Meffias 
Friedrich Gottlieb Klopftoc (geboren 1724 in Dueblinburg), der zuerft 

98° 


436 Innere Zuftände Preußens unter Fuiedrich dem Großen. 


die drei Hauptelemente unſerer Geftttung, den deutſchen Geiſt, das chrift⸗ 
liche Gefühl und den antik-klaffiſchen Formenfinn zu einem ſchönen, har⸗ 
moniſchen Ganzen verſchmolz, und der Entdecker der reichſten Quellen 
der Poeſie Johann Gottfried Herder (geboren 1744 zu Mohrungen in 
Dftpreußen). Um bie Afthetit erwarb fh Johann Winckelmann 
(geboren 1717 zu Stendal) als Erflärer ber antiken Schönheitsmufter 
und Begründer der Kunftgeichichte kaum geringere Berdienfte. Dieſe 
Männer blühten und wirkten freilich nicht in der Heimat. Eigentlich 
preußiſche Dichter waren Ewald v. Kleift (geboren 1715 zu Zeblin in 
Pommern) und Gleim, ber Sänger ber „Lieder eines preußifchen Gre— 
nadiers“. Gleim (geb. 1719, geft. 1808) machte ſich auch als Mäcen 
verdient; er bildete in Halberftadt ben Mittelpunkt eines poetiſchen 
Freundſchaftsbundes, zu welchem auch Ramler in Berlin (ein gebomer 
Kolberger) gehörte. Eigentümlich in feiner Art war der Humoriſtiker 
Theodor v. Hippel aus Gerdauen in Oftpreußen. Würdig reiht fich 
dieſen deutſchen Dichtern ein litauifher an, Chriſtian Donaleitis 
(geboren 1714 zu Lasbinelen bei Gumbinnen, geftorben 1780 zu Tolle 
mingtemen), der Dichter bes „Yahres“, des einzigen in litauiſcher Sprache 
geichriebenen Kunftepos. — Bahlreicher als die Poeten waren in Preußen 
die wiſſenſchaftlichen Größen: in ber Theologie Spalding in Berlin, 
berühmt als lichtvoller Kanzelrebner, die Rationaliften Semler in Halle 
und Zeller in Berlin, welche die Bibel in einer freifinnigen Weiſe er⸗ 
Härten und auf den Geift, auf die Sittenlehre des Chriftentums bag 
Hauptgewicht legten; ferner jener geiftuole Myftiter Hamann (geboren 
1730 zu Königsberg, geftorben 1788 zu Münfter), den man den Magus 
des Rordens genammt hat; in der Rechtsgelehrſamkeit Cocceji, dann 
Garmer und Sparez; in ber Anatomie Sieberlühn; in ber Chemie 
Bott, Marggraf, v. Kleift, Roſe; in ber Mathematit Euler, Lambert, 
Lagrange; in der Raturgeſchichte Reinhard Forſter, der Weltumfegler; in 
‚ber Kriegskunft der König ſelbſt, Stille, Gaudi, Tempelhof, Struenſee; 
in der Statiftik, Gefchichte und Topographie Büſching, Zimmermann, 
Dohm; in der Pädagogik Heer, Meierotto, Rochow, der große hallefche 
Philologe F. A. Wolf, und viele andere, deren Namen and Beftrebungen 
man in Denina's „gelehrtem Preußen“) findet; endlich bie Philoſophen 
Garne, Engel, der Philofoph für die Welt, und der Jude Mofes 
Mendelsfohn, ben feine Glaubensgenofien als einen Reformator ihrer 
Bildung feiern. 

Aber unendlich größer als biefe in ihrer Art bedeutenden Männer 
iſt der eine Preuße, auf. defien Schultern die ganze deutſche Philofophte 
fteht und bem fie es vornehmlich zu danken hat, daß fie ber Forſchung 


®) La Prusse litteraire sous Frederic II par Pabbé Denina, 8 T. Berlin 1790, 91. 


Kant, 437 


aller andern Nationen voraus ift: der Königsberger Immanuel Kant. 
Er gehört aud) ganz und gar feinem Vaterlande an, in welchem er am 
22. April 1724 geboren war; er fam kaum je über das Weichbild feiner 
Vaterftadt hinaus, wo er auch (am 12. Februar 1804) ftarb. Die 
Denter Englands und Frankreichs hatten es tn der Weltweisheit nicht 
weiter als bis zum Zweifel gebracht; in Deutſchland war die Philoſophie 
gar nur in methodiſchem Geſchwätz und in fpißfindiger Dialektik be- 
ſchloſſen. Kant, feit 1750 Profefior in Königsberg, deckte das Ungründ- 
liche und Unwifienfchaftliche in der beutfchen, das Unbefriedigende in der 
auslãndiſchen Philofophie auf und reformirte die Erkenntnis. Denn 
indem er die Denkkraft in allen ihren Gründen und Außerungen einer 
ſcharfen und erjchöpfenden Prüfung unterwarf und an die Stelle einer 
falſchen die wahre Logik fegte, ftellte.er den Boden feft, von dem aus 
men beitimmte Erkenntniſſe finden könne: Sodann fonderte er in ber 
Metaphufit ſcharf und genau Die Gebiete des Glaubens und des Wiſſens 
von einander, womit er ber Theologie ebenfo fehr müßte wie der Philo- 
ſophie, und-Iehrte aud) die anderen Wiſſenſchaften in echt wiſſenſchaftlicher 
Weiſe behandeln, namentlich die Afthetit, die Moral, die Raturlehre. 
Die Hauptwerle, in denen er feine kritiſche Philofophie veröffentlichte, 
find die „Kritik der reinen Vernunft“ (1781), die „Kritik der 
praftifchen Vernunft" und die „Kritik der Urteilsfraft” (1790). Es war 
eine ungeheure Ummälzung, die Kant durch feine kühne und fichere 
Methode: in. der gefamten Wiffenfchaft hervorbrachte. Sie war nicht 
minder groß: und folgenreich als einft in der Naturkunde die That feines 
Landsmannes Kopernikus. 

Während die Wiſſenſchaften in Preußen ſchön erblühten, gedieh bie 
Kunft nur langſam. Zwar Berlin, wie es der Mittelpunkt der Auf- 
Bärung war, zeichnete ſich auch durch gar manches aus, was das Leben 
ſchmuckt, beſonders durch viele ſchöne Werke der. bildenden Kunft, aber 
bei weitem Die meiften derſelben rührten vom auständifchen Meiftern ber. 
Die einzigen wahren Künſtler ımter den einheimtichen waren der Maler 
Antoine Pesne, der 1757 ftarb, und der Kupferſtecher Daniel Chodo- 
wiecky, ber „preußifche Hogarth“ (geb. 1726 zu Danzig, geft. 1801 
zu Berlin). Beſſer ſtand es um die Zonkunft: Eine. ähnliche groß- 
artige Erhebung wie in ber deutſchen Literatur fand Damals in ber 
beutichen Muſik ftatt, und einer der bebeutendften Meifter diefer Kunft 
wurde im Preußijchen geboren, fiedelte dann freilich ins Ausland über, 
namlich Georg Friedrich; Händel (geboren am 23. Februar 1685 zu 
Halle, geftorben. 1759 zu London), wie fein größerer Zeitgenoß Sebaftian 
Bad, ein Schöpfer der erhabenften kirchlichen Tongedichte. Lehterer 
wirkte eine zeitlang in Berlin, ebenſo wie Duanz. Berlin felbit durfte 
fich eines anderen berühmten Komponiften rühmen, des königlichen Kapell- 


438 Innere Buftände Preußens unter Friedrich dem Großen. 


meifters Graun, der jeit 1742 hier feine anmutigen Opern fchrieb. 
Zange haben diefe fanften, fehönen Graunfchen Melodien das berliner 
Publikum entzüdt; es wußte fie beinahe auswendig; fie milderten ben 
Sinn, läuterten den Geſchmack, fie drangen aud) tief ins Volk und wurden 
„Gaſſenhauer“, was gewiß nicht das kleinſte Lob für fie if. 1754 führte 
Graun in der Domkirche zum erften Male fein Meifterwerk, den „Tod 
Jeſu“, auf. Er ftarb am 8. Auguft 1749. Neben ihm wirkten Benda 
und Kirnberger, fpäter (ſeit 1776) der Königsberger Reihardt als 
verbienftvolle Kapellmeifter und Komponiften. Der König felbft, der ein 
fo eifriger Liebhaber der Mufit war und in den Konzerten bei Hofe oft 
mitwirfte, gab diefer Kunft Würde und Anfehen; er hielt auch auf einen 
reinen und edlen Geſchmack, auf Natur und Empfindung, wie e8 bem 
befannt ift, daß feine Hauptftärfe auf der Flöte in den ſchmelzenden und 
rührenden Adagios beruhte, die er meifterhaft und, wie Kenner ver- 
ficherten, unübertrefflich vortrug. Seine Lieblinge waren die Werke von 
Graum, Haſſe, Händel, Bad. Daß ein fo großer König die Muſik mit 
folcher Vorliebe und Sachkenntnis behandelte, war der wirfjamfte Sporn 
für bedeutende Virtuofen, im feine Dienfte zu treten; denn die Beſoldung 
war bei Friedrichs Sparſamkeit nur gering. Dennod machten fi auch 
ſehr gefuchte Tonkünftler eine Ehre daraus, ihm anzugehören, und feine 
Kapelle und Oper war immer vortrefflich befeßt. Sängerinnen, wie bie 
Aftroa und Mara, Sänger, wie Salimbeni und Porporino, bezauberten 
damals das: berliner Publitum. „Kunftreifen” zum Nebenerwerb waren 
unter der Würde diefer Künftler, jo jchledht fie auch im Vergleich zu ans 
deren Höfen bezahlt wurden; Porporino wies eine ſolche Aufforderung, 
als man fie ihm einmal machte, ftolz zurüd: „Meine Stimme gehört 
mir Gott ımd dem Könige." Dies änderte fi) erft in den letzten 
Jahren Friedrichs des Großen, als er vom Alter gehindert wurde, fi 
thätig am der Muflt zu beteiligen; erft dann riß allmählich ein fchlech- 
terer Gefchmad und eine weniger würdevolle Behandlung der Muſik ei. 
Das Beifpiel des Hofes erweckte den Stun für mufilaliſche Unterhaltungen 
auch im Publikum; es wurde in Berlin unter den vornehmen Leuten 
Mode, fi) zu den Liebhaberkonzerten und mufſikaliſchen Afembleen, melde 
ſeit 1740 von ben königlichen Tonkünftlern eingeführt waren, herbeizu⸗ 
drängen; 1749 entjtand bier ſogar eine „mufitübenbe Geſellſchaft“ von 
Dffizieren, Edelleuten und Beamten, deren Biwed war, ſich durch Ausübung 
der Tonkunſt gemeinfchaftlich zu vergmügen. Mit dem Aufſchwung ber 
deutfchen Literatur kam auch das deutſche Schaufpiel empor, und wie Die 
Tüchtigkeit der Darfteller und des Dargeftellten zunahm, fo wuchs bei 
dem Publikum das Intereffe. Seit 1771 gab es zu Berlin eine bleibende 
deutfche Bühne. Auch fonft drang die Kunft mehr und mehr ins Leben 
der Menge ein; man fand Gefallen an jeder Art von Bierat; namentlich 


Die Berliner. 439 


die Gmaillemalerei fam in Mode; doch waren faft alle bildenden Künftler 
nichts weiter als Handwerker, und was fie lieferten, war höchftens 
Mittelgut. 
Regelmäßige Straßen, ſchöne große Pläße, zahlreiche Prachtgebäude 
machten die Hauptitadt Friedrichs des Großen zu einer der jchönften 
. Städte in Europa; ber große Fremdenverkehr, die Zunahme ber ein- 
heimifchen Bevölkerung und die Umwandlung in eine Fabrifftadt, die 
damals ftattfand, erhoben fie faft fchon zum Range einer Weltjtadt. 
Der Charakter der Bewohner hatte ſich ebenfo fehr verändert, aber nicht 
zu feinem Vorteil. Berlin war die franzöfirtefte Stadt in Deutſchland. 
An Stelle der bärenhaften, biederen altdeutſchen Sitten aus Friedrich 
Wilhelms I. Zeit trat ein ſchimmernder ausländiicher Firnis, der eine 
tiefe moraliſche Verderbnis umhüllte. Die heitere Lebensfreude, Die 
feit 1740 einzog, artete raſch in üppige Genußſucht, die Aufklärung in 
zügelloſe Treigeifterei aus, und die Ungründlichleit im Denken und Reben 
ging Hand in Hand mit der Grundfaßlofigfeit im Handeln. Zuerſt ent» 
arteten bie höheren Stände. Sie gaben fi) ganz der Augländerei hin, 
die der Hof trieb. Wer nicht franzöfiich ſprechen oder radebrechen Konnte, 
war nicht hoffähig, konnte fi bald auch in weniger vornehmen Kreifen 
nicht fehen lafjen. Mit der Sprache äffte man die Denkart, die Moden 
und Manieren, dann die after der Parifer nach; auch das Unfittlichite 
galt als elegant, wenn es frangöfiich war. Nach umd nad) wirkte das 
Beifpiel der Vornehmen auf die ©eringeren; immer allgemeiner ver« 
drängten fremde Weijen die altväterijhe Art. Man wurde gemanbter 
und beweglicher, aber auch leichtfertiger und feichter. Da es Mode war, 
felbft das Ehrwürdigfte und Heiligfte zu bewigeln, jo verlor ſich die 
religiöfe Gefinnung, und dann die Moralität. Man erlag um fo leichter 
der Verſuchung, weil der äußere Wohlftand wuchs. Die materiellen 
Mittel vermehrten ſich hier fogar im fiebenjährigen Kriege; während die 
Provinzen ſchwer durch ihn litten, floß der Hauptſtadt gerade in biefer 
Zeit viel Geld zu. Ein fehr beträchtlicher Teil der Kriegsbebürfnifie 
ward aus Berlin bezogen; bier waren Die Werfftätten, die Fabriken in 
raſtloſer Zhätigkeit, Uniformen, Wagen u. dgl. zu verfertigen; bier 
wurden fortwährend Naturallieferungen und Wechſelgeſchäfte für das 
Heer beforgt. Es bildete ſich ein zahlreicher Stand von Bankiers. Bes 
fonders nahm Die Judenſchaft an Zahl und Wohlftand zu, ſehr wider den 
Willen des Königs, der ihre Vermehrung vergebens durch allerlei be 
ſchränkende Verordnungen zu hemmen bemüht war. Auch gar viele an- 
bere Leute wurden ſchnell reich. Der leichte Gewinnft aber verführte zur 
Üppigfeit, und nachdem man die Annehmlicjkeiten des Lurus kennen ge» 
lernt, wollte man ihnen auch dann nicht entjagen, warn die Mittel ver- 
fiegten. Die Genußſucht mit der Freigeifterei im Bunde erzeugte viel- 


440 Innere Zuftände Preubens unter Friedrich dem Großen. 


mehr einen Materialismus, der zur ftärfften Triebfeder alles Handelns 
das Geld machte. Schwere Verbrechen kamen freilich nicht gerade häufig 
vor; denn obwohl der König ZTodesurteile ſelten milderte, fo wurden 
doc) bei einer Bevölkerung von mehr als fünf Millionen jährlid im 
Durchſchnitt nur 14 Hinrichtungen vollftredt. Aber die fleineren Fehl- 
tritte mehrten ſich auffallend; es wurde weniger gemordet als ehedem, 
aber mehr betrogen. 

Vielleicht die ſchlimmſte Veränderung trat im Familienleben ein. 
-Zuerft "fand das weibliche Gefchlecht an dem modifchen Wejen in Klei- 
dung und Lebensart Gefallen. Es vergeudete Zeit und Geld in Putz⸗ 
und Muſilſucht; ernfte Häuslichfeit, Arbeitfamfeit und jungfräuliche Zucht 
kamen in Abnahme. Die Männer trieben andern Aufwand; fie fuchten 
in Weinſchenken, welche mafienhaft entftanden, im Praſſen und Spielen 
ihr Vergnügen. Verſchwendung umd' Unordentlichteit auf beiden Seiten; 
fo wurden viele Ehen unglüdlid). Einen übeln Einfluß hatte in dieſer 
Beziehung aud) das Junggefellenleben des Königs. Man glaubte, Tried- 
rid) verachte die Ehe und das häusliche Glück, weil er don feiner &e- 
mahlin getrennt lebte. Um fo mehr machte ſich in Berlin und ander- 
wärts in Preußen jener Wachtſtubenton breit, der die Würde der Frauen 
nicht kennt. Die große Leichtigfeit, Ehen zu feheiden und wieber zur 
knüpfen, untergrub ebenfalls die Stellung der Hausfrau; bazu der Man« 
gel an Gottesfurdt und die Zügellofigkeit im Denken: jo kam es, daß 
die echten Pflichten ‘der Ehe ganz allgemein verlegt oder doch mißachtet 
wurden. Verführung und Ehebruch waren an ber Tagesorbmmg. Es 
war in jener Zeit, daß in Berlin die Mätrefien und Kebsweiber, bie 
Cicisbeos ımd Galane entftanden, die man jonft hier faft nur dem Namen 
nad) gefannt hatte. Außerdem mehrte ſich die Zahl der feilen Dirnen 
in erſchrecklicher Menge und zwar hauptſächlich durch die Umwandlung 
der Reſidenz in eine Fabrifftabt. Es ftellte fid) eine fehr zahlreiche Fabrik: 
bepölferung ein, mit allem dem fittlichen und leiblichen Elend, welches 
überall ihre Begleitung zu fein pflegt. Die Fabrifherren äußerten wohl 
felber, fie könnten darum ihre Ware fo billig ftellen, weil die Arbeite- 
rinnen nur einen fehr geringen Lohn erhielten, aber dabei beftänben, da 
fie dag Fehlende abends reichlich als Dienerinnen der Wolluft ermürben. 

Mit Trauer und Zom fahen die alten „Friedrich-Wilhelms⸗Männer“, 
deren Reihen immer dünner wurden, wie die Zucht und Gitte der Väter 
verſchwand, wie die Hebjagd nad) Geld und Genuß alles hinriß, wie 
die Beifpiele- von Betrügereien und Deruntreuungen, von Schulden- 
machen und Bankrotten, von Ausjchweifungen aller Art fid) rings um 
fie von Jahr zu Jahr vermehrten. Die ebenfo große Bunahme der 
Verfeinerung des Schönheitsfinnes und der Bequemlichkeit ſchien da- 
gegen doc ein zweifelhafter Gewinn. Welch ein Unterjcjied ſchon im 


Sittenverberbnis. 441 


Außern gegen die gute alte Zeit! War man jonft zufrieden mit dem 
wohlfeilen und gefunden bernauer, ruppiner ober Stadtbier und ergößte 
fi, wenn es hoch kam, an einem guten Glaſe unverfätfchten Franten- 
weins, Sekt, Pikardan oder Klaret, jo verlangte der verwöhnte Gaumen 
jetzt nach Rheinwein, Champagner, Burgunder. Das Bier mußte den 
ausländifchen Getränten weichen, es wurde ſchlecht, umb der gemeine 
Mann griff daher lieber zum Branntwein, defien jhädlicher Genuß nun 
immer mehr auffam. Aud) in den Wohnungen zeigte ſich der Lurus. 
Es ward Bebürfnis, faft zu jeder Verrichtung befondere Orter im Haufe 
zu haben; man verlangte immer bequemere, weitläufigere Wohnungen; 
fie follten auch eleganter fein. Daburd) ftiegen die Mieten unverhäftnis- 
mäßig; die Klagen über ihre Teuerung und über den Häuſerſchwindel 
wurden ſchon damals laut. Selbſt in ben Zeiten der Dinge wurde ge— 
neuert; jonft hatte man um 12 Uhr zu Mittag gegefien, jebt aß man 
um 1, ja um 2 Uhr. Auch das alte, dauerhafte Hausgerät mußte 
weichen; es madjte modernen Möbeln Platz, die alle zehn Jahre von 
einer neuen Mode wieder verdrängt wurden. Bejonderen Anftoß er- 
tegten den Anhängern des Alten die neuen Kleidertrachten. Dem Bei 
fpiel des Hofes folgend erſchienen mın die vornehmen Frauen und 
Mädchen in ungeheuren Reifröcken umb den anderen Erforderniffen der 
pariſer Etitette. Rad) dem fiebenjährigen Kriege fand die fremde Tracht 
ber Hofdamen und ber Schaufpielerinnen aber aud) int Bürgerftande 
Rahahmung. Da jah man bie Berlinerinnen ‘mit entblößten Brüften, 
in Inappen Korjetten, engen Schuhen, theatralifchen Friſuren, geſchminkt 
und mit Scönheitpfläfterchen befebt. Ahnliche Veränderungen gingen 
in dem: Aufzuge ber Männer vor. Statt der fteifen Böpfe trug man 
nun nach Franzofenart große Harbentel, auf dem gepuderten Haupte ein 
Heine dreieckiges, mit Trefien bejeßtes Hitchen, nad) Soldatenmanier 
keck rechtshin ins Auge gedrücdt. Der Adel trug darauf eine weiße 
Feder, der Bürgerftand eine ſchwarze. Der Rod war vom kurzer Taille, 
mit langen Schößen, breiten Innen, großen Knöpfen und je nad) dem 
Geſchmacke des Einzehten von: heller, heiterer Farbe, pfirfichblüten, 
feuerrot, blau, gelb oder weiß, auch wohl beftidt und betreßt. Eine 
toftbare parifer Wefte galt als unerläßlich für einen mobifch gefleideten 
Mann; desgleicjen recht feine Leibwäſche; dazu ein Feiner Galanterie- 
degen mit einer farbigen Schleife; feidenes Taſchentuch; in der Rechten 
ein Wignonftöckhen mit Bernfteintnopf — fo fah eim berliner Stußer 
jener Zeit aus. 

Noch bis zum fiebenjährigen Kriege beitand in der Kleidung und 
Lebensweiſe der Berliner ein ſcharfer Standesunterihied. Alle adligen 
Märnmer trugen Degen und breiedige Hüte mit weißen Straußenfedern, 
und namentlid) dieje Federn und bei Mastenfeften der roja Domino 


442 Innere Zuftände Preußens unter Beiedrih dem Großen. 


waren ausſchließliches Vorrecht des Adels. Durd) den Krieg aber änderte 
fid) die pefuniäre Lage der verſchiedenen Stände jo.bedeutend, daß dies 
auf ihre Lebensweife nicht ohne großen Einfluß bleiben fonnte. Dem 
Kaufmann, Fabrikanten und Handwerker ftrömte ein reicher und fchneller 
Erwerb zu, während der Sold des Beamten durch die Entwertung des 
Bapiergeldes, in welchem berfelbe gezahlt wurde, und das Gut des Edel⸗ 
manns durch die Verheerung des Krieges fehr beträchtlichen Abbruch er 
fitt. Die vornehmeren Klafjen mußten fi daher aufs äußerſte ein- 
ſchränken; der Bürger dagegen machte großen Aufwand; und da Handel 
und Wandel fid) nad) dem Frieden im ganzen noch viel mehr hoben, fo 
behielt der wohlhabende Mittelftand feine Iururiöfere Lebensweiſe bei. Es 
galt nun nicht mehr für unfdidlih, wenn ein Kaufmann oder Hand» 
werfer ben Aufwand eines Gelehrten, Beamten ober Adligen trieb; viels 
mehr fuchte ein jeder dem andern es im Luxus zuvorzuthun. Der Flitter- 
ftaat, der Prunk überhaupt nahm überhand. Reichte das Geld nicht 
bin, fo war Kredit da. Selbft das Gefinde erhöhte feine Anſprüche an 
das Leben; es wurde ſchwer, im Äußern Herm umd Diener, Frau und 
Magd zu unterfcheiden; und die Mittel zum Aufwand verjchafften ſich 
die Kleinen auf ebenjo leihtfinnige Weiſe wie die Großen. 

Da feufzten wohl manchmal die wenigen Anhänger des Alten, die 
Zeitgenoſſen und Böglinge des ehrlichen, ſchlichten Friedrich Wilhelm, 
über die Verberbtheit der neuen Generation. Die Söhne waren Stutzer, 
Spieler, Säufer, Wollüftlinge und Windbeutel geworden, die Töchter 
aber ſchlechte Hauswirtinnen und Modenärrinnen oder noch etwas Schlim⸗ 
mered. Der Schwarm don Fremden, die aus allen Himmelögegenden 
bier zufammentamen, verwiſchte die nod) übrigen ſchwachen Grundzüge 
des ehrwürbigen Charalters der alten Berliner, zumal durch die Ver- 
heiratungen mit den Landestöchtern, wodurch ein Miſchmaſch in dem 
Generationen entftand, der buntfchedig und luftig genug war”). 

Auch Friedrich) der Große bemerkte mit Kummer, wie anders es jetzt 
um feine Berliner ftand. Er hatte das Franzoſentum in Mode gebracht, 
bis er den übeln Folgen zulegt felbft nicht mehr Einhalt thun konnte. 
Er äußerte einmal in feinen alten Tagen: „er würde einen Finger drum 
geben, wenn die Berliner wieder fo fittenrein würden, wie fie es unter 
feinem Vater gewejen“, und mandmal, wenn er zur Karnevalszeit im 
berliner Schloß am Fenſter ſtand und mißmütig die Geden und Mode⸗ 
närrinnen draußen beobachtete, oder wenn er troß aller Regie den Lurus 
immer wachſen fah, jo hörte man ihn oft jagen: „Die Berliner taugen 
nichts." Dasſelbe hatte ſchon Friedrich Wilhelm I. gejagt, aber aus 
anderem Grunde, weil ihm die Berliner nicht willig genug zu pariren 


*) König a. a. O. V. 2, 311. 


Die Berliner, 443 


ſchienen. Diefen Fehler wenigftens Hatte fein Sohn nicht zu rügen. 
Die Berliner verehrten ihn ja faft wie ein göttliches Weſen. „Die 
Preußen“, ſchrieb 1772 Lord Malmesbury von Berlin aus, „glauben in 
ihrer Eitelfeit, ihre eigene Größe in der Größe ihres Monarchen zu er- 
bliden. ‚Ihre Unwiflenheit und ihr Mangel an Grundfäßen erftict in 
ihnen jeden Begriff von Freiheit, Selbjtgefühl und Oppofition." 

Malmesbury beurteilt hier das ganze Volt nach der Hauptftadt; 
was die Unterthänigeit anbetrifft, jo hat er Recht. Überall in preußi- 
ſchen Landen gehorchte man dem Könige mit gleicher Unbedingtheit. Sonft 
aber war in den Sitten und Gewohnheiten nicht allzuviel Übereinjtinmung. 
Die Franzöfirung und die Gittenlofigfeit drangen befonders in ben ent 
legenen Provinzen bei weitem nicht fo tief in das Volk, fie blieben mehr 
in den vornehmeren Klafjen der Gefellichaft, im Kreiſe der Edelleute, 
Beamten und Offiziere. Die lepteren bildeten unbeftritten den erften 
Stand im Staate, der ja ein Militärftant war. Sie gehörten übrigens 
dem Adel an und genofien ſchon darum große geſellſchaftliche Vorrechte, 
die ihnen von ben Bürgerlichen in der Regel auch bereitwillig zugeftan- 
den wurden. Denn noch war bie öffentliche Meinung in Deutichland 
teineswegs fo aufgeflärt, daß man ben angebornen Reſpelt vor adligen 
Namen und Titeln hätte abſchütteln Können. Der märkiſche und pom⸗ 
merſche Adel war freilich wenig begütert, fein Befiktum oft mur ber 
Degen, aber man wußte, daß er ihn unter dem großen Könige mit Helden« 
mut und Aufopferung geführt. Der Dffizierftand war daher in ber 
eriten Zeit nad; dem fiebenjährigen Kriege beim Volle keineswegs un» 
beliebt. Auch hielt der König ihn fcharf im Zaume; er duldete feine 
Übergriffe. Ebenſo wenig ließ er im Heere die Berfahrenheit und Ver⸗ 
weichlihung aufkommen, die ihm an dem neuen Geſchlechte fo jehr miß- 
fiel, und als gutes Mittel, die alte Tüchtigkeit wieberherzuftellen, erichien 
ihm die Drefiur, durch die fein Vater ein fo brauchbares Heer geichaffen 
hatte. Er ſah daher ftreng darauf, daß in Kleidung und Haltung der 
Truppen, wie in ihren Bewegungen alles bis auf bie geringfte Kleinig« 
feit genau vorichriftsmäßig war, und ba feinem ſcharfen Blicke bei den 
jährlichen Mufterungen nichts entging, eine mangelhafte Leiftung einer 
Truppe aber jofort an dem Befehlshaber durch ſchimpfliches Fortjagen 
geahndet zu werben pflegte, jo war der Dienft mühjam genug. Fort 
während wurde gepußt und ererziert, ererziert und gepußt; allerorten 
Militär, — unter faum ſechs Millionen Menſchen beinahe eine Viertel» 
million Soldaten; — da mußte freilich dem italientfhen Dichter Alfieri, 
der 1770 Berlin befuchte, die Hauptftadt wie eine große Kajerne und 
der ganze preußifche Staat wie eine ungeheure, ununterbrochene Wacht» 
ftube vorkommen. 

Vergleicht man die Berichte, welche fremde Beſucher damals über 


444 Innere Zuftände Preußens unter Geiebrid) dem Großen. 


den Charakter der Berliner entwarfen, fo ift es intereflant zu fehen, wie 
jeder etwas anderes zu tadeln weiß. Dem Engländer mißfällt der Mangel 
an Oppofition gegen die unumſchränkte Regierung, dem Ztaliener das 
uniforme foldatiiche Weſen; Hamann, der fromme Schwärmer, nennt 
Berlin, weil es voller Zreigeifterei, ein „Babel“; Georg Forfter fpricht 
von der „Prafferei, faft Gefräßigfeit“ der Berliner (einer Untugend, die 
man heute ihnen wohl ſchwerlich Schuld geben würde); in einem ftimmen 
fie alle überein, daß die Sittenlofigkeit hier groß fei. Ohne Zweifel er- 
ſchien fie noch weit größer, als fie wirflid) war, weil fie fid) fo breit 
machen durfte, weil fein Friedrich Wilhehn feinen Stock fiber fie ſchwang. 
Übrigens bejaßen die Berliner von · damols - auch manche gar löbliche 
Eigenſchaft: man rühmte an ihnen die Geſchliffenheit, die Liebe zur Ge— 
ſelligkeit, die Zreiheit im Umgange, ben fcharfen Blick auf die Gegen- 
ftände, welche fie umgaben, und befonders den Hang zum Mitleiden und 
zum Wohlthun. Es war: ein leichtfinniges, -feivoles Bollchen, aber gut= 
berzig und nachſichtig gegen andere wie gegen ſich felbft, dulbfam gegen 
Andersgläubige, aufgeklärt und milde und voll reger Baterlandsliebe ; 
dabei rührig und voll Intereſſe für alles Bedeztende; nur mit Gauflern, 
Bundermännern, Kraftgenies und Schwärmern durfte man ihm nicht 
kommen; fie fanden hier felten ihre Redyumg; dazu war man in Berlin 
ſchon zu kritifch, wenn auch font hier der Wahlſpruch galt: „Leben und 
leben lafien“: 

Einſichtsvolle Baterlandsfreunde Tonnten freilidy der übrigen Nation 
nur Glüd dazu wünfchen, daß fie zwar wicht fo zivilifirt wie bie Hanpt- 
ftadt, aber and) nicht fo.entartet war; daß fie fidh eim gutes Stüd bes 
alten Eruftes, ber alten Ehrbarkeit bewahrt hatte; frz, daß die: Provinzen 
troß des. allgenzeinen Prenßentums, : welches: fie: verband und weiches fich 
cam beftimmteften. in der Verehrung bes Künigs ausdrückte, doch bei 
weiten nicht in dem Berhäktniß zu Berlin ftanden, wie ehva Frankreich 
zu Paris, und daher ihre guten Eigentümlicjleiten trotz bes Einfluffes 
der. Refidenz im großen und: ganzen: feftzuhukten vermochten. 


Sechſtes Bud. 


Berfall der alten Ronardie, 


Friedrich Wilhelm II. 


Eriebrich der Große hinterließz feine Kinder. 8 folgte ihm daher auf 
dem Throne fein Neffe Friedrich Wilhelm, der Sohn bes 1788 verftorbenen 
Prinzen Auguft Wilhelm. Das war freilich fein Mann, der bie ſchwere 
Rolle eines Königs von Preußen würbig hätte weiter fpielen können. 
Friedrich Wilhelm Il. oder Wilhelm der Diele, wie das Volk ihn nannte, 
war ein „jeelenguter" Mann, ein aufrichtiger Menfchenfreund, weichherzig 
und wohlwollend; aud) eine ftattfiche Erſcheinung von ſechs Fuß Höhe; 
aber diejes weiche Herz wurde allzuſehr won der Sinmlichteit beherricht, 
und in biefem großen Körper wohnten ein mittelmäßiger Verſtand und 
ein ſchwacher Gharafter. So fiel er, unfähig ſich felbft zu beherrichen, 
früh Günftlingen in die Hände, bie das Edlere in ihm, Die großherzigen 
Anregungen, denen feine Natur zugänglich war, einen gewifjen ritterlichen 
@eift, der in ihm ftecte, irre führten. Und da das Alter — er war 
bei feinem Regterungsantritt 42 Jahre alt (geboren am 25. September 
1744) — fein Urteil nicht reifer gemacht hatte, fo blieb er aud) al 
König ein Werkzeug ber Leute, welche die Schwächen biefes Gefühls- 
menſchen zu nüpen wußten. Schon als Kronprinz war er Ausfchweifungen 
mit bem anbern @efchlecht ergeben gemefen, und weber bie Ehe*), noch 
die herzliche Zumeigung zu einer Jugendgeliebten, der ſchönen und gut⸗ 





) &x war zuerft verheiratet mit Eliſabeth von Braunſchweig; dann, nad) Trennung 
diejer Ehe, mit Briberite Suife von Heflen-Darmftabt, bie ihm fünf Kinder, darunter den 
Ahronfolger, gebar. 


