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Full text of "Prolegomena zur geschichte Israels"

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PROLEGOMENA 



ZUR 



GESCHICHTE ISRAELS 



VON 



J. WELLHAUSEN. 



FüNtTE AUSGABE. 



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BERLIN. 

DRICK rXD VERLAG VON GEORG REIMER. 

1899. 



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MEINEM rXVEIMJESSENEN LEHHEH 



HEINRICH EWALD 



ZL' DANK l'ND EHREN. 



Inhalt. 



Einleitung. Ist das Gesetz Ansj^angspunkt für die Geschichte des alten 
Israels oder des Judentums? Letztere Möglichkeit wird durch die Geschichte 
des Kanons nicht von vornherein abgeschnitten, (irunde sie in Erwägung zu 
ziehen. De Wette, George, V'atke, Reuss, Graf (p. 1). Die drei Schichten des 
Peutateuchs : Deuteronomium, Priesterkodex, Jehovist (p. 6). Um den Priester- 
kodex und seine geschichtliche Stellung handelt es sich. Methode der Unter- 
suchung (p. 10). 

A. Geschichte des Knltns. 

Kap. 1. Der Ort des Gottesdienstes. I. Die histor. und proph. Bucher 
ergeben für das hebr. Altertum keine Spur von einem ausschliesslich berech- 
tigten Ileiligtiune (p. 17). Die Polemik der Propheten gegen die Kultusstätten. 
Der Fall Samariens. Josias Reformation (p. 23). Einfluss des babyl. Exils 
(p. 28). II. Der Jehovist (JE) sanktionirt die Vielheit der Altäre (p. 29). Das 
Deuteronomium (D) fordert die lokale Einheit des Gottesdienstes (p. 33). Der 
Priesterkodex (P) setzt sie voraus und überträgt sie mittelst der Stiftshötte 
in die Urzeit (p. 34). III. Die Stiftshutte als Central h eil igtum und Obdach 
der Lade ist in der historischen Oberlieferung nirgend aufzufinden (p. 39). 
Unhaltbarkeit der Ansicht Noldekes. Lev. 17 (p. 47). 

Kap. 2. Die Opfer. I. Das Ritual ist nach P Hauptgegenstand der 
mosaischen Gesetzgebung, nach JE vormosaischer Gebrauch; nach P kommt 
es auf das Wie, nach JE und D auf das Wem an (p. 54). Mit JE stimmen 
die histor. Bücher, gegen P zeugen die Propheten (p. 57) bis auf Ezechiel 
(p. 60). II. Materielle Neuerungen von P. Vorbemerkungen über Begriff, 
Inhalt, Applicirung, sühnende Wirkung der Opfer (p. 61). Materielle und 
geistige Verfeinerung der Opfergaben in P (p. 63). Das Mahlopfer tritt zurück 
hinter dem Ilolokaustum (p. 69). Ausbildung der Sühnopfer (p. 72). IH. Durch 
die Centralisirung das Kultus in Jerusalem ist die Verbindung des Opfers mit 
den naturlichen Anlässen des Lebens zerstört und es hat seinen ursprüng- 
lichen Charakter verloren (p. 75). 

Kap. 3. Die Feste. I. In JE und I) herrscht ein Turnus von drei 
Festen; Ostern und Pfingsten feiern den Anfang und das Ende des Saaten- 
schnitts, das Uerbstfest die Lese und das Einheimsen des Korns von der Tenne. 



VI Inhalt. 

Mit dem Fest des IJegiuns der Mahd (Massoth) ist das Fest der Opferung 
der männlichen Krstgeburten des Viehs (Pascha) verbunden (p. 82). l)ie Feste 
basiren auf der Darbringung der Aparchen von den Fruchten des Feldes 
und der Heerde. Bedeutung des Landes und des Ackerbaues für die Re- 
ligion (p. 88). II. In den historischen und prophetischen Büchern ist nur 
das Ilerbstfest deutlich bezeugt, das auch in JE und D das wichtigste ist; von 
den übrigen finden sich nur schwache Spuren (p. 91). Aber die Natur der 
Feste ist die gleiche wie in JE und 1) (p. 94). III. In P haben die Feste 
ihre Beziehung zur Ernte und zu den Aparchen verloren und sind dadurch 
im Wesen umgewandelt (p. 97). Die Metamorphose ist durch die Centrali- 
sation des Kultus bewirkt und lässt sich über das Deuteronomium und Ezechiel 
zu P hinab verfolgen (p. 102). Zu den drei Festen kommt in P der grosse 
VersOhnungstag hinzu, entstanden aus den Fiisttagen des Exils. Änderung 
des Jahresanfangs und der Monatsbezeichnung in P (p. 106). l\\ Der Sab- 
bath, zusammenhängend mit dem Neumond, ist ursprünglich ein lunarischer 
Feiertag. Überspannung der Uuhefordemng in P (p. HO). Sabbath- und 
Jobeljahr (p. 114). 

Kap. 4. Die Priester und Leviten. I. Nach Ezech. 44 sollen im Neuen 
Jerusalem nur die Leviten von Jenisalem, die Söhne Sadoks, Priester bleiben, 
die übrigen Leviten aber zu ihren Dienern degradirt und ihres Priesterrechts 
entkleidet werden. Nach P haben die Leviten nie Priesterrecht gehabt, sondern 
immer nur die Söhne Aharons (p. 118), welche den Söhnen Sadoks entsprechen 
(p. 122). II. In der ältesten Periode der (ieschichte Israels findet sich die 
Scheidung von Klerus und Laien nicht. Schlachten und opfern darf jeder, 
Berufspriestcr fungiren nur an grösseren Heiligtümeni. Priesterfamilien zu 
Silo lind zu Dan. Keine Absondenmg des Heiligen, z. B. der Lade (p. 124). 
Die Reichstempel der Könige, Priester daran als königl. Beamte (p. 128). Be- 
deutung der nordisraelitischen Priesterschaft in der Königszeit (p. 130). Die 
Familie Sadok zu Jerusalem (p. 135). III. In dem ältesten Teile von JE 
kommen keine Priester vor, kein Aharon neben Moses (p. 137). In D sind die 
Leviten Priester. Als solche kommen sie, abgesehen von Jud. 18 s., erst in 
der exilischen Literatur vor. Ihre Abstammung von Moses oder Aharon. Der 
geistliche Stamm Levi und der weltliche Stamm Levi. Schwierigkeit sie zu- 
sammenzubringen (p. 137). Konsolidirung des geistlichen Stammes in P: 
Scheidung der Leviten und der Priester. Fortentwicklung des nachexilischen 
Klerus (p. 142). Der Hohepriester als das Haupt der Theokratie (p. 145). 

Kap. 5. Die Ausstattung des Klerus. I. Die Opfergefälle werden in 
P gesteigert (p. 150), die Aparchen werden Abgaben an die Priester und da- 
bei noch verdoppelt (p. 152). II. Levitenstädte (p. 156). Die historische 
Situation, welche den Priesteransprüchen in P zu gründe liegt (p. 162). 

B. Geschichte der Tradition. 

Kap. 6. Die Chronik. 1. David wird ohne sein Zutun der Nachfolger 
Sauls, ganz Israel ist von vornherein auf seiner Seite, namentlich die Priester 
und Leviten. Entstelliuig des urspr. Berichtes über die Überführung der Lade 



Inhalt. vii 

nach Jerusalem. Auslassung der nicht erbaulichen Züge im Leben Davids 
(p. 170). Vorbereitung des Terapelbaues. Schwelgen des Erzählers in Zahlen 
und Namen, in geistlichen Zutaten. Widerspruch gegen 1. Reg. 1. 2. Das 
Bild Davids in der Chronik (p. 177). Salomos Opfer bei der Stiftshütte zu 
Gibeon. Der Terapelbau. Retouchirung des Original berichtes (p. 181). 
II. Beurteilung des Verhältnisses von Juda und Israel; die Israeliten gehören 
nicht zum Tempel und also nicht zur Theokratio (p. 186). Levitische Ideali- 
sinmg Judas. Auffassung der im Buche der Könige getadelten und der ge- 
lobten Maassnahmen der Herrscher im Tempelkultus. Konflikte mit der Er- 
zählung der Quelle, Eintragung der Priester und Leviten (p. 189). Der gött- 
liche Pragmatismus der heiligen Geschichte und seine Ausgeburten (p. 202). 
Durchschimmern des Buches der Könige (p. 210). III. Die genealogischen 
Verzeichnisse von 1. Chr. l — 9. Die zehn Stämme (p. 210). Juda und Levi 
(p. 215). Die Chronik hat für die vorexil. Zeit keine anderen Quellen zu be- 
nutzen gehabt als die auch uns im Kanon erhaltenen historischen Bücher. 
Die Verschiedenheit der historischen Gesamtanschauung erklärt sich aus dem 
Einfluss des Gesetzes, bes. des Priesterkodex. Der Midrasch (p. 222). 

Kap. 7. Richter Samuelis und Könige. I. Schematische Bearbeitung 
des Richterbuchs, chronologischer und religiöser Natur (p. 229). Verhältnis 
derselben zum Stock der Oberlieferung. Jud. 19 — 21 (p. 233). Gelegentliche 
Zusätze zu den ursprüngl. Erzählungen (p.238). Geistige Abstufung der letzteren 
(p. 241). II. Die chronologische und religiöse Schematik im Buche Samuelis 
(p. 247). Durchgreifende Umgestaltung der Geschichten über die Entstehung 
des Königstums, über die Erhel)ung Sauls (p. 249). Sauls Verhältnis zu Samuel 
(p. 259). Davids Jugendgeschichte. Samuels Auffassung ist der Gradmesser 
für den Stand der Geschichte der Tradition. Saul und David (p. 264). III. Die 
letzte religiös - chronologische Bearbeitung des Buches der Könige. Ihre 
Gleichartigkeit mit der der beiden früheren Bücher. Ihr judäischer und zwar 
deuteronomistischer Standpunkt. Ihr Verhältnis zu dem überlieferten Stoff 
(p. 275. 284). Unterschiede in der Haltung der Quellen (p. 289). In der Chronik 
wird die Geschichte des alten Israel nach Maassgabe des Priesterkodex umge- 
dichtet, in den älteren historischen Büchern wird sie nach der Norm des 
Deuteronomiums verurteilt (p. 297). 

Kap. 8. Die Erzählung des Hexateuchs. I. Die Kosmogonie in P 
und die Geschichte vom Paradise in JE (p. 300). Die ältesten Genealogien, 
die Sündflut, und die Völkertrennung in P und JE (p. 313). Allgemeine 
Unterschiede in der Darstellung der Urgeschichte der Menschheit zwischen P 
und JE (p. 320). II. Die jehovistischen Erzählungen über die Erzväter (p. 322) 
und ihr Extrakt im Priesterkodex (p. 331). Kultussage in JE und Kultus- 
gesetz in P (p. 341). III. Allgemeiner Gegensatz zwischen P und JE in der 
Auffassung und Darstellung der mosaischen Periode (p. 347). Vergleichung 
der einzelnen Erzählungen in P und in JE (p. 356). Schluss (p. 366). 

C. Israel und das Judentum. 

Kap. 9. Abschluss der Kritik des Gesetzes. L Das Veto der kri- 
tischen Analyse (p. 375). Die historischen Voraussetzungen des Deuteronomiums 



vm Inhalt 

(p. 375). Die deuteronomistische Redaktion erstreckt sich nicht über den 
Priesterkodex (p. 380). II. Die Endredaktion des Hexateuchs geht vom Priester- 
kodex aus, wie aus Lev. 17ss. erhellt (p. 383). Untersuchung von Lev. 26 
(p. 387). Die priesterliche Endredaktion des Hexateuchs (p. 392). III. Die 
Sprache des Priesterkodex (p. 393). 

Kap. 10. Die mündliche und die schriftliche Thora. I. Kein 
geschriebenes Gesetz im alten Israel. Ober den Dekalog und das Goethescho 
Zwotafelgesetz (p. 400). Die Thora Jahves im Munde der Priester und der 
Propheten (p. 401). Auffassung der Offeubaning bei Jeremias, Zacharia, dem 
Verfasser von Is. 40 ss. (p. 407). II. Das Deuteronomium war das erste 
eigentliche Gesetz. Sein Durchdringen im Exil. Ende der Prophetie (p. 410). Er- 
gänzung der reformirenden durch die restaurirende Gesetzgebung. Kodifikation 
und Systematisirung der Kultusbräuche durch Ezechiel und seine Nachfolger. 
Der Priesterkodex. Eingeführt durch Ezra (p. 412). Die Thora die Grund- 
lage des Kanons. Erweiterung des ursprünglich an der Thora haftenden Bo- 
griffes auf andere Bücher (p. 415). 

Kap. 11. Die Theokratie als Idee und als Anstalt. I. Frische und 
Natürlichkeit der alten Israel. Geschichte (p. 417). Entstehung des Staates, 
Beziehung der Religion und der Gottheit auf das Leben des Staates und der 
Nation (p. 418). Die messianische Theokratie der älteren Propheten verlässt 
nicht die in dem wirklichen Gemeinwesen der Gegenwact gegebenen Gnmd- 
lageu (p. 420). Die Idee des Bundes (p. 423). II. Die Gründung der thco- 
kratischeri Verfassung unter der Fremdlierrschaft (p. 424). Das Gesetz und 
die Propheten (p. 428). 



Das Problem 

des vorliegenden Buches ist die geschichtliche Stellung des mosai- 
schen Gesetzes, und zwar handelt es sich darum, ob dasselbe der 
Ausgangspunkt sei für die Geschichte des alten Israel oder für 
die Geschichte des Judentums, d. h. der Religionsgemeinde, 
welche das von Assyrern und Chaldäern vernichtete Volk über- 
lebte. 

1. Es ist eine verbreitete Ansicht, dass die Bücher des Alten 
Testaments, im ganzen und grossen, sich nicht bloss auf die vor- 
exilische Periode beziehen, sondern auch aus ihr shimmen. Es 
sind die Reste, meint man, welche die Juden aus der Litteratur 
des alten Israel retteten, das Erbe der Vergangenheit, von dem sie 
in Ermangelung eines eigenen geistigen Lebens zehrten. Auch wenn 
man nicht gerade mit der Dogmatik das Judentum einfach als 
ein Vacuum betrachtet, über welches hinweg das Alte Testament 
in das Neue mündet, hält man doch insgemein daran fest, dass 
dasselbe an der Hervorbringung der Schriften, welche es in die 
heilige Sammlung aufnahm, nur ausnahmsweise einen Anteil ge- 
habt habe. Aber die Ausnahmen, die man in der jüngsten und 
in der mittleren Schicht des Kanons zugibt, sind nicht so ganz 
geringfügig. Von den Hagiographen ist bei weitem der grösste 
Teil erweislich nachexilisch, erweislich vorexilisch dagegen nichts; 
der Daniel reicht hinunter bis zu den makkabäischen Kriegen, 
Esther vielleicht noch tiefer. Auch die prophetischen Schriften 
fallen durchaus nicht alle noch in die Königszeit, sondern zu 
einem sehr beträchtlichen Teile überschreiten sie diese Grenze; die 
im Kanon damit unter gleichem Namen zusammengefassten Historien- 
bücher sind, wie wir sie haben, nach dem Tode des gefangenen 

Wellhanieo, Prolegomena 5. Aufl. \ 



Königs Jeehouia veifasst, der noch eine Weile über das Jahr 56() 
hinaus gelobt haben muss. Dringt man uun auch die älteren 
Quellen in Anschlag, welche in den Büchern der Richter. Samuelis 
and der Könige vielfach benutzt und meist wörtlich aufgenommen 
sind, so beläuft sich doch die voresilische Literatur, die uns im 
Alten Testament nhzäglich des Pentateuchs erhalten ist, noX nicht 
viel mehr als die Hälfte vom Umfange des Ganzen. Das Übrige 
gehört der späteren Periode an; darunter nicht bloss kümmerlicher 
Nachwuchs aus halb erstorbenen Trieben von ehemals, sondern 
auch so wertvolle und originelle Erzeugnisse wie Isa. 4CI — 66 oder 
Ps. 73. 

Wir kommen zum Gesetze. ■Ausdrückliche Angaben über den 
Verfasser und die Abfassungszeit fehlen, wie gewöhnlich; ura nns 
ungefähr zu orientiren, sind wir darauf angewiesen, aus der Ana- 
lyse des Inhalts passende Daten zn gewinnen und sie zu dem, 
was wir anderweit vom Verlaufe der israelitischen Geschichte 
wissen, in Beziehung zu setzen. Hier aber pHegt man den zu 
vergleichenden historischen Zeitraimi von vornherein ao abzustecken, 
dass das babylonische Esil als eine ebenso unüberschroitbare 
Grenze nach unten gilt wie der Auszug aus Ägypten nach oben. 
Verleiht etwa die Geschichte des Kanons ein Recht daau? Es 
könnte so »icheineu. Das Gesetz ist am frühesten kanonisch ge- 
worden, durch Ezra und Nehemia; die Propheten sind beträchtlich 
später hinzugekommen, am spätesten die Hagiographen. Es liegt 
nun nahe, aus der Stufenfolge der Kanonisirung dieser Schriften 
auf eine ungefähre Stufenfolge ihres Alters zu schliessen und dem- 
gemäss nicht nur die Propheten den Hagiographen, sondern auch 
die fünf Bücher Mosis den Propheten voranzustellen: wenn schon 
diese zum grösseren Teile der vorexilischen Zeit angehören, wie 
viel mehr Jene ! Aber so zulässig eine derartige Vergleichnng 
zwischen der mittleren und der jüngsten Schicht des Kanons sein 
m^, so unzulässig ist sie zwischen der ersten Schicht und den 
beiden anderen. Nämlich der Begriff des Kanons haftet an der 
Thora und ist von da erst auf die übrigen Bücher übertragen; 
den letzteren wuchs allmählich und unter der Hand ein gewisser 
Auteil an der Geltung zu, welche die Thora durch einen öffent- 
lichen und ganz formellen Akt erlangt hatte, wodurch sie als die 
Magna Charta der jüdischen Gemeinde eingefülirt wurde (Nehem. 
8 — 10). Bei jenen gehört der kanonische d. h. gesetzliche 






Das Problem. 3 

rakter nicht zur Sache, sondern ist erst nachträglich hinzugetreten; 
da muss ein längerer, kann ein sehr langer Zeitraum zwischen 
der Entstehung und der Sanktionii*ung gelegen haben. Dagegen 
der Thora ist der kanonische Charakter in der Tat viel wesent- 
licher; die Annahme birgt Schwierigkeiten, dass das mosaische 
Gesetz im vorexilischen Altertum entstanden sei, und dann ei*st 
viele Jahrhunderte später unter völlig veränderten Umständen 
Gesetzeskraft erlangt habe. Wenigstens kann daraus, dass es die 
öifentliche Geltung als Gemeindebuch, die es beansprucht, früher 
gewonnen hat als Schriften, die darauf in keinerlei Weise angelegt 
sind, gewiss nicht gefolgert werden, dass es älteren Ursprungs sei 
als jene. 

Somit lässt sich die Möglichkeit, dass das Gesetz des Juden- 
tums auch das Erzeugnis des Judentums sei, nicht gleich vor der 
Türe abweisen, und es gibt dringende Gründe, sie in nähere Er- 
wägung zu ziehen. Vielleicht scliickt es sich hier, pereönliche Er- 
fahrung reden zu lassen. Im Anfange meiner Studien wurde ich 
angezogen von den Erzählungen über Saul und David, über Elias 
und Ahab, und ergriffen von den Reden eines Amos und Jesaias; 
ich las mich in die prophetischen und geschichtlichen Bücher des 
Alten Testaments hinein. An der Hand der mir zugänglichen 
Hilfemittel glaubte ich sie zwar leidlich zu verstehn, hatte aber 
dabei ein schlechtes Gewissen, als ob ich bei dem Dache anfinge 
statt bei dem Fundamente; denn ich kannte das Gesetz nicht, 
von dem ich sagen hörte, es sei die Gnindlage und Voraussetzung 
der übrigen Literatur. Endlich fasste ich mir Mut und arbeitete 
mich hindurch durch Exodus, Leviticus und Numeri und sogar 
durch Knebels Kommentar dazu. Aber vergebens wartete ich auf 
das Licht, welches von hieraus auf die geschichtlichen und pro- 
phetischen Bücher sich ergiessen sollte. Vielmehr verdarb mir das 
Gesetz den Genuss jener Schriften; es brachte sie mir nicht näher, 
sondern drängte sich nur störend ein, wie ein Gespenst, das zwar 
rumort, aber nicht sichtbar, nicht wirksam wird. Wo sich Be- 
rührungen fanden, da waren Verschiedenheiten damit verbunden, 
und ich konnte mich nicht entschliessen, auf Seiten des Gesetzes 
das Ursprüngliche zu sehen; dunkel empfand ich einen allgemeinen 
Abstand zweier verschiedenen Welten. Jedoch zu einer klaren 
Anschauung gelangte ich keineswegs, sondern nur zu einer unbe- 
haglichen Verwirrung, die durch Ewalds Erörterungen im zweiten 

1* 



4 Das Problem. 

BttQile seiner Ueschirlite iles Vulkes Israel noch gesteigert i 
Da errulir ich gelegentlich im ^^onimer IBlii, duss Karl Heinrich 
Graf dem Gesetze seine Stelle hinter den Propheten anweise, und 
heinall ohne noch die Begrnuduiig seiner Hypothese zu kenneii, 
war ich für sie (gewonnen: ich durfte mir gestehn, dass das hebrä- 
isuhe Altertum ohne duä Buch der Thora verstanden werden 
könne. 

Graf verdankt die Anregung zu seinou Aufstellungen seinem 
Lehrer Eduard Reuss. Am richtigsten wäre ah er die Grafsche 
Hypothese »u henennen nach Leopold fieorge unii Willielm Vatke; 
denn diese haheu zie üueM literarisch vertreten, unabhängig von 
Heuss und unabhängig von einander. Ilu'eiseits sind alle diese 
Mäimer von Martin Lebrecht de Wette ausgegangeu, dem epoche- 
machenden Eröffner der historischen Kritik auf diesem Gebiete'). 
Zu einer festen i'osition ist freilich de Wette nicht getaugt, aber 



i)W. M. L de Walte, Beiträge zur Einlcituttg in das A. T., Bd. li Kri- 
tischer VerBiich über die Glaubwürdigkeit der Bücher der Chrunik, Bd. II: 
Kri(U der MoHiiischeu Geschichte; Halte 1806. 1807. .1. F. L. (ieorge, 
die Uteren Jüdischen Feste mit einer Kritik der Oeiiettgebuiig des Vvu- 
tateueh; Berlin 1835 (Vorrede vom 12. Oktob.). W. Vatkc, die biblische 
Theologie wissenschaftlich dargestellt ; Berlin 1835 (Vorrede vom 18, Oktoli., 



nur der erate Teil des crsteo 
(geschichtlichen Bacher des Alte 
Bbenao wie J. Orth {Nouv. Res, 
1859. 1860], die Anregung s'Hti 
empfangen habe, war nicht m 
im Jahre 1870 gezeigt durch iti 
Keuss schon 1833 oder nach eiu< 
1 theologisch D 



erschienen). 
I TcsiaijKiit.-, Leipzig 1866. Dass Gnt, 
■■ .1.- 'riirnl. in. 384 SS., IV. 350 SS. Paris 
■•■ Ki'iiik \<-]i M'iiicin Strassburger Lehrer 
iik^iiini; ilciiiliili hat es sich aber erst 
: Veiuirt-iitlicliiiiig gewisser Thesen, die 
r anderen Augai>e 1834 formulirt, damals 
Fubliliiun gedruckt vorzulegen Bedenken 




ober dem grussi ^ ^ ^ 

getragen hatte. Die Thesen, auf die es ankommt, lauten (L^Histotre 
Sointe et la Loi, Paris IS79 p. 23. Ü): I. L'el^ment hiatorique du Penta- 
teuuue peut et dott etre eiamine k part et ne pas etre confondu avec 
Pelement Uga\. 3. L'un et Taulre onl pu exister saos redactjon ^crite. 
La mention, chen d'anciens ecrivains, de certainea traditions patriarcales 
üu mosairgues, ne prouve pas l'existence du Pentatouquc, et une nation 
peut avoir un droit couturaier Sans code ecrit. 3. Les traditions na- 
lionales des Isra^Iites remontent plus haut que les lois du Pentatenrjue 
et la redaction des premi^res est anterieure s celle des secondes. i. Läu- 
teret principal de I historien dolt porter sur la datc des lois, parce 
que sur m terrain il a plus de chance d'arriver ä des resultals cer- 
taina. II taut en conaequenca proceder a Tinlerrogatoire des temoins. 
ü. L'histoire racontee dans les livres des Juges et de Samuel, et mOine 
en partie celle comprise dana les livres des Rois, est en ointrndiction 
avec des lois dites mosaiques; douc celles-ci etaienl incouuues a l'rpoque 
de la r^dactluu de ces livres, k plus forte raison elles u'ont pas existe 
dans les teraps qui j sont decnts. 6. Les prophales du 8« et du 7 • 
siede ne savent rien du Code mosüque. 7. Jer^mie est le premier 
prophite qui coniutisse une lof ecrite et ses citAtions rapporteut 






Das Problem. 5 

er hat zuerst deutlich die Kluft empfunden und nachgewiesen, 
welche sich zwischen dem angeblichen Ausgangspunkte der israeli- 
tischen Geschichte und ihr selber auftut. Das in der Wüste auf 
so breiter Grundlage eiTichtete Gebäude der religiösen Gemeinde, 
mit ihrem heiligen Mittelpunkte und ihrer uniformen Organisation 
verschwindet spurlos, seit Israel landsässig und ein eigentliches 
A^olk geworden ist. Die Richterperiode stellt sich uns dar als ein 
buntes Chaos, aus dem allmählich eine zusammenfassende Ordnung 
hervorgeht, unter dem Druck der äusseren Umstände, aber auf eine 
höchst natürliche Weise und ohne jegliche Reminiscenz an eine 
einheitliche heilige Verfassung, die einst zu Recht bestanden hätte. 
Hierokratische Neigungen hat das hebräische Altertum gar nicht; 
die Macht ist lediglich bei den Geschlechts- und Familienhäuptern 
und bei den Königen, sie verfügen auch über den Gottesdienst und 
setzen die Priester ein und ab. Der Einfluss, den die letzteren 
besitzen, ist bloss ein moralischer; die Thora Jahves ist nicht ein 
ihre eigene Stellung sicherndes Dokument in ihren Händen, sondern 
eine Unterweisung für andere in ihi-em Munde; sie hat wie das 
Wort der Propheten nur göttliche Autorität, gilt nur so weit als 
sie freiwillig anerkannt wird. Was endlich die Literatur betrifft, 
die uns aus der Königszeit überliefert ist, so wird es dem besten 
AVillen schwer, ein paar zweideutige Anklänge an das Gesetz auf- 
zustöbern, die gar nichts bedeuten, wenn man bedenkt, was Homer 
für die Griechen gewesen ist. 

Um das Befremden auf die Spitze zu treiben, kommt nun 
noch hinzu, dass im nachexilischen Judentum der bis dahin latente 
Mosaismus plötzlich überall zum Vorechein kommt. Da haben 
wir das Buch als Grundlage des geistigen Lebens, „die Leute der 

Denteronome. 8. Le Deuteronorae (4, 45 — 28, 69) est le livre que les 
pretres pretendaient avoir trouve dans le teraple, du temps du roi 
Josias. Ce code est la partie la plus ancienne de la legislation (redigee) 
comprise dans le Pentateuque. 9. I/histoire des Israelites, en tant 
qu'il s'agit du developpement national determine par des lois ecrites, 
se divisera en deux periodes, avant et apres Josias. 10. Ezechiel est 
anterieur ä la redaction du code rituel et des lois qui ont definitivement 
organise la Hierarchie. 11. Le livre de Josue n'est pas, tant s'en faut, 
la partie la plus recente de l'ouvrage entier. 12. Le redacteur du Penta- 
teuque se distingue clairement de Pancien prophete Moyse. — Trotzdem 
darf Reuss mit Vatke nicht auf eine Linie gestellt werden: ihm ging 
eben ein Licht auf, als jener bereits sein Buch schrieb, und er verstand 
dies Buch nicht, als es erschien, sondern erst ein halbes Jahrhundert 
später, nach seinem eigenen Eingeständnis. 



Dm Problem. 



k 



Schrift" wie lior Koran sayt; lia haben wir das Heiligtum, diS 
Priester imil Leviten int Mittelpunkt und das Volk als GemeinctA 
darum gelagert, da liahen wir den Kultus, die Brand- und Sund- 
opfer, die Iteinigungen uud Euthalluiigen, die Feste und Sabbathe 
genau nach dor Vorscbril^ des Gesetzes, als die Hauptsache des 
Daseins. Man uehmo die Gemeinde des zweiten Tempels und 
vergleiche sie mit dorn alten Volke Israel, so hat man auch den 
Abstaud dieses letzteren vom sogenannten Mosaismus. Die Juden 
selbst haben diesen Alistand Behr wol enipfun<)en. Die gegen Ende 
de« babylonisdieu Exils unternommene Bearbeitung der Bücher 
der Richter, Samuelis und dor Könige, die weit stärker eingreift, 
als man gewöhnlich annimmt, verdammt die ganze Königszeit als 
liäretisuh. Später gestaltete mau die mehr und mehr mit einem 
gewissen Nimbus umgebene Vergangenheit lieber einfach ins 
Legitime um, als dass man sio verurteilte: die Chronik zeigt, wie 
sich die Gesohichto des Altertums ausnehmen müsste unter der 
Voraussetzung, daga d'e mosaische Ilierokratie ilire Grundlage ge- 
wesen sei. 

2. Diese kurzen Bemerkungen haben nur den Zweck, za 
aeigen, dass es kein eingebildetes, sondern ein wirkliches und un- 
abweisbares Proidem Ist, um das wir uns bemühen. Dasselbe soll 
damit nur eingeleitet werden; zu erledigen ist es nicht so leicht, 
im Gegenteil schwierig genug. 80 schlechtliin lässt sich die Frage 
überhaupt gar nicht aufwerfen, welche geechichtliehe Stellung das 
Gesetz einnehme. Denn das Gesetz, wenn wir darunter den ganzen 
Pentateuch verstehn, ist keine literarische Einheit und keine ein- 
fache geschichtliche Grösse. Seit Peyrerius und Spinoza hat die 
Kritik die komplicirte Natur «lieses merkwördigen Schriftwerkes 
erkannt und seit Jean Astruc sich mit Erfolg bemüht, die ursprüng- 
lichen Bestandteile ans ihrer VorscUlingung zu lösen; sie ist gegen- 
wärtig KU einer Anzahl von Ei-gebnisscn gelangt, die als gesichert 
gelten können. Folgende sind darunter die vornehmsten. /Die fün f 
Bücher Mosis gehören mit dem Buche Josua zusammen, indem 
nicht dor Tod Moses, sondern vielmehr die Eroberung des ver- 
heissenen Landes den wahren Abschluss zu der Erzvätergeschicht«, 
der Ansfiihning aus Ägypten, und der Wüste nw an demng bildet; 
man redet also Uterarisch richtiger vom Hexateuch als vom Penta- 
teuch^. Aus diesem Ganzen löst sich am einfachsten das Deute- 
rousiaium ab, als ein von Maus ans selbständiges Gesetzbucli. 



d 



Das Problem. 7 

Im übrigen tritt am markantesten die s. g. Grundschrift hervor, 
ehedem auch, wegen der Anwendung des Gottesnamens Elohim 
bis auf Moses, als der Elohist, von Ewald, nach der regelmässigen 
Form der Kapitelüberschriften in der Genesis, als das Buch der 
Ursprünge bezeichnet. Sie zeichnet sich aus durch ihre Neigung 
zu ^hl und Maass, überhaupt zum S chem a, dmxh ihre starre 
pedantische Sprache, durch die beständige Wiederholung gewisser 
Ausdrücke und Wendungen, die sich im älteren Hebraismus sonst 
nicht finden: sie hat die ausgesprochensten Charakterzüge und ist 
daher am leichtesten und sichersten zu erkennen. Hir Grund- 
stock ist der Leviticus nebst den verwandten Teilen der an- 
grenzenden Bücher, Exod. 25 — 40 mit Ausnahme von Kap. 32 — 34, 
und Num. 1 — 10. 15 — 19. 25 — 36 mit geringen Ausnahmen. Sie 
enthält demnach vorzugsweise Gesetzgebung, und zwar bezieht sich 
selbige wesentlich auf den Kultus der Stiftshütte und was damit 
zusammenhängt. Historisch ist um* die Form, sie dient dem ge- 
setzlichen Stoflf als Rahmen, um ihn anzuordnen, oder als Maske, 
um ihn zu verkleiden. Gewöhnlich ist der Faden der Einzahlung 
sehr dünn und häufig nur dazu da, der Zeitrechnung als Vehikel 
zu dienen, die von Erschaffung der Welt an bis zum Auszug aus 
Ägypten lückenlos fortgeführt wird; nur wo die anderweitigen 
Interessen einspielen, schwillt sie an, wie in der Genesis bei den 
drei Vorstufen des mosaischen Bundes, die sich an die Namen 
Adam, Noah und Abraham knüpfen. Scheidet man nun ausser 
dem Deuteronomium auch diese Grundschrift aus, so bleibt das 
jehovistische Geschichtsbuch übrig, welches im Gegensatz zu jenen 
beiden wesentlich erzählender Natur ist und den Uberlieferungs- 
stoflf recht mit Behagen ausbreitet. Die Patriarchengeschichte, 
die ihr beinah ganz angehört, charakterisirt diese Schrift am 
besten; dieselbe erscheint hier nicht als kurz abzumachende Ein- 
leitung für das Wichtigere, was kommen soll, sondern als eine 
ausfühiiichst^^zu^_behan^ Hauptsache. Legislative Elemente 

finden sich nur an einer Stelle aufgenommen, wo sie in den ge- 
schichtlichen Zusammenhang hineingeboren, nämlich bei der Ge- 
setzgebung auf dem Sinai (Exod. 20 — 23. 34). 

Lange Zeit hat man sich mit dieser Zweiteilung des nicht- 
deuteronomischen Ilexateuchs begnügt, bis Hupfeld in gewissen 
Stücken der Genesis, die man bis dahin teils der Grundschi-ift, 
teils dem Jehovisteu zugewiesen hatte, eine dritte zusammen- 



R Dss PmWem. 

hangende Quello aufwies, den s. g, jän^eren Eloliiaten, Der Nan 
ist darum gewählt, weil auch hier Elühim die regelmässige Be- 
zeichnung der Gottheit ist-, ebenso wie es in der Orundsihrift bis 
Exod. I) der Fall ist; doch bleibt der Zusatz der jüngere Elohlst 
besser weg, da er ein unberechtigtes Präjudiz enthält und zur 
Unterscheidung von der Cirundschrift nicht mehr nötig ist, seit für 
sie der in der Tat anpassende Name Elohist aufgegeben worden 
ist.. Ilupfetd nahm nun an, da£s die drei Quellen neutral neben 
einander hergelaufen seien, bis ein Hpaterer sie allesamt zugleich 
zu einem Ganzen vereinigt habe. Aber dies ist eine unhaltbare 
Vorstellujig, der Elohist ist nicht bloss im Stoffe und in der An- 
gi'hauuug dem Jehovisten nächst verwandt, sondern er ist uns auch 
nur als ein Ingrediens der jehovistischen Schrift erhalten; was zuerst 
Nöldeke erkannt hat'). Dann bleibt es also, trotz Hupfelds Eul- 
deckung, dennoch bei der alten Zweiteihing in zwei giosse 
Schichten; und man hat alle Ursache, diesen ITauptgegensatz aU 
Grundlage der historischen Untersuchung festzuhalten, trotzdem 
sich mehr und mehr herausstellt, dass nicht bloss der Jehovist, 
sondern auch die Grundschrift komplicirte Gebilde sind, und dass 
daneben noch zwitterhafte oder posthumo Elemente vorkommen, 
die sieh nicht einfach der einen oder der anderen Schicht zuweisen 
lassen '). 



r Zu- 



\ iinil die Art 
deke, die s. «■ ''fund- 
' Kritik de» Allen 



i)I|pnnann Hu|ifcld, die (jup)lcn der ( 
sninmpnKetzilUg; Berlin 1853. ThcoUor noicie 
schrifl des Pentateuchn (in den Unters iicliuiigcn 
TesLaraenl*, Kiel 1869). 

*) J. Wellhausen, die Romiiosilioa de« HexateuchB (Jahrhücher für 
D^utachv Tlieoloeie 1876. 1877). Einiclheiten gehe ich preis; in der 
allgnnjeinon Betrachtung weise dos literarischen Proiossea , wodurch der 
Pentateuch entstanden ist, gUuhe ich der Forschung die richtige Bahn 
gewiesen »u haben. Wesentlich korrigirt hin ich l>iB jetit nur durch 
EnenUD, in den aeit 1S77 in der Leidener TheologiBehen Tijdschrift von 
ihm vertiffentlii'hten Bijdragen tot de critjok tan Pentateuch cn Joiuä; 
alier diese Korrektur ixt von der uigenchmeu Art, dass sie meine eigene 
Grund an sc hauung l<e freit von hangen gebliebenen Resten des alten 
Sauerteiges der raechauisehen Quell cnschcidung. Kuenen leiirt nainenl- 
lich, dass gewisse Elemente, die ich dem Kiohii;ten zugewiesi'u habe, 
nicht Fragmente eines einst selbständigen Znsammenhanges sind, sondern 
eingeschaltete Nachträge, die sich para.sitisch einem anderweit i^'pn Zu- 
sammenhauge nngesebt haben. Ich lie7eii'hiie das jeho\isfische üe- 
schichtshuoh mit JE, die Elohimijuelle desselben mit E, die Jnhvequelle 
mit J, den Priesterkodex mit P und verweise im übrigen nuf die Nach- 
träge in meiner Komposition des Uexatcuchs und der historischen Bücher 
des A. T. 3. Aofl. Berlin 189». 



Bucher J 




HU» 



Das Gebets nun, nach desBen geschichtlicher f^teIlun)^ wir 
fragen, ist. die b. r. Orundschrift, dio nach ihrem Inhalt und 
l'rsprung der Pripsterkodex zu heisseii verdient und so auch hin- 
fort genaunt werden soll. Der Priesterkodex prävalirt nicht bloss 
in thnfang, aomlern auch in Geltung üher die anderweitige Gebets- 
Hebung, er gibt in allen Hauptsachen MaiLss und Ausschlag, Nach 
Reinem Muster haben ilie Juden unter Ezra ihre heilige Gemeinde 
eingerichtet, und auch wir stellen uns darnach die mosaische 
Theokratiö vor: mit der Stiftshfltte als ihrem Ceutrum, dem 
»fiohenpriester als ihrem Haupte, den Priestern und Leviten als 
Organen, dem legitimen Kultus als ihrer regelmässigen 
|l>ebensäusscrung. Dies Gesetz im eminenten Sinne ist es nun 
Mch grade, welches in jene Schwierigkeiten verwickelt, die unser 
iblem begründen; nnd nur hier herrscht der grosse Zwiespalt 
fiher die Entstehuugszeit. Bei der je hovistischen Sc hrift ist man 
iri erfreulicher Weise darüber einveretanden, dass sie, ihrem Haapt- 
bestande nach, durch Sprache, Gesichtskreis nnd übrige Voraus- 
wtzungen, d er goldenen Peri ode dei^ hebräisciien_Literat!ir_jsuge- 
wird, ans der die schönsten Stüt'ke der nücher der Richter, 
NS&muelis und der Könige und die ältesten dor uns erhaltenen 
prophetischen Schriften herrühren, d er Ze it der Könige l uid Pro- 
pheten, dio der Auflösung der lieiden Israeli tiscRen Reiche durch 
die Assyrer vorhergeht. Über den l'rs^ung jles Deuteronomiums 
'herrscht noch weniger Zweifel-, in allen Kreisen, wo überhaupt 
if Anerkennung wissenschaftlicher Resultate zu rechnen ist, wird 
lerkannt, dass es in der Z eit verfasat ist , in jer es en tdeckt und 
der Reformation des K önigs Jogjas zu gr ünde gelogt wurde: diese 
letztere wurde etwa eine Generation vor der Zerstöiiing Jerusalems 
durch die Chaldaer durchgeführt. Nur beim Priestorkodex gehn 
die Ansichten weit auseinander. Dereelbe sucht nämlich mit Fleias 
das Kostüm der mosaischen Zeit einzuhalten und seine eigene so 
viel es immer geht zu verschleiern. Das Deuteronomium tut dies 
ni weitem nicht in dem Grade, lässt vielmehr die wirkliche 
Huatlon, die Periode, wo nach der Zeretörung Samariens nur 
; Kelch Juda allein noch fortbestand, sehr deutlich durch die 
igcnommene hindurch scheinen (12,8. 19,8). Der Jehovist nun 
: will kein mosaisches Gesetz, sondern ein einfache.'; Geschichts- 
Kh eeiii-, der Abstand der Gegenwart von dor Vergangenheit, 
Bier di« gehandelt wird, wird nicht im mindesten verdeckt; hier 



mir 



10 



D»s Pro Wem. 



finilcii eich allo jene Hemcrliun^on, die zuerst Alieiieznis uad 
später .Spinozas Aufmerksamkeit erregten, wie Gen. 12,6: 'lamals 
wuhntcn nämlich die Kanaaniter im Lande; Gen. 36,31: das dnt] 
die Könige, welche in Edom herrschten, ehe die Kinder Israel 
einen König hatten; Num. 12,6. 7. Deut. 34,10: es stand fürder 
kein Prophet m Israel auf, der SEoses gleich gekommen wäre. 
Didiingegen der I'riesterkodex hütet sich vor jeder Uinweisung auf 
die spätere Zeit, auf das ansässige Lehen im Lan'le Kanaan, 
welches sowol im jehovistischen Bundesbuch (Exod. 21—23) wie 
im Deuteronomium die ausgesprochene Basis der GesetJtgehui^ ist; 
er hält sich formell streng innerhalb der Situation der Wüsten- 
Wanderung und will alles Ernstes eine Wüstengesetzgebung sein. 
Ea ist ihm wirklich gelungen, mit dem beweglichen Tabernakel, 
mit dem WaiiderUger, und mit dem übrigen archaistisclieu Schein 
seine wahre Abfassangszeit so zu verschleiern, dasa die vielen 
materiellen Widersprüche gegen das uns anderweit bekannt« vor- 
exilische Altertum, die er enthält, nur als Zeichen davon auf- 
gefasst werden, wie er über alle historische Zeit weit hinansrago 
und vor lauter Unvordeuküchkeit kaum noch in einer Berührung 
damit stehe. Der Priesterkodex also gibt uns das Rätsel auf. 

3. Es war ein richtiger Instinkt, dass die Kritik von dem 
zuei-st in de Weites Geist aufgestiegenen und bestbnmter von 
Gooi^e und Vatke erfassten geschichtlichen Probleme vorläu6g 
Abstand nahm und zunächst mit der Komposition des Peutateuchs 
einigermassen ins Reine zu kommen suchte. Es war aber ein 
Irrtum, dass mau mit dem Ausscheiden der Quellen — wobei 
man ganz suchgemäss die Hauptaufnierksamkeit auf die Genesis 
richtete — beiläufig zugleich jene grosse historische Frage er- 
Iciligt zu haben glaubte. In Wahrheit hatte man sie nur in 
Schlaf gesungen: es ist Grafs Verdienst, nach einer langen Zeit 
sie wiedererweckt zu haben. Seinerseits übersah er dabei freilich, 
nicht zu seinem Vorteil, den Fortschritt der Secirarbeit und ver- 
wickelte sich dadurch in eine Verlegeuheitsannalime , die völlig 
unhaltbar war, indessen auch gar nicht mit der eigentlichen Hypo- 
these znsammenliing und auf dem Stande, zu dem Hupfeld in- 
zwischen die Quellenkritik gefordert hatte, von selber wegfiel. 
Graf folgte nämlich anfangs der älteren, besonders durch Friedrich 
Tuch vertreteneu Meinung, dass der Priesterkodex in iler Genesis, 
mit seinem so nackt hervortretenden Skelett, die Gmndschrift eei. 



J 



Das Problem. 11 

der Jehovist aber der Ergänzer und als solcher uatürlich jünger; 
da er nun die Kultusgesetzgebung der mittleren Bücher umgekehrt 
für weit jünger hielt als den Jehovisten, so musste er dieselbe 
wol oder übel von ihrer Einleitung in der Genesis losroissen und 
das eng Zusammengehörige durch einen Zeitraum von einem halben 
Jahrtausend trennen. Aber längst hatte Hupfeld zur Anerkennung 
gebracht, dass der Jehovist kein Ergänzer sei, sondern Verfasser 
eines vollkommen selbständigen Schriftwerks, und dass die Stücke, 
die, wie Gen. 20 — 22, vorzugsweise als Beispiele jehovistischer 
Überarbeitung der Grundschi'ift vorgeführt wurden, in Wirklich- 
keit einer ganz anderen Quelle, dem Elohisten, angehörten. Da- 
durch war der Anstoss, über den Graf gestrauchelt war, bereits 
im voraus beseitigt, eine unerwartete Bundesgenossin hatte ihm 
die Wege geebnet. Dem W^inke A. Kuenens folgend zögerte er 
nicht, ihre Hand anzunehmen, er widerrief die gewaltsame Zer- 
splittening des Priesterkodex und zog nun unbehindert aus den 
Ergebnissen, die er für den gesetzlichen llauptteil gewonnen hatte, 
die Konsequenz auch füi* den erzählenden Teil in der Genesis'). 

Damit war der Grund gelogt; zur weiteren Ausgestaltung der 
Hypothese hat hernach Kuenen das Meiste beigetragen, den die 
Hebräer den Goel Grafs nennen würden. Die Inhaber der heiT- 
schenden Meinung wehrten sich freilich, so gut sie vermochten, 
sie waren aber vom langen Besitze her ein w^enig erstarrt auf ilu-en 
Hefen. Sie erhüben gegen den Grundstürzer eine Reihe von Ein- 
wänden, die alle mehr oder weniger an dem Fehler litten, dass 
sie das erschütterte Fundament zur Basis hatten. Stellen aus Amos 
und Hosea wurden vorgebracht, welche Bekanntschaft mit dem 
Priesterkodex verraten sollten; wer aber diesen füi* jünger hielt 
als jene, auf den konnten sie keinen Eindruck machen. Fast un- 

') K. H. Graf, die s. g. Grundschrift des Pentateuchs, in Merx' Archiv 
1869 p. 466 — 477. Schon in einem Schreiben an Kuenen vom 12. Nov. 
1866, Theol. Tijdschrift 1870 p. 412, hatte er geäussert: vous me faites 

pressentir une Solution de cette enigme c'est que les parties 

elohistiques de la Genese seraient posterieures aux parties jehovistiques. 
Graf war auch in dieser Hinsicht Keuss gefolgt, welcher letztere a. 0. 
p. 24 von sich sagt: Le cote faible de ma critique a ete que, ä l'egard 
de tont ce qui ne rentrait pas dans les points enumeros ci-dessus, je 
restais dans l'omiere tracee par mes devanciers, admettant sans plus 
ample examen que le Pentateuque etait Touvrage de Thistoricn tUoliiste, 
complete par Thistorien jehoviste, et ne me reudant pas compte de 
la maniere dont l'element legal, dont je m'etais occupe exclusivemont, 
serait venu se joiudre a Telement historique. 



geherdig stclHo 
i DquI 



1 sii'li Hnriilter, dass die Kultiisgt'WIzgflniDi; ] 
ickt V 



k 



uiitw das DQuIcronomium hiiialigedrückt war: man berief sich d«^ 
auf, dass letzteres ereteru ja benutze. Al>er die Spuren erw-iesen 
sich ala äusserst [Yroblematisch, während umgekehrt die gansliclie 
Abhängigkeit des Deuteronomiuras vom Jchovisteii mit der grössten 
Klarheit hervortrat. Mau wies auf die letzte liedaktion des hexa- 
leuohiHclien ßesamtwerkes hin, die anerkannt ormasson deaterono- 
mtatiBi^ sei — es stolUo sich aber heraus, duas die iloulerotio- 
mistisehe Redaktion bei den zum l'riesterkodex geliörigen Stücken 
schwer aufzuspüren war. Auch die Sprachgeachiclite mussto gegen 
Graf herhalten; sie war es leider gewohnt, wie weiches Wachs be- 
handelt zu werden. Kurz die Argumente, die ins Feld Keführt 
wunlen, entlehnten insgemein ihre Kraft der moralischen Über- 
zeugung, dass die Kultusgesotzgobung alt sein müsse und nicht 
erst in der Periode des Judentums niedergeschrieben sein könne: 
wenn sie vorher nicht wirksam, ja anter den vorexilischeu Ver- 
hältnissen unausführbar gewesen sei, so könne sie ja darnm doch 
vorhei' existirt haben. Diese Überzeugung war um so unerschütter- 
licher, je weniger sie auf firünden benihte. 

Von der Stolle, wo das Keuer angelegt war, hielt sich die 
Löschmannschaft fern. Ich meine das Gebiet der gottesdienstliohen 
Antiquitäten und der herrschenden Religionsideon, in dem gajizen 
Umfange, wie Vatke es in seiner biblischen Theologie behandelt 
hat. Nui- hier aber, wo der Kampf eigentlich entbrannt Lst, kann 
er zum Austrage gebraclit werden. Indem ich dazu gegenwärtig 
den Vereuch mache, gehe ich aus von der Vergleichung der drei 
Schichten des Ilexateuchs, des Priesterkodex, des Deuteronomiuras 
und dos Jehovisten. Allerdings enthalten die ereteren beiden, wie 
wir gesehen haben, Gesetzgebung, der letztere Erzählung; aber wie 
der Dekalog (Exod. 2t)), das Zwei ta felgesetz (Exod, 34), imil »las 
Bundesbuch (Esod. 21 — 23) zeigen, fehlt dem Jehovisten das legis- 
lative Element nicht ganz, und in noch weit stärkerem Maasse ist 
das historische im Priesterkodex und im Deutoronominm vertreten. 
Ausserdem spiegelt sich immer in der Dnrstellung der Geschichte 
der gesetzliche, in der Darstellung der Gesetze der gcschichtliclie 
•Standpmikt ab; an direkteu und indirekten Vergleichungspnnkten 
mangelt es also in keiner Weise. Dass nun die drei Schichten 
erheblich von einander abstelm, ist anerkanut; es fragt, sich, wie 
sie folgen. Das Deuteronomium steht sowol dem Jehovisten ab 




Das Problem. 13 

dein Priesterkodex näher, der Unterschied zwischen den beiden 
letzteren ist der weiteste, so weit, dass aus diesem Grunde Ewald 
es bereits im Jahre 1831 (Stud. und Krit. p. 604) für unmöglich 
erklärt hat, dass eins zur Ergänzung des anderen geschrieben sei. 
Nehmen wir hinzu, dass der Jehovist unbestritten dem Deuterono- 
mium vorangeht, so würde sich ergeben, dass der Priesterkodex 
an das Ende der Reihe gehöre. Aber diese Betrachtung, wenn- 
gleich, so weit mii* bewusst, von Zugestandenem ausgehend, hat 
keinen Wert, so lange sie sich so im allgemeinen hält. Es kommt 
darauf an, die Folge der di^ei Schichten im einzelnen aufzuweisen 
und sie daneben mittels eines unabhängigen Masses zugleich zu 
erproben und zu fixiren, nämlich mittels des inneren Ganges der 
israelitischen Geschichte, sowie er uns aus anderweitigen unver- 
dächtigen Zeugnissen bekannt ist. 

Es ist eine literargeschichtliche üntereuchung umfassender und 
schwieriger Art, die wir beginnen. Sie zerfällt in drei Teile. Im 
ersten, grundlegenden, werden die auf die sakralen Altertümer 
bezüglichen Data gesammelt und in der Weise disponirt, dass man 
sieht, wie im Pentateuch die Schichten ebenso auf und aus ein- 
ander folgen, wie in der Geschichte nachweisbar die Entwicklungs- 
stufen. Nicht gegen, aber ohne die anfängliche Absicht ist eine 
Art Geschichte des Kultus daraus geworden. Freilich durch Schuld 
des Materials eine farblose und grobe ; denn es handelt sich immer 
bloss, in erster Linie um den Gegensatz von vorexilisch und nach- 
exilisch, in zweiter um den von deuteronomisch und vordeutero- 
nomisch. Ein Vorteil ist indessen bei den ausgedehnten Perioden : 
sie müssen sich greifbar unterscheiden, es muss bei geschichtlichen 
und gar bei gesetzlichen Werken zu erkennen sein, ob sie vor 
oder nach dem Exil geschi-ieben sind. Der zweite Teil, in 
mancher Hinsicht abhängig vom ersten, weist den Einfluss der 
jeweils herrschenden Vorstellungen und Tendenzen auf die Gestaltung 
der historischen Tradition nach und verfolgt die verschiedenen 
Phasen in der Auffassung und Darstellung derselben; er enthält 
so zu sagen eine Geschichte der Überlieferung. Der dritte Teil 
resumirt den kritischen Ertrag der beiden anderen mit Ilinzufügung 
einiger weiteren Entscheidungsgründo, und schliesst mit einer all- 
gemeineren Ausschau. 

Die Voraussetzungen, die ich mache, werden im Laufe der 
Untersuchung immer wieder neu gerechtfertigt; die beiden vor- 



14 Das Problem. 

nehmsten sind, dass das jehovistische Werk, seinem Grundstöcke 
nach, vor die assyrisclie Periode fallt, das Deuteronomium an den 
Schluss derselben. Für so sicher ich übrigens die Datirnng des 
letzteren nach 2. Reg. 22 auch halte, benutze ich diese Position 
doch nicht in dem Maasse wie Graf, um meine Hebel anzusetzen. 
Das Deuteronomium ist der Ausgangspunkt nicht in dem Sinne, 
dass ohne es nichts zu machen wäre, sondern nur in dem Sinne, 
dass seine Ansetzung nach historischen Gründen die notwendige 
Forderung nach sich zieht, auch den Priesterkodex nach historischen 
Gründen anzusetzen. Meine Untersuchung ist breiter angelegt als 
die Grafs und nähert sich der Art Vatkes, von welchem letzteren 
ich auch das Meiste und das Beste gelernt zu haben bekenne. 



I. 



Geschichte des Kultus. 



Legem non habentes naturaliter quae legis sunt faciunt. 



Erstes Kapitel. 



Der Ort des Gottesdienstes. 

Wie aus dem Evangelium bekannt ist, stritten sich zur Zeit 
Jesu Juden und Samariter über die richtige Stätte, wo man an- 
beten solle; dass es nur eine einzige geben könne, das war ihnen 
80 ausgemacht, wie die Einheit Gottes selber. Die Juden sagten, 
es sei der Tempel zu Jerusalem, und seit er zerstört war, hörten 
sie auf zu opfern. Allein von jeher hat diese Einheit des Heilig- 
tums in Israel weder tatsächlich bestanden noch rechtlich gegolten, 
sie hat sich erst allmählich im Laufe der Zeit herausgebildet. 
Die Überlieferung des Alten Testaments gestattet noch ganz wo! 
zu verfolgen, auf welchem Wege. Mehrere Stadien lassen sich 
dabei unterscheiden: es wird sich fragen, ob die drei Schichten 
des Pentateuchs eine Beziehung zu einem oder dem anderen 
Stadium auf^^eisen, ob und wie sie sich in den Verlauf des ge- 
schichtlichen Processes fügen, dem wir an der Hand der historischen 
und prophetischen Bücher seit der Richterzeit nachgehn können. 

I. 

1. Für die älteste Periode der israelitischen Geschichte, vor 
dem Tempelbau, lässt sich von einem ausschliesslich berechtigten 
Heiligtume nicht die Spur auffinden. In den Büchern der Richter 
und Samuelis wird kaum ein Ort erwähnt, an dem nicht auch, 
wie sich bei Wege ergibt, ein Altar steht und geopfert wird. 
Zum grossen Teil gehörte diese Vielheit der Heiligtümer schon 

Wellhansen, Prolegoinena. 5. Aufl. O 



18 Geschichte des Kultus, Kap. 1. 

zur kanaanitischen Erbschaft der Hebräer; wie in die Städte und 
überhaupt in die Kultur der alten Bewohner, so wuchsen sie auch 
in ilire Kultusstätten hinein. Die sogenannten Höhen (Bamoth) 
mit ihrem Zubehör sind ohne Zweifel von Haus aus kanaanitisch 
(Deut. 12, 2. 30. Num. 83, 52. Exod. 34, 12 s.), hinterher finden 
sie sich ganz allgemein von den Hebräern angeeignet. Bei Sichern 
und Gibeon vollzieht sich der Übergang beinah im vollen Licht 
der Geschichte; einige andere alt-israelitische Kultusorte, die hinter- 
cbein zum teil zu Levitenstädten gemacht worden sind, verraten 
wenigstens durch ihre Namen ihren Ui'sprung, wie Bethsemes oder 
Ir-hercs, Anathoth, Astharoth. Auch in dem Volksgedächtnis ist 
die Erinnerung daran, dcuss man manche der später angesehensten 
Opferstätten schon bei der Einwanderung vorgefunden hatte, nicht 
ausgestorben. Sichem Bcthel Beerseba gelten in der Genesis als 
Stiftungen der Patriarchen, andere gleich wichtige Heiligtümer 
nicht — der Grund dafür kann nur in dem Bewusstsein ilu^es 
jüngeren Altei's liegen; jene hatte man bei der Einwanderung vor- 
gefunden, diese hatte man selbst gegründet. Denn natürlich, wenn 
sich die Hebräer nicht scheuten, die alten Landesheiligtümor sich 
anzueignen, so trugen sie auch kein Bedenken neue zu stiften. In 
Gilgal und Silo, den festen Lagern, wo sie zuerst im eigentlichen 
Palästina festen Fuss gefasst haben, entstehn alsbald bedeutende 
Centra des Gottesdienstes, ebenso an anderen Orten von politischem 
Belang, auch an solchen, die nur zeitweilig in den Vordergrund 
rücken, wie Ophra, Rama, Nob bei Gibea. l^nd neben den grösseren 
fundirten Stätten, mit mehr oder weniger regelmässigem Dienste, 
ist es durchaus gestattet, überall wo ein Anlass sich bietet ohne 
weiteres einen Altar zu errichten und Opfer zu bringen. Als 
nach der Schlacht von Michmas das A^olk, müde und hungrig, 
über erbeutetes Vieh herstürzte und anfing das Fleisch im Blute 
zu verzehren, Hess Saul einen grossen Stein herwälzen und be- 
fahl, jeder solle dort sein Bind oder Schaf schlachten. Das sei 
der erste Altar, den Saul dem Jahve gebaut habe, fügt der Be- 
richterstatter hinzu, gewiss nicht um ihm einen A^orwurf zu 
machen oder auch nur um sein Handeln als etwas auffallendes 
und ausnahmsweises zu bezeichnen. Das Beispiel ist um so lehr- 
reicher, weil es zeigt, wie das Verbot, Fleisch zu essen ohne das 
Blut auf den Altarstein zu streichen, in einer Zeit wo das Volk 
nicht auf ganz engem Räume zusammengedrängt wohnte, not- 



Der Ort des' Gottesdienstes. 19 

wendigerweise die Freiheit voraussetzt, überall zu opfern — oder 
zu schlachten, denn beides ist ursprünglich ganz gleichbedeutend. 

Rs versteht sich, die Opferstätten, auch abgesehen von den 
impro\dsirten, standen sich nicht gleich an Ansehen und Frequenz; 
neben rein lokalen gab es auch solche, zu denen man von weit 
und breit wallfahrteto. Gegen Ende der Richterzeit scheint Silo 
eine vielleicht über die Grenzen des Stammes Joseph hinaus- 
reichende Bedeutung gewonnen zu haben. Den Späteren galt der 
dortige Tempel sogar als der Vorgänger des salomonischen, d. h. 
als der einzig legitime Kultusort, dem Jahve alle Brandopfer der 
Kinder Israel verliehen habe (Hierem. 7, 12. 1. Sam. 2, 27 — 36). 
In Wahrheit aber, wenn ein wolhabender Mann aus Ephraim 
oder Benjamin beim Jahreswechsel zum fröhlichen Feste nach Silo 
pilgerte, so tat er das nicht, weil in seiner Heimat zu Rama oder 
Gibea keine Gelegenheit gewesen wäre, vor Jahve zu essen und 
zu trinken. Eine strenge Centralisation ist für jene Zeit ein un- 
möglicher Gedanke, auf dem Gebiete des Gottesdienstes nicht 
minder, wie auf jedem andern. So zeigt sich denn auch, dass die 
Zerstörung des Hauses von Silo, dessen Priesterschaft wir später 
zu Nob wiederfinden, auf den dermaligen Charakter und Zustand 
des Kultus nicht den geringsten Einfluss ausübt; dasselbe ver- 
schwindet stillschweigend vom Schauplatz und taucht nicht wieder 
auf, bis wir von Jeremias erfahren, dass es, mindestens seit der 
Gründung des salomonischen Tempels, in Trümmern lag. 

Für die Periode, wo der Tempel von Jerusalem noch nicht 
stand, lässt auch die letzte Bearbeitung der historischen Bücher, 
die \ielleicht nicht bei allen von der selben Hand, aber aus der 
selben Zeit (des babylonischen Exils) und aus dem selben Geiste 
stammt, die Vielheit der Altäre und heiligen Orte unbeanstandet. 
Kein nachsalomonischer König kommt ohne Rüge davon, dass er 
die Höhen geduldet habe, aber Samuel darf in eigener Person 
einem Opferfeste auf der Bama seiner Vaterstadt voi-stehn, Salomo 
im Anfange seiner Regierung ein solches auf der grossen Bama 
zu Gibeon anrichten, ohne dass es getadelt wird. Der anstössige 
Name wird 1. Sam. 9. 10 mehrfach in harmlosester Weise ge- 
braucht und die Redaktion lässt ihn ohne Anstand passiren. 
Der Grundsatz, von dem sie sich bei diesem wie es scheint un- 
gleichmässigen V^erhalten leiten lässt, erhellt aus 1. Reg. 3, 2: das 
Volk opferte auf den Höhen, denn bis dahin war noch 

9* 



I 

I 



20 Geschichte des Kaltii», Kap. 1. 

kein llans dem Namen Jahvea gebaut. Erst seit daa Hfl 
dem Namea Jalives gebaut war, das ist die Meinui^, kam das 
Oebot in kraft, keine anderen Anbetnngsstätten daneben zu 
liaben*). Von dem salomonischen Tempelbau, der ja auch als 
chronologische Hanptepoche gilt, wird also ein neuer Absclinitt in 
der Kultusgeschichte datirt. In gewisser Weise mit Recht. Das 
Königtum in Israel verdankte seine Entstehung dem notgedrungeneii 
Erwachen des Bediii'fnisses, die bis dahin nur sehr lose ver- 
bundenen Stämme und Geschlechter der Hebräer zu der Einheit 
eines Volkes und Reiches zusammenzufassen; es hatte eine aus- 
gesprochene centralisirende Tendenz, die sich sehr natürlich auch 
des Kultus als eines geeigneten Mittels zu dem politischen Zwecke 
bemächtigte. Schon der erste, der beinah König geworden wäre, 
Gideon, .stiftete ein kostbares Heiligtum in seiner Stadt Ophra; 
David Hess die Lade Jalives in seine Burg auf dem Sion holen 
und legte Wert darauf, den Erben der alten Familie, welche ehe- 
dem zu Silo sie gehütet hatte, zum Priester zu haben; auch 
Salomos Tempel sollte die Anziehungskraft seiner Residenz er- 
höhen helfen. Unzweifelliaft gab auf diese Weise die politische 
Central isatiou den Antrieb zu einer grösseren Centralisation auch 
des Gottesdienstes, und dieser Antrieb wirkte fort nach der Spal- 
tung, in Israel ein wenig anders als in Juda. Die königlichen 
Priester, die grossen Reichstempel, die Festversammlungon des 
ganzen Volkes und die ungeheuren Opfer — das waren die Züge, 
wodurch der früher wie es scheint sehr einfache Kultus jetzt die 
Signatur einer neuen Zeit erhielt. Noch eins ist bezeichnend: die 
häuslichen Dienste, die noch zu Davids Zeit allgemein gewesen sein 
müssen, kamen allmäliUch ab, versteckten sich und verloren ihre 
Bedeutung, weil die Kreise der Gemeinschaft sich erweiterten und 
das Leben öffentlicher wurde. 

Aber diese Betrachtungsweise der Bedeutung des Königtums 
für die Geschichte des Kultus ist oiclit die des Verfassers der 
Königsbücher. Er beurteilt den Tempel Salomos als ein AVerk, ledig- 

') 1. Reg. 8, 16. Nach Deut 13, 10 s. wird die lokale Einheit de.« Kultus 
Geaetz von der Zeit an, wo die Israeliten mr Riihu (Meuucha) ge- 
kommen sind. Vergleicht man damit 2. Sam. 7, 11. 1. Rejj. 5, 18, t 



scheint die Uenucha erst znr Zeit Daiida und Salomos einy[etreten zn il 
Hein. Die Richte rperia de inüsste dann viel kürzer vorgestellt s«in, als 
CS nach der jetzigen Chronologie den Aoechein hat Vgl. Josephu J 
_ contra Ap. 1, 127. '^^^^J 



Der Ort des Gottesdienstes. 21 

lieh unternommen im Interesse des reinen Gottesdienstes und einer 
ganz anderen Absicht entsprungen als die heiligen Bauten der 
israelitischen Könige, denen er darum nicht gleich, sondern ent- 
gegen steht wie das Echte dem Falschen. Er ist seiner Natur 
nach einzigartig und von vornherein in der Absicht, dass nun alle 
anderen Opferstätten aufhören sollten, angelegt worden: in einer 
religiösen Absicht, die von der Politik unabhängig ist und nichts 
mit ihr zu schaffen hat. Diese Auffassung nun ist ungeschichtlich 
und überträgt die Bedeutung, die der Tempel kurz vor dem Exil 
in Juda erlangt hat, in die Zeit und in die Absicht seiner Giiin- 
duag. In Wahrheit ist er nicht gleich anfangs gewesen, was er 
nachgehens geworden ist. Er wirkte durch seine eigene Schwere, 
aber nicht durch ein Monopol Salomos. Nirgends hören wir da- 
von, dass dieser als ein Vorläufer Josias seinem neuen Heiligtum 
zu lieb die übrigen habe abschaflfen wollen; von einem so unvor- 
bereiteten gewaltsamen Einschnitte in die bisherigen Verhältnisse 
des Gottesdienstes findet sich nicht die geringste geschichtliche 
Spur. Nicht einmal die auf das kleine Juda beschränkten Nach- 
folger Salomos machten den hier vielleicht durchführbaren und 
gewiss in ihrem Interesse gelegenen Versuch, den öffentlichen 
Kultus in ihrem Tempel zu vereinigen, so eigenmächtig sie sonst 
auf diesem Gebiete schalteten. Die Höhen wurden nicht beseitigt 
— so wird regelmässig bei allen konstatirt. Für das eigentliche 
Israel war Jerusalem erst recht nicht der Ort, den Jahve erwählt 
hatte — vollens nach der Spaltung des Reichs. Scharenweise 
pilgerten die Ephraimiten durch die ganze Länge des Südreichs 
hindurch nach Beerseba und gemeinschaftlich mit den Judäern 
nach dem an der Grenze gelegeneu Gilgal; nach Jerusalem gingen 
sie nicht. Im eigenen Lande dienten sie dem Jahve zu Bethel 
und Dan, zu Sichem und Samarien, zu Phenuel und Mispha und 
an vielen anderen Orten; jede Stadt hatte ihre Bama, in der alten 
Zeit meist frei auf dem Berge gelegen, auf dessen halber Höhe 
die Menschen wohnten. Der grosse Eiferer für den reinen Gottes- 
dienst, Elias, nahm so wenig an den Höhen und an der Vielheit 
der Altäre Jahves Anstoss, dass ihn ihi*e Zerstörung als die Spitze 
des Frevels erbitterte und er mit eigener Hand den verfallenen 
Altar auf dem Karmel wieder aufbaute. Und dass auch das 
improvisirte Opfer bei ausserordentlichen Gelegenheiten nicht ausser 
Brauch gekommen war, zeigt Elias Beispiel, der, als er hinter 



22 Geschichte des Kultus, Kap. 1. 

dem Pfluge weg berufen wurde, seine Rinder auf der Stelle zer- 
stückte und opferte. In dieser Hinsicht blieb also auch nach 
Salomos Tempelbau alles beim Alten. 

Wenn Volk und Richter oder Könige, Priester und Propheten, 
Männer wie Samuel und Elias ungescheut opferten, wo sie An- 
lass und Gelegenheit hatten, so hatte offenbar in jener ganzen 
Zeit niemand eine Ahnung davon, dass dies ketzerisch und ver- 
boten sei. Wenn eine Theophanie dem Josua die Heiligkeit Gil- 
gals kund tat, Gideon und Manoah veranlasste in ihrer Heimat 
Altäre zu gründen, David auf die Tenne Araunas aufmerksam 
machte, so galt darnach Jahve selbst als der eigentliche Stifter 
aller dieser Heiligtümer, und zwar nicht bloss dem Zeitalter der 
Richter, sondern viel gewisser noch dem Zeitalter des Erzählers 
dieser Legenden. Durch eine gnädige Offenbarung belohnte er 
Salomos erstes Opfer auf der grossen Bama zu Gibeon, er konnte 
also kein Ausfallen daran haben. Nach alle dem ist es absurd, 
von einer Hlegitimität des faktischen Bestandes zu reden; in der 
ganzen älteren Zeit der israelitischen Geschichte ist die Be- 
schränkung des Kultus auf einen einzigen auserwählten Ort auch 
als fromme Forderung keinem bewusst gewesen. Wol glaubte 
man in Bethel oder in Jerusalem Gott näher zu sein als an einer 
beliebigen anderen Stätte, aber solcher Pforten des Himmels gab 
es melu-ere, und es überwog doch immer die Voretellung, die sich 
am greifbarsten 2. Reg. o, 17 ausspricht, dass Palästina als Ganzes 
Jahves Haus, sein Grund und Boden sei. Nicht ausserhalb Jerusalems, 
sondern ausserhalb Kanaans weilte man fem von seinem Angesicht, 
unter der Herrechaft und — cuius regio eins religio — im Dienste 
fremder Götter, die Heiligkeit des Landes floss nicht aus der Heilig- 
keit des Tempels, sondern eher umgekehrt^). 

') Gen. 4, 14. 1(5: indem Kain aus dem Lande (Kanaan) vertrieben wird, 
wird er vom Angesichte Jahvos (Jon. 1,3. 10) vertrieben. 46, 4: Jakob 
soll sich nicht scheuen nach Ägypten auszuwandern, denn Jahve will, in 
ausnahmsweiser Gnade, seinen Wohnsitz mit ihm wechseln. Exod. 15, 17: 
du brachtest dein Volk zum Berge deines Erbes, zum Orte, 
den du dir zur Wohnung bereitet h attest; die folgende Erklärung 
zum Heiligtum, das deine Hände gegründet hatten fällt aus 
der Situation, der Berg des Erbes kann nichts anderes sein als das ge- 
birgige Land Palästina. 1. Sam. 26^ 19: David, durch Saul in die 
Fremde getrieben, wird dadurch aus der Familiengemeinschaft am Erbe 
Jahves losgerissen und gezwungen, fremden Göttern zu dienen. Os. 8,1 : 
ein Adlorgleicher stosst auf Jahves Haus, d. h. der Assyrcr auf 
Jahve» Land; 9, 15: aus meinem Hause will ich sie vertreiben, 



Der Ort des Gottesdienstes. 23 

2. E ine Änderung hierin bereitet sich erst seit jener denk- 
würdigen Epoche der israelitischen Religionsgeschichte vor, welche 
durch den Stui'z Samariens und das demselben entsprechende Auf- 
treten dß iL Proj)heten_ J)ezeichnet wird. Arnos und Ilosea setzen 
den Zustand voraus wie er eben beschrieben worden ist: überall 
in den Städten, auf den Bergen, unter grünen Bäumen, eine 
Menge von Heiligtümern und Altären, wo dem Jahve gedient 
wird, in gutem Glauben, nicht um ihn zu ärgern, sondern um 
sein Wolgefallen zu erwerben. Es war eine unerhörte Sprache, 
welche jene Männer führten, wenn sie verkündigten, Gilgal und 
ßethel und Beerseba, Jahves Lieblingstätten, seien ihm ein Greuel, 
die Opfer und Gaben, womit man ihn dort ehre, reizen seinen 
Zorn statt ihn zu beschwichtigen, unter den Tiümmern seiner 
Tempel, wo es Schutz und Zuflucht suche, solle Israel begraben 
werden (Am. 9). Was wollten sie sagen? Man würde die Pro- 
pheten falsch verstehn zu meinen, sie haben an den heiligen Stätten 
— die noch Amos Bamoth nennt (7, 9) und zwar ohne Spott, 
im höchsten Pathos — an und füi' sich Anstoss genommen, wegen 
ihrer Pluralität und weil es nicht die richtigen seien. Sie eifern 
nicht gegen die Orte, sondern gegen den Kultus, der daselbst ge- 
trieben wird, und zwar nicht bloss gegen seine falsche Art, weil 
allerlei Misbräuche sich darin finden, sondern beinah noch mehr 
gegen ihn selber, gegen seine falsche Wertschätzung. Die gemeine 
Meinung war: wie Moab sich als des Kamos Volk beweist, weil 
es dem Kamos seine Opfer und Gaben darbringt, so Israel als 
Jahves Volk, weil es dem Jahve seinen Kultus widmet, und es 
ist seiner um so sicherer, je glänzender und eifriger es ihn ver- 
ehrt. In Zeiten der Gefahr und Not, wo man seines Beistandes 
besonders bedurfte, verdoppelten und verdreifachten sich die An- 
strengungen. Das ist es, wogegen die Propheten opponiren, indem 



d. h. die Israeliten aus ihrem Lande. Am deutlichsten redet Os. 9, 3 — 5; 
sie bleiben nicht wohnen in Jahves Lande, Ephraim muss wieder nach 
Ägypten und in Assur müssen sie Unreines essen: sie spenden Jahve 
keinen Wein mehr und schichten ihm keine Opfer; wie Trauerbrot ist 
ihr Brot, wer davon isst, wird unrein, denn ihr Brot wird nur für den 
Ilunger sein, kommt nicht in Jahves Ilaus — was wollt ihr gar machen 
zur Zeit der Versammlung und am Tage d<\s Festes Jahves! Yergl. 
Hier. 16, 13. Ezcch. 4, 13. Mal. 2, 11. 2. Reg. 17, 25 s. Möglich auch, 
dass der grosse Zorn 2. Reg. 3, 27 nicht sowol als Zorn Jahves, wie 
als Zorn Kamos' vorgestellt wird, in dessen Lande sich das israelitische 
Heer befindet 



24 Geschichte des KiiltuH, Kap. I. ^^H 

sie gaiiK HQ'lere Lcistnngen fordeiii, worin sich da.'^ VorhSH^^I 
Israels zu Jahve lebendig erweisen müsse. Das ist. der firnnd, 
warum sie dorn Kultus so feind wurden; von da stammte ihr 
flass gegen die grossen Heiligtümer, wo dor abergläulnsche Eifer 
sich selljer überbot, ihr Zorn auf die Vielheit der Altäre, die auf 
dem Boden des falschen Vertrnueiis üppig emporwuchsen. Dass 
die Stätten abgöschufTt wurden, dor Kultur selbst aber wie bisher 
die Hauptsache iu der Frömmigkeit bliebe, nur zusammengedrängt 
an einen einzigen Ort, das war keineswegs, was sie wünschten. 
Aber mit durch ihre Predigt kam es in der Tat dahin, dass alle 
übrigen Bamnth der von Jerusalem das Feld räumten. Dazu wirlcten 
freilich dio äusseren Umstände anf das wesentlichste mit. 

So lange das Dördliehe Reich bestand, pulsirte dort der Haupt- 
strom israelitischen Lebens; man braucht bloss einen Blick in die 
Köuigsbncher oder in den Arnos zu werfen, um das zu erkennen. 
Zwar waren in Jerusalem dio Tage Davids und Salomos unver- 
gessen, sie wurden zurückorsehnt und grosse Ansprüche daraus 
hergeleitet, aber der Wirklichkeit entsprachen diese Ansprüche 
gar wenig. Da fiel Samarien, Israel schrumpfte auf Juda zu- 
sammen, Juda allein blieb als das Volk Jahves übrig. Dadurch 
ward für Jerusalem das Feld frei. Die Residenz hatt« immer ein 
erdrückendes Cbergewicht über das kleine Land gehabt, in ihr 
selbst aber trat die Stadt zurück gegen den Tempel, Aus dea 
wenigen von Juda handelnden Erzählungen gewinnt man fast den 
Eindruck, als gebe es dort keine anderen Angelegenheiten als die 
dea Tempels, und uamentlich die Könige scheinen dieser Ansicht 
gewesen zo sein und die Sorge um ihr Palaatheüigtum für ihre 
allerwichtigste Aufgabe gehalten zu haben: beinah alle judäischen 
Erzählungen im Buche der Könige drehen sich um den Tempel 
und um die Maassnahmen der Regenten in diesem ihrem Hoilig- 
tume. So kam dio Bedeutung, weiche dem Hause Juda durch 
deu Fall Samaricns znwuclis, in erster' Linie der Hauptstadt uud 
ihrem Ileiligtume zu gut, zumal überhaupt der Gewinn melu* ein 
geistiger als ein politischer war und mehr in der Steigerung des 
religiösen Selbstbewusstseins als iu der der äusseren Macht be- 
stand. Hatte schon immer das grosse Gottesbaus auf dem Sion 
die übrigen judäischen weit überragt., so stand es nuu ohne 
gleichen da in ganz Israel. Um aber ilies Resultat des Verlaufs 
der Dinge recht zu wüi'digeu, dazu gaben die Propheten i 



p beten die A^^^J 



Der Ort des Gottesdienstes. 25 

leitung. Sie hatten, der Zeit gemäss, bisher vorzugsweise das 
Nordreich, seinen drohenden Sturz und die Heillosigkeit seiner 
Bewohner im Auge gehabt, und so auch namentlich über die 
dortigen Kultusstätten ihren Zorn entladen: Juda beurtöilten sie 
aus persönlichen und sachlichen Gründen günstiger, und hofften, 
dass es erhalten bleibe, für Jerusalem verleugneten sie ihre Sym- 
pathien nicht. Unter dem Eindruck ihrer Rede wurde nun der 
Untergang Samariens aufgefasst als ein Gottesgericht gegen das 
sündige Königreich zu gunsten der verfallenen Hütte Davids, und 
die Zerstörung der israelitischen Heiligtümer galt als eine unmis- 
verständliche Kundgebung Jahves gegen seine älteren Sitze zu 
gunsten seiner Lieblingswohnung auf dem Sion. 

Vollens der Umstand, dass Jerusalem aus der Gefahr, der 
die stolze Nebenbuhlerin erlegen war, zwanzig Jahre später trium- 
phirend hervorging, dass im kritischen Augenblicke die Assyrer 
unter Senaherib plötzlich abziehen mussten, steigerte die Ver- 
ehrung des Tempels auf den höchsten Grad. Mit Recht pflegt 
man dabei die prophetische Wirksamkeit Jesaias besonders in 
Anschlag zu bringen, dessen Vertrauen, dass der Fels Sions fest 
gegründet sei, unei-schütterlich wurde, als derselbe unheimlich zu 
wanken anfing. Nur darf man nicht vergessen, dass für Jesaias 
die Bedeutung Jerusalems nicht am Tempel Salomos hing, sondern 
daran, dass es die Stadt Davids und der Inbegriff seines Reiches 
war, der Mittelpunkt nicht des Kultus, sondern der Herrschaft 
Jahves über sein Volk. Der heilige Berg war ihm die ganze 
Stadt als politisches Gemeinwesen, mit iliren Bürgern, Räten 
und Richtern (11, 9); sein Glaube an den festen Grundstein, auf 
dem Sion stehe, war weiter nichts als der Glaube an die lebendige 
Gegenwart Jahves im Lager Israels. Aber anders verstanden die 
Zeitgenossen den Sinn der Ereignisse und die Worte des Propheten. 
Für sie wohnte Jahve deshalb zu Sion, weil er dort- sein Haus 
hatte, der dortige Tempel war durch die Geschichte als sein 
wahrhaftiger Sitz erprobt worden, und die Unantastbarkeit des 
Tempels verbürgte nun die Unzerstörbarkeit des Volkes selber. 
Ganz allgemein verbreitet war dieser Glaube zur Zeit Jeremias, 
wie die höchst lebendige Schilderung in Kap. 7 seines Buches 
zeigt, aber schon zur Zeit Michas, im ersten Drittel des siebenten 
Jahrhunderts, muss der Tempel als ein Gotteshaus ganz eigner 
Art gegolten haben, so dass es paradox war, ihn mit den Bamoth 



26 Geschichte des Kultus, Kap. 1. 

Judas gleich zu stellen, und unerhört, an seine Verwüstung zu 
glauben. 

Indessen so überaus hoch und allgemein der Tempel verehrt 
wurde, so blieben die anderen Heiligtümer vorerst doch neben 
ihm bestehn. Zwar soll der König Hizkia schon damals einen 
Versuch gemacht haben sie abzuschaffen, der aber ganz spurlos 
verlaufen und darum zweifelhafter Natur ist. Sicher ist, dass 
der Prophet Jesaias nicht auf die Beseitigung der Bamoth hinge- 
arbeitet hat. In einer seiner spätesten Reden erwartet er von 
der Zeit der Gerechtigkeit und der Gottesfurcht, die nach der 
assyrischen Krisis anbricht: „dann werdet ihr den Überzug eurer 
goldenen Gussbilder verunehren, verabscheuen wie Unflat; hinaus! 
wTrdet ihr dazu sagen" (30,22). Iloflft er also auf eine Säuberung 
der Anbetungsstätten Jahves von abergläubischem Wust, so ist es 
klar, dass er sie nicht selber abgetan wissen will. Erst etwa ein 
Jahrhundert nach der Zerstörung Samariens wurde in Wirklichkeit 
der Schritt gewagt, aus dem Glauben an die Einzigartigkeit des 
jerusalemischen Tempels die praktische Konsequenz zu ziehen. 
Natürlich geschah dies nicht der blossen Folgerichtigkeit wegen, 
sondern in einer anderweiten heilsamen Absicht. Mit der weg- 
werfenden Art, womit die früheren Propheten bisweilen im Eifer 
ihrer Opposition vom Kultus sprachen, war praktisch nichts aus- 
zurichten; es kam nicht darauf an ihn abzuschaffen, sondern ihn 
zu reformiren, und dazu sollte seine Koncentration in der Haupt- 
stadt als Mittel dienen. Propheten und Priester scheinen ge- 
meinschaftlich die Sache betrieben zu haben. Der Hohepriester 
Ililkia machte zueilst auf das gefundene Buch aufmerksam, welches 
der Aktion zu Grunde gelegt werden sollte, die Prophetin Hulda 
bekräftigte dessen göttlichen Inhalt, die Priester und Propheten 
bildeten einen hervorragenden Bestandteil der Versammlung, worin 
das neue Gesetz veröffentlicht und beschworen wurde. Da nun 
ein enges Verhältnis der beiden leitenden Stände überhaupt im 
Wesen der geistigen Entwicklung in Juda begründet und für die- 
selbe charakteristisch erscheint, wie das namentlich aus Jeremias 
hervorgeht, so wird man annehmen dürfen, dass das bei dieser 
Gelegenlieit hervortretende Einvernehmen nicht lediglich zu Zwecken 
der Inscenirung gestiftet war. In der Tat entsprach eine derartige 
Umgestaltung des Kultus dem beidei^seitigen Interesse, sowol dem 
des Tempels, wie von selbst einleuchtet, als auch dem der pro- 



Der Ort des Gottesdienstes. 27 

phetischen Refonnpartei. Für die letztere musste (iie Beschränkung 
des Opferdienstes an sich als ein Vorteil gelten; dieselbe hat her- 
nach am meisten zu seiner Beseitigung beigetragen, und etwas 
von dem späteren Erfolg hat ohne Zweifel in der ursprünglichen 
Absicht gelegen. Dazu kam, dass nui* zu leicht der Jahve von 
Hebron als verschieden von dem zu Bethsemes oder zu Bethel an- 
gesehen wurde, und dass darum aus dem streng monarchischen 
Oottesbegriff die Folgerung floss, dass auch die Stätte seiner 
Wohnung und seiner Anbetung nur eine einzige sein könne; 
allenthalben bei den Schriftstellern der chaldäischen Periode fällt 
der enge Zusammenhang auf, in dem der Monotheismus mit der 
Einheit des Kultus gedacht wii*d. Die Wahl des Ortes aber konnte 
natürlich nicht zw^eifelhaft sein, der Mittelpunkt des Reiches musste 
auch der Mittelpunkt des Gottesdienstes werden. Mochte das Haus 
Jahves zu Jerusalem auch selber der Reinigung nicht unbedürftig 
sein, den Vorzug vor den Winkelaltären verdiente es doch. 
Jerusalem war der Sitz der geistigen Bildung, der Reform und 
der Kontrolle am leichtesten zugänglich; es war die Stadt Davids, 
an die sich die stolzesten Erinnerungen der israelitischen Geschichte 
knüpften. Ausserdem mochte der kanaanitische Ursprung der 
meisten Bamoth, der z. B. dem Deuteronomium nicht unbekannt 
ist, zu ihrer Diskreditirung beitragen, während die Lade, die dem 
jerusalemischen Tempel den Ui'sprung gegeben hatte, mit einem 
gewissen Recht als das einzige echt mosaische Heiligtum gelten 
konnte. 

Im 18. Jahre Josias, 621 v. Chr., fiel der erete schwere Schlag 
gegen die lokalen Opferstätten. Wie gewaltsam der König verfuhr, 
wie neu die Maassregel war und wie tief sie ins Fleisch schnitt, 
lehrt der Bericht 2. Reg. 23. Welche Lebenskraft hatten doch 
noch immer die grünen Bäume auf den hohen Bergen! Sie wm'den 
auch jetzt nur gekappt und nicht entwui'zelt. Nach Josias Tode 
sehen wir die Bamoth allenthalben, nicht bloss in der Landschaft 
sondern auch in der Hauptstadt selber, w^ieder auftauchen; so viel 
Städte, so viel Altäre in Juda, muss Jeremias klagen. Was von 
der reformatorischen Partei erreicht wai*, war einzig die feste 
Position eines geschriebenen und feierlich von allem Volk be- 
schworenen Gesetzes, das noch immer von Gottes wegen zu Rechte 
bestand. Aber dasselbe wieder in Kraft zu setzen und 
durchzuführen war nicht leicht, und alleine den Anstrengungen 



28 Geschichte des Kultus, Kap. 1. 

der Propheten, eines Jeremias und Ezechiel, wäre es wol nicht 
gelungen. 

3. Wären die Judäer ruhig in ihrem Lande geblieben, so 
wäre die Reformation Josias schwerlich im Volke durchgedrungen, 
weil die Fäden zu stark waren, welche die Gegenwart mit der 
Vergangenheit verbanden. Um die Bamoth, an die sich von den 
Vätern her die heiligsten Erinnerungen knüpften, die wie Hebron 
und Beei*seba durch Abraham und Isaak selber gestiftet waren, in 
den Ruf abgöttischer und ketzerischer Greuelstätten zu bringen, 
dazu bedurfte es eines vollständigen Durchschneidens der natür- 
lichen Tradition des Lebens, des Zusammenhangs mit den ererbten 
Zuständen. Dies wurde bewirkt durch das babylonische Exil, wo- 
durch die Nation gewaltsam aus ihrem Mutterboden losgerissen 
wurde und füi* ein halbes Jahrhundert von demselben getrennt 
blieb — ein Einschnitt in die geschichtliche Kontinuität, wie er 
kaum grösser gedacht werden kann. Die neue Generation hatte 
kein natürliches, sondern nur noch ein künstliches Verhältnis zu 
der Vorzeit, die so fest eingewurzelten Gewächse des alten Ackers, 
Dornen in den Augen der Frommen, waren ausgerissen, der Neu- 
bruch bereit für neuen Samen. Es ist allerdings nicht an dem, 
dass eine allgemeine Bekehrung im Sinne der Propheten damals 
das ganze Volk ergriffen hätte. Vielleicht die Mehrzahl gab die 
Vergangenheit überhaupt preis, verlor sich aber eben dadurch unter 
den Heiden und kam für die Zukunft nicht mehr in Betracht. Nur 
die Frommen, die zitternd Jahves Worte folgten, verloren sich 
nicht; sie allein hatten die Kraft, in dem Völkergewoge, in dem 
sie umhertrieben, die jüdische Besonderheit zu bewahren. Aus 
dem Exil kehrte nicht die Nation zurück, sondern eine religiöse 
Sekte, diejenigen, welche sich mit Leib und Seele den reforma- 
torischen Ideen ergeben hatten. Es ist kein Wunder, dass diesen 
Leuten, die sich noch dazu bei ihrer Heimkehr alle in der nächsten 
Umgebung Jerusalems ansiedelten, nicht der Gedanke kam, die 
lokalen Kulte herzustellen. Es kostete sie keine Kämpfe, die zer- 
störten Bamoth in Trümmern liegen zu lassen, ihnen war es völlig 
in Fleisch und Blut übergegangen, dass der eine Gott auch nur 
eine Anbetungsstätte hätte, und seitdem galt das für alle Folgezeit 
als eine selbstverständliche Sache. 



Der Ort des Gottesdienstes. 29 



n. 

Dies war der faktische Verlauf der Centralisation des Kultus, 
diese drei Stadien kann man unterscheiden. Lässt sich nun eine 
Korrespondenz zwischen den Phasen des wirklichen Hergangs und 
denen der Gesetzgebung in diesem Punkte aufzeigen? Die drei 
Schichten der Gesetzgebung enthalten sämtlich Bestimmungen 
über den Opferdienst und die Opferstätten. Es ist anzunehmen, 
dass dieselben irgendwie in der Geschichte wurzeln und nicht 
völlig ausser oder über dem Boden der Wirklichkeit in der Luft 
schweben. 

1. Das jehovistische Hauptgesetz, das sogenannte Bundesbuch, 
enthält Exod. 20, 24 — 26 folgende Verordnung. „Einen Altar von 
Erde sollst du mir machen und darauf deine Voll- und Schlacht- 
opfer, deine Schafe und Rinder opfern; an jedem Orte, wo ich 
meinen Namen ehren lasse, will ich zu dir kommen und dich 
segnen. Oder wenn du mir einen Altar von Steinen machen willst, 
so sollst du nicht mit behauenen bauen; denn hast du dein Eisen 
darüber geschwungen, so hast du sie entweiht. Und nicht auf 
Stufen sollst du zu meinem Altar aufsteigen, damit nicht deine 
Scham vor ihm entblösst werde." Ohne Zweifel ist hier nicht der 
Altar der Stiftshütte, der. aus Holz gezimmert und mit Erz über- 
zogen war, oder der des salomonischen Tempels, der an seiner 
Ostseite eine Treppe^) und rings herum auf halber Höhe einen 
Umgang hatte, als der einzig wahre beschrieben. Dahingegen gilt 
augenscheinlich eine Vielheit von Altären nicht bloss als zulässig, 
sondern als selbstveretändlich. Denn es wird gar kein Wert 
darauf gelegt, inmier die gleiche sei es stehende oder gar überallhin 
mitzuschleppende Opferstätte zu haben; Erde und unbehauene 
Feldsteine') findet man allerwegen, und sie zerfallen ebenso leicht 

') Der Altar des zweiten Tempels hatte keine Stufen, sondern einen 
schrägen Aufgang, ebenso nach der Meinung der Juden auch der der 
Stiftehütte. Der Grund übrigens, weshalb Exod. 20, 2ß die Stufen ver- 
boten werden, fällt hinweg, wenn die Priester Hosen tmgen (Exd. 28,42). 

*) Der Plural der Steine ist vielleicht bemerkenswert. Es f(ab auch Opfer- 
stätten aus einem grossen Steine 1. Sara. 14,33. 6,14. 15. 2. Sam. 20,8. 
Jud. 6,20. 13,19. 20. 1. Reg. 1,9. Da aber solche einzelne heilige 
Felsen leicht in eine mythologische Beziehung zur Gottheit traten, so 
nahm man Anstoss daran, wie aus dem Nachtrag Jud. 6,22 — 24 erhellt, 
worin der Felsaltar, der als Sitz der Theophanie gedachte Stein unter 
der Eiche, auf dem Gideon opfert und aus dem die Flamme schlägt 



t 



30 GpscliicTilfl dps Kultus, Kap. 1. 

wio sip zusammengeschichtet werden. Auch wird zweierlei Mat«i 
zur \V;ihl gestallt, Dach der ursprünglichen Meinung docli wo! 
zum Bau verschiedener Altäre; und nicht an dem Orte, sundem 
an jedem Orte, wo er seinen Namen ehren lässt. will Jahve zu 
seinen Anheteru kommen und sie segnen. Das in Rede stehende 
Gesetz stehf. also im Einklänge mit Sitte und Brauch der ersten 
geschichtlichen Periode, wui-zelt darin und sanctiouirt sie, Aller- 
dings scheint die Freiheit überall zn opforn etwas beschränkt zu 
werden durch den Zusatz: überall, wo ich meinen Namen ehren 
lasse. Aber das hat weiter nichts zu bedentfln, als daüs man die 
Stätte, wo der Verkehr zwischen Himmel nnd Erde vor sich ging, 
tiirht geiiie als willkürlich gewählt gelten Hess, sondern als 
ii^endwie durch die Gottheit selbst zu ihrem Dienst« ausereehen 
betrachtete. 

Mit dem jehovistischeu Gesetze stimmt die jehovistisctie Er- 
zählung des Pentateuchs vollkommen überein, wie namentlich die 
Patriarchengeschichte in J und E sehr deutlich lehrt.. Cberall, wo 
sie wohnen oder vorübergehend sich aufhalten, gründen hiernach 
die Erzväter Altäre, richten Malsteine auf, pHanzen Bäume, graben 
Brunnen. Das geschieht nicht an gleichgiltigen zufälligen Ort«n, 
sondern zu Sichern und Bethel in Ephraim, r.a Hehnm und Bcerseba 
in Juda, zu Misphn Mahanaim Phenue! in Gilead: an lauter Imrühraten 
altheiiigen Kultusstätten. Daran hängt das Interesse solcher An- 
gaben, BS sind keine antiquarischen Notizen, sondern sie haben die 
lebendigste Bedeutung für die Gegenwart der Erzähler. Der Altar, 
den Abraham zu Sichern gebaut hat, ist eben der, auf dem noch 
immer geopfert wird, und trä^ „bis auf den heutigen Tag" den 
Namen, den ihm der Patriarch gegeben; wo er zu Hebron den 
Jahve zum ersten Male bewirtet hat, da wird diesem seither be- 
ständig der Tisch bereitet; wie Isaak so schwören seine .Söhne 
noch immer (Am. 8, 14. Os. 4, lö) hei dem heiligen Bmnnen von 
Beerseba, den er gegraben, und opfern dort auf dem Altar, den 
er gebaut, unter der Tamariske, die er gepflanzt hat; den Ölstein 
Jakobs zu Bethel salbt noch das lebende Geschlecht und bezahlt 
den Zehnten, den jener einst dem dortigen Gotteshause gelobte. 

(6, lä— 31), in einen Altar auf dem Felspn TBrbessprt wird. I'ie Masse - 
both werden. Exod. 34, 4 vom Allar uulerHchiedpo , andersvo jedoch 
ofenbar damit gleii^hgestifctl (Gen. 33, 20. 35, 14} iind üheiull tnrhr oder 
wenigHr mit der Gottheit identilicirt (Gen. 28). 




Der Ort des Gottesdienstes. 31 

Darum sind auch die Stellen dieser Reliquien dem Berichterstatter 
so wol bekannt, dass er sie auf den Punkt genau angeben kann, 
trotz den 400 Jahren des ägyptischen Aufenthalts, welche die Wiederr 
auffindung sonst einigermaassen erschwert haben würden. Der 
Altar, den Abraham zu Bethel errichtete, liegt auf dem Berge 
östlich von der Stadt, zwischen Bethel im Westen und Ai im 
Osten; andere sind durch einen Baum oder eine Quelle fixirt, wie 
der von Sichem oder Beerseba^). Natürlich aber war es nicht die 
Absicht, den Kultus der Gegenwart dadurch zu verunehren, dass 
man seine Einrichtung den Erzvätern zuschrieb. Diese Legenden 
glorificiren vielmehi- den Ursprung der Stätten, an denen sie haften 
und umgeben sie mit dem Nimbus altersgrauer Weihe. Um so 
mehr, als die Patriarchen ihre Altäre in der Regel nicht nach 
eigenem Gutdünken errichten, wo es ihnen beliebt; sondern eine 
Theophanie macht sie aufmerksam auf die Heiligkeit des Ortes 
oder bestätigt dieselbe wenigstens nachträglich. Jahve erscheint 
dem Abraham bei Sichem, da erbaut jener den Altar „dem ihm 
erschienenen Jahve"; er isst bei ihm unter der Eiche Mamre, das 
ist der Ursprung des Opferdienstes daselbst; er zeigt ihm den Ort, 
wo er seinen Sohn darbringen soll, da steht noch heute die Stätte. 
In der ersten Nacht, wo Isaak auf dem heiligen Boden von Beerseba 
schläft (26, 24), erhält er den Besuch des dort wohnenden Numen 
und baut in Folge davon den Altar. Überrascht von profanen 
Blicken wirkt Jahve vernichtend, aber freiwillig weist er selbst 
seinen Lieblingen die Orte, wo er sich schauen lassen will; und wo 
Menschen ihn gesehen haben und lebendig geblieben sind, da be- 
zeichnet ein Heiligtum den offen stehenden Zugang zu ihm. Der 
Inhalt der Offenbarung ist dabei verhältnismässig gleichgiltig: ich 
bin die Gottheit; das Wichtige ist die Theophanie an sich, ihr 
Erfolgen an dem betreffenden Orte. Man darf sie nicht als ein 



') Vgl. Josephus Ant. 15, 364. Bellum 4, 533. Das richtijLfe Verständnis 
bei Ewald, Geschichte des Volkes Israel I^ [). 43(5 s. A. liernsteiu (l r- 
sprung der Sagen von Abraham u. s. w. : Berlin 1871) bringt die Politik 
hinein, in garstiger Weise. „Er betritt zwar nicht Sichem und Bethel 
selber — das sind Statten, die Jehuda feindlich sind — aber in echt 
jehudäischer Demonstration erbaut er in ihrer Nahe Altäre und nift an 
den Namen Jchovas" (p. 22). Er baut vielmehr die Altäre genau an den 
Stellen, wo sie später nachweislich standen; sie standen nicht innerhalb 
der Städte! In Gen. 18 wird auch die Eiche Mamre nicht gebraucht, 
den Wohnsitz Abrahams, sondern den Ort der Erscheinung Jahves zu 
fixiren. 



32 Gesehicht* des Knltru, Kap. 1, 

vereinzeltes Faktum ansehen, sondern yielmehr uls den eklatanten 
Allfang eines an dieser Stelle fortzusetzenden Verkehrs (nirr ""JE riNl) 
zwischen Gott und Mensch, gleichsam als die erste und stärksta 
Äusserung der Heiligkeit des Rodens. In grösster Klarheit und 
mit unvergieichliclier Anmut tritt uns diese Vorstellnngsweise in 
dem Berichte über die Himmelsleiter entgegen, welche Jakob zu 
Bethel sah. „Ihm träumte, da war eine Leiter, die stand auf der 
Erde und ihre Spitze rühi-te an den Himmel, 'und siehe die Eugel 
Gottes stiegen daran auf und nieder. Und er fürchtete sich und 
sprach: wie schauerlich ist diese Stätte, dies ist nichts anderes 
als ein Haus OotteH und dies ist die Pfoite des Himmels." Die 
Leiter steht an dieser Stätte nicht bloss in diesem Augenblick, 
sondern immer und gleichsam von Natur; Bethel — daa erkennt 
Jakob daraus — ist ein Ort, wo Himmel und Erde sich berühren, 
wo die Engel auf und nieder steigen, um den an diesem Tore von 
Gott gestifteten Verkehr zwischen Himmel und Erde zu vermittelu. 
Dies alles ist nur zu verstehn als eine Verklärung der Ver- 
hältnisse und Einrichtungen des Kultus, wie wir sie etwa in den 
ersten Jahrhunderten des geteilten Reiches antreffen. Was einer 
späteren Zeit austössig und heidnisch erscheint, wird hier durch 
Jahve selbst und seine Lieblinge geweiht und autorisirt, die Höhen, 
tiie Malsteine (Masseboth), die Bäume, die Brunnen')- Zwischen 
{iem ]' ehe \TB tischen Gesetze, welches die bestehenden Kultusstätten 
sanktionirt, und der jehovistischen Erzählung herrscht wesentliche 
Übereinstimmung, die letzte ist ihrem Fundamente nach vielleicht 
noch etwas älter. Beide gehören augenscheinlich der vorprophetischen 
Periode an — eine spätere Bearbeitung der Erzählung in prophe- 
tischem Sinne hat das Wesen ihres Kernes nicht geändert. Es ist 
undenkbar, dass Amos und ilosea oder ein ähnlich gesonnener 
Mann mit so teilnehmender Liebe und gläubiger Ehrfurcht sich in 
Geschichten versenken konnte, die nur dazu dienten, dem be- 
stehenden Gottesdienste, wie ihn das Volk auf den Höhen (saaks 
als seine heiligste Angelegenheit trieb, noch mehr Nimbus und 
grösseres Ansehen zu verleihea. 

') ALior nur der üffeutliclie Kultus , namentlkh au gi'Kijiseo Haupt- 
stüttoii, wird glorificirt; dagegen der häuslicbe P»uiili'iikiiltus, ao dem 
besonders die Weiber hängen, schon tod Jakob (in E) geinishilligt. 
Ascheren werden nicht erwähnt, üussbilder vorworfeu, aamentlich von 
E. Vielleicht hat liier scbon in JE eine Korrektur der alten Soge statt 
gefunden. 




Der Ort dos Gottesdienstes. 33 

2. Das jehovistieche Bundesbuch liegt zwar dem Deutero- 
nomium zu gründe, aber in einem Punkte diflferiren sie beträcht- 
lich, und das ist grade der, der uns hier angeht. Wie doi-t., so 
eröffnet auch hier eine Verordnung über den Altardienst die 
eigentliche Gesetzgebung (Deut. 12), aber hier hält nun Moses 
seinen Israeliten folgende Rede. „Wenn ihr in das Land Kanaan 
kommt, so sollt ihr alle daselbst vorfindlichen Kultusstätten zer- 
stören und nicht in der Weise wie die Heiden ihre Götter ver- 
ehren, ebenso tun dem Jahve eurem Gotte. Vielmehr nur an 
dem Orte, den Jahve aus allen euren Stämmen sich zur Wohnung 
erwählen wird, sollt ihr ihn suchen und dort eure Opfer und 
Gaben darbringen und dort vor ihm essen und euch freuen. 
Gegenwärtig tun wir so wie es jedem gut dünkt, aber wenn ihr 
zu festen Sitzen und zur Ruhe vor den Feinden gelangt seid, so 
soll der Ort, den Jahve sich in einem eurer Stämme zur Wohnung 
erwählen wird, der einzige sein, wohin ihr eure Opfer und Gaben 
bringt. Hütet_ euch^ an einem beliebigen Orte zu opfern, ihr dürft 
nicht in jeder Stadt eure heiligen Abgaben verzehren, sondern nur 
an der Stätte, die Jahve erwählen wird." 

Das Gesetz wird nicht müde, die Forderung der lokalen Ein- 
heit des Gottesdienstes immer und immer zu wiederholen. Es 
tritt damit dem „was wir gegenwärtig zu tun gewohnt sind" be- 
wusst entgegen und bekämpft die bestehende Sitte, es hat durch 
und durch polemischen, reformatorischen Charakter. Mit Recht 
wird es darum von der geschichtlichen Ki*itik in die Zeit der 
Angriffe der jerusaiemischen Reformpartei gegen die Bamoth ge- 
setzt. Wie das Bundesbuch und überhaupt das ganze jehovistische 
Schriftwerk die erste, vorprophetische Periode der Kultusgeschichte 
abspiegelt, so ist das Deuteronomium der gesetzliche Ausdruck der 
zweiten Periode des Kampfes und des Überganges — dieses histo- 
rische Nacheinander ist um so sicherer, da die literarische Ab- 
hängigkeit des Deuteronomiums von den jehovistischen Gesetzen 
und Erzählungen ohnehin erwiesen und anerkannt ist. Nahe liegt 
es daher auch zu glauben, dass das Buch, dessen Auffindung dem 
König Josias den Antrieb zur Zerstörung der lokalen Heiligtümer 
gegeben hat, eben das Deuteronomium gewesen sei, welches ur- 
sprünglich selbständig und in einer küi'zeren Gestalt existirt haben 
muss. Wenigstens bringt von allen Büchern des Pentateuchs nur 
dieses die Beschränkung des Opferdienstes auf den einen erwählten 

We 1 1 h ft n • e n , Prolegomena. 6. Aufl. 3 



34 Geschichte des Kultus, Kap. 1. 

Ort so gebieterisch zum Ausdruck, nur hier macht sich die Forde- 
rung in ihrer aggressiven Neuheit so fühlbar und beherrscht die 
ganze Tendenz des Gesetzgebers. Das alte Material, welches er 
sonst benutzt, gestaltet er überall nach dieser Rücksicht um. Nach 
allen Seiten geht er den Konsequenzen der Maassregel nach; um 
ihre Durchführung zu ermöglichen ändert er frühere Einrichtungen, 
erlaubt was verboten, verbietet was erlaubt war; fast immer steht 
bei seinen übrigen Neuerungen diese im Hintergrunde. So, wenn 
er gestattet zu schlachten ohne zu opfern und zwar an jedem 
Ürte, wenn er, um nicht mit den Altären zugleich die Asyle 
(Exod. 21, 13. 14. 1. Reg. 2, 28) abzuschaffen, besondere Zu- 
iluchtÄStädte für unschuldig Verfolgte eim'ichtet, wenn er für die 
Priester der aufgehobenen Heiligtümer sorgt, den Provinzialen em- 
pfiehlt bei ihren Opferwall fahrten sie mitzunehmen, und ihnen diis 
Recht gibt, im Tempel zu Jerusalem zu amtiren, so gut wie der 
dort erbgesesseno Klerus. Auch übrigens dominirt der beregte 
Gesichtspunkt, z. B. werden hauptsächlich ihm zu liebe die alten 
Verordnungen und Bräuche betreffend die Abgaben und die Feste 
dargestellt, wie sie sich nun ausnehmen müssen. Ein so lebendiges 
Gesetz, das sich überall an der Wirklichkeit reibt, gegen d<is 
Hergebrachte kämpft, durch Abrechnung mit den Bedürfnissen 
der Praxis sich Bahn bricht, ist keine Velleität, kein Hirngespinst 
eines müssigen Kopfes, sondern ebenso ?intstanden aus geschicht- 
lichem Anlass, wie in dem Verlauf des geschichtlichen Processes 
wirksam einzugreifen bestimmt. Ein sachgemässes Urteil kann 
demselben daher nur einen geschichtlichen Platz anweisen, in 
der Reformbewegung, die durch den König Josias zum Siege ge- 
bracht worden ist. 

3. Über den Priesterkodex ist die Meinung verbreitet, dass 
er sich in dieser Sache ziemlich indifferent verhalte, weder die 
Vielheit der Opfei*stätten erlaube noch auf die Einheit Gewicht 
lege, und dass ihm dieser Haltung wegen die Priorität vor dem 
Deuteronomium zukomme')* Diese Meinung ist, gelinde gesagt, 

') De Wette, Ilubilitationsschrift über das Deuteronomium (Jena 1805) 
unter 5: de hoc unico cultus sacri loco . . . priores libri nihil onmino 
habeiit. De sacrificiis tantum unice ante taberua<'ulum conveutus 
ollVTendis lex quaedam exstat. Sed in lejüfibus de diebus festis, de 
priniitiis et decimis, tarn saepe repetitis, nihil omnino monitura est de 
loco unico, ubi celebrari et ollerri debcant (Opusc. theol. p. 163 — 165). 
Vgl. dagejj^en Composition des Ifexateuehs (1899) |). 15()s. 



Der Ort des Gottesdienstes. 35 

oberflächlich in hohem Grade. Die Voraussetzung der R gncen- 
trirung des Gottesdienstes auf einen einzigen Mittelpunkt durch- 
drin^t den Prie sterko(lox ganz und gar. Wer sich um sie zu 
erweisen auf Lev. 17 oder auf Jos. 22 beruft, der zeigt, dass er 
Exod. 25 bis Lev. 9 von Anfang bis zu Ende nicht verstanden 
hat. Ehe noch irgend eine die Materie des Kultus betreffende 
Verordnung gegeben werden kami — das ist der Sinn jenes 
grossen Abschnitts — muss erst der rechte einige Ort dcssell)en 
vorhanden sein. Die Stiftshütte ist nicht bloss Historie, sondern 
wie alle Historie in jenem Ruche ist sie zugleich Gesetz. Sie 
drückt die gesetzliche Einheit des Kultus als geschichtliche Tat- 
sache aus, die von Anfang an, seit dem Auszuge aus Ägypten, in 
Israel bestanden habe. Ein Gott, ein Heiligtum — das ist ilire 
Meinung. Mit ihrer Einrichtung, die den Inhalt der göttlichen 
Offenbarung auf dem Sinai ausmacht, wurde die Theokratie be- 
gründet: wo sie ist, da ist jene. Ihre Beschreibung steht darum 
ebenso an der Spitze des Priesterkodex, wie die des Tempels an 
der Spitze der Gesetzgebung Ezechiels. Sie ist die Grundlage und 
der unentbehrliche Boden, ohne den alles andere in der Luft 
stünde; erst muss die Stätte der göttlichen Gegenwart auf Erden 
da sein, ehe die heilige Gemeinde ins Leben und der Kultus in 
Kraft treten kann. Glaubt man, die Stiftshütte dulde noch andere 
Heiligtümer neben sich? Wozu dann aber das Lager der zwölf 
Stämme um sie herum, das keine kriegerische, sondern rein geist- 
liche Bedeutung hat und seinen ganzen Sinn von dem heiligen 
Mittelpunkte aus empfängt? wn)her diese Koncentration des ganzen 
Israels zu einer einzigen grossen Gemeinde (niy, bnp)^ die nii-gends 
im Alten Testamente ihres gleichen hat? Vielmehr es gibt nur 
diesen einen Ort, wo Gott wohnt und sich schauen lässt, nur 
diesen einen, wo der Mensch sich ihm nahen und mit Opfern 
und Gaben sein Antlitz suchen kaim. Diese Anschauung durch- 
zieht die ganze Ritualgesetzgebung des mittleren P(Mitateuchs wie 
etwa,s das sich gar nicht anders denken lässt. Bezeichnend daföi- 
ist besonders das überall beiläufig eingestreute IV^ü bnx ^^D^ (vor 
der Stiftshütte), namentlich in der Opferordnung. 

Was folgt nun hieraus für die geschichtliche Eingliederung 
des Priesterkodex, wenn man eine solche ü]>erhaupt für nötig hält? 
Er kann nicht in die erste Periode verlej^t werden, konsequenter- 
weise so wenig wie das Deuteronomium. Aber in welchem A'er- 

3* 



36 O^cbichte des Kultus, Kap. 1. 

fiältnis steht er zu diesem? Im Deuteronomiam wird die 

des Kultus liefor dert, im Priesterltodes wird sie voraosgesetgt. 
Stillschweigend liegt aie ihm allenthalhen zu gründe, aber von 
Lev. IT, worüber demnächst weiter zu reden sein wird, abgesehen, 
macht »ie sich hier nirgend mit ausdrücklichem Anspruch geltend, 
sie ist nicht« Neues, sondern etwas ganz Selbstverstäudliches. Was 
folgt daraus für unsere Fri^e? Doch wol nichts anderes iJs dass 
der Priesterkodex auf dem Resultat fusst, welches das IJentern- 
noraium anstrebt. Dieses steht mitten im Kampf und in der Be- 
wegung, es spricht deutlich seine reformatorische Absicht aus, 
seinen Gegensatz gegen das Hergebrachte „was wir gegenwärtig 
zu tun pflegen"; jener steht ausser und über dem Streit, dasZiel 
ist erreicht und siclierer Besitz geworden. Auf grund des Pnester- 
kodex wäre nie eine Reformation erfolgt, kein Josias hätte daraus 
gemerkt, dass der damalige Zustand verkehrt sei und umgestaltet 
werden müsse; es wird ja getan, als sei alles seit je in bester 
Ordnung. Und auch nur im Deuteronomium sieht man hinein in 
die Wurzel der Hache und erkennt ihren Zmammenhuiig mit der 
Sorge für einen strengen Monotheismus und für die Entfernung 
volkstümlich-heidnischer Elemente aus dem Gottesdienste, also 
mit einem tieferen und wirklich wertvollen Zwecke; im Priester- 
kodex berulit ilie Ratio der an sich docli keineswegs rationellen 
Einrichtung auf ihrer eigenen „Legitimität", wie alles Tatsächliche 
für die Gewohnheit natürlich erscheint und uubedürftig der Moti- 
virung. Nirgends tritt hier hervor, dass die Abschaffung der Bamoth 
mitsamt Ascheren und Malsteiuen der eigentliche Zweck ist, diese 
Institute sind kaum noch bekannt, und was nur als negative und 
polemische Maassregel sich begreifen lässt, wird als in sich sinnvoll 



Die Idee als Idee bt älter wie die Idee als Geschichte. Im 
Deuteronomium trägt sie ihre angeborene Farbe, tritt fordernd und 
aggressiv der Wirklichkeit entgegen. Insofern allerdings als sie 
dem Moses iu den Jilond gelegt wird, gesclüeht ein Schritt sie 
geschichtlich einzukleiden; aber dieser Anfang hält sicli iu be- 
scheidenen Grenzen. Moses stellt nur dajj Gesetz auf; es auszuführen, 
macht er weder für seine eigene Zeit Anstalten noch verlangt er 
es von der nächsten Zukunft. Vielmehi* soll dasselbe erst in Kraft 
treten, wenn das Volk mit der Eroberung des Landes fertig und 
zur Ruhe gelaugt ist. Es ist oben vermutet, dass der letztojc^^j 




Der Ort des Gottesdienstes. 37 

Termin die Giltigkeit des Gesetzes bis auf die Tage Davids und 
Salomos (1. Reg. 8, 16) hinausrücke. Dies ist um so wahrschein- 
licher, da zu seiner Ausführung „der Ort, den Jahve erwählen 
wird" gehört, womit nur die judäische Hauptstadt gemeint sein 
kann. Davon also, dass das was sein soll, auch von jeher ge- 
schichtlich dagewesen sei, weiss das Deuteronomium gar nichts, 
bis auf den salomonischen Tempel hat die Kultuseinheit eigent- 
lich nicht einmal zu Recht bestanden, und dass sie von da ab 
auch mehr eine fromme, als eine praktische Forderung gewesen 
sei, steht unverkennbai* zwischen den Zeilen. Dahingegen der 
Priesterkodex kann so wenig von ihr abstrahiren, dass er sich 
Israel ohne sie in keinem Augenblicke vorstellen kann, dass er ihr 
tatsächliches Vorhandensein bis in den Anfang der Theokratie 
hinaufrückt und demgemäss die alte Geschichte völlig umgestaltet. 
Die Grundlage der Koncentration des Gottesdienstes, der Tempel, 
der in Wirklichkeit erst von Salomo gebaut wurde, gilt hier auch 
für die unruhige Zeit der Wanderung, die der Sesshaftigkeit vor- 
herging, als so unentbehrlich, dass er tragbar gemacht und als 
Stiftshütte in die Urzeit versetzt wird. Denn diese ist in Wahrheit 
nicht das Urbild, sondern die Kopie des jerusalemischen Tempels. 
Die beiderseitige Ähnlichkeit ist bekannt*), aber mit nichten wird 
1. Reg. 6 berichtet, dass Salomo das ältere Muster benutzt und 
seinen tyrischen Meistern befohlen habe, sich daran zu halten. Näher 
sucht Graf die Posteriorität des mosaischen Baues aus folgenden 
zwei Punkten zu erweisen. Erstens ist bei der Beschreibung der 
Stiftshütte wiederholt von ihrer Süd- Nord- und Westseite die Rede, 
ohne vorhergehende Anordnung einer bestimmten und stets gleichen 
Orientirung derselben: diese wird stillschweigend vorausgesetzt, weil 
sie vom Tempel hergenommen ist, der ein festes Gebäude war und 
seinen Platz nicht wechselte. Zweitens ist der eherne Altar eigent- 
lich als ein hölzerner beschrieben, der nur mit Erz überzogen ist: 
nun entspricht zwar diese Konstruktion vielleicht der ältesten Be- 
handlung des Erzes, aber für einen Herd grössten Umfangs, auf 
dem beständig ein gewaltiges Feuer brennt, ist sie doch sehr un- 
geeignet und am leichtesten aus dem Bestreben erklärlich, den 

') Sap. Sah 9, 8 heisst der Tempel ein fx^fiTjfxa ax7)v^« ifia^. Josephus saj^^ 
Ant. 3, 103 von der Hütte : ^ V o66iv (xsxotpepofA^vou xal aufiTcepivoaxouvToc 
vaou Sti^epe. Er nennt sie geradezu das heilige Ilaus, ebenso wie den 
Hof den Tempel und das Lager die Stadt. 



38 Geschichte des Kultus. 

ehernen Altur, den Salomo gegossen hatte (2. Reg. 16, 4), dadurch 
transportabel zu machen, dass man seinen Kern in Zimmerwerk 
verwandelte. Die Hauptsache bleibt indessen, dass die Stifti^hütte 
des Priesterkodex ihrer Bedeutung nach nicht ein einfaches 
provisorisches Obdach der Lade auf dem klarsehe ist, sondern das 
einzige legitime Heiligtum der Gemeinde der zwölf Stämme vor 
Salomo und darum also eine Projektion des späteren Tempels*). 
Wie bescheiden und fast verlegen nimmt sich gegen diese dreiste 
Tatsache einer von Anfang an gegebenen Grundlage der Centralisation 
der deuteronomische Hinweis auf den zukünftigen Ort aus, den 
Jahve erwählen werde! Hier ist gewissermiuissen nur die Idee in 
des Gesetzgel)ers Geiste vorhanden und beansprucht ei"st für eine 
weit spätere Zeit reale Wirksamkeit, dort hat sich die mosaische 
Idee auch einen mosaischen Körper nachwachsen lassen, mit dem 
sie gleich von Anfang an leibhaftig in die Welt tritt'). 

Auf dem selben einfachen historischen W^ege, wie der Priester- 
kodex da« Centralheiligtum in die vorsalomonische Zeit hinein- 
pflanzt, schaflt er die anderweitigen Kultusstätten aus der Luft. 
Seine achtundvierzig Levitenstädte sind zum grossen Teil nach- 
weislich eine zeitgemässe Metamorphose der alten Ramoth. Der 
Altar, den Jos. 22 die ostjordanischen Stämme bauen, soll bei Leil)e 
nicht in der Absicht ihn zu gebrauchen errichtet sein, sondern nur 
so zum Andenken an irgend etwas. Sogar die vormosaische Zeit 
wird in dieser Weise purificirt. Weil die Patriarchen keine Stifts- 
hütte haben, so haben sie überhaupt keinen Kultus, sie bauen 
nach dem Priesterkodex keine Altäre, bringen keine Opfer und 
halten sich sorgfältig von allem fern, wodurch sie dem Privileg 
des einzig wahren Heiligtums irgendwie vorgreifen könnten. Diese 
Gestaltung der Erzvätergeschichte ist nur die äusserste Konsequenz 
des Strebens, ghnchsam das Sempcr ul)ique et al) omnibus der ge- 
setzlichen Kultuseinheit geschichtlich durchzuführen. 

') Als solche wird sie einpfuiideii, wenn sie mehrfaeh in der Chronik un- 
willkürlieh mit dem Tempel konfnn<lirt wird: Oraf ]). 55. In m. Zel)a- 
eliim 14,4 heisst es; antequam erectum esset tahernaeuhim, fuennit 
«'xrclsa lieita: postcpiani erectum est tahernaculiim, [)rohil>ita fuerunt 
excelsa. Nach dem denterononiischen \«'rse 1. Reir. 3, 2 tritt erst mit 
der Krlumuup: des Tempels das \ erbot der Ramoth in Kraft. 

-) Ks entspricht dem jrenan. wenn der deiiteronom. r)earl>eiter des Konigs- 
hnchs zwar seit dem Temj)elhau das Gesetz als zu Ueclit hestehond an- 
sieht, aber das konstante Abweichen der Praxis anerkennt, daj^egen der 
Chronist die jüdische Geächichtc der Hej^a^l nach ins Ge&otz umdichtet. 



Der Ort des Gottesdienstes. 39 

Also im Deuteronomium liegt die Institution in den Geburts- 
wehen und hat im Kampf mit der Praxis der Gegenwart sich 
durchzuringen, im Pri esterkodex trägt sie Sorge für ihre yralte 
Legitimit ät und gestaltet die A^ergangenheit nach sich um, offenbar 
leshalb, weil dies für die Gegenwart nicht mehr nötig ist — die 
Zurücktragung des Neuen in die alte Zeit pflegt später zu geschehen 
als die Geburt des Neuen selber. Das Deuteronomium steht in der 
geschichtlichen Krisis mitten drin und noch im engen Zusammen- 
hang mit der älteren Kultusperiode, deren Zustände es bekämpfen, 
aber nicht ignoriren oder gar ableugnen kann. Kein Fortlel)en 
der früheren Sitte in der Gegenwart verhindert dagegen den 
Priesterkodex, sich ein Bild der alten Zeit wie sie sein muss zu 
entwerfen; unbeengt, durch noch vorhandene Anschauung und wirk- 
liche Tradition kann er sie nach Herzenslust idealisiren. Er hat 
demnach seine Stel le hinter dem Deuteronomium, und zwar in 
der dritte n, nachexilischen Periode der Kultusgeschichte, wo einer- 
seits die Einheit d gr Opfftrstät tn ftinQ vollendfttft^ von niemand und 
durch nichts angefochtene Tatsache war, und wo andrerseits das 
Exil das natürliche Band zwischen der Gegenwart und dem Alter- 
tum so durchschnitten hatte, dass einer künstlichen Ausgestaltung 
des letzteren, von der Idee aus, kein Hindernis im Wege stand. 

III. 

Das gewöhnliche Urteil ist umgekehrt. Im Deuteronomium, 
meint man, kommen deutliche Beziehungen zur Königszeit vor, der 
Priesterkodex passe mit seinen geschichtlichen A^oraussetzungon in 
keine Situation derselben und sei deshalb älter. Wenn, wie bei 
Ezechiel, der Kultus auf dem Fundamente des salomonischen 
Tempels ruht, so erkennt jedermann die spätere Zeit; wenn er 
aber auf die Stiftshütte gegründet ist, so ist das eine andere Sache. 
Man beweist das hohe Alter der priesterlichen Gesetzgebung damit, 
dass man sie in eine von ihr selbst aus ihren gesetzlichen Prämissen 
geschaffene historische Sphäre versetzt, die in der wirklichen 
Historie nigend zu finden ist und darum ihr voraufgehn muss. 
So hält sie sich am eigenen Schopf über dem Boden in der Schwebe. 

1. Es mag jedoch scheinen, als sei bisher nur behauptet 
worden, dass die Stiftshütte auf einer historischen Fiktion beruhe. 
In Wahrheit ist es zwar bewiesen, indessen mag noch einiges 
hinzugefügt werden, w^as zwar längst gesagt, aber nochJ,.|^nmer 



40 Geschichte des Kultus, Kap. 1. 

nicht recht beherzigt ist. Es handelt sich, wie ich vorausschicke, 
um die Stiftshütte des Priesterkodex. Denn irgend ein Zelt für 
die Lade mag es wol gegeben haben. Zelte waren in der Tat in 
Palästina die ältesten Obdächer der Idole (Os. 9, 6) , woraus erst 
später feste Häuser wurden; und auch die jehovistische Über- 
lieferung (jedoch nicht J) kennt ein heiliges Zelt ^) beim mosaischen 
Lager und zwar ausserhalb desselben, wie die älteren Höhen meist 
frei vor der Stadt lagen. Es handelt sich aber um das bestimmte 
Zelt, welches Exod. 25 ss. nach Jahvcs Anweisung als der Grund- 
stein der Theokratie errichtet wird, das vorsalomonische Central- 
heiligtum, welches auch äusserlich das Gegenbild des Tempels ist. 
Schon dessen blosse Möglichkeit ist bestreitbar. Ganz wundersam 
koutrastirt dieser Prachtbau, zu dem das kostbarste Material bei- 
gesteuert und in der kunstvollsten Weise des Morgenlandes ver- 
arbeitet wird, gegen den Boden, auf dem er sich erhebt, in der 
Wüste unter den urwüchsigen hebräischen Wanderstämmen, die 
ihn doch ohne fremde Beihilfe in kurzer Frist hergestellt haben 
sollen. Der Gegensatz ist früh aufgefallen imd hat zuerst Voltaire 
Anlass zu Zweifeln gegeben. Diese Zweifel mögen auf sich be- 
ruhen; es genüge, dass die hebräische Überlieferung, selbst für die 
Zeit der Ri(;hter und der ersten Könige, für welche doch die mosaische 
Stiftshütte eigens bestimmt ist, nichts von derselben weiss. 

Man sollte das freilich nicht denken, wenn man sieht, wie 
viel manch einer heute von ihr zu erzählen hat, der das Buch der 
Chronik geschickt zu benutzen versteht. Nämlich 2. Chron. 1, 3 ss. 
heisst es, Salomo habe seinen Regierungsantritt mit einem gi'ossen 
Opferfeste zu Gibeon gefeiert, denn dort habe die Stiftshütte und 
der eherne Altar Moses gestanden. Dem entsprechend wird 1. Chron. 
21, 29 gesagt, David habe zwar auf der Tenne Araunas ein Opfer 
gebracht, aber die Wohnung Jahves und der rechtmässige Altar 
sei in jener Zeit zu Gibeon gewesen; und weiter 16, 39, dort in 
Gibeon habe der legitime Hohepriester Sadok fungirt. llievon aus- 

') Es wird a]>er iiirjreiid zu gesetzgeberischen Zwecken benutzt, sondern 
ist einfaches Obdach für die Lade, steht ausserhalb des Laj^ers, wie die 
ältesten lleilij^ünier ausserhalb der Städte, und wird von Josua als Aedi- 
tuus bewacht, der auch darin schläft: wie Samuel, der Aedituus Elis. 
In gewissen (irundzüj^cn stimmt die Bauart der Xaaba mit der der Stifts- 
hütte überein: mit Zeui,' überhangener Kubus, innerhalb eines durch 
Säulen begrenzten Hufes, von dem noch ein besonderer, unmittelbar an 
eine Seite des Heiligtums stossender Raum (Ui^r) abgesperrt ist. Wie 
das zu erklären ist, sei dahin gestellt. 



Der Ort des Gottesdienstes. 41 

gehend haben schon die Rabbiner und neuerdings besonders Keil 
und Movers eine systematische Geschichte der Stiftshütte bis auf 
den Tempelbau ausgesponnen. Unter David und Salomo, so lange 
die Lade auf dem Sion sich befand, war sie in Gibeon, wie auch 
daraus zu ersehen, dass dort (2. Sam. 21, 6. 9) Opfer vor Jahve 
gebracht werden. Vorher zu Nob, wo Ephod und Schaubrode er- 
wähnt werden (1. Sam. 21); m^sprünglich zu Silo, seit Josua. Aber 
dies waren nur ihre ständigen Wohnorte, daneben hielt sie sich 
vorübergehend bald hier bald dort auf und rettete durch ihre all- 
gegenwärtige Geschwindigkeit die Einheit des Kultus, trotz der 
verschiedenen und weit auseinander liegenden Stätten, an welchen 
derselbe ausgeübt wurde. Überall, wo von einem Erscheinen und 
Opfern vor Jahve die Rede ist, muss die Stiftshütte stillschweigend 
ergänzt werden^). Wie dogmatisch dies Verfahren ist und zu wie 
absurden Konsequenzen es fühii, braucht nicht noch gezeigt zu 
werden; die Hauptsache ist, dass der Ausgangspunkt nichts 
weniger als fest ist. Denn die Angabe der Chronik, Salomo habe 
sein Antrittsopfer auf dem Altar der Stiftshütte zu Gibeon dar- 
gebracht, steht in Widei*spruch zu der älteren Parallele 1. Reg. 3, 1 — 4. 
„Diese sagt nicht nur nichts von der mosaischen Stiftshütte, die 
zu Gibeon gestanden habe, sondern sie sagt ausdrücklich, dass 
Salomo auf einer Höhe (als solcher) geopfert, und entschuldigt 
ihn deswegen'^ damit, dass bis dahin noch kein Haus dem 
Namen Jahves gebaut worden sei. Dass der Verfasser der Chronik 
von dieser Relation abhängig ist, ist aus allgemeinen Gründen 
gewiss und ergibt sich speciell daraus, dass er die Stiftshütte zu 
Gibeon mit dem Namen Bama bezeichnet, eine condradictio in 
adiecto, die nur aus dem Restreben authentischer Interpretation 
„der grossen Bama zu Gibeon'^ 1. Reg. 3 zu erklären ist. Hier 
wie sonst konformirt er die Geschichte dem Gesetze: der junge 
fromme Salomo kann sein Opfer doch nur an der gesetzlichen 
Stätte gebracht haben, welche also jener Höhe zu Gibeon unter- 
gelegt werden muss. Mit 2. Chron. 1 , 3 ss. fallen auch die zwei 
anderen Notizen 1. Cliron. 16, 39 und 21, 29, die beide von jener 
Hauptstelle abhängig sind, wie der wiederkehrende Ausdruck „die 

') Septuaginta zu Jos. 24, 33: uaeli Josuas und Kleazars Tode Xaßdvrec ol 
ulol 'löpo^X T7)v xißwTOv Toü Oeoü TtEpiEtp^poaav h ^Gt'JToi;. Vgl. Wa«,'enseil, 
Sota p. 151. Nach Jo. Buxtorf und 8al. van Til (l'gol. Bd. 8) ist dann 
diese Theorie besonders von Movers ausgebildet worden. Dagegen 
de Wette, Beiträge p. 108 ss., Yatke a. 0. p. 316 Anm. 



42 Geschichte des Kultus, Kup. 1. 

Bamii von Gibcon" deutlicli von'ät. Sonst kommt die Stift sliüttc 
in der Chronik nicht weiter vor, sie liat noch nicht ihre Konse- 
qnenzen j^ezo^en und die historische Anschauung des Verfossers 
noch nicht durchdrungen. Dieser würde gewiss durcli die Frage, 
oh sie vorher in ^'ol) gestanden habe, in einige Verlegenheit ge- 
raten sein, da er Gewicht legt auf die Verinndung des recht- 
mässigen Heiligtums mit dem rechtmässigen l^riestergeschlecht 
Sadok-Eleazar, wa^lche allenfalls für Silo, aber nicht für Nob 'an- 
zunehmen möglich ist*). 

Dass die Chronik die israelitische Geschichte dem Priester- 
kodex gemäss darstellt, hat zwar gewöhnlich unwillkürlich dazu 
veranlasst, ihre principielle Aufla«isung derselben zu gi'unde zu 
legen, dürfte aber doch wol eher dazu bewegen, sie aus dem 
Spiel zu lassen, wenn es sicli um Ermittlung der wirklichen und 
echten Tradition handelt. Die Bücher der Richter und Samuelis 
tun zwar vieler Heiligtümer- Erwähnung, darunter aber nicht des 
allei-i^'ichtigsten, des Tabernakels. Denn die einzige Stelle, wo 
der Name Ohel Moed vorkommt, 1. Sam. 2, 22, ist schlecht be- 
zeugt und inhaltlich verdächtig'). Von dem Vorhandensein der 
Lade Jahves allerdings finden sich gegen Ende der Hichterzeit 
deutliche Spuren (1. Sam. Kap. 4 — 6). Bürgt nun die Lade für 
das Tabernakel? Vielmehr ist ihre Geschichte bis zur Unter- 
bringung im Tempel Salomos ein Bew'ois dafür, dass „sie ganz 
unabhängig von einem ihr besonders geweihten Zelte gedacht 
wurde". Das hebt aber den Begriff der mosaischen Stiftshütte 
auf, denn nach dem Gesetz gehören beide Stücke notwendig zu 
einander, eins darf nicht ohne das andere sein, eins ist so wichtig 
wie das andere. Das Ta])ernakel muss da^ Symbol seiner Gegen- 
wart überall begleiten, das Dunkel des Allerheiligsten ist gleichsam 
das Lei)enselement der Bundeslade; nur notgedrungen und auch 
dann nur unter der Hülle der A-'orhänge verlässt sie ihre Wohnung 
w-ährend des Marsches, um sie sofort wieder zu beziehen, wenn 
Station gemacht wird. Nun aber zieht 1. Sam. 4 ss. lediglich 
die Lade zu Felde, sie allein fallt den Philistern in die Hände, 
vom Tabernakel und vollens von dem notwendig dazu gehörenden 

^) Von (lor Priesterschaft zu Noh entrann nur Abiathar dem Blutbade 
1. Sam. 22: also war Sa(l(»k nirlit dalK'i. 

-) Die ScptuaLTiuta liest die Stelle nieht, und üherall sonst in 1. Sam. 1 — 9 
ist das lleilijj^um von Silo ein Jlekal, d. h. sicher kein Zelt. 



Der Ort des Gottesdienstes. 43 

Altar ist auch in Kap. 5, wo das Symbol Jahvcs im Tempel 
J)agons zu Asdod aufgestellt wird, keine Rede; ebensowenig in 
Kap. 6, obwol hier die Feinde deutlich ihren gesamten Raub am 
Heiligtume herausgeben. Man nimmt an, die Behausung der Lade 
sei in Silo zurückgeblieben. Sehr glaublich, aber das war dann 
nicht die mosaische Stiftshütte, die unzertrennliche Begleiterin der 
Lade. In der Tat redet der Erzähler von einem festen Mause zu 
Silo, mit Pfosten und Türen; möglich, dass dies ein Anachronis- 
mus^) — obgleich warum? — , aber so viel folgt jedenfalls, dass 
er von der Stiftshütte keine Ahnung hat, die ja mit in den Krieg 
hätte ziehen müssen. Wäre gerade diesmal eine ungesetzliche 
Ausnahme gemacht, warum wurde denn die Lade nicht w^enigstcns 
nach ihrer Herausgabe wieder mit der Wohnung vereinigt, die sie 
ja eigentlich gar nicht hätte verlassen dürfen? Statt dessen kommt 
sie nach Bethsemes und bringt Unheil, weil — die Leute sie sich 
neugierig besehen. Dann nach Kiiiathjearim, wo sie lange Jahre 
im Hause eines Privatmannes bleibt. Von da lässt sie David 
nach Jerusalem holen — natürlich, sollte man auf grund der 
aus dem Pentateuch und der Chronik fliessenden A'orstellung 
denken, um sie der ebenfalls nach Jerusalem zu bringenden Hütte 
wiederzugeben. Aber daran kommt ihm nicht der Gedanke, so 
nahe er gelegen hätte. Zuerst will er die Lade zu sich auf die 
Burg nehmen, wird jedoch davon abgeschreckt, und aus Verlegen- 
heit sie andersw^o unterzubringen, stellt er sie schliesslich in das 
Haus eines seiner Hauptleute, des Obededom von Gath. Hätte er 
etwas von dem Tabernakel gewusst, hätte er geahnt, dass es leer 
in Gibeon stehe, ganz in der Nähe, es hätte ihm aus aller Not 
geholfen. Da nun die Lade dem Hause Obededoms Segen bringt 
— man denke: die Lade im Hause eines Soldaten, eines Philisters, 
und trotzdem kein Zorn, sondern Segen ^) — , so wird der König 

*) Vgl. ähnlich Jos. 6, 19. 24. 9, 27, wo frradc der Anacliroiiismus beweist, 
dass die Vorstellung der Stiftshütte dem \f. unbekannt war. Dass 
übrigens in Wirklichkeit zu Silo damals ein festes Haus staud, folgt 
daraus, dass Jeremias (7, 12) auf seine Trüuimer verweist. Denn er 
kann nur ein vorsalomonisches Ileiligtuui als Vorgänger Jerusalems be- 
trachten; ausserdem gibt es auch von einem bedeutenderen Tempel zu 
Silo seit der Königszeit nicht die geringste Spur mehr. 

*) Die Chronik hat gute Gründe, ihn zum Leviten zu machen. Aber Gath 
an sich, namentlich bei David, ist das philisthäische, und Ob<'deom 
gehört zu der Leibwache, die vorwiegeiul aus Fremden und Philistern 
bestand. Ausserdem ist sein Name schwerlich israelitisch. 



44 Geschichte des Kultus, Kap. 1. 

ermutigt, nun doch sein ursprüngliches Vorhaben auszuführen und 
sie in seiner Bui-g aufzustellen. Und zwar unter einem Zelte, 
welches er für sie hatte machen lassen (2. Sam. 6, 17); dies Zelt 
Davids auf dem Sion blieb ihr Aufenthalt bis zum Tempelbau. 

Unumgänglich war die Stiftshütte, falls es sie gab, zu er- 
wähnen als der Tempel an ihre Stätte trat. Dass sie ihm nicht 
als Vorbild diente, ist bereits gesagt. Wenigstens wäre es doch 
aber zu erwarten, dass in dem Bericht über den Bau des neuen 
Heiligtumes ein Wort über den Verbleib des alten einflösse. Das 
scheint nun auch 1. Reg. 8, 4 zu geschehen: nach Vollendung des 
Tempels brachte man ausser der Lade den Ohel Moed und 
alle darin befindlichen heiligen Geräte hinein. Die Aus- 
leger schwanken, ob sie unter dem Ohel Moed das Zelt der Lade 
auf dem Sion verstehn sollen, von dem bisher allein die Rede 
gewesen (1. Reg. 1, 39. 2, 28 — 30), oder das mosaische Zelt, das 
nach der Chronik in Gibeon stand, von dem aber das Buch der 
Könige nichts berichtet und auch nichts weiss (3, 2 — 4). Dem 
Verfasser des Verses 8, 4 wii'd wahrscheinlich beides in einander 
geflossen sein, wir aber sind vor folgende Alternative gestellt. 
Entweder steht die Notiz im Zusammenhange der Erzählung des 
Buchs, dann kann der Ohel Moed nur das Zelt auf dem Sion 
sein — oder der Ohel Moed 8, 4 ist die mosaische Stiftshütte, die 
von Gibeon in den salomonischen Tempel übergeführt wurde: 
dann steht die Angabe ausserhalb des Zusammenhangs und geht 
nicht von den Prämissen aus, die dieser an die Hand gibt, dann 
ist sie mit andern Worten von einem Spätem eingeschoben. Die 
erstere Möglichkeit ist unwahi-scheinlich, denn der Name Ohel Moed 
kommt, abgesehen von jener Interpolation im masorethischen Texte 
zu 1. Sam. 2, 22, in den Büchern der Richter Samuelis und der 
Könige überhaupt nicht vor und insonderheit nicht füi* das Zelt 
Davids auf dem Sion; dasselbe war auch zu wenig durch das 
Alter geheiligt und nach 2. Sam. 7 zu unansehnlich und provi- 
sorisch, um der Aufbewahrung im Tempel gewürdigt zu werden. 
Wenn aber der Ohel Moed hier wie immer die Stiftshütte ist, 
worauf auch die heiligen Geräte fülu^en, so ist der Vers eben 
auch später eingeschoben. Die Veranlassung dazu ist leicht zu 
begreifen; der selbe Anstoss, von dem wir oben ausgingen, musste 
es einem Juden, der von pentateuchischen Gedanken ausging, 
nahe legen, an dieser Stelle die Stiftshütte zu suchen und wenn 



Der Ort des Gottesdienstes. 45 

er sie nicht fand, zu ergänzen. Doch auch die Interpolation be- 
seitigt die Schwierigkeiten nicht. Wo bleibt der mosaische Brand- 
opferaltar? er war ebenso wichtig und heilig als das Tabernakel 
selber, wird auch in der Chronik ausdrücklich stets daneben auf- 
geführt und verdiente nicht, dass man ihn in Gibeon verkommen 
Hess — was andrerseits auch der Einheit des Opferdienstes sehr ge- 
fährlich gewesen wäre. Ferner, wenn die heiligen Geräte aus der Hütte 
in den Tempel übertragen wurden, warum goss denn Salomo nach 
1. Reg. 7 alles neu? Warum machte er an stelle des sieben- 
armigen Kandelabere zehn Leuchter? Kostbar genug waren doch 
auch die alten Geräte, zum teil noch kostbarer als die neuen, 
dazu durch ihren alten Gebrauch geheiligt. 

Ein negatives Gegenstück zu der Einführung der Stiftshütte 
1. Reg. 8, 4 ist die Streichung des ehernen Altars in dem Ver- 
zeichnis der von Salomo gegossenen Tempelgeräte 1. Reg. 7. Der 
eherne Altar Salomos wird 1. Reg. 8, 64. 2. Reg. 16, 14 15 als 
bekannt erwähnt, ohne dass wir in der Hauptstelle 1. Reg. 7 
etwas von ihm erfahren haben. Ursprünglich kann er hier nicht 
gefehlt haben; denn er ist ja grade das wichtigste Gerät. Man 
hat ihn also, wegen seiner unbequemen Konkurrenz mit dem 
Brandopferaltar Moses, tot su schweigen versucht; man ist aber, 
wie es zu gehn pflegt, nicht konsequent genug gewesen, um all 
seine Spuren aus der Welt zu schaffen und dann zu versichern, 
Salomo habe nicht selber einen ehernen Altar gegossen, sondern 
den der mosaischen Stiftshütte nach Jerusalem geholt und dort 
vor dem Tempel aufgestellt. 

Es ist klar, dass zur Zeit Salomos weder Stiftshütte noch 
heilige Geräte noch eherner Altar Moses existirten. So wie es nun 
aber zur Zeit der letzten Richter und ei^sten Könige keine Stifts- 
hütte gab, so war sie auch in der ganzen früheren Periode nicht 
vorhanden. Das folgt aus 2. Sam. 7 , einem Abschnitt, auf dessen 
Geschichtlichkeit es nicht ankommt, der aber jedenfalls die Auf- 
fassung eines vorexilischen Schriftstellers wiedergibt. Nachdem 
David, wird erzählt, vor seinen Feinden Ruhe hatte, gedachte 
er der Lade ein würdiges Obdach zu bauen und sprach seinen 
Entschluss gegen den Propheten Nathan mit den Worten aus: 
„ich wohne in einem Cederhause und die Lade Jahves unter 
einem Zelte". Er kann nach 6, 17 nur das Zelt meinen, das er 
errichtet hatte, also nicht das mosaische, das auch nach der Be- 



46 Geschichte des Kultus, Kap. 1. 

Schreibung Exod. 25 ss. nicht füglich einem Hokbau entgegen- 
gesetzt werden, noch weniger für eine äi-mliche, am allerwenigsten 
für eine Jahves unwürdige Behausung gelten konnte und in bezucr 
auf Pracht mit Salomos Tempel zum mindesten wetteiferte. 
Nathan billigt anfangs die Absicht des Königs, verwirft sie al^or 
nachträglich, Jahve wolle es jetzt nicht andere haben als wie er 
es sonst gehabt habe. „Ich habe in keinem Hause gewohnt, seit 
ich die Kinder Israels aus Ägypten geführt habe, vielmehr bin ich 
in Zelt und Obdach herumgewandert.." Natürlich hat auch Nathan 
nicht das mosaische Zelt als gegenwärtige Wohnung der Lade vor 
Augen, sondern das Davids anf dem Sion. Er sagt nun nicht, 
die Lade sei früher immer in der Stiftshütte gewesen und ihr 
jetziges Notdach sei darum höchst illegitim, sondern gerade der 
jetzige Zustand sei der rechte, in einem ähnlichen simplen und 
unansehnlichen Obdach habe die J^ade bisher stets gehaust. Da 
Davids Zelt nicht bis zum Auszug aus Ägypten hinaufreicht, 
so redet Nathan notwendigerweise von wechselnden Zelten und 
Wohimngen, die Lesart der Parallelstolle in der Chronik (I 17, 5) 
beruht darum auf einem ganz richtigen Veretändnis. Der Vor- 
stellung des Pentateuchs kann nichts stärker entgegenlaufen als 
diese Worte: die Lade hat nicht ein bestimmtes einziges heiligem 
Prachtzelt zum Korrelat, sondern ist gegen ihr Obdach ganz 
gleichgiltig, hat damit häufig gewechselt, aber nie ein besonders 
schönes gehabt. Und so ist es seit Moses gewesen *). 

So steht es um die Stiftshütte: will man das Alter des 
Priesterkodex an diesen Faden hängen, so habe ich nichts dawider. 
Ihre Vorstellung ist erwachsen in Anlehnung an die früh be- 
zeugte heilige Lade, die zur Zeit Davids und auch schon eher 
unter einem Zelt gestanden hat, aus der Wurzel des salo- 
monischen Tempels. Von diesem hat sie sowol ihr inneres Wesen, 



ii 



) 2. Silin. 7 war für die landiriutiy^e liistorisoli-kritischc Einleitung8wis»soii- 
schaft der locus |)n)l)au.s dassiciis dafür, dass Ids zum Tem])cl die mo- 
saische Stiftshütte funjrirt habe. Für die .Stumpfheit ihres Hlickes kann 
es kaum einen schlagenderen Hewtas gehen. Uichtig ist nur, dass hier 
geleugnet wird, es hahe vor dem Tempelhau die Lade je in einem Hause 
gewohnt. Aber diese allgemeine und bestimmt veranlaiSste Betrachtung 
verdient weniger Glauben als die gelegentlichen Einzelangaben, woraus 
erhellt, dass die Lade lange Jahre im Hause Abinadabs stand und dass 
der Tempel von Silo ein Haus war. Unser Verfasser scheint besonders 
d«Mi Krieg im Auge zu haben, und die Lade war allerdings ursprünglich 
ein kriegerisches Heiligtum, zunächst des Stammes .J(»seph (.losuas), so- 
dann Davids (2. Sam. 11, 11. 15,24). 



Der Ort des Gottesdienstes. 47 

die centrale Bedeutung für den Kultus, als auch ihre äussere 
Form. 

2. Einen eigentümlichen Standpunkt nimmt Theodor Möldeke 
ein. Er gibt die Prämisse zu, dass die Stiftshütte eine Fiktion 
sei mit dem Zwecke, den Tempel und die Einheit des Kultus 
präexistent zu machen, leugnet aber die Folgerung, dass der 
Priesterkodex in diesem Falle die Einheit des Kultus in seiner 
Gegenwart als schon bestehend voraussetze und darum später sei 
als das Deuteronomium. „Ein starker Drang nach Einheit des 
Kultus, sagt er^), musste entstehn, sobald Salomos Tempel er- 
baut war. Gegen dies glänzende Heiligtum mit seinem bildlosen 
Kultus am Mittelpunkte des judäischen Reichs mussten die alten 
heiligen Stätten immer mehr zuiücktreten, und zwar nicht ])loss 
in den Augen des Volks, sondern ganz besonders auch in denen 
der Besten und geistig am meisten Vorgeschrittenen (vgl. Arnos 4,8. 
8, 14). Wenn schon Ilizkia die Einheit in Juda ziemlich durch- 
führte, so muss das Streben danach doch recht alt sein; denn 
man wird sich nicht leicht entschlossen haben, alte heilige Ge- 
bräuche gewaltsam zu unterdrücken, wenn dies nicht die Theorie 
schon lange gefordert hatte. Die Priester in Jerusalem mussten 
ganz besondei*s früh auf den Gedanken kommen, diiss ihr Tempel 
mit der heiligen Lade und dem grossen Altar der einzig wahre 
Oi*t der Gottesverehrung wäre, und dieses für die Reinheit der 
Religion gewiss sehr förderliche Streben hat unser Verfasser in 
die Form eines freilich in seiner Strenge ganz unausführbaren 
Gesetzes gekleidet (Lev. 17, 4ss.), diis daher auch später vom 
Deuteronomiker für die Praxis modificirt ward.'' 

Was geschehen musste, darauf kommt es weniger an als auf 
das was wirklich geschah. Nöldeke stüzt sich einzig auf die Nach- 
richt 2. Reg. 18, 4. 22, dass Ilizkia die Bamoth und Altäre Jahves 
beseitigt und zu Juda und Jerusalem gesagt habe: vor diesem Altar 
sollt ihr anbeten in Jerusalem. Gegen dieselbe sind bereits 
oben Zweifel erhoben worden. Welches Geräusch machte später 
die gleiche Maassregel Josias, wie tief schnitt sie ein! und diese, 
obwol die frühere, soll so ganz ruhig abgelaufen sein, und so spurlos, 
djiss ihre Wiederaufnahme nach sie])zig oder achtzig Jahren in 
Wirklichkeit nicht im mindesten an sie anknüpft, sondern sich 

*) rntcrsuchunj^en zur Kritik des Alten Testaineuts j). 127 s. 



iü jeder Beziehung als eiii neuer erster Schritt geberdet, auf 
einer bisher völlig unbetretenen Bahni' und su ganz beilÄufig ist 
davon die Rede, während doch sonst der Gegenstand das bevor- 
zugte Hauptthema des Buulis der Könige ist? Dazu kommt nun 
noch das besondere gleichfalls oben i^hon geltend gemaclite Be- 
denken, dass der Manu, von dem Hizkia nacli Lage der Dinge die 
Anregung zu seinem Vorgelien erhalten haben muss, der Prophet 
Jesaias, in einer seiner spätesten B«den ausdrücklich nur eine 
Reinigung der Kultusstätten von Schnitz- und Gussbildern in 
der messianischen Zeit fordert, also nicht ihre völlige Aufhebung 
wünscht. Das steht jedenTalls fest, dass wenn an der in Rede 
stehenden Angabe überhaupt etwas ist'), Hizkia nur einen schwachen 
und gänzlich erfolglosen Versuch in dieser Richtung gemacht und 
auf keine Weise „die Einheit in Juda ziemlich durchgeführt" hat. 
Es liesse sich höchstens daraus folgern, dass das Bestreben den 
Gottesdienst im l'empel von Jerusalem zu koncentriren schon zur 
Zeit Hizkias sii^h regte. Das würde aber der Absicht Nöldekes, 
den Frieatorkodex vor das Deateronomium zu rücken, sehr ent- 
gegen sein. Denn ein Centralisationsbestreben ze%t sich grade 

') Auf 'L Reg. 18, 22 ist wenig zu gehen; die Erzihluiig über die assyrischi' 
Belagerung Jorusaloms ist nicht gleichzeitig, wie im Allgcmeiuen aus 
lier völligen L'nbostimmlbeit der Nachrichten über den plÖtwichen AbKUg 
der Äfsyrer und seine Qründe, im Beduniteren nua 19, 7 (36. 37) erhellt 
I>eDn die Ueinung ist hier jedenfalls die, daaa Senaherib bald nach 
dem vei^eblichen Feldzuge im Jahre 701 ermordet worden aei; in 
Wahrheit hat er aber bis <!84 oder 681 regiert (Smi(h, Assfritin Eponym 
Canon p. 90. 170). Der Erzähler hat also nicht bloss zwanzig .lahre 
nacb den Ereignissen geschrieben, sondern noch um so viel später als 
erforderlich ist, damit sieb jene tw^mig Jahre so stark verküravii 
konnten; er steht zweifellos schon unter dem Einfluss des Deutero- 
nomiums. Schwerer als 2. Reg. 18,23 wiegt allerdings 2, ReH- 18, 4 

S21, 3). Indessen so authentische Nachrichten uns auch in den 1ii'^'i'Ntt<ti 
les Buchs der Könige erhalten sind, so habeu dieselben doch alle nicht 
bloss die Auswahl, sondern auch die Bearbeitung des deute ron um iijc heu 
Redaktors possirt, und es ist gar leicht möf^'lich, dass diosLT sich tri 
einer General isining berechtigt glaubte, wodurch die von Jesaias an- 
geregte und durch Hizkia ausgeführte Iteinigung (zunlchsl des Tempels 
XU Jerusalem) von Idolen in eine Besi'itijjuiig der Bamoth samt HasseWn 
und Ascheren verwandelt wurde. Wie wenig die späteren Schriftsteller 
Zeitunterschiede und Orade in der Kclzerei <[es ungesetzlichen Kultus 
anerkennen, ist bekannt: sie gelm iiniuer gU'ich aut das Ganze. In 
Wirklichkeit aber hat sich die Reformation ohne Zweifel stufenweise 
vollzogen. Zuerst findet sich bei Ilosea und Jesaias die Polemik gegen 
geschnitzte und gegossene Bilder, darauf bei Jeremias die Polemik gegen 
Holz und Stein, d. h. gegen Mnsseben und Äscheren; Ton den Propheten 
ist die Bewegung ausgegangen, auf ihr authentisches Zeiigni.t ist das 
grösate, ja das eiruigc: (jcwicht lu legen. "'^~ 




Der Ort des Gottesdienstes. 49 

im Priesterkodex gar nicht; hier wird vielmehr die Centralisation 
vorausgesetzt, als selbstveretändliche Tatsache und in all ihre 
Konsequenzen entwickelt. Nur das Deuteronomium kann man 
nach 2. Reg. 18 , 4. 22 ansetzen, wenn man nämlich Lust hat mit 
dieser Notiz gegen den Bericht von 2. Reg. 22. 23 anzukämpfen, 
wonach das Deuteronomium erst achtzig Jahre später aufgefunden 
imd damals zuei'st in Geltung gesetzt ist. 

Nöldeke setzt voraus, dass das Sti-eben nach der Einheit ge- 
rade in den jerusalemischen Priesterkreisen seinen alten und ur- 
sprünglichen Sitz gehabt habe. Wenn der Priesterkodex älter ist 
als das Deuteronomium, so muss allerdings die prophetische 
Agitation für die Kultusreform, aus der das Deuteronomium her- 
vorgewachsen ist, nur das Nachspiel einer älteren priesterlichen 
sein. Von dieser erfahren wir aber lediglich nichts, während 
w4r jene von ihren idealen Anfängen an bis zu ihrem praktischen 
Ausgange leidlich verfolgen können. Amos Hosea Jesaias sind es, 
welche die Bewegung gegen den alten volkstümlichen Gottesdienst 
auf den Höhen eingeleitet haben. Sie gehn dabei nicht von 
einer eingewurzelten Vorliebe für den Tempel von Jerusalem aus, 
sondern von sittlichen Motiven, die in ihnen zuerst urwüchsig 
entstanden sind, ja vor unseren Augen entstehn; ihre Äusserungen, 
wenn auch aus geschichtlichen Gründen durch die nordisraelitischen 
Heiligtümer veranlasst, lauten doch völlig allgemein und richten 
sich gegen den Kultus überhaupt. Von der Einwirkung eines 
Gesichtspunktes, der mit einem priesterlichen auch nur verwandt 
wäre, dass nämlich der Gottesdienst an dem und dem besonderen 
Orte mehr wert sei als an allen anderen und da^'um allein fort- 
zubestehn verdiene, findet sich bei ihnen nichts; ihre Polemik ist 
eine rein prophetische, d. h. individuelle, theopneuste in dem Sinn, 
dass sie von allen hergebrachten und vorgefassten Menschen- 
meinungen unabhängig ist. Von diesem absolut originellen Anfange 
ist aber nun die folgende Entwicklung abhängig, und diese läuft 
nicht auf den Priesterkodex aus, sondern auf das Deuteronomium, 
ein Buch, das bei aller billigen Rücksichtnahme für die Priester 
(freilich für die jerusalemischen nicht mehr als für die anderen) 
doch seinen prophetischen Ursprung nicht verleugnet und vor allen 
Dingen von all und jeder hierukratischen Neigung vollkommen 
frei ist. Und das Deuteronomium endlich ist es gewesen, welches 
den geschichtlichen Erfolg der Reformation Josias gehabt hat. 

Wellham«!!, Prolagomena. 5. Aufl. 4 



50 fieschlchf* i«» Kultus, Kap. 1. 

Also die liisti>risiln> Bewegung auf diesem (ietiiete, soweit sie 
wirksam und uiis dadurch bL^kaimt gewordeu ist, ist vou Haus 
aus uud wesentlich prophetisch, wenn auch «u Ende priest erli ehe 
Einflüsse sekuudirt haben mö^en; nnd sie kann nicht bloM^, 
gondern sie muss aus sich heraus verstanden werden. Eine 
ältere oder selbständij; nebenhergehende priesterliche Be- 
wegung in der selben Richtung ist wenigstens völlig resultatlos 
geblieben, darum auch gänzlich unbezeugt. Uns kommt es viel- 
leicht so vor, als hätten die jerusalemischen Priester doch seibat 
zuerst (las Ziel in das Auge fassen müssen, dessen Verwirklicbaug 
ihnen später soviel Gewinn brachte, aber es scheint nicht, dass 
sie von vornherein so klug waren, wie wir es nachträglich sind. 
Wenigstens gibt es weiter keine Gründe fiir die Hypothese eines 
seit alter Zeit latent vorliaudenen reniralisationsbestrebens der 
Jerusalem ischen Priesterschaft als die vornefasste l^Ieinung, dass 
der Priesterkodex nicht bloss dem Dentoronominm , sondern auch 
den Propheten zeitlich vorangehn müsse. Zu diesem Behuf wird 
eine ganz abstrakte — und als solche unwiderlegliche — Möglich- 
keit konstmirt, durch deren Pforte man der historischen Walir- 
siheiülichkeit entscldüpft, über die hinaus wir es ja nicht bringen 

Wie vollständig unbekannt der Priesterkodex noch bis mitten 
in das Exil hinein gewesen ist, ersieht man aus den Büchern der 
Könige, welche ihre gegenwärtige Gestalt nicht vor Nabokndrossors 
Tode erhalten haben können. Der Redaktor, der das deutemno- 
mische Gesetz citirt und beständig daraach urteilt, hält, wie wir 
aus 1. Reg. 3, 2 gelernt haben, die Bamoth vor dem Torapelbau 
Salomos fiir erlaubt; die Stiftsbütt« hat also in seiner Vorstellung 
nicht existirt. Der etwa um eine Generation ältere Jereniiiis 
könnt sie gleichfalls nicht, sondern er betrachtet — der Lade 
wegen, jedoch nicht notwendig in "Übereinstimmung mit hei^- 
iiracbter Meinung — das Gotteshaus von Silo, dessen Ruinen 
damals wie es scheint noch zu sehen waren, als den Vorgänger 
des jerusalemisclicn Tempels, und ilarin folgt ihm die anonyme 
Weissagung 1. Öam. 2, 27^3(1, deren späteres Alter aus der Sprache 
(2, 33) und aus dem Unistande erhellt, dass sie der folgenden 
Drohung in Kap. 3 vorgreift. Bei allen diesen Scliriftstellern, 
besonders auch beim Deuteronomiker solher. der in Kap. 12 die 
Einheit dos Kultus faktisch erst von der A\'nhl 



I Jerusalems idi^^^J 



Der Ort des Gottesdienstes. 51 

hängig macht, ist es doch höchst auffallend, wenn damals der 
Priesterkodex längst vorhanden war, dass sie ein so bedeutendes 
einschlägiges Buch nicht gekannt haben; es zu übersehen machte 
die alte hebräische Literatur nicht ganz so leicht als in einem 
ähnlichen Fall unsere heutige. Und wie kommt es nun, dass in 
der aus dem dritten Jahrhundert stammenden Chronik der Priester- 
kodex auf einmal nicht mehr scheintot ist, sondern seinen Einfluss 
auf die Betrachtungsweise überall nur zu lebendig und deutlich 
äussert? Für diese Schwierigkeiten ist Nöldeke unempfindlicher 
als billig ist. Er scheint der Ansicht zu sein, dass die nach- 
exilischo Zeit nicht gew^agt haben wüi-de, eine so durchgreifende 
Umbildung, ja Neugestaltung der Tradition vorzunehmen, wie die 
Prädatirung des salomonischen Tempels durch die Stiftshütte sie 
mit sich bringt ^). Es ist jedoch grade umgekehrt das Kennzeichen 
der nachexilischen Schriftsteller, dass sie von ihren Ideen aus auf 
das freieste mit den Einrichtungen des israelitischen Altertums 
schalten, mit welchem ihre Zeit durch kein lebendiges Band mehr 
verbunden war. Wozu steht sonst die Chronik im Kanon, als 
um uns dies zu lehren? Wenn Nöldeke aber die Unbekanntheit 
der Stiftshütte damit entschuldigt, dass sie eben ein blosses Ge- 
dankending sei*), so lässt er einstw^eilen ausser Acht, dass hinter 
ihr die sehr reale Idee der Kultuseinheit steckt, um deren willen 
sie z. B. dem Deuteronomiker, auch als blosse Vorstellung, sehr 
willkommen sein musste. Nur das Gerüst der Stiftshütte ist 
I^hantasie, ihre Idee wurzelt in geschichtlichem Boden, [und bei 
dieser lässt sie sich fassen. 

Ein Punkt muss hier noch schliesslich besprochen werden, 
den besonders Dillmann, gestützt auf ältere Vorgänger, als Achilles- 
ferse der Grafschen Hypothese stark hervorhebt, dass nämlich der 
Priesterkodex trotz der Beschränkung des Opferns auf einen ein- 
zigen Ort dennoch die alte Bestimmung, dass jede Schlachtung 
Opfer sein müsse, aufrecht erhalte, während das Deuteronomium, 

') Jahrbb. für prot. Theol. I. p. 352: Und min mochte ich fra<(en, ob eine 
derartige Schrift, welche nns von Geschiclite Landverteihmj^ und Opfer- 
gebrauch des gesamten Israel ein so vielfach von «ler Wirklichkeit ab- 
weichendes Bild darbietet, in eine Zeit gehört, in der sich Israel in 
ängstlicher Scheu an das f'berlieferte anklammerte. 

*) Unters, p. 130: Man muss sich immer vor Äußren halten, dass der Vf. 
in seinen Berichten wie in seinen Gesetzen nicht tatsächliche Verhält- 
nisse, sondern zunächst seine Theorieen und Ideale schildert. Dahin 
gehört die Verherrlichung tler Stiftshütte u. s. w. 

4* 



52 



fiflschiclile ^e» Eullns, Knp. 1. 



k 



einen Schritt weiter gehend, sie fallen lasse. Daraus i'olj!;o evident 
die Priorität des Priesterkodox. Es heisst nämlich I,ev. 17: „Wer 
immer vom Hause Israel Rind oder St:haf oder Ziege schlachtet, im 
Lager oder ausserhalb des Lagei-s, und es nicht vor die Stiftshütte 
führt um Jalive eine Üiu'briiiguug darzuhiingen vor der Wohnung 
Jahves, dem soll es als Blutschuld gelten; Blut hat er vergossen 
und er soll ausgerottet werden aus seinen Verwandten, Auf dass 
die Kinder Israel ihre Opfer, die sie auf dem Felde opfern, dem 
Jahve bringen vor die Stiftshüttc zum Priester und sie opfern als 
Daukopfer dem Jahve . . . und nicht mehr den Feldteufeln, denen 
sie naclihuren, ihre Opfer opfern!" Nun ist das Absehen dieser 
VorHchrift einzig und allein darauf gerichtet, die Alleinberechtigung 
der einzig legitimen Opferstätte sicher liu stellen; nur um des- 
willen, wie man sieht, wird auch die profane Schlachtung ausser- 
halb Jerusalems verboten, welche das Deuteronomium gestattet 
hatte. Die Alleinberechtigung der legitimen Opferstätte wird aber 
durch die Erlaubnis der profanen Schlachtung an beliebiger Stätte 
nur dann angetastet, wenn die Schlachtung trotz ihrer angestrebten 
Profanirung dennoch sich nicht vom Opfer losreissen konnte. 
Offenbar verstand also der gemeine Mann nicht recht den Unter- 
schied zwischen dem religiösen und profanen Akte, der bisher 
ganz unbekannt war; und wenn er, was er ja durfte, zu Hanse 
schlachtete, so beobachtete er dabei doch, trotz aller Kautionen 
des Deuteronomikers, den alten heiligen Ritus des Opfers. Daraus 
erwuchs die Gefahr, dass sich unter der Hand eine Vielheit der 
Altäre wieder einschlich; und einer solchen Gefahr wiid in Lev. 17 
begegnet, genau in der selben freilich völlig unpraktischen Weise 
wie der etwa gleichzeitige Prophet Ezechiel in seiner Polemik 
gegen das Blutessen') es tut, der doch auch nach Dillmann jünger 
ist 'als das Deuteronomium. Bemerkenswert ist dabei, wie sehr 
dieses im Übrigen auf dem Deuteronomium fussende Gesetz in der 
Beschränktheit legitimist ischer Betrachtungsweise fortgescluitten ist. 
Das Deuteronomium erkennt noch durchaus an, daas die Opfer 
ausscrhall> Jerusalems doch auch dem Jahve dai^ebracht werden; 
für den Verfasser von Lev. 17 ist das eine unmögliche Vorstellaug, 

') Din bV 73K eigentlich = Fleischessen ohne den Ritu» der ItluUns- 
schüttuug vollzogen zu hatieu, vgl. ahen p. ISa. Ezvchii;! aivht die 
Opfer auf den Hüben weder ii.\a richtig geopfert uuch als richtig ge- 
sehlaclitel an. Vgl. Zach. 9, 7, 




Der Ort des Gottesdienstes. 53 

er sieht wie der Verfasser der Chi'onik diese Opfer schlechtweg an 
als Opfer für die Dämonen '). Ich lasse mir nicht eim-eden, 
dergleichen sei für jemand möglich gewesen, der noch vor der 
deuteronomischen Refonnation, oder auch nur vor dem Exil in 
den alten Verhältnissen lebte. 

Übrigens gehört Lev. 17 bekanntlich zu einer eigenartigen 
kleinen Gesetzsammlung, die zwar in den Priesterkodex aufge- 
nommen ist, aber mehrfach von ihm abweicht und so auch gerade 
hinsichtlich des Verbots der profanen Schlachtungen. Der Priester- 
kodex im Ganzen steht in diesem Punkt vollkommen auf dem 
Boden des Deuteronomiums. Er erlaubt die Schlachtung ohne 
Opfer schon in den Noachischen Geboten, die nicht bloss für alle 
Welt, sondern auch für die Juden Giltigkeit haben. Später wieder- 
holt er diese Erlaubnis zwar nicht ausdrücklich, er sieht sie aber 
als selbstverständlich an. Nur darum kann er das Dankopfer so 
ganz als Nebensache ansehen und die Opfermahlzeit beinah igno- 
riren; auch gibt er in Lev. 7, 22 — 27 geradezu Regeln über das 
Verfahren beim Schlachten solcher Tiere, die nicht geopfert 
werden*). Also auch hier zeigt sich wieder das Verhältnis, dass 
was im Deuteronomium als Neuerang auftritt, im Priesterkodex 
als längst und schon seit Noah bestehende Sitte vorausgesetzt 
wird. Mithin ist dieser auf dem Boden ei-wachsen, welcher durch 
jenes präparirt ist. 

') 2. Chr. 11, 15. Etwas ähnliches, wenngleich nicht das selbe ist es, 
wenn die Muslime sagen, die alten Araber hätten ihren Gottesdienst 
den Ginnen gewidmet — und was dergleichen mehr von Degradirung 
der Gottheiten zu Gespenstern vorkommt. Vgl. Baruch 4, 7. Ps. 95, 5 
106, 37 (Sept.). 1. Cor. 10, '20. 

') Dass in Lev. 7, 22 — 27 nicht langst und ausführlich gegebene Bestim- 
mungen über das Dankopfer wiederholt, sondern neue über die Schlach- 
tung nachgetragen werden sollen, erhellt aus: das Vieh wovon man 
dem Jahve Opfer bringen kann v. 25 und aus: in allen euren 
Wohnsitzen v. 26, desgleichen aus der Praxis des Judentums. 



Gusrhiclilf <il'^ Kuitu«, Kap. 2. 



Zweites Kapitel. 



Dil 



n,,iv 



Wip dem ujlukch Alloi'tiim, so ist aucli ilen llpbräcni iljw 
Opfer dio Hanplsnclic im Kultus. Es fragt sich, ob dprscllm 
nicht, auch in dieser wichtijisten Hinsicht eine Geschichte ilurc)i- 
gemacht hat, deren Stadien sich im I'eiitatench widerspiegeln. 

Nach den bereits gewonnenen Ergehnissen muss dies als von 
voruheiein wahrscheinlich gelten. Aber um nun wirklich den 
Process zu verfolgen oder auch nui- seinen Anfang und seiu Ende 
festzTi stell C41, dazn scheinen die uns erhallonen Quollen nicht. 
zureichen. 

[. 

1. Geflissentlich beschäftigt sich mit dem Gegenstände nur 
der Priestorkodex, der die verechiedenen Arten tles t.)pfors klassi- 
ficirt nnd d)ia Verfahren bei ihnen genau beschreibt. Er liefert 
darum auch ilen neueren Darstellungen das majissgcbende Schema, 
woiin sich die übrigen gelegentlichen Angaben des Alten Testa- 
mente wol oder übel fü^eu müssen. Damit ist nun sogleich für 
die Charakteristik des Buches in diesem Punkte ein wichtijtor 
Zug gewonnen. Das Opfen'itual ist hier ein Üestandteil der 
mosaischen Gesetzgebung und zwar ein sehr wesentlicher; es ist 
nicht als alter Braucli von Urväter Zeiten her durch die lebendige 
Praxis den Israeliten überliefert, sondern erst Moses hat ihnen die 
Theorie davon gegeben und zwar gleich eine sehr au^ebildeto, und 
diesen hat Gott selber dariu unterwiesen (Exod. 25ss. Ia>v. Iss.). 
Auf die der Theorie entsprechende Technik des Opfers, sowol auf 
das wann, wo und durch wen, als auch hesondera auf das wie, 
wird darum ein ganz unverhältnismässiger Nachdrack gelegt. Da- 
durch erhält dasselbe seinen specilisehen Wert; man könnte glauben, 
auch wenn es einem anderen fiotte dargebracht würde, würde es 
durch den legitimen Ritus an sich gleichsam jahvistisch von Natur 
sein. Durch seine Form wird der israelitische Kultus wesens- 
verschieden von jedem anderen, ein unterscheidendes und kon- 
stitnirendcs Merkmal der heiligen Gemeinde. Mit ihm Ringt die 
Theokratie an und er mit der Theokratie, letztere ist weiter nichts 



n de I 



Die Opfer. 55 

als die Anstalt um ihn in der gottgewollten Weise zu betreiben. 
Uaj'um gehört auch das Ritual, das nur die Priester anzugehn 
scheint, in ein Gesetzbuch, welches für die ganze Gemeinde be- 
stimmt ist; sie müssen doch alle, um am Leben der Theokratie 
teilnehmen zu können, über ihr Wesen Bescheid wissen, und zu 
diesem gehört in erster Linie die Theorie des Opferdienstes. 

Auch die jehovistische Schicht des Pentateuchs kennt keine 
andere Art der Gottesverelu'uug als den Opferdienst und hält ihn 
nicht für weniger wichtig ah der Priesterkodex. Aber dass sich 
das israelitische Opfer durch eine besondere dem Moses geoflfen- 
barte Foim, die es allein legitim macht, vor allen anderen aus- 
zeichnet, davon ist hier nicht viel zu merken. Opfer ist Opfer — 
wird es dem Baal dargebracht, so ist es heidnisch, wird es dem 
Jahve dargebracht, so ist es israelitisch. Im Bundesbuch und in 
den beiden Dekalogen wird geboten, vor allem, keinem anderen 
Gotte als Jahve zu dienen, ihm aber auch wirklich zur rechten 
Zeit Ei'stlinge und Gaben zu opfern. Negative Bestimmungen, die 
zumeist irgend eine heidnische Absonderlichkeit ausschliessen, 
kommen vor, aber positive Verordnungen über das Ritual finden 
sich nicht; wie man es machen muss um zu opfern, ward als be- 
kannt vorausgesetzt und erecheint nicht als Gegenstand der Gesetz- 
gebung. Was Bundesbuch und Dekaloge vielleicht noch zweifel- 
haft lassen, wird aus der jehovistischen Erzählung vollkommen 
klar. Hier ist weit mehr von Opfern die Rede als dort, und schon 
dies kann man bezeichnend finden: im Priesterkodex ist das Ver- 
hältnis umgekehrt. Besondei-s wichtig jedoch ist es, dass nach der 
jehovistischen Geschichte die Praxis des Opfers, und zwar des 
rechtmässigen und gottgefälligen, w^eit über die mosaische Gesetz- 
gebung hinausreicht und eigentlich so alt ist wie die Welt selber. 
Ein Opferfest, das sie in der Wüste feiern w^ollen, ist die Veran- 
lassujig des Auszugs der Israeliten, schon zu Raphidim (Exod. 17) 
baut Moses einen Altar, und noch vor der Bundschliessung auf dem 
Sinai wird bei Gelegenheit von Jethros Besuch (Exod. 18) ein 
feierliches Mahl vor Jahve veranstaltet. Aber der Brauch ist noch 
viel älter, Abraham Isaak und Jakob haben ihn gekannt und 
geübt. Noah, der Vater der gesamten Menschheit, hat nach der 
Flut den ersten Altar errichtet, und lange vor ihm haben Kain 
und Abel in der selben Weise geopfert, wie es Jahrtausende später 
in Palästina zu geschehen pllegte. Der Araniäer Hileam versteht 



rt6 



r.,!sclii.-lilc' .los K'iltus. Kap. 3. 



B8 SO gut wie jodiir Israelit, dem Julive Opfer daraubringeu, 
ihre Wirkung auf ihn nicht verfehlen. Daraus oi^ibt sich mit 
aller nur wün9(;henBwei-tt>n Deutlichkeit die Vorstellung, dass das 
Opfer eine aus grauer Vorzeit überkommeno und ganz allgemeine 
Weise die Gottheit zu verehren ist, und dass das israelitische 
(Ipfer nicht durch das Wie, sondeni diuch das Wem sich unter- 
scheidet, dadurch, dass ea dem Gotte Israels dargebracht wird. 
Moses hat nach dieser Vorstellung das Verfahren heim Opfer- 
dienste ebenso dei' hergebraehteu Praxis überlassen wie da» Ver- 
fahren beim Gebot; wenn man überhaupt an bestimmte Urheber 
des israoli tischen Kultus denken kann, so sind es am ehesten die 
Patriarchen, aber auch sie liaben das Ritual nicht erfunden, sondern 
nur die Stätten gt^ründet, wo die Isrueliten den gemeinen Ge- 
brauch aller Welt dem Jahve widmeten. Der Gegensatz gegen 
den Priesterkodex ist höchst auffallend, denn es ist bekannt, dasfi 
dieser keinen Opferakt vor Moses erwälmt, weder in der Genesis 
noch im Exodus, obwol seit Noah die Schlachtung erlaubt ist 
Das Fest der Darbringung von Schafen und Rindern als die Ver- 
anlassung des Auszugs aus Ägypten fällt hier weg, und aus dem 
Opfer der Eratgeburten wird das Pa^chalanmt, welches ohne Altar, 
ohne Priestor und nicht vor Jahve geschlachtet und gegessen 
wird '). 

Zu meinen, dass der Kultus auf vormosaischen Gebrauch zu- 
rückgehe, ist ohne Frage naturgemässer als asu meinen, dass er 
das liauptstück der siuaitiscben Gesetzgebung sei; es ist ein 
wunderlicher Gedanke, dass Gott oder Moses plötzlich das richtige 
Opferritual sollte erfunden und eingeführt haben. Indessen daraus 
ei^bt sich nicht der Schluss, dass der Priesteikodex jüngerer Zeit 
angehöre. Ebenso folgt dies auch nicht aus der hier schon sehr 
entwickelten Technik des Verfahrens, denn die mag bei den 
grossen ITeiligtümern schon recht früh vorhanden gewesea>sein, 
ohne fi'eilich darum gerade als echt mosaisch zu gelten. Dagegen 
fällt es allerdings schwer ins Gewicht, dass die ausschliessliche 
I^gitimität einer so bestimmten Opferordnung, wie sie im Priester- 
kodex als die einzig mögliche in Israel gilt, eine Vorstellung ist, 
die sich nur in Folge der Centralisation des Kultus zu Jerusalem 
ausgebildet haben kann. Doch dadurch wurde die Entscheidung 



tt'llt iQ 

ie JK. 



Beziig auf di« Opf«r noch gai 




nie ll(>fiT. 



5T1 



I über nnwe Fragte auf H;ia im vorison Kapitel i^ßrtiii'lene ReBollat | 
irkgeechoboii, und wüiisiiioiDiweit wäre es jodenfalls, sto sßlbst- 
Btändig tu erledigen, damit nicht der Trugkruft eines einzigen wenn I 
\ auch noch so stärken Pfcilorg zu viel anvertraut werde. 

2- Auch hier können die Gründe der Entscheidung nur doo I 

i goechiditliuhen Dokumenten aus der voroxilischcn Zeit entnommon 1 

werden, den Bnihern der Richter Samuetis nnd der Könige auf 1 

der einen, den Si'ihriften der Prnpheten auf der anderen Seite. [ 

L Was die crsteren betrifft, so erscheint hier der Kultus und daa 

I Opfer hei allen Gelegenheiten als eine grosse Hauptsache im lieben 

des Volks und des Einzelnen. Aber wenn andi nicht anzunebmon 

I ist, daas auf das rite gar nichts sollte gegeben sein, so liegt doch , 

> darauf keinesfalls der Nachdruck; der Gegensatz ist nicht: rite ( 

. und nicht rite, sondern: dem Jahve und den fremden 

^ (lottern — umgekehrt wie im Priesterkodex. Neben glänzenden 

[ Opfern wie die königlichen, die vermutlich nach allen R«geln 

[ der Kunst dargebracht werden, kommen auch höchst einfache 

und primitive vor, z. B. das Sauls 1. Sam. 14, 35 und Elisas 

1. Reg. lil, 21: richtig sind sie beide, wenn sie nur dorn richtigen 

I Gotte gewidmet sind. Abgejscheu von der oxilischen Bearbeitung 

des Buchs der Könige, welche den Kultus ausserhalb Jerusalems 

ftr ketzerisch hall, trifft man nirgend die Vorstellung an, dasa 

ein Opfer dem Gotte Isiaots geweiht und doch illegitim sein kön 

I Kneman (2. Reg. 5, 17) wird seinen heimischen eyrischen Ritus ! 

befolgt haben; das tnt der Wolgefälligkeit seines Opfers keinen 

Eintrag. Zu einer Beschreibung dos Ritus findet sich erklärlicher 

I Weise selten Aulass; kommt aber einmal eine solche vor. so lässt I 

* 616 sich nur mit Gewalt in. das gesetzliche Schema hineinzwängen. 

L Am meisten frappirt das Vorfahren Gideons (Judic. 6, 19—21), 

I womit vielleicht zugleich das zu Ophra noch zor Zeit des Er- 

I Kühlers übliche beschrieben wird. Gideon kocht einen Ziegenbock 

I und hückt ungesäuerte Aschenkuchenj tat darauf das Fleisch in 

j «inen Korb und die Brühe in einen Topf, nnd dann wird daa 

I so sabereitete (lahl der Flamme des Altai's Übergeben, Doch mag 

1 Buch Übereinstimmung mit der Regel des Pentateuchs vorgekommen 

I sein; daa Wichtige ist nur, dasa der B^riff des Legitimen und 

I dcA Ketzerischen ganz fehlt. Man vergleiche die Chronik, so merkt 

I man den Unterschied. 

Den Eindruck, den man aus den geschichtlichen Büchern 



58 (iescliii'lile il<-s Kiillus, Kii]<. 2. ^M 

gewinnt, vorw^liäifen die Pro[)hGten. Sie leugnen, dass Juhvo »^" 
Opfer Wert logo utul dass or sie befohlen habe. Amus sa^t-it, 4s.: 
„Kommt nach Bethel zu sünflige», nach Gilgal noch mehr zu 
lüütidigen, und bringt am Morgen eure Opfer, am dritten Tage 
eure Zehnten — so liebt ihr es ja, ihr Kinder Israel!" Ihr, nicht 
Jahve; es ist eitel selbstgewählter Gottesdienst. Noch deutlicher 
reglet er Ö, 21s9.; „Ich haase, verschmähe eure Feste und riecho 

niiiht au eure Feiertage; bringt ihr mir Brandopfer, , and 

eure 8peiäopfer mag ich nicht, und eui'en Dank an Mastkälbern 
sehe ich nicht an. Fort von mir mit dem Lärm eurer Lieder, 
euer Harfenspiel will ich nicht hören; es quelle aber wie Wasser 
das Recht hervor und Gerechtigkeit wie ein uuversieg! icher Dach. 
Habt ihr mir Opfer und Gaben in der Wüste dargebracht, vierzig 
Jahre, Hans Israels?" Damals wurden keine Opfer gebracht, und 
doch wai' das die goldene Zeit der Theokratie. Hosea führt 4, 6s8. 
bittere Klage darüber, dass die Priester statt der Thora die Opfer 
kuttiviren. „Mein Volk geht unter aus Mangel der Erkenntnis, 
denn ihr selbst (ihr Priester!) verachtet die Erkenntnis, so will 
auch ich euch verachten, dass ihr mir nicht Priester sein sollt; 
ihr habt die Thora eures Gottes vergossen, so will ich auch euer 
vei^essen. So viel sie sind, so sündigen sie gegen mich, ihre 
Ehre vei^tanschen sie gegen die Schande. Meines Volkes Sünde 
essen sie und nach seiner Verschuldung tragen sie Verlangen." 
Auch S, 11 SS. setxt er die Thora dem Kultus entg^en. „Ephraim 
hat sich viele Altäre gebaut, zu sündigen, die Altäre sind ihm 
da, KU sündigen. Schreib ich ihm noch so viel Weisungen, sie 
worden geachtet wie die eines Fremden." Statt die göttlicheu 
Weisungen zu befolgen, opfern sie; die Opfer sind also nicht 
Gegenstand der Weisungen. Aus Jesaias Reden gehört hierher 
die bekannte Stelle l,10ss, „Hört Jahves Wort, ihr Sodoms- 
fürsteu , vernimm die Thora unseres Gottes, du Gomorrhavolk ! 
Wozu mir eui'e vielen Opfer, sagt Jahve; ich bin der verbrannten 
Widder und des Fettes der Mastkälber satt, und das Blut von 
Uindent und Schafen mag ich nicht. Weun ihr kommt, mein 
Angesicht zu schauen, wer verlangt das von eurer Hand?" Jesaias 
gebraucht zwar das Wort Thora nicht, wie Hosea, von der priester- 
lichen, sundern von der prophetischen Weisung; da aber beide 
einer gemeinsamen Quelle entspringen und rler eigentliche Weiser 
Jiilive ist, so macht das nidit viel aus — der Inhalt des I'r 




Die Opfer. 59 

kodcx passt nicht in dio hier vorgetragene Thora. In Mich. 6 
fragt das Volk, wie man sich die Gunst des zürnenden Gottes 
wieder erwerben könne. ,,Soll ich mit Brandopfern ihm entgegen 
kommen, mit jährigen Kälbern? hat er Gefallen an Tausenden 
von Widdern, an unendlichen Ölströmen? soll ich meinen Erstge- 
borenen für meine Sünde geben, meines Leibes Frucht als Sühne 
meiner Seele?" Die Antwort lautet: „Es ist dir gesagt, Mensch, 
was frommt und was Jahve von dir fordert: vielmehr Recht pflegen 
und Liebe üben und demütig wandeln vor deinem Gott." Am 
nachdrücklichsten endlich äussert sich der letzte vorexilische 
Prophet, Jeremias, namentlich 7, 21ss.: „Eure Brandopfer fügt 
zu euren Dankopfera und esset Fleisch! Denn ich habe, euren 
Vätern nichts gesagt und ihnen nichts befohlen, als ich sie aus 
Ägyptenland führte, in Betreff von Brand- und Dankopfern. Sondern 
das habe ich ihnen befohlen: höret auf meine Stimme, so will 
ich euch Gott und ihr sollt mir Volk sein, und geht auf dem 
Wege, den ich euch immer weisen werde, damit es euch wol 
gehe." 

Aus diesen Äusserungen darf nun allerdings nicht zu viel ge- 
schlossen werden. Die Behauptung, dass Jahve keine Opfer ge- 
boten habe, ist eine histoiische petitio principii. Das Zweitafel- 
gesetz von Exod. 34 enthält ausschliesslich Vorschriften über die 
Feste und den Kultus; mehrfach kehrt die Forderung wieder, dass 
alle männlichen Personen dreimal im Jahre vor Jahve erecheinen 
sollen und nicht mit leeren Händen; die Tradition über Moses 
knüpft sich an die Bundeslade, d. h. an die Kultusstätte. In- 
dessen völlig unmöglich wären doch die Äusserungen der Propheten, 
wenn ihnen eine rituale Gesetzgebung in der Weise des Priester- 
kodex vorgelegen hätte. Die Praxis der Priester am Altar war nicht 
Gegenstand der Unterweisung für das Volk. Der Begriff des legi- 
timen Ritus, des durch seine gesetzliche Regelung von allem heid- 
nischen Wesen unterschiedenen, spezifisch israelitischen Kultus 
fehlte. Man glaubte, dass Jahve von seinen Anhängern ebenso 
müsse geehrt werden wie die anderen Götter von ihren Unter- 
tanen, ducfh Opfer und Gaben, als die natürlichen und allgemein 
üblichen Äusserungen der religiösen Huldigung; man glaubte aber 
nicht, dass das Verdienst bei der Darbringung von der genauen 
Beobachtung der Etikette, als des Gesetzes Jahves, abhänge. Dass 
der Ritus nicht den Inhalt der Thora bilde, dürfen die Propheten 



60 



il.'» Kultus. Ku| 



als sollistvoretämilidi ansolieu. Das ^iiiigt, um ihio völlige Pl^" 
hekanutschaft mit dem Priesterkodex und seinen Vorstellungen zu 
erweisen. 

3. Den Ühergang von der vorexilischen zur nachexiHst-hou 
Zeit macht hier nicht der Deuteronomiker, sondern Ezechiel, der 
Priester im Prophetenmantel, welcher unter den ««ton Verhannten 
sich befand. Er steht in einem merkwürdigen Gegensätze zu 
seinem älteren Zeitgenossen Jereraias. In dem von ihm im Jaliro 
573 entworfenen Zukunft.sliilde Israels Kap. 4(V— 4^, worin wol 
niif Jahve phantastische llo^uugen gesetzt, an die Menschen 
aber keine unerfüllbaren Ansprüche gestellt wenlen, nimmt der 
Tempel und der Kultus eine centrale Stellung ein. Woher kommt 
diese plötzliche Wendung? etwa weil jetzt auf einmal der Priester- 
kodex nach langem Schlafe zum I^ben aufwachte und den Gzechiel 
inspirii-te ? In einem solchen Zufall liegt die Erklärung nicht, sondern 
einfach in den geschichtlichen Umständen. So lange der Opfer- 
dienst als Praxis bestand, übte man ihn eifrig aus, beschäftigte 
sich aber nicht theoretisch damit und hatte gar keinen Anlass 
ihn zu buchen. Nun war der Tempel zerstört, der Opferdienst 
vorbei, das Personal ausser Dienst: es ist begreiflich, dass die 
heilige Praxis von ehemals nun zum Gegenstand der Theorie un<i 
der Schrift gemacht wurde, damit sie nicht verloren ging, und 
dass ein verbannter Priester den Anfang machte, das Bild von 
ihr, das er in seiner EHnneiiing trug, aufzuzeichnen und es als 
Programm für die zukünftige Herstellung der Theokratie zu ver- 
ÖITcntlichen. Begreifen lässt es sich auch, wenn Einrichtungen, die 
solange sie lebendig waren einfach als natürlich galteö, seit ihrer 
Zerstörung in einem verklärenden Lichte erschienen und durch 
da^ ihnen gewidmete Studium auf eine künstliche Weise noch 
mehr im Werte stiegen. Diese durch das Exil gegebenen Be- 
dingungen reichen hin, den Übergang von Jeremias auf Ezechie! 
und die Genesis von Ezech. 40 — 18 zu veretehn. Die Dititwirkung 
des l'riestorkodex ist dabei nicht nur völlig überflüssig, sondern 
auch störend. Die Abweichungen Ezechiels vom Ritual des Penta- 
teuchs lassen sich nicht als absichtliche Änderungen des On^nals 
verstehn, dazu sind sie zu zufällig und unbedeutend. Der Prophet 
hat ferner das Autorrecht für den Schluss seines Buches so gut 
wie für die übrigen Teilo, er bat ea ebenso auf sein Zukunfts- 
bild wie die frilhcren Propheten auf die ihrigen. Er nennt sich, 



Die Opfer. 61 

der Priesterkodex ist anonym. Endlich erwäge man das Gewicht 
der einfachen Tatsache, dass ein exilirter Priester sich veranlasst 
sieht, eine solche Skizze des Tempelkultus zu entwerfen. Wozu 
wäre sie nötig gewesen, w^enn das ausgeführte Bild existirt hätte, 
welches durchaus seinen Absichten entsprach und die Gefahr gar 
nicht aufkommen liess, dass der Kultus durch sein tatsächliches 
Pausiren erlöschen würde, da er im Buche stand? 

Der Ausweg einer leblosen Existenz des Gesetzes bis auf 
Ezras Zeit steht auch hier wieder offen. Es ist aber unberechtigt, 
dasselbe dann nicht von Moses zu datiren, sondern von irgend 
einem mittleren Punkte der israelitischen Geschichte. Ausserdem 
ist doch gerade beim Opferritual die Annahme einer Kodifikation, 
die entweder vor aller Praxis oder unabhängig neben ihr her- 
geht, äusserst schwierig, da es auf der Hand liegt, dass dieselbe 
nur der endliche Niederschlag eines alten und reich entwickelten 
Usus und nicht Erfindung eines müssigen Kopfes sein kann. Aus 
diesem Grunde ist ebenso die Ausflucht einer gesetzwidrigen Praxis 
unmöglich und die Legitimität des faktisch Bestehenden nicht an- 
zufechten. 

U. 

Zu allen Zeiten also hat der Opferdienst in Israel bestanden 
und grosse Bedeutung gehabt, aber in der älteren Zeit gründete 
er sich auf den ererbten Brauch der Väter, in der nachexilischen 
auf das Gesetz Jahves durch Moses. Früher war er naiv: auf die 
Menge und Güte d er Gaben kam es vorzugsweise an; später wurde 
er Tegal: auf die scrupulose Ausfülu'ung des Gesetzes, d. i. des 
Ritus, wurde vor allem gesehen. War denn nun, abgesehen da- 
von, ein eigentlich materieller Unterschied nicht vorhanden? Um 
darauf zu antworten, muss etwas weiter ausgeholt und zuvor einiges 
Allgemeine zur Orientirung bemerkt werden. 

1. Im Pentateuch wird wol der Ritus der Opfer weitläufig 
beschrieben, nirgend aber im Alten Testament wird ihre Bedeu- 
tung formlich auseinandergesetzt, sondern diese gilt im Ganzen 
als selbstverständlich und aller Welt bekannt. Der allgemeine 
Begriff des Opfers i^ im Priesterkodex Korban, im übrigen Alten 
Testament Minjia^), d. h. Gabe; die entsprechenden Verba sind 

^) Gen. 4, 3—5. Nuin. IG, 15. 1. Sam. 2, 17. 29. 20, 19. Is. 1, 13. Mal. 1, 10 
bis 13. 2, 12 8. 3, 3 s. Im Priesterkodex ist Min ha ausschliesslich ter- 



r.2 fiesühiclitc des Kultus, Kap. 3. 

hakn'li und luiggiscli, A. h. nuhe bringen. Heide Nomiria luul 
Verba slehii ursprünglich von dem Darbringen eines Geschenks 
jui den König (oder die Grossen), nm ihm zu huldigen, ihn guätlig 
zu stimmen, eine Bitte au unlerstützen (Jud. 3, 17 s. 1. Sam. 10, 27. 
1. R^. 5, 1); von da also sind sie auf den höchsten König über- 
tragen (Mal. 1, 8). Aüpa Deoüc irstöst, 3räp' afSoi'iu; ßttotXr,«;. Die 
(lalie darf nicht zur Unzeit und nicht täppisch aufgedrungen werden, 
nicht wenn der König im hellen Zorn ist, und Tiicht von einem. 
dessen Anlilick ihm verhasat ist. 

Gegen den Inhalt ist der ßegiiff des Opfers an sich gleich- 
f^iltig, wenn es nur überhaupt einen Wert hat und Eigentum des 
Darbringere ist, Korban und Minba umfa-sst auch das, was die 
alten Griechen Anathema nennen. Die heiligen Abgaben, die 
hinterher an die Priester fallen, sind ohne Zweifel ursprünglich 
i'^elmäsaige Opfer gewesen, darunter befindet sich auch Wolle und 
Flachs (Deut. 18, 4, Os. "2, 7. 11). Jedoch werden vorzugsweise 
geniesabare Dinge an Gott geschenkt, regelmässig in der Form. 
dass man ein Mahl ihm zu Ehren veranstaltet, woran der Mensch 
als Gast Gottes teilnimmt. Das Opfer schlechthin ist stets ein 
Ess- oder 'l'rinkopfer, Dsirum wiril der Altar auch Tisch genannt, 
deshalb gehört zum Fleische Halz, zu Mehl und Brot Öl, zu beiden 
Wein; darum kommt das Fleiscli regelrei.'ht zerstückt und in 
alter Zeit gekocht auf den Altar, das Korn gemahlen oder ge- 
backen. Daher auch der Name Brot Jahves für das Opfer 
(Lev. 21. 22). 

Die Alt, wie die Gott zufnllenden .Stücke ihm applicirl werden, 
ist verschieden. Die primitivste ist das hlr)sse Hinstellen des 
Hrodes, daa Streichen und Gieaseu des Blutes, Öles und Weines. 
Die üblichste aber ist das Verbrennen oder, wie die Hebräer sich 
ausdrücken, das Käucheni. Das Verbrennen ist ebenfalls ein Appli- 
ciren, nicht etwa, wie man aus dem „süssen Duft" (Gen, H, 21) 
schliessen könnte, ein Znbereiten. Denn in alter Zeit brieten die 
Hebräer das Fleisch nicht, sondern sie kocht«n es, in dem nach- 
weislich ältesten Ritus (Jud. I>, l'.i) wini auch das Opfer gekocht 
iler Altarflamme übergeben; ausserdem wird ja nicht- bloss das 
Fleisch, sundern auch das Brot und das Mehl verbrannt. 

tninuN tcctiriicus für daü HphlopfiT. Per allgemeine Name in d?r Sep- 
tuagtnta und iui Neuen Testainenl ist iüpqv (Hatth. 5, 23 a. 8, 4. 15, 5. 
23, 18 8.), \');l. Spencer III 2 de riiHone el orig. sueriWciuruin. 




Die Opfer. 63 

Was den Untei*schied von nichtblutigen und blutigen Opfern 
betrifft, so werden bekanntlich die letzteren im Alten Testament 
vorgezogen, eigentlich aber haben die ereteren den selben Weii; 
und die selbe Wirkung. Das Weihrauchopfer erscheint als Sühn- 
opfer* (Lev. 16. Num. 17, 12) und ebenso die unendlichen Olströrae 
mitten zwischen den Tausenden von Widdern und dem Menschen- 
opfer (Mich. 6). Uass das vegetabilische Opfer immer nur das 
tierische begleite, trifft nicht einmal für den Priesterkodex zu, 
weder bei den Schaubroten noch bei der täglichen Minha des 
Hohenpriestei-s (Lev. 6, 13. Neh. 10, 34). NmLdas^ranko£fer^_hjtt 
nicht selbständig auf und hat überhaupt nicht die Bedeutung wie 
bei den Griechen. 

Bei der Schlachtung besteht das Opfer nach der jetzt im 
Alten Testamente heri-schenden Praxis nicht im Blute, sondern im 
Fl eisch e und im Fette, in den zu räuchernden d. i. zu verbrennenden 
Teilen. Aber es gibt Spuren einer anderen Praxis, die wahr- 
scheinlich bei den echten Hebräern die ältere war. In dem bereits 
öfters angeführten, in mehr als einer Hinsicht sehr lehrreichen 
Beispiele L Sam. 14, 32j ::^5 besteht allem Anscheine nach das 
Opfer lediglich darin, dass das Blut der Tiere auf den Altar Jahves, 
einen grossen Stein, geschüttet oder gestrichen wird. Das ist 
zweifellos der Eindruck, den der Wortlaut der Stelle erweckt, und 
die Richtigkeit dieses Eindrucks wird dadurch bestätigt, dass die 
nächsten Verwandten der Hebräer, die Araber, gar keine andere 
Weise zu opfern kennen; bei ihnen ist Schlachtung und Opferung 
nicht mit einander verbunden, sondern geradezu das selbe. Ein 
gewisser Rest der alten Sitte blieb auch in späterer Zeit, als das 
Verbrennen gewisser essbarer Teile des Tiers die Hauptsache ge- 
worden war. Immer galt das Blutausschütten und Blut^prengen, 
bei allen Opfern, als ein Ritus von hervorragender Wichtigkeit, 
und wenn auch die Schlachtung im allgemeinen nicht mehr wie 
ehedem die Opferung selber war, sondern nur die Vorbereitung 
dazu, so blieb sie doch bei einigen und grade bei den geschätz- 
testen Opfern ein heiliger Akt, der vor dem Alter zu geschehen 
hatte. Namentlich neigte man sich je länger je mehr dazu, die 
sühnende Wirkung des Opfere vorzugsweise dem Blute und der 
stellvertretenden Kraft des getöteten Lebens zuzuschreiben. 

2. In diesen Umriss fügen sich die Züge der verschiedenen 
Quellen. Der Priesterkodex lässt nun einige Besonderheiten er- 



ß4 



Geschichte des Eulttie, Kap. 3. 



kennen, woilmth er sich in Hinsiclit anf lias Opferweaeii von (1er 
vorexillsclien Literatur nnterscheiilet. 

Zunäclist zeiobnet er sich hei ilea unblutigen Opfern liurdi 
eine gewisse Verl'eiueniiig de^ Materials aus. So will er zu Jon 
Mehlopfern nicht HCp far angewanilt wissen, eomiern n?S siniila. 
lu der vorexilischen Literatur findet sich das letztere überhanpt 
nur an drei Stelleu, nie aber beim Opfer, wo rielmehr das pe- 
wöhnliclie Melil gebraucht wird (Jud. 6, 19. 1. Sam. 1, 24). Daas 
dies kein Zufall ist, folgt einerseits daraus, dass iu der späteren 
Literatur seit Ezechiel HDp als Opfermehl verschwindet und statt 
dessen stets n70 erscheint, andererseits daraus, dass die Septua- 
ginta oder ihre hebräische Vorlage an dem ungesetzlichen 
Matenul 1. Sam. 1, 24 Anstoss uimmt und es iu gesetzliches ver- 
bessert '). 

Dahin gehört femer, dass der Weihrauch in auffallender Weise 
bevorzugt wird. Mit jedem Mehlopfer gelangt Weihrauch auf den 
Altar: im inneren Heiligtum wird eine eigentümliche Mischung 
von Spezereien verwandt, deren genau angegebenes Recept für den 
Privatgebrauch nicht nachgemacht werden darf. Das EiLucher- 
opfer ist Vorrecht der höchsten Priester, in dem Ritus des grossen 
Versöhnungsstages, dem einzigen bei dem Aharon in Person fuii- 
giren muss, uimmt es eine hervorragenile Stellung ein. Es ist 
von einer ganz gefährlichen Heiligkeit, Aharons eigene Söhne 
starben, weil sie sich nicht der richtigen Kohlen bedient hatten. 
Den nicht dazu hereclitigton Leviten der Rotte Korah bringt es 
Tod und Verderben, während es alsbald diuauf iu der Hand des 
legitimen Hohenpriesters das Mittel ist den ausgesprochenen Zoiii 
Jahves zu beschwichtigen und der Plage Einhalt zu tun. Von 
d iesem Opfer nun, das mit einem solchmi ülanz der Heiligkeit 
ausgestattet ist, we jss die äl tere Litßi'utur des judischen Kanons, 
bis auf die Propheten Jeremias und Sepliauia, lediglich nichts. 
Das Verbum "lEp heisst da immer nur das Fett oder Mehl ver- 
brennen und es dadurch Gott zu einem wolgefälligen Geruch 
machen, nicht aber Weihrauch opfern; das Substantivum 
mcp als Opferterminus hat den ganz allgemeinen Sinn des auf 



I 



') Eiech. 16. 13. 19.46, 14. 1. Chron.9, 29, 23, 29. Sirac. 35, 2. 38.11.89,32. 
Sept. m Im. 1, 13. 66, 3. Im Priesterkodei kominl H"?!) über riemig 




Die Opfer. 

dem Altar VerbrannteD'). Iii Änfzählongen, wo die Propheten | 
I .alles erschöpfe», was an Guben und Utnri^ischen Iieistuugeii existirt, 
[■■wo sie in dem Bedürfuis die Reihe za verlängern sich aiirh vor 
J Wiederhulungen nicht scheuen, ist von WeiUrancliopfer keine Kede, 
I weder bei Arnos (4, 4s. 5, 21ss.), noch Ijoi JesuiiLS (1, llss.), not':h 
t bei Micha ((i, 6 s,). Sollten sie es durcli Zufall allesamt ver- 
r auf Verabredung ignoriii haben? — denn wenn es 
[- vorhanden und von .so grosser WJehtigkeit war, so hätte es doch 
I wenigstens einer von ihnen erwähnen müssen. Ebenso wanig 
■ findet sieh siinst eine Erwähnung desselben weder in der jebo- 
I vistiiH^hen Scbiciit des Ilexateuchs, noeh in den geschiditlichen 
LBächem, abgesehen von der Chronik, noch bei den IVopheten — 
LbiB auf Jeremias, welcher ß, 20 gerade das Weihruuchopfer hervor- 
lihebt als etwas Kares, Weither|2;Gholtes: wozu mir der Weihrauch 
Itoii Saba her und das edle Rohr aus fernem Landet Von da ah 
Ivird es erwähnt bei Ezeuhiel, Is. 40^66, Nehemia, und in der 
I Chronik; die Zeugnisse reissen nicht ab. Die Einführung hängt 
I natürlich ztisammen mit gesteigertem Luxus; man könnte geneigt 
I seiu KU vennuleu, <iiiÄS dar Gebranc.h erst vou einem feiner ent- i 
[ wickelten fremden Kultus aus in den Jahvedienst eingedrungen : 

') Das Verbuin wird von den alten .SchriflJ<lelteni im Piel f,'etirmicljt, im 
Prieaterkodex (Chronik) im Iliphil, in di>r Ol'Crgun^üzt^it vuin VerfuJKt^r 
du Buchs der Köuige prniniscue. Wonigsteii» ist dies su, wu man die 
Vonaeo nirher unterscbcidiMi kann, im Perfcktum liiipi-rativ und Infinitiv ; 
der Unteraciiied zwiscljen nBp> iinil TEp', lüpD und TCpO !)eniht 
hekaontlich nicht aiif guüichcrter Obcrliufemng. Vgl. z. B. katCer juk- 
tiruD 1. S&ni. 3, 16; die AbHchreiticr und die Punktalor^n lj<>vorzagcn 
unter dein EinfluBS des Pentalouch« das Ilipiiil. — Im Prieaterkodax 
(Chronik) hat TBpn beide Bedeutungen neben i'itirtndcr, duch steht os 
hier abnolule ineist vom WeihrSuchern, voio Verliruunen gewöhnlich mit 
dem Zusatz nn^TOH d. h. auf dem Altar, auf dem nSmÜRb das eigi^nV 
liehe Räuchuropfer nicht dargebracht wurde. — Das Subslantivum 
niDp ist in der Bedeutung Weihrauchupfer, in der os im Priester- 
kodei auSBi'hliesBÜch uud Hohr häufig vürkouiiut. xuerst nacUweiahar bei 
Eiechiel (8, IL 16, 18.23,41), dann oft in derChrunik, im übrigen Alten 
Tetttunente nur Prov. 27, 3, aber im profanen Sinne. Sonst nie, nicht ] 
einmal in su npäterj äli'llen uie L Sam. 3, ^8. Ph. 66, 15. 141,2. 
«jeher vorexilisdieii Srhrifistcllern findet sich da8 Wort nur zwei mal, 1 
beide mal in ganz, allgemein eru 8iane. Isa. I, 13: bringt mir nicht mehr, I 
vergebliehe Opferga)ie, s^reuiii'lie« Uüucherwerk ist mir das. I)eut. 33, ICh f 
die Leviten bring<-n Ittüicherwerk (^ das Fett der Uanbopfer) in dein« I 
NajB und VollopfT auf deinen Altar. — Der Name njl^ thua kommt I 
xuersi bei Jeremiua vor 6,20. 17, :J6. 41,5; ühriccna nur im Priester- ] 
kudex (S mal), Is. 40— 66 (3 mal), Nehemiu und Chron. (3 mal), 
Cantieum (3 mal). Vgl. Süpbon. 3, 10. l. Reg. 9. ^5. 



fiosthichtp (tcB Kultus, Kap, 2. 



66 



wäre'). Zu wek-her Bedeutung dei-selbe aber in der Rituali^Liselz- 
i^eljuiig lies Pentateucbs goluiigt ist, geht vor allem ilarÄUS hervor, 
ilass er hier zu der Neubildung eiues eigenen hochheiligen Gerätes 
geführt hat, nämlich des golileuen Altars im Iimereu der Stifts- 
hütt«, den die Geschielite nicht kennt und der sogar dorn Kerne 
des Prie-st*rkoilex selbst fremd ist. 

Wir ei-ft-ajl^ii den Räucheraltar in Esod. 25 — 211, wir iinden 
ihn statt dessen nachträglich zu Anfang von Exod. 30. Warum 
erat an dieser Stelle, warum getrennt von den übrigen Geräten 
dea inneren Heiligtums, warum sogar nach der Verordnung übor 
den Priestentrnat und ilie Inauguration des Gottesdienstes? Der 
Grund, warum der Verfasser von Kap. 2ö — 29 au der Stelle, wu 
er die innere Einrichtang der Hütte, bestehend in Lade Tisch 
und liCHchtei-, beschreibt, den goldenen Räucheraltar nicht auf- 
führt, ist, dass er von letzterem nichts weiss. Vergessen kann er 
ihn nicht haben — so bleibt keine weitere Möglichkeit. Hinterher 
wiederholt sich die Erscheinung, dass der Räucheraltftr nur in ge- 
wissen Stücken des Prieaterkodex vorkommt, in anderen aber fehlt, 
wo er nicht fehlen könnte, wäre er bekannt gewesen. Der Ritus 
des feierlichsten Siindopfors geht zwar in Lev. 4 am goldenen 
Altar vor sich, aber in Exotl. 29. Lev. S. 9 ohne denselben. Auf- 
iallender noch ist es, dass in Stellen, wo ee sich um das heiligste 
Häucherupfer selber liaudelt, von dem betreffenden Altar keine 
Spur zu entdecken ist. So uameutlicli in Lev. 16. l'm im Heilig- 
tunie zu räuchern, nimmt Abaron eine Pfanne, füllt sie mit 
Kohlen vom Briiudopferaltar (v. 12. 18—20) und tut im Adyton 
den Weihrauch darauf. Ebenso wird Lev. lU. Num. 16. 17 auf 
Pfannen geräuchert, deren jeder Priester eine besitzt. Die Kohlen 
wenlen vom IJraudopferultar genommen (Num. 17, 11), der mit 
den Pfannen der korahitlschetl Leviten überzogen ist (17,3.4); 
wer diia Feuer andei'swoher nimmt, ist des Todes (Lev. 10, 1 ss.). 
Der RäucherultAr ist hier überall unbekannt, der Brandopferaltar 
ist der alleinige Altar und hcisst auch immer schlechthin der 
Altar, z. \i. sogar Esod. 27, wo es doch besonders nötig gewesen 
wäre die unterscheidende Restiramung hinzuzusetzen. Nur in ge- 
wissen jüngeren Partieen des Priesterkodex kommt der Name 



') Auch boi HiiiQpr ist der Weihiaiich nuth unbekannt, und öiui 
iptiuui m« ItSp' die Opfentücke in Rauch auf^ebu lasseu. 




Die Opfer. 67 

Brandopferaltar vor, eben in denen, die den Räucheraltar kennen. 
Lehrreicli in dieser Beziehung ist der Vergleich des Befehls Kxod. 27 
mit der Ausführung Expd. 38. 

Der goldene Altar im Heiligtum ist ui^sprünglich nichts anderes 
als der goldene Tisch, der Wechsel des Ausdrucks hat z.ur Ver- 
doppelung der Sache geführt. Ezechiel untei^scheidet nicht zwischen 
dem Tisch und dem Altar im Naos, sondern setzt beides gleich. 
Denn er sagt 41,21s.: „vor dem Adyton stand etwas, aussehend 
wie ein hölzerner Altar, drei Ellen hoch, zwei Ellen lang und 
breit, und hatte vorstehende Ecken, und sein Gestell und seine 
Wände waren von Holz: das ist der Tisch, der vor Jahve 
steht." Demgemäss bezeichnet er den Dienst der Priester im 
inneren Heiligtum als den Dienst am Tis(!h 44, !(>: Tiscli ist der 
Name, Altar der Zweck'). In l. Heg. 7,48 werden allerdings 
goldener Altar und goldener Tisch nel)en einander aufgeführt. Es 
fällt je^loch auf, dass die Schlussübersicht, in diesem Falle ein 
Gerät — • und zwar ein so wichtiges Gerät — mehr nennt, als die 
vorhergehende Einzelbeschreibung; denn in der letzteren ist nur 
von der Verfertigung des goldenen Altai's die Rede, nicht von 
der des goldenen Tisches ((>, 20 — 22). Wie die rmstände liegen, 
ist nichts wahrscheinlicher, als dass irgend ein späterer den goldenen 
Tisch 7, 48 eingeschoben hat, weil er ihn auf grund des Penta- 
teachs für verschieden von dem goldenen Altare ansah und darum 
seine Erwähnung vermisste. Dass der Text des ganzen Kapitels 
vielfach verderbt und interpolirt ist, steht auch aus anderen 
Gründen fest. 

Wenn es im nachexilischen Tempel einen goldenen Altar 
und einen goldenen Tisch neben dem goldenen Leuchter gegeben 
hat, so ist das kein Wunder. Wir hören (1. Macc. 1, 21 s. 4, 49), 
dass der eine und der andere von Antiochus IV fortge.schleppt und 
beim Tempel weihfest neu gemacht sei. Aber Ilekatäus (Jos. c. 
Ap. 1, 198s.) kennt nur zwei goldene Geräte im Tempel, ebenso 
der Verfasser von 2. Macc. 2, 5, und noch Prokopius (Vand. 2,9): 
es ist gleich, ob diese zwei Stücke als Tisch und Leuchter oder 
als Altar und Leuchter bezeichnet werden. Vor allem befremdet 
es, dass Josephus unter den verbotenen Dingen, die Pompeius im 
Tempel zu schauen sich erdreistete, und unter den Trophäen, 

') Auch der Braudopfeialtiir vor dem Tempel heisat Tisch (Muluchi 1,7. 
Ileuoch 89, 73), so wie das Opfer Brod Jahves. 



k 



fyfi Geschichte des Eultuü, Kap. Ü. 

welrhe später die Römer liort vorfanden uod erlieiitefen , nur den 
Tisch und nicht auch den Altar nennt, nnd (laus ihm wenigstens 
für dun zweiten Fall der Triimiphbogen .des Titus Recht gibt. 
Unter diesen Umständen ist endlich auch die schwankende Orts- 
angabe Exud. 30, (i und der vermeintliche Irrtom des Hebräerbriers 
wichtig und begreiflich. 

Soviel über das Uäucheropfor und den RäuchoraJtar. Eben- 
falls als eine Art Verfeinerung, die freilich mehr gcistit^er Natur 
ist, darf es betrachtet werden, dass das Opferfleisch im I'rieater- 
kodex nicht gekocht , sondern roh der Altarüamme üliergeben 
wird. Die alte Sitte iat dies nicht, wie nicht bloss aus dem be- 
reits angefuhi-ten Beispiele Gideons (Jud. 6), sondern anch aus dem 

1. Sam. 2 beschriebeneu Verfahren zu Silo erhellt, wo die Hohne 
Elis nicht warten wollen, bis das Opferdetsch gekocht und die 
Altarstücke „geräuchert." sind, sondern iliren Anteil iiih zum 
Braten verlangen. Der Gottheit winl das Mahl, das sie mit <len 
Mea^chen teilt, in der selben Weise wie den Menschen zubereitet. 
Diese Sitt« ist der fortgeschrittenen Bildung gewichen, und zwar 
wol nicht erat in ganz später Zeit. Dabei mag noch eine andere 
Ursache mitgewirkt haben. Die alte und auch späterhin im Volk 
allgemein übliche Sitte, das Fleisch zuzubereiten, war das Kochen. 
Das Wort b\l"2. (sieden) kommt äussei-st häutig, dagegen rh^i (braten) 
nur noch Exod. 12, K und Is. 44, IH. 19 vor. Alles Opferfleisch 
(nba'3.) wurde gekocht und anderes gab es nicht '). Aber bei 
vornehmen Leuten mnss schon früh das Braten daneben aufge- 
kommen sein. „Gib dem Priester das Fleisch zum Braten, er 
will es nicht gesotten von dir haben, sondern roh" — sagt 1. Sam. 

2, 15 der Diener der Söhne Elis, Es mag also auch das zum 
Wegfall des alten Brauchs, die Stücke gekocht zu opfern, beige- 
trugen haben, riass inzmschen das Kuchen überhaupt mehr aus 
der Mode gekommen war. Jedenfalls erklärt es sich daraus, dass 
das Osteropfer, welches ebenso wie alle anderen ehedem gesotten 
wunle, nach der ausdrücklichen Verordnung des Priesterkodes nur 
gebraten genossen werden sollte'). 

') Dnnmch wird man auch niCV vom Kuchen vcrHteJm iiiÜKsim Juil. G. 19. 
Vgl. die Kochhiuser dea Tempels noch bei Ezechicl 4(i, ^O. 24. In 1. Suui. 
1,9 sprich beschelii statt bcschilo und tilge diu fi.lgtnilc 'IRNl 

nntp. Vgl. Tabwi i, 25m 

') Vgl. die jinlemi3chp Bestimmung Eiod. 12, 9 mit Deut, li 




Die Opfer. 69 

In die selbe Kategorie gehört es, dass das Mehl im Gesetze 
vorzugsweise roh, in früherer Zeit aber, selbst als Zutat zum Brand- 
opfer, gebacken dargebracht wird. Wenigstens ist dies Jud. 6, 19 
der Fall, und darnach wird man auch die Angabe 1. Sam. 1, 24 
aufzufassen haben: der Opfernde bringt Mehl mit, um es an Ort 
und Stelle zu Massa zu verbacken (Ezech. 47, 20). Er bringt aber 
etwa auch gewöhnliche, d. h. gesäuerte Brote mit (1. Sam. 10, 3); 
diese scheinen keineswegs von jeher, so wie Lev. 2, 11, als nicht 
opferbar gegolten zu haben. Schon die Auflegung der Schaubrote 
würde sich unter dieser Bedingung nicht verstehn lassen, und 
sicher sind doch auch die l^fingstbrote ursprünglich richtige Opfer 
gewesen, nicht blosse Abgaben an die Priester. Nach Amos 4, 5 
wurde gerade bei einem besonders festlichen Opfer Gesäuertes ver- 
wandt, und eine Reminiscenz an diese Sitte ist sogar Lev. 7, 13 
erhalten, ohne dass ihr freilich praktische Bedeutung gegeben 
wird'). Übrigens bedeutet auch Massa eigentlich nur das eilig 
und in primitivster Weise für den augenblicklichen Genuss be- 
reitete Gebäck und enthält ui-sprünglich keinen Gegensatz zu der 
Säure, sondern nur zu der künstlicheren und langsameren Her- 
stellung der gewöhnlichen Brote (Gen. 18, G. 19, 3). Im Priester- 
kodex sind die Stoffe feiner, aber sie werden möglichst roh belassen: 
beides ist ein Fortschritt. 

3. Eine andere und weit bedeutendere Differenz besteht bei 
dem Tieropfer. Von diesem kennt die ält ere Praxis nur zwei Arten, 
abgesehen von ausserordentlichen Varietäten, die nicht in Betracht 
kommen. Diese beiden Arten sind das Brandopfer, 01a, und das 
Dankopfer, Sc hele m, Z ebah , Zebah-scjielamim. Bei dem 
ersteren kommt das ganze Tier auf den Altar, bei dem anderen 
bekommt Gott, ausser dem Blut, nur ein Ehrenteil, während übrigens 



*) Die Brote werden Lev. 7, 29 s. totgeschwie^^on, trotzdem ^'orade hier die 
Darbrinjrung von Seiten der Opfernden näher heschriehen wird. Und 
wenn es heisst: 7, 12 wenn er das Opfer als Thoda hrinjrt, so soll er 
dazu mit C)\ anj:emachte Mazzenkuchen und mit Öl bestrichene Mazzen- 
fladeu und mit Öl gemengtes Semmelmehl (Sept.) darbrin^'en; 7, 13 
[auf] gesäuerte Brotkuchen soll er als (iahe darbringen zu dem Dank- 
opfer der Thoda — , so ist der Verdacht äusserst nahe gelegt, dass v. 12 
eine voraufgeschickte authentische Interpretation ist, die den Anstoss 

des V. 13 zum voraus beseitigt, und dass ebenso das erste vV in v. 13, 
das sich mit dem zweiten keineswegs gut verträgt, eine spätere Kor- 
rektur ist An V. 11 schliesst sich v. 13 besser an als an v. 12. — 
Exod. 34, 25. 



70 G(^«chiL-hte des Kultus, Eap. 2. 

(las FleisL-h von deu Opfergästen veraehrt «-ird. Nim ist ps he- 
mei'kenEWprt , wie selUtii das Brandupfer tdleiiie vorknmmt. Nur 
beim Menschenopfer verstellt sidi ilas vod selbst ((iwi. 22, 2 ss. 
Jud. 11, 31. 2 lieg. 3, 27. liier. 19, T)), aoust aber ist der Fall iiu- 
gewöhnlidi (Gen. 8, -2». Num. 23, 1 sa. Jud. 0, 20. 26. 13, IG. 23. 
l.Sam. 7,9b. 1. Re^t. 3, 4. IH, 34. 38) — noch dazu sind alle 
diese npfer auäserordentlich oder mythiiwh, was l'ür ltiuseu);iing 
der >Sitte an sich gleit^gjItiK t^ein mag, tdcht aber fnr die Statistik 
ihrer Häufigkeit*). In der Ri^el kommt die Ola nur in Verbin- 
dung mit Z«bAhim vor, die letzteren sind dabei iu der Überzald 
und stelin immer im Plural, wahrem] daneben das erstcre mehr- 
fach im Singular"). Sie erj,'ünzyu sich alsu wie zwei zusammen- 
passende Hälften; diu Ola ist, wie ihr Ntime sagt, eigeutlich 
weiter nirliti' als der auf den Altar gelangende Teil einea gi'osaen 
Ojifers. Mau könnte darum auch das, was von einem einzelnen 
Tioru der (iottheit geweiht wird, Ola nennen; dies geschieht jedoch 
nicht, weder vom Blute noch vom l'ette (iCp) gebraucht man das 
Verbum nbvn- sondern bloss von Kleischstüeken , von denen bei 
einem kleinen Dpfer nichts verbrannt wird. Aber ein principieller 
l'iitersidiied esistirt nicht, sondern nur idu gradueller: ein kleines 
Zebali, vcrgrossert and gesteigert, wird zu Ola und Zebiüiim; auf 
eine gewisse Anzahl geschlachteter Tiere, welche die Opfergesell- 
sehaft verzehrt, kommt eins, welches für Gott iiestimmt und ganz 
der flamme übergeben wiiil. Übrigens hat man zu bedenken, 

') Vonuutlich entartete Jepbthali Jui). 11, 31, dasB ihm ein Uensch und 
nicht etwa ein Ilunii au» aeinem llause EDtgpgenkSme. — Bei der obigen 
AiifiSlilaue ist aligciielieii von dem SHcriticiiim iuge 3. Itpg. 16, 1^. Oin 
Angalir 1. Iteg. 3, 4 |!«hnrt tjüllciclit mil 3, 15 xiisunuicn: glaubwürdiger 
wird sie freilirh auch dadurch nichl, Selliatveretündlich sind liiiT flln-rnll 
nur dis Slelleii ^u berücksichtigen, wo von wirklich daTgehruchltn Opfern 
erzShIt HJrd, nicht allgoinciue Aussagen über eine oder mehrere Dfder- 
tirteo. Die lelztenin kÜnnen natürüi^h die Ola alleine ins Auge fassen, 
ohne do^is daraus für die Praxis irgend etwas erhellt 

») E>üd. 1«, 25. ia, 12. 34, 5, 32, G. Jos. 8, 31. .lud. 2(1, 20. 91, 4. 1. Sam. 6, 
14a. 10,8. 13,9—19. 9. Sam. 6, 17 s. ■lirlZ-ü',. 1. n.-f. 3. 15. 8, f.3 8. 
2. Reg. 6, 17. 10,24.35. — Das Zeut'r.i.i -'...1. -'^ -.'(:, .'l. 1 i. i-i.'-r i;i.^'«n 
den iiteren Sprachgebrauch, — Der lij' ■ '■• , " ■■ ,- '. ■ , .m^iHm 

scheint 'rbo IU »ein Deut 33, 10. 1. - . : ■ . ■.; r^-\ lie 

Opfcrabgaliii Ton allen Arten des /.Imi ji. !■ 'i lim-ti !-i . i l.^l sieh 
nipht eiiläi'liiiili n , "nhrsrliiHniich ist i-a diitiI. Wrmuiln'li wind die 
Scliflamiiii f-i.] liilni'^ Of.h-r als das einfache Zebah. Itas Won Fett 
wird Iti-ii. -) I. !.\iii|. ■!'.■. 18 in einem sehr allgemeine« Sinne gebraucht 
Was nuiii il'iii S.TiM n des Zebah I. Sam. 9, 13 gemeint ist, Ut niclit 
ganz klar; ^•.TULiiUkli düa Art Onttias. 




Die Opfer. 71 

dass es in der Regel nur grosse Opferfeste sind, über welche die 
historischen Bücher Anlass nehmen zu berichten, und dass in 
Folge davon das Brandopfer doch noch mehr hervortritt, als es 
durchschnittlich im gewöhnlichen Leben der Fall gewesen sein 
wird. Für gewöhnlich kamen gewiss nur üankopfer vor; wo in 
den Büchern Samuelis und der Könige von einem simplen Opfer 
die Rede ist, versteht es sich von selbst, dass es ein Dankopfer 
ist. Namentlich die Stelle 1. Sam. 2, 12ss. ist auch in dieser 
Beziehung lehrreich. 

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass nach der Pivixis jier^^llfii:ßn 
Zeit mit dem Opfer immer ein Mahl verbunden war. Es war die 
Regel, dass WossJBI.utjind_Fett auf den Altar kam, die Menschen 
aber das Fleisch verzehrten; nur bei sehr grossen Opferfesten be- 
kam Jahve ein ganzes Tier oder mehrere. Wo geopfert wurde, 
da wurde auch gegessen und getrunken (Exod. 32, G. Jud. 9, 27. 
2. Sam. 15, 11 s. Amos 2, 8); kein Opfer ohne Mahl und auch 
kein Mahl ohne Opfer (1. Reg. 1,9). Auf keiner bedeutenderen 
Bama fehlte wol die Unterkunft, die Lesche, in welcher Samuel 
den Saul, Jeremias die Rekabiten traktirte. Sich freuen, essen und 
trinken vor Jahve, ist eine bis auf das Deuteronomium übliche 
Redeweise. Durch das Mahl bei Jahve wird eine Bundesgemein- 
schaft einerseits zwischen ihm und den Gästen, anderei-seits zwischen 
den Gästen unter einander gestiftet, welche für die Opferidee 
wesentlich ist und von der die Schelamim ihren Namen haben. 
Vgl. Exod. 18, 12. 24, 11. Gott ladet ein, denn sein ist das 
Haus, sein ist auch die Gabe, die ihm von dem Darbringer ganz 
vor den Altar geführt werden muss und die er ei*st darauf zum 
gi'össten Teil seinen Gästen abtritt; diese essen also gewissermaassen 
an Gottes Tisch und müssen sich dazu vorbereiten, heiligen^). 
Auch bei Gelegenheiten, die uns höchst unpassend scheinen, fehlt 
doch das Mahl nicht (Jud. 20, 2G. 21, 4. 1. Sam. 13, 9—12). 

') Fin vor Jahve zu treten, putzt mau sich mit Kleidern und Schmuck 
Exod. 3, 22. 11, 2 s. 12, 35 s. Os. 2, 15. Kzech. 16, 13 (vjljI. 8ur. 20, 61), 
heilip^ sich 1. Sam. 16, 5 (Num. 11, 18) und wird jreheili^'t 1. Sam. 16, 5. 
Exod. 19, 10. 14. Das Opfermahl j^ilt als Kodesch, denn nicht hloss die 
Priester essen Kodesch, sondeni alle Geheilijjrten 1. Sam. 21,5s. Über 
den Sinn der Pleiligunji: gibt 1. Sam. 21, 5. 2. Sam. 11, 4 Aufschluss. 
Jahve ladet die Heere der Völker zu seinem Opf«T ein, zu welcliem er 
irgend ein anderes Volk ihnen preis«riht, und nennt die Meder, denen 
er Habe! darbietet, seine (ieheilij^ten d. h. seine Gäste. Sophon. 1, 7 s. 
Hier. 46, 10. Ezech. 39, 17. Isa. 13, 3 s. 



72 



Geschiclite dPK Kultus, Kap. 2. 



Dass PS iiiflil immor ganz sänberücli dabei herging, lässt sieb 
von voraheroiii aiincbmeii und wird dui-ch laa. 28, H aa^&r in Be- 
ziehung uuf den Tempel vun Jerurmlöm bezeugt: alle Tische sind 
voll unflätigen Gespeies, kaum Platz! Daher war auuh Elis Yerdat^ht 
geg^en Manna ualieliegeail und nicht so entrüstend, wie er uns 
vorkommt. 

Wie verschieden von diesem Bilde ist die Vorstellung, welche 
der Priesterkodex erweckt! Dass zu jedem Opfer ein Malil gehört, 
mi'rkt man hier nicht, das Kssen vor Jahve, noch im Deuterono- 
mium schlechthin ~3er Ausdi'uck für Opfern, kommt nirgend vor 
und ist jedenfalls kein Stück des Gottesdienstes. Schlachtung 
und Opfer fiillt nicht mehr zusammen, das Dankopfer, wovon die 
Brnst uufi die rechte Keule zu weihen sind, ist etwas anderes als 
das alte einfache Zebah. Aber gerade darum hat es »eine frühere 
breite Bedeutung eingebüsst. Der Mizbeah, d. h. der Ort wo die 
Zebahim darzubringen sind, hat sich in einen Mizbah ha-ola 
verwandelt. Das Brandopfer ist ganz selbslän<lig und unabhängig 
geworden und tritt durchaus in den Vordei^rund; die nicht mit 
einem Mahl verbundenen Opfer überhaupt herrschen so sehr vor, dass 
bekanntiKh Theophrast behaupten konnte, andere gäbe es gar nicht 
bei den Juden, die sich auf diese Weise von den übrigen Völkern 
unlei-sihicdeu. Wo ehedem ein Daukopfer, das man vor Jalive 
\erzehrte, wir können deutlicher sagen ein Mahlopfer vorgeschrieben 
war, hat der Prie^terkodex, wie wir später sehen werden, einfache 
Abgaben an die Priester daraus gemacht, z. B. bei den Erstgeburten 
und Erstlingen. Nur darin gibt auch er noch der alten Sitte ein 
unwillkürliches Zeugnis, dass er die Namen Thoda Ncder und 
Nedaba, von denen namentlich die beiden letzteren notwendig 
einen ganz allgemeinen Sinn haben müssen (Lev. 22, 18. Ezoch. 
46, 12), ausschlieBslich auf das Dankopfer bezieht, wie denn auch 
Milluim und Pesah nur Abarten desselben sind- 

4. Was das Dankopfer verloren hat, ist dem Sund- und 
Schuldopfer zugewachsen; das freiwillige Privatopfer, welches der 
Darbringer in fröhlicher Gesellschaft an heiliger Stätte verzehrte, 
ist dem notwendigen gewichen, von dem er nichts bekommt und 
das überhaupt den Charakter des heiligen Mahles ganz abgestreift 
hat. Ascham und Chattath sind Bnssen an die Priester, die aber 
in Gestalt eines Opfera gezahlt werden. Von dieser für den 
Piiesterkodex überaus wichtigen Opferail; findet 



sich nun y(^^J 



Die Opfer. 73 

Ezechiel im Alten Testamente keine Spur. In Deut. 12 ist sie 
nicht mit aufgezählt, obwol die Aufzählung dem Zweck des Kapitels 
gemäss hier notwendig so vollständig wie möglich sein muss. Auch 
sonst ist keine Rede davon, weder beim Jchovisten und Deuterono- 
misten, noch in den geschichtlichen und prophetischen Büchern. 
01a (incl. Zebah) und Minha, oder von einem anderen Gesichts- 
punkte aus Kodaschim und Nedaboth (incl. Nedarim) ist die Zu- 
sammenfassung aller Opfer. Auch zur Sühne dient die 01a (1. Sam. 
3, 14); eine eigene Opferart für diesen Zweck kommt nicht vor. 

Was sich findet sind Bussen an das Heiligtum und an die 
Priester. Die fünf goldenen Mäuse und die fünf goldenen Pest- 
beulen, mit denen die Philister die geraubte Lade erstatten, werden 
als Ascham bezeichnet, desgleichen gewisse Gelder, die den jerusa- 
lemischen Priestern zufielen, als Ascham und Chattath (2. Reg. 12, 17). 
Aber diese Bussen sind eben keine Opfer, sondern einfache Ent- 
schädigungen und zwar gewöhnlich in Gelde. Umgekelui; sind die 
stellvertretenden Hinrichtungen, die ebenfalls vorkommen und, wie 
die Hinrichtungen selber, allerdings an den ältesten Charakter des 
blutigen Opfers streifen, keine Bussen an die Priester. Wenn 
der Verbrecher selber der Strafe entrückt ist oder entrückt werden 
soll, so opfert man statt seiner seine Söhne (2. Sam. 21, 1 — 4), 
oder man richtet ein Tier auf dem Hinrichtungsplatze hin (Deut. 21, 
1 — 9). Das Äquivalent wird Mich. 6, 7 und Jsa. 53, 10 Chattath 
und Ascham genannt, nicht in dem technischen Sinne des Priester- 
kodex, sondeni einfach als Schuld, die von dem Unschuldigen für 
den Schuldigen getragen wird. 

Die Verbindung der beiden Merkmale, so dass die Busse an 
die Priester zugleich Opfer an Jahve ist, fehlt durchaus. Nur ein 
Beispiel dafür hat man aufgetrieben, nämlich Os. 4, 8: die Sünde 
meines Volkes essen sie und nach seiner Verschuldung sind sie 
gierig. Es werde hier den Priestern vorgeworfen, sie veranlassen 
das Volk zunächst selber zur Veruntreuung der heiligen Abgaben, 
um diese hinterher mit dem Zins der Sund- und Schuldopfer 
wieder einzuheimsen. Ein schauderhaftes Raffinement! aber nicht 
der Priester, sondern der Ausleger. Denn die Sünde und die Ver- 
schuldung, die Hosea meint, ist der Opferdienst überhaupt, wie er 
vom Volke getrieben wird (8,11. Arnos 4, 4); in dem ganzen 
Abschnitte begründet der Prophet den hier scharf zugespitzten 
Vorwurf gegen die Priester, dass sie die Thora vernachlässigen 



Ulli] <k-iii ir.'in<;e iii.'g Vdlkcä zu iiEjcrglikulitädicm iiixt unziiclitii;cim 
Kultus Vcirsclmh leisten. Was enthielte nach dor liei-jjebrachten 
ÄOBlegunfi der erste Satz von Os. 4, 8 für einen Vorwurf? und der 
«weite redet nicht von Äscliam, sondern von Avon ; diia ist einmai 
kein technischer Ausdnii^k der Knitnsspradie nnd liedcTitet zweitens 
niuhts, was nach dem Priesterkodex eine rituale Sühne üherhanpt 
nur zulässt. Zugegeben übrigens, dass Hosea Bussen an die Priester 
im Auge hätte, so würde noch immer nicht folgen, dass or die- 
selben in Fomi von Opfern kannte; denn das Essen kann ebensogat, 
leben von als verzehren bedeuten, nnd da^ es solion damals 
aji die Priester zu zahlende Strafen gej^eben hat, lengnet niemand. 
Die heiligen Strafen, Ascliara und f'liattatli, al« Opfer finden 
sich Zuerst bei Ezecliiel und scheinen nicht lange Zeit vor ihm an 
die Stelle der gleichnamigen üeklbussen (2. Reg. 12, 17) getreten 
zu sein; wol im siebenten Jahrhundert, welches für das Mysteriiun 
der Sühne tind des IMutvergiessens sehr empfanglich und in der 
Einführung nener Knltusgebräuche recht fruchtbar gewesen zu sein 
scheint'). Ihrem Wesen nach decken sich diese Opfer mit den 
Üussen und Wrogen; es sind Veine Gaben an Gott, nicht einmal 
symbolische, sondern Strafabgaben, namentlich Entschädigungen 
an die l'riester, zum Teil von bestimmtem Taxwerte (Lev. ö, lö). 
Ihrer Fonn nach sind sie aus dem lirandopfer (1. Sam. 3. 14) ent- 
standen, wie iler Ritus lehrt. Der Ritus des einfachen Opfers hat 
drei Akte: 1) die Vorführung des lebenden Tieres vor Johve und 
die Ilandauflegung als Zeichen der Manumissio von Seiten des 
Darbringers, 2) die Schlaclitnng und die Ansschnttung des Blutes 
an den Altar, 3) die wirkliclie oder scheinbare Übergabe der 
Clpfei-stücke an die Gottheit unil das Mahl der Menschen. Beim 
Brandopfer Tällt im dritten Akt das Mahl der Menschen fort, im 
zweiten tritt die Schlachtung als bedeutungsvoll und heilig hervor, 
da sie, wie stets ausdrücklich bemerkt wü*d, vor Jalive zn ge- 
schehen hat, an der Noi^dseife des Altars. Das selbe ist auch beim 
Sund- und .Schnldopfer der Fall, nur dass hier anch die Übei'gabe 
der Opfei'stücke an ilic Gottheit verschwindet und damit der ganze 

') Man erwäg« das GroRsiren ()«!< Kinderopfers genule in dirscr Zeit, die 
Einführung des Weihrmichs, die neuen Moden, die der KSnijt Miinasse 
nnflirBchte «od von denen frewiss mnnches haften Wieb, was der Zeit- 
Btiinmung entsprach und mit dem Jahvedianst vereiiiiiar »ur oder fc-ir 
dessen ^V□^de und Rrnst zu erliÖlien seinen. Vgl. Israel, und JüdUcb« 
Gescbichte (1897) p. 129. 




Die Opfer. 75 

dritte Akt wegfällt. Die ganze Bedeutung der Handlung Tallt 
dann auf die Schlachtung und die Blutsprengung, aber nur scheinbar 
wird dadurch der Anschluss an den ältesten hebräisch -arabischen 
Opferritus erreicht. 

Die Neuheit dieser Opferart scheint sich sogar innerhalb des 
IViesterkodex selber durch ein gewisses »Schwanken zu verraten. 
In dem darin recipirten Korpus Lev. 17 — 26 werden noch die 
Opfer insgesamt unter der Zwieteilung n^.] und roV l>egriffen 17, 8. 
22,18.21; andere gibt es nicht. Zwar kommt IV), 21 s. das 
Ascham vor, aber anerkannt ermaassen in einem Zusatz der lie- 
arbeitung; (higegen wird dasselbe 22, 14 nicht gefordert^), wo es 
nach Lev. 5 und Num. 5 hätte geschehen müssen. Und auch ab- 
gesehen von Lev. 17 — 26 herrscht in diesem l^unkt zwischen dem 
Kern des Priesterkodox und den Novellen keine Übereinstimmung. 
Einmal besteht eine Differenz hinsichtlich des Ritus des feierlichsten 
Sündopfei*s zwischen Fxod. 21). Lev. 9 auf der einen und Lev. 4 
auf der anderen Seite; sodann aber, was wichtiger ist, kommt 
dits Schuldopfer nie in den primären, sondern nur in den sekun- 
dären Stücken vor, Lev. 4 — 7. Kap. 14. Num. 5, 7. 8. 6, 12. 18, 9. 
Auch in den letzteren ist übrigens der Unterschied zwischen Ascham 
und Chattath nicht sehr deutlich und nur die Absicht klar, einen 
solchen zu machen — vielleicht weil er in der alten Praxis zwischen 
PINtCn ^M und Cl^'N Pj^D^ und bei Ezechiel zwischen PCNTi und 
Cl^'N wirklich vorhanden gewesen war. 

JII. 

Die Krisis in der Geschichte des Opferwesens ist die l^efor- 
mation Josias, ihre Konsequenzen sind es, die im Priesterkodex 
zur Reife gediehen sind. Gerade bei den charakteristischen Diffe- 
renzen des Opfergesetzes von der alten Opferpraxis lässt es sich 
verspüren, dass sie, wenn auch nicht alle geradezu durch die Cen- 
tralisation des Kultus verursacht, doch ]>einah alle irgendwie damit 
zusammenhangen. 

In der alten Zeit erzeugte sich der Gottesdienst aus dem 

*) Genauer nrnss man vielleicht sagen, dass hier das Ascham, hei Zurück- 
erstattung widerrechtlichen Besitzes, einfacli das Auffjeld von einem 
Fünfteil des Wertes ist, und nicht das Widdoropfer, welches Lev. 5 ohen- 
drein gefordert wird. Auch Num. 5. wird eben dies Fünfteil Ascham 
genannt 



7<i 



(leschichte des KiOfus, Kap. 2. 



Iipboii tnui Will" aufs oiigste «Jiimit verwachsen, lliis "iiFcr Jahv( 
wür ein Mali] der Meuächeu, bezeiuhiieud für das fehlen des Oe^en- 
satzea von iieistliuhem Ernst nnd weltlicher Fröhtiehkeit. Ein MiM 
lioiihigt einen abi^escLIossenen Kreis von Gästen: so verband das 
Opfer die Angehörigen der Familie, tue fliieder der Korporation, 
die OenosHen des Heeres und jadweiler daneniden oder voriiber- 
geheuden Vereinigung. Es sind irdische ßezieliuugeri, denen dadurch 
die Weihe gegeben wird; iluien entepreclien natürliche Anlässe der 
Feier, wie sie das bunte Leben bietet. Von Jahr zu Jahr kelirt» 
die Ohsticse, die Kornernte, die Schafschur wieder und vereinigte 
die Hausgenossen, vor Jalive z« essen und zu trinken; daneben 
fehlte es nicht an weniger regelmässigen Vorkommnissen, die in 
wechselnden Kreisen gefeiert wurden. Kein Kriegszug, der nicht 
auf diese Weise eingeleitet, keine Verabredung, die nicht dadurch 
perfekt wurde, kein ii^end wichtiges Unternehmen ohne Opfer'). 
Wenn ein angesehener Gast kommt, so schlachtet man ihm ein 
Kalb — nicht ohne der Gottheit Blut und Fett darzubringen. Her 
dem Leben entnommene Anlass ist also von der heiligen Handlung 
unabtrennbar und gibt ihr erst Inhalt und Charakter, ein der 
Situation entsprechender Zweck steckt immer dahinter. Daher darf 
auch das Gebet nicht fehlen. Das Verbum "'\"iS.'n „opfern" be- 
deutet schlechthin flehen, umgekehrt rTni ns "ifpl „den Jahve 
suchen" faktisch nicht seiton opfern. Zur Unterstützung der Bitte 
oder Frage, zur Bezeugung des Dankes dient die Gabe, das Gehet 
gehöil: als Interpretation dazu. Dies erhellt freilich mehr gelegent- 
lich, als dass es ausdrücklich gesagt wüi^de (Os. 5, 6. Isa, 1, lü. 
Hier. 14, 12. 1. Reg. H, 27 ss. Prov. 15, H); nur lur die Daibringmig 
der Festgabe haben wir in Deut. 26, 3ss. das Muster eines Gratias; 
bei der einfachen Schlachtung wird ein Segen gesprochen (1. Soin. 
9, 13). Es versteht sich, dass das Gebet weiter nichts ist als der 
Ausdi'uck der Stimmung des Anlasses und dass es ebenso mannig- 
fach variirt wie dieser. Hervorgegangen aus den Autrieben und 
gerichtet auf die Zwecke des Lebens spiegeln somit tiie Opfer dessen 
bunte Alaunigfaltigkeit in sich ab. Unsere Hochzeiten, Taufen, 
Leichenschmäuse auf der einen, alle Arten von Zweckessen auf der 
anderen Seite würden sich noch nm ersten kuv Vergleichung herbei- 
ziehen lassen, wenn nicht auch hier der Zwist zwischen Geistlich 



U' 



1 ist das Opfer I. Snin. lU, Iss. I. lieg. l,!>ss.: vgl. Prov. 7, 




Die Opfer. 77 

und Weltlich die Naivetät stöi*t«. Der Gottesdienst war im 
hebräischen Altertum Natur, er war die Blüte des Lebens und 
dessen Höhen und Tiefen zu verklären war sein Sinn. 

Durch das Gesetz, welches alle Opferstätten mit Einer Aus- 
nahme aufhob; wurde diese Verbindunf^ durchschnitten. Das Deu- 
teronomium beabsichtigt zwar eine solche Wirkung nicht. Im 
merkwürdigen Gegensatz zum Priesterkodex ist hier noch das Essen 
und sich Freuen vor Jahve die stehende Bezeichnung das üpferns: 
die Meinung ist, es handle sich bei der Zusammenlegung des 
Kultus nach Jerusalem bloss um einen Ortswechsel, der das Wesen 
der Sache unverändert lasse. Aber das war ein Irrtum. "Es war 
ein anderes Ding, ob man die Feier der Weinlese in den heimischen 
Bergen oder in Jerusalem beging, ob man einen sich zufällig dar- 
bietenden Anlass zu einem Opfennahl an Ort und Stelle benutzen 
konnte oder vorher erst eine Reise unternehmen musste. Und es 
war auch etwas anderes, ob man bei sich zu Hause vor Jahve er- 
schien oder an der allgemeinen Stätte unter der grossen Gemeinde 
verschwand. Wie das Leben im Lokal wuraelt, so wurzelte auch 
der alte Kultus im Lokal; durch die Verpflanzung aus seinem ur- 
sprünglichen Boden wurde er seiner natürlichen Nahrungssäfte be- 
raubt. Es musste eine Scheidung zwischen ihm und dem Leben 
eintreten, eine Scheidung, welche das Deuteronomium selber vor- 
bereitet hatte durch die Erlaubnis der profanen Schlachtung. Man 
lebte in Hebron, man opferte in Jerusalem, Leben und Gottesdienst 
fielen auseinander. Die Folgen, die im Gesetz des Deuteronomiums 
schlummern, haben sich im Priesterkodex entwickelt. 

Von daher rührt es, dass das Mahlopfer, ehedem bei weitem 
die Hauptsache, jetzt gänzlich zurücktrat. Fleisch essen konnte 
man zu Hause, in Jerusalem war das Geschäft der Gottesdienst. 
Man bevorzugte also solclie Opfer, bei denen der gottesdienstli(;he 
Charakter abstrakt, d. h. möglichst rein und ohne natürli(;he Bei- 
mischung hervortrat, von denen Gott alles und der Menscli nichts 
hatte: Brand-, Sund- und Schuldopfer. 

War früher diis Opfer gefärbt durch die Art seines Anlasses, 
so hatte es jetzt wesentlich einen und den selben Zweck : Mittel 
des Kultus zu sein. Der Atem des Lebens zog nicht mehr hin- 
durch, es hatte seinen Sinn für sich selber. Es symbolisirte den 
Gottesdienst: damit gut. Die Seele war entwichen; die Schale ge- 



78 
I.Uel.e 



Geschiclite des Kultus, Gap. 1 



, und aul'titiFän Ausbildung; wurde tiuu alle Kr^ift verwandt^ 
Diti Mannigi'aUii^eit der Riten trat im die 8t«l)e dei- individuuli- 
sireiiden Äulässe; die Technik wurde Hauptsache, die voraclirifts- 
nitis^ige Ausführung uach den Itegelii der Kunst. 

Der Kultus war ehedem spontan, jetzt wird er Statut. Diu 
Befriedigung, die er gewährt, liegt eigentlich ausser ihm, in dem 
m oral ist heu Vergnügen der Gewissen haftigkcit, mit der man die 
ritualen Gebote erfüllt, die Gott nun einmal seinem Volke befohlen 
hat. Es ist zwar das freiwillige Opfer nicht verlioten, aber eigent- 
licher Wert wild nur den vot^eschriebonen beigelegt unil diese 
überwiegen durehaus. Und auch bei dem freiwilligen Opfer miiss 
sich alles streif in die Grenzen der Satzung fügen: hätte jemand 
im J^rang seines Herzens dabei mehr Kleischstücke dargebracht «la 
der Ritus forderte, so wäre ea ihm üliel liekommen. 