446 Friedrich Wilhelm II. 


artigen Friderike Enke (Tochter eines Kammermufifus), hatte ihn von 
diefem Fehler geheilt. Jetzt trat der Hang nad) ſolchem Genuß noch 
ungefcheuter hervor; eine Gumftdame löfte die andere ab; nur das DVer- 
hältnis zur Ente, die er zum Schein mit feinem Kammerdiener Rieß ver- 
heiratet hatte und fpäter zur Gräfin Lichtenau erhob, blieb ein 
dauerndes, weil es fi) auf wahre gegenfeitige Freundichaft gründete. Es 
wäre gut für ihn gewefen, wenn dieſe Schwäche feine andere Folge ge— 
habt hätte, als das Ärgernis, welches fie gab; denn einigermaßen ent- 
ſchuldigten ihn die Sitten der Zeit, auch fah es in dieſer Beziehung da⸗ 
mals an anderen Höfen noch bei weitem ſchlimmer aus, und vor allem, 
politifchen Einfluß gewährte er den rauen, bei denen er Berftreuung 
fuchte, niemals. Aber dadurch wirkte dieſer Hang fehr ſchädlich, daß er 
viel dazu beitrug, den König geiftig wie Teiblicy zu entnerven, ihn der 
ernften Arbeit zu entfremben, ihn der Gegenwehr gegen bie Stimmungen 
und Eingebimgen des Augenblids zu entwöhnen. Dazu gejellte ſich nun 
eine andere Schwäche. Keinen lieberen Gefährten hat die Sinnlichkeit, 
als den Moftizismus. So war es auch bei Friedrich Wilhelm. Das 
Romantifche reizte ihn in jeder Geftalt; aber werm es ſich mit dem Re— 
ligiöſen verquickte, jo war es für ihm unwiberftehlih. Hier war er für 
ſchlaue Berechnung ein leichtes, bereites Opfer. Auch größere Geifter, 
als er war, ließen fi) damals von jener Richtung der Zeit ergreifen, die 
an den Wundern des Mesmerismus, an den Seltiamfeiten Caglioftros, 
an ben Geheimlehren ber Breimaurerlogen Gefallen fand. 

So kam es, daß während feine Sinne die Freude fuchten, fein Geiſt 
umnebelt, fein Wille geleitet wurde von zwei Günftfingen, deren Ränke 
nur um fo gefährlicher waren, weil fie fich in den Mantel der Frömmig⸗ 
keit hüllten. Der eine war ber Major. Rudolf v. Biſchoffswerder“), 
ein Höfling von glattefter Form, aber dabei em feiwer Intrigant, ber 
bie reizbare Phantafie und die romantifchen Anmwanblungen des Königs 
mißbrauchte, um ihm durch die Vorfptegelungen übermenjchlicher Ber- 
mögen zu imponiren. Geheimnisvoll, myftifch-feierlich trat er ihm in ben 
Stunden entgegen, wo jener, vom Genuß ermübet, nach Höherem ver- 
langte, und enthällte ihm bie Myfterien eines Drbens, befien übernatür- 
liche Weisheit fo alt wie bie Pyramiden Ägyptens fei, des erhabenen 
Ordens der Gold» und Roſenkreuzer. Dieſer Orden war eine Art 
freimaureriſchet Brüderſchaft, die im Gegenſatz zu den freigeiftigen Jlu⸗ 
minaten in ber Kirche die Strenggläubigteit, im Stante den Abſolutismus 
und die Legitimität verfocht. Jefuitiſch wie feine Zwede waren and) 
feine Mittel, und das wirffamfte darunter war der Myftizismus. Diefes 


) Geboren 1741 in Thüringen und aus färhflfem Dienſt 1778 in preubtſchen 
getreten. 


Günftlinge. 447 


Mittel machte fi) Bifhoffswerder zu nuße, nachdem er, damals noch 
Adjutant des Prinzen von Preußen, in den Orden eingetreten war und 
dann (1781) Friedrich Wilhelm jelbft zum Eintritt bewogen hatte, Wie 
er den Prinzen umgarnt hatte, fo wußte er ihn aud) als er König war, 
in dem Nebe feftzuhalten. Auf feine Zauberbeſchwörung erjchienen die 
Geifter, die Stimmen ber Luft, die Bilder im Spiegel, und befräftigten 
das Wort des Meifters. Wenn dann der tolle Spuk verfchwand, fo 
nahm der ſchlaue Menfchentenner wieder jene unergründliche Zurückhal⸗ 
tung an, bie den König längft hatte ahnen laſſen, daß er es hier mit 
einem tiefen und großen Geifte zu thun habe. Gefichert wurde das jo 
gewonnene Anfehn durch die Uneigennüßigteit, welche Bifchoffswerber zur 
Schau trug; er vermied es, für fi) etwas zu erbitten ober fichtbar jene 
Macht zu üben; e8 wurde ihm, was er wünſchte, von felbft zu teil. Er 
verftand fid) eben auf Die Kunft, nichts zu fcheinen und viel zu fein. 
Dabei unterftüßte ihn aufs beite der zweite Günftling bes Königs, 
ber ©eheimrat Chriftoph Wöllmer oder, wie er mm hieß, v. Wöllner*). 
Er war ein Menſch von noch größerer Gewandtheit und Schlauheit wie 
Biſchoffswerder; geiftig begabter und kenntnisreicher, aber auch der durch⸗ 
triebenfte Heuchler und räntevolifte Selbftling. Von Haufe aus Theolog, 
hatte er wie ein Chamäleon die verſchiedenften Masten getragen; erft 
Hauslehrer und Reifehofmeifter eines jungen Ebelmanns v. Ihenplitz, 
dann defien Schwager und nun, durd) feine vornehme Frau gefördert, 
die Dorfpaftorei mit Staatswiſſenſchaften, bie Provinz mit Berlin ver- 
tauſchend, Domänentat des Prinzen Heinrich, daneben eine zeitlang fen- 
timentaler und aufgeflärter Schriftfteller; darauf Mitglied, bald Seele 
des Rofenkreuzerordens, in welchem er mit Biichoffswerder und dem 
Prinzen von Preußen vertraut wurde. Seht verlegte er fih auf die 
Frömmeki; denn Friedrich Wilhelm fühlte das Bedürfnis, feine fleiſch⸗ 
lihen Sünden durch kirchliche Frommheit gut zu machen, unb hier bot 
fi, für Wöllner die befte Handhabe, auf den Prinzen Einfluß zu ge: 
winnen. Schon als Orbenshaupt war er dieſem ehrwärdig; es gelang 
ihm, gleichſam deſſen geiftlicher Rat und Beichtvater zu werden. Nach 
Friedrich Wilhelms Thronbeſteigung kam auch er mm zu Madit; er 
wurde Töniglicher Zinanzrat, vermochte aber in der That, da er das Ohr 
des Königs hatte, in allen Sachen oft mehr als die Minifter. Sein Biel 
war leitender Minifter zu werben; und zwar nahm er für fich die Ein- 
wirkung auf die innere Politit in Ausfiht, während Biſchoffswerder 
mehr die äußere zu beeinfluffen ſuchte. Die beiden Günftlinge und 


) Sohn eines Sandpfarrers, geboren 1732 zu Döberif bei Spandau. gl. über ihn: 
Martin Philippfon, Geſchichte des preußiſchen Staatsweſens vom Tode Friedrichs bes 
Großen bis zu den Breiheitstriegen I., Leipzig 1880, ©. 69 ff- 


448 Friedrich Wilhelm IT. 


Ordensbrüder arbeiteten einander getreulih in Die Hände, der eine als 
Hoftheofoph, der andere als Hoftheolog, beide die Häupter eines Schwarms 
von jelbftfüchtigen Hofichranzen und Dunkelmännern; das waren jeßt Die 
Näte und Diener des preußiſchen Königtums. 

Dennod empfing die gedanfenlofe Menge den neuen Herrſcher, wie 
fie pflegt, mit Jubel; und der Anfang feiner Regierung ſchien ihr Recht 
zu geben. Zriebri II. hatte die deutſche Sprache und Mufe gering ge 
ſchätzt und unbillig die franzöftfche bevorzugt. Friedrich Wilhelm II. 
ſchaffte hier erwünſchte Wandlung; er feßte bei Hofe und in der höheren 
Gefellichaft das Deutfche wieder in fein Recht ein; die Höflinge, die fo 
lange franzöfiſch parlirt, mußten num wieder der Mutteriprache die Ehre 
geben. Er zeigte auch zu dem deutſchen Geſchmack das Vertrauen, das 
bisher auf dem Throne gefehlt Hatte. Auf Antrag des Minifters 
v. Heiniß ftellte er die feit langen Jahren eingegangene Akademie der 
Künfte wieder her. 

Noch allgemeiner merkbar war eine andere Beflerung bes Beftehen- 
den, durch welche der neue König die öffentliche Gunft, die ihm entgegen 
getragen wurde, zu verdienen fuchte. Friedrichs bes Großen Regiment 
war in mancher Beziehung hart geweien; den Nachfolger trieb ſchon 
feine Herzensgüte wohlzuthun. Er hob die verhaßte franzöftiche Regie 
jamt dem Kaffee- und Tabalsmonopol auf, entließ die franzöftichen Zoll- 
beamten und erfeßte fie durch Inländer. Auch einzelne andere Schroffe 
heiten des herrſchenden Merkantilſyſtems wurden gemilbert, und der 
Steuerdrud ein wenig erleichtert. Ebenſo fuchte man in den übrigen 
Zweigen der Verwaltung zu beflern. Bisher hatte der König perjönlich 
bie ganze Kriegsvermaltung geführt, jetzt wurde ein Kriegsbirektorium 
geihaffen, defien Leitung der Herzog Karl von Braunſchweig (Reffe des 
berühmten Prinzen Ferdinand) und der Feldmarſchall v. Möllendorf er- 
hielten. Verordnungen erſchienen, welche das Werbeweien im Auslande 
befier ordneten, gewaltfames Prefien von Refruten, fowie die rohe Ber 
handlung der gemeinen Soldaten unterjagten. 

Auch für das Erziehungsweien geſchah manches Gute. Unter Lei- 
tung des alten Minifters v. Zeblik, der auf feinen eigenen Gütern wahre 
Mufterfchulen eingerichtet hatte, wurde ein „Oberſchulkollegium“ aus 
praftifchen Schulmänmern errichtet, welches in den gejamten öffentlicher 
Unterricht mehr Plan und Zufammenhang bringen, namentlich aud) die 
verſchiedenen Bildungsarten, die Haffifche für das Gelehrtentun, die reale 
für den Bürgerftand, bie elementare für das niebere Volt Mlarer von 
einander fondern und jebe nad) ihren Bedürfnifien behandeln ſollte 
(Februar 1787). Ein anderes königliches Edikt (vom 9. Dftober 1787) 
verfügte die Aufhebung des Jeſuitenordens und die Einziehung der lie- 
genden Gründe besfelben und überwies die Einkünfte von biefen teils 


Mirabeau über Preußen. 449 


an die katholiſchen Schulen, teils an die Univerfitäten Halle und Frante 
furt aD. 

Aber alle dieſe Maßregeln berührten nur die Oberfläche bes übels. 
Es handelte fid) um ganz anderes, es galt den Staat von Grund aus 
neu zu geftalten.. Denn biefe Großmacht ‚Preußen: feßte, um fich zu 
halten, einen Herrſcher voraus von- Friedrichs des Großen Gaben. Kein 
Heinerer Beift Tomte den Mangel des Staats an natürlicher Kraft er- 
ſetzen. Die alte Monarchie hatte fi in dem Augenblide 
überlebt, da Friedrich geftorben war. Einſichtige Zeitgenoſſen, 
wie Mirabeau, fragten mit Recht: .,Kann man hoffen, daß alle Nach— 
folger Friedrichs fo umermüblich fein werben wie er, dak- fle jährlich, 
gleich ihm, in allen Teilen des Staats Die Iufpeltionen vomehmen, daß 
fie alle Berichte über jedes einzelne‘ Regiment leſen und prüfen, daß 
weder her Einfluß eines Höflings, noch eines Freumbes, noch einer Ge» 
liebten einen Augenblick das Intereſſe des Heeres überwiegen, ober nie 
mals irgend eine Parteilichleit, Genuß .oder Iatrige auf die Leitung des 
Ganzen. eimwirken werben?" „Wenn nach dem Tode dieſes Fürſten“, fo 
hatte ein anderer frangöfifcher Schriftfteller prophezeit, „mern nad; Fried⸗ 
rich dem Großen, deffen Genie allein dieſes unvollkonnmene Gebände ers 
Hält,. ein ſchwacher König ohne Zalent‘ folgt, fo wird man in wenigen 
Jahren das preußiſche "Militär entarten amd. in. Verfall. geraten ſehen; 
may. wird dieſe ephemere Macht in die Stellung zurückkehren ſehen, welche 
ihre wirllichen Mittel ihr anweiſen, und. fie wird vielleicht einige Jahre 
Ruhmes ſehr teuer ..bezahlen müfſen“) -Rım folgte in ‚ber That ein 
ſchwacher König ohne Talent. Am fo mehr hätie der weile Rat Mira 
beaus ‚befolgt werden. müffen: es follte ‚Die militärtfce. Sftavsrei ver- 
ſchwinden, das: Mexkantilſyftem mit feinen nachteiligen Wirkungen beſei⸗ 
tigt, die feudale Scheidung der Stände gemildert, daS einſeitige Vorrecht 
des Adels in bingerlichen umb militäriſchen Intern: aufgehoben, Privi⸗ 
legien und Monopole vernichtet, das ganze Syſtem der Beſteuerung oer- 
änbert, dem Volke die Laſten abgenommen werden, bie. feine Brobultion 
henunten, Verwaltung, Rechtspiltge und Schulweſen eine neue · Förderung 
erhalten, die; Zenjur fallen, überhaupt dem alten Soldaten⸗ und Beamten⸗ 
ſtaat ein frijcher Autrieb politiſchen und geiſtigen Lebens mitgeteilt 
werben."”*) Aher ſolche Stimmen verhallten unbeachtet; man wiegte fich 
in Preußen in ſtolzer Selbſttäuſchung; man hielt ‚die alte Monarchie für 
unübertrefflih, obwohl nur der alte Monarch es geweſen war; am 
wenigften fühlte Friedrich Wilhelm II. den Beruf und die Kraft zu einer 
jo großartigen Reform. Er beſaß nicht einmal die Energie, die ver- 


*) Guibert, (Euvres militaires I. 90. 
*®) Mirabeau, De la monarchie Prussienne I. 191. IV. 343 etc, 
Rierfon, preub. Geſchichte. I. 2 


450 Friedrich Wilhelm II. 


einzelten Meinen Berbeflerungen, die er bei feiner Thronbefteigung vor- 
nahm, wirfich durchzuführen; er fam aus ben Anläufen nicht heraus, 
und da ſich denn bald zeigte, bak man ungeftraft an bem überlieferten 
Staatsweſen Finzelnheiten nicht verändern fonnte, daß z. B. bie Ab- 
ſchaffung der Regie und des Kaffee und Tabakmonopols einen Ausfall 
in den Einnahmen herbeiführte, der von felbft ſich nicht bedte, fo griff 
man zu neuen Künfteleien, bie faft ebenjo drückten und doch weniger 
leifteten. Kurz, die Maßregeln der neuen Regierung waren nichts als 
eine wohlmeinende Pfufcheret. Sie Ienfte aber bald in eine Bahn ein, 
die gerabezu verderblich war. 

Zu den ſchlimmſten Schäden des damaligen Lebens gehörten ohne 
Zweifel die Srivolität des Meinens und die Verkommenheit des Glau- 
bens; fie erzeugten nicht bloß Gleichgiltigkeit gegen alles Kirchliche und 
freche Religionsfpötterei, fonbern auch jene Gottlofigteit im Handeln, bie 
man unter dem neuen freigeiftigen Geſchlechte jo häufig wahrnahm. Die 
umgezügelte Aufffärung hatte in der That zu einem „Aufkläricht“ geführt, 
einem wibrigen Gemiſch von Flachheit und Gemeinplägen, vor weldem 
ſchon 1769 dem ebelften Vertreter der wahren Aufflärung, Leffing, ein 
Efel ankam, wenn er fah, wie unverſchämt jeder Windbeutel in Berlin 
feine Sottifen gegen das Unverftandene wie gegen das Unverftändliche 
der überlieferten Religionslehren vorbrachte. Cine Regierung, welche das 
Bolt wieber zur alten Glaubenseinfalt und Frömmigkeit erzogen hätte, 
würbe ſich ben Dank aller Urteilsfähigen erworben haben. Friedrich Wil- 
helm II. ftrebte nad) biejem Verdienſte. Aber er meinte, durch bloße 
Machtſprũche und polizeiliche Maßregeln herftellen zu Tönnen, was mır 
durch weile Bucht und durch ein erbauliches Beifpiel zu erwirken war. 
Am 3. Juli 1788 ernannte er Wöllner zum Minifter ber Zuftiz und der 
geiftlichen Angelegenheiten. Beblig mußte fein Amt niederlegen, und am 
9. Zuli erihien ein Religionsedikt, welches allen Geiftlichen und 
Xehrern befahl, fofort zur alten Rechtgläubigfeit zurüczufehren und nur 
die orthodore Kirchenlehre zu verkündigen. Es bezeichnete den Charakter 
diefer Orthodorie, daß man daneben das Kirchengebet für den König 
wieder in ben alten höfifchen Stil veränderte: der König wurde nun 
Gott nicht mehr als befien Knecht, fondern als Se. Majeftät anempfohlen, 
und bie Bitte, daß ihm Gott Königliche Gedanken, heilſame Ratſchläge 
u. f. w. geben möge, wurbe fortgelafien. Die Hauptjache war, es wurde 
die ftrengfte Überwachung der Pfarrer und Lehrer und die Zurückweiſung 
aller Kandidaten angeorbnet, welche irgendwie von dem alten Lehrbegriff 
abwichen. Während das Religiongebikt die Gewiſſen zu fetten beftimmt 
war, follte das Benfuredift (vom 19. Dezember 1788) die Prefie 
Inebeln; die Freiheit berfelben, foweit fie unter Friedrich dem Großen be= 
ftanden, wurde aufgehoben, und Die Benfur Finſterlingen anvertraut, 


Religionsebitt. — Benfur. 451 


welche alle Schriften, wifjenfchaftliche wie populäre, in denen aud) mır 
eine Spur don Freifinn zu finden war, mit gleicher Strenge umter- 
drüdten. So gedachten Wöllner und feine Genofien der Aufklärung 
Meifter zu werben. 

Aber das Gute, was man beabfichtigte, wurde verfehlt und nur 
neues Übel angerichtet. „Wer find“, fo fragte man fid) in den Kreifen 
des Unglaubens, „wer find dieſe Leute, die ung Religion predigen und 
felber jo gottlos leben? Ein König, der öffentlich Ehebruch treibt und 
dann, nicht zufrieden mit feinen Mätreſſen, ſich noch ein Kebsweib zur 
linken Hand antrauen läßt”); ein Gaufler Biſchoffswerder, ein Pharifäer 
Wöllner — ſolche Menfchen wollen die Richter über die Sitten und den 
Glauben fein? Es find Splitterrichter, heuchleriſche Frömmler und Mucker!“ 
Ein allgemeiner Unwille erhob ſich unter den Freigeiftern gegen Die kirch- 
Tide Reaktion, und ftatt den Unglauben auszurotten, nötigte fie ihn nur, 
fi, wo es nüßlich ſchien, in die Maske religiöfer Heuchelei zu hüllen. 

Die Wirkungen des Benfurebitts waren nicht befier. Dem die 
Schandblätter und Schmähſchriften, die man mit Recht fern halten wollte, 
Tamen auf Ummwegen dod) unter das Bublitum; es las fie nur um fo bes 
gieriger, weil fie verboten waren; und bie ernften, tüchtigen Werke, die 
den großen Haufen weniger anzogen, hatten nun oft aud) noch mit einer 
engherzigen und unverftändigen Zenſur zu kämpfen. 

Übrigens wurde ber Minifter bei feinen Maßregeln wider die Preſſe 
gar nicht felten von feinen eigenen Beamten im Stiche gelafien. So er- 
ſchien einmal in Berlin eine Schrift, Die mit den Worten ſchloß: „Wehe 
dem Lande, befien Minifter Eſel find!" Entrüſtet ließ Wöllner den 
Henfor kommen; es war der Konfiftorialrat Cosmar. „Befehlen Euer 
Ercellenz vielleicht“, verantwortete ſich dieſer, „baß ic) ftatt ‚Wehe dem 
ande‘ hätte follen drucken laſſen: ‚Wohl dem Lande, befien Minifter 
Eſel find‘?" Wöllner ſuchte ſich zu helfen, indem er ihm mißliebige 
Bücher, welche die Benfur beftanden hatten, aus eigener Machtvollklommen⸗ 
heit verbot. Aber die Verleger reichten nun gegen den Benfor eine Klage 
auf Schabenerjag ein, und das Urteil des Kammergerichts fiel zu Uns 
gunften des Minifteriums aus. 

Das Mißvergnügen über den Abfall des preußiichen Königtums 
von der Sache der Aufflärung war namentlich in den höheren Ständen 


*) Ein Fraulein Julie von Bob, im Mat 1787. Cie belam vom Könige den Titel 
Gräfin von Ingenheim, ftarb aber jhon im März 1789. Ehefreu zur Tinten Hand wurde 
dann (im April 1790) eine Gräfin Sophie v. Dönhoff; diefe gebar dem Könige zwei Kinder, 
die ben Titel Graf und Gräfin v. Brandenburg erhielten. Da fie ſich in pofitifge Dinge 
miſchte und dem Könige überhaupt Tätig wurde, fo veriwies er fie fhon 1792 wieder vom 
Hofe. Vol. Neumundfecigig Jahre am preudiſchen Hofe. Mus den Erinnerungen ber Oben 
Hofmelfterin Sophie Gräftn o. Bob. Leipzig 1876, ©. 124 ff. 
29° 


452 FZriedeich Wihhelm U. 


groß; die Maſſe des Volkes hatte bald noch andere Gründe, mit dem 
neuen Regenten unzufrieden zu ſein. Die Bürger klagten über neue und 
ſchlechter verteilte Steuern an Stelle der wenigen, die abgeſchafft worden, 
über die Fortdauer der Monopole, über die nutzloſe Vermehrung des 
Adels, dem ber König bei feiner Thronbefteigung im Jahre 1786 eine 
große Zahl neuer Mitglieder durch Ernennung zugefellt hatte. Die Bauer 
Hagten, daß der Edelmann fie wieder überbürden und prügeln dürfe, und 
daß die gefegliche Feftitellumg ihrer Hofdienfte, welche Friedrich der Große 
eingeführt, aber nicht vollendet hatte, wieder in Verfall fomme. Die tüch- 
tigen alten Beamten jahen mit Schmerz, wie die Regierung vom Staats» 
gedanken abwidh, bie Amter nur nad) Gunft beſetzte und die wichtigften Ge- 
ſchäfte vernadhläffigte oder falſch angriff. Je größer die Erwartungen ge- 
wefen, mit denen das Publikum den neuen König empfangen — wie hatte 
man ihn angefungen und beweihräuchert, Friedrich Wilhelm den „Viel⸗ 
geliebten — befto herber war nun bie Enttäuſchung; der BVielgeliebte 
ward ein Vielgefhmähter, und diesmal hatte die öffentliche Stimme mehr 
Recht. Wie erinnerte man ſich jet mit Reue daran, daß man an dem 
Vorgänger fo manchmal und jo boshaft gefrittelt. Die jetzige Mikregie- 
rung und beſonders Wöllners Geiftesdespotie in einem Kulturitant wie 
Preußen ſetzte den Segen der fridericianifchen Dent-, Preß- und Rechts⸗ 
freiheit erft in volles Licht. Zwang im Gebiet des Glaubens und Meinen 
bat immer am meiften empört. Jetzt fah man recht, was man verloren. 

Mit gleichem Ungeſchick behandelte der König die auswärtige Politik. . 
Es ſchien, als wenn hier die Überlieferungen Friedrichs bes Großen, be- 
ſonders der Grundjaß, fi in feinen Bund oder Krieg einzulafien, bei 
welchem nicht etwas Reelles zu gewinnen fei, fowie der Gegenſatz zu Ofter- 
reich, in Kraft bleiben würden. Wirklich überließ Friedrich Wilhelm die 
Leitung der auswärtigen Angelegenheiten anfangs dem alten Minifter 
v. Hergberg, einem StaatSmanne aus Friedrichs Schule. Aber abge- 
jehen davon, daß Hertzberg bei weitem nicht das praftifche Talent feines 
großen Meifters befaß, fein Einfluß vermochte auf die Dauer wenig gegen 
die Herrfchaft, welche die Kamarilla über den König ausübte. In einen 
Staate wie Preußen kam eben alles auf die Perjönlichfeit des Fürften an. 
Hertzbergs Lieblingsgedanke war, die glorreiche Rolle eines Schiebsrichters 
der europätfchen Angelegenheiten und des Gleichgewichts, die Friedrich der 
Große gejpielt hatte, dem Nachfolger zu erhalten, ja noch zu erhöhen. 
Der erite Anlauf, den Die neue Regierung dazu nahm, fiel, wie es fchien, 
ungemein glücklich aus. 

In Holland lagen damals die alten Parteien der ariſtokratiſchen 
Republitaner und der monarchiſchen Dranier wieder mit einander in er- 
bittertem Streite; jene, durch die Erfolge der jungen norbameritanifchen 
Republik zu neuer Freiheitsluft gereizt, ftrebten die Macht und das Recht 


Feldgug nad Holland. 453 


des Erbftatthalters zu verringern, diefe waren bemüht, fie vielmehr, nach 
dem Wunſche ihres Hauptes, Wilhelms V., und beſonders feiner ſtolzen 
und herrfehfüchtigen Gemahlin, einer Schwefter des Königs von Preußen, 
noch über die gefeßlichen Grenzen zu erweitern. Die Dranier fuchten, wie 
immer, bei England eine Stüge, die Gegner Iehnten ſich an Frankreich. 
Die Parteiung, die das Land entzweite, ging im Mai 1787 von Demon- 
ftrationen zu Gewaltthätigfeiten über und trieb einem Bürgerfriege zu. 
Friedrich Wilhelm, von feiner Schwefter mit Bitten um Hilfe beftürmt, 
war doch zuerft nicht geneigt, ſich mit Waffengewalt einzumifchen; er 
fuchte zu vermitteln. Da unternahm die Prinzeffin- (im Juni 1787) eine 
Reife mitten durch das aufgeregte Land, auf welcher fie an ber Grenze 
der Provinz Holland von der Bürgerwache in ungeſchickter Weiſe ange- 
halten und zur Umkehr genötigt wurde; dieſen unbebeutenden Vorfall 
ftellte fie mm ihrem Bruber als eine ſchwere Beleidigung dar, und 
Sriedrich Wilhelm glaubte, feine königliche und ritterlihe Ehre gebiete 
ihm bier einzufchreiten. In drohendem Tone verlangte er fofort von den 
holländifchen Behörden Genugthuung, und als diefe im Vertrauen auf die 
Hilfe, welche Frankreich verſprach, ausweichend antworteten, ließ er 
(13. September 1787) preußifche Truppen, einige zwanzigtaufend Mann 
ſtark, unter dem Feldmarſchall Herzog Karl von Braumfchweig bei Nim— 
wegen und Arnheim in Holland einmarfchtren. Die Bürgerwehren und 
Zreifcharen, welche die Patrioten, d. h. die republikaniſche Partei, hier 
zuſammengebracht, erwieſen ſich als ganz unfähig, e8 mit regelmäßigen 
Truppen aufzunehmen; feit lange war das Volk des Krieges ungewohnt, 
die Feftungen in Verfall, und da Frankreich fich zurückhielt, fo fiel faft 
ohne Schwertftreich das ganze Land in die Gewalt der Preußen; binnen 
vier Wochen hatten fie alle wichtigen Punkte befebt, den Aufftand unter- 
drüct und die Regierung des Erbitatthalter8 wieder hergeftellt. 

Mein hiermit endete aud) die Unternehmung. Nachdem fie der oranis 
ſchen Partei das Heft in die Hand gegeben, fehrten die Steger, bie übrigens 
eine mufterhafte Mannszucht gehalten hatten, wieder heim; der König er- 
Härte, er habe nur für die Ehre feiner Schwefter zu den Waffen gegriffen 
amd verzichte, da er feinen Zweck erreicht, auf jeden andern Vorteil. 
Das war freilich fehr großmütig, aber weber gerecht noch verftändig; 
denn die Kriegsfoften betrugen viele Millionen; was Friedrich der Große 
fo ſorgſam eripart, was das preußifche Volk jo mühfam erarbeitet hatte, 
war alfo für fremde Intereffen vergeudet, um eine problematiſche Beleis 
digung zu rädjen, bie ben preußiſchen Staat nichts anging. Der einzige 
Nupen beftand in der Beftätigung der hohen Meinung, bie man im 
In⸗ und Auslande von der Macht Preußens hatte, und in der Tripel- 
Allianz, welche tm folgenden Jahre zwifchen den Regierungen von Preußen, 
Holland und England gejchloffen wurde. Aber felbft diefer Gewinn war 


454 Friedrich Wilhelm UI. 


nur ſcheinbar; in der That haben die neuen Verbündeten Preußen ſehr 
wenig genützt, und die moraliſche Wirkung des holländiſchen Siegeszuges 
iſt ſogar verderblich geweſen. Denn jener wohlfeile Triumph über Spieß- 
bürger und ungeübte Soldaten beſtärkte die preußiſchen Offiziere in der 
Einbildung von ihrer abſoluten Unüberwindlichkeit und in ihrer Verach- 
tung des Bürgers und jeder Art von Volkswehr. Der Herzog vom 
Braunfchweig hielt fich feitdem für einen Cäfar an Feldherrnkunſt. Der 
Übermut und die Verblendung des militärifchen Preußentums jener Zeit 
hießen nun vollends feinen Gedanken an eine Reform des Kriegsweſens 
aufkommen. 

Noch ungeſchickter benahm fid der König bei dem zweiten und ſehr 
großartigen Anlauf, den die Herkbergifche Politik 1790 that, jebt gegen 
Preußens Nebenbuhler, ſterreich. Diefer Staat befand fid) damals durch 
Schuld der unruhigen Neuerungsfucht Joſefs II. im Zuftande tieffter Zer- 
rüttung; feine belgifchen Provinzen waren im offenen Aufftande, Ungarn 
in beftigfter Gährung. Dazu hatte fi) Joſef II. vergrößerungsluftig in 
einen Krieg mit den Türken geftürzt, der Die Mittel des Reiches aufs 
zehrte, ohme entiprechende Vorteile zu bringen, während feine Bundes= 
genofien, die Ruflen, die größten Erfolge errangen, bie Krim, die Donaus 
fürftentümer eroberten und fid) den Weg nad) Konftantinopel öffneten. 
Sein einziger aufrichtiger Freund endlich, fein Schwager Ludwig XVI. 
von Frankreich, war felber Hilfebedürftig, lag im Kampfe mit dem eigener 
Volke. Im Notfall war auch auf Rußland wenig zu rechnen, denn diefe 
Macht war felbft ſehr gefährdet; ihr drohten ein wütender Aufftand in 
ihren neuen polnifchen Provinzen, der Ingrimm der übrigen Polen, der 
Haß ber Schweden, die fid) eben jetzt anſchickten, ihre verlorenen Be— 
fißungen in Finnland mit den Waffen wieder zu gewinnen. Die preu- 
Bifche Negierung war nicht blind gegen die großen Vorteile, welche dieſe 
BVerhältniffe, wenn man fie gut benußte, ihr verjchaffen mußten. Herk- 
berg meinte mit Recht, „noch nie fei der Moment günftiger geweſen für 
eine Erhebung Preußens auf Koften der äfterreichiichen und ruſſiſchen 
Mad." Sein Plan war, „während in Franfreich der revolutionäre 
Vulkan unberührt und nicht genährt von auswärtiger Einmiſchung in ſich 
felber austobe, follte die vereinigte Macht Mitteleuropas, die Seeſtaaten, 
Schweben, Polen und die Pforte, ſich unter preußifcher Leitung und mit 
Begünftigung der Volksbewegungen in ben belgifchen, ungarifchen, polni= 
chen Ländern gegen das zerrüttete Öfterreich und gegen Rußland wen- 
ben.“ So konnte Preußen die Nebenbuhlerfchaft des einen, die drohende 
Übermadht des andern für immer brechen und trat dann in Deutichland 
die öfterreichifche, in Polen die ruſſiſche Erbſchaft an. 