Sonst stiftete das Mahlopfer eine besondere Beziehung zwischen 
der Güttlicit und einer geschlossenen Gesellschaft von Gästen; die 
natürliche Opferg;escllschaft war die Familie oder das Geschlecht 
{I. Sam. 1, 1 SS. 10, Iss. 20, li). Jetzt verlieren sich die kleinen 
Sakralgemeinscliaften, die bunten Kreise des l-ebens versidiwinden 
in dem Schatten der universalen Gemeinde (mjli Sip). Der De- 
griif derseliieii ist dem hebräischen Altertum fremd, dnrchdiüugt 
aber den l*riesterkodex von vorn bis hinten. Wie der Gottesdienst 
selber, so wurde auch sein Subjekt abstrakt, eine geistliche Grösse, 
die dnrüh nidits anderes als eben durch den Gottesdienst zasaminen-' 
Kehalten wuixle. Da nun die Teilnahme der Gemeinde „der Söhne 
Israels" am Opfer doch eigentlich immer nur oino ideale war, so 
trug auch dies dazu bei, dass die heilige Handlung wesentlich durch 
sich selbst perfekt wurde, daiiurch, dass sie der Priester vorrichtete, 
wenn auch niemand daitei war. Daher dann später die Notwendig- 
keit eiuei' besonderen Opferdeputation, der Ansehe Maamad. Wie; 
endlich alles dies zusammenhängt mit <lor judaistischen Ferurückui 
Gottes vom Menschen, ist klar. 

Zwei Einzelheiten verdienen hier noch besonders hervorgehobon 
zu werden. Da.s wichtigste Opfer ist im Priesterkodex das Itrand- 
Opfer, d. h. tatsächlich das Thamid, das hulocaustum iuge, be- 
stehend in zwei jährigen l^ämmern, die täglich auf dem „Brand- 
opferaitare" verbrannt wei'den, eins des Morgens und eins des Abends. 
Die -Sitte, täglich zu lieatimmter Zeit ein festes Opfer zu bringen, 



ig- , 

^ie^^ 



b 




Die Opfer. 79 

bestand zwar, in einfacherer Form ^), schon im vorexilischen Alter- 
tum, aber daneben nahmen damals die Privatopfer doch eine viel 
wichtigere Stellung und einen weit grösseren Kaum ein. Im Gesetz 
ist das Thamid faktisch das Grundelement des Gottesdienstes, denn 
auch die Sabbath- und Festopfer sind nur eine numerische Steige- 
rung desselben (Num. 28. 29). Wenn es nachher im Buche Daniel 
heisst, das Thamid wurde abgeschafft, so ist damit gesagt, 
der Kultus wurde abgeschafft^). Nun aber bedeutet das 
Dominiren des täglichen, sabbathlichen, und festlichen Thamid, 
dass der Opferdienst eine ganz feste Form angenommen hatte, die 
von jedem besonderen Anlass und von jeder Spontaneität unab- 
hängig war, und ferner (was nahe damit zusammenhängt), dass er 
von Gemeinde wiegen geschah, Gemeinde in dem technischen Sinne 
des Gesetzes genommen. Daher die Notwendigkeit der allgemeinen 
Tempelsteuer, deren Vorbild in dem halben Sekel als Kopfsteuer 
für den Gottesdienst der Stiftshütte Exod. 80, 11 ss. gegeben ist. 
Vor dem Exil bezahlten die jüdischen Könige das regelmässige 
Opfer, noch bei Ezechiel trägt der Fürst die Kosten nicht allein 
des Sabbath- und Festopfei-s 45, 17 ss., sondern auch des Thamid 
4(5, 13 — 15'). Es ist auch ein Zeichen der Zeit, dass nach Exod. 30 
die Kosten des Tempeldienstcs direkt aus der Kopfsteuer der Ge- 
meinde bestritten werden, und es erklärt sich nur daraus, dass es 

*) Kuenen, Godsdienst vau Israel II, 271. Nach 2. Rejur. 16, 15 wurde zu 

Ahaz' Zeit im Tempel von Jerusalem täglich eine n'py zu Morgen und 

eine nnjD zu Abend geopfert. Auch Ezechiel redet 46, 13 — IT) nur von 
der Morgenola. Vgl. noch Esdr. 9, 4. Neh. 10, 33. Im Priesterkodex ist 
die Ahendminha zu einer zweiten Ola gesteigert: daneben hat sie sich 
aber doch in der taglichen Minha des llohenpriesters erhalten und auch 
auf den Morgen ausgedehnt Lev. 6, 12 — 16. — Die tägliche Minha scheint 
älter zu sein als die tägliche Ola. Denn während es nahe lag, der (Jott- 
heit regelmässig ein Mahl zu bereiten, waren die Kosten einer täglichen 
Ola für eine einfache 0[)ferstätte zu gross, und es ents])rach aucli nicht 
der menschlichen Sitte, alle Tage Fleisch zu essen. Die r>arbringung 
der täglichen Minha wird schon 1. Heg. 18, 29. 36 als Zeitberechiumg für 
den Nachmittag angewandt, und diese Bezeichnung ptlanzt sich fort bis 
in die späteste Zeit, während nie das Thamid d. h. die Ola zu gleichem 
Zwecke Ijenutzt wird. Die älteste Sitte war aber wol auch die tä«diche 
Minha nicht, sondern die Schaubrote, die dem sell>en Zwecke dienten, 
aber nicht alle Tage frisch aufgelegt wurden. — Vgl. Dea Svr. § 44. 

2) Vgl. Dan. 8, 11—13. 11, 31. 12, 11. Neh. 10, 33. Joel 1, 9. 13. 16. 2, 14. 
Josephus Ant. 14, 65. 477. 15, 248. 

') Vgl. die Sept. Der masorethische Text hat die auf den Fürsten l»ezüg- 
liche dritte Person in die zweite korrigirt, als Anrede an den Priester, 
die aber im Ezechiel gänzlich unmöglich ist 



HO Gesohichte des Kultus, Kap. 2. 

keinen König mphr gab. So sehr wurde im Judentum das Opfer 
Sache der Gesamtheit, dass das freiwillige Korbau des Einseliien 
siuli iti eine Geldnbgabe verwaudelt«, als Bettri^; zu dan Kosten dos 
ullj^omeiDen OottesdieDst^ (Marc. 7, 11. 12, 42s. Matth. 27, 0). 
Der zweite I'uiikt betrifft feiendes. In dem Maasse wie die 
speziellen Anlässe und Zwecke der Opfer wegfallen, tritt ein 
gleicher allgemeiner Anlass hervor, die Sünde, und ein gleicher 
allgemeiner Zweck, die Sühne. Im Priesterkodex ist bei allen Tier- 
opfern das eigentliche Mystorium die Sühne durch das Blut; am 
reinsten ausgebildet ersclieint dieselbe bei den Sund- und Schuld- 
opfern, welche ebensowol für den Einzelnen, als füi" die Gemeinde 
anii für ihr Ilanpt dai'gebracht werden. In dem grossen Ver- 
söhnungstage gipfelt in gewisser Hinsicht der ganze Gottes- und 
Opferdienst, dem bei aller Verscliiedenhoit der Riten eine dnrcli- 
gehende Beziehung auf die Sünde gemeinsam ist. Hievon lassen 
nun die alten Opfer wenig merken. Wol suchte man ehedem durch 
reiche Gaben auf die zweifelhafte oder drohende Stimmung der 
Gottheit einznwirken und ihr Angesicht zu glätten, aber die Gabe 
hatte dann natni^emäss den Charakter des tastenden Versuchs 
(Mich. 6, fi). Der Gedanke lag fem , dass eine bestimmte Schuld 
dui'cb ein vorgeschriebenes Opfer gesiihut werden müsse und könne. 
Wenn im Gesetz zwischen solchen Sünden, die dm-ch eiii Opfer 
gedeckt werden, und solchen, die uuuachsichtlich den Zorn nach 
sieb ziehen, unterschieden wird, so ist diese Unterscheidung durch- 
aus nicht antik; für das hebräische Altertum war der Zorn Gottes 
etwas völlig Unberechenbares, man kannte nie seine Ursachen, ge- 
schweige dass man im voraus die Sünden hätte angeben können, 
die ihn erregen und nicht err^en'). Im allgemeinen fand eine 
obligate Beziehung der Opfer zur Sünde durchaus nicht statt. 
Sie waren durchweg fröhlicher Natur, ein sich Freuen vor .lahve, 
bei Sang und Klang, nnter l'auken Flöten und Saiten spiel 
(Os. 9, 1 3s. Amos 5, 23. Ö, 3. Isa. 30, 32). Kein grösserer Gegen- 



') Wenn sich der Zorn nacli des Regeln „des Bundes" richtut , sa ist der 
Tirsprüngliche Begriff voUaläudig altprirl: dvr sputtct dur Alimaubung. 
fierade daas man sich auf kein« Weise davor in Acht nehmeu und uirhta 
dagegen machen konnte, ga!) der Sache ihr unheimliches Gruueu. -~ 
Unter dem Druck des Zornes Jabves unterliess man nicht nur das 
0|itBni, sondern vonniod es sogar seinen Namen lu nennen, um SMne 
Aiiriii'TksAiiiki'il nicht auf sidi tn lenken. Uh. 3, 4. 9, 4. Arnos t>, 10. j 




Der Ort des Gottesdienstes. 81 

Satz hiezu, als der monotone Ernst des sogenannten mosaischen 
Kultus *). 

In dieser Weise zeigt sich im Priesterkodex die mit der 
Centralisirung gleichlaufende Vergeistlichung des Gottesdienstes. Er 
erhält so zu sagen einen abstrakt gottesdienstlichen Charakter, er 
scheidet sich zunächst vom Leben und absorbirt es sodann, indem 
er das eigentliche Geschäft desselben wird. Das ist füi- die Zu- 
kunft von folgenschwerer Bedeutung geworden. Die mosaische Ge- 
meinde ist die Mutter der christlichen Kirche; die Juden sind 
es, die den Begriff geschaffen haben. 

In der alten Zeit ist der Kultus dem grünen Baume zu ver- 
gleichen, der aus dem Boden wächst, wie er will und kann, hinter- 
her ist er zurecht gehauenes Holz, das mit Zirkel und Winkel- 
maass immer künstlicher ausgestaltet wird. Ersichtlich hängt mit 
dem qualitativen Gegensatz, der soeben entwickelt worden, der 
formale von Brauch und Gesetz, von dem wii* zu Anfang aus- 
gegangen sind, enge zusammen. Zwischen dem sponte ea quae 
legis sunt facere und dem secundum legem agere besteht doch ein 
mehr als äusserlicher Unterschied. Wenn wir am Ende des ersten 
Abschnittes das unabhängige Nebeneinander der alten Praxis und 
des Gesetzes Moses gerade auf diesem Gebiet unwahi-scheinlich ge- 
funden haben, so steigert sich die ünwahrscheinlichkeit dadurch, 
dass das letztere mit einem ganz anderen Geiste erfüllt ist, der nur 
als Zeitgeist aufgefasst werden kann. Es ist nicht die Luft des 
alten Reichs, sondern der Gemeinde des zweiten Tempels, in der 
der Priesterkodex atmet. Damit stimmt, dass seine Opferordnung, 
in ihrem positivem Inhalt vom Altertum ebenso vollständig ignorirt, 
als von der nachexilischen Zeit genau befolgt wird. 

') Cber das Fehlen der Tempelinusik im Priest erkodex und ihre Blüte im 
zweiten Tempel vj;!. Isr. imd Jüd. Geschichte (1897) p. 192. Faktisch hat 
der jüdische Gottesdienst, trotz dem Priesterkodex, den alten fröhlichen 
Geist doch nicht verloren oder ihn in späterer Zeit mehr und mehr 
wiedergewonnen, je mehr die kümmerliche Sekte wieder zu einem Volke 
heranwuchs. 



Wellhaaaen. ProUgomeoa. ö. Aufl. 



GeBi'liidite ä,-s Kullim, Kap, 3. 

Drittes Kapitel. 
Die Feste. 



Die Feste gehöre» fjeiuiu geuommeii nouli in das voi-ii;e Kjipilel, 
ileiui sie sind arsprün^licli nichts als die Termine <ier regelmässigen, 
gesetzlich geforderten Opfer. Die Ergebnisse der vorhergehenden 
Untersuchung wiederholen sich denn auch hier, aber mit einer so 
präcisen Deutlichkeit, dass es sich lohnt, diesen Punkt für sicli iti 
das Au^e zu fassen, Zunächst und hauptsächlid) winl in 
OesL'hichte derjenigen Feste in Anaprucli nehmen, die sieb 
den Jahreszeiten richten. 



I. 



ui^|l 



1. In dem jehovistisch'deuteronomischeu Teile des Pentaleuchs 
herrscht ein Turnus von tbei grossen Festen, ilie aliein mit dem 
eigeEiltii'hen Namen Hag bezeichnet werden. „Dreimal sollst du 
mir Fest feiern im Jahr, dreimal im Jahr sollen ulle deine Männer 
vor dem Herrn Jahve, dem Gotte Israels, erscheinen. Das Fest der 
ungesäu eilen Orote sollst du feiern, sieben Tage Massoth essen, wie 
ich dir befohlen habe, zur Zeit des Monats Abib, denn im Monat 
Abib bist du ausgezogen aus Ägypten : [aller erste Wurf ist mein, 
alles männliche Vieh, der erste Wurf von Rind und Schaf; den 
ersten Wurf vom Esel sollst du lösen mit einem Schafe oder sonst 
ihm dfus (ienick brechen, alle Erstgeburt deiner Söhne sollst du 
lösen] und nicht erscheint man vor mir mit leeren Händen. Und 
das Wochenfest (Schabnoth) sollst du halten, der Erstlinge des 
Weizenscimittes (Kasir), und das Fest der Lese (Asiph) beim 
Jahreswechsel." So verordnet die jeho\'istische tiesetsgebuug im 
Zweitafelgesetz und im Bundesbuch Exud. ^4, IH— 23. 28, 14—17; 
nur fehlt im IJundesbuch beim Massothfest der eingeklammerte Satz 
über die Opferung des ersten Wurfes. Auafülirlidier dagegen und 
von einer etwas anderen Art sind die Bestimmungen im 16. Kapitel 
des Deuteronomiums. „Achte auf den Monat Abib und halte das 
Pascha dem Jahve deinem Gntt, denn im Monat Abib hat dich 
Jahve dein Gott aus Ägypten geführt bei der Nacht; und opfer 
als Pascha dem Jahve deinem Gott Kleinrieh und Rinder, 



[Binder, an «iu^^^J 



Die Feste. 83 

Orte, den Jahve erwählen wird zur Wohnung seines Namens. Du 
sollst nichts Gesäuertes dabei essen, sieben Tage sollst du dabei 
Massoth essen, Brot des Elends, denn in ängstlicher Eile bist du 
aus Ägyptenland gezogen, damit du des Tages deines Auszugs aus 
Ägyptenland all dein Lebetag gedenkest. Es soll sieben Tage in 
deinem ganzen Lande kein Sauerteig zu sehen sein, und von dem 
Fleische, welches du am Abend am ersten Tage opferst, soll über 
Nacht kein Rest bleiben bis zum andern Morgen. Du darfst das 
Pascha nicht in einem beliebigen deiner Tore, die Jahve dein Gott 
dir gibt, opfern, sondern an dem Orte, den Jahve dein Gott zum 
Wohnsitz seines Namens erwählen wird, sollst du das Pascha opfern 
am Abend nach Sonnenuntergang, zur Zeit deines Auszugs aus 
Ägypten, und sollst es kochen und essen an dem Orte, den Jahve 
dein Gott erwählen wird, und am andern Morgen wieder heimgehn. 
Sechs Tage sollst du Massoth essen und am siebenten Tage ist die 
Schlussfeier für Jahve deinen Gott, da sollst du keine Arbeit tun 
(v. 1 — 8). Sieben Wochen von da sollst du dir abzählen, von dem An- 
hieb der Sichel in die Saat sollst du anfangen sieben Wochen zu zählen 
und dann das Wochenfest (Schabuoth) dem Jahve deinem Gott 
halten, auf grund freiwilliger Gaben deiner Hand, in dem Maasse 
wie dich Jahve dein Gott segnet; und sollst dich freuen vor Jahve 
deinem Gott, du und dein Sohn und deine Tochter und dein 
Knecht und deine Magd und der Levit in deinen Toren und der 
Fremdling und die Waise und die Witwe in deiner Mitte, an dem 
Orte, den Jahve dein Gott zur Wohnung seines Namens erwählen 
wird. Und denke daran, dass du Knecht gewesen bist in Ägypten, 
und halte und tue diese Gebote (v. 9 — 12). Das Laubhüttenfest 
(Sukkoth) sollst du dir halten sieben Tage laug, beim Einherbsten 
von deiner Tenne und von deiner Kelter, und sollst dich freuen 
an deinem Feste, du und dein Sohn und deine Tochter und dein 
Knecht und deine Magd und der Levit und der Fremdling und die 
Waise und die Witwe in deinen Toren. Sieben Tage sollst du 
feiern dem Jahve deinem Gott an dem Orte, den Jahve erwählen 
w^ird, dafür dass Jahve dein Gott dich segnet in allem Ertrage 
und in aller Arbeit deiner Hände, und sollst ganz Freude sein. 
Dreimal im Jahr sollen alle deine Männer vor Jahve deinem Gott 
erscheinen, an dem Orte, den er erwählt, am Fest der ungesäuerten 
Brote, der Wochen, und der Laubhütten (Hag ha-Massoth, -Scha- 
buoth, -Sukkoth); und man soll nicht leer vor mir erscheinen, 

6* 



84 Geschichte di-s Kultus, Kap. 3. 

jeder soviel er geben kaiiti, imcli dem Mausse i\es Segens, den 
Jahve dein Gott dir gegeban hat (v. 13 — ^18)." 

Hinsiulitlicli des Wesens der beiden letztea Feste herrscht hier 
Übereinstimmung. Die Sukkoth des Denterunomiums und das 
Asiph der jebovistiächen (jesetz^ebung fidlen nicht bloss der Zeit 
nach zusaninisn, sondern sind in der Tnt das selbe Fest. Der 
Name Asiph geht zunächst aul' die Trauben- und Oliveulese, und 
auf diese scheint sich auch der Name Sukkotli zu beziehen, der 
sich am einfachsten aus der Sitte erklärt, mit Alt und Jung in die 
Weinberge zu ziehen und dort die Zeit des Herbstens über im 
Freien zu kampiren, unter ioiprovisirteni Zweigdach (Is, 1 , 8). 
Schabuoth und Kasir sind gleicMalls um- verschiedene Namen für 
die selbe Sache, nämlich für das Fest des Weizenschnittes, welcher 
in den Anfang des Sonimei-s fallt. Diese beiden Feste haben alno 
einen rein natürlichen Aiüass; dagegen wird das Frühlingsfest, welches 
immer die Reihe eröffnet, gesciuclitlich motivirt, und zwar wird 
ihm der Auszug aus Ägypten zur Grundlage gegeben, in der au^e- 
sprochensten Weise vom Deuteronumiiim. Aber der ('yklus scheint 
duch die ursprüngliche Oleichartigkeit seiner Glieder vorauszusetzen 
und zu fordern. Nun deutet der doppelte Hitus des Pascha und 
der Massoth auf ein zwiespältiges Wesen dieses Festes. Uas eigcnl- 
liehe II ug heisst nicht Hag ha-Pesah'), sondern Hag ha- 
Massoth, nur das letztere wird den beiden auduren lluggim 
koordiniil; der Name l'esah iindet sich überhaupt erst im Deutero- 
nomium, obwol allerdings schon im Zweitafelgeeetz Kx. 34 das 
Erstgeburtsopfer mit dem Fest der ungesäuerten ßrote zusammen- 
gelegt zu wenlen scheint. Es folgt, dass für die Vergleichuiig mit 
Kasir und Äsipli nur die Massoth in Betracht kommen können, 
die im Bandesbuch auch allein damit zusammengestellt werden. 
Über deren eigentliche Bedeutung die Zeitgenossen zu belehren 
findet die jehovistische Gesetzgebung nicht nötig, dieselbe verrat 
sich aber im Den tero nomium, Hier ist das Schneidefest in eine 
bestimmte zeitliche Bezielmng zum Alassothfeste gesetzt: es soll 
sieben Woclien später gefeiert wei-den. Dies ist keine neue Ver- 
ordnung, sondern auf alter Sitte beruhend, denn iler Name Wotheu- 



') Die orijrinalo Fonii d 8 <pr li t. Rxöd. 34, 25 ist Exod. ^3, 18 ('JH. 

nii'ht nSSn 3n) orlialtci I ]) i(pr»iii)iiiiiirii lii-isKt es. utohou das 
rot niflir lienurlrjll J I 1 UCH JH 10, HJ. 




Die Feste. 85 

fest, der sich aus Hier, o, 24 (vgl. Ev. Luc. 6, 1) erklärt, findet 
sich schon Exod. 34. Sieben Wochen nach Ostern (Deut. 16, 9) 
wird aber weiterhin genauer dahin bestimmt: sieben Wochen nach 
dem Anhieb der Sichel in die Saat. Mithin ist das Massothfest 
der Anhieb der Sichel in die Saat, und es fällt dadurch 
Licht auf seine feste Beziehung zu Pfingsten. Pfingsten feiert, das 
Ende der Mahd, die mit der Gei-ste beginnt und mit dem Weizen 
schliesst, Ostern den Anfang „im Ährenmonat", dazwischen liegt 
die auf sieben Wochen bemessene ])auer der Kornernte. Dieses 
ganze tempus clausum ist eine von den beiden Festen eingerahmte 
grosse Freudenzeit. Weitere Aufklärung gewinnen wir «aus Lev. 23, 
9 — 22^). Der Ostertermin ist hier wie im Deuteronomium der 
Anfang des Schneidens, er wird aber genauer bestimmt auf den 
Tag nach dem ersten Sabbath, der in die Erntezeit fällt, und dar- 
nach richtet sich dann auch die Rechnung der Pentekoste. Der 
eigentliche Osterritus aber ist die Darbringung einer Gei*stengarbe 
— vorher darf niemand von neuem Getreide kosten; der ent- 
sprechende Pfingstritus ist die Darbringung gewöhnlicher Weizen- 
brote. Mit der Gei'ste beginnt, mit dem Weizen schliesst die Korn- 
ernte; zu Anfang wird die Aparche roh als Garbe dargebracht, 
wie auch die Menschen das frische Gewächs als geröstete Ähren 
verspeisen (Lev. 23, 14. Jos. f), 11), zu Ende zubereitet als ordent- 
liches Brot. Nun werden auch die Massoth verständlich. Es sind 
dies, wie bereits gesagt, nicht eigentlich süsse, sondern in der Eile 
gebackene Notbrote (1. Sam. 2S, 24); sie werden insofern ganz 
richtig mit der Eile des Auszugs motivirt und als Elendbrot be- 
zeichnet. Zueret lässt man sich nicht Zeit, das Neue vom Jahre 
noch lange zu säuern, zu kneten und zu backen, sondern man 
macht daraus geschwind eine Art Fladen in der Asche: das sind 
die richtigen Massoth. Sie stehn in dem selben Gegensatz zu den 
Pfingstlaiben , wie die Garbe und die gerösteten Ähren, welche 
letzteren nach Jos. 5, 11 an ihrer statt gegessen werden dürfen; 



') Man könnte dagegen freilich erinnern, dass dies Stuek gegenwartijr dem 
Priesterkodex angehört. Aher die Sammlung Lev. 17 — 2f) ist hekannt- 
Hch von diesem mir iiherarl)eitet und recipirt, ursprünglich aber ein 
selbständiges Korpus, welches auf dem Übergänge vom Deuteronomium 
zum Priesterkodex steht, bald diesem bald jenem sich nähernd: und die 
volle Berechtigung, I^ev. 23, 1) — 22 in diesem Znsammenhange zu ver- 
werten, folgt daraus, dass die dort beschriebenen Riten [nur auf diese 
Weise Leben nnd Bedeutung gewinnen. 



Cesphiphte des Kiilhif, Kap. 3. 



sind ui-sprüiiKlicIi liewisM iiirht 



blos 



(Isterepeise 



Menschen sondern auc-h Gottes gewusen, so dass die Garbe in die 
Kategorie der geistrgim Verfeiiioninge" des Opfermatorials gehören 
würde. 

Also Lst Ostern die Anfangs- und Pfingsten die Schlussfeier 
oder was das selbe sagen will, die Aseroth') der siebenwöchent- 
lichen „Freude des Schneidens" ; und das Frühlingsfest hat nun 
keine befremdÜcho Stellung mehr in dem Cyklus der drei Jahres- 
fesU). Aber wie steht es mit dem Pascha:' Was der Name be- 
deutet, ist nicht klar; wie wir gesehen haben, kommt er, da er 
Exod. 34,25 wegen Exod. 23, 18 nicht für ui-sprüngHch zu hallen 
ist, eigentlich erst im Denteronomiara vor, und dort wu^l auch 
die Zeit der Feier bestimmt auf den Abend und die Nacht des 
ersten Masse tlitages, von Sonnenuntergang an bis an den folgenden 
Morgen'). Der Sache nach läuft das Pascha hinaus auf das Erst- 
geburtsopfer (Exod. 34, 18s. 13, 12ss. Deut. 15, 19ss. 16, 1 ss.), 
und an diesem Punkte vornehmlich hängt der historische Charakter 
des ganzen Festes. Weil Jafave die ägyptische Erstgeburt ge- 
schlagen und die hebräische verschont hat, deswegen wird ihm 
seitdem die letztere geheiligt.. So heisst es nicht bloss im Priester- 
kodex, sondern auch Exod. 13, 11 ss. Aber in ihren beiden 
Quellen kennt die johovistische Tradition diese Vorstellung nicht. 
„Lass mein Volk, ilass es mir ein Fest feiere in der Wüste, mit 
Opfern von Bindern und Schafen" — das ist von anfang an die 
Foitlerung an Pharao, und um sit:h zu diesem von vornherein in 
das Auge gefjissten Zwei;ko wie siclis gehört, zu putzen, boi-gen die 
Ausziehenden Feierkloider und Schmuck von den Ägyptern. Weil 
Pharao nicht zugeben will, dass die Hebräer ihrem Gott die ihm 
gebührenden Erstlinge des Viehs darbringen, deshalb nimmt Jahve 
sich selbst mit Gewalt von jenem die Ei-stgeburt der Menschen. 
Also gilt nicht der Auszug als Veranlassung des Festes, sondern 
das Fest als Veranlassung, wenn auch nur als Vorwand, des 
Auszugs. Wenn nun in Exod. 13 diLs Verhältnis umgekehrt ist, 
so gehört d;is Stück eben nicht den Quellen der jehovistischen 



') Hanebere, Allerlumer 2. Aufl. p. fi56; Dotj, Su|ipipineQl II 181. 

UbuL dauprt FtinKSten als Aseretb nur einen Tag, während D^ltTii 

Laubhöltpn eine Woche. 
>) Daher DniCtt" b'h uox vEgiliarum Exod. I?, 42. 




Die Feste. 87 

Tradition an, sondern der Bearbeitung, und zwar, wie aus anderen 
Gründen für den ganzen Abschnitt 13, 1 — 16 gewiss ist, einer 
deuteronomistischen Bearbeitung. Damit gelangen wir zu dem Er- 
gebnis, dass die geschichtliche Motivirung des Pascha erst vom 
Deuteronomium vollzogen ist, wenn auch vielleicht schon vorher 
eine gewisse Neigung dazu sich konstatiren lässt, ebenso wie bei 
den Massoth (Exod. 12, 34). Sie ist augenscheinlich veranlasst 
durch das schon von der älteren tiberlieferung angenommene Zu- 
sammenfallen des Frühlingsfestes und des Auszugs aus Ägypten, 
wobei sich das Verhältnis von L'rsache und Wirkung im Laufe der 
Zeit umkehrte. Der Natur der Dinge entspricht es einzig, die Sitte 
des israelitischen p]rstlingsopfers als Mutter der Erzählung von der 
Tötung der ägyptischen Erstgeburt anzusehen; ohne Voraussetzung 
der Sitte wüi'de die Erzählung unerklärlich und die sonderbare 
Auswahl, welche die Pest unter den Menschen trifft, völlig un- 
raotivirt sein. 

Das Opfer der Erstgeburten — der männlichen^ denn die weib- 
lichen wurden wie bei uns aufgezogen — erklärt sich auch ohne 
geschichtliche Grundlage und zwar auf eine recht simple Weise: es 
ist der Dank, welcher der Gottheit von den Erzeugnissen der Vieh- 
zucht entrichtet wird. Wenn auf die menschliche Erstgeburt eben- 
falls Anspruch erhoben wird, so ist das weiter nichts als eine 
nachträgliche Generalisirung, welche am Ende doch nur auf eine 
Lösung durch Schlachtvieh und also auf eine Vergrösserung des 
ursprünglichen Opfers hinausläuft. In Exod. 22, 28. 29 und 34, 19 
scheint diese Konsequenz noch nicht gezogen, ja noch nicht einmal 
als möglich geahnt, und in 34, 20 erst nachgetragen zu sein; am 
ausgesprochensten tritt sie in der spätesten Stelle 13, 12 auf, denn 
da ist cn*! lüS dem ^:i^* "itCD entgegengesetzt und für das erstere 
der Ausdruck l^^yn gebraucht, der für das Kinderopfer zu Jeremias 
und Ezechiels Zeit technisch ist. Die Ansicht von einigen Ge- 
lehrten, meistens Streifzüglern auf Alttestamentlichem Gebiete, als 
sei die Schlachtung der erstgeborenen Knäblein ursprünglich gerade 
die Haupti>ache beim Pascha, verdient kaum Widerlegung. Wie 
die anderen Feste, so hat auch dieses, abgesehen von der Auf- 
fassung des Priesterkodex, einen durchaus fröhlichen Charakter 
(Exod. 10, 9. Deut. IB, 7 vgl. Isa. 30, 29). Historisch ist die Hin- 
gabe des einzigen oder des wertesten Kindes wol in einigen Bei- 
spielen bezeugt, aber stets als freiwillige und ganz exorbitante Tat; 



88 



(leRchlchte Ate Knltos, Kap. 3. 



(Ho Stelle Os. 13, 3 l>pwcist iiitlit das Gegenfpil')- l^-'ne regel- 
mässige und geforderte Abgabe ist in der alten Zeit das menschliche 
Erstgehurtsopfer anf keinen Fall gewesen, es finden sich von einem 
80 enormen Blutzoll keine Spuren, desto mehrere von einer grossen 
Itevorzngung der ältesten Söhne. Erst knrs vor dem Exil kam 
mit vielen anderen Neuerungen das Kinderverbrennon im grossen 
Stil auf, das man dann aui'h mit einer strengen Interpretation der 
Forderung der Erstgeburten stützte CHier. 7, 31. 19, 5. Ezecli. 20, 26). 
Dazu stimmt es, dass das Gesetz Exod. 13, 3 — 16 von der Hand 
des jüngsten Bearbeiters des jehovistischen Gescbichtswerks her- 
rührt. 

2. „Abel -war ein Hirt und Kain war ein Ackersmanu. Lnd 
einmal, da brachte Kain von der Frucht des Ackers dem Jahve 
eine Gabe dar, und Abel brachte «uch ein Opfer von den Eretge- 
hurten seiner Schafe." Die einfachsten natürlichsten und allge- 
meinsten Opfer, deren Anlässe sich regelmässig mit den Jahres- 
zeiten wiederholen, die Erstlinge von den Erzeugnissen dos Acker- 
baues und der Viehzucht, sind die Grundlage der Feste. Pascha 
entspricht den Erstgeburten Abels des Hirten, die anderen drei 
den Feldfrüchten Kaina des Ackermannes; abgesehen von diesem 
l'nterechiede ist das Wesen und das Fundament aller dieser Feste 
das gleiche. Ihr Zusammenhang mit den Primitien der Jahreszeit 
wird freilich in der jehovistischen Gesetzgebung mehr voraosgesetzt 
als an^sprochen. Dagegen ist es im Deuteronomium deutlich zu 
sehen, dass alles drei zusammenfallt, Opfer, Abgaben, Feste. Es 
ist hier kaum von anderen Opfern die Rede als von denen, die 
von den Abgaben veranstaltet werden, nin sich vor Jahve um 
Feste zu freuen; die Abgaben sind weiter nichts als die von der 
Volkssitte vorgeschriebenen, dämm festen und festlichen Opfern'), 
von denen allein das Gesetz ■\'eranlas5ung hat zti handeln. Mit 
der Fundirting der Feste auf die Ei-stlinge hängt es zusammen, 



i 



') ,fiie laachtn sith GussWUIlt aus iilrein .SilluT, nurli ilinT Phanlasi" Hl- 
KÖtzen, zu denpn redpn sii>, npfemrifi MeiiM-lnn liiivii'n ksIIht." 

Menechonopfer würde der Proiilict sehweflich nur m. Iii;1:iiiIil', Iir int 

.Spott ata in der Kntrüstimg, Mileln: er würde diis r.iii|i(ii.iiili'. Si-hriiJ..«- 
liche der Tut viel melir hervorheben nls das Wiiiit-nmi;.;!-. AIsu he- 
deulet CIN %n3.t wol: Opfernde aiis dem Geims MeiiKch. hidessen, 
wenn es auch Ilenscbenseblächt^r bedeutete, m wurde damiix für Aivi 
Tfgehaiasige Kinderopfer doch nicht« folgen. 

*) CVflp im Gegensatz m Cmj- 




Die Feste. 89 

dass die Termine nur ungefähr bestimmt sind, mehr auf eine 
Jahreszeit als auf einen festen Monatstag. Ostern wird im Früh- 
ling gefeiert, wenn die Saat in Ähren steht, genauer beim Anhieb 
der Sichel in die Gerste; Pfingsten sieben Wochen später, wenn 
der Weizenschnitt die Zeit der Mahd beschliesst; Laubhütten im 
Herbst, wenn Drusch und Lese beendet sind. Das Deuteronomium 
tut einen Schritt zu grösserer Fixirung der Fristen — eine Folge 
der Einschrumpfung Israels auf Juda und der Centralisirung des 
Kultus in Jerusalem — doch sind auch hier noch keine Monatstage 
für den Anfangstermin der Feste festgesetzt. Und Gesamtfestopfer 
der Gemeinde gibt es im Deuteronomium so wenig wie bei dem 
Jehovisten, sondern nur vereinigte Privatopfer der Einzelnen: dies 
verdient vor allen Dingen beachtet und hervorgehoben zu werden. 
Das Maass der Gaben ist noch so ziemlich dem guten Willen 
überlassen. Nur die Eretgeburten sind eine bestimmte Forderung. 
Die im Deuteronomium gestattete Ablösung durch Geld, wofür 
man in Jerusalem anderes Opfervieh kauft, hat für die frühere 
Zeit keinen rechten Sinn; doch mag auch damals der Darbringer 
sich in einzelnen Fällen die Freiheit des Umtauschs genommen 
haben, da ja doch seine Gabe, als Mahlopfer, wesentlich ihm 
selber zu gut kam (Exod. 23, 18. Gen. 4, 4: jC partitiv). Für die 
Erstlinge der Feldfrüchte wird im Exodus gar kein Maass vorge- 
schrieben, das Deuteronomium verlangt den Zehnten von Korn, 
Most und Öl, der aber nicht mathematisch streng zu verstehn ist, 
da er zu Opfermahlzeiten verwandt, nicht an einen Anderen ent- 
richtet und also auch nicht nachgezählt wird. Und awai* wird 
der Zehnte, w^ie aus Deut. 26 (1. Sam. 2, 21 Sept.) erhellt, zum 
Herbst d.h. zu Laubhütten dargebracht; dies ist das abschliessende 
Erntedankfest, für den Ertrag nicht bloss der Kelter, sondern auch 
der Tenne (16,13); es nimmt sieben Tage in Anspruch, die alle 
in Jerusalem gefeiert werden müssen, während bei den Massoth 
bloss der erste. Übrigens vereteht es sich von selbst, dass man 
sich nicht auf den Genuss der vegetabilischen Gaben beschränkt, 
sondern auch Fleischopfer hinzunimmt, die vielleicht mit aus dem 
Verkauf des Zehnten bestritten wurden. Dadurch konnte sich der 
besondere Charakter der Feste und ihr Zusammenhang mit den 
ihnen eigentümlichen Aparchen leicht verwischen, ein Fall, der in 
der Tat im Deuteronomium und vielleicht schon früher eingetreten 
zu sein scheint. Dass uns vieles unklar vorkommt, was den Zeit- 



90 



r.esehichte des KuItiLs, Kop. 3, 



genosÄen selbst verstand! ich sein musste, i^t niclit kii verwiirnlerii; 
es wird el^ien auch im 1 )e utero nomi um (las meiste der bestellenden 
Sitte überlassen und nur immer die eine Hauptsache einKeschärTtj 
dass man den Gottesdienst und also auch die Feste nur in Jerusalem 
feiern dürfe. 

Lässt man das Pasclia ausser Betracht, welches ursprünglich 
für sicli stand und nur nachträglich durch seine Verbindung mit 
den Maasoth in die Reihe der drei Ha^ini mit aufgenommen 
wurde, so fussen die Feste nach der je ho v istischen und der deute- 
ronomisclton Gps(>tzgebun^ auf dem Äckerbau, der die Grundlage 
wie des Lebens so der Religion ist. Das Land, das fruchtbai'o 
Land, ersetzt Himmel und Hölle zugleich. Jahve gibt das Land 
und sein Vermögen, er empfängt das Best« vom Ertrage zum 
Dank, den Zehnten als Anerkennung seineis Besitzrechtes. Indem 
er seinem Volk das Land 2U Lehen gegeben hat, ist überhaupt 
das Verhältnis üwischen beiden erst zu stände gekommen; es wird 
dadurch beständig unterhalten, dass von Jahve Wetter und Frucht- 
barkeit abhängt. Im Douteröuomium sieht man die ereteu stärkeren 
Spuren einer Vergeschichtlichung der Religion und des Kultus, 
die sich aber noch in bescheidenen (irenzen hält. Uns liistnrischc 
Ereignis, worauf zurückgegaugen wird, ist immer die Ausführung 
aus Ägypten, und dies ist insofern bezeichnend, als die Ausführung 
ans Ägypten zusammenfällt mit der Eiiiführnng in Kanaan, d. Ii. 
mit der Landgabe, und also die geschichtliche Motivirung doch 
wieder einmündet iu die natürliche. Darum kann man sagen, 
da.'is von der Herbringung nach Kanaan nicht bloss das Osterfest, 
sondern alle l'esto abhängen, und dies tritt wirklich deutlich iu 
dem gegen • den Baalsfestkultus gei'ichteteu Bekenntnis Deut. 2fi 
hervor, womit zu Laubhütton der Anteil, der dem Priestor von 
den Festgaben zufiel, überreicht wurde. Es wird ein Körbchen 
mit Friichten auf den Altar gesetzt und Folgendes dazu gesprochen: 
„Ein irrender Aramäer war mein Vater und fring hinab nach 
Ägypten und weilte doit wenige Männer stark, und wani dort zu 
einem grossen starken und zahlreichen Volke. Die Ägypter aber 
mtshandelten und drückten sie und legten ihnen harten Dienst 
auf, da riefen wir zu Jahve dem Gott unserer Väter und er hörte 
unsere Stimme und sah unser Elend und Leid und unsere Drangsat. 
lud Jahve führte uns ans Ägypten mit starkor Haml und aus- 
gestrecktem Arm und grosser ^Injestäf unter Zeichen und Wiiiiderat,^ 




Die Feste. 91 

und brachte uns an diesen Ort und gab uns dies Land, 
ein Land, wo Milch und Honig flicsst: nun also bringe 
Ich das Beste der Früchte des Landes, welches du mir ge- 
geben hast." Man beachte, worauf hier die Heilstat hinausläuft, 
durch die Israel gegründet wurde. 

IL 

Mit diesem Befunde der jehovistisch-deuteronomischen (lesetz- 
gcbung stimmt die vorexilische Sitte, soweit sie verfolgbar und in 
den geschichtlichen und prophetischen Büchern bezeugt ist. 

1. Altisraelitische Feste müssen das Ilii-tenleben zur Grund- 
lage gehabt haben; es kann darum nur dtis Pascha als ein solches 
betrachtet werden. Mit vollem Recht wird insofern eben das 
Pascha dem Auszuge aus Ägypten als A^oranlassung untergelegt, 
als ein in der Wüste zu feierndes Schlachtfest, welches mit dem 
Fruchtlande und der Ernte nichts zu schaffen hat. Merkwürdig 
aber, wie wenig dies Fest später heiTortritt, welches der Natur 
der Sache nach das älteste von allen gewesen sein muss. Dem 
Bundesbuche kann es überhaupt nicht bekannt gewesen sein, denn 
da wird geboten, die Erstgeburt sieben Tage bei der Mutter zu 
lassen und am achten Tage zu opfern (Exod. 22, 29. 30). Durch 
das Vorwiegen der Landwirtschaft und der darauf gegründeten 
Feste scheint das Pascha in manchen Gegenden ausser Brauch ge- 
kommen zu sein und nur da sich behauptet zu haben, wo das 
Hirtenleben und die Wüste noch ihre Bedeutung behielten d. h. 
vor allem in Juda. Dadurch würde es sich auch erklären, warum 
die Paschafeier zuei'st deutlich an das J^icht kommt, als Juda nach 
dem Fall Samariens allein übrig geblieben ist. Das Pascha kommt 
unter diesem Namen ausserhalb des Gesetzes nur 2. Reg. 2B, 21 ss. 
vor, wo erzählt wird, im achtzehnten Jahre des Königs Josia sei 
es nach der Voi-schrift des Gesetzes (Deut. 16) begangen, und zwar 
damals zum ersten mal, bisher nie seit den Tagen der Richter. 
Man hat übrigens zu bedenken, wenn die Neuheit der Institution 
hier so stark hervorgehoben wird, dass das geschieht weniger in 
Bezug auf die Sache selber, als auf ihre Modificirung durch das 
Deuteronomium. 

Die Landwirtschaft haben die Hebräer von den Kanaanitern 
gelernt, in deren Lande sie sich niederliessen und mit denen ver- 
schmelzend sie in der Richterzeit zum ansässigen Leben über- 



Geseliiclite Aes Kulln«, Tap. 3. 

pingen. Ehe sie die Met;imorphose von Hirten zu IJancrn diirrh- 
gfimacht hatten, konnten aie onmö^licli die auf den Ackerbau be- 
züijürhon Fo^te haben. Es müsste mit sonderbaren Dtni^eii zu- 
gehn, wenn aie dieselben nicht ebenfalls von den Kanannilern 
übernommen hätten.. Jene verdankten dem Baal das I^nd und 
seine Friiiihte nnd bezahlten ihm dafür den Tribut; sie dem 
Jahve. Der Inlialt der Handlung an sich war we<ler heidnisch 
noch israelitisch, eines und das andere wurde sie eret durch die 
dativische lleziehnng. Der Üboi-tm^ung der Feste von Baal auf 
Jahve stand somit niclits ent.gq;en, im Gegenteil musste sie als 
Bekenntnis des (ilanbens gelten, ilass nicht dem heidnischen, 
sondern dem israelitischen Gott das Land und sein Ertrag, and 
damit die firnndlane der Existenz des Volke?!, verdankt werde 
CDeut. 26), 

Am höchsten hinauf reicht die l(ezeupuu>; des llerbstfestes 
der Weinlese. Und zwar zunächst als einer Sitte der banaaniti- 
sctien Bevölkerung von Sichern. In der alten und inhaltreichon 
Geschichte von Abimelech, dem Hohne Jeruhbaals. wird über die 
Bürger von Sichem berichtet (Jud, 9, 27): sie gingen hinaus aufs 
Feld und hielten Weinlese und kelterten und feierten Hiltulim 
uud kamen in das Haus Uires Gottes und assen und tranken und 
flucbteu dem Abimelech. Ziemlich früh muss sich aber diese 
Feier dann auch bei den Israeliten eingebürgert haben. Zu Silo 
soll nach Jud. 21, 19ss. von Jahr zu Jahr in den Weinbergen 
dem Jahve ein Fest begangen sein, wobei die Mädchen draussen 
zum Reigen antraten. Wenn auch die Erzählung Jud. 19ss- im 
ganzen höchst nnglanli würdig ist, so berührt, das doch diesen iiei- 
läuHgen Zug nicht notwendig, zumal er durch 1. Sam. 1 bestätigt 
wird. Hier ist nämlich abermals von einem Feste zn Silo die 
Bede, welches am Ende des Jahres, d. i. ira Herbst zur Zeit des 
Asiph '), stattlindet und wozu anch die Nachbarschaft wallfahrtet. 
Ei-sichflich kommt das Fest nicht allenthalben zugleich auf, sondern 
an bestimmten einzelnen Orten (in Ephraim), die dann auch auf 
die l'mgegend wirken. Die Sache hängt zus«nnien mit der Ent- 
stehung grösserer Heiligtümer gegen Ende der Richtetaeit, be- 



Darnaili ist auch nO'C D'^CC Jml. 21 , 19. 1. fiaui. 1 , 3 lu versteht!, 
T^l. Zach. U, 16. 




Die Feste. 93 

ziehuDgsweise mit ihrer Übernahme von den alten Einwohnern; 
z. B. nachdem Sichern eine israelitische Stadt geworden war, 
werden die Hillulim so wenig abgeschafft worden sein wie das 
Gotteshaus. 

Bedeutenden Einfluss müssen dabei die grossen königlichen 
Tempelbauten ausgeübt haben. Sowol zu Jerusalem als zu Bethel 
wurde seit Salomo und Jerobeam das Fest gefeiert, das selbe wie 
zu Sichem und Silo, dort im September, hier vielleicht etwas 
später*). Dies war damals die einzige wii-kliche Panegyrls. Die 
Feste zu Anfang des Sommers mögen zwar auch schon begangen 
sein (Isa. 9, 2), aber in kleineren lokalen Kreisen. Man erkennt 
diesen Unterschied noch im Deuteronomium , denn obgleich hier die 
Laubhütten theoretisch nicht den Vorrang haben, so werden doch 
faktisch nur sie von Anfang bis zu Ende beim Centralheiligtum, 
Ostern dagegen im ganzen zu Hause und nur am ersten Tage in 
Jerusalem gefeiert; noch dazu wird die geringere Forderung viel 
nachdrücklicher eingeschärft als die grössere, so dass die ei"stere 
scheint Neuerung, die letztere aber ältere Sitte gewesen zu sein. 
Arnos und Hosea, wie sie einen glänzenden Kultus und grosse 
Opferstätten voraussetzen, kennen ohne Zweifel auch mehrere 
Feste, aber sie haben keinen Anlass, irgend eins bei Namen zu 
nennen. Bestbnmtere Angaben finden sich bei Jesaias. Die Dro- 
hung, dass man binnen Jahresfrist die Assyrer im Lande haben 
werde, drückt er 29, 1 so aus: „fügt Jahr zu Jalu-, lasst die Feste 
kreisen, dann bedränge ich Jerusalem'', und am Ende der selben 
Rede lässt er sich 32, 9ss. so vernehmen: „ihr leichtsinnigen 
Weiber, auf! hört meine Stimme, ihr sorglosen Mädchen merkt auf 
meine Worte: in Jahr und Tag werdet ihr Sorglosen zittern, denn 
ein Ende hat es da mit der Lese und das Herbsten fällt aus; auf 
die Brüste werdet ihr euch schlagen ob der lieblichen Gefilde, ob 
des reichtragenden Weinstocks." Wenn die beiden Stellen zu- 
sammengehalten werden, so geht daraus hervor, dfiss Jesaias, der 
allgemeinen Sitte der Propheten bei grossen Volksversammlungen 
aufzutreten folgend, hier zur Zeit des Herbstfestes redet, an dem 
sich auch die Weiber lebhaft beteiligten (Jud. 21, 19ss.). Dieses 
Herbstfest aber, dessen fröhlicher und natürlicher Charakter un- 
verkennbar durchscheint, fällt bei ihm an den Jahreswechsel, wie 

') l. Reg. 12, 32 ist freilich sehr unzuverlässig. 1. Reg. 8, 2 ist mit G, 38 
nicht gut zu reimeu, weuu die Deutuag von Bul uud Ethauiiu richtig ist. 



94 Oesebichte des Snltai, K«{i. S. 

mau aus ilem Vergleich von 15p3' 29, 1 mit nspn Exod. 34, 22. 
l.Sam. 1,20 »biiehmen darf, und schÜesst einen hier zuerst er- 
wähnten Cykliis von Feyteu ab. 

2. Nach dieser Überaicht sclieint es nnn freilich mit der be- 
haupteten Kougrueuz des jeho>'istisch-deuteronomischen Gesetzes 
und der älteren Praxis nicht ganz wol bestellt zu sein. Namen 
lassen sich überall nicht uachweiaen, der Sac he nach is t uur dii 5 
Mer{i£lj£gLj£ut bg;iatigt, aber wie es scheint als das einzige, als 
das Fest. Ohne Zweifel ist es auch in historischer Zeit das 
wichtigste gewesen, wie es immer das abschliessende blieb. Was 
glücklieb vollendet ist, begellt man mit dem meisten Recht; der 
Äbscliluss der Ernte, sowol des Drusches als der Keltorung, eignet 
sich auch deshalb am besten zu einer grossen üesamtfeier, weil hier 
der Terrain nicht so wie bei der Freude des Schneidens von der 
Natur abhängt, snndern eher in des Menschen Hand stellt und von 
ihm geregelt werden kann. Doch müssen schon in der älteren 
Konigsze it die Vor feste daneben bestanden haben (Isa. 29, 1). Die 
Einzigkeit der Laubhütten wäre dann dai'auf zu beschränken, dass 
es weiter kein allgemeines Fest zu Jerusalem und zu Bethel 
gab; lokale Feiern anderweitiger Feste werden dadurch nicht aus- 
gescldossen (Üs. B, 1). Die jehovistische (Gesetzgebung aber macht 
dazwischen keinen Unterschied, vielleicht weil sie von den grossen 
Tempeln nichts wissen wilP). Übrigens mag sie auch wot die 
noch unbestimmtere Sitte etwas systematisiren ; in der Praxis hatte 
vielleicht die Darbringung der Ei'stlinge der Mahd noch nicht 
überall zu einer gemeinsamen und gleidizeitigen Feier gefülut. 
Von l'be rein Stimmung in der Hauptsache dennoch zu reden, ist 
man, bei der Dürftigkeit des überlieferten Materials, daiiim be- 
reditigt, weil der Hegriff der Feste hier und dort der selbe ist. 
Sehr lehrreich in dieser Hinsicht sind zwei Abschnitte aus Hosea, 
Kap. 2 und Kap. 9, so dass sie verdienen ausführlich mitgeteilt zu 
werden. 

In der einen wird Israel als Frau vorgestellt, die von ihrem 
Manne, d. h. der Gottheit, den Unterhalt bekommt: dies ist die 
Basis des Treueverhältnisses. Sie irrt sich aber in dem, der ihr 
Speise Trank und Kleidung gibt, meinend es seien die Götzen, 

'] Exod. 20, '24~3G uimnit sich beioali aus vie ein Protest gegi^u die Kin- 
ricbtungen des salomotiischen Tempels, namentlich v. 26. 




Die Feste. 95 

während es Jahve ist. „Sie hat gesagt: ich will meinen Buhlen 
nachlaufen, die mein Brot und Wasser, meine Wolle und Flachs, 
mein Öl und meine Getränke spenden. W^eiss sie denn nicht, 
dass ich "(Jahve) ihr das Korn und den . Most und das Öl gegeben 
habe und Silber in Menge und Gold — daraus sie Götzen macht? 
Darum will ich mein Korn wieder an mich nehmen zu seiner Zeit 
und meinen Most zu seiner Frist, und meine Wolle und meinen 
Flachs wegholen, die ihr zur Kleidung dienen; und dann will ich 
ihre Blosse vor den Augen ihi-er Buhlen aufdecken und niemand 
soll sie meiner Hand entreissen. Und ich mache all ihrer Freude 
ein Ende, ihi-en Festen Neumonden und Sabbathen und all ihren 
Feiertagen. Und ich verwüste ihre Reben und Feigen, von denen 
sie sagte: Buhllohn ist es für mich, den meine Buhleu mir gegeben 
haben; und ich mache dieselben zur Wildnis und die Tiere des 
Feldes sollen sie fressen. So strafe ich an ihr die Tage der Götzen, 
da sie ihnen räucherte und ihren Schmuck und Kleinodien an- 
legte und ihren Buhlen nachlief und mich vergass, spricht Jahve. 
J)arum so will ich sie locken und sie in die Wüste fülu'en und 
ihr dort ihre Weinberge anweisen; da wird sie fügsam wie in ihrer 
Jugend und wie zur Zeit da sie aus Ag}'ptenland zog. Darnach 
verlobe ich dicli mir aufs neue für immer, um Recht und Ge- 
rechtigkeit und um Liebe und Erbarmen. Jenes Tages will ich, 
spricht Jahve, dem Himmel willfahren, und der wird der Erde 
willfahren, und die Erde wird dem Korn Most und Ol willfahren, 
und sie werden Israel willfahren" (2, 7 — 24). Der Segen des 
Landes ist hier das Ziel der Religion, und zwar ganz allgemein 
sowol der falschen heidnischen, als auch der wahren israelitischen '). 
Sie hat keine geschichtliche Heilstaten, sondern die Natur zur 
Grundlage, welche jedoch nur als Domanium der Gottheit und als 
Arbeitsfeld der Menschen betrachtet und keineswegs selbst ver- 
göttert wird. Das Land ist das Haus Jahves (8, 1. ü, 15), worin 
er der Nation Wohnung und Unterhalt gibt; im Lande und durch 



^) Zach. 14, IGss.: -Die Cbrijjf^a'bliebeiien von den Völkern, die jij'egen 
Jerusalem «(czo^en sind, werden von Jahr zu Jahr wallfahrten zu hul- 
digen dem Jahve Sebaoth und das Laubhuttenfest zu feiern. Welche 
aber nicht mit wallfahrten von den (ieschlechtern d«'r Erde nach Jerusalem 
zu hujdigen dem Jahve Sebaoth, für die wird der Kegen ausbleibeu.** 
Die Ägypter aber — die wegen des Nils keines Regens bedürfen — 
werden auf andere Weise gestraft, wenn sie nicht zum Laiibhüttenfeste 
kommen. Vgl. Isa. G2, 4ss. &2. 9. CA, 10. 



96 Oeschichte dea Kultus, Kap. 3. 

(los l.anil wird Israel ei-st Jalives Volk, wie die Ehe dailurch ge- 
schlossen wird, dasa daü Weih in des Maunes Haus aurgeaomineii 
und ilort nnterhallen wird. Und wie die Scheidung die Verweisung 
des Weibes aua dem Hauae ist, so löst Jahve seine Beziehung au 
Israel, indem er däs Liiud zur Wüste macht oder zuletzt das Vulk 
geradezn daraus in die Wüste vertreiht; er kuüpft sie audierseiti* 
wieder an, indem er es aul's neue ^einsät im hande", den Himmel 
regnen und die Erde tragen lässt, und dudurch den Nameu Gott 
gesät für Israel wieder za Eliten bringt (2, 2b). Demgemäss ist 
der (iotteadienst weiter nichts als der schuldige Dank für die Gaben 
des Rodens, der Lehenstribut für den Hausherrn, der diesen und 
jene gegeben hat. Er fallt von selbst fort, wenn Kura und Wein 
ausbleibt, in der ^Vüste ist er undenkbar; denn wenn Gott nichts 
beet^hert, so kann man sich auch nicht freuen, und der Gottesdienst 
ist lauter Freude ober den liesi-herten Segen. Dereclbe bat somit 
durcbgeheus und allgemein den Charakter, den in der jehovistischeu 
Gesetzgebung die Feste tragen, in denen er auch nach der Be- 
schreibung Ilosens gipfelt. Oetin die Tage der Götzen, an denen 
man sich [mtzt und upfert, sind eben die Feste, und zwar die 
Feate Jahves, den aber das Volk unter Bildern verehrte, welche 
dem Propheten schlechterdings als heidnisch gellen. 

Ebenso lehrreich ist die andere Stelle 9, 1— li, „Freue dich 
nicht zu laut, Israel, wie die Heiden, dass du hurst gegen deinen 
Gült, Buhllobu gern hast auf allen üetreidelennen. Tetme und 
Keller wird sie nicht laben und der Most wird sie trügen — sie 
werden im Laude Jahves nicht bleiben, Ephraim muss wieder 
nach Ägy|jten und in Assur müssen sie Unreines essen. Dami 
spenden sie nicht mein* Wein für Jahve und schichten ihm keine 
Opfer; wie Trauerhrot ist ihr Brut, alle die davon essen werden 
unrein, denn ihr Brot wii-d nnr für ihren Hunger sein, kommt 
nicht in Jahves Haus. Was wollt ihr erst machen zur Feierzeit 
und für den Tag des Festes Jahvesi' Denn siehe nachdem sie 
aus Trümmern ausgezogen, wird Ägypten sie festhalten, Memphis 
sie begraben, ihre silbernen Lieblinge wird die Nessel beerben, 
der Dornbusch in ihren Zelten." Es braucht uns nicht zu stören, 
dass der Prophet hier wieder den Kultus, der der Absicht nach 
ersichtlich dem Jahve gelten soll, mit dem in iler Tat äusserlich 
wol wenig verechie denen Kultus der Heiden gleichsetzt, weil er 
die silbernen Lieblinge der Zelte auf den Höhen nicht für 3n 




Die Feste. 97 

bole Jahves, sondern für Götzen und ihren Dienst für Hurerei er- 
kennen muss. Genug, dass abermals erhellt, wie der volkstümliche 
Gottesdienst in Israel damals beschaffen war. Tenne und Kelter, 
Korn und Most sind seine Motive, laute Freude, rauschender Jubel 
sein Ausdruck. Alle Lust des Lebens drängt sich zusammen in 
Jahves Hause, bei den Freudenmahlen zum Anbruch der Gaben 
seiner milden Güte; kein schrecklicherer Gedanke, als dass man 
sein Brot wie unreine Speise, wie Trauerbrot essen muss, ohne 
die Primitien (zum Feste) dai-gebracht zu haben ^). Dieser Ge- 
danke ist es, der der gedrohten Verbannung den Stachel gibt; 
denn Opfer und Feste hängen von dem Lande ab, de^ nähi'enden 
Mutter und dem wohnlichen Hause der Nation, der Grundlage 
ihrer Existenz und ihi*es Kultus. 

Dass dies vollständig mit dem Wesen des Gottesdienstes und 
der Feste im Bundesbuch Zweitafelgesetz und Deuteronomium 
übereinstimmt, ist an sich klar, wird aber noch deutlicher durch 
die Vergleichung des Priesterkodex, wozu wir nunmehr übergehn. 

in. 

Über den Festcyklus handeln hier die Abschnitte Lev. 23 und 
Num. 28. 29, von denen der erstere einen dem Kern des Priester- 
kodex nicht ganz gleichartigen Bestandteil (23, 9 — 22 und zum teil 
V. 39 — 44) mit einem völlig gleichai-tigen verbindet. Die drei 
grossen Feste kommen auch in diesen beiden Aufzählungen vor, 
aber mit beträchtlicher Veränderung ihres Wesens. 

1. Die eigentliche Feier wird durch vorgeschriebene Gesamt- 
opfer erschöpft. Es werden dargebracht: in der Ostei*woche und 
ebenso am Pfingsttage, ausser dem Thamid, täglich 2 Farren 1 Widder 
7 Lämmer als Brand- und 1 Ziegenbock als Sündopfer; zu Laub- 
hütten vom ei-sten bis zum siebenten Tage 2 AVidder 14 Lämmer 
und in absteigender Linie 13 — 7 Farren, am achten Tage 1 Farre 
1 Widder 7 Lämmer als Brand-, ausserdem tagtäglich 1 Ziegenbock 
als Sündopfer. Hinzukommende freiwillige Leistungen der Einzelnen 

*) Trauerzeiten sind f^ewisserniaas.sen InU'nlikte, in denen die (Toineinschaft 
zwischen Gott nud Mensch pausirt. Chrijjeus ass man überhaupt nichts 
als wovon zuerst die Gottlu'it ihren Anteil bekommen hatte, nicht bloss 
kein anderes Fleisch, sondern auch keine anderen Ye^:etabilien ; denn 
die Primitien von Koni und Wein jralten als Anbruch des Jahresertrags 
und heiligten den {(anzen. Alles andere war unrein : vtrl. Ezech. 4, 13. 
Deut. 26, 14. 

Wellhaaten, Prolegomena. 5. Aufl. 7 



98 Owchiehte dos Kultus, Kap. 3. 

werden nicht ausgeschlossen, sind aber Nebensache. Sonst ist, 
sowol in der älteren Praxis (1. Sam. 1, 469.) als im Gesetz (Exod. 
23, 18), gerade das Festopfer stets ein Mahl-, also ein Privalopi'er. 
Im Deuteronomium bat man nur deshalb die fröhlichen Mahlzeiten 
vor Jahve aoffalleiid finden küuneu, -weil man das Alte Testament 
nur aus der Perspektive des Priesterkodex kanute; eigentümlich 
ist hiei' höchstens eine gewisse humane Ausbeutung der Festopfer, 
daas man nämlich die Armen und Gnindbesitzloseu seiner Bekannt- 
schaft dazu einladen soll. Das ist aber eine Foitbildung, die der 
alten Opferidee der Commuuio zwischen Gott und Menschen weit 
näher liegt als das tote Werk Jener Gesamtopfer. Nur da* Pascha 
ist auch im T'riesterkodex ein Mahlopfer geblieben nud die Teil- 
nahme daran auf die Familie oder eine geschlossene Gesellschaft 
beschränkt. Aber dieser letzte Best der alten Sitte erscheint hier 
als sonderbare Ausnahme; auch hat die Feier im Hause, statt vor 
Jahve, etwas ganz Zwitterhaftes und mneht das Opfer fast ganz 
zu einer profanen Schlachtung — bis auf Jen Ritus der Blut- 
streichung, der charakteristischer Weise beibehalten wird (Exud. 12, 7 
vgl. Ezech. 45, 19), 

Dem geht zur Seite, dass die Erstlinge der Jahreszeit sich 
noch mehr, als es schon ohnehin der Fall war, von den Festen 
gelost haben. Während sie im Deuteronomium noch zu den drei 
grossen Mahlzeiten voi- Jalive verwandt werden, sind sie im Priester- 
kodex überhaupt keine Opfer mehr und also auch keine Festopfer, 
sondern nüchterne Abgaben an die Priester, die teilweise von diesen 
selber eingesammelt werden und allesamt nicht vor den Altar ge- 
langen. Damit verlieren die Feste vollens ihre eigentlichen Charakte- 
ristica, ihi'e beseelenden and unterscheidenden Anlässe; durch das 
Einerlei der ewigen Brand- und Sündopfer der Gesamtgemeiude 
werden aie alle einander gleich gemacht und zu Exercitien der 
Religion herabgesetzt. Nor ganz leise Spuren bezeugen noch, gleichsam 
verräterischer Weise, den Ausgangspunkt der Eutwickelung, näm- 
lich die Riten der Gerstengarbe der Weizenbrote und der l,aub- 
hütten (Lev. 23), Aber es sind dies eben blosse Bitcn, versteinerte 
Reste der alten Sitte; die wirklichen Erstlinge der Grandeigentümer 
heimsen die Priester ein, ihr Schatten bleibt dem Feste erhalten 
in der von der ganzen Gemeinde dargebrachten symbolischen Garbe, 
die nun ein ganz vereinzelter und unverstandener Zug geworden 
ist. Wenn somit in Wahrheit die Abstatttmg des Dankes für die 




Die Feste. 99 

Fruchte des Feldes nichts mehr mit den Festen zu tun hat, so 
föngt auch selbst der Schein an zu schwinden; denn die Riten 
Lev. 23 sind aus einer älteren Gesetzgebung übernommen und 
werden Num. 28. 29 gi'össtenteils mit Stillschweigen übergangen. 
Auch die Erstgeburten werden im Priesterkodex nur als Abgaben, 
nicht als Opfer gefordert; das Pascha, immer ein jähriges Schaf- 
oder Ziegenlamm, hat der Sache nach überhaupt nichts mehr damit 
zu schaffen, sondern steht gesondert daneben. Da dasselbe jedoch 
gestiftet sein soll, damit die menschliche Erstgeburt der Hebräer, 
beim Würgen der ägyptischen, verschont bleibe, so verrät sich 
durch diesen Zusammenhang, dass die jährigen Lämmer doch nur 
ein Ersatz sind für die Erstlinge alles schlachtbaren Viehs, aber 
in Vergleich zu den Rindern und Schafen der jehovistischen Tradi- 
tion und des Deuteronomiums ein sekundärer und in seiner Gleich- 
förmigkeit unmotivirter Ei-satz, und dass wenn nun die Erstlinge 
noch ausserdem an die Priester gesteuert werden, dies einer Ver- 
doppelung gleichkommt, welche auf grund zunächst einer gänzlichen 
Verdunkelung, sodann einer künstlichen Erneuerung der ursprüng- 
lichen Sitte ermöglicht ist. 
^ , Ein weiterer wir.l^fi p rftr Pn^ ikt^ wodurch sich der Priesterkodex 
unterscheidet, ist di e^Datirung der Feste jiach Monatstagen. Ostern 
fallt auf den 15. Tag, d. h. auf den Vollmond, des ersten Monats, 
Laubhütten auf den selben Tag des siebenten Monats. In der 
jehovistischen und deuteronomistischen Gesetzgebung werden nur 
ungefähre Termine angegeben; Ostern wii-d im Ährenmonat, beim 
Anhieb der Sichel in die Saat, begangen, Laubhütten nach dem 
Herbsten, beim Jahreswechsel. Die Erntefeste richten sich hier 
nach der Jahreszeit, nach dem Stand der Früchte; sie werden nicht 
an den Mondwechsel gebunden. Nun kann man allerdings fragen, 
ob die Äquinoctialfeste von allem Anfang an Erntefeste gewesen 
sind; sie scheinen älter zu sein als der Ackerbau und sich ihm erst 
nachträglich angepasst zu haben. Auch die arabischen Nomaden 
feierten zwei Feste, im Frühling und im Herbste, und fixirten sie 
nach dem Monde. Aber die Hebräer haben doch allem Anschein 
nach die Feste schon als Erntefeste von den Kanaanitern über- 
kommen; bei ihnen kann es schwerlich als ein Zeichen höchsten 
Alters angesehen werden, wenn mit der materiellen auch die zeit- 
liche Beziehung der Feste zur Ernte im Priesterkodex verschwindet 
und dieselben auf den 15. Monatstag festgelegt werden. Der un- 

7* 



100 Geschichte des Kultus, Kap. 3. 

gefähre Termin hat das Präjudiz des Alters für sich gegenüber 
dein bestimmten; die Fixirung hängt zusammen mit der Centrali- 
sirung. Nur das Pascha ist wol von Anfang an nicht bloss ein 
Jahresfest, sondern als Pannycliis auch ein Mondfest gewesen. 

Eine Gegenprobe für die behauptete Denatuiirung der Feste im 
Priesterkodex liegt darin, dass die schon von der jehovistischen 
Tradition vorbereitete g egchichtliche Deu tung de rselben hier ihre 
Spit a&jerr eicht haf. Denn sind dieselben ihres ursprünglichen In- 
halts verlustig gegangen und zu vorgeschriebenen Formen des 
Gottesdienstes herabgesunken, so steht nichts im Wege, die leeren 
Schläuche nach dem Geschmack des Zeitalters neu anzufüllen. So 
werden nun auch die Laji^iütten (Lev. 23) ein liistorisches Fest, 
eingesetzt zum Andenken an die \Ojidächer , unter denen sich das 
Volk während des vierzigjährigen Wüstenzuges behelfen musste. 
Bei Ostern wird über die bereits im Deuteronomium und in Exod. 
13, 3ss. sich findende Moti>drung durch den Auszug aus Ägypten 
noch ein Schritt hinaus getan. Im Priesterkodex ist nämlich dies 
Fest, das gerade wegen seines eminent geschichtlichen Charakters 
hier als das bei weitem wichtigste von allen gilt, noch mehr als 
bloss Nachhall einer göttlichen Heilstat, es ist selber Ileilstat. 
Nicht weil Jahve die Erstgeburt Ägj'ptens geschlagen, wird in der 
Folge das Pascha gefeiert, sondern vorher, im Moment des Aus- 
zugs, winL?? gestiftet, damit er die Erstgeburt Israels verschone . 
Die Sitte wird also nicht bloss geschichtlich motivirt, sondern in 
ihrem Anfange selber zu einem geschichtlichen Faktum verdichtet 
und durch ihren eigenen Anfang begründet; der Schatten, den 
sonst doch nur ein anderweitiges historisches Ereignis wirft, wird 
hier verkörpert und wirft sich selber. Sehr ähnlich verhält sich 
die Sache mit den ungesäuerten Broten. Statt dass sie durch den 
Umstand, dass die in der Mitternacht Ausziehenden in der Eile 
ihren Teig ungesäuert wie er ist mitnehmen, veranlasst sind und 
bestimmt, das Andenken an diesen Zug zu erhalten (Exod. 12, 34), 
werden sie im Priesterkodex ebenfalls schon vorher (12, 15 ss.) be- 
fohlen und hinterdrein zum Andenken an sich selber gefeiert, also 
nicht bloss durch die Geschichte motivirt, sondern selbst ver- 
gescbichtlicht. Darum wird denn auch das Ostergesetz ganz aus 
dem Zusammenhange der Stiftshütten -gesetzgebung herausgehoben 
(Exod. 12, Iss.), und die Schwierigkeit, dass nun beim Pascha 
von dem sonst im Priesterkodex unentbehrlichen Heiligtume ab- 



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strahirt werden muss, durch möglichstes Abstreifen des Opfer- 
charakters beseitigt *). Einzig beim Pfingstfest zeigt sich noch kein 
Ansatz zur historischen Deutung; hier ist dieselbe dem späteren 
Judentume vorbehalten geblieben, welches darin, auf grund der 
Chronologie des Buches Exodus, eine Erinnerung an die sinaitische 
Gesetzgebung erkennt. Man sieht aber, wohin der Zug der späteren 
Zeit geht. 

Es ist schon im Vorhergehenden angedeutet, dass für die Ent- 
wickelung die Centralisation des Kultus epochemachend gewesen ist. 
Die Centralisation ist mit Generalisirung und Fixirung gleichbe- 
deutend; und das sind die äusseren Züge, wodurch sich das Fest- 
wesen des Priesterkodex von dem früheren unterscheidet. Ich ver- 
weise auf die vorgeschriebenen Gemeinde- statt der spontanen 
Privatopfer, auf die festen Termine am 15. des Monats, auf die 
reinliche Sonderung von Opfern und Abgaben, auf die Unifoimirung 
des Pascha: nichts frei und naturwüchsig, nichts undeutlich und 
noch im Werden, alles statutarisch, klipp und klar. Aber auch 
an der inneren Umwandlung der Feste ist die Centralisation des 
Kultus nicht zum wenigsten schuld. Erst werden die Gaben der 
Jahreszeit von den einzelnen Häusern geopfert wie es jedem passt, 
sodann werden sie zusammengelegt an den Festen, die mehr und 
mehr an einzelnen Heiligtümern sich koncentriren und zu grossen 
Wallfahrten führen, zuletzt treten die vereinigten Einzelopfer zu- 
rück gegen die einheitlichen Gesamtopfer der ganzen Gemeinde. 
Je mehr Gewicht auf die Gemeinsamkeit und Gleichförmigkeit der 
Feier gelegt wird, desto mehr löst sie sich von ihrer Wurzel. 
Dass sie dann gern einen historischen Inhalt annimmt, wird zum 
teil auch daher kommen, dass die Geschichte nicht, wie die Ernte, 
ein Erlebnis der einzelnen Haushaltungen ist, sondern vielmehr 
ein Erlebnis des Volkes im ganzen. Man sieht freilich, dass die 
Feste an sich die Neigung haben sich von ihren ursprünglichen 
Trieben zu entfernen; aber nii-gends haben sie sich so weit davon 
entfernt wie im Priesterkodex. Während sie doch sonst noch 

*) Das Absehen vom Heiligtum ist nur beim ersten Pascha Ijeiurründet und 
soll vielleicht nur für dieses gelten. Der l'nterschied zwischen dem 

D^liJD HM und dem Plinn HÖD ist notwendig, schon weil jenes 
historisches Faktum, dieses eine Erinnerungsfeier daran ist. Dagegen 
ist nicht zu kämpfen, wenn für die l'rsprünglichkeit des Pascha-ritus im 
Priesterkodex damit eingetreten wird, dass dieser allein den Bedingungen 
des ägyptischen Aufenthalts entspreche. 



•102'. 



ä-stläatt.ies^l^ltas, K»|J. 5. 



überall, wie wir sahen, in tlentlicher Bezielmng zu dem Lanfl^ 
and eeiDem Segen stehn und gleichsam die grossen Huldigungs- 
uud Trihuttage für den Lehoshemi und Verleiher des Landes sind, 
80 tritt dieser Zusammenhang hier völlig zurück. Wie miiu im 
Gegensatz zum Buiidesbuch und Deuteronomium, ja seihst zu dem 
Korpus, welches I-ev. 17 — -26 za gründe liegt, den ganzen Priester- 
kodex als Wüstengesetzgebiing charakterisiron kann, insofern er 
von den natürlichen Bedingungen und Motiven des wirklichen 
Volkslebens im Lande Kanaun abstrabirt und auf der tabula rasa 
der Wüste, der Negation der Natur, aus kahlen Statuten des 
absoluten Willens die Hierokratie aufbaut , so sind auch die 
Feste, bei denen sich die Abliän^gkeit des Kultus vom Ackerbau 
am stärksten zeigt, so viel es angeht, hier zu Wüstenfesten ge- 
worden '). 

2. Mit der Centralisation des Kultus, deren umgestaltender 
Eiufluss sich im Priesterkodex zeigt, macht das üeuteronomium den 
Anfang. Jener fusst auf diesem und zieht die hier noch nicht 
geahnten Konsequenzen. Dies Verhältnis bewährt siph auch in 
Einzelheiten. Zunächst in den Namen der Feste, welche beider- 
orts die gleichen sind, Pesah, Schabuoth, ^ukkuth. Es ist das 
nicht ohne innere Bedeutung, denn Asiph hätte der gescluchtlichen 
ümdeutung viel grössere Hindernisse in den Weg gelegt als 
Sukkoth. äodann in der Bevorzugung des Pascha, welche im 
Priesterkodex noch weit auiTallender ist als im Deuteronomium. 
Femer in der Daner der Feier. Während das Deuteronomium 
allerdings die Anfangstermine noch nicht gleichmässig fisirt, tut 
es doch darin einen Schritt über die jehovistische Gesetzgebung 
hinaus, dass es Ostera und Laubhütten auf eine Woche, Pfingsten 
auf einen Tag normirt- Damit, sowie auch mit der zeitlichen Be- 
ziehung von Pfingsten zu Ostern, stimmt der Priesterkodex im 
ganzen überein, doch »ind seine Bestimmungen im einzelnen aus- 
gebildeter. Das Pascha, im ersten Monat am Abend des 14., er- 
öffnet zwar auch hier das Fest, zählt aber nicht wie Deut. 16, 4. 8 
als erster Tag der Osterwoche, sondern diese be^nt erst mit dem 
15. und schliesst mit dem 21., vgl. Lev, 23, 6, Num. 28, 17. 
Exod. 12, 18. Da nun der Anfang der Festwoche besonders aus- 
gezeichnet wird, so entsteht dadurch nicht bloss ein gewöhnlicher, 

') Vgl. Sir. 3fi, 7—9. 




Die Feste. 103 

sondern ein ausserordentlicher Feiertag mehr, der Tag nach dem 
Pascha, an dem nach den Bestimmungen des Deuteronomiums be- 
reits in der Frühe die Pilger von Jerusalem in die Heimat zurück- 
kehren sollten^). Eine andere Steigerung besteht darin, dass nicht 
bloss das Pascha, wie im Deuteronomium, oder ausserdem der hin- 
zugekommene erste Festtag, sondern auch der siebente, der nach 
Deut. 16, 8 nur dmxh Ruhe auszuzeichnen ist, als Mikra Kodesch 
in 'Jerusalem gefeiert werden muss. Mit andern Worten sind die 
nicht ganz in der Nähe wohnenden Wallfahrer gezwungen die 
ganze Woche dort zuzubringen: eine Anforderung, die den Fort- 
schritt der Centralisirung erkennen lässt, den weit massigeren An- 
sprüchen des Deuteronomiums gegenüber. Die Laubhüttenwoche 
wird auch in dem letzteren Gesetze von Anfang bis zu Ende in 
Jerusalem begangen, aber der Priesterkodex hat hier abermals 
eine Oktave zuzulegen verstanden, als eine Asereth zum Haupt- 
feste, die freilich in dem älteren Bestände von Lev. 23 noch zu 
fehlen scheint. Nach alle dem unterliegt es keinem Zweifel, dass 
der Priesterkodex zunächst mit dem Deuteronomium zu vergleichen 
ist und in der selben Richtung darüber herausgeht, wie dieses 
selbst über die jehovistische Gesetzgebung. Auf jeden Fall nimmt 
das Deuteronomium die mittlere Stellung in der Reihenfolge ein, 
und wenn man dieselbe mit dem Priesterkodex beginnt, so gelangt 
man konsequenter Weise dazu, sie mit dem sinaitischen Bundes- 
buch (Exod. 20, 23 SS.) zu schliessen. 

Nachdem der König Josias das Deuteronomium publicirt und 
es durch feierliche Verpflichtung des Volkes zum Bundesbuch ge- 
macht hatte (a. 621), befahl er allem Volke: begeht Pascha dem 
Jahve eurem Gotte, wie es vorgeschrieben ist in diesem Bundes- 
buche — ein solches Pascha war nicht begangen seit den Tagen 



') Dadurch, dass im Priesterkodex der Tag vom Abend an goreclmet wird, 
lässt sich diese Differenz nicht ausgleichen, denn erstens hat dies keinen 
praktischen Einfluss, da die Datirung dennoch mit dem Morgen beginnt 
und der dem 15. voraufgehende Abend immer der 14. des Monats heisst 
(Lev. 23, 27. 32) ; zweitens ist der erste Festtag im Deut, eben der Tag, 
an dessen Abend das Pascha fällt und es folgen dann nicht noch sieben, 
sondern sechs Tage, während im Priesterkodex die Feier vom 14. bis zum 

21. des Monats sich ausdehnt Exod. 12, 18. — Wenn die PIlK^n niRD 
nicht wie Jos. 5, 11 als der auf den 14., sondern wie in der jüdischen 
Tradition (Sept zu Lev. 23, 11) als der auf den 15. Nisan folgende Tag 
gedeutet wird, so tritt zum 14. und 15. auch noch der IG. Nisan als be- 
sonderer Festtag hinzu. 



104 Geschichte des Kultus, Kap. 3. 

der Richter und während der ganzen Königszeit (2. Reg. 23, 21. 22). 
Und als der Schriftgelehrte Ezra den Pentateuch, wie er uns gegen- 
wärtig vorliegt, als Grundgesetz der Gemeinde des zweiten Tempels 
einführte (a. 444), da fanden sie geschrieben in der Thora, welche 
Jahve durch Moses befohlen hatte, dass die Kinder Israel am Feste 
im siebenten Monat in Hütten wohnen und dabei Laubzweige von 
Oliven und Myrten und Palmen gebrauchen sollten; und dement- 
sprechend ging das Volk hin und machte sich Hütten: das war 
nicht geschehen seit den Tagen Josuas des Sohnes Nun bis auf 
diesen Tag (Nehem. 8, 14 ss.). Dass sich das Pascha Josias auf 
Deut. 16 und nicht auf Exod. 12 gründet, muss man schon an- 
nehmen, weil die Festfeier im Zusammenhange steht mit der 
neuen Centralisation des Kultus und zur Erprobung derselben 
dienen soll, während die Vorschrift von Exod. 12, wörtlich befolgt, 
nur zur Erschütterung derselben hätte dienen können. Auf der 
anderen Seite ist es, trotz kleiner Inkongruenzen, klar, dass die 
Laubhüttenfeier unter Ezra auf Lev. 23 zurückgeht. Es trifft sich 
also, dass die zwei so wichtigen und einander so ähnlichen Gesetzes- 
publicirungen beide in die Zeit eines Festes fallen, die eine in den 
Frühling, die andere in den Herbst; und es ergibt sich bei dieser 
Gelegenheit, dass die Festsitte des Priesterkodex erst beinah 200 
Jahre später anfing ins Leben zu treten und Geltung zu gewinnen, 
als die deuteronomische. Es gibt dafür noch einen anderen Be- 
weis. Der Verfasser des Buchs der Könige weiss nur von einer 
siebentägigen Dauer der Laubhütten (1. Reg. 8, 66): am achten 
Tage entlässt Salomo das Volk. Dagegen in der Parallelstelle der 
Chronik (II 7, 9s.) hält der König am achten die Asereth und ent- 
lässt das Volk erst am folgenden, dem 23. des Monats. Es wird 
also hier der deuteronomischen Sitte, welcher der ältere Schrift- 
steller und der ihm etwa gleichzeitige Ezechiel (45, 25) folgt, von 
dem jüngeren die seit Ezra (Nehem. 8, 18) herrschende des Priester- 
kodex überkorrigirt. Im späteren Judentum kam es bekanntlich, 
durch die Neigung gerade das Anfechtbare am festesten zu be- 
haupten, dahin, dass der achte Tag des Festes als der herrlichste 
von allen angesehen wurde ^). 

Am nächsten steht dem Priesterkodex auch auf diesem Gebiete 
Ezechiel, der (4;"), 21 — 25) folgende Verordnung gibt. „Im 1. Monat 

Joh. 7, 37. V«rl. Delitzsch zu Ps. 29. 



Die Feste. 105 

am 14. sollt ihr das Paschafest feiern, eine Woche Massoth essen; 
an selbigem Tage soll der Fürst für sich und das ganze Volk einen 
Sündfarren bringen und während der sieben Tage regelmässig als 
Brandopfer 7 Farren und 7 Widder, als Sündopfer einen Ziegen- 
bock, als Mehlopfer ein Epha für jeden Farren und Widder, und 
Öl ein Maass auf das Epha — im 7. Monat am 15., am Feste, 
soll er das selbe darbringen, 7 Tage, hinsichtlich der Sund-, Brand- 
und Mehlopfer und des Öles." Im einzelnen deckt sich hier aller- 
dings beinah nichts mit den Bestimmungen des Ritualgesetzes 
Lev. 23. Num. 28s. Abgesehen davon, dass der — vom maso- 
retischen Texte durch eine alberne Korrektur in v. 21 restituirte — 
Pfingsttag übergangen wird, weicht zunächst die Dauer der Feste 
ab ; beide währen sieben und nicht acht Tage, und das Pascha gilt 
als der erste Ostertag, wie im Deuteronomium. Ferner difTeriren 
die Opfer, sowol durch ihre stets gleich bleibende Zahl als durch 
ihre Qualität; insbesondere ist vom Paschalamm keine Rede, 
sondern von einem Sündfarren als Generalopfer. Bei der Minha 
fehlt der Wein, doch das darf man nicht in Anschlag bringen, da 
Ezechiel diosen grundsätzlich aus dem Kultus verbannt. Endlich 
bringt nicht die Gemeinde die Opfer, sondern der Fürst, für 
sich und das Volk. Aber trotz aller Differenzen leuchtet doch 
die allgemeine Gleichartigkeit durch; es wird an ihnen gewisser- 
maassen nur anschaulich, dass man hier zum ersten male etwas 
hat, was man auf allen Punkten mit dem Priesterkodex zusammen- 
stellen kann, mit dem die jehovistische Gesetzgebung ganz und die 
deuteronomische halb unvergleichbar ist. Beiderorts findet sich 
der nach dem Monatstage datirte Termin, das fest vorgeschriebene 
Gesamt-, Brand- und Sündopfer, die Abstraktion von Aparchen 
und Ackerbau, die Ausgleichung der natürlichen Unterschiede zu 
einer allgemein -kirchlichen Feier. Schwerlich nun hatte Ezechiel 
einen Grund, Lev. 23 und Num. 28s. zu reproduciren, noch weniger 
aber, sich dabei eine Menge völlig zweckloser Variationen zu 
erlauben. Man beachte, dass er in keiner Einzelheit dem Deutero- 
nomium widerspricht und doch dem Priesterkodex so unendlich 
viel näher steht: die Verwandtschaft ist eine unwillkürliche, die 
in der Zeit liegt. Ezechiel ist der Vorläufer des priesterlichen 
Gesetzgebers im Pentateuch, sein Fürst und Volk die noch 
einigermassen von der vergangenen Königszeit gefärbte Vorstufe 
der Gemeinde der Stiftshütte und des zweiten Tempels. Dieser 



106 



Geschichte dea Kultus, Kap. 3. 



Äunjihme steht iiichte im Wege nnd sie ist darum die rationelle, 
weil nicht Ezechiel, sondern der Prieaterkodex die .Sitte der 
späteren Zeit nonnirt hat. 

Denn sowie das Festwesen des Priesterkodex sich in die Axt 
des älteren Kahus, wie wir iliu z. B. ans Os. 2. 9 kennen, 
schlechterdings nicht schicken will, so ist dasselbe für die Prajcis 
des nacUexilischen Jodentums und dai'um auch für unsere von 
daher entuuinmeue Anschauuug, in jeder Hinsicht maaasgehend. 
Niemand denkt im Neuen Testament an eine andere Paschafeier 
als die von Exod. 12 und an ein anderes Opfer als das dort vor- 
geschriebene Pasclialamm. Mau darf vielleicht die A'ermutung 
wagen, dass wenn in jener ^Vüstenge^etzgebung der Ackerbau 
überhaupt nicht als die Grundlaj^e des Lebens empfunden wird, 
die er noch im üeuteronomium nnd selbst in dem Kerne von 
Lev. 17— 2G ist, auch dies ein Beweis für ihren Zusammenhang 
mit den Zuständen weniger einer selu- alten als einer sehr jungen 
Zeit ist und nicht sowol als ein Noch nicht, sondern viel eher 
als ein ^icht mehr anfgefusst werden muss. In Babylouien sind 
die Juden ein llandelsvolk geworden. 

3. Eine Erscheinung, wodurch sich der Priosterkodex aus- 
zeichnet, ist bisher übergangen, dass nämlich hier der dreigliedrige 
Cyklus der Feste erweitert und dui-chbrochen ist. lu der nach 
der Zeitfolge geordneten Aufzählung Lev. 23. Num. 28. 29 sind 
zwischen Pfingsten und Laubhütten zwei andere Feiertage ein- 
gesetzt, Neujahr am 1. des 7. Monats nnd der grosse Vei'söhnuugs- 
tag am 10. des selben Mouatä. Wie sehr die drei, ursprünglich zu ein- 
ander gehörigen, Erntefeste abgeblasst sind, sieht man daraus, dass 
diese beiden heterogenen Tage mitten dazwischen erscheinen, der Jörn 
Kippurim in gleicher Reihe mit den alten Haggim, d.h. Tänzen, 
die lauter Lust und Freude] waren und mit einem Trauerfasten nicht 
an einem Tage zu nennen. Im einzelneu ist Folgendes zu bemerken. 

Der Jahreswechsel fiel in der Königszeit auf den Herbst; daa 
Herbstfest, bezeichnete den Abschluss des Jahres nnd der Feste 
(Exod. 23, 16. 34, 21. 1. Sam. 1, 20. 21. Isa. 29, 1. 32, 10). Daa 
Deuteronomium wurde im 18. Jahre Josiae aufgefunden und noch 
im selben Jahre Ostern nach Vorschrift dieses Gesetzes begangen — 
das war nur möglich bei Jahresanfang im Herbst'). Hiernach 




Die Feste. 107 

richtet sich nun auch im Priesterkodex die kirchliche Neujahrs- 
feier. Der Jörn Therua (Lev. 23, 24s. Num. 29, Iss.) fällt auf 
den ersten Neumond des Herbstes, und es folgt aus der durch 
Lev. 25, 9 s. beglaubigten Tradition, dass dieser Tag als nDirni2'*N1, 
als Neujahr begangen wird. Er wird nun aber immer als der 
erste des siebenten Monats bezeichnet. Also hat sich das 
bürgerliche Neujahr von dem kirchlichen getrennt und auf den 
Frühling verlegt; das kirchliche kann nur als Rest von früher her 
anfgefasst werden und verrät schlagend die Priorität der Sitte, wie 
sie in der älteren Königszeit herrschte. Erst durch den Einfluss 
der Babylonier scheint dieselbe abgekommen zu sein, welche die 
Frühlingsära hatten *). Denn die mit dem Gebrauch der Frühlings- 
ära zusammenfallende Bezeichnung der Monate durch Zahlen statt 
durch die althebräischen Namen (Abib Ziv Bul Ethanim) findet 
sich, abgesehen vom Priesterkodex und dem letzten Redaktor des 
Pentateuchs (Deut. 1, 3), noch nicht im Deuteronomium (16, 1), 
sondern erst bei Schriftstellern des Exils. Zuerst bei Jeremias, 
aber nur in solchen Teilen seines Buchs, die nicht von ihm auf- 
geschrieben oder doch von späterer Hand redigirt sind*), sodann 
bei Ezechiel und dem Verfasser des Buchs der Könige, der die 
Namen seiner Quelle durch Zahlen erklärt (1. Reg. 6, 37. 38. 8, 2), 
femer bei Haggai und Zacharia; zuletzt noch in der Chronik, aber 
hier beginnen schon die zunächst vom Hebräischen ferngehaltenen 
babylonisch - syrischen Monatsnamen einzudringen. Wollte man 
diese seit dem Exil nachweisbare Änderung des Kalenderwesens 
aus der zufällig jetzt beginnenden Einwirkung des bisher schein- 
toten Priesterkodex erklären, statt aus allgemeinen in den Zeit- 



*) In Exod. 12, 2 wird dieser Wechsel der Ära förmlich durch Moses ange- 
ordnet: dieser Monat (der Ostermonat) soll euch der Anfang der Monate 
sein, der erste sei er euch von den Monaten des Jahres. Nach George 
Smith (the Assyrian eponym canon p. 19) begann das assyrische Jahr 
mit der Fruhlingsnachtgleiche ; die assyrische Sitte hängt von der baby- 
lonischen ab. Trotz der entgegenstehenden Annahme Idelers war ich 
▼on dem Frühlingsanfang des babylonischen Jahres fest überzeugt, lange 
bevor ich die Ergebnisse der Assyriologie in dieser Beziehung kannte. 
In Palästina behielten übrigens die Bne haGola den baylonischen Jahres- 
anfang nicht lange bei, sondern gingen l»ald wieder zu dem alten 
landesüblichen (im Herbst) über, so dass das kirchliche Neujahr wieder 
mit dem bürgerlichen zusammenfiel. Vgl. Isr. und Jüd. Geschichte 1897 
p. 169 n. 1. Auch das Sabbathjahr wurde bekanntlich von Herbst zu 
Herbst gerechnet (Lev. 25, 9). 

2) Kuenen, historisch-kritisch OnderzoekUI 196.216. 



108 Geschichte des Kultus, Kap. 3. 

umständen liegenden Gründen, unter deren Einfluss eben auch 
der Priesterkodex stand und die überhaupt damals einen Um- 
schwung — allgemeinere Anwendung und grössere Genauigkeit — 
in der Zeitrechnung zur Folge hatten, so würde das absurd ge- 
nannt werden müssen*). 

Während des Exils scheint Neujahr nicht am 1., sondern am 
10. des 7. Monats gefeiert zu sein (Lev. 25, 9. Ezech. 40, 1) — 
ganz begreiflich, nachdem es überhaupt einmal von dem wirk- 
lichen Jahresanfang sich getrennt hatte '). Schon daraus würde er- 
hellen, wie jung der grosse Versöhnungstag Lev. 16 ist, der später 
auf diesen Termin begangen wurde; denn obwol derselbe als 
Generalreinigungsceremonie mit Fug am Jahreswechsel steht, so 
passt doch der fröhliche Lärm der Neujahrsposaunen nicht in seine 
stille Feier, wie denn der r^V^'^Vi D^^ ™ Priesterkodex in der Tat 
auf den 1. des 7. Monats gelegt ist. Trotz seiner überragenden 
Wichtigkeit ist der Versöhnungstag weder im jehovistisch-deutero- 
nomischen Teile des Pentateuchs, der nur ein dreimaliges Erscheinen 
vor Jahve fordert, noch in den historischen und prophetischen 
Büchern bekannt. Seine ersten embryonischen Keime zeigen sich 
im Exil. Ezechiel verordnet (45, 18 — 20) zwei grosse Entsündigungen 
zu Anfang der beiden Jahreshälften; denn 45, 20 ist nach der 
Septuaginta ßfin^. ^yniT^. »™ ^- Monat am Neumond" zu lesen. 
Die zweite von diesen, im Herbst, ist mit der des Priesterkodex 
zu vergleichen, nur dass sie auf den ersten und Neujahr (40, 1) 
auf den zehnten fällt, während dort umgekehrt Neujahr auf den 
ersten und die Entsündigung auf den zehnten; auch ist der Ritus 
weit einfacher. Zacharia, gegen Ende des sechsten Jahrhunderts, 



*) Eine ähnliche Erscheinung zeigt sich bei dem Gewichtswesen. Der „heilige 
Sekel", der oft im Priesterkodex und nur hier vorkommt, kann unmög- 
lich eher so benannt sein, als bis auch die natürlichsten altisraelitischen 
Dinge, weil abhanden gekommen, in einem wundersamen Nimbus er- 
schienen. Er hat zum Gegensatz den „Stein des Königs**, der 2. Sam. 
14, 26 in einer Glosse erwähnt wird: .der König ist kein anderer als der 
Grosskönig von Asien. Interessant ist es, dass der heilige Sekel des 
Priesterkodex dem Ezechiel noch der gewöhnliche ist; vgl. Exod. 30, 13 
mit Ezech. 45, 12. 

') Dass bei Ez. der 10. als HOltTI l^NI genau zu nehmen ist, folgt nicht 
bloss daraus, dass diese Bezeichnung nur in diesem Sinne vorkommt 
sondern auch daraus, dass es nicht zufällig ist, wenn der Prophet gerade 
zu Neujahr das Neue Jerusalem schaut. Dann aber ist nach Lev. 25, 9 
der siebente Monat gemeint, an dessen 10. Tage die Posaunen zum An- 
bruch des Jobeljahres geblasen werden. 



Die Feste. 109 

sieht auf zwei seit siebzig Jahren, d. h. seit dem Anfange des 
Exils bestehende regelmässige Fasttage im 5. und 7. Monate zurück 
(7, 5), denen er (8, 19) noch zwei andere im 4. und 10. Monate 
zuftigt. Sie beziehen sich, nach Ch. B. Michaelis' sehr wahrschein- 
licher Erklärung, auf die geschichtlichen ünglückstage, welche dem 
Exil vorhergingen. Am 9. des 4. Monats wurde Jerusalem einge- 
nommen (Hier. 39, 2), am 7. des 5. wurde die Stadt und der 
Tempel verbrannt (2. Reg. 25, 8), im 7. Monat wurde Gedalia er- 
schlagen und der Rest des jüdischen Staates vernichtet (Hier. 41), 
im 10. hatte die Belagerung der Stadt durch Nabokodrossor be- 
gonnen (2. Reg. 25, 1). Den grossen Vereöhnungstag von Levit. 16 
kennt mithin auch dieser Prophet noch nicht, sondern erwähnt nur 
neben anderen das Fasten im 7. Monat als seit 70 Jahren bestehend. 
Derselbe ist sogar bis a. 444, dem Jahre der Publikation des Penta- 
teuchs durch Ezra, noch nicht in Kraft getreten. Ezra beginnt 
die Vorlesung des Gesetzes am Anfang des 7. Monats, darnach 
wird am 15. Laubhütten begangen: von einer Sühnfeier am 10. des 
Monats wird in der genauen und gerade füi* Liturgisches interessirten 
Erzählung nichts berichtet, sie wii'd dagegen am 24. nachgeholt 
(Nehem. 8. 9). Dies testimonium e silentio ist voUgiltig — bis 
dahin bestand der grosse Tag des Priesterkodex nicht, der erst 
jetzt eingeführt wurde ^). Sein Termin wird teilweise im Anschluss 
an Ezechiel durch das alte Neujahr (Lev. 25, 9) bedingt sein, teil- 
weise im Anschluss an Zacharia durch das Fasten Gedalias, welches 
freilich später dann doch noch besondere gefeiert wurde. 

Auch vor dem Exil kamen wol allgemeine Fasttage vor, aber 
sie wurden besonders angesagt und waren immer ausserordentlich 
veranlasst, wenn eine Schuld zum öffentlichen Bewusstsein kam 
oder der göttliche Zorn drohte, namentlich bei Landeskalamitäten 
(1. Reg. 21, 9. 12. Hier. 14, 12. 36, 6. 9. Joel 1, 14. 2, 12. 15). Im 
Exil begannen sie regelmässige Sitte zu werden, ohne Zweifel zu- 
nächst in Erinnerung an die erlebten dies atri und gewissermaassen 
als ein der Situation entsprechender Einsatz für die nur im heiligen 

') ^Wenn Lev. 16 zum ursprünglichen Bestand der Priesterschrift gehört 
und im Jahr 444 der gesamte Pentateuch von Ezra plubiizirt wurde 
und doch damals der Tag nicht gefeiert wurde, so wird ja eben damit 
zugegeben, dass es Gesetze geben kann, ohne dass sie ausgeführt werden." 
So Dillmann in der Einleitung zu Lev. 16 (1880 p. 525): es wird ihm 
jeder zugeben, dass das Gesetz, ehe es öffentliche Geltung gewinnen konnte, 
zuvor promulgirt sein rausste. 



Geschichte Ars Kultus, Kap, 3. 

Lande möglichen li'öhlichen Volksversammlangea zu Ostern, Pfingsteu 
und Laubhütten ')• Eudlich traten sie den Festen selber zur eeite 
und wurden ein förmlicher und selir «ächtt^er Bestandteil des 
ordentlichen Gottesdienstes. Im Priesterkodex ist das grosse Fasten 
am 10. des 7. Monats der heiligste Tag des ganzen Jalu-es. Nii-hts 
ist so bezeichnend für den Gegensatz des neuen Kultus znm alten: 
wie er überall auf tlie Sünde und die Sühne sein Absehen richtet, 
so läuft er auch in ein grosses Sündensühnfest als iii seine Spitze 
aus. Es ist als ob die Stimmung des Exils auch nach der Befrei- 
ung, wenigstens wahrend der ersten Jahrhunderte, im Judentum 
stehn geblieben wäre; als ob man sich nicht bloss momentan, wie 
in fi-üherer Zeit, bei einem besonderen Anlass, sondern unaufhör- 
lich unter dem bleiernen Druck der Sünde und des Zorns gefühlt 
hätte. Ich habe kaum nötig ausdrücklich hinzuzufügen, dass auch 
hinsichtlich des Versöhnungstages als des Festes aller Feste der 
Prieaterkodex für die nachexilische Zeit maassgebend geworden ist. 
„Ritus und Opfer sind durch das Misgeschick der Zeiten unterge- 
gangen, aber die selbe Heiligkeit ist ihin geblieben; wer sich noch 
nicht ganz losgesagt hat vom Judentum, hält diesen Tag, mag er 
auch sonst gegen alle Oebmuche und Feste desselben gleichgiltig 



IV. 
Zum -Schluss noch ein Wort über die Sioudfeste, d. Ii. über 
Neumond und Sabbath. Dass beides zusammengehört, lasst sich 
allerdings aus dem Pentateuch nicht sehen, wol aber annähernd 
aus Arnos 8, 5 und 2. Reg. 4, 22 s. Bei Arnos sagen die über jede 
Unterbrechung ihres Wnchers ungeduldigen Kornhändler: wann 
wird der Neumond vorübei-gehn, dass wir Getreide verkaufen, und 
der Sabbath, dass wir Korn auftun! An der anderen Stelle wird 
die .Sunamitin, als sie ihren Mann um einen Esel und einen Kneclit 
bittet um den Propheten Elisa zu l^esuchen, von diesem gefragt, 
wie sie denn dazu komme, jetzt einen solchen AusHug zu unter- 
nehmen, da es ja doch ^kein Neumond und kein Sabbath", d. h, 
wie wir sagen würden, kein Soimtag sei. Wahrscheinlich hat sich 
der Sabbath ursprunglich nach den Phasen des Mondes gerichtet 

') Auch nach der iweiten Zerstöruug Jenisaleois, durth Titus, nahm das 
Fftstenwcsen eiuea solchen Aufschwung-, dass die Tage Terieiehnot werden 
musaten, an denen das Fasten verboten war. 




Die Feste. 111 

und ist also immer der 7. 14. 21. (28.) Tag des Monats gewesen, 
den Neumond als ersten gerechnet: eine Ratio muss er gehabt 
haben, und eine andere lässt sich nicht auffinden*). Denn dass 
die Woche durch die sieben Planeten bedingt sein soll, erscheint 
sehr wenig glaublich. Erst nachdem man die sieben Tage hatte, 
kam man darauf sie nach den sieben Planeten zu benennen; die 
Siebenzahl ist das einzige Band zwischen ihnen. Ohne Zweifel 
ist die Woche älter als die Namen ihrer Tage. Vgl. Ideler 1 178ss. 

Die Mondfeste sind wol überhaupt älter als die Erntefeste, 
imd sicher sind sie es bei den Hebräern. Es lässt sich nachweisen, 
dass die Neumondsfeier in alter Zeit mindestens auf gleicher Linie 
mit der Sabbathfeier gestanden hat'). In der jehovistischen und 
deuteronomischen Gesetzgebung jedoch wird dieselbe vollkommen 
ignorirt, und wenn sie in der priesterlichen und ezechielischen 
«twas mehr hervortritt — ohne entfernt mit der Sabbathfeier sich 
messen zu können — , so hängt das vielleicht damit zusammen, 
dass sich hier die grossen Feste nach dem Neumond richten und 
deshalb seine Beobachtung von Wichtigkeit ist. Es mag einesteils 
bewusste Absicht gewesen sein, welche die Neumondsfeier wegen 
allerhand heidnischen Aberglaubens, der sich leicht daran ansetzte, 
verdrängt hat, andernteils ist wol auch das unwillkürliche Über- 
gewicht des Sabbaths daran schuld gewesen, zufolge dessen dieser 
seine eigenen Wege ging und in regelmässigen siebentägigen Inter- 
vallen weiter gerechnet wurde, unbekümmert um den Neumond, 
mit dem er nun kollidirte, statt wie früher durch ihn gestützt zu 
werden. 

Als Mondfest reicht ohne Zweifel auch der Sabbath in sehr 
hohes Alter hinauf. Bei den Israeliten aber bekam dieser Tag 
«ine ganz eigentümliche Bedeutung, wodurch er sich von allen 
hinderen Festen unterechied; er wurde der Ruhetag in Sonderheit. 
Ursprünglich ist die Ruhe nur eine Konsequenz der Feier, z. B. 
der Erntefeste nach der sauren Arbeitszeit; auch die Neumonde 

*) George Smith, the Assyrian Eponym Canon p. 19 s.: Among the Assyrians 
the first twenty-eight days of every month were divided into four weeks 
of seven days each, the seventh, fourteenth, twenty-first, and twenty- 
eighth days, respectively , being sabbaths; and there was a general 
Prohibition of work on these days. 

^ 1. Sam. 20, 5. 6. 2. Reg. 4, 23. Arnos 8, 5. Isa. 1, 13. Os. 2, 13. Dass das 
Halle! mit dem Hiläl (arab. Neumond) etwas zu tun hat, ist freilich 
nicht anzunehmen. Hilal scheint dem hebr. Ilelel zu entsprechen. 



119 



GractiJFhte dw KaHm, Kap. 3, 



I 



wurden dadnrfli ansj^ezeichuet (Arnos 8, 5. 2, Reg- 4, 23). Sie ist 
auch beim Sabbath eigentlich nur die Fulge davon, dass er der 
Feier- und Opferlag der Woche ist (Isa. 1, 13. Ezech. 46, 1 9s.), an 
dem die Schaubrote aufgelegt werden; für ihn aber wurde sie wol 
wegen der KegelmSäsigkeit, mit der er die Alitagsarbeit alle acht 
Tage unterbrach, allmähUch die wesentliche Eigenschaft. Am Ende 
wurde dann auch sein Name so gedeutet, als sei er vom Ruhen 
hergenommen. Als solcher Ruhetag kann nun der Sabbath nicht 
so nralt sein; in dieser Eigenschaft setzt er vielmehr den Ackerbau 
und ein ziemlich angestrengtes Werktagsleben voraus. Dazu stimmt 
es, dass sich im Laufe der Geschichte eine Steigerung der Sabbaths- 
ruhe bei den Israeliten nachweisen iässt. Am höchsten ausgebildet, 
bia »ur Veränderung der Qnalitilt, ersclieint dieselbe im Priester- 
kodes. 

Nach 2. Reg. 4, 225. hat man am Sabbath Zeit zu nicht all- 
täglichen Beschäftigungen; Knecht und Esel können abkommeu, zu 
einer Reise, die weiter ist als ein Sabbatherweg. Üs. 2, 13 heisst 
es: „ich mache all ihrer Freude ein Ende, ihren Festen Neumonden 
und Sabbathen"; diese letzteren teilen also mit den erstei-en die 
Lust und Fröhlichkeit, die sich im Exil, mit dem Jahve droht, 
von selbst verbietet. Beim JehoxTsten und Deuteronomiker ist der 
Sabbath, der freilich schon Amos S, 5 auf den Handel ausgedehnt 
wird, eine Einrichtung speciell fiu' den Ackerhau; er ist der Er- 
holuugstag für die Leute und das Vieh und wird mithin in ähn- 
licher Weise wie die Opfermahle zu socialen Zwecken benutzt 
CEiod. 20, 10. 23, 12. 34, 21. Deut. &, 13. 14). Obwol diese 
moralische Wendung echt israelitisch und nicht ursprünglich ist, 
so ist die Ruhe doch auch hier noch ein Fest, ein Vergnügen für 
die arbeitenden Klassen; denn was zur Pflicht gemacht wird — 
den israelitischen Herren nämlich, an welche die Gesetzgeliung sich 
richtet — ist weniger, dass man ruhe, als dass man ruhen lasse. 
Im Priesterkodex dagegen ist die Sabbathsruhe schlechterdings 
nicht mit dem fröhlichen Aufatmen von der Last des Lebens bei 
den Festen gleichartig, sondern eine Sache für sich, die den Sab- 
bath nicht bloss von den Wochentagen, sondern auch von den 
Festen unterscheidet und einer ascetischen Leistung weit näher 
kommt als einer lässigen Erholung. Sie wird hier ganz abstrakt 
genonmien, nicht als Rnhe von der gewöhnlichen Arbeit, sondern 
als Ruhe schlechthin. Man darf am heiligen Tage nicht aus dem 




Die Feste. IISV 

Lager geLn, um Manna oder Holz zu sammeln (Exoii. IG. Num, 15), 
nicht einmal Feuer anzünden und kuchen (Exod. 35, 3): diese Ruhe 
ist iti Wahrheit ein Opfer der Eiitlialtsumkeit von aller Besuliäfti- 
I gUQg, worauf mau sich stehen den Tag vorher präpariren muaa 
' (Elxod. lli). In der Tat könnte vom Subbath des Priesterkodex * 
nicht gesagt werden, er sei um des Menschen willen da (Marc. Ü, 27); 
er ist vielmehr ein mit der Starrheit eines Naturgesetzes auf- 
tretendes Stiltut, das gich selbst zum Grunde hat und auch für 
I Gottes SchalTen gilt. Der ui-sprüu gliche Schöpfungsberielit, wonach 
Gott am siebenten Tage die Welt vollendete und ihn darum 
f heiligte, ist dahin verbessert, dass er in sechs Tagen fertig wurde 
und am siebenten Tage ruhete '). 

Ansätze zu einer solclien Übei-spannung der Sabbathsruhe ins I 
Absolute finden sich seit der chaldäischen Zeit. Während nach 
Os. 2, 13 und sogar nach Lament. 2, 6 der Sabbath ausserlutlt) des 
heiligen Landes, wie der übrige Gottesdienst, aufhören muss, ge- 
wann er tatsächlich im Exil ausserordentlich an Bedeutung, indem 
' er nicht bloss vom Ackerbau, sondern namentlich auch vom Opfer- | 
' kultus sich unabhängig und als heilige Ruhefeier völlig selbständig | 
nitichte. Dei^estalt wurde er neben der Beschneidang das 
aammenlialtende Symbol der jüdischen Diaspora, wie schon im 
Priesterkodex beide Inatitute die allgemeinen religiösen ErkennungB- 
zeichen (ms Gen. 17, 11. 10. Exod. 31,13. Ez. 20, 12. 20) sind, 
welche auch unter Umständen bestehn, wo ähnlich wie im Exil 
die Bettingungen des mosaischen Kultus nicht vorhanden sind 
(Gen. 2, 3. 17, l-2s,). Welche Mühe inzwischen noch die Gründer 
der Gemeinde des zweiten Tempels hatten, mit den neuen strengen 
Anforderungen durchzudringen, erhellt aus Neh. 13, lüss.'). Aber 
es gelang schliesslich. Die Sabbathfeier des Judentums hat sich 
auf grund der priesterlichen Gesetzgebung folgerecht weiter ent- 
wickelt, immer mehr dem Ideal der absoluten Ruhe sich nähernd, 
so dass für die strengste Richtung der Pharisäer die Vorbereitung . 



■) Es ist du uiuwoifelhafter Widerspruch, nenn ca in Gen. 3, 2 zunächst J 
Jieisstr er machte die Arbeit um sti'lientcu li-ne fertig, und sodann ; 
feierte »in siubcntcn Tnga von der Arlieil. Ilandgreitlicb ist der lettter« 1 
Satz eine iLiitheulische lnler[jretaliou, aus sehr deutlichem Motittt uach- 
getragen. 

>} In div uMe Ziüt ßllt wol muh ha. 56, 2. 58, 13 und Hier. 18, 19 sa^ ^ 
An der letzteren Stelle wird gesagl, dasü dai Kuhegeliot zwar sehou den' i 
Vfttem gegeben, vun ihnen aber nicht gehalten sei. 



k 



auf doli heiligen Tag lüe gaiizc Woche in Aiispi'uoh nahm und 
also womöglich das halbe Menschenleben um seiiiotwegen da war. 
„Vom Sonntag an denk an den Sabbath", sagt Hchammai. Hervor- 
gehoben EU werden verdient die Unterscheidung üwischen Jouitob 
und Schabbnth, die mit der puritanischen zwischen Test- und 
Sonntag zu vei^leichen ist, und die Oiäkussion über das Brechen 
des Sabbatlis durch den Gottesdienst; zwei Einzelheiten, welche 
die durch den Priesterkodex angezeigte Richtung erkennen lassen, 
in der »ich die spätere Sitte vom Ursprünglichen entl'ernt. 

2. Mit dem Sabbath steht das Sabbathjahr in Verbindung. 
Im Bundesbuche wird gefordert, einen Hebräer, den man zum 
Knechte kauft, nach sechs Jaliren des Dienstes im siebenten frei 
zu geben, wenn er anders nicht selber zu bleiben wünscht (Exud. 
21,2 — ß). Ebendaselbst wird an einer anderen Stelle geboten, 
sechs Jahre das Land und die Obstgärten zu bestellen und die 
Ernte einzuheimsen, aber im siebenten dieselbe preiszugeben 
(CCff), damit die Armen sie essen und, was sie übrig lassen, die 
Tiere des Feldes (23, lU. 11), Von einem Sabbathjahr ist hier 
keine Reile. Die Freigebung des hebräischen Knechts erfolgt sechs 
Jahr nach dem Kauf, also an einem relativen Termin. Ebenso 
ist in der anderen Verordnung ein absolutes siebentes Jahr durch 
nichts angezeigt; auch handelt es sich nicht um einen Sabbath, 
d. h. eine Brache, für das Land, sondern um eine Preisgabe der 
Ernte. 

Das erste Gebot wird im Denteronomium wiederholt, ohne 
sachliche Abweichungen, teilweise wörtlich (15,12 — 1''^). Das 
andere hat wenigstens ein Aualogon in Deut. 15, 1 — 6: „am Ende 
von sieben Jahren sollst du eine Sch'mittä machen und damit hat 
es folgende Bewandtnis: kein Gläubiger soll wogen seiner Fonlerung 
seinen Bruder drangen, denn man hat eine Sch'mitta ausgerufen 
dem Jahve; den Fremden magst du drängen, aber was dir deiu 
Bruder schuldet, sollst du zur Sch'mitf« machen*. Dass diese Ver- 
ordnung mit Exod. 23, 10, 11 zu vergleichen ist, beweist der 
Name Sch'mitta, aber derselbe bekommt, eine andere Bedeutung. 
Es handelt sich im Denteronomium nicht um firnnd und Boden, 
sondern um Geld, und zwar soll im siebenten Jahre der jndisclie 
Schuldner nicht zur Zahlung der Schuld gedrängt, werden können. 
So wird der Sinn der Forderuni; zweimal deutlich angegeben. Es 
verkehrt, nach der Etymolngie des Wortes ScVmitti 




Die Fi-stp. 



115 



r anzanehmen, ilass eine Preisgabe der Forderung, des Kel'öhenen , 
' K&pitalä, verliingt, werde. Ein Schritt auf das Sabbathsjulir zu ist i 
1 dariti zu erkennen, diLSs der Termin des siebenten Jahres nicht | 
[ ein (är die einzelnen Schuld Verhältnisse, je nach dem Datum ihrer ] 
Eontraktion, verschiedener ist, sondern ein für alle gleicher und 1 
I gemeinsamer, den man Öffentlich nnsagt; ein absoluter also, kein J 
' relativer. 

Das Sabbathsjalir ist dem Priesterkodex eigentümlich, oder 
r der von ihm recipirlen und überarbeiteten Gesetzsamm- 
lung, weiche in I,ev. 17 — 26 zu gründe Üegt. Es heisst in Lev. 25, 
—7: „wenu ihr in das Land kommt, welches ich euch geben 
* werde, so soll das Land dem Jahve einen Sabbath feiern; sechs 
Jahre sollst dn dein Feld säen und deinen Weinberg bestellen 
\ und die Ernte einheimsen, und im siebenten Jahre soll das Land 
«iuen Ruhesabbath feiern dem Jahve, dein Feld sollst du nicht 
[ säen und deinen Weinbei^ nicht bestellen, da-s freigewachsene 
I Korn sollst du nicht mähen und die Trauben der nicht geputzten 
I Reben nicht schneiden, ein Ruhejuhr .soll das Land haben, und 
[ dar Sabbath des Landes soll euch zur Nahrung sein, dir und deinem 
I Knechte und deiner Magd und deinen Uenerleuten und deinem 
I Vieh und dorn Wilde soll all sein Ertrag zur Nahrung aein". Die 
, Ausdrucke lassen keinen Zweifel darüber, dass Exod. 23, lü. 1) 
I die Grundlage dieser Verordnung ist, aber es ist etwas anderes 
' daraus gemacht. Das dort relative siebente Jahr ist hier ein festes 
geworden, nicht verschieden für die veiwhieiienen Äcker, sondern 
1 gemeinsam für das ganze Land, ein Siibbathjahr nach der Ähn- 
, liebkeit des Sabbathtages. Dies kommt einer gewaltigen Erschwerung 
der Sache gleich, denn es ist ein anderes Ding, ob sich der Ver- 
zicht auf die Ernte über sieben Jahi-e verteilt, oder auf das je 
i siebente zusammendrängt. Gleicherweise zeigt sich die Steigerung 
T der Anforderung darin, dass im siebenten Jahre nicht bloss einzu- 
F'lieimseu, sondern auch zu säen und zu bestellen verboten wird. 
In dem originalen Gebote ist das nicht der Fall, liier lallt nur 
[ die Ernte im siebenten Jahre nicht dem Eigentümer des Feldes 
: zu, sondern ist publici iuris — vielleicht ein liest der Geraelü- 
wirtschaft. Durch ein blosses Misveratändnis des Verbulsni^xes 
r Exod. 23, 11, wie Ilupfeld venuutet hat, ist aus dem Liegenlassen 
L des Ertrags des Landes ein Liegenlassen des Landes selbst, eine" 
[ allgemeine Brache desselben gemacht Lev. 25, 4. Das Misvei-ständnis ' 



llß 



rn-scbic'hte dm. Kultus, E»p. 3. 



ist aber nicht zufällig, sondern überaus dinrakteristisch. In Exod. 21' 
ist die Eiuriclitung für die Menschen da, eine Beschränk un|{ der 
Privateij^entümer des Grundbesitzes zum besten der Gesamtlieit, 
d. h. taktisch der Besitzlosen, die im siebenten Jahr den Niess- 
brauch haben sollen; in Lev. 2ö ist die Einrichtung wegen des 
Landes da, damit es wenn nicht am siebenten Tage doch im 
siebouten Jahre iiihe, und wegen des Sabbaths, damit er seine 
Herrschaft auch über die Natur ausdehne. Natürlich set^t dies 
die estrorae Sabbathfeier durch absolute Ruhe voraus und ist nur 
als Auswuchs davon zu begreifen. Übrigens ist eine allgemeine 
Brache nur nuter Vorhältnissen möglich, die schon von der eigenen 
landwirtschaftlichen Produktion demlich unabhängig sind: vordem 
Exil hätte schwerlich auch nur der Gedanke daran kommen köunen. 
Zu dem Habbathjahre kommt nun im Priesterkodex als Er- 
gänzung noch das Jobeljahr hinzu (Lev. 25, Hss.). Wie jenes dem 
siebeuteu, so ist dieses dem fünfzigsten, d. i. dem Püngtittag nach- 
gebildet, wie schon aus dem Parallelismus von Lev. 25, H mit 
Lev. 23, 15 zu erkennen ist. "Wie der 50. Tag nach den sieben 
Sabbathta^^en als Schlussfeier der 49tägigeii Pertode gefeiert wird, 
so das 50. Jahr nach den sieben Sabhatfajahren als Hchlussstein der 
49jährigen; die sieben in die Ernte fallenden Sabbathe, die be- 
sonders gezählt zu werden pHegen (Luc. 6, 1), haben eben dadurch, 
dass sie die Erntearbeit unterbrechen, eine besondere Ähnliclikeit 
mit den Jahrsabbathen, die deu Ackerbau überhaupt uuterbrechen. 
Jobel ist also eine künstliche Einrichtung, aufgebaut auf den Brach- 
jahren als Erntesabbathen, nach der Analogie des P6ngstfestes. 
Seine beiden Funktionen scheinen ursprünglich auch dem Sabbath- 
jahr angehört zu haben und aus den beiden entsprechenden Be- 
stimmungen des Ueuterononiiaras über das siebeute Jahr abgeleitet 
zu sein, so dass also Exod. 23 die Basis von I^v. 25, 1 — 7 und 
Deut. 15 die von 25, 8ss. wäi'e. Die Freilassung des hebräischen 
Sklaven sollte zuerst im siebenten Jahre des Kaufes, sodann ver- 
mutlich im siebenten Jahre schlechthin geschehen: von da ist sie 
aus praktischen Gründen auf das fuufzigste verlegt, worden. Analog 
ist auch wol das andere Klement des Jobel, der Bückfall des ver- 
pfändeten Grundbesitzes an den Erbeigentümer, erwachsen aus dem 
Schuldenerlass, der Deut. 15 für das Ende des siebenten Jahres ge- 
fordert wird; denn beides hängt sachlich eng mit einander zu- 
wie Lev. 25, 21t ss. zeigt. 




Die Feste. 117 

Was die Bezeugung aller dieser Einrichtungen betrifft, so 
werden die des Bundesbuchs gleichmässig vom ])euteronomium 
und vom Priesterkodex vorausgesetzt. Auf die Anregung des 
Deuteronomiums scheint es zurückzugehn, dass gegen Ende der 
Regierung Sedekias Ernst gemacht wurde mit der Freilassung der 
hebräischen Sklaven; die Ausdrücke Hier. 34, 14 weisen auf 
Deut. 15, 12 und nicht auf Exod. 21, 2. Da sie bislier nicht prak- 
tisch geworden war, wurde in diesem Falle die Maassregel von allen 
zu gleicher Frist durchgeführt; in der Tat musste dies immer ge- 
schehen, wenn sie als ausserordentliche Neuerung in die Welt trat: 
vielleicht hängt es damit zusammen, dass aus einem relativen ein 
festes siebentes Jahr wurde. Das Sabbathjahr ist nach der eigenen 
Aussage des Gesetzgebers in der ganzen vorexilischen Zeit nicht 
gehalten worden. Denn nach Lev. 26, 34 s. soll die Verödung des 
Landes während der Dauer des Exils eine nachträgliche Erstattung 
der früher nicht eingehaltenen Brachjahre sein: „dann wird das 
Land seine Sabbathe bezahlen alle Tage der Verödung, wenn ihr 
im Lande eurer Feinde seid, dann wird das Land feiern und seine 
»Sabbathe bezahlen; alle Tage der Verödung wird es naclifeiern, 
was es früher nicht gefeiert hat, solange ihr darin wohntet". Der 
Vers wird 2. Chr. 36, 22 als ein Wort Jeremias citirt, und das ist 
ein richtiger und unbefangener Eindruck seines exilischen Ursprungs. 
Da nun aber der Verfasser von Lev. 26 auch der von Lev. 25, 1 — 7 
ist, d. h. der Gesetzgeber des Sabbathjahres, so folgt daraus die 
Jugend dieser Einrichtung. Das Jobeljahr, auf alle Fälle vom 
Sabbathjahr abgeleitet, ist noch jünger als dieses. Jeremias (34, 14) 
ahnt nichts davon, dass die Freilassung der Knechte nach dem 
„Gesetz** im 50. Jahre erfolgen soll. Den Namen "im, welchen 
Lev. 25, 10 das Jobel trägt, gebraucht er vom siebenten Jahre, und 
das ist auch für Ezech. 46, 17 entscheidend: das Grundstück, welches 
der König einem seiner Diener schenkt, bleibt nur bis zum siebenten 
Jahre in dessen Besitz. 



' KulliiK, K.ip. 4. 



Viert(?s Kapitel. 

Die Priester unil Leviten. 

I. 
1. Das Problem, um Ans es sich hier handelt, erscheint ! 
besonderer äc^härfe iu einem prägnanten Beispiele, das wol an die 
Spitze gestellt zu worden verdient. Das mosaische Gesetz, d. h. 
der l'riesterkodex , scheidet bekanntlich zwischen den zwölf welt- 
lichoQ Stummen nnd Lcvi, andererseits innerhalb des geistlichen 
Stammes selber zwischen den Söhnen Äharons and den schlechthin 
sogenannten Leviten. Der erstere Unterschied wird anscliaulich 
in der Lagerordnung Num. 2, in der I/evi einen schütaendou Ring 
um das Heiligtum bildet, gegen die unmittelbare Berührung der 
übrigen Stämme. Der andere wird mit ungleich grösserem Nach- 
druck eingeschärft. Bloss Äliaron und seine Söhne sind Priester, 
zum Opferdienst und zum Itäuchorn befähigt, die Leviten sind 
Hierodulen (3. Esilr. 1, 3), die zur Besorgiing der niederen Dienste 
an die Aharouiden geschenkt, worden sind (Nnra. 3, 9). Zwar sind 
sie deren Stammgonossen , aber nicht wegen seiner Zugehörigkeit 
zn Levi ist Aharon erwählt und sein Priestertum nicht etwa die 
Spitze und Blüte des allgemeinen Berufs seines Stammes. Er war 
vielmehr Priester schon bevor die Leviten geheiligt wurden; während 
der Kultu.s längst eingerichtet und im Gange ist, sind die letzteren 
noch geraume Zeit nicht vorhanden; im ganzen dritten Buche 
nicht, das seinem Namen Leviticua insofern keine Ehre macht. 
Genau genommen gehören die Leviten gar nicht zum Klerus, sie 
werden nicht von Jahve berufen, sondern von den Rindern Israel 
an das Heiligtum gewidmet; an Stelle der Erstgeborenen, aber 
nicht als Priester'), sondern als Abgabe an die Priester, ab welche 
sie sogar die übliche Schwingung vor dem Altar, d. h. das schein- 
bare Werfen in die Opferflamme durchzumachen haben (Num. 8). 
Die Verwandtschaft zwischen Aharon und Levi und dass gerade 
dieser Stamm als Lösung der Erstgeborenen dem Heiligtum abge- 
treten wird, erscheint somit fast als zufällig, erklärt sich aber 

') Weder Niini. 3. 4. 8 noch sonst ira Alten Testament kommt von einem 
Pricstorhim der Erstgeborenen eine Spur vor. Vgl, CompoB, des Hex«- 
teiicli3 189'J p. 177 s. 




Die Priefiler und l.ei 



1191 



jedenfalls nicht daraus, dass Aliaron auf ileii l^chiiltcrn Levis toi 
die Höhe gestiegen, sondern daraus, dass I^evi an Aharon herauf- 1 
geranlit ist, desisen Priestertum durchaus als das Prius gilt'), 

Nuu )iat sich der Prophet Kzeclitel in dem Plan des neuen | 
Jerusalem, welchen er im Jahr 573 entwarf, auch mit der Neu- 
gestaltung der Verhältnisse des Tempel personal» beschäftigt und | 
er aigt in dieser Beziehung 44, 6 — 16; „So spricht der Herr j 
Jahve. Lasst es genug sein all eurer Greuel, Haua Israel! 
dass ihr Ausländer, unheschnittencn Herzens und unbeschDitteuen 
Fleisches, habt eiugehn lassen zu sein in meinem Heiligtum, es za j 
entweihen, wenn ihr mein Brot, das Fett unii Blut, darbrachtet, 
und habt meinen Bund gebrochen') durch all eure Greuel und J 
meinen heiligen Dienst nicht gewahrt, indem ihr jene') zu Be- 1 
sorgern meines Dienstes in meinem Heiligtum gemacht habt. \ 
Darum") spricht der Herr Jahve also: kein Ausländer, nnba- I 
schnittenen Herzens und uubeschnittenen Fleist^hes, soll in mein ] 
Heiligtum hineinkommen, keiner von allen, welche unter ( 
Kindern Israels leben, sondern die Leviten, welche sich entfernt 
haben von mir, da Israel von mir abirrte hinter seinen Götzen her, 
die sollen ihre Schuld büssen, und sollen in meinem Heiligtum 
Handlanger sein, Wachen an den Toren des Hauses und Diener 
des Hauses, sie sollen das Brandopfer schlachten und das Dankopfer 
den Leuten und vor ilinen stehn sie zu bedienen. AVeil sie ihnen 
gedient haben vor ihren Götzen und dem Hause Israel ein Anstosa 
zur Hunde geworden sind, dämm erhebe ich meine Hand gegea 

') Ea bpstehl alli'rdin^'!; biiiKi<^litlicli diT AiifriiHaiiug dts ^'crhaltuisses lon 
Abaronideii und Leviti?n ein l'nterschied zwischen den primireu nnd 
den sekundären Bcstnndlteilen des l'riesterkodcs, wie Kuenen tu Num. 
16— IS gezeigt hat, Nach der Gnindächrift herrscht nwiachun Ahorou 
und Levi du beste Eitiveruehmen in der moBsischen Zeit: über dem 
Unlerschiede wird die ZussinineD^ehürigkeit uicbl ühereeben, eine n 
cesprocheno Sympathie mit den Leviten ^lit sich kund. So ausser ._ 
Num. IG. 17 auch in Nuni. 18. Sehr hemehnend ist es, dass die so 1 
drohende Äussenmg Ezechids über die I.eviL'u (Ez. U, IT) in Num. 18, S3 
zwar wifdfrhiilt nirti, ^iIht mit fi}l.rl.'i.riiiij; i'iin's (rauü anderen, barm- 
Icwn ^^iriiiMS. lii ,|..„ M-niiidrinii Sduk.u d... l'ne.-lerkodex wird diu 
Kliifl y.ni.si'hoi] i'liru,-. iiiriinv iinil iniiinr i\''it -tiiiki'r liptuut, die Leviten 

wenieu niriyliili.'.t li.Tal.;;iilriiiki. Sn m Ni ;J. 4. 8 und besonders 

i'h.-irnkti'ri.',tLiit'h itj di'u KitiHi bribvu iu <i,ir Krzalihtng Num 16. Die 
bilTeri'iii besteht aJlerdingH weniger in der Sache, als in der Stimmung. 
Trotidvin ilurf sie nicht übcräelien werden. \gL Compos. des Hexk- 



») Fi 



[■. ;-t43. 
ns'i V. 7 1. nsni. für poiB'ni \. s oictpnii für gdS « 

.lll's iindi lict ^epttja^Liita. 



p=^ 



120 Gwchichte des Kultus, Kap, 4. 

BIO, spvitbt. ilor Herr .lahve, dass sie ilirc ScliiiM büsseii »oUei 
sie sollen sich mir nicht n»hen, mir zu priestern und all meinem 
Heiligen zu nahen, sondern ihre -Schande und Greuel biissen, die 
sie verübt haben; un<l icli will sie zu Besorgertl des Hausdienstes 
macheu, aller Arbeit daran und alles dessen, was durin £n g^ 
schehen hat. Aber die Priester, die Leviten Söhne Öadolts, welche 
den Uienst meines Heiliy;tums gewahrt haben in der Zeit da die 
Kinder Israel von mir abirrten, die sollen zu mir nahen mich zu 
bedienen und sollen vor mir stehn, mir Fett und Blut darzn- 
bringen, spricht der Herr Jahve; sie sollen eiuf^ehn in mein Heilig- 
tum und treten an meinen Tisch, mich zu bedienen, und sollen 
meinen Dienst bewahren." 

Hieraus ist zweierlei zn lernen. Einmal, dass die systematische 
Absperrung des Heiligen vor profaner Berührung nicht von jeher 
bestand, dass man im salomonischen Tempel sogar Heiden, wahr- 
scheinlich Kriegs};efangeue, zu den Hierodulendiensten verwendete, 
welche nach dem Gesetz die Leviten hätten verrichten müssen 
und später auch wirklich verrichteten. Freilich hält Ezechiel diese 
Sitt« für einen abscheulichen Misbrauch; man könnte sie also für 
einen l'ngehoraam ausgeben, den die jerusalemischen Priester gegen 
ihre eigenen Forderungen sieh zu schulden kommen Hessen, und 
wüMe es dadurch vermeiden, sie dei- Unbekanntschaft mit ihrem 
Gesetz zu zeihen. Dahing^en schliesst eine zweite Tatsache, die 
aus unserer Stelle erhellt, das Vorhandensein des Priesterkodex fiir 
Ezechiel und seine Zeit zweifellos aus. An die Stelle der heid- 
nischen Tempelsklaven sollen künftig die Leviten treten. Bisher 
besassen diese das Priestertum, und zwar nicht zufolge eigen- 
mächtiger Anmaassung, sondern vermöge ihres guten liechtos. 
Denn es ist keine blosse Zurückweisung in die l^chrankeu ihres 
Standes, weim sie nicht mehr Priester, sondern Tempeldiener sein 
sollen, keine Herst^illung eines Status quo ante, dessen Befugnisse 
sie ungesetzlicher Weise ülmrscliritten Jiaben, sondern ausgesprochener 
maassen eine Degradation, eine Entziehung ihres Rechtes, welche 
als eine Strafe erscheint und als verdiente gerechtfertigt werden 
muss: sie sollen ihre Schuld büssen. Sie haben ihr Priester- 
tum dadurch verwirkt, dass sie es misbraucht haben, um dem 
Kultus der Höhen vorzustehn, der dem Propheten als Götzendienst 
gilt und ihm in tiefster Seele verhasst ist. Natürlich sind die- 
jenigen Leviten von der Strafe ausgenommen, welche an der legalei 




Die PripstiT iinii Leviten. 



121 



I Stelle amtirt haben; das siml die I.oviten dio Söhne Sadoks 
an Jerusalem, wekhe nun einzig Priester bleiben und über ihre 
! bisherigen Standesgeiiosseu, mit denen sie Ezechiel noch unter dem 
I selben Gemeinnamen ztisammsnl'asst, emporrticken, indem diese zu 
[ ihren Uundlangern und Hierodalen erniedrigt werden. 

St eine wunderliche Gerechtigkeit, dasa die Priester der 
I altgeschafften Bamoth dafür bestraft werden, dtiss sie Priester der 
»hgosuhaffteu Bamoth gewesen sind, und umgekehi-t die Priester 
des jerusalemischen Tempels dafür belohnt, dass sie Priester des 
Tempels gewesen sind: die Schuld jener und das Verdienst dieser 
I besieht in ihrer Existenz. Mit anderen Worten hüngt Ezechiel 
f bloas der Logik der Tatsachen einen moralischen Mantel um. Aus 
der Abschalfnng der volksttimlichen Heiligtümer in der Provinz zu 
I guusten des königlichen von Jerusalem folgte mit Notwendigkeit 
r die Absetzung der provinzialen Priesterschaften au gunstcn der 
[Söhne Sadoks am Tempel Salamos. Zwar will der Urheber der 
I Ceninlisimng, der dcntei'onomische Gesetzgeber, dieser Konsequenz 
I vorbeugen, indem er auch den aoswärtigen Leviten das Recht gibt 
[ in Jerusalem zn opfern so gnt wie ihre dort erbgesessenen Brüder; 
[ »her es war nicht möglich in dieser Weise das Schicksal der 
[ Priester von dem ihrer Altäre zu trennen. Die Söhne Sadoks 
I lieesen es sich wol gefallen, dass in ihrem Tempel alle Opfer sich 
[vereinigten, aber dass sie ihr Erbe nun mit der Priest erechaft der 
[Höhen teilen sollten, leuchtete ihnen nicht ein und es wnrde nicht 
t durchgesetzt (2. lieg. 23, 9). Für diese Abweichung vom Gesetz 
I findet Ezechiel einen moralischen Ansdruck, der indes die Tatsache 
[ Dicht motivirt, sondern imr umschreibt. 

der Grundlagu des Deuteronomiums aus ist es leicht 
[ nögUuh, die Verordnung Ezechiels zu veretehn, von der Gründ- 
linge des Friesterkodex aus ist es ganz und gar unmöglich. Waa 
r als das nrsprüngliche Recht der Leviten betrachtet, <len Priester- 
t dienst zu verrichten, betrachtet dieser als eine bodenlose und höchst 
■tige Anmaassung, die einmal in der Urzeit dei- Rotte Korah 
•ien Unteig:ang brachte; was jener als nachträgliche Entziehung 
Blhres Rechtes, als Degradirung zur Strafe einer Schuld ansieht, 
[neht dieser als ihre erbliche Naturbestimmung an. Der Unterschied 
wischen Priester nnd Levit, den Ezechiel als eine Neuerung ein- 
fährt und rechtfertigt, besteht nach dem Priesterkodex seil ewigen 
eiten; wag dort als Anfang erscheint, ist hier seit Moses immer 



122 Geschichte ricK KultiiR, Kap. 4. 

SO gowcsoii, ein fiegebeiios, nichts Gemachtes oder fieword«! 
Hinsidittich diesus Punktes herrscht das eellie Verhältnis Kvist^hen 
Ezochiol und dem Priesterkodex, wie scwischen dem Deuterono- 
miiim und dem Priestorkodex hinsiditlich der Centralisation des 
Kiiltua, ])ass nun der Prophet vom priesterlichen Gesetz, mit 
dessen Tendenzen er von Heraen übereinstimmt, nichts weiss, 
kann nnr daher kommen, dass es nicht vorhanden war. Seine 
eigenen Verordnungen sind nur als Vorstufe desselben zu verstehn. 

2. Nöldeke jedoch deutet den Vei^leich der Söhne Aharons 
mit den Söhnen Sadoks zu ;runsten der Priorität des Priester- 
kodex, der doch noch nicht ganz so exklusiv sei wie Ezßchiel'). 
Er vorwirrt zwei verschiedene Dinge, das Verhältnis von Priestern 
und Leviten, und das Verhältnis von Sadok und Aliaron. Es 
handelt sich zunächst um den Unterschied von Priestern und 
l.eviten. Ezechiel muss ihn erst selber machen, der Priesterkodex 
setzt ihn als längst gegeben voraus. Daraus erhellt mit grösötor 
Deutlichkeit die Priorität Ezechiels. Diivon unabhängig ist die 
Frage, wie es gekommen ist, das im Priesterkodex Sadok durch 
Aharon ersetzt wii'd. Die näcliato Antwort ist offenbar die, daüS 
Sadok für die mosaische Zeit nicht zu gebrauchen war, weil er 
ei-st unter Salomo lebte. Wie die Stiftshntte an .Stelle dos jeru- 
salemischen Central heiligtums trat, so musste Aharon an Stelle dos 
salomonischen Priesters treten. Nicht ausgeschlossen ist es aller- 
dings, vielmehr höchst wahrscheinlich, dass niclit bloss ein nomineller 
und scheinbarer, sondern auch ein wirklicher Unterschied statl- 
lindet, duss die Söhne Ahiirons nicht bloss die .Söhne Sadoks um- 
lassen. Es gelang manchen alten Leviten nach dem Eul, ihr 
Priestertum zu behaupten, das sie nach Ezechiel verwirkt hatten. 
Der Priestorkodex träf;t dem Heclinung; der Name Aharon gewährt 
ihm das Mittel, diese uichtjernsalemischeu Priester mit den alten 
Jernsale mischen zusammenzufassen und sie dadurch zu legitimiren. 

In Wahrheit ist es gerade ein Beweis der nachcxilischen Ab- 
fassung des Priestorkodex, dass er die Priester des CentralheiUg- 
tums — das sind auch nach dem traditionollen Verständnis (2. Chr. 
13, 10), direkt oder indirekt, die jerusalemischen — zu Söhnen 
Aharons macht und dadurch ihi-en Ursprung bis zur Stiftung der 

') Jalirlih. tSr Prut. Th. 1875 |i. 351: ,Dass er die AaronWoii «IImu als 
»ahre Priester Itetrnclitel, hat seia Uegenbild im Eiechiel, welcher n""'" 
yivi uikliisivcr bloss üie Söhne Sidoks als Priester anerteuiiL* 




I I.evilcn. 



123 i 



^Theok ratio liinaiiffülirt. Denn diese Meinung konnte vor dem Exil I 
nicht gewagt werden. Dumala war es zu wol bekannt, dass das | 
Priestertnm des jenisalemisdieu Geschlechts sich nicht über die | 
Zeit Davids verfolgen Hess, sondern erst von Sadok dalirte, der J 
, unter Salomo die erbberechtigte Familiü Eli aus der Stellung vor- 
drängte, welche dieselbe schon seit lauge, ctrst zu Silo und zu Noh, 1 
und dann zu Jernsalem an dem jeweils hervorragendsten Heilig- i 
tnme Israels eingenommen hatte. In einer deuteronomisch go- 
I Hu-bten Stelle, die nicht lange vor dem Exil gest^iirieben sein kann,, 
> lieiast es in einer Weissagung an Eli aber den Sturz seines Hauses 
[ dun^h Sadok: „Ich habe zwar gesagt, spiicht Jahve der (lott 1 
[ Israels, dein und deinem Vaters llaus sollen vor mir wandeln in | 
I liSffigkeit, aber jetzt sage ich: das sei ferne vou mir, denn die mich 
BD, die ehre ich, und meine Verächter wei'den zu schänden — 
[ siehe es kommen Tage, da zerechmettere ich deinen und deines 
Gcschlechtcis Arm, und erwecke mir einen verlässigen IViestcr, der 
L nach meinem Herzen handelt, und baue ihm ei» verlässiges Haus, 
[ dasB or vor meinem Könige wandeln soll immerdjir" (I. Sam. 2, 
I 27 — 3ß). Also ist Elia Haus und Vaterhaus das in Ägypten er- 
I wählt« rechtmässige Pricstergcsciilecht; gegen das Erbrecht und 
I gegen die Verheissung ewigen Bestandes wird es abgesetzt, weil 
r die Oerechtigkeit vorgebt. Der an die Stelle tretende verlässigo 
[ Priester ist Sadok, nicht bloss weil es 1. Reg. 2, 27 auadrilcklich 
Igt wird, sondern auch weil kein anderer als er das verlässige 
I Haus gehabt hat und als Ahn und Inhaber desselben vor deu 
I jüdischen Königen gewandelt ist alle Zeit. Dieser Sadok gehöi't 
} also weder dem Hause noch dem Vaterhause Elis an, sein Priester- 
[ tarn reicht nicht bis in die Stiftuugsacit der Theokratie und ist 
I Icein im eigentlichen Sinne legitimes; er hat es vielmehr erlangt 
[ dnrch den Brnch d&s gewissermaassen verfassungsmässigen Privilegs, 
I für das kein weiterer Erbe existirte als Elis Familie und Geschlecht. 
[ Man sieht, er gilt nicht als Mittelglied der Linie Aharons, sondern 
[ als der Anfänger einer absolut neuen Linie; die jernsulemischen 
I.Priester, deren Älinhen* er ist, sind Emporkönmüiuge aus dem 
1 Anfange der königlichen Zeit, mit denen das alte mosaische Sacer- 
[ dotinm nicht fortgesetzt wird, sondern abbricht. Wenn dieselben 
[nun im Priesterkodex Söhne Aharons heis.son, mindestens unter 
l'den Söhnen Aharons mit einhegrlffou sind, denen sie in Wahrheit 
■aar entgegengesetzt werden können, so ist dns ein sicheres Merk- 



124 



(lesvhicbte des Kultus, Kap, i. 



mal, (Ihss die I'äden der Tradition aus der vorexilischen Zoit 1 
voltküsimcn abgerissen sind, was in Kzecliiels Tagen noih nicht 
der Fall war'). 

Das hiemit dai^elegt« Verliältnia der priest«r!iclien Gesetz- 
gelmn^ za Ezocliiol ^ilit nun Ziel and Rii^htimg für die folgende 
Eutwicktang an, in welcher der Vereuch gemacht wird, die oinzelue 
Erechcinung in ihren uligemeinen Zusammenhang zu stellen. 



1. Die Absonderung eines ganzen geistlichen 5)tanunes niis 
dem übrigen Volk und der schroffe Hanganterschied innerhalb der 
Klassen desselben setzen einen gewaltigen Apparat des Knitus vor- 
aus. In der Tat sind nach der Darstellung des Priesterkodex die 
Israeliten von Anfang an als Ilierokratie organisirt gewesen, mit 
dem Klorus als Skelett, dem Hohenpriester als Haupt und der 
Stiflshütte als Herz. Aber so plötzlich wie diese Hierokratie aus- 
gebildet vom Himmel in die Wflste berabgefahron ist, so plötzlich 
ist sie im Lande Kanaan spurlos wieder verschwunden. AVie weg- 
geblasen sind, in der Zeit iler Richter, Priester und Leviten mit- 
samt der „Gemeinde der Kinder Israel", welche sich um jene 
achai-t; kaum ein Volk Israel gibt es, nur einzelne Stämme, die 
sich nicht einmal zu den dringendsten Notsachen vereinigen, ge- 
schweige denn auf gemeinsame Kosten ein nach Tausenden zählendes 
Kultufipersonal mit Weib und Kind unterhalte«. Statt der Kirchen- 
geschichte des Hexateuchs set^t mit einem mal im Bach der 
Richter die Weltgeacbtchte ein, der geistliche Charakter ist völlig 
abgestreift. Der Hohepriester, nach der Absicht des Priesterkodex 
die centrale Obrigkeit von Gottes Gnaden, mag sehen wo er bleibt; 
denn die wirklich eingreifenden Volkshaupter sind «He Richter, 
Leute von ganz anderem Schlage, nicht gestützt auf ein Amt, 
sondern auf ihre Person und das Bedürfnis der I^mstäude, selten 
über die Grenzen ihres Stammes hinaus von Einfluss. l'nd offenbar 
sehen wir hier nicht die traurigen Reste einer einst unter Moses 



') In der Chronik wird, lun iIgs Pentftteuchs willen, durch künstliche Üe- 
ne&Io^en oachgewieaen, wie sieh die Söhne Sadoks in ununterbrochener 
Va}f:e von Aiiarnu und Elearnr ableiten. Die Sacht ist xuerst entdeckt 
von Vatke p. 3U s., sodann von Kueiien, Th. Tijdschr. 111 463—509, m- 
kt(t von mir, Text der Bb. Sam. p. 48—51. 




Die IVi 



125 



Josua vorliaDdeneii, üatiii über toUl zerfallenen kirchlich- 
politischen OriiiiuuE, sondern die eisten Anfäuge staatlicher Autorität, 
die sich »eiter uLd weiter entwickelnd schliesslich zum Königtum 
gefuhrt haben. 

Im Kern des Kicliterbuohes Juil. 3 — 17 kommt nirgends ein« I 
, Person vor, die den Kultus al» Profession beti'eibt. Zweimal wird \ 
ein Opfer dargebracht, von Gideon und Hauoah; ein Priester gilt 
dabei nicht für nötig. In einer Olosse zu 1. 8am. (i, 13s. macht 
, sich die Divergenz der späteren Sitte Luft, Als die I^de Jahvets 
auf einem Knhwageu aus ihrem philisthäischen Exil zurückkehrte, 
blieb sie in der Feldmark von Bethsemes bei dem grossen Steine 
stebn; die Einwohner des Ortes aber, die eben bei der Weizen- 
ernte waren, spalteten das Holz dos Wagens und verbrannten die 
Kühe auf ilem Stein. Nachdem sie nun fertig sind, kommen v. 15 
die Leviten im Plusquamperfektum und tun als ob nichts geschehen 
wäre, heben die Lade von dem gar niclit mehr vorhandenen Wagen 
I und setzen sie auf den Stein, auf dem bereits das Opfer brennt: 
natfirli'ch nur um das Gesetz zu erfiilleu, dessen Aiiforderuugen, 
die arsprüii gliche Erzählung ignorirt. Ehe nicht der Kultus einiger- 
' massen centralisirt ist, haben die Priester keinen Boden. Denn 

venn jeder für sich und sein Haus opfert, an einem Altar, den ' 
1 er wo möglich für das augenblickliche Bedürfnis improvisirt, woza 
) braucht es solcher Leute, deren Geschäft und Begrilf es ist, für 
I andere zn opfern? Wenn sie also in der frühesten Periode der 
I israelitischen Geschichte so wenig von sich merken lassen, so hängt 
i da» damit zusammen, ilass es noch wenige grosse Heiligtümer gibt. 
I Sobald dagegen solche auftauchen, finden sich auch die Priester 
ein. Su Eli und seine Söhne bei dem alten Gotteshanse des 
Stammes Ephraim zu Silo. Eli nimmt eine sehr angesehene Stellung 
ein, seine beiden Sohne werden als übeimülige Menschen geschildert, 
die nicht direkt, sondern dui'ch einen Diener mit den Opfernden 
verkehren und ihren Pfücbteii gegen Jahve mit vornehmer Läas^- 
Iteit nachkommen. Das Amt ist ei-blich, die Priesterachaft schon,] 
zahlreich. Wenigstens zur Zeit Sauls, nachdem sie von Silo, 
wegen der Zerstörung des dortigen Tempels durch die Philister, 
nach NoI) übergesiedelt war. zählte sie über fünfundachtzig Männer, i 
die iudesssen nicht gerade lauter Blutsverwandte Elis gewesen zu J 
I sein brauchen, wenn sie sich auch zn dessen Geschlechte rechneten j 



Gfschichtc des Kultus, Kap. 4. 

1. 8am. 22, II '). Noch eio anderes Heiligtum wird gegen Ausgang 
der Richterperiode erwähnt, das üq l)au an der Quelle des Jordans. 
Ein reicher Ephrainiit, Miclia, hatte dem Jalive ein silberüber- 
zogeues liild gestiftet und dii^elbe in einem ilini gehörigen tiottes- 
hutise aufgerichtet. Zunäclist stellte er eiueti i>eiuer Btihne dabei 
als Priester an, darauf den Jonathan ben Ueison beu Mose, einen 
iieimatiusen Le^-iteii von Bethlehem Juda, den er sich glücklich 
schätzte gegen ein Jahrgeld von zehn Silberlingeu nebst Kleidung 
und Unterhalt festzuhalten. Als jedoch die Daniten dnrch die 
Philister gedrangt aus ihren alten Sitzen aufbrachen, um sich im 
Norden an den Abhängen des Hermon eine neue Heimat zu gründen, 
raubten sie unterwegs das Gottesbild und den Priester Michas; 
veranlagst durch ihre Kumischafter, welche vordem bei Micha ge- 
herbergt und dort ein Orakel eingeholt hatten. Ho kain Jonathan 
nach Dan und wurde der Begründer des Geschlechtes, welches bei 
dieser späterhin so wichtigen Kultusstätte bis zur Fortführung der 
Daniten in die assyrische Gefangenschaft das Priestertum inne 
hatte (Jud. 17. 18). Seine Stellung erscheint sehr verschieden von 
der des Eli. Nur darin heri-sclit Gleichheit, dass sie beide Erb- 
priester, 8. g. Leviten sind und sich vom Geschlechte Moses ab- 
leiten: darüber wird unten des näheren zu reden sein. Während 
aber Eli ein vornehmer Mann ist, vielleicht der Hesitzer des 
Heiligtums, jedenfalls ganz unabhängig und das Haupt eines grossen 
Hauses, ist Jonathan ein einsamer fahrender Levit, der bei dem 
Eigentümer eines Gotteshauses gegen Kost und Lohn in Dienst 
tritt, von diesem seinem Brotherrn zwar wie ein Sohn gehalten, 
von den Daniten aber keineswegs mit sonderlicher Hochachtung 
behandelt wird'). 

Der letztere Fall stellt vermutlich eher die Regel dar als der 
erste. Ein selbständiges und angesehenes Priestertum konnte sich 
nur an grösseren und olfentlicheu KnltusstÜtten ausbilden, die zu 
Milo scheint aber die einzige dieser Art gewesen zu sein. Die 
übrigen Gotteshäuser, von denen wir aus der Übergangsperiode zur 
Königszeit hören, sind nicht bedeutend und befinden sich in Privat- 

') Freilich ist 1. Sam. 1 n. nur immer vou Eli und sdnüu xwci Sütiuen uud 
vou ciucm Kuecbt die Rede; uud iiocli Daviil uuil ^jülouio S(.'h«iu«U aui 
dem Haupttemper nur eüieu oder xwei Prieater ^liabt lu haben. Sollt« 
Iiueg füufuudachlzig Mäuoer allelne halen hiuricliteu köoneu? 

^ Genauer iat der Sachverhalt dargelegt in der Comp, dea Hexat. 18ft9 




Die Priester " 



127 



I besitz, entapreclien also dem des Micha iiuf dem Gebirge Ephraim. , 
' Das zu Oplira gehört dem Gideun utid das zu Kiriathjearim dem 
, Abinadab. Namentlich scheint es, dass Micha, indem er für Geld , 
einen Diener des Heiligtums anstellt, einer allgemeineren Sitte ge- , 
' folgt ist. Weil er anstellen will, steht im Belieben des Eigen- , 
' tümera; hat er sonst niemand, so beauftragt er einen seiner Höhne 
(Jud. IT, 5. 1. Harn. 7, 1): von einem character indelebilis ist dabei 
natü^Iil^h nicht die Kede, wie man aus dem ersteren Beispiel er- 
' sehen kann, wo Michas Sohn nach kurzer Frist vum Dienst zurück- 
I tritt. David, als er die Lade überführte, vertraute sie zunächst 
1 dem Baase Obededoms an und macht« dieseu seinen Bauptmann 
einen Philister aus Gath, zu ihrem Wächter. Ein Berufspriester, 
T ein I^vit, bt nach Jud. 17, ID für ein gewöhnliches Heiligtum eine 
[ grosse Seltenheit. Auch zu Silo, wo übrigens die Verhältnisse 
ausserordeutlicli sind, ist daü Privilegium der Söhne Elis nicht ex- 
klusiv; Samuel, der nicht zur Familie gehörte, wird doch zum 
Priester angenommen. Der Dienst, wozu man einen ständigen 
Beamten nötig Iiattß, war nicht das Opfern; das geschah nicht so 
regelmässig, dass man es nicht auch selber hätte besorgen können. 
Für einen einfachen Altar bedarf es keines Priesters, sondern nur 
für ein Haus, worin ein Guttcsbild befindlich ist'); dieses musa 
bewacht und bedient werdou (1. Sam, T, 1) — ein Ephod wie das 
Gideons oder Michas (Jud. 8, 2(3 s. 17, 4} war in der Tat sehr 
L stehlenswert und die Gotteshäuser lagen gewöhnlich frei (Exod. 33, 7). 
E^ocb in späterer Zeit sind von daher die Ausdrücke ~\ütff und H'^tf' 
r för den heiligen Dienst beibehalten worden, und während jeder- 
mann za opfern vei-steht, ist die Kunst, mit dem Ephod umzugehn 
nnd ihm Orakel zu entlocken, von jeher nur das fieheininis des 
Priesters. Ausnahmsweise ist bisweilen der Wärter nicht der 
■ Priester selber, sondern sein Lehrling, der die Anwartschaft hat. 
ESo bat Moses den Josuu als seinen Aedituus neben sich (Sd, 11 
I Vgl. 1. Sara, 2, 11), der nicht aus dem Zelte Jalivcs weicht, so 
f'feraer Eli den Samuel, der nachts im Innern des Tempels bei der 
■Sandeslade schläft: wenn auch die Jagendgeschichte Samuels den 
Bivirklicheu Verhältnissen ku Silo vielleicht nicht ganz gerecht wird, 
[ao reicht sie doch jedenfalls zur Bezeugung anderweit vor- 

') DinV« n^a fiotle-sliniis isl nie 
Bildes. Ephud ist uusserliulli üea 
Bnd das PrieNterkUid. 



Oi'scbichti' df9 Kultus, Kap. 4. 

luiiiiencr Sitte vollkommen aus. Man vergieiL-lie mit diesen ein- 
fachen Zuständen, dass im Priesterkodex den Söhnen Aharüßs etwa 
die Hälfte von 22000 Leviten als Wächter und Diener des Heilig- 
tums zur Seile stehn. 

Schlachteu und opfern daif jedennann (1. iSam. 14, 34s.), und 
aucli da wo Priester vorhantlen sind, lat von syatematisiher Ab- 
sonderung {(es Heiligen und von einer Scheu es zu berühren nichts 
zu spüren. Wenn David ^in das Haua Gottes eingeht und die 
Srhanbrote isst, weiche nur die Priester essen dürfen, und seinen 
Leuten davon gibt" (Marc. 2, '2G), so gilt dies l.Sam. 21 in dem 
Falle gar nicht für unerlaubt, dasa die Essenden geheiligt sind, 
d. h. sich Tags zuvor von Weibern enthalten haben. Verfolgte 
Flüchtlinge erfassen das Hörn des Altars, ohne dass dies als Pro- 
fanirung desselben gilt. Ein Weib, wie die Hanna, tritt vor Jahve, 
d. h, vor den Altar, um zu beten; die von der Septuaginta ge- 
gebenen Worte " ■'Js'? Ü'PPI (1. Sam. 1, 9) sind für den Zusammen- 
hiuig notwendig und vom masoretischen Text als anstössig ausge- 
lassen. Sie wird dabei von dem Priester beobachtet, der wie er 
pflegt gemütlich in der Tempeltür auf seinem Stuhle sitzt. Nament- 
lich die Geschichte der Lade, wie Vatke (p. 317. 332) mit Recht 
bemerki, bietet mehrfache Beläge dafür, dass der Begriff der Un- 
nahbarkeit des Heiligen unbekannt war; ich will nur den auf- 
fallendsten hervorheben. Samuel der Ephraimit schläft von Amts 
wegen Jede Nacht bei der Lade Jahves, wohin nach Lev. 16 nur 
einmal im Jahi' der Hohepriester eiugohn darf und auch er nicht 
anders als nach der strengsten Vorbereitung und unter den ceremo- 
niösesten Sühngebräuchen, Der Widerspruch der Empfinduiigs- 
weise ist so gross, dass ihn noch niemand sich klar üu machen 
gewagt hat. 

2. Mit der beginnenden Königszeit treten alsbald auch Jie 
Priester, im Anschluss an die Könige, stärker hervor; die Steige- 
rung der ( 'entralisation und der öfTentlichkeit des Lebens macht 
sich auch auf dem Gebiete des Kultus bemerklich. Im Anfange 
der Regierung Sauls finden wir die angesehene ephraimitische 
Priesterschaft, das Haus Elis, nicht mehr in Silo, sondern zu Nob, 
in der Nähe des Königs, und gewissermaasseu im Bunde mit ihm; 
denn ihr Haupt, der Priester Ahia. ist gleich bei der ersten Schild- 
erhebung gegen die Philister in seiner nächsten Umgebung, teilt mit 
ihm die Gefuhr und befragt für ihn das Ephod. Hinterher trübt 




Die Piiesler uml Levileii, 



129 



weh (ias Einvernehmen, Ahia und seine Brüiier fielen iler Eifer- 
l'BQcht des Köni;^ zum Opfer, und damit wurde dem einzigen An- 
l'Batz eines selbständigen Priestertunis vim Bedeutung, welcher sich 
rin der alten israelitischen Gescbidite findet, für immer ein Ende 
rgemacht. Abiathur, der allein dem Blutbad von Nob (1. Sam. 22) 
l«ntkam, üoh mit dem Ephod zu David, er gelangte zum Dank 
1 dafür später zu hohen Ehren, aber alles was er geworden ist, 
fwurde er als Diener Davids, Unter David begaun das königliche 
rFriestertum sich zu der Bedeutung zu entwii^keln, die es fortab 
[.behalten hat. Er verfügte mit voller Freiheit wie über das Heilig- 
I lum der Ijtde, welches in seiner Burg stand, so über die Eiu- 
I.Betzung der Priester, welche lediglich seine Beauftragten waren. 
l'Meben Abiathar stellte er den Sadok (später noch den Ira) neu 
I an, ausserdem auch einzelne seiner 8öhiie. Denn wenn ei^ 2. 8am. 
|8, 18 heisst die Söhne Davids waren Priester, so dürfen 
fdiese Worte nicht dem Fentateuch zu liebe anders gedreht werden 
I «Is wie sie lauten. Audi den Solni des Propheten Nathan treffen 
ISirir 1. Reg. 4, f) als Priester, uingekelirt dagegen den des Sadok in 
[einem hohen weltlicliori Amte (v. 2); die spätere Grenze zwischen 
l'lleiligen und niclitheiligen Personen existirte eben noch nicht. 
f '^Vas unter Da\'id der Institution des königlichen Kultus und der 
J königlichen Priester noch fehlte, ein fester Mittelpunkt, kam durch 
[ den Tcmpelbau seines Nachfolgere hinzu. Zu Anfang der Regierung 
I Salomos gab es noch keine, grösseren Bedürfnissen genügende, 
I israelitische Opferstätte; er war gezwungen, seinen Antritt auf 
[ der grossen Bama zu Uibeou m feiern, einer damals noch ganz 
1 kanaanitischen wenn auch schon länger unterworfenen Stadt in 
I der Nälie Jerusalems. Jetzt sorgte er dafür, dass seine ungeheuren 
BTeste auch in seinem eigenen Heiligtum gefeiert werden konnten. 
I Er iDttclite daran den Sadok zum Priester, nachdem er bereits 
L früher den greisen Abiathai', der aus vornehmem und echtem 
I Priesterblute entspros.sen war, wegen seiner Parteinahme für ileii 
I rechtmäasigen Thronfolger abgesetzt und auf sein Landgnt na(.'h 
LAnathoth, einem Dorfe bei der Hauptstadt, verbannt hatte, damit 
I 1. Sam. 2 angedrohte Geschick der einst so stolzen und mäch- 
ttigeu Familie Elis erfüllend. 

Wenn diese ersten Könige, ganz ebenso wie es in dem kTa9- 
Inschen Beispiel Jud. 17. 18 Micha tut, ihre Heiligtümer als ihr 
T Privateigentum betrachten und in der Ein- und Absetzung der 



Gesehichle des Kultus, Ksp. 4. 

LScnniten daran gnnz uiiumsdi rankt veiTalireii, so si'lieuen »le sich 
niitüi'lidi auch nicht, selber die Rechte auszuüben, die von ihnen 
ausflössen und auf andere übertragen wurden. Von Saal, der 
freilich noch alles selber und wenig durch andere tat, wird raelir- 
fach gemeldet, dass er in eigener Person geopfert liabe^ und «s 
ist deutlich, dass ihm das 1. Sam. 14 und Kap. 15 nicht zum 
Voi-wnrf gemacht wird. David opferte, als er die Lade glücklich 
nach Jei'usalem heraufgeholt hatte; dass er dabei selbst fungirte, 
geht daraus hervor, dass er den linnenen Priesterrock trug, das 
Ephüd Bad, und dass er nach vollbrachtem Opfer den Segen 
sprach (2. Sain. 6, 14. 18). Nicht minder vollzog Salomo selber 
die Einweihung des Tempels, er trat vor den Altar und beteti) 
dort auf den Knieeu mit ausgestreckten Armen, dann erhob or 
sieh und segnete das Volk (1. Reg. 8, 22, 54. 55); ohne Zweifel 
wiril er auch eigenhändig das erste Opfer dargebracht liaben. Nur 
zur Befragung des Orakels vor dem Ephod ist die Technik des 
Priesters nötig (1. Sam. 14, 18). 

3. Die Geschichte des Priestertums nach der Teilung des 
Reichs ist die Fortsetzung dieser Anfänge. Jerobeain I., der Be- 
gründer des israelitischen Reichs, gilt dem Geschichtsschreiber auch 
als der Begründet' des israelitischen Kultuswesens, sofern dieses 
sich von dem judäischen Ideal unterechied ; „er machte die beiden 
goldenen Kälber und stellte sie auf zu Bethcl und zu Dan, er 
machte die Damothhänser und stellte Priester mitten aus dem 
Volke an, die nicht zu den Sölmen Levis gehörten und feiert« Fest 
im achten Monat und stieg auf den Altjir um zu räuchern" 
(1. Reg. 12, 28ss. 13, 33). Hier wird zwar in der bekannten 
Weise der frommen Pragmatik dem <)euteronomischeu Gesetze, das 
erst dreihundert Jahre später in Geltung kam, rückwirkende Kraft 
verliehen un<l also nacJi einem historiscli unzulässigen Maassstabe 
geurteilt; auch werden die dem Urteil zu Grunde liegenden Fakta 
einesteils zu sehr verallgemeinert, andemteils zu ausschliesslich 
dem Jerobeam zur Lost gelegt. Der erste König trägt die Kultus- 
sünden aller seiner Nachfolger und des ganzen Volks. Aber die 
Allerkennung des souveränen Priestertums des llerrsi-hers, dos be- 
stimmenden Einflusses, den er anf den Knltus ausgeübt hat, ist 
richtig. Die bedeutendsten Tempel waren königlich und königlich 
auch die Priesterschaft daran (Arnos 7, 10 ss.). Als darum Jeliu 
das Haus Ahabs stürzte, da erwürgte er nicht bloss alle seine An- 




Die Pricuter und Leviten. 



131 



gehörigen, sondern mit seinen Beamten und Höflingen aach seine 
Priester; daa siod ebenfalls küoigliche Diener und Vertrauena- 
personen (2. Reg. 10, II. v^I. 1. R^. 4, 5). Die Angabe, dass die- 
selben nach Belieben von dem Könige ausgewählt wurden, winJ 
dahin zu verstehn sein, dass sie, wie in der Zeit Daviib und 
Salomos, SU auch später iteliebig ausgewählt werden konnten und 
F durften; denn tatgächliuh blieb wenigstens in Dan das heilige Amt 
K'JWit der Richterzeit bis zur assyrischen Gefangenschaft in der 
f Tamilie Jonatlians erblich. Ausserdem hat man sich gewiss nicht 
vorzustellen, dass sämtliclie Bamothliäuser und sämtliche Priester- 
stellen') königlich gewesen seien; so tief konnte die Regierung 
unmöglich in diese Angelegenheiten eingreifen. Öffentlich waren 
in dieser Periode wol die meisten Heiligtümer, aber darum nocli 
nicht königlich, und .so gab es ohne Zweifel auch zahlreiche 
Priester, die nicht königliche Diener waren. Dem Übergewicht 
Ldes officielleu Kultus und des ofHcielen Kultuspersonals stand ge- 
tlade im Nordreich der häufige Wechsel der Dynastien und der 
igebundene Partikulurismus der Stämme entgegen; die Verhält- 
werden sich sehr bunt und individuoll gestaltet, erliliche 
pd nichterbliche, unabhängig ausgestattete und arme Priester 
leben einander bestanden haben; die Verschiedenartigkeit und das 
F^Ieiche Reicht des Verschiedenartigen ist die Signatur der Zeit. 

Im allgemeinen aber hat sich die Priesterschaft gegen früher 
i.^tschieden gefestigt und wie an Zahl so auch au Einfluss nicht 
rvenig zugenommen; sie ist eine wichtige Macht im öffentlichen 
jeben geworden, ohne welche sich das Volk nicht mehr denken 
Auf grund der kurzen und unzulänglichen Notizen des 
KSuigsbuchs, welches vorzugsweise das ausserordentliche Eingreifen 
Propheten in den Gang der israelitischen Geschichte hervor- 
hebt, wäre es vielleicht etwas kühn dies zu behaupten, aber au- 
und authentischere Zeugnisse berechtigen dazu. Zuerst der 
■jBegen Moses, ein unabhängig für sich stehendes, nordisraelitischea 
Dokument. Daiin wird gesagt: „Deine Urim und Thommim ga- 
iBreu dem Manne deiner Freundschaft , den du erprobt hast zu 
. für ihn gestritten an den Wasseru von Meriba; der den 



1) Dar Paralielismus voq B&motbhiluseni uad Pri^teruisMliiug 1. Keg. 12,31 
scheint uiclit iurrilli^- zu sein. Wäliread dat^ Bama eiu einfacher Altar 
seil! kann, setzt ein Baioothliaus eiu öottesMId vorou» und macht einen 
.4cilituu3 nutweiidi^;. 



l^ 



Geschielite dn Kultus, Kap. 4. 

Vitter fremd iieunt imd zur Mutter spricht: idi habe »lieh nie ge- 
»elieu, und seine Brüder nicht kennt nnd um seine Kinder sich 
nicht kümmert — denn sie bewahren dein Wort und dein Gesetz 
leliüteu sie, sie lehren Jakob deine Rechte und Israel deine Wei- 
sungen, sie bringen Fettduft in deine Nase untl Vollopfer auf deinen 
Altar; segne, Jahve, seinen Wolglimd und lass dir seiner Hände 
Werk gefallen, zersfhmettre seinen Gegnern die Lenden und seinen 
Hassern, dass sie sich nicht erheben" (Deut. 33, 8 — 11). Die 
Prieitter erscheinen hier als ein fest geschlossener Stand, so sehr, 
dass sie nur ausnahmsweise als Plural auftreten, meist aber zu 
einem aingularischen Kollektivum zusammengefasst werden, zu einer 
organischen Einheit, die nicht bloss die gleichüeitigen, sondern 
auch die ascendirenden Glieder umfasst und ihr lieben mit Moses, 
dem Freunde Jahves, beginnt, welcher als Anfang ebenso mit 
der Fortsetzung z nsamuien fällt , wie das Kind mit dem Manne, 
zu dem es erwachsen ist. Die Geschichte Moses ist zugleich die 
Geschichte der Priester, die Uiim und Thnmmim gehören, man 
weiss nicht recht, ob jenem oder diesen, aber das ist das selbe; 
jeder Priester, dem die Hut eines Ephod anvertraut war, befragt 
vor demselben das heilige Los. Der erste auf Moses bezügliche 
Relativsatz geht ohne Subjektawechsel über in einen anf die Priester 
bezüglichen, darnach fällt der Singular unvermittelt in den Plural 
und der Plural zurück in den Singular. Jedoch beruht diese so 
sehr hervortretende Solidarität des Standes keineswegs auf der 
natürlichen Grundlage der Geschlechts- otler Pamilienelnheit; den 
Priester macht nicht das Blut, sondern im Gegenteil die Verieng- 
nung des Blutes, wie mit grossem Nat-hdruck betont wird. Er 
muss um Jahves willen tun, als habe er nicht Vater und Mutter, 
Bruder und Kinder. Indem mau sich dem Dienste Jahves widmet, 
das ist der Sinn, tritt man heraus aus den natürlichen Verhält- 
iiissen und reisst sich los von den Banden der Familie; es hat 
also mit der Brüderschaft der Priester in Nordisrael ganz ähnliche 
Bewandtnis wie mit den ebenfalls dort heimischen religiösen Gilden 
der Propheteiwöhne, der Rekabiten und wol auch der Naziräcr 
(Amos 2, 11 s.). Wer wollte (oder: wenn er wollte), den machte 
Jerobßiim zum Priester, drückt sich der deuteronomische Bearbeiter 
des Königsbuches aus (1. Reg. 13, 33). Ein historisches Beispiel 
dazu liefert der junge Samuel, wie er in der Jedenfalls auf ephrai- 
mitischen Zoständen der Königazeit fussenden Jugend geschichte 




Dia PrieNipr im<] i.e\ 



133 



. Swn- 1 — 3 ersulieint, Aue einer wolhabonrieii bürgerlichen Familie 
I KU Rama in <ler Landschaft Suph Ephraim gebürtig, ist er von 
t seiner Mutter schon vor der fiebuil dem Jahve versprochen 
1 (Hat. 3, 3]) und dann sobald es irgend möglich dem Heiligtnm 
Izu Silo übergeben, und zwar nicht etwa zum Naziräer oder 
|I4athinäer im Sinne des Pentateuchs, sondern zum Priester, denn 
f»ls n"^B"C trägt er den linnenen Priesterrock, das Ephod Bad und 
Ifogar d^ Pallium. Sehr deutlich erhellt dabei, dass es als eine 
f Verzicht leistung auf die Rechte der Familie betrachtet wird, wenn 
lilie Mutter den Knaben, der eigentlich ihr gehört, des Gelübdes 
Ivegen dem Heiligtum abtritt und ihn, wie sie sich ausdrückt, für 
■■immer dem Jahve leiht (1. Miim. 1, 28 ';sii2K' = 'jNB'lD). Dasa 

■ Samuel von seinen Eltern gewidmet wird und sich nicht selber 
Iwidmet, begründet natürlich keinen erheblichen Unterschied; das 
Ittue steht auf gleicher Linie mit dem anderen und wird neben 
Bdem anderen voi^ekonimen sein, wenngleich seltener. Umgekehrt 

■ ist es aber auch schwerlich die Regel gewesen, dasfl jemand nicht 
I bloss Eltern und Brtidei', süiidern auch Weib und Kinder dahinten 

um der Priesterschaft beizutreten; das wird Üent. 33, 9 nur 

l^s extremes Beispiel der Anfopferungsrähigkeit angeführt. Auf 

ti«inen Fall darf man daraus auf gefordertes Cölibat schliessen, 

Baondem nur darauf, dass das Priestertum hänfig kaum ilon Mann, 

Bschweige denn seine Familie ernährte. 

So fest und bedeutend, so selbständig und abgeschlossen muss 

1 der Entstehungazeit des Segens Moses der Priesterstand gewesen 

^in, dass er eine eigene Stelle neben den Stämmen des Volks 

WDliimmt, gleichsam selbst ein Stamm, aber nicht durch das Blut, 

^nderu durch geistige Interessen verbunden. Seine Bedeutung 

^hellt auch aus der Opposition, die er lindet und die zu einer 

I lebhaften Verwünschung seiner Gegner Anlass gibt, dass man 

■glaaben sollte, wer sie nieilerschrieb , sei wol selbst ein Priester 

. Worauf die Feindschaft beruht, wird nicht gesagt; es 

icheint aber, als richte sie sich einfach gegen die Existenz eines 

^mfsmässigen und fest oi^anisirten Klerus und gehe vou Laien 

hlOB, welche die Rechte der alten priesterlosen Zeit festhalteu. 

Neben dem Segen Moses enthalten die Heden Hoseas das wich- 
ste Material liii* die Würdigung des noi^ltsraelitischeu ?ri|3Ster- 
Die grosse Bedeutung desselben für das öffentliche Leben 
feeht auch ans seinen Äus,serungen hervor. Die Priester sind die 



134 



Gesrhirhie ripB Kultiic, Kap. 4. 



geistigen Leiter des Volkes; der Vorwurf, dass sie ihren hofcl^^ 
Beruf nicht erfüllen, beweist Eunächst, dass sie ihn habea. Aus- 
ßoartot sind sie alk'rdin^, sie erscheinen bei Hosea in einem ähn- 
lichen Lirhte wie die Söhne Elis nach der Beschreibung 1. Sam. 
2, 12 SS., zu der vermutlich der Verfasser die Farben aus Ver- 
hällniBsen entlehnt hat, die ihm näher lagen als die der Richter- 
Keit. Die Priestor von Sichern werden von dem Propheten sopar 
offenen Strassen raubea bezichtigt (ß, 9), und alle mit einander 
klagt er sie an, tiuss sie ihr Amt in schnöder (iewinnsucht aus- 
beuten, dessen heiligste Pflichten vernachlässigen und auf diese 
Weiße an dem Ruin des Volks die Hauptschuld tragen. „Hört 
Jahves Wort, ihr Kinder Israel, denn Jahve hat zu hadern mit 
den Landesinsasaen ; denn es ist keine Treue und Liebe und Gottps- 
kenntnis im Lande. 2. Schwören und lügen und morden und 
stehlen und ehebrechen, sie üben Oewalt und reihen Mord an 
Mord! 3. Darum trauert das Land nnd welkt alles was darin 
wohnt, bis auf das Wild des Feldes und die Vögel des Himmels, 
lind auch die Fische des Meeres werden hingerafft. 4. Doch 
schelte nnd tadle nur niemand, denn das Volk macht es wie ihr, 
ihr Priester! ö. Darum werdet ihr straucheln zuerst, nnd mit euch 
die Propheten gleich hinterdrein und ich rotte aus. ... 6. Denn ihr 
verachtet die Kenntnis, so will auch ich euch verachten, dass ihr 
mir nicht Priester sein sollt, ihr habt die Lelire eures Gottes ver- 
gessen, so wili auch ich ener vergessen! 7. So viel sie sind, so 
sündigen sie gegen mich, ihre Ehre vertauschen sie gegen Schande; 
8. meines Volkes Sünde essen sie und nach seiner Verechuldui^ 
tragen sie Verlangen, 9. so soll es wie dem Volke auch den Priestern 
ergehn, ich ahnde an ihnen ihi'en Wandel und vergelte ihnen ihre 
Taten')." Kaum geringer scheint hienach auch im Nordreiche der 
geistige Einfluss der Priester auf das ^'olk gewesen zu sein, als 
der der Propheten, und wenn wir in den historischen Berichten 
weniger davon hören*), so erklärt sich das daraus, dass sie still 

') 0«.4, l— Ö vgl. Kleiue Proph. 189S p. 109 b. 

') Niich 2. Keg. 17, 27. '28 tsiirdfu die vou den AsEyrcru unch dem eul- 
völkerten Samarien eingeführten fremden Kolonen Kiieret von Löwen ße- 
fressen, weil »ie die richtige Verehrungsweise des LandesgotlflS nicht 
liannteu. In Folge desüuu snodlc Kaarliaddon einen der eiilirteu sftina- 
riarhen Priester bin, der seinen Sitz tn Brthel, dpm niten Hauptheiligtum, 
aufschlug und die Ansiedler in der Religion des I.audeegottes unterwies 
(miD)- Das setzt einen geschlossenen Priesterstand ■ 
sogar in der Verbannung längere Zeit erhielt. 




Die Priester unil Uviten, 135 

tind regeltnÜRsig in Ideinen Kreii^en wirkten, unpolitisch und der ge- 
gebenen Ordnung Untertan, und dass sio darum niclit 90\iel Auf- 
Behen und weniger von sich reden machten, als die Propheten, dia ' 
dnn:h ihr ausserordentliches und oppositionelles Eingreifen Israel 
aufrcEiten, wie Elias und Elisa. 

4. In Juda war der Ausgangspunkt der Entwickotuug der \ 
gleiche wie in Israel. Die Meinung, hier habe sich das echte mo- i 
s&ische Priestertum von Gottes Onadcn erhalten, dort dagegen sich , 
ein schismatisches Priestertum von des Königs und der Menschen ' 
Gnaden eingedrängt, ist die der späteren Judäer, die das letzte I 
Wort und darum Recht beliielten. Die Bne Siidok von Jernsalein ' 
waren gegenüber den Dne Eli, die sie verdrängten, ursprünglich j 
illegitim — wenn mau diesen in jener Zeit völlig unbekannten 
Begriff anwenden darf — und hatten ihr Recht nicht von den 
Vät^-rn her. sondern von David und Salomo. Sie blieben immer 
• Abhängigkeit, sie wandelten, wie es 1. Sam. 2, 35 aus- 
gedrückt wird, vor dem Gesalbten Jahves allezeit, als dessen ' 
Diener nnd Beamte. Den Königen war der Tempel ein Teil ihres 
I'alastes, der wie 1. Reg. 7 und 2. Reg. 11 lehrt auf dem selben ' 
Hügel lag und unmittelliar daran stiess; sie legten ihre Schwelle 
neben Jahves Schwelle und setzten ihre Pfosten neben die seinigen, i 

I nnr die Wand zwischen Jabvo und ihnen lag (Ezech. 43, S). 
Den ofTicicIlen Kultus gestalteten sie ganz nach ihrem Belieben 
nnd hielten seine Bewirtschaftung, wie es wenigstens nach den 
Regesten des Königsbuches scheint, für das Hauptgeschäft ihre 
Re^emng. Sio fülirten neue Gebräuche ein und schafften alte ab, , 
-die Priester fügten sich dabei stets ihrem Willen und waren nur 
,ihre ansführemlen Organe'). Dass sie auch opfern durften, ver- 
steht sich, sie taten es jedoch nur ausnahmsweise, etwa zur Ein- 
weihung eines neuen Altars (2. Reg. IG, 12. 13). Erst Ezcchiel ' 
jrotestirt gegen die Behandlung dos Tempels als einer königlichen | 
Dependenz, bei ihm ist die Prärogative des Fürsten dahin zu- 
sammengeschrumpft, dass er den öffentlichen Kultus auf seine 
Kosten unterhalten moss. 

IDer l'ntei-schied zwischen dem jadäischen und israelitischen 
Priestertum wjir nicht von Anfang au vorhanden, sondern ent- 
')V. 



xiUeUl noch Kap. Üi Ju« 



136 



Gciichlrhte den KtiltiiR, Ksp. 4. 



I 

I 



stantl eifit durch den Verlanf der Geschichte. Den äusseren 
inneren Vnruhen, dem raschen aufgeregten Treiben im Nordreich 
steht das geschätzt« Stilüeben des Kleinstaats im Süden gegen- 
öher. Dort warf der geschichtliche Strudel ausserordentliche Persän- 
lichketten aus der Tiefe hervor, Usurpatoren und IVopheten, hier 
befestigten sich die Institutionen, die auf das Bestehende gegründet 
und von den bestehenden Mächten abhängig waren'). Am meisten 
kam natürlich die Stabilität dem Königtum selber eu gut. Der 
königliche Kultus, der im Reiche Samarieu nicht im staude war 
den volkst jimlichen und unabhäng:igen zu verdrangen, bekam in 
dem kleinen Juda schon früh ein fühlbares Cbergowicht; die 
königliche PHesterschaft, welche dort gelegentlich in den Stura der 
Dynastie verwickelt wurde, erstarkte hier zur seite des Hauses 
David — schon Aliaron und Amminadab waren nach dem Priester- 
kodex verschwägert wie in Wirklichkeit Jojada und Ahazia. Anf 
diese Weise wurde schon früh der Uniformirung vorgearbeitet, wo- 
durch Josias den königlichen Kultus zum alleinigen und offiziellen 
machte. Als begleitende Folge seuier Maassregel ergab sich 
natürlich die ausschliessliche Berechtigung der königlichen Priester- 
Bchaft zu Jerusalem. Jedoch wai' die Erblichkeit auch bei den 
übrigen priesterlichen Familien schon so durchgedmngen, dass ihnen 
der Übergang zu profanem Berufe nicht zugemutet wurde. Der 
deuteronomische Gesetzgeber hatte ihnen das Recht gegeben, ihr 
Amt KU Jerusalem fortzusetzen mid dort für jeden, der ihre Dienste 
in Anspruch nahm, zu fungiren; aber diese Bestimmung erwies 
sich, dem Widerstreben der Bne Sadok gegenüber, im ganzen als 
undurchführbar (2. Reg. 23, 9), wenn auch einzelne fremde Elemente 
damals Aufnahme in den Tempeladel gefanden haben mögen. 
Die Masse der ausser Dienst gesetzten Höhenpriester musste, da 
sie ihren geistlichen Charakter schon nicht mehr los werden konnten, 
sich zur Degradirung unter ihre Jerusalem ischen Brüder und zu 
einer untergeordneten Teilnahme am Dienste des Heiligtums be- 
quemen, vgl. 1, Sam, 2, 36. So entstand am Ausgange der vor- 
exilischen Geschichte der Unterschied von Priestern und Levil 
den Ezechiel sich bemüht zu legalisiren. 



h) Die Etekubitcii, 
und Jeremias w 
r 



lie im Nordreiche eutstanden, orhielti 
ssai^ ihnen, e§ solle Uineu nie febli 
s d«r Familie des Stifterd (35, 19). 



be- ' 

vo r- I 




HI. 
Mit ilpn erkennhjiren Stufen der hislorisrhen Entwickelung 
1 Schichteu des Pentateui^hs in Parallele zu stellen, gelingt hier 
D ganzen leicht. In rtw jeliovistischen Gesetzgebung (Exoi). 20^ 2S. 
Kap. 34) ist von Priestern nicht die Rede, und auch solche Gebote 
jrie: du aolbt nicht niif Stufen zn meinem Altare hinaufgehn, Ah- 
mit nicht deine Scham davor «ich entblitsse (20, 26), werden an das 
allgemeine Du, d. h. an das Volk, gerichtet. Dem entspricht, dass 
iei der feierlichen Bundschliessung am Sinai (Exod. 24, 3— S) junge 
Männer ans den Kindern Israel als Opferer amtiren. Anderswo 
Jehovisten gelten Aharon (Exod. 4, 14. 32, 1 ss.) und Moses 
[SS, 7 — 11. Deut. 33, 8) als die Anfänger des Kloras. Zweimal 
Bxod. 19, 22. 32, 29) werden noch andere Priester neben ihnen 
K^natint; aber Exod. 32, 29 steht auf dem Boden des Deuterono- 
ninms, und auch Exod. 19, 22 gehurt schwerlich zum ursprüitg- 
jÜchen Bestände einer der jehovistJaehen Quellen. 

Im Deuteronomium nehmen die Priester neben dem 
lichter und den Propheten eine sehr hervorragende Stellnng ein 
[16,18—18,22) und bilden einen in zahlreichen Familien erb- 
lichen Klerus, dessen Privilegium nicht bestritten wird und darum 
auch nicht geschützt zu werden braucht. Hier nun tritt zuerst 
mit Regel mässigkeit der Name Leviten für die Priester auf, dessen 
(bisher aufgeschobene Besprechung hei dieser Gelegenheit nachgeholt 
Iverden soll. 

In der vorexilischen Literatur ausserhalb des Hexateuchs findet 

mvt sich sehr selten. Bei den Propheten zuerst ein einziges mal im 

Meromiaabuche (33, 17 — 22), in einer Stelle, die jedenfalls spüter 

t als die chaldäische Eroberung Jerusalems und gewiss nicht von 

[Jeremias hen-ührt '). Gesichert ist der Gehrauch des Namens bei 

izechiel (a. 583), und nun reisst derselbe bei den späteren Pro- 

Jpbeten nicht ab, zum Zeichen, dass das frühere Fehlen nicht als 

Unfall zu erklären ist, zumal bei Jeremias, der so häufig von den 

üestem spricht'). In den historischen Büchern kommen Leviten, 

') lu der öeptuaginta fehlt 33, M— üt), AiiffalleDd ist der Pwnlleliamus 
T. 17—32 mit V. 23—36. Es scheint, als spieu David und Levi Midver- 
st&ndnig der beiden Geschlechter von r. 24, nämlich ■huhu und RphraiiiiN. 
Jedenfalls ist "ini v. 26 inlerpolirt. 



, 48, 11 — 13.22.31. 



21. 



138 Geschichte des Kultus, Kap. 4. 

abgesehen von 1. Sam. fi, 15. 2. Sam. IT», 24 und 1. R 
12, 'iV), nur vor in deu boiden ÄnLäuj^cn zum Richlerhuchfl 
(Kap. 17. ]S und Kap. 19. 20), von denen jedoch der letztere un- 
historisch und spät ist und mir der eretere ohne Zweifel vor- 
exilisi'h. Hier alior handelt es sich nicht wie sonst um diu Le- 
viten, sondern um einen Leviten, der als grosse Iturität gilt 
und vom Stamme Dan, der keinen h«!, geraubt wird. 

Dieser Jonathan nun, der Ahnherr des Priostergeschlechtes 
von Dan, wird, obgleich judäischon Geschlechts, von Gersou dem 
Sohne Moses abgeleitet (Jud. 18, 30). Das andere alte Priester- 
geschleeht, das in die Richterzeit htnaufreichl, das ephraimitlsche 
von Silo, scheint gleichfalls mit Moses in Verbindung gebracht stt 
werden; wenigstens wird in der allerdings nachdeuteronomischen 
Stelle 1. Harn, 2,27, wenn Jalive sich dem Vaterhause Elia in 
Ägypten geolfenbart und dadurch zu der Begabung desselben mit 
dem Priestortum deu Grund gelegt haben soll, doch wol an Moses 
als den Emplanger der Offenbarung gedacht. Mit historischer 
Wahrscheinlichkeit iässt sich die Familie auf Phinehas znrücfc- 
ffihren, der in der frühen Richterzeit Priester der Lade war und 
von dem das Erb}j;ut auf dem üebii^a Ephraim und ebenso der 
zweite von Elis Söhnen den Namen hatte: es ist nicht anzunehmen, 
dass er nur der Schatten seines jüngeren Naraensgenossen sei, weil 
der letztere noch vor dem Vater starb und neben demselben keine 
Bedeutung hatte. Phinehas aber ist nicht nur im Priesterkodes, 
sondern auch Jos. 24, 33 (E) der Sohn Eleajiars, und dieser ist 
awar nach der maassgebenden Tradition ein Sohn Aliarons, jedoch 
in der Aussprache Eliezer neben Gersou ein Sohn Moses. Zwischen 
Aharon und Moses Ist im jehov istischen Pentateach kein grosser 
Unterschied; wenn Aharon im Gegensatz zn seinem Bruder als der 
Levit charakterisirt wird (Exod. 4, 14), so führt andererseits 
Moses den pries ter liehen Stab, ist der lieiT des Heiligtums und hat 
dabei den Jusua zur seite, wie Eli den Samuel (Exod. 33, 7 — 11). 
Er hat offenbar die älteren Ansprüche ; in der jehovistischeu Ilaupt- 



') Tber I. Sam. B, 15 ist auf p. 125 und über 1. lieg. 8, 4 auf p. 44». das 
Nütige ttemerkt norden. Dai<ä 1. Iteg. 12,31 von dem deute ronoiniachen 
Bearbeiter herrührt, der nicht vor der zweiten Hälfte des Exils ge- 
scfarishen bat, bedarf keines Beweises. Die totale Eorraptiun tun 
2. Sum. 15, 24 habe ich im Text der BScher Samuelis (Uöttingen 1871) 




Die l'risRt« uufl l.oviten. 



139 



qnelle, in J, kommt Aharon ursprünglich üherhanpt nicht vor'), 
. wie auch Deut. 32, H nicht an ihn gedacht wird. Noch in den 
I Genealogien des Priesterkodox heisst der eine Ilanptasi des Stammes 
I Levi Geraon wie der älteste Sohn Moses, nnd ein anderer wich- 
tiger Zweig lieisst geradezu Muschi, der Mosaische. 

Nicht unmöglich, dass wirklich in der Familie Moses das 

beilige Amt sich fortpflanzte, nnd sehr wahrscheinlich, dass die 

I beiden ältesten Erhgeschlechter zu Dfin nnd zu Silo im Ernst den 

I Anspruch machten, von ihm abzusUmmen. Hinterher verehrten, 

■wie uns Deut. 33,8 as. gelehrt hat, alle Priester in Moses ihren 

Yater. In Juda geschah das seihe. Alle Leviten zusammen bildeten 

endlich eine Blutsverwandtschaft, einen Stamm, der zwar kein eigenes 

, Land, dafür aber das Priestertum zum Erbteil empfangen hatte. Seit 

dem Anfange der israelitischen Geschichte sollte dieser Erhklerus be- 

{ standen haben, und zwar schon damals nicht beschränkt auf Moses 

[ und Aharon, sondern gleich als ein zahlreiches Geschlecht. So ist 

I die Vorstellung hei den späteren Schriftstellern, seit dem Dontero- 

I nominm; doch wird im letzteren meist von dem Leviten in den 

[jüdischen Provinzialstädten und von den Priestern den Leviten 

f in Jerusalem geredet, von Gesamtleri nicht häufig'). 

Dass mau es hier mit Prädatirung zu tnn hat, ist bereits nach- 
I gewiesen, namentlich an dem Beispiele der Söhne Sadok von 
[ Jerusalem, die zuerst Parvenüs und hernach die legitimsten der 
I legitimen waren. Aber höchst sonderbar ist es, wie diese künst- 
' liehe Bildung eines geistlichen Stammes, die an sich durchaus 

') Am besten liast ea sich in Exod. 7 — 10 nachweisen, dtLss Ah»ron in J 
uicht Urs prall gl ich, somleni erst durch deu Bearbeiter, der J und K KU 
JE Torband, hineingebracht ist Der Befehl Johvps, vor PJiarao tn 

I treten, ergeht nfimlich in J immer an Moses allein (7, 14. 3li. S, It!. 
9, 1. 13. 10, I); nur im weiteren Verlauf eraclieint dnueben viermal 
Aharnn, uämlii^b immer in dem Falle, wenu Pharao in der Not Mu^es 
nud Aharon holen Ijlsst, um ihro Fürbitte in Anxprucb xu nehmen. 
Merkwürdigerweise aber wird hinterher wieder Aharon vüllig i^orirl, 
Moses antwortet allein, redet nur in seinem, nicht zugluich in Aharons 
Namen (8, 5. 32. 25. 9, 29), und obwol er selbander gekommen, geht er 
doch im ISinguUr wieder foK und bittet im Singular (8, 8. 36. 9, 33. 10, 18): 
der Wechsel des Numenis in 10, 17 ist unter diesen Umständen Ter- 
dlobtig genug. Es scheint als ob der jchovistische Bearbeiter gerade 
bei der Fürbitte die Assistenz Aharons für angemessen gehalten habe. 
>) 10, 8s. 18,1. An eini|(Gn ätellen des Deuteninomiiuns scheinen die 
levitischcn Priester erst dtirch eine spSterc Bearbeitung iiucti getragen m 
«ein: vgl. die Compos. des HexaL 1899 p. 357». 35i). Auch Ilt 18,2 
und 18, ,'i scheint einer späteren Hedaclion aniugeh'"iren, desgleichen der 
ganze Stamm Levi 18,1. 



14<) GeBPliidilp d.'.s Kiiltiic, Kap. 4. 

nichts rätselhartea h»t, iladurch tmliegelegt UDd hegünstigt ' 
dass es in grauer Vorzeit einmal einen wirklichen Stamm Levi 
gegeben hat, iler schou vor «ter Entstohung des Königtums nnter- 
gegangen ist. Er gehört zu der Ciruppe der vier ältesten Söhne 
Leas, Ruhen Simoon Levi Juda, dio immer in dieser Reihenfolge 
zusammen aufgezählt werden und zu beiden Seiten des tuten 
Meeres sich ansiedelten, gegen die Wfiste zu. Meriwüidiger weise 
hat sich von ihnen allen nur Jnda zu behaupten gcwa»st., die 
anderen lösten sich unter den Wflstenbewolmern oder unter ihren 
Volksgenossen auf. Am frühesten erlitten die beiden Gen. 49 xa 
einer Einheit zusammengefassteii Stämme Simeou und I,cvi dieses 
Schicksal, iu folge einer Katastrophe, die sie in der llicbterzeit 
betroffen haben muas. „Simeon und Levi sind Brüder, Mordwaffen 
ihre Hirtenstäbe; meine Seele komme nicht in ihre (iesellsthaft, 
meine Ehre sei fern von ihrer Rotte, denn im Zorn erwiii^ten sie 
MSuner und zur Lust verhieben sie Rinder: verflucht sei ihr Zorn, 
so heftig, und ihre Wut, so grausam — ich will sie verteilen 
in Jakoli und zerstreuen über Israel!" Die hier gestrafte Untat 
Simeons und Levis kann nicht gegen Israeliten gerichtet gewesen 
sein, denn in diesem Falle würde der Gedanke gar nicht entstehu 
können, der hier mit Nachdmck zurückgewiesen wird, dass Jakob 
d. i. Gesamtisrael mit ihnen gemeinsame Sache machen konnte. 
Es handelt sich also um einen Vreve! gegen die Kanaaniten. höchst 
wahrscheinlich um den selben, der in Gen. 34 den beiden Brüdern 
zur Last gelegt wird und von dem auch dort (v. SO) Jakob nichts 
wissen will, dass sie nämlich trotz eines mit Sichem abgeschlossenen 
l'riedens Vertrages die Stadt treulos überfallen und ihre Bewohner 
niedergemacht haben. In Jud. 9 wird erzählt, dass Sichern, bis 
dahin eine blühende Stadt der Kanaaiiiten, mit denen sich übrigens 
schon israelitische Elemente zu mischen begannen, von Abi- 
melech erobert imd zerstört sei: damit kann man jedoch die Zer- 
störung durch Simeon und Levi auf keine Weise zusammenbringen, 
dieselbe muss früher stattgefunden haben, wenngleich auch iu 
der Richterperiode. Die Folgen ihrer Tat, die Rache der Kanaaniten, 
haben die beiden Stämme allein zu tragen gehabt; Israel hat sich 
nach der Andeutung Gen. 49, ü. 34, 30 nicht bewogen gefühlt für 
sie einzutreten und gemeinschaftliche Sache mit ihnen zu machen. 
So sind sie zersprengt und haben sich aufgelöst, und damit ist 
ihnen nach der Meinung ihres eigenen Volkes ganz recht ge- 






141 



I mehr 



■ Beliehen. Li den gescliit^htlichen Bücheru ist von ilioen i 
I die Rede'). 

Es ist eine baare Lliimöglichkeit, dioseu Levi der Genesis, 
I den BruiW Simeons, als einen blossen Reflex der Kaste anzusehen, 
welche gegen Ende tier Königsaeit aus den verechiedenen Priester- 
1 Tamilien Judus zusamaiäugewachsen ist. Der Spruch (Jen. 49, 5 — 7 
[ eetzt ilie beiden Brüder völlig gleich und legt ihnen einen sehr 
weltlichen blutdäi'stigen Charakter bei. Keine Ahnung von dem 
heiligen Bemfe Levis und seiner dadurch bedingten Zerstreuung, 
dieselbe ist ein Flucli und kein Segen, eine Vernichtung und keine i 
Bestätigung seiner Besonderheit. Ebenso unmöglich aber ist es 
die ICaste aus dem Stamme abzuleiten, es existirt kein realer Zu- 
I sammenbang zwischen beiden. Es fehlen alle Mittelglieder, der 
I Stamm ist Mb untergegangen und die Kaste sehr spät entstanden, 
I nachweisbar ans freien Anfängen. Unter aotanen Umständen ist 
[ nun aber die Obereinstimraung des Namens höclist rätselhaft: 
I Levi, der dritte Sohn Jakobs, vielleicht einfach das Gentile seiner 
I Hutter Lea, und Levi der Beruf9j)rie8ter. Wenn es anginge, den 
I letzteren Sprachgebrauch aus der appellativischen Bedeutung der 
I Wurzel herzuleiten, naturlich mit Evidenz, so würde man an 
[Zufall glauben können; aber das ist nicht möglich. Man ist darum 
[ «nf den Ausweg verfallen, die gewaltsame Auflösung des Stammes 
1 in der Richterzeit habe die einzelnen Leviten, die nun kein Land 
I mehr hatten, dazu veranlasst, sich ihren Unterhalt durch Ver- 
waltung des Opferdienstes zu erwerben; dies habe sieb ihnen 
I darum nahe gelegt und sei ihnen deshalb gelungen, weil einst 
Moses der Manu Gottes zu ihnen gehört nnd ihnen ein gewisses 
Vorxugsrecht auf das heilige Amt vererbt habe. Aber es gab da- 
\ malfi keine Menge von unbesetzten Priesterstellen, und ein solcher 
I Alasseuüb ergang der LeWten zum Dienste Jahves in jener alten Zeit ist 
l* bei der Seltenheit grösserer Heiligtümer eine sehr schwierige Annahme. 
l Richtig ist es vielleicht, dass Moses wirklich aus Levi stammt und ' 
I dass von ihm aus die spätere Bedeutung des Namens Levit zu er- 
[ Iclären ist. In der Tat scheint derselbe zunächst nur auf die Nach- 
I kommen nnd Verwandten Moses augewandt und erst später auf 
L die Priester überhaupt übertragen zu sein, die dem Blnte nach 
\ nichts mit ihm zu tun hatten, aber alle mit ihm als ihrem Ilanpte 



') rompiis. (i. Hfxit. 1899 p. 3'. 



142 



Geschichte des Kultns, Kap. 4. 



in Znsamnuinliang steliii wolUen. Über Vei'mutuiiijen wird ii 
liiiiauskommeii. Die richtigun Erbpriesier, ileren es anfani^ä nur 
sehr wenige gab, waren vietleiclit zumeist zugleich mit ilen Altären 
von den Kitnaaiiitern übemoiunien, womuf die Tatiwiche führt, dass 
uuch später die Leviten niclit zum israelitischen Geschlei^Utsverbiuiil 
gehörten, sonden Gerim (Schutzgeuossen) wiiren'). 

3. Während im Deuteron omi um der geistliche Stamm des 
Leviten (10,8a. 18, 1. Jos. 13, 14, 33) noch bescheiden auftritt, 
wii-d im Priesterkodex massiver Ernst damit gemacht; der Stamm 
Levi (Num. 1, 47. 49. 3, 6. 17, 3. 18, 2) wird von den übrigen 
Slümmen dem Heiligtum übergeben, nach dem genealogischen 
System seiner Familien katalogisirt, zählt 22 00) männliche THit- 
giimler und ei'hält sogar auch eine Art ätamnigebiet, die 48 Leviten- 
städte (Jos. 21). Einen mit dieser Verbreiterung des Klerus zu- 
sammenhängenden, aber noch viel bedeutenderen Sehritt vorwärts, 
den der Priesterkodex tut, haben wir bereits am Anfange des 
Kapitels besprochen: während os sich bisher immer nur ei-st um 
die Scheidung des Klerus von den Laien handelt, wird hier jene 
grosse innere Zwieteiluug desselben eingeführt, in Aliaroniden und 
l>eviten. Nicht bloss im Deuteronomium, sondern überall im Alten 
Testament abgesehen von Esdrae Nehemiae und Chronik ist Levit 
der Ehrentitel des Priesters*) — Aharon selber wird in der öftere 
angeführten Stelle Exod. 4, 14 so genannt und zwar um datlurcU 
seinen Beruf, nicht seine Familie zu bezeichnen, denn die letztere 
hat er mit Moses gemein, von dem er doch durch das Bei- 
wort dein Bruder der Levit unterschieden werden soll. Im 
Deuteronomium aber fallt es auf, da^s mit eiiter aiisichtUcheo 
Emphase die gleiclie Berechtigung aller Leviten znm Opferdienste 
in Jerusalem statuirt wiid; „die Priester die Leviten, der ganze 
Stamm Levi, sollen nicht Teil noch Erbe haben mit Israel, die 
Opfer Jahves und sein Erbteil sollen sie essen — und wenn ein 
Levit aus irgend einer Stadt von ganz Israel, wo er wohnt, kommt 
zu dem Orte, den Jahve erwählen wird, so darf er im Namen 



I 

L 



') Vgl. Reste Arab. Heidontiims 1897 p. 31. 

=) Exod. 4, 14. Deut 33, 8, Jud. ITs. — Exod. 32, 2G-2a, Heul. 10,8 8. 

12, 12. 18s. I4,a7. 29. 16, 11. 14. 17,9. 18. 18, 1—8. 24,8. 27,9. 14. 

31,9.25. Jos.3,3. 13,14.33. 14, 3a. 18,7. Jud.lSs. l.Saui.6.15. 

1. Reg. 12, 31. Hier. 33, 17—22. Ewch. 44, 8 ss. Isa. 60, 21. Zach. 12, 13. 
.3,3. — Nur die Glossen 2. Sam. 15, -24 und I. Reg. 8,4 

(vgl. jedoch 2. Chrou. 5, 5) mügen aul dem Priualerliodes beruhen: 




iDil Levileii, 



143 



Jahves seines Gottes fungircn so gut wie die Leviten, die daselbst 
vor Jahve stehii" (18, 1, 6. 7). Der fiesetzgeber hat liiebei seine 
Bauptmaassregel vor Augen, nämlich die Abschaffung iiller KuUua- 
Btätten bis auf den Tempel Salomos; die bisherigen Priester der- 
selben durften damit nidit brotlos werden. Darum legt er es auch 
so oft und so dringend den l'rovinzialen an Herz, sie sollten bei 
ihren Opferwall fahrten nach Jerusjilem den Leviten ihres Orts 
nicht vergessen und ihn mitnehmen. Dies ist nun für das Ver- 
ständnis der folgenden Entwickclung insofern sehr wichtig, als man 
sieht, wie durch die Centralis! rung des Gottesdienstes die nicht- 
jerusalemischen Leviten in ilirer Stellung bedroht waren. Tat- 
sächlich erwies sich die gnte Absicht des Deuteronomikers als un- 
durchiulirbar, mit den ßamoth fielen auch die I'riester der Bamoth. 
Sofern sie überhaupt noch am heiligen Dienste teilnalimon, mussten 
sie sich eine Unterordnung unter die Söhne Sadoks gefallen lassen 
(2. Reg. 23, 9). Mit Recht vielleicht hat hierauf Graf die Weis- 
sagung 1. 8am. 2, 36 bezogen, dass dermaleinst zu dem Feslge- 
gröndoteu königlichen Priester die Nachkommen des gestürzten 
Hauses Eli kommen würden, ihn um ein Almosen anzugehn, oder 
zu sa^n : füge mich ein in eine der I'riesterschailen, um ein Stück 
Brot zu essen ; dass geschichtlich die abgesetzten I/eviten mit jenen 
alten Schicksalsgenossen nicht allzu nahe zusammenhingen, kann 
jegen die Deutung bei einem nacbdeut«ronomischen Schriftsteller 
leine Bedenken erregen. Auf diesem Wege entstand, als eine ge- 
setzwidrige Folge der Reformation Josias, der Unterechied von 
Priestern und Leviten '). Für Ezechiel ist derselbe noch eine Neue- 
rung, die gerechtfertigt und sanktionirt itu werden bedarf; für den 
Priesterkodex „eine ewige Satzung", obgleich doch noch nicht so 
ganz nuangef echten, wie aus der letzten Bearbeitung der Erzählung 
von der Rotte Korah erhellt. Für das Judentum seit Ezra und daduiTh 
für die christliche Tradition ist auch hier der Priesterkodex raaass- 
gebend geworden. Statt der douteronomischen Formel die Priester 
die Leviten heisst es fortab die Priester und die Leviten, 
namentlich in den Übersetzungen wird der alte Sprachgebrauch 
mehrfach korrigirt*). 

') Beieicbneod siaA Ntklneu wie Libsi, Hetirooi, Korhi fnr die ahge- 
seilten Priester der iücÜ Beben Landsctiafl; Ttrl. die Cumnos. des Uexnl. 1S99 
p. 183. 

') Z. B. .Sejituag. Jos. 3, 3. Isn. CG, 21 ; Hierwi. [K'uL 18, 1. Jiid, 17, 13; Syr. 
an vielen Stellen. 



Geschichte ilos Kultus, Kap. 4. 

Es ist telinek'li für uiiseron Zwoolt und dariini nicht ungp- 
hörig an dieser Stelle, die Dardtfühniiig der neuen Organisation 
des Tempelpersonals nach dem Exil zu verTolffen. Mit Zerababel 
und Josua kehrten a. 1)38 vier l'riestergeschlechter aus Babylon 
zurück, zusammen 4289 Köpfe stark (Esdr. 2. 36— 39). luit Ezra 
kamen a. 458 noch zwei Geschlechter hinzu, deren Z.ibl nicht an- 
gegeben wird (8, 2). Von Leviten zogen das erstemal 74 mit 
(2,40), das üweitemal befand sich unter den 1500 Männern, die 
sich auf dem von Ezra bestininiteii Sammelplatz eingefunden hatten 
um die Reise durch die Wüste anzutreten, anfangs kein einziger 
Levit, und erst auf dringende ^'^oretelluiigen des Schriftgelehrten 
wanlen endlich noch einige dreissig bewogen sich anzuschliesseu (8, 
15 — 20). Wie ist dies Übergewicht der Priester über die Leviten zu 
erklären, das auch dann noch auffallend bleibt, wenn man die ?ost«n 
nicht für genau vei^leichbar hält? Sicherlich nicht auf grund eines 
tausendjährigen Bestehens der Verhältnisse, wie sie im Prieater- 
küdex und in der Chronik erscheinen. Dahingegen vereehwindet 
das Rätselhafte, wenn die Leriten die degra<lirteii Priester der 
Judäischen Bamoth waren. Diese waren wot überhaupt nicht zahl- 
reicher als das Jerusalem! sehe Kollegium, und auf keinen Fall 
konnte die Aussicht, in der Heimat fortab nicht mehr opfern, 
sondern nur schlachten und waschen zn sollen, für sie suhr ver- 
lockend sein; man kann es ihnen nicht vertlenken, dass sie keine 
Lust hatten, sich freiwillig zu Handlangern der Söhne Sadoks zu 
erniedrigen '). Ausserdem wird man anneinnen dürfen (p. 12ä), 
Anas doch anch manche ursprünglich nicht flazu gehörige (nament- 
lich levitische) Elemente es damals verstanden sich in die salomo- 
nische Priesterschaft einzudrängen; dass es nicht allen gelang 
(Esdr. 2, 62), beweisst, dass es manche versuchten, und bei der 
Leichtigkeit, mit der man damals altersgraue Stammbäume schuf 
und anerkannte, wird auch nicht jeder Vei-such misglückt sein*). 



I 



/ Z*ci(e\ diirau, üt das VuricJchnis Kad. -2 .si 
Kückkehr aus dem Exil unter Cynis ln'/i.lii 
und oll schon damalB der von Ezechii-l ^< ti> 
{'riestum uad Leviten durchdrang, wrnl.'ii 
Malachi (2,4) noch die Zuaätte irn ln-iilin 
nl« faktisch bestellend keuuei 



Zeit iler eraten 
An/. I8»7|i, iM) 
-cliied KwiBcbeii 
gl , itasii «udvr 
si'u Cnterscbied 
W'alirln'it SL-Iieiut er erst von Kiru 



und Nehemia durchgeführl zu sein, bei der damaligeD definitiven Neu- 
or<lnung der Theokratie auf Oruud des Priesterkoitei. 
') Vgl. Isr. und jüd. Geschichte 1897 p. 191. 




Die Priester und Leviten. 



145 



Wodurcli ist es denn aber nun (;;ekominen, dnss in der Folge- 

', wie in»n aus den Angaben der Chronik schliessen mnss, das 

I Verhältnis der Leviten zu den Priestern der gesetzlii:hea Proportion 

Ivenn auch nicht ganz, so doch mehr entsprach? Einfach durch 

I Levitisirnng fremder Geschlechter. In dem Verzeichnis Ead. 2. 

■Heb. 7 werden die Leviten noch nnterschieilen vun den Sängern 

I Torwächtern und Nethinim. Aber der Unterschied hatte keine fak- 

I täsuhe Basis mehr, nachdem einmal die Leviten auch zu Tempel- 

1 dienern degradirt und zu Nethinim der Priester geworden waren 

I (Num. 3, 9). Wo daher der Chronist, der zugleich der Verfasser 

I 4er Bücher Esdrae nnd Nehemiae ist, nicht ältere Quellen wiodor- 

I gibt, sondern frei schreibt, da betrachtet er auch die Sänger und 

I die Torwächter als Leviten. Durch künstliche Genealogieen sind 

I die drei Sängergesclüecliter Heman Asaph und Ethan von den alten 

Bievitischen Geschlechtem Kehath Gerson und Merari abgeleitet 

|.(1. Chron, 6, 1 ss,), wobei mit dem Material nicht gerade wählerisch 

I.Yerfifthren wird, s. Graf a. 0. p. 231 , Ewald III p. 380s. Inwieweit 

I äer I'nterschied der Nethinim gegen die Leviten späterhin aufrecht 

I erhalten wui-de (Jos. 9, 21. 3. Esdr. 1, 3. Esdr. 8, 20), ist nicht klar. 

Es wäre nicht übel, wenn die Absicht Ezechiels, die Ausländer aus 

dem Tempel zu verbannen, in der Weise erfüllt wäre, ds8S diese 

heidnischen Hieroduleu, die Meunäer ?<ephisäor Salmäer und wie die 

fremdartigen Namen Esdr. 2, 43 ss. sonst noch lauten, auf dem be- 

■ liebten genealogischen Wege in den Stamm I^evi Aufnahme ge- 
ftinden hätten. Ein eigentümliches Sclilaglicht auf die Richtung, 
in der sich die Dinge entwickelten, wirft die Tatsache, dass die 
Sänger, die zur Zeit Ezras noch nicht einmal Leviten waren, später 
sich schämten es zu sein und wenigstens änsserlich den Priestern 
i;l eichgestellt werden wollten. Sie baten den König Agrippa II., 

I ihnen vom Sjiiedrium die Befugnis zu erwirken, dass sie das weisse 
Priestergewand tragen dürften '). 
4. Der Schlnssstcin des heiligen Gebäudes, welches die Ge- 
BeUigebnng des mittleren Pentateuchs aufrichtet, ist der Hohe- 
priester. Wie über den Leviten die Aharoniden, so erhebt sich 
Äharon selber über seinen Söhnen; in seiner Person gipfelt die 
einheitliche Ausgestaltung des Kultus, wie sie durch das Deutero- 



, Kueiien, Godsdieust II 



14Ö 



Geschichte dos Kultus, Kap. 4. 



nomium uud Josiaa angebahnt worden ist. Eine Fignr von fl^* 
nnvergleichlicher liedentung ist dem übrigen Alteu Testamente 
fremd, selbst Ezechiel kennt noch keinen Hohenpriester mit emi- 
nenter Heiligkeit. Schon vor dem Esil war allei'dings der Tempel- 
dienst zu Jerusalem so grossai'tig und das I'ersonal 30 zahlreich. 
dase eine geregelte Ämterteiliing und abgestufte Rangordnung eine 
Notwendigkeit war. Zur Zeit Jeremias bildeten die Priester eine 
in Klassen oder Geschlechter eingeteilte Genossenschaft, mit Ältesten 
als Vdrstehern: der oberste Priester hatte in der Anstellung seiner 
niederen KoUegeu einen bedeutenden Eiuflnss (1. Sam. 2, 36): 
neben ihm standen der zweite Priester, der Schwelleuhüter, der 
Wachtoberst als vornehme Chargen '). Aber im Gesetz nimmt 
Aharon keine bloss oberste, sondern eine einzigartige Stellung ein, 
wie der römische Pontifex gegenüber den Bischöfen; seine Söhne 
fungiren nnter seiner Aufsicht (Num. 3, 4), der einzige vollberechtigte 
Printer ist nur er, die Koncentration des Heiligen in Israel. Er 
allein trägt die Urim und Thummim und das Ephod: der Priester- 
kodex weiss zwar nicht mehr was es damit für eine Bewandtnis 
hat und er konfundirt das Ephod Zaliab mit dem Ephod Bad, 
das überzogene Gott^bild mit dem P liest eriib erzieh er; aber die 
trüben lleminisceiizen dienen dazu, Ahnrons majestätischen Ornat 
noch magischer zu ge.stalten, Er atleio darf in das Allerheil igste 
eindringen und dort das Räucheropfer bringen; der .sonst unnali- 
bare Zugang (Neh. 6, lü, H) steht ihm am grossen Versöhnnngs- 
tago offen. Nur in ihm berührt sich Israel unmittelbar, in einem 
Punkte und in einem Momente, mit Jahve, die Spitze der Pyrs- 
ramide ragt an den Himmel. 

Der Hohepriester erscheint auf seinem Gebiete völlig souverän. 
Bis auf das Exil, haben wir gesehen, war das Heiligtum Besitz 
des Königs und der Priester sein Diener; sogar bei Ezechiel, der 
im übrigen auf Emanzipation hinarbeitet, hat doch der Fürst noch 
eine sehr grosse Bedeutung für den Tempel, an ihn werden die 



') Der Euhl^n tia-ltoach findet sich zuerst 3. Sau. 15, 27, aber hier stamml 
a'Nin (so statt n«nn) vou dem Interpolstor des t. 24. .Soditmi *3n 
hyiirt 2. Reg. 13, 11, aber 2. Reg. 12 stammt vom Ver^ser von 2. Hag. 
16, IQss. und Kap. 22 s. Sonst einfach der I'riester. — Vgl. übrigens 
3. Reg. 19, 2. Hier. 19, 1. 2. Reg. 23, 4. 25, 18. Hier. 30, 1. 29. 25. 26. In 
l.Sam. 2, 3fimuss nsnr Priesterschaft, Priesterordeu bedauten, 
wegen 'jnSö ^''^^re micli ein. 




Die Priester und Leviten. 147 

Abgaben des Volkes entrichtet und er unterhält dafür den Opfer- 
dienst. Dagegen im Priesterkodex werden die Abgaben direkt an 
das Heiligtum entrichtet, der Kultus ist vollkommen autonom und 
gibt sich seine eigene Spitze von Gottes Gnaden. Und nicht bloss 
die Autonomie des Heiligen repräsentirt der Hohepriester, sondern 
auch die Herrschaft desselben über Israel. Das Scepter und das 
Schwert führt er nicht, nirgends, wie Vatke p. 539 treffend be- 
merkt, wird ein Versuch gemacht, ihm weltliche Macht zu vindi- 
ciren. Aber eben nach seiner geistlichen Würde, als oberster 
Priester, ist er das Oberhaupt der Theokratie, und so sehr, dass 
ein anderes neben ihm nicht Platz hat, ein theokratischer König 
ihm zur seite nicht denkbar ist (Num. 27, 21). Er allein ist der 
verantwortliche Vertreter der Gesamtheit, die Namen der zwölf 
Stämme sind ihm auf Herz und Schultern geschrieben; sein Fehl- 
tritt zieht Verschuldung des ganzen Volkes nach sich und wird 
gesühnt wie der des ganzen Volkes, wälirend die Fürsten durch 
ihre Sündopfer sich ihm gegenüber als Privatleute charakterisiren 
(Lev. 4, 3. 13. 22, 9, 7. 16, 6). Sein Tod begründet eine Epoche; 
nicht wenn der König stirbt, sondern wenn der Hohepriester stirbt, 
tritt für den Flüchtigen Amnestie ein (Xum. 35, 28). Er empfängt 
bei der Investitur die Salbung wie ein König und heisst darnach 
der gesalbte Priester, er ist mit Diadem und Tiara geschmückt 
wie ein König (Ezech. 21, 31), er trägt wie ein König den Purpur'). 
Was bedeutet es nun, dass die Spitze des Kultus — eben als 
solche und nur als solche, ohne daneben mit politischen Befug- 
nissen ausgestattet zu sein und in die Regierung einzugreifen — 
zugleich die Spitze der Nation ist? Was anders, als dass die welt- 
liche Herrsch'Bft dieser Nation genommen und nicht mehr ihre 
eigene Sache ist, dass sie nur noch eine geistliche kirchliche Existenz 
führt! Vor der Anschauung des Priesterkodex steht Israel in der 
Tat nicht als Volk, sondern als Gemeinde; weltliche Angelegen- 
heiten liegen dersell)en fern und werden von dieser Gesetzgebung 
nie berührt, ihr Leben geht auf im Dienste des Heiligen. Es 
ist die Gemeinde des zweiten Tempels, es ist die jüdische Hiero- 
kratie, mit der Fremdherrschaft als Voraussetzung ihrer Möglich- 

*) Clem. RecogTi. I 46: Aaron chrismatis compositione penmctus .... prin- 
ceps populi fiiit et taraquam rex primitias et tributuin per capita accepit 
a populo. Ibid. I. 48: chrisma per quod poutiticatus praebebatur vel 
prophetia vel regnum. 

10* 



148 

keit, die i 



schichte des Kultus, Kiip. i. 
Zwjir pfle^ 



lier eütgegen 
der f^eschiuhtlichoa Realität llier^chie i 
idealeu d.h. blinden Namen Theokratio zn bezeichnen; aiiei- wer 
damit einen Unterschied der Sache gewonnen zu haben glaabt, 
der belügt sich selber. Wer das fertig bringt, dem gelingt es dann 
auch weiter, die hierokratisohe Gemeindeverfaasung in die mosaische 
Zeit zu versetzen, weil sie das Königtum ausschliesst, nud dann 
entweder die Geheimhaltung derselben während der ganzen Richter- 
und KönigBzeit zu i>ebaupten oder mit dem Hebel der Fiktion die 
gesamte überlieferte Geschichte aus den Angeln zu heben. 

Für einen einigermaassen mit der Geschichte Vertrauten ist 
es nicht nötig nachzuweisen, da»s die sogenannte mosaische Theo- 
kratio, die in die Verhältnisse der früheren Zeit nirgends hinein 
passt und von der die Propheten, auch in ihren idealsten Schilde- 
rungen des israelitischen Staates wie er sein soll, nicht die leiseste 
Spur einer Vorstellung haben, dem nai^hexilischen Judentum so 
zu sagen auf den Leib geschnitten ist und nur da Wirklichkeit 
gehabt hat. Damals hatten die fremden Herrscher den Juden die 
Sorge für die weltlichen Geschäfte abgenommen, sie konnten und 
mussten sich rein den heilten widmen, in denen man ihnen volle 
Freiheit Hess. So wurde der Tempel der ausschliessliche Mittel- 
[lunkt des Lebens und der Tempelfüi'st das Haupt des geistlichen 
Gemeinwesens, dem auch die Verwaltung der politischen Angelegen- 
heiten, so weit solche etwa noch der Nation überlassen wurden, 
von selbst zuÜel, weil es überhaupt keine andere Spitze gab'). 
Der Chronist läsat den zwei mal zwölf Generationen zu vierzig 
Jahren, welche man von der Befreiung aus Ägypten bis zum 
Tempelbau Salomos und von da wiederum bis zur Be&eiung aus 
Babylonien annahm, ebenso viele Hohepriester zur Seite gehu; die 
Amtsdauer dieser Hohenpriester, von denen die Geschichte ti'eilich 
nichts weiss, ist an die Stelle der Regierung der Richter und 
Konige getreten, wonach ehedem gerechnet wurde (1. Chron. 5,298.)*). 






') Vgl. übrigens Israel, und Jüd. Ooschichte 1897 p. 190, Der Hohepriester 
war nicbt von vornherein such der Etboarch der nochexilischen Gemeinde, 
soodem er wurde es erat in der Zeit nach Gzra und Nehemia. Es ist 
bereits gesngt (p. 144 n. 1), dusa aucb damals erst der Interscbied 
zwischen Leviten «nd Priestern wirklich durchgeführt wurde. 

') Marc. 2, 26: iiA 'ABtdftap ^jupiui;. Das ist keine '\'erwecbslung mit 
Ahimelech, sondern bedeutet: in dem nach Äbiathara Pontifikat benannten 
Zeiträume. 




Die Ausstattung des Klems. 149 

Wie man in dem Omate Aharons, an dem übrigens die Urim 
und Thummim fehlten (Neh. 7, 65), gewissennaassen die dem 
Volke Gottes zum Trost für die verlorene irdische Hoheit ge- 
bliebene transcendente Majestät verehrte, erhellt aus Sirac. 50 und 
aus mehreren Angaben des Josephus, z. B. Antiq. 18, 90ss. 20, ßss. 
(Hekat. bei Diodor 40, 3). Unter der griechischen Herrschaft wurde 
der Hohepriester Ethnarch und Präsident des Synedriums; nur 
durch den Pontifikat konnten die Hasmonäer zur Herrschaft ge- 
langen, aber indem sie damit die volle weltliche Souveränetät 
verbanden, schufen sie ein Dilemma, an dessen Folgen sie unter- 
gingen. 



Fünftes Kapitel. 
Die Ausstattung des Klerus. 

Die Macht und Unabhängigkeit des Klerus läuft parallel mit 
seiner materiellen Ausstattung, hier wie dort lässt sich daher die 
gleiche Entwickelung verfolgen. Ihre Stufen spiegeln sich in der 
Sprache ab, in der graduellen Abstumpfung des eigentlichen Sinnes 
der Formel die Hand füllen, welche zu allen Zeiten für die 
Ordination gebraucht worden ist. Ursprünglich bedeutet das be- 
vollmächtigen (Jud. 17), die Priester sind nicht das Subjekt, 
sondern das Objekt dazu und erecheinen somit als Angestellte eines 
über ihnen stehenden HeiTn, des Besitzers des Heiligtums. Später 
füllt ihnen nicht mehr ein anderer die Hand, der das Recht hat 
sie ein- und abzusetzen, sondern sie füllen sich auf Gottes 6e- 
heiss selber die Hand; oder vielmehr sie haben das zur Zeit 
Moses ein für alle mal getan, wie in dem mit dem Deuteronomium 
gleichstehenden Einsätze Exod. 32, 26 — 29 gesagt wird. Sie sind 
also nicht bloss das Objekt, sondern auch das Subjekt des Be- 
voUmächtigens. Dass dies bei Lichte besehen, trotz 2. Reg. 9, 24, 
ein Widersinn ist, sich aber erklärt aus dem Streben, das- Ein- 



150 



Gpsehic)it4> des Kultas, Kap. 5 



^'reifen des frein<ien Sulijekts zu entfernen, lii-gt auf der Hund. 
Zuletzt verliert die Formel vollständig ihren nrsprünglicheu Sinn 
(bevollmächtigen) und bedeutet nur noch einweihen. Bei 
Ezechiel wird nicht nur dem Priester, sondern sogar dem Altare 
die Hand gefüllt (43,26); im Priesterkodex ist hauptsächlich das 
Äbstractum milluim in Gebrauch, mit ausgelassenem Subjekt und 
Objekt, als Name eiuer blossen Inauguratiunsceremouie, die mehrere 
Tage dauert (Lev. Ö, 3S. Exod. 29, Sä) und wesentlich in der Darbrin- 
gung eines Opfers von Seiten des Einzuweihenden iiesteht (2. Chron. 
13, 9 vgl. 29, 31). Das Verbum bedeutet dann nicht mehr und 
nicht weniger ab diese Ceremonie vollziehen, und das Subjekt ist 
dabei ganz gleichgiltig (Lev. 16, 32. 21, 10, Num. 3. 3); nicht von 
der den Ritus ausführenden Person hängt tlie Einsetzung ab, sondern 
von dem Ritus selber, von der Salbung, Investitur und den übrigen 
Formalitäten (Exod. 29, 29). 

Dieser Wandel im Sprachgebrauch ist das Echo der realen 
Veränderungen in der äusseren Lage des Klerus, die nunmehr 
näher ins Auge zu fassen sein werden. 



1. 



1. Von den Opfern widmete man in alter Zeit einiges di 
Gottheit, das meiste verwandte man zu heiligen Mahlzeiten, 
denen man, wenn ein Priester vorhanden vau; natürlich auch 
diesen in irgend einer Weise teilnehmen Hess, Aber einen ge- 
setzlichen Anspruch auf bestimmte Fleischabgaben scheint derselbe 
nicht gehabt zu haben. „Elts Söhne waren nichtsnutzige Leute 
und kümmerten sich nicht um Jahve noch um Hecht und Pflicht 
der Priester gegen das Volk; so oft jemand opferte, sq kam der 
Knecht des Priesters — das sind hier die 22000 Leviten —, wenn 
rlas Fleisch kochte, mit einer dreizinkigen Gabel in der Hand und 
stach in den Kessel oder in den Topf, und alles was die Gabel 
heraufl>rachto, nahm der Priester, So taten sie allen Israeliten, 
die dort nach .Silo hinkamen. Sogar bevor das Fett geräuchert 
war, kam der Knecht des Priesters und sprach zu dem Opfernden: 
gib Fleisch zum Braten her füi- den Priester, er will kein gekochtes 
von dir haben, sondern rohes, und sagte jener dann zu ihm: ei^t 
soll das Fett geräuchert werden und dann nimm dir wie du willst, 
so sprach er: nein, Jetzt gleich sollst du es geben, sonst nehme 



d^^ 




Die Ausstattimg des Klerus. 151 

ich es mit Gewalt*^ (1. Sam. 2, 12 — 16). Die Abgabe roher Fleisch- 
stücke vor der Räucherung des Fettes gilt hier als eine unver- 
schämte Forderung, welche geeignet ist das Opfer Jahves in Ver- 
achtung zu bringen (v. 17) und den Untergang der Söhne Elis zur 
verdienten Folge hat. Erträglicher ist es, aber auch schon ein 
Misbrauch, dass sich die Priester gekochtes Fleisch aus dem Topfe 
holen lassen, dabei nicht einmal das beste sich aussuchend, sondern 
die Wahl dem Zufall überlassend; sie sollen abwarten, was man 
ihnen gibt, oder sich damit begnügen, dass man sie zur Mahlzeit 
einlade. Dagegen ist es nun im Deuteronomium „das Recht der 
Priester an das Volk" (18, 3=1. Sam. 2, 13), dass ihnen ein 
Vorderbein die Kinnladen und der Magen des Opfertieres zu- 
kommen; und nach dem Priesterkodex haben sie Anspruch auf die 
Brust und auf das rechte Hinterbein^). Wohin der Lauf geht, 
sieht man; für das Judentum ist der Priesterkodex maassgebend 
geworden. Bei den Opfern wenigstens galt seine Forderung; jedoch 
um alle Gerechtigkeit zu erfüllen, hielt man daneben auch die 
des Deuteronomiums aufrecht, indem man sie, gegen die klare 
Meinung und also gewiss erst infolge späterer schriftgelehrter Rigo- 
rosität, nicht auf die Opfer, sondern auf die profanen Schlachtungen 
bezog und auch von diesen den Priestern einen Teil gab, die 
Kinnladen (nach Hieronymus zu Mal. 2, 3) einschliesslich der 
Zunge: also harmonistische Verdoppelung der Leistung'). In einer 
älteren Zeit bekamen die Priester zu Jerusalem Geld von ihren 
Kunden (Deut. 18, 8), hatten dafür aber die Pflicht den Tempel 
in Stand zu halten; man sieht daraus, dass dies Geld eigentlich 
an das Heiligtum gezahlt und nur bedingungsweise dessen Dienern 

pW ist im Gegensatz zu J?T1T jedenfalls das Hinterbein, allerdings ur- 
sprünglich wie im Aramäischen und Arabischen nicht femur, sondern 
crus, aber dann im Hebräischen (wie crus) wol auf das ganze Bein 
erweitert und als Abgabe an die Priester in diesem weiteren Sinne zu 
verstehn, obgleich Josephus die engere Bedeutung (xvi^fjirj) fest hält 
Die falsche Übersetzung ßpoy^wv in der Septuaginta, bei Philo, und in 
der Vulgata erklärt sich aus der Absicht, die Differenz gegen das Deu- 
teronomium auszugleichen. Es fällt auf, dass der Ritus des Webens 
(aussen. Lev. 9, 21) nur mit der Brust vollzogen wird, nicht mit der 
Keule, die einfach Theruma, d. i. Abgabe heisst; vegl. Benzinger, Archäo- 
logie p. 459. Die Bnist ist die ältere Forderung, sie ist an die Stelle 
des deuteronomischen Vorderbeins getreten, obgleich beim Opfer des 
Nazlräers (Num. 6, 19 s.) der Priester beides mit einander bekommt. Es 
zeigt sich eine gewisse Unsicherheit der Praxis auf diesem Gebiete. 

*) Philo de praemiis sacerdotum § 3. Josephus. Ant. 3, 229. 4, 74. 



152 Gfschiehle des Kultti«. Knp. 5. 

Überlassen wurde, Ha sie die Bedingung nicht liieiten, wurde ihren 
vou König Joas auch das Geld entzogen (2. Reg. 12, Tss.). 

Uie Mahlopfer sind im Priesterkodex Nebensache, und w»s 
den Priestern hievon zufällt, ist geringfügig im Vergleich zu ihrer 
Eionaiuue aus den übrigen Opfern. Das Melil, wovon nur eine 
Hajidvoll auf den Altar gestreut wird, die Gebäcke und überliaupt 
die Minha bekommen sie ganz, ebenso die so bänfig geforderten 
Sund- und 8cbiildopfer (Ezech. 44, 29), von denen Gott nur das 
Blut mid Fett, der Darbringer abei- gar nichts erhält; vom Braud- 
opfer Tallt wenigstens das Fell für sie ab. Diese Gefälle jedoch, 
in ihrer bestimmten Form ullesamt nicht als alt nachzuweisen 
und zum Teil nachweislich nicht alt, werden schon in der früheren 
Zeit Analoga geliabt haben, so dass sie nicht schlechthin als Steige- 
rung des Einkommens betrachtet werden dürfen. Zur Zeit Josias 
waren die Masaoth eine Hauptnahrung der Priester (2. Reg. 23, 9): 
sie rührten doch wol grossenteils von der Miuha her. Statt der 
Sund- und Schuldopfer, die noch dem Deuteronomium unbekannt 
sind, gab es früher Sund- und Schuldbussen als Geldzahlungen 
an die Priester, die freilich gewiss nicht so regelmässig gewesen 
sein werden (2. Heg. 12, 17). Es ist als ob die blossen Geld- 
zahlungen dem Gesetze zu profan seien, es muss bei der Sühne 
Blut vergossen werden. Dass von der 01a die nicht opferbare 
Haut dem Priester zufallt, ist eine so natib-liche Sitte, dass 
man sie füi' neu zu halten nicht geneigt sein wird, obwol Ezechiel 
vou dieser doch nicht wertlosen Gebühr schweigt (44, 28 — 31). 

Soweit sich also in den OpfergefäUen des Priesterkodex Ab- 
weichungen gegen den früheren Gebrauch erkennen lassen, sind 
sie zwar keinesfalls für bloss lokale Verschiedenheiten auszugeben, 
aber auch im ganzen und grossen nicht gerade für eine bedeutende 
Erhöhimg der Taxe. Indessen, die ÜpfergefaUe sind hier auch nur 
ein ziemlich untergeordneter Teil des Einkommens der Priester. 
Im Deuteronomium sind <lie letzteren darauf angewiesen, sie leben 
vom Opfer (18, 1) und von der Einladung zn den heiligen Mahl- 
zeiten (12, 12. 18 s.); sie müssen hungern, wenn sie nicht fungiren 
(1, Sam. 2, 36). Dahingegen die Aharonideu des Priesterkodes 
brauchen gar nicht zu opfern und haben doch ihr Brot, denn ihre 
Huupteinnahme besteht in den reichen Naturalsteuern, welche ihnen 
geleistet werden müssen. 

2. Die Abgaben, welche nach dem Gesetze au die Pd^ 




Die Ausstattung des Klerus. 153' 

fallen, waren allesamt ursprünglich Opfer, nämlich die regel- 
mässigen Opfer, welche zu den Festen gebracht werden mussten 
(C^dp); und allesamt dienten sie ursprünglich zu heiligen Mahl- 
zeiten, von denen' die Priester den auch sonst üblichen Anteil be- 
kamen. Dies gilt zunächst von den männlichen Erstgeburten des 
Viehs. Wie wir in dem Kapitel über die Feste gesehen haben, 
werden sie in dem jehovistischen Gesetze ebenso wie in der jeho- 
vistischen Erzählung (über den Auszug und über Abel) geopfert 
und zwar als Mahlopfer, wie alle von Privaten dargebrachten 
Opfer in alter Zeit. Wenn es Exod. 22, 29 heisst, sie sollen dem 
Jahve gegeben werden, so bedeutet das nicht, sie sollen den 
Priestern gegeben werden; von solchen wird im Bundesbuch 
nirgend etwas erwähnt. Ebenso stehn die Sachen im wesent- 
lichen auch noch im Deuteronomium: „du sollst sie dem Jahve 
heiligen und nicht pflügen mit der Erstgeburt deines Rindes 
noch die Erstgeburt deines Schafes scheren, vor Jahve sollst 
du sie verzehren alle Jahr an dem Ort den er erwählt; wenn 
aber ein Fehl daran ist, so sollst du sie nicht opfern dem Jahve 
deinem Gott" (15, 19 — 21). Dem Jahve heiligen, vor Jahve 
essen, dem Jahve opfern — sind hier ganz gleichwertige Begriffe. 
Wenn nun nach Num. 18, 15ss. aller erste Wurf ohne Umschweife 
dem Priester zugesprochen und daneben dann noch ein be- 
sonderes Paschaopfer eingesetzt wird, so kann das nur als die 
letzte Phase der Entwickelung verstanden werden, teils weil über- 
haupt der Begriff der Abgabe im Vergleich zu dem des Opfers 
etwas abgeleitetes ist, teils weil der gewaltige Zuwachs in der 
Einnahme der Priester auf hierokratische Machtentfaltung hinweist. 
Ezechiel zählt die Erstgeburten noch nicht unter den Einkünften 
des Klerus auf (44, 28 — 31); dagegen richtet sich die Praxis des 
Judentums wie gewöhnlich nach der Norm des Priesterkodex; seit 
Nehem. 10, 37- 

Auch der Zehnte ist ursprünglich Gott gegeben und ebenso 
wie die anderen Opfer behandelt, d. h. nicht von den Priestern, 
sondern von den Darbringern in heiligen Mahlzeiten verzehrt. In 
der jehovistischen Gesetzgebung kommt er nicht vor, aber Jakob 
widmet ihn (Gen. 28, 22) dem Gott von Bethel, wobei trotzdem 
dass das Ganze Projektion aus späterer Zeit ist, es doch schwer- 
lich im Sinne des Erzählers sein würde, an Priester daselbst zu 
denken. Der Prophet Arnos, der in gleiche Linie gestellt werden 



-154 Die Qescbiehte des Kulhis, Kap. 5. 

darf, sa^t: „kmnmt uach Bethel zu süntligeu, nach Gilgal noch 
Biehr zu sündigeu, und bringt am Morgen eure Opfer, am dritten 
Tage eure Zehnten, und bringt auf Brot Fleiächstücke dar zur 
Flamme und rufet Freigaben laut aus — so liebt ilir es ja. Haus 
Israel!" (4,4s.). Man sieht, dasa der Zehnte hier in einer Reihe 
mit Zebah Thodii und Nedaba steht; er ist ein Freudenopfer und 
ein glanzvolles Stitok des Öffentlichen Kultus, keine blosse Abgabe 
an die Priester. Auch in diesem Funkte nun hat das Deulero- 
nomium die alte Sitte im ganzen unverändert, gelassen. Nach 
I4, 22 — 29 soll der Zehnte des Feldwucbaes, oder auch der Erlös 
desselben in Gelde, von Jahr zu Jahr zum Ueiligtume gebracht 
and daselbst vor Jahve, also als Mahlopfer, verzehrt werden; nur 
in jedem »bitten Jahre soll er nicht in Jerusalem geopfert, sondern 
als Almosen an die des Gnmdbesitzes entbelu'enden Ortsangehörigen 
gespendet werden, zu denen namentlich die Leviten gehören. 
Die letztere Verwendung ist eine Neuerung, die einerseits mit der 
Abschaffung der lokalen Kultusstjitten zusammenhängt, andererseits 
mit der Tendenz des Deuteronomikers, die Festfreude zu humanen 
Zwecken zu benutzen'). Das ist aber noch nichts dagegen, dass nun 
im Priesterkodex endlich der ganze Zehnte zu einer blossen von 
den Leviten einzusammelnden (Neh. 10, 38) Steuer an den Klerus 
geworden ist, dessen Ausstattung dadurch wiederum sehr beträcht- 
lich verbessert wird, Ezechiel schweigt auch hierüber (44, 2S — 31), 
aber so wie der Zehute im Buche Numeri (18, 21 ss.) gefordert 
wird, hat ihn seit Nehemia (10, 3H s.) die Gemeinde des zweiten 
Tempels gegeben. Späterhin fügte man dazu dann noch, um emer 
misv erstandenen Fonlerung des Denteronomiums zu genügen, den 
sogenannten zweiten Zehuten hinzu, der für gewöhnlich zu. Jerusalem 
verzehrt und im dritten Jahr an die Armen gegeben wurde (so 
Sept. zu Deut. 26, 12), und am Ende entrichtete man sogar den 
Armenzehnten als <iritten zu dem ersten und zweiten obendrauf 
(Tobith 1, 7. 8. Jos. Aut. 4, 240). 

Wahrhaft unerhört ist es, dass der Zehnte, der sich der 

1} Dns deute ronomiäche Geseti der Preisgabe des Zehntens (der für ge- 
wüliulicti von den Dnrhriugern seDier gei^esaen wurde) an die .^rnien 
im drillen Jnhre ist in Wahrheit ein Ersntx für die Kiod. iS geforderte 
Preisgabe der ganien Ernte ira siebten Jshr; es gehurt zusammen mit den 
unmiltelbsr folgenden Gesetzen über die Sch'mitta im siebten Jahre und 
die Freilas.^img des hebräischen Knechtes naeh sechs Jahren; vgl. die 
Compos. des Ilex&t. 1899 p. 8Ö5 s. 





Die Ausstattung des Klenis. 155 

Natur der Sache nach nur von Gegenständen festen Maasses, von 
Korn Most und öl versteht (Deut. 14, 23), im Priesterkodex auch- 
auf das Vieh ausgedehnt wird, so dass neben den männlichen Erst- 
geburten auch noch das zehnte Stück von Rindern und Schafen 
an die Priester gezahlt werden muss. Jedoch findet sich diese 
Forderung noch nicht Num. 18 und ebenfalls noch nicht Neh. 10, 
38. 39, sondern erst in der Novelle Lev. 27, 32 (1. Sam. 8, 17). 
Ob sie in der Praxis des Judentums durchgedrungen ist, erscheint 
fraglich; 2. Chron. 31, 6 wird der Viehzehnte zwar erwähnt, aber 
dafür die Ei-stgeburten nicht ; in der vorrabbinischen Literatur sind 
keine Spuren zu entdecken, insbesondere nicht bei Philo, der nur 
den an die Leviten zu entrichtenden gewöhnlichen, aber nicht den 
an die Priester zu entrichtenden Viehzehnten kennt (de praem. 
sacerd. § 6). 

Mit dem Fruchtzehnten sind die Erstlinge in der Wurzel 
identisch, sie sind durch ersteren nur nachträglich auf ein be- 
stimmtes Maass gebracht. Dies wird der Grund sein, warum in 
der jehovistischen Gesetzgebung nicht beides neben einander ge- 
fordert wird, sondern nur eine dem freien Ermessen anheimgestellte 
Gabe des Ersten und Besten (Reschith) von Korn Most und Öl, 
welche mit der Erstgeburt der Rinder und Schafe zusammengestellt 
wird (Exod. 32, 28. 34, 26. 23, 19). In ganz gleicher Bedeutung 
steht im Deuteronomium neben den Erstgeburten des Viehs der 
Zehnte des Feldes (14, 22 s. 15, 19 ss.). Daneben kommt aber 
auch die Reschith im Deuteronomium vor und zwar in doppelter 
Form. Sie besteht 18, 4 in einer Abgabe von Korn Most Öl und 
Wolle an den Priester, dagegen 2G, 10 in einem Korb voll Fracht, 
den der Darbringer am Ende des Jahres, d. h. beim Laubhüttenfest, 
persönlich auf den Altar niedersetzt*). Im Priesterkodex wird 
neben dem ganzen Zehnten als Abgabe an den Klerus ebenfalls 
noch die Reschith gefordert (Num. 18, 12), und dieselbe wii-d da- 
durch vervielfacht, dass sie nicht bloss von der Tenne, sondern 
auch vom Backtrog gefordert wird: bei jeder Säuerung gebührt die 
Halla dem Jahve (15, 20). Zu der Reschith (18, 12) kommen noch 
die Bikkurim (18, 13) hinzu. Sie scheinen davon unterschieden 
zu werden, und wenn dies wirklich der Fall ist, so müssen diejenigen 
rohen Früchte damit gemeint sein, die am frühesten reif geworden 

») Vgl. die Coinpos. des Hexat. 1899 p. 361. 



15G 



Gpsehichte des Kulhis, Kap. ' 



sind. Das Judentum, welches eich hier abermals im weseiitlicheu 
durchaus nach der Yorsthrift des Priesterkodex richtet, hat in der 
Tat diese Distinktion gemacht; seit der Publikation des Gesetws 
durch Jlzra verpflichtete sich die Gemeinde, die Bikkui-im jahrlich 
hinaufzubringen zum Hause Jahves, die Reschith aber in die Tempel- 
zellen abzuliefern (Neb. lU, 3(5, 38). Jenes war eine mit Processionen 
verbundene religiöse Feier, bei der man Deut. 26 als Ritual be- 
nutzte, dieses mehr eine simple Naturalsteuer — ein Unterschied. 
der \'ielleicht mit den verschiedenen Ausdrücken sie sollen 
bringen (Kum. 18, 13) und sie sollen geben (18, 12) zusammen- 
hängt. Die Septnaginta hält invpyixt und TEputo^ewriiiatet geuan 
auseinander, ebenso Philo de praem, sac. § 1. 2 und Josephns 
Ant. 4, 70. 241'). 

3. Es ist unglaublich, was am Ende alles abgegeben werden 
muss. Was ursprünglich neben einander hergelaufen war, wird 
zosammengehänft, was frei und unbestimmt gewesen, wird auf 
Maasa gebracht und vorgeschrieben. Die Priest-er bekommen alle 
Sund- und Schnldopfer, den grössten Teil der vegetabilischen Zu- 
gaben, die Haut vom Brand-, Keule und Brust vom Mahlopfer, 
Ausserdem die Erstgeburten, sodann Zehnten und Ei-stlinge in 
doppelter Form, kurz alle Kodaschim, die früher bloss als regel- 
mässige Mahlopfer gefordert (Deut. 12, 26 = v. 6. 7 u, a.) und 
freilich an heiliger Stätte und von geheiligten Gästen, aber nicht 
von dem Priester verzehrt wurden. Trotzdem wird dafür nicht 
etwa dem Klerus (wie von Ezechiel dem Fürsten, der dort die 
Abgaben bezieht 4:1, 13 ss.) zugemutet den öfFeutlichen Gottes- 
dienst auf seine Kosten zu bestreiten, sondern dazu dient die 
Kopfsteuer, die im Kern des Priesterkodex noch nicht angeorduet, 
aber seit Neh. 10, 33 in der Höhe eines «b-ittel Sekel, in einer 
Novelle des Gesetzes (Exod. 30, 16) in der Hohe eines halben ge- 
fordert und schliesslich in der Höhe eines ganzen geleistet ist. 



U. 



M 



I. Zu der Ausstattung des Klerus im Priesterkodex gehören 
endlich noch die achtundvieniig Städte, welche ihm nach Moses 

') Dm Verh&ltnis vun "ItPJIO, n^IffNI, CIDi' "l"" HDlin zu einander 
bedärfte Ptner genauen Untersuchung, mit aorgsaui?r L'nterscheidimg der 
verschitfdenen Quellen und Zeiten, \iis zur Mischna herunter. Die Unlei^ 
schiede sind mir uictit recht klar; die Richtung der Entwickelung J 




Die Ausstattung des Klerus. 157 

Anordnung von Josua zugewiesen worden sind (Num. 35. Jos. 21). 
Die Stämme geben sie gutwillig her, der kleine wenig, der grosse 
mehr (Num. 35, 8). In vier Abteilungen losen die Aharoniden 
und die drei Geschlechter der Leviten dai-um, jene treffen 13 Städte 
in Juda, diese 10 in Ephraim-Manasse, 13 in Galiläa und 12 im 
Ostjordanlande. Nicht etwa bloss die Wohnberechtigung, sondern, 
trotz allem apologetischen Rationalismus, den vollen Besitz erhalten 
sie an denselben (Jos. 21, 12), einschliesslich einer als Gemeinde- 
anger dienenden Feldmark von 2000 Ellen im Quadrat — Quadrat 
in ganz eigentlichem Sinne gefasst (Num. 35, 5). 

Die sachliche Unmöglichkeit dieser Einrichtung hat nach Gram- 
bergs Vorgange Graf mit schlagenden Gründen, erwiesen (Merx 
Archiv I p. 83). Die 4x12 oder statt dessen 13+10+13 + 12 
Städte, von denen trotz Num. 35, 8 gewöhnlich vier auf je einen 
der zwölf Stämme fallen, reichen schon hin den Verdacht künst- 
licher Mache zu begründen; vollens die Bestimmung, dass ein 
quadratischer Bezirk von 2000 Ellen Seitenlänge rings um die 
Stadt, die dabei (Num. 35, 4) rein als Punkt beti'achtet wird, 
zur Viehtrift für die Leviten abgemessen werden solle, Hesse sich, 
um mit Graf zu reden, wol etwa in einer südrussischen Steppe 
oder bei neu zu gründenden Städten im Westen Nordamerikas, 
nicht aber in dem gebirgigen Palästina ausführen, wo ein solcher 
geometrisch abzumessender Raum gar nicht vorhanden ist und 
es keineswegs von willkürlichen Gesetzesbestimmungen abhängt, 
welche Grundstücke sich zu Viehweiden und welche sich zu Feld- 
und Gartenbau eignen, wo auch die Städte schon bestanden und 
das Land schon bebaut war, als die Israeliten es im Laufe der 
Jahrhunderte eroberten. Geschichtliche Spuren von dem Vorhanden- 
sein der Levitenstädte finden sich denn auch seit Josua nirgend. 
Eine ganze Anzahl derselben wai- noch in den Tagen der Richter 
und bis in die erste Königszeit im Besitz der Kanaaniten, so Gibeon 
Sichern Gezer Thaanach, einige mögen sogar stets darin verblieben 
sein. Die aber in die Hand der Israeliten übergingen, gehörten zu 
keiner Zeit den Leviten. Sichem Hebron Ramath waren die Metro- 
polen von Ephraim Juda und Gilead, ebenso Gibeon Gezer Hesbon 
wichtige und keineswegs geistliche Städte. In der deuteronomischen 

dessen, dass die Kodaschim d. i. die regelmässigen Opfer (im Gegensatz 
zu Nedarim und Nedaboth) allmählich zu blossen Abgaben an die Priester 
herabsanken, unterliegt keinem Zweifel. 