Friedrich Wilhelm ging auf dieſe fühnen Entwürfe ein; man 
empfing zu Berlin Abgefandte der Polen und der Ungarn, man unters 


Bertrag zu Reichenbach. 455 


handelte mit Schweden, ſchloß im Anfang des Jahres 1790 einen Bund 
mit der Türkei und mit Polen; zugleich wurden die umfafjendften mili= 
tärifehen Rüftungen vorgenommen, um rechtzeitig aus der biplomatifchen 
Verhandlung in den Krieg hinüber zu treten. Im Sommer bes Jahres 
1790 ſchien nun dieſer, zunächſt zwifchen Preußen und Ofterreich, aus⸗ 
brechen zu müſſen. Denn die Konferenzen der Gefandten beider Mächte, 
welhe Ende Zuni zu Reichenbach (bei Glatz) begammen, führten zu 
feinem für Preußen günftigen Ergebnis. Hertzberg verlangte, Oſterreich 
folle feinen empörten Unterthanen und den Türken einen billigen Frieden 
gewähren, den Polen ein Stück von Galizien zurücgeben; Preußen jelbft 
follte für feine Vermittelung von Polen die Städte Danzig und Thorn er- 
halten. Natürlich) waren Die Beteiligten nicht geneigt, das Geforderte 
ohne Not zu gewähren, zumal da aud) die Seemächte jene Vergrößerung 
Preußens nicht umterftügten; und als es nun darauf ankam, das kühn 
Begonnene thatträftig durchzuführen und alle Schwierigkeiten mit dem 
Schwerte zu durchhauen, ba ſchlug der König plöglich um. Das biplo- 
matifche Ringen mit den ſchlauen und zähen Ofterreichern ermüdete ihn, 
nachdem er es faum angefangen. Um fo williger lieh er fein Ohr den 
Einflüfterungen der pfäfftfchen und junkerlichen Kamarilla, die ihm vor- 
ftellte, wie bedenklich es fei, fid) mit den revolutionären Parteien einzu- 
laſſen; man wies auf die bebrohlichen Fortſchritte hin, welche Die Revo— 
Iution in Frankreich machte; man pries die Reaktion, welche jet nach 
Joſefs II. (am 20. Februar 1790 erfolgten) Tode in Oſterreich zur 
Herrſchaft fam. Und freilich war der neue Kaifer Leopold II. ein Mann, 
mit dem Friedrich Wilhelm eher ſympathiſiren konnte. Leopold war 
in allem feinem Bruder und Vorgänger unähnlich; ein feiner, gejchmeis 
diger Bolitifer, der mit großer Schlauheit ſich aus den Schwierigkeiten, 
die feinen Thron umgaben, heranszumideln verftand; unter dem Anfchein 
der Sreifinnigfeit ein gründlicher Reaktionär und Zejuitenfreund; übrigens 
ein Wollüſtling und ein Frömmler. Es geſchah, was Hertzberg längſt 
gefürchtet; der König warb unentſchloſſen, ſchwankte, ließ im entſcheidenden 
Augenblid feine hochfliegenden Pläne fallen und ging in die Nehe der 
Gegner, die ihn unter dem Scheine, ſich die Friedensbedingungen vor- 
ſchreiben zu laſſen, um alle Früchte feiner bisherigen Politik brachten. 
Sie faßten ihn bei feiner Großmut, ſchmeichelten ihm mit dem Gedanken, 
er vermittele zwiſchen Öfterreich und ber Türkei den Frieden, ohne fich 
für feine ehrenvollen Bemühungen mit einem materiellen Vorteil bezahlen 
zu laſſen. Er gab nad) und willigte in einen Vertrag (zu Reihen» 
bad am 27. Zult 1790), der den Frieden auf den Stand vor dem 
letzten Türkenkriege feftjeßte, aber alle anderen europäiſchen Fragen un 
erledigt ließ. Preußens Einmiſchung hatte aljo weiter nichts bewirkt, 
als daß die Öfterreicher auf Eroberungen in der Türfei verzichteten, die 


456 Die Feldzüge gegen die frangöftfe Revolution. 


fie ohnehin ſchwerlich hätten behaupten fönmen. Auch wurde die Welt 
durch, Friedrich Wilhelms umzeitige Großmut nicht getäuſcht; fie ſah, er 
hatte aus Mangel ar Ausdauer und Energie den Rückzug angetreten 
und wieder einen großen Zeil von Friedrichs II. Schabe für nußlofe 
NRüftungen vergeudet. So bildet der reichenbacher Vertrag den Wende- 
punkt der preußifchen Politik; bis 1790 fortwährend im Auffteigen, ſinkt 
fie jeßt; die Rolle eines Schiedsrichter8 Europas war von dieſem Augen 
blide an ausgefpielt; die Welt wußte, daß ber Nachfolger Friedrichs 
des Großen deſſen gebietende Stellung zu behaupten nicht vermochte. 
Zunãchſt in den deutfchen Dingen zeigten fi, die übeln Folgen, Sachen 
entzog fi) der Führerſchaft Preußens; der Fürftenbund Töfte ſich that- 
ſächlich auf. Kurz, eine ſchwere moralifche Niederlage, erfauft durch die 
Toftfpieligften Kriegsvorbereitungen, das war das Ende des großartigften 
Planes, den Preußen je verfolgt hatte. Der König merkte bald felber, 
wie fehr er zu Reichenbach überliftet worden war; aber er maß die 
Schuld nicht fi, fondern feinem Minifter bei und hielt feine Niederlage 
nur für die umvermeidliche Folge der Herkbergchen Politik, gewiſſer⸗ 
maßen für eine gerechte Strafe, weil er mit der Revolution geliebäugelt. 
Die Ereigniſſe in Frankreich beftärkten ihn vollends in dem Entſchluß, 
die Überlieferungen feines Vorgängers, die Gegnerſchaft mit Öfterreich, 
die Verfolgung rein preußifcher Interefien, aufzugeben und eine neue 
Richtung einzufchlagen. 


Die Seldgüge gegen die franzönfde Revolution. 


Der Abfolutismus, der im fiebzehnten Jahrhundert in Frankreich 
zur Herrichaft kam, beugte zwar den ganzen Feudalſtaat unter das Joch 
des Königs, aber er ließ ihn beftehen. Die mittelalterlichen Mifbräuche 
in Staat und Kirche, die Ausbeutung des Volls durch die bevorrechteten 
Stände, blieben in Kraft; es fam nur ein neuer Mißftend hinzu, die 
Bevormundung aller von oben herab, und eine neue Laft, die Erhaltung 
eines verſchwenderiſchen Hofes mit einer Unzahl von Beamten und eines 
toftipieligen ftehenden Heeres, welches meiſt zu bloßen Sabinetöfriegen 
gebraucht wurde. Nun waren Dies Übel, die anderwärts in Europa auch 
beftanden, aber in Frankreich wurden fie auf die Spitze getrieben. Der 
Hof wirtjchaftete mit den Mitteln des Staats im der finnlofeften Weiſe, 
übte einen Despotismus, wie er fchlimmer faum bei den knechtiſchen 
Nationen des Orients je geweſen, und hielt den Adel und bie Geift- 
Hichfeit dadurch fhadlos, daß ihnen erfaubt warb, ihrerfeits die Mafle 
des Volles umgeftört zu bedrüden und auszufaugen. Nirgends in der 
Welt handelte man fo ſchamlos wie hier nach dem Grundſatz, daß das 


Die franzofiſche Revolution. 457 


Bolt zunächſt um des Königs, ſodann um ber Edelleute und Priefter 
willen da fei. Unter Ludwig XIV. war doch noch mandjes gefchehen, 
woran bie Nation fid) erfreuen konnte, einzelne Verbeſſerungen in ber 
innern, glänzende Erfolge in der auswärtigen Politif. Seine Nachfolger, 
der Regent Philipp von Orleans und der König Ludwig XV., leifteten 
weder nad) außen noch im Innern das geringfte Gute; fie vernadh- 
läffigten und verbarben die Geſchäfte; Schmach auf Schmach, erft im 
fiebenjährigen Kriege, dann in den andern Welthänbeln, häufte fich über 
den Staat. Alle Zweige ber Verwaltung kamen in Verfall, die Finanzen 
waren in Serrüttung, die Rechtäpflege parteiifch, denn der Reiche und 
der Bornehme ftegten faft immer über den Armen und Geringen; ber 
öffentliche Unterricht lag in den Händen umviffender Mönche; die Amter 
gehörten durchgängig dem Meiftbietenden oder dem Günftlinge. Endlich 
— für die Regierung vielleicht am verderblichften — das Heer litt unter 
nicht geringeren Mißbräuchen als die übrigen Organe des Staats. Die 
Soldaten haften oder veradjteten ihre adligen Offiziere und waren empört 
über das Prügeliyftem, das man nad) preußifchem Muſter bei ihnen 
eingeführt. Obwohl nun der Staat durch und durch faul war, fo unter 
gruben die Machthaber body felbft die ftärffte Stüge, die er noch hatte, 
nämlid) die Meimmg von dem göttlichen Recht der herrfchenden Ge— 
walten. Die Freigeifterei, die fredjfte Religionsipötterei war gerade in 
den Kreifen der vornehmen Gefellichaft zu Haufe. Sie verband fich mit 
der ärgſten Sittenlofigkeit; der Hof, ber Abel, die hohe Geiftlichkeit 
überboten ſich in ſchandbaren Ausfhweifungen. Sein menſchliches, fein 
göttliches Recht war ihnen heilig und ehrwürdig; fie traten Menfchen- 
würde und Religion mit Füßen; fie wetteiferten gleihfam durch Wort 
und That fid) eben fo fehr die Verachtung als ben Haß des Volles zu 
erwerben. Apres nous le deluge! rief der entartete König Ludwig XV., 
der mit feinen Drgien die vornehme Welt Frankreichs bis ins Mark ver- 


Während die bevorrechteten Stände fid in einem Pfuhl von Gott⸗ 
loſigkeit und Sünde wälzten, ſtach gegen ihren maßlofen Zurus, ihre un 
erfättliche Gerußfucht umb gedantenlofe Verſchwendung das Elend des 
Vollkes grell ab. Es war eben fo maßlos wie dort die Üppigfeit. Denn 
nicht genug, daß zwei Drittel des gejamten Grundeigentums fich in den 
Händen der Krone, des Adels und der Geiftlichfeit befanden, der Bürger 
und Bauer, der das letzte Drittel befaß, mußte auch noch alle Laften 
des Staats tragen, deſſen Vorteile jenen zufielen. 

Sole Zuftände mußten. den Wiberfpruch jebes Denfenden heraus 
fordern, und die Lehren der Aufflärer fanden nirgends fo allgemeinen 
Beifall wie in Frankreich; denn fie richteten ſich ja nicht bloß gegen die 
tirchlichen, fondern auch gegen die gefellihaftlichen Vorurteile. Unter 


458 Die Feldzuge gegen die franzdfiſche Revolution. 


den revolutionären Schriftftellern, die in ber Mitte des Jahrhunderts 
auftraten, war nun einer, ber, voll Schwärmerei für politifche und foziale 
Ideale, e3 verftand, fie in voltstümlicher Sprache und mit hinreißender 
Begeifterung darzuftellen, ein Sohn des Volkes, Jean Jacques Rouffeau 
(geb. 1712, geft. 1778). In feiner berühmten Schrift: „Über den Ges 
ſellſchaftsvertrag“ beſprach er den Urfprung und ben Zweck des Staates 
und ftellte den Grundſatz auf, nad) Vermmft und Gefchichte fei der alle 
gemeine Volkswille die einzig beredhtigte Grundlage jeder Stantsver- 
faffung. Begierig nahm die Nation dieſe Lehre auf; aber es bedurfte 
eines Beifpiels, eines praftifchen Vorgangs, um fie zu überzeugen, daß 
und wie die Theorie verwirklicht werden könne, die fid) auf jenen Lehr 
faß erbaute. 

Diefes Beifpiel gab- Amerika; Rouſſeau's demofratifches Ideal, ſo⸗ 
weit es Menſchen möglich, verwirklicht zu haben ift die Leiftung der 
nordamerifanifchen Revolution; fie ift die Mutter der franzöftfchen. Von 
ihrem Könige mit Unterdrüdung bedroht, erhoben fid) 1773 die englifchen 
Anfiedelungen in Nordamerika, das puritanifche Maſſachuſetts voran, für 
ihre Freiheit und jeßten der Lehre vom göttlichen Recht ber Könige das 
Bewußtſein vom natürlichen Recht der Wölfer entgegen, erflärten ſich 
1776 zur Republit der Vereinigten- Staaten von Nordamerifa und er- 
kampften nad) zehnjährigem Ringen unter des großen Waſhington Leitung 
ihre Unabhängigkeit. Da ſah man Beiipiele republifanifcher Tugenden, 
die an die Blüte der Freiſtaaten des Altertums erinmerten; einen ges 
wählten Vollsführer, der die Lorbern des Feldherrn und Staatsmanng 
beſcheiden auf den Altar des Vaterlandes nieberlegte und, ein zweiter 
Eineinnatus, nachdem er das Land gerettet, ſtill in Die Reihen feiner 
Mitbürger zurüdtrat. Wie wirkte nun dies erhebende Schaufpiel auf Die 
alten Völler Europas? In Deutſchland fang man e8 an; Klopftod vor 
allen begrüßte in jenem Freiheitsfampfe „die Morgenröte eines nahenden 
großen Tages". Aber zu Thathandlungen fam es in Deutſchland nicht. 
Und dod) gab es auch hier arge Mikftände. Friedrich ber Große erkannte 
fie wohl; er fah mit Beforgnis in die Zukunft; ihm ahnte, daß auch im 
Europa die Sklaven bald würden an ihren Ketten zerren. „Ich fürchte“, 
fprad) er einmal zu feinem Großneffen Friedrich Wilhelm, „nad, meinem 
Tode wirds pele-möle gehen.. Überall liegen Gährumgsftoffe, und leider 
nähren fie die regierenden Herren, vorzüglich in Frankreich, ftatt fie 
zu beruhigen und auszutilgen. Die Maffen fangen ſchon an von unten 
auf zu drängen, und wenn dies zum Ausbruch fommt, ift ber Teufel 
los!“ *) 


*) Eylert, Eharafterzüge und hiſtoriſche Fragmente aus dem Leben Friedrich Wul- 
Helms IlI. I. 455 fl. 


Die frangöfifhe Revolution. 459 


In der That, überall, wo das Volt mit dem Gedanken eines ges 
maltfamen Widerftandes gegen verhaßte Machthaber vertrauter war, als 
in Deutſchland, erfüllten fid) die oppofitionellen Parteien mit neuem 
Eifer; in Holland, Belgien, Ungarn, Polen rührten fid) die Maflen; 
aber dieſe Bewegungen wurben um fo leichter erftickt, weil fie nicht von 
der Gejamtheit der Völker ausgingen, und weil fie größtenteils Sonder- 
intereffen dienten. Hier entzündeten die Funken, bie über ben Ozean 
berflogen, nur Rebellionen, welche auffladerten und raſch erlofchen; in 
Frankreich entzündeten fie eine Revolution, die zum Weltbrande ward. 
Denn in Frankreich waren nicht nur die Übel am ärgften und allge» 
meinften; man ftand aud) im innigften und lebendigften Verkehr mit 
jener Republif und ihrem Freiheitsfampfe. Frankreich hatte ja ein großes 
Verdienſt um deſſen glüclichen Ausgang; es war der Bımdesgenofie der 
Kolonien gegen die Engländer geweſen. Die ebelften Zünglinge feiner 
vornehmen Gefchlechter, der junge Marquis de Lafayette voran, hatten 
Seite an Seite mit den Yankees gefochten; ein hochadliger franzöfiſcher 
Marſchall war des Bürgergenerals Wafhington Kriegskamerad gewefen. 
Enthuſiaſtiſch, voll unflarer Freiheitsideen und befonders vol Haß gegen 
die Briten, die fo oft über Frankreich triumphirt, waren fie ausgezogen; 
begeiftert von dem Bilde einer echten, leibhaftigen Republif und voll 
Haß gegen jede Tyrannei kehrten fie heim. Sie wurden die Vorhut des 
großen Heeres, das bald aud) in Frankreich die Theorie der Revolution 
praktiſch anwendete. 

Es bedurfte nur eines geringen Anſtoßes, um den morſchen Staat, 
deſſen Grundlage fo unterwühlt war, zum Fall zu bringen. Dieſen An— 
ftoß gab der König ſelbſt. Ludwig XVI. (ſeit 1774 auf dem Throne) 
war ein gutherziger, wohlmeinender, fittenreiner Mann, aber von ſchwachem 
Willen und beſchränkter Einſicht. In feiner äußeren Erfcheinung linkiſch 
und fehwerfällig, in feinem Benehmen philiftrös, vermochte er den Fran⸗ 
zoſen nicht zu imponiren; er war ihnen lächerlich und darum verächtlich. 
Übrigens haßten fie in ihm den Bourbon; die Sünden der Dynaftie 
Tonnten fie dem unſchuldigen Erben nie verzeihen. 

Die ſchlechte Verwaltung, die unfinnige Verſchwendung hatte den 
Staatshaushalt fo zerrüttet, daß ein Staatsbankrot unvermeidlich ſchien. 
Der König wußte daher feinen anderen Rat, als ſich an die Nation zu 
wenden; er berief 1787 eine Berfammlung von Notabeln aus den Ver- 
tretern des Adels unb ber Geiftlichfeit und ließ ihr die Lage des Reiches 
vortragen. Der Abjolutismus hatte ſich damit für infolvent erflärt; bie 
franzöftiche Ariftofratie gedachte in feine Stelle einzurüden; ihr ſchwebte 
als Ideal eines Staatswefens die parlamentarifhe Regierung Englands 
vor, in welcher der Abel die Hauptrolle fpielte. Die „Rotabeln“ lehnten 
alfo die Vorlagen der Krone ab und forderten, wie die öffentliche 


460 Die Feldzüge gegen die franzdfiſche Revolution. 


Meinung, daß eine wahre Nationalvertretung, daß Reichsſtände, gewählt 
bon "dem geſamten Wolfe, einberufen würden. Der König gab nach, 
und-nun begann im ganzen Lande eine ungeheure Wahlbewegung, die 
alle Köpfe mit Politik und alle Herzen mit Begeiſterung erfüllte. Der 
Reichstag war nad) Ständen berufen, Adel, Geiſtlichkeit und „dritter 
Stand“ (d. h. Bürger und Bauer). Aber das Volt wollte von dieſer 
bisherigen Teilung des Staats nichts wiffen. Eine Flugſchrift des Abbe 
Sieyes ſprach es kühn aus: „Was ift der dritte Stand? Er ift das 
Volt, er foll der Staat fein.“ Am 5. Mai 1789 traten die Reichs⸗ 
ftände zu ihrer erften Sitzung in Verfailleg zufammen, und fofort ent- 
brannte der Streit über ben Punkt, der alles entjchied: ob nad) Köpfen 
oder Ständen abgeftimmt werben folle. Der „britte Stand“, geführt 
vom Grafen Mirabeau, drang fühn und feft vor, erflärte fi) am 17. Juni 
zur „Nationalverfammlimg*. Die freifirmigen Abgeordneten des Adels 
und der Geiftlichfeit gingen zu ihm über; feine Beharrlichkeit begeifterte 
das Volt, und der König wagte nicht, mit Gewalt einzufchreiten. Als 
er dann, von feiner Gemahlin Marie Antoinette überredet, ſich der de— 
mofratifhen Strömung entgegenzuftellen verfuchte, brach ein Aufftand 
in Paris aus, die Truppen verfagten den Gehorfam, und das Voll er- 
ftürmte die Baftille (14. Juli). Der Sieg der Nationalverfammlung 
über den Hof, wie des Bürgertums über das ancien rögime, war damit 
entſchieden, und fie nahm nun eine gründliche Erneuerung des Staates 
vor. Boll ebler Begeifterung legte der liberale Teil ber Ariftofratie 
felbft dem morſchen Feudalweſen die Art an die Wurzel und veranlaßte, 
daß in der denfwürdigen Nachtſitzung vom 4. Auguft alle mittelalterlichen 
Feudallaſten und fonftigen Mißbräuche: Leibeigenihaft, Zinspfliht ar 
„tote Hand“, Patrimonialgerichtsbarteit, Jagdrecht, Behnten, ſtädtiſche 
und provinziale Privilegien, Standesvorrechte, Ungleichheit der Be- 
fteuerung, Amterfauf, Zunftzwang — famt ımb fonders abgeſchafft 
wurben. Immer weiter griff mın ber Brand. Mit dem Feudalſtaat 
fiel die Hierarchie, mit dem Abfolutismus die Bevorrechtung: Am 
13. Februar 1790 erfolgte die Aufhebung aller Klöfter und geiftlichen 
Orden, das Verbot willfürlicher Verhaftsbefehle, die Befeitigung aller 
äußerlichen Zeichen der Standesunterſchiede. reiheit, Gleichheit, Brü- 
derlichfeit war fortan die. Loſung. Dem einmütigen Willen des Volks, 
mit dem die Truppen gemeinfchaftliche Sache machten, Tomte der Hof 
nicht Widerftand Ieiften; die Anläufe, Die er dazu von Zeit zu Beit 
nahm, vermehrten nur die Erbitterung des Volks und die Zahl und die 
Macht derer, welche eine volllommene Demokratie erftrebten. Sie 
drangen ſchon 1791 dur; denn die DVerfafjung, die man in biefem 
Sahre entwarf, berubte auf der unbedingten Anertenmung der unverjähr- 


Die Emigranten. 461 


baren Menfchenrechte und auf der Souveränität des Volkes; fie machte 
den König zum bloßen Beamten der Nation. 

Auf diefem Punkte war die Revolution angelangt, als die Ein« 
miſchung des Auslands Öl ins Feuer goß und zum Teil verjchuldete, 
daß jene ebenfo maßlos und greuelhaft wurde, wie es Die Zuftände des 
ancien r&gime gewefen waren. Denn fie bot den Demagogen den hoch— 
willtommenen Vorwand, die jafobinihe Sache zur Sache der Nation zu 
machen und alle Gemäßigten als Feinde Frankreichs und Verräter des 
Baterlandes darzuftellen. Auch gab es in ber Zhat ſolche Verräter; 
jene Einmiſchung wurde wirklich von einem Zeile der Franzofen felbft 
berbeigerufen. 

Während die Mehrzahl des franzöftfchen Adels und Klerus ſich mit 
dem Volke zu einem gemeinfamen Staatsbürgertum verbrüderte oder 
wenigftens gute Miene zum böfen Spiel machte und ſich in die Beit 
ſchickte, wanderten die übrigen, Prinzen und Grafen, Marquis und Barone, 
Biſchöfe, Abbes u. f. w., voll Erbitterung aus und erfüllten die Nachbar 
länder mit ihren Klagen und Verwünſchungen. Nirgends fanden dieje 
Emigranten fo gute Aufnahme, als an den zahlreichen deutſchen Fürften- 
höfen, wo biefelbe ariftofratifche und pfäffiſche Wirtſchaft herrſchte, die 
in Frankreich) zu Fall gefommen war. Man bemitleidete fie als uns 
glückliche Opfer eines nichtswürdigen Pöbels; man beratfchlagte, wie 
ihnen zu helfen fei, und fürdhtete, daß am Ende aud) das deutſche Volt 
auf die galliſchen Sprünge kommen möchte. Welche Gefahr für das 
verrottete „heilige deutſche Reich“ mit feinen 289 Landesherrichaften, und 
feinen Millionen gefnechteter und ausgefogener Unterthanen, wenn das 
Zatobinertum jenfeit des Rheins ſiegreich blieb! Die ganze Fürften- 
haft Deutſchlands, ja Europas ftand auf einem Vulkan, ber fie jeden 
Augenblid mit ihren Thronen in die Luft fprerigen konnte; und mit den 
alten Staaten war die Kirche, war der Beftand der ganzen höheren &es 
fittung in Frage geftellt. So fahen die Meinen weltlichen und geiftlichen 
Fürften am Rhein und Main die Sache an. Aber was Tonnten fie 
thun? Sie bewirteten ihre Vettern aus Frankreich, ließen fie auf ihren 
Gebieten Rüftungen vornehmen, befonders in der „Pfaffengaffe am 
Rhein“, in Worms und in Koblenz, und hofften auf ihre großen Ohme 
in Wien und Berlin. 

Kaifer Leopold und Friedrich Wilhelm waren nun beide dem demo— 
kratiſchen Wefen, den revolutionären Ideen von Herzen abhold, aber die 
Snterefien ihrer Staaten waren hier ganz verichieben. Leopold hatte 
allerdings Grund, gegen die franzöfiiche Revolution aufzutreten; denn 
als deutſchem Kaifer Tag ihm ob, die Anterefien ber Reichsftände zu 
ſchützen, von benen manche im Elſaß ımd in Lothringen begütert waren 
und durch die. Abſchaffung des Feudalweſens in Frankreich Schaden 


462 Die Feldzüge gegen die frangöftige Revolution. 


erlitten hatten, und als Bruder der unglüdlihen Marie Antoinette konnte 
er ben Fall des franzöfiichen Königtums nicht gleichgiltig mitanfehen. 
Für Preußen dagegen war jene Ummälzung von Nußen, meil fie bie 
alte Allianz zwiſchen Frankreich und ſterreich befeitigte. Friedrich Wilhelm 
verkannte dies nicht; aber der Umſturz von Thron und Altar in Frankreich 
ſchien ihm doch auch eine allgemeine Gefahr. Er ging daher auf Leopolds 
Lockungen ein, ber ihm vorftellen ließ, „es jei hohe Zeit, daß die Fürften 
Europas bald die Augen öffneten, dab fie ihren politiſchen Streitigfeiten“ 
(d. 5. dem Aufftreben Preußens auf Koftens ſterreichs) „und den Kas 
balen der Diplomaten“ (d. h. Herberge) „ein Ende machten, weil fie 
offenbar dadurch ihrem neuen Feinde, der Revolution, zur Beute gemacht 
würden. Man müfle fi) gegen diefe neuen Ideen feit und eng ver- 
einigen.“ Solidarität der konſervativen Intereſſen — das war das Stich- 
wort, womit Leopold feinen kurzſichtigen Nebenbuhler zu ködern wußte. 
Biſchoffswerder vermittelte; der erfte Erfolg der wiener Politit war der 
Vertrag zu Reichenbach geweſen, der zweite war die Befeitigung Herk- 
bergs. Der König entzog ihm (1. Mai 1791) die eigentliche Geſchäfts- 
leitung und nötigte ihn dadurch abzutreten. 

Nun erft nahm Leopold eine feindliche Haltung gegen das revolu- 
tionäre Frankreich an. In einer perfönlichen Zuſammenkunft zu Pill» 
nitz (Auguft 1791) beſprachen die beiden Monarchen dann zu Lubwigs 
Rettung Schritte, indem fie eine bewaffnete Einmiſchung in die franzö- 
ſiſchen Dinge in Ausfiht nahmen. Ein förmlicher Bundesvertrag (vom 
7. Februar 1792) befiegelte das Einverftändnis ber beiden Mächte, fie 
gewährleifteten in demfelben einander den Befiftand und verpflichteten 
FÜ zu gemeinfamer Abwehr, falls auf fie felbft oder auf das beutiche 
Neich ein Angriff gerichtet würde. Obwohl mın Leopold weit davon 
entfernt war, bem Drachen der Revolution wirklich mit dem Schwerte 
zu Leibe zu gehen, fo waren doch ſchon feine diplomatiſchen Umtriebe 
ganz geeignet, den Zorn der Nation, die er bedrohte, herauszufordern, 
und die Parteien, die in Paris auf die Errichtung einer demokratiſchen 
Republik hindrängten, wetteiferten mit einander, den Volfsgeift zur Wut 
„gegen bie Fremden, gegen die Könige Europas, gegen bie entarteten 
Söhne Frankreichs, gegen alle Tyrannen und Tyranmenknechte" zu er- 
bigen. Ein girondiftiihes Miniſterium nötigte Ludwig XVI. zum Bruch, 
trieb den Staat zum Kriege mit Öfterreich; im April 1792 erfolgte 
Frankreichs Kriegserflärung. 

Leopold TI. war damals ſchon geftorben; fein Sohn Franz I. 
(jeit dem 1. März 1792 auf dem Throne) war nod) weit weniger der 
Mann dazu, in dem Kampfe zwifchen den alten Yeudalftaaten und dem 
neuen revolutionären Frankreich eine ehrenvolle Rolle zu fpielen. Won 
allen den Fürften, Die Europa gegen die „Beft der Demokratie" ſchützen 


Preußens Bund mit Oſterreich. 463 


wollten, die widerwärtigfte Erſcheinung: ein vollendeter herzlofer Selbft- 
ling mit der Miene eines Frommen; Hein an Verftand und Willen, 
außer wo es bie Unbeichränftheit feiner fürftlichen Gewalt und überhaupt 
feinen perfönlichen Vorteil betraf, denn für diefen hatte er einen ſcharfen 
Inftinkt und verfolgte ihn mit zäher Ausdauer; ohne anderes Intereſſe 
für den Staat, als fofern diefer feinen Abfolutismus bedeutete; vol 
Hab, Mißgunft, Rachſucht unter der Maske eines gemütlichen Despoten; 
grob aus Berechnung, weil er bemerkt hatte, daß ihn die Wiener darum 
für einen derben Biedermann hielten; fo war der „gute Kaifer Franz" 
beſchaffen, der in der Verſtellungskunſt für jet zwar nur erft ein An- 
fänger war (er zählte, da er den Thron beftieg, erft 24 Jahre), aber im 
übrigen ſchon jegt diefem Bilde glich, welches den gereiften Mann ab- 
fpiegelt. Ohne Luft und Fähigkeit zu den Gefchäften der Regierung 
überließ er dieſelben feinen Höflingen, unter denen der Baron v. Thugut, 
ein geift- und charakterlofer Schwäßer, bald die erfte Rolle fpielte. Die 
Verwaltung kam denn auch unter Thuguts Leitung in einen Zuftand ber 
Verwirrung und Erſchlaffung, der an bie ſchlimmſten Beiten weiland 
Kaifer Karls VI. erinnerte. 

Es war fein Zweifel, wenn die deutſchen Großmächte raſch und 
energiſch den Krieg begannen, welchen die franzöfiiche Demokratie ihnen 
fo leichtfertig erflärt hatte, fo war er wirflich ber militärtiche Spazier- 
gang, für den ihn die übermütigen berliner Garbeoffiziere hielten. Denn 
die franzöfifchen Truppen, die zwifchen Paris und der deutſchen Grenze 
lagen, waren in dieſem Augenblide faft aufgelöft, ohne Bucht und Ord⸗ 
nung, zum Zeil in offener Meuterei gegen ihre Offiziere. Die Regierung 
war noch ganz ungerüftet; bie Revolution hatte vorerft nur ein Chaos 
geihaffen, in dem fidy noch niemand zurecht fand. Aber Dfterreich und 
Preußen ließen die koftbare Zeit unbenupt. Anftatt fofort dem Feind 
ins Land zu fallen, beratichlagte man höchft methodiſch Hin und her über 
den beften Kriegsplan. Zum Oberbefehlshaber beftellte man den Herzog 
Karl von Braunſchweig, einen Feldherm, dem es an Einficht in die 
Verhãltniſſe nicht fehlte, der aber nicht die raſche, durchgreifende Ent- 
fchloffenheit befaß, das, was er für richtig erkannte, auch ins Werk zu 
jegen. Übrigens mißbilligte er, im Grunde eben fo jehr ben Kreuzzug 
gegen Frankreich wie den Bund mit Öfterreidh, weil beides ein Abfall 
von ben Überlieferungen Friedrichs bes Großen war; aber er fügte fi; 
aud) trugen die wohlfeilen Zorbern, die er 1787 gegen die holländiſchen 
Republifaner gepflüct, nicht wenig bazu bei, ihm bie Widerſtandskraft 
der franzöfifchen Demokratie, wennſchon er fie nicht ganz verfannte, doch 
geringer erjcheinen zu lafien, als fie immerhin war. 

Am 19. Zuli 1792 tagte zu Mainz eine glänzende Berfammlung: 
ber König von Preußen, ber neugefrönte deutſche Kaifer, ber König von 


464 Die Seldgüge gegen bie frangöftidie Revolution. 


Neapel (Franz' II. Vetter), die Kurfürften von Trier und Köln und viele 
andere deutjche Fürften und Prälaten, dazu eine Unzahl von Miniftern, 
Generalen, Prinzen und ber ganze Troß der Emigranten, ber alles mit 
aufgeblafenen Prahlereien und lügnerifchen Berichten über die Lage 
Frankreichs erfüllte. Hier hielt zum letzten Male das „heilige römifche 
Reich” eine folenne Galavorftellung; die alte Welt gegen die neue; ein 
Triumphfeft vor dem Siege — man hatte feine Ahnung davon, daß 
man mit einem Volk in Waffen werde kämpfen müffen: man rechnete 
nur mit den Kräften, die man kannte. Es war von Marie Antoinette 
ein Schreiben eingetroffen, in welchem die Königin bat, Europa möge 
den Jakobinern, die das franzöſiſche Königtum immer härter bedrängten, 
endlich ein ftarfes, drohendes Halt zurufen. Die Verbündeten erließen 
infolge defien*) in der Form einer Proflamation des Herzogs Karl von 
Braunſchweig als des Dberbefehlshabers ein „Manifeft an die franzöfifche 
Nation" (25. Juli). Diefes Manifeft kündigte, wie ſich ein franzöſiſcher 
Hiftorifer ausdrüdt, „den Franzofen allen Jammer einer feindlichen In- 
vafion offen an und überdies Die Rückkehr des Despotismus und bie 
Race." Es drohte, Paris und alle Orte, die ſich wiberjegen würden, 
dem Erdboden gleich zu machen. Aber diefe Sprache ſchüchterte bie 
Franzoſen nicht ein, fondern entflammte fie zur Wut. Frankreich ant ⸗ 
wortete mit einem andern Manifeft; es war ein Lieb, das feine Söhne 
feitbem auf hundert Schlachtfeldern zum Siege begeifterte, die Mar- 
feillaife, die Hymne und das Tedeum der Revolution. Die Erbitterung 
des Volls erhöhte nur die Macht der demokratischen Partei und ſtürzte 
vollends den Thron; der König wurde als „heimlicher Freund und Ges 
noß des Auslands, als Verräter des Vaterlandes und der Volksrechte“ 
abgefegt und eine jafobinifhe Regierung hergeftellt. Bei den Verbün- 
beten Hingegen folgten den großen Worten Teineswegs große Thaten; 
ihre Heere rückten nur ſehr langfam vor; erft am 19. Auguft über- 
ſchritten die preußifchen Truppen die franzöſiſche Grenze und marſchirten 
in die Champagne ein. Hier, auf franzöſiſchem Boden, ſah man 
bald, wie ſchwierig der Feldzug fein würde, den die Emigranten fo leicht 
dargeftelt. Zwar fielen ein par fefte Plätze, Longwy und Verdun, doch 
von Sympathie unter den Eingebornen .war feine Spur zu bemerken; 
defto größer zeigten ſich bald die Hinderniffe, Die das ungünftige Herbft- 
wetter bereitete: grunblofe Straßen, im Heere durch Näffe und Kälte, 
Hunger und Strapazen bie Ruhr. Am übelfterr wirkte die fehlerhafte und 
widerſpruchsvolle Oberleitung. Der König befahl, fühn und raſch vor- 
wärts zu marfchiren; der Herzog ging vor, aber langſam und unentſchloſſen. 
Mittlerweile gab die franzöfiſche Regierung ihrem Heere in dem 


) Bgl. 8. v. Rante, die Revolutionskriege, 1875, ©. 259. 