(Ic-eliirlitc rti'S Kultus, Kap. 5. 

Periode lebten die Leviten in der IV eise über Juda verstreut, dass 
jeder Ort die seinigen tind den seinigen hatte, nii^ends wohnten sie 
abgeschlossen io kompakten Massen zusnininen, da sie sich ja vom 
Opfern für andere nährten nnd ohne Gemeinde ihren Beruf nicht 
ansüben konnten. Einzelne hatten wol Land und Erbe; wie einst 
die silonische Familie zu Gibeath-Pinehas, Amasia zu Bethel und 
Abiathar zu Anathoth, so in späterer Zeit Jeremiaa gleichfalls zu 
Anathoth. Aber eine Priesterstadt im Sinne von Jos. 21 war z. B. 
Anathoth darum noch nicht, Jeremias hatte dort sein Grumlstnck 
als Büj-ger und nicht als Priester und teilte nicht mit deu Priestern, 
sondern mit dem Volke (37, 12). Als Stamm unterschied sich 
Levi eben dadurch von den anderen Stämmen, dass er kein I^ud 
hatte und seine Glieder nur als luquilinen deu angesessenen Büi^ern 
und Bauern sich anschlössen (Deut. 10, iL ]!:*, J), 

Auch nach dem Exil wurde es freilich in dieser Beziehung 
nicht andere als es vorher gewesen war. Ah excidio tempU prioris 
sublatum est Levitia ius suburbiorum, sagt R. N'achman (h. Sota -JH»), 
und das Schweigen von Neh. 10 gibt ihm Recht. Man verschob 
die Ausführung des Gesetzes wahrscheinlich auf die Zeit des Messias, 
sie stand in der Tat nicht in der Menschen Macht und kann vom 
I'riesterkodex selbst nicht im Ernst gefordert sein, da er ein rein 
ideales Israel mit idealen Grenzen dabei vor Augen hat und von 
der Wirklichkeit so weit abstrahirt, dass er Jerusalem, den ge- 
schichtlichen Hauptsitz der Priester, aus archaistischen Gründen 
gar nicht mit unfluhrt. 

Dieser Umstand nun, dass nämlich diese Städte in partibus 
infidelium lagen, scheint sie als Handhabe für die Altersbestimmung 
des Priesterkodex unbrauchbar zu machen. Man kann wie Bleek die 
geschichtliche Transcendenz als Mosaicitat auslegen, dagegen ist 
nicht anzukämpfen. Man kann aber auch in der Weise Nöldekea 
geltend machen, eine so kühne Erfindung lasse sich dem Geist« der 
exilischen und nachexilischen Zeit nicht zutrauen, der überall nur 
ängstlich an das Alte sich anzuklammern tind es zu restauriren 
beflissen sei; dies verdient und gestattet eher eine Widerlegung. 
Es ist nämlich nicht au dem, dass die Juden der Restauration vor 
ihrer alten Geschichte Respekt gehabt hätten, sie verurteilten %nel- 
mehr die ganze frühere lüntwickelung und Hessen nur die mosaische 
Zeit nebst ihrem davidischen Abglanz gelten, d. h. also nicht die 
Geschichte, sondern die Idee. Die thookratische Idee stand 




Die Ausstattimg des Klerus. 159 

dem Exil im Mittelpunkt alles Denkens und Strebens, und sie ver- 
nichtete den objektiven Wahrheitssinn, die Achtung und das Inter- 
esse für den überlieferten Sachverhalt. Es ist bekannt, dass es 
nie dreistere Geschichtsmacher gegeben hat, als die Rabbinen. Die 
Chronik aber liefert hinreichende Proben, dass diese schlimme Dis- 
position in sehr frühe Zeit hinaufreicht, wie denn ihre Wurzel, der 
dominirende Einfluss des Gesetzes, die Wurzel des Judaismus selber 
ist. Der Judaismus also ist für ein solches Kunstgewächs, wie die 
achtundvierzig Priester und Levitenstädte sind, gerade der geeignete 
Boden. Einem Autor, der in der Königszeit, noch in der Kon- 
tinuität der alten Geschichte lebte, würde es schwer gefallen sein, 
80 gänzlich von allen Bedingungen der damaligen Wirklichkeit zu 
abstrahiren, er würde dadurch auf seine Zeitgenossen keinen an- 
deren Eindruck gemacht haben als dass sie ihn für nicht recht 
klug gehalten hätten. Nachdem aber durch das Exil das alte 
Israel vernichtet und der natürliche Zusammenhang mit den Zu- 
ständen des Altertums gewaltsam und gründlich durchschnitten 
war, stand nichts im wege, die tabula rasa in Gedanken beliebig 
anzupflanzen und auszustaffiren, etwa so wie es die Geographen 
mit den Landkarten zu machen pflegen, so lange die Gegenden 
unbekannt sind. 

Weiter nun ist bekanntlich keine Phantasie reine Phantasie, 
einer jeden liegen irgendwelche reale Elemente zu gründe, bei 
denen sie sich fassen lässt, seien es auch nur gewisse herrschende 
Vorstellungen eines Zeitalters. Es ist klar, wenn dem Klerus ein 
eigenes Gebiet zugesprochen wird, so ist die Vorstellung von dem 
geistlichen Stamm, die im Deuteronomium eben anfängt Wurzel 
zu schlagen, hier bis zu dem Grade ausgewachsen und erstarkt, 
dass auch der letzte und ausschlaggebende Unterschied wegfällt, 
welcher die wirklichen Stämme gegenüber den I^eviten auszeichnet, 
die kommunale Selbständigkeit und die Dichtigkeit der Konsistenz, 
welche in abgeschlossenen Sitzen zum Ausdnick gelangt. Denn 
dass es trotzdem im Priesterkodex heisst, Aharon und Le^d sollen 
kein Teil und Erbe haben in Israel (Num. 18, 20. 23), das ist nur 
eine aus dem Deuteronomium beibehaltene Redensart und zugleich 
eine unwillkürliche Koncession an die Wirklichkeit'): was sollen 



*) Es ist vielmehr zu sagen, dass Num. 18 der Grundschrift des Priester- 
kodex angehört, welche die Levitenstädte noch nicht kennt (p. 119 n. 1). 



160 Lleschiclite des Kultus, Kup. 'i. 

<lenD diese acht und vierzig Städte, hätte es eie wirklich gegebc 
anders sein als ein Los, als eia Landgebiet niid zwar ein vergleichs- 
weise setir bedoutendes? Lässt sieb insoweit die allgemeine Basis 
erkennen, welche der historischen Fiktion zur Voraussetzung dient, 
so kann man auch einen näheren Einblick in das konkrete Material 
derselben gewinnen. Die Priester- und Levitenstädte hängen mit 
den sogenannten Freistätten zusammeu. Diese werden nun auch 
im Deuteronomium angeordnet (Kap. 19), nur noch nicht uument- 
lich aufgeführt — denn Deat. 4, 41 — 13 kann nicht als genuin in 
Betracht kommen. Ursprünglich waien die Altäre Asyle (EKod.21,14. 
1. R^. 2, 28), einige in höherem Grade als andere (Exod. 21, 13). 
Um nun nicht mit den Altären zugleich auch die Asyle abzuschaffen, 
wollte der deuteronomische Gesetzgeber einzelne heilige Orte als 
Zufluchtsstädte fortbestehn lassen, vorläufig di'ei fiir Juda, zu denen 
wenn sich das Gebiet des Reichs erweiterte noch drei andere hin- 
zukommen sollten. Der Priesterkodex nimmt diese Einrichtung 
herüber und nennt drei bestimmte Städte diesseit und drei jenseit 
des Jordans (Num. 35. Jos, 20) — vier davon sind nachweislich 
berühmte alte Kultusstätten, nämlich die sämtlichen drei wesent- 
lichen und von den östlichen Ramathd. i. Mispha (Gen. 31. Jud. 11,11). 
Alle diese Asyle sind nun aber zugleich Priester- und Le\iten- 
städte; die Vermutung liegt nahe, dass diesen auf eine ähnliche 
Weise alte Heiligtümer mögen zu gründe gelegen haben. Es soll 
damit nur das Nachklingen einer allgmeinen Erinnerung behauptet 
werden, dass es einst in Israel viele heilige Orte und Sitze von 
Priesterschaften gegeben hatte, nicht gerade, dass jeder einzelneu 
der Jos. 21 aufgeführten Städte wirklich ein altes Heiligtum ent- 
spreche. Vielfach Eässt sich dies jedoch allerdings nachweisen*), 
obwol einige der berühmtesten oder für den späteren Standpunkt 
berüchtigtsten Bamoth, wie Bethel Dan Gilgal und Beei-seba, walir- 
scheinlich mit Absicht übergangen sind. 

Indessen ist vielleicht der nächste Ausgangspunkt für diese 

') Bei Hebrou Qibeon Sichern Rauath Mahanoini und Thahor (Os. 5, I) 
durch gesctuchtllche Nachrichten, bei Bethsemes Airtharoth Eedes, Tiel- 
ieicht auch Rimmona, dorch die Nomen. Konaequente historische Treue 
irird iDBO freilich auch hier dem Priesterkodex uicht xutraueu därfen. 
Was Oh. 5. 1. 2 augeht, so schdnt der urspröngücbe Siaii zu sein; .eio 
Fallstrick seid ihr geworden für Miaphu und ein ausb,'ebreitetes SvU auf 
dem Thabor, und die Fallgrube von Sittim CO'Ktfn nnB") hoben sie 
tief eemacht". Sittjm ist als Lagerstätte unter Uoscs und Jasui aiclier 
ein Heiligtum, so gut wie Kadea Oilgul und Sila; der Prophet i 




Die Ausstsittimg lios Klir 



lei 



I 
I 



Ciebietsabgabe an die Leviten bei dem Propheten Ezechiel zu 
Sachen, in dem Bilde, welches er zum Schluss von dem zukünftigen 
Israel entwirft. Ausführlich beschäftigt er sich da auch mit der 
Absteckung der Grenzen des Volkes und der Stämme, wobei, er 
ganz frei zu Werke geht nnd gewissermaassen nach der Elle za- 
Bchueidet. Während er das Land östlich vom Jordan den Bne 
Kedem überlässt, teilt er das westliche in 13 parallele Querstreifen; 
iD der Mitte des (übrigens dem Fürsten zugewiesenen) dreizehnten, 
der zwischen Juda und Benjamin sich erstreckt, treten die zwölf 
8tämme ein Quadrat von 2r>0()0 Ellen als heilige Abgabe an Jahve 
ab. Dieses wird in drei von West nach Ost laufende und somit 
in dieser Richtung 25000 Ellen lange Oblonga zerlegt, davon um- 
fiisst das südliche, ÖOOO Ellen breit, die Reichsstadt nebst Ge- 
markung, das mittlere, lOüO«-) Ellen breit, den Tempel nnd das 
Gebiet der Priester, das nördliche, gleichfalls 10000 Ellen breit, 
das Erbe nnd die Städte der Leviten '). Also ebenfalls eine Land- 
abgabe von Seiten der Stämme au den Klerus; die Vergleichuug 
mit Jos. 21 ist nicht abzuweisen, um so weniger, da sonst im 
Alten Testament sieh nirgend Ähnliches findet. Ezechiel nun ist 
ganz durchsichtig und aus sich zu verstehn. Damit der Tempel 
in seiner Heiligkeit auf das beste geschützt werde, kommt er in 
die Mitte des Priestergebietes zu liegen, welches seinerseits wieder 
Ton der Sladt im Süden und von den Leviten im Norden gedeckt 
wii'd. Zugleich soll auch das Kultuspersonal selber möglichst ab- 
geschieden auf eigenem Grund und Bodeo wohnen, derselbe soll 
Ihnen dienen zu abgesonderten Häusern sie zu heiligen, 
■wie es für die Priester 45, 6 ausdrücklich bemerkt wird und in 
ftbgestui^m Maass natürlich auch für die Leviten ihnen zur seite 
gilt. Vom Tempel geht hier alles aus und erklärt sich alles. Sein 
Original ist unverkennbar der salomonische; er liegt bei der Haupt- 
stadt, im Centrum der heiligen Mitte des Landes zwischen Juda und 
Benjamin, dort haben die Söhne Sadoks Ihren Sitz und daneben 
'die Leviten, welche Josias aus dem ganzen Lande nach Jerusalem 

aolche StAllcn u:i, nn denen nach seiner Meinung der Kultus besonders 
rerlockeud und seelenmürdi^risch ist; den Vorwnrfinadit er den Priestern, 
die das Subjekt der Aussagen sind. 
') FürnilffS CniST) 45, 5 lies mit der Septunginla r>1.wh D'IJJIP- 
Tore m wohnen. Vgl. Sept 42,3 die gleiche l'mstellunt' der Buch- 
staben. Der Ausdruck Tore (d.i. MSrklf, Gerichlsslätten) für Städte 
ist dnrch dus Deuteronomium T(>rii:itiisf<i, 

ir*ll>iis>ea, Piulcgamiaa. (.Abu. 11 



152 OtfSL'hiL-litP des Kultris, Kap. 5. 

äbergefuhii hatte. Man sieht, hier liegen die ^lotive saf der £ 
Dahingegen im Priesterkodex, der nicht in der Lage war, die Zu- 
kunft frei von der Gegenwart ans zu gestalten, sondern gezwungen, 
sich archaistisch zu verbrämen, sind dieselben historisch verdeckt 
und fast paralysirt. Die Wirkung ist gebliebea. nämlich der ab- 
geschlossene Landbesitz des Klerus, aber die Ursache oder der 
Zweck, durch die Abstraktion vom Heiligtum, nicht mehr zu er- 
kennen. Jerusalem und der Tempel, die eigentlich treibende Kraft 
der gauzeii Einrichtung, werden mit einer höchst auH'aüeudeu Ge- 
tlissentlichkeit in Stillschweigen begraben, und dagegen, in Iteminis- 
cenz der friiher überall an den israelitischen Bamoth zerstreuten 
Priesterschafteu, achtuudvierzig anderweitige Levitenstädte kreirt, 
denen aber ihr eigeutlicher Mittelpunkt, niimlich ein Heiligtum, 
entzogen ist. Nur darin, dass die Aharoniden sich zufällig gerade 
die dreizehn jüdiscb-benjaminitiscbeu Städte erlosen, bricht denn 
doch unwillkürlich der EinHass Jerusalems durch. 

2. Abgesehen von dieser historischen Fiktion sind die übrigen 
Ansprüche betreffs der Ausstattung des Klerus, so exorbitant sie 
sind, doch ausführbar und ernst gemeint. Man steht ihnen gegeu- 
über, was die Umstände ihrer Genesis betrifft, vor zwei Möglich- 
keiten. Entweder die Priester forderten, was sie zu erlangen holTeu 
konnten; dauu hatten sie tatsächlich die Herrschaft über das Volk. 
Oder sie stellten Forderungen, die zu ihrer Zeit weder berechtigt 
noch überhaupt möglich waren: dann waren sie zwar nicht bei 
Sinnen, zugleich aber doch so prophetisch nüchtern, dass Jahr- 
hnnderte später ihre goträumten Einkünfte in wirkliche sich ver- 
wandelten. Soll etwa Moses seinem in der Wüste notdürftig das 
Leben fristenden Volke angemutet haben, für eine übermässig i-eiche 
Dotirung des IvJcrns zu sorgen? oder glaubt man, in der ßichter- 
periode, wo die einzelnen israelitischen Stämme und Geschlechter, 
nachdem sie sich zwischen die Kanaaniter eingedrängt, Müho hatten 
ihre Position zu behaupten und sich in den neuen Wohnsitzen 
und Verhältnissen einigermaassen einzuwurzeln, sei der Gedanke 
aufgetaucht, dergleichen Steuern zu erheben von einem Volke, das 
erst zusammenwuchs, zu einem Zweck, der ihm durchaus ferne lag? 
welche Gewalt hätte denn damals, wo jeder tat was ihm recht 
schien, den eiuzeluen vermögen aollen zu beaaiilen? Als aber wirk- 
lich unter dem Druck der Umstände eine politische Organisatiou, 
welche die sämtlichen Stämme umfnsste, zu stände gekommen war. 



Die Ausstattung des Klenis. 163 

auch da konnten die Priester schweriich darauf verfallen, den welt- 
lichen Arm als Mittel zu benutzen, um sich selber eine souveräne 
Stellung zu geben; und ohne den König konnten sie, bei ihrer 
völligen Abhängigkeit von ihm, noch weniger die Rechnung machen. 
Km-zum die Ansprache, welche sie im Gesetz erheben, würden 
sich in der vorexilischen Zeit im eigentlichen Sinne utopisch aus- 
genommen haben: sie erklären sich nur aus den Verhältnissen, 
wie sie seit der chaldäischen und noch mehr seit der persischen 
Fremdherrschaft sich anliessen zur Ausbildung einer Hierokratie, 
der das Volk als der wahrhaft nationalen und dazu auch göttlichen 
Obrigkeit frei\(^illigen Gehoi-sam entgegenbrachte und der auch die 
Perser Rechte einräumten, die sie der Familie Davids nicht ver- 
statten mochten. Gleich im Anfange des Exils beginnt Ezechiel 
die Einkünfte der Priester zu steigern (44, 28 — 30); doch hält er 
sich im ganzen noch an das Maass des Deuteronomiums und er- 
wähnt nichts von Zehnten und Erstgeburten. Von den Forderungen 
des Priesterkodex im vollen Umfange hören wir geschichtlich zum 
ersten male in Neh. 10; da wird berichtet, dass sie von Männern, 
welche die Autorität des Artaxerxes hinter sich hatten, durch- 
gesetzt wurden. Es ist dies mit das schwerste und zugleich wichtigste 
Stück in der Ai-beit, welche Ezra und Nehemia bei der Einführung 
des Pentateuchs als Gesetzes der jüdischen Gemeinde hatten; darum 
ist so speciell und so ausführlich davon die Rede. Hier liegt offen- 
bar die materielle Biisis der Hierokratie, von wo aus ihr Haupt 
schliesslich auf den Königsthron gelangte. 

Denn alle diese Abgaben, abgesehen von den Opfergefällen, 
flössen in eine gemeinsame Kasse und kamen denen zu gut, die 
über die letztere zu verfügen hatten, d. h. dem Priesteradel zu 
Jerusalem, dem sie zu einer wahrhaft fürstlichen Stellung ver- 
halfen. Die gewöhnlichen Priester und gar die Leviten hatten 
nichts davon. Die letzteren sollten zwar nach dem Gesetz den 
Zehnten bekommen und davon nur wiederum den Zehnten an die 
Aharoniden abtreten, aber wie überhaupt die Richtung der Zeit 
dahin ging sie herabzudrücken, so wurde ihnen allmählich auch 
dieses gesetzliche Einkommen entzogen und von den Priestern an- 
geeignet. Weiterhin nahmen dann die Erzpriester den Zehnten 
für sich allein in Beschlag, während ihre niederen Standes- 
genossen bitteren Mangel und selbst Hunger litten (Jos. Ant. 20, 
181. 206). 

11* 



]r;4 (Icsi'liichte des EiiJtiis, Kap. 5. ^H 

Zum Scillugs sei iioch ein Einwurf erwähnt, iler ueuerdii^ja 
auf grund der eiteu angegebenen DilTeTeiiz der späteren Praxis 
vom Gesetz gegen die Änsetzung desselben in der babyloniacb- 
[leraischen Periode gemacht worden ist. „Ein «uderes Zeugnis 
der Überlieferung schliesst Abfassung der elohistischen Thom (d. h. 
des Priesterkodex) durch Ezra geradezu aus. Ea ist bekanntlich 
<lie elohistische Thora, weiche das Verhältuis der Priester und 
Leviteu zu einander gellissentlich ordnet, während das Oeutero- 
norainm beides ohne den Unterschied hervorzuheben zusanimeu- 
fasst. Jene ist es, welche den Leviten den Zehnten zuweist, sie 
jedoch verpflichtend den Zehnten von ihi'em Dienstzetinten als 
Hebe au die Priester abzugehen. So war auch bald nach dem 
Exil [d. h. 100 Jahi-e später Neh. 7, 5] die Praxis . . . (Neil. 10, 
;-{8ss.). Weiterfiin aber kam die Eutrichtung des Zehnten an 
die Leviten ganz ausser Brauch, man eutrichtete den Zehnten un- 
mittelbar und nur an die Priester, so dass Jose ben Chauina ge- 
radezu bekennt: wir geben den Zehnten nicht nach Gottes An- 
ordnung (Sota 47*'). Überall aber fühi't der Thalinud diese Praxis 
auf Ezra zurück. Ezra soll es gewesen sein, welcher die Leviten 
durch Entziehung des Zehnten strafte und zwar weil sie nicht 
aus Babel heimgekehrt waren (Jebam. >^^. Chulün 131''). Wir 
konstatiren, dass Ezra eine Vorschrift der elohistischen Thora nach 
traditionellem Zeugnis antiquirt hat, indem er sich dabei vielleicht 
auf die deuteronoraiache Thora stützte." So Delitzsch in der 
Zeitschr. für luth. Theol. 1877 p. 448 s. Dass Ezra nicht der Vei-- 
fasser des Priesterkodex ist, soll bereitwilligst zugestanden werden 
— nur nicht auf dies Argument hin. Wenn die Überlieferung, 
die mit Recht diesen edlen Namen verdient, den Ezra ausdrücklich 
als Einführer des Levitenzehntens gerade nach der Vorschrift des 
Gesetzes nennt (Neh. 10, 38ss.), welcher gewissenhafte Mensch 
darf dann etwas darauf geben, dass der Thalmud es besser weiss? 

Aber nelmien wir an, die von der geschichtlicheu Voi'sclirifit 
dilferirende Praxis reiche wii-klich bis auf Ezra zurück, was würde 
daraus gegen den nachexilischen Ursprung des Priesterkodex folgenP 
denn auf diesen kommt es an, nicht auf die Abfassung durch Ezra, 
die nur von der durchsichtigen Angriffstaktik jenes Theologen zur 
Hauptsache gemacht wird. Die Forderungen des Priesterkodex, die 
vor dem Exil nachweislich weder gestellt ncch irgendwie erfüllt 
worden sind, erlaugten 100 Jahre nach der Kückkelir aus Babil 




Die Ausstattung des Klerus. 165 

Gesetzeskraft (Neh. 10), das ganze Abgabensystem des Judentums 
basirte allezeit darauf — soll das gar nichts besagen in Vergleich 
zu der Kleinigkeit, dass der Zehnte zwar auch durchaus in Über- 
einstimmung mit dem Priesterkodex und im Widerspruch zu der 
alten Sitte an den Klerus abgegeben wurde, aber nicht dem 
niederen, sondern dem höheren zu gute kam? 

Besser in der Tat als diese hätte jede andere Differenz der 
jüdischen Praxis vom Gesetz gegen die Thesis Grafs geltend ge- 
macht werden können, z. B. das Fehlen der Urim und Thummim 
(Neh. 7, 65) oder der achtund vierzig Levitenstädte, die Gemeinde 
der zurückgekehrten Exulanten statt der Gemeinde der zwölf Stämme 
Israels, der zweite Tempel statt der Stiftshütte, Ezra statt Moses, 
die Söhne Sadoks statt der Söhne Aharons, item die Abwesenheit 
der übrigen Merkmale der Mosaicität. Denn mit jenem Punkte 
wird gerade die Achillesferse des Priesterkodex berührt. Wenn 
die Leviten späterhin noch weiter unter die Priester herabgedrückt 
und gegen sie benachteiligt werden, so setzt das doch den Unter- 
schied zwischen beiden voraus: weise man also erst nach, dass 
dieser dem genuinen Alten Testament bekannt ist und dass in- 
sonderheit Ezechiel ihn nicht als neu, sondern als uranfänglich ge- 
geben behandelt. Oder bedeutet die primäre Tatsache, dass die 
Kluft zwischen Priestern und Leviten nur im Priesterkodex und 
im Judentum vorhanden und in ihrer Genesis seit Josias mit 
Sicherheit verfolgbar ist, weniger als die sekundäre, dass dieselbe 
in der weiteren Entwickelung des Judentums sich noch etwas ver- 
breitert hat? ist denn nicht die Konsequenz Folge des Princips? 
Aber — ganz zutraulich stellt Delitzsch den Satz an die Spitze: 
„es ist bekanntlich die elohistiache Thora, welche das Verhältnis 
der Priester und Leviten zu einander geflissentlich ordnet, während 
das Deuteronomium beides ohne den Unterschied hervorzuheben 
zusammenfasst", und auf dem Grunde dieser vorsichtigen Harm- 
losigkeit wirbelt er dann, in der Meinung den Baum an der Wurzel 
zu treffen, einen Stein in den Wipfel, der auf ihn selber zuiiick fällt. 



IL 



Geschichte der Tradition. 



nXiov fJfjLtau TcavT^c. 



Sechstes Kapitel. 



Die Chronik. 

Unter dem Einfluss des Zeitgeistes ist der gleiche, Ursprung- 
lieh aus Einer Quelle geflossene UberlieferungsstofF sehr verschieden 
aufgefasst und geformt worden, anders im neunten und achten 
Jahrhundert, anders im siebenten und sechsten, anders im fünften 
und vierten. In der selben Ordnung nun, wie die Schichten der 
Gesetzgebung, folgen sich auch die Schichten der Tradition. Dabei 
macht es keinen Unterschied, ob die Tradition sagenhaft oder 
historisch ist, ob sie vorgeschichtliche oder geschichtliche Zeiten 
betrifft: der Wechsel der hen-schenden Ideen prägt sich gleich- 
massig hier wie dort aus. Dies für den Hexateuch nachzuweisen 
ist allerdings unsere Hauptabsicht; aber den Anfiing machen wir 
vielmehr mit den eigentlich historischen Büchern. Denn aus ver- 
schiedenen Gründen können wir hier mit grösserer Gewissheit be- 
haupten: dies Ansehen hatte die Geschichte in dieser, jenes in 
jener Periode, diese und jene Einflüsse herrschten hier und dort. 

Wo die Sache am klarsten liegt, setzt die Untersuchung ein, 
nämlich bei der Chronik. Die Chronik, mit den Büchern Esdrae 
und Nehemiae eigentlich zusammengehörig, geht im Stoff voll- 
kommen den Büchern Samuelis und der Könige parallel, und wir 
sind hier in der günstigen Lage, die Vergleichungsobjekte nicht 
erst wie gewöhnlich durch Quellenscheidung gewinnen zu müssen, 
sondern sie von vornherein, sicher begrenzt, vor uns zu haben. 
Was aber mehr ist, wir können sie auch ziemlich sicher datiren. 
Die Bücher Samuelis und der Könige sind im babylonischen Exil 



170 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

redigirt, die Chronik dagegen ist wol 300 Jahre später verfasst, 
nach dem Untergange des persischen Reichs, schon mitten aus dem 
Judaismus heraus. Es soll nun gezeigt werden, dass es lediglich 
der Zeitunterschied ist, welcher die abweichende Darstellung des 
selben Gegenstandes auf der früheren und auf der späteren Stufe 
erklärt, und dass der Unterschied im Geist der Zeiten beruht auf 
dem inzwischen eingetretenen Einfluss des Priesterkodex. Ich 
fusse durchgehens auf de Wettes kritischem Vei-such über die Glaub- 
würdigkeit der Bücher der Chronik (Beiträge I 1806); diese Ab- 
handlung ist von Graf (Gesch. Bücher des Alt. Test. p. 114 ss.) 
nicht verbessert, denn die Schwierigkeit ist hier nicht, die Einzel- 
heiten aufzutreiben, sondern einen Gesamteindruck zu geben und 
des überreichen Stolfes Herr zu werden. Und das hat de Wette 
viel besser verstanden. 

I. 

1. Nachdem Jahve den Saul getötet hatte, so beginnt die 
Erzählung der Chronik, wandte er das Königreich dem David ben 
Isai zu; ganz Israel versammelte sich zu ihm nach Hebron und 
salbte ihn zum Könige nach dem Worte Jahves durch Samuel 
(1. Chron. 10, 1 — 11, 3). Wie einfach und glatt, wie ganz ohne 
menschliches Zutun hat sich darnach die Sache gemacht! Anders 
in der Relation des Buches Samuelis. Diese enthält zwar wört- 
lich auch den Bericht der Chronik, aber noch einiges mehr, wo- 
durch die Sache ein ganz anderes Aussehen gewinnt. Auf der 
untersten Stufe zum Königtum ist David hier der Bandenfülu*er 
in der Wüste Juda, der schliesslich durch Sauls Verfolgungen ge- 
zw^ungen wird auf philisthäisches Gebiet überzutreten und dort 
unter dem Schutz der Feinde seines Volks sein Freibeuterleben 
fortsetzt. Nach der Schlacht von Gilboa benutzt er die Auflösung 
des Reichs, um als Vasall der Philister im Süden ein Partikular- 
fürstentum zu errichten; er wird nicht erwählt, sondern mit sechs- 
hundert Mann hinter sich kommt er und trägt sich den Altesten 
Judas an, die er schon früher durch allerlei Gefälligkeiten und 
Geschenke sich verbunden hat. Inzwischen rettet Sauls Vetter, 
Abner, vom Reich was zu retten ist, nicht für sich, sondern für 
den rechtmässigen Erben Isbaal; von Gilead aus, wohin er nach 
der grossen Katastrophe die Regierung verlegt hat, erobeit er all- 
mählicli das Westjordanland zurück und trachtet darnach, auch 



Die Chronik. 171 

das losgerissene Juda wieder zu gewinnen. So kommt es zu 
langwierigen Kämpfen zwischen Abner und David, worin das 
Glück mehr auf seilen des letzteren ist, doch tritt er nicht aus 
der Defensive heraus und erwirbt nicht etwa im Kampfe die 
Herrschaft über Israel. Sie wird ihm vielmehr durch Verrat in 
die Hände gespielt. Abner selbst, über den Undank seines könig- 
lichen Neffen erzürnt, bietet dem Nebenbuhler die Krone an und 
tritt deshalb mit ihm in Unterhandlung, aber da er gleich darauf 
der Blutrache zum Opfer fällt, so wird nichts daraus, bis Isbaal 
heimtückisch im Schlaf von zweien seiner Hauptleute ermordet 
wird: da erst -kommen die Ältesten von Israel nach Hebron und 
da eret wird David König über das Reich Sauls. Wie viel Zeit 
gebrauchen die Dinge, wie natürlich entwickeln sie sich, wie viel 
Menschliches läuft mit unter, List und Verrat und Krieg und 
Mord! Der Chronik ist das alles zwar wol bekannt, wie aus 
gelegentlichen Äusserungen in Kap. 11 und Kap. 12 erhellt, aber 
es wird verschwiegen. Unmittelbar nach seines Vorgängers Tode 
wird der Sohn Isais von ganz Israel aus freien Stücken zum Könige 
gemacht, nach dem Worte Jahves durch Samuel. Andei*s lässt 
sich die Folge von 10, 13. 14. 11, 1 nicht verstehn, anders ist sie 
auch nicht verstanden — denn es ist dadurch wirklich gelungen, 
wenigstens das Königtum Isbaals aus der traditionellen biblischen 
Geschichte so ziemlich herauszubringen: auf Saul, sagt man, folgt 
David. Es liegt also eine beabsichtigte und in ihren Gründen sehr 
durchsichtige Verstümmlung der originalen Relation vor, die uns 
im Buche Samuelis erhalten ist. 

Wie ganz Israel den David zum Nachfolger Sauls gemacht 
hat und ganz Israel dann mit ihm auf die Eroberung Jerusalems 
ausgezogen ist (11, 4) — in 2. Sam. 5, 6 ist bloss von den Männern 
Davids die Rede — , so werden nun alsbald die edelsten Repräsen- 
tanten aus allen Stämmen Israels, die schon bevor er König ge- 
worden mit dem Herzen und auch mit der Tat auf seiner Seite 
gestanden haben, an dieser Stelle mit Namen und Zahlen aufge- 
führt, in drei Verzeichnissen (11, 10 — 12, 40), welche zwischen 
die Mitteilung von 2. Sam. o, 1 — 10 und 5, 11 ss. eingeschoben 
sind. Das erste (11, 10 — 47: dies sind die Helden, die ihm bei- 
standen in Gemeinschaft mit ganz Israel ihn zum Könige zu 
machen) ist das von 2. Sara. 23, welches der Chronist, wie er in 
Kapitel 20. 21 verrät, an jener Stelle gekannt hat und hier höchst 



172 GMchii-hte der Trailition, Kap, t:. 

verfrülit mitteilt; denn es sind meistens Kriejier aus Davi 
späteren Kämpfen, die auTgezählt werden '). Das zweite Veraeichnia 
(12, 1 — 22: dies sind die nach Hiklag zu David Gekommenen, als 
er noch verbannt war vor Saul) ist nicht aus dem B. Samaelis 
entnommen, man merkt aber auch den Unterschied: neben alten 
und echten höchst gewöhnliche Namen, kaum ein einziger nui" 
hier vorkommender; die in Kap. 11 so specielle Angabe der Her- 
kunft mangelt fast immer, und statt vor unseren Augen volks- 
tümliche Taten zu verrichten, ein Gerstenfeld vor dem Feind zu 
retten, einen Trunk Wasser mit Blut zu bezahlen, einen Löwen 
im Brunnen zu erlegen, bekommen die Helden allerlei Epitheta 
ornantia (12, 1 — 3) und Ehrentitel (12, 14. 20) und führen gelegent- 
lich eine recht geistliche Sprache (12, 17. 18). Was vollens die 
historische Situation betrifft, welche Unmöglichkeit, dass zu David 
als philisthäischem Lehnsmanne in Siklag sich ein grosses israe- 
litisches Heer gesammelt haben soll (12, 22), mit einer Menge 
von Hanptleuten über Hunderte und über Tnusende! Offenbar 
ist der verbannte Flüchtling für diese Voretellung der glänzende 
König und der erlauchte Ahnherr der legitimen DjTiastio; daher 
auch die naive Bemerkung v. 29. Nicht besser steht es mit dem 
dritten Verzeichnis (12,23 — 40: dies sind die Häupter der Ge- 
lüsteten, welche zu David nach Hebron kamen). Man beachte 
die regelrechte Aufzählung der zwölf Stämme, die in den älteren 
geschichtlichen Büchern nirgend vorkommt und überall kfmstlich 
ist, äodann die ungeheuren Zahlen, die hier nicht-9 gleichgiltiges, 
sondern die HauptsacLe sind und den ganzen Inhalt ausmachen, 
endlich die 4')(X) Leviten und 3700 Priester, die auch mit in dem 
kriegerischen Zuge auftreten und fort;ab die eigentliche Garde des 
Königs bilden: der Chronik ist der Unterschied zwischen weltlichen 
und geistlichen Soldaten nicht ganz klar. Specialia kommen wenig 
vor; die Bemerkung 12, 32 hängt vielleicht mit 2. Sam. 20, 18 zu- 
sammen, Jojada der Fürst des Hauses Aharon d, h. der Hohe- 
priester, eine neben der historisch gesicherten Folge Eli Phinehas 

') Die durch Textverderbnisse in 3, Siitii. 23 verwisclite EinteÜimg in eine 
Gnippe voB drei und in eine andere von dreissjg Helden [Textder Bb. 
Sam. p. 213 — 216) hat dar Chronist nicht Terstsnden und ganz unkennt- 
lich gemacht Durum hat er am Schliise (11,42—47) noch eine Kethe 
auderer Nauieu hinzufügen können, die über die Zahl Dreissig hinaiu- 
schiesaen. In t. 24 rerrät sicli deutlich sein Stil, die Elemente wird er 
irgendwo vorgefunden haben. 




Die Chronik. 173 

Ahitub (Ahimelech) Abiathar vollkommen unmögliche Person, ist 
ein Reflex des Jojada von 2. Reg. 11. 12, und die Angabe, Sadok 
an der Spitze von 22 Erzpriestern sei damals zu David gestossen, 
ist ein wenig glaubwürdiger Ersatz der Nachricht des B. Samuelis, 
wonach Abiathar, dessen ältere Ansprüche den Bne Sadok und den 
Späteren nicht genehm waren, derjenige Priester gewesen ist, der 
es von vornherein mit David gehalten; die 22 Erapriester scheinen 
den Häuptern der 22 nachexilischen Priesterfamilien zu entsprechen 
(Neh. 12, 1—7. 12—21. 10, 3—9. 1. Chron. 24, 7—18). Doch es 
bedarf Tcaum so weitläufiger Untersuchungen des Inhalts dieser 
Veraeichnisse, da die Absicht, in welcher sie hier stehn, zum 
Schlüsse ohne Umschweif angegeben wird v. 38: „alle diese Kriegs- 
leute, in Heeresordnung, kamen von ganzem Herzen gen Hebron, 
David zum König über ganz Israel zu machen, und auch alles 
andere Israel war eines Herzens, dass man David zum Könige 
machte; und waren daselbst bei David drei Tage, assen und tranken 
— denn es w^ar eine Freude in Israel". 

Nach dieser an recht verkehrter Stelle eingeschobenen Expli- 
cirung des Begriffs Gesamt -Israel wii-d mit der Wiedergabe von 
2. Sam. 5 — 7 fortgefahren. Davids erste Tat, nach der Eroberung 
der Feste Jebus, ist in der Chronik die, dass er sie, durch Über- 
führung der Lade Jahves, zur heiligen Stadt macht (13, 1 ss.). 
Es hat den Anschein, als solle der Palastbau und der Philister- 
krieg 2. Sam. 5, 11 — 25 ausgelassen werden, aber nachdem die 
Erzählung 2. Sam. 6, 1 ss. bis zu dem Punkte und die Lade 
Gottes blieb im Hause Obed-edoms drei Monate (1. Chron. 
13, 14 = 2. Sam. 6, 11) wiedergegeben ist, wird diese viertel- 
jährige Pause benutzt, um das Übergangene nachzuholen (14, 1 — 17 
= 2. Sam. 5, 11 — 25), und dann der Bericht über die Lade zu 
Ende gebracht. Dadurch wird zwar das Zusammengehörige aus- 
einandergerissen, aber zugleich das weltliche Geschäft, welches nach 
der älteren Relation das nächste und angelegenste ist, zu einer 
blossen Episode des heiligen herabgedrückt. Dass Hausbau und 
Philisterkrieg in den drei Monaten, die so praktisch zu ihrer Ein- 
schaltung dienen, keinen Platz haben, ist Nebensache. 

Was nun näher die heilige Angelegenheit betriff't, die Über- 
führung der Lade auf den Sion, so findet sich beinahe alles, was 
2. Sam. 6 steht, wörtlich auch 1. Chron. 13. 15. 16. 17, 1. Zwei 
Züge nur fehlen in der Chronik, aber beidemal nicht zum besten 



Geschiclite der Troditiou, Ka|J. G. 

des Zagam in eiihimgee. Davids Weib Micha!, heisst es 2. Sam. 6, U». 
20 — 23, da sie den König in der Proi'cssioii taiizei) und spritn^en 
sah, verachtete ihn in ihrem Herzen; hinterher als er nach Hause 
kam, sagte sie ihm über sein unwürdiges Benehmen die Meinung. 
Die erstere Bemerkung findet sii^h anch in der Chronik (15, 29), 
aber die letztere ist (bis auf den abgerissenen Ansatz 16, 43^2. Sam. 
f>, 20) ausgelassen, obgleich sie die Hauptsache enthält; denn die 
AusBerung der Verachtung ist das historische Ereignis, nicht die 
psychologische Motivirung dei'selben — ein Weib durfte dem 
David nicht so etwas bieten. Ganz ähnlich steht es mit dem 
anderen Fall. Wegen des Unglücks, das den Führer der Lade be- 
troffen hat, wi^ David zuerst nicht sie in seine Burg zu nehmen, 
sondern bringt sie unter im Hause seines Hauptmanns Obeil-edom; 
da aber Jahve das Hans Obed-edoms segnet, so fasst er Mut, sie 
za sich zu holen (2. Sam. G, U) — 12). Dass Jahve Obed-edoma 
Haus gesegnet habe, teilt auch die Chronik mit (13, 14), aber 
dem wird keine Folge gegeben, wir Imben wieder die Ursache 
ohne die Wirkung. Statt dessen wird eiu anderer Pragmatismus 
beliebt: Darid erkannte, dass jener Uiiiall beim Transport der 
Lade davon gekommen sei, weil sie nicht, nach der Vorschrift des 
Gesetzes, von den Leviten getragen wurde; nun sollten die Leviten 
sie tragen, dann sei keine Gefahr dabei (15, 1. 13 — 15). Dass dies 
dem älteren Berichte völlig widei-spricht, liegt auf der Hand; und 
da die Chronik in Kap. 13 denselben copirt, so widerspricht sie 
sich auch selber (13, 10), und zwar in um so auffallenderem 
Maasse, als sie durch den Zusatz 13,2 die Fahrt der Lade auf dem 
Kuhwagen von den nebenherziehenden Klerikern stillschweigend 
approbiren Itisst. Nachdem ihnen so ihre gebührende Beteiligung 
an dem heiligen Zuge gesichert ist, wird 1. Chr. 15 in Priestern 
und Leviten, von denen 2. Sara. kein Wörtlsin zu lesen ist, förm- 
lich geschwelgt, auch alsbald eine Art musikalischer Gottesdienst 
von David höchstselber vor der Lade eingerichtet und eine von 
ihm aus nachexilischen Psalmen zusammengesetzte Festkautate auf- 
geführt (Kap. 16). Aus der ursprünglichen Relation, deren zerrissene 
Glieder sich nun sehr sonderbar in dem neuen Zusammenbauge 
ausnehmen, ist dadurch etwas ganz anderes gewoi-den. „Dort ist 
alles frei, bloss Sache des Königs imd des Volks, hier ist es 
Priesterceremoniell, dort- jauchzet und tanzet fröhlich das Volk 
mit seinem Könige vor der Lade her, hier sind die Levitea ll 



I 




Die Chronik. 175 

und Sänger in festgesetzter Ordnung. Beide Erzählungen ver- 
einigen zu wollen, ist ganz gegen die Gesetze historischer Inter- 
pretation. Wäre die ei*ste kurz und gedrängt, so wäre eine Ver- 
einigung eher möglich, allein specieller und anschaulicher kann 
nicht erzählt werden, und nur von den Leviten, wenn sie eine so 
wichtige Bolle gespielt hätten, sollte nichts gesagt sein? Der Ver- 
fasser der Chronik konnte sie nur hineinbringen, indem er sein 
Original entstellte und verstümmelte und mit sich selbst in Wider- 
spruch geriet. Er kann nichts ohne Leviten geschehen lassen, 
und die Bundeslade sollte ohne sie nach Jerusalem geschafft 
worden sein? Das Gesetz sollte auch das zweitemal unter dem 
frommen König David unterlassen worden sein? Dies schien ihm 
unmöglich. Veranlassung mag ihm gegeben haben, dass Uzza bei 
der ersten Abholung der Lade umkam, und dass 2. Sam. 6, 13 
die Lade das zweitemal — wo es sich um einen ganz kuraen 
Weg handelt — getragen wird. Der kombinationsreiche Verfasser 
benutzte diesen Wink." So sagt mit Becht de Wette, Beiträge I, 
88—91. 

Nachdem der Bericht 2. Sam. 6 mit der ereten Hälfte von 
V. 19 (1. Chron. 16, 3) abgebrochen ist, wird nach Einschiebung 
von 16, 4 — 42 die andere Hälfte des Verses und der Anfang des 
folgenden nachgebracht (16, 43) und dann das Kapitel 2. Sam. 7 
angeschlossen, welches 1. Chron. 17 im ganzen wörtlich wieder- 
gegeben wird: der Entschluss Davids, der Lade ein Haus zu 
bauen, und was für einen Bescheid darauf ihm Jahve durch Nathan 
gegeben. Der Sinn der Bede des Propheten hängt 2. Sam. 7 an 
dem Gegensatze: „du willst mir ein Haus bauen? vielmehr ich 
will dir ein Haus bauen"; das Haus Davids ist natürlich die 
Dynastie der Davididen. Aber schon in den Samuelistext ist 
eine Interpolation eingedrungen 7, 13, welche die Antithese so 
fasst: du willst mir ein Haus bauen? nein, dein Sohn soll mir 
ein Haus bauen. Die Chronik nun, der David lediglich als der 
eigentliche Giünder des salomonischen Tempels in Betracht kommt, 
nimmt gerade wegen dieser Interpolation die Erzählung 2. Sam. 7 
auf, wie aus 22, 9. 10 erhellt; sie erweitert das Misverständnis, 
indem sie in einem Zusätze (17, 14) darauf zurückkommt, und 
verdirbt von vornherein den originalen Gegensatz durch die un- 
schuldige Änderung: „du sollst mir das Haus nicht bauen" 
(17, 4) statt: du willst mir ein Haus bauen? Das Haus kann 



17(i Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

liier uur heissen (Ins notwendige und längst von Gott und Mensdl 
in das Auge gel'asste, das jedenfalls gebaut werden mnss, nur 
nicht von David, sondern von Salomo; es ist unzweideutig der 
Tempel und enthält nicht wie ein Haus die Möglichkeit des. 
Doppelsinns, worauf die ursprüngliche Pointe beruht. Interessant 
ist auch der Vergleich von 2. Sam. 7, 14 mit 1. Chron. IT, 13. 
„Ich will deinem Samen Vater und er soll mir Sohn sein; wenn 
er fehlt, so will ich ihn mit Meuscbenrnte züchtigen und 
mit menschlichen Schlägen, aber meine Gnade soll nicht 
von ihm weichen.'* Die gesperrten Worte fehlen in der Ghronik, 
der Sinn, dass Jahve der judäischen Dynastie im ganzen seine 
Gnade nicht entziehen wolle, wenn auch einzelne ihrer Glieder 
Strafe verdienen würden, wird dadurch zerstört und iu einen 
abstrakten Idealismas verflüchtigt, welcher zeigt, dass dem Ver- 
fasser das davidische Köuigsgeschlecht nur als Nebelbild bekannt 
ist und nicht aus historischer Erfahrung wie dem Verl'asser von 
2. Sam. T. 

In Kap. IS — 2fl scheint sich die Chronik an einer kleinen 
Abwechselung zu erholen, indem sie die äusseren Kriege Davids 
erzählt, nach der Reihenfolge von 2. Sam. S. 10. 11, 1. 12, 30. 31. 
21, 18 — 22. Aber sie hat dabei doch ihren Zweck im Auge, der 
auf David als Stifter des jerusalemischeu Gottesdienstes gerichtet 
ist; diese Kriege brachten ilun das >'jeIo Geld ein, das zum Tempel- 
bau nötig war. Alles dagegen, was über die itmeren Vorgänge 
jener Zeit im Buche Samuelis so ausführlich und schön erzählt 
ist, wird weggelassen, da es doch nicht viel zur Verherrlichung 
des Königs beiträgt. So die Geschichte von Moribaal und Siba 
Kap. 9, von Bathseba und Uria Kap. 11. 12, von Thamaj- und 
Amnon Kap. 13. 14, vom Aufstände Absaloms Kap. 15 — 20 nnd 
von der Opferung der Söhne Sauls 21,1 — 14. Wie mechanisch 
und roh dabei die jVngaben über äussere Kriege aus dem Zu- 
sammetihange mit hänslichen Begebenheiten, worin sie in der 
älteren Relation stehn, herausgerissen werden, zeigt 1. Clmin. 20,. 

1. 2 verglichen mit 2. Sam. 11, 1. 12, 30. Die Notiz David blieb 
in Jerusalem als das Heer gegen Rabba ausrückte bereitet 

2. Sam. 11 den Ehebruch mit dem Weibe eines im Felde stehenden 
Hauptmanns vor, hat aber 1. Chrou. 20, 1 keinen Sinn und ver- 
wickelt in Widerspruch mit v. 2, wo Da\'id dennoch im Lager zu. 
Rabba erscheint, obgleich der Lbei^ang, dass er dem I 



dem Heere nai^^^^J 



Die Chronik. 177 

^zogen, zusammen mit dem ganzen Zwischenspiel von Batliseba 
I Uriu ausgelassen ist (de Wette p. 18, 20. ßü). Wie weit das 
lerkeu der Schande der Heiligen getrieben wird, miige noch 
kdaraus abgenommen werden, dass auch von den äusseren Kämpfen 
Davids, die sonst allesamt mitgeteilt sind, einer verschwiegen wird, 
David nicht ganz mit Ehren bestanden haben soll, der mit 
■dem Riesen Jisbobenob (2. Sam. 21, 15—17). Bemerkenswert iat 
lendllch noch die Ändening 1. Chron. 20, 0. Elhauan, der Sohn 
I^Jairs von Bethlehem, heisst es 2. Sam. 21, 19, habe den Goliath 
1 Gatli getötet, dessen Speerethaft so dick gewesen sei wie ein 
■'Webebaum. Aber David von Bellüehem hatte doch nach 1. Sam. 17 
Iden Riesen Goliath erlegt, dessen Speerschaft so dick war wie ein 
IWebebauni? Also erschlagt lÜIhnnan in der Chronik den Brnder 
i veritablen Goliath. 
2. Die letzten Kapitel des B. 8amnelis II 21 — 24 sind bc- 
l'kauntlicb ein Nachtrag von sehr eigentümlicher Struktur. Der 
I Faden von 21, 1—14 wird mit 24, 1—25 fortgesetzt, in die Mitte 
»Aber ist 21,15—23,311 geraten, a«f eine sehr irrationelle und 
I vielleicht rein zurällige Weise. In diesem Zwischenstücke selber 
I gehören wiederum die ganz gleichartigen Verzeichnisse 21, 15—22 
lund 23,8 — 39 eng zusammen; die beiden Lieder also 22, 1 — ^51, 
!3, 1—7 sind ein Einschiebsel im Einschiebsel. Dieser Unordnung 
Ifolgt nun auch der Verfasser der Chronik, indem er 2. Sam. 23, 
tfi— 39 gesomlert von 21, 15—22 behandelt und 2. Sam. 24 an der 
rletzten Stelle mitteilt, welche w nicht aus sachlichen Gründen ein- 
Ipinunt, sondern nur deshalb, weil es nachträglich angehängt nnd 
Enoch dazu von seiner ursprünglichen Verbindung mit 21, 1 — 14 
Vdarch eine grosse Interpolation losgerissen ist. 

Im ganzen ist 1. Chron. 21 (die Pest, als Strafe für Davids 
Volkszählung und die Theophaiiie als Veranlassung des Altar- 
baues auf der Tenne Arauna) eine Kopie von 2. Sam. 24, jedoch 
mit Auslassung der genauen nnd interessanten geographischen An- 
5 BS. und mit Anbringung mehrfacher Verbesserungen. 
■£o 2l, 1: und der Satan stand auf wider Israel und reizte David 
I — statt: und Jahve zürnte nochmals auf Israel und reizte David 
1(2. Sam. 24, 1). Desgleichen 21, 6; I,evi nnd Benjamin eShlte- 
I Joab nicht mit, da des Königs Befehl ihm ein Greuel war - — ein 
IZnBatz, der sich einesteils ans Num. 1,49 und andemteils daraus 
l^nktärt, dass im Gebiete Benjamins die heilige Stadt lag. Sodann 

ligomenu. i. Aufl. 12 



178 Geachiebfe der Tradition, Kap. 6. 

21, Ifi. 27: David sali den Engel stehn zwischen Himmel 
Erde und sein Schwert gezückt in seiner Hand, ausgereckt gegen 
Jerusalem — verglichen mit 2. Sara, 24, 16, (1. Chr. 21, 15): der 
Engel stretikte seinen Ann aus Jertisidem zu verderben und er war 
bei der Tenne Arauna; nach der älteren Anschauung haben die 
Engel keine Flügel (Gen. 28). Ferner 21, 25: David gab dem 
AiauDu für seine Tenne 600 Sekel Goldes — dag^en 2. Saui. 
24, 24: nur 50 Sekel Silber; dem Verfasser der Chronik kostete 
es nichts den König königlich bezaiden zu lassen. Seine bedeut- 
aamste Zutat endlich ist das Feuer vom Himmel, welches das 
Opfer verzehrt (21,26); dadurch soll der Altar auf der Tenne 
Arauna, d. h. der des jerusalemischen Heiligtums, dem Altar der 
Stiftshütte, seinem Vorgänger, gleichgestellt werden, dessen Feuer 
ebenfalls vom llimmel entzündet wurtle (Lev. 9, 24). Wer die 
Geschichten von den Altarbauten der Erzväter, Josuas (5, 15) 
Gideons und Manoahs begriffen hat, wird zugeben, 'dass der Ver- 
fasser der Chronik die Meiunng von 2. Sam, 24, der zufolge hier 
die göttliche Inauguration der jerusal emischeu Kultiisstiitto be- 
richtet werden soll, ganz richtig vei'standen hat; aber was dort, 
ebenso wie in den ähnlichen älteren Sagen von Anzeigung ge- 
weihter Ställen durch eine Theophanie, für geistesverwandte Zeit- 
genossen nur angedeutet wird, das muss er stark herausstreichen, 
damit die Epigonen es merken; und doch hat er die Pointe da- 
durch halb verdorben, dass er den Engel nicht bei der Tenne 
Arauna auf dem heiligen Boden stehn, sondern ihn in der Luft 
schweben lässt. 

2. Sam. 24 = 1, Chron. 21 dient nun weiter zum Ausgangs- 
punkte für die freie Ausführung 1. Chr. 22—29. Da^ im letzten 
Kapitel des Buchs Samuelis David den Altar zu Jerusalem gründet, 
wird dahin erweitert, dass er im letzten Jahre seiner Itegierung 
den salomonischen Tempelbau in allen Stücken bis auf das kleinste 
vorbereitet habe. Unbeeogt von der historischen Überlieferung 
bewegt sich hier der Verfasser in freien Regionen, in seinem 
richtigen Fahi'wasser. Was bis dahin an der Hand der älteren 
Quelle über den König gesagt ist, das alles ist durcli Zusätze und 
Auslassungen zugestutzt zu einer blossen Einleitung i&r dos eigent- 
liche Werk seines Lebens, welches jetzt recht con amore be- 
schrieben wird. Er selber hat leider dem Jahve das Haus nicht 
bauen dürfen, weil er viel Blut vergossen und grosse Rri^e j 




Die Chronik. 179 

führt hat (22, 8. 28, 3), Jiber das Verdienst an der Sache nimmt 
er doch noch im letzten Jahre seiner Regierung (23, 1. 2(5, 31) 
seinem Nachfolger vorweg. Mein Sohn Salomo, sagt er, ist jung 
und schwach, das Haus aber, das dem Jahve gebaut werden soll, 
muss gross und herrlich werden, da will ich es ihm vorbereiten 
(22, 5). So beschafft er denn zum voraus die Handwerker und 
Künstler, wozu er namentlich die nichtisraelitische Bevölkerung 
aufbietet, ^er beschafft das Material, Steine und Holz und Era und 
Eisen und Gold und Silber und Juwelen ohne Zahl, er liefert 
auch den Plan oder erhält ihn vielmehr direkt von Jahve, und 
zwar schriftlich, schwara auf weiss (28, 19), während Moses die 
Stiftshütte doch nur nach der Erinnerung an das himmlische Ur- 
bild baut, welches er auf dem Sinai hat schauen dürfen. Vor 
allem aber bestellt er das Personal für den Dienst des Tempels, 
die Priester Leviten Torwächter und Sänger, teilt ihre Tausende 
in Klassen ein und weist ihnen durch das Los ihre Ämter zu; 
mit besonderer Vorliebe nimmt er sich dabei natürlich der Musik 
an, indem er die Instrumente erfindet (23, f)) und selber als obereter 
Dirigent waltet (25, 2. 6). Und da er doch nun einmal König ist, 
so nimmt er zum Schluss auch noch ein Inventar seines weltlichen 
Staates auf, nachdem er zuvor den geistlichen geordnet. Dies 
alles tut er für die Zukunft, für seinen Sohn und Nachfolger; 
nicht in Wirklichkeit, sondern bloss nach dem Plane werden z. B. 
die Torwächter auf ihre Posten gestellt (26, 12ss.), nichtsdesto- 
weniger mit genauester Angabe und Benennung der Lokalitäten 
des dereinstigen Tempels — und zwar des zweiten! Wie er fertig 
ist mit den Vorbereitungen, beruft David eine grosse Versammlung 
der Prälaten und Notabein (23, 2. 28, 1), lässt Salomo zum Könige 
und Sadok zum Priester salben (29, 22), und übergiebt in langer 
Predigt dem ersteren mit dem Reich zugleich die Aufgabe seiner 
Regierung, nämlich die Ausführung dessen, was er selber vorbereitet 
und angeordnet hat; bei dieser Gelegenheit werden dann noch 
mehr köstliche Steine und edle Metalle, darunter Gold von Ophir 
und persische Dariken*), von David und von den Fürsten zum 
heiligen Bau gespendet. Der ganze Abschnitt 1. Chron. 22 —29 ist 
ein abschreckendes Beispiel der statistischen Phantasie der Juden, 
die sich ergötzt an ungeheuren Geldsummen auf dem Papier 

*) Vgl. indes diu phon. Kraiizinsclirift vom Piraons iius dem Jahre 96 vor 
Chr. Hn. 3 und 6. 

12* 



180 Qeschichtc der Trailition, Eap. 6. ^^H 

(22, 14), an künstlich eiugeteilteu Regimentern vuu Namen niV 
Zahlen (Kap. 23 — 27), an der Aufzählung von lauter Subjekten 
ohne Prädikat, die in Parade neben einander stehn und nichts 
zu tun und zu bedeuten haben. Nur durch gusalbte Kfiden wird 
zuweilen die Monotonie unterbrochen, aber keineswegs in erquick- 
licher Weise. Man lese die Kapitel durch, wenn man es fertig 
bringt. 

Nach 1, Reg. 1. 2 war der König David in seinen alten Tagen 
krank und schwach an Leib und Seele, und durchaus nicht in der 
Verfassung, kurz vor seinem Tode seinem Nachfolger in dieser 
Weise voi'znarbeiten, ihm rias Brot so weit fertig zu machen, dasa 
jeuer es nur in den Ofen zu schieben brauchte. Von seiner Ab- 
eicht, dem Jahve ein Haus üu bauen, ist allerdings auch 2. ■Sam. 7, 
in Anlass von 6, 17, die Hede; sie wird aber in folge der Ab- 
lehnung Jahves, nicht der Mensch baue der Gottheit, sontlera die 
fiottheit dem Menschen ein Haus, definitiv aufgegeben. Wunder- 
lich kontrastirt gegen diese Motinrnng die der Chronik, David sei 
ein Kriegsmann und liabe viel Blut vergossen, darum dürfe er den 
Tempel nicht errichten: da^ er die Kriege Jahves geführt, dass 
Jahve durch seine llaud Sieg g^eben, wäre der älteren kriegs- 
gewohnten Zeit wahrhaftig nicht ak Urund wider, sondern nur 
als Gmiid für seine Würdigkeit zu diesem Werke erschienen. Am 
schlimmsten stösst sich jedoch die feierliche in allen Formen des 
Hechts und der Öffentlichkeit geschehende Einsetzung .Salomos 
zum Könige und Sadoks zum Priester, wie sie 1, Chroii. 28. 29 
vgl. Kap. 22. 23, l erzählt wird, mit der älteren Relation 1. K^. 
1.2, Nach der letzteren war es vielmehr eine gewöhnliche Palast- 
iiitrigue, durch die ea einer Partei am Hofe gelang, dem alters- 
schwachen Könige die Sanktion der Nachfolge .Salomos abzulocken. 
Bis dahin hatte Adonia als präsumtiver Thronerbe gegolten, bei 
David selbst, bei ganz Israel und bei den Hauptwönienträgern 
des Reichs, Joab und Abiathar; zu der Entscheidung für Salomo 
trug vor allen Dingen das Gewicht der 600 Prätorianer Benajas 
bei, einer furchtbaren Macht unter den Umständen der damaligen 
Zeit. Ganz harmlos glaubt der Verfasser der Chronik allen 
Schwierigkeiten zu entgehn, indem er die von ihm berichtete 
Krönung Salomos für die zweite ausgiebt (2!l, 22); eine Bezug- 
nahme auf 1. Reg. 1. 2, die den Widerspruch nicht beseitigt, sondttrit 




Die rhronik. 



ISl 



l>oeh di«s bestif^ iiichtä gegenüber der Disharmonie Am Oe- 

itemtbildes. Was hat die Chronik aus David gemacht! Der Gründer 

Ides Reichs ist xqdi Gründer des Tempels und des Oottesdiensles 

■•geworden, der König und Held an der Spitze seiner WalTengenossen 

I sum Kantor und Liturgen an der Spitze eines Scliwiu'mes von 

|Prie3t«rn und J.evilen, seine so sciiarf gezeichnete Fignr zn 

I matten Heiligenbilde umnebelt von einer Wulke von Weih- 

l'iauch. Dass es vergoidich ist, die ginudvei-schiedonen Bilder steroo- 

I skopisch zusammenzusi'huueu , leuchtet ein; histoiischeu Weit hat 

nur die Tradition der älteren Quelle. In der Chronik ist dieselbe 

dem Geschmack der nachexilischen Zeit gemäss vet^eistlicht, welche 

. ffir nichts mehr Sinn hatte als für den Kultus und die Tliora, 

welche daher der alten Geschichte, die doch die heilige sein sollt«, 

■fremd gegenüber stund, wenn sie sie nicht ihren BegrilTen assimi- 

Uirte nnd znr Kirchengeschichte umgestaltete. So wie das GeEetz 

i das Werk Moses ang^ohen wnrde, so wurde die heilige Musik 

Kund die Ordnung des Tempelpersouitls auf den König David za- 

Blräckgef&hrt, den lieblichen Sänger Isi'aels, der nun seine Muse in 

Bden Dienst des Kultus stellen und in Gemeinschaft mit Asaph 

Beman und Jeduthun, den levitischen Sängergeschlecht em, Psalmen 

Seichten musste'). 

3. Bei Salomo entfernt sich die Chronik (II Kap. 1 — 9) 

irgend sehr weit von dorn Leitfaden des Buches der Könige. Da 

^ie Erzählung 1. Reg. 1. 2, die nicht erbaulich ist und dem Be- 

■^ricJite 1. Chron, "22 — 2Ö nnbarmherzig ins Gesicht schlägt, ausge- 

fgelassen werden mus.«<, so wird mit 1. Reg. 8 angefangen, mit dem 

Antrittsopfer Salomos auf der grossen Bama zu Gibeon nnd der 

Offenbarung Jahves, die ihm darauf im Traume zu teil wurde. 

Die letztere ist mit geringen Änderungen abgeschrieben, aber am 

afang findet sich eine charakteristische DilferenK. „Salomo liebte 

I Jahve zu wandeln in den Sitten seines Vaters David, nur 

topferte nnd räucherte er auf den Höhen (denn es war bis dahin 

L Namen Jahves noch kein Haus gebaut); und der König ging 

^Ach Gibeon, dort zu opfern, denn da ist die grosse Bama, tausend 

Brandopfer opferte er auf jenem Altare, und Jahve erschien ihm 

Traiime: bitte was ich dir geben soll." So 1. lieg. 3, äse. 

die Chronik umgibt den König zunächst in ihrer Weise mit einer 



'} Ur. iinil .lü>l. ( 



■ 1897 p. 11)3. 



182 OespliKhln der Trodition, Kap. fl. 

grossen Versammlung von Hanpticii teil über Hmidnrtt' und Tatiaende. 
vou Kichtern und l-'üisteu und Familienhäuptern, mit lauter penta- 
teuiihischen Grössen, und fährt daun fort: „und Salomo und die 
};uuze Gemeinde mit ihm gingen zur Höhe In Gibeon, denn ilort 
war die Stiftähntte Gottes, die Moses iler Knecht J»bves in der 
Wüste gemai^ht hatte; ahei' die I^He Gottes liatte David ans 
Kirtathjearim heraufgeholt dahin, wu er ihr die Stätte bereitet 
hatte, denn er hatte ihr ein Zelt aufgeschlagen in Jerusalem^ tind 
der eherne Altar, den Desaleel ben Uri ben Hur gemacht hatte, 
stand dort vor der Wohnung Jahves. den besuchte Salomo und 
iHe (iemcinde; und Salomo opferte dort auf dem eherneu Ält^ir 
vor Jahve, bei der Stiftshütte opferte er tausend IJrandopfer und 
Gott erschien ihm im Traume: bitte was ich dir geben soll" 
2. Chron. 1, Sss. In der älteren Relation steht nichts von der 
Stiftshütte; unter der Voraussetzung derselben würde die Ent- 
schuldigung dafür, dass Salomo nuf einer Höhe geopfert habe, 
weder nötig noch möglieh Bein. Die Chronik, in ihren Vor- 
stellungen vom Altertum durch deu Prtesterkodex beherrscht, hat 
sie varmisat und nach jener Norm ergänzt; der junge fromme 
König konnte doch unmöglich sein feierliches Antrittsopfer, wozu 
er sich express von Jerusalem weg begab, an einem anderen als 
dem gesetzlich vorgeschriebenen t*rte dargebracht, widrigenfalls 
noch unmöglicher Jahve ihm dazu seinen Segen gegeben haben. 
Es kennzeichnet die Gebundenheit und die Kühnheit des Ver- 
fassers, dass er deu 1. Reg. 3, 3 gebrauchten Ausdruck Höhe bei- 
behält und mit Stiftshütte gleichsetzt, obwol derselbe das ge- 
rade Gegenteil davon bedeutet. Lehrreich aber ist es zu sehen, 
wie hinderlich ihm nmi bei anderen Gelegenheiten sein ad hoc io 
die (teschiclite eingeführtes mo.saischeB Central heiligtum zu Gibeon 
wird. Nach 1. Chron. Iti ist IJavid im besten Zuge, bei der Lade 
Jahves, die er auf deu ^ion übergeführt hat. auch einen Opfer- 
dienst einzurichten: aber er daif nicht, denn der mosiiische Altar 
steht zu Gibeon, und muss sich mit einem musikalischen Surrogat 
begnügen (v. 37— 42). Ähnlich wii-d die Krzählung 1. Chron. 21, 
(laes J)avid durch die Theophanie auf der Tenne Arauna veran- 
lasst sei, dort einen Altar zu bauen und darauf ein vom Himmel 
acceptirtes Opfer zu bringen, zum Schluss noch geknickt und ver- 
dorben durch die auf 2. Chron, 1 vorblickende Bemerkung; frei- 
lich sei das mosaische Heiligtum und der Brand opferaltar du 




Die Chronik. 1^ J 

noch auf der Höhe zu Oibeoti gewesen, aber der König habe nicht 
die Kruft gehabt eich dorthin zum Opfer zu begeben, weil ihm der 
Schrecken vor dem Engel mit dem gezückten Schwert in die Glieder 
gefahren. So mu99 denn auch das Opfer, welches Salomo gleich 
nach der Rückkelir von Gibeon vor der Bundeslade zu Jemsalem 
dargebracht liaben soll, ebenfalls ignorirt wenlen (2. Chron. 1, 13), 
weil es den Zweck der vorangegangenen Intei'pretatton der Bama 
zu Gibeon vernichten würde. Also der Schatten raubt dem Körper 
die Luft. An anderen Stellen wird bezeichnender Weise die Stifts- 
hütte mit dem jenisalemischen Tempel vei-win-t (Graf p. 56), im 
fcanzen ist sie Jedoch eine ziemlich wirkungslose Vor.stellung ge- 
blieben, die nur im unserer Stelle (2, C'hrou 1) gewiasermassea ex 
I maehina benutzt wird, um den Salomo von schwerem Vorwurf zu 



Auf den letzten feierlichen Gottesdienät bei dem mosaischen 
Heiligtum folj!;t nun, mit Übergehung von 1, Reg. 3, 16—5, 14, gleich 
der Tempelbau (1,18 — t,ll). Doch werden inzwischen ein paar 
kurze Zuge zur Schilderung des Reichtums Sulomos gegeben 
I (1, 1^^-17), die im Buche der Könige erst 10,20—29 stehu und 
l &n dieser weit schicklicheren Stelle auch in der Chronik wieder- 
[ holt werden (9, 25ss.); vgl. die Septuaginta zu 1. Reg. 3. Die 
[ Vorbereitungen zum heiligen Ban hat zwar eigentlich David dem 
' Nachfolger abgenommen, aber letzterer scheint davon nicht be- 
I friedigt (2, 16) und besorgt sie noch einmal (1, 18—2, 17). Ein 
Vergleich mit Esdr. 2 (Zurüstung des zweiten Tempels) lehrt, dass 
f die Erzählung ein Elaborat unseres Verfassers ist, jedoch nach 
Motiven von 1. Reg. 5, 16ss. und mit Beibehaltung mancher wört- 
lichen Reminiscenzen. Während Ilirom nnd Salomo nach dem 
[ älteren Berieht sich gleichstehu und einen Kontrakt machen, der 
f »nf Ijelstang und Gegenleistung beruht, ist hier der tjrische König 
I der untertänige Diener des israelitischen und liefert ihm, was er 
I verlang;t, als Tribut; statt sich wie dort mündlich bereit zu er- 
[ Vlären, schreibt er hier einen Brief, worin er nicht bloss offen 
[seinen Glauben an Jalive den Gott Israels, der Himmel und Erde 
I gemacht hat, bekennt, sondern auch eine seltsame Kenntnis des 
[ -pentateuchischeii Priesterkodex verrät. Der Erzgiesser. deu Salomo 
I ans Tyrus kommen lässt (1. Reg. 7, 13. 14), wiid 2, 13 als ein 
[wahrer Dädalus und Tausendkünstler beschrieben, ganz in der 
[Weise Besaleels (Exod. 31, 2ss.); daäs derselbe zum Sohne eines 



k 



Geschieht« der Trudiöon, Kap. G. 

Weibes von Dan statt eiuer Witwe vou Naphthali gemacht wird, 
gibt den Auslegern Stoff zur Ausspinnung; eines kleinen Familien- 
romans'), hat aher nicht mehr auf sich, als diiss das Sandelholz 
(2, T) vom Libanon bezoj^en wird. Die Auj^alie }.\le\^.ö./21 (H,2>^, 
12,4), dass Israel in starkem Miiasse zum Frondienst« des Königs 
herangezogen sei, ersetzt der Chronist durch die an einem anderen 
Orte (1. Reg. 9,21) vorkommende, dass nur die kanaanitischen 
[lörigen dazu benutzt seien: die Summe derselben berechnet er 
gleichwol aus den 1. Reg. ö, 29a. aufgeführten Zahlen. Charak- 
teristisch ist endlich noch, wie Salomo ('2, 3) dem Hirom versichert, 
er werde den Gottesdienst in dem neuen Hause ganz legitim nach 
dej' Ordnung des Priesterkodes einrichten; solche Hinnerkungen, 
aus denen die ununterbrochene Ausübung des mosaischen Kultus 
nach den Regeln des Gesetzes erhellt, werden dann von Zeit zu 
Zeit wiederholt {8, 12— Iti. 13,11). 

In Kap. 3. 4 gibt der Verfasser die Beschreibung des Tempels 
1. lieg. Ü. 7 wieder, mit Auslassung dessen, was sich auf Profan- 
bauten bezieht. Den gegenwärtig sehr verderbten Text hat er viel- 
leiüht an einer Stelle (1. Reg. T,23) noch besser vorgefunden, im 
übrigen ihn entweder liederlich ausgezogen oder wörtlich ab- 
geeclu'ioben , mit Zntat einiger Extravaganzen und späterer Ein- 
liuhtnngeu, z. B. der Specification des Goldes (3, 48s. S, fl), der 
zehn goldenen Tische und hundert gohlenen Schalen (4, S), der 
erräbei-zogenen Türen der Ausaenture (4, ö), des Vorhofs der 
Priester (4,9), des Vorhangs zwischen Heiligem und Allerlieiligstem 
(3,14). Zu leugnen, dass in 1. Reg. (i. T das Original erhalten 
sei, auf das an mauuhon Stellen zum Verständnis zurückgegangen 
werden muss, dazu gehört ein übel angebrachter Mut, zumal da 
gera*leso wie l.Reg,7,40 — T)! auch 2, Chr. 4, 11— IJ, 1 das sum- 
marische Verzeichnis auf die Beschreibung des einzelnen folgt. 

Währemi die konkreten und sachlichen Angaben von 1. Reg. 
i>. 7 nur unvollständig und Hüchtig mitgeteilt werden, wird da- 
gegen der Äktus der Einweihung und die dabei von Salomo ge- 
haltene Rede genau imd ausführlich nach 1 . Hog. 8 wieder- 
g^eben (5,2 — 7, lU); die vorkommenden Zusätze und Auslassun- 
gen sind allesamt geflissentlich. Die Priester unti Leviten spielen 

') „Sie war von Geburt eine Uauitlu, heiratete in den Stamm Naptitholi, 
wurde Witwe, als Wilire aus dem Slnmniü Naphthali wurde hie das Weib 
' " tyrisehea ilBunts.° So Bürtlienu z. d. Sl. 




Die Chronik. 



ißal 



. 8 hei einer GelegRii)i(«il , die sie so nahe anging, nicht die 
[ihnen gebührende Rolle und machen namentlich gar niclil die bei 
I einer solchen Feier doch gfinz iinentbelirlirlie Musik. Also schiebt 
1 der Chronist ad vocem I'rJester jn der Mitte der iinseinander 
rjjeriasenen Glieder von 1. Reg. 8, 10. 11 folgendes ein: „denn (vllo 
[Priester, so viel ihrur waren, hatten sich geheiligt, ohne Unt*r- 
I schied der Klassen, und die Leviten, die Sänger, allesamt standen 
I Kleidern mit Cjmbcin und Harfen und Zithern Östlich 
f vom Altäre und liei ihnen hundertundzwanKig Priester mit Po- 
I Bannen; nnd wie auf einmal die Posaiinenbläser und Sänger zu- 
Isammen den Lobgesang Jalives anstimmten nnd die Musik begann 

■ mit Posaunen und Cymbotn nnd Degleitinstrumenten nnd dem 
IXobgesang: Prel-s sei Jahve, denn er ist freundlich nnd seine Güto 

■ "Währet ewiglich, da füllte sich das Hans mit Hauch" (i), 11 — 13). 
I Weiterhin wird die Angabe 1, Reg, S, 22, Salamo sei vor den 
I Altar getreten nnd habe dort gebellt, zwar zunächst Vopirt (ti, 1*2), 

I aber einer nnthcntiachen Interpretation unterworfen, der 
I König habe nämlich nicht etwa wirklich vor dem Altar gestanden 
I (was nur die Priester durfte»), sondern auf einer improvisirten 
1 Kanzel im inneren Vorhof, auf einem nrogestülpton ehernen Kessel 
I (6, 13) — ein ausgezeichneter Gedanke, der denn auch die ver- 
I diente Approbation iter Ausleger gefunden hat. Der Sclüuss von 
I Salomos Getict (1. Heg. fi, 49—53) wird, vielleicht um 8,50 los 
r SU worden, verkürzt (6, 39. 40) und dafür ein Epilog uigener Fa- 
I brik gegeben (ß, 41. 42), der an nach^xilische Psalmen erinnert. 
I Darauf folgt eine grössere Auslassung, nämlich von I. Reg. S, 
I 64 — 61, die sich aus dem Anstoss erklärt, daas der König hier 
I doch nicht auf dem Kessel, sondern vor dem Altare kniet und 
[' steht und segnet wie ein Priestor; als Ersatz wird dann in 
|3, 1 — 3 berichtet, wie der Altar durch Feuer vom Himmel ein- 
vtähl sei, das zwar schon einmal auf ihn herabgefallen (L 21, 2ß), 
Fidtcr wie es scheint unverantwortlicher AVeise ausgegangen ist. 
I Mit 7, 4 erreicht der Verfasser wieder den yVnschlnss an 1. Reg. 8, . 
I 62 BS., spickt indes.«eu auch hier seine Vorige, wo sie ilmi zu mager 
l dünkt, mit posaunenden Priestern und musicirenden Leviten (7, fi) 
j and lässt zum Schlnss die Entlassung des A'olks statt am achten 
I Tage des Laubhuttenfestes (1. Reg. 8, üG) vielmehr erat am neunten 
I geschehen (7, 10) auf grund der Vorschrift Nuni. 29, 35. 

Der Rest der beschichte Salomos (7, 11—9,28) ist aus 1. Reg. 



ISfi Geschichte der Tradition, Kap. ß. 

9. 10 «tiertraijeii. Dabei ist die Nachricht 1. Reg. 9, 10—18, 
Salomo dem Hii-om zwanzig galilaische Städte verhandelte, in ihr 
Gefteiiteil um gedichtet, dass nämlicli Hirom dem Saloino die Städte 
iibgetroten uud dieser darin Israeliten angesiedelt habe (S, 1, 2), 
und ähnlich ist die schon 1. Reg. 9, 24 vordunkelte Notiz von der 
Uber»tede1nng der ägyptischen Gemahlin Salonios aus der Uui-g 
Davids in seinen neuen Palast '), verändert und in ein ganz falsches 
Licht gesetzt: „die Tochter Pharaos brachte Salamo ans der Bnr^ 
Davids in das Haus, welches er ihr hatte bauen lasi^en, denn er 
sprach: im Hause Davids soll mir kein Weib wohnen, denn es ist 
heilig, weil dort die Lade Jabves hingebracht ist" (8, 11). Über 
?<. 12—16 (1. Reg. 9, 25) tut nicht weiter not zu reden: mehr 
^leichgiltiger Art sind der Zusatz 7, 12 — lö, ans lauter Reminis- 
cenzon zusammengesetzt, die Ausschmückung 8, 3 — 6, entsponnen 
aus 1. Reg. 9, 17 — 19, die Variationen 8, 17s. 9, 21, misverstunden 
aus 1. Reg. 9. 26ss. 10, 22. Das Schlusskapitel über Salomos Re- 
gierung (1. Reg. 11), worin der König sich nicht von der glänzenden 
Seite zeigt, wird aus denselben Gründen mit Stillschweigen über- 
gangen wie die beiden Anrangskapitel. 

Nach dem selben Plan und mit gleichen Mittein wie die Ge- 
schieht« des Vaters ist also auch die Geschichte des Sohnes beaj^ 
heilet, nur fügt sich hier der Gegenstand leichter der Absicht der 
Bearbeitung. Das alte Bild ist in der Weise retoucbirt, dass alle 
dunklen und hässlichen Züge getilgt und dafür neue und glän- 
zende Farben aufgesetzt sind, nicht im Stil des Originals sondern 
im Geschmack der Zeit: Priester und Leviten und Feuer vom 
Himmel uud Erfüllung aller Gerechtigkeit dos Gesetzes uud viel 
Musik, dazu noch allerlei harmlose legendarische Anachronismen 
und Übertreibungen, Der überlieferte Stoff erseheint gebrochen 
dnrch ein fremdartiges Medium, den Geist des nachexilischeo 
Judentums. 



1- Seit Salomos Tode wird die Gest^hicbte Israels in der 
('hronik nur durch das Reirb Jahves in der Hand der .Söhne 
Daviits fortgesetzt und alles beiseile gelassen, was sich auf die 
Zehn Stämme bezieht. Denn nach den Begriffen der judaistischen 



ic hen I 




Die Chronik. 



18TJ 



r Periode ist Israel die Gemoinile des rechtmässigen Gottesdienstes^ 1 

dieser über ist un den Tempel zu Jerusalem geknüpft und am 

Tempel zu Jerusulom buhen natürlicli die Sumarier keinen Anteil, 

Abia von Jnda macht dem Könijre Jerobeam I und seinem Heere 

I diesen Standpunkt klar, in einer Rode vom Berge Semaraira herab, 

I womit er dio Schlacht eröffnet. ,,Ihr denkt zu bestehn vor dem 

Keiche Jahves in der Hand der Söhne Davids, da ihr ein grusser 

Hanfe seid und die goldenen Kälber auf eurer Seite habt, die euch 

Jeroheam zu Göttern gemacht hat? habt ihr nicht die Priester 

Jahves, dio Söhne Aharons, und die Leviten vertrieben und wie 

die Heiden euch selber Priester gemacht, so dass jeder, der kommt 

I Hand zu füllen mit einem Farren und sieben Widdern, Priester 

' wird für die Götzen? Wir aber haben den Jahve unsern Gott nicht 

' verlassen und unsere Priestw dienen dem Jahve, die Söhne Aha- 

, rons und die Leviten zur Dienstleistung, und räuchern dem Jahve 

Brandopfer alle Morgen und Abend und bringen Weihrauch dar 

I Qnd Schaubrote auf den reinen TisL'h; denn wir haben den Dienst 

I Jahves un.seres Gottes bewahrt und ihr habt ihn verlassen. Und 

eiehe mit uns sind an der Spitze Gott und seine Priester und die 

Lärmposanneu zu lärmen gegen euch: Israeliten, kämpft nicht 

eu Jahve den Gott eurer Väter, denn es wird euch nicht ge- 

^enl" (13,8—12, vgL 11, 13-17). ' 

In Wahrheit war das Reich, welches den Namen Israel führte, 

I in alter Zeit auch tatsachlich das eigentliche Israel, und Jnda eine 

Art Anhang dazu. Als Amasia von Juda nach der Bezwingimg 

I der Edomiter den König Joas von Samarien zum Kampfe heraus- 

I forderte, dessen Land damals durch die ewigen Syrerkriege aufs 

[ insserste gelitten hatte, Hess der ihm sagen: „die Distel auf dem 

I Libanon sandte zur Ceder auf dem Libanon: gieb deine Tochter 

t meinem Sohn zum Weibe — da lief das Wild darüber hin und 

l sertrat die Distel; du hast Edom geschl^en und bist stolz gewor- 

[ den, geniesse deinen Ruhm und bleib zu Hause" (2. Reg. 14, 9); 

I and da der andere nicht höron wollte, strafte er ihn wie einen 

r unartigen Knaben und Hess ihn laufen. Dem Verhältnis der poli- 

und historischen entsprach nu ziemlich das der religiösen 

■ Bedeutung. Israel war die Wiege des Proplieteiitums, Samuel 

£lia9 und Elisa wirkten dort; welche ähnliche Gestalt wäre ihnea 

^gleichzeitig ans Jnda au die Seite su setzen!'' sicher würde sie der 

^Verfasser dee Buchs der Könige nicht vergessen haben, der von 



IFift nesehi^hte der TrudilioQ, Kap. 6. 

ganzem Herzen Jude ist und doch dnroh don Stoff selber 
zwiingen wird, sich vorzugsweise für das Nordreich zu interessiren. 
Noch zum Scliluss w«r es der drohende Untergang Saniarlens, 
welcher eine neue Phjisd der Prophefcie erweckte; ihr EröffaiT, der 
Jiidäer Arnos von Thekoü, wui'de nicht an Jnda. sondern an Israel 
gesandt, dessen Geschieht« als die des Volkes -lahves von ihm tu 
tiefcter Speie mit- ttnd vorauseinpfiinden wurde. Erst Jesaias 
stellte Jerusalem in don Mittelpunkt seiner Schan und wandte sich 
von Israel ah; denn als er zueret auftrat, brannte der Krieg zwi- 
schen den Brudervölkern, und als er auf der Höhe seiner Wirk- 
samkeit etand, war es aus mit dorn Nordreicho und alle llorfnung 
muBste sich an den H«st halten, iiu die verfallene Hütte Davids. 
Hinsichtlich des Kultus allerdings mochten die Dinge, wenigstens 
in dem letzten Jahrhundert vor der assyrisi^hen (lefangenschuft, in 
Tsrsei etwas ungünstiger liegen als in Juda, ahpr von vornherein 
bestand kein wesentlicher Unterschied. Hüben und drüben wurde 
Jahve aU der eigentliche Gott des Volks an zahlreichen Stätten 
verehrt, dem Höhendienste mangelte es weder hier noch dort an 
heiligen Häumen Pfählen und Steinen, an goldenen und silbernen 
Bildern (Isa. 2, 8ss. 17, 8. 30, 22. Micha o, 12). Ob in der Zeit 
vor Hizkia der ßeicbskultns zu Jerusalem sich so sehr vor dem 
zu Hetliel und Dan ausgezeichnet habe, ist die Krj^e — den gol- 
denen Kälbern Jerobeams st^ht die eherne Sehlange Moses und 
die Lade Jahves selber gegenüber, die im Altertum ein Idol war 
(1. Sam. 4 — G) und zu einer Lade des Hundes d. i, Gesetzes erst 
idealisirt wurde, als sie wahrscheinlich gar nicht melu" vorhanden 
war. Was aber ilie prophetische Heaktion gegen den volkstüm- 
lichen Kultus betrifft, so beweist das Ueispiel Hoseas, dass sie 
sich gerade so früh und so stark innerhalb Israels regte wie 
innerhalb Judas. Sogai' noch nach der üeforniation Josias klagt 
Jeremias, die bis dahin verschonte Schwester sei um nichts besser 
als die vor hundert Jahren dem Assyrer zum Opfer gefallene 
(S, ^ — 10), und der Verfasser des Buches der Könige, obwol 
er, auf dem Denteronomium fussend , grundsätzlich Juda und 
Jerusalem vorziehl, verändert doch nicht seinem Urteil zu lieb 
die Tatjsachen, welche beweisen, dass das alte Israel den Anforde- 
rungen jenes Gesetzes nicht eben schlechter entsprochen hat als 
das alte Juda. 

Die Chronik dagegen legt das Gesetz — und zwar in 




Die Chronik. 



' Tlinfange das ganze pentatenohisuhe-Geaeta, nameutlich aber den 
darin (lomiDirendeu Priesterkodex — nicht bloss ihrem Urteil ülier 
die Vergnügen hei t zu gi-iinde, soudeni dichtet auch die Tatsachen 
in jene von jeher giltige Noitq um und denkt akh das alte he- ' 
bräische Volk genau nach dem Muster der späteren jüdischen Ge- 
meinde, als einheitlich gegliederte Hierokrutie, mit einem streng 
centralisirteti Kultus von genau vorgeschriehener Form im der 
heiligen Stätte zu Jerusalem. Wenn also die Zelm Stämme alle ; 
diese Kennzeichen des Reldies Gottes vermissen lassen, 3o be- 
deutet das ihren Al^fall vom wahren Israel; sie haben die Böcke 
nud Kälber zu ihren Göttern gemacht, die Priester und Leviten 
verjagt, überhaupt sich losgesagt von den Einrichtnugüii , die in 
Jnda seit Josias sich ausbildeten and durch Ezra iiiren Äbschluss 
gewannen'). Sie kommen darum wie andere Heiden nur so weit 
fnr die heilige Geschichte in betracht, als sie mit dem eigentli<3hen 
Volke Jahves, dem Israel im Lande Juda (2. Chron. 23, 2), in 
freundlicbe oder leindliclie Berührung treten, wobei dann immer 
in geflissentlichster und utiverholenster Weise für Jndu Partei ge- 
nommen wird, sogar von den Bewohnern des Nordreichs selber*). 
Macht man Ernst mit dem Peiit^teuch als mosaischem Gesetze, 
8U ist diese Ausschliessung der Zehn Stämme in der Tat eine 
notwendige Konsequenz; denn die blosse Tatsache Ihrer Zugehörig- 
keit zum Volke Jahves zerstört dessen Grundvoraussetzung, die 
Einheit und Legitimität des Gottesdieastes als Basis der Theo- 
kratie, die Priester und Leviten als ihre wichtigsten Oi^ane, 
„als die Sehnen und Muskeln des Volksleibes, welche deu 
Glied erbau zu einem lebenskräftigen und beweglichen Ganzen 
zusammenhalten". 

2. Die Kehrseite ist natürlich die Idealisirung Judas vom 

' le^timen Kultus aus, in einer Weise, die man sieh nach den bei 
David nud Salomo abgelegten Proben vorstellen kann. Die Priester 
und Leviten, die aus Israel ausgewandert sind, haben das südliche 
Reich gestärkt (11, 17) und bilden hier das eigentlich herrschende, 
die Geschichte tragende Element. Um ihretwillen sind die Könige 

') Freilicli kauu der Verfasser der Chrouik aiicli bei dicsi-D Schis matikorm J 
nicht von seinen gesetzlichen Vorstelliirigen abkommen, wie es sich in I 
oiiicr fast kunüachcu Weise darin leigt, dnss iMe Priester Jerabeaius j 
ihre Kettereien gaa}. nnch Vorschrift des Priesterkodex Ije^ehu und ihra I 
HuidfülUiuij' mittelst e'mv* ttrosiieu Opfers liesorgeu (13,9). 

*) Vgl. 11, Ifi. 15,9. 30, H. 19,3. 30, 85 sb. ii&, 7. 38, 9 »s. 



190 



Oeschichto der Traditioii, Kap. 6, 



da, als die Schirm he ireii und Vögte des Kultus, in desse 
Angelegenheitea sie sich aber nit^ht mischen dürfen (26, 16s9.); 
Predigten zu halten und geistliclie Feste — ■ welche als die Höhen- 
punkte der Historie erscheinen — zu ordnen gehört zn den Haupt- 
pflifhten ihres Regiments'). Die guten outer ihnen begreii'en ihre 
Aufgabe und sind nnzertrennliuh von den heiligen Dienern Jahres, 
80 namentlich Josaphat llizkia und Josias. Von dem ersteren 
wird berichtet, er habe im dritten Jahr seines Königreichs eine 
Kommission von Notabein I'riestern und Leviten abgeoi-dnet nm 
mit dem Gesetzbuch umherzuziehen und zu lehren in den Ort- 
soliaften Judas (17, T — ^9); in den grösseren Oi-ten, in den Festungen, 
liabe er demDaUibat RirhterkoFTegien bestellt und über ihnen ein 
höchstes Tribunal zu Jerusalem eingesetzt, gleichfalls bestehend aus 
Priestern und Leviten und Notabein, unter dem Vorsitz des Hohen- 
priesters für die geistlichen und des Fürsten von Juda für die welt- 
lichen Sachen (19, ö — 11). Im Buche der Könige steht davon 
nichts, obwol weniger Wichtiges bemerkt wird (1.22,47); der 
Verfasser der Chronik meldet es in seiner eigenen Sprache, die 
namentlich in den frommen Reden unverkennbar ist. WaJirschein- 
lich ist es die Justizorganisation seiner Gegenwart, die hier auf 
Josaphat zurückgeführt wird, so dass wir hier wol das UltiSte 
Zeugnis für das Synedrium zu Jerusalem als oberste InstJiuz über 
den provintialen Synedrien, sowie für dessen Zusammensetzung 
und Präsidium haben. Die (inraöglichkeit einer aolchen Gerichts- 
verfassung im Altertum erhellt aas der Voraussetzung des Gesetz- 
buches als ihrer Grundlage, aus der Koordination von Priestern 
und Leviten, und auch aus dem tatsächlichen Widerspruch ge- 
legentlicher Angaben namentlich bei Jesaias und den älteren 
Propheten (bis auf Hierem. 2(i), iu denen es überall als selbst- 
verständlich gilt, dass die Machthaber zugleich auch die geborenen 
Richter sind'). Schon von David weiss übrigens die Chronik. 
Ähnliches zu erzählen wie von Josaphat (I. 23, 4. 26, 29 — 32): 
der flrund, warum vorzugsweise der letztere zu diesem Werke aus- 
ersehen wird, liegt eiufach in seinem Namen Jahve ist Richter, 
wie er selbst mehrfach andeuten ranss (19, 5 — 11 vgl. Joel 4, 12). 
Aber nicht bloss in diesen inneren Angelegenheiten, sondern i 



1) 13, 7 SS. 15, 10 BS. 30,6 

») Vgl. freilich DeuL 16, 

Hexal. 1899 p. 257. 




Die Chronik. Ifll I 

f BUin Kriege stärken die Priestur und Leviten den König von Juda. 
I Wie die Posauneu der Priester dem Abia Mut und Sieg wider 
Ljerobeam von Israel verleihen, so die Musik der Leviten dem 
I Jos&phat gegen Moab und Ammou. Nai^hdem er zuvor gefastet 
I nnd die tröstiiche Verheissung des Sängei-s Schauegott anbetend 
\ entgegen genommen hat, rückt er am anderen Morgen mit dem 
I Heere g^en die Feinde aus, die Leviten voran, die im heiligen 
\ Schmuck vor den Gerüsteten lierzieheu und aiugen: danket dem 
I Jabve, denn seine Güte währet ewiglich. Er findet darnaeh die 
I Kampfesarheit von den Feinden selbst getan, die sich auf das 
I Signal jenes Lobesgesjinges hin einander angefallen und allesamt 
aufgerieben liuben, teilt drei Tage den Raub uns nnd kehrt dami 
nm wie er gekommen ist, die levitische Musik voran, mit Psaltern 
Harfen und Drommeten zum Hauses Jahves (20, 1^28). In ähn- 
licher Weise wird Hizkia verherrlicht. Von der assyrischen Be- 
I lagerung Jerusalems und der denkwürdigen Befreiung der Stadt 
I Tfird verhältnismässig wenig Aufhebeos gemacht (32, 1 ss. vgl. de 
1 Wette I p. 7ö); nach der Chronik ist seine Hanpttat, dass er, so- 
bald er auf ilen Thron gelangt, im ersten iMonat des Jalires und 
Beiner Retrierang (Exod. 4(), 2. I^ev. 9, 1), durch die Priester und 
I Leviten, die er ganz vätt^rlich als seine Kinder anredet (29, 11), 
I ain gi'ossos Weihfest des angeblich von Ahaz verscliloaseneii und 
I verwüsteten Tempels veranstaltet, darauf im zweiten Monat das 
[ Pascha in grossartigster Weise nachfeiert, und endlich vom dritten 
[ bis zum siebenten Monat für das genaue Eingehn der Abgaben 
I an den Klerus Sorge tra^; wie das alles in dem gewohnten Stile 
I durch drei lange Kapitel beschrieben wird, aus denen wir für die 
['Zeit Hizkias nichts, wol aber manches für die Zeit des Verfassers 
lernen können, besonders für die damalige Darbringungs weise der 
heiligen Abgalion (29, 1 — 31,21). Auch bei Josias wird zwar der 
Bericht über seine epochemachende KuUusreformation im ganzen 
nur vei'stfinimelt in der Chronik wiedergegeben, aber die kurze 
r-Notis 2. Reg. 23, 21—23 wird zu der ausführliclisten Schilderang 
['«nes glänzenden Paschafestes erweitert, wobei wie immer die 
rPriöster und vor allem die Leviten die Hauptrolle spielen. lu 
\ letzterer Beziehung ist noch ein einzelner kleiner Zug mitteilens- 
I vert, dass nümlich dis grosso Versammlung, worin der König das 
[ Gesetzbuch beschwöreu lässt, zwar im übrigen 2. Chron. 34. 29 8, 
1 genau so zusammengesetzt ist wie 2. Reg. 23, 1. 2, aber statt der 



192 Geschichte 6er Tradition, Kap. G. 

Priester und Propheten die Priester und I.eviteii tiaran teil- 
nehmen. AVas das zu bedeuten halie, lehrt am besten der Ver- 
gleich lies Thargiim, wo die Priester and Propheten in Priester 
und Schriftgelehrte übersetzt wtirden. 

In einen eigentümlichen Koutllkt gerät nun aber der Chronist 
durch diese Projektion des im Gesetz vorgeschriebenen und im 
Judaismus verwirklichten legitimen Kultus mit den Angaben seiner 
Ijnelle, ans denen hervorgeht, dass derselbe nicht fertig aller Ge- 
schichte vorangegangen, sondern allmählig im Laufe der (leschicUte 
geworden ist; er wickelt sich heraus so gut es geht, ohne jedodi 
einem wunderlichen Schaukeln zwischen der zeitlosen Anschauung, 
die ihm Natur ist, und der historischen Tradition, die er benutzt 
und aufnimmt, zu entgehn. Die Vei'se 1. Reg. 14, 22. 23 die 
Judäer (nicht bloss Uebubeam) taten was Jahve übel gefällt 
und ärgerten ihn wie ihre Väter und errichteten eben- 
falls Höhen und MalsCeine und heilige Pfähle n. s. w., 
welche ebenso wie die parallelen über Israel 12,263a. an dieser 
Stelle von prinuipieller Bedeutung sind und einen derben Strich 
durch den augeblichen Unterschied der Kulte des levitischen und 
des nichtle vi tischen Reiches ziehen, werden als gar zu unmöglich 
ausgelassen, obwol der ganze übrige Zusammenhang mitgeteilt ist 
(12, 1—16), Desgleichen ist. das ungünstige Urteil über Keha- 
beams Nachfolger Abia 1. Heg. lö, .3 — 5 nicht aufgenommen, weil 
die ersten jüdischen Könige, da sie ja den rechten Gottesdienst 
bewahren, gegenüber den israelitischen, die davon abgefallen sind, 
notwendig gut sein müssen. Aber wenn der Chronist zur Ehre 
Judas das Schlimme verschweigt, so mag er doch nicht die natih 
1. Reg. 15, 12 SS. mit Asa ebigetretene Besserung übergehn, ob- 
gleich man nun gar nicht weiss, wozu es deifelben bedarf, da ja 
schon vorher alles in bester Urdnung gewesen ist. Ja er über- 
treibt noch diese Besserung und macht den Asa zu einem andern 
Josias (lö, l — l.'i), lässt ihn auch (14,4) die Hohen abschaffen 
und wiederholt dann doch (lö, 17) die Angabe 1. Reg. lü, 14, die 
Höhen seien nicht abgetan. Ähnlich heisst es über Josaphat zu- 
nächst, er habe in den anfänglichen Wegen seines Vaters gewandelt 
und die Höhen abgeschafft in Juda (17, B. I>, 10, 3), in falscher 
Verallgemeinerung von 1. Reg. 22,43.47, und hinterdrein dennoch, 
die Höhen seien geblieben (20,32.33), wörtlich nach l.Reg. 22, 43. 44. 
Es dünkt dem Verfasser einerseits eine Unmöglichkeit, da^ 




nie fiiTOuik. 193.1 

Höhendienst, der ihm trota 33, 17 im gründe Abgötterei bt, auch 
von deu frommen d. i. gi^setzestreuen Königen uiulit unterdrückt 
sein sollte, und auf der auderen Seit« copirt er douh raechaniKch 

I seine Vorlage. 
Bei den notorisch misfälligen Herrschern hilft er sich damit, 
dass er sie einfach zu Heiden und za Verfolgern der Huiides- 
religion macht; denn innerhalb des Jahvismus, der ja zn allen 
'Zeiten nach dem Getetz normirt und mit dem exclusiven Moaaismus 
des Judentums gleichbedeutend gewesen ist, sind sie für ihn un- 
idenkbar. So zuerst bei Joram: er macht Flöhen auf den Beiden 
.Judas und verführt die Bewohner Jerusalems zur Hurerei und 
Ijuda zum Abfall (21, 11), erwürgt dazu alle seine Brüder mit 
dem Schwert (v. 4) — eins ergiebt sich ans dem anderen. Seine 
Witwe Athalia verwüstet, durch ilire ermordeten aber zu di^em 
Zweck wieder auflebenden Söhne, den Tempel Jahves und macht 
Baalebilder aus dem geweihten Metall (24,7); nichtsdestoweniger 
geht der öffentliche Jahvedienst unter Leitung des Priesters Jojada 

• imanterbrochen fort. Am unbarmherzigsten wird Ahaz zugerichtet. 
Nach 2. Reg. lli, lOss. bat derselbe zu Damaskus einen Altar ge- 
sehen der ihm geßel, und nach dessen Muster einen ähnlichen zu 
Jerusalem errichten lassen, während der eherne Altai' Salomus 
wahrscheinlich in die Schmelze wanderte; Uria der Priester hat 
die Ausführung der betreffenden Befehle des Königs liesorgt. Man 
[ äeht, von Autonomie, von unantastbarem göttlichen Hecht des 
■Heiligtums ist keine Hede, der König befiehlt und der Priester tat 
Dem Chronisten ist also die Geschichte vollkommen unfassbar; 
3 macht er daraus? Ahaz hat den damascenischen Götzendienst 
Kflingeführt, den Jahvedienst abgeschafft und den Tempel zage- 
Kwhiossen (26, 23s.). An der Pei-son eines Menschen liegt ihm 
Ijlichte, an der unbeugsamen Einheit des mosaischen Kultus alles, 
Innd dessen Legitimität wäre ja dahin, wenn ein rechtgläubiger 
Bpriester, ein Freund des Propheten Jesaias, die Hand dazu ge- 
iboten hätte, einen fremden Altar einzuführen. Um Manasse und 
mon zu reinen Götzendienern zu machen, war eine Steigerung 
(der Angaben 2. Heg. 21 kaum von nöten; ausserdem lagen hier 
besondere Gründe vor, die es verboten zu schwarz zu zeichnen. 
Wunderbar ist, wie auch das Volk, welches stets von Eifer und 

I Freudigkeit für das Gesetz b&feelt ist und den frommen Herrschern 
ibn Bondestreue belohnt (I j, I.'>. 17, 5. 24, 10. 31, 20), diese bösen 
I W.llb.u..n,PH>l.(™sn.. fl. AuH. 13 



li)4 Gi'schii'hli- der Tradition, Kap. 6. 

Könige tl;i<liir('li i-ensirt, tla&i t;s ihiieu die Ehre des köiii^liclitiii 
Begräbnisses versagt oder verkümmert (21,19.20. 28,27. 33,20) 
— in Widereprutli gegen 2. Ueg. 9,28. Iß, 2it. 21,26. 

Die periodischen Anfälle des Heidentums dienen zugleich daau, 
die liaranf Folgenden Besserungen zu verslehu, die sonst das lie- 
gri^verm»>jen des jüdischen Schriftgelehrten übersteigen. Nach 
dem Ruche der Könige trafen die Könige Joas Htikia und Josias 
lobenswerte Neuerangen im Tempelkultus, l)eseitigt«u tief ein- 
gewurzelte und von jeher geübte Gewohnheiten und reformirteji 
den ufficiellen Dienst Jnhves. Aus diesen Kort»chritteu innerhalb 
des .lahvismns, die allerdings seiner niosaisohen Stabilität recht 
unbequem widersprechen, macht die Chronik vielmehr einfache 
Herstellungen des reinen tiottesdienstes, welche auf vorübergehende 
gewalttätige AbsohafTung desselben folgen. Am gründlichsten t>ei 
tlizki«. Nachdem sein Voi^änger die heiligen Tore geschlossen, 
die I;euchter gelösidit und den Hottesdienst eingest«llt hat, bringt er, 
durch die wieder eingesetzten Priester und Leviten, alles wieder 
in Gang; seine erste und wichtigste Regieruugstat ist die Tempel- 
weihe (Kap. 29). daran schliesst sich (Kap. 3(.l, .^1) die Wieder- 
erötlnung des Pascha und die Eintreibung der Temporalien au deu 
bisher, wie im scheint, gesperrten Klerus. Dass die freilicJt gatis 
anderes beaagenden Angaben 2. Reg. 18, 1—7 der Ausgangspunkt 
zu diesen Extravaganzen gewesen sind, lehrt der \'crgIoich von 
29,1.2.31,1.20.21.32,22. Nnr dass der Köuig die eherne 
Schlange Nehnstan zerstört« (2, Reg. IS, 4). wird mit Stillschweigen 
übergegangen, als sei es ungiaublich, dass man ein solches Abbild, 
im Glauben es rühre von Moses her, bi.s dahin sollte verehrt 
haben; der nicht geringere Anstoss dagegen, dass er die Aschera 
umhieb, worunter man nur die des Tempelaltars versichn kann 
(Deut, lli, 21), wird durch Umsetzung des Singulars in den Pltiral 
geebnet: er hieb die Ascheren um (31,1), die sic^Ji hie und da 
in Juda vorfanden, natürlich bei heidnischen Altären. 

Itei Jons und Josias stehii die nicht bloss kurz das Residtat 
lierichtcnden sondern apeciell in den Hergang eingehenden Er- 
zählungen der Vorlage, an dio der Chronist gebunden ist, 2. Reg. 
11. 12. Kap. 22. 23, dem freien Fluge seiner gesctzesseligen Plian- 
tafde entgegen. Oerade solche Geschichten, fast die einzigen aus- 
führlichen über das Reich Juda im Buche der Könige, die ihrer 
Natur nach der Vorliebe unseres Verfassers für den Kultus , 




Die Chronik. 



195 



meisten entsprechen, bringen ihn durch ihr Detail in die grösste 
Verlegenheit, welchevS nach seinen Begiiffen total ungesetzlich ist 
und doch nicht anders als im günstigsten Lichte dargestellt 
werden darf. 

Dass die im Tempel spielenden und den Tempel betreffenden 
Perikopen über Joas 2. Reg. 11, 1 — 12, 17 eigentlich identisch sind 
mit 2. Chron. 22, 10 — 24, 14, steht ausser Zweifel. Was zunächst 
2. Reg. 11 betrifft, so kehrt der Anfang und Schluss v. 1 — 3. 
V. 13—20 in 2. Chron. 22, 10—12. 23, 12—21 wörtlich wieder, 
von kleinen Alterationen abgesehen. Aber auch in der Mitte 
finden sich Stellen aus 2. Reg. 1 1 in 2. Chron. 23 unverändert 
aufgenommen , nur sind sie hier im Zusammenhange -ungereimt, 
während dort veretändlich. Denn die Meinung und Farbe des 
Ganzen ist in der Chronik völlig verändert, wie folgende Neben- 
einanderstellung der Hauptpartie lehren mag, zu deren Verständnis 
man wissen muss, dass die Regentin Athalia alle dem Blutbade 
Jehus entronnenen Glieder der davidischen Familie gemordet hat 
bis auf den kleinen Joas, welcher mit Wissen des Priesters Jojada 
im Tempel Versteck und Schutz gefunden hat. 



2. Reg. 11,4. Im siebenten Jahre 
beschied Jojada und nahm die Haiipt- 
leute der Karer und Trabanten 



und Hess sie zu sieh ins Haus Jahves 
kommen und machte mit ihnen einen 
Bund und Verschwörung im ITause 
Jahves und zeigte ihnen den Konigs- 
sohn 5 und befahl ihnen: dies ist es 
was ihr tun sollt: das Drittel von eucli, 
das am Sabbath heimgeht und den 
Dienst im Konigshause versieht [6 und 
das Drittel im Tore Jesod und das 
Drittel im Tore hinter den Trabanten 
und ihr sollt den Dienst im Hause 

versehen ] 7 und die zwei 

anderen Drittel von euch, die Sabbatlis 



2. Chron. 23, 1. Im siebenten 
Jahre ermannte sich Jojada und 
nahm die Hauptleute Azaria ben 
Jeroham, Ismael ben Johauan, Azaria 
ben Obed, Maaseja ben Adaja und 
Elisaphat ben Zikri mit sich in Bund, 
2 und sie zogen in Juda umher und 
sammelten die Leviten aiis allen Städten 
Judas und die Familienhäupter Israels 
und kamen gen Jerusalem, 3 und die 
ganze Gemeinde schloss einen Bund 
im Hause Gottes mit dem Könige, 
l'nd er sprach zu ihnen: siehe der 
Konigssohn soll herrscheu wie Jahve 
geredet hat über die Sohne Davids, 
4 dies ist es, was ihr tun sollt: 
das Drittel von euch, das am 
Sabbath kommt, von Priestern 
und von Leviten, soll die Schwellen 
hüten, 5 und das Drittel von euch soll 
sein im Hause des Königs und das 
Drittel im Tore Jesod und alles Volk 

13* 




Knp. «;. 



^ab (leu üiiupl- 
id RüaluQge 
im Huuse Juhvt 



11 Und die Trabanteu slanden, mäuoig- 
lich mit der Waffe in der Hand, von 
der Südseite des Tempels henim bis 
iur Nordseitc um AlUr und Tempel, 
riDgs um den König. 
IS I'nd er führte den Königssohn her- 
aus und legte ihm das Diadem und 
die Armspangen an, und sie machten 
ihu zum Eünig nuil salbten ihn und 
klatschteo in die llaud und rieren: es 
lebe der Köuigl 



la^^V 



9 t'iid die Hauptleute taten genau 
wie ihnc?n der Priester Jojada g^aagt 
lifttte und nahmen jeder seiue Ilanu- 
Bvbaft, die am Sabbath Heiingehenden 
und die um Sabbath Aufziehenden, uud 
kftucn xiim l'neiiler Jujada. 



iu dea Hilfen des 
6 und niemand soll ina Haus Jftb*M 
dnngen als die Priester uud di<t Dieu«t- 
haliendeu von den Leviten, sie «ollen 
Itiuein, denn sie sind heilig, %ber all«* 
Vulk soll die Ordnung -lahves uio- 
balteu: 7 und die l,evitno sollen 
deu KÖuig rings umgeben; jeder 
mit gezogener Waffe, und wer 
iii den Tempel dringt, floll Kotötet 
nerdeii, und aio sollen mit dem 



sich «endet. 8 t'ud die Levit«n und 

an» ganze Judu taten genau wie 

ihnen der Priester Jojad« be- 

jede. 



chaft, dii 



Ih Kum 



1 Stil- 



lil dei 
th fieheuden, denn der 
Prieiiter Jujada enlliess die Abteilun- 
gen nicht. 9 l'nd der Priester Jojada 
gab den Uauptleuten die Speere und 
Scbilder und Rüstungen iles Königs 
David die im Hause riotlea «area. 
10 und er stellte dos ganze Volk, 
miuniglich mit der Waffe In der 
Hand, von der Südseite degTem- 



rings II 



»US und legte, 

und die Arm 



> Söhne und sj)j 
iler König' 



Die luthronisalioii des 3oas »o\], ähnlich i 



die 



durch die Leibwache der jüdischen Könige geschehen sein? 
der Hohepriester eoll mit den Hau[)tleuten im Hause Jahves eine 
Verschwörung gemacht und seihst die Anregung gegeben haben, 
jeue halbheidnischen Söldlinge in den Tempelraum einzuführen? 
das wäre ja ein Greuel gegen das Gesetz, der einem solchen hei- 
ligen Mann niclit zugetraut werden kann. Warum brauchte Jojada 



P 



nie Chronik. 



1971 



Kdann nicht seine eigene fiaide, die Myriaden von Ijeviten, die ihm ' 
I EU geböte standen? Das war doch das einzig richtige und also 
f auch das wirliliolie Verfahren. „Niemand soll ins Haus Jahves 
I dringen als die Priester und die Diensthabenden von den Leviten", < 
L naeh diaseru von ihm seihst angegebenen firnndsatze (23, 6; vgl, 
den Tempel statt in die Reihen) setzt unser frommer 
} Ge«(chichtsschreiber an die Stelle der Karer und Trabanten seina 
I Priester uud Leviten. Dadurch räcltt nun auch Jojada in die ihm 
[ gehfihrende Stelle als t^euverän des Heiligtums und der Gemeinde. 
[ Er braucht min nicht mehr in^eheim mit den Befehlshabern der 
i Leibwache eine Verschwörung anzustiften, sondern beruft durch 
I seine gewtliclien Officiere die Leviten und Familieiihänpter aus allen 
I Städten Judas in <len Tempel uud läast dort die ganze Versamm- 
1 Bund mit dem jungen König schtiessen. Die schreienden 
I Disharmonieeu, die durch derartige Übermalungeii einzelner Partien 
I des alten Bitdos unvermeidlich cntstehn, muss man in den Kauf 
l nehmen. Wenn Jojadn imbeschräniit über eine solche Macht go- 
I. bietet und bei seiner Revolution mit der grössten Offen tlichlceib 
L verfährt, so hat er und nicht Athaiia die eigentliche Herrschaft — 
P wozu macht er aber dann so viel Wesens um die Tyrannin abzu- 
setzen? aus blosser Lust an levitischem Pomp und solennem Ver- 
fahren? Was soll man ferner mit den Hauptlenten, die 23, 1,(1 
beibehalten und v. 14 sogar wie i. Heg. 11, Ifj Officiere des Kriegs- 
volks genannt worden, anfangen, nachdem ihnen ihie Soldaten ge- 
nommen oder vorwandelt sind? Waren die 1 o\iten militärisch 
orgauisirt und lösten sie sich, in drei Kompagnien eingeteilt, all- 
l-wnchentlich im Tempeldienste ab? Die Ausleger sind geneigt, 
l-soicbe llilfsannahmen hinzuzndichteo; damit können >ie in'^ nnend- 

■ liche fortfahren ohne zum Ziel zu gelangen, denn der Intum ist 
liruchtbar. Als ein besondei-s aulTallendes Beispiel, wie sich das 

■ Verfahren der l'hronik rächt, möge noch 23, 8 erwähnt werden' 
Lttnd sie nahmen jeder seine Mannsciiaft u. s, w, Die Worte sind 

2. Reg. 11, w entlehnt, haben aber dort die Hauptleute zum 
l;6ubjekt, dagegen hier die Leviten und alle Judäer, als ob ein jeder 
iyou diesen letzteren seine Maunschaft gehabt hätte, die des Sabbaths 
|:|Ui- und abtrat, 

Nicht viel weniger lehrreich ist der Vorgleich von 2, Reg. 
|12, ö— 17 mit 2. Clu-on. 24, 4—14. Nach 2. Reg. 12 traf Joas 
l'dic Anordnung, dass alle dem Tempel geweihten Geldgaben künftig 



J9R Geschichte der Tradilion, Kap. C. 

an (lio Priester fallen, diese aber dafür die Pfliclit hahen soIHi 
Aas Gebäude in gutem Stande zu halten. Aber sie nahmen d»s 
(ifld nnd vernachlässigten doch die Reparatur, und als sie und in- 
sonderheit Jojada ilarnm vom Könige gescholten wurden, verzich- 
teten sie auf die Einnatuue, um die Last nicht zu tragen. Darauf 
stellte der König eine Art Gottesiiasten, eine Truhe mit einem 
l.uch, ueben dem Altare auf, „rechts wenn man in den Tempel 
will", dahinein aollten die Priester dns einlaufende Geld werfen, 
mit Ausnahme der Straf- und Schuldgelder, die ihnen verblieben, 
I'nd so oft die Truhe voll war, schütteten die Schreiber des Kö- 
nigs und der oberete Priester das Geld aus, wogen es nnd über- 
gaben es den Werkführem zur Löhunng der Arbeiler: zur An- 
schaffung heiliger Geräte sollte nichts dazu verwandt werden, 
wie ausdrücklich (v. 14) gesagt wird. Diese Einrichtung des 
Königs Joas war eine dauernde nnd bestand noch zur Zeit Josias 
(2. Reg. 22, 38s). 

In die autonome Ilierokratie von Gottes Gnaden passte das 
eigenmächtige Verfahren des Joas nicht. Nach dem Gesetze fielen 
die laufenden Geldabgabon an die Priester; kein König durfte sie 
ihnen nehmen und nach Gutdünken darüber befinden. Wie konnte 
Jojada auf sein göttliches Recht verzichten und eine solche Ma- 
jestätsbeleidigung des Heiligen dulden! wie konnte er für seinen 
anfänglichen passiven Widerstand gegen die gesetzwidrige Zu- 
mutung getadelt, wie konnte überhaupt der Priester in seinem 
eigenen Departement vom Könige zur Rede gestellt werden! Die 
Chronik weiss es besser. Athalia, die schlimme, hatte den Tempel 
verwüstet und ansgeraubt; so beschloss Joas ihn zu restauriren 
nnd zu dorn Zweck durch die Leviten aus ganz Israel Gehl sammeln 
zu lassen. Da aber diese damit keine Eile hatten, so machte er 
eine Truhe und setzte sie draussen in das Tor des Heiligtums: 
rla strömte das Volk herbei und l'reudigen Herzens taten Vornehme 
nnd Geringe iiire Gaben in die Truhe, bis sie ganz voll war. Als 
nun die Torwache dies gemeldet hatte, kamen die Schreiber des 
Königs und der Delegirte des Hohenpriesters, das Geld aoszuschütfen, 
und der König und der Hohepriester lohnten damit die Arbeiter; 
was übrig blieb, wurde zu kostttaren Geräten verarbeitet (2. ('hron. 
24, 5 — 14). Hiernach trifft Joas nicht über die heiligen Abgaben 
irgend welche Verfügung, sondern or veranstaltet eine ausserordent- 
liche Sammlung wie einst Moses zum Hau der Stiftshütte (24, C 




Die Chrouik. 199 

in folge dessen erscheint auch alles andere, was 2. Reg. 12 dauernde 
Einrichtung ist, hier als einmalige Begebenheit ; statt von den immer 
wieder nötigen Reparaturen des Tempels ist von einer ausserordent- 
lichen Restauration desselben die Rede, und nur zu diesem vorüber- 
gehenden Zweck wird der Gotteskasten aufgestellt, jedoch nicht 
bei dem Altare sondern am Tore (24, 8 vgl. 2. Reg. 12, 10). An den 
Klenis, und zwar an die Leviten, ist nur die Zumutung gestellt 
worden, die Sammlung zu betreiben, nicht selbst von den heiligen 
Einkünften den Bau zu bezahlen; in folge dessen wird ihnen auch 
nicht vorgeworfen, dass sie das (leid für sich behalten, sondern dass 
sie nicht recht an die Sammlung heran wollen. Es erweist sich aber, 
dass sie mit diesem Widerstreben ganz Recht gehabt haben, 
denn der König braucht nur den Gotteskasten auszustellen, so 
fliesst er auch über von freiwilligen Gaben des sich herzudrängen- 
den Volkes, so dass davon auch noch zu anderen, freilich nach 
2. Reg. 12, 14 ausdrücklich ausgeschlossenen Zwecken etwas übrig 
bleibt (v. 14). Den Priestern erteilt Joas überhaupt keine Be- 
fehle, und namentlich Jojada steht ihm ganz gleichberechtigt 
gegenüber: schickt der König seinen Schreiber, so erscheint auch 
der Hohepriester nicht pei*sönlich, sondern lässt sich durch seinen 
Abgesandten vertreten (24, 11 vgl. 2. Reg. 12, 11). Auch hier 
passt mancher neue Lappe nicht zum alten Kleide, wie de Wette 
I p. 100 zeigt; stillschweigend gibt die Chronik selber dem älteren 
Bericht die Ehre, indem sie den Joas schliesslich vom Alosaismus 
abfallen und die dankbare Ehrerbietung, welche er dem Hohen- 
priester schuldig war, verleugnen lässt: (bis ist die Nachwirkung 
des unangenehmen Eindrucks, den sie nicht aus ihrer eigenen Er- 
zählung, sondern nur aus der dos Buches der Könige über das 
unangemessene Auftreten des dennoch frommen Königs in Ange- 
legenheiten des Heiligtums und der Priester gewinnen konnte. 

Die Früchte für ihre Entstellung von 2. Reg. 12 erntet die 
Chronik bei der Wiedergabe der damit nahe vei'wandten und eng 
zusammenhangenden Perikope 2. Reg. 22, 3 — 10. Es ist der Mühe 
wert, die Parallellen noch einmal zusammenzustellen. 

2. Reg. 2*2, 3. Tiid im 18. Jahre des 2. Chron. 34, 8. lud in seinem 

Königs Josia sandte der KonijUf den 18. Re^ieningsjahre, zu reinigen das 

Saphan ben Asalia hen Mesullam ins Land und den Tempel, sandte er den 

Haus Jahves sprechend: 4 geht zu Sapha ben Asalia und Maaseja den 

Hilkia dem Hohenpriester, und schüttet Burgemeister und Joah ben Joahaz 



200 



Geschichte der Tradition, Ks[». R. 



lins Silber aus, dos rin^i^^^ngcii ist im 
llnuae Jahvca, welches die Scbwelbn- 
hüter eiogenninmen haben von dem 
Volk, 5 und gebt es den Werkführem 
im HuuBe Jnhves, daas sie ea den 
Arbeitsleuten geben, welche im riauee 
Jahves mit der Iteparatur lieBchlftigt 
sind, 6 den Schmieden Zimmcrleuten 
und Maurern, und num Kauf von Holt 
und Bmisteiueu xur AusbessenmK dos 
HauseH, 7 duch soll über dru ihnen 
ül'ergebcne (ield nicht mit ihnen abge- 
rechnet «erden, auf Treu und Glauben 
verfuhren sie. 



8 Hilkia aber, der Hohcprlesler, sprach 
m dem Schreiber Sapban also: das 
Buch der Thora hade ich im üaune 
Jahves gefunden, und er gab es dem 
Sapban und der las es. 9 Und S»pha.n 
der Schreiber kam lum Könige und er- 
Blaltcte ilim Bericht und sapte: deine 
Knechte haben dos im Tempel vorhan- 
dene Geld ausgese hättet und es den 
Werkführern Im Ilausc Jahves über- 
geben. 10 l'nd der Schreiber Saphan 
erzähhe dem Könige also: ein Buch 



den K&niler, in restauriren das 
Jahves seines tiottex. 9 l'nd sie ko* 
men zum Hohenpriester Uilkia, und 
sie gaben das im Hause Gottes eiu- 
gegangene Silber, welch« die I^evitea, 
die SchvrellenhSter, gesammelt hallen 
van Ephraim und Uana«Ee und dem 
übrigen Israel und von goni: Juda und 
Benjamin und damit heimgekehrt wa- 
ren nach Jenisalem, 10 das gaben sie 
den Arbnitern bestellt tu Haune Jabves, 
und die Arbeiter, welche an der Rc- 
stenretion im Hause Jahves «chafTlen, 
11 die gaben es den Kaudweriiem und 
Bauleuten, tu kaufen Hausteine und 
Bölter lu Decken und Balken der 
Häuser, welche die Könige Judas ver- 
derbt halten. 13 Tnd die SlKnner 
verfuhren mit Treu und (ilauben bei 
dem Werke, und o« waren ihnen vor- 
gesetzt Jahatb und Obadia die Leviten 
von den Söhnen Meraris und Zachoria 
und Uesullam von den Kchathilen, xu 
dirigireu, und die Leviten, alle die 
sich auf Musikinstrumente verstanden, 
13 waren über die Lasttriger und 
leiteten alle Arbeit bei jedem Werk, 
und andere Leviten waren Schreiber 
und Aufseher und Torwächter. 14 
l'nd da sie das im Uaiise Jahves ein- 
gegangene Geld ausschalteten, fand 
der Priester Hilkia das Buch der Thora 
Jahves durch Moses, 15 und Hilkia hub 
an and sprach zu Saph&n dem Schrei- 
ber: ilas Buch der Thora Jahves habe 
ich gefunden im Hause Jahves: uud 
Hilkia gab dos Buch dem Sajiban. 

16 l'nd Sapban brachte das Buch dem 
Könige uud erstattete ausserdem dem 
Künige Bericht also: alles wss deinen 
Knechten aufgetragen ist, tun sie, 

17 und sie haben das im Hause Jahves 
vorhandene Geld ausgeschüttet und es 
den Vorstehern uud den Arbeilsleuten 
übergeben. 18 L'nd der ScbreüMT 




r der Pries 1 er Hilkia 
Ifts eti dem Küui^'i.' ' 



lirouik. $ßiM 

SapfaikD era&hlt« dem König also: ein 1 

BuL-h hat mir der Priester Hilkia ge- . 
);el>rii, und Saphan los daraua dem \ 



Mie in der Eiiiriclitiiiif; iles Jwis Hepcink'ii Voraussetzungen 1 
des Anlasses, bei ilem der Priester dem Saphan das GescUbach 
insiniiirt, hat die Chronik zerstört und dafür andere crganict: 
unter den Vorgängern Josias sei der Tempel verderlit, unter ihm 
selber aber durch umhei-ziehende Lc^'iteu ans ganz Israel Geld { 
zur Restauration gesammelt und zunächst im Gotteskasteii nieder^ I 
gelegt. Beim Ausschütten dieses Kasten soll dann der Priester J 
das Buch gefunden haben (v, 14, nach Deut. 31,26), ungeachtet 
hei dieser Gelegenheit auch Saphan und die beiden v. K hinzuge- 
fügten Statist«a zugegen waren und den Fund hätten mitmuclien i 
müssen, was durch v. 15 (= 2. Heg. 22, 8) ausgescMossen ist. j 
Andere Mis Verständnisse kommen hinzu, namentlich sind die Werk- j 
föhrer (muphkadira), denen nach dem ursprünglichen Bericht das 1 
Geld zur Löhnung übergeben wird, zu einfachen Arbeitern heralt- 
gesetzt, von denen sie dann doch wiefier unterschieden werden; ! 
während sie 2. Reg. 22, 7 bei der Auszahlung des Geldes anf j 
Treu und Glauben verfahren, verfahren sie 2. Chron. 34, 12 be 
dem Werke mit Treu und Glauben. Vielleicht ist dies indessen , 
kein reines Misverständnis, sondern hängt zusammen mit dem I 
streben, die profauon Iläude tuulichst vom Heiligen ferne zu 
halten und besonders die Leitung des Baues den Leviten zu über- 
geben (v. 12. 13). Wie weit die Ängstlichkeit der Späteren ia 
diesem Punkte ging, ersieht man aus der Angabe (Joseph. Ant. 
15, 390), dass Herodes zum Bau seines Tempels tausend Priester 
zu Maurern und Zimmerleuten ausbilden Hess. Die zwei inter- 
essantesten Änderungen der Chronik sind ganz unscheinbar. Ia 
V. 18 Bind die Worte: er las das Buch dem Könige vor, umge- 
wandelt zu: er las daraus dem Könige vor, und hinter: und 
Hilkia gab das Buch dem Saphan (v. lö), ist der Satz: und er' 
las es ausgelassen. Nach 2. Heg. erscheint das Gesetzbuch als 
sehr massigen Umfangcs, aber der Verfasser der Chronik stellt sich j 
den ganzen Pentateuch darunter vor. 

Im weiteren wird zwar 2. Itog. 22, 11—23, 3 wörtlich wieder- 
holt 2, Chron. 34, 19—32. aber der sich anschliessende unverhältnis- 



202 Reschichte der Traditimi, Kap. C. 

massig wii'hligcre Abschnitt. 23, 4 — 2(t, der eine •feniiue .Sfliildl 
rnng der gewaltBamen Refnrmatioii Jusia» enthält, wird ühcr- 
l^iiiigen tmd niit der nitlitssa^iiden Bemerkung ersetzt, der Köatg 
tialio alle Greuel aus Israel entfenit (34, 33); desto ausführlicher 
will! diifür sein Paschafest beschrieben (Kap. 3ü). Wenn die 
Chronik anch den Reritht vr>n der Auffindung und Veröffentlichung 
de& Gesetzes mitteilt, so begreift sie doch nicht, ilass dasselbe erst 
seit diesem Ängenlilicko geschiditlit^h wirksam und plötzlich von 
so grosser Bedentnng gewonien sein sollte. Es waa- ja seit Moses 
die Grundlage der Gemeinde und bestand zu allen normalen Zeiten 
in Kraft und Geltung; nur zeitweilig keimte dies Lebeiisprincip 
der Tlieokratie von aehlechten Königen niedergehalten werden, nm 
nach dem Aufhfiren dos Druckes sofort wieder wirksam und mächtig 
KU werden. Sobald Ahaz die Augen gesuhlossen hat, stell) Hi^kia 
im ersten Monat seines ersten Jahres den mosaischen Kultus 
wieder her; und sobald Josias an verständigen Jahren gekommen 
ist., macht er gnt was seine Väter gesäudigt. ^V''eil er bei seinem 
Antritt noch zu jung ist, wird Auslands halber statt des achten 
Jahrs seines AHers das achte Jahr seiner ßegiening gewählt und 
dahin die grosse Reformation verlegt, die er tatsächlich viel später 
unternahm (M, 3—7 = 2. lieg. 23, 4—20). So verliert dieselbe 
denn glücklich den geschichtlichen Anlass uiul den Charakter der 
Neuerung, erscheint vielmehr als einfaches Empoi-schnellen der 
Feder nach Beseitigung der ihr angetanen Gewalt. Das Gewölk 
weicht vor der Sonue des Gesetze^s und sie sclieint wieder wie zu- 
vor — ihr Lieht macht keine Phasen durch, sie leuchtet vou An- 
fang an in gleicher Stärke. Was Josias getan hat, hat ganz ebenso 
vor ihm schon Asa getan, darnach Josaphat, darnach Hizkia; die 
Reformen sind keine Stufen einer fortschreitenden Entwlckuiung, 
sondern haben alle den gleichen, ewigen Inhalt. Das ist der Ein- 
fluss des transcendenten, allem Werden und Waclisen enthobenen 
Mosaismus auf die historische Anschauung, spürbar sclion im Bnche 
der Könige, aber in der Chronik ungleich handgreiflicher. 

3. Abgesehen davon, dass sie die Kontinuität des legitimen 
Kultus zu Jerusalem darstellt, hat die Geschichte Judas in der 
Chronik noch einen anderen lehrhaften Zweck. In dem Reiche 
Jahves wii'kt nicht ein natürlicher und menschlicher, sondern der 
göttliche Pragmatismus. Ihn zum Ausdruck zu bringen, dazu 
sind die Propheten da, die In ununterbrochener I'olge den Köuijfi 




Die Chronik, 2€8 

und Roheripriesterii zur seito Reho; sie verknüpfen die Taten Her 
Menschen mit den Ereii^nisgen des WellUiifs und benutzen diA 
heilige Goachichte als Thema für ihre Predigt, als Beispiels- 
sammhing für die prompteste Wiiksjimkeit der Gerechtigkeit 
Jahvos, Neues und Freies verkündigen sie dabei nicht, sondern 
liandhuben tiitr, ebenso wie Jalive selber, die Thora Moses, indem 
BIO nach der Schubloue Glück oder Unglück in Aussicht stellen, 
je nachdem das Gesetz treulich erfüllt oder vernachlässigt wordeo 
ist. Natürlich treffen ihre Weissagungen immer genau ein, und 
es enribt sich somit ein ganz wunderbarer Einklang zwischen 
innerem Wert und äusserem Ergehn. Jiie bleibt auf die Sünde 
die f^trafe aus und nie mangelt dem Unglück die Schuld. 

Im 5. Jahr Rehabeams ward Juda und Jerusalem von Pharao 
^ Sisftk ausgeplündert (l. Reg. 14, 25). Nämlich drei Jahre lang 
wandelten sie in den Wegen Davids und Salomos, denn drei 
Jahre lang wunleu sie gestärkt un<l gekräftigt von den ans dem 
Nordreich zugezogenen Priestern und Leviten und übrigen Frommen 
(2. Chron, 11 , 17); darnach aber im 4. Jahr, da das Königreicli 
Rehabeams gestärkt und gekräftigt war, verlieas er das Gesetz und 
ganz Israel mit ihm (12, 1) — und es folgte im ö, Jahre der Über- 
fall Sisaks, Ein Prophet kündigt denselben an, in folge dessen 
demütigt sich der König mit seinem Vnlk nnd kommt mit blauem 
Auge davon — weil er gewürdigt worden, noch zwölf weitere 
Jahre zu regieren. 

Asa litt im Alter an den Füssen (1. Reg, IS, 23), Nach 
2, Ohron, 16, 12 starb er an ilor als sehr gelUlirtich geschilderten 
Krankheit im 41. Jiihro seines Königtums, nachdem er schon 
vorher in der späteren Zeit setner Regierung Unglück gehabt 
hatte. Was war die .Schuld? Er hatte gegen Baesa von Israel 
answärtige Hilfe statt der göttlichen angerufen, Nuu lebte Baesa 
nur bis zum 20. Jahre Asas, jene böse Tat müssto also vorher 
begangen sein. Aber dann wäre ihr Zusammenhang mit der 
Strafe nicht klar geworden, die den König erst gegen Ende seines 
Iiehens traf. Also wird Baesas Zug gegen Jerusalem mid der in 
folge dessen von Asa veranlasste Einfall der l^yrcr in Israel von 
der Chronik ins H6. Jahr des letzteren verlegt (16, 1). Man hat , 
die treffende Beobachtung gemacht, dass Baesa damals eigentlich 
längst tot war, und darum die Zahl Hii in 16 verbessern wollen . 
— ohne zu bedenken, dass die erste llälff.o der Rcgierun^eit 



I 



Geschichte der Tradition, Kap, fi. 

Asiis ausdriickÜL'!! nls glücklioh bezeii-huet wird, liass sclion ITj, lil 
das Sli). Jahi- erreicht ist und dass jene Korrektur de» Ziisammeu- 
haiig mit dem Folgenden (Ui, T ss.) zerstört. Nämlicli in Aidass 
jener frevelhaften Herbeirufnng der SjTer tritt nun der üblicho 
Prophet auf (16, 7) und verkündet die Übliche Drohung. Es ist 
ll»nani, ein Nordisraelit (1. Reg. Iti, 7), aber Asa behandelt ihn 
wie seineu eigenen Untertan, läest ihn hart an und setzt ihn in 
das Stoelthaus. Dadurch vergrössert und besühlennigt er die Strafa 
und erliegt ihr im 41. Jahr seiner Regierung. 

Josaphat, der fromme Konig, beteiligt« strh nach ], Reg. 2^ 
an dem Feldzuge des gottlosen Ahab von Israel gegen die Daroas- 
ceuor. l'jii^ahndet kann ihm das die Chronik nicht hingehn 
laasen, also sagt ihm, du er iu Frieden heimkehrt, selbiger llanani 
eine jedoch gnädige Strafe au (19, 1 — ü). l'nd in der Tat, sie 
ist gnädig; die Moabiter und Ammouiter fallen in das Land, aber 
Josaphat ti-ägt ohne sein Zntuu einen glänzenden Sieg davon uud 
uiat:ht unermcssliche Heute (2I>, 1 ss.). Man kann es ihm darnach 
nicht verdenken, dass er sich noch einmal mit Ähabs Nachfolger 
verbindet, zu einer gemeinschaftlich zu betreibenden Hchifffahrt, 
die von einem Hafen des Roten Meeres aus, wahrscheinlich um 
Afrika herum, nach Tarsis (Spanion 2. Chron. 9, 21) gehn soll. 
i)ie$mal aber wird er einstlieher gestraft: wie Eliezier hen Dndija 
goweissagt, scheitern die SchilTo. Damit vergleiche man 1. Reg. 22, 
49. 09; „Josaphat baute Tai-sisschiffe nach Ophir zu fahivu um 
Gold, aber die Fahrt kam nicht zu Stande, denn die Schiffe zer- 
brachen im Hafen am Roten Meer«; damals hatte Ahazia hon Ahah 
um ßeteiligung seiner Kuechte an der Fahrt gebeten, aber Josaphat 
es abgeschlagen". So der Originalbericht. Aber in der Chronik 
muss das Unglück moralisch begründet sein und darum Josaphat 
sündige Gemeinschaft mit dem Samarier macheu, den er in Wnhr- 
heit abgewiesen bat, freilich keineswegs aus religiösen Hedcnken. 

Joram beu Josaphat habe es sehr schlimm getrieben, hoisst 
es 2. Reg. S, IS; die Chronik steigert seine Frevel und ergänzt 
vor allem den verdienten Lohn (21,4ss), Elias, obgleich damals 
längst gen Himmel gefahren (2. Reg. 3, llss.), muss dem Sünder 
einen Brief schreiben, dessen Drohungen Jahve danu pflichtschul- 
dig in Erfüllung gohn lässt. Nachdem zuvor die Phili^er und 
Araber ihn bedrängt haben, verfällt Joram in eine unheilbare 
Krankheit der Eingeweide, die ihn Jahre lang (jnält und endlti 




in furchtbarster Weise sein Ende lierlieifülirt (21, 12s9.). Dem ' 
Gottestirteil beifallend, versagt (fns Volk dorn Toteu (üe konig- 
lictieii Ehren und begräbt ihn nicht bei semen Vätem: trotz { 
2. Reg. 8, 24. 

Joas war nach 2. Reg. 12 ein frommer Herrscher, aber « ] 
hatte Unglück; den Syrer Ilazael, der Jerusalem belagerte, miMste ' 
er durch schwerus Gehl znin Abzüge bewegen, zuletzt G^ 
durch Meuchelmord. Womit er dies Schicksal verdient hat, weis» ' 
die Chronik. In dem 8ntae: „er tat was Jabve wolgefällt alle ■ 
seine Tage, weil ihn der Priester Jojndo, unterwiesen hatte" | 
(2. Keg. 12, 3), verändert sie den Srhluss dabin: alle die Tage < 
Jojadas des Priesters (24, 2). Nämlich nach dem Tode sein^ ' 
Woltäters ist er abgefallen und liat ihm an seiner Familie mit 
schnödestem Undank gelohnt: am Ende des selbigen Jahres 
überfallen ihn die Syrer, bei ihrem Abzug verrällt er in eine 
schreckliche Kranklieit, um die sein Unglilck hier nuch ver- 
schlimmert wird; und in der Krankheit wird er ermordet (24, 

17 9S.). 

Amusia wurde von dem samarischen Könige Jehoas, den er i 
übenuütig herausgefordert hatte, geschlagen, gefangen und empfind- 
lich gest.raft (2. Reg. 14, 8sk.). Warum? weil er erbeutete edo- i 
mitische (lötzen in Jerusalem aufgestellt hatte und ibuen diente 
(2. Chron. 25, 143- Erbeutete Götzen eines überwundenen Volkes 
zieht er in dem Augenblicke dem Jahve vor, als letzterer jene I 
Biegt hat! Seit diesem in der Tat nicht genug zu strafenden Ab- , 
fall sollen dann auch seine Knechte sich gegen ihn verschworen 
und ihn umgebracht haben (25, 27) — und doch wird v. 25 nach ■ 
2, Reg. 14, 17 versichert, Amasia habe seinen Gegner Jehous um 
15 Jahre überlebt. 

Uzzia, einer der besten Könige Judas, wurde aussätzig und 
mnaste die Regentschaft seinem Sohne Jotham übergeben (2. Reg. 
16, o). „Nämlich, liigt die Chronik hinzu, er war sehr mächtig ge- 
worden und da erhub sich sein Herz zum Verderben, so dass er I 
sich an Jahve seinem Gott vergriff und in deu Tempel einging, 
auf dem Bäucheraltar zu räuchern. Und da der Priester Azari» ' 
und achtzig seiner Genossen sich ihm widersetzten und sprachen: 
es gebührt dir nicht zu räuchern, sondern altein den Söhnen Aha- < 
rona, die dazu geheiligt sind, so wurde er zornig und Hess das 
Räucherfass nicht tius der Haud. Da fuhr der Aussatz aus aa | 



200 Cwscbichie der Tradilion, Kap.fi. 

seioöc 8l.inie uiid die Priuster scheuch tou ihn vuri liaiiiieii" 0H 
l(i — 20). Nun ist die Suche kein Rätsel mehr. 

Ahaz taugt» wenig und half sich doch j^aiiz leidlich aus der 
Betlräiigiiis, in die er durch deu Einfall der verbündetou Syrer 
un(] Israeliteii geraten war, iudom er sein Keicli deiu Assyror Thi- 
glathpileser zu Lehen antrug (2. Reg. lf>, Iss.). So billigen Kauf^ 
konnte ihn die l'hronik unmöglich davon kommen lassen. Hier 
wird er dahingegeben in die Hand der feinde, allein« die Israe- 
liten erschlagen 12U0OO Juden, darunter den Sohu des Königs 
und seine vornehmsten Diener, und schleppen 3(X) 0Ü() Weiber und 
Kinder nebst anderweitiger grosser Beute fort nach Samarien- 
Auch die Edomiter und Philister fallen über Ahaz her; die Assyrer 
aber, die er zur Hilfe gerufen hat, misverstehn ihn nnd rücken 
in feindlicher Absicht vor Jerusalem; sie erobern freilich die Stadt 
nicht, gewinnen jedoch mühelus ihre Schätze, die ihnen der König 
selber ausliefert (28, 1—21). 

Keinen schlimmeren Herrscher kennt da^ Bnch der Könige 
als Mauasse; dennoch hat er, länger als ii^eud ein anderer, durch 
Dit. Jahre ungestört die Regierung geführt (2. Heg. 21, 1 — IS). 
Diesen Stein des Anstosses niuss diu Chronik aus dem Wege 
schalfeu. Sie erzählt, Manasse sei von den Assyrern in Ketten 
nach ßabei gebracht, clort aber habe er zu Jahve gefleht, sei von 
diesem wieder in sein Reich eingesetzt und habe nun den Götzen- 
dienst aus Juda beseitigt (33, 11 — 20). So entgeht er einerseits 
nicht der Strafe, und anderei'seits erklärt sich doch die lauge 
Dauer seiner Itegierun^. Freilieb ist mau neuerdings der Glaub- 
würdigkeit dieser Angaben mit einer assyrischen Inschrift su Hilfe 
gekommen, aus der henorgeht, dass Manafiae dem Esarhaddou 
Tribut geleistet hat. Also, sagt mau, ist er von den Assyrern 
vergewalti(;t, und aber also ist er gefossolt von ihticn fortgeschleppt. 
Weniger geschwinde aber vielleicht eben so richtig wäre die Fol- 
gerung, dass er als Tributzahler auf dem Thron von Juda und 
nicht im Kerker zu Babylon gesessen haben müsse, in Wahrheit 
steht die zeitweilige Absetzung Manassus ganz auf gleicher Linie 
mit Nabokodrossors zeitweiligem Grasfressen. Die Ungeschichl- 
lichkeit des in seinen Motiven vollkommen durchsichtigen Inter- 
mezüu folgt nicht allein aus dem Stillschweigen des Buches der 
Könige, welches wahrhaftig in dieser Sache nicht leicht wiegt, 
sundern auch z. B. aus Hierem. 15,4. Denn wenn es au letzte 




Die Chruuik. 2 

rfit^le lieisst, um der Schuld Muuassoä willen süUe ganz Juda und 
[ Jerusalem der Veriiichtmig preis gegeben werden, so ist die Vor- 
t ansselzunji: iiicbt, diiss sie bei'eilä von ihm selber gebüsst und ^e- 
ffifibut sei. 

Dem Jnsiii wird, um zu r echt fertigen , daas er bei Me^iddo 
[ Schlacht und Leben verlor, die Si^huld angeheftet, daas er den 
I -Worten Nethos aus dem Munde Oottes nicht gehorcht habe, der 
I ihn vom Kampf nbmahnte (35,21,22). Umgekehrt wird dem 
I gottlosen Jojakim die .Strafe vergrössert; er soll von dem Chal- 
[ däer in Ketten geschlagen und imch Babel geführt worden sein 
I C36'3) — freilidb wai- das vor der Einnahme Jerusaloms nicht 
Lwol möglich, die erst im dritten Monat seines Nnclifolgers gelang. 
I Der letzte Davidide Sedekia, weil er Schwereres als alle seine 
I Vorgänger erlitt, muss halsstarrig und veret.ockt gewesen sein 
1(36,12. 13), Eigenschaften, auf die er nach dem authentischen 
[ Zeugnisse des ftopheten Jeremias in Wahrheit am wenigsten Än- 
[ ^ruch erheben konnte. 

Man sieht, die alterknnliretesten Produkte sind aus dem Plan 
dieser Geschichtsschreibung, wie man sich euphemistisch auszu- > 
drücken pflogt, hervorgegangen. Man wird darum überhaupt die 
BestimratJieit der Angaben, mit denen die Chronik allein steht, 
nicht für einen Beweis ihrer Tatsächliclikeil halten dürfen. Die 
Eraätilung von dem Äthiopen Zerah (2. Chron. 14, 7 ss.) ist ebenso 
apokrj-ph wie die von Kusan Kisathaini (.lud. :-t,10). Schon des 
Vignoles hat zwar den ei-steren mit dem Osorthon Manethos gleich- 
gesetzt, der als Osorkon iSoIni des Hisak, jedoch nicht als Erneuerer 
des Keldzngs gegen Palästina, auf den ägyptischen Monumenten 
wiedet^efnnden ist ; aber (Jsnrkon war ein Ägypter, Zerah ein 
Äthiop, und die Ähnlichkeit ihrer Namen ist doch auch nicht 
, allzu sclilageud. Ausserdem — wäre Zerah in der Tat eine histo- 
rische Person, was hülfe dies zur Uettung des unhi.^torischen Zu- 
BuninenhongN? Mit einer Million zieht der König der Mohren und 
Libyer, Ägypten überspringend, gegen .Inda aus, Asa rückt mit 
BöOlXK) Mann, dem Aufgebot eines Landes von ungefähr sechzig 
Qaadratmeilen , den Feinden entgegen und schlägt sie auf der 
I £bene nördlich von Maresa so, das» kein einziger am Leben bleibt. 
FDas soll, der genau angegebenen Lokalität wegen (wobei jedoch 
f Maresa stMt (iath nicht eben nach alter Ijuelle scbmecki) glaub- 
haft sein, wenigstens nach Abzug der Uiij;!anblichkeiteni' Viel- 



208 fiesclilchte der Trafliticn, Kap. ß. 

mehr nadi Abzug dor Uiigliiuhlichkeiten ist der Iteet gleich Null. 
Der Einfall des Baesa vou Israel in Juda und Aaas Beuehmeii 
ihm gegenüber (1. Reg. 15,17 ss.) ist eine vermdilende Kritik 
des grossen Sieges, den er vorher über die Athiopen davon ge- 
tragen haben soll. Mit Josaphats Siege Über die Ammoniter unil 
Moabiter steht es um kein Haar besser (2. (.'hron. 20}, ts lie^t 
hier wahrscheinlich ein Echo von 2. Reg. 3 vor, wo von der Be- 
teiligung Josaphats an einem Feldzuge gegen Moab ei-zählt wird 
und ebenfalls der i^liarakteristische Zug von der gegenseitigen Auf- 
reibuug der Feinde vorkommt, so dasa dem Widei-part um" die 
Arbeit des Beutemacheus übrig bleibt (3,23. 2. Chr. 20,23). 
Feinde stehn dem Chronisten immer zu Gebote, wenn er sie 
nötig hat, Araber zur Seite der Kuschiten (17,11. 21,11». 22,1. 
2ß,75, Meunäer (26,7), Philister 17,11. 21, lU. 26,08. 28,48), 
Ammoniter (20,1. 26,8. 27,5), die sich zum teil schon durch 
ihre Namen für die a1to Zeit unmöglich machen. Nachrichten 
wie die, dass die Ammoniter den Königen Uzzia und Jütham 
unterworfen gewesen seien (2(J,H. 27,5), werden, bei dem voll- 
kommenen Schweigen der glaubwürdigen Quellen, einfach durch 
ihre innere Hnmöglichkeit gerichtet; denn ku Ammon war Moab 
die Brücke, und dieses Land war jener Zeit keinesfalk im judäi- 
«■hen Besitze, wie übrigens auch nicht behauptet wird. Die Phi- 
lister sind (21, HJ. 28,18) durch den Plan der Oeschichtschrei- 
bung als rachgierige Feinde benötigt; schon dns tlössl Mistraaen 
ein gegen die vorhergehenden Angaben (17,11. 26, (is.), dass sie 
von Josaphat zur Tributleistung gezwnngeu und von Uzzia nieder- 
gekämpft seien; voUens unglaublich ist es, dass der letztere 
die Mauer von Asdod (Arnos 1,7) gebrochen und Festungen in 
Philisthäa angelegt haben soll. Nach dem Buche der Könige hat 
er Edom wieder unterworfen; Edom ist hier das einzige Land, 
worauf die Davididen Ansprüche macheu und wogegen sie Kriege 
führen, während Moab und Philisthäa — letzteres jedoch mit Aus- 
ijahme der bedeutendsten Städte — virtuell zum Gebiete Israels 
gehören. 

Die Triumphe, welche die C'hi-onik ihren Lieblingen gönnt, 
haben allesamt keine gescliichtliche Wirkung, sondern nur die 
momentane Bedeutung den Glanz ilirer Regierung zu steigern. Der 
Erfolg ist nämlich stets die Kelirseite des Verdienstes. Joram 
Joas Ahaz, die als verworfen geschildert werden, baueu 





HU Chronik. 309 

^«stnngen, halten koine grossen Heere, haben nicht eiue Fälle 
AVeibero und Kinderu; uur bei den rroiumeu Könl^n, zu 
Ldeaen ja auch Reliabeam uud Abia gehören, äugseil sich iu dieeen 
Segen Gottes. Die Macht ist der Gradmesser der 
migkeit uud steigt und fällt mit <lieser. Weiter hat es 
keinen 8iuu, wenn z. B. Josuphat über elf mal hundert tauseud 
LSoldateti hat (lT,14gs.); denu zu Kriegen werden sie nidit ge- 
f braucht, der Sieg kommt von Gott und von der Mneik der Leviten 
' (Kap. 20). Bei deu Nachrichten über Festung-sbauten , die sich 
regelmässig bei den i^ten Ilerrschern wiederholen'), sind allge- 
meine Angaben, wie Os, H,14. 2. Reg. 18,13, in konkreter Weise 
r exemplificirt , unter Benutzung einzelner traditioueller Elemente 
h:(Ijachis). Es ist nicht möglich, aber auch wahrhaftig nicht nötig, 
lÄberall die Erdichtung nachznweiaen; nach 19,5 scheint es, als 
I ob einfach alle einigermaassen beträchtlichen Städte als Festungen 
werden, in dem Veraeichnis ll,<jss. trifft man vor- 
I zugsweise Namen, die auch in der nachexilischcu Zeit bekannt 
firareu. Daas Abia dem Jerobeam unter anderem Bethel abgo- 
ind dass Josaphut in die von seinem Vater Asa eroberten 
l ephraimitischeu .Städte Statthalter gesetzt habe (13, lil. IT, 2), 
t wünle Verwunderung erregen, wenn es nicht in der Chronik 
I stünde. Zur Beurteilung der Familiengeschicbta der DaWdiden 
rleiatet besondei-s die Mitteilung l.-t,21 nach Form uud Inhalt gute 
I Dienste: „und Abia stärkte sich und nahm sich vierzehn Weiber 
[ and zeugte zweiundzwanzig 8öhue uud sei^'hzehn Töchter". Man 
■< meinen, dies falle in das Königtum Ablas uml zwar nach 
I dem angeblichen Siege über Jerobeam; er regierte aber alles in 
l allem nur drei Jahre und binnen dieser Zeit soll einer seiner 
[ 8fihne sogar zum Muime gereift sein? In AVahrheit hat Abia nun 
I fiberhanpt keinen Sohn gehabt, denn sein Bruder ist ihm gefolgt. 
l Selbstverständlich ist doch auf die bestimmte und zweifelsohne 
I <)nellen massige Nachricht, Maacha, die Frau Rehabeams, sei die 
I Matter sowol Ablas als Asaa gewesen nnd letzterer habe sie aus 
I ihrer Stellung am Hofe entfernt (I. Reg. 15,2. 10. 13), mehr zu 
Lg«ben als auf die andere verhältnismässig leicht zu erklärende, 
t wonach der Nachfolger für des Voi-gängers KSohu ausgegeben wird 
l.(v. 6). Nach Josaphats Tode soll zunächst Joram alle seine 

") 8,3-G. 11,5-12. 13, 19. 14,5.«. 17, 12. 19,5. 26', 9. 10. ^7, 4. 32.5. 
33, U. 

WaltklDKn. rrul«i,'snieui. &. Ana. 14 



210 



Geschichte der Tradition, Kap, fi. 



Brillier ("21, 4) j^enioiilef. hiilieii, sodanii die Ar;i!>er alle Sühne 
Jorams mit Ausnahme eines eiazit^eii (22, 1): wer von tlen Davi- 
(liden bleibt denn da iiuch lur Jehu übrig, der aui;h ihrer zwei- 
undvierzig abschlachtete ("2. Reg. 10, 14)!* Knra die Familien- 
geschichte des Hauses Davids ist von dem selben historischen 
Werte, wie alles andere, was die Clirouik mehr und besser weiss 
aU die älteren kanonischen Geschichtsbüclier. Aach ,die Namen 
und Zahlen können an diesem Urteil nicht irre macheu; deiin um 
solche Kleinigkeiten, die den Schein der Genauigkeit erwecken, ist 
der Verfasser nie verlegen. 

4. Die Grundlage des Buches der Könige schimmert auch 
in diesem das nachsalomonische Juda behandelnden Teile der 
Chronik allenthalben durch. Wo dort genau und ausführlich er- 
zählt wird, da gebietet aucli unser Verfasser über reicheres und 
interessanteres Miiteriat; so bei den jndäisch-israelitischen und bei 
den den Tempel betreffenden Geschichten (Kap. 10. 18. 23 8. 25, 
17 — 23. 33 s.). Sonst ist er an die Regesten gebunden, die das 
Skelett des Buches der Könige bilden, darnach richtet er sich 
suwol in den Verdikt«n über den allgemeinen Wert der Herr- 
scher als auch in den chronologischen Angaben, jedoch seinem 
Plane gemäss die Synchronismen für gewöhnlich (13, 1. 2.'), 2ö) 
auslassend. Aui-h die positiven Data der Regesten über die von 
diesem und jenem Könige getroll'onen Kultusmaasregeln finden 
sich grösstenteils wörtlich wieder nnd schwimmen brockenweise 
und sofort unterscheidbar in dem Anfguss von Kestfeiern, Pre- 
digten, Levitenchöreu, Gesetz nnd Propheten. Denn das ist eine 
wichtige Gegenprobe alles dessen, wns sich bisher ergeben hat: 
was in der Chronik nicht aus den Biichem Samuelis und der 
Könige herrühi-t, gleicht sich nicht bloss in der inneren Art, son- 
dern auch in der unbeholfenen und häuüg unverständlichen 
Sprache, die offenbar einer Zeit angehört, wo das Hebräische im 
Aussterben begriffen war, und in der manirirten Uarstellougsweise, 
die ganz von Ueminiscenzen lebt. Es gehört nicht hierher, dies 
nachzuweisen; vgl. aber Stäheün, specielle Einleitung (lSti2) 
p. 139 s., Bertheau p. XIV ss-, Graf p. 116. 

ÜI. 

1. Wo die f'ln'ouik mit den älteren kanonischen Geschichts- 
büchern pai'allel geht, da enthält sie keine Bereicherung, sontU 




tÜL' Clirouik. 



211 



Fbut eine Verlarbimg der Tradition durch zeitgenüseische Motive. 
[Jd dem Gesamtbilde, welches sie malt, spiegelt sich ihre eigeiie 
■ Gegenwart, nicht das Altertnin wieder. Nicht viel anders verhält 
les sich nun aber auch mit den Geachtechtaverzeichnissen, welche 
[ 1. Chron, 1 — 9 zur Einleitung vorangesdiickt sind; auch sie haben 
I im ganzen nur Für die Abfussungszeit Geltung, sei es für deren 
[ wirkliche Verhältnisse oder für ilire Vorstellungen über die Ver- 
gangenheit. 

Die Vorliebe für Stammbäume und Geschlechtsregister, ge- 

f mischt aus genealogisch-historischen und ethnologisch-statistischen 

I Elementen, ist bezeichnend fib* den Judaismus; mit der Sache ist 

I auch das Wort jaches erst in späteren Zeiten aufgekommen. 

f Man schreibt kompendiarische Geschichte in der Form von Tho- 

ledoth und Juchnsin. Der Faden ist dünn, unanschaulich, und 

doch scheinbar fest und zusammenhangend; man behauptet nicht 

viel und hat doch Gelegenheit allerlei Bemerkenswertes anzubringen. 

Material findet sich; hat man erst Anfang und Ende, so ist 

1 Brücke leicht geschlagen. Eine andere Äusserung des selben 

t Triebes ist die Neigung, alle Verbindungen und Beziehungen der 

I meuschlicheu Gesellschaft auf einen genealogischen Ausdruck zu 

j bringen, überall künstlich Familien zu schatTen und sie in Ver- 

[ -wandfachaft zu setzen. Wir hören von den Geschlechtern der 

I Sciiriftgel ehrten zu Jabes, der Töpfer und Gärtner und Byssns- 

I arbeiter, von Söhnen der Goldschmiede Salbenhändler und Walker, 

i welche Korporationen ganz auf gleicher Linie mit wirklichen Fa- 

i milien aufgeführt werden. Die Gliederung des Kultuspersonals ist 

r die konsequenteste Ausbildung dieses künstlichen Natursystems, 

r welches ebenso auf alle anderen socialen VerhÄltnisse ausgedehnt 

I wurde. 

Um nun näher auf den Inhalt von I. Chron. 1 — 9 (und an- 
I derer damit zusammenhangender Verzeichnisse) einzngehn , so 
I K^ hier, abgesehen von dem nicht weiter berückstchtigenswerten 
I ersten Kapitel, eine ethno-genealogische Übersicht über die zwölf 
I Stämme Israels vor, welche meist an die Data des Priosterkodex 
I (Gen. 46. Num. 36) anknüpft und sie bald mehr bald minder be- 
Vkächtlich erweitert. Nur sollen die Angaben des Priesterkodex 
Jör die mosaische, jedoch die der Chronik zugleich für die folgende 
ft'2eit gelten, z. H. Sauls und Davids, Thiglathpilesers und Hizkia». 
(Aber schon tu der Itichterzeit waren in diesen Verhältnissen sehr 

14* 



•2lä 



Geschichte der Tradition, Ka\<. 



I 



beiieuteiide Verümlerungeii eingetreten. A\'ähreini Dan mit Mühe 
sich hielt, lösten Simeou und Levi sich gänzlich auf (Gen. 49. 7): 
im Segen Moses bedeutet letztoier bereits etwas ganz anderes als 
einen Stamm, und ereterer wird gar nicht ennähnt, obwol die 
Aufzählung vollständig sein soll; schon zur Zeit Davids war er tn 
der Gegend, wo er einst Fuss gefasst hatte, von judäisch-edomiti- 
scben Geschlechtern aufgesogen. Östlich vom Jordan hatte, aller- 
dings in etwas späterer Zeit, Leas Ei-stgeborener ein ähnliches 
Schicksal. Nachdem er Gen. 40 des Primats verlustig gesprochen 
und Jud. ö wegen seiner anspruchsvollen Worte, denen keine 
Taten entsprachen, verspottet ist, wird Deut. 33, ti der klein- 
mütige hoffnungslose Wunsch geäussert: „es lebe Hüben und sterbe 
nicht", und König Mesu weiss nicht anders, als duss der Mann 
von Gad seit je in dem Laude wohnte, welches eigentlich rubeni- 
tisches Erbe war. Aber in der Chronik tauchen diese vei'schollenen 
Stämme — und zwar nicht bloss Levi, mit dem es ja eine be- 
sondere Bewandtnis hat, sondern auch Sinieon und Kuben, die 
hier voreret allein in betracht kommen — wieder auf und existiren 
als selbständige Zwölfteile Israels so gut wie Ephraim und Manasse 
durch die ganze Königszeit hindurch bis zur Zerstörung des Reichs 
durch die Assyrer '). Diametral widerspricht dies aller beglaubigten 
Tradition; denn dass es sich bloss um ein Jahrhunderte langes 
Fortbestehen einzelner simeonitischor und rubenitischer Gesdilechler 
innerhalb anderer Stämme handle, ist eine harmonistische Ver- 
legenheitsanuahme, und ebenso verbietet sich auch jede andere 
Abschwächung der Tatsache, do^ jene untergegangenen und halb 
mythischen Tribus in der Chronik den übrigen ganz unterschieds- 
los an die Seite gesetzt werden. Der liistorische Wert, welcher 
durch diese Gleichstellung dem Ganzen genommen wird, kann 
nicht durch die scheinbar objektiven Einzelheiten wietler her- 
gestellt werden. Oder sollen wirklich die Kriege der Simeoniten 
und Rubeniten gegen die Araber mehr zu bedeuten haben als 
die überall aus dem Ärmel geschüttelten Kriege der jüdischen 
Könige gegen diese Wüstenvölker? wenn nur wenigstens die Namen 
nicht wären. Söhne Harns und Meunäer und Uagarener (4, 40s. 



L 



') Vcrgleiclie für Rüben ausser I. 5, 1—10 noch 5, 18. 11, 43. 13, 37. 36, 82. 
27,16, für Simeon auuaer 1.4,34^ noch 12,25. n. 15.9. 34,6 lUid 
beachte, datia in den beiden letzten Stellen äimeon zum Nordreiel) go- 
rechuot wird, damit die zehn Släuiine voll werden. 




Die rhroiiili. 



213 



rh, 10)! Was feraer die Oesfhlechtsregister und Stammbäume he- 
L trifft, sind sie deshalb historisch, weil ihre Elemente für uns uii- 
I durchsichtig sind imd unserer Kritik sich entziehen? Die Sprache 
[ iJUst Iceineswegs vermaten, da^s man hier Excerpte aus uralten 
I Dokumenten vor sich hat (4, 33. 38, 41. ö, Is. 7. !'s.), und Eigeo- 
wie B. li. Eljoenai nud andere (4, Sbs.), bestehen nicht 
I durch idtertüraliches Aussehen. 

m den übrigen Stämmen, soweit sie zu Israel und nicht 
L zu Juda gehören, kommen im Anschluss aji Rnben zunächst die 
I transjordanischen an die Heihe (5, 11 — 26). Sie seien verzeichnet 
I in den Tagen Jothams von Juda und Jerobeams von Israel, wo- 
I bei sich ihre Zahl anf 447(iO Krieger belaufen habe; sie seien zu 
I Felde gezogen gegen die Ilagarener Ituräer Naphisäer und Naba- 
I täer und haben Sieg und viele Heute gewonnen, „denn zu Gott 
I schrieen sie UTid er Hess sich von ihnen erbitten weil sie auf ihn 
L trauten". Darnach aber seien sie abgefallen vom Gott ihrer \äter 
1 nnd zur Strafe durch Phul und Tiglathpile-ser nach Armenien ge- 
\ schleppt an den ('habor nnd an den Kluss Gozans. Abgesehen von 
I der spätjüdischen Sprache im erbaulichen Tone und von der Auf- 
[ sählung Ruhen Gnd und halb Manasse sind hier die wunderlichen 
I nnd höchst dubiosen Koordiuationen bezeichnend: Phul nnd Thij!lath- 
j.pileser, Chabor und der Fluss Gozans sind schwerlich von ein- 
I ander verschieden, Jothara und Jendioam dagegen ein so unniög- 
I lieber Synchronismus, dass die Advokaten der Chronik behaupten, 
leB solle gar keiner sein; freilich ohne an Os. 1, 2 zu denken und 
I ohne anzugeben, was dann Jotham von Juda hier sonst überhaupt 
zn tun habe. Auch ilie Hagarener nnd Ituräer, statt etwa der 
Moabiter und Ammoniter, geben zu denken, desgleichen die geo- 
graphischen Angaben, dass Gad in ßa-san und ^tanasse am und 
im Libanon gewohnt habe. Was aber die Eigennamen der Ge- 
schlechter und Häupter betrifft, so entziehen sie sich allerdings 
tmeerer Beurteilung; jedoch sind die Ausdrücke des Schemas, 
worin sie stehn (ansehe schemoth rasche Pbetli abotham, mi- 
E'grasch, jaches) dem Priesterkodex unil der t'hronik eigen, und 
Bfieben alten und anderweit bezeugten Elementen kommen an- 
dere sehr neuen Gepräges vor, z. It. ü, 24 Eliel Azriel Hodnja 
kbdid. 

Die galiläischen Stämme nehmen in der Einleitung keine be- 
Untende Stelle ein, aber in der übrigen Chronik treten sie günstig 



214 (leBcbiclito der TrodiKon, Kap, R. 

hervor, uameiitlich I 12, 32—34. 40 und II 3Ü, 10. 11. 18: " 
liegt nalie, besondei's bei der letzteren Stelle, an ilie spätere Jn- 
daisiruDg Oaliläae zu denken'). In Issacliar soll es zur Zelt Davids 
HToOl) Mann gegeben haben (mispharam rtholedotliam l'beth abo- 
tham T, 1^5), ans Zebuion und Nnphthali sollen wiederum genau 
S7(XJ0 Mann zu David nat^h Hebron gekommen sein, um ihn zu 
salben und sich drei Tage bewiiten zu lasseu; doch heisst es vor- 
sorglich 12, 40, sie brachten die Lebensmittel selber mit. — Der 
eigentliche Kern Israels, Ephraim und Manasse, ist 7, 14^29 im 
vergleich zu Simeon Ruhen Gad Issachar Äser sehr stiefmütterlich 
beliaudelt — ein sehr verdäi^htiges Zeichen. Das Verzeichnis der 
manassi tischen Geschlechter ist eine künstliche Neukomposition 
aus irgendwo aufgelesenen verwitterten Elementen; Maacha, welche 
vielleicht mit Molecheth gleich bedeuten« I ist, gilt sowol als Weih 
wie als Schwester Machirs, gehört aber als Gileaditin flieth- 
Maacha) gar nicht liierher, da vom cisjordanis(.^hen Mauasse die 
Hede ist: zur Ausfüllung der Lücken wird kein Materia! ver- 
schmäht. Bei Ephraim ist bloss eine lange und dünne Genealogie 
gegeben, die v. 20. 21 beginnend und v. 25 sich fortsetzend, 
immer die gleichen Namen (Thachath Thachan 1, Sam. 1, 1, 
Elada Ladan, Scimthelah TholaJi) wiederholt und schliesslich ihr 
Ziel und Ende mit Josua erreicht, von dem die älteren Quellen 
nm' den Vater Nun kennen. In die Genealogie hinein hat sich 
eine wunderliche Nachricht über die Tötung der Söhne Ephraims 
durch die Männer von Gath (1. Sam. 4 ?) eingedrängt, die (wie 
8, 6. 7} nacli der herrschenden Meinung uralt sein soll. I)o<-h soll 
auch die Notiz 4, uralt sein, während sie sich otfeubar auf das 
Aufblühen der Schriftgelehrtenschulen bezieht, welche sich nach 
2, bb zu Jabes befanden. 

Überall wird vorausgesetzt, dass Israel während der ganzen 
Königszeit nach den zwölf Stämmen organisirt gewesen sei (Kap. 
2 — 9. Kap. 12. Kap. 27); bekanntlich ist diese Voraussetzung 
grundfalsch, wie z. B, aus I. Reg. 4 zu erkennen. Ferner wird 
die statistische Neigung des späteren Judaismus auf die ältere Zeit 
ühertragen, der Aufnahmen und Zählnngen aufe äusserate zuwider 
waren. Unter David sollen trotz 2, Sam. 24 ■ 



. indes lar. iind jäd. Geschichte I 



24 wieder und windar I 



lliu (.'hruiiik. 



216 1 



Zählongen sowol des geistlichen als der weltlicliea Stämtno vor- 
gekommen sein; eboiiso unter seinen Nachfolgern, wie teils aus- 
drückliuli angegeben wird, teils aus den genauen Angaben über die 
kriegsiahige Alaniischaft zu schliessen ist; immer ergeben sich 
dabei die ungolieuerlichsten Ziffern, die doch arkmidüch und rech- 
nungsmässig sein sollen. Wir haben es also büi den statistischen 
Verzeichnissen der. Chronik, soferu sie sieb auf diis vorcxilische 
AUortum bezielien, mit künstlichen Kompositionen zu tun. Es 
tBug sein und ist mitunter nachweislich, dass dabei einzelne Ele- 
mente benatzt sind, die auf Überlieferung bernbeu. Sicher eben 
80 viele sind aber auch erdichtet, und die Verbindung der Ele- 
mente, auf die es vor allem ankommt, stammt, wie form und 
I Inhalt zeigen, aus späteater Zeit. Wer hier geschichtliche Er- 
r kenntnia über altisraelitische Verhältnisse sucht, muss sich dui'auf 
I legen, das Gras waclisen zu hören. 

Anders allerdings als mit den untergegangenen zobu 

I Stämmen, von denen biäbei' die Kede war, »^teht es mit Juda 

und Benjamin und in gewisser Hinsicht mit Levi. Es lasst sich 

denken, dai^s hier eine lebendige ethno- genealogische Tradition 

[die Gegenwart mit dem Altertum verbunden habe. Jedoch bei 

[ näherem Zusehen ergiebt sich, dass das meiste, was der Clu'onist 

I hier mitteilt, auf die nacheülische Zeit sich bezieht, und dass die 

I wenigen Fragmente, die hoher hiuaufweisen , einem Zusammen- 

I bange eingearbeitet sind, der im ganzen sehr jungen Datums ist. 

LAm stärksten fällt es auf, dass das Verzeichnis der zu Jerusalem 

1 lohnenden Häupter des Volkes 9, 4 — 17 einfach mit Neil. 11, 

? S — 19 identisch ist. Man erwartet an dieser Stelle, zur Einleitung 

[.der Königsgeächichto Kap. l(h«s., keineswegs über die Verhältnisse 

■ der Gemeinde des zweiten Tempels etwas zu hören; über unser 

1 Verfasser glaubt dadurch auch über die Verhältnisse des alten 

[Jerusalems aufzuklären; von Uavid zn Nehemia ist für ihn kein 

F£pnuig, er weiss von keinem Untei'schied der Zeiten. Auch für 

. 8, wo eine auslührliche Aufzählung der Itenjaminitischen 

jFaLmilien gegeben wird mit besonderer Bücksicht auf die in der 

B^nptstadt sesshafteu, hat Bertheau die nachexilische Beziehung 

ien-, interessant ist es, dass es im späteren Jerusalem 

ine ausgebreitete Familie gab, welche von Saul alistammen wollte 

ihre Ansprüche durch einen langen Stammbaum begründete 



216 



Geschichle Her Tradition, Kap. S. 



I 



8,33— 4()'}. Ohne Zweifel wird auf diese Weise für das 
Alter des anderen Verzeichnisses der Benjarainitcu (7,(1^11) kein 
allzu günstiges Vorurteil enweckt; um übrigens an dem ungeb- 
lichen Zurückgehen desselben auf verblichene Urkonileii ed zweifeln, 
braucht man nur auf die echt jfidiiwhen Termini in den Versen 
7.9.11, auf Eigennamen wie Eljoenai nnd auf die hier nicht 
leicht abtrennbaren, sondern sehr zur Saclie gehörigen Zahlangaben 
(22034 +202IX)-(-17 2011, zusammen 59434 Kriegsmännor) acht zu 
geben. 

Am meisten historischen Wert haben die Huf den Stamm 
.Inda bezüglichen Register (2, 1 — 4, 23). Doch mnss man den 
Stammbaum der Davididen Kap. 3 ausnehmen, der nur von Zerii- 
babel abwärts Interesse hat'), sonst aber eine änsserst liederliche 
Znaammen Stellung" des auch uns noch aus den älteren kanonischen 
Cieschichtsbüchern und aus .Tereraias zugänglichen Materials ent- 
hält. Uie ersten vier der in Jernsalera geborenen Söhne Davids 
sollen nach 3,5 alle von der Rathsoba stammen, die anderen 
sieben werden durch ein Textversehen, welches anch in der Sep- 
tuaginta 2. Sam. &, H> vorliegt, auf nenn erhöht. Bei den Söhnen 
Josias (3, lös.) wird Jnhanan d. i .Joahaz von Saliom (Hier, 22, 1 1) 
unterschieden und, weil er zuerst seinem Vater folgte, znm Erst- 
geborenen gemacht, während in Wahrheit Jojakim älter war 
(2. Reg. 23,36. 31); Sedekia, Jojakims Bruder, wird für den Sohn 
Jechonias, des Sohnes Jojakims, ausgegeben, weil er der Nach- 
folger Jochonias, des Nachfolgers Jojakims, war. Ähnliche Dinge 
kommen auch im Buche Daniel vor, man erkennt sie nicht an, 
weil man in der Weise von lobs Freunden für Oott Partei neh- 
men zu müssen meint. Wer Augen hat zu sehen, kann nur den 
beiden grossen jüdischen Geschlechtslisten in Kap, 2 und Kap. 4 
höheren Wert zugestchn. Doch finden sich auch hier die ungleich- 
artigsten Elemente zusammengewürfelt und die Spreu mit dem 
Walzen vermischt'). 

Das 2. Kapitel ist abgesehen von der Einleitung v. 1 — S t 

I) =9,35—44, wii« liellei-^ht die sjiriterf Eicisclisltung von 9,1—34 

") In IHW» 1. Chr. 3, 18 hat Kosters den nüatflf erkannt: Tgl. 1 
poasapO! im griechischen Eedras, aram. ^i'"J5 und "ISNIöitt*' 

*) Für alles Näbere verweise ich nnf mujne Dissertatiun De getitibus et 
familiis Judacis. Gotting. 1870. 




Die Chronik. 



217 I 



Verzeichnis der Bne llesroo, einer Tribns, die «nr Zeit Davids 
noch gur niclit viillig mit Juda verschmolzen war, aber schon da- 
mals die eigentliche Kraft dieses .Stammes ausmachte und später 
völlig damit verschmolz. Ans der übrigen t^mgebung tritt folgen- 
des Schema hervor. „Die Bne Hesron sind Jeralimeel and Keln- 
bai (Kaleli) (v. 9). Und die Bne Jeralimeel, des Eratgeborenen 
Hesrons, waren (v. 25) . . . Das waren die Bne Jerahmeel (v. 33). 
Und die Bne Kaieb des Bruders Jerahmeel waren (v. 42) . . , 
Dns waren die Bne Kaleb (v. 50 init.)." Was in dieser Weise 
formell begrenzt und zusammengehalten wird (vgl. in letzl«rer Be- 
: aiehnng „Jerahmeel der Erstgeborene Hesrons", „Kaleb der Bruder 
.^erahmeela"), zeichnet sich auch inhaltlich gegenüber allem an- 
deren ans. Es ist der Kern des Ganzen und bezieht sich auf die 
,'Vorexilische Zeit. Schon das nngewöhnliche et fnernnt (v. 25. 
'83. 50) leitet darauf hin, ausserdem bei Kaleb die positive Tat- 
sache, dass die Städte v. 42 — 49 alle bei Hebron und im Negeb 
Juda liegen, wo nach dem Exil die Iduraäer wohnten, und bei 
Jerahmeel der negative Umstand, dass hier überhaupt keine Städte ■ 
unter den Geschlechtern erwähnt werden, vielleicht mit Ausnahme 
Ton Molad (v. 2Vt)' wo'lui'i'h man in den tiefsten Süden gewiesen 
würde. Dieser Kern ist nun durch eine Reihe nachexilischer Zu- 
sätze erweitert. Zuerst findet eich bei Jerahmeel ein Anhang 
. 34 — tl, der nicht ethnologischer, sondern rein genealogischer 
Natnr ist und einen funfzehngliedrigen Stammbaum offenbar bis 
.nahe zur Gegenwart des Throiiiaten herabfiihrt, der ausserdem nur 
in scheinbarer Verbindung mit dem Vorhergehenden steht (vergl. 
'V. 34 mit V. 31) und regelmässig die Hiphill'orm holid gebraucht, 
«ilie V. 25 — 33 nie und v. 42 — 50 nur sporadisch vorkommt, an 
.drei Stellen, die späterer Redaktion verdächtig sind. Ungleich 
■wichtiger sind jedoch die Nachti-äge zu Kaleb, von denen sich der 

! Teil vordrängt v. 18—24, der andere dazu gehörige aber 
passender an den Schluss gehängt hat v. 5U — 55 (anfangend mit: 
„und die Söhne Ilurs, des Erstgeborenen der Ephrath", Kalebs 
Zweiter Frau v. 19). Hier erscheint Kaleb nicht mehr im tiefen 

en Jadas und in der Nähe Jerahmeels (1. Sam. 25, 3. 27, 10. 
30, 14, 29), wo er vor dem Esil gesessen hat, sondern seine Ge- 
schlechter, die allesamt von seinem Sohne Hur abstammen, be- 
rßelhlehem KiriatlijearJm Soraa Estbuol und andere im 
otegene und iu den Büchern Esdrae und Nehemiae viel 



218 Goscliichto der Tradition, Kip. G. 

yoiiaiinte Städto. Dio Kalibliäer haben also iu folgo dos I 
ihre alten Wohnsitze verlussen tind nach der Ktickkehr andero 
emgenommen ; diese Tatsache wird v. 1!) so ausgedrückt, dt'm 
Kaleb sei sein erstes Weib Azuba bath Jerioth (Üesei-Ia filia Nu- 
ina<]umj verstorben nnd da habe or ein zweite« f^enouiinen, die 
Kphrath, mit der or den Hur ztinglo — Ephrath ist der Name 
der I^ndacbaft, wo Bethlehem und Kinathjoaiim liegen, und eigent- 
lich eine blosse Nebenform von Ephraim, wie der Name Rphrathi 
boweisf. Ausser diesen Zusätzen zu Jerahmeel und Kaleb ist noch 
die lienealogie Davids hinzugekommen (v. 10 — 17). Das Buch 
Samuelis weiss nur von meinem Vater Isai, während dagegen Sanis 
fieschlecht höher hinauf verfolg;! wird und kein Grund war dies 
bei David zu unterlassen, wenn die Mittel zu geböte standen. 
Hier aber wird wie im Buche Ruth über Isai Obed Boaz auf 
Salma zurück g^angeu. Salma ist der Vater Bethlehems (2, 54), 
daher der Vater Davids. Aboi- Salma ist der Vater Bethlehems 
und benachbarter ganzer und halber Städte nach dem Exil: er 
gehört zu Kaleb Abi Hur'). Wenn nun ii-gend etwas gewiss ist, 
so ist es das, dass in der alten Zeit die Kalibbäer im Süden und 
nicht im Norden Judas wohnten uud dass insonderheit David 
durch seine Geburt nicht zu ihnen, sondern vielmehr zu dem 
älteren Teile Judas gehörte, der gegen das eigentliche Israel 2U 
gravilirte und mit Benjamin in nächster Verbindung stand. \'on 
den drei ersten Gliedern der Genealogie sind Nahson und Ammi- 
nadab die Fürsten Judas im Priesterkodex, die passeud als die 
Ahnen ihrer Nachfolger angesehen werden; Ram aber ist der Ei'st- 
geboreiie des Rrstgeborenen Hesrons (v. 25) und auch durch die 
Bedeutung seines Namens (der Hohe) wie Abram zum Ausgangs- 
punkt der fürstlichou Idnio geeignet. 

Während man also in Kap. 2 in der Tat auf einen alten uud 
notwendig auf gute Tradition zurückgehenden Kern stösst, der frei- 
lich nur um der späteren Zusätze willen erhalten zu sein scheint, 

') Im Thurpim TnirdPii die mit Kaleb vurwandti'u Koolter al,'' SjilmanBr 
(SaXnjiioi, 2«X(ii)voi bei Steph. Byz.) heieicliiint, der Name koiuint iiiieli 
im Kolien I.ieilo vor (1, b: die Zelte vnii Kt-dur, dir Decken von Salm.i), 
und mit dcti NaliatAern verimndea öfters »uf den nulintfiisi'lien lii- 
scbriften (ed. Euliug, 2,7. 4, -4 9,3). L'uter deu Neliein. 7, 46— 60 aiif- 
([ezählten Familien der Nuthinäer kommen uuch die Bne Salinft »or, 
neben mehreren anderen Namen, die deutlich den niehtisraelitiacliHn 
nnd ansl&ndischen (Kierh. 44) Ursprung dieser TempeUkisT 
lassen, i. B. v. 48. 52. 53. 55. 57. 




Die Chronik. 219 

irakterisirt sich das 4, 1 — 23 enthaltene gau2 unabhängige 
l'linil parallele Verzeichnis durch viele und deutliche Zeichen für 
, jeden Sachverständigen als eine späte und auf nachexiÜscho Ver- 
hältnisse abzweckende Komposition, worin vielleicht einzelne ältere 
Elemente nufg:enommen sein mögen, die aber nicht mit ii^end 
welcher Sichorlieit zu erkennen sind'). 

Am ausführlichsten wird selbstverständlich I^evi behandelt 
t (J 5, 27—6, 66. % lÜBs. Kap. 15s. Kap. 23—27 u. s. w.). Wir 
rvissen, dass dieser geistliche Stamm ein Kunstprodukt ist und 
rieeiae hierarchische Gliederung, wie sie im Priesterkodex ausgebil- 
Ldet vorliegt, die Folge der Centralisation des Kultus in Jerusalem. 
P Ferner ist oben nachgewiesen, dass in der Oeschichtsachreibuug der 
Chronik das Streben am aufTallenJsteu ist, die Aharouiden und 
, Leviten Überall da, wo sie in den älteren historischen Büchern 
L des Kanons vermisst werden, diejenige Rolle spielen zu lassen, auf 
l'-welclte sie nacli dem Priesterkodex Ansprach haben. Wie uu- 
tnittelbar an dieses Gesetz angeknüpft wird, wie die Chronik in 
^wisser Hinsicht dasselbe fortbildet, ersieht man z. I). daraus, dass 
[dort Moses (Num. 4, 3ss. 8, 23s3.) den Anfang des Dienstalters 
Lder Levite» von 30 Jahren in einer Novelle anf 25 Jahre, hier 
■ David (1. Chron. 23, 3. 24) von 30 Jahren noch weiter anf 20 Jahre 
Iherubsetzt; die Dinge sind uoch eiuigermaassen im Fluss, und die 
Ordnung des Tempelknltus durch David setzt die Gründung des 
f Gottesdienstes der Stiftshütte durch Moses fort. Sofern nun die 
Statistik des Klerus auf Wirklichkeit zurückgeht, ist diese Wirk- 
' lichkeit nachexilisch. Es ist längst aufgefallen, wie viele der 
anter David uud seinen Nachfolgern auftretenden Personen (z. B. 
Asaph Ueman Jeduthun) mit Familien oder Innungen der späteren 
Zeit gleichnamig sind, wie sogar beides beständig in einander fliesst 
und man häufig schwankt, ob mit dem Ausdruck Haupt ein 
einselner oder ein Geschlecht gemeint ist. Aber da der Chronist 
doch nicht seine eigene, sondern die alte Zeit schildern will, so 

[t er sich keineswegs streng an die Statistik <ler Gegenwart, sou- 
|)Ph. 
Bei 



') Phere« tlesru 

Reihv: man mii.ss altiu 
tncndiger, da in il<' 
1 dritter Slulle erschei 
zudädist von Si'liolial ( 
1 deinaell'cn Vorhilliiit 
1 Keluli uder KaJeb. 



Ilur Si-lio1>al 4, 1 ist eine genealogische abKteigendo 
) niilwenJi« Kelultaj lesen statt Kanni, tttn so 
^r fiilKHiiil'-ti Äusfülluug Keluli und nicht Karuii 
i^inL; ticiii diese, von ixalea aufsleitfend, hiuidelt 
"inn (v. 3— 10) von Our, der tu Äs-hur 
ie Tob tu Is-tub, KU dritt (v. U — 15) 



Geschichte der Tritdiüon, Kap. 6. 

liern lassl ziiyleidi seiner Phantasie freien Raum: ilaher koniiiit 
es, daas mun trotz der zahlreichen und scheinbar genaneti Ansahen 
sich (lennuLh \un der Organisation des Klerus, der Ordnung 
der Famdien und Geschlechter, der Verteilung der Ämter durch- 
aus kein Bild machen kann, vielmehr sich in einem Wirrwarr 
von Widersprüchen verwickelt findet. Obed-edom Jeduthnn Salo- 
mith Korah stehen in den verst-hiedenen Verbindungen, gehören 
bald zu 'lieser bald zu jener levitischen Abteilung und bekleiden 
bald dns bald jenes Amt. Natürlich sind die Ausleger schnell 
bei 'ler Hand, gleiche Namen zu unterscheiden und ungleiche zu 
verselbigen. 

Einige charakteristische Einzelheiten mögen hier noch eine 
Stelle finden. Die Namen der sechs T>evitenklassea Ijiddalthi 
V'romamthi - Ezer Joachebkascha Mallothi Hothir M.ihazioth sind 
nach 20, 4 die zerstückten Glieder eines zusammenhangenden 
Satzes: ich habe gross | und herrlich gemacht I die Hülfe dessen ', 
der in Not sa.sa, j habe Weissagungen | geredet in- Fülle. Der 
Wächter oder Sänger Obed-edom, der znr Zeit Da^^d8 und Ama- 
sias fungirt haben soll, ist kein anderer als der Hauptmann, dem 
David drei Monate lang die Obhut der Lade anvertraute, ein Phi- 
lister von (!ath. In höchst durchsichtiger Weise sind die Stamra- 
hänme der Sänger komponirt, namentlich der des Heman (1. Chr. 
6, 7—12 = v. 18—23). Ansser Exod. G, Ifi— 19 sind vorzugs- 
weise dabei die Angaben über Samuels Familie (1. Sam. 1, 1. 8, 2) 
benutzt, der weil ihn seine Mutter zum Dienst am Heiligtum 
weihte, natürlich levitiacher Abstammung gewesen sein muss. 
Heman ist der Sohn Joels ben Samuel b. FJkana b. Jeroham b. 
Rliab b. Thahath b. Snph — nur wird nicht wie 1, Sam. 1, 1 
(Sept.) mit Ephraim geschlossen, weil ja auf Le\-i gekommen 
werden soll; aber Suph ist eine ephraimitische Landschaft, und 
Thabath (Thohu Thoah Thshan Nahath) ein ephraimitUches Ge- 
schlecht (T, 2*1). Weiter hinauf wiederholen sich die gleichen 
Elemoute vereinzelt noch öftere, Elkana im ganzen viermal: ein- 
mal kommt er schon Exod. ii, 24 vor, ohne Zweifel aach hier aus 
1. Sam. 1 entlehnt. Das Schönst« ist, dass, entgegen der Absidit 
der 1. Chron. (i mitgeteilten Genealogien, wodurch die Sänger- 
innnngen als Leviten erwiesen werden, sich daneben (2, 6) die 
Notiz findet, Heman und Etlian stammen von Zerah h. Pheres b, 
Juda ab. Die Auslcjji.'r in ihrum Bi-mühen, die Homonyms 




|)ie rhrouik. 



differenziren, werden zwar begünstigt durch ihre UnVenutnis des 
Umatandes, dass aoch z. Z. Neheiiiiaa die Sanger nicht für Loviten 
, gelten, scheitern aber daran, dass nicht bloss die Söhne, soudern 
ksnch die Väter gleichnamig sind (Ps. 88, 1. S9, 1. Ewald Ül 380 a.)- 
tfiiatorisch stammen natürlich diese Musiker des zweiten Tempels 
[weder von I.evi noch von den Söhnen Muchols (1, Iteg. ö, 11) ab, 
l *ber von den letzteren haben sie iu der Tat wenigstens ihre 
f Hamen hei^enommen. Allenthalben finden sich solche künstliche 
I Nanieu bei den Leviten. Einer lieisst Issauhar; mau würde sich 
[nicht wundem, einem Naphthali Hirsch oder Juda beu Jakob zu 
leu. Jeduthuu ist eigentlich Bezeichnung einer Singweise 
L(Pö. 39, 1. ß2, l, 77, 1), daher denn auch eines darauf einge- 
L'fibten Cliores '). Besonders interessant sind einige heidnische Namen, 
lt. B. Uenadad (Unadeugabe Hadads) und mehrere andere, die 
l'Ursprüuglich bei den Hierodulen (Neb. 7, 4Gss.) heimisch, ohne 
[Zweifel aber mit diesen hinterher m den Leviten übergegangen 
[sind. 

Mit den Priestern, deren so manche aus allen Zeiten der 
l israelitischen Geschichte namhaft gemacht werden, steht es, so- 
P weit sie nicht aus den Büchern Sarauelis und der Könige ent- 
lehnt sind, nicht besser als mit den niederen Leviten. Insbesondere 
siud die 24 Priesterklasseu keine EinricbtuJig des Könige David, 
sondern der nachexili sehen Zeit. Wenn Hitzig zu Ezech. 8, Iti 
I bemerkt, dass ilie 25 Männer, welche zwischen dem Tempel und 
■"dem Altar stehend ihr Gesicht gen Osten wenden and die Soune 
(^anbeten, die Vorsteher der 24 Priesterklassen mit dem Hohen- 
priester au der Spitze gewesen seien (weil nämlich niemand anders 
I das Hecht gehabt zwisclien Tempel und Altar im inneren Vorliof 
KZa stehn), so ist das für ilm selber und für die gimze weiland 
■bistorisch-k ritische Schule charakteristisch, die ihren Scharfsinn 
rimmer von Fall au l-'all anstrengte, aber sich nicht Zeit liess über 
Idie Sachen im Zusammenhang nachzudenken, vielmehr einfach 
(die Gesam tauschaumig der Tradition beibehielt und sich nur zum 
['Vergnügen eine Menge Ketzereien erlaubte. Es ist beinah nicht 
tDÖglich anzunehmen, dass Hitzig, als er Ezecb. 8 kommentirti;, 
■die Stullen Ezech. 43, T s. 44, Oss. gelesen hatte, aus denen auf 
•das unzweideutigste hervorgeht, dass der vorexilischeu Zeit die 



') Audi'ra LayarJe, Nomiaalbilduug p. 121, 



-222 fii'scliioljto (IcrTraditina, Kap. fi, 

nachmalij^ü Absperrung iles Heiligen für die Laien völlig onlM 
kaont war. Wie viel die Chrouik über die vtirexilisclie Priester- 
schaft wusstc, verrät am deatliclisten daa Verzeichnis der 22 Hohen- 
priester I 5, 29—41. Vom 9. bis 18. Gliede laufet die Reihe: 
Amaria Ahitub Sadok Ahimaas Azaria Johaiian Aznria Amaria 
Ahitub Sadok. Was die ersten fünf angeht, so war Aznria nicht 
lier Sohn, sondern der Bruder des Ahimaas und letzterer dem An- 
acliein nach nicht Priester (1. Reg. 4, 2); Ahitub aber der aogeb- 
iiehe Vater Sadoks war vielmehr der Grossvater von dessen Rivaieu 
Abiathar aus der Familie Eli (1. Sam. 14, 3. 22, 20): die ganze 
altbeiuhmte Linie Eli, Phinehas Ahitab Ahimelech Abiathar, welche 
seit den T,igen der Itichter und noch unter Da^-id das Priestertnm 
der Lade inue hatte, wird totgeschwiegen, und die erst nnter 
Salomo (1 Reg. 2, 35) an stelle jener getretene Linie Sndok ab 
die seit Moses im Besitz des vornehmsten Priestertums befindliche 
dargestellt Was femer die vier letzten Namen der oben auf- 
gezahlleu Liste betrifft, so wiederholen sie einfach die früheren. 
Im Bath der Könige kommen Azaria II Amaria Ahitab 8adok 
nicht vor, dagegen aber gleichzeitige andere Hohepriester, Jojadü 
und Dria, die im Verzeichnis der Chronik fehlen. Gleicliwol kann 
das letztere nicht für lückenhaft erklärt werden. Denn in der 
jüdischen Chronologie wird die alte Geschichte in zwei 48()jäbrige 
Perioden eingeteilt, deren eine vom Auszuge aus Ägypten bis zum 
Tempelbau und die andere von da bis zur Gründung der zweiten 
Theokratie läuft. Nun sind 480 Jahre 12 vierzigjährige Gene- 
rationen; und 1. Chron. .') werden 12 Iloliepriestür auf die tempel- 
lose Zeit gerechnet (v. 36b hinter V. 35a), von da aber noch 11 
bis aufs Exil, d. h. inclusive des Exils 12 Generationen- Man 
kiinn also nicht umhin über den historischen Wert der Genealogie 
5,29 — 41 den Stab zu brechen. Wusste aber die Clmmik von 
den Priesterfüraten der älteren Zeit nichts, so ist ihren Angaben 
über die gewöhnlichen Priester erst recht nicht zu trauen. 

3. Von einer Tradition ans vorexilischer Zeit kann also in 
der Clironik nicht die Rede sein, weder in I. 1—9 noch in 
1. 10— II. 36. Schon im Jahre 1806 hatte dies der damals 
2(i jährige de Wette bündig dargetan. Aber seitdem hat sich 
mancher theologische Sisyphus bemüht, den Stein auf halbe oder 
ganze Höhe wieder bergauf zu wälzen, mit besonderem Erfolge 
namentlich der dem nüchternen evangelischen Kritiker an Geist 



Diu ( 



Mheinbar fiberlogeue Movere. Dieser tielehrte verwirrte ilie Frage 
ich dem hiatorist-lien Wort der für uns kontrolirbaren Nach- 
der f'hronik mit der nach den mutroaS8lii;hen (juelten 
I ihrer Abweu-hmigeii von den älteren hanoniauhen Geschichtsbüchern. 
IVergebeiis hatte de Wette im voraus gegen ein solches Vorfahren 
Kproteetirt: es sei möglich und zuzugeben, dass die (^rooik, wo 
Väe variire oder widerspreche, älteren Vorgänf^ern folj^e, aber die 
iFfage bleibe nach wie vor die gleiche, auf welche Weise sich die 
^ totale '\'^erschiedeQheit der Gesamtanschauung und die Menge dei' 
partiellen Differenzen erkläre; die Quellenhypothese, wie sie vor 
Movers von Eichhorn vertreten war, helfe zur Entscheidung dieser 
[ frage nichts, man müsse eben doch bei der kritischen Vergleicliung 
|Äer beiden Relationen und der Priifting ihres geschichtlichen Cha- 
iTakters sich halten an das was vorliege (Beiträge I. p. 24. 29. SS'). 
ISokhe Grundsätze waren einer geistreichen Zeit zu simpel; Movere 
fimponirte, zumal da er nicht so naiv war, sich iiuf authentische 
Ltlrkunden wie den Tliief Uirains und Elias zu berufen, sondern 
KjKhr kritisch verfuhr. Gegenwärtig erkennt natürlich auch Dill- 
mann (Herzogs RE. II ' p. (»93. III* p. 223) an, „daes der Chronist 
^berall nach Quellen gearbeitet hat und von absichtlicher Erdich- 
oder Entstellung der Geschichte bei ihm keine Rede sein 
Ifcann". Und von der Hohe der Wiasenschaft herab sieht der Ver- 
es 5. Teiles des biblischen Kommentara über das A. T. 
nitleidig auf K. H. Graf herab, „der so weit hinter dem gegen- 
wärtigen Standpunkt der ÄTlichfin Forschung zurückgeblieben ist, 
Kdass er die de Wette'schen Ansichten zu repristiniren versucht 
f hat"; ja um die Chronik völlig auf eigene Füsae und den Hfichern 
tS&muelis und der Könige gleich zu stellen, leugnet er ül)erhaupt 
iSire Abhängigkeit von deQsell)en und lässt sie auch da, wo sie 
(«Örtlich daraus abschreibt, anderweitige selbständige Quellen be- 
laatzeu: eine unnötige Übertreibung der Wissenschaftlich keit, denn 
. B. das Gebot Salomos und die liegesten hat doch der Verfas.ser 
i Buchs der Könige selber geschneben, der Chronist kann sie 
Rj|l&o, direkt oder indirekt, nur aus seinem Werke haben. 

Hiegegen kann man nur wiederholen was de Wette gesagt 

^at. Es kann sein, dass die Chronik nicht lediglich auf eigene 

Rechnung und Gefahr, sondern auf grund schriftlicher Vorlagen 

der echten Tradition in Farbe und Zeichnung so ganz 

abweichendes Bild des alten Israel entwirft. Dadurch verändert 



Gesehicble der Tradition, Kap. C. 

sich ylier ihr geschichtlidier Clmnikter nicht um ein Haar, sie teilt 
ihn uuii lilüss mit ihreu s. g. Quellen. Das 2. MakkabäurliticL 
und eioe Menge ähnliclier Schriften hahen auch Quellen benutzt, 
was hilft das zur Verbessernng des AVortes ihrer Mitteiluueeti? 
Der muss doch aus dem Inhalt derselben erkannt werden, welcher 
nicht nach den verloren gegangeneu primären, sondern nur nach 
den erhaltenen sekundären literarischen Produkten beurteilt worden 
kann. Auf die Prüfung de« histüri3<.^hen Gehaltes läuft mithin alles 
hinaoB — ^ätp haben schon gesehen, zu welchen Ergebnissen diese 
füln-t. Die Äudernngun und Supplemente der Chronik fliegen 
schliesslich alle aus dem selben Brunnen: es ist die Judaisiruug 
der Vergaugeidieit, in welcher sonst die Epigonen ihr Ideal nicht 
wieder erkennen konnten, Das Uesetz und die llierokratie, oad 
der deus ex macluna als einzig wirksamer Faktor der lieiligeu Ge- 
schichte sind nicht iu der Überlieferung voi^fundeu, soudero sie 
sind durin vermisst wurden und darum liiiizu gesetzt. Wenn dli» 
Auslassungen aus „dem Plane" erklärt werden, warum nicht 
aus der gleichen Rücksicht die ZutatenP Die Entrüstung, mit 
der sich Ewald (Jahrbb. X 361) über die Ansicht äussert, dass die 
Oefaugensuhaft Mauasses auf judisiber Dogmatik beruhe, „sie sei 
ein verzweifelt schlechter Gedanke und zugleich ein grosses Unrecht 
gegen die biblische Chronik", erinnert an Bernhard Schäfers denk- 
würdiges Wort über den Prediger öalomo, daas Giitt der Herr 
keinen Lügner brauche, um ein kanonisches Buch zu schreiben. 
Was sagt deun Ewald zu den Ei-zählungen im Daniel oder im 
Jona? Warum muss die ömdichtung der Geschichte Mauasst« 
anders beurteilt werden, als die der Geschichte des Ahaz, die eben 
so dreist ist, und als die übrigen p. 302 ss. aufgeführten nnnlogen 
Beispiele ? Mit welchem Rechte gilt überhaupt der Clironist, oaob- 
dem ihm so und so oft die l'n glaub Würdigkeit nachgewiesen ist, 
in einem beliebigen Einzelfallu immer wieder für einen unver- 
dächtigen Erzähler? Mindestens da, wo die Beziehimg zum „Plane* 
deutlich ist, sollte man doch seinem Zeugnisse gegenüber mia- 
trauisili sein; man sollte aber zugleich bedenken, dass solche Be- 
ziehungen viel häufiger vorkommen werden als sie füi" uns, nament- 
lich für die Bünden unter uns, erkennbar sind. Es ist ja möglicli, 
dass sich irgend ein gutes Korn unter der Spreu befände, aber ge- 
wissenhafter weise muss man von der Möglichkeit der Ausnahme 
absehen und der Wahrscheinlichkeit der Regel die Elire gel» 





I in (lern Ausheben cüier gesundeii Einzelheit ans einem infi- 
nörteii Gaiiztin tittisdit man sich gjir zu leicht. Za 2. Sunt. 5, 9: 
lad David wohnte in der Burg und nannte sie die Stadt Davids 
bautti sie rings von der Maaerböschung nach ianeo zu — 
Indet sich 1. Chr. 11, 8 der Znsatzi Joab aber stelltu den Rest 
der Stadt (Jerusalem) wieder her. Die Notiz sieht unverdächtig 
aus und findet allgemeijieji Glauben. Aber das M'ort HTl statt 
nn beweist ihre Jugend, und bei nälierer Überlegung findet man 
aueh, dass die Neustadt erst nach David entstanden ist, mithin 
nicht von Joab wieder aufgebaut werden konnte; das Interesse 
für den letzteren erklärt sich aus Neh. 7, 11. Vielfach pflegt man 

I solche Angaben anzusehen als aus eiuem uoch besseren Texte der 

■ Bücher Samuelis und der Könige gefl<issen, welcher der Chronik 
k\orgelegen habe; und das ist jedenfalls die zutä&sigste Form, sie 
l einzuführen. Aber die Testkritikei' des exegetischen Handbuches 

■ tnud dem Chronisten nur allzu kimgeuial und greifen imjner mit 

■ beiden Händen nach seinen Glasjierlen und nach den verwandten 

II Erscheinungen in der Septuaginta. 
Zuzugestelm ist, dass die Chronik nicht der Willkür eines 

I einzelnen, sondern einer aUgemeiiien Zeitrichtung ihre Entstehung 

J'Terdankt. Sie ist das notwendige Produkt der Überzeugung, dass 

l'4as mosaische Gesetz der Ausgangspunkt der israelitischen Ge- 

Bflchicht« sei and dass in ilir ein aller Analogie entnummenes hei- 

EHgea Kräftespiel wirke-, diese Überzeugung musste zu einer völligen 

I Umgestaltung der alten Tradition führen. Von gleicher Voraus- 

' Setzung ausgehend konnte eine Mann wie C. F. Keil noch heute 

die Chronik schreiben, wenn sie nicht schon vorhanden wäre. In 

dieser Hinsicht nun, um die Clironik als den Typns der Geschichts- 

- anffassung der Schriftgelehrten zu würdigen, ist die Frage nach 

„Quellen" in der Tat wichtig und interessant. Verweisungen 

%oi anderweitige Schriften, aus denen man sich des näheren unter- 

ichten könne, folgen in der Regel am Schlüsse der Regierung 

K Jedes Königs, ausgenommen Joram Ahazia Athalia Amou Joahaz 

yJTojachin Sedekia. Die dabei angegebenen Tit«l lassen sich in 

k;zwei Gruppen bringen: a) das Buch der Könige von Israel und 

Ijnda oder vuu Juda und Israel (bei Äsa Amasia Jotham Ahaz 

kjosia und Jojakim), womit das Buch der Könige von Israel (Josa- 

■pbat >lanasse vgl. I 9, 1) identisch ist, da es sich Ja nur um 

I Jnda handelt; b) die Worte Samuels des Sehers, Kathans dee) 

i40ien. Prol(igom.n., t. AuB. 15 



22ß fieschirhte der Tradition, Kap. G. 

Prnphctoii iiiid ("iads des Spähers (David I 29, 29 vgl. 27, *. 
Sir. 46, 13. 47, IJ, die Wort« Nathans des Propheteu, die Pro- 
plietie Ahias von Silo und das Gesicht Iddos des Spähers über 
Jenibeam ben Nebat (Salomo U 9, 29). die Worte Semaias des 
Propheten und Tddos des Spaliers (Rehabeam 12, 15), die Worte 
Jehus ben Hanani, welthe ins Buch der Könige von Israel über- 
tragen sind (Jusaphat 2t), 34), eine Schrift Jesaias des Propheten 
(llzzia 26, 22), näher bezeichnet als das Gesicht des Propheteu 
Jesaia ben Arnos in dera Buche der Könige von Juda uud Israel 
(Hizkia 32, 32), die Worte der Seher in den Geschii^hteu der 
Könige Israels (Manasse 33, 18 vgl. auch v. 19). Nach Movers Vor- 
gänge haben Bertheau und andere die Richtigkeit der alten An- 
nahme z. B. CarpzovB erwiesen, dass mit diesen verschiedenartigen 
Citaten immer nur ein und das selbe Buch bezeichnet ist, ent- 
weder nach seinem Gesamt tite! oder nach den konventionellen 
Einzeltiteln seiner Abschnitt«'). Bertheau macht darauf aufmerk- 
sam, dass für gewölmlich entweder die eine oder die andere Ver- 
weisung vorkomme, und, wenn ausnahmsweise zwei zugleich, dann 
regelmässig die prophetische Schrift als ein Stück aus dem Ge- 
schichtsbuche der Könige bezeichnet werde (2(1, 34. 32, 32 and 
ganz allgemein 33, 18). Die eigentümliche Beuennong der eio- 
zelnen Abschnitte') — in einer Zeit, welche keine Kapitel und 
Verse kennt, — geht davon aus, dass jede Periode der heiligen 
Geschichte ihren leitenden Propheten hat (äxpipTjt -cüiv TMfriTmv 
hia^'/il contra Apion. 1, 41), sie involvirt aber wol auch (nach 
26, 22 trotz 9, 29. 12, 15. 13, 22 I 29, 29) dio Meinung, dass 
jeder Prophet seiue Periode selbst beschrieben habe. Offenbar ist 
dies der Grund des Namens prophetae priores, den die Bücher 
Josua Richter Samuelis und Könige im jüdischen Kanon tragen, 
und auch der Gesichtspunkt, aus dem die Obertragimg von 2, lieg. 
ISss. in das Buch Jesaias zu beurteilen ist. Hei geringen histo- 
rischen Ansprüchen wurde es leidit, für jeden Absuhnitt den 
nötigen propheta eponymus zu finden. Jehn ben Hanani, ein Nord- 

'} Auch in den Bäcbern Ksdrae und Nebcmiae hat der Chronist nicht so 
viel Quellen hemiUt a!s man anniminl. Die Kliigelinder 2. Cliron. 35, ^5 
nicht für unsvri; Kl&geliMer Hiertmiae zu halten bat uian kuineu Urnnd; 
wenigstens liann die foluche Üexiehung derselben auf deu Tod Juaias 
(Joseph. Aut. 10, 78) nicht ola ein solcher gelten. 

>) Kom. 11,3: ti 'tiUa t( Hjit ii Tpa^i^: da» helüst: wie Hteht in dem 
Abschnitte nber Elias geschrieben? 




Die fhrunik. 227 

Israelit ans der Zeit Baesas, muas wie für Asa so noch für Joea- 
phat herlmiten. Idilo der 8pälier, der gegen Jerohenra bfn Nebat 
geweissiigt hat, ist der anonyme Prophet von 1. Reg. 13 (Jos. 
,Ant, B, '231. Hieron. au Zarhar. 1, 1); in der daraaligeu Zeit 
wusste man auch die Namen der Weiber Kaius und der Urväter 
anzugeben. 

Anlangend die nähere Bestimmung des der f'hronilc zn gnmde 
liegenden Buches der Könige, eo kann eine Zusammenarbeitung 
der KÖnigBreihen von Israel und Jnda erat nacli dorn AbsehlnsB 
'beider erfolgt Bein, also erst im babylonbchen Exil. Im babylo- 
niavhen Exil ist unn das kanonische Budi der Könige wirk- 
Kch entstanden, und dessen Verfasser hat zum ersten mal die Jahr- 
bücher von Israel nml die Jahrbücher von Jnda zu.sammengear- 
beitet; wenigstens beruft er sich nur auf die getrennten Werke 
und kennt noch keine ältere Vewchmelzung derselben. Es läge 
also am nächsten, die von der Chronik gemeinte Schrift für unser 
L Titel gleichlautendes und im Inhalt entsprechendes kanoaisches 
Bnch zu halten. Aber das geht nicht an, weil in jenem Dinge 
gestanden haben, von denen hier nichts zu finden ist, z. B. nach 
1. Chron. 9, 1 eine Familien- und Zablenstatistik c 
Israels in der Weise von 1. Chron. 1 — 9 — welche Kapitel z 
daraus entnommen sein werden — und nach 2. (^on 3'6, 19 
das Gehet Manaases. Ans diesen beiden Angaben sowie unch aus 
der Art der übrigen mutmaasslich grossenteüs aus dieser Quelle 
geflossenen Nachrichten mnss mau schliessen, dass das von der 
Chronik citirte Buch der Könige ein der wirkliehen Tradition fem 
stehendes nnd spätes Machwerk ist, und sein Verhältnis zum 
tEanoniächen Buche der Könige so erklären, dass es eine apokryphe 
An^utznng und Erweiterung desselben ist, uach der Weise der 
Behandlung der heiligen Geschichte durch die Schriftgelehrten. 
Diesem Schlüsse aus dem Inlialt kommt nun ein wichtiges positives 
Datum zu Hilfe, nämlich die Anführung II. 24, 27: der Mldrasch 
.des BucliB der Kiiuige und 13, 32: der Midrasch des Propheten 
Iddo. Ohne Zweifel hat Ewald Recht, hierin den wahren Titel 
der sonst einfach das Bui'h der Konige genannten Schrift zu er- 
kennen. Nun versteht es sich zwar von selfjst, dass die Ausleger 
behaupten, das Wort Midrasch, das nur an diesen beiden Stellen 
^H in die Bibel hinemragt, heisse hier etwas ganz anderes als was es 
^^bonst immer iieisst — aber die wirkliche Bedeutung passt ausge- 



2SS 



ioschklilc clor Trariiliuu, Kiii>. 



zokluiet und wir stüim mit der Clu-uiiik initteu im Zeitalter 
der Schriftgelehrten bine (1. (.'Iiroii. ä, 5ö). Der Midrasuh ist die 
Folge der Ueilighaltung der Heliquieii der Verf^Riigonheit, eine ganz 
eigene Wiedererweckung der toten Gebeine, auf künstlichem und 
jsunächst auf schriftlichem Wege, wie die Vorliebe für Listen von 
Namen und Zahlen zeigt. Wie Efeu umgriüit derselbe den abge- 
storbenen Stamm mit fremdartigem Leben, Altes und Neaes in 
sonderbarer Vereinigung; mischend. Es Ist Mochst'hätzuog der Über- 
lieferung, welche sich in ilirer Modernisiruug äussert; aber dabei 
wird sie auf das willkürlichste nmgedentet, verrenkt und mit 
fremdartigen Zutaten versetzt. Im Zusammenhang mit dieser 
Widerspiegelung der Gegenwart im Altertum stehu sowol Jona 
wie Daniel und eine Menge von Apokryphen (2. Macc. 2, 13); 
das Gebet des Manasse, das jetzt nur griechisch erhalten ist, scheiut 
in der Tat, wie Ewald vermutet, direkt aus dem Duche entlehnt 
zu sein, welches 2. Chron. 33, 19 angeführt wird. In dieser Sphäre, 
in der das ganze Judentum sich bewegt, ist auch die (lironik ent- 
standen. Ob man Chronik sagt oder Midrasch des Buchs der 
Könige, ist dabei ziemlich gleichgiltig, sie sind Kinder des selben 
Schoosses and nach Geist nnd Sprache auf keine Weise ku unter- 
scheiden, während dagegen die wörtlich aus dem kanonischen Buche 
der Könige beibehaltenen Stucke in beider Hinsicht sofort auf- 
fallen. 





Siebentea Kapitel. 
Richter Samuelis und Könige. 



In der an Unglücksfällen reichen Geschichte der hebi-äischen 
Literatur ist auch ein glückliches Ereignis zu verzeichnen. Die 
Chronik hat die ihr zu gründe liegenden Geschichtsbücher nicht 
verdrängt, sondern neben der jüngeren ist uns die ältere Dar- 
stellung erhalten. Jedoch auch in den Büchern der Richter Sa- 
muelis und der Könige liegt die Überlieferung nicht rein in ihrer 



Rbbtar SainuHÜs nud Könige. 229 

iirspränglichen Fassung vor, sondern schon hier überwuchert von 
Späteren Trieben, Neben einer älteren Relation hat sich eine 
nene gebildet, formell unabhängig und für sich verständlich, 
maDchmal freilich dennoch sich vorhandenem Zueammenhange an- 
schmiegend. Häu^ger haben die nenen Säfte nicht einen ganzen 
Stumm aus der alten Wurzel noch anch einen ganzen Ast am 
alten Stamme her vo iget rieben, sondern nnr parasitische Bildungen 
angesetzt; kleinere unselbständige Stücke sind einer älteren Kr> 
itahlang angewachsen. Über das ganze Geschiebe der Tradition 
ist endlich gleichförmig ein letztes Sediment gelagert, welches die 
(Sestalt der Oberfläche bedingt, l'm dies letztere handelt es sich 
nns znvörderst; seine Art festznstelien , die zeugenden Kräfte za ' 
erkennen, die darin wirken. Darnach erst können wir versuchen, 
auch in der dahinter liegenden älteren Schichtung den Stimmungs- 
WGcksel der Zeiten zu verfolgen. 



I. 

1. Znr Beurteilung der Richterperiode wird man durch fol- 
gendee Prooeminm auf den richtigen Standpunkt gesetzt. „Nach 
dem Tode Josuas taten die Kinder Israel was böse ist vor Jahve 
und verliessen den Gott ilirer Väter, der sie ans Agyptenland ge- 
führt hatte, nnd dienten den Göttern der Völker ringsom, den 
BaaJen nnd Astarten. Und Jahves Zorn entbrannte über sie und 
er übergab sie in die Hand von Räuhern, die sie ausraubten, und 
verkaufte sie iu die Hand ihrer Feinde ringsum; bei all ihrem 
rntemehmen war Jahves Hand gegen sie zum Bösen, wie er ge- 
redet nnd wie er ihnen geschworen hatte; und sie kamen sehr in 
die Enge. Dann erweckte ihnen Jahve Richter und war mit dem 
Richter und rettete sie ans der Hand ihrer Feinde alle Tage des 
Richters, weil er sich erweichen Hess durch ihr Geschrei vor ihren 
Drängern und Peinigern. Wenn aber der Richter st«rb, trieben 
CT wieder schlimmer alB ihre Väter, fremden Göttern nach- 

• znwandeln; sie blieben nicht zurück hinter deren Taten und ihrem 
verstockten Wandel, so dass Jahve über Israel ergrimmte" u. s. i 

i Jud. 2. 

Das ist der Test, es folgen die Exempel. „Und die Kinder 1 

[Israel taten was böse ist vor Jahve und vergassen Jahve ihren 

I Gott nnd dienten den Bnalen und Astarten, und Jahves Zorn ent- 



230 G«9chichti> der Tradition, Kap. 7. 

braiiute über Israel und er verkaufte sie in die Hand des Köni^ 
Kusiin Risatliaim von Äruui und sie dienten ihm Hcht Jahre. 
l'nd die Kinder Isriiel schrien zu Jiilive, und Jahve erweckte 
ihnen einen Helfer, Othuie) ben Kenaz, und fiab den König von 
Ar.iin in seme Hand, nnd das Land hatte vierzig Jahre Ruhe, da 
starb Othniel ben Kenaz." I)io gleidien (iesichtspunkte und auch 
ziemlit^h -wörtliih die Ausdriiike, die bei Othniel das ganze Cadre 
ausfüllen, kehren hei Ehud Deboni Gideon Jephtliah und Slmsou 
wieder, bilden hier aber nur am Anfang und am Ende der Er- 
zühlnnt^en einen Rahmen, um anderweitigen und reicheren Inhalt 
einzufassen; selten schwellen sie zu aQstiihrlicheron Betrachtungen 
an, wie 6, 7. 10, 6. Auf diese Weise entsteht das regelmässige 
Pachwork von Jud. 2 — 16. Es sind jedoch bloss die sechs grossen 
Richter die darin untergebracht sind; die eecha kleinen stehn 
ausserhalb und haben ein besonderes Schema für sich, sie werden 
erst nachträglicli hinzugefügt sein, um die Zwölfzahl voll m 
machen. 

Es sind wenige und markante Zage, welche diese historische 
Methodik charakterisiren. Eine fortlaufende Chronologie reiht die 
Rnliezoiten und die Unterbrechungen an einander und sorgt für 
die Konlinuität der Periode. Um dieselbe richtig zu würdigen, 
muss man etwas über die Grenaen des Richterbnchs hinau^ehn. 
Der Schlüssel zu ihrem Verständnis liegt in 1. Reg, 6, 1: „im 
48Ü. Jahre dos Auszugs der Kinder Israel aus Ägyptenland, im 
4. Jahre der Regierung Salomos baute er das Haus Jahves". Wie 
Bertheau erkannt und Nöldeke weiter verfolgt hat, entsprechen 
diese 480 Jalire 12 Generationen zu je 40 Jahren. Analog werden 
1. Chron 5, 29 — 34 in diesem Zeitraum von Aharon bis Ahimaas 
1 2 [ Hohepriester angenommen , nach deren Succossion man in 
der späteren Zeit die Geschlechterfolge ausznmeaseu suchte (Num. 
30,28). Es ist nun allerdings nicht sofort, klar, wie diese Gesamt- 
summe mit den Einzelposten in Harmonie zu bringen ist. Jedoch 
daes die Vierzig die Grundzahl der Rechnung sei, lassen auch die 
Einzelposten zur Genüge erkennen. Vierzig Jahr lang dauert der 
Wüstenzug, während des die ägj'ptische Generation ausstirbt; je 
40 Jalire hat das Land Rulie unter Othniel Debora und Gideon, 
80 unter Ehud; 40 Jahre wührt die Herrschaft der Philister, 
ebensolange die Herrschaft Davids. Nach der notwendigen ^Vn- 
uahme, dass die Periode der Philister (Jud. 13, 1), die das 




Richter SiLmiielJs \im\ Könige. 



231 



«Öbnliche Ma&äs der Fremdherrschiifteii weit überschreitet , sich 
mit ilex Elis (1. Sam. 4, 18) deckt und gleichermaAsson die sich 
ei^ärizenden 21) Jsihre Öimsous (Jud. Ifi, 31} nnd 20 des Inter- 
regHums vor Samuel (1. Sam. 7,2) nrafüsst, aliid hieinit 8X40 J 
Jahre untergebracht, und es bleiben noch 4x4l). Davon müsf 
einmal die beiden Generationen bedacht werden, für die keine 
Zahlen angegeben sind, nämlich die Josuas and der ihn über- 
lebenden Zeitgenusseii (iad. 2, 7), und die Samuel- Sa uls, ver- 
mutlich jede mit den normalen 40, beide zusammen sicher mit 
80 Jahren. Von den ilbrigeu 80 wären hauptsächlich zn be- 
streiten die 71 Jahre der Interregna oder Fremdherrschaften nnd 
die 70 der kleinen Richter. Man sieht, diese beiden Abschnitte 
haben neben einander nicht Platz — es sind Äqnivalente, die sieb 
gegenseitig ausseht iesseu. Ich ziehe vor, die Interregna fest^zu- 
halten. weil gegenwärtig nur sie dem eigentlichen Schema des 
Bichterbuches eingeordnet sind. Der noch verfügbare Rest von 
(I oder 10 Jahren verteilt sich auf Jephthah mit (i und auf Sa- 
lomo (bis zum Tempelbau) mit 3 oder 4 Jahren, resp. wenn man 
die letzteren nicht mitrechnet, auf Abimelech mit 3 Jahren. 

Aber die Hauptsache ist nicht die Chronologie, sondern die < 
religiöse Verknüpfung der Begebenheiten. Beides hängt eng zu- 
sammen, formell, wie aus dem Schema zu ersehen, nnd anch 
durch eine iimerlichc Beziehung. Derm es handelt sich liier wie 
dort um Zusammenfassung grosser Zeiträume, nm einen fort- 
gesetzten Überblick über die Folge nnd die Verkettung der Ge- 
schlechter, wobei von dem näheren Inhalt der Ereignisse abge- 
sehen wird; die geschichtlichen Faktoren, mit denen der religiöse 
B, Pragmatismus rechnet , sind so gleichartig, dass die einzelnen 
Perioden in der Tat bloss mit Jahreszahlen ansgefüUt zu werden 
brauchen. Man wird an Satz Gegensatz nnd Vermittlung erinnert, 
wenn man sich den einförmigen Takt ins Ohr klingen lasst, nach 

' dem hier die Geschichte fortschreitet oder sich im Kreise dreht. 
Abfall Drangsal Bekelimng Ruhe, Abfall Drangsal Bekehrung 

' Ruhe. Die einzigen Subjekte aller Aussagen sind Jahve and 
Israel, ihr Verhältnis allein ist es, was den Weltlauf in Bewegung 

' setzt; je nachdem in entgegengesetzter Richtong, so dass er , 
schliesslich immer auf dem selben Flecke bleibt. 

„Sio taten was hose ist vor .lahvo, sie hurten den Götzen 
nach" — diis ist der durchklingonde Grundton. Trotzdem die 



232 OescMditB der Tradition, Kap. 7, 

Moiiolatrie Jahves auch äuseerlich fo wirkwim siHi ^mpfie] 
schlägt sie dni'h kerne festen Wurzeln, verwächst nicht mit dem 
Volke, sondern bleibt ihm eine traiiscendeute ForHernng. Jahr- 
zehnte hbidurch hia^en sie sich il»bei festhaheD, iliinn aber macht 
sich ihr (;iitzernfieneriwher llani^ Luft, der nur ilnrch die Scheu 
vor dem Richtpr hei dessen Lebzeiten zurückgehalten ist; sie 
müssen Veränderung haben. Nun ist der Abfall zwar für die 
Pragmatik ganz notwendig, weil sonst überhaupt nichts geschieht; 
es ist die Inruhe in der VHir, wovon alle Bewegung abhängt. 
Indessen das ist natürlich kein Milderniigsgrund, das Betragen des 
Volkes oracheint vielmehr überaus nnentschnldbar. Die Hanpt- 
aktionen, die Taten der Richter, sind für diese geschichtliche Be- 
trachtungsweise immer nur Beweise von Israels Sünde und von 
,)ahves beschämender Gnade. 

Dass dies «lies nicht zum eigentlichen Inhalte der Tradition 
gehört sondern eine darüber gezogene l'niform ist, wird anerkannt. 
Numero dens impare gaudet. Man pflegt diese nachträgliche Be- 
arbeitung deuteronomistisch zu nennen. Das Gejsetz, das .lahve 
den Vätern befohlen und dessen Bruch er schwer zu ahnden ge- 
droht hat 2,15.20, wird zwar seiner Art nach nicht iiälier W- 
stimmt, man kann jedoch nicht daran zweifeln, dass die (^nint/- 
essenz davon ist, Jahve allein und keüien anderen Gott zu ver- 
ehren. Somit kHnn wenigstens an den Priestorkodex dabei nicht 
gedacht werden, denn hier wird jene l-'orderung gar nicht atis- 
lirücklich geltend gemacht, sondern als selhstverständlit-h ange- 
sehen. Dagegen das Deuteronomiuni spri<^ht in der Tat keinen 
Satz mit grösserm Nachdruck aus als das HSre Israel, dass Jahve 
der einzige Gott sei und fremder Dienst die Sünde aller Sünde. 
Diesen Satz haben vor allem die Zeitgenossen weit hinter daraus 
vernommen, als die moralischen Gebote der Menschlichkeit und 
Milde, die auch darin eingeschärft werden, die aber nicht neu 
sind, sondern älteren Spruciisammlungeu entnommen; nur nach 
dieser Seite, sofern es den prophetischen Monotheismus auf dem 
Gebiete der Volksreligion in seine praktischen Konsequenzen ver- 
folgt, hat das Gesetzbuch Josias seine geschichtliche Bedeutung 
gehabt, nach dieser Seite in Ezechiel und den Epigonen fortge- 
wirkt. Wenn demnach überhaupt die Norm des theokratischeu 
Verhältnisses, die in der Bearbeitung des Hichterbuches voraus- 
gesetzt wird, in einer schriftlichen Thora zu suchen ist, so ku 




julis uud EüuiKe. 



•233 



t allerdings nur die deuteroüomischo sein. Die endgiltige Ent- 
I echeidung der Frage hängt yon der Vergleicliuug des Buches der 
L Könige ab und mass bis dahin versclioben werden. 

AVas das Verhältnis dieses Daches zum Unterbau betrifft, 
I so ist es in erheblich verachiedenem Stile aufgeführt. Die Bear- 
K 1)oitung, worin das Richterliuch Aufnahme in den Kanon gefunden 
1 hat, ist ohne Frage judäischen rrspnings; aber die ßeschichten 
I selber sind nicht judäisch, ja im I,iede der Dobora wird Jnda gar 
[ nicht mit zn Israel gerechnet. Der einzige judlische Richter ist 
[ Othniel; er ist aber keine Person, sondern ein Geschlecht. Was 
I von ihm berichtet wird, ist vollkommen inhaltsleer und besteht 
I kdiglieh ans den schematischen Wendungen des Bearbeiters, der 
I also hier selbst ans SchalTen gegangen ist. damit die Reihe durch 
I eben Judäer eröffnet werde ; die Wahl Othniels wurde durch 
I Jnd. 1, 12 — ir> an die Hand gegeben. Also eine Ausnahme, 
t welche die Regel bestätigt. Wichtiger sind innere Differenzen, 
i die hervortreten. Vm mit dem Allgemeinsten anzufangen, so ist 
[ die geschichtliche Kontinuität, auf welche das Schema so viel Ge- 
I wicht legt, in den einzelnen Erzählungen des Hichterbuchs mit 
j nichts angezeigt. Ohne Rücksicht auf Zusammenhang und Folge 
I etehn dieselben lose nnd unverbunden neben einander, wie ein- 
I Beine lichte Pimkte, die hie und da aus dem Nobel der Erinnernngs- 
\ Insigkeit auftauchen. Eiueu längeren Zeitraum wirklich auszu- 
l'füikn machen sie keinen Anspruch, für eine Chronologie geben 
l'Säc keine Anhidtspiuikte. Es ist in Wuhiliett kaum der blasse 
pfichcin eines fortlaufenden Zusamnicnhungs, der durch die leeren 
l^itmaasse des Schemas über den Inhalt der Tradition geworfen 
Vwird. Ferne liegt der letzteren überhaupt die Vorstellung einer 
fäswischen Josna ujid Sani liegenden Periode der Richter, ia 
Ivder diese über Israel geherrscht und einander annähernd sn regel- 
I massig wie später die Könige succedirt haben. Man kann nicht 
|.iweifeln, dass Jud. 1 and Jud. 17. IH da^ beste Recht haben zum 
iprünglichen Stock gerechnet zu werden; von der Aufnahme in 
I Sehema sind diese Stücke nur deshalb ausgeschlossen, weil 
PfUria von Richtern nichts zu lesen steht und von den allgemeinen 
»Verhiltnissen ein Bild entworfen wird, das sehr wenig zum Plane 
Kgtimint'). 



234 



Oeschitlite der Trattiti 



, Kaji. 7, 



Der falsrheii Kuutiiiuität liegt eine falsche Verallgemeinentt^ 
zu e;randt'. Aub lokalem Nebeneinander entsteht ein «eitlicJiee 
Nacheinander, indem auf das Gnnüo liezogen wird, was vom Teile 
gilt, indem immer die Kinder Israels in rorpore auf den Sihan- 
[datj! treten, von den Feinden bedrüi-kt und von den Richtern ge- 
richtet werden. In Wirklichkeit treten nur die einzelnen Stäimno 
htmdelnd auf; die Richter sind Sfammhelden, Ehud von Benjamin, 
Barak und Debora von Issachar, Gideon von Joseph, Jephthah von 
(4ilead, Simson von Dan. Nur zum Kampfe gegen Sisera haben 
sich mehrere Stämme vereinigt, und empfangen daroh ansser- 
ordenlliches Lob im I,ieile der Debora. Es lieisi^t nirgends: zur 
Zeit du die Richter regierten, es heisstt zur Zeit da noch kein 
König war über Israel und jeder tat wa.« er wollte; die rogel- 
mässigo Verfassung der Periode ist die patriarchalische Anarcliie 
der Familien- nnd Gcschlechterliorrschaft. l'nd als die Trsache, 
warum es lange nicht glückte dio Kanaanitf-r ans den grösseren 
Städten zu verdrängen, scheint in Kap. 1 nicht undeutlich die Zer- 
splitterung und Vereinzelung hindurch; erst als Israel etai-k wurde, 
d. h. als seine Kraft durch das Königtum zusammengefasat wurde, 
da wurde es anders. 

Die Einheit Israels ist nun aber diu Viirauseet2ung für das 
theokratische Verhältnis, für den Gegensatz voti Israel uod Jalive, 
wodurch nach dem Schema der Verlauf der Geschichte einzig und 
allein bedingt wird. In der echten Überlieferung fällt die Voraus- 
setzung fort, uud im Zusammenhange damit bekommt der gauze 
geschichtliclie Pi'ocess ein wesentlich anderes und zwar natür- 
licheres Aussehen. Das Volk wird nicht immer insgesamt in den 



wie vorifiglich das erste Slfick als all^emBine Kinlaitung in die Periode 
iTiiaelien Uoses und dem Königtum aa seil]« Stelle pwet, und wie vinl 

Eehnltvolier imd lehrreicber es in dieser fieziehiing ist als der fnlgende 
eitartibet 3, 6sij. Aujaierdem exiatirl eine furmeSle Betiohung iwischcn 
1, IG und i, II. Was ferner Kap. 17. 18 betrifft, so sclilleast sicli diese 
Geschichte uher den Aufhrucb Dans nach Norden sichtlich an die n&chst 
vorher^hcode an, wo sich der Stamm noch .Im Lager Üaa»' befindet, 
aber arg bedrängt wird und auch durch Simson keine Hilfe findet. 
Bei Kap. 19—21 freilirh kaun es iweifelhuft sein, ob sie von der Be- 
arl>eitung ausgeschlossen oder noch gnr nicht vorgefunden sind: indessen 
ist es beachtenswert, dass auch hier die Ku|ip. 17. 16 (Js voruigegan^en 
vorausgesetzl werden. Der I.ent von Bellilebem Jnda zeugt davon und 
namenllich die Keminiscuui 19, 1, diii nii' wir sehen werden iii Kxp, 
19—21 gar ki-inen Boden hftt. Vgl. n.icb L'O, 18 mit 1, 1 s. 




Richter Samunlia imd Könige, 



235 



[ gleichen iiiiicren und äusseroa Schwingangen hin- and hergezogen, 
I nnd es hängt nicht alles Geschehene lediglich an der Attraktion 
I nnd Repulsion, die Jahve üusübt. 8(att des perioiliachen t^chautcel- 
I Spiels von absoluter Ruhe und absoluter Drangsal horrsfht durch 
I die ganze Zeit* relative l'nnihe; hier Friede, dort Kampf und 
[Streit. Mislingon und Gelingen wechseln ab, aber nicht als obli- 
[ gate Folgen von Bundestrene und Ungehorsam. Wenn der an- 
[ nonyme Prophet, der in dem Einsatxe der letzten Bearheitiuig 
-10 ebenso plötzlich auftritt wie er abrupt versehwindet, die 
r Midianiterplage zu einer Strafpredigt für Israel benutzt, so wird 
I unmittelbar darauf die Sache mit ganz anderen Augen angesehen. 
\ Denn anf den Gruss der Gottfl8e^s<.^heinung; „Jahve ist mit dir, du 
L atreitbarer Held", antwortet Gideon: „nnd ist Jahve mit uns, 
Y warum hat uns denn alles dieses betroffen? wo sind seine Wnn- 
[ der, von denen unsere Väter uns berichtet haben J*" — ihm ist 
[von einer Schuld Israels nichts bewusst. Somit treten nun auch 
\ die Ileldongestalton der Richter aus dem Zusammenhange der 
I Sünde nnd des Abfalls heraus; sie sind der Stolz ihrer Landslout« 
[und nicht demütigende Erinnerungen daran, da&s Jahve unvor- 
Idienter maassen immer wieder gut gemacht, was die Menschen 
f verdorben haben. Wie künstlich endlich die nötige Sünde erzeugt 
erhellt gelegentlich recht deutlich. Nachdem Gideon gc- 
Irtorhen war, heisst es 8, 33, hurten die Kinder Israel den Baalen 
■ nach nnd machten sich Baal Berith zum Gott. Indessen aus dem 
I folgenden Kapitel erhellt, dass Baal oder El Berith nur der Schutz- 
I gott Sichems nnd einiger anderer damals noch kanaanitischer 
Städte gewesen ist: der Bearbeiter verwandelt den kanaanitisohen 
Lokalkalt in Götzendienst des ganzen Israels. In anderen Fällen 
. verfahrt er noiih einfacher; z. B. 10, ßss. wo die Siebenaahl der 
•Götter der Siebenzahl der hinterher aufgezählten Völkerschaften 
^entspricht. Für gewöhnlich begnügt er sich mit Baalen und Ast^ 
■arten oder Ascheren, bei denen schon der Plural zeigt, wie wenig 
■Individuelles, Positives zu gründe liegt — davon zu geschweigen, 
IdasB Ascheren gar keine Gottheiten sind. 

Kurz, was man so eigentlich für das Theokratische in der 
Geschichte Israels ausgiebt, das ist durch die Bearbeitung hinein- 
Lgebracht. Da greifen Gnade und Sünde wie die mechanischsten 
in das Getriebe der Ereignisse ein, der Lauf der Welt 
methodisch der Analogie entzogen, die Wunder sind nivhta 



236 Geachichle der Tr!i<li1:ioii, Kap. T. ^^H 

ausseronlentliches, sondern ilie regelmässige Fonn des Geschehend 
vprstehn sich von selbst nnd machen gar keinen Eindruck. Dieser 
pedantische Supranaturalismiis, die heilige Geschichte nach 
dem Recept, findet sich in den nrsjjrfingliclien Erzählnnyien nicht. 
Israel Ist da ein Volk wie andere Vülker, und iiuch sein Ver- 
hältnis zu Jahve wird nicht iinders anfsefasst als z. R. Mo»l>s 
Verhältnis zu Kamos (1J,24). An Erecheinnngen nnd Zeichen 
der Gottheit fehlt es nicht; aber die Wimder sind so, dass man 
sich wirklich darüber wundert, Sie durchbrechen hin und witMier 
den irdischen Nexns, bilden jedoch kein zusammenhangendes 
System; sie sind Poesie, nicht Prosa und Dojjmatik. Im gan^ten 
aber wird der g;est;hicht]icho Process, obgleich scheinbar kranser 
und verworrener, in Wirklichkeit doch viel f>egreif! icher, und ob- 
wol scheinbar zerrissener, schreitet er in Wirklichkeit zusammen- 
hangender fort. Es geht bergauf auf das Königtum zu, nicht 
bergab von der Glanzzeit Moses und Josnas (.lud. 1, 28. 3ö. 13, 
.=). IS, 1). 

Nur eine Erzählung allenÜngs, abi^esehcn von der nicht tn 
rechnenden über Othniel, entspricht ganz den Anfordemngen an 
die heilige Geschichte, wie sie sein raüssfe, um in das Schema 
hineinzupassen. Es ist Jud. 19— Sil. Um sie recht «u würdigen, 
ist es angebrai^ht, nuvor einen Blick auf den vorhertfehenden Be- 
richt zu werfen, über den Wanderaug des Stammes I»an nach 
Norden. Die Daniten, *MX> Mann stark, überfallen die kanaani- 
tische St.idt Lais, nicht weil sie innerhalb der dem Volke Gottes 
zugewiesenen Grenzen belegen und ihre Eroberung Pflicht ist — 
wenn sie auch das Orakel befragen, so liegt, es ihnen doch ferno 
sich auf das aus dem ßnchc Josna bekannte göttliche Bccht zu 
berufen — , sondern weil ein friedliches und nichtsahuendes Volk- 
chen darin wohnt, das gegenüber solchen verzweifelten Gesellen 
wehrlos ist; gegen Israeliten, wie Micha, mit der selben Treulosig- 
keit zu verfahren, gilt ihnen gleich. Sie nehmen das Recht zu 
sein wie man ist unverkümmert tu Anspruch und kennen keine 
Rucksicht, weshalb sie sich Zwang antun sollten; die NatürUchkeit 
ihres Benehmens grenzt ans Unverschämte. Dabei sind sie fromm 
auf ihre Art; wie viel ihnen Jahve wert ist, beweisen sie dadurch, 
dass sie sein Bild aus dem Gotteshause stehlen und den Priester 
dazu, der es hütet. Was von gottesdienstlichen Bräuchen in den 
beiden Kapiteln vorkommf., lüsst es kaum a.n einem Greuel fehleui 



Richter Samuelis ii 



237 



den lias Gesetz verliietet: das Privatlieiligtnm im Besitze des 
Ephraimiten Micha, der ErikH Mi)S(# ds PriestLT in dessen Dienst 
I a&<] Huld, Epliod und Therapiiini als nutwondige Hequisittüi des 
Jahvekultus ; und doch wild dies alles auch vou dem Erzähler so 
^vorgetragen , als üb es ^anz iu der Ordrmng und uuanstössig sei, 
ftttie er doim damit nicht zeitweilige Rcgelw-idriKkeiten , sondern 
Kdie Entstehnng Itleihender Einrichtungen an einem Hauptheilig- 
Ftura des alten Israel zu berichten })eabsichtigt. Man wiivi in eine 
■ milere Welt versetzt, wenn man von hier aus zu der folgenden 
FErzäblnng kommt, über die Schandtat der Benjaminiten und deren 
mplarische Bestrafung; es giebt kaum einen grösseren und lehr- 
■Teicheren reUgionsgeschichtUcheu Gegensatz im Alten Testamente. 
■la Jud. 19 — 21 sind es nicht, wie sonst überall, die einzelnen 
rJ^täinme, welche agiren, nicht einmal das Volk Israel, sondern 
P^e Gemeinde des Bundes, die auf der Einheit des Kultus basirt. 
^IVas sie zum Handeln veranlasst, ist eine in ihrer Mitte begaogene 
»Sünde, die fortgeschafft werden musa; die Heiligkeit der Theo- 
Ikratie bringt diese vier mal hunderttausend Mann in Harnisch 
Innd erfüllt sie zugleich m!t Salbung und mit blutiger Energie. 
IDieser uniformen Masse sind die geistlichen Instinkte gaius in 
■Fleisch und Blut übergegangen und machen sie zu einem einhoit- 
l£chen Automaten, so dass alles was geschieht immei' von allen 
r mgleich getan wird, Individuen treten nicht hervor, nicht mit 
Namen, geschweige mit Heldentaten; die Moral ist nichts weniger 
als heroisch. Da die gottlosen Buben von Gibea dem dort über- 
nachtenden Leviten an den Leib wollen, liefert er ihnen sein 
krWeib aus, um sich zu retten — und ganz Israel liudet an dieser 
tnpörenden Feigheit nichts auszusetzen; vermutlich ist die Mei- 
ttong, der heilige Mann habe duvuh sein Verhalten die Frevler 
firor noch schlimmerer Schuld bewahrt. ^Vom mosaischen Ge- 
tze kommt iu diesen Kapiteln nichts vor, aber wer könnte es 
perkenuen, dass der Geist, welcher seinen Ausdruck im Gesetz 
Bfuuden hat, die so handelnde Gemeinde erfüllte! Hätten wir 
)hrere Erzählungen älmlicben Inhalts, manches Hätsel des Pen- 
nichs wüj'den wir losen. Wo fanden wir unter den Königen 
t 90 einiges kraftiges ernstes, für die höchsten Guter den schwer- 
en Kampf sü willig übernehmendes Israel!" So urteilt Bortheau, 
^öchtig empfmdend, dasa diese Erzählung eine völlige Ausnahme- 
■Melloug einnimmt und allem widerspricht, was wir sonst über die 



23S Gescliichte der Trnditiim, Kap.". 

Richter- uud sugar uoch über die Köuigszeit liüreu. tiat kann i 
nicht für einen Reweis ihres historischen Wertes gelten, wenn sie 
der anderweitigen Überlieferung in den Büchern der Richter Sa- 
miielis und der Könige in das Oesicht suhtügt und dafür dem Ge- 
setze homogen ist. Dagegen ist es ein verräterischer Selbstwider- 
spruch, wpuri der Verfasser, in nnwillkürlicher Kriunerung an die 
voran gellenden Kapitel, über die Zerfahrenheit der diimaligen Zeit 
klagt (19, 1. 21, 25), nud uns faktisch dann doch Israel in einer 
geistigen Centralisation vorführt, wie sie im Altertum nachweislich 
nie bestanden hat; sondern »'s! m folge des Exils aufgekumniea ist 
und das Judentum kennzeichnet. 

Da diese Erzählnng nicht in das deuteronomistische Schema 
des Richterbaches aufgenommen ist, so kann gefragt werden, ob 
sie bloss das deuteronomische oder auch das priesterliche Uesetz 
voraussetze. Die meisten sprachlichen Berührungen hat sie mit 
dem Deuteronomium, aber ein vorzugsweise wichtiger Ausdruck 
und Begriff, der der (iemeinde der Kinder Israel, weist eher auf 
den Priesterkodex; desgleichen auch l'fainehas ben Eleazar beu 
Aharon (20, 27). Indessen kommt der letztere nur einmal vor 
und zwar in einer Glosse, die sich zwischen und die Kinder 
Israel fragten Jahve uud das eng dazugehörige folgender 
maassen sehr sturend eindrängt. Im übrigen verdient es Beach- 
tung, dass mit der Stiftshütte, die neben Mispha keinen Platz hat 
(p. 2ö8), das Hauptwahrzeichen des Priesterkodex fehlt. Derselbe 
bereitet sich also nur vor, ist aber noch nicht erschienen; wir 
stehn noch auf dem Boden des Deuteronomiums, aber der Über- 
gang bahnt sich an. 

3. Gehn wir von der letzten Bearbeitung einen Schritt 
weit«! zurück, so treffen wir auf eine weniger systematische Vor- 
stufe derselben in gewissen Ergänzungen und Verbesserungen, die 
hie und da den ursprünglichen Erzählungen angeflickt worden 
sind. Sofern dieselben aus einfacher Freude an der Weiterung 
oder am Reden entstanden sind, gohn sie uns hier nicht weiter 
an. Teilweise aber haben sie ihren Grund darin, dass die spütere 
Zeit in die religiösen Bräuche und Vorstellungen der Väter sich 
nicht mehr schicken konnte. Von dieser Art kommen in der Ge- 
schichte Gideons zwei Beispiele vor. Es hoisst 6, 25 — 32, auf 
Jahves Geheiss habe Gideon in der Nacht nach seiner Berufung 
den Altar Baals in seiner Vaterstadt Ophra nebst der dabei stehen- 



Richter Samuelis und Könige. 239 

den Aschera zerstört, dagegen dem Jahve einen Altar gebaut und 
darauf ein jähriges Rind verbrannt, mit dem Holz der Aschera 
als Feuerung. Als dann am andern Morgen die Leute von Ophra 
empört die Auslieferung des Frevlers verlangten um ihn zu töten, 
habe sein Vater sie verweigert und gesprochen: „wollt ihr für 
Baal streiten oder ihr ihm beistehn? wenn er Gott ist, streite 
Baal (liebräisch Jareb Baal) für sich selber". Und in folge 
dieser Äusserung sei Gideon Jerubbaal zubenannt. Dies wider- 
spricht dem Vorhergehenden. Da hat bereits Gideon den grossen 
Stein unter der Eiche von Ophra, wo er Jahve sitzen sah, zum 
Altar gemacht und darauf das erste Opfer gebracht, welches durch 
spontan herausschlagendes Feuer verzehrt wird, so dass in der Lohe 
die Gottheit selber zum Himmel fährt. Wozu die zwei Altäre 
und die zwei Stiftungsgeschichten dazu, um ihren Ursprung auf 
den Patron von Ophra zurückzuführen? Sie vertragen sich nicht 
neben einander, aber man sieht wol, warum die zweite der 
ersten nachgeschickt ist. Der Altar aus Einem Steine, die daraus 
hervorbrechende Lohe, der immergrüne Baum, der schon durch 
seinen Namen Ela eine natürliche Verwandtschaft mit El anzu- 
deuten scheint^), alles dies gilt den Späteren nicht mehr für 
korrekt, ja für Baidswerk. Aus dem Streben nun, auf Gideons 
Frömmigkeit keinen Zweifel sitzen zu lassen, ist der Nachtrag 
entstanden, worin er einen Altar Jahves an die stelle des bis- 
herigen Altar Baals setzt. Wie dies Streben gelungen ist, beui;^ 
teilen wir am besten aus dem damit zusammenhangenden Versuch, 
noch einen anderen Anstoss zu beseitigen, der in dem Namen Jerub- 
baal liegt. Auf gioind des oben berichteten Anlasses wird der- 
selbe erklärt als bedeute er Streitebaal. Sprachlich ist diese Er- 
klärung an den Haaren herbeigezogen, und unmöglich in jedem 
Betracht; nach einem Gott nennen sich nur Personen, die ihn ver- 
ehren. Im hebräischen Altertum wechselt Baal unterschiedslos 
mit El, und es herrscht kein Bedenken, Jahve selber als den Baal, 
d. h. den Herrn, zu bezeichnen. Das bezeugen vor allem eine Reihe 

n^N ]1vX? im Aramäischen der Baum schlechthin, im Hebräischen «ge- 
wöhnlich der heilige Baum (Isa. 1, 29 s.), meist ohne ruterscheidung 
der Arten. Nicht bh)ss Eiche und Terebinthe, sondern aucli Palme 

wird einbegriffen. Denn der nil^l ll^N bei Bethel heisst anderswo 

IDP» Üw^ hat seinen Namen von den 70 Palmen, und von VO^i^ am 
Roten Meere gilt vielleicht ein gleiches. 



■2-iO Di'- G.>scluditL- der Traditicm, Kap, 7. 

Eigen uaiiK- II aus tier KaDiilie Sauls um! Davids, Is}>aal Meribi 
Baaljada, zu denen nun aui;li der Name- Jembliiial für den Midia- 
oiterkämpfer hiozukommt. Wenn ulgo der Baal an ^-ioh nucli in 
der israelitischen Königszeit keineswe;^ schlei^hlhin dt-r Antipode 
Jahves geweeen ist, woher denn der feindliche CJegensatz zwischen 
den Gottheiten, den Jerubbal durch sein praktisches Verhallen vor- 
aussetzt, ohwol or durch seinen Namen den grossen Baal preist? 
Audi die Meinung, dass die Asi:hera sich mit dem Jahvedieiiste 
nicht vertrage, entspricht nicht dem Glauben des Altertums; nach 
Deut, Iti, 21 müssen diese künstlichen Bäurao hüuiig genug netiea 
den Altären Jahves gestanden haben. Merkwürdigerweise verrät 
sich sogar innerhalb des eingelegten Abschnittes selber das Be- 
wusstsein, dass diese Art Eifer für den legitimen Gottesdienst das 
historische Niveau überschreite. Man hat den Eindruck, d.isa die 
Bewohner von Ophra von der l'nrechlmässigkeit ihres Baalskultiis 
nichts wissen, dass Gideon densellien auch seinerseits im guten 
Glauben mitgemacht und dass es bisher einen Altar Jahves nber- 
httupt dort nicht gegeben hat. 