Kanonade von Balmy. 465 


General Dumouriez einen Führer, der es verftand, die zerfahrenen 
Truppen wieder in Ordnung und in eine zuperfichtliche Haltung zu 
bringen. Er feßte fi) in den Päffen des Argonnerwaldes feft, und ob» 
gleich er hier, leichtfertig auf fein immerhin bebeutenbes Feldherrntalent 
pochend, einige Fehler beging, aud) eine Schlappe erlitt, fo waren body 
die Fehler feiner Gegner noch größer. Der Herzog von Braunfchweig 
ließ ſich die beften Gelegenheiten entſchlüpfen und verdarb mit feiner Bes 
dächtigfeit, was die Gunft der Umftände ihm faft aufzwang. Die Fran—⸗ 
zofen, ungefähr 60000 Mann, ftanden zwiſchen St. Menehould und 
Valmy, dort ber Oberfeldherr Dumouriez, hier, von ihm getrennt, der 
General Kellermann, der auf einem Höhenzuge eine Stellung genommen 
hatte, die fefter ausſah, als fie war. Morgens 7 Uhr, den 20. Sep- 
tember, erreichte Ießteren hier die Vorhut des preußifchen Heeres, welches 
etwa 40 000 Mann zählte. Sie waren in befter Stimmung, kampfmutig 
und voll Zuverfiht; fo begannen fie die Kanonade, die unter den Neu— 
lingen Kellermanng raſch eine große Verwirrung anrichtete. Aber anftatt 
anzugreifen, wie der König riet, blieb der Herzog allzu vorfichtig ftehen; 
bis zum Abend kanonirte man auf einander, in der Nacht zog fich dann 
Kellermann auf das Hauptheer, zu Dumouriez, zurüd. Diefes an fi) 
ganz unbedeutende Gefecht, das eigentlich) nur eine Demonftration war, 
bildete gleichwohl den Wendepunkt des Krieges. Denn wie wichtig in 
moralifcher Hinficht war dies Ergebnis! Die Armee Friedrichs des 
Großen hatte alfo nicht gewagt, diefem Heere von Reulingen auf den 
Leib zu gehen; das war für die Franzofen faft fo viel wie ein Sieg; 
ihre jungen Soldaten hatten in der Ranonade gelernt, „daß nichts im 
Kriege fo gefährlich ift, als es ausſieht.“ Noch kurz zuvor voll Angft 
und Schreden vor den alten berühmten Truppen, die gegen fie zogen, 
waren fie jet mit einem Selbftvertranen erfüllt, das bis zum Hochmut 
ging. Andrerſeits ſchlug nun bei einem Zeile der Umgebung des Königs 
der frühere SKriegseifer in völlige Unluft um; man hatte wohl einen 
Spaziergang nad) Paris, aber nicht einen beſchwerlichen Feldzug durd) 
nietiefen Kot, unter ftrömenbem Regen, ohne Brot und geſchwächt durch 
Krankheiten unternehmen wollen. Diefe Stimmung benußte Dumouriez, 
um zum Schein Friebensunterhandlungen anzufrüpfen und ben Feind fo 
lange binzuhalten, bis er felbft fi) verftärft hatte, die Lage des preußis 
chen Heeres aber, angefichts des Brotmangels und der Ruhr, ſehr be— 
denflid, geworden war. Am 80. September mußte ber Herzog von 
Braunſchweig den Rüdzug aus der Champagne nad) Luremburg arts 
treten, den Dumouriez nicht ftörte, weil er meinte, Preußen werde nun 
von dem Bunde mit Ofterreich zurücktreten und den Krieg aufgeben. 

In derfelben Hoffnung machte die Regierung zu Paris, wo foeben 
eine neue Rationalverfammlung, der „Konvent“, zufammengetreten und 

Vierſon, preuß. Geſchichte. L 30 


466 Die Feldzuge gegen bie frangdfiihe Revolution. 


die Republik hergeftellt war, vielfache Werfuche, durch Schmeicheleien und 
Freundſchaftsverſicherungen Preußen zu gewinnen, und wenn aud) Fried> 
rich Wilhelm felbft feft blieb, fo fand in feiner Umgebung und tim Heere 
die Meinung dod) immer mehr Anhänger, der Krieg nüße nur den Öfter- 
reihern, denen es mehr um irgend eine materielle Erwerbung als um 
die Sache ber Legitimität zu thun fei und die gleichwohl bie größere Laft 
auf Preußen zu wälzen fuchten. Auch die Rüftungen des deutſchen Reichs 
waren durchaus unzulänglic geweſen; in ben geiftlichen und weltlichen 
Kleinftaaten am Rhein gab e8 große Worte genug, viel Dünkel, überall 
Soldatenfpielerei, aber nirgends ein tüchtiges Heer, dagegen im Volke 
viel Unzufriedenheit mit den alten ftaatlichen und gefellichaftlichen Ber- 
hältnifien; mit ſolchen Bitteln in den Kampf gegen. das revolutionäre 
Frankreich eingetreten, erlagen fie faft ohne Schwertſtreich. Anfangs 
Oltober überfielen 18000 Srangofen unter dem General Euftine die Bis- 
tümer Speier und Worms, nahmen fie ohne Mühe ein und rüdten 
dann vor Mainz. In Eopflofer Angft flüchteten der Kurfürft und die 
Vornehmen aus biefer wichtigen Yeftung, ımd die werigen Kreistruppen, 
die darin lagen, Hatten zum Unglück einen eben fo feigen Befehlshaber. 
Am 29. Oktober war Mainz, ber Schlüfjel zu Mitteldeutichland, in Frank⸗ 
reichs Händen. Entjeßen ergriff alle die Heinen Höfe vom Breisgau bis 
nad) Weſtfalen himmter und von der Rheinpfalz bis nach Thüringen; 
überall in den zahllofen Refidenzen ber beutichen Vaterlaͤndchen ging's 
an ein haftiges Einpacen, um mit den geheiligten Perſonen der Landes⸗ 
väter auch den Troß des Hofftaates und die Schäße in Sicherheit zu 
bringen. Der Schred war um fo größer, als die Franzofen nicht bloß 
den Krieg, ſondern auch die viel gefährlichere Brandfadel der Revolution 
bineintrugen. Namentlich in Mainz ſchien das Jakobinertum feften Fuß 
zu faflen, und eine Schar deutfcher Aufklärer ſchloß hier Brüderſchaft 
mit den neufränkiichen Republifanern. Aber die Franzoſen forgten dafür, 
daß die Sympathien, bie fie bei dem weſtdeutſchen Volle gefunden, raſch 
wieber erftarben. Denn ſie raubten und plünderten, wohin fie kamen, 
ımd während fie die Volksfouveränität verfündeten, vereinigten fie die 
befeßten deutſchen Lande mit Frankreich. Ihr übermütiges und gewalt- 
thätiges Weſen verbitterte dem deutſchen Bürger und Bauer die Wohl- 
thaten, die fie ihm aufdrangen. Diefe Wohlthaten waren übrigens groß 
und dauernd; der ganze Augtasftall von Mißbräudyen warb ausgefegt: 
bie Lehnslaften, Behnten, Frohnden, die Leibeigenſchaft, das herrſchaft- 
liche Jagdrecht, — alle diefe feubalen Übel wurden in den eroberten 
Kändern mit einem Schlage (durd) Dekret des Nationallonvents vom 
15. Dezember 1792) abgeichafft. 

Unterbefien hatte fi) Dumouriez von der Champagne nad) Belgien 
gewandt, die öfterreichifche Truppenmacht, die hier ftand, bei Jemappes 


Die erſte Koalition. 461 


befiegt und um die Mitte Dezembers ganz Belgien eingenommen. Zus 
gleich) brachen in Frankreich die legten Dämme, die nod) den wilden 
Strom der Revolution eingeengt. Die jakobiniſche Partei des „Berges“, 
geführt won Danton und Robespierre, riß der Gironde allen Einfluß aus 
den Händen und fehte die Anklage, die Verurteilung und (am 21. Jas 
nuar 1793) die Hinrichtung des unglüdlichen Ludwig XVI., als eines 
Hodjverräters am Volle, durch. Damit hatte der Konvent alle Brüden 
zum ancien regime unwiderruflich hinter ſich abgebrochen. „Zod allen 
Fürften! Vernichtung allen Monarchien! Untergang allen Borrechten! 
Freiheit und Gleichheit auf Erden!“ war fein Fehderuf an das alte 
Europa. Auch ohne jene Unthat hätten fi die Herricher von Preußen 
unb Sfterreid; genötigt geiehen, den Krieg mit Nachdruck fortzuſetzen; 
man mußte den Franzofen die deutſchen Länder, die fie erobert, wieder 
abnehmen; man wollte fi) dann für bie aufgewandten Koften an einer 
franzöſiſchen Provinz oder in Polen entſchädigen; übrigens, da Ludwig XVI. 
nicht mehr zu er war, fo gedadjte man u die inneren Angelegen 
heiten Frankreichs auf ſich beruhen zu laſſen. Ähnliche, mehr oder we⸗ 
niger jelbftfüchtige Beweggründe trieben jegt auch England auf den Kampf- 
plaß; die folge Ariſtokratie, die dort regierte, hafte und verabſcheute 
zwar das demofratifche Treiben jenfeit des Kanals, aber hauptſächlich 
war es ihr doch um eine Schwächung der politifchen Macht Frankreichs 
und um Groberungen zu thun; außerdem jollte die Erhitzung des alten 
Sranzofenhafies beitragen, John Bull vor Reformgelüften zu behüten. 
Daher verbündete ſich England nicht bloß mit den dentihen Mächten, 
fondern betrieb auch den Anſchluß ber übrigen europäiſchen Monarchen 
an diefe große Koalition; zuerft traten, vom Konvent bebroht, die 
omberen Nachbarn Frankreichs bei, nämlidy Holland, Spanien unb bie 
italieniſchen Fürften. Die franzöfiiche Republick ſchien erliegen zu müffen; 
dem zugleich entbrannte in ihrem Inmern ein wütender Bürgerkrieg in 
der Bendee, bie fid dem Schreckensregiment, das nun in Paris anhob, 
nicht fügen wollte. 

Der Feldzug von 1798 wurde denn and), wenigftens auf deuticher 
Seite, mit Erfolg eröffnet. Ein öſterreichiſches Heer unter dem Herzog 
von Koburg fiegte bei Neerwinden über Dumouriez und eroberte Belgien 
wieder. Die Preußen drängten am Mittelrhein die Franzoſen wieder 
auf die linke Seite des Stroms und belagerten Mainz. Überall zeigten 
fid) die deutſchen Truppen, wo die Führung nicht allzu fehlecht war, ben 
Gegnern noch immer überlegen. „Man muß fih“ — fagt ein preußi- 
ſcher Offizier, der damals mitgefochten*) — „die franzöftiche Armee jener 
Zeit nicht fo denken, wie wir fie fpäter in ihren glänzenden Perioden 


*) Balentini, Erinnerungen ©. 26. 


468 Die Feldzlige gegen bie framdfiſche Revolution. 


haben kennen lernen. Die zerlumpten Rarmagnolen, ohne wahren mili- 
tärifchen Geift und Haltung, die ung Schimpfreden und matte Kugeln 
(unerwiedert) täglich über ben breiten Rhein zufendeten, flößten auf feine 
Weiſe Reſpekt ein. Es war aud) nicht ein Soldat in der Armee, ber 
ſich nicht feiner inneren Überlegenheit bewußt und des Erfolgs ficher ges 
fühlt Hätte, wenn es dazu kommen würde, fich ernftlich mit ihnen zu 
meffen.“ Aber eben die Führung taugte uichts. Der Herzog von Braun- 
ſchweig war von feiner zopfmäßigen Bebächtigkeit nicht abzubringen, ver- 
fäumte wieder mandje gute Gelegenheit, und mas er etwa flug ausge 
fonnen, fcheiterte dann an dem Ungehorfam jeines Unterfeldherrn, des 
öfterreichifchen Generals Wurmfer, der nur mit Widerwillen ſich und feine 
Truppenabteilung unter preußifchen Dberbefehl geftellt ſah. 

Doc wurde (anı 23. Juli) Mainz wieber erobert nnd der deutſche 
Boden vom Feinde gefäubert. Dafür kamen die geflücjteten Landes» 
väter mit ihren Höflingen und allen Mißbräuchen des alten Staats- 
weſens wieder zurüd; eine wüßte Reaktion trat ein und eine grimmige 
Verfolgung aller, die man im Verdacht renolutionärer Umtriebe hatte. 
Inzwiſchen waren die Öfterreicher nebft einigen Reichstruppen aus Bel- 
gien fiegreich auf franzöftiches Gebiet vorgedrungen und eroberten Balen- 
ciennes. 250 000 Mann geübter Truppen — Öfterreiher, Preußen, Eng- 
länder, Hannoveraner, Hefien und andere Reichskontingente — ftanden 
nım von ber Mündung der Schelde bis an den Near bin, zum Marſch 
auf Paris bereit. Aber bie Koalition verfcherzte den Sieg, indern fie 
zauderte. Es lag dies zum Zeil an der langſamen, unentſchlofſenen und 
uneinigen Oberleitung ber Heere, aber nod) weit mehr am dem Mangel 
an Übereinftimmmg in der Koalition felbft; fie war in fidh felber ge 
fpalten; jede der verbünbeten Mächte verfolgte Sonderinterefien, fo warb 
der Gang des Ganzen gelähmt. In Wien war man neidiid auf den 
Machtzuwachs, den Preußen in Polen erftrebte; auch in Berlin blicte 
man mehr nad) Often als nach Weiten, der franzöftiche Krieg ward, da 
Deutfchland befreit war, mit jedem Tage unerwünfchter. Friedrich Wil- 
beim Tieß daher feine Truppen bei Mainz ftehen und wartete ab, was 
feine Verbündeten thun würden. Sie belagerten Die Seefeftung Dütr- 
kirchen, welche England für fid) beanspruchte; fie richteten im franzöfifchen 
Flandern bie öſterreichiſche Herrihaft ein; an den Zug nad Paris 
ſchienen fie nicht zu denken; warum follten es die Preußen? Go ver- 
geudete man bie Zeit. Mittlerweile begann bie fürchterliche Thatkraft des 
Konvents, ber ſchon jebt hunderte von „Ariftofraten und Volksfeinden“ 
zur Guillotine lieferte, zu wirken: das Maffenaufgebot, da8 er angeorbnet, 
kam in Fluß. Buerft verftärkte ſich die Rordarmee ımd rang den Öfter- 
reichern im September einen Zeil Flanderns wieder ab. Am Mittelrhein 
fiegten zwar die Preußen über ben General Moreau bei Pirmaſenz 


Die zweite Teilung Polens. 469 


(14. September) und eroberten die Verſchanzungen in den Vogeſen, 
einen Teil der Weißenburger Linien (26.—28. September); aber 
fie hielten dann inne, weil jet die polnifchen Angelegenheiten Die Auf⸗ 
merfjamfeit ihres Königs faft völlig in Anſpruch nahmen. 


Die zweite Teilung Polens. 


Die entjepliche Lehre, welche die Ereigniffe des Jahres 1772 den 
Polen gegeben hatten, war an ihnen nicht ganz verloren; fie fahen den 
Abgrund, in den ihr Staat fallen mußte, wenn die rechten Mittel zur 
Rettung nicht ergriffen würben. ALS foldje erkannten die wahren Vater 
landsfremde eine gründliche Reform des Staats und den Bund mit 
Preußen, mit derjenigen Macht, welche nad) den Überlieferungen Srieb- 
richs des Großen den meiften Willen hatte, das Vorbringen Rußlands 
zu hemmen. Sie jeßten aud) beides ins Wert; am 3. Mai 1791 ver- 
tündigten und beſchworen der König und der Reichstag zu Warſchau 
eine neue, zeitgemäße Verfaffung, welche die alten Schäben heilen konnte: 
das liberum veto wurde abgefchafft und eine exrbliche, Tonftitutionelle 
Monarchie hergeftellt, in welcher der König eine ſtarke erefutive Gewalt 
und ber Reichstag nur die gejeßgebende hatte. Auch manche andere 
Mißbräuche fielen fort: die willfürliche Behandlung der Bauern, die Be- 
drüdung der Diffidenten. Mit Preußen war ſchon im März 1790 ein 
Berteibigungsbändnis gefchloffen. 

Aber die Rufen gaben ihr Spiel darum nicht verloren, und fie 
fanden unter den Bolen felbft die wirfamften Gehilfen. Bon jeher 
waren bie polniſchen Magnaten gewohnt, den Thron nad) ihrem Privat 
vorteil für Amter und Würden und befonbers für Geld zu vergeben; 
& war fein jo weiter Schritt vom Verlauf der Krone zum Verhandeln 
der übrigen ftaatlichen Intereſſen; und diefen Schritt machten aud) jept 
viele. Zu diefen Derrätern gehörten gerabe bie einflußreichſten; der 
Kronfeldhere Branidi und der Staroft Potocki ftanden öffentlich an der 
Spitze der ruffifchen Söldlinge; der König felbft, Stanislaus Poniatowski, 
and viele vom hohen Abel hielten e8 insgeheim mit ihnen, während fie 
vor den Augen des Landes die Patrioten fpielten. Die ruſſiſche Partei 
bildete num unter Führung Potocki's und Rzewuski's eine Konföberation, 
welche (zu Targomwicz 14. Mai 1792) gegen die neue Konftitution Ein- 
ſpruch erhob, den Bürgerkrieg entzündete und den Schuß der Ruffen für 
die alte „polnifche Freiheit” anrief. Fünf Tage darauf rüdten 100 000 
Ruſſen in das Land ein. 

Ber follte ihnen die lang’ erftrebte Beute ftreitig machen? Deutjch- 
land fonnte es. Aber feine Hauptmächte ſchickten ſich foeben an, ben 


470 Die zweite Teilung Polens. 


Kampf mit der franzöfifchen Revolution aufzunehmen, und Katharina II. 
ſetzte alle Mittel ihrer gejchidten Diplomatie in Bewegung, um dieſen 
2egitimitätseifer immer heftiger anzuftacheln. Übrigens war in Berlin 
die Freundichaft mit Polen bereit ein übermimbener Standpunkt, und 
die Polen hatten diefe Veränderung, über die fie dann fehr ergrimmt 
waren, felber verfchuldet. Won Anfang an machte die preußiſche Re— 
gierung fein Hehl daraus, daß fie für ihren Beiftand einige Vorteile 
erwarte: fie wünfchte die deutſchen Städte Danzig umd Thorn als Preis 
ihrer Freundſchaft, und diefe Erwerbung war in ber That für das Ge— 
deihen der Provinz Weftpreußen und namentlich des preußifchen Weichjel- 
handels eine Lebensfrage. Aber die Polen lehnten dies Verlangen aufs 
entfchiedenfte ab (1790). Um jo weniger hätte es fie befremben follen, 
daß Preußen dann aud) ihnen nichts leiftete. Dennoch, würde die Kluge 
beit den preußiſchen Staatsmännern geboten haben, Rußlands Abſichten 
entgegenzutreten, hätten nicht eben Die Polen felbft ihrem furdjtbaren 
Feinde tn die Hände gearbeitet. So mußte ſich das Geſchick des unglück⸗ 
lichen Landes erfüllen. Zwar brachten die wahren Baterlandsfreunde ein 
Heer auf, welches unter Kosciusko mit großer Tapferkeit focht, namentlich 
bei Dubienfa (am Bug, füdöftlich von Lublin) — 17. Zuli —; aber die 
ruſſiſche Übermacht fiegte, und was ſchlimmer war, der König Stanislaus 
trat bald darauf jelbft zur Targomiczer Konföderation über. Ganz Polen 
fiel nun in die Hände der Ruffen, der Reichstag hob die neue Berfaflung 
wieder auf und ftellte die alte, elende Wirtjhaft wieder her. Konnte 
Preußen, aud) wenn es nicht anderwärts beſchäftigt geweſen wäre, die 
Verteidigung einer Nation übernehmen, die ſich felbft verriet? Vielmehr 
handelte es ſich nur darum, ob Polen völlig in Rußland aufgehen oder 
ob es zwiſchen Rußland und Deutfchland geteilt werden folle; Preußen 
mußte fi) für das letztere entfcheiden. 

Es verabrebete aljo mit Rußland eine abermalige Teilung (23. Ja- 
mar 1793) und ließ ebenfalls Truppen in Polen einrüden. Buerft 
(Ende Februar) wurde Großpolen, dann (im März) Danzig beießt. Im 
den Erflärungen, welche Katharina und Friedrich Wilhelm über Die Ger 
waltthat abgaben, hieß es, um den Bruch des Völferrechts zu beichö- 
nigen: „Sie müßten aus Rüdfiht auf die eigenen Staatsinterefſen 
in dem Nachbarlande die übelgefinnten Aufwiegler und Ruheſtörer 
unterdrücken und bie Ordnung wiederherftellen; Polen ſei von ber 
jakobiniſchen Seuche angeſteckt, und fie glaubten es nicht beffer heilen 
zu Können, als wenn fie Die Grenzprovinzen ihren Staaten einver⸗ 
leibten umd fo gegen das Gift der revolutionären Meinungen jhügten.* 
Durd) preußifches und ruffiiches Geld wurde dann ein Teil der polni» 
ſchen Reichstagsabgeordneten gewonnen, durd) Drohungen ein anderer 
Teil eingeſchüchtert. So geihah «8, daß ber in Grodno verfammelte 


x 


Zweite Teilung Polens. 471 


und von ruſſiſchen Truppen umgebene Reichstag am 22. Juli 1793 in 
die von Rußland und am 23. September besjelben Jahres auch in die 
von Preußen geforderten Abtretungen einwilligte. Durch diefe zweite 
Zeilung Polens erhielt Rußland die öftliche Hälfte Polens, nämlich 
Litauen, Podolien und die Ukraine (4000 Duadratmeilen); Preußens 
Anteil waren außer Danzig und Thorn die Gebiete von Poſen, Gneſen, 
Kali, Kujavien — etwa das heutige Großherzogtum Pofen —, ferner 
Lentſchitz, Sieradien und ein Teil der Woiwodſchaften Krakau, Rama 
und- Plock, im ganzen ungefähr 1000 Quadratmeilen mit 1 100.000 Eins 
wohnern. Dieje neue Befigung wurde unter dem Namen „Sübpreußen“ 
fofort dem preußiſchen Staate einverleibt. Ihr Wert beruhte nicht zum 
wenigften darin, daß Preußen num im Oſten wohl abgerundet war und 
eine befiere Grenze gegen Rußland hatte. 


Sertfchung der Zeldzüge gegen die frauzöſiſche Revolution. 


Friedrich Wilhelms II. Eifer für den Kampf gegen die franzöfiſche 
Demokratie war jeit dem üblen Ausgange bes Feldzuges in ber Cham— 
pagne jchon erheblich abgekühlt; wenn derfelbe jegt noch mehr erkaltete, 
jo war der Unmwille über Ofterreih daran Schuld, deſſen Diplomatie 
dem preußiſchen Intereſſe in Polen entgegengearbeitet hatte. Zwar er- 
Tante es nun die Teilung, da fie gefchehen war, an; aber die Eifer- 
ſucht und das Mißtrauen blieben. Auf den Gang des franzöfiſchen 
Krieges hatte dies einen fehr übeln Einfluß. Nach der Abreife des 
Königs handelten Wurmfer und der Herzog von Braunfchweig eine kurze 
Zeit lang im Einvernehmen und errangen denn auch einige Erfolge. 
Vereinigt eroberten fie (11. bis 14. Oktober) die Weißenburger 
Linien völlig und trieben die Franzoſen bis unter die Mauern von 
Straßburg. Dann aber erneuerte fi der alte Zwieſpalt. Keiner der 
beiden Feldherrn unterftüßte den andern; Wurmfer blieb bei feinem 
Eigenfinn, feiner Unbefonnenheit, der Herzog von Braunſchweig bei feiner 
unentſchloſſenheit und übermäßigen Bedächtigkeit, zumal da die Nadj- 
rihten aus Berlin feine rechte Gewißheit gaben, ob der König den 
Krieg fortfegen werde. Doc gewannen die Preußen noch einen ſchönen 
Sieg. Sie ftanden, 20000 Mann ftark, darunter einige taufend Sachſen, 
bei Kaiferslautern. Hier wurden fie am 28. November von der 
franzöſiſchen „Mofelarmee" unter Hoche mit doppelter Zahl angegriffen, 
ſchlugen aber alle Angriffe an dieſem und an den beiden folgenden Tagen 
mit glängender Tapferkeit ab. Mittags den 30ften trat Hoche ben Rüd- 
zug an. Nur 800 Deutfche, aber 3500 Franzofen waren gefallen; das 
war jebod) ber einzige Vorteil; denn der Herzog benußte den Sieg nicht. 


42 . Bortfegung ber Belbzüge gegen bie franzofijche Revolution. 


Ebenſo wenig that Wurmſer etwas Erfprießliches. Zuletzt mußten beide 
ihre Stellung in den Vogeſen und die Belagerung Landaus aufgeben, 
weil der Feind fid) übermädhtig verftärkte, und die deutichen Truppen 
durch eine Reihe von Heinen Gefechten, durch ungünftige Witterung und 
mangelhafte Verpflegung viel litten. Zuerſt trat Wurmfer den Rückzug 
an, er ging (am 30. Dezember) bis auf das rechte Rheinufer zurück; 
die Preußen, nun auch zum Rüdzug genötigt, hielten fidy wenigftens 
auf dem linken Wfer; fie bezogen die Winterquartiere zwijchen Nahe 
und Rhein. J 
Ebenſo erfolglos endete dieſer Feldzug auf den andern Kriegsſchau- 
plägen, namentlich in Belgien. Dadurd wurde die Mißſtimmung zwiſchen 
den Verbündeten noch größer; fie fchoben fid) gegenfeitig die Schuld zu. 
Der Herzog legte unmutig den Dberbefehl nieder. „Wenn eine große 
Nation wie die franzöfiiche" (jchrieb er dem Könige) „durch Schreden 
und Begeifterung zu großen Thaten geführt wird, fo follte ein einziger 
Wille, ein einziger Grundſatz alle Schritte der Verbündeten leiten. Allein 
wenn ftatt deſſen jedes Heer für ſich ohne feften Plan, ohne Einheit, 
ohne Grundfag und ohne Methode handelt, dann müſſen die Ergebnifie 
fo fein, wie wir fie erlebt haben.“ Übrigens meinte er, biefer Krieg jei 
überhaupt gegen Preußens Vorteil. Diefelbe Anficht herrſchte im Heere, 
im Volle, im Miniftertum; nur der König mochte fid) aus falſchem 
Ehrgefühl noch nicht entſchließen, die Waffen tiederzulegen. Aber der 
Staatsſchatz war erfchöpft, die Finanzen zerrüttet; auf eigene Koften 
konnte Preußen den Kampf nicht mehr fortjegen. Anftatt nun zurüd- 
autreten, wie es des Staates wohlverftandenes Intereſſe gebot, ließ fich 
Friedrich Wilhelm II. herbei, feine Truppen den Seemächten, England 
und Holland, zum ferneren Kriege gegen Frankreich zu vermieten; ein 
preußifches Heer von 62400 Mann unter dem General Möllendorf ward 
für 50 000 Pfund Sterling monatlid) den Seemächten zur Verfügung 
geftelt, „um die von der Revolution bedrohte bürgerliche Geſellſchaft zu 
beſchũtzen“; etwaige Eroberungen follten den Seemächten gehören. Dies 
ber Inhalt des wmrühmlichen Vertrages, den der preußifche Minifter 
v. Haugmwiß, ein Staatsmann von Thuguts Unfähigfeit und Charakter 
Iofigfeit, am 19. April 1794 im Haag auf Befehl feines Königs abſchloß. 
Die auseinanderftrebende Koalition war alfo für eine Weile nod) 
zufammengehalten und immerhin war ihre Sache, wenn man auf bie 
Macjtmittel fah, noch keineswegs ausfichtslos. Zwar die Überlegenheit 
der Zahl war jet auf Frankreichs Seite, und bie Zahl wurde noch ge- 
wichtiger durch die Heftigfeit der Leidenfchaften, welche diefe Hunbert- 
taufende bewegten. Nicht mehr ein bemoralifirtes Militär, fondern bie 
ganze ungeheure Kraft einer großen, in allen Tiefen ihres Geiftes auf 
gewählten Nation warf fid), für Vaterland und Freiheit, für den Ruhm 


179. 413 


und die Selbftändigfeit des Ganzen wie bes Einzelnen begeiftert, dem 
Auslande entgegen. Aber diejes Vollsheer beftand doch nod) größten 
teils aus Neulingen. Der Bauer, Handwerker, Kaufmann, den der 
Konvent bewafinete, war doch nicht fofort ein Soldat; vorerft kam er 
an Kriegstüchtigfeit, bejonders an Ordnung und Marſchfähigkeit, dem 

britiſchen oder deutſchen Soldaten nicht gleich. Die Männer, die an der 
Spige der Republik ftanden, fuchten den Mangel an Schulung bei den 
Truppen auf andere Weiſe zu erſetzen. Frankreich revolutionirte feine 
Kriegskunft wie feine Politit. Der Kriegsminifter Carnot ſchuf die 
neuen Elemente in Verbindung mit den alten Truppenteften zu Meineren 
beweglichen Truppentörpern um, den fogenannten Halbbrigaden, in denen 
verfchtedene Waffengattungen vereinigt waren, und wies fie an, den 
Feind durd) zahllofe einzelne Schläge zu verwirren, zu ermüden und 
feine Verbindung zu zerreißen, bis der Moment gekommen fei, mit einem 
legten gewaltigen Stoße die Kraft des Gegners zu zertrümmern. Mit 
revolutionärer Energie ſchritt Carnot andrerjeit3 gegen bie Auswüchſe 
ber Demokratie im Heerweſen ein. Bu taufenden bejeitigte er bie un= 
fähigen Offiziere, die aus der Wahl der Truppen hervorgegangen waren, 
und brad) fo den Talenten freie Bahn, raſch arbeiteten fie ſich zu den 
höchften Stellen empor. Aber die neuen Mittel und die neuen Männer 
brauchten doch Zeit, um zu wirken; für jegt war die größere militärifche 
Züchtigkeit noch bei den Heeren der Verbündeten. Allein die Gründe, 
die bisher ben Koalitionskrieg unfruchtbar gemacht hatten, beftanden 
fort, und fo blieben auch die Folgen die nämlichen. 

Der Feldzug des Jahres 1794 begann in ben Niederlanden; hier 
ftanden jet von den Ardennen bis nad) Dünkirchen 300 000 Franzoſen 
unter einem jungen tüctigen Feldherrn, Pichegrü; die Verbündeten 
ſtellten ihnen 160 000 Mann Öfterreicher, Preußen, Reichstruppen und 
Engländer entgegen. Der Anfang war glücklich, fie brachten ben Fran- 
zoſen eine Schlappe bei und eroberten die Feftung Landrecies (30. April). 
Aber die Uneinigfeit der Generale und ber Diplomaten, ſowie die Ein- 
mifhung des Kaiſers Franz, der fi) im Hauptquartier zu Brüffel bes 
fand, und feiner Höflinge, verdarb alle.weiteren Unternehmungen. Nicht 
viel beffer ging es am Mittelrhein her. Dort warf Möllendorf mit 
feinen Preußen nad) einem neuen Stege bei Kaiferslautern (23. Mai) 
die Franzojen aus ihren Verſchanzungen in die Vogeſen zurüd, und als 
der franzöftfche Befehlshaber Dejatr dann noch einen Verſuch machte, 
wieber bis zum Hardtgebirge vorzubringen, ſchlug ihn der Hufarenoberft 
v. Blücher durd) einen kühnen Reiterangriff zwiſchen Kirweiler und 
Edesheim zurüd (28. Mai). Das war der erfte Sieg, den der nadj= 
malige „Marjcall Vorwärts“ felbftänbig gewann. Schon damals hatte 
er den Ruf eines raftlos anftürmenden Reiterführers und war mit feinen 


414 Die dritte Teilung Polens. 


ofen und braunen Hufaren der Schreden der Franzoſen; bewundernb 
nannten fie ihn le roi rouge. Aber die Diplomatie lähmte wieber jeden 
Fortſchritt des fiegreichen Heeres. Die Seemächte verlangten, daß die 
Preußen nad Belgien marſchirten; in Berlin beftand man darauf, bie 
Truppen am Mittelrhein zu laſſen; fo verging bie Beit in unerjprieh- 
lichen Verhandlungen. Auch Oſterreich ſuchte nur nad) einem ſchickllicher 
Vorwande, ſich diefem Kriege zu entziehen; es führte ihm ohne Nach- 
drud; es wollte wie Preußen feine Kraft für die polnifchen Angelegen- 
heiten verwenden, die eben wieber zu einer Einmifchung dringend aufe 
forderten. So fam es, baf die Verbündeten aus den meiften Stellungen 
in Flandern und Belgien verdrängt wurden. Der öſterreichiſche General, 
Prinz von Koburg, gab fogar freimillig einen Sieg auf, den ihm feine 
Truppen bei Fleurus (26. Juni) errangen, und zog fid) aus diplomati— 
ſchen Gründen bis hinter die Mans zurück. Es war unter diefen Um» 
ftänden fruchtlos, Daß die Preußen unter Hohenlohe und Blücher zum 
dritten Male bei Kaiferslautern in einer Reihe von Gefechten (18. 
bis 20. September) glänzend fiegten. Die Friedenspolitiker ließen es 
unbenutzt und bie Hſterreicher gingen immer weiter zurück, im Oftober 
bis über den Rhein. Die Koalition fiel offenbar auseinander; der Keil, 
ber fie fpaltete, war Polen. 


Die dritte Seilung Voleus. 


Von dem großen Reiche der Jagellonen, das ſich einft vom balti— 
ſchen bis zum ſchwarzen Meere über ein Gebiet von 13000 Duadrat- 
meilen erftredte, war nunmehr nur ein Drittel übrig, und auch dieſen 
Reft beherrſchte der Erbfeind, Rußland, durch fein Geld und durd) feine 

Bajonette. Imgrimmig trug die Nation ihr ſchweres Geſchick. Im 
März 1794 raffte fie ſich in wilden Aufruhr empor, verjagte ‚bie Ruffen, 
ſchickte fi) an, das Reich in den alten Grenzen wieder herzuftellen. So 
fiel eine neue Rriegslaft auf Preußens Schultern, und es ‚hatte jegt nicht 
bloß die Beute von 1793 zu verteidigen, es mußte auch fuchen, fie noch 
möglichft zu vergrößern. Denn daß der ſchwache Überreft des polniſchen 
Staats den Ruffen exliegen würde, war unzweifelhaft. Man mußte alſo 
den Ruſſen zuborlommen. Im Mai.1794 rücten daher 50 000 Preußen 
ein, befiegten am 6. Zuni die Scharen Kosciustos bei Szezekocyn und 
bemächtigten fid) Krafaus. Der König felbft eilte auf den Kriegsihauplag 
und belagerte Warſchau. Aber die Unentjchloffenheit der Kriegsleitung, 
Mangel an Lebensmitteln, Krankheiten und die Unficherheit aller Ver⸗ 
Tehrömittel in dem weiten und ſchlecht fultivirten Lande hemmten bie 
Zhätigfeit des Heeres; dazu fam ein Aufftand im Pofenfchen, aljo im 


Die dritte Teilung Polens. 415 


Nüden bes Heeres; es mußte endlich (im September) die Belagerung 
Warſchaus wieder aufgehoben werben; Friedrich Wilhelm kehrte mißmütig 
nad) Sübpreußen zurücd, wo der Aufftand raſch unterbrüct wurde. Die 
Frucht feiner Anſtrengungen erntete Rußland; dem die polniſche Volks⸗ 
erhebung war durch den Einfall der Preußen zwar nicht niebergeworfen, 
aber doch fehr geichwächt worden; auch krankte fie bereit an innerer 
Zwietracht, an dem Hader zwiſchen der demokratiſchen und der ariftor 
tratiſchen Partei; jo wurde ben Ruffen, bie nun mit einem großen Heere 
unter Suworow einrüdten, der Sieg nicht allzu ſchwer. Mit wenige 
gewaltigen Schlägen zertrümmerten fie Kosciustos Streitmacht; bei 
Maciejowice am 10. Oktober warb die letzte Entſcheidungsſchlacht ges 
liefert. Die Tapferkeit ber Bolen konnte fie nicht retten; die Übermacht 
fiegte, Koscinslo felbft ward verwundet und gefangen, und Polens Unter 
gang war nım befiegelt. Am 4. November nahm Suworow Praga mit 
Sturm und ließ dort 20000 Menſchen ohne Unterſchied des Alters und 
Geſchlechts niedermetzeln; dann ergab fid) auch Warſchau. Der König 
Stanislaus mußte die Krone niederlegen und als ruſſiſcher Penſionär in 
Petersburg leben. 