Von etwas andei-er l-'orm ist eine Korrektur, die sich am 
Schlüsse der Geschichte Gideons findet (8, 22ss.), Nach dem 
Siege über die Midianiter habe er das ihm angetragene Königtum 
mit Rücksicht auf Jahve den alleinigen Herrscher abgelehnt, sich 
aber die goldenen Nasenringe, die man den Feinden abgenommen, 
erbeten, daraus ein Jahvebild, ein Ephod, gemacht und es iu 
Ophra zur Anbetung aufgestellt. „Und ganz Israel hurte dahinter 
her and es ward Gideon und seinem Hause zum Fallstrick." Aber 
nicht bloss ist faktisch die Handlungsweise eines solchen Mannes 
in einem solchen Augenblick völlig maassgebetid für den der- 
maligen Stand des israelitischen Gottesdienstes überhaupt, sondern 
auch dem nrsprüngliclieu Erzähler kann es nicht zugetraut werden, 
dass er seinen Ifelden durch den unmotivirtesten Abfall der Gott- 
heit habe danken, durch Götzendienst dem Siege habe die Krone 
aufsetzen lassen. Es wird dies um so unmöglicher, wenn man 
bedenkt, dass nach dem Zeugnisse von Hosea Jesaias und Micha 
dergleichen Bildwerke nocli während der assyrischen Periode nicht 
bloss in Samarien, sondern auch in Juda zum regelmässigen Zu- 
behör der Gotteshäuser gehörten. Hinzu kommt, dass der Gegen- 
satz iler göttlichen gegen die menst^^hliche Herrschaft, wie er in 
diesen Versen hervortritt, auf späterer Abstraktion beruht; 




Richter Samuelis und Könige. 241 

demnächst mehr zu sagen sein wird'). Studer wird also Recht 
behalten mit der Behauptung, der alten Überlieferung habe es nui* 
als ein schöner Zug von Uneigennützigkeit und Frömmigkeit gelten 
können, dass Gideon das Gold nicht für sich behält, sondern Gott 
weiht; wir haben in 8, 22 — 27 sekundäres Produkt vor uns, worin 
die ui'prünglichen Züge nach späterem Geschmack entstellt sind. 
Leider hat in diesem Falle die zweite Hand die Arbeit der ersten 
verdrängt. Die ältere Erzählung bricht 8, 21 mit den Worten 
ab: „Gideon nahm die Zierrate am Halse der Kamele der Könige". 
Was er damit angefangen, erfahren wir nicht mehr; aber natür- 
lich müssen w4r annehmen, dass er aus ihnen das Ephod ge- 
fertigt habe. Nach dem Auswüchse, der unmittelbar hinter 8, 21 
einsetzt, werden dazu vei'>\'andt die von ganz Israel erbeuteten 
goldenen Nasenringe der sämtlichen Midianiter, im Gewichte von 
1700 Sekeln, abgesehen vom Schmucke der Könige und ihrer 
Kamele. Ein ähnliches Verhältnis, wie das der 600 Daniten in 
Kap. 18 zu den 257(X) Benjaminiten in Kap. 20, oder der 40000 
Männer von Israel in 5, 8 zu den 400000 in 20, 2. 

4. Gewisse Unterschiede der geistigen Haltung, die in der 
Entwicklung der Tradition schon leise die Richtung andeuten, 
welche in der bisher charakterisirten Überarbeitung und Aus- 
putzung ihi' Ziel gefunden hat, lassen sich endlich auch inner- 
halb der originalen Erzählungen selber verfolgen, namentlich bei 
denen, die uns in doppelter Version erhalten sind. Letztere sind 
im Richterbuch nicht häufig, doch kommen sie vor. Als einen 
sehr einfachen derartigen Fall kann man Jud. 4 im Verhältnis zu 
Jud. 5 betrachten. 

Gegen die Kanaaniter, die unter ihrem Oberkönige Sisera 
wieder ihr Haupt erheben und von ihren Städten in der Ebene 
aus die Bergdörfer der neuen Ansiedler beunruhigen, vereinigt 
Debora die hebräischen Stämme zum Kampfe. Von Nord und 
Süd steigen die Kriegsscharen Jahves vor unseren Augen gen 
Jezreel hinab, die Seherin Debora an der Spitze, der Kriegsmann 

') ^Die Worte Gideons erhalten erst durch die Voraussetzung Sinn, dass 
Jehovas Herrschaft anderweit, durch Propheten oder Priester, repräsentirt 
sei, was aber in der Hichterperiode nicht der Fall war und wogegen 
die eigene Geschichte (lidcons zeugt" — Vatke p. 263. Übrigens ist nach 
9, 1 SS. Gideon in der Tat Herrscher von Ephraim und Manasse gewesen; 
den Konigstitel hat er vielleicht nicht getragen, aber der wird ihm 9, 22. 23 
gar nicht angeboten. 

W«llbaat«n, Prolegomeno. 5. Aufl. \(y 



242 Geschichte der Tradition, Kap. T. 

Barak ihr zur Seite. Am Rache Kisou erfolgt der Znsammeni 
and eudot mit der Niederlage der Könige Kanaans, Sisern selbst 
wird auf der Flucht von Jael, dem Weibe eines nomadischen 
Keuitei-s, erschlagen. Das der Inlialt des Liedes Jud. 5. Iii der 
voraufgeschicktoD Erzählung Jud. 4 sollte man einen historisi-hen 
Kommentar daaa erwarten, man findet aber nur eine Reproduktion, 
die die apeciellen Züge verwischt und verfälsoht. Aus den Königen 
Kanaans wird der König von Kanaan, als sei Kanaan ein Reich 
gewesen; ans Sisera ihrem Oberhaupt wird ein blosser Feldbaupt- 
mann; die Unterdrückung der Hebräer wiM ins unbestimmte ver- 
allgemeinert. Jael mordet den Sisers , während er in tiefem 
Schlafe liegt, indem sie einen Zeltpllock ihm durch die Schläfe 
und in den Boden treibt — im I.iede steht davon nichts, er 
trinkt als sie den Schlag führt und ist dabei stehend gedacht, 
denn sonst könnte er nicht vor ihr zusammenbrechen, zu Bodon 
stürzen und erschlagen liegen bleiben, wo er hingesunken (5, 27), 
Im Liede wird das Unternehmen mit menschlichen Mitteln 
vorbereitet ; A'erhandlungen werden geführt zwischen den Stämmen, 
bei denen Unterschiede hervortreten; die Lauheit oder die grossen 
Worte der einen werden getadelt, der tatkräftige Gemeinsinn und 
der Kriegsmut der anderen gelobt. In der Ei'zählung ist dage;^n 
die Befreiung rein Sache Jahves, die israelitischen Mannen sind 
Statisten, denen kein Verdienst und kein Dank gebührt. Dafür 
koncentrirt sich das Interesse auf die Tat der Jael, die aus einer 
Episode zur Pointe des Ganzen ausi^hwillt. Als solche wird sie 
angekündigt, indem Debora dem Barak voraussagt, nicht sein 
werde der Ruhm sein, sondern eines Weibes, in dessen Hand der 
Feind werde verkauft werden: der Held, die Menachenkraft tut es 
nicht, sondern in der Schwachheit ist Jahve märhtig. Noch sonst 
wird gerade dem Barak sein Anteil am Werk verkÜHimert, Er 
wird von Debnra aufgefordert, nicht etwa in den Kampf sonderu 
auf den heiligen Berg Thabor zu ziehen, wo Jahve das weitere ver- 
anlassen werde; er macht aber Umstände und bedingt sich aus, 
dass die Prophetin auch selber mitziehe. Das wird deshalb als 
eine Laune des Unglaubens ungesehen, weil die Aufgabe der 
Prophetin damit für erschöpft gilt, dass sie den Befehl der Gutt- 
heit an das Werkzeug befördert hat; sie ist bloss dazu da, damit 
man aus ihrer Vorhersagung erkenne, wie Jahve der einzige Eßicieiit 
der Geschichte sei. Im Liede ist das anders. Da wird 




Richter Samuelis und Könige. 243 

nicht wider seinen Willen aufgerufen, sondern er hat einen per- 
sönlichen Anlass zum Losbrechen: ,,auf, Barak, und fange deine 
Fänger, Sohn Abinoams!" Und die Seherin hat nicht bloss zu 
prophezeien, sondern sie wirkt psychologischer; sie gehört hinein 
in den Kampf und befeuert durch ihren Gesang den Mut der 
streitenden Scharen: „auf, Debora, singe das Lied"'). Überall in 
den Varianten der prosaischen Reproduktion macht es sich fühl- 
bar, dass das bunte Getriebe des wirklichen Hergangs verblasst 
vor der einen allgemeinen Endursache, Jahve. Wol rauscht Jahve 
auch durch das Lied, in dem Enthusiasmus, der die hebräischen 
Krieger erfüllt, in dem panischen Schrecken, der die reisige Macht 
der Feinde verwirrt. Aber in der Erzählung ist der Gottheit das 
Mysterium abgestreift, vermittelst mechanischer Prophetie gelingt 
es, ihren Anteil an der Geschichte fest und nüchtern umgrenzt 
darzulegen. Je specieller sie eingreift, desto ferner tritt sie; je 
bestimmter die Aussagen über sie lauten, desto weniger spürt 
man sie. 

Es gibt noch ein anderes Beispiel im Buche der Richter, wo 
uns der gleiche historische Stoff in zwei verschiedenen Formen 
ausgeprägt vorliegt; das ist die Geschichte von Gideon aus dem 
manassitischen Hause Abiezer. Studer hat den Einschnitt zwischen 
8, 3 und 8, 4 erkannt, der zwei für sich zu verstehende Erzäh- 
lungen trennt. Mit 8, 1 — 3 ist die erste abgeschlossen. Vorher 
ist gesagt worden, wie Gideon, nachdem der erste Überfall der 
Midianiter gelungen, den Heerbann Israels zur Verfolgung aufge- 
boten, wie dann namentlich die Ephraimiten den flüchtigen No- 
maden die Furten des Jordans verlegt und bei der Gelegenheit 
ihre beiden Anführer in die Gewalt bekommen haben. Nun hören 
wir zum Schluss (8, 1 — 3), dass die Ephraimiten im Ubermute 
des Erfolgs mit Gideon zu zanken anfingen; er aber habe ihren 
Zorn beschwichtigt und gesagt: „was habe ich denn jetzt getan 
im vergleich mit euch? ist nicht die Nachlese Ephi-aims besser als 
die Ernte Abiezers? in eure Hand hat Gott die Fürsten Midians 
gegeben und was habe ich dagegen zu tun vermocht!" Zu einem 
solchen häuslichen Zwist über den Anteil am Verdienst ist doch 



*) V. 12 ist eine Aufforderung den Kampf anzufangen; da kann Dehora 
doch nicht das Triumplilied singen, welches den glücklichen Ausgang 
desselben feiert. Aus ähnlichem (imnde ist auch die oben gegebene 
Cbersetzung: »fange deine Fänger" die natürlichere und richtigere. 

16* 



244 



(nwliichip dtT Traditio 



Klip. 7. 



orst Zeit, gewesmi, nachdem das Venlienst sellier erworben. 
dpm der Streit mit den Feinden ausgefochten war, wie denn auch 
das Bild von der Ernte und Nuchlese voratissetüt, dass der Sieg 
vollständig und alle seine Früfhte gepflütlct waren. Mit 8, 1 — 3 
ist die Sai'Iie ahgetan; die fol>;einle Erzählung ist keine Fort- 
setzuni; der vorh ergehenden, sondern eine zweite Version, die von 
fianz anderen Voraussetzun^n ausgeht. AVälirend nach 7, 23s- 
ein grosses Heer auf den Beinen ist, hat Gideon 8, 4 es. nur seine 
3(X) Lente hei sich. Während nach S, 1—3 schon Lese und Nach- 
lese i^eliulten und der Kampf am Ziel ist, setzt Gideon K, 4ss. 
unaufhaUsam den Feinden nach, und da er die Bürger von Sukkotb 
und Phenuel um Brod fnr seine müde und hungrige i^annscliaft 
bittet, fragen ihn die höhnisch, ob er denn etwa auhon des Er- 
folges sicher sei, so dass man ITi-sach habe für ihn Partei zu 
nehmen. Die beiden Häuptlinge, welche dort die Fürsten Zeeb 
und Oreb heissen und bereits gefangen sind, werden hier die 
Kiinige Zebnh und Salmuna genannt und sind noch nicht gefangen. 
Leider ist der Anfang von S. 4ss. nicht erhalten; in folge dessen 
lässt sich nicht ausmachen, ob der Verfolgung, auf der wir Gideon 
hier treffen, schon eine Begegnung mit den Feinden voraufgegangen 
sei. Unmöglich ist eine solche Annahjne gerade nicht, doch lässt 
der weite Vorsprang der Nomaden und ihre Sorglosigkeit im Lager 
die Sachlage eher so erscheinen wie in 1. Sam. 30. Wie dem 
auch sei, das Gewicht der ilie beiden Versionen trennenden Mo- 
mente bleibt sich gleich. 

Worin liegt nun die Wnrtel des Unterschiedes? Das lehrt 
am besten eine Vergleichung der Eingänge des einen und lien an- 
deren Berichtes. Wie gesagt mangelt zwar dem zweiten jetzt der 
Anfang, aber einigermaassen lässt er sich aus dem weiteren Ver- 
laufe ergänzen. Nach H,4ss. hat Gideon es ganz specieti auf die 
beiden Könige der Midianiter abgesehen, diese erscheinen stets als 
seine eigentlichen Feinde, hinter denen er her ist; die übrigen 
Midianiter sind ihm mehr oder weniger gleichgiltig. Nämlich 
Zebah und Salmuna, erfahren wir aus 8,10s., hatten am Tliabor 
seine leiblichen Brüder erwürgt; um dafür Hache zu nehmen setzt 
er den Schuldigen nach und ruht nicht, bis sie in seiner Hand 
sind. Es ist die Pflicht der Blutrache, um deren willen er mit 
seiner Hausmacht sich aufmacht, unbekümmert nm das Misvec- 
hältiiis gegen die Überzahl; es ist die Gew:dt des Familiem 




Richter Samuelis uud Könige. 245 

die ihn in Bewegung setzt und ihn beiläufig zum Retter Israels 
vor den Räubern macht. In dem ersten Berichte (6,11 — 8,3) 
sind diese natüriichen Motive völlig verschwunden und andere an 
die Stelle getreten, von ungefähr entgegengesetzter Beschaffenheit. 
Im voraus, ehe noch die Midianiter ihren diesjährigen Einfall ge- 
macht haben, wird der nichtsahnende Gideon durch eine Theo- 
phanie zum Kampf gegen sie berufen. Wie sie nun wirklich 
kommen, da ergreift ihn der Geist und er zieht Urnen entgegen. 
Was an ihm Menschliches ist, hat nichts mit der Tat zu tun; 
Fleisch und Blut sträuben sich dagegen. Es ist der direkte Ein- 
fluss Jahves, der ihn treibt; natürlich dann auch im allgemeinen 
Interesse Israels gegen die Midianiter, nicht gegen die Person 
ihrer Fürsten. Im Zusammenhange damit wird weiter auf alle 
weise dafür gesorgt, dass der Mensch hinter der Gottheit in den 
Schatten tritt. Gideon, nach dem zweiten Berichte ein vornehmer 
und königlicher Mann, ist im ersten aus unansehnlichem Hause 
und Geschlechte; während ihn dort eine unaufhaltsame Energie 
kennzeichnet, erscheint er hier bis zum letzten Augenblick zag- 
haft und zögernd und wird durch immer neue Wunder ermutigt 
und gekräftigt. Die 32000 Mann, mit denen er ins Feld rückt, 
muss er auf Jahves Geheiss bis auf 10(XX) und aber bis auf 300 
entlassen, „damit Israel sich nicht gegen mich rühme und sage, 
seine eigene Hand habe ihm geholfen!" Die Waffen, womit die 
Dreihundert den nächtlichen Überfall ausführen, sind Fackeln 
Krüge und Posaunen; für Schwerter haben sie dann keine Hand 
mehr (7, 20), und demgemäss muss das feindliche Heer sich selber 
aufreiben (7,22). 

Unter den Abweichungen der religiösen Version von der na- 
türlichen gibt es wenige undurchsichtige, wozu man namentlich 
die rechnen kann, dass der Schauplatz diesseit des Jordans 
verlegt wird. Die meisten sind sofort erkennbar als Produkte 
einer verklärenden Beseelung der Tradition, die ihren Körper ver- 
flüchtigt und sie in luftige Regionen hebt. Z. B. bilden nicht 
bloss in Kap. 8, sondern auch in Kap. 7 die 300 Mann das 
alleinige Gefolge Gideons bei der Hauptaktion, beim Überfall des 
feindlichen Lagers; aber um die Bedeutsamkeit dieser geringen 
Anzahl zum Eindruck zu bringen, werden sie im Kap. 7 zum 
letzten Residuum eines anfangs ganz ansehnlichen Heeres gemacht 
und daraus entspinnt sich eine weitläufige Erzählung. Auch das 



(.■lili' der Trarlilioi 






darr 



■Ol 



[eiclieii, ilass wiu diis 6. Kapitt-1 mit der 



Ziehung dieses Rkhters zum Ileiligtnme seiner A'aterstadl anhebt, 
so das 8. Kapitel damit schliesst: hier entdeckt er durch eine 
Theophauie, wie die Patriarchen der Genesis, die Heiligkeit des 
Altarsteiues nnter der Eiche; dort stiftet er, weit realistischer, dfta 
Ephod ans dem goldenen Schmnckt' der Midianiterkönige. Histo- 
risch kommt vorzugsweise, wenn nicht ausschliesslich, die n«- 
türliche Version iu Betnicht, die in trockenem Tone die Sachen 
retlen Ifost und in die Einfachheit des Hergangs nichts von der 
Bedeutung seiner Folgen einmischt. Dits Verhältnis ist jedoch 
etwas anders als wie wii- es zwischen Jud. fj und 4 gefunden 
haben, Kap. Gs. basirt nicht direkt auf Kap. 8, sondern wol 
auf sei batständiger mündlicher Grundlage, Mit den historisclien 
Erinnerungen, über deren Unbestimmtheit die lebhafte Lokal- 
färbung nicht läuschen darf, schalten die wuchernden Triebe hier 
viel freier und bringen weit plastischere und naivere (iebilde 
hervor. Offenbar aber ist im Gebiete des Wunders die Puesie 
älter als die Prosa. 

Drängt sich bei den Geschichten, die uns in doppelter Fassang 
aufbewahrt sind, der innere Abstand von selber auf, so lässt sicJi 
ein solcher nun auch da wahrnehmen, wo keine eigentlichen Pa- 
rallelen verglichen werden köuneu. Wie fühlbar unterscheidet 
sich die Erüählung über Abimelei^h, etwa von der folgenden über 
Jephthah, durch den Reichtum des sachlichen Gehalts, durch das 
objektive Interesse für die Mittel- und Nebenglieder in der Folge 
der Begebenheiten! Ohne Vergoldung durch übernatürlichen Nim- 
bus werden die Dinge schlecht und recht vorgetragen, die Mural 
ergiebt sich aus ihrem Verlauf von selber. In den Sagen von 
Simson hinwiederum stellen sich uns so zu sagen zwei Seelen in 
einem Körper vereinigt dar. So eng hier auch der derb volks- 
tümliche Stoff und die besonders am Anfange und am Ende her- 
vortretende religiös-nationale Form verwachsen sind, so stehn sie 
doch iu einem innerlichen Widerstreit, und schwerlich sind ilie 
Streiche dieses absonderlichen Gottesmanns ursprünglich im Geiste 
.Tahves koncipirt, aus dem sie jetzt geboren werden. Vielmehr 
wird der religiösen Darstellung eine ziemlich profane zu grnude 
liegen, aber gegenwärtig kann man die ältere .Stufe nicht mehr 
von der jüngeren sondern. Es verst«ht sich übrigens, dass in 
diesem Falle der Gegensatz von historisch und unhistorisch i 



tJ 




mielis und Künigw. 



■247 



angewandt werden darf, der indessen für unsere Absicht auch 
nicht wesentlich ist. Nur Ans gilt allgemein: je näher die Ge- 
Bchirhtsschreibung ihrem l'rsprang ist, desto profaner ist sie. In , 
der Art der Frömmigkeit gibt sich in den vordenteronomischea l 
Erzählungen der Unterschied weniger zn erkennen als im Grade, 



1. Die umtassende Buarlieitiing, die wir im Richterbuche 
wahrgenommen haben, hat auch dem Buche Samnelis ihr Siegel 
aufgedrückt. Da aber hier die Periode kurz, dagegen ihr Inhalt 
überaus reich nnd wirklich zusammenhangend ist, so Itanu sich 
das künstliche Facli- und Netzwerk nicht so sehr bemerklieb 
machen. Doch fehlt es keineswegs, wie zunächst die Zeitangaben 
lehren, die wii- schon oben in das System der Chronologie einge- 
ordnet haben. Es verdient Beachtung, wie lose dieselben in den 
Rontext eingefügt sind. In 1. Sam. 4, 18s.: „nnd da der Bote 
die Schreckensnachricht erzählte, fiel Eli hinterrücks vom Stuhle 
and brach den Hals und starb, denn er war alt und unbeholfen 
und er richtete Israel vierzig Jahre; da aber seine Schnur, 
die hochschwangere Frau des Phinehas, die Kunde vernahm a. s. w." 
— ist der Satz mit dem Datum zwar hei halbwegs passender Ge- 
legenheit, aber doch eben deutli(^h bei Gelegenheit eingeschoben. 
In 2. Sam. 2, 8 — lü heisst es: „Abner der Feldhauptmann nahm 
den Sohn Sanis Isbaal und brachte ihn über den Jordan nach 
Mahanaim und unterwarf ihm Gilead und Gesur nnd Jezreel und 
Ephraim und Benjamin und ganz Israel, vierzig Jahre war 
Isbaal als er König wurde nnd zwei Jahre regierte er, 
nur Juda hielt es mit David, und die Zeit die David König 
war über Juda in Hebron ist sieben Jahr und sechs ^(o- 
nat, nnd Abner mit den Kriegern Isbaals zog aus von Mahanaim 
nach (libeon und Joab mit den Eri^ern Davids zog ihm ent- 
gegen". Es liegt auf der Hand, dass die gesperrten Worte den 
Znsammenhang sprengen; in bezng auf die Daten über Isbaal ist 
ausserdem zu bemerken, dass er nach allen übrigen Angaben 
einesteils in noch ganz unmündigem Alter gestanden, andernteila 
eben 80 lange zu Mahanaim wie David zu Hebron geherrscht I 
haben muss. Die Zweizahl der Regierungsjahre erklärt sich beä4 
ihm eben so wie liei Saul 1. Sam. 13, 1: . , . Jahre alt war ^ 
Saul als er König wurde, und zwei Jahre herrschte 



I 



24H Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Über Israel. Wie iu diesem letjitereu Vers«, d 

giuta mangelt, die Zahl für die Lebensjahre no' 

fehlt, so war ursprünglich anch die Zahl Mr die R^eningsjahre 

ansgeljissen ; die ganz absurde Zwei ist ans dem folgenden Wort« 

fni- Jahr herausgewachsen, das im Hebräischen ziemlich gleich 

aussieht. 

Hand in Hand mit der chronologischen Schematik linden wir 
1. Sam. 7, 2 — 4 die religiöse wieder. „Seitdem die Lade m Ririath- 
jearim wohnte, vergingen zwanzig Jahre, da sammelt« sich das 
ganze Haus Israel hinter Jahve her. Und Samuel sprach zum 
ganzen Hause Israel: wenn ihr euch von ganxem Herzen zu Jahve 
bekehrt, so schaift die fremden Götter und die Astarten aus eurer 
Mitte und richtet euer Herz auf Jahve und dient ihm allein, so 
wird er euch von den PhilLsteni befreien, l'nd die Kinder Israel 
schafften die Baale und Astarten ab und dienten dem Jahve 
allein." Im Vorhergehenden wird zwar von einem Abfall nichts 
berichtet, und an Vertrauen auf Jahve haben es die Israeliten 
na<;h Kap. 4 in der unglücklichen Schlacht gegen die Philister 
wahrlich nicht fehlen lassen; aber die selbstverständliche Annahme, 
dass das Joch der Fremdherrschaft zur Strafe der Sünde auferlegt 
sei und dass die Sünde im O'itzendienst bestehe, ist bezeicimend 
für diese Betrachtungsweise. Eine weitere Probe derselben haben 
wir in der Rede Samuels 1. Sam. 12, die als Einleitmig in die 
Königszeit mit Jud. 2 als Prooemium der Hichtergeschiehte zu ver- 
gleichen ist. „Stellt euch her, dass ich euch vor Jahve vorhalte 
alle die Taten Jahves, durch die er euch und euren Vätern Recht 
geschafft hat! Wie Jakob nach Ägypten gekommen war, schrieen 
eure Väter zu Jahve, und er sandte Moses und jVliaron und führte 
eure Väter aus Ägypten und gab ihnen Wohnung in diesem Laude. 
Aber sie vergassen Jahve ihren Gott, uud er verkaufte sie in die 
Hand Siseras des Feldhauptmanns zu Hasor und in die Hand der 
Philister und Moabiter, die stritten wider sie. Da schrieen sie zu 
Jahve und sprachen: wir liaben gesündigt, dass wir Jahve ver- 
lassen und dem Baal und der Astarte gedient haben, nun errette 
uns vor unsem Feinden, so wollen wir dir dienen. Und Jahve 
sandte Jerubbnal Barak Jephthah und Samuel und rettete euch 
vor euren Feinden ringsum, daas ihr sicher wohntet. Als ihr aber 
sähet, dass Nahas der Ammoniterkönig gegen euch anzog, spracht 
ihr zu mir: nein, ein König muss über uns herrschen — da doch 



Uichler Samuel is 



249 



Jahvo, euer Gott, ener König ist. Nim siehe da ist der König, i 
den ilir gefordert habt, siebe Jahve hat einen König über ench 
gesetzt. Weun ihr Jahve fürchtet und ihm dient und auf seine 
ßtirame hört und seinem Befehle nicht widerstrebt, gut! wenn ihr ' 
aber der Stimme Jahvee ungehoi-sara seid und seinem Gehf 
widerstrebt, so wird Jahves Hand gegen euch sein wie gegen 
eure Väter," Es ist die bekannte Weise; Abfall Drangsal Bekeh- 
rung Ruhe; Jahve der Grundton der Melodie, das erste Wort und 
das letzte. Am stofflichen Detail haftet der Blick nicht, i 
Lücken der Tradition werden ebenso positiv verwertet, als ihr i 
auf so wenige Punkte koncentrirter Tnhalt. Das Einzelne kommt 
nur als Moment des Ganzen in betracht; in grosaartiger lle^Tie 
werden die Perioden überblickt und das Gesetz dai^elegt, das sie 
verkettet. Dabei kaim Samuel eine bestimmt geformte Kenntnis 
der biblischen Geschichte bei seinen Zuhörern voraussetzen, ja 
Rogar ohne Bedenken über seine eigene htsturische Bedeutung reden; . 
auf einen Zeitraum, in dessen lebendiger Bewegung sie selber mitten 
drin stehn, müssen sie zurückblicken wie auf eine tote Vergangen- 
heit. Indem sie so zui* Höhe objektiver Betrachtung über sich und 
ihre Väter emporgehoben werden, tritt zum Schluss das zu er- 
wartende Resultat ein: sie werden sich ihrer schweren Sünde be- 
wusst, immer haben sie der Gottheit gegenüber das ängstliche Ge- 
fühl Strafe verdient zu haben. 

2. Die deuter onomische Bearbeitung macht sich zwar nur an 
diesen beiden oder besser an dieser einen Stelle geltend, aber dies 
ist eben die Hanptepoche in unserem Buche, der Übergang zum 
Königtum, der mit dem Namen Samuels verknüpft ist. Und hier 
tritt sie um so intensiver auf, nicht bloss als geschmackgebende 
Zutat zur älteren Überlieferung, sondern dieselbe von Grund aus 
amgestalteTid. Denn was wir so eben daraus angelührt haben, sind 
nur Fragmente eines bedeutenden geschichtlichen Zusammenhanges, 
dessen erstes Stück 7, 2—17 uns zunächst in Anspruch nehmei 
wird. Nach der Aufforderung zur Bekehiung 7, 2—4 beruft Samuel 
7, ö ebie Versammlung der Kinder Israel nach Alispha bei Jeru- 
salem, um für sie um Abwendung dei' Fhiüsterpiage zu beten; dia 
Maassregel steht natürlich im engsten Zusammenhange mit der 
vorher berichteten Abschaffung des Götzendienstes, denn nachdem 
die Schuld beseitigt ist, rauss auch die Strafe aufgehoben werdi 
Mau kommt zusammen, schöpft Wasser um es auszugiessen vor I 



250 llcschicbti? der Tradition, Kafi. T. ^^^^^H 

Jahve, fastet aad hekeuut seine Sünileii za Mispha. Als daß 4H^^^ 
Philister hören, sind sie gleich am selbigen Tage zur Stelle uml n 
überfallen die betende IJemeinde. Aber Samuel opfert ein Milch- 
lamm und schreit zu Jahve um Hilfe; und wie nun während dessen \ 
der Zusammenstoss erfolgt, da donnert Jahve gewaltig über die 
Philister und setzt sie in Verwirrung, dnss sie weichen müssen nod i 
bis weit hin verfolgt werden. Die Philister aber, so lantet das j 
Ende, wurden gedemütigt und drangen nicht wieder in das israeli- i 
tische L.'ind ein, und die Hand Jtihves war wider die Philister, so | 
lange Samuel lebte; und die Städte, welche die Philister den Israe- 
liten abgenümnien hatten, wurden wiedergewonnen, Alikarou nnd ; 
Gath und ihr Gebiet entriss Israel den Philistern, und es war 
Frit'do zwischen Israel und dem Amoriter. 

Es genügt den Inhalt dieser (ieschichte zu referiren, um ihre 
geistliche Mache und ihre innere Unmöglichkeit sofort zur Empfiu- 
ilnng zu bringen: was ilrängt sich alles in den Raum dieses einen 
Tages zusammen! Nun aber beachte man noch den vullenileten 
Widerspruch gegen alles sonst Überlieferte. In der Folge liuden | 
wir die Herrschaft der Philister keineswegs beseitigt, nicht blosa i 
dringen sie, noch bei Samuels Lebzeiten, melu'fach über die Greuze, 
sondern sie sind im Besitz des israelitischen Landes, einer ihrer 
Statthalter wohnt zu Gibea mitten in Benjamin. Uer Kampf 
gegen sie ist recht eigentlich der Eutstehungsgrund und die Auf- 
gabe des Königtums, kein Gedanke daran, dass Samuel di(.>sem 
Arbeit und Verdienst vorweg genommen und sogar Akkaruu und 
Gath „zurückerobert" habe. Grade zu seiner Zeil hat vielmehr 
das Philisterjocli am schwersten auf Israel gelastet. 

An der ganzen Erzählung kann kein wahres Wort sein. 
Ihre Motive aber lassen sich leicht durchschauen. Samuel ist ein 
Heiliger ersten Hanges (Hier. 15, 1); einem solchen Planne ge- , 
bührt in der Theokratie, A. h. in dem religiösen Gemeinwesen, 
als weldies das alte Israel nach dem Muster des Judentums vor- | 
gestellt wird, die Stelle an der Spitze des Ganzen. Natürlich j 
muss dann sein Einfluss weit genug gereicht haben, um Götzen- 
dienst und Untreue gegen Jahve im Volke auszusi-hliessen ; im | 
ganzen muss der Gemein charakter der Zeit seinem eigenen V»r- 
bilde entsprochen haben. Nim aber erhebt sich ein hässliclier 
AnsfosB, Wenn Samuels Leitung dafür bärgt, dass im Imiera 
alles war wie es stän muss, wie soll ■iaiin zugleich von ai 




Richter Samuelis und Könige. 251 

her so grosse Not geherrscht und sogar der Existenz des Volkes 
Gefahr gedroht haben! Wenn die Menschen das ihrige tun, wie 
kann es dann Jahve an sich fehlen lassen! Man hat vielmehr zu 
glauben, dass der inneren Gerechtigkeit auch die äussere Recht- 
schaffung entsprochen habe. Schon unter Samuel sind die 
Philister mit Gottes Hilfe zu den Grenzen hinausgetrieben und 
haben sich sein Lebetag nicht wieder sehen lassen. Der 
Frömmigkeit einer betenden Versammlung hat Jahve einen 
Erfolg in den Schooss fallen lassen, an dessen Erringung sich 
hinterher das Schwert kriegerischer Könige lange vergeblich 
gemüht hat. 

Aber diese Geschichtskorrektur steht nicht für sich und vdvd 
erst durch den folgenden Zusammenhang vollkommen begreiflich; 
1. Sam. 7 wird durch Kap. 8, und Kap. 8 weiter durch 10, 15 bis 
12, 25 fortgesetzt. Nachdem Samuel das Land von der Fremd- 
herrschaft befreit, führt er bis in sein Alter ein ruhiges und glück- 
liches Regiment. Da aber seine Söhne, die er sich beigeordnet 
hat, nicht in seinem Wege gehn, so nehmen die Ältesten Israels 
das zum Anlass, sich von ihm einen König zu erbitten; es ist 
aber nur ein Vorwand für ihr Gelüste, die göttliche Herrschaft 
abzuschütteln und zu werden wie die Heiden. Samuel ist höchst 
aufgebracht über diese Undankbarkeit, wird aber von Jahve ange- 
wiesen, der Forderung zu willfahren. „Sie haben nicht deine, 
sondern meine Herrschaft vensorfen, grade so wie sie, seit ich 
sie aus Ägypten geführt, es gemacht, mich verlassen und anderen 
Göttern gedient haben, so handeln sie nun auch gegen dich." 
Vergebens hält ihnen Samuel ein abschreckendes Verzeichnis der 
Rechte des Königs vor, sie gehn von ihrem Entschluss nicht ab, 
und so beruft er (8, 22. 10, 17) eine allgemeine Versammlung des 
Volkes nach Mispha. Dort wird, nachdem die einleitende Straf- 
predigt gehalten ist, um den König gelost und Saul getroffen, 
worauf Samuel noch das Königsgesetz schreibt und es vor Jahve 
niederlegt. Dann wird das Volk entlaasen, „und auch Saul ging 
nach Hause gen Gibea und mit ihm die Kriegsleute, denen Gott 
das Herz rührte, aber die nichtsnutzigen Buben verachteten ihn 
und sagten: was mrd der uns helfen!" 

Nur de iure soll damit Saul zum König gemacht sein, de 
facto wird er es erst, nachdem er sich erprobt hat, Kap. 11. 
Nämlich etwa nach einem Monat (10, 27 Sept.) schicken die 



I 



252 Gescljiclite der Truditiuii, Kb[>. T. ^^^H 

Bürger vod Jabes, vou lieii Amniooiteru belagert uuil schwer W^ 
drängt, Boten durch ganz Israel mit der Bitte nm schleunige 
Hilfe, denn binnen sieben Tagen müssen sie sich den Feinden 
Gi^ebeii und sich ein jeder diis rechte Äug« ausstechen lassen. 
Die Boten kommen auch nach der Stadt Sauls, Gibea in Ben- 
jamin, Tind reden ihre Wurfe vnr den JiCnten; die hebea ihre 
Stimme auf und weinen. Indem kiimmt Saul mit einem J"ch 
Rinder vom I'VIde, und da er das allgemeine Weinen bemerkt, 
fragt er was geschehen sei. Man erzählt es ihm, da überiallt ihn 
der Geist Gottes und er gerät in sehr grossen Zorn: er zerstückt 
seine Rinder imd schickt die Teile durch ganz Israel mit dem 
Entbieten: wer nicht ausziehe in den Kampf, des Rbdern solle 
also geschehen! Und der Schrecken Jahves fällt auf das Volk, 
sie ziehen aus wie ein Mann nnd entsetzen die belagerte Stadt. 
Darauf wird dem Saul zu GÜgal „das Köuigstuni erneuert" ; imd 
nun erst tritt Samuel ihm die Regierung ab, in der langen Rede 
Kap. 12, aus der oben ein grösseres Stück mitgeteilt ist. 

üass das 11. Kapitel in diese ^>^sion aufgenommen ist, er- 
hellt aus 12, 12 und auch aus 11, 12 — 1-1. Aber ursprünglich ist 
es nicht für diesen Zusanuneuhang berechnet. Denn von den 
Kriegsniänneru, die Saul nach 10,26 begleiten, merkt man hier 
nichts, und die Boten von Jabes kommen nicht seinetwegen nach 
Gibea. Wie der vermeintliche Kiinig vom I'llügen zu Hause 
kommt, «"ird nicht getan, als gehe ihn die Botschaft nilher an; 
niemand teilt sie ihm mit, er muss sich nach der l'rsache des 
allgemeinen \Vemens erst erkundigen. Nicht kraft seines Amtes 
als König, sondern in der Autorität des Geistes bietet er den 
Heerbaim Israels auf und ündet begeisterten Gehorsam. Erst 
nachdem er seine Kraft gezeigt und die Ammoniter geschlagen 
hat, wird er 11, 15 vom Volke zum Könige gemacht: die Reuo- 
vation des Konigstums II, 14 — nach oinem Monat — ist ein 
durchsichtiger Kunstgriff des Verfassers von Kap. 8. 10, ITss., 
womit er das anderswoher entlehnte Stück seiner eigenen Relation 
einverleibt; die Verse 11, 12 — 14 rühren von ihm her. 

Der Zusammenhang, worin 1. Sam. 11 nrsprünglich stand, ist 
die andere Erzählung über Sauls Erhebung 9, 1—10, 16, Hier 
wird er uns zu Anfang vorgefühlt, wie er entlaufenen Eselinnen 
nachgellt. Auf mehrtägiger vergeblicher Suche bis gen Rama ge- 
langt, wendet er sich auf den Rat seines Knechtes an einen Seher 



Richter Samiielis und K<ini|ie. 



253 



daselbst am Anskunft, elien an Samuel. Dem ist er schon tags \ 
zuvor durch Jahve angemeldet: „morgen werde ich dir einen Mann 
aus Benjamin zusenden, den satbe zum Füreten über mein Volk, 
er soll es erretten von den Pliilistera" — ei- hat ihn also erwartet ] 
und zum Voraus ein Opferfest auf der Barna für ihn veranstaltet, i 
Jetzt ist Samuel, zwischen dem sakralen Akt und der daran sich 
schliessenden Mahlzeit, hinabgegangen zur Stadt, und wie er eben 
zurückwill zu den Gästen, trifft er im Tore den nach ihm fragenden 
Saul und erkennt auf Jahves Zuraunen in ihm seinen Mann. Er 
nimmt ihn mit hinauf zur Bama, und nachdem er ihn über die i 
Eselinnen beruhigt, deutet er ihm auf der Stelle an , zu wie hohea 
Dingen er berufen sei, und gibt ihm üJ)erzeugende Beweise, dass er 
auf ihn als Ehrengast beim Opfermahle gerechnet und ihm das 
best« Stück aufgehoben habe'). Darauf beherbergt er ihn noch 
die folgende Nacht und begleitet ihn am anderen Mfirgeu auf den 
Weg. Nachdem der Knecht ein wenig vorauf geschickt ist, bleibt 
Samuel stehn, salbt den Sau!, zum Zeichen dass or von Jahve zum 
Könige und Helfer Israels ausersehen sei, und weisst ihn zum 
Schlüsse an: wenn Gelegenheit zu handeln komme, so solle ei' sie 
in dem Bewusstsein brauchen, da^ Gott mit ihm sei. Auf dem 
Heimwege durch das Eintreffen dreier ihm angekündigter Zeichen 
von der Zuverlässigkeit des Seiiers vei'sichert. und dadurch im 
Herzen nach und nach bis zum Überschäumen umgewandelt, 
kommt Saul nach Gibea, und obgleich durch sein seltsames Wesen 
den Bekannten auffallend, verrät er zu Hause doch nicht einmal 
dem nächsten Freuntie, was Uim Samuel gesagt, sondern wartet der 
Dinge, die da kommen sollen. 

So weit siud wir 10, lli. Dass hiemit noch kein Abachlnss 
erreicht ist, leuchtet ein; der Same muM doch aufgehn, der ver- 
änderte Geist zur Wirkung kommen. Dieser Forderung geschieht 
auf das vollkommenste Genüge, wenn Kap. 11 als unmittelbare 
Fortsetzung von 10, Ui betrachtet wird. Etwa nach einem Monate, 
da kommt für Saul die Gelegenheit zu handeln, auf die ihn Samuel 
verwiesen hat: während die anderen über die Schmach, die einer 
israelitischen Stadt von den Ammonitem droht, weinen, überfällt 
ihn der Geist und der Zorn; er hat von jener Unterredung 1 
den Stachel im Herzen und tut aau, „was seine Hand findet", | 



1) Vgl. Aph. : 



254 Oi'sohichtB der Tradition, Kap. 7. 

Der Erfoli; ist überraschend, saf die uatiirlichsle Weise von der 
Welt erfüllt sich das Seherwort. 

Gehort Kap. 11 ursprünglich der Relation 9, l — 10, 16 an, 
so ergibt sich daraus die Abhängigkeit und Posteriorität der an- 
dereu ohne weiteres. In welchem inneren Verhältnis stehn nnn 
die beiden Vereionen zu einander? Ilie und da berühren sie sich 
in den Ideen. Dort sucht Saul die Eselinnen und findet die Kruue, 
hier versteckt er sich unter den Geraten und wird als König her- 
vorgezoiten- Dort wird er vom Seher berufen, hier wird er durch 
das Los eingwelzt — beide mal wirkt die göttliche Kausalität. 
Aber wie wird der Gedanke auf der späteren Stufe übertrieben 
und wie plump tritt er hervor! Und weit stärker als diese Ver- 
wandtschaft in der Anschauungsweise ist auf der anderen Seite 
die Abweichung des Ablegers vom Original. Über die Richtung 
derselben sind wir durch das 8. Kapitel vorbereitet. Samuel bat 
seine Landsleute von den Feinden befreit und hinterher gerecht 
und glücklich Über sie geherrscht — warum verlangen sie also 
nach einer Veränderung in der Regierungsforin ? Sie haben so 
viel und so wenig Grund duzu wie zum Abfall von Jahve, der 
ihnen ja uuch nach einer Reihe ruhiger Jahre periodisch zum Be- 
dürfnis wird; es ist der Äuiiiluss ihres inut'rlich heidnischen Wesens. 
So nach Kap. 8 nebst Zubehör, Ganz anders nach Kap. 9 ss. Da 
befindet sich Israel am Ende der Richterzeit nicht auf der Höhe 
von Macht und Glück, sondern im tiefsten Staude der Erniedrigung, 
und gerade im Königtum wird das Mittel der Rettung gesehen. 
Mit diesem Unterschiede hängt ein anderer eng zusammen, be- 
stehend in der Auffassung der Autorität Samuels. In Kap. 8 ss. 
ist er wie in Kap. 7 der Reichsverweser Jahves, mit unbeschränkter 
Vollmacht. Er empfindet die Königsherrschaft als seine eigene 
Absetzung; jedoch rebellirea die Israeliten nicht etwa gegen ihn, 
sondern erbitten sich von ihm selber den König. Er hätte die 
Bitte verweigern, er hätte ihnen einen Herrscher nach seinem Gut- 
dünken geben können, doch als korrekter Theokrat lässt er J&hva 
entscheiden. Zum Schluss t^t er feierlich die bisher von ihm ge- 
führte Regierung nieder und übergibt sie seinem Nachfolger, der nur 
den Titel, nicht aber die Fülle der flacht vor ihm voraus hat, 
eher in letzterer Beziehung, als bloss weltlicher Fürst (l"i, 23 8,), 
hinter ilim zurücksteht, Wie steht es dagegen in Kap. 9ss.? Hier 
ist Samuel dem Sani selber weder dem Namen noch dem Wcd 




lUchttir '^u^l^l>lis null Köuitfe. 



255 



orte nach bekannt, nur der Knecht hat von ihm sagen hüren und 
in seiner Heimat steht er als Seher in grosser Achtung. Was 
man sich anter einem Seher von damals vorzustellen habe, wird 
mit einiger Absichtlicbkeit Itlai- gestellt, indem Samuel nach dem 
Verbleib entlaufener Eselinnen gefragt und ihm dafür ein viertel 
Silberling angeboten wird. Steht nun auch dieser Seher dentlich 
über der Masse seiner Standesgenoaseu, so bleibt doch sein geschicht- 
liches Eingreifen völlig innerhalb der Schranken des auch etwa 
einem Kalchas Möglichen, und lässt von der legislativen und 
exekutiven Gewalt eines Regenten der Theokratie nicht das mindeste . 
merken. Er bringt nicht die Hilfe, er ersieht nur die Hilfe undl 
den Helfer. Gerade das Ereignis, wodurch Samuel nach Kap. 8 a 
von seiner Stellung verdrängt, und in den Hintergrund geschoben | 
wird, begründet hier einzig .seine Bedeutung: das Königtum Saula, 
das zwar nicht sein Werk, aber sein Gedanke ist. Er kündigt 
dem Benjaminiten seine Itestimmung an, als Interpret von dessen 
eigenen Herzensgedanken ('J, 19). Damit ist seine Aufgabe erfüllt, 
seinen Naclifolger in der Regierung zu ernennen hat er keinen 
Auftrag und keine Gewalt. Alles weitere überlässt er dem Lauf« l 
der Dinge und dem Geiste Jahves. der Saul auf eigene Küsse stellen J 
werde. 

Im Hintergründe der beiden verschiedenen Berichte erkennea j 
wir den geistigen Abstanii zweier Zeitalter. Dem vorexilischoD " 
Israel ist das Königtum der Höhepunkt der Geschichte und die 
grosste Segnung Jahves. \'orher ging eine Periode der Unruhe 
and Bedrängnis, wo jeder tat was er woUte und also die Feinde 
leichtes Spiel hatten. Nun wohnt man sicher, geachtet von den 
Nachbaren, und kann im -Schutze staatlicher Ordnung seines Feigen- 
baumes und seines Weiustocks froh werden, Das ist das Verdienst 
der beiden ersten Könige, die Israel von seinen Häubern befreit, , 
ihm Macht und Rulie gegeben haben. Sie werden in dieser Hin- J 
sieht nicht verschieden beurteilt, der eine hat das Werk ange- I 
fangen, der andere es vollendet (I. 9, l(j. 14, 48. II. 3, 18. 19, 10). \ 
Während man friilier in harter Kampfesarbeit nicht zu Atem kam, 
ist nun Zeit anch an anderes zu denken. Noch das Deut^ronomium, J 
das nicht lange vor dem Exil geschrieben ist, betrachtet die vor-J 
königliche Periode nur als eine vorbereitende und nicht für voll I 
zu rechnende Übergangszeit: erst muss Israel selber zu festen I 
Sitzen geliingf und eine gesicherte Existenz gewonnen ba.bun, dajin.l 



Sil« 



fleschichte der Tradition, Kap. 7. 



wird aui^h Jahvc sicii eiüi'n Sitz erwählen mid Ansprüche in bt'zug 
auf den Kultus erheben. Nachdem alier David es dahin gebracht, 
dass das Volk Raum hat nml festjjewtiraelt ist im Boden and 
nicht mohr zittert vor den Feinden, die es von Anfang an und 
alle Tage der Richter in Atem (lehalten haben, ist dann unter 
seinem Nachfolger die Zeit gekommen, den Tempel zu bauen und 
sich höheren Aufgaben hinzugeben. Wie ferne dem hebraiseheo 
Altertum die Vorstellung eines feindlichen Gegensatzes zwis(.rhea 
dem himmlischen und dem irdischen Herrscher lag, ersieht maa 
aus dem Namen des Gesalbten Jahves und aus der prophetischea 
Hoffnung, die auch iur die idente Zukunft den menschlichen König 
nicht entbehren kann. So lebendig wie je einem anderen Volke 
ist es deu alten Israeliten im Hewusstsein geblieben, welcher Dank 
den Männern und der Institution gebühre, wodurch sie aus der 
Anarchie and rnterdiückung zu einem geordneten und wehrfähigen 
Gemeinwesen emporgehoben wurden; die Bucher Samaelis logen 
davon das beredteste Zeugnis ab'). 

In schneidendem Gegensata daau nimmt die Versiou 1. Sam, 7. 
B. 10, 17 SS. 12 ihren Standtpuukt ein. Da ist die Errichtung des 
Königtums nur eine tiefere Stufe des Abfalls. Einen Fort- 
schritt über das mosaische Ideal hinaus kann es nicht geben; 
je weiter man sich davon entfernt, desto grösser ist der Rück- 
schritt. Die kapitale Sünde, einen menschlichen Herrscher auf 
Jahves Thron zu setzen, dient sogar der Richterzeit, die sonst 
auch grau in grau gemalt wird, zur verklärenden Folie; selbige 
erscheint wegen ihres Festhaltens an der Urform der Theokrati© 
in hellerem Lichte, ja gerade zuletzt noch, um den Kontrast zu 
erhöhen, in herrlichem Glänze, Unter Samuels Regimeute war 
alles wie es sein sollte. Fragen wir nun, wie es denn da 
eigentlich war und was es mit der theokratischen Verfassung für 
eine Bewandtnis hat, so erhalten wir darauf freilich keine ge- 

>) lu der Ausschau Bileums iitter die gesegnete Zukunft Israels Nuni. ä3 s. 
haftet aein Blick besoadera auf dem K^piii^tTii nis rinem Kaoplsefi«!!!. 
Im »II gemeinen 23,21: .Jahve sein Goti i-^i mit ilim, tuid Krinissjutie! 
wird laut unter ihm". Mit besonderer l'.ivii Iihfil' .ml Smil :;4. 7: .iiiid 
über Agag Iriiimphirt sein König iioJ mki llii'li .-tiL>;t tuiimr". Auf 
David 24, 17: ,icb sehe ihn obwol nicLt jclü, ii^h =k'iinue ihn of-w.jl 
nicht oahe; aufgebt (ml) ein Stern aus Jakob und eine Rute aus 
Israel, und xerschm eitert die Schlftfun Moabs und den Scheite) aller 
Seltne . . . ., auch Bdoin wird Grobening". liie Tliora und das Königtum 
sind nacli Deut. 33, 4. 5 die beiden gröasteu Gnulengabeit Qotlea.. 




Richter Samuelis und Könige. 257 

nügende Antwort. Man konnte vom Haupte auf den Körper 
zurückschliessen wollen, aber was für einen Begriff soll man sich 
von Samuels Stellung machon? So wie er in diesen Kapiteln 
erscheint, ist er in den Kategorien, die etwa in Frage kommen, 
durchaus nicht unterzubringen; er ist kein Richter, kein Priester, 
kein Prophet, wenn wir den Worten ihre historische Bedeutung 
lassen. Ein zweiter Moses ist er — nun ja, aber das macht uns 
nicht klüger. Deutlich ist nur, dass die Theokratie auf ganz 
anderem Fusse eingerichtet ist als die Reiche dieser Welt, und 
dass es als Abfall zum Heidentum gilt, wenn die Israeliten wie 
andere Völker einen König an ihre Spitze stellen, der Hofleute 
und Beamte, Offleiere mid Soldaten, Rosse und Wagen hält. Sie 
ist demnach ein geistliches Gemeinwesen, wie denn auch der 
geistliche Charakter des Regenten ausser Frage steht. Samuel 
mahnt das Volk vom Götzendienst zu lassen, er steht dem grossen 
Busstage zu Mispha vor, der in der heiligen Geschichte Epoche 
bildet, seinem Bitten und Schreien vermag Jahve nichts abzu- 
schlagen (12, 17). „Es sei ferne von mir, sagt er noch zum 
Abschiede (12, 23), dass ich ablasse für euch einzutreten und euch 
auf den guten Weg zu weisen." Entsprechend haben die Bürger 
der Theokratie die Aufgabe, den Jahvekultus zu pflegen und sich 
der Leitung des Stellvertreters der Gottheit nicht zu entziehen. 
Auf Mittel sich wehrfähig zu machen brauchen sie nicht zu 
denken; w^enn sie fasten und beten und von ihren Sünden lassen, 
so schlägt Jahve die Feinde durch seinen Blitz und Donner zurück, 
und so lange sie fromm sind, lässt er dieselben gar nicht in das 
Land kommen. All der Aufwand, wodurch ein Volk sonst seine 
Existenz sichert, ist dann natürlich überflüssig. Dass diese 
Vorstellung ungeschichtlich sei, vereteht sich von selber; dass sie 
der echten Tradition widerspricht, haben wir gesehen. Die alten 
Israeliten haben nicht von Anfang an eine Kirche, sondern zuei*st 
ein Haus zum Wohnen gebaut; und sie sind überfroh gewesen, 
als sie es glücklich unter Dach hatten (11,15). Aber noch das 
ist zum Schluss hinzuzufügen, dass jene Vorstellung nur in einer 
Zeit entstanden sein kann, welche Israel als Volk und Reich nicht 
mehr kannte und von den realen Bedingungen, die dfizu gehören, 
keine Erfahrung hatte — dass dieselbe mit anderen Worten dem 
exilischen oder nachexilischen Judentume entstammt. Damals war 
aus der Nation eine religiöse Gemeinde geworden, deren Glieder 

Wellbaaten, Prolegomenu. 5. Aafl. X7 



258 Geschichte der Tradition, Ka|i. 7. 

sich um des willen uuf (lis Hauptsache, den üottesdienst and die 
Frömmigkeit, beschränken konnten, weil ihnen die Sorge för die 
weltlichen Angelegenheiten durch die Chaldäer oder die Perser 
abgenommen war. Damals existirte also die Theokralle, and 
von daher wird sie idealisirt auf die Vorzeit übertragen. Aber 
so, dass dabei der materielle l^ntergrond, worauf sie tatsächlich 
rnhte, nämlich die Fremdherrschaft, ignoriil und es hingegen den 
alten Israeliten ajs Heidentum angerocimet wird, dass sie selber 
für ilire äussere Esistenzfähigkeit sorgen, dass sie ein Volk im 
vollen Sinne des Wortes sind und sich als solches mit den 
Mitteln, wie sie die gemeine Wirklichkeit erheischt, zu erhalten 
streben. Dass ilie durch das Königtum geschaffene politische 
Organisation und Central] sation die kultische erst begründet habe, 
dass ihre Kirche nur das verklärte Überbleibsel der Nation sei, der 
Gedanke kam begreiflicher weise den Epigonen nicht — was 
dem Moses gutgeschrieben wird, wird dem Königtum entzogen. 

Noch eins ist hervorzuheben. Die Kapitel 7. 8. 10. ITss. 12 be- 
kunden nicht bloss durch ihre allgemeine Haltung eine nahe Ver- 
wandtschaft mit Jud. 19 — 21, sondern auch durch einen speciellen 
Berührungspunkt. Nnr hier kommt Mispha boi Jerusalem als Ver- 
sanimlnngsstätte Gesamtisraels vor, sonst böreu wir in der ganzen 
Richter- und Königszeit nichts von dem Orte, Erst nach der Zer- 
störung Jerusalems wird er erwähnt und zwar als Mittelpunkt des 
neuen von den Chaldäern eingerichteten jüdischen Gemeinwesens 
(Hier. 40äB.), als Substitut der alten Hauptstadt. In ähnlicher 
Bedeutung erscheint er noch einmal 1. Makk. 3, 46s8., in einer 
Zeit, wo der jeruaaleroische Tempel iji den Händen der Syrer 
und den Juden unzugänglich war. Auf grund von Hier. 40ss., 
ist Mispha vermutlich auch in Jud. 20. 1. .Sam. 7. 10 bestimmt, 
die Stelle Jerusalems zu vertreten, des allein legitimen, damals 
aber noch nicht vorhandonun Heiligtums. Das ist ein weiterer 
Beweis des nachdeuterouomisch -jüdischen Trsprungs dieser Ge- 
schichten, zugleich aber auch ein Merkmal dafür, dass dieselben 
den Priesterkodex, bei aller Hinneigung zu dessen Anschauungen, 
doch tatsächlich noch nicht voraussetzen. Dort vollzieht sieh 
nämlich die Projektion Jerusalems für die vorsalomonische Periode 
in ganz anderer Weise, die .Stiftshütte macht Mispha überflüssig. 
Übrigens ist auch der Ritus des Waaserausgiessens 1. Sam. 7 dem 
Priesterkodex fremd. 




Richter Samuelis und Könige. 259 

3. Sauls Verhältnis zu Samuel, sehr geeignet zu verallge- 
meinernder Betrachtung, hat auch sonst der Entwicklung der Tra- 
dition zum Anhalt gedient. Gehn wir von der Auffassung in 
1. Sam. 7. 8. 12 als unterer Grenze aus, so steht ihr am nächsten, 
w^as 1. Sam. 13 in einer Einlage von Samuel berichtet wird. 
Nachdem Saul in Gilgal von dem Volksheere, womit er Jabes 
entsetzt hat, zum Könige gemacht ist, sucht er sich darunter 
Männer aus, die mit ihm und Jonathan zu Gibea und dem be- 
nachbarten Michraas lagern; Jonathan gibt das Signal zum Kampfe 
gegen den Erzfeind, indem er den Vogt zu Gibea erschlägt. Die 
Philister rücken vor und machen nordwärts von Gibea Halt, nur 
durch ein tiefes Tal davon getrennt. Saul aber, heisst es nun 
plötzlich 13, 7 (vgl. 13, 4), war noch immer in Gilgal und wartete 
sieben Tage auf Samuel gemäss der Frist, die ihm dieser gesetzt 
hatte; aber Samuel kam nicht und die Kriegsleute zerstreuten 
sich. Wie er nun eben selber das Opfer brachte, ohne das kein 
Feldzug eröffnet werden konnte, da kam Samuel und fuhr ihn an. 
Saul rechtfertigte sich sehr triftig: das Volk habe sich verlaufen und 
Samuel sich nicht zur bestimmten Zeit eingestellt, die Philister 
aber seien schon bis dicht vor Gibea vorgerückt, so habe er nicht 
länger warten können das Opfer zu bringen und ihnen entgegen- 
zugehn. Aber Samuel hatte darauf nur die Antwort: „du hast ge- 
fehlt, hättest du Jahves Gebot gehalten, so hätte er dein Königtum 
bestätigt in Ewigkeit, nun wird dein Königtum nicht bestehn; 
Jahve hat sich einen Mann nach seinem Herzen ausgesucht und 
ihn zum Fürsten über sein Volk bestimmt, denn du hast nicht 
gehalten, was Jahve dir befohlen hat". Sprachs und entfernte 
sich, Saul aber zog mit dem Heere von Gilgal nach Gibea. Zu 
Gibea — fährt der folgende Vers (13, 16) dann fort — sassen 
Saul und Jonathan und ihre Leute, als die Philister in Michmas 
sich lagerten. 

Dass der ganze Passus über die Begegnung des Königs mit 
dem Propheten in Gilgal (13, 7 — 15) von späterer Hand eingesetzt 
ist, erhellt aus dem Ortswechsel. Im Anfange der Erzählung be- 
findet sich Saul in Gibea (13, 2. 3) und eben dort suchen ihn die 
Philister auf, deshalb vor dem Orte Halt machend, weil sie hier 
auf die Gegenwehr treffen. Plötzlich wird 13, 7 stillschweigend 
vorausgesetzt, Saul habe sich seit der Königswahl noch immer 
in Gilgal aufgehalten und sei von da gegen die Philister gezogen, 

17* 



260 



si-hirhte ilrr Tra 



die vor Gihea auf ihn warteten. Alier in 13. Iti hat man \ 
den Eindruck, cUss Saul mit den Seinigen längst in Gibea ge- 
sliindeu habe, ab die Feinde gegenüber Lager schlagen: nur so 
versteht sich der fJeifensatK des zustand liehen Partidps (sedentes) 
und des inchoativen Perfekts (castrametnti sunt). Und weiterhin 
verrät sich in der triuiuphirenden Fortsetzung der Erzählung, 
namentlich in Kap. 14, keine Spur, dass jene ominöse Scene 
in Gilgal auf Sauls, des Volkes und des Seh riftstel lere Seele 



Mit den sieben Tagen, die Saul nach 13, 7 — 15 za GilgaJ 
auf Samuel warten soll, wird zurückgegrilfen auf 10, 8, wo der 
Seher dem zukiiuftigen Könige sagt: „du sollst vor mir nach 
liilgal hinahziehen nnd dort will ich dir nachkommen, um die 
Opfer zn briogen; sieben Tage sollst du auf mich warten, damit 
ich dir ansage, was du zu tim liast". Diesem Verse spricht nicht 
bloss der Zusammenhang mit 13, 7^15 sein Urteil. Nach 10, 
1^7 handelt es sich dem Samuel in diesem Augenblicke nur 
darum, das Mistrauen des seine Eseliimen suchenden Benjaioiniten 
zu dem ihm geweissagten hohen Herufe zu überwinden, ihm 
iilauben und Zuversicht eiuzuflössen , Jiber nicht, ihm unveiständ- 
liche A'orschrifteu darüber zu geben, was er, wenn er wirklieb 
König geworden sei, zunäclist tun und wie lange er in Gilgal auf 
ihn warten solle. Den schulmeisterlichen Ton von 10, 8 erwartet 
man am wenigsten gerade nach der unmittelbar vorangehenden 
Äusserung 10, 7: wenn die drei Büi^uhaften eingetroffen seien, 
so solle Saul tun was seine Hand finde, denn Gott sei mit ihm. 
Hiermit wird ihm doch die volle Freiheit des Handelns gegeben, 
und zwar deshalb, weil Gottes Geist in ihm wirkt, der bekannt- 
lich wehet wo er will und sich von keiner Autorität drein reden 
lässt '). 

Die Einlage beruht auf einer älteren Relation über den Bruch 
zwischen Samuel und Saul 1, Sam. 15, in welcher aber auch das 
Opfer die Gelegenheit und Gilgal der Schauplatz ist: nur aus letz- 

') Obrigens ist os klar, dass dor Verfasser von 10,8. 13,7 — 15 unmöjjlicli 
schon in Knp. II d<?a Samuel iu Giljtal vorgefundoti habca kaau, tietor 
er Um in Kap. 13 dortliin kommen läset Dass II, 12— H Nachtrag; ist, 
habun wir bereits gesehen: aber auch in 11,7 muas der Nsme Samuel« 
inturpolirt sein, in iler Tat handelt 11, 15 dns Volk, d. i. das Heer, 
noch im jetzigen Text vullkommen auf eigene Iland. Daraus folgt i 
gleich, dass 10, 8. 13, 7—1.1 SIi.t ist ah Ka|i. T. 8. |(i, 17 ss. l"^ 




Richter Samuelis und Könige. 261 

terem Umstände erklärt es sich, dass Gilgal auch in 13, 7 — 15 
trotz aller Unmöglichkeit als der gegebene und notwendige Ort 
festgehalten wird. Jahve erteilt durch Samuel dem Könige Befehl, 
die Amalekiter zur Strafe für eine vor alters gegen Israel began- 
gene Heimtücke zu bannen und nichts von ihnen übrig zu lassen. 
Demzufolge bekriegt Saul die Amalekiter und schlägt sie, führt 
aber den Bann nicht ganz streng aus, sondern schont des besten 
Viehs und des gefangenen Königs Agag. Daiüber in Gilgal, wo 
man den Sieg vor Jahve feiert, von Samuel zur Rede gestellt gibt 
er vor, die Beute zum Opfer Jahves bestimmt zu haben. Damit 
macht er keinen Eindruck. „Siehe Gehorsam ist besser als Opfer, 
Aufmerken mehr wert als Widderfett; siehe wie Wahrsagerei ist 
das Widerstreben und wie Bilder- und Götzendienst der Ungehor- 
sam : wxil du Jahves Wort verschmäht hast, hat er dich als König 
verschmäht." Der König erkennt seine Schuld und w4il Samuel 
begütigen, der aber wendet sich erzürnt, und da ihn jener fest- 
halten will, reisst der Mantel. „Jahve hat das Reich Israel heute 
von dir gerissen und es einem Besseren gegeben, auch lügt der 
Wahrhaftige Israel nicht und ändert seinen Sinn nicht, denn er 
ist kein Mensch, dass ihn etwas reue." Doch auf die Bitte Sauls 
ihm wenigstens nicht öffentlich vor dem Volke die Ehre zu ver^ 
sagen, nimmt Samuel am Opfer teil und eröffnet es selber damit, 
dass er den Agag vor Jahve zerhaut. Dann gehn sie auseinander 
um sich nie wiederzusehen, Samuel aber trägt Leid um ihn, dass 
Jahve es sich hatte reuen lassen, ihn zum Könige über Israel ge- 
macht zu haben. Mit dieser Erzählung hängt eine andere, dm*ch 
Gegenstand und Behandlung, Gedanken und Ausdruck, auf das 
engste zusammen; die von der Hexe von Endor. Als Saul kurz 
vor der Schlacht, in der er fiel, das Heer der Feinde überblickte, 
befiel ihn Angst und Schrecken. Er fragte Jahve, erhielt aber 
keine Antwort, weder durch Träume noch durch das Ephod noch 
durch Propheten, bis er durch die Not einer dunklen Zunft in die 
Arme getrieben wurde, die er sonst verfolgt und ausgerottet hatte. 
Verkleidet suchte er nachts mit zwei Begleitern eine Toten- 
beschwörerin in Endor auf, und nachdem er sie über die Todes- 
gefahr beruhigt hatte, die ihr durch Ausübung ilu*er Kunst drohte, 
hiess er sie den Samuel citii'en. Wie sie den Geist heraufkommen 
sieht, erkennt sie, dass derjenige, dem er zu einer Unterredung 
entgegengehe, der König selber sei; sie schreit laut auf, lässt sich 



262 Geschichic der Tradition, Kap. 7. 

aber wieik'i' beschwichtigen und beschreibt das Aussehen des Toten. 
Saiil sieht ihn nicht, er hört, ihn nur reden, „AVarmu hast du 
mich in Unruhe gesetzt und mich heraufholen lassen? Jahve tnt 
wie er durch mich gesagt, reisst das Reich von dir und gibt es 
einena andern, weil du seiner Stimme nicht gehercht und seinen 
grimmigen Zorn gegen Ämalek nicht ausgerichtet hast; morgen 
wirst du mit. deinen Söhnen bei mir sein und auch das Heer 
Israels wird Jahve in der Philister Hand übergeben." Bei den 
Worten schlägt Saul so lang wie er ist zu Boden, er ha,tt« tags 
zuvor und auch die Nacht nichts gegessen. Mit Mühe wird er 
bewogen etwas zu sieh zu nehmen; darauf erhebt er sich mit 
seinen Knechten, seinem Geschick entgegen an gehn (1- Sam. 
28, 3—25). 

Vei^leichen wir mit diesem Original die Kopie 13, 7 — 15, so 
fallt zuvörderst die Verschiebung des Bruches auf, Kanm König 
geworden wird Saul sofort abgesetzt, gleich auf dem Fleck, zd 
Gilgal. Und auf was für Gründe hin? Samuel hat ihm ganz 
willkürlich eine Wartezeit gesetzt, erst nachdem sie veratrichen 
ist, trifft Saul Anstalten zum Abmarsch, zu dem die Not zwingt., 
nnd darum wird er verworfen! Offenbar ist jener von vornherein 
von der Stimmung gegen ihn beseelt, die der legitime Fürst dem 
Usurpator gegenüber hat; er hat es darauf angelegt einen Aulass 
zu finden, um sein Verhältnis zu ihm in das klare zu bringen. 
Genau genommen hat er freilich den Anlass doch nicht gefunden, 
da ja die Frist eingehalten ist; aber unausgesprochen steht cUe 
Meinung im Hintergründe, dass der König nicht bloss vor Ablauf 
der sieben Tage, sondern überhaupt nicht opfern dürfe; sein Opfern 
wird als Raub am Heiligen angesehen. Da taucht die autonome 
Theokratie vor unsern Augen auf, an die vor Ezechiel niemand 
gedacht hat; wir werden erinnert an die Erzählungen der Chronik 
über Joas und Uzzia. Bei aller Ähnlichkeit des Inhalts ist doch 
der Geist von 1. Sam. 15. 2Ö ein wesentlich anderer und älterer. 
Nicht mit so rasender Eile erfolgt hier die Verwerfung, man ge- 
winnt nicht den Eindruck, dass Samuel sich freut, den König von 
der Hand schlenkern zu können. Er ehrt ihn vielmehr vor dem 
Volke, er trt^ Leid, dass Jahve ihn verschmäht hat; Saul, der 
ihn im Leben nicht mehr schaut, wendet sich in der höchsten 
Not noch an den Toten: er hält ihn nicht für seinen bösen Feind, 
Während ferner dort der König sich versündigt, indem 




Richter Samuelis und Könige. 263 

Heiligkeit des Opfers und die Unnahbarkeit des Altars für die 
Laien nicht gebührend achtet, so wird ihm hier vorgeworfen, dass 
er dem Opfer einen viel zu hohen Wert beilegt. Dort handelt 
endlich die Gottheit und ihr Stellvertreter mit absoluter Willkür, 
stellt sich mit unbegreiflichen kleinlichen Geboten schroff dem 
Menschen gegenüber, fordert ihn zum Widerspruch heraus; hier 
ist das Auftreten Samuels, wenn man den Bann als Volkssitte 
voraussetzt, motivirt, sein Wesen nicht von Geist entblösst, er be- 
ruft sich nicht auf seine ünverantwortlichkeit, sondern auf die 
moralische Evidenz, dass Gehorsam besser sei als Widderfett. 

Freilich gehören auch die Kapitel 15 und 28 nicht zum Stock 
der Überlieferung. Bei 1. Sam. 28, 3 — 25 ist es leicht, die Ein- 
schiebung aufzuzeigen, denn der Faden von 28, 1. 2, herkommend 
von Kap. 27, wird 29, 1 fortgesetzt; nach 28, 4 sind die Philister 
schon zu Sunem in Jezreel, nach 29, 1 noch zu Aphek in Saron, 
von wo sie erst 29, 11 nach Jezreel aufbrechen. Um in bezug 
auf 1. Sam. 15 das gleiche zu zeigen, könnte man sich darauf be- 
rufen, dass zwischen 14, 52 und 16, 14 direkter Anschluss be- 
steht — aber das ist etwas umständlich zu beweisen. Es genüge 
also, dass in der vorhergehenden Geschichte Sauls der Amalekiter- 
krieg in einem ganz anderen Lichte erscheint (9, 1 — 10, 16. 
Kapp. 11. 13. 14 vgl. auch Num. 24). Die Veranlassung dazu ist 
nach 14, 48 den Bedürfnissen der Gegenwart entnommen und der 
Zweck der sehr praktische „Israel von seinen Räubern zu be- 
freien"; keine Rede davon, dass der Feldzug um eines religiösen 
Gebotes willen unternommen sei, um die Amalekiter für eine 
längst verjährte Schuld zu strafen, über die man nur aus den Ge- 
schichtsbüchern über die mosaische Zeit Bescheid wusste. Beide 
Erzählungen, Kap. 15 sowol als Kap. 28, sind Vorspiele der fol- 
genden Begebenheiten. Mit Kap. 16 tritt David auf den Schau- 
platz, ist sofort die Hauptperson und drängt Saul zur seite: in 
Kap. 15 wird diese Wendung prophetisch eingeleitet. Die Tat- 
sache war überliefert, dass Saul von Jahve zum Könige ersehen 
war. Wie ist es denn möglich, dass seine Hen'schaft trotzdem 
keinen Bestand hatte? Jahve, der sonst seinen Sinn nicht ändert, 
hat sich in ihm geirrt; Samuel, der den König berufen hat, muss 
zu seinem gi-ossen Schmerz ihm nun auch das Urteil der Verwer- 
fung sprechen. Die Gelegenheit, bei der er es tut, ist augen- 
scheinlich historisch, nämlich die Siegesfeier zu Gilgal, wobei als 



2f'>4 Gesctichte der Tradition, Kap. 7. ^^H 

vornehmstes Opfer der gefangene Führer der Ainalekiter setbi^l 
dargebracht wurde. Uas Opfer Agags, der späteren Sitte völlig 
fremdartig, mag zu der Deutung Anlass gegeben haben, dass Saal 
den Kunig geschont, Jahve aber seinen Tod verlangt und ihn 
dnrch Samuel am Altare habe zerhauen lassen. Daraus lässt sich 
leicht das übrige entspinnen, naher auf das Wie eiaingehen, ist 
nbertlässig. Zu Kap. K» verhält sich weiter Kap, 28. wie zur 
ersten Stufe die zweite. Es branclit nicht nachgewiesen zu werden, 
dass hier Sauls l-'all im tetüten Kampf gegen die Philister seinen 
prophetischen Schatten vorauswirft. Dass er sich au die Hexe 
wendet, um den abgeschiedenen Samuel zu beschwören, gibt einen 
höchst wirksamen Eindruck von der Tiottverlasgenheit, worin er 
sich befindet, seit jener von ihm sich abgewandt. Die allgemeine 
Färbung endlich wird dem Gegensatze zwischen Samuel und Saul 
hier verlieben durch das Verhältnis der Propheten zu den Königen, 
wie es sich besonders im Reiche Samarien (1. Fieg. 14, 7) aus- 
gebildet haben muss. Es bt klar, dass unsere Erzählungen in 
der Auffassung dieses Verhältnisses den prophetischen Standpunkt 
einnehmen, wie sie denn auch nach den lehrhaften Ideen, die darin 
ausgesprochen werden, als prophetische Konceptiouen angesehen 
werden müssen. 

4. David ist der erste judäische Held, dorn wir begegnen: 
er stellt sogleich alle übrigen in den Schatten. Ober seine Taten 
besitzen wir zwei ausführliche und zusammenhangende Schriften, 
die sich gegenseitig ergänzen. In I. Sam. 14, 52 — 2. Sam. 8, 18 
«'ird zunächst umständlich erzählt, aof welche Weise David aof 
den Thron gelangt sei, sodann folgt seine Haupttat als König, die 
Demütigung der Philister imd die Gründung Jerusalems, worauf 
mit einer kurzen Obersicht über das sonst noch Itemerkenswerte 
abgeschlossen wird. Der Bericht ist nns vollständig erhalten, nnr 
nicht in seiner reinen Form, sondern vielfach durchbrochen nnd 
überarbeitet. Die zweit« Schrift 2. Sam. 9 — 1. Reg. 2 ist am An- 
fange verstümmelt, sonst jedoch fast völlig intakt, wenn man 
2. Sam. 21 — 24 heraushebt. Sie erzählt vorzugsweise die Vor- 
gänge am Hof na Jerusalem aus den späteren Jahren des Königs 
nnd verfolgt dabei mit besonderem Interesse, wie Salomo, von 
dessen Gebnrt und deren l'mständen gleich aui'angs die Rede ist, 
über seine vor ihm stehenden Brüder Amnon Absalom Ädonia 
hinweg auf den Thron gelangt. Beide Schriften zeichtien sich i 




Richter Sainuelis und Könige. 265 

durch ihren wesentlich historischen Charakter. Die Darstellung 
ist weit eingehender und nicht von fern so poetisch wie in der 
Geschichte Sauls 1. Sam. 9ss., Übertreibungen wie 14, 46ss. 
kommen nicht vor. Den Vorzug verdient 2. Sam. 9ss. In den 
Hergang der Begebenheiten, die natürlichen Anlässe und mensch- 
lichen Motive der Handlungen gewinnen wir da vielfach einen 
recht tiefen Einblick, wenngleich der Standpunkt ein beschränkt 
jernsalemitischer ist und beispielsweise die eigentlichen Gründe des 
Aufstandes der Judäer unter Absalom kaum berührt werden. Die 
Begeisterung für David hat wol auch hier die Feder geführt, 
aber seine Schwächen werden nicht verschwiegen, die wenig erbau- 
lichen Verhältnisse seines Hofes getreu berichtet, die Palastintrigue^ 
durch die Salomo auf den Thron gelangte, mit einer beinah bos- 
haft scheinenden Unbefangenheit vorgetragen. Die erste Schrift 
1. Sam. 16 — 2. Sam. 8 erzählt nicht so eingehend, gibt aber den 
Zusammenhang nicht minder strenge und beruht auf nicht viel 
schlechterer Information. Der Parteistandpunkt tritt dadurch 
stärker herv^or, dass David in biographischer Weise seit seinem 
ersten Auftreten zum Helden der Geschichte gemacht wird, wäh- 
rend doch noch König Saul sie eigentlich beherrscht und bewegt. 
Aber zur Umdichtung der Tatsachen hat die unvermeidliche ju- 
däische Sympathie schwerlich geführt, überhaupt nicht anders und 
nicht stärker eingewirkt, als sonst das lokale Interesse für den 
iStammhelden, von dem aus ursprünglich immer erzählt worden 
ist. Doch gilt dies Lob von' 1. Sam. 16ss. nur, sofern der ur- 
sprüngliche Bestand in Frage kommt. Anders steht es mit den 
gerade hier sehr zahlreichen Einsätzen, welche dem älteren Zu- 
sammenhange sich anschmiegen oder auch wol eine Neubearbei- 
tung an stelle eines echten Gliedes desselben treten lassen. Hier 
hat die Idealisirung des Gründers der judäischen Dynastie schöpfe- 
risch gewirkt, hier finden wir für die Geschichte der Tradition, in 
dem rohen Stil wie sie vor der Hand allein ausführbar ist, reiche 
Ausbeute. Vor allem den Anfang der ersten Schrift hat die spä- 
tere Sagenbiidung überwuchert. 

David, als tapferer kluger und redegewandter Maim bekannt, 
empfohlen zugleich durch sein Saitenspiel, kam an des Königs 
Hof und ward sein Waffenträger (16, 14 — 23). Im Kampfe gegen 
die Philister bewährte er sich so, dass Saul ihn von Stufe zu 
Stufe erhob und ihm seine Tochter zum Weibe gab (18, 6s8.). 



266 



Geschicltte der Tradition, Eap. 7. 



» 



Aber das Glück und der Ruhm des Jodäers inachten i 
gächtiß uiid in einem Anfall der Manie, der er auch iiaeli 10, 10 
ausgesetüt war, warf er nach Da\-id, der durch sein Saileuspiel 
den bösen Geist zu verscheuchen suchte, mit der Lanze (19, 9. 10). 
Da jener im Einverständnis mit Jonathan es für geraten hielt zn 
entweichen, so bestätigte das des Könif^ Argwohn, dem zunächst 
die Priester von Nob zum Opfer fielen, weil ihr Oberhaupt David 
mit Brod versorgt und das Orakel für ihn befragt hattp (21, 2 — 7. 

22, ti— 23). Den Flüchtigen selber bekam Sau! nicht iji die 
Hand, er scharte sein Geschlecht und andere verzweifelte Gesellen 
um sich und ward ihr Anführer in der Wüste Jnda (22, 1 — ö. 

23, 1—13. 2ö, 2ss). Um den sich wiederholenden Verfolgungen 
Sauls zu entgehn, trat er endlich auf das Gebiet der Philister 
über und erhielt von dem Fürsten Achis die judäische Stadt Siklsg 
zu Lehen (27, Iss.). 

Dies der Anfang der Geschichte Da\'ids nach dem einfachen 
Faden <ler alten Erzählung. Znsatz ist zunächst die Legende von 
dem Kampfe des Hirtenknaben gegen Goliath 17, 1 — 18,5, welche 
gleichmässig nach vorn nnd hinten anstösst. Denn nach 16, 14 — 33 
war David, als er mit Saul in Berührung kam, nicht ein des 
Waffenhandwerks unkundiger Fant, sondern, „ein streitbarer Kriogs- 
held, verständiger Itede und von stattlichem Ansehen", und nach 
IH, 6 sangen die Weiber bei der siegreichen Heimkehr des Heeres: 
Sani hat des Philisters Tansende geschlagen und David seine My- 
riaden — letzterer also war neben «fem Könige der Führer Israels, 
ein erprobter und bekannter Mann. Augenscheinlich mnss zwischen 
16, 23 und 18. G ursprünglich etwas ganz anderes gestanden haben. 
Mit der Geschichte von Goliath 17, 1— IB, 5 TälU nun aber aus 
ähnlichen Gründen auch die von der Salbung DaWds 16, 1 — 13, 
die von jener abhängig (16, 12. 17, 42) ist; und anf diese Weise 
entsteht, da wir Kap, 15 bereits als sekundäres Erzeugnis kennen 
gelernt haben, der nötige Anschlnss von 14, ■'J2 mit 16, 14. In 
18, Gss., wo über die Entstehung der Eifersucht Sanis gehandelt 
wird, fehlen mehrere der störeudsten Erweiterungen noch in der 
Heptuaginta, namentlich der erste Speerwurf (IS, 10. 11) und die 
Verlobung mit Merab (18, 17 — 19). Am buntesten kreuzen sich 
die Einschläge in dem Bericht über den Ausbruch der Feindschaft 
Sauls und über Davids Flucht, Kap. 19. 20. Das Stück 19, 1—7, 
sehr unmotivirtes Machwerk, verrät durch die Bekanntschaft j 





Richter Samuelis und Könige. 267 

Kap. 17 seinen späteren Ursprung; erst mit 19, 9 beginnt die Fort- 
setzung von 18, 29» (Sept.). Nach Sauls Speerwurf 19, 8 — 10 ent- 
flieht David zum ersten mal, ist aber v. 11 doch noch zu Hause 
und entflieht mit Hille weiblicher List v. 12 zum zweiten male, 
zu Samuel gen Rama, um indessen in Kap. 20 nach wie vor in 
Gibea zu erscheinen. Es fällt dem Könige auf, dass er nicht zur 
Tafel kommt; Jonathan versichert ihn der Gewogenheit seines 
Vaters, an der David allerdings zweifelt ohne jedoch vom Gegen- 
teil deutliche Beweise zu haben. Nachdem der tödliche Hass des 
Königs konstatirt ist, macht Da\dd nun endlich Ernst mit der 
Flucht; in Kap. 21s. finden wir ihn auf dem Wege über Nob 
nach Juda, doch weicht er 21, 11 noch einmal von frischem von 
dem Angesichte Sauls. Es verateht sich von selbst, dass in der 
Wirklichkeit und in der ursprünglichen Erzählung die Flucht nur 
einmal geschehen und gleich von vornherein nach der Zuflucht, 
d. h. nach Juda, gerichtet gewesen sein muss. Das genügt, um 
über 19, 11 — 24 den Stab zu brechen; das 20. Kapitel ist wenig- 
stens in seiner jetzigen Gestalt im Zusammenhang unmöglich; in 
Kap. 21 sind v. 8 — 10 und v. 11 — 16 auszuscheiden. Auch in 
dem Abschnitte über Davids Freibeuterleben Kap. 23 — 27 finden 
sich bedeutende Nachträge; nämlich ausser 27, 7 — 12 besonders 
die Begegnungen Davids mit seinen Verfolgern, in zwei Versionen, 
von denen die eine 26, 1 — 25 wegen v. 19 vor Kap. 27 eingesetzt 
ist, die andere 23, 14 — 24, 23 vor Kap. 25, um eine zu nahe 
Kollision zu vermeiden. Da beide vielerwäi-ts wörtlich überein- 
stimmen, so wird man Recht haben, die kürzere und motivirtere 
Fassung Kap. 26 für die Grundlage anzusehen. Dass aber auch 
Kap. 26 nicht dem echten Stocke angehört, ergiebt schlagend die 
Folge 26, 25. 27, 1. Die Einschiebung der Zusätze ist übrigens 
natürlich nicht ohne allerlei Redaktionsänderungen im älteren Stoffe 
abgegangen; vgl. z. B. 16, 14. 

Obgleich von der selben Wurzel ausgehend, sind diese Wuche- 
rungen doch keineswegs gleichartig und gleichstufig. Zum teil 
sind es volkstümliche Sagen und unabsichtliche Dichtungen. So 
die Geschichte von der Michal, die es gegen ihren Vater mit 
ihrem Manne hält, ihn abends am Seile dmxh das Fenster lässt 
und die Häscher eine Weile hinhält, indem sie vorgibt, David 
sei bettlägerig, und ihnen den Hausgott vorweist, den sie auf das 
Lager gepackt und unter die Decke gesteckt hat (19, 11 — 17). Von 



5C8 



Gescliiclite der Tradition, Kap. 7, 



I 



etwas andeiüc l'arbe aiud die BogegDuugssceiieii zwiatheii Smil | 
David; doch Int die Überzeugting, dass letzterer der König der Zn- 
kuuft soi, der Anerkennung des erstereu ak des wirklichen Königs 
und Gesalbten Jahves keinen Kintrag; auch erscheint 8aul nicht 
bösartig, sondern verblendet. lu der sekuudären Vereion 23, 14sfl. 
kommt, abgesehen von der ganz posthnmeu EiDi^chaUuug zwischen 
23, 15 und 23. 19, zu den rührenden Motiven ein gattnütiger 
Scherz hinzu, wie nämlich die beiden um einen Berg heram 
Hasehen spielen, der davon den Namen hat. Als religionsgeschicht- 
liches Kennzeichen für das Alter dieser Erzählungen kommt einer- 
seits die unbefangene Erwähnung des Gottesbildes im llaase Davids 
in betracht, andererseits die Äusserung 26, 19: ^wenn Jahve dich 
gegen mich reizt, so möge er Opfer riechen, wenn es aber Men- 
schen sind, 90 seien sie verflucht vor Jahve, dass sie mich jetzt 
vertrieben haben aus der Gemeinschaft im Lande Jahves und mich 
zwingen, fremden Göttern zu dienen". Es ist vielleicht nicht zn- 
fällig, dass letztere Aussemng in dem Parallelbericht fehlt nnd 
dafür eine förmliche Huldigung liinitugekommen ist, die Saul znm 
Schlüsse seinem destinirten Nachfolger darbringt. Was die Er- 
ziildung von Goliath anlangt, so ist sie zwar auch harmlos, aber 
von einer viel specifischeren religiösen Färbung, Bezeichnend in 
dieser Hinsicht ist die Rede, mit der Da\id dem Riesen ent- 
gegen geht 17, 4Ö3S.: „du kommst zu mir mit Schwert und 
Speer, ich komme zu dir im Namen Jahwes lier Heerscharen, 
den du geschmäht; heute wird er dich in meine Hand übergehen, 
dass alle Welt erfahre, dass Israel einen Gott hat und dass diese 
Versammlung ("pHpH = das Heer) wisse, dass nicht durch Schwert 
und Speer Jahve hilft, denn sein ist der Streit". Das nähert eich 
der geistlichen Sprache der nachdeuteronomischen Zeit, Nach 
2. Sam. 21, 19 ist Goliath von Gath, dessen Speerschaft dick war 
wie ein Webebaum'), nicht in den Philisterkriogen Sauls, sondern 
seines Nachfolgers aufgetreten und nicht von einem Hirtenknaben, 
sondern von einem Krieger aus Bethlehem, namens Elhanan, erl^ 
worden. 

Diis Thema David und Jonathan hat ohne Zweifel geschicht- 

') Dieser Aiudmck kommt 1. Siwi. 17 wieder vor uud tieweist die Alih&agig- 
keit dieser Legende vou 2. äam. 31. i3, einer Zusanimeiiatelhmg tod 
HcldenoDekdoten aus den Philistcirkriegen Davide im echtfin knrava volks- 
tömlichen Tod. Vgl. oben p. 177 zu 1. Chr. 20, 5. 




Uirlitir Snmiiciis iinil K'mige. 269 

liehen Grund, findet sich jetzt aber nur in sekundären Ansffth- 
mngen bi'handelt. Als solrhe hiit man iiucfi dii- Erzählung über 
den Abschied Kap. 20 anzusehen. Jedoch seheint dieaelbt; auf 
eine ältere (Irundlage zurückzugehn, welche wol dem Zusammen- 
hange der arspmnglicben Schrift angehört haben könnte. Nämlich 
jder Pfeilschiiss hat nur dann Bedeutung, wenn eine Unterredung 
wischen den beiden Freunden nicht stattfinden kann. Da sie ja 
d}er zusammenkommen und &ei her.Tn88RgeD was sie auf dem 
ISerzen haben, so ist jenes stumme Zeichen nicht bloss überllussig, 
»ndern auch unverständlich und sinnlos. Wenn aber gerade der 
I meisten charakteristische Zug nicht in die gegenwärtige Physio- 
puomie der Erzühlung passt, so heiast das mit anderen Worten, 
( sie nicht in der wahren Form erhalten ist. Ursprünglich hat 
Banathan lediglich den l'feil abgeschossen und seinem Knaben zu- 
ienifen, wo er liege; und David, in der Nahe des Schiessplatzes ver- 
teckt, hat aus dem Zuruf das verabredete Signal entnommen. Mit 
lem Zuruf, der l'feil liege näher nach ihm zu oder weiter von ilim 
Ireg, forderte Jonathan scheinbar den Knaben, in Wahrheit den 
lud auf, entweder zu ihm heranzukommen oder von ihm weg 
[ehn. Zum Zwiegespräch sind die beiden in tlem zweiten Fall, 
Her bekanntlich in Wirklichkeit eintrat, nicht gekommen; der 
Inenreiche Abschied fällt also fort und mit ihm auch vorher die 
ichen Stil gelialteneii sentimentalen Reden, in denen .lonathan 
ieiuem Vater tatsächlicli Hecht gibt, doch aber auf das ent- 
hieden&te Partei nimmt für David, dessen nicht achtend, dass 
r ilm selber vom Erl>e verdrängen wird^). 
Tendenziös im schlimmen Sinne ist Kap. lä,6ss., auch ab- 

') Nur io einor Hinsicht kgrt er «einer Selbstverleugnung Scbraulien an; 
er I&sst sieh von dem knnftigen Könige feierlich verDär|jen, diLS» er 
seine Familie achoneu n-erde. Hier liegt ein Interesse aus der Gegen- 
wart des Erziiilers zu gründe. Die orientalische Sitte, dnas der neu« 
Kepnl die Torh ergeh ende Dynastie ausmordet, hat Duvid nicht syste- 
matisch befolgt und insonderheit tu gimslen eines hiiilerl asseneu Sohnes 
des Jonathun eine Ausnahme gemacht. „Mein ganies Geschlecht — 
sagt Meriboal II 19, 29 — war meinem Herrn Erinige zu Tode verfallen, 
du aber hast mich an deinen Tisch gesetzt, wag hsbe ich also für ein 
Recht, mich (auch aber Ungerechtigkeiten] zu beklagen!" Dieser Sohn 
JonaÜiaus aber ist der .Vhn einer jerusaleraücbau Familie gewurden. 
die bis über da* Exil hinaus geblüht hat. — -Vllere Züge in 1. Sam. 20 
SJnd die Wichtigkeit des Neumondes, das Familienopfer zu Bethlehem, 
vielieicht der Stein b^Ü '^^il, mit dem es keine ganz legitime Bc- 
waudlnis mi haben scheint, da der Name zweimal so soüdcrliar ver- 
derbt ist. 



270 Geschichte der Trsilition, K»p, 7. 

gesehen von diin Zusätzen des masorethischen Textes. Hier wi(i( 
die Feindachuft Sauls gegen David gleich in die ersten Anianu:« 
ihres Verhältnisses zurückgetragen und die Freundschjift selber 
als heimlicher Hass dargestellt. Alle die Ehren, womit der König 
seinen Waffenträger überschüttet, werden als Mittel deuselben za 
beseitigen gedeutet; zu seinem Eidam soll er ihn unr deshalb 
gemacht haben, um durch den verlangten Preis für seine Toditer, 
die hundert Vorhäute der Philister, ihn tödlicher Gefahr ausea- 
setzen. Für den Zusiimmcnhang ist 18, 6ss. nicht zu entbehren, 
aber zugleich steht fest, dass die giftige Betrachtungsweise Zeichen 
späterer Bearbeitung ist. Denn Saul begeht liier seine Perfidien 
im Einverständnis mit seinen Knechten, denen also dadurch seine 
Gesinnung gegen David bekannt geworden sein musste, aber der 
alte Eraähler nimmt im Gegenteil an, dass der ilasa plötzlich zu 
tage gekommen sei und dass bis dahin David bei allen für den 
beüebteslen der Diener des Königs gegolten habe. Vgl. 21, 2. 
22, 14 s.. um von Kap. 20 abzusehen. Xur dies entspricht auch 
der Natur Sauls, wie sie sonst überall geschildert wird. 

Auf der tiefsten Stufe der Korruption steht die Überlieferung 
charakteristischer weise in den beiden eingesetzten Erziihlnngeu. 
in denen Samuel in das Leben Dands hineinragt. Nach Ü9, 
18—24 flieht David zn dem Alten gen Rama in die Propbeten- 
schule, Saul sendet ihm Häscher nach, aber wie diese in die Nähe 
•Samuels kommen und ihn einen Haufen ekstatisclier Enthusiasten 
kommandiren sehen, werden sie auch von der Haserei ergrifTeu, 
und den zweiten und dritten Boten, die .Saul absendet, ergeht es 
nicht besser. Saul muss endlich selber kommen, aber auch er 
wird in den Wirbel gezogen, wirft die Kleider von sich und t^tnzt 
vor Samuel und DaWd, die allein nüchtern der bacchantisi^hen Ge- 
sellschaft zuschauen, bis er nmfällt und nackt wie er ist einen 
ganzen Tag und eine ganze Nacht liegen bleibt — daher das 
Sprichwort: „ist auch Saul unter den Propheten?" Aber ilass 
David, wenn er floh, auch gleich Im Ernst nach Juda und nicht 
erst zum Spass gen NoMen nach Rama Höh, liegt ebenso auf der 
Hand, wie dass es ein starker Misbniuch ist, den Geist der Pro- 
phetie fremden Zwecken dienstbar zu machen und ihn so bloss 
zum persönlichen Schatze Davids aufzubieten, der gar nicht nötig 
gehabt hätte, in Rama auf Saul zu warten und ihm dort ein 
Schnippchen zn schlagen. Unsere ErzälJnng, welche 




Richter Samuelis und Könige. 271 

fasser von 15,35 noch unbekannt ist, geht zurück auf das ange- 
führte Sprichwort, dieses wird aber anderswo (10, 12) in einem 
weit edleren Sinne erklärt, und man kann sich des Verdachtes, 
hier mit einer frommen Karikatur zu tun zu haben, um so 
weniger erwehren, da ja die Pointe jedenfalls die ist, dass Samuel 
und David sich an der Schande des nackten Königs weiden. Für 
die allgemeine Geschichte der Tradition ist der I^mstand am inter- 
essantesten, dass Samuel hier zum Haupt einer Prophetenschule 
geworden ist, deren Übungen er leitet. Nach der ursprünglichen 
Vorstellung (Kap. 9. 10) tritt er einzeln für sich auf und hat mit 
den Banden der Ekstatiker, der Nebiim, nichts zu tun. Er ist 
Roe, Seher, kein Nabi, Prophet. Zwar wird in der Glosse 9,9 
behauptet, beides laufe auf eins heraus, was gegenwärtig Nabi 
heisse, sei ehedem Roe genannt. Aber das ist nicht ganz richtig. 
Der Verfasser von Kap. 9. 10 kennt auch den Namen Nabi sehr 
wol, aber er gebraucht denselben nie für Samuel, sondern nur 
pluralisch für die Haufen jahvetrunkener Den^ische; in einer ganz 
anderen Bedeutung wie Roe und auch in ganz anderer Bedeutung 
als wie Jesaias und Jeremias den Titel Nabi führen'). Man 
kann nicht daran zweifeln, dass diese unterschiede historisch be- 
gründet und erst hinterher allmählich zusammengeflossen sind, 
dass also Samuel als Seher nicht zu einem der Flagellanten zu 
erniedrigen ist. 

Da Davids Flucht zu Samuel eine frühere Beziehung zu ihm 
voraussetzt, so scheint 19,18s. auf 16,1 — 13 zurückzusehen. In 
diesem Stück fängt David seine Laufbahn gleich damit an, dass 
er als Hirtenknabe, der in der Familie noch gar nicht mitgerechnet 
wird, von Jahves wegen an Sauls statt zum Könige gesalbt wird. 
Aber nachher ist davon keinem etwas bekannt; selbst in der Er- 
zählung von Goliath, die sonst noch am ehesten mit 16, 1 — 13 auf 
gemeinsamem Boden steht, wissen die älteren Brüder — hier drei, 
nicht sieben — nichts von der Salbung des Jüngsten, obwol sie 
dabei gewesen und selbst in Frage gekommen sein sollen (17, 28). 
Ebenso ist in den Verfolgungsgeschichten Kap. 24. 26 nur Saul die 
geheiligte Persönlichkeit, der Gesalbte Jahves, nicht David; der 
•Glaube, dass letzterer von Jahve zu hohen Dingen ersehen sei, ist 



^) Diese müssten allerdiujifs nach dem Sprachgebraiiclie von 1. Sam. 9 s. 
eher Roe heisseu, und darin liegt die BerechtijLTuug der Glosse 9, 9. 



^72 GescMchte der Traditiou, Kap. i. ^^^H 

etwRs amlereir a\s dje Tatsaclie geiner bereits vulizn^neu 'Siill>n|H 
Weiiu endlich die Folge bedingt ist von der Ursache, so zieht sich 
Samuel uach 15,35 nicht bloss bis an seinen T'>d v<in Saul zn- 
riick, sondern er trägt auch Lei<l um ihn big an seinen Tod. Es 
ist ein harter Übergang, weim es 15,35 heisst: „Samuel sah Saul nie 
wieder bis an seinen Tod, weil er über ihn trauerte", und dann 
llj, 1 fortgefahren wird: „und Jahve sprach zu ihm: wie lauge 
willst du über Sani tranern, da ich ihn doch verworfen hab«". 
Deutlich aber erhellt, da^ die Einsetzung des Nachfolgers eine er- 
txanzende Konsequenz der Absetzung des Vorgängers ist. 

Zugleich ist die Salbung Davids durch Samuel das Gegen- 
stück zur Salbung Sauls durch Samuel, wie das besonders der 
Vergleich von 10, G. 11,(5 „und der Geist Gottes sprang auf Sau!" 
und Iß, 13, 14" „und Jahres Geist sprang auf David und von Saut 
wich er" lehrt. Dort nun ist die Theopneustie ein momentanes 
Überschäumen, hier (trotz des Springens) eine ruhende Eigenschaft; 
schon allein dieser Unterschied lässt keinen Zwoifel darüber, wo 
das Original und wo die Imitation zu suchen ist. Auf eine gött- 
liche, d. h. übeiTascheude und ideale Weise ist nach der alten 
Tradition bloss Sani König geworden, David auf einem recht laug- 
samen menschlichen Wege und durch viele Zwischenstufen. Bloss 
von Saul erzählte man uisprüngllch, dass der plötzliche Ausbruch 
des Geistes, wodurch er, unberufen wie er war, den Heerbann 
Israels aufbot, sich an die Spitze stellte, die Ammoniter schlag und 
König wurde, im stillen vorbereitet sei durch einen alten Seher, 
der seine grosse Bestimmung deutete und ihm Zuversicht zu sich 
selber einllösste, indem er ihn heimlich im Namen Jahves salbte. 
Von David wusste man nur, wie er sich dorch eigene Kraft vom 
Kriegsmann zum Bandenfülirer, vom Bandenfiihrer znm philisth&i- 
schen L^husfürsten von Siklag und Juda, vom Lfhnsfürslen zum 
onabhangigen onil mächtigen Könige Israels aufgescliwnngen habe: 
gesalbt wurde auch er, aber nicht zum voraus von Gott, soudem 
hinterdrein von den Ältesten von Juda und Israel. Diesen seitieu 
menschlichen Ursprung, seinen Abstand gerade in bezug auf gött- 
liche Weihe von dem \'organger, dessen Heich Jahve liiiiterdrein 
faktisch doch nicht bestätigt hatte, konnte eine spätere Zeit nicht 
auf ihm sitzen lassen; er musste mindestens eben so gut wie jener 
lue Salbung von Samuel empfangen haben. Dies ist denn also 
durch die Legende 16, 1 — 13 nachgeholt worden. Ein ; 




Richter Samuelis und Könige. 273 

weiter auf der abschüssigen Bahn ist es, dass in der judaistischen 
Version 10, 17ss. von Sauls Salbung stillgeschwiegen wird. 

AVir kommen auf Samuel zurück, von dem das Buch Samuelis 
den Namen hat und der in der Tat zwar nicht für die Geschichte 
selber, wol aber für die Geschichte der Tradition von solcher Be- 
deutung ist, dass seine Gestalt als Gradmesser für den Stand der- 
selben benutzt werden kann. Vier Stufen lassen sich in seiner 
Auffassung unterscheiden, ursprünglich (9, 1 — 10, 16) ist er ein 
einfacher Seher, jedoch zugleich ein patriotischer Israelit, dem die 
Not seines Volkes zu Herzen geht und der seine Autorität als 
Seher benutzt, um einem Manne, den er als geeignet erkennt, in 
(las Ohr und in den Sinn zu setzen, er sei zum Helfer und Führer 
Israels bestimmt. Diese Beziehung zwischen Seher und Krieger 
ist, wenn überhaupt Samuel irgend etwas bedeuten soll, notwendig 
als historisch festzuhalten; ähnliche Beispiele hat man in Debora 
und Barak aus älterer, in Ahia und Jerobeam und namentlich In 
Elisa und Jehu aus späterer Zeit. Samuels Grösse ist, dass er den 
erweckt hat, der nach ihm kommt und grösser ist als er; er ver- 
lischt nachdem er das Licht entzündet, welches nun in hellem 
Glänze brennt. Sein meteorisches Auftauchen und Verschwinden 
hat aber Ven^underung erregt und früh zu einer Jugendgeschichte 
geführt, w^o er schon als Knabe den Zusammenbruch des vorkönig- 
lichen Israels vorausverkündet (1. Sam. 1 — 3). Nachdem er das 
getan, schlägt jedoch das Dunkel \iieder über ihm zusammen; schon 
in Kap. 4ss. verlieren wir ihn völlig aus den Augen und erst als 
(rreis treffen wii* ihn wieder. Auf der anderen Seite hat der Um- 
stand, dass wir auch nach der Begegnung mit Saul nichts mehr 
von dem Seher hören, der Meinung Vorschub geleistet, dass es 
sehr bald zu einem Bruch zwischen den beiden gekommen sei. 

Dieser Meinung begegnen wir auf der zweiten Stufe, welche 
durch die prophetischen Erzählungen Kap. 15. 28 repräsentirt wird. 
Erzeugt ist sie aus dem Widerspruch, dass Jahve den, den er zum 
Könige ersehen, doch hinterher in seinem Königtume nicht bestä- 
tigt und seine Dynastie stürzt. Also muss Samuel, der Saul ge- 
salbt hat, zu seinem Kummer ihn hinterher verwerfen. Er ei'scheint 
dabei schon nicht mehr als der einfache Seher, sondern als ein 
Prophet im Stile Elias und Elisas, der den Gesalbten Jahves als 
seiner Hände Werk betrachtet und ihm herrische Befehle gibt 
(15, 1), während er ihn dagegen nach 10, 7 ausdrücklich seiner 

Wellhausen, Prolegomena. 5. Aufl. IS 



I 



274 Geächklite dpr TradilioD, Kap, 7. ^^H 

eigoaeu Inspiralion überlässt. Von der zweiten Stufe ist der ScIhMV 
zur drillen nicht gross. Hier überträgt Samuel die Salbung, gleich 
uuchdem er sie Saul entzogen, auf David und setzt ihn als den 
nunmehrigen König von Gottes Gnaden dem verworfenen Vorgänger 
entgegen. Sein Ansehen hat sich inzwischen noch gesteigert; wie 
er nach Bethlehem kommt, zittern ilim die Ältesten entgegeu 
(lÖ, ls9.); in 19, löss. hat er zauberische Gewalt über die 
Menseben. Noch immer aber gilt er bisher als der intellektuelle 
Urheber des Köni^nms. Erst der letzten exilischen oder »achexi- 
lischen Stufe in der Entwicklung der Tradition isl es vorbehalten, 
ihn umgekehrt als denjenigen dai-zusteUen, der dem Verlangen des 
Volkes einen König zn haben, so viel an ihm ist, widerstrebt. 
Hier ist das vorkönigliche Israel zur Theokratie nnd Samuel znm 
Haupt der Theokratie emporgerückt: daher erklären sich seine 
Emplindungen. 

Diis moderne Urteil wird durch Samuels Fluch zu gnnstäu 
•SauU und durch Samuels Segen zu Ungunsten Davids eingenommen, 
das Bild des einen hat unter der Venlunkelung nicht gelitten, wol 
aber das Bild des andern unter der Verklärung'}. Dewisse in 
Vorurteil wie in Sachkenntnis gleich unbefangene Kritiker verehren 
in Öaul den liekämpfer und verabschenen in David die Kreatur 
der geistlichen Herrschsucht, die sie in Samuel verkörpert sehen, 
Dem letzteren gibt man dabei eine Machtstellung dem Königtum 
gegenüber, die er nicht besessen haben kann, ohne breiten Grund 
unter den Füssen und einen oi^anisirten Eintluss in weiten Kreisen 
zu haben. Soll er sich nun etwa auf die Nebiim gestützt haben? 
Aber diese entstanden damals eben erst aus einer formlosen Be- 
geisterung, die sich noch uicht auf schulmässig abgeschlossene 
Kreise bescbi-änkte ; ausserdem stand nach der älteren Überlieferung 
wol der König, aber nicht der Seher mit ihnen in näherer Ver- 

') Am ölielsten bat ührigyns das TBrherrlicIioude Strehao der Spüteren dem 
David mitgespielt ia dem Testamente 1. Heg. 2, 1—12. Schon durch 
die Sprache rerrät es sieb (v. S — 4) als u.ichdeiiteronomiBchi'n Einsalt, 
der Inhalt ist der nnchfolgeDileii Erzalilno» Piitiinmmen. Aber iti dieser 
wird Salumu bei seinem Verfahren ^'egt'ii Adunia Abiuthsr Joab und 
Simei keineswe«» durch jenes Testameiit ^-tlcitet, sondern durch auder« 
Grande; und die uuseesprochene Absiebt des Erzählers ist die, zii seigon, 
wie SalomoB Thron durch Beseitigung der ihn geAbrdenden Elemente 
befestigt wurde. Zudem passt die roffinirte Cberleguug gar nidit lu 
dem l?iu4nick, den man sonst ans 1. lieg. 1. 2 tou dem nltersschwkcbni 
Kr>ni!iL' jreiiinuT. 




Uichter Samuelis und Könige. 275 

bindung — der Glaube, dass letzterer Gründer und Voretand ihi*er 
Oilde gewesen sei, gründet sich auf die wertlose anachronistische 
Anekdote 1. Sam. 19, 18 ss. Oder konspirirte Samuel mit den 
Priestern zusammen gegen Saul? Dafür beruft man sich auf 1. Sa- 
muelis 21. 22, wo Ahimelech von Nob den flüchtigen Daxdd mit 
Brot versieht und zur Strafe dafür samt dem ganzen Geschlechte 
Elis den Tod erleidet. Aber erstens stehn diese Priester mit Sa- 
muel in keiner Verbindung, zweitens lässt es sich mit nichts wahr- 
scheinlich machen, dass sie mit David im Einverständnis waren 
und von dessen ehrgeizigen Plänen — angenommen er habe sie 
schon damals gehabt — etwas wussten, drittens steht das umge- 
kehrt fest, dass sie dem Könige gegenüber gar keine Macht be- 
sassen, vielmehr auf Gnade und Ungnade von ihm abhingen und 
auf einen leisen Verdacht hin sämtlich hingerichtet wm*den ohne 
dass Hund oder Hahn darnach krähten. Jene freisinnige» Auffassung 
von Samuels Verhältnis zu Saul und David leidet an dem Fehler, 
dass sie dem Samuel die Hierokratie als Basis seines Auftretens 
gegen das Königtum unterlegt. Wer aber die Hierokratie in diese 
Zeiten zurückträgt, der hat zu einem historischen Verständnis des 
hebräischen Altertums noch nicht den Anfang gemacht. 

HL 

1. Am breitesten macht sich die letzte Bearbeitung im Buche 
der Könige. Chronologische und religiöse Elemente verbinden 
sich auch hier zum Aufbau des Fachwerks; wir beginnen damit, 
die ersteren auf ihren systematischen Zusammenhang zu unter- 
suchen. 

\ om Auszuge aus Ägypten bis zum Anfange des Tempelbaues 
sind 480 Jahre verflossen, von da an bis zur Zerstörung Jerusalems, 
nach den Zahlen der Könige von Juda, 430, einschliesslich des 
Exils wiederum 480 Jahre. In der Chronik folgen sich von Azaria 
ben Ahimaas, der nach richtiger Lesart zuerst im salomonischen 
Tempel amtete, bis auf Josadak, der in die Gefangenschaft geführt 
wurde, 11 Hohepriester, einschliesslich des Exils also wiederum 
12 Generationen zu je 40 Jahren. Die Einzelposten, aus denen 
sich die Gesamtsumme zusammensetzt, sind hier krauser, gewiss 
aus dem Grunde weil sich manche gegebene Daten darunter be- 
finden. 

Die israelitische Königsreihe ist in absieht auf die Chronologie 

18* 



-i7r. 



Gesclikhte der Traditiou, Kap. ". 



I 



von der judnischeo abhän^^ig. Nacb den judäischen Zahlen i 
seit der Spaltung des Reichs Ms zur liabylimischen Verhannong 
393 Jahre verflossen; nimmt man nun mit Ezechiel (4,4) an. dass 
Samarien 150 Jahi'e frühei' als Juda untergegangen ist, so bleiben 
243 Jahre für die Daner des nördlichen Königtumes — auf 342 
beläuft sich in der Tat die Snmme der angegebenen Posten. Frei- 
lieh schiessen dann die von der Zerstörung Samariens bis zur Zer- 
störung Jerusalems augeuommeneo lött israelitischen Jahre um 17 
Über die Summe der parallelen judäischen hinaus, und um etwa 
ebenso viel bleiben die israelitischen Jahre vom 1, Jerobeani bis 
'.). Hosea hinter den judäischen vom 1. Rehabeam bis 6. Hizkia 
Kurück: synchronistische Rücksicht zwischen den einzelnen Regie- 
rungen aus beiden Reiheu ist also ursprünglich nicht genommen. 
Die 242 Jahre des Nordreiches werden durch die mit 1. Jehu ge- 
machte Epoche in 9H + 144 zerlegt; rundet man sie auf 240 d. h. 
auf die Hälfte von 48t} ab, so muss man die 9S in 96 verwan- 
'lein, die daim den gleichzeitigen 95 judäischen Jahren entsprechen. 
und zwar muss man den Abzug bei der Regierung Baesas machen. 
Denn dann entsteht folgendes Spiel: Jerobeam 22, Nadab 2, 
IJaesa 22, Ela 2, Omri 12, Ahab 22, Ahazia 2, Joram 12. Das 
heisst: die acht Könige zusammen haben 96, die ersten vier und 
die letzten vier je 48 Jahre, zwei den Durchschnitt von 12; bei 
den übrigen sechs teilen sich drei Paare von Vater und Sohn so 
in die ihnen zukommenden 2X12 Jahre, dass der Vater 12-f ID, 
der Sohn 12 — 10 bekommt — offeTd)nr weil der Vater für \-iel 
■wichtrger gilt als der Sohn '). 



') Zahleu diT Kotüge JiidBB \om 4. Salomos an: 37+n-+-3+«4-S5+8 
+ l+G+«+29+52+16+29+55-t-2-(-31 + ll-(-ll =430 Jahre. 
Dabei sind Juahni und Jecbonia nicht mitgerechoet, brin^ loftn sie 
mit 1 Jahre iu Aiis<?hl3g, su muss mui fär Salomo 36 ansetzet). Zahlen 
der Könige laraeis vom 1. Jerobeam: 324-34-34+2+12+23+2+13 
+28+17+16+41+1+10+2+20+9. Die künsilichca Zahleuverhilt- 
niBse, wie ai« ohen dorgpicgt siud, hat Emst Krey mir mitgeteilt Dar- 
äber dass die Sjochronismen ursprünglich mcbt datu gehnren, vl-I. 
Jahrbb. für Deutsche Theol. 187.^ p. 607 ss. Über Kiech. 4 hnl zii-rsi 
Bernhard Duhm (die Theol. der Proph. p, 253) d»s lliehtige »fröfffniüchi. 
Die Zahl 390, die der MT in v. 5 ffir die Dauer der GsfauKonscbafl drr 
Nordiara eilten angibt, ist uamüglirb. Denn Ezecbiel kann nicht uii'ini'n, 
dass sie bereits seit 350 Jahren in der Fremde sich befinden, anderer- 
seits aber die Strafzeit, die sie noch vor sich habr-n . uieht höher an- 
schlagen als auf 40 Jahre, denn so lange dauert das Exil der JudSer 
nach seiner Rechnung, und die Restitution erfolgl hei ihm gleichKeitJf 
für Israel und Juda, ja aelbst für .Ig^l'^eu (29, 11 — 16) — oflenbar 1 




Richter Samuelis und Könige. 277 

Der grosse in dieser Weise abgesteckte und nach Maass und 
Zahl gegliederte Zeitraum wird bei allen bedeutenden Epochen in 
predigtartigen Betrachtungen überblickt und gewürdigt, die im 
Buche der Könige weit häufiger sind als in den Büchern der Richter 
und Samuelis. Es macht keinen Untei*schied, ob der Schriftsteller 
dabei selbst das Wort führt oder einen anderen reden lässt; jenes 
tut er beim Rückblick auf die Vergangenheit U 17, dieses bei der 
Vorausschau auf die Zukunft I. 8. 9. Einige Proben sind unerläss- 
lich, um eine Anschauung zu geben. 

Bei der Hauptepoche, dem Tempelbau, hält König Salomo 
eine grosse Weihrede, worin er Jahve bittet das Gebet derer, die 
ihn an dieser Stätte aufsuchen, vom Himmel aus zu erhören, und 
schliesst dieselbe wie folgt. „Wenn sie an dir sündigen — denn 
niemand ist der nicht sündigt — und du auf sie zürnst und sie 
in Feindes Land nah oder fern gefangen führen lässt, wenn sie 
dann in sich gehn und zu dir beten: wir haben gefehlt gesündigt 
sind schuldig, und wenn sie sich von ganzem Herzen und von 
ganzer Seele zu dir bekehren im Lande ihrer Feinde wohin sie 
geschleppt sind, und zu dir beten in der Richtung auf ihr Land 
das du ihren Vätern gegeben hast, auf die Stadt die du erwählt 
und das Haus das du deinem Namen gebaut hast, so höre im 
Himmel ihr Gebet und Flehen und nimm dich ihrer Sache an 
und vergib deinem Volke seine Untreue und lass sie Mitleid finden 
bei ihren Gewalthabern, dass sie sich ihrer erbaimen. Denn sie 
sind dein Volk und Erbe, da du sie aus Agj'gten, aus dem Schmelz- 
ofen, herausgeführt und sie dir aus allen Völkern der Erde ausge- 
sondert hast, wie du dmxh deinen Knecht Moses geredet." Was 
Jahve darauf geantwortet habe, vernehmen wir in Kap. 9. „Ich 
habe dein Gebet und Flehen vor mir gehört, ich habe das Haus 
geheiligt, meinem Namen dort eine ewige Stätte zu geben, dass 
mein Auge und mein Herz allezeit dort seien. Wenn du nun vor 
mir wandelst wie dein Vater David aufrichtig und ehrlich, alles 

bewirkt durch die gleiche Ursache, den nach 40 Jahren zu erwartenden 
Sturz der Chaldäer. Die Zahl 390 ist in v. 5 falsch eingedrungen aus 
V. 9, wo es sich um etwas ganz anderes handelt, nicht um die Jahre 
des Exils, sondern um die Tage der letzten Belagerung Jerusalems; auf 
einer ähnlichen Konfusion beruht die Glosse v. 13. Richtig gibt die 
Septuaginta für das israelitische Exil die Jahrsumme 150 resp. 190 an, 
exclusive resp. inclusive der letzten 40 gemeinschaftlich mit Juda abzu- 
büsseuden Strafjahre. Bemerkenswert ist, dass 390 = 240-1-150. Vgl. 
noch Robertson Smith, im Journal of Philology, Vol. X p. 209. 213. 



278 



Tiesphicht* di>r Tfadition, Kap. 7. 



HU tUD was ich lür liefohien habe, uad meine Gesetz 
hältst, so will ich den Thron deiner Herrschaft ober Israel in 
Evi;:keit bestätii;en, wie ich zu David gesagt habe: es sott dir nie 
fehlen an einem Nachfolger auf dem Throne Israels. Wenn ihr 
und eure Söhne aber von mir abweicht nnd meine Gesetze und 
Rechte die ich euch geschrieben nicht haltet und andere Götter 
verehrt, so vertilge ich Israel aus dem Lande das ich ihm ver- 
liehen habe, und das Haus welches ich meinem Namen geheiligt 
habe schlage ich mir aus dem Gesicht; Israel wird zu Spott niid 
Schanden unter alleu Völkern und dies Haus zu Trümmern. Und 
fragt, man dann: warum hat Jabve diesem Lande uud diesem 
Hause solches angetan? — so wird es heissen: weil sie Jahve 
ihren Gott, der ihre Väter ans Äg)'ptenland geführt, verl; 
und sich an andere Götter gehängt und ihnen gehuldigt und 
dient haben." 

Das gleichfalls sehr einsclineidende Ereignis der Reichsspab 
wii'd dnrch eine Prophetie Ahias an den ersten Jerobeam einge- 
leitet. „Siehe ich rebse das Reich von Salomo uud gebe dir die 
zehn Stämme, nur ein Stamm soll ihm bleiben wegen meines 
Knechtes David und wegen der Stadt Jerusalem die ich erwählt 
habe; weil er mich verlassen und die Astarte von Sidon uud den 
Kamoa von Moab und den Milkom von Ammon angebetet hat 
und nicht gewandelt ist in meinen Wegen, zu tun was mir ge- 
fällt, meine Rechte und Gebote, wie sein Vater David. Und 
wenn du höi'st was ich dir befehle und in meinen Wegen gehst 
und tust was mir gerällt, meino Rechte und Gebote, wie mein 
Knecht David tat, so will ich mit dir sein und dir ein festes Haus 
bauen wie dem David und dir Israel geben. Uud den Samen 
Davids will ich demütigen wie gesagt, doch nicht füi- alle Zeit." 

Eine Reihe regelmässig bei den Throuumwälzungen des Nord- 
reiches eingefügter l'rophetien ähnlichen Stiles übei'geh ich und 
setze nur noch das Schlusswovt her, womit der Sturz des Zehn- 
stämmereiclis (2. Reg. 17) begleitet wii'd. Derselbe sei erfolgt, 
„weil die Kinder Israel an Jahve ihrem Gott, der sie aus Ägypten- 
land befreit hatt«, sündigteu und andere Götter fürchteten and 
wandelten in den Satzungen der von ihnen vertriebeneu Völker 
und in den Neuerungen der Könige Israels; uud weil die Kinder 
Israel Dinge, die nicht so sind, ihrem Gott Jahve andichteten und 
sich Ilöheu bauten in all ihren Orten vom Wachttunn au bia 



Jative 
;inee- " 




lÜL-hler SsBueiis und Königi-. 



279 



I Dnunauerteo Stadt, um) sich Maläteiiie und Holzsäalen aufrichteteu 
auf jedem hoheu Häfiol und unter jedom grünen Baume und dort 
auf allen Höhen opferten, wie die Völker die Jalive vor ihnen 
vertrieben hatte, und böse Dinge verulkten um Jahve zu reizen, 
und den Greueln dienten die Jahve verboten hatte. Zwar bezeugte 
Jahve ihnen durch alle Propheten und .Seher: kehrt um von euren 
bösen Wegen und haltet meine Gebote und Satzungen nach all 
der Thora, die ich euren Vätern befohlen und durch meine 
Knechte, die l'ropheteu, entboten Irnbe; aber sie hörten nicht, 
Bondern verhärteten ihren Nacken wie ihre Väter, weil sie Jahve 
ihrem Gott nicht glaubten, nnd sie verschmähten seine Satzungen 
und seinen Bund den er mit ihren Vätern geschlossen und seine 
Zeugnisse die er ihnen eingeschärft, und folgten dem Nichts und 
wurden zu nicht und wandelten den Völkern ringsum nach, denen 
es gleichzutun ihnen Jahve verboten hatte. Und sie verliesseu alle 
Gebote ihres Gottes nnd machten sich Gussbilder und Ilolzsäulen 
und beteten das ganze Himmelsheer an und dienten dem Baal 
und Hessen Uire Kinder durchs Feuer gehn und triebeu Zauber 
nnd Wahrsagerei und waren versessen zn tun was böse ist vor 
Jahve, ihn zu reizen. Und Jahve zürnte sehr auf Israel und trieb 
sie fort von sich; nur der Mann von Juda altein blieb übrig. 
Aber auch die von Juda hielten die Gebote ihres Gottes nicht und 
wandelten io der Weise Israels; so verwarf Jahve das f^anze Ge- 
schlecht Israels und demütigte sie und gab sie in die Hand von 
Räubern, bis er sie fortgeworfen hatte von seinem Angesicht." Für 
Juda fehlt eine besondere Schlussbetrachtung, aber die für Israel 
gilt auch für Jnda mit. Man erkennt das nicht bloss aus den 

[ letzten angeführten Worten, sondern auch daraus, dass zwei sehr 

I charakteristische Greuel in dem obigen Verzeichnis, die Anbetung 
des Hinunelsheeres und die Kinderopfer, nach dem allein maass- 
i Zeugnisse der Propheten noch nicht im achten, sondern 

[ erst im siebenten Jahrhundert, unter Hanasse, eingerissen sind und 

I ftlsn nicht Israel sondern Jnda zur Last fallen. 

I solchen Sammelpunkten ans, wo sieb, bei den wichtigeren 

[ Epochen, das Wasser gleichsam staut, veraweigt sich das Geäder 

I nach allen Seiten'). AV'ie sich die Herrscher zum reinen Gottes- 



') ZusSlie wie nin' niÜD 1. Reg. 18, 18 (Sept. richtig nini ohne niaO), 
•jnni 12.11! (Sept. richtig' *)1HI.' otine nm) und weitläafigere wiu 



2S0 Geschiciita der TraditioTi, Kap. 7. ^H 

dieDSt gestellt, ob sie was recht oder was biJse ist in den Ängi^l 
Jabves getan iiaben, ist die Frage die immer zuerst aufgeworfen 
nnd auch bei solchen die nur acht Tage regiert haben beantwortet 
wird. Gewöhnlich muss konstatirt werden, daas sie das Böse ge- 
tan haben; Tta^ii ifiulB xai 'ECsxfuu xal 'Iwai'nu ravisj rf.TjjifjiiXEt«-/ 
inKrjjiiiaXi^aav, sagt Jesus Siraeh (49, 4}, nicht ganz genau aller- 
dings, aber doch insofern mit Recht als auch an den frommeu 
Königen immer noch etwas auszusetzen ist. Uie Hunde aber ist 
hier nicht mehr, wenigstens nicht hauptsächlich, der Dienst fremder 
Götter, sondern der verkehrte Dienst Jahves. Es wird jetat ein 
specieller und darum strengerer Maassstab angelegt — den Grund 
davon kennen wir; seit an dem Orte den Jahve sich em'ählt 
hat der Tempel erbaut ist, hört die bisherige Gemütlichkeit auf 
(Dent. 12, 8) und vor allem tritt nun das Verbot der Baraoth in 
Kraft (1. Reg. 3, 2). Dass dieselben trotzdem fortbestanden, ist 
die eigentliche allgemeine und durchgehende Sünde der Zeit. Ver- 
schlimmert wird sie noch dadurch, ditss mit den Bamoth sich 
auch allerlei ungesetzlicher Unfug im Jahvediensto einnistete. 
Masseben und Ascheren und immergrüne Bäume und die männ- 
lichen und weiblichen Huren. Speciell für Israel, welches bestän- 
dig mit .ludiL verglichen wird, kommt als zweite llauptsiiude hinzu 
die Sünde Jerobeams, d. h. die goldenen Kälber zu Bethel und zu 
Dan. Mit den chronologischen Daten verbindet sich die religiöse 
Würdigung zu jenem Schema, welches gleichmässig jede einzelne 
Regierung der Könige von Israel und Juda einfasst, zwar häufig 
mit reicherem Inhalt gefällt, nicht selten aber auch fast leer ist 
an historischem Stoff. Am nacktesten tritt diisselbe her\-or in 
Kapiteln wie I 15. 10, II 13. 14. 15. 