Jetzt änderte Rufland feine Sprache gegen den alten Bumdesgenofien; 
anftatt fi, wie früher, mit Preußen über die poluiſchen Dinge zu einie 
gen, ſchloß es mit Oſterreich (am 3. Januar 1795) einen ZTeilungs- 
vertrag, kraft defien Rußland wieder den Löwenanteil, über 2000 Duadrat« 
meilen, Ofterreic), welches nichts gethan hatte, das Gebiet von Krakau 
(1000 Duadratmeilen), Preußen aber ben Überreft, Mafovien, das Gebiet 
von Warſchau und Bialyſtok — etwa 900 Duabratmeilen mit einer 
Million Einwohner — erhalten follte. Außerdem verabredeten die beiden 
Kaiferftaaten, auch in der türfiichen Angelegenheit gemeinfam vorzu ⸗ 
gehen und nad) beiden Richtungen ihren Willen nötigenfalls mit ben 
Baffen durchzuſezen. Die drohende Stellung, welche fie annahmen, 
war vornehmlich auf Preußen berechnet. Dieſer Staat hätte das pol 
nifhe Reich in den Grenzen von 1798 gem als ein, wenn auch 
ſchwaches Bollwerk gegen die immer weiter vorrüdende moskowitiſche 
Weltmacht beftehen lafjen. Allein durch ben franzöfifcgen Krieg ge 
ſchwächt, wagte Preußen es nicht, in einen neuen und größeren Kampf 
einzutreten. Nachdem fi) der König lange gefträubt, trat er jenen Ab- 
machungen über die dritte Teilung Polens bad) endlich bei (24. Di- 
tober 1795). Die neuen Befigungen wurden unter dem Namen Reuoft- 
preußen dem Staate einverleibt. 

Aber der gerechte Unwille über die Treulofigkeit feiner Verbündeten 
trug viel dazu bei, ihn zum Austritt aus der Koalition und zum Frieden 
mit Frankreich zu beftimmen. Dazu bewogen ihn indes nod) andere und 
ganz gewichtige Gründe: die Erihäpfung der Finanzen, die Weigerung 


416 Friede zu Bafel. 


Englands, ferner Hilfsgelder zu zahlen, die Ohnmacht oder die Saum— 
feltgfeit der einen deutſchen Fürften, welche nad) Frieden fehrieen, ohne 
hinreichende Mittel zum Kriege aufzubringen, die Berrüttung der Koali= 
tion, im der jedes Mitglied bloß ſelbftſüchtige Zwecke verfolgte, endlich 
die Priebensverhandlungen, die ber bourboniſche König von Spanien 
und der habsburgifche Großherzog von Toskana mit dem „Wohlfahrts- 
ausfhuß* in Paris, alſo mit den rögicides von 1793, eröffneten, endlich 
der Verdacht, ber in der That durchaus begründet war”), daß Thugut 
heimlich mit den Franzoſen um einen Sonberfrieden verhandele. So 
entfchloß er fi) denn, fo gut e8 ging, mit der franzöfiichen Republik 
Sieden zu madjen. Am 5. April 1795 wurde derſelbe durch ben preußi= 
ſchen Bevollmächtigten Freiherrn v. Hardenberg zu Bafel abgeichlofien. 
Preußen überließ darin den Franzoſen, was fie erobert hatten, nämlich 
das linfe Rheinufer und damit aud) 43 Duadratmeilen preußifchen Ge— 
biet3; allerdings nur vorläufig; die endgiltige Feftjegung darüber wurde 
einem allgemeinen Frieden vorbehalten. Dagegen verbürgte Frankreich 
für den Tall, daß es in demfelben feine Grenze bis an den Rhein 
ausdehne, Preußen eine Entſchädigung im inneren Deutſchland. Rord- 
deutſchland ward für neutral erflärt; auch andere deutſche Reicheftände, 
die Preußens Vermittelung anrufen würden, follten einen billigen Frieden 
erhalten. Cine Demarkationstinie von Ems bis Münfter und rings um 
die heſſiſchen und fränkifchen Kreislande machte die dahinter liegenden 
Länder ſchon jeßt parteilos. 

So hatte Friedrich Wilhelm II. fi) in einen verderblichen und koft- 
fpieligen, über feine Kräfte gehenden Krieg geftürzt, um einen Frieden 
zu fehließen, ber die Großmachtſtellung Preußens in einem fehr zwei⸗ 
deutigen Lichte erfcheinen ließ. Das war die bittere Frucht der reichen⸗ 
bacher Komvention. Gleichwohl hielten nicht bloß Die unfähigen Räte 
des Königs, Haugwitz, Luchhefini, Lombard u. a., fondern felbft bedeu- 
tende Staatsmänner, namentlid; Hardenberg, den bafeler Frieden für 
ficher, ehrenvoll und vorteilhaft! So weit war die preußifche Diplo- 
matie von ber Höhe Friedrich des Großen herabgefunten. Es zeigte 
fi) aber bald, daß Preußen durch jenen Separatfrieden nicht bloß an 
europäifcher Geltung, fonbern auch in ber Meinung Deutfchlands viel 
verloren hatte. ſterreich, durch ftarfe englische Subfidien mit neuem 
Kriegseifer erfüllt und vol Hoffnung, durch militärtiche Leiftungen 
feiner Vergrößerungsluſt irgendwo, am liebften in Deutſchland felbft, 
dienen zu können, unterließ nichts, die Mipftimmung der Deutfchen 
gegen Preußen aufzureizen. Cingriffe, die der König in bie Rechte 
einiger fränkifcher Reichsritter that, boten dazu eine neue Veranlafjung. 


*) 0. Spbel, Geſchichte ber Revolutionsgeit 17891795, Bd. III. (1860) ©. 498 fi. 


Sriedri Wilhelms II. Ende. 417 


Im Zahre 1769 war die hohenzollerſche Linie Baireuth ausge 
ftorben, und der Markgraf Karl Alerander von Ansbach hatte beide 
Länder unter feiner Herrſchaft vereinigt; da er indes der letzte feines 
Stammes war, fo trat er biefelben (116 Duabratmeilen mit 420000 Ein⸗ 
wohnern) am 2. Dezember 1791 gegen ein Jahrgehalt von 500000 Gulden 
an ben König von Preußen ab, der am 3. Januar 1792 Befih ergriff”). 
Die neue Regierung eignete fid) bald Hoheitsrechte über Die Reichgritter, 
die hier angejefjen waren, ſowie über bie Reichsftadt Nürnberg an (welche 
übrigens 1796 jelbft ihre Unterwerfung anbot) und erregte dadurch bei 
den übrigen Reichsftänden nicht wenig Unwillen, ben Oſterreich für ſich 
zu benutzen wußte. So diente Kleines und Großes, den Zwieſpalt 
Deutſchlands zu erweitern. 


Sriedrid Wilhelms II. Ende, 


Bern fonft eine neue Erwerbung an das hohenzollerfche Haus kam, 
pflegte ihr Zuſtand ſich raſch zu verbefiern; bie preußiiche Verwaltung war 
berühmt wegen ihrer Pflichttreue und Unbeftechlichteit. Aber bie fchlaffere 
Art, mit der Friedrich Wilhelm II. die Zügel der Regterung hielt, übte 
aud) auf das Beamtentum einen nachteifigen Eiufluß. Überdies beſaß 
er nicht das Talent, die rechten Männer zu feinen Dienern zu wählen. 
Die Einwohner der Provinz „Neuoftpreußen” fanden daher an der neuen 
Regierung wenig zu loben. Anftatt die Hilfsquellen der neuen Gebiete 
möglihft nußbar zu machen, verſchleuderte der König polnifche Güter, 
die dem Fiskus zugefallen waren, ohne Wahl an feine Höflinge und 
Günftlinge und ließ die Minifter fchalten wie fie wollten. Er mochte 
nicht gern genirt fein und genirte darım auch feine Diener nicht; Tein 
Wunder, daß fie den Staat zu ihrem Privatnutzen ausbeuteten. So 
tam es, daß troß der großen Landerwerbungen der Staat bei bem Tode 
des Königs mit einer. Schuldenlaft non 48 Milkionen Thaler beſchwert 
war. Und dabei hatte man doc wieder bie alten drückenden Yinanz- 
Kinfte anwenden müſſen; das Tabalsmonopol war 1797 aufs neue ein- 
geführt worben. 

Reformen von irgend welcher Erheblichteit waren nirgends zuftande 
gefommen; die Übel, an denen alle alten Staaten krankten, blieben auch 
in Preußen, wie fie waren. Im Gefolge der Günftlingsherrichaft hatte 
fich nun fogar ein neuer Mißbrauch eingefchlichen, nämlich Unter 


*) Damals wurde der in Ansbach und Baireuth beftehende rote Adlerorden zum 
weiten Hausorben bes Königreichs Prenben erklart. 


478 " Friedrich Wilgelms II. Ende. 


ordnung ber Staatszwede umter rein perfönliche Interefien der niedrig- 
ften Art. 

Allerdings gab es ımter ben älteren Staatsbienern, unter ben 
Beamten aus Friedrichs Schule gar manche, weldye die alte Tüchtigfeit 
und Integrität ihres Stanbes fich bewahrt hatten. Bit Schmerz und 
Umvillen betradjteten fie diefe ſchlimme Wirtſchaft. Aber fie waren 
machtlos. ME im Jahre 1796 einer von ihmen, der Kriegsrat Zer- 
bont in Petrikau, dem wegen feines Adelsſtolzes verhaßten Mintfter für 
Schleften, Grafen Hoya, freilich im unpaffender Sprache, gewiſſe Miß— 
griffe und Ungejeplidjleiten vorwarf, Heß ihn der König, bei welchen 
Hoym ſich befchwerte, auf die Feſtung ſetzen, ohne den Grund oder Un- 
grund der wiber Hoym erhobenen Anfchuldigumgen zu unterfuchen. Es 
ftellte fi) heraus, daß Berboni mit einigen patriotiſch gefinnten Män- 
nern einen geheimen Bund, „bie moralifche Vehme“, geftiftet hatte, 
welche den Zweck verfolgte, alle im Staat und in ber Gefellichaft 
vorkommenden ımb ftraflos gebliebenen Ungerechtiglkeiten aufzufpären 
und ans Licht der Dffentlichfeit zu bringen. Dies genügte, um Ber- 
boni dem Könige als einen fehr geführlichen Jakobiner erfcheinen zu 
lafſen. 

Mit den andern Bweigen ber Verwaltung verfiel and) das Heer- 
weſen. Schen im Zahre 1795 beftanden bie Dffiziercorps ganzer Regie 
menter aus Imvaliben an Körper und Geift. „Es kam vor, daß ſämt⸗ 
liche Offiziere von Reiterregimentern vom Oberlieutenant aufwärts vor 
lauter Schmerbãuchigkeit, Gicht und Häntorrhoiden nicht mehr zu Pferde 
fteigen, oder wenigftens es nicht mehr zu Pferde aushalten konnten. 
Der Geiſt ber friedrichſchen Ara war aus dem Heere entwichen und mit 
ihm die moralifche Zucht. Geblieben war aber Der tote Mechanismus, 
die Puder⸗ Sopf- und Kamajchengual und bie brutalfte Fuchtelei: wo 
der Reiſende innerhalb Preußens einen Grerzierplag betrat, konnte er 
Dffigiere und Korpsrale auf die Schultern und Meine ber Rekruten 
losihlagen fehen ımb bas ‚Ihr verfluchten Hunbelerle, das Donner- 
wetter foll euch zerſchmeißen!“ fchallte ihm unaufhörlich in Die Ohren.*)* 
Zwar fanden fid) unter den Offizieren jener Zeit auch viele achtungs- 
werte; es fehlte nicht am guten geiftigen Beftrebungen; namentlich in 
Berlin und Potsdam wurden mit großer Emfigkeit kriegswiſſenſchaftliche 
Studien getrieben, Die freilich meift nur einem eiteln Theoretifiren Vor⸗ 
ſchub leifteten**); und Hunderte von Offizieren ſuchten geiftige Erhellumg 
und Erhebung in den Yreimaurerlogen**). Aber es war bies doch ber 


*) Martens, Dentwurdigkeiten aus dem kriegeriſchen und politijchen Reben eines alten 
Dffsiers, ©. A. 

*) Rede, Memoiren I. 118. 

“ee, Giöte bei Barnhagen, Denkwürbigkeiten 2. Aufl. II. 328. 


Friedrich Wilhelms IT. Tod. 478 


fleinere Teil und gerade der Teil, der den Ton nicht angab. Auf die 
Mehrzahl paßte das Bild, welches ein Beitgenoffe (v. Cölln) übertreibend 
von allen entwirft; er berichtet: „Der Offigierftand, ganz dem Müßig- 
gange Hingegeben und den Wiſſenſchaften entfremdet, hat es im der 
Genußfertigleit am weiteften gebradjt. Sie treten alles mit Füßen, diefe 
privilegirten Störenfriebe, was ſonft heilig genannt wurbe, Religion, 
eheliche Treue, alle Tugenden der Häuslicjteit.“ Übrigens hatte fid das 
Sittenverberbnis, wenigftens in ben Refibenzen, allen Ständen mitge- 
teilt*), wenngleid) die Vornehmen es am wüſteſten trieben. Das ſchlechte 
Beiſpiel, welches ber König durch feine in geſchlechtlichen Dingen lare 
Moral gab, beftärtte in dieſer Richtung; zumal da das Gerücht, wie es 
pflegt, was ſchlimm war, ins Maßloſe und das Vergnügen zur Orgie 
vergrößerte. Daß der König in allen andere Stüden eher einfach als 
üppig lebte, kam dagegen bei den Wenigften in Betracht. 

So konnte denn der Vaterlandsfreund es nur für ein Glück erachten, 
daß dieſe Regierung ſich raſch ihrem Ende zuneigte. Friedrich) Wilhelms 
Körper war mict fo widerfianbsfähig, wie er ausfah. — 
‚ber Feldzüge. beſonders des polniichen, hatten ihn ſehr angegriffen; es 
bildete ſich ſchon im Jahre 1795 ber Keim einer ſchweren Krankheit in 
ihm aus. Bald zeigte ſich die Wafferfucht. Vergebens nahm man die 
verfchiedenften, zum Zeil feltjamften Kuren mit ihm vor; vergebens 
gaben ihm feine Roſenkreuger aurum potabile, „trinfbares Gold“, ein 
Nach langen Leiden, in denen ihn Die Lichtenau mit aufopferader Hin⸗ 
gebung gepflegt hatte, ftarb er am 16. November 1797, 53 Jahre alt. 

Er hinterließ den Staat in Verfall, tief verſchuldet, von feiner 
Großmachtſtellung berabgefunten, obwohl das Länbergebiet, bejonders 
durch die polnifche Beute, von 3524 auf 5636 Duadratmeilen, die Ein⸗ 
wohnerzahl don 5660 000 auf 8687000 angewachſen war. Aber ber 
Zuwachs glich einer ungefunden Aufgebunfenheit, und Warſchau, das 
Danaergefchent, war mır ein Pfahl im Fleiſche des Staates, der in Ge—⸗ 
fahr ſtand, durch den polnifchen Balaft mehr an feinem Deutſchtum ein⸗ 
zubüßen, als er an Machtmitteln gewann. 


*) Bergl. Vertraute Briefe (von Can) I. 111, 141. Varnhagen, Tagebüder, I. 334. 
Some, Rüdel II. 33, 29. 





Sriedrich Wilhelms NIT. 


„Man kann fic) jept gar nicht mehr vorftellen“, ſagte nachmals ein 
Zeitgenoſſe, der alte Schadow, „wie mwohlthätig auf das üippige Leben 
des Vorgängers das Beiſpiel Friedrich Wilhelms II. fam, die ftille 
Häuslichfeit, die Schönheit und Brapheit der Königin." In der That, 
der junge Monard) und feine Frau Luife führten mit einander ein Leben 
vol inmigfter Zumeigung, voll Sittenreinheit und ehrbarer Zucht, wie es 
damals auf den Thronen unerhört war. Einfach und mäßig, ſchlicht 
und wahrhaftig — jo war der Kronprinz unter der ernften Zeitung feiner 
Erzieher erwachſen; und fo blieb er als König. Es war etwas Bürger 
liches in ihm; feine Art, feine Neigungen hatten das Biebere, Gemütliche 
eines wohlmeinenden Mannes aus dem Mittelftande. Er fühlte fich nir- 
gends wohler als im Kreife feiner Familie, wo e8 ohne Prunk ımd fteife 
Etikette Herging. Da faß er ftillvergnügt bei Frau und Kindern und 
feinem Freunde, dem General von Ködrig, dem die Königin nach Tiſche 
wohl felber die geftopfte Pfeife und den bremmenden Fidibus reichte. So 
ein Bild gefiel dem Bürgersmann; König und Königin wuchfen ihm 
ans Herz. Auch die andern vorherrichenden Büge in dem Charakter 
Friedrich Wilhelms II. ftimmten zu jener Schlichtheit: feine nüchterne 
Verftändigfeit, fein ftrenges Pflichtgefühl, feine Liebe zur Sparfamteit, 
Ordnung und Gerechtigkeit. 

Aber wennſchon höchſt achtungswert als Menſch und ein mufter- 
bafter Hausvater, jo befaß er doch zu feinem fchmwierigen Königsamte 
nur mäßige und in manchem Stück mangelhafte Fähigkeit. Er war nun, 
da er den Thron beftieg, 27 Jahre alt (geb. zu Potsdam den 3. Auguft 
1770); ein ſchöner Mann von fehlanfem, hohem Wuchs, militärifcher 
Haltung, ernftem, mildem Geſichtsausdruck; aber nod) immer Mebte feinem 
Weſen die Schüchternheit an, zu der die pebantifch ftrenge Art feines 
erften Lehrers Behniſch den Grund gelegt hatte. Sie verließ ihn nie 
ganz; ſelbſt in feiner Sprechweife war etwas Linkiſches; abgebrochen und 
ungelent famen die Worte heraus, meift im Infinitiv. Und diefe Nebe- 
form bezeichnete auch ganz treffend den Fleck, wo es ihm fehlte: es ger 
brach ihm an Selbftvertrauen, an raſcher, fühner Entſchlofſenheit und 
durchgreifendem Willen, überhaupt an bedeutender Perjönlichkeit; ein 
Mangel, den gerade feine Beicheidenheit verſchlimmerte. Die Anlagen 
feines Geiftes, der von Natur einen Inftinft für das Rechte und Richtige 
der Dinge und Menſchen hatte, waren durch feine Erziehung nicht be 

irãchtlich entwickelt worden; eine umfafjende und großartige Anſchauung 
der Dinge hatte fie ihm nicht gegeben. Seine Auffafjung der Welt und - 


Königin Luiſe. 481 


Boltsverhältnifie war daher oft unflar und einfeitig. Er fühlte dies 
und war um fo eher geneigt, fremdem Urteil mehr als dem jeinigen zu 
folgen. Aber feiner Vorliebe für ehrbare Mittelmäßigfeiten, wie Ködrip, 
Haftrow u. a., kam nur feine Abneigung gegen alles Große und Geniale, 
Ungewöhnlide und Energifche gleich, und baher hörte er oft auf Rat- 
f&läge, die ſchlechter waren als was er felbft meinte. Anbrerjeits be» 
wirkte feine Unentfchiebenheit, daß er feinen Rat ganz und Tonfequent 
befolgte. Sein Lieblingswort war „talniren“, weil die Sache feiner 
Natur fo ſehr entſprach; nämlich fo Tange es ging, in ben einmal breit 
getretenen Geleifen ruhig und ehrbar fortzumandeln. Jeder „Ellat" war 
verpönt und auch dieſes ein Lieblings- und Stichwort; es follte abſolut 
nie ein EHat ftattfinden; „wer fchrie, befam Recht, damit er nur ſtill 
fei; der Diener, der nicht gewandt genug war, den Ekllat zu erfticen, 
befam Unrecht." *) 

Während Köcrik und die Männer feines Schlages fein höheres 
Glück für den preußiichen Staat wußten, als Ruhe und Frieden von 
außen, Verträglichkeit im Innern, um „imgeflört ihre Spielpartie und 
ZTabakspfeife genießen zu Zönnen“, bejaß die Königin Luiſe, geborne 
Prinzeffin von Medlenburg - Streliß, einen ebleren Geelengehalt. Sie 
war „bie ſchönſte Königin und eine nod) ſchönere Seele." Sie prangte 
damals in reizendfter Jugendblüte, 21 Jahre alt”), „eine Schönheit 
erſten Ranges, von hoher und ſchlanker Geftalt, edler Fülle, anmutoolifter 
Haltung und Bewegung. Ihr Gefichtsichnitt mit Ausnahme der etwas 
zu ftumpfen Nafe, von hellenifcher Reinheit und belebt durch große blaue 
Augen, welche die Klarheit ihres Geiftes und die Wahrheit und Güte 
ihres Charakters ftrahlend ausbrüdten.“ „Das war nun freilich“, er- 
zählt ein Beitgenoffe, „das war eine Fran, Die wie ein ganz überkrdifches 
Wefen vor einem fehwebte, in einer englijchen Beftalt und von honig« 
füßer Beredſamleit, mit der fie allen die Strahlen ihrer Holbfeligfeit zu⸗ 
warf, fo daß jeder wie in einem zauberiſchen Traume glauben mußte, 
diefes lebendige, regſame Feenbild fei in ihn verliebt, und er dürfe nun 
auch in fie verliebt ſein.““*) Dem Zauber, bem in ihrer Nähe alles, 
aud) das Sremdefte erlag, hätte am wenigften der König wiberftanden, 
der fie fo zärtlich liebte. Aber fie hielt es für ihre Frauenpflicht, fih in 
die Staatsſachen nicht zu mifchen, und fie verehrte ihren Gemahl zu ſehr, 
um zu zweifeln, daß er jelbft am beften wiſſe, was feines Amtes fei. 

Der Kronprinz hatte Friedrich geheißen, ber König ließ ſich Friedrich 


=) d. Lang, Shen aus meinem Leben II. 56. 
*) Geboren am 10. Mär 1776 zu Hannover, wo ihr Bater, Prinz Karl, bamals 
noch nicht veglerender Herzeg von Eteelig, den Poften eines Gouverneurs bekleidete. 
“9. Lang a. a. D. 4. 
Vierſon, preuß, Geſchichte I. 3 


482 Stiedrich Wilhelm III. 


Wilhelm nennen; er meinte mit Recht, dieſer Name laſſe fi auf 
Preußens Throne leichter tragen. Gr meinte aber aud), die berühmte 
Maſchine, die Friedrich ber Große Hinterlaffen, Tönne fo bleiben, wie fie 
eben war; unb barin irrte er ſich ſehr. Don Roft überall zerfreffen, 
Tonnte fie jo Großes nicht leiften, als Die Beit jet verlangte. Eine 
gründliche Heilung bes ganzen Staatslörpers, eine Umgeftaltung jener 
Maſchine in einen lebendigen, von dem Geift des ganzen Volks erfüllten 
Organismus — das that not. Aber Friedrich Wilhelm hatte zu fo 
großen Dingen vorerft ebenfo wenig den Willen als die Kraft. Er hate 
alles Revolutionäre von Grund feines Herzens, und als revolutionär war 
ihm alles verbächtig, was dem herfömmlichen feubalen und abfoluten 
Weſen des Staats zu nahe trat. Übrigens war man auch im Rolle 
über den eigentlichen Sitz bes Übels feineswegs im Maren. Wan wiegte 
fid) noch immer in der Einbildung von der Vortrefflicheit des Staates 
und befonder8 des Heeres; man war voll Dünfels auf eine Großmacht- 
ftellung, die doch ſchon bedenklich ſchwankte. Die Lorbern Friedrichs des 
Großen verblendeten ben König, aber auch die Nation. „Ein richtiger 
Atpreuße von damals, Dffizier oder Beamter glei) viel, ging einher wie 
jener indiſche Brahmane, welcher alles Ernftes überzeugt war, daß er 
Feuer genug in feinem Bauche habe, um damit nötigenfalls die ganze 
Welt zu verbrennen.“ Allerdings fehlte e8 nicht an Ausnahmen. Unter 
den Beamten vom alten Schlage war mehr al8 einer, ber wie Zerboni 
dachte und ben Unterichied zwiſchen dem Einſt umd Jetzt gar wohl be- 
griff. Ganz von felbft hatte ſich in der legten Zeit Friedrich Wilhelms II. 
erft innerhalb der Staatsdienerſchaft, dann von hier weiter ſich verbreitend 
auch innerhalb des Bürgertums eine Oppofttionspartei gebildet. An fich 
Hein und ohne Einfluß, hatte fie alles vom Kronprinzen gehofft. Jetzt 
da er ben Thron beftiegen, war fie voll Erwartung. Vorzüglich wünjchte 
fie die Säuberung der Minifterien und Oberbehörden von allen Elementen, 
die dem Staate zum Nachteil oder zur Unehre gereichten. 

Aber von ihren Erwartungen wurben nur wenige erfüllt. Friedrich 
Wilhelm III. begnügte fi), gegen einige der fchreiendften Mikftände ein- 
zuſchreiten, und auch dies that er mit Halbheit. Die ihm perjönlich ver- 
haßte Gräfin Lichtenau ließ er fofort nad) dem Ableben feines Vaters 
verhaften und dann aus der Stabt verweifen; eine mehr harte als ge- 
rechte Maßregel. Den Kriegsrat Berboni begnadigte er; aber den Mi— 
nifter, welchen diefer angeflagt hatte, jowie Die meiften andern hoben 
Beamten, über bie man ſchon geglaubt hatte ein Strafgericht hereinbrechen 
zu fehen, ließ er unangefochten. Da half es denn wenig, daß er durch 
ein Rundſchreiben den Behörden die Entfernung träger, unfähiger oder 
unredlicher Beamten, eine befiere Aufficht und Sparjamteit in der Ver- 
waltung, Ordnung und Rührigkeit in allen Bweigen des Staatsweſens 


Sans d. Selb. 483 


anempfahl. So erfchien auch eine Kabinetsorbre, die den Offizieren aufs 
ftrengfte das „Brüsfiren“ ber Bivilperjonen verbot. Aber andrerjeits be- 
ftärkte der König den Hochmut der Offiziere, indem er fie im Range den 
Bivibeamten unverhältnismäßig voranftellte. 

Nur in einem Stücke befierte er gründlich. Er entzog dem Mucker⸗ 
tum bie Hofgumft, an -bder es ſich genährt hatte. Er war aufrichtig 
fromm, aber feine Religiofität zeigte fich in praftifchem Chriftentum, 
legte das Hauptgewicht auf die Moral. Er hob bie orthodore Prüs 
fungstommiffion und das Religionsedikt auf und entließ deren Urheber. 
„Srüher ift kein Religiongedift im Lande geweſen“, fchrieb er an Wöllner, 
„aber gewiß mehr Religion und weniger Heuchelei.“ Auch Biſchoffs- 
werber verlor feinen Einfluß auf die Staatsangelegenheiten. Der König 
war zum Entfegen ber Dunkelmärmer fogar freifinnig genug, dem Philo⸗ 
fophen Fichte, den die ftrenggläubigen Theologen aus Jena vertrieben, 
den Aufenthalt in Berlin zu geftatten (1799). „Wenn es wahr ift“, 
meinte er, „daß ber Fichte mit dem lieben Gott in Yeinbfeligfeiten be 
griffen if, fo mag dies der liebe Gott mit ihm abmachen. Mir thut 
das nichts.“ 

Auch für die materiellen Interefien des Landes geſchah einiges 
Bute. Das Tabalsmonopol wurde aufgehoben und doch durch Orb» 
nung und Sparfamfeit das Finanzweſen allmählich in befferen Stand 
gejett. 

Indefien das war auch alles; man blieb im ganzen mit dem Nach— 
befſern Doch nur auf der Oberfläche. 

Die Enttäuſchung der „Gutgefinnten“, wie fie fi nannten, war 
groß. Aber immer noch meinten viele, es liege nur daran, daß ber 
König nicht wiſſe, wie es in Wahrheit um mandye feiner höchften Diener 
amd Räte beftellt fei. Ein Freund Zerbonis, der Dberzollrat von Held, 
unternahm e8, dem Könige biefe Einficht heizubringen. 

Hans von Held (geboren 1764 zu Auras bei Breslau) war ohne 
Zweifel einer ber beften Batrioten, bie in der Ießten Zeit ber alten 
Monarchie namhaft geworden find. Der Ruhm und die Wohlfahrt des 
preußiſchen Staates galten ihm alles, und er haßte leidenſchaftlich, was 
diefen Gütern Abbruch that. Von jeher ein Eiferer für Wahrheit und 
Recht — ſchon als Student in Frankfurt a. D. und Halle hatte er eine 
Art Tugendbund, ben „Konftantiftenorden", geftiftet, den er jedoch fpäter 
als unpraftifch wieder aufgab —, in feinem Amte zugleich von jeltener 
geipäftlicher Tüchtigfeit und durchweg ein ehrenhafter Charakter, ertrug 
er es nicht, daß Perſonen, die er für Stantsverderber hielt, ungeflört 
in den wichtigſten und einflußreichften Ämtern ſitzen follten. In Poſen, 
wo er 1793 als Ober⸗Aceiſe- und Zoll-Rat angeftellt worden, Hatte er 
viel Ungefepliches mitanfehen müſſen; aber als er darüber ſich zu freie 

31° 


484 Sriedrich Wilhelm III. 


Außerungen erlaubte, war er 1797 zur Strafe nach Brandenburg a. H. 
verſetzt worden. Auch Zerbonis Schickſal bewies ihm dann, daß es ein 
nutzloſes Opfer ſei, mit ungeſchloſſenem Viſir gegen die Machthaber auf- 
zutreten. Er beſchloß deshalb, lediglich die Thatfachen ſprechen zu laſſen. 
Unter der vorigen Regierung war ein Amtmann und Domänenpäcter 
in Krotofhin, Namens Fruenſon, burd die oberften Behörben der Ver— 
waltung und der Zuftiz aus feinem Befiß gebracht worden. Die beiden 
Minifter v. Hoym und v. Goldbed, auf deren Verfügung dies geſchehen, 
hatten damit nad) Helds Überzeugung ſchweres Unrecht verübt und zwar 
in einer Weife und aus Motiven, daß dieſer Fall ſich ganz bejonders 
eignete, ben Mißbrauch, ben fie mit ihrem Amte getrieben, darzuthun 
und dem Könige über ihre Unwürdigkeit die Augen zu öffnen. Er ver- 
ſchaffte ſich alſo die Fruenſon'ſchen Prozeßalten und machte den Fall 
zum Gegenſtande einer Schrift, die er im Winter 1800 zu 1801 heim⸗ 
lid) und anonym bei dem Buchhändler Frölich in Berlin druden ließ. 
Die für ihn beftimmten Abdrücke ſchickte er zum Einbinden nad) einer 
benachbarten fähfiihen Stadt. Der Buchbinder gab ihnen (wohl anf 
Helds Anweifung) ſchwarzen Umfchlag und ſchwarzen Schnitt und auf 
dem Rüden als Aufſchrift in filbernen Buchſtaben die Namen jener beiden 
Minifter. Von diefer Ausftattung erhielt die Schrift dann den Namen 
„das ſchwarze Bud”. Der wirkliche Titel lautete fo: „Die wahren 
Zatobiner im preußifchen Staate ober aftenmäße Darftellung der böſen 
Ränke und betrügerifhen Dienftführung zweier preußifchen Staats- 
minifter.* Darunter, ftatt des Drudortes: „Nirgends und überall“ und 
die Jahreszahl 1801. 

Von biefer Schrift ſandte Held — immer anonym — Anfangs 
Februar 1801 drei Gremplare mit der Poſt nad; Berlin, eins an dem 
König, eins an deſſen Vertrauten, den General von Köckritz, das dritte 
an ben Minifter Grafen von der Schulenburg, der für einen Gegner der 
Angegriffenen galt. Zu gleicher Zeit follten die übrigen Eremplare unter 
das Bublitum Tommen und fo mit einem Male der Sturm losbrechen. 
Zu diefem Zwecke hatte Frölich die ganze Auflage nad) Leipzig geihafft; 
von dort follten die Abdrücde in Die Welt gehen. Aber ein faljcher 
Freund Helds verriet den bebrohten Miniftern, was im Werke war. 
Sie mußten rechtzeitig den König gegen das Pamphlet und den Skan⸗ 
balmadjer, ber es in bie Welt gefeßt, einzunehmen und durften zur 
Unterdrüdung bes öffentlichen Ärgerniffes ihre Maßregeln treffen. Das 
Bud) wurde Tonfiszirt, der Verleger, ben man bald ermittelte, verhaftet 
und nun auf den Autor gefahndet. Held hätte ſich durch die Flucht 
retten können; aber da er und Frölich einander Verſchwiegenheit gelobt, 
fo blieb er. Sein Vertrauen täufchte ihn; Frölich nannte den Verfaffer, 
und nun wurde auch Held in Verhaft genommen und wegen Schmähung, 


Oppofitionsſchriften. 485 


der Miniſter und Verlegung der Ehrfurcht gegen den König in Unter— 
ſuchung gezogen. Das Ende war, daß FIrdlich auf ein halbes Jahr, 
Held auf anderthalb Jahre auf die Feftung fam. Als man Held ab» 
führte und er am Töniglichen Schloß in Berlin vorbeifam, rief er, die 
Arme zum Himmel erhebenb: „nun, Schidfal, du wirft Richter fein!" — 
Borerft hatte er nur die Genugthuung, daß bie öffentliche Meimmg, bie 
freilich wenig vermochte, für ihn Partei ergriff. Denn wenn auch die 
meiften Sendungen feines Buches in die Hände ber Polizei fielen, einige 
drangen doch durch und machten großes Auffehen. Indes gelang es den 
Miniftern aud) von dieſen Eremplaren wieder die Mehrzahl in ihre Ge- 
walt zu befommen, und in kurzem war bie Brandfchrift fo felten ge- 
worden, daß man fie feitdem faft als verjchollen betrachten konnte. 