Daas diese Bearbeitung unseres Buches mitr derjenigen der 
beiden vorangehenden Geschichtsbücher im wesentlichen gleichartig 
ist, bedarf keines Nachweises. Nur hat sie hier einen wärmeren, 
lebhaJ'teren Ton und ein weit näheres Verhältnis zu den Sachen. 
Es hängt damit zusammen, dass sie auch viel deutlicher den Staud- 

1. Reg. 18.31. 33.. 2. Sam. 6, 2 (Ul K1p3 "Iff«) liringe ich nicht iu 
Anroclmimg, weil sie aus verscliicdeneu Zeiteu stammen, grösstenteils 
jüngur sind als die deuteronomistische Bearbeitung unil «eiliger ivr 
literarischen als der Textluritik angehören. Ad sich ist es freilich sehr 
wichtig, diese Retouchen aufzudecken und zu beseitigen. Die xanie alte 
Überlieferung ist damit öberxogen wie mit einem judiistiacoeu Vcr- 
dauungsschleim. 




Richter Samuelis und Könige. 281 

puiikt erkennen lässt, von dem sie ausgeht. Schon daraus dass 
der historische Stoff sich bis zur Zerstörung Jerusalems, ja bis 
zum Tode des gefangenen Königs Jechonia ausdehnt, ergiebt sich, 
dass mit der Abfassungszeit bis in das babylonische Exil, bis in 
dessen zweite Hälfte, hinabgegangen werden muss; die Chronologie, 
sofern sie das Exil selber mit 50 Jahren in die 480jährige Periode 
einrechnet, führt uns noch etwas tiefer; doch ist es nicht unmög- 
lich, hier eine nachträgliche Modificirung anzunehmen, die den 
Gesamtcharakter nicht weiter verändert hat^). Vom Ende aus 
w^ird hier auf die Königsperiode zurückgeschaut wie auf eine ab- 
geschlossene Vergangenheit, über welche das Urteil gesprochen ist. 
Schon bei der Einweihung des Tempels lässt sich der Gedanke an 
seine Zerstörung nicht zurückhalten, auch sonst steht überall die 
Vernichtung der Nation und ihrer beiden Reiche im Hintergrunde. 
Das gibt dem Ganzen die Beleuchtung: es wird gezeigt, warum es 
so kommen musste. Wegen der Untreue gegen Jahve, wegen der 
grundverkehrten Richtung, an der man trotz der Thora Jahves und 
seiner Propheten beharrlich festgehalten habe. Die Darstellung 
wird gewissermassen zu einem grossen Sündenbekenntnis der exi- 
liiien Nation über ihre Vergangenheit. . Es ist die Art, nicht bloss 
das gegenwärtige Geschlecht sondern die gesamte bisherige ge- 
schichtliche Entwicklung zu verurteilen, die wir zuerst bei Jeremias 

^) Krey vermutet, dass das letzte erwähnte Datum, die Befreiung Jechonias 
aus dem Kerker im 37. Jahre nach seiner Thronbesteigung, die ursprüng- 
lich beabsichtigte untere Grenze der Chronologie gewesen sei, zumal 
die 40jährigen Perioden, worin sich nach seiner Annahme die judäischen 
Posten einteilen, gerade auf dies Datum auslaufen. Wenn dem so ist, 
so kann aber nicht das 4. oder 5. Salomos als die Anfangsepoche ange- 
sehn werden; denn die 37 oder 36 daraus resultirenden Jahre lassen 
sich, mit Absicht auf das 37. Jechonias als Ziel, nicht unterbringen. 
Jene Epoche ist nun auch durchaus unnatürlich, Salomos 40 Jahre dürfen 
nicht so zerrissen werden, und wenn man in jener Zeit überhaupt einen 
Einschnitt machen will, so muss man es bei der Spaltung des Reiches 
tun als dem gegebenen Ausgangspunkt der Reihen von Israel und von 
Juda. Beachtenswert ist, dass die 37 Jahre Jechonias am Schluss der 
älteren Rechnungsweise, die vielleicht nur 40jährige Generationen, viel- 
leicht aber auch eine 500jährige Periode von David an (404-404-20-1-41 
4-404-404-814-384-804-79 V4) herauszubringen suchte, den 37 Jahren 
Salomos am Anfang der jetzt durchgeführten entsprechen. Dass man 
auch späterhin an der Chronologie noch allerlei änderte und besserte, 
ergibt sich aus den nachgetragenen Synchronismen der Könige Israels 
und Judas, aus den schwankenden und nebeneinander hergehenden An- 
gaben im Buch der Richter (z. B. Interregna und kleine Richter, die 
dreifache Verrechnung der Philisterzeit) ja sogar noch aus den Varianten 
der Septuaginta. — Vgl. Aphraates 84 s. 



282 flcsphichte der Trniiition, Kup. 7. 

(2,188.-1,3) antreffen, der sich aoch schon die Krage oach den 
GruDdeii des Endes vorzulegen hatte'). Ezechiel hat diese negs- 
tive BetrachtUDgsweiae. mit bei^ondei'or Rücksicht auf die Greuel 
(\&i älteren Kultus, weiter verfolgt (Kap. 16. 20. 23), man liodet 
sie gleichfalls in Isa. 4Ü ss. (42, 24. 43.27), obwol ihr hier eine 
positive und weit gehallvollere ergänzend zur weite tritt, ferner in 
Deut. 28 — 30 und Lev. 2l5. Die ganze Vorzeit gilt als oine uo- 
geheure Schuld, die im Exil abgebüsst wird (Hier. 32, 29. Ezech. 
IH, 2. 33, 10. Isa. 40, 1); es wird sogar die Dauer der Strafe 
nach der Dauer der Sünde berechnet (Lev. 2i>, 34), Äucli nach 
der Befreiung schleppt sich diese Stimmung gegenüber dem 
Altertum noch fort (Zach. 7, 8sa. Esdr. 9, Tss. Neh. V, las.). 

Die Bearbeitung stobt naturgemäss auf judaistischem Stand- 
punkte. Ausserhalb Jerusalems ist der Jahvedienst ketzerisch, so 
dass der politische Abfall der Nordisraeliten zugleich als kirchlicher 
erscheint. Doch werden sie darum nicht wie in der Clirouik von 
der Gemeinschaft des Volkes Gottes ausgeschlossen, so völlig sind 
doch die alten Traditionen noch nicht über Bord geworfen: erst 
nach der assyrischen Zerstörung Samarieus setzt Juda allein die 
Geschichte fort. Nahezu die gleiche Verehrung wie der Sladt und 
dem Tempel Jahves wird dem David imd seinem Hause dargebracht. 
Das letztere hat die \'6rheis9uiig ewigen Bestandes , welche beson- 
ders gern mit den Worten Hier. 33, 17 ausgedrückt zu werden 
pflegt. Ea ist ohne Zweifel kein Zufall, dass mit der Befreiung 
des Da\ididen Jechonia aus dem Kerker geschlossen wird; sie ist 
das Angeld des Grösseren, was zu erwarten steht. Auch in den 
Worten Ahias an Jerobeam, dass die Demütigung des Hauses Dayid 
und tue Abreissung der Zehn Stämme doch nicht für alle Zeit 
dauern sulte, blitzt die messianische Hofl'nung auf, die grade in 
und nach dem Exil in den Gemütern sehr lebendig gewesen ist, 
wie wir aus Ha^ai und Zacharia ersehen. 

'] D<^r Stnrt Samaricnii hat achon dii? ält^re^n Projjheten in bezuu auf das 
Nordreich zu ähalirbeu Betrachtungen cefShrt^ die abor doch in d«r 
Itcgel (.4in. 5. Isa. 9) iange nicht so radilial und so weit hergeholl sind. 
Nur üueea Terfolgt allcrdinRs die Schuld der Gegenwftft hinauf bis in 
den .Anfang' — aTier er exeinpliticirt (wie Mich. 6) vorzugsveise an der 
rrgescbichte Jakobs und Mosi-s, in der eigeutlicli geschielt II ic he n Zeit 
steckt er doch noch zu sehr darin um sie ton so hohem Standpunkte 
Ulis tu übenchauen. Aticb darin ist er der ^'orläufer der .Späteren, 
dasa er das menschliche Königtum für einen Hauptschaden IsraHs an- 
sieht: er hatte dazu in den Verhältsisaen seiner Gegenwart allerdla^ 
sehr dringende Veranlassung. 




Richter Sainuelis und Könige. 283 

Lässt sich bei den Büchern der Richter und Samuelis vielleicht 
nicht mit völliger Hestimmtheit entscheiden, welches die Norm sei, 
wonach der letzte Verfasser die Vergangenheit beurteilt, so ist 
beim Buche der Könige kein Zweifel möglich. liier wird nicht 
bloss in unbestimmten Andeutungen von dem Willen Jahves ge- 
redet, dem Israel gehorchen soll und widerstrebt, sondern auch 
hin und wieder (12,3. II 14, G. 17, 37) von der geschriebenen 
Thora, worin seine Rechte und Satzungen enthalten sind — eine 
Unterscheidung, worin sich immerhin ein geschichtliches Gefülil 
ausspricht. Das Gesetzbuch aber, das als Maassstab zu gründe ge- 
legt wd, ist dasjenige, von dessen Auffindung unter Josia in 
2. Reg. 22. 23 so ausführlich erzählt wird, das Deuteronomium. 
Darauf führt, wie allseitig anerkannt wird, sowol die Phraseologie 
des Bearbeiters, als der Geist, in dem er richtet und insbesondere 
diejenigen Volkssünden verdammt, gegen welche das Deuteronomium 
und die Reformation des Königs Josia gerichtet sind. Auch das 
einzige wörtliche Citat aus dem Buche der Thora, welches vor- 
kommt, ist eben dem Deuteronomium entnommen, 2. Reg. 14,(3. 
Deut. 24, 16. Dahingegen finden sich von der ünbekanntschaft 
mit dem Priesterkodex sehr deutliche Anzeichen in der Bearbeitmig. 
Nirgend wird zwischen Leviten und Priestern ein Unterschied ge- 
macht; von den Aharoniden ist keine Rede. Desgleichen wird 
durch 1. Reg. 3,2 die Vorstellung eines vorsalomonischen Central- 
heiligtums ausgeschlossen. Nur in einem Abschnitt, der im hohen 
Grade allerhand Korrekturen und Interpolationen ausgesetzt gewesen 
ist, in der Beschreibung des Tempels und der Tempelweihe 1 6 — 8, 
finden sich Spuren der Einwirkung auch des Priesterkodex, nament- 
lich im masorethischen Texte, weniger in der Septuaginta. Was 
es damit für eine Bewandtnis hat, ist an dem wichtigsten Beispiel 
bereits oben p. 44 — 4() dargelegt worden. 

Wenn man darnach in vollem Maasse berechtigt ist, die Be- 
arbeitung deuteronomistisch zu nennen, so darf man damit doch 
keinen anderen Sinn verbinden als den, dass dieselbe unter dem 
Einfluss des Deuteronomiums entstanden ist, unter dem das ganze 
Jahrhundert des Exils steht. Zwischen deuteronomistisch und 
deuteronomisch ist ein nicht bloss zeitlicher sondern auch inhalt- 
licher Unterschied'); das Deuteronomium selber sieht im Kultus 

*) Nachdeiiteronomisch , aber noch aus der Köni<jszeit sind 1. Sam. 2, 27 ss. 
2. Sam. 7, 1 ss. 2. Reg. 18, 13. 17 ss. 19, Iss. Kapp. 11. 12. 22. 23. 



2Ri 



GpBchichte der Tradition. Kap, 7. 



I 



dol-L niflil so die Hauptaufgabe Israels und steht noch weit mehr 
iunerhalb des Realismus eines wklichen Volkslebens. Eine be- 
sonders greifbare einzelne Differenz liegt in der Oatiruugsweise. 
Statt mit ihren althebräisi-hen Namen Ziv Bul Ethanim bezeichnet 
der letzte Verfasser die Monate mit Zahlen, die vom Frühling als 
Jahresanfang ausgehen. Dadurch unterscheidet er sich nicht nur 
von seinen illteren Quellen (I 6,37s. 8,2), sondern auch vom 
Uenteronomium. 

2. Es versteht sich, dasa diese Bearbeitung dem überlieferten 
Stoffe fremd ist und ihm Gewalt antut. Insbesondere ist derselbe 
durch eine sehr einseitige Auswahl alterirt worden, welche von 
specifisch religiösen Gesichtspunkten ausgeht. Das Interesse für 
die Propheten mischt sich darin mit dem Interesse für den 
Kultus. Es ist freilich nicht gesagt., dass diese Auswahl erst vom 
letzten Verfasser herrühre, so gut sie auch zu seinem Geschmacke 
passt: es war ihm wahrscheinlich in dieser Richtung schon vor- 
gearbeitet. Aber für nns ist es weder möglich nnch wichtig, in dem 
Sichtungsproceas, den die Überlieferung über die KöoigSüeit durch- 
KUtnachen gehabt hat, verschiedene Phasen za unterscheiden. 

An der Spitze des ganzen Ruches steht der Tempelbau, fast 
alles was von Salomo erzälilt wird steht dazn in Beziehung. Da- 
mit ist zugleich der Gesichtspunkt angegeben, der auch die Übrige 
judäische Geschichte beherrscht; sie ist mehr eine Geschichte 
des Tempels als des Iteiches. Die Geschicke des Heiligtums und 
seiner Schätze, die den Kultus betreffenden Einrichtungen and 
Maassregeln der Könige sind so ziemlich das einzige, worüber wir 
immer aul' dem laufenden gehalten werden. Auch die wenigen 
ausgeführten Erzählungen (II 11s. 16. 228.) spielen im Tempel 
und drehen sich um den Tempel; nur in II ISs, wiegt das pro- 
phetische Interesse vor. 

In bezug auf das Reich Israel sind die Angaben über den 
Kultus sehr mager und meist ziemlich vage; hier treten die pro- 
phetischen Erzählungen in den Vordergrund, in der Regel solche 
tue vom prophetischen Standpunkte aus erzähll sind, oder doch 
solche in denen die Phropheten handelnd auftreten. Hie und da 
wird anch über Berührungen des Nurdreiches mit Juda näher be- 
richtet: dariji äussert sich das judäische Interesse der Auswahl. 
Das einfach Geschichtliche, das bloss Weltgeschichtliche so 
sagen, wird im alterdürftigsten Maasse mitgeteilt, häufig nur i 




Richter Samuelis und Könige. 285 

Aufeinanderfolge der Königsnamen. Über König Omri, den Grün- 
der der Stadt Samarien und Neubegmnder des Reichs, der auch 
Juda in eine Art freundschaftlicher Abhängigkeit gebracht zu haben 
scheint, erfahren wir fast nichts, über Jerobeam II, den letzten 
grossen Herrscher, nicht mehr; in ein paar nichtssagenden Versen 
wird der Zusammenstoss mit den Assyrern und der Fall Samariens 
abgemacht. Zuweilen unterbricht ein blitzendes Juwel (II 9. 10) 
die umgebende Nacht, aber hinterher tappen wir wieder im Dunkeln. 
Die alte Überlieferung ist uns nur, soweit sie den .Späteren von 
religiösem Werte schien, aufbewahrt worden, sie hat ihren ange- 
borenen Schwerpunkt verloren und nunmehr eine Haltung an- 
genommen, die sie ursprünglich gewiss nicht hatte. In Juda mag 
in der Tat der Tempel grössere Bedeutung gehabt haben als das 
Reich, aber die Geschichte Israels ist ohne Zweifel nicht bloss und 
nicht vorzugsweise Geschichte der Prophetie gewesen. Von den 
Verlusten, die wir zu beklagen haben, muss am stärksten die 
israelitische Überlieferung betroffen sein. 

Nicht so unersetzlich ist der Schaden, den die Bearbeitung 
durch ihr positives Eingreifen in den quellenmässigen Stoff ge- 
stiftet hat; doch ist er auch nicht unerheblich. Am besten lässt 
sich die Verfärbung charakterisiren an den weittragenden Bemer- 
kungen, womit die Königsreihe von Israel eröffnet wird. „Jero- 
beam sprach in seinem Herzen: nun wird das Reich wieder an 
David fallen; wenn dies Volk hinaufzieht Opfer zu bringen im 
Hause Jahves zu Jerusalem, so werden die Leute sich im Herzen 
zu ihrem rechten Herrn zurückwenden und mich töten und wieder 
dem Rehabeam von Juda Untertan werden. Da beriet sich der 
König und machte zwei goldene Kälber und sprach zu ihnen: hört 
nun auf nach Jerusalem zu ziehen; siehe da deine Götter, Israel, 
die dich aus Ägj^ptenland geführt haben. Und er stellte eins in 
Bethel und das andere in Dan auf. Und dies geriet zur Sünde 
und das Volk ging wie ein Mann sogar bis Dan. Und er machte 
Höhentempel und nahm Priester mitten aus dem Volk, die nicht 
aus den Söhnen Levis waren: wen er wollte, den stellte er an 
zum Höhenpriester" (I 12, 2(5 — 30. 13, 33). Nicht ganz so ver- 
kehrt wie in der Chronik, aber doch auch anachronistisch genug 
ist hier zunächst die Anschauungsweise, die in den Erwägungen 
Jerobeams durchschimmert, als sei das ephraimitische Königtum 
sich seines illigitimen Ursprungs bewusst und nur künstlich in 



280 GesL-hichte der Trii<litioii. Kap. 7. ^^H 

soiiiet Sniidfrexistenz zu erhalten gewesen. Wie man ui Wu^^B 
holt in dieser Hinsicht in Nordisrael gedacht hat, bezeug der 
Hegen Jaknlts und der Seßen Moses. Dort beisst Joseph der de- 
kronte seiner Brüder, hier wird von ihm gesagt: ^sein erstgeborner 
Stier voll Majestät (^ der König) hat Höraer, mit denen er die 
A^ölker niederstösst, dass sind die Myriaden Kphraims nnd die 
Tausend Manasaes". AVoher auch sonst der Zauber des Namens 
Ephraim, als weil er der Königsst.iinm (Gen. 37, 8. 9) und der 
vornehmste Repräsentant des stolzen Namens Israel isti Von Jnda 
aber heisst es ebendaselbst: „Höre Jahve die Stimme Judas nnd 
bringe ihn üurück zu seinem Volke". Über das Volk, zu dem 
Juda gehört, kann mau nicht im Zweifel sein; man wird Graf 
darin Recht geben mässen, dass dieser Stamm hier als das est- 
fremdete Glied angesehen und seine AVieder>'ereinigung mit dem 
grössoren Reiche sogar als sein eigener Wunsch betrachtet wird 

— was nicht so sonderbar ist, wenn man bedenkt, dass der Teil 
zum Ganzen und nicht das Ganze zum Teile strebt. Erst durch 
lanife Erfahiiuig lernte Juda den Segen einer festen Dynastie Tind 
Ephraim den Fluch der ewigen Thronwechsel kounen. 

Da die Anziehungskraft Judas für die Bewohner des Sord- 
reidis in dem Kultus des salomonischen Tempels gesehen wird, 
so soll Jeroheam ihr vorgebeugt haben, indem er neue Heilig- 
tümer, eine neue Form Jahve zu verehren, und eine neue Art des 
Priestertunis geschafl'en habe. Das wodurch sich der alte samari- 
tische Gottesdienst von dem jntiäischen Muster unterschied, wird 
fui" absichtliche Neuerung des ersten Königs ausgegeben, an dessen 
Süude dann die Folgezeit festsehalten habe. Aber indem Jero- 
beam die Tempel von Bethel und Dan zo Reichstempein erhob 

— dass er die Höhenliäuser überhaupt erst eingerichtet habe, verdient 
keine Berücksichtigung — , rat er weiter nichts als was Sainmo 
vor ihm getan hatte. Nur hatte er dabei festeren Boden unter 
den Füssen als jener, denn Bethel und Dan waren alte Heiligtümer, 
Jerusalem nicht. Die goldenen Stierbilder feiner, die er aufstellte, 
unterschieden sich wol durch ihr Gold aber nicht durch ihren 
Zweck von den Kphodeu and anderweitigen Idolen, die überall in 
den Gotteshäusern wohnten, z. B. von der ehernen Schlange zu 
Jenisalem. Mit Fug und Recht hat schon Eichhorn erinnert, dass 
wenn Elias und Elisa gegen den eingedrungenen Dienst des tyti- 
schen Baal eiferten, sie positiv für den Jahve von Bethel und Dan 



Richter Samuelis und Konige. 287 

eintraten und nicht daran dachten gegen diese bildliche Dar- 
stellung zu protestiren: noch Arnos tut es nicht, sondern erst 
Hosea. Was endlich die nichtlevitischen Priester betrifft, die der 
König angestellt haben soll, so ist darüber schon oben (p. 130ss.) 
das Nötige gesagt. 

Eine merkwürdige Kritik dieses ITrteils über den samarischen 
Gottesdienst wird durch das bald darauf folgende Zugeständnis 
geliefert, dass der judäische damals auch nicht anders, jedenfalls 
nicht besser gewesen sei. In dem Berichte über Rehabeams Re- 
gierung heisst es (I 14, 22s.): „auch die Judäer errichteten sich 
Höhen und Malsteine auf jedem hohen Hügel und unter jedem 
grünen Baume, und auch Hurerei an geweihter Stelle wurde ge- 
trieben im Lande" — damit wird ein Zustand beschrieben, der 
mit einigen Schwankungen bis gegen das Exil hin fortdauerte. 
Wenn nun die Norm, nach der Samarien gerichtet wird, auch 
nicht in Juda Realität besessen hat, so ist sie überhaupt im alten 
Israel nicht zu finden gewesen. Wir wissen, es ist das Gesetz- 
buch Josias; wir sehen aber, wie die Tatsachen darnach nicht bloss 
beurteilt, sondern auch gemodelt werden. 

Noch ein einzelnes Beispiel ist in dieser Hinsicht erwähnens- 
wert. König Salomo, heisst es, hatte ausser der Tochter Pharaos 
noch viele ausländische Weiber, aus Moab Ammon und anderen 
Völkern, deren Töcher zu ehelichen Jahve verboten hatte (Deut. 
17, 17). Fnd da er alt wurde, verführten sie ihn zum Dienst 
ihrer Götter, und er baute auf dem Olberge bei Jerusalem Höhen 
füi" Kamos von Moab und für Milkom von Ammon und für die 
Götter der übrigen Weiber. Zur Strafe dafüi* kündigte ihm Jahve 
an, dass sein Reich nach seinem Tode von ihm gerissen und 
seinem Knechte verliehen werden solle, und weiter erweckte er 
ihm Widereacher in dem Edomiten Hadad, der Edoni befreite, 
und in dem Syrer Rezon ben Eljada, der Damaskus unabhängig 
machte. Zum künftigen Könige der Zehn Stämme aber Hess er 
durch den Propheten Ahia von Silo den Ephraimiten Jerobeam 
designiren, der damals die Frohnar])eiten des Hauses Joseph bei 
der Befestigung der Burg Davids ])eaufsichtigte. So wird 1. Reg. 
11, Iss. berichtet. Nun hat sich aber Edom und wie es scheint 
auch Dfimaskus gleich beim Thronwechsel vom Reiche Davids 
losgerissen (11, 21s. 25); die Befestigung der Bm*g, wobei Jero- 
beam durch Ahia zum Aufstand angereizt wurde, fällt zwar später, 



2S>^ 



pscliielite lier Tradiliun, Kap. 7 



aber auch nodi in die erste Hälfte von Salomos Regierung v^ 
sie mit den übrigen Baaten zusarameiihänirt (9, 15. 24). Da nun 
.Sitlomo für eine Schuld, die er erst im Älter auf sich lud, nicht 
schon iu seiner Jagend zunt vuvans gestraft worden sein kaon, so 
widerspriiiht dieser moralische Pragmatismus der Zeitfolge und 
kann unmöglich dem urspi'uiiglichen Erzähler zn(ie9chrieben werden. 
In der Tat verrät sich die deuteronomische Bearbeitung in 11, 
1^13 an jedem Wort. Znr echten Überliefening gehört nur die 
Erwähnung der \ielen Weiber, jedoch ohne den daran geknüpften 
Tadel, und die Angabe über den Bau der Altäre des Kamos und 
Milkom und vielleiclit der Astarte auf dem Ölberge, wo sie bis 
auf Josia standen (II 23, 13). Die ursächliclie Verknüpfung beider 
Tatsachen aber gehöii. ebenso dem letzten Verfasser an wie die 
VeiaJIgemeiueruDg, dass der König für alle unter seinen Weibern 
vertretenen National i täten Altäre ihrer Oött-er errichtet habe. 

Freilich wird die Überlieferung im Buche der Könige nicht 
in der Weise iu das Gesetzliche umgedicht«t, wie es in der Oiro- 
iiik geschieht. Was noch am meisten an die Chronik erinnert, bt, 
dass von Zeit zu Zeit ein Prophet eingelegt wird, der sich im 
Geiste des Deuteronomiums und iu der Sprache Jeremias und 
Ezechiels äussert und dann verschwindet '). Dadurch wird das 
Gesetz lebendig in die Geschichte eingeführt, die Propheten er- 
halten es wirksam und wenden es an, nach dem auf Hier, T.3ö. 
Deut, ly, 18 beruhenden Grundsatz. II 17, 13: „Jahve besen^e 
ihnen durch alle Propheten uud Seher: kehrt uiu von euren böseu 
Wegen und haltet meine Gebote und Satzungen nach all dei" 
Thora, die ich euren Vätern befohlen und durch meine Knechte, 
die Propheten, entboten habe". Das krasseste Beispiel dieser Art, 
an historischem Unwert mit Jud. 19 — 21 oder 1. Sam. 7 sb. za 



') Vgl, Kuenen, de Profclen (Leiden 1875) II p. 143. Eine dieser dtMite- 
ronomistischea Weissagungen ist oben p. 278 mitgcttilt. Zuui teil 
«nd sie nnonym i. B. 11 10, 3üs«. 21, IObs., i. T. alten Namen in den 
-Mund geleut z. B. I ] 6, 1 ss. Mauchmal hat der l!earlieit«r wo! in seinen 
Quellen Anßnge vorgefunden, die er dann in aeirnT V/viae niugefährt 
lint; SU 1 14, 7as. 3l,2Igs. 119, 7as. In diesen .'^i.'Uen trelen »wnr die 
deute ronomisti sehen Gedanken und die jeremiani.'hcb-eiechielischeD Wen- 
dungen (nyi N^2.0 '3jri) deutlich hervor, aber eiüiielue Ausdi'ücke 
originalen Gepräge finden sich eingestreut, die dann fr« i lieh immer 
wiederliehren, ». B. HIJ?! 11SV- Auch Xanien wie Jehu bisn Hauani 
sind gewiss nicht fingirt: so weit sind wir noch nicht wie in der Cbraailc 
— Vgl. I. Sam. 2, 27 ss. 2. Sam. 7, Iss. 




Richter Samuelis und Könige. 289 

vergleichen aber noch eine Stufe niedriger stehend, ist 1. Reg. 13. 
Ein Mann Gottes aus Juda bedroht hier den Altar von Bethel, vor 
dem gerade König Jerobeam opfert, also: Altar Altar, siehe ein 
Sohn vsrird dem Hause Davids geboren, mit Namen Josia, der wird 
die Hohenpriester auf dir opfern, die auf dir räuchern, und wird 
Menschengebeine auf dir verbrennen. Und zur Gewähr der Richtig- 
keit dieser erst nach drei Jahrhunderten sich erfüllenden Weissa- 
gung gibt er das Zeichen, dass der Altar zerbersten und die Opfer- 
asche sich verschütten werde — was denn auch auf der Stelle ein- 
trüft. Diese Legende gehört indessen nicht eigentlich dem Deutero- 
nomisten an, sondern ist ein noch späterer Zusatz, wie man 
leicht daraus erkennt, dass der jenem angehörige Satz 12, 31 erst 
13, 33b vollendet wird. Es verdient Beachtung, dass in den beiden 
das 13. Kapitel einleitenden Versen 12, 32 ss. das Laubhüttenfest 
dem Priesterkodex gemäss auf den 15. des 7. Monats fixirt ist. 
3. In den verai-beiteten Quellen lassen sich hier ebenfalls 
noch bedeutende Abstufungen und Schattirungen wahrnehmen. Im 
Buche der Könige begegnen wir zum ersten mal fortlaufenden 
kurzen Daten, die durch ihren streng faktischen Inhalt und ihre 
knappe Form sofort in der Umgebung auffallen und den Anschein 
gleichzeitiger Aufzeichnungen ei-wecken. Trotz ihrer losen Auf- 
reihung sind sie es eigentlich, worauf unser zusammenhangendes 
Wissen über die Periode beruht; sie sind auch der regelmässige 
Inhalt des religiös-chronologischen Schemas (z. B. I 14 — 16), wegen 
ihrer lockeren Fügung und neutralen Haltung vorzüglich zur Be- 
arbeitung geeignet, die denn auch genugsam mit ihren Zutaten 
eingegriffen hat^). Schon bei Salomo beginnen diese wertvollen 
Notizen, hier freilich sind sie gegenwärtig stark mit anekdotenhafter 
Spreu untermischt. Hinterher finden sie sich vorzugsweise, ja fast 
ausschliesslich in der judäischen Reihe. ^lehrere bestimmte Zeit- 
angaben lassen auf annalistische Natui* schliessen ^), man könnte 
damit auch das charakteristische dazumal in Verbindung bringen, 

*) Die oben besprochene Stelle 1. Reg. 11, Iss. gibt davon ein gutes Bei- 
spiel ; man erkennt sofort den nackten Satz 1^11 H^Il^ TN aus der übrigen 
inhaltlosen Weitschweifigkeit heraus. Sonst vgl. II 16, 3s. 18, 4. 

2) 5. Rehabeams (I 14, 25), 23. Joas (II 12, 7), 14. Ilizkias (II 18, 13), 
18. Josias (II 22, 3), 4. u. 11. Salomos (I G, 37. 38). Allerdings kommen 
diese Daten zum teil in ausgeführten judäischen Erzählungen vor, die 
aber im nächsten Verhältnis zu den kurzen Notizen stehn und auf ihnen 
zu benihen scheinen. Es lässt sich denken, dass solche bestimmte 

Wellhauien, Prolegomeoa. b. Aufl. 3.9 



290 GeBchichte der Tradition, Kap. 7. 

welches häufig die kurzen Sätze einleitet unil im jetzigen Zu- 
sammenhang mebt beziehungslos ist. In iveldien Kreisen diese 
Auizeiclinangen gemacht sind, lässt sich kiium mufmassen. Wenn 
man sicher wäre, dasa die hervurrageude Berücksichtigung des jn- 
däischen Reichstempels nicht bloss auf späterer Auswahl, Bouderu 
auf einem ursprünglichen Interesse beruhte, so läge es nahe, an 
die jerusaleraische Priest«rschaft zu denken. Der gut königliche, 
vollkommen officielle Ton würde sich damit sehr wol vertrugen, 
denn die Söhne Sadoks waren bis auf Josia nichts weiter als lÜe 
gehürsumeu Dieuer der Nachkommen Davids und betrachteten das 
unbedingte Verfüguiigsrecht der letzteren über ihr Ueiligtuin «Is 
selbstverständlich (II 16, 10 s. Kap. 1^. 22 s,). IiidesseD wie wir 
sie haben sind diese Notizen nicht aus den Akten selber geschöpft, 
sondern aus einer sekundären Zusammenstellung, vielleicht aus den 
Jedesmal am Schluss einer Regierung citirten beiden Clironiken der 
Könige von Israel und von Juda, ans denen jedenfalls die lieiliwu- 
folge der Herrscher entnommen zu sein scheint. Dass diese Chro- 
niken nicht mit den urkundlichen Annalen gleichgesetzt werden 
dürfen, leuchtet ein; das Buch der üibre-hajamini muss von den 
Dibre-haJ amini selber unterschieden werden. Ob die Chronik von 
Israel — aus welcher beinah nichts mitgeteilt wird — viel früher 
ahgefasst ist als die (wie os scheint mit Jojakim abschliessende) 
Chronik von Juda, und «b sie und die Chronik Salomos (I 11, 41) 
ein ganz selbständiges Werk ist, möchte ich in Zweifel ziehen. 

Die Excerpte aiis den Annalen werden unterbrochen durch 
grössere Ausführungen, die damit zusammengearbeitet und elien- 
falls in das den terono mistische Schema aufgenommen sind. Unter 
ihnen sinA die judäischen in der Minderzahl, die samarisclien 
überwiegen, drängen sich indessen auf einen ganz kleinen Zeit- 
ranm znsammen. Als Beispiel, um die Stimmung und den Weichsel 
der Stimmung auch hier nachzuweisen, wähle ich die wundervolle 
Geschichte Elias. 

Der Prophet Elias, aus Thisbe in Gilead, tritt vor König 

Zahlen, einst in noch reicherer Fülle rorbattdvn , die Auhnllspunkle 
ireliefcrt lialien für oine ungufthrv SvliätKung dur Sumoitn, »us wek'hen 
die System iitia che Chronologie sutoebaut ist. Jedentnils stehu diPSf 
Riozeldaten aelber «usserhalli Am Syst«iiis. Dbj Gleiche gUl übri^ns 
von den Ällersangaben der jud&ischcn Könige (leiin ttegierunp&ntrflt, 
din viellnicht auch auf die „Annnlen" xurücksulm. Da« i;{ findet sieh 
13,16. 8,|1.12. 9,11. 11,7. IG, 31. 22,50. H8,22. 12.18, 14,8. 
15, IS. le, 5. 




Richter Samuelis und Könige. 291 

Ahab von Samarien und spricht: beim Leben Jahves des Gottes 
Israels, dem icli diene, es soll diese Jahre nicht tauen noch regnen 
ausser auf mein* Wort. Der Anfang der Erzählung ist abgebrochen; 
wir müssen wissen, dass Ahab auf der Königin Izebel Betreiben 
die Verehrung des tyrischen Baals in Israel verbreitet und die 
Propheten Jahves zu hunderten getötet hat (18, 13. 22), und dass 
darum ihn und das Land die Strafe trifft. Plötzlich wie er auf- 
getaucht ist Elias vei^schwunden. Wir finden ihn wieder am Bache 
Krith der in den Jordan fliesst, dann im Lande de» Baal zu Sarepta 
bei einer Witwe: indem sein Lebenslauf verfolgt wird, kommt zu- 
gleich auf einfache und schöne Weise die Schwere der Hungersnot 
zur Empfindung. Inzwischen hatte Ahab seine Häscher nach ihm 
ausgesandt und allen Reichen, wohin die vergebliche Suche ging, 
einen Eid abgenommen, dass er nicht zu finden sei. Nun jedoch 
zwang ihn die Not an andere Dinge zu denken, er selbst mit 
seinem Reichsverweser musste ausziehen um Futter zu suchen für 
die noch übrigen Kriegsrosse (Am. 7, 1). In dieser demütigenden 
Situation wm-de er von dem Geächteten übeiTascht — er traute 
seinen Augen nicht. „Bist du es, Aufrührer Israels!" „Ich rülu'e 
Israel nicht auf, sondern du, König, und deines Vaters Haus!" 
Nach dieser Begrüssung forderte Elias den König auf, einen Zwei- 
kampf zwischen den 450 Propheten Baals und ihm, dem einzigen 
noch übrigen Propheten Jahves, zu veranstalten. Eine Opferprobe 
vor allem Volk fand auf dem Karmel statt; beide Parteien sollten 
einen Stier zubereitet auf den Altar legen, ohne das Holz anzu- 
zünden: welcher Gott mit Feuer antworten werde, der sei der 
rechte. Die Baalspropheten, die zueret an die Reihe kamen, 
suchten auf ihre Weise ihren Gott zu erweichen. Sie schrien 
und sprangen ungeberdig, verwundeten sich mit Schwertern und 
Lanzen bis sie mit Blut übergössen waren, rasten ekstatisch vom 
Morgen über Mittag bis gegen Abend. Derweil schaute Elias 
ihnen zu und spottete: ruft recht laut, denn er ist ein Gott, er 
ist wol im Gespräch oder hat ein Geschäft, oder vielleicht schläft 
er, dass er aufwache! Endlich ging auch er an das Werk, stellte 
den zerstörten Altar Jahves her, schichtete darauf die Opferstücke 
und Hess sie um das Wunder zu erhöhen zwei drei mal mit 
Wasser übergiessen. Dann betete er zu Jahve — und Feuer fiel 
vom Himmel und verzehrte das Opfer. Das Volk, bis dahin ge- 
teilten Herzens, trat nun auf die Seite des Eiferers, griff die Pro- 

19* 



202 Geseliichte der Tradition, Kap. 7. 

piieteii Buiils uuil schlaclitete sie nnteo am Bache. Alsliald tränkt« 
eiu überrasche iKler Plittzregeu das Land. 

Dieser Trinmph des Elias wai' nur ein Vorspiel. Wie Izebel 
erfuhr was geschehen, schwur sie ihm Bache, und er llüchlete um 
sein Leben nacli dem judäischen Beerseba, dem Heiligtume Isaiiks. 
Todmüde setzte er sich dort unter eiuem Giusterbuscli in der 
Wüste nieder, und mit der Bitte: es ist genug, nimm Jahvtt 
meine Seele! schlief er ein. Da wurde er von einem himmlischen 
Boteu mit wunderbarer Speise gestärkt niid aitf den Berg Gottes 
Hureb beschieden. Wie er dort nach lauger Reise angelangt ia 
eine }löhle sieh zurückgezogen hat, rauscht es an ihm vorüber: 
Sturm und Beben und Blitze sind Jahves \'orreiter, darnach 
kommt er selbst im leisen Säuseln hinter dem Gewitter. Vei- 
hüllten Hauptes tritt Elias aus der Höhle und hiirt eine Stimme 
fragen was ihm sei. Nachdem er sein llei-z ausgeschüttet, _wird 
ihm der göttliche Trost zn teil, dass seine Sache mit uichten ver- 
loren sei, dass die grimmigste Rache, deren Vollstrecker er selbst 
zn berufen habe. Aber alle Verehrer Baals ergehen solle, und da^s 
diejenigen Siebentausend to Israel das Feld behaupten werden, 
die ihre Kniee dem Abgotte nicht gebeugt. „Du sollst Hazael 
zum Könige über Damaskus salben und .lehu ben Nimsi zum 
Könige über Israel und Elisa ben Saphat zum Propheten au 
deiner stJttt, und wer dem Schwerte Hazaels entrinut, den wird 
Jehu, und wer dem Schwerte Jehus entrinnt, den wird Elisa 
töten." Der Berieht, wie Elias diese Befehle ausgerichtet habe, 
ist gegenwärtig ausgelassen; wir werden bald sehen aus welchem 
Grunde. Nur dass er den Elisa vom I'liuge weg aufgerufen habe 
ihm nachzufolgen, wird zum Schiusa von Kiip. 1'.) gemeldet. Auch 
von der Erfüllung des Gerichtes über die Baalsverehrer haben wir, 
in dieser Erzähiuugsgruppe, nur die Einleitung Kap. 21. Ahab 
wollte gern einen Weinberg haben, der in «einer Lieblingsresideuz 
Jezreel neben dem Valaste gelegen war; aber Naboth, der Ilesitzer, 
fand sich nicht bereit ihn zn verkaufen oder zu vertauschen. Ärger- 
lich glaubte der König dabei nichts weiter tun zu können, jedoch 
Izebel, die Tyrierin, hatte andere Begriffe von Macht und Recht 
und sagte: du willst die IleiTschaft spielen in Israel? sei gutes 
Muts, ich verschaffe dir den Weinberg! Hie schrieb eiuen Brief an 
die Häupter der Stadt und lies den Naboth durch feile Richter 
aus dem Wej,'e schaffen. Wie nun Ahab eben hinging i 





Richter Samuelis und Könige. 293 

fallenen Weinberg in Besitz zu nehmen, stiess der Feind auf ihn. 
Der Prophet Elias, immer im richtigen Moment zur Stelle, schleu- 
derte ihm das AVort entgegen: „hast du gemordet und dich auch 
in Besitz gesetzt? fürwahr an dem Orte, wo die Hunde Naboths 
Blut geleckt haben, werden sie auch deines lecken.'^ Damit bricht 
dieser Bericht ab; was folgt, ist nicht die wahre Fortsetzung. 

Zugleich ist hier überhaupt der Faden der Erzählung von 
Kap. 17 — 19. 21 abgeschnitten, ohne zu dem richtigen Ende ge- 
langt zu sein. Es fehlt der Sieg Jahves über den Baal, des Pro- 
pheten über den König; die Geschichte Naboths wie gesagt leitet 
denselben nm* ein. Der Sache nach sind wir zwar genügend dar- 
über unterrichtet, aber der Form nach entsprechen die Berichte 
nicht der Ankündigung in Kap. 19 und 21; sie sind anderen 
Quellen entlehnt. Die Syrerkriege sollen nach 19, 17 zur Rache 
an den Baalsverehrem, d. h. vor allem an dem götzendienerischen 
Königshause, bestimmt sein; aber gar nicht nach diesem Gesichts- 
punkte werden sie in Kap. 20. 22. II 7. 9 erzählt. Vielmehr be- 
haupten sich darnach Ahab und Joram mannhaft und ehrenvoll 
gegen die Übermacht von Damaskus, erst nach der Ausrottung 
des Baaldienstes unter Jehu begann die unglückliche Wendung; 
Hazael, der sie herbeiführte, wurde nicht schon von Elias, son- 
dern erst von Elisa gesalbt (II 8, 7ss.)'). Auch das Blutbad zu 
Jezreel, worauf die Drohung I 21, 19 geht, muss, um den litera- 
rischen Abschluss zur Geschichte Naboths zu bilden, in anderer 
Weise erzählt sein als es II 9. 10 geschieht. Nach 21, 19 soll 
Ahabs Blut zu Jezreel fliessen, nach II 9. 25 floss dort seines 
Sohnes Blut zur Rache für Naboth. Zwar wird 21, 27 — 29 die 
Bemerkung angehängt, da der König auf Elias Drohung in sich 
gegangen sei, so habe Jahve nachträglich dem Propheten mitge- 
teilt, er werde dieselbe ei*st nach seinem Tode an seinem Hause 
erfüllen — aber wer merkt hier nicht die Harmonistik')! Noch 

^) Ebenso auch Jehu II 9, 1 ss. Dies der Gmnd der oben bemerkten Aus- 
lassung hinter I 19. 18; vgl. Thenius' Kommentar. 

2) Trotz 21, 27—29 ist in 22, 38 ein Versuch j^emacht die Erfüllung von 
21, 19 an Ahab selber nachzuweisen. Nachdem vorher berichtet, dass 
die Knechte des in seinem Wagen erschossenen Königs seine Leiche 
von Kamath Gilead nach Samarien gebracht haben um sie dort beizu- 
setzen, heisst es 22,38: und sie spülten den Wagen am Teiche 
von Samarien und die Hunde leckten sein Blut und die 
Huren badeten darin, nach dem Worte Jahves. Auf diese 
Weise erklärt es sich, wie die Hunde zu Samarien das seit der Schlacht 



21)4 



sthifhie der Traditidii, Kap. 7. 



eint) Ileiiie untergeordneter Differenzen kommeu hinzu, i 
weisen, dass in 11 9. 10 nicht auf die Relation über deTi Mord 
Niilioths zurückgesehen wird, wie sie I 21 lautet. Niich II 9, 2b. 26 
handelt es sich nicht um den Wembei^, soudorn um den Äcker 
Nahoths, der eine Strecke vor der Stadt lag; mit ihm wnrde 
auch seine Familie hingerichtet; am fulgeuden Tage, als Ahali 
in Begleitung Jehus und Ren Dekers hinaustritt um den Acker 
einzuziehen, traf ihn das (nicht so specicll auf seine Person ge- 
miinzte) Wort des Propheten: „fürwalu- das Blut Nabotlis imd 
seiner Kinder habe ich gesehen, gestern, und zahle es dir heim 
auf diesem Acker!" 

Mit Hilfe dieser andei-weitigeu Berichte, unter denen sich ua- 
mentlich eine grössere gleichartige Gruppe volkstümlicher Erzäh- 
lungen (I 20. 22. II S, (i, 24—7, 20. 9, 1—10, 27) voneilhaft 
auszeichnet, lässt sich nun an der (ieschichte Elias eine Kritik 
üben, welche das für den Entwicklungsgang der Tradition lehr- 
reiche Ergebnis liefert, dass der Kintluss des gewaltigen Propheten 
auf seine Gegenwart doch viel zu hoch angeschlagen ist. Das 
negative Fundament seiner Bedeutung ist die Verbreitung des 
Baalskultus in Israel: diese zunächst ist nicht wenig übertrieben. 
Von einer Unterdrückung des nationalen Gottesdienstes iu dama- 
liger Zeit kann keini' Rede sein, es ist nichts mit der Angabe, 
dass die Propheten Jalives damals sämtlich ausgerottet seien und 
Elias allein übrig geblieben. Uie Propheten vereine zu ßethel 
Jericho und Gilgal haben ungestört fortbestanden, in den Syrer- 
kriegen stehn Jahvepropheten dem Ahab zur .Seite, vor seinem 
letzten Felilznge sind ihrer vierhundert in der Hauptstadt ver- 
sammelt, von denen weni^tena der eine dem Könige längst als 
l'nglücksseher bekannt, aber weder früher erwürgt war noch jetxt 
erwürgt wurde, trotzdem er hei seiner misliebigen Art verharrte. 
Ahab nannte von den Söhnen, die ihm Izebel gebar, den einen 
Ahazjnhn Jahve hält und den anderen Jehoram Jahve ist er- 
haben: er hielt an Jahve ;ds dem Gotto Israels fest, trotzdem i 
seiner Gemahlin zu lieh der lyrischen Gottheit in Samarien eio*! 



Datürlich längst eingetrocknete Blut liabeu lecken könnmi! Leider . . 
diktiei nhersehen, das.q nach dem Worte Jafa^e« ^1, 19 die Hunde nicht 
IU Samarien, aondeni lu Jexreel, dem Orte Nabotbs, du Blut Ahnba 
lecken sollen. Uer Vers 32, 38 ist eine Interpolation, di« jüdisdieiD 
Scharfsicae Ehre macht. 




Richter Samuelis und Könige. 295 

Tempel und einen Gottesdienst stiftete. Ist dem nun so, so kann 
auch Elias Kampf gegen den Baal damals nicht die Wichtigkeit 
gehabt haben, die ihm im Lichte eines späteren Standpunktes 
beigelegt wurde. Wirklich merkt man in der oben bezeichneten 
Gruppe volkstümlicher Erzählungen nichts von einer religiösen 
Bewegung, die Israel innerlich zenissen hätte; das Volk wird 
ganz durch die Syrerkriege in Anspruch genommen. Die Augen 
sind auf die Könige gerichtet, die ihre Pflicht und Schuldigkeit 
im Kampfe tun, Elias steht im Hintergi-unde. Ohne viele Worte 
verrät sich mehrfach die Hochachtung, die Ahab bei Freund und 
Feind geniesst (20, 31. 22, 32. 34 s.); auch Joram und selbst 
Jzebel werden durchaus nicht unsympathisch geschildert (II 6, 30. 
y, 31). Von Jehu dagegen, dem von den Propheten angestifteten 
Mörder des Hauses Ahab, kann man schwerlich das Gleiche be- 
haupten (H 9. 10). 

Tatsache ist allerdings, dass es dem Baalshass der Propheten 
am Ende gelungen ist die Dynastie Omris zu stürzen. Aber auf 
welche Weise! Während König Joram durch eine Wunde von 
seinem im Felde stehenden Heere fern gehalten wurde, ging ein 
Abgesandter Elisas ins Lager, rief den Feldhauptmann von einem 
Gelage, bei dem er ihn antraf, zu einer heimlichen Unterredung 
ab und salbte ihn zum Könige. Als Jehu zu den trinkenden 
Kameraden zurückkam, fragten ihn die, was jener Verrückte ge- 
wollt habe, und da er mit ausweichenden Antworten nicht aus- 
kam, sagte er ihnen die Wahrheit. Sofort erhoben sie ihn auf 
einen improvisirten Thron und Hessen ihn als König ausposaunen: 
die Sache leuchtete ihnen ein, um „jenen Verrückten" scherten 
sie sich nicht. Mit einer unerhörten Meisterschaft in Ven-at und 
Blutvergiessen rechtfertigte Jehu ihr Vertrauen, aber er verliess 
sich dabei lediglich auf die Hilfsmittel seines eigenen Mordgenies. 
Von einer allgemeineren Bewegung gegen die Dynastie wurde er 
nicht getragen, das Volk, das er misachtete (10, 9), stand starr 
und entsetzt vor den schlag auf schlag sich folgenden Greueln; 
noch nach hundert Jahren war der Schauder über die Bluttat von 
Jezreel lebendig (Os. 1, 4). Nachdem nun die Krone gewonnen 
war, erwies der verwegene Spieler den Fanatikern seinen Dank 
und schickte den Priestern Jahves, die er zusammen mit dem 
ganzen königlichen Anhange hingeschlachtet hatte (10, 11), die 
Priester und Verehrer Baals nach. Aus der Weise, wie er sie in 



■29<.; Geschiclile der Tradiliuii, Kap. 7. ^^M 

die Falle lockte (10, 18ss.), gülit hervor, ilass uieinand bislijf" 
daran gedaclit hatte in ihm den \'(irkiinipfer Jahves zu erblicken; 
offenbar war auch jetzt der Eifer nur ostensibel (10, Ifjss.), er 
kämpfte nicht für eine Idee. Also, das sieht man, der Baal ist 
es nicht gewesen, der das Hans Ahab zu Kall gebracht hat, srm- 
dern gemeijier Verrat; die Eiferer haben ein recht unheili^es 
Werkzeng zu ihren Zwecken aufgeboten, von dem sie danu seihst 
als heiliges Mittel zu seinen Zwecken benutzt wurden; das A'olk 
rum Sturm gegen den Baal mit fortzoreissen ist ihnen mit nichten 
gelungen. Grössere Entrüstung scheint dii? Hinrichtung Naboths 
hervorgerufen zu haben, ein moralischer, kein religiöser Frevel. 
In der Geschichte Elias selber wird zugestanden, dass sein Kampf- 
gegen deu Baal trotz des Opfersieges auf dem Karmel resnltatlos 
verlaufen und dass erst mit jenem Justizmorde eine andere Wen- 
dung eingetreten sei. Aber nach II 9, 25 ist derselbe doch nicht 
etwa durch eine allgemeine Erregung, die er hervorrief, so ver- 
liängnisvoU geworden, sondern vielmehr durch den zufälligen Um- 
stand, dass Jehu Zeuge des unvergesslicheu Anftiitts iwist^hen 
Ahab und Ellas war und darum dem Propheten zum Vollstrecker 
der Drohung geeignet schien. 

Gewiss ist es richtig, dass diese grandiose Gestalt des Elias 
nicht hätte gezeichnet werden können ohne aus einem entsprechen- 
den Eindrucks der Wirklichkeit concipirt zu sein'). Aber sie ist 
zu sehr aus dem historischen Ensemble herausgerissen und dadurch 
ins kolossale vergrössert. Überhaupt siuii in dieser Gattong von 
Erzählungen die Propheten zu stark in den Vordei^raud gerückt, 
als wären sie schon iu ihrer Gegenwart die Hauptmacht der israe- 
litischen Geschieht« gewesen, als hätte das was sie bewegte auch 
ihre Zeit beherrscht und angefüllt. Das war nicht der Fall, für 
die Zeitgenossan traten sie hinter deu Königen völlig in den 
Schatten, erst den Späteren wurden sie die Hauptpersonen. Ihre 

') Auch ist der zeitliche Alistaad des Kraählers voa deu Sachen nicLl allzu 
gnWB, Er ist Nordisraelit, wie sich aas min"''? "IB'S 19, 3 ergibt und 
uns 19, 8 vgl. lait Deut I, 2: ein Judfter konnte sich in der Entfemuog 
nicht so leicbt imd nicht so stark vergreifen, nenn inoii freilich ftucb 
bedenken uiua, dass der Eoreb für diesen Krzäbler schwerlich da lag, 
wo wir seine Loge aniunehmen seit altera gewohnt sind. Ein Zeicbcu 
des Alters ist femer die rnbefnngeuheit, womit Ellas in Israel Baal be- 
kämpft und doch im sidoniscbeo Laude aufs freundschaftlichste mit d«a 
Baalsverelirera verkehrt (Ev. Luc. 4, 35s.). 




Richter Samuelis und Könige. 297 

ideale Bedeutung, wodurch sie mehr auf die Zukunft als auf die 
Gegenwart eingewirkt haben, ist ins Reale übei*setzt worden. In 
der Zeit Ahabs und Jehus genossen die Nebiim, die sich damals 
sehr weit ausgebreitet und in eigenen Orden organisirt hatten, 
keiner grossen Achtung; durchschnittlich waren es armselige Ge- 
sellen, die dem Könige aus der Hand assen und in leitenden 
Kreisen wegwerfend behandelt wurden. Elias und Elisa ragten 
nun zwar über ihren Stand hervor; aber der erstere, dessen Hände 
rein geblieben sind, hat wol gelegentlich durch sein kühnes Wort 
imponirt, tatsächlich aber nichts gegen den König ausgerichtet und 
auch das Volk keinesw^egs auf seine Seite gezogen; Elisa dagegen 
hat wol etwas ausgerichtet, jedoch mit lichtscheuen Mitteln, die 
eher die Schwäche als die Macht des Prophetentums in Israel 
bezeugen. 

4. Fassen wir zum Schluss zusammen, was wir auf unserer 
eklektischen Wandeiomg durch die historischen Bücher gelernt 
haben. Was der gewöhnlichen Vorstellung als der specifische 
Charakter der israelitischen Geschichte erscheint und derselben vor- 
zugsweise den Namen der heiligen Geschichte eingetragen hat, 
beniht zumeist auf nachträglicher Übermalung des ursprünglichen 
Bildes. Schon früh beginnen die verfärbenden Einflüsse. Dazu 
rechne ich nicht das Eindringen sagenhafter Elemente, die schon 
in den ersten Anfängen zu denen wir die Tradition zurückver- 
folgen können nicht fehlen, auch nicht den unvermeidlichen Lokal- 
ton der mit Tendenz nichts gemein hat. Ich denke nur an das 
gleichförmige Gepräge, welches eine principielle Betrachtungsweise 
der Geschichte der Überlieferung aufdrückt. Da lässt sich nun 
zuvördei-st ein religiöser Einfluss wahrnehmen, der sich in den 
Büchern Samuelis und der Könige näher als prophetischer heraus- 
stellt. Die Meinung scheint mir irrig, dass die Propheten dem 
hebräischen Volk seine Historie überhaupt erst gegeben haben. 
Das Lied Jud. 5, allerdings vielleicht das älteste geschichtliche 
Denkmal im Alten Testament, lässt sich nicht dafür anführen; 
denn selbst wenn es wirklich von Debora gedichtet wäre, so steht 
doch die Seherin in keinem Zusammenhange mit den Propheten. 
Am wenigsten werden die Kollegien der Bne Nebiim zu Gilgal 
und an anderen Orten als Pflanzschulen der Tradition zu be- 
trachten sein; die Produkte, die aus diesen Kreisen stammen, ver- 
raten einen ziemlich beschränkten Gesichtskreis (2. Reg. 2, 1 — 25. 



•2QS Geschichte der Tr&dition, Kap. 7. ^^M 

4, 1 — fi, 23). Die Propheten habeu die Überlieferung nicht zueaKl 
geformt, somlern siml mit ihrer eigentümlichen Beleuchtung hinter- 
drein gekommen. Ihr Interesse für den geschichtlicheo ^^toff war 
nicht so gross dass sie sich gedrungen fühlten ihn aufzuzeichnen^ 
sie hftuchten ilim nur nachträglich ihren Geist ein. 

Aber systematisth überprägt ist die Überlieferang erst, seit- 
dem man einen festeren Stempel hatte als die freien Ideen der 
Propheten, seitdem der Wille Gottes schriftlich formniirt war. Da 
wiird miin allgemein des Widerstreits inne, welcher zwischen dem 
idealen Anfang, den man jetzt herznstellen strebte wie er ira 
Buche stand, und der nachfolgenden Entwicklung klaHte. Dia 
alten Volksbücher, die harmlos an den verwerflichsten Sitten nnd 
Hinrichtungen vorübergingen, bedurften einer gründlichen Aptirung 
nach der mosaischen Form, um sie für die neue Zeit verwertbar, 
veniaulich und erbaulich zu machen. Nicht erst durch die Chro- 
nik, im Anfange der griecliischeu Herrschaft, wurden sie dem- 
gemäss zusammenhangend überarbeitet, sondern, wie wii' in diesem 
Kapitel gesehen haben, schon im babylonischen Exil. Aber in 
einer etwas anderen Weise, In der Chronik wird die Vergangen- 
heit auf grund des Gesetzes umgedichtet; jeweilige Übertretungen 
kommau vor, aber nur als Ausnahmen von der Regel. In den 
Büchern der Richter Samnelis ujid der Könige winl die Tatsache 
des radikalen Absttindes der alten Praxis vom Gesetz im ganzen 
nicht in Abrede gestellt. In einzelnen Fällen zwar wird die Ver- 
gangenheit auch hier auf grund des Ideals umgedichtet, in der 
Regel aber doch nur verurteilt. Das ist der eine Unterschied; ein 
anderer kommt hinzu, der ungleich wichtiger ist. In der Chronik 
I ist es der Pentateuch, d. h. vor allem der Priesfcerkodex, nach 
dessen Muster die Geschichte des alten Israels dargestellt wird. 
In der Quelle der Chronik, in den älteren historischen Bächeni, 
geht die Bearbeitung nicht vom Priesterkodex aus, der ihr viel- 
mehr vollkommen unbekannt ist, sondern vom Deu teronominm. 
Die Geschichte der Tradition führt idso, was die Reihenfolge der 
beiden grossen Gesetzeskörper betrifft, zu dem gleichen Ergebnis 
wie die Geschichte des Kultus. 




Die Erzählung des Hexateuchs. 299 

Achtes Kapitel. 
Die Erzählung des Hexateuchs. 

In den geschichtlichen Büchern ist die Form, in der die 
Tradition weiter gebildet worden ist, die Ergänzung und Über- 
arbeitung; doppelte Relationen kommen zwar hier und da vor, 
aber nicht grosse pai-allele Zusammenhänge neben einander. Im 
Hexateuch haben zwar auch Ergänzungen und Nachtragungen in 
umfangreichem Maasse stattgefunden, aber vorzugsweise sind hier 
fortlaufende Erzählungsfäden, die für sich selbst verstanden werden 
können und müssen, zu einer doppelten und dreifachen Schnur 
zusammengeflochten. Man ist nun wenn auch nicht grundsätzlich 
so doch tatsächlich geneigt, die formelle Selbständigkeit dieser 
s. g. Quellenschriften des Hexateuchs so zu deuten, als seien die- 
selben auch materiell unabhängig von und beziehungslos gegen 
einander. Dies ist nun von vornherein sehr unwahrscheinlich. 
Wenn selbst bei den Propheten, die doch ihr Wort von Jahve 
empfangen hatten, der Nachfolger den Vorgänger kennt und auf 
ihm fusst, wie viel mehr muss dies bei Erzählern der Fall sein, 
die es ausdinicklich mit der Überlieferung zu tun haben. Mit der 
mechanischen Zerlegung hat die Kritik ihr AVerk nicht getan, sie 
muss darauf hinaus, die ennittelten Einzelschriften in gegenseitige 
Beziehung zu setzen, sie als Phasen eines lebendigen Processes 
begreiflich und auf diese Weise eine stufenmässige Entwicklung 
der Tradition verfolgbar zu machen. 

Um so dringender liegt diese Aufgabe vor, je auffallender die 
Einzelschriften nicht bloss im Stoffe, sondern auch in der Anord- 
nung der Erzählungen übereinstimmen. Keine Ursage hat be- 
kanntlich einen so geschlossenen Zusammenhang wie die biblische, 
so dass es in der Tat kein AVunder ist, dass sie der Rahmen für 
viele anderen wurde und sie verfärbte. Dieser Zusammenhang 
aber ist in allen Hauptzügen den Quellen gemeinsam. Der Priester- 
kodex läuft in seinem historischen Faden dem jehovistischen Ge- 
schichtsbuche durchaus parallel. Nur dadurch ist es möglich ge- 
wesen, diese beiden Schriften so in einander zu schieben, wie sie 
uns gegenwärtig im Pentateuche vorliegen. Dass es dabei nicht 
ohne alle Eingrifl'e abgegangen ist, ist weniger zu verwundern, als 



300 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

dass sich die Eingriffe in so engen Grenzen halten und insbesondere 
die Anlage der beiden Schriften fast ganz unangetastet lassen. 
Das begreift sich nur aus der weitgehenden Übereinstimmung der- 
selben in diesem Punkte. Wo es sich nun nicht um Geschichte, 
sondern um Sagen über die Vorgeschichte handelt, da kann die 
Anordnung des Stoffes nicht mit dem Steife selber gegeben sein, 
sondern muss auf dem Plane eines Darsteilere beruhen. Aus dem 
Volksmunde stammen bloss die losen und nur ganz ungefähr auf 
einander bezogenen Erzählungen; ihre Verbindung zu einer festen 
Einheit ist das AVerk dichterischer oder schriftstellerischer Formung. 
Die Übereinstimmung der Quellen im Plane der Erzählung ist also 
nicht selbstveretändlich, sondern höchst auffallend und nur aus 
literarischer Abhängigkeit zu erklären. Die Frage, wie das Ab- 
hängigkeitsverhältnis zu bestimmen ist, drängt sich darum weit 
stärker auf, als wie man gemeiniglich annimmt'). 

Es ist indessen hier nicht der Ort, eine Geschichte der Ent- 
wicklung der israelitischen Sage zu versuchen. Es soll vielmehr 
nur der Grund dazu gelegt werden durch eine Vergleichung der 
Erzählung des Priesterkodex mit der jehovistischen, wobei sich 
herausstellen wird, dass Buttmann (Mythologus I p. 121 ss.) gegen 
de AVette (Beiträge II) Recht hat mit der Behauptung, dass die 
jehovistische Gestalt der Sage die urspiünglichere sei. 

I. 

1. Mit dem Berichte des Priesterkodex über die Weltschöpfung 
beginnt die Bibel. Im Anfang ist das Chaos; Dunkel, Wasser, 
brütender Geist, der lebenzeugend die tote Masse befruchtet. Der 

^) Die Cbcreinstimmuiig erstreckt sich auch weiter ins einzelne, bis auf 
die Ausdrücke. Von mahbul (Sündflut) und theba (Arche) sehe ich 
ab, aber folgende Beispiele haben mich frappirt. In P Gen. 6, 9 heisst 
Noah gerecht in seinen Geschlechtern, in JE 7, 1 gerecht in 
in seinem Ge schlechte — keine gewöhnliche Redeweise, die den 
H abbineu und Hieronymus viel Kopfzerbrechens verursacht. Ebenso P 
Gen. 17, 21: der Sohn den dir Sara gebiert um diese Frist 
im künftijren Jahr und JE 18, 14; zur selben Frist will ich 
nächstes Jahr wieder zu dir kommen und dann hat Sara 
einen Sohn. Desgleichen P Exod. 6, 12. 7, 1: (Moses) ich bin un- 
beschnittenor Lippen, (Jahve) siehe ich mache dich zum Gott 
für Pharao und dein Bruder Ah aron soll dein Prophet sein 
verglichen mit JE 4, 10. 16: (Moses) ich bin schweren Mundes und 
schwerer Zunge, (Jahve) Aharon soll dir als Mund dienen und 
du sollst ihm für Gott sein. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 301 

Ui*stofF enthält untei*schiedslos alle Einzelwesen in sich, aus ihm 
geht stufenweise die geordnete AVeit hervor, und zwar durch Ent- 
mischung, durch Ausscheidung zunächst der grossen Elemente. 
Das chaotische Urdunkel weicht dem Gegensatze von Licht und 
Finsternis, das ürwasser wird durch das Himmelsgewölbe geteilt 
in das himmlische, woraus die unseren Blicken entzogene AVeit 
jenseit des Firmaments konkrescirt, und in das irdische; die letztere 
endlich wird aus schlammiger Mischung zu Meer und Land ge- 
schieden, worauf alsbald das Land sein giiines Kleid anzieht. Die 
so entstandenen Elemente, Licht Himmel AV asser Land, werden 
darauf, etwa in der Ordnung wie sie geschaffen sind, mit Einzel- 
wesen belebt; dem Licht entsprechen die Leuchten der Gestirne, 
dem AVasser die Fische, dem Himmel die A'^ögel des Himmels, 
dem Lande die übrigen Tiere. Der letzte Schöpfungsakt wird be- 
deutungsvoll heiTorgehoben. „und Gott sprach: lasset uns Menschen 
machen nach unserem Ebenbild, dass sie heri-schen über die Fische 
des Meeres und die Vögel des Himmels und über das Aleh und 
alles Getier der Erde und alles Gekreuch, das auf Erden kriecht. 
Da schuf Gott den Menschen nach seinem Bilde, nach Gottes 
Bilde schuf er ihn, und er schuf sie männlich und weiblich. Und 
Gott segnete sie und sprach: seid fruchtbar und mehret euch und 
füllet die Erde und machet sie euch untei'tan, und herrschet über 
die Fische des Meeres und die Vögel des Himmels und alles Ge- 
tier das auf Erden wimmelt. Und Gott sprach: siehe ich gebe 
euch alle samentragende Gräser auf der ganzen Erde und alle 
Bäume mit Samenfrüchten, dass sie euch zur Nahrung dienen; 
allen Tieren der Erde aber und allen Vögeln des Himmels und 
allem Gekreuch auf Erden, worin eine lebendige Seele ist, gebe 
ich das grüne Kraut zur Nahi'ung." So ward Himmel und Erde 
geschaffen und all ihr Heer, und Gott vollendete sein AA^erk am 
siebenten Tage und segnete den siebenten Tag und heiligte ihn 
(Gen. 1, 1—2, 4«). 

Es geht die Rede, diese Erzählung verfolge nur fromme 
Zwecke. Gewiss verleugnet sich der Israelit darin nicht; der 
religiöse Geist womit sie durchdrungen ist tritt sogar gelegentlich 
in AViderspruch zu der Natur des Stoffs. Das Chaos ist seinem 
Begriffe nach die unei*schaffene Materie, es ist ein merkwüi-diger 
Gedanke, dass es liier im Anfang von Gott geschaffen wird. Vom 
Geist bebiütet ist es ferner angelegt auf Entwicklung aus sich 



302 Geschichte der Tradition, Eap. 8. 

heraus, und ilariu dass die Schöpfung überall als .Scheidung des 
im Chaos schon gemischt Vorhandenen dargestellt wird, verrüt 
sich noch jetzt die ursprängliche Anlage; doch in der hebräischeu 
Erzählung ist der immanente Geist dem transcendenten Gott ge- 
wichen und daB Evolutionsprincip zurückgedmngt durch Ana lie- 
tehleude 8chÖpferwort. Dennoch ist das Interesse des Erzähler« 
nicht hauptsächlich ein religiöses. Hätte er bloss sagen wollen, 
Gott habe die Welt aus nichts geschaffen und er habe sie gnt ge- 
schaffen, so hätte er das einfacher ausdi'iicken können und zugleich 
deutlicher. Er will ohne Zweifel den tatsächlichen Hergang der 
Entstehung der Welt naturgetreu schildern, er will eine kosmo- 
gouische Theorie geben. Wer das leugnet, verwecliselt den Wert 
der Geschichte füi" uns mid die Absicht des Schi-iftstellers. Wäh- 
rend unsere religiösen Vorstellungen den seinigen konform sind 
oder vielmehr konform zu sein scheinen, haben wir über das 
Werden der Welt andere Begriffe, weil wir über die Welt selber 
andere BegrilTe haben, im Himmel kein Gewölbe, in den Sternen 
keine Leuchten und in der Ei'de nicht das Fundament des Alls 
erblicken. Aber das darf uns nicht abhalten, das theoretische 
.Streben des Verfassers von Gen. 1 anzuerkennen. Er sucht die 
Dinge so wie sie jetzt sind ans einander abzuleiten; er &agt steh 
wie sie wol allmählich aus dem Ui'stoff hervorgegangen sein mögen, 
und hat dabei überall nicht eine mythische Welt, sondern «iie gegen- 
wärtige gewöhnliche vor Augen. 

Die blasse Farbe, welche älinlichen Enseugnissen der ältesten 
nichtmythischen Naturerklärung eigen zu sein pflegt, ist auch inr 
Gen. 1 charakteristiscli. Zwar ist man gewölmt, dies erste Blatt 
der Bibel in all dem Zauber zu sehen, den die Vereinigung hohen 
Altertums tiefsinnigen Inhalts und kindlicher Form zu geben ver- 
mag. Es wäre vergeblich, die erhabene Ruhe und die einfornuge 
Grösse zu leugnen, die der Erzählung ihren Typus gibt, unver- 
gleichlich vor allem ist der Anfang: „die Erde war wüst und «n- 
gestalt und Finsternis lag auf der Flut und der Geist. Gottes brü- 
tete auf dem Wasser, da sprach Gott: werde Licht! und es ward 
Licht". Nimmt mau aber das Chaos als gegeben, so ist von hier 
aus das Ganze entsponnen; alles Folgende ist Reflexion, systema- 
tische Konstruktion, der man mit leichter Mülie nachrechnen kann. 
Es sind sehi* einfache Erwägungen, welche dazu fühi-en, erst das 
Grosse und dann das Kleine, erst das Fundament 



Fundament und r^ann «Im II 



Die Erzählung des Hexateuchs. 303 

darauf Befindliche entstehn zu lassen, das Wasser vor den Fischen, 
den Himmel vor den Vögeln des Himmels, das Land und die 
Pflanzen vor den Tieren. Die Anordnung der zu erklärenden 
Dinge gilt hier für die Erklärung selbst, über eine vom Einfachen 
zum Entwickelten fortschreitende Reihenfolge kommt es nicht hin- 
aus, kein Vei'such der Phantasie, den Hergang näher zu beschreiben, 
überall bedächtige Überlegung, die sich scheut, über das All- 
gemeinste hinauszugehn. Es wird eigentlich bloss das Fachwerk 
der Schöpfung gegeben, das aber unausgefüllt bleibt. Daher auch 
die Form des Ganzen, die durch ein Referat nicht wiedei'zugeben 
ist; das Schema überwuchert 'den Inhalt, statt anschaulicher Schilde- 
rungen bekommen wir logische Definitionen zu hören. Es ist die 
stufenmässige Ordnung in der Ausscheidung der Einzeldinge aus 
dem Chaos, womit hier das Erwachen einer „natürlichen" Betrach- 
tung der Natur und eines verständigen Nachdenkens über sie sich 
ankündigt, ebenso wie in den Versuchen des Thaies und seiner 
Nachfolger, die auch als Anfänge der Theorie und eines objektiven 
Interesses für die Dinge der Aussenwelt merkwürdig, aber nicht 
dazu angetan sind Begeisterung zu erregen^). 

Den ereten Satz des jehovistischen Berichtes über den Anfang 
der AVeltgeschichte hat der Redaktor abgeschnitten. [Es war alles 
trockene Wüste], als Jahve die Erde bildete, es gab noch kein 
Gewächs auf dem Felde und nirgends spross das Grün, denn Jahve 
hatte noch nicht regnen lassen auf die Erde und kein Mensch war 
da den Acker zu bauen. Ein AVasser^) aber entstieg dem Boden, 
das tränkte die Fläche des Ackers. Und Jahve- bildete den Men- 
schen aus Staube vom Acker und hauchte ihm Lebensodem in die 
Nase. Dann pflanzte er einen Garten im Lande Eden fern im 
Osten, an der Stelle, wo die vier Hauptflüsse der Erde aus ge- 
meinsamem Ui'sprunge sich teilen; da wachsen unter anderen 
schönen Bäumen der Baum des Lebens und der der Erkenntnis. In 
diesen Garten setzte Jahve den Menschen, ihn zu bauen und zu 
pflegen und zu essen von allen Bäumen: nur die Frucht des 
Baumes der Erkenntnis verbot er ihm. Mutterseelenallein aber 

*) Dabei bleil)t es auch dann, wenn Thaies und der Verfasser von Gen. 1 
aus der AVeisheit der Chaldaer geschöpft haben — was sehr wol 
möglich ist. 

^ "I^N (?) ist ein mythisches Wasser und wahrscheinlich trotz dem 

mangelnden Artikel determinirt. Vgl. das abess. n^J?. 



304 Geschieht« <Ier Tradition, Kt^. 8. 

ist der lleusch iu seinem Garten, er muss Gesellächaft lial>eii die 
für ihn passt. Also bildet Jahve jetzt eret die Tiere, ol> der 
Mensdi vielleicht mit ihnen verkehren nnd sich beireandeii könne. 
Er führt sie ihm niich einander vor, zu sehen, welchen Eindruck 
sie machen, wie der Mensch sie nennen würde. Er nennt sie lieim 
rechten Namen, Ochs Esel Bär, gibt also der Empfindung Ausdruck, 
dass er nichts Verwandtes linde, ujjd Jahve muss andei-en Rat 
schaffen. Da bildet er das Weib aus der Rippe des schlafenden 
Mannes und lüsst ihn erwachen. Der vergeblichen Experimente 
mit den Tieren wie überdrüssig ruft der Mensch nun entzückt 
beim Anblick des Weibes aus: das ist ducli einmal Fleisch von 
meinem Fleisch und Bein von meinem Bein, die kann man Mäouin 
heisseu. — Damit ist der Schauplatz gemalt, die auHretenden Per- 
sonen eingeführt, eine Handlung insgeheim vorberaitet: nun spielt 
sich die Tragödie ah, die mit der Vertreibung des ^leuscheu im» 
dem Garten endigt. Von der Schiauge verführt streckt der Mensch 
die Hand aus nach dem verbotenen Gute um zu werden wie Gott, 
nnd isst vom Baume der Erkenntnis. Der Anfang der Bekleidung, 
die erste Stufe der Civilisation, ist die nächste Folge davon: trau- 
rigere schliessen sich alsbald an. Am Abend hören der Meusch 
und sein Weib Jahve im Garten sich ergehn, sie verstecken sich 
vor ihm und verraten sich eben dadurch. An Leugnung rler Tat 
ist nicht mehr zu denken, und indem jeder die Schuld auf den 
anderen wälzt, geben sich die Beteiligten nach einan<ier sellter an. 
Der Ricliterspruch beschliesst die rntersucimng. Die Schlange soll 
auf dem Bauche kriechen, Staub fressen, und im ungleichen Kampfe 
mit dem Menschen zu gnmde gehn. Das Weib soll mit Schmerzen 
viele Kindyr gebären und nach dem Manne sich sehnen, der doch 
ihr Herr sein wird. Der ilauptlluch trifft den .Menschen il. h. den 
Mann. „Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit yaal sollai 
du dich davon nälneu dein Lebetag. Dorn und Distel wird er 
dir tragen und sollst das Gras des Feldes essen, bis du zum Acker 
zurückkehrst, davon du hei-genomnien bist; denn Staub bist du uml 
Staub wirst du wieder." Nachdem so das Urteil gesprochen, be- 
reitet Jahve die Menschen für ilu"e künftigeu Lebensverhältuisse 
dadurch vor, dass er ihnen Böcke aus Fellen macht und anzieht. 
„Siehe — wendet er sich dann an seine himmlische Umgebung — , 
siehe der Mensch ist geworden wie unser ein zu erkennen Gut und 
Böse: nun dass er seine Hand nicht iiussLrecke und nehme ( 




Die Erzählung des Hexateuchs. 305 

vom Baume des Lebens und esse und lebe ewiglich." Mit diesen 
Worten treibt er den Menschen aus dem Paradise und lagert davor 
die Cherube und das flammende Wandelschweii;, zu bewahren den 
Weg zum Baume des Lebens (Gen. 2, 4** — 3, 24). 

Die schwermütigste Betrachtung des Lebens, wie es gegen- 
wärtig ist, liegt dieser Erzählung zu gründe. Eitel Not und Ar- 
beit, ein Frohndienst sind des Menschen Tage, aussichtsloser 
Frohndienst, denn der Lohn ist, dass man wieder zur Erde wird, 
davon man hergenommen. An ein Leben nach dem Tode kein 
Gedanke; als eine verscherzte Möglichkeit gilt das Leben ohne 
Tod — jetzt wehrt der Cherub den Zugang zum Baume des 
Lebens, von dem der Mensch im Paradis hätte essen können aber 
nicht gegessen hat. Dies gegenwärtige öde Erdenlos ist das eigent- 
liche Problem der Erzählung. Es wird empfunden als klaff'ender 
Widerspruch gegen unsere wahre Bestimmung, es kann nicht das 
Ureprüngliche sein. Es ist vielmehr Verkehrang des Ureprüng- 
lichen, die Strafe einer uralten Schuld lastet darin auf uns allen. 
Zuerst führte der Mensch im vertrauten Umgange mit Jahve ein 
glückliches und menschenwürdiges Dasein im Paradise: das ver- 
botene Streben nach der Erkenntnis von Gut und Böse hat ihn 
daraus vertrieben und all das Elend über ihn gebracht. 

Was ist die Ei'kenntnis von Gut und Böse? Die Ausleger 
sagen, es sei das Vermögen der sittlichen Unterscheidung, also 
das Gewissen. Demgemäss nehmen sie an, der Mensch im Paradise 
sei moralisch indifferent gewesen, in einem Zustande, der ein be- 
wusstes Handeln ausschloss und weder gut noch böse zu nennen 
war. Da nun ein solcher Zustand kein Ideal ist, so finden die 
einen, durch den Sündenfall sei mehr gewonnen als verloren, und 
die anderen gestehn, es könne nicht die göttliche Absicht gewesen 
sein, den Menschen immer auf dieser Stufe kindlicher Unzurech- 
nungsfähigkeit zurückzuhalten, und auch der Erzähler könne das 
nicht meinen. 

Aber es ist deutlich, der Erzähler redet nicht von relativem 
sondern von absolutem Verbot der Erkenntnis: er meint sie stehe 
nur Gott zu, und wenn der Mensch die Hand darnach ausstrecke, 
so überschreite er seine Schranken und wolle werden wie Gott. 
Auf der anderen Seite kann er allerdings nicht meinen, das Ge- 
wissen sei ein sehr zweifelhaftes Gut, dessen Besitz zu beklagen, 
sei etwas, was Gott dem Menschen eigentlich versagt und nur 

Wellhausen, Prolegoraena. 5. Aufl. 20 



30t) (iüschklite der Traiiitio«, Kap. 8. 

Bii;h selber vori)fh.')lteit linbe. Die Erkcmitiiis kaoii nicht liiti t^ilt- 
Ik'he seiii. Wiis sull es liebsen, ilass Oott allein deii rutenBctiied 
»wischen Gat und Böse kennen and dem Menschen dies Wissen 
versagen will? Dürfte man doch meinen, das Gewissen sei eher 
etwas apecifiscli menschliches, Wms soll es ferner heissen, dass 
Adam und Kva so neu^erig sind za erfahren was Sütidc uml 
Tugend sei? Darauf ist niemand nenyierig und nie entsteht die 
Sfiiide iinf dem Wege des ethisclieu Experiments, dadurch, dass 
man sierne wissen möchte was sie eigentlich sei. Offenbar winl 
doch auch vorausgesetzt, dass die Menschen iui Paradise wussten, 
dass der Gehoi-sam gegen Jahve gut, der Ungehorsam böse sei. 
Es widerspricht endlich der gemeinsamen Tradition aller Völker, 
sich den ersten Menschen als eine Art Tier vorzustellen; nur hin- 
sichtlich der äusseren Kultur winl er unentwickelt gedacht. Viel- 
mehr die Erkenntnis, ilie hier verboten ist, ist die eigentliche, 
die allgemeine Erkenntnis, das Klugwerden wie es hinterdrein ge- 
nannt wird- Das ist es, was nach des Verfassers Meinung aber 
die Schranken unserer Natur hinausgeht, das Geheimnis der Ding«, 
das Geheimnis der Welt zu ergräuden, Gott gleichsam in die 
Karten zu gucken, wie er ea bei seinem lebendigen Wirken an- 
fängt, um es etwa ilun abzusehen und nachanmachen. Denn 
Wissen ist der alten Welt Immer zugleich auch Können, keine 
blosse Metaphysik. Dieses Erkennen im höchsten Sinne steht uur 
Gott zu, der im schöpferischen Mittelpunkt der Dbige stehend das 
Ganze durchdringt und überschaut, es ist dem Menschen, der sich 
am Einzelnen abquält, verschlossen, fnd dennoch hat das ver- 
botene Gut den grössteu Reiz für ihn, er bretmt darauf es zu er- 
Inngen, und statt in Vertrauen und Ehrfurcht zu resLgnireu, ver- 
sucht er das ihm neidisch vorenthaltene Kleinod zu rauben und 
dadurch Gott gleich au werden — sich zum .Schaden. 

Diese Erklärung ist nicht neu, es ist die alt« und populäre, 
darum auch von Goethe Im Faust befolgte. Ein Einwand freilich 
erhebt sich dagegen: es steht doch da nicht bloss die Erkeuntnis, 
sondern die Erkenntnis von Gut und Böse? Aber im Hebräischen 
bedeutet Gut und Böse znnäcliBt immer nur heilsam uuä schäd- 
lich; auf Tugend und Sünde werden die Ausiirücke nnr über- 
tragen, sofern deren Wirkung frommt oder schadet. Mit Gut und 
Böse, wie es in Gen. 2. 3 gemeint ist, ist keine Entgegensetzung 
der llandUniiten nach ihren sittlichen rnterschieden beabsichtigt. 




Die Erzählung des Uexateuchs. 307 

sondern eine Zusammenfassung der Dinge nach ihren zwei polaren 
Eigenschaften, wonach sie den Menschen interessiren, ihm nützen 
oder schaden: denn, wie gesagt, nicht wie die Dinge metaphysisch 
sind, sondern wozu sie gut sind, will er wessen. Neben dem aus- 
führlichen Ausdruck kommt übrigens auch der einfache vor, Er- 
kenntnis schlechthin (3, 6), und zu beachten ist noch das, dass es 
nicht heisst: erkennen das Gute und das Böse, sondern: erkennen 
Gutes und Böses. 

Wir müssen nun aber weiter diese Erkenntnis nicht indi\a- 
duell, sondern geschichtlich auffassen; es ist das gemeint, was wir 
Kultur zu nemien pflegen. Wie das Menschengeschlecht in der 
Kultur vorwärts schreitet, schreitet es in der Gottesfurcht rück- 
wärts. Die erste Stufe der Givilisation ist die Bekleidung; hier 
ist sie die nächste Folge des Sündenfalls. Unsere Erzählung setzt 
sich fort in Kap. 4: Adams Söhne fangen an Städte zu gründen, 
Jul>al ist der erste Musiker, Kain erfindet die älteste und die 
\dchtigste Kunst, das Schmieden — das Schwert entsteht dadurch 
und die blutige Rache. Weiter schliesst sich in der gleichen Rich- 
tung die Geschichte von der Stadt und dem Turme zu Babel an, 
worin die Gründung der grossen AVeltrciche und Weltstädte vor- 
geführt wird, die die Menschenkraft zusammenfassen und damit 
bis zum Himmel vordringen wollen. In dem allen entwickelt sich 
die Emancipation des Menschen weiter, mit der steigenden Civili- 
sation steigt die Entfremdung von dem höchsten Gute; und — 
das ist ofi'enbar die stillschweigende Meinung — zum Ziel gelangt 
der unruhige Fortschritt doch nicht, es ist eine Sisyphusarbeit, 
der ewig unvollendete babylonische Turm ist das richtige Symbol 
dafür. Es ist das sehnsüchtige Lied, das durch alle Völker geht. 
Zu geschichtlicher Kultui* gelangt, empfinden sie den AVert der 
Güter, die sie dagegen aufgeopfert '). 

Es war nötig so ausfülu'lich den Begriff der Erkenntnis zu 
erörtern, weil das Misverständnis der Philosophen und Theologen 
einen Schein des Modernen über unsere Geschichte geworfen hat, 
welcher auf das Urteil über ihr relatives Alter nicht ohne Ein- 



*) Ich halte es jetzt doch für möglich, dass Gen. 4 und 11 über den Siun 
von Gen. 2. 3 nicht entscheidet und dass das den Menschen versagte 
Wissen dort wenigstens ursprünglich als Zauber und Zauhermacht auf- 
gefasst ist. Vgl. das in der Note zu p. 312 über das Buch Ilenoch Be- 
merkte; femer hebräisch jid'oni und aralusch scha'ir und 'arräf. 

20* 



I gewef 



Niicbdem zunächst dic'St'r Schein liespitij;^ *1 



wenden wir uns denjeuigeu Zügen von (ieii. 2. 3 zn, wulciie posi- 
tiv bei iler Destimtnung des Verhältnisses za (Jen. 1 in die Wag- 
schale fallen. 

Was man von Gen. I mit Unrecht behauptet hat, das ist 
wahr von Gen. 2. 3; die jehovistische Erzahtuiij; glänzt in der 
Tat dnrch das Abw&sen jei^liches rationellen Erkläningsstn-Iieus, 
(lui'ch die Verachtiuiu jeglicher kusniolojiischen Spekulatiun. Die 
Erde winl zu Auffing nicht feucht und bildsam, sondern (wie 
lob. 3H, H) hart nnd trocken gedacht, es muss erst Wasser kommen, 
damit die Wüste (getränkt wenle, der Äcker bedarf der Hestelliug 
durch den Menschen, dümit die Saat spriesst. Auf eine [latürliche 
Reihenfolge der Akte wird ^;\r nicht Itedacht tjenomroen; das bedörf- 
tigste Wesen, der Mann, entsteht zuerst und sieht sich auf die kahle 
Welt angewiesen, uhne ßauin nnd Stranch, ohne Tiere, ohne das 
Weih, rnverholen ist der Mensch der ansBchÜessliehe Gegenstand 
des Interesses, die übrigen Wesen werden erklärt durch Uire Be- 
detitung für ihn, als ob sie nur darin ihr Existenzrecht Iie.säs5en. 
])ie I<lee erklärt den Stoif, nach der mec^lianisclien Mögliihkeit 
wird man nicht versucht zu fragen. Es ist der Abgrund der G«- 
schmacklosigkeit, wenn dieser oder jener Gelehrte wegen Gen. 2, 21 
seine Rippen nachzählt, oder auch schlie-sst, iler nrspruiigliche 
Mensch sei Mann und Weib zusammen gewesen. 

8tehn wir bei dem ersten Bericht in den Anfängen nüch- 
ternen Nachdenkens über die Natur, so bei dem zweiten auf dem 
wunderbaren Roden des Mythus. Diesen hat nicht die verständige 
Reflexion erzeugt — wenigstens so weit die Natnransicht in Frage 
kommt, um die es sich uns hier zunächst handelt ^ sondern die 
volkstümliche Phantasie. Wir befinden uns hier in dem Zauber- 
garteu der Vorstellungen des echten Altertums, der frische antike 
Eiflgemch weht uns entgegen. Die Hebräer atmeten in der Enft 
die sie umgab; was sie sich am Jordan erzählten vom Lande Eden 
und vom Sündenfall , das erzählte man sich ganz ähnlich am 
Euphrat und Tigris, am Oxus und Arius. Das wahre Land der 
Erde, wo die Gottheit wohnt, «las ist Eden. Es ist nicht etwa . 
nach dem Sündenfall eotjückt, sondern noth heute vorhanden; 
warum wären sonst die Chenibe nötig den Eingang zu wahren)' 
Es sind wirkliche Flüsse, die von dort ausgehn, dem Erzähler 
nach den Ländern, durch die sie fliessen, nach den Produkt« 



k 




Die Erzählung des llexateuchs. 309 

die von dort kommen, sämtlich wolbekannt, drei davon auch 
uns nicht fremd, der Nil der Euphrat und der Tigris. Wüssten 
wiYj wie der Verfasser sich den Lauf der \aer Flüsse denkt, so 
wäre es leicht zu sagen, wo ihr gemeinschaftlicher Ursprung ist, 
wo also das Paradies liegt. Ähnlich bestimmen andere alte Völker 
die Lage ihres heiligen Landes; die Ströme heissen bei ilmen an- 
ders, aber die Namen tun nichts zur Sache. Auch an die Wunder- 
bäume im Garten zu Eden finden sich \'ielfache Anklänge, bis 
hinein in die germanische Mjthologie. Ebenso ist der Glaube an 
die Cherube, die das Paradis hüten, weit verbreitet. Kr üb ist 
vielleicht der selbe Name ') und gewiss die selbe Vorstellung wie 
Gryp im Griechischen und Greif im Deutschen; überall sind diese 
wunderbar aus Löwe Adler und Mensch zusammengesetzten Wesen 
Wächter des Göttlichen und des Heiligen, dann auch des Goldes 
und der Schätze. Allerdings hat der mytische Stoff unter der 
schöpferischen Behandlung des monotheistischen Erzählers Manches 
von seiner ursprünglichen Gestalt und Farbe verloren. Das he- 
bräische Volk erzählte wol nicht bloss vom Baum des Lebens, 
sondern nach der Ortsbestimmung in der Mitte des Gartens 
scheint es, er habe am Ausgangspunkt der \ier Ströme gestanden, 
an der Quelle des Lebens, die im Glauben des Orients so grosse 
Bedeutung hatte und die zu suchen Alexander auszog'). Gewiss 
war ferner das Paradies ursprünglich nicht für den Menschen ge- 
pflanzt, sondern es war die Wohnung der Gottheit selbst '). Spuren 
davon sind noch erkennbar. Jahve fährt hier nicht vom Himmel 
hernieder, sondern lustwandelt abends im Garten als ob er da zu 
Hause wäre: im ganzen aber ist doch der Gottesgarten etwas 
naturalisirt. Eine ähnliche Abschwächuug des Mythischen hat bei 
der Schlange stattgefunden; man merkt nicht mehr recht, dass sie 
ein Dämon ist. Doch ist durch die Abstreifung des Fremdartigen 
an Gehalt nichts verloren, an edler Einfalt nur gewonnen. Der 

^gl» 11*13 iß tl^ii südarabischen Eigennamen; auch Fraenkel Fremd- 
worter p. 274. Eine Abbildung südarabischer Cherube zwischen heilijren 
Bäumen findet sich auf Tafel 73 des C. I. S. IV. 

^ Vgl. die Composition des Hexateuchs 1899 p. 305. Der Baum der Er- 
kenntnis ist an die Stelle des Baumes des Lebens getreten. 

^) Dem Garten Gottes kann sehr wol der heilige Hain (arab. Himä) zu 
gründe liegen, wo sich Wasser und Grün vereinigen, wo die Früchte 
der heilijjen Bäume Tabu (vgl. Bedjans Acta Mart. I ß5) und die wilden 
Tiere anis sind, d. h. mit dem Menschen zutraulich umgehn, da sie nicht 
gescheucht werden dürfen. 



310 Oesi-Tikhte iler TwliKon, Kap. S. 

mythische Hiiitergnimi gilit iler Erzähliini^ ihren loiicliiomien 
r^chiinmer, wir fühlon uns in der (johlenen Zeit, wo noch der 
Himmel auf Erdeu war: dabei ist doch der iinversttLndliclie Zau- 
ber gemieden und nirgends die Grenze eines keuschen HelldimkeU 
überschritten. 

Beknnntlicb hat dns Seclistagewerk ftrnudlegende Iledeuttuig 
lur die Entwickelung der Kosmologie and der fieologie gehabt. Es 
ist kein ZuTall, dass die Naturwißsenschaft nicht an fien. 2 und 3 
angeknüpft hat: Natnr gibt es da kaum. Aber die Poesie liat es 
zu alten Zeiten mit der Geschichte vom Paradise gebalten. Ob 
nun in der Betrnclitung der Welt die mythische Poesie oder die 
verständige Prosa älter sei, braucht nicht mehr gefragt und nicht 
mehr entschieden zn werden. 

Mit den nnfgeklärtea VorBtellungen über die Jjatur, die wir 
in Gen. 1 antreffen, hängt der „geläuterte" GottesbegrUf eng zu- 
sammen. Das Wichtigste ist, dass es hier ein eigenes A^'ort gibt, 
um lediglich die göttliche SchSpferthatigkeit zn bezeichnen und sie 
dadurch aus der Ähnlichkeit menschlichen Tuns und Bilden» her- 
HUSKuhebeu, ein Wort, das in so enger Bedeutuni; weder im Grie- 
chisi'hen, noch im Lateinischen oder im Deutschen wiederaiigpben 
ist. In einem jugendlichen Volke ist eine solche theologbche Ab- 
straktion unerhört, wir linden deuo auch bei den Hebräern Wort 
und Bei^rüf erst seit dem babylonischen Exil mehr und mehr ge- 
bräuchlich werden: parallel mit der Hervorhebung der Schöpfer- 
allmacht Jahves in bezng auf die Natui', die heinah plötzlich in 
der exilischeu Literatur anftrilt, im Buche lob einen grossen Raum 
einnimmt und in Isa, 40 — fi(i vielfach in lyrischen Intermezzi ebi- 
gestreut wird'). In Gen. 2. 3 ist nicht die Natur, sundern der 
Mensch der Anfang der Welt und der Geschichte; ob da über- 
haupt eine Schöpfung aus nichts angenommen wird, ist eine Frage, 
deren Bejahung nur wegen der Verstümmelung des Anfangs (vor 
2,4'') nicht ganz unmöglich ist. Jedenfalls regt hier nicht der 
Befehl des Schöpfen die Dinge an, dass sie sich aus dem allge- 
meinen Chaos zu besonderen Arten entwickeln, sondern Jahve legt 
überall selber Hand an und setzt dabei das Bestehu der Welt im 
grossen und ganzen voraus. Er pflanzt und wässert den Garten, 
er formt den Menschen und haucht ihm Atem in die Nase, er 

') Vgl. .4n)09 4, 1-2. 13. 5, 8. 9. 9, 5. G. Os. 13, i Sept. Merkwätdig 1. Ht$. 

8, 53 Sept.: CDlfll l^^H B'DB'- 




Die Erzählung des Hexateiichs. 311 

baut (las Weib aus des Mannes Rippe, nachdem er vorher in dem 
Streben ihm Gesellschaft zu verschaflfen nicht das Rechte getroflfen: 
die Tiere sind lebendige Zeugen seiner mislungenen Experimente. 
Auch sonst verfahrt er wie ein Mensch. Er geht abends wie es 
kühl wird im Garten spazieren, dabei entdeckt er zufällig die 
Übertretung und führt eine Untersuchung, in welcher er von seiner 
Allwissenheit nicht den mindesten Gebrauch macht. Und wenn 
er sagt: „siehe der Mensch ist geworden wie unser ein zu erkennen 
Gut und Böse: und nun — dass er seine Hand nicht ausstrecke 
und nehme auch vom Baume des Lebens und esse und lebe ewig- 
lich", so ist das ebenso wenig Ironie als wenn er in Anlass des 
Baues von Babel äussert; „siehe ein Volk und alle haben sie eine 
Sprache, und dies ist nur der Anfang ihres Tuns, und nun — es 
wird ihnen nichts zu schwer sein was sie sich unterfangen; auf 
lasst uns herniederfahren und ihre Sprache verwirren!" Dass mit 
alle dem gleichwol der Majestät Jahves nichts vergeben wird, ist 
das Geheimnis des Geistes. Wie würde sich der blasse Gott der 
Abstraktion hier ausnehmen! 

Was endlich den Mikrokosmus betrifft, so spiegelt sich in 
dessen Auffassung der allgemeine Unterschied wider. In Kap. 1 
wird dem Menschen von Anfang an der Boden zugewiesen auf 
dem er sich noch gegenwärtig bewegt: „füllet die Erde und machet 
sie euch Untertan" — die Aufgabe ist eine völlig natürliche. In 
Kap. 2. 3 wird er in das Paradis gesetzt und hat darin, vom 
Mutterschooss der Gottheit gleichsam noch umfangen, einen sehr 
beschränkten Wirkungskreis — seine gegenwärtigen Lebensverhält- 
nisse, die Feldarbeit des Mannes, das Kindergebären des Weibes, 
entsprechen nicht seiner ursprünglichen Bestimmung, sind kein 
Segen, sondern ein Fluch. In der jehovistischen Erzählung ist der 
Mensch sich selbst so wunderbar wie die Aussenwelt, in der an- 
deren ist er sich selbst so alltäglich wie jene. Dort sieht er 
staunenswerte Geheimnisse in der Geschlechtsverschiedenheit, in 
der Ehe, in der Geburt (4,1); hier sind diis physiologische Tat- 
sachen, die nichts zu fragen und zu denken geben: „er schuf sie 
männlich und weiblich und sprach: seid fruchtbar und mehret 
euch!" Dort steht er den Tieren vertraut und doch befangen 
gegenüber, er weiss nicht recht was ei* aus ihnen machen soll, sie 
sind ihm verwandt und passen doch nicht recht in seine Gesell- 
schaft — hier sind sie neutrale Wesen, über die er hen'scht. 



319 GMchiehle dw Tracfition, Kap. !*. 

Der Hnuplpunkt, worin der Gegeusatz zusummeuläufi 
sich zuspitzt, ist Tolgeuder. In Gen. 2. 3 ist es dem Alenschrai 
eigentlich verboteo. lieii .Schleier der Dinge zu heben und ilie 
Welt, repräsentirt im Baume des Wissens, zu erkennen; in Gen. 1 
ist dies die ihm von Anfang an gestellte Aufgabe, zu herrscheu 
über die ganze Erde: Herrschaft und Wissen bedeutet gleichviel. 
bedeutet Civilisation. Dort ist ihm die Natur ein geweilites Myste- 
rium, hier ist sie ihm Sache, Objekt: er steht ilir nicht mehr be- 
fangen, sondern frei und überlegen gegenüber. Dort gilt es für 
einen Rauh des Alenschen Gntt gleii:h sein zn wollen, hier hat 
Gott ihn von vornherein in seinem Bild« und nach seiner Ähn- 
lichkeit gesdialTen und ihn zu seinem Stellvertreter auf Erden be- 
stimmt. Es kann nicht für zuiallig gelten, dass Gen. 1 in diesem 
Punkte das Gegenteil von Gen. 2. 3 behauptet; die mit sulcheni 
Nachdruck ausgesprochenen und wiederhohen Worte 1, 27. ö, I. 
9,1» klingen geradezu wie ein Protest gegen die Grundanschauang 
von Gen. 2. 3, ein Protest, der teilweise zusammenhängt mit der 
entwickelteren religiösen und moralischen Bildung, teilweise aber 
wol auch mit dem krampfliaften Streben des späteren .Inden- 
tums, die sicherste aller geschichtlichen Erfahnmgen zn leugneu. 
nämlich dass die Söhne büssen müssen für die Sünden der 
Väter ')■ 

Was man als Vorzüge von Gen. 1 gegen Gen- 2. 3 anzuführen 
pflegt, das sind sicher Anzeichen eines P'ortschrittes der äusseren 
Kultur. Die geistige Individualität der beiden Erzähler darf mau 
nicht vergleichen, denn die gibt keinen Maassstab der Zeiten ah; 
was aber die allgemeinen Vorstellungen übej' Gott Natur und 
Mensch betrifft, so steht darin der erate auf einer höheren, jeden- 
falls auf einer späteren Stufe. Dieselben sind, für unseren Stand- 
punkt, verständiger einfacher natüi'licher. I'reilich hat man sie 
gerade darum für älter gehalten. Man hat da einerseits die Be- 
griffe natürlich und ursprünglich gleichgesetzt — daa ist be- 

') Eiu gröberes äegeuntück zu Geu. 2. 3 , uuch eiue Art Süad^ufall, i$t 
Geu. 6, 1 — 4. die Vürrückimg der Grenze imischeii göttlichem nnd 
inenscblichem ßesfhlecht. Später nird es von d(<n Jaden wieder hervar- 

Seiogen, z. B. im Buch Henoch, mit der AuDüheniug ou Gcd. 2. 3, iuM 
ie Dämouen deu Mcuachen di« vcrliotene Kemituis der Mystcrieu und 
des Zaubers beibringen, lu Oen. 1 wird die Kluft zwischen Geist 
als göttlicher und Fleisch als rneuachlicher Substanit durch die Ehen- 
iiilillichkeit des Henschen mit Golt überbmvkt. Hil Gen. 1 stimmt 
Ps. 8. 




Die Erzählung des Hexateuchs. 313 

kanntlich eine arge Vei*wechslung. Andrerseits hat man an die 
vorgeschichtliche Tradition einen Maassstab gelegt, der nur für die 
geschichtliche berechtigt ist — der letzteren gereicht das Fehlen des 
Wunders und des Mythus zur Empfehlung, aber nicht der ersteren. 
Die geheime Wurzel aber der sichtlichen Vorliebe, welche die 
weiland historisch - kritische Theologie für Gen. 1 gehegt hat, 
scheint da zu liegen, dass man sich selber füi* das was die Bibel 
sagt verantwortlich fühlt und sich darum freut, wenn sie möglichst 
wenig behauptet, was gegen die allgemeine Bildung verstösst'). 
2. Auf den Anfang der Weltgeschichte folgt in Gen. 1 — 11 
sowol im Priesterkodex (P) als im Jehovisten (JE) zunächst der 
Übergang von Adam auf Noah (Kap. 4. 5), sodann die Sündflut 

mm 

(Kap. 6 — 9), endlich der Übergang von Noah auf Abraham 
(Kap. 10. 11). 

In den trockenen Namen, die in Gen. 5 und in Gen. 4 an 
einander gereiht werden, hat Buttmann RevSte eines aus uralten 
Erzählungen einst gewobenen geschichtlichen Zusammenhanges er- 
kannt Zerstört ist der ursprüngliche Gehalt dieser augenschein- 
lich mythologischen Elemente sowol in Gen. 5 (P) als in Gen. 4 
(JE), aber nur die jehovistische Liste macht noch den Eindruck 
der Ruine, während dagegen in der anderen die Trümmer zu 
einem künstlichen Neubau benutzt worden sind, in welchem sie 
sich nun eben nicht mehr wie Trümmer ausnehmen. Sie dienen 
hier nämlich zu Trägern einer Chronologie, die von Adam bis auf 
Moses herabgeht und den zwischenliegenden Zeitraum auf 2066 

^) Ich behaupte nur die Priorität von Gen. 2. 3 vor Gen. 1 , glaube aber 
nicht, dass die Erzählung vom Paradise und vom Sündenfalle bei den 
Israeliten sehr alt ist. Damach sieht es nicht aus, dass der Mensch 
und das Weib an der Spitze der Genealogie des Menschengeschlechtes 
stehn; man sollte an dieser Stelle viel eher die (nach ui-sprünglichem 
semitischen Glauben keineswegs widergottliche) Schlange erwarten, wie 
im Chronicon Edessenum und in der abessynischen Sage. Vgl. Compos. 
des Hexat. (1899) p. 305. — Femer war der echt hebräische Gottessitz 
der Berg Sinai, der echt hebräische Lebensberuf der nomadische der 
Patriarchen, nicht der Garten- und der Ackerbau. Endlich ist nicht zu 
glauben, dass sich Barbaren über Segen und Unsegen der Civilisation 
Gedanken sollten gemacht haben. Vor Salomo ist der Stoff von Gen. 2. 3 
schwerlich eingewandert. Woher er stammt, lässt sich kaum raten: am 
nächsten läge es, an die Phönicier oder die Kanaaniter überhaupt zu 
denken, was auch durch Gen. 4 empfohlen wird. Da jedoch in JE Babel 
als die letzte Urheimat des Menschengeschlechtes gilt, nach Eden, und 
Nod, so werden die Hebräer die l'rsage letzlich wol von dorther be- 
kommen haben. Auf etwaige Gleichungen der Assyriologen soll darum 
aber kein Gewicht gelegt werden. 



314 neschlcbte d«r Tradition, Knp. 8. 

Jidire tierechnet. Diese 2()*^i6 Jahre entspreclieu 2l>'/i fieneratioueii 
zu je hundert Jahren, uämlich 1 — 2(J Adam liis Abrahiim. 21 Isaatc, 
22 Jakob, 23 Levi, 24 Kehath, 25 Amiam, 2l)Aharon; das letzte 
unvollständige Glied ist Eleazar, der beim Auszug schon eiu ge- 
reifter Mann war'). Es versteht sich, dass eine solche Zeitrech- 
nung zu der Einfalt der Sage passt wie die Faust aufs Auge. 
„Die genauen ohronologischeu Angaben sind das sichere Gepräfl» 
späterer Ausführung alter poetischer Sagen" sagt Buttmauu mit 
Recht (I. p, 183). Es versteht sich femer, dass wenn die systema- 
tische C'hronoltigie sogar bei den historischen Büchern erst ans der 
Zeit des Exils stammt , sie beim Pentateuch noch späteren l'r- 
spmugs sein muss. Denn für die geschichtliche Zeit hat sie wirk- 
liche Anhaltspunkte gehabt; sie kann nicht von den Patriarchen 
iiuf die Kiinige, sondeni nur von den Königen auf die Patriarchen 
überfragen, sie muss von unten ausgegangen sein, wo sie alleiu 
ein Fundament hat. Der Glaube an das hohe Alter der Umienscheu 
ist zwar gewiss alt, aber die geschlossene Zeitrechnung, die sidl 
auf die Zeugungsjahre stütjit, ist eine Künstelei, wodurch die ge- 
lehrte Behandlung, wie sie sich für die Historie der späteren Zeit 
auszubilden anfing, nun sogar auf die Ursage übertrage» Vi'urd«. 
Nur naclidom der lebendige Gehalt der Sage völlig entwichen 
wai-, konnte ihr Gerippe als Gemst der Chronologie benutzt 
werden. 

Buttmaun hat ebenfalls erwiesen, dass die Elemente der 
zehngliedrigen Genealogie von P (Gen. ;>) und der siebengtiedngen 
von JE (Gen. 4) gleich sind. In P ist am Schlüsse Nuub nm-h 
hinter Lamech getreten und am Anfange hat sich Adam Kain 
verdoppelt zu Adam Seth Enos Kainan. Da Adam mid Enos 
sich decken, so läuft das hinaus auf Adam .'^eth Adam Kainan: 
d. h. Adam Seth ist vorgesetzt, und mit Enos Kainan fängt die 
Reihe von vorne an und zwar ebenso wie in JE. Der grösseren 
Ursprünglichkeit der jehovistischen Genealogie stellt der Priester- 
kodex selber ein merwürdiges Zeugnis aus. dadurch dass er dem 
r.amecb, der nach ilim der neunte in der Reihe ist, ein Alter 
von 777 Jahren gibt. Das erklärt sich nur aus JE, wo er der 
siebente in der Reihe ist nnd ausserdem seine besondere Re- 

'} So Nöldeke in den Jafarbli. für protent. Theo). 1875 p. 344. ba»s di«> 
Uenerotioii ia dieser Periode zu 100 Jahren gerechnet wird, wird Gen. 15, 
13 — 16 aoidräcklich angegeben. 




Die Erzählung des Hexateuchs. 315 

Ziehung zur Siebenzahl noch durch die Äusserung hervorhebt: 
sieben mal rächt sich Kain und Lamech siebenundsiebenzig mal. 
Auch darin zeigt sich die Posteriorität von P, dass hier der erete 
Mensch nicht wie in JE ha Adam, sondern stets Adam ohne 
Artikel heisst (5, 1 — 5), ein Unterschied, den Kuenen treflfend mit 
6 yptatoc und Xpiorto; vergleicht. Nun ist aber gerade nach den 
Voraussetzungen von P (Gen. 1) der erste Mensch bis jetzt nur 
der Gattungsmensch; wenn er trotzdem 5, 1 einfach Adam ge- 
nannt wird, als sei dies sein Eigenname, so kann das nur aus 
Reminiscenz an Gen. 2. 3 erklärt werden, obwol sich dort die 
Personificining noch nicht auf den Namen erstreckt. 

Wir kommen zur Erzählung von der Sündflut Gen. 6 — 9. 
In JE ist die Sündflut wol vorbereitet; in P würden wir ver- 
wundert fragen, woher denn die Erde auf einmal so verderbt sein 
soll, nachdem bisher alles in bester Ordnung gewesen, wenn wir 
es nicht eben aus JE wüssten. Mit dem Sündenfalle, dem Bruder- 
morde Kains, dem Schwertliede Lamechs, der Vermischung der 
Gottessöhne mit den Menschentöchtern, überhaupt mit der ganzen 
bestimmten und zwar düsteren Färbung der Urgeschichte der 
Menschheit in JE ist im Priesterkodex auch die Motivirung der 
Sündflut fortgefallen; dieselbe erscheint hier nun völlig unvor- 
bereitet und abrupt. Im Stoffe der Erzählung stimmt die priester- 
liche Version hier in aussergewöhnlichem Maasse mit der jeho- 
vistischen überein; sie unterscheidet sich von ihr hauptsächlich 
durch die künstliche, technisch - mathematische Regulirung der 
Form. Die Flut dauert 12 Monat und 10 Tage, d. h. genau ein 
Sonnenjahr; im Jahr 600 Noahs am 17. des 2. Monats tritt sie 
ein, 150 Tage steigt sie, seit dem 17. des 7. Monats fällt sie 
wieder, am 1. des 10. werden die Spitzen der Berge sichtbar, im 
Jahre 601 am 1. des 1. Monats hat sich das Wasser verlaufen, 
am 27. des 2. ist die Erde trocken. Zum Bau der Arche giebt 
Gott, ebenso wie zur Stiftshütte, selber die Anweisung und die 
Maasse: dreistöckig soll sie werden, und in lauter kleine Fächer 
abgeteilt, 300 Ellen lang, 50 Ellen breit, 30 Ellen hoch; und 
genau nach der Elle soll Noah sie machen. Beim höchsten 
Wasserstande, am 17. des 7. Monats, steht die Flut 15 Ellen 
hoch über den höchsten Bergen: bei all seiner Angst hat Noah 
augenscheinlich doch nicht vergessen, das Senkblei auszuwerfen 
und sich das Datum im Kalender anzumerken. Es ist klar, dass 



» 



:^1(', GMchichte der Tradition, Kip. S. 

(luri'li dieses altkluge Ausmesaen und Nat-lirei'hiieii nicht die An- 
echaulichlieit der Erzählung erhöht, sondern nur die Illusion zer- 
stört wird. Überall wird der Sage das Idyllische und Niiive nairh 
Kriiften abgestreift. Wie die IJauer der Flut von 40 Tageu (JE) 
iiuf ein ganzes Jahr erhöht wird, so vntA auch ihre Au-s- 
(lehnung uaermesslich gesteigert. Mit besonderem Nai;hdrui'ki' 
betont es der Priesterkodex, dass sie ganz allgemein gewesen und 
über alle die höchsten Bei^e gegangen sei — wozu er freilich 
durch die Annahme gezwungen ist, dass das Menschenge-sthlechl 
von vornherein über die ganze Erde sich ausgebreitet habe. ZüKe 
wie die von dem Zuschliessen der Arche durch Jahve, von den 
HUsgesandten Vögeln und dem abgebrochenen Olivenblatt wenU-n 
übergangen, die dichterische Sage wird zur historischen Prosa 
abgeflaclit. Gerade auf solchen kleinen Zügen beruht nun ah«r 
der Wert und der Reiz der Erzählung, sie sind nicht Nebensache, 
sondern für die Poesie Hauptsache, fierade sie kehren denn auch 
ganz ähnlich in der babylonischen Veraion der Sündflutgeschicbte 
wieder; wenn der Jehovist sich mit dieser näher herüiirt als der 
Priesterkodex, so ist das ein Zeichen davon, dass sich bei ihm 
der internationale Charakter dieser Trs^en noch treuer erhallen 
hat. Am stärksten schimmert derselbe bei ihm durch in der 
Motivirung der Süudflut durch die Verrücknng der Grenzen 
zwischen Geist uml Floisch, durch die A'ermischung der Gottes- 
söhne mit den Menschentöchtern; hier haben wir in JE noch ein 
ziemlich unverfälschtes Stück mythischen Heidentums, welches in 
P ganz undenkbar wäre. 

Den Regenbogen hat allerdings der Priesterkodex gegenwärtig 
vor dem Jehovisten voraus. Es ist aber zu bedenken, dass tuis 
in Gen. 6 — 9 der jehoviatJsche Bericht nur verstfimmelt, der 
priesterliche dagegen vollständig erhalten ist. l\'enn der Regen- 
bogen sowol in JE als in P vorkam, so musste er notwendig 
einmal gestrichen werden, und zwar in JE, gemäss dem sonst be- 
folgten Verfahren des Redaktors. Es ist also leicht möglich, dass 
er ursprünglich auch in JE nicht gefehlt hat; er passt sogar besser 
zu dem simplen Regen, der hier die l'lut herbeiführt, als zu den 
geöffneten Sclileusen des Himmels und Brunnen der Tiefe, welche 
sie in P bewirken, und er hat hinter 8, 21. 22 eine weit schick- 
lichere Stelle als hinter 9, 1 — 7. Im Priesterkodex ist zudem die 
Bedeutung des Regenbogeus halb verwischt, teilweise durch, i 




Die Erzählung des Ilexateuchs. 317 

schickte Vergeschichtlichung, wodurch man den Eindruck bekommt, 
als sei er entweder nur diesmal, nach der Sündflut, am Himmel 
erschienen, oder als stehe er seitdem beständig da; teilweise durch 
seine Verwendung als Zeichen des Bundes zwischen Elohim und 
Noah, wobei man nach dem sonstigen Sprachgebrauch und nach 
der Analogie von Gen. 17 an den Bund denkt, dessen Inhalt in 
9, 1 — 7 dargelegt wird: der Regenbogen würde dann zum Gegen- 
stücke der Beschneidung'). Der Bund d. h. das Gesetz 9, 1 — 7, 
eine Modifikation der ersten, dem Adam gegebenen Ordnung 
(1, 29. 30) für die nachsündflutliche, noch gegenwärtig fortdauernde 
Weltperiode, ist für den Priesterkodex der krönende Schluss und 
die Hauptsache der ganzen Erzählung, wie denn überhaupt bei 
ihm das Interesse am Gesetz das einfache Interesse am Stoffe 
gänzlich verschlingt. Sehr merkwürdig ist dabei, dass die Rache 
für das vergossene Blut nicht Sache der Verwandten, sondern 
Sache Gottes ist, und dass sie gefordert wird für den Menschen 
schlechthin, sei er Herr oder Knecht, mit Ausschluss der Geld- 
sühne. So einfach und ernst die Worte lauten: „wer Menschen- 
blut vergiesst, des Blut soll durch Menschen vergossen werden, 
denn nach seinem Bilde hat Gott den Menschen gemacht", so ist 
doch der religiöse Begriff des Menschentums, der in den 
noachischen Geboten hervortritt, auch bei den Hebräern nicht alt; 
man vergleiche als Gegensatz Gen. 4, 15. 24 und Exod. 21,20 s. 
Die Arche landet nach P auf dem Gebirge von Ararat. In 
JE ist gegenwärtig überhaupt kein Landungsplatz angegeben. Das 
ist indessen um so weniger ursprünglich, als sonst die mythische 
Geographie überall jehovistisches Characteristicum ist. In P wird 
die Urgeschichte nirgend lokalisirt, gleich von Anfang an wird die 
ganze Erde dem Menschen zur Wohnung angewiesen. In JE da- 

') Der Himmelsbogen ist ursprünglich das Werkzeug des pfeilschiessenden 
Gottes und darum Symbol seiner Feindschaft; er legt ihn aber aus der 
Hand zum Zeichen des abgelegten Zornes, der nunmehrigen Versöhnung 
und Iluld. Wenn es gewettert hat, dass man vor einer abermaligen 
Sündflut in Angst sein könnte, erscheint der Regenbogen dann am 
Himmel, wenn die Sonne und die Gnade wieder durchbricht. Den Be- 

griflF der blossen Wölbung hat Hl^'p im A. T. nicht, es bedeutet stets 
den Kriegsbogen. Und was vor allem wichtig ist, auch die Araber 
fassen die Iris durchaus als' Kriegsbogen Gottes auf: Kuzah schiesst 
Pfeile von seinem Bogen nnd hängt ihn dann in den Wolken auf. Bei 
Juden und Judengenossen hat der Regenbogen bis tief in christliche 
Zeiten hinein eine merkwürdig nahe Beziehung zur Gottheit behalten. 
Seltsam ist der edomitische Gottesnarae Kuus neben Kuzah. 



31S 



Geschichle dtr Tradition, Kap. -i 



gegeiii Wuhnen sie zuerst im L.imle Eden, weit im Osten 
auch hot'h iui Norden; von da vertrieben kommen sie ins Land 
Nod, wo Eain die Stadt baut; und voll dieser ebenfalls noch sehr 
ästliclien Gegend aufbrechend lassen sie sich im Lande Sinear 
nieder, an der IMundnng dea Euphrat nnd Tigris, wo sie die Slmlt 
Bahel bauen'). .Sinear ist der Ausgangspunkt der nicht mehr 
bloss mythischen Weitgeschichte, die Heimat der gegenwärtigen 
Menschheit: in diesem Punkte namentlich springt der Gegvnsatt 
der lokalen üfslinimlheit dpr jeho\Tst Ischen Sage, die ihr den Cha- 
rakter lies Idyllischen verleiht, gegen die v^:e Allgemeinheit der 
anderen ins Äuge, In Sinear sind nach JE Gen. H, 1 — V noch 
alle Menschen beisammen und wollen dorr auch beisammen bleiben. 
Um nicht zerstreut zu werden, bauen sie sich eine grosse Stadt 
die sie alle umfassen soll, und um sich einen Namen zu machen, 
fügen sie einen liohen Turtn hinzu der an den Himmel reichen 
soll: Jahve, ans solchen Anfangen die Gefahr eines weiteren Fort- 
schrittes in dieser Richtung erkennend, fahrt hernieder ihre Sprache 
zu verwirren nnd führt dadurch, auf gewaltsamem Wege, die Zer- 
streuung der ihm in ihrer Einheit furchtbaren ^lenschheit 
herbei. In P versteht es sich von seihst, dass sieh die Menäclien 
auf der ganzen Erde zerstreuen; sie werden nie als an einem 
Punkte wohnhaft vorgestellt — weshalb denn auch die Söndflut 
hier mit Absiebt und Nachdruck als ganz allgemein beschrieben 
wird. Die Zerteilnng der A'Ölker geht einfach auf geueatogischetn 
Wege vor sich und hat die Zerteilnng der Sprachen nicht lur 
Ursache, sondern zur Folge. Als begleitende Erscheinung finden 
wir wiederum den merkwürdigen Unterschied der geistigen 
Stimmung: was in JE als Unnatur, als nur begreiflich ans ge- 
waltsamer ^'erkellmng des Ursprünglichen empfunden wird, das ist 
in P das natürlichste von der Welt. 

Üen Zeitraum zwischen der SUndtlut und Abraham fülll in 
P noch einmal eine zehugliedrige Genealogie ans, die in JE, wu 
sie nicht gefehlt haben kann, nach Analogie von Gen. 4 wahr- 



J 



') Nach tien. 6, I — t ülirif^i^ns wird durch di« Süudänt dos ^anit frühurv 
Uenscheugescblecht ausgetilgt. Der Eutsclüiiss ti, 3 ^stattet keine Aus- 
nahme; es darf uiemaDd, in deiu rieist und Fleii^di vermischt ist, die 
Art auf Erden forlpflauzeD. Also anch Soah nicht. Wenn er gerettet 
wird, so muss er entrückt werden, wie tlenocli. Darauf weist die auch 
von Koni) gebrauchte Kedeusart liin: mit den Güttem wandelte Ko^ 
Henoch (der des Priesterkodt'x, nicht dpr des Jeliovisten) U3 " "" 




Die Erzählung des Hexateuchs. 319 

scheinlich siebengliedrig war, indem sie von Sem gleich auf Eber 
überging und den Gross vater Naher ausliess (10, 21. 24. 24, 15. 
29, 5); der letztere untei*scheidet sich in der Tat von seinem 
gleichnamigen Enkel noch weniger als Adam von Enos. Der ur- 
sprüngliche Wohnort der Therahiden ist nach P nicht wie in JE 
(12, 1. 24, 4) Haran, sondern Ur Kasdim, was nichts anderes be- 
deuten kann als Ur der Chaldäer. Von da soll Therah, der Vater 
Abrahams Nahors Harans, mit Abraham und mit Lot, dem 
Sohne des bereits veretorbenen Haran, ausgewandert sein. Nahor 
müsste dann in ür Kasdim geblieben und Haran daselbst gestorben 
sein. Beides ist vollkommen gegen die Meinung der Sachen. Es 
ist trotz der verschiedenen Aspirata schwerlich sachgemäss, den 
Mann Haran von der Stadt Haran zu scheiden und ihn wo anders 
sterben zu lassen. Es ist ebenso unmöglich, Ur in Chaldäa für 
den Wohnsitz Nahors — einerlei ob des Grossvatei*s oder des 
gleichnamigen Enkels — anzusehen; es ist offenbar auf Verhält- 
nisse der Wirklichkeit gegründet, dass der jedenfalls syrische Ort, 
wo die Nahoriden Laban und Rebekka wohnen, in J die Stadt 
Nahors und in E Haran heisst; in P selber wohnen Laban und 
Rebekka, trotzdem dass Naher in Ur bleibt, nicht in Chaldäa, 
sondern in Paddan Aram, d. h. im mesopotanischen Syrien. Zum 
Beweise, dass Ur Kasdim nicht in die ursprüngliche Gestalt der 
Tradition hineingehört, kommt noch hinzu, dass wir bereits mit 
Serug, dem Vater Nahoi-s, weit von Babylon weg nach Westen 
gerückt sind. Serug ist der Name einer nördlich an Haran gren- 
zenden Landschaft; wie soll nun der Sohn Serugs plötzlich nach 
Ur Kasdim zurückspringen! Welche Gründe dazu bewogen haben, 
Babylonien zum Ausgangspunkte Abrahams zu machen, sei dahin 
gestellt; nachdem er aber mit Therah von t^r Kasdim aufge- 
brochen ist, kommt er seltsam genug doch vorerst nur bis Haran 
und bleibt dort bis zu seines Vaters Tode; nach Palästina wan- 
dert er auch in P ei^t von Haran aus ein. ^V'enn diese Ver- 
doppelung des Ausgangspunktes nicht aus der Absicht den An- 



kurireu, als die zwei Geretteten aus dem vorsüudflutlicheu Gesehlechte. 
Im Buche Ilenoch macht sich diese Konkurrenz fühlbar. Nach Henoch 17 
wird Ilenoch, wie der babylonische Noah, an die Mündung der Ströme 
versetzt. Nach Usener ist auch der Ararat eigentlich der Gottersitz, zu 
dem Noah entrückt wird. Das Fahren im Schiff und den Wein hat 
Noah mit Dionysus gemein. 



I 



32lJ üeschkhte iler Tradilion, Kap. 8. 

schluss au JE zu orreicbeu ent^pruugen ist, so giebt es überhaupt 
keiue Hai'monistik. 

3. Mehr und mebi* gewinut jetzt