Das Bud, begann mit einer Einleitung, in der fi) der Verfaſſer 
an ben König wendete, in einer Sprache, die von unerhörter, ja ftellen- 
weije übermäßiger Zreimütigkeit war. Kein Wunder, daß fie ihren 
Zweck verfehlte. So ungeftäm durfte zu Friedrich) Wilhelm III. fein 
Unterthan reden. 

Held berief fi) darauf, daß, was er gejagt, wahr fei. Er verfaßte 
in Kolberg, wo er bie ihm biftirte Strafe abbüßte, eine Rechtfertigungs- 
ſchrift, in welcher er neue Thatfachen wider v. Hoym und v. Goldbeck 
beibrachte, ımd er ſchickte diefe Schrift, der man ben Namen „das 
ſchwarze Regifter“ gegeben hat, im Jahre 1802 dem Gerichte ein. 
Doch Half ihm dies nichts. Daß jene Minifter fi) unter der vorigen 
Regierung mandjes hatten zu Schulden kommen laflen, bezmweifelte der 
König wohl nicht; aber er Hatte ein für allemal entſchieden, die alten 
Geſchichten follten nicht wieder aufgerührt werben. Nichts in ber Welt 
haßte er nun einmal fo fehr, wie einen „Mat“; darım und aus Pietät 
gegen das Andenken feines Vaters, der jene Verwaltungsfünden zuge- 
laſſen, blieb er dabei, auf das Materielle der Held'ſchen Denunziation 
nicht einzugehen, aber deren Form als ftraffällig zu betrachten. Übrigens 
befeidigte ihn nicht bloß der Ton, in welchem Held ſprach. Es mißfiel 
ihm überhaupt, es galt ihm als eime nicht zu duldende Überhebung, 
wenn ein Unterthan ihm in Staatsfachen ungefragt die Wahrheit fagte 
und Lehren gab. i 

Es erſchienen damals, heimlich gedruckt, noch andere Broſchüren, 
welche das Mißvergnügen der Oppofitionspartei fundgaben; eine, be- 
titelt „das gepriefene Preußen“, richtete ihre Angriffe jogar unmittelbar 
gegen den regierenden König felber. Aber fie erbitterten ihn nur und 
betehrten auch in feiner Umgebung niemanden; es blieben Stimmen tn 
der Wüfte. 

Am wenigften wurde an dem Heerweien und an ber äußeren Bolitit 
etwas geändert. Der König beließ die unfähigen Männer, die Preußen 


486 Jena. 


hier bisher fo übel beraten hatten, den Minifter von Haugwitz, den Ka—⸗ 
binetsrat Zombard u. a., in ihren einflußreichen Stellen, wie er dene 
überhaupt die Staatsdienerſchaft, die er vorgefunden, im großen und 
ganzen beibehielt. Für das beftehende Syftem, welches er durch ein 
beffere8 zu erſetzen fich nicht getraute, ſchienen ihm dieſe Leute, weil fie 
Erfahrung hatten und den Geſchäftsgang kannten, immerhin die brauch- 
barften Diener zu fein. Überdies hatte er, wie vor allem Neuen, fo ins« 
befonbere vor neuen Gefichtern eine faft unübermindliche Scheu. So trieb 
benn bie alte Monarchie haltlos der großen Kataftrophe zu, umwillig und» 
unvorbereitet in ben Weltkampf, der rings fie umbrandete. 


Iena, 


Der rafende Freiheitsichwindel der Revolution hatte ausgetobt; 
Frankreich war müde der Greuel, die im Namen der Republik an feinen 
Kindern verübt wurden; fchon war es auch der Republit felber müde. 
Aber geblieben waren die Kriegsluft, die Raub- und Ruhmgier, welche 
die Revolution im Kampfe mit dem Auslande entzündet hatte. Und 
wenn es nur gar wenige Republifaner mehr gab, fo waren befto mehr 
Soldaten da, die Geſchmack an dem Handwerk fanden, nachdem fie es 
einmal ergriffen. Der Jakobinismus lag in den Ießten Zügen, aber er 
hinterließ ein ungeheures Material von Kriegs-, von Machtmitteln und 
die Nation in Feindſchaft mit aller Welt. So ſchlug die Demokratie in 
ein Säbelregiment und die Republif in ein Cäſarentum wm. Denn 
ſchon war des glückliche Soldat da, der bie Erbſchaft ber Revolution 
anzutreten und mit ber gewaltigen Kraft feines Genies den Sieg an 
feine Fahnen und im Heere ganz Frankreich an feine Perſon zu fetten 
verftand. 

Am 5. Oftober 1795 gab es in Paris wieder einmal eine Erplofion : 
der Kern ber parifer Bürgerichaft ftürmte gegen ben Konvent, deſſen 
Kredit ſchon fehr gefunten war. Es galt, ihn vollends zu ftürgen. Aber 
der Konvent, obgleich ſchon in halber Auflöfung, bot dem Sturme mutig 
Trotz und ernannte auf des Abgeordneten Barras’ Vorſchlag zum Führer 
der Truppen einen jungen Artillerieoffizier, Napoleon Bonaparte. Die 
Wahl traf den Rechten. Der junge Offizier bemächtigt ſich eines Parks 
Kanonen und ſchmettert mit großer Ruhe die Vollsmafje nieder. Auf ih 
geftügt werfen dann Barras und ein par andere fid) zur „Direltorial- 
regierung“ auf. Bonaparte wird zum Dank im nächften Frühjahr al& 
General nad) Italien geſchickt. Er war damals erft 26 Jahre alt (geb. 
am 15. Auguft 1769 zu Ajaccio in Korfita); eine ımfcheinbare Geftalt, 
Hein, fehr hager, ein längliches olivengelbes Geſicht; aber „die ſchatf 


Rapoleon. 487 


ausgeprägten Züge, das lebhafte, forfchende Auge, das draftiihe Ge— 
berbenfpiel verrieten eine Feuerſeele und die breite, gedankenſchwere Stirn 
einen Denker"; und bie Truppen lernten bald ihren jungen General als 
den Kriegsgott erkennen, ber er war. Denn mit dämoniſcher Gewalt 
wußte er Berfonen und Verhältniſſe ftets feinen Zwecken dienftbar zu 
machen; das größte praktiſche Genie, welches Frankreich und Ztalien 
je erzeugt haben, vereinigte er mit dem euer unb ber Gejchmeidigteit 
bes Südländers eine eiferne Willenskraft; dabei war er troß feiner 
Jugend vol Erfahrung und Menſchenkenntnis und obmohl fein Glücks— 
ftern eben erft aufglimmte, feft überzeugt, daß derfelbe über alle empor⸗ 
flammen und niemals untergehen werde. Sein Heer glaubte ihm; führte 
er es nicht wundergleic von Sieg zu Sieg über jedes Hindernis unauf- 
haltſam dahin? Die Sardinier, die Ofterreicher wurben gefdjlagen, über 
ben Haufen geworfen, Oberitalien erobert, Mittel- und Süditalien nieder- 
geſcheucht. Mit Schreden jah die Welt eine neue furchtbare Macht er- 
ftehen, aus dem Chaos ber Revolution die legte, entſetzliche Geburt: 
den Bonapartismus, ein Ungetüm, das des Gegners Heere ſchlug, bie 
DVölfer töberte, die Regierungen entzweite und einſchüchterte, alle aber, 
Freund und Feind, an der Furcht und an der Selbſtſucht faßte und mit 
eigener, ſchnödeſter Selbftfucht ausnutzte. Im nächften Feldzug errang 
Bonaparte, Macchiavelli und Cäfar in einer Berfon, noch glänzenbere 
Triumphe. Er trug feine fiegreihen Trikoloren aus Italien in bie 
Alpenländer, bis in das Herz der öfterreichifchen Monarchie und erreichte, 
dant der Engherzigkeit, Feigheit und NKurzfichtigfeit Franz' II, ben 
Frieden von Gampoformio. „Lieber dem Yeinde eine Provinz opfern 
als das Volt bewaffnen, denn dies hieße den Thron umftürzen“, meinte 
Kaifer Franz und trat (im Oktober 1797) das linke Rheinufer, bie 
Niederlande und Oberitalien an Frankreich ab, wogegen er als Schmer- 
zensgeld Venedig erhielt. 

Der Kongreß zu Raftatt follte dann aud) zwiſchen Frankreich 
und dem beutfchen Reiche Frieden fchaffen. In diefer Diplomaten» 
verſammlung fpielten die Franzoſen num auf empörendfte Weiſe die 
Herren. Die elende Verfaſſung Deutichlands mit den hunderten von 
LZandesfürften, fowie die jämmerliche Politit der beiden: deutichen 
Großſtaaten erleichterte ihnen das Spiel. „Wenn der deutſche Reichs- 
körper nicht eriftirte, fo müßte man ihn ausdrücklich zu Frankreichs 
Nugen erſchaffen“, fchrieb Napoleon damals höhnend, aber wahr, nad 
Paris. 

Die Dinge geftalteten fi zwar wieder „für Deutichland etwas 
günftiger. Denn während Napoleons Abweienheit, den das Direktorium 
zur Eroberung Agyptens abgefandt, trat Sfterreich abermals in ben 
Krieg ein, und Rußland ſchickte ein Heer zu Hilfe. Raſch trieben Erz- 


488 Jena. 


berzog Karl und der Ruſſe Suworow den Feind aus Deutfchland, aus 
Italien. Da kehrte (Oftober 1799) Napoleon aus Ägypten zurück; ganz 
Frankreich jauchzte ihm als dem Manne der Zeit zu. Er eilte nach 
Paris, ftürzte (10. November) mit Solbaten die Regierung und ließ ſich 
zum „erften Konful der Republik” ernennen; in der That war er mm 
ihr unumſchränkter Herr geworben, wenngleich er es noch für nützlich 
bielt, den neuen Despotismus mit alten republikaniſchen Formen und 
Redensarten einigermaßen zu verhüllen. Die Einfichtigeren erkannten 
zwar ſchon jeßt die ſchrankenloſe Selbftfucht, die maßlofe Herrſch- und 
Ruhmgier und bie eifige Menfchenverachtung dieſes „Konfuls“; bie 
Menge aber freute ſich, daß nım eine „ftarke Regierung” dem ewigen 
Hin- und Herſchwanken der öffentlichen Verhältniffe ein Ende machen, 
Ordnung und Geſetz feft herftellen und Frankreich zugleich) mit Ruhm 
und Beute bereichern werbe. 

Diefer Mann ftand jet alſo an der Spitze aller Kräfte einer großen 
Nation den Herrſchern Europas gegenüber. Es bezeichnet ihre Ber- 
blendung, daß fie die Gefahr nun für geringer hielten. Er war doch 
ber Bezwinger der Revolution; freilich, ein Parvenü, aber die Revolu⸗ 
tion beenbigt zu haben, dies Verdienſt adelte den Advokatenſohn. So 
ſah namentlid) der berliner Hof die Dinge an. Auch fprad) der fran- 
zöſiſche Diktator fo gemäßigt, redete fo gut von feiner Friebenstiebe 
und befonder8 von feiner Freundſchaft für Preußen. Friebric Wilhelm 
hielt alfo fefter als je an feiner Politit der „freien Hand“, der Reutra- 
lität, bes Abwarten. Sie galt ihm in dieſem Weltkampfe für die größte 
Weisheit. Schon im vorigen Jahre, als Preußens Beitritt zu der 
„zweiten Koalition“, die England zufammengebracht, von jedem wahren 
Staatsmann hätte für notwendig erflärt werben müfjen, wiberftand ber 
König dem Andringen Rußlands und OÖſterreichs und blieb parteilos. 
Seine Höflinge nannten das abwartende Klugheit, was „im letzten Grunde 
doch nur Meinmütige Unentfchlofienheit und Mangel an großftaatlihem 
Selbftvertrauen“ war. Der franzöfiche Gefandte in Berlin, der Muge 
Sieyes, ſchrieb damals fehr treffend an Talleyrand: „Der König von 
Preußen faßt die fehlechtefte aller Entſchließungen, die, ſich für feine zu 
entſcheiden. Preußen will allein bleiben; das ift jehr bequem für Frank⸗ 
reich: es Tann während. diefer preußiichen Betäubung mit ben andern 
fertig werden. Mit Unrecht jagt man, Berlin ſei ber Mittelpunkt der 
europäiſchen Unterhandlungen; die ganze Weisheit des berliner Hofes 
befteht darin, mit Ausbauer und Hartnäckigkeit eine paffive Rolle zu 
fpielen." Friedrich Wilhelm beharrte auch jeht dabet, nichts zu thun . 
Die Meinung, man werde ihn in Ruhe laffen, wenn er bie andern nicht 
ftöre, ging bei ihm bis zum Aberglauben. Er konnte ſich jagen, Preußen 
bedürfe des Friedens, um ſich innerlich ganz neu zu geftalten und fo erft 


Preußens Reutralitäts-Politik, 489 


in rechten Verteidigungszuftand zu ſetzen. Aber eben dieſe Neugeftaltung 
unterließ er; e8 blieb im wefentlichen alles beim alten. 

Inzwiihen war Katfer Paul von Rußland aus der Koalition ge- 
ſchieden, hatte fogar zu Napoleons Freude in Verbindung mit Schweden 
und Dänemark, um Englands Seehegemonie zu beſchränken, die „nordifche 
Neutralität“ errichtet und drängte nun Preußen in diefelbe Richtung; 
Friedrich Wilhelm trat (1800) ber nordiſchen Neutralität bei, ſchien alfo 
auf die Lehre der Franzofen, Preußen und Frankreich feien natürliche 
Verblndete, mehr als bisher zu geben. Ihn beftärkte darin das Miß— 
geſchick, das über ſterreichs Waffen waltete. Es hatte mutig ausgehalten, 
aber das Glüd warf bem erften Konful bei Marengo (Zuni 1800) den 
Sieg in ben Schoß; er eroberte die Lombardei, und aud in Süddeutſch- 
land gewannen bie Yranzofen eine große Schlacht (bei Hohenlinden). 
Die Frucht diefes Feldzuges war ber Friede zu Lünenille (Februar 1801), 
in welchem Ofterreich und das deutſche Reich die Bedingungen des Siegers 
annehmen mußten: Ztalien (außer Venedig), Holland und die Schweiz 
Tamen als Tochterrepublifen, dag ganze deutſche Rheinland der linken Seite 
als Provinz in Frankreichs Hände. Friedrich Wilhelm ging nun einen Schritt 
weiter auf dem neuen Wege, ben feine Politik eingefchlagen; er beſetzte 
(1801) zum Schuß der Rorbfeetüfte Hannover und ließ es fi) gefallen, wie 
die andern größeren beutjhen Fürſten, die durch den Lüneviller Vertrag 
Einbuße erlitten, auf Koften der Meinen Reichsftände, befonders durch 
Säkularifirung geiftticher Güter, entichädigt zu werben; ber regensburger 
Reih8-Deputations-Hauptjchluß vom 25. Februar 1803 ordnete 
unter Frankreichs und Rußlands Vermittelung dieſes Geſchäft, das durch 
die ſchamloſe Selbfſtſucht, durch das Feilſchen und Zugreifen der meiſten 
Beteiligten noch widerwaͤrtiger wurde. Preußen erhielt babei- zum Lohne 
für feine Fügſamkeit gegen Frankreichs Politik eine nicht unbeträchtliche 
Vergrößerung: es hatte Geldern, Mörs und einen Teil von Kleve ver- 
loren, 43 Duadratmeilen mit 127 000 Einwohnern, und befam für biefe 
linksrheiniſchen Befigungen einen Erſatz im inneren Deutſchland, der das 
Vierfahe an Umfang und Bevölkerung betrug, nämlich die Bistümer 
Hildesheim und Paderborn, ben größten Teil vom Bistum Münfter mit 
diefer Stadt, Erfurt und andere kurmainziſche Gebiete in Thüringen, 
die Grafihaften Treffurth, Untergleihen, das Eichsfeld, bie Abteien Her- 
ford, Quedlinburg, Elten, Efjen, Werden, Kappenberg und bie Reichsftäbte 
Mühlhaufen, Roröhaufen und Goslar — im ganzen ein Gebiet von 
178 Duadratmeilen mit mehr als einer halben Million Einwohner und 
einer Stantseinnahme von vier Millionen Reichg-Gulden. 

Aber wog biefer materielle Gewinn ben Verluft an Ehre und An- 
fehen auf, den die Großmacht Preußen durch ihre ſchwachmütige Haltung 
erlitten hatte? Zwar weber im beutfchen Wolfe noch in den deutſchen 


4% Iena. 


Regierungen lebte ein rechtes Gefühl von der Schmach, in die Deutſch- 
land verfanf, da es alfo vom Auslande behandelt warb. Viele ſahen 
fogar, und mit Recht, eine Wohlthat darin, daß man mit der beutjchen 
Kleinftanterei gründlich aufräumte, daß fo viele Heine Feudalweſen und 
Pfaffenſtaaten verfchwanden, daß, werm es zur Ginheit nicht kam, doch 
nun beren Hindernifje ſich verminderten; aber die Hand, die dem Reichs- 
gefpenft an fein Scheinleben griff, war eine fremde, und felbft wer nur 
Sreuße, nicht aud) Deuticher fein mochte, hätte es für eine Veſchädigung 
der vaterländijchen Intereſſen halten follen, daß nunmehr ein Neuntel 
des Flächenraums (1155 Quadratmeilen) und ein Siebentel der Benölfe- 
rung (3%, Million) von Deutſchland abgerifien und zu Frankreich ge— 
ſchlagen waren, und daß die größeren Staaten, die übrig blieben, Baden, 
Würtemberg, Baiern, von nun an im Bunde mit Frankreich, mit der 
Macht fanden, durch die fie waren vergrößert worden. 

Dennoch; beharrte Preußen fort und fort in behaglicher Selbftzufrieden- 
beit oder redete fi) doch ein, daß dag Stilffigen unter den gegebenen Ber- 
hältnifien eine Rotwendigteit fei. Der König ermannte fid) auch dann nicht 
zu einer That, als Napoleon eine neue Demütigung über Deutſchland ver- 
böngte, Die gerabe auch den preußiſchen Staat beihimpfte und beſchädigte. 
E ſchickte fid) an, Hannover, welches die Preußen noch 1801 wieder ge 
räumt, felber zu befegen, ba er auf anderen Punkten dem Könige von 
England nicht beifommen konnte. Nun forderten die Klugheit und die 
Ehre gleich dringend, da Preußen diefe Verlegung ber norddeutſchen 
Neutralität, diefen Bruch des bafeler Friedens nicht dulde. Es durfte 
die Franzoſen nicht in das Gerz feines Machtgebietes, nicht in ben Befig 
der Weſer⸗ und Elblinie kommen laflen; es mußte feine Truppen wieder 
nad) Hannaver werfen, um den Krieg von feiner Thür fer zu halten 
ober ihn im beflerer Lage annehmen zu können. Aber Friedrich Wil⸗ 
heim IIT. haßte überhaupt Die Kriegsgedanfen, meinte auch nicht die 
Mittel zu einem Kriege mit Frankreich in Händen zu haben, ımb 
wähnte, ihn durch Nachgiebigkeit vermeiden zu können. Er überließ 
daher Hannover feinem Schickſal. Die feige und unfähige Regierung 
dieſes Landes überlieferte es ben Franzoſen ohne Schwertſtreich (Juli 
1803). Was Preußen nicht wagte, konnte dem deutſchen Reiche natüre 
lich nicht von fern in den Sinn kommen. Es lag im Sterben, und die 
Heinen &emeinwejen darin, weldje fo eben die Heineren verjchlumgen 
hatten, bildeten darum noch feine Macht, weil fie die Macht über das 
Recht ſetzten. „Wem Deutſchlands Unabhängigkeit und Selbftändigteit*, 
ſchrieb 1804 der Reichsritter Freiherr vom Stein, „wenn diefe für bie 
Nation fo wohlthätigen großen Zwecke erreicht werden follen, fo müfjen 
die Meinen deutſchen Staaten mit den beiden großen Monarchien, von 
deren Eriftenz die Zortbauer des deutſchen Namens abhängt, vereinigt 


Dritte Koalition. 491 


werben, und die Vorſehung gebe, daf ich dieſes glüdliche Ereignis er- 
lebe." Das hatte lange Wege. 

Nachdem die preußifche Neutralitäts-Bolitit fo vor aller Welt in 
threr Ohnmacht aufgededtt worden, fuchte der König das Anfehen feines 
Staats durch ein entichiedeneres Anlehnen an Frankreich, zu kräftigen, 
unb da Rapoleon ihn vor der Hand noch brauchte, fo fehienen beide 
eine zeitlang auf freundſchaftlichem Fuße mit eimander zu ſtehen. Am 
18. Mai 1804 warf Napoleon die republitantichen Formen ganz bei 
Seite und ließ fich zum erblichen Kaifer der Franzofen ausrufen. Preußen 
und Öfterreich wetteiferten, ihn wegen dieſes Schrittes zu beglückwünſchen; 
das legtere nahm aber davon Veranlaffung, ſich ebenfalls mit der Kaifer- 
würde zu ſchmücken, was um ſo ratjamer ſchien, ba es mit dem deut⸗ 
fchen Kaifertum zu Ende ging. Am 14. Auguſt 1804 erflärte Franz IL 
feine öfterreichifchen Staaten zu einem erblichen Kaiferreih. Auch 
Friedrich Wilhelm III. ward der Vorſchlag gemacht, ſich in ähnlicher 
Beife zu erhöhen; man riet ihm, ben Ramen eines Kaiſers von Preußen 

anzunehmen; er wollte jedoch aus Beſcheidenheit davon nichts wifien. 

Trotz aller Bean der Höfe lag indes ein neuer 
Krieg in der Luft. In ihrem Hergen fühlten bie eumopäifchen Yürften 
Haß und roll gegen ihren neuen Kollegen, diefen Emporlömmling, der 
aus einem namenlofen Artilerieleutnant Kaifer geworben war, und ber 
vielen unter’ ihnen fo ſchwere Nackenſchläge gegeben hatte. Am feinb- 
lichften war die Stimmung in Wien, wo man bie größten Berlufte er- 
litten. Auch ber junge und ehrgeizige Kaiſer Alerander I. von Rußland 
grollte über die weite Ausbreitung der franzöfiichen Macht. So wurde 
es ber britifchen Regierung nicht ſchwer, dieſe beiden Mächte zu einer 
„dritten Koalition“ zu bewegen, welche Frankreichs Übergriffen noch ei 
mal mit den Waffen in der Hand entgegentreten ſollte. Beide Parteien 
bemühten ſich wieder um bie Hilfe Preußens, und jet war für biefen 
Staat der letzte Moment gelommen, fi) aus feiner ſchiefen Stellung 
aufzurichten. Nur durch den Beitritt zum Koalition konnte er noch ge 
rettet werden. Es gab in der Umgebung bes Königs Stimmen gemug, 
die dazu .rieten; fein Vetter Prinz Louis. Ferdinand ftand an der Spitze 
diefer Partei, die den Krieg gegen Frankreich wünſchte; auch die Königin 
neigte dieſer Richtung zu. Aber noch eifriger flüfterten die Mutlofen, 
die Politiler bes Richtsthuens ihre Ratſchläge, und der König jelbft 
hatte feine Luft, mit feinem bisherigen Syſtem zu breden. Gr meinte, 
weil er fich bis jept fo ohne Krieg durchgewunden, jo werde ihm folches 
fid) Durchwinden auch in Zukunft möglich fein. Nur zu einem Mittelmege 
zu diplomatiſchem Flickwerk gab er feine Zuftimmung: Preußen verjuchte 
zwiſchen Paris und Petersburg einen Ausgleich anzubahnen. Damit 


492 Jena. 


verdiente es fi) nirgend Dank; beide Teile waren zum Sriege ent- 
fchlofien, der dann im Spätfommer 1805 ausbrad). 

Preußens Schwert Tonnte jetzt die eine oder die andere Wagſchale 
fenfen. Rußland meinte, durch eine Verbindung von trogiger Drohung 
und Viebfofender Schmeichelei ben König in die Koalition hineinzwingen 
zu können. Napoleon Iodte mit dem Beſitz Hannovers. Preußens 
höchſte Intereſſen wiejen ins Lager der Verbündeten; die niedere Selbft- 
fucht trieb, zu Napoleon überzugehen, — für eins von beiden mußte 
man fid) entſcheiden. Hardenberg, feit 1804 an Haugwitz' Stelle Minifter 
des Außern, erfannte dies wohl; aber nicht er, fondern bie Brivatratgeber 
des Königs, der Kabinetsrat Lombard, der General Köcrig, der Graf 
Haugwitz, hatten befien Ohr, und fie hatten es, weil fie mır anrieten, 
was der König zu hören wünſchte: Neutralität, Neutralität um jeden 
Preis‘). So verblieb denn Friedrid Wilhelm hartnädig bei einer Po— 
Titif, die jeder Einfichtsvolle verurteilen mußte, die „mweber die rechte Kraft 
zum Guten, noch den Mut des Schlechten" befaß, die ſich unentichloffen 
bald hierhin, bald dorthin neigte, und die zulegt an ihrer Schwäche und 
Halbheit zugrunde ging. Denn während der König von Preußen ftil 
aß, geihah es, daß Napoleons Heere, von Baiern, Würtemberg, Baden 
verftärft, längs der Donau vordrangen, die fchlechtgeführten Ofterreicher 
in einer Reihe von Schlachten überwältigten und Anfangs November 
Bien erreichten. Nicht einmal die Verlegung bes preußifchen Gebiets, 
der Durchzug franzöfticher Truppen durch Ansbach, brachte den König 
zu einer That; auch nicht des Zaren perjönlihe Einwirkung. Alerander 
Tam ſelbſt nach Berlin und ſchloß mit Friedrich Wilhelm in empfind- 
famfter Weife ein Bündnis; in der Nacht vom 3. zum 4. November 
1805 am Sarge Friedrichs des Großen in Potsdam fehworen fie ein- 
ander Freimndſchaft. Aber nun in diefem letzten, allerletzten Augenblide 
wirklich loszuſchlagen, dazu fehlte e8 dem Könige doch wieber an Ent- 
ſchlofſenheit. Vielmehr beſchränkte er ſich darauf, ben Grafen Haugwitz, 
den er fchon im Dftober dem Minifter Hardenberg in ber Leitung des 
Äußeren an die Seite gefeßt hatte, an Napoleon abzuſchicken, damit er 
diefem Vorftellungen mache, und begab ſich felbft dann aufs Land nach 
feinem geliebten Schloß Paretz, um bier, wie er e8 gern hatte, fi) 
idylliſch zu erholen. 

So ging die Gelegenheit zur Rettung unwiederbringlich verloren. 
Napoleon beſetzte Wien, drang in Mähren ein, um dort das ruffiiche 
öfterreichtiche Hauptheer zu fehlagen. In dieſem Augenblice erfchien 
Haugwiß bei ihm; Napoleon gelang es leicht, dieſen ſchwachmütigen 





*) Bgl. Denkwurdigkeiten des Staatskanglers Pürften v. Hardenberg, herausg. von 
2. v. Rante, Leipzig 1877, II. 188 ff. u. a. 


Schwaͤche und Dunkel. 493 


Diplomaten, der ohnehin von feinem Könige friedfertige Weifungen 
empfangen hatte”), durch leere Verhandlungen binzuhalten, bis er am 
2. Dezember in der „Dreifatferfchlaht" bei Aufterlig die Verbündeten 
befiegt hatte. Kaifer Franz bat jegt um Frieden (4. Dezember); er er» 
hielt ihn (zu Preßburg 26. Dezember), aber unter den härteften Bedin- 
gungen: Ofterreich wurbe aus Italien völlig, aus Deutſchland faft ganz 
hinausgedrängt; mit den deutjchen Provinzen, die es einbüßte, wurden 
Napoleons Vafallen, die Herricher von Baiern, Würtemberg, Baden be» 
lohnt. Die Koalition war gefprengt, die Ruſſen zogen in ihr Land 
zurüd. Auf Haugwitz aber machte Napoleons Glüd einen fo übermäls 
tigenden Eindruck, daß er ſich die empörendfte Behandlung gefallen ließ, 
um dann (am 15. Dezember zu Schönbrunn) eigenmächtig einen Vers 
trag zu unterzeichnen, deſſen Schimpflichleit er gar nicht einmal zu fühlen 
ſchien: er willigte in die Abtretung preußifcher Provinzen, Ansbach, 
Wefel, Kleve, Neuenburg, und zum Entgelt follte Preußen das Kurfürften 
tum Hannover, da8 Eigentum des Königs von England, mit dem es in 
Frieden lebte, nehmen dürfen. ALS dieſer Vertrag, ber Preußen in ers 
niebrigenber Weiſe einen Biffen für die Habgier zuwarf, am berliner 
Hofe eintraf, „Ichäumte nicht nur die Kriegspartei auf, fondern trat 
fogar der König für einen Augenblid zornvoll aus feinem Phlegma 
heraus." Allein Lombard und der preußifche Gefandte in Paris Marquis 
Luccheſini ſchläferten diefe Aufwallung wieder ein, und auch Hardenberg 
war furzfichtig genug, die Annahme des Vertrages und die Abrüftung 
anzuraten. Friedrich Wilhelm ſuchte wieder nad) einem Mittelweg 
zwiſchen Ja und Nein, nahm den Vertrag nicht eigentlich an, lehnte ihn 
aber auch nicht ab und ſchickte, während er fein Heer auf den Friedens» 
fuß ſetzte, Haugwitz nad) Paris, um mit dem Kaifer aufs neue zu unter 
handeln. Dieſe haltlofe Schwäche, Diefes ewige Schwanken veranlaßte 
Napoleon zu den bitterften Außerungen: „der preußifche Hof ift ebenjo 
falfch als dumm“, fchrieb er damals an einen feiner Brüder; Preußen 
wurde ihm zugleich verächtlic, und verhaßt. Er überhäufte es von nun 
an mit Demütigungen und nötigte den König durch Drohungen zu 
einem Allianz-Bertrage (15. Februar 1806), ber für diefen nod) ſchmäh- 
licher war als der ſchönbrunner; denn es kam noch ein Artifel Hinzu, 
der bie preußifche Politik an die franzöſiſche kettete und den Bruch mit 
England gebot. Hardenberg, der immerhin eine würdigere Richtung 
verfolgte, mußte nun an Haugwitz völlig den Platz räumen. Aber wenn 
Friedrich Wilhelm nicht wagte offen zu wiberftehen, fo fuchte er doch 
durch heimliche Unterhandlungen aus dem bonapartijchen Netze zu ent- 
kommen. Er ſchloß ohne Wiſſen des Minifteriums einen Bundesvertrag 


) v. Schön, Aus ben Papieren u. f. w. IV. 543. 


494 Jena. 


mit dem ruſſiſchen Katfer und unterhielt mit diefem — ebenfalls im 
ttefften Geheimnis — einen Briefmechfel, der ganz anders lautete als 
die öffentlichen und offiziellen Depeſchen, welche nad) Petersburg geſchickt 
wurden. 

Mit diefer Schwäche und Charakterlofigfeit der Regierung bildete 
der Dünfel in den oberen Schichten des Volks einen um fo widerwärti- 
geren Gegenfag. Vor allen ber Offizierftand zeigte ſich in feiner Mehr- 
zahl jeder politifchen Bildung und Einficht bar; dieſe Gifenfreffer, ſchaden⸗ 
froh über die Niederlage der Öfterreicher, meinten, „das könne den Blau- 
röcken mie begegnen, jo ausgeklopft zu werben wie bie Weißröde." 
„Generäle wie ber Herr von Bonaparte” — fagte ber General v. Rüchel 
auf einer Parade in Potsdam — „hat die Armee Sr. Majeſtät mehrere 
aufzuweiſen.“ Er felbft, Rüchel, hatte doch nur Ererzier- und Verwal⸗ 
tungstalent und war ein tapferer Soldat, aber kein Feldherr. Am 
ärgften bramarbaftrten natürlich die jüngeren Offiziere. Der adlig- 
foldatijhe Übermut trat bei ihnen, zumal bei den eben aus ben 
Kabettenhäufern entlafienen, Halb komiſch und halb wiberlich zu Tage; 
er war der häßlichfte Charakterzug des Preußentums jener Zeit und 
machte es bejonders den Bewohnern der neuerworbenen Provinzen 
verhaßt. Ein Zeitgenofje, der es in den Jahren 1803 bis 1806 in 
Münfter beobachtete, melbet darüber:*) „Die langen Degen in wagrechter 
Lage an ber Seite, fahen die bartlojen Kerlchen mit bem gewaltigen 
Sturmhut auf dem Heldenhaupt aus, wie mit einer Stecknadel auf- 
gefpießte Brummfliegen. Diefe Knaben-Dffiziers ftolzirten in langer 
Front auf dem Prinzipalmartt umher und unter den Lauben mit einer 
Unverfhämtheit und Brutalität, bie felbft die Verftänbigen unter ben 
preußifchen Beamten empörte. Wer ihnen in den Weg kam und nicht 
bei Zeiten auswich oder nicht mehr ausweichen konnte, wurde mit dem 
Rohrſtock oder mit dem Degenknopf bei Seite geftoßen, und Frauen und 
Jungfrauen, die das Unglüd hatten, in das Bereich diefer entarteten 
Zugend zu geraten, wurden durch die jchamlofeften Neben und felbft 
durch Handgriffe infultirt. Diefe Bande führte in Wein- umb Speije- 
häuſern und bei den Konditoren das große Wort. Wir werben, lärmten 
fie, den Franzofen und ihrem Bonaparte ſchon zeigen, um was es fi 
Handelt, wenn fie uns zu nahe kommen. Er foll uns kennen lernen!“ 
Wie ſtach dagegen das Benehmen des wirklich verdienten Kriegsmanns, 
der damals in Münfter Tommandirte, des Generals v. Blücher, ab! 
Er war gegen jedermann und beſonders gegen ben Bürger und gegen 
die niederen Leute Die verkörperte Humanität,. baher auch ber einzige 


) Meine Wallfahrt durchs Leben, v. e. Sechsundſechiger I. 285. Del. v. Lang 
a. 00.1 65. 


Die preußtigen Offigtere. 4% 


populäre Offizier, den es dort gab. Doch teilte auch er die Meinung 
von der Unüberwindlichkeit der Armee. Es kam mun die Beit, fie zu 
‚erproben. 

Durch die erbuldeten Demütigungen hatte Friedrich Wilhelm nichts 
erfauft als noch fchlimmere Kränfungen. Denn Napoleon, heimlich vor 
Begierde brennend, die berühmten Soldaten Friedrichs des Großen zu 
{lagen und die Schande von Roßbach glänzend zu tilgen, juchte den 
Krieg; er trat daher immer feindfeliger gegen Preußen auf, fchaltete 
rüdfichtlos in den deutſchen Dingen, gab Kleve und Berg feinem 
Schwager Joachim Mürat, wie er Holland in ein bonapartiſches König- 
reich verwandelte. Dann folgte gar die Stiftung des Rheinbunds 
(12. Zuli 1806). Sechzehn deutſche Fürften, voran Baiern, Würtem⸗ 
berg, Baben, Hefien » Darmftadt, Rafjau, trennten fid von dem bis— 
herigen Neichöverbande . und erkannten den Kaifer Napoleon als Pro— 
teftor, d. 5. als ihren Herm an. Damit Löfte fi das deutſche Reich 
völlig auf, Franz II. legte (am 6. Auguft 1806) fein Amt als deutſcher 
Kaiſer nieder. So zerfiel Deutfchland in drei Staaten: Preußen, Ofter- 
rei) und den Nheinbund. Der Iebtere war bereits in franzöfticher Ge— 
walt, Öfterreidh eben zu Boden geſchlagen, die Reihe kam an Preußen. 
Napoleon ließ ihm Feine Wahl mehr; er verhößnte und beirog es; bot 
Hannover den Engländern, Preußifch-Polen den Ruffen an, wenn fe mit 
ihm Frieden nad feinem Wunſche ſchlöffen, und mahnte heimlich bie 
Heinen norddeutſchen Fürften ab, fich um Preußen zu ſcharen, obwohl 
er die preußiſche Hegemonie in Norddeutſchland anzuerkennen verſprochen 
Hatte. Aufs äußerfie gebracht, entſchloß fich nun Friedrich Wilhelm doch 
zum Schwerte zu greifen; aber jet zog er es ebenfo unzeitig, als er es 
früher hatte fteden Laffen. 

Denn mit welchen Mitteln ging er in ben furdtbaren Kampf? 
Wie ftand es in der. Wirklichkeit mit dem preußiſchen Heere, das fo hoch⸗ 
mütig auf die Lorbern Friedrichs des Großen pochte? Es war hart- 
nädig bei einer abgelebten Kampfweife und Wehrverfaffung verblieben. 
„Die Offiziere aufwärts zählten manche treffliche Männer, im ganzen 
war es aber eine wurmftichige Geſellſchaft. Ihre Stellen waren ihre 
Pfründen, die im Kriege nichts einbrachten, fie liebten daher den Trieben." 
Die meiften Generale waren Invaliden, ihr Körper abgelebt und ge- 
brechlich, ihr Geift in totem Formelweſen erftarrt. Alle höheren Gene- 
tale zählten 70 Jahre und mehr, alle Stäbsoffiziere zwifchen 50 und 
60 Jahren. Nun wäre freilich das Alter an ſich fein Fehler geweſen, 
eher ein Vorzug — pflegte doch Napoleon zu jagen: gebt mir alte Offt- 
ziere und junge Soldaten! Allein da in Preußen die Stellen nur dem 
Adel zugänglic, waren, und bei der Wahl Friedrichs Blick fehlte, vielmehr 
Anciermität und Gonnerion entſchieden, fo mangelte es gar ſehr an 


4% - Ina. 


Talenten, oder fie blieben unbeachtet. Ebenfo fehlten Kenntnis und Bile 
dung. Die meiften Offiziere hatten ja ſchon im zarten Alter, als Knaben 
von zehn, elf Zahren das Patent erhalten und feitbem wenig anderes 
gelernt als die Außerlichfeiten bes Paradedienftes. „Diefe herkömmliche 
Einrichtung, Kinder als Kombattanten dem preußijchen Heere einzuver- 
leiben, deffen Paniere ihren ſchwachen Händen anzuvertrauen und dafür 
ihnen die Anwartſchaft auf die Offizierftellen zu erteilen, war freilich 
für die Eltern fehr bequem. Sie konnten ihre Söhne, nachdem deren 
Unterricht kaum begonnen, ſchon aus dem Haufe und aus ihrer Zucht 
entlafien und ſich durch einige Thaler monatlicher Zulage von aller 
Sorge für eine fernere Erziehung bderfelben loskaufen. Auch hatte der 
Knabe ben Vorteil früher zu den Befehlshaberftellen hinaufzurüden; jo 
tonnte ein Offizier, der 40 Jahre alt war, dem Staate meiftens eine 
Dienftzeit von 30 Jahren anrechnen."*) Mit den gemeinen Soldaten 
war es nicht Müger beftellt. Sie waren größtenteils zu alt, meift Fa— 
wmilienväter, die ins Feld; in den Krieg zu ziehen nicht viel Luft und 
Eifer haben konnten. Sold, Ausrüftung und Bewaffnung waren fehr 
mangelhaft, die Verpflegung elend, der Mann erhielt täglich 2 Pfund 
ſchlecht gebacknes Kommißbrot und wöchentlich 1 Pfund Fleiſch; die 
Uniformen vom loſeſten Tuch und fo knapp und eng, daß die Soldaten 
fid) darin kaum rühren konnten. Von der neuen Kriegskunſt verftand 
man nichts, man kannte und ſchätzte nur die veralteten Drilltünfte, ben 
Kamafchendienft, die Griffe und Regeln des Exercitiums, Die vor 
50 Jahren gut geweſen. „Die Zopf- und Pubderquälerei ging ins Un» 
glaubliche. Genaues Gleihmaß der Zöpfe eines Regiments war ein 
Hauptziel der preußifchen Kriegskunſt.“ Die Ererzierpläge hallten wieder 
von wüſten Flüchen, von raftlofem Gefuchtel. Es war empörend zu fehen, 
wie halberwachfene Offiziere für den geringften Formfehler alte Soldaten 
oft halbtot prügeln durften. Und doch troß aller eingeprügelten Parade 
fertigfeit bewegte fi) das Heer im Felde nur langjam. Denn nad) 
alter Mode waren die Soldaten mit ſchwerem, zum großen Teil un- 
nüßem Gepäck (beſonders Putzzeug) bepadt, und die Offiziere führten 
einen ungeheuren Troß mit fi. ALS ein verftändiger junger Offizier 
ben General v. Rüchel darauf aufmerfam machte, daß bei der Infan- 
terie aud) die Subalternoffiziere ritten, wodurd unter andern Nachteilen 
ein Geſchleppe von 50 Luruspferden bei jedem Regiment entſtand, ſchnarrte 
Herr v. Rüchel: „Ein preußijcher Edelmann geht nicht zu Fuß." — So 
zogen denn die Truppen wie bie Lafttiere bepackt, ſchlecht gekleidet, 
ſchiecht ernährt und viel gefuchtelt dahin, ein ſchwerfälliger, geiftlofer 
Haufen. Auch ihre Zufammenfegung war noch die alte. Die Soldaten 


*) Gneifenau, Verlehrte Welt, bei Perk Lehen Gneifenau's I. 380. 


Verrottung des Heeres und des Staates. 497 


gehörten zu einem großen Zeile dem Auswurf aller Nationen an, den man 
durch Werbung unter die preußifchen Fahnen gebracht und durch Prügel 
zu Ererziermafchinen gedrillt hatte; die Eingeborenen waren dem Pöbel 
entnommen, dem ländlichen und ftädtifchen Proletariat, auch für fie ſchien 
der Korporalsſtock noch immer ein notwendiges Übel. Bon Vaterlands- 
liebe, von Begeifterung war bei ſolchen Leuten nicht die Rebe, fie konnten 
in dem Militärbienft nur eine Laft ſehen. Woher jollte ihnen ſelbſt das 
rein militärische Ehrgefühl fommen? Sie konnten nie Offiziere werden, 
ftanden unter dem Stod, wurden gemißhandelt von ihren Befehlshabern 
und verachtet” oder gehaßt von den Zivilperjonen. Eine großartige Ber- 
fönlichteit, wie Friedrich der Große, hatte felbft aus ſolchem Stoff noch 
etwas Tüchtiges gemacht; aber fie fehlte jeßt auf dem Throne. 

Ebenſo morſch wie das Heer waren die andern überlieferten Einrich- 
tungen de3 Staats. Die Monarchie hatte auf allen Gebieten die frühere 
Spannkraft eingebüßt, war ſchlaff und welt geworden. Das Volt aber, aus- 
geihloffen von allem Anteil an der Lenkung der vaterländifchen Geſchicke, in 
allem und jedem von einer unfähigen Regierung bevormundet, bejaß zwar 
noch den Nationalftolz aus Friedrichs Zeit, aber nicht mehr dag freudige Zu⸗ 
trauen zum Könige, der offenbar feinem fehwierigen Poften wenig gewachſen 
war. Übrigens fam damals in Preußen nichts darauf an, was das Volt 
meinte und dachte; es hatte bloß zu gehorchen, es follte nichts fein als eine 
willenlofe Maffe von Steuerzahlern und Refrutenlieferern, und es war denn 
aud) nichts weiter. In den vornehmen Kreifen herrichten Frivolität und Ge— 
nußſucht, in den untern eine entjeglihe Stumpfheit und Gleichgiltigteit. 
Der Bürger und Bauer hatte wenig Liebe für den Staat, in weldjem nur 
Kaften und Pflichten fein Teil waren; und wenig Liebe für das Heer, welches 
er eher für eine Landplage anfah und für eine bloße Verforgungsanftalt 
des hochmütigen Adels. Es war alfo ein verrottetes Heer und ein ver 
rotteter Staat, diefe „Monardjie Friedrichs des Großen", die nun in die 
Arena trat, mit bem gewaltigen Kaiferreihe zu ringen, mit den fieg- 
gewohnten Streitkräften Napoleons, die ebenfo an Geift, wie an Zahl ihr 
weit überlegen waren. Denn weld) ein Abftid) zwiſchen den Invaliden, 
die das preußifche, und den jungen talentvollen Feldherren, die das fran- 
zöflfche Heer befehligten! ein ebenfo großer wie zwifchen den zerprügelten 
preugifchen Söldnern und den ruhmbegierigen franzöfifchen Soldaten, 
deren jeder „in feinem Torniſter den Marſchallſtab“ hatte. 

Zu alle dem kam noch, daß es auch an Geld fehlte. Trotz löblicher 
Sparjamteit hatte Friedrich Wilhelm III. die Schulden, die fein Pater 
Hinterlaffen, noch nicht tilgen, geſchweige denn Überjchüffe ſammeln können, 
er mußte vielmehr — unerhört in Preußen — Papiergeld machen; am 
1. Juni 1806 wurden zum erften Male in Preußen Treſorſcheine 
ausgegeben. War es unter diejen Umftänden dem- Könige ſehr zu ver- 

Bierfon, prenb. Geſchichte. 1. E22 


498 Jena. 


argen, daß er bem Kriege fo lange aus bem Wege ging, als es ſich mır 
irgend thun ließ? Wohl aber gereicht es ihm zum ſchweren Vorwurf, 
daß er bei Zeiten nichts that, Staat und Heer von Grund aus zu refor- 
miren. Es hat ihm an Aufforderungen dazu feineswegs gefehlt. Der 
Freiherr vom Stein, den der König zum Finanzminifter gemacht, reichte 
ihm durch Vermittelung der Königin (Anfangs Mai 1806) eine Dent- 
ſchrift ein, in welcher ein Hauptübel ber Regierungsmafchine, nämlich 
die Macht des Kabinetsrats, gejchildert wurde. Er bewies, wie ver= 
derblich diefe königlichen Geheimfchreiber wirkten, die, ohne Verantwort⸗ 
Tichkeit und ohne Verbindung mit den eigentlichen Behörden, doch durch 
ihren perfönlichen Einfluß in allen wichtigen Staatsſachen bie letzte Ent- 
ſcheidung gaben; er bedte namentlich die Unfähigkeit und völlige Frivo— 
lität Lombards auf; er zeigte auch, wie unheilvoll die Thätigkett des 
Grafen Haugwig war. Er verlangte die Entfernung dieſer ſchädlichen 
Ratgeber und fügte einen Entwurf zu einer zwedmäßigen Emeuerung 
der Staatsverwaltung bei. „Sollten Ew. Majeftät“, fo enbete er, „fi 
nicht entſchließen, die vorgeichlagenen Anderungen vorzunehmen, ſoilten 
Sie fortfahren unter dem Einfluß des geheimen Kabinets zu handeln, ſo 
ift zu erwarten, baß ber preußiſche Staat entweder ſich auflöft ober feine 
Unabhängigkeit verliert, und daß die Achtung und Liebe der Unterthanen 
ganz verjhwinden. Die Urfachen umd die Menjchen, die uns an ben 
Rand des Abgrundes gebracht, werben uns ganz hineinftoßen...... . “ 
Die Antwort des Königs war eine ärgerlihe Abweiſung; Steins Schritt 
blieb ohne andere Folgen, als daß ihm der König grollte. Ebenſo wenig 
hörte er auf andere einfichtsvolle Ratſchläge, welche eine Reform des 
Heerweſens anempfahlen. Der Major von dem Kneſebeck Iegte ſchon im 
Sommer 1805 einen Plan vor, der ben Zweck hatte, die Armee in einer 
volkstũmlichen Weiſe neu zu geftalten, aus dem veralteten Solbheer ein 
zeitgemäßes Vollsheer zu ſchaffen. Aber die Militärbehörde wies ihn 
ab mit der Bemerkung: „es erjcheint ganz unbegreiflich, wie jemand 
einer fiegreichen Armee, die fo lange für ganz’ Europa ein unerreichbares 
Mufter geweſen ift und bleiben wird, eine totale Veränderung ihrer Ver⸗ 
faffung zumuten kann, welche fie zu einer bloßen Lanbmiliz rebuciven 
würde." Im Juli 1806 fchrieb Blücher aus Münfter einen dringenden 
Brief an den König, der gegen die Haugwitziſche Wirtſchaft gerichtet 
war. Am 2. September überreichten die Prinzen Heinrich, Wilhelm und 
Louis Ferdinand gemeinfam mit Stein und einigen Generalen ein ehr: 
erbietiges Gefuch, welches ebenfalls auf Befeitigung des unfähigen Kabi- 
net3 und des Minifters Haugwitz drang. Aber die Bittfteller erreichten 
nichts; fie wurden barſch angefahren und zornig abgewiefen. Denn troß 
feiner Unentſchloſſenheit und feines Phlegmas beſaß Friedrich Wilhelm III. 
doch eine ungemeine Empfindlichkeit für alles, was feinem unumſchränkten 


14. Oftober 1806. 499 


Königtum zu nahe zu treten ſchien; er war fein Despot, aber ein Abfo- 
lutift, und ſolche ungewöhnliche Schritte verftießen nach feiner Meinung 
ebenfo fehr gegen den abjolutiftiichen Charakter des Staates, als gegen 
das Herfommen. Und dod) hatte er der ungeheuren Übermacht des fran- 
zöffchen Kaiſerreichs nicht einmal einen tüchtigen Beiftand von Bundes— 
genofjen .entgegenzufegen. Kurſachſen half mehr aus Furcht, auch betrug 
deſſen Truppenmadjt nur 20000 Mann. Rußland verſprach Hilfe, aber 
fie war noch nicht zur Stelle. Die eigene Armee, die am 10. Auguft 
mobil gemacht wurde, zählte doch im Dftober et 130 000 Mann Zeld- 
truppen, bie Feftungen waren zerfallen oder in den Händen unfähiger, 
abgelebter Kommandanten. Die jchlehte Politik bes Königs trug nun 
auch beim Auslande ihre bitterften Früchte: Öfterreich bielt fi) zurüd; 
England blieb unthätig. Immer nod) fahen ja die Mächte an der Spike 
der preußiſchen Regierung den ebenfo unzuverläffigen wie unfähigen Mi- 
nifter; wer mochte zu Friedrich, Wilhelms Politik Vertrauen Haben, fo 
lange er eigenfinnig darauf beharrte, die Geſchäfte durch den Grafen 
SHaugwiß leiten zu laffen! 

Während Preußen, wie Napoleon ſich ausdrüdte, Tächerliche Bor- 
bereitungen traf, rüftete er ſelbſt mit gewohnter Thatkraft. Ein Zeil 
feiner Heere ftand noch vom vorigen Jahre her in Süddeutſchland; auf 
feinen Befehl ftießen die Truppen der Rheinhundfürften dazu. In Franken 
vereinigte er (Ende Septembers) feine Heeresmaſſen. 220000 Mann 
(ein Fünftel davon Rheinbundstruppen) führte er nad) Thüringen, wo 
die preußifche Hauptmacht ftand. Unter ihm befehligten feine beften 
Generale, Soult, Ney, Bernadotte, Augereau, Berthier, Lannes, Mürat, 
Kefebure, Davouft. Am 7. Oktober erhielt er zu Bamberg das preußiſche 
Ultimatum, welches von ihm forderte, daß er Süddeutſchland räume und 
Norddeutſchland der preußifchen Hegemonie überlaffe; er wies es höhnifch 
zurüc und ſetzte feinen Marſch auf Sachſen fort. Am 7. Dftober ſchlug 
er eine Meine preußijche Truppenabteilung unter dem General Tauentzien 
bei Hof; am 10. eine andere bei Saalfeld, wo deren Führer, ber ritter- 
liche Prinz Louis Ferdinand, einen braven Reitertod fand. Diefe Scharen 
bildeten die Vorhut des preußifchen Hauptheeres, das unter dem Dber- 
befehl des Herzogs von Braunſchweig die Päfje des thüringer Waldes 
nad) Sachſen bin verteidigen ſollte. Es war mit ben 20000 Sachſen 
100 000 Mann ftart und ftand, weithin verzettelt, von Eiſenach bis 
Jena. Der Oberbefehlshaber, nunmehr 71 Jahre alt, war jet noch 
viel unentſchloſſener und unluftiger als einft in der Champagne; die 
Unterfelöherren, Hohenlohe, Rüchel u. a., waren auch nicht die Leute, es 
mit Napoleon und feinen Marſchällen aufzunehmen; Blücher hatte wenig 
Einfluß; der König, ber ſich felbit im Hauptquartier befand, war ohne 
Feldherrngaben. Es gebrach der Leitung an Einheit und Energie, an 

32° 


500 . Jena. 


Umfiht und Einfiht; man beriet im Hauptquartier hin und her, und 
jede Stunde vermehrte die Verwirrung. Am 14ten hatte der größere 
Zeil der Armee unter dem Herzog von Braunfchweig bei Auerftädt, 
der Meinere unter dem Fürften Hohenlohe bei Jena Stellung genommen; 
beide von einander getrennt und außer Zufammenhang mit einander. 
Hier griff fie der Yeind an, 100000 Mann ftart gegen 70000; bei 
Auerftädt kommandirte Dapouft, bei Jena Napoleon. Auf beiden Schlacht- 
feldern fochten die Preußen und Sachſen tapfer, aber in Konfuflon und 
mit ben Fehlern der Unerfahrenheit. Sie konnten die Mißgriffe ihrer 
Generale nicht gut machen. Überdies wurde der Herzog von Braun» 
ſchweig im entſcheidenden Augenblicke durd) eine Kugel getroffen, die ihm 
beide Augen zerftörte. Es fehlte an jedem einheitlichen Dberbefehl; jeder 
einzelne Führer traf Anordnungen auf feine Hand; die Truppen wurden 
ſtückweiſe ins Gefecht gebradht, die Kraft des Ganzen planlos verbraucht. 
So endete die Doppelſchlacht mit einer gänzlichen Niederlage. Die Trüm— 
mer des geſchlagenen Heeres flohen der Elbe zu. 

Der Verluft auf dem Schladhtfelde jelbft war zwar groß — 12000 
Mann tot und verwundet, 15000 gefangen — aber nicht unerhört, 
und auch der Feind hatte 7000 Mann eingebüßt. Die Waffenehre des 
preußifchen Soldaten war nicht befledt; die Franzoſen ſprachen felber 
ihre Vermunderung aus, „wie Truppen, die fo kärglich gehalten, die ge— 
prügelt würden, die, wenn fie invalid oder zum Krüppel gejchoffen wären, 
betteln müßten, fi) dennoch fo tapfer ſchlügen.“ Und die preußiſchen 
Dffiziere? die Zahl ihrer Toten und Verwundeten — 270 — bewies, 
daß e3 jenen Junkern von 1806 nicht an Mut gebrach. „Man ſah“ 
(erzählt ein franzöſiſcher Geichichtsfchreiber), „man fah unverhältnismäßig 
viel Offiziere auf der Erde liegen, die ihre thörichten Leidenfchaften edel 
mit ihrem Leben bezahlt hatten.“) Und wenn jene adligen Knaben, 
denen man die preußifchen Banner anvertraut, nicht Die Kraft hatten für 
fie zu fechten, fo hatten fie doch die Kraft, für fie zu fterben. Mancher 
Fähnrich von zehn, elf Jahren Hat fid) da in feiner Verzweiflung mit 
feiner Fahne ummidelt und ift in die Saale gefprungen. 

Alfo diefe Niederlage bei Jena war weder ſchimpflich noch unerhört, 
aber was nun folgte, war beides. Ein panifcher Schreden, jo maßlos 
wie vorher der Hochmut, ergriff fofort faft alle höheren Offiziere. Weil 
die Armee befiegt worden, glaubten fie diejelbe vernichtet, und weil der 
Staat auf die Armee gebaut war, hielten fie auch ihn für unrettbar ver- 
Ioren. Unter ihren wie dom Schlage gerührten Händen löfte fi das 
Heer denn aud) vollftändig auf, und der König, ebenfalls von jener vor- 
gefaßten Meinung befangen, überließ Die Truppen, ftatt, wie er gefollt, 


*) Thiers, histoire du consulat et de l’empire VII. 84. 


Die Kapitulationen. 501 


fie durch feine Gegenwart zu ermuntern und um fid) zu ſammeln, fi, 
jelbit und ihrem Schreden; er floh in der Hoffnung, daß feine Generale 
das Möglicye leiften würden, und wähnte, ben Siegeslauf Napoleons 
aufhalten zu können, indem er einen Unterhändler mit der Bitte um 
Waffenſtillſtand, um Frieden an ihn abſchickte. Aber da der König alles 
verloren zu geben ſchien, fo thaten es auch die Generale, die nun ftatt 
feiner hätten handeln follen. Defto rafcher riß die Demoralifation auch 
unter den Gemeinen ein. Scharenweife verließen die Soldaten auf die 
Nachricht, daß ihre Heimat vom Feinde befeßt fei, die Fahne, verkauften 
ihre Pferde und Waffen und gingen nad Haufe. „Wir haben lange 
genug gedient“, fagten fie wohl mit bitterem Hinweis auf die harte, 
zwanzigjährige Dienftzeit, „wir wollen nun heim; es giebt ja junge Leute 
genug, welche die Sadje ausmachen Tönnen."*) Diefe Gleichgiltigfeit des 
geringen Mannes gegen das Schickſal des Ganzen zeigte fi in mehr 
als einem Regiment und vereitelte die Anftrengungen tüchtiger Offiziere. 
„Was foll man“ (ſchrieb damals einer derfelben), „mit Bauern machen, 
ins Feuer geführt von Edelleuten, deren Gefahren fie teilen, ohne je 
deren Leidenfchaften und Belohnungen zu teilen?" Um fo ſchmachvoller 
war das kopfloſe Benehmen der meiften Führer, die, ftatt einfach ihre 
Pflicht zu thun, politischen Erwägungen Gehör gaben und meinten, aller 
fernere Widerftand nüße bei der eigentümlichen Natur Diejes abgelebten 
Militärftants, den fie jet auf. einmal als mangelhaft erfannten, doch 
nichts und könne nur ohne Nußen viele Menfchen unglücklich machen. 
So kam es, nicht aus Verrat, aud) nicht, abgejehen von einigen wenigen 
Elenden, aus eigentlicher Feigheit, fondern aus jener Betäubung, die den 
Selbftzufriedenen, wenn ihn plöglid) ein ungeheures, ein nie für möglid) 
gehaltenes Unglüc betrifft, zu lähmen pflegt, daß nicht bloß die inva= 
liden, fondern auch die rüftigen unter den Zruppen= und Zeftungs-Kom- 
mandanten ſich überjtürzten, die Mittel zum Widerftande, welche noch 
reichlich vorhanden waren, dem raſch nachdringenden Sieger preiszugeben. 
Und die ihnen untergeordneten Offiziere hinwieber wurden durch die zur 
Gewohnheit gewordene Pflicht des blinden Gehorjams gelähmt. So fam 
& zu jenen ſchändlichen Kapitulationen, mit denen jelbft Männer, die im 
Dienfte grau geworden und unter Friedrich dem Großen oder in ben 
Revolutionskriegen ſich immer ehrenhaft benommen, nun auf einmal ſich 
und den Staat beichimpften. Ohne Schwertitreich überlieferte der Prinz 
von Dranien, dem freilid, nur feine hohe Geburt den Generalsrang ver- 
Ihafft hatte, am 16. Dftober das wichtige Erfurt mit 11000 Mann 
und großen Vorräten; der Oberft v. Benefendorf am 25. Spandau; das 
Unglaublichfte leiftete jedod, Fürft Hohenlohe, der, von feinem General» 


*) Hbpfner, der Krieg von 1806, 1807. 


502 Jena. 


ftabschef Oberſt v. Maflenbad) aufs übeljte beraten, ſich am 28. bei 
Prenzlau mit 11800 Mann einem viel Neineren Franzoſentrupp ergab, 
weil deſſen Befehlshaber, Mürat, dem leichtgläubigen und Teichtfertigen 
Maſſenbach vorlog, er habe 64000 bei ſich. Die Soldaten weinten und 
fluchten, aber es fehlte der Mann, der ihren Unwillen richtig vertreten 
hätte; die Subordination hielt jedes andere Gefühl zu Boden. Ebenſo 
ſchimpflich Tapitulirte am 29. Oktober der 81 jährige General v. Romberg 
in Stettin; und geradezu verräterifch am 1. November der Oberft v. In- 
gersleben in Küftrin, der feine Feſtung mit 3000 Mann ohne weiteres 
einem franzöfifhen Infanterieregiment übergab! 

Damit war die Reihe der Schändlichkeiten noch nit zu Ende. 
Neue Kapitulationen folgten, als ſich die Kunde von Hohenlohes Waffen- 
ſtreckung verbreitete. Sie gab das Signal zu vielen andern Nichtswürbig- 
keiten. „Der Fürft Hohenlohe hat mit ber Armee kapitulirt“, fagte fich 
mancher verzagte Truppenführer, „was will denn ic) machen.” „Der 
König hat Feine Armee mehr", ſagte ſich der pflichtvergeffene Komman- 
dant, „was helfen ihm bie Feftungen?" So vermehrte jene ſchnöde 
That den Kleinmut in allen Herzen, die Verwirrung in allen Köpfen.”) 
Es ging alfo weiter im Wettlauf der Schande. Am 8. November lieferte 
der General Franz v. Kleiſt (an der Spitze von 19 Generalen, die zu- 
jammern 1300 Jahre zählten) die Hauptfeftung Magdeburg mit 24.000 
Mann und ungeheuern Vorräten aus; die jüngeren Offiziere und bie 
Soldaten wüteten, aber auch hier lähmte die Subordination den Willen. 
Am 22. ergaben ſich die Generale v. Schöler und Lecoq in Hameln. 
Diefe That war das Übermaß militäriſcher Schmach. Denm Hameln 
war wohlbefeftigt. und mit 10000 Mann tüchtiger Truppen und reichen 
Vorröten verjehen, und einen ſolchen Pla überlieferte der ſchwachmütige 
16 jährige Kommandant v. Schöler einem nur 6000 Mann ftarfen, ohne 
Belagerungsgeſchütz heranziehenden Feinde, ohne eingeſchloſſen oder auch 
nur angegriffen zu fein. Er that e8 auf Betrieb feines Untergebenen, 
bes Generals dv. Lecoq. Diefer Nichtswürdige begab ſich jelbft ins feind- 
liche Hauptquartier und biftirte dort die Kapitulation, durch welche die 
Beſatzung Triegsgefangen ward. „Furchtbar war die Verzweiflung der 
Soldaten und ihr Ingrimm. Sie fchoffen ihre Patronen dem feige 
Kommandanten in die Fenfter, zerfchellten ihre Gewehre an den Steinen; 
weinend nahmen bie alten Brandenburger Abſchied von ihren Offizieren. 
Im Regiment von Hand ftanden zwei Brüder Warnawa, Soldatenjöhne; 
fie feßten einander die Gewehre auf die Bruft, drüdten zugleich ab; fie 
wollten die Schmac ihrer Waffen nicht überleben. Ja wir waren ein 
treues ſtarkes Kriegsvolf; o hätten Männer an unferer Spike geftanden!* 





H Bol. v. d. Marwih' Bericht bei Höpfner, ber Krieg von 1806, 1807. I. 196. 


Die Unterjogung. 503 


fo ruft, der dies erzählt und der es hatte mit anfehen müſſen, ein 
preußifcher Offizier, Adalbert v. Chamiſſo, traurig aus. 

Nicht viel weniger ſchimpflich als Maſſenbach, Ingersleben, Schöler 
und die andern, ergaben fich fpäter die meiften ſchleſtſchen Komman- 
danten. Es war wie wenn eine förmliche Epidemie unter diefen vor- 
nehmen Zopfträgern ausgebrochen wäre, denen die Sorge für Heer und 
Staat oblag. Der König hat fie nachmals nicht eben hart beftraft; 
aber elend und vergeffen, wie fie e8 verdient, find die meiften von ihnen 
geftorben. Freilich, ein großer Teil der Schuld fällt auch bei diefen Kapitu⸗ 
lationen auf Friedrich Wilhelm felber, der ganz untaugliche Mänmer auf 
Poſten von der größten Wichtigkeit geftellt oder belaflen hatte — zu⸗ 
weilen felbft ungeachtet ihres Eingeftänbnifies, daß fie dem Amte nicht 
gewachſen jeien! Hatte doch der General v. Romberg bei Ausbrud) bes 
Krieges ihm gefchrieben: „er habe feinen Poften als Kommandant von 
Stettin nur als eine Art von Verſorgung angefehen und fei zu alt und 
kränklich, um demſelben in fo ernfter Zeit vorzuftehen; er bitte daher, 
ihm einen Nachfolger zu geben.” Aber der König erfüllte die verftändige 
Bitte nicht. Er wählte ſich ſchlechte Diener, er Tonnte fich nicht wundern, 
wenn er fehlecht bebient wurde. Nur wenige ımter den Kommandirenden 
retteten 1806 ihre Ehre; darunter Blücher, der fi) tapfer von Jena bis 
Kübel durchſchlug und erft nach hartnädigem Widerftande und aus 
Mangel an allen Kriegsvorräten (am 6. November zu Ratkau) der Über- 
macht ergab. 

Aber nit bloß die Zunter, bie fi) bisher als die Haupt⸗ 
pfeiler des Staates gefpreizt, brachen wie dürre Binjen im Winde; auch 
die anderen Stüßen, das Beamten- und Gelehrtentum, die 
ganze höhere Gefellfhaft bis tief in ben Bürgerftand hinab 
hat fid) damals mit Schmach bededt. Zur feelenlofen Mafchine 
beftimmt, ging die Verwaltung ruhig ihren Gang weiter, wenig befüm- 
mert, ob fie für dieſen oder jenen Souverän arbeite, ob die Spike 
Friedrich Wilhelm ober Napoleon hieß; und gewohnt, alles Heil von 
oben zu erwarten, erfticten die hohen Beamten fogar die Regungen des 
gefunden, kräftigen Geiftes, der troß alledem noch im Wolle, wenigftens 
im fogenannten gemeinen Volke, lebte. Als man in Berlin von der ver- 
Iorenen Schlacht und vom Herannahen der Franzofen hörte, wollten die 
Berliner eine Freiſchar bilden, und es meldeten ſich junge Leute zum 
freiwilligen Eintritt in das Heer. Aber der Gouverneur der Stadt, 
Minifter Graf v. Schulenburg-Kehnert wies dieſe patriotifchen Anerbie- 
tungen verdrießlid) zurück und veröffentlichte jenes berüchtigte Plakat: 
„Ruhe ift die erfte Bürgerpflicht. Ich forbere hierzu alle Einwohner 
Berlins auf!" Sein Nachfolger, Fürft Hatzfeld, fehärfte dann dieſe 
Pflicht allen nod) einmal ein; ja um nicht den Zorn Napoleons auf 


504 Jena. 


ſich zu ziehen, unterließ er ſogar, einem ausdrücklichen Befehl des Könige 
zuwider, die in Berlin lagernden großen Vorräte an Gewehren und 
anderm Kriegsbedarf nad) den Feftungen fortzufchaffen! Ebenſo ging 
es anderwärts. Nur Stein verlor die Faflung nicht, fondern that, 
was er konnte, rettete wenigftens die Staatskaſſen, indem er fie nad) 
Königsberg bringen ließ. Übrigens gab die Umgebung des Königs felber 
ein ſchlechtes Beifpiel, fie war fo mutlos wie die andern, und Friedrich 
Wilhelm entließ aud) jegt die verberblichen Ratgeber, Haugwig, Luchefini 
und Lombard, nicht, ſchützte und ehrte vielmehr den letzteren, als fid) in 
Berlin und Stettin die Vollswut gegen denſelben richtete, durch ein 
ſchmeichelhaftes Handfchreiben. So fanden denn die Franzoſen bei ihrem 
Einmarſch in Berlin (am 24. Dftober) zwar eine dumpfe totenähnliche 
Stile, aber feinen Widerftand, und Napoleon, der am 27ften einzog 
und Dabei bereit8 von einer Anzahl deutſcher Bedientenfeelen das ge— 
wohnte Vive l’Empereur hörte, fonnte die Verwaltung ohne weiteres für 
fid) benußen. Sieben Minifter des Königs und die Beamten leifteten 
ohne Widerftreben den Eid der Treue. 

Beſonderes Auffehen machte der Abfall des damals berühmten Pro— 
feſſors Johannes Müller, des Geichichtichreibers der Schweiz. Diefer 
Gelehrte, feit furzem preußifcher Beamter, hatte gegen Bonaparte amt 
lauteften geeifert; jet beweihräucherte er den großen Saifer, der ihn 
durd) ein par Schmeichelmorte gewonnen. Auch viele andere deutfche 
Gelehrten, 3. B. die Profefjoren der Univerfität Leipzig, befehrten fich 
im Handumdrehen und feierten nun Napoleon als den Helden des Zeit⸗ 
alters. Um die übrige gebildete Geſellſchaft ftand es nicht viel befier. 
Zwar fo tief wie in Süd- und Weftdeutichland riß in Preußen das 
Franzöſeln nicht ein; ganz fo maffenhaft ließen fi) hier die Weiber von 
den franzöfifchen Kriegern nicht befiegen; aber doch gaben ſich auch hier 
fehr viele den Franzofen mit einer Leichtigkeit Hin, über welche dieſe 
felbft erftaunten.*) Aud) ein großer Teil der Bourgeoiſie franzöfelte, 
kroch und verriet. Napoleon gewann fie, indem er in Berlin und andern 
eingenommenen Städten eine Art Stadtbehörde mit demokratiſchem An- 
ſtrich und eine Nationalgarde einrichtete. Die Schlaffheit der Vater— 
landsliebe unter den fogenannten Gebildeten zeigte fid) dabei in be— 
ſchämender Weife. Denn obgleid) jene beiden Inftitute feinen an- 
dern Willen haben durften, als ber Franzoſe ihnen vorſchrieb, jo 
fpielten Die meiften Bürger doch gern mit, und bie wohlhabenden 
Kaufmannsföhne in Berlin brüfteten ſich damit, zu Pferde und 
in prächtiger hellgrüner Uniform als freiwillige Schüßen dieſen 
Dienft zu verfehen. Sehr unpatriotifh benahmen fich auch die 





H A. 8. v. Albden, Fugenderinnerungen, ©. 236. 


Die Unterjodung. 505 


Zuden*). Einer von ihnen, ein gewiffer Lange (ber eigentlich Davidfon 
oder Dawifon hieß) wurde Soldfchreiber ber Franzofen und gab in 
Berlin Ende 1806 ein Schandblatt, den „Telegraphen“, heraus, in 
weldyem er alles Preußifche mit Beſchimpfungen begeiferte. Aber auch 
bei manchen chriſtlichen Preußen ging die Kriecherei jo weit, daß jelbft 
Franzoſen fi) daran ärgerten. Einer demmzirte dem franzöfiſchen Kom« 
mandanten in Berlin einen großen föniglichen Holzvorrat. „Laßt es 
liegen“, antwortete ber Franzoſe, „Damit euer König übrig behalte, um 
end) Schurken daran aufzuhängen*). Ähnliches geſchah an manchen 
Orten in den Provinzen. Ein Präfident in Niederſchleſien ſchickte aus 
feinem Departement den Franzojen Lieferungen entgegen, die fie noch 
gar nicht gefordert, und er begann jeinen Kammerdekreten die Worte: 
„Bir Napoleon von Gottes Gnaden u. f. w.“ an bie Stirn zu feßen; 
& mußte ihm diefer Übereifer ausdrücklich unterſagt werden. 

Unterbeffen floh der König mit feiner Yamilie und den Reften feines 
Heeres über die Oder, vergebens auf Napoleons Großmut hoffend, den 
er durch Haugwig hatte um Frieden bitten lafjen. Statt deſſen erichöpfte 
der Sieger das Land durch Zwangslieferungen und überhäufte bie ge- 
ftürzte Monarchie mit Schimpf und Schande, ließ aus den Schlöfſern 
die beften Kuuftwerfe, vom Brandenburger» Thor in Berlin die Sieges- 
göttin, vom Sarge Friedrichs des Großen den Degen rauben und nach 
Paris ſchaffen, und entehrte ſich durch niedrige Schimpfreden, die er in 
feinen Bülletins gegen die Königin Luife als „Anftifterin des Krieges“ 
ausftieß. Hierin wurde er übrigens von einem deutſchen Fürften noch 
überboten; fein Satrap, der König Friedrid) von Würtemberg, trieb die 
Gemeinheit der Gefinming fo weit, daß er einen würtembergiſchen Zenfor 
abfeßte, weil der ehrenwerte Mann jene mieberträchtigen Schmähungen 
in den würtembergiichen Beitungen nicht wollte abbrudten laffen. über⸗ 
haupt betrugen fi) Napoleons deutſche Handlanger gegen die Befiegten 
im ganzen noch ſchlimmer als feine Franzofen. Zwar Scheußlichkeiten, 
wie bei ber Eroberung Lübecks (am 5. November) find damals nur 
von Soldaten ber fogenannten großen Nation begangen worden. Die 
Frangofen leifteten dort in umnfäglicher Beftialität und Barbarei das 
Außerſie. Aber an Zahl die meiften Greuel find in dieſem Sriege doc) 
von den rheinbündtichen Truppen verübt worden. Beſonders die Würtem- 
berger, Baiern und Heflen-Darmftädter quälten ihre deutſchen Brüder 
in den Duartieren, zumal in Schlefien, bis aufs Blut**); im Plündern 





®) ©. vertraute Briefe (d. Clin) II. 86, u. Alöden a. a. O. 223. 

e) Behfe, Geh. d. preuß. Hofs, VI. 40. 

=) Bergleige Wolfgang Menzel, Dentwürdigkeiten, Bielefeld und Leipgig 1877, 
Seite 29. 


506 Jena. 


wetteiferten fie mit ihren franzöftfchen Genofien, und ber bairijche General 
d. Wrede nahm in Ols das herzogliche Silberzeug mit, als ob er bereits 
ein franzöſiſcher Feldmarſchall geweien. Die Diener waren eben wie der 
Herr. Ohne Spur von Edelmut und Ritterlichfeit handelte Napoleon 
aud) gegen den Herzog von Braunfchweig. Er trieb ben blinden, tod» 
kranken reis, der fid) von Jena auf einer Bahre hatte heimtragen laffen, 
mit Mleinlihen Schmähungen weiter: „er Terme feinen Herzog von Braun- 
ſchweig, nur einen preußifchen General Braunfchweig." Der unglückliche 
Fürſt mußte aus feinem Erblande flüchten, doch ſtarb er ſchon am 
10. November zu Dttenfen bei Altona, wo er auf demfelben Friedhof, 
der Klopſtocks &ebeine birgt, begraben wurde. Was wollte indes das 
Leiden des Einzelnen, fo tragiſch es war, gegen das große Traueripiel 
rings beſagen, gegen das koloſſale Unglück der deutſchen Nation? Der 
Süden verfnechtet, der Norben erobert; die geiftigen Güter, Selbftändig- 
feit und Ehre, verloren, bie leibliche Wohlfahrt ruinirt. Denn aud) bie 
materiellen Interefien traf jeßt ein ſchwerer Schlag: die Kontinental- 
jperre, die Napoleon am 21. November von Berlin aus gebot und bie 
den Handel des europäifchen Feftlandes mit dem feemächtigen England 
zu vernichten beftimmt war. 

So lag ber alte preußifche Staat im Staube. Und erhob ſich wiber 
den Yeind ein Wehllagen des Voll, ein umenblicher Aufſchrei bes 
Schmerzes und der Rache? Noch nicht. Seit Jahrhunderten gelehrt, 
den Staat als eine fürftliche Anftalt zu betrachten, Die den Regierenden, 
nicht den Regierten gehörte, und gewohnt, nur auf Kommando zu han= 
deln, hielt das Volt fi) ftil, wie e8 Die Behörde ihm befahl: „Ruhe ift 
die erfte Bürgerpflicht!" Der Bürger empfand wohl gar einige Schaben- 
freude, als die übermütigen Garde („Gensdarm“-) Offiziere, die einft 
meinten, fid) alles und jebes gegen ihn herausnehmen zu bürfen, jetzt in 
Mäglichen Zuftande, befchmußt und abgeriffen als Cefangene burdh bie 
Hanptftadt transportirt wurden. Der verhaltene roll gegen bie ftolzen 
Privilegirten, gegen die Junker und hohen Beamten war mın entfeflelt. 
„Wer e3 nicht erlebt hat“, fagt ein Ohrenzeuge,*) „Lam es kaum noch 
glaublich finden, is welchen Ausdrücken der Ingrimm preußiſcher Patrioten 
gegen das Militär wütete, mit welcher haßerfülkten Verachtung bie einft 
gepriefenen Namen, auf denen ber Borwurf des Verrats haftete, genannt 
wurden." Gewiß, wäre ein großer Yührer aufgetreten, Die Vaterlands⸗ 
liebe hätte ſich beſſer geäußert; fie war im Volke, befonbers auf dem 
Lande, doc rege und ber manmhafte Sinn defielben ftart genug, wm 
einen tüchtigen Widerftand zu entzünden. Aber der König wuchs noch 
nicht mit feinem Unglüd, und was er von dem Betragen fo vieler feiner 





*) Barnhagen, Dentwürbigkeiten 2. Aufl. I. 417. 


zur. 507 


Beamten und Unterthanen hörte, konnte ihn nicht erheben. Er jah das 
Heil nur in gewöhnlichen Mitteln, verließ fid) auf die Truppen, die noch 
in der Provinz Preußen ftanben, und befonders auf den Zaren, der mit 
einem Heere herannahte. Daher berief er zwar endlich (29. November) 
an Haugwitz' Stelle den einzigen Mann, der vielleicht noch helfen 
tonnte, den Minifter v. Stein; als aber diefer das Amt nicht an« 
nehmen wollte, falls die geheime Kabinetsregierung beftehen bleibe, und 
troß wiederholter Aufforberungen immer darauf zurückkam, „das Minifte- 
rium könne nichts Tüchtiges leiften, wenn es nicht eine wirfliche Macht 
erhalte, e8 müfſe auch dem Lande gegenüber verantwortlich fein und 
dürfe nicht durch unverantwortliche geheime Räte, durch bie Schreiber 
des Kabinets, durch ein blind gehorchendes Werkzeug der Krone lahm 
gelegt werben” —; da fprubelte der abfolutifttiche Geift des Königs 
heftiger als je auf, und es erfolgte jenes merkwürdige Handfchreiben, 
welches gleichjam bie Devife für ben Verfall der alten Monardjie ift: 
„Sie find“, fehrieb Friedrich Wilhelm zu Königsberg am 3. Januar 1807 
an Stein, „Sie find ein widerfpenftiger, troßiger, hartnädiger und un- 
gehorfamer Staatsbiener, der, auf fein Genie und feine Talente pochend, 
weit entfernt das Befte bes Staates vor Augen zu haben, nur durch 
Gapricen geleitet, aus Leidenschaft und perſönlichem Haffe handelt... 
Benn Sie hr refpeftwibriges und unanftändiges Betragen nicht zu 
ändern Willens find, fo kann fid) der Staat feine große Rechnung auf 
Ihre ferneren Dienfte machen." Stein bat mm um feinen Abfchied, und 
der König erteilte ihm benfelben in Ungnaden (4. Januar). 


Sit. 


Seit der dritten Teilung Polens war der Schwerpunkt des preußi- 
ſchen Staates weit ab vom Herzen: Deutſchlands und tief nach Often 
gerückt, lag das Zentrum des Staatsgebiets auf polniſchem Boden, halb: - 
wegs zwifchen Berlin und Warſchau, in Pofen. Diefer Umftand beftegelte 
jebt Preußens Unglüd. Denn um in der noch unbezwungenen Ofthälfte 
feines Reiches einen Feldzug mit Erfolg zu führen, hätte ber König 
Aber deren ganze Kraft verfügen müfjen. Aber die polniſchen Regimenter 
waren unzuverläffig, die polnifchen Bevollerungen bereit zum Aufftande. 
So zerrannen ihm hier die Streitmittel unter ben Händen, und 25000 
Manır war alles, was er am der Weichjel bem raſch nachbrängenden 
Feinde entgegenfeßen konnte. Napoleon wußte dieſen großen Vorteil zu 
benußen; ſchon Ende November 1806 war er in Pofen, wo ſich bie 
Polen überall für ihn erhoben; er verſprach, ihr Reich wieder herzuftellen, 
und gewann dadurch ihre eifrigfte Hilfe So warb ihm der Winter 


508 Tilfit. 


feldzug, den er vor fich hatte, ungemein erleichtert. Was blieb dem 
Könige, der die meiſten feiner deutſchen Provinzen vom Feinde über- 
ſchwenunt, bie polnifchen im Abfall fah, übrig, als ſich unbedingt feinem 
mächtigen Bundesgenofien in die Arme zu werfen? Was blieb ihm 
anderes wenigftens von dem Augenblide an übrig, da er aus Kleinmut 
oder Kurzfichtigfeit von feinen Kernvölfern, den Märkern, Pommern, 
Schleſiern, bei denen es nod) jo viele Mittel zum Widerftande gab, ge- 
flohen war, ftatt im Geifte Friedrichs des Großen ſich eher unter ben 
Trümmern des Vaterlandes begraben zu lafien? 

Es zeigte fi) bald, daß er feine Sache damit verloren hatte. Denn die 
Ruffen, die ihm in der Mark ober in Schlefien, wenn er fid) irgendwo dort 
gehalten, ohne Zweifel zu Hilfe gelommen wären, glaubten den Staat 
nicht retten zu können, deſſen beften Zeil er fo eilfertig aufgegeben. Es 
half daher zu nichts, daß die 25000 Mann in der Provinz Preußen 
unter Leftocg mit großer Tapferkeit die Weichjellinie behaupteten, daß 
bier, wo ber König Stand hielt, au die hohen Befehls- 
haber der Feftungen und Truppen den Mut nit verloren. 
Friedrich Wilhelm mußte fie unter den Oberbefehl des ruſſiſchen Generals 
Bennigjen ftellen, der endlich im Gefolge des Zaren mit 60 000 Mann 
in Preußen erſchienen war, und Bennigjen kommandirte verfehrter Weife 
jofort zum Rückzuge. Dann rieb derfelbe durch zweckloſe Märſche die 
Truppen auf, während die fchlechte ruffiiche Heeresverwaltung den rufft- 
ſchen Soldaten nötigte, das Land ärger als der Feind zu verwüften. 
Mehr und mehr zeigten diefe Bundesgenofien ihre Unluft an dem Kriege, 
den fie für einen ihnen eigentlid, fremden Krieg hielten; fie drängten 
immer weiter zuräd. Auch hatten fie nad) ihrer Art viel weniger Trup⸗ 
pen im Felde als auf dem Papiere; denn außer dem Bennigjenfchen 
Heere trafen nur noch 55000 Mann unter Burhöwden ein. Den ge: 
famten Oberbefehl übertrug Kaifer Alerander dem 76jährigen Feld— 
marſchall Kaminskoi, defien Kränflichfeit ihn bald unbrauchbar machte, 

- dann nach defien Tode dem noch unfähigeren Bennigjen. An diefer er 
bärmlichen Leitung fcheiterten die Anftrengungen der Truppen. Bei 
Preußiſch-Eilau am 7. Februar 1807 bot Bermigjen dem Feinde 
endlich die Stimm; er zählte 60000, Napoleon 80000 Mann. Mit ge- 
wohnter Bähigteit wieſen die Rufen in einem langen und heftigen, am 
folgenden Tage erneuerten Kampfe den franzöfijchen Ungeftüm ab; als 
fie gegen Mittag wankten, im entjcheidenden Augenblide traf Leftocg mit 
6000 Preußen ein. Diefe Schar hatte vier Meilen auf verſchneiten 
Begen marſchiren müſſen, um das Schlachtfeld zu erreichen; nun ftürzte 
fie fi, geführt vom General Scharnhorft, unwiderſtehlich auf den Feind 
und warf ihn wieber zurüd. Die Erfchöpfung beider Zeile ließ ben 
Ausgang bes Kampfes zweifelhaft; jedes Heer hatte 20000 Tote oder 


Feldzug von 1807. 509 


Verwunbete und doch nicht den Sieg. Napoleon war betroffen, es war 
die erfte Schlacht, die er nicht gewonnen; er fuchte die Gegner biplo= 
matiſch zu überwinden, fie zu trennen und bot dem Könige einen 
Separatfrieden an. Priedrid Wilhelm war aber zu rechtlich, um darauf 
eingugehen; er blieb ohne Bedenlen feinem Bundesgenoſſen treu. Beide 
Heere legten fi) nun in Winterquartiere, die Verbündeten nordöftlich, 
die Franzoſen ſfüdweſtlich der Pafſarge. 

Unterdeſſen fuhr die unfähige preußiſche Büreaukratie, die bürger- 
liche wie die militäriſche, fort, die noch übrigen Wehren des Staates 
dem Feinde auszuliefern. Nirgends zeigte ſich diesmal das Volk ſo eifrig 
und aufopferungsluſtig wie in der Provinz Schlefien; es hätte ſich hier 
durch allgemeine Volksbewaffnung der kraftvollſte Widerftand organifiren 
laſſen; aber die Regierenden, der Minifter Graf Hoym und der General 
v. Lindener, dachten nur an Ergebung. Graf Hoym — eben jener, um 
den ber wadere v. Held ſich ins Unglück geichrieben — Hoym bezahlte 
bier dem Könige die Thorheit, ihn allen Anklagen zum Troß im einem 
fo wichtigen Amte belafen zu haben. Man forderte ihn auf, aus der 
zahlreich verfügbaren wehrhaften Mannſchaft der Provinz Bataillone zu 
errichten; er antwortete: „ſolche Aufgebote feien nur ſchädlich; er ſchau— 
dere, wenn er bloß daran denke“. "Ein nad) der Provinz Preußen bes 
ftimmter Refrutentransport von 8300 Mann war wegen ber aufftändie 
hen Bewegungen im Poſenſchen wieder umgefehrt; man fragte den 
Minifter, wohin mit den Leuten? Statt fie in die Landesfeftungen zu 
jenden, wo es an Mannſchaft jehr gebrach, befahl er fie nach Haufe zu 
ſchicken. Hoym und die ihm Gleichgefinnten hemmten fogar, was andere 
zum Beften bes Vaterlands unternahmen. Es war da ein patriotifcher 
Mann, Graf Püdler, der aus eigenem Antrieb eine Art von Landwehr 
ins Leben zu rufen fuchte. Aber ftatt ihn, wie der König befahl, zu 
unterftügen, arbeiteten ihm Die Behörden aus Feigheit und Dummpeit 
eher entgegen. Derzweiflungsvol nahm er fid) das Leben. Ähnlich wie 
Hoym benahm fi) v. Lindener. Ihm waren die Feſtungskommandanten 
untergeben; ftatt fie zu ermutigen, ließ er fie merken, daß er alles für 
verloren erachte, und ermahnte fie, fid) nur fo lange zu halten, als es 
„ohne unmeife zu fein“ geichehen könne. So ging Schlefien verloren, 
wie die anderen Provinzen. Aud) hier fielen die Feſtungen ſchimpflich, 
zum Zeil durch Verräterei; zuerft Glogau; dann Breslau, mo die Gene 
tale v. Kraft und v. Thile, und Schweidnitz, wo v. Hade fommandirte. 
Zu fpät Hatte der König einen tüchtigen Mann, Graf Götzen, nad) 
Schleſien geſchickt; er fand nur noch einen Zeil der Mittel zum Kriege 
vor, die bier jo reichlich vorhanden gewefen; doch richtete er wenigftens 
den einen Krieg ein. Wie e8 nur am der ſchlechten Leitung lag, wenn 
der Staat jo raſch und vollftändig zufammenbrady, das bewies das Beis 


510 Ailfit. 


ſpiel Koſels. Dieſe Feſtung hatte nur geringe Vorräte und eine mäßige 
Beſatzung, die noch dazu teilweiſe aus Polen beſtand; ſeit Ende Januars 
belagert, wurde ſie überdies durch Krankheiten heimgeſucht, und viele 
Polen deſertirten; dennoch hielt ihr Befehlshaber, der alte Oberſt Neu— 
mann und nach deſſen Tode der Oberſt v. Puttkammer, tapfer aus, und 
Koſel blieb unbezwungen. Ebenſo behaupteten ſich die Feſtungen Glatz 
und Silberberg. Aber am hellſten leuchtete der Ruhm von Kolbergs zer⸗ 
ſchofſenen Wällen, wo das getreue und kraftvolle pommerſche Volt die 
rechten Führer, Schill, Nettelbeck und Gneiſenau, fand. 

Es gab unter den jüngeren Offizieren der preußiſchen Armee ſchon 
vor der Kataſtrophe von Jena wackere Kriegsmänner genug, aber die 
Subordination hielt dieſe beſſeren Elemente in ihrem eiſernen Bann. Jetzt 
da alles aus den Fugen ging, konnte der Einzelne zur Geltung kommen. 
Unter den Subalternen, die e8 wagten auf eigene Fauſt zu handeln, ge- 
wann feiner jo großen Ruhm als der Dragonerleutnant Ferdinand 
v. Schill. Sobald er in Kolberg von einer bei Auerftäbt empfangenen 
Bunde genefen war, begann er gegen die Frauzoſen, die in Hinterpom⸗ 
mern eingedrungen, den Heinen Krieg. Die Eigenfchaften eines Partei- 
gängers befaß er in vollem Maße: tapfer bis zur Verwegenheit, voll 
Unternehmungsgeift und patriotiſchet Begeifterung, immer bereit, fein 
Leben in die Schanze zu ſchlagen, wußte er feinen kühnen, leichten 
Reitersſinn auch den Soldaten und Freiſchärlern einzuflößen, die er bei 
Kolberg um ſich gefammelt. Allein fo raſtlos auch Schil dem Feinde 
mit Heinen Streifzügen zufeßte, nod) größeren Anteil an Kolbergs Ruhm 
bat doch ein ſchlichter Bürger, Jo achim Nettelbed. Schon im fieben- 
jährigen Kriege hatte er an der Spige der braven Bürgerſchaft die Stadt 
ehrenvoll verteidigen helfen. Jetzt war er faft fiebzigjährig, aber noch 
friſch wie ein Jüngling. Durdwettert von Stürmen der See und des 
Schickſals, erprobt in Gefahren und Abenteuern aller Art, war er immer 
derſelbe geblieben, derb und ehreufeft, ein kerniger Mann und voll Ge- 
meinfinns, jetzt in feinem väterlichen Gewerbe, in feiner Brennerei, wie 
vordem auf feinem Schiff, in Kolberg wie in Dftinbien, immer ein 
rechter Preuße von altem Schrot und Korn. ALS im Januar 1807 die 
Franzoſen fi) um die Stadt legten, war es der alte Nettelbeck, der in 
die Breſche trat. Denn ber Kommandant, Major v. Lucadou, war feiner 
Aufgabe in feiner Weiſe gewachien. Dazu kam, daß die Verteidigungs- 
mittel ungenügend waren, und daß zwiſchen Zivil und Militär hier wie 
anderwärts ein ſchlechtes Verhältnis herrichte. Es ftand alfo um dieſe 
Feſtung übel genug, und man hörte ſchon bie und da von Kapituliren 
reden. Aber Nettelbeck ließ ſolche Gedanken nicht auflommen. Er bes 
feuert, bewaffnet die Bürgerjchaft, treibt fie zum Schanzen und Ver— 
palifadiren, forgt, daß Die Umgegend durch die Schleufen unter Wafler 


Kofberg. Graudenz. 511 


gefeßt und daß hinreichend Proviant in die Stadt geſchafft wird, und 
fhreibt an den König um einen fähigeren Kommandanten. 

Am 29. April langte ein folder an; e8 war der Major v. Gnei= 
fenau, der bier zuerſt feine geniale Schöpferfraft bewies. Raſch ſtellte 
er zwiihen Garniſon und Bürgerihaft das geftörte Vertrauen wieder 
ber, belebte oder erhöhte bei allen die Tampffreubige Begeifterung, kaufte 
auf dem Seewege, welcher offen blieb, von Schweden ımd Engländern 
Geſchütz und Munition und wußte täglich mit geringen Mitteln Neues 
und Großes dem Feinde in den Weg zu ftellen. So ſchlug er alle Stürme 
monatelang ab, obwohl die Bomben und Granaten die Befagung furcht⸗ 
bar lichteten und die halbe Stadt zerftörten. Die Bürgerichaft unter- 
ftügte ihn dabei aufs wirkſamſte, jeder gab willig fein Letztes her; allen 
voran der alte Nettelbeck. „Nettelbeck“, fchrieb Gneiſenau damals, „ift 
allgegenwärtig; zündet der Feind durch feine Hanbikgranaten ein Haus 
an, fo fteht er mit der Spike bes Schlauches hoch oben auf der gefähr- 
lichſten Stelle. Er geht nicht von bannen, bis das Feuer darmieber ift. 
Greift der Feind ein Außenwerk an oder die Verfchanzungen, fo ſitzt er 
zu Pferde, reitet, der Giebenzigjährige, kühn wie ein Süngling, ermuntert 
im beftigften Teuer die Truppen, holt Munition herbei und ift ebenjo 
ſchnell bei dem Feſtungskommandanten, um ihm Bericht über das Ge— 
fecht abzuftatten. Iſt das Gefecht vorüber, fo jdfafft er Lebensmittel für 
die ermatteten Truppen hinaus. Zeigt fih ein Schiff, worauf man Bu- 
fuhr von Kriegs» oder Mundbebürfntfien erwartet, fo tft er der Erfte am 
Bord und der Erfte zurücd, um Kunde davon zu bringen. Auf den 
Böden und in den Häufern ber Bürger hält er Revifion, um alles leicht 
Entzündliche dort wegzufchaffen. Der Kommandant hat ihm die Obhut 
über die Überf_hwemmung gegeben, und wehe dem, der aus Eigennutz 
ober üblem Willen das Waſſer um eine Linie vermindern wollte! Wo 
an den vielfachen Schleufen etwas Waffer durchficert, wird er es ges 
wahr. Keine Maus dürfte die Dämme durchlöchern und er würde es 
ſogleich wittern; überall zeigt er Einficht, Mut und Patriotismus; dies 
alles thut er umfonft, und er ift nicht reich. Spiegelt euch daran, ihr 
Deutfchen!* 

Ebenſo glorreic hielt fi Sraudenz. Da befehligte zwar auch 
ein Greis, aber einer von Blüchers und Nettelbecks markiger Kraft; der 
dreiundfiebzigjähre General L’homme de Courbidre, von Geburt ein 
Holländer, aber ein Friedrichſcher Preuße von Gefinming und That, ein 
Beteran aus dem fiebenjährigen Kriege. Er hatte nur 4500 Mann bei 

ih, und die Frangofen ließen nicht ab zu drohen, zu lügen. Doch ihre 
Iberredungstünfte wie ihre Kugeln waren bier verloren. Ihr Anführer 
Savary meinte feine Aufforderung zur Übergabe durch die Lüge zu ver- 
ftärfen, ganz Preußen fei bereits in franzöfticher Gewalt, es gebe feinen 


512 zuft. 


König von Preußen mehr. „Nun fo bin id) König von Graudenz”, 
antwortete ihm der alte Degenfnopf und verteidigte fich kaltblütig weiter. 
Aber ſolche Männer befehligten in den Plätzen erften Ranges nicht, die Daher 
fämtlic) übergingen ; fo aud), wenngleich zuletzt, Danzig. Diefe Feftung 
war für den Gang des bevorftehenden Feldzuges von größter Wichtigfeit, fie 
bedrohte Napoleons Rüden und Flanke. Demmod) verjäumte Bennigfen, 
rechtzeitig genügende Schritte zu ihrer Rettung zu thun, insbefondere fie 
mit Schießpulver zu verjehen, woran e8, wie in Kolberg, fehlte, und 
General v. Kaldreuth, der in Danzig fommandirte, ſchlug fi zwar 
wader, aber ohne Gneifenaus Erfindfamfeit und Kühnheit. So gelang 
es den Belagerern, ihn (am 25. Mai) zur Kapitulation zu nötigen, die 
freilich unter ehrenvollen Bedingungen zu ftande kam. Am 27ften z0g 
die Befagung ab (12000 Mann), durch zehnwöchigen heftigen Kampf 
auf zwei Drittel ihres früheren Beftandes herabgebradjt. Der franzö- 
fie Befehlshaber Xefebure wurde dafür von Napoleon mit dem Titel 
„Herzog von Danzig" belohnt; die Stadt aber erlitt num von den Fran- 
zofen Jahre lang eine harte, willfürliche Behandlung. 

Die Ruffen, die fo wenig zur Verteidigung Preußens thaten, waren 
defto eifriger im Plündern und Verwüſten. Sie machten das Land zur 
Einöde, zum Teil aus angeborener moskowitiſcher Raub: und Zerſtoͤrungs⸗ 
ſucht, zum Zeil um ihre eigenen Grenzen durch Wüften zu decken. Was 
nüßte es dem unglücklichen Könige von Preußen, daß Alerander gegen 
ihn von Freundfhaftsverfiherungen überftrömte und fentimental ſchau—⸗ 
ſpieleriſch, wie er war, ihm Treue bis in den Tod ſchwor? Was nüßte 
es ihm, daß jener die Wiederherftellung der preußifchen Monarchie im 
Vertrage von Bartenftein (26. April) noch einmal feierlich verſprach? 
Eine einzige verlorene Schlacht genügte, ihn umzuftimmen. 

Napoleon hatte die Zeit der Ruhe gut bemußt; er eröffnete ben 
Sommerfeldzug mit 200000 Mann, während die Berbündeten ihm 
höchſtens 120000 Streiter entgegenftellen konnten. Dod) blieben die 
erften Zufammenftöße unentſchieden; ein blutiges Treffen bei Heilsberg 
am 10. Zuni 1807 endete fogar vorteilhaft für die Verbündeten. Vier 
Tage darauf aber, am 14. Juni, erlag das ruffifche Heer in einer furdt= 
baren Schlacht bei Preußifih-Friedland der franzöfiichen Kriegskunſt 
und Übermadjt. Es räumte das Schlachtfeld, auf dem dod) nod) mehr 
franzöſiſche als ruffifche Leichen lagen, und befchleunigte feinen Rückzug nad) 
der Memel. Nun mußte aud) Leftocq, ber Königsberg beſetzt hatte, folgen 
und am 16ten rückten die Franzoſen in dieſe Ießte Hauptftadt Preußens 
ein. Die Schlacht bei Friedland entſchied den ganzen Krieg; denn der 
Widerwille der Stodruffen, die von Anfang an bes Zaren Einmifchung 
in die deutfhen Dinge gemißbilligt hatten, ſprach fi) jet laut und 
drohend aus: „Warum ſollen wir ung“, murrten fie, „nod) ferner für 


Abfall Aleranders. 513 


die perfönliche Freundſchaft unfers Kaifers mit dem König von Preußen 
ſchlagen?“ Sie feßten dem Kaiſer fo lange zu, bis er nachgab und feine 
Intereſſen von denen Preußens trennte. Er ließ mit dem Feinde einen 
Waffenſtillſtand jchließen und Friedensunterhandlungen anfnüpfen. Fried⸗ 
rich Wilhelm, ohne Mittel, den regelmäßigen Krieg allein weiter zu führen, 
und zu beroifchen, verzweifelten Entjchlüffen nicht geartet, mußte fich 
darein ergeben, anzunehmen, was der Zar für ihn ausmachen werde. 
Sein Vertrauen auf defien Redlichkeit wurde ſchmählich betrogen. 
Merander machte den Frieden, aber einzig und allein auf Preußens 
Koften und zu Rußlands und Frankreichs Nutzen. In einer perfönlichen 
Bufammenkunft (am 25. Zuni in einem Floßpavillon auf der Memel zu 
Tilſit) verftändigten fid) die beiden Kaifer über die Geſchicke Europas; 
durch Schmeicheleien, mehr noch durch große Anerbietungen wußte Ra- 
poleon den ehrgeizigen und charafterlofen Mann zu gewinnen; er blen- 
dete ihn durch das glänzende Bild einer Teilung ber Welt in ein 
Kaiſertum des Orients und ein Kaiſertum bes Occidents; er forderte ihn 
auf, das ſchwediſche Finnland und die türkifchen Donaufürftentümer an 
fich zu bringen; nad) diefer Beute war Rußland längft begierig geweſen. 
So fiel Alerander ab. Es war dann frucjtlos, daß er am folgenden 
Zage bei einer zweiten Unterredung feinen Freund mitbrachte. Statt 
milder zu werden, behandelte Napoleon diefen vielmehr mit übermütigem 
Hohne. Welche bitteren Worte mußten der König und feine Vertrauten 
von den Siegern, ja felbft von den Bunbdesgenoffen hören! Friedrich 
Bilhelm leerte den Wermutskelch des Unglücks und der Beichimpfung 
bis zur Neige; er geftattete, daß die Königin Luiſe von Memel nad) 
Tilſit kam, um durch bewegliche Bitten den harten Sieger zu rühren. 
Die edle Fürftin brachte dies große Opfer; fie erſchien (am 6. Zuli) 
vor dem kaiſerlichen Piebejer, der fie fo pöbelhaft behandelt hatte, als 
Bittende, weil fie glaubte, zum Beften des Staates zu handeln. Aber 
fie täufchte fi. Napoleon kannte Feine Großmut. „Wie konnten Sie 
Krieg mit mir anfangen?” fragte er fie Höhnifch. „Dem Ruhme Friedrichs 
war e3 erlaubt“, antwortete Luiſe, „uns über unfere Kräfte zu täufchen; 
wir haben ung getäufcht; fo war es beſchloſſen.“ Auch ber König be» 
nahm ſich vor feinem Überwinder mit Würde. Er trug fein ſchweres 
Geſchick mit ſtummem Schmerze. 

Am 7. Juli 1807 ſchloß der Zar mit Napoleon ab: Rußland ver- 
lor nichts, e8 gewann noch den bisher preufifchen Kreis Bialyſtok. 
Preußen aber mußte die Hälfte feines Gebietes, nämlich alle feine Pro- 
vinzen weſtlich ber Elbe, fowie alle polnifchen Erwerbungen abtreten; 
jene erhielt Napoleons jüngfter Bruder Jerome als „König von Weft- 
falen*, diefe famen unter dem Titel eines Herzogtums Warſchau am den 
König von Sachſen; Danzig wurde dem Namen nad) eine „freie Stadt“ 

Bierfom, preuß. Geſchichte. L 3 


514 zu. 


unter ſachfiſch⸗ polniſchem Schupe, in ber That eine franzöfiſche Teftung. 
Mit ſchwerem Herzen unterzeichnete Friedrich Wilhelm am 9. Juli dieſen 
Vertrag. Und Napoleon fügte dann noch weitere Machtgebote Hinzu, 
amerfehwingliche Kriegstoften, Eintritt in das Kontinentalfyftem und an- 
dere Opfer, mit denen der König nicht einmal erlangte, daß die Fran 
zoſen, wie es ausgemacht war, am 10. Oktober 1807 fein Gebiet 
räumten; 150000 Mann ftark, Iagerten fie noch bis Ende 1808 in dem 
unglüctichen Lande, um beffen legte Kraft auszufaugen. 

Das war der Friede zu Tilfit, das Ende der alten preußiſchen Mo- 
nardjie. Won 5700 Duadratmeilen mit 9750000 Einwohnern behielt 
Preußen nur noch 2870 Duadratmeilen mit 4600 000 Bewohnern; von 
feinem Ruhme nur die Erinnerung; von feinen Anftrengungen nichts als 
die Außerfte Erſchöpfung und die tieffte Schmad. Das alte feubal- 
abſolutiſtiſche Syſtem hatte moraliſch und materiell einen völligen Bankrot 
gemadit. s 


Drud von ®. Bernftein in Berlin. 


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BOUND 
JuL 7 1950 


—D—— 


Filmed by Preservation 1989 








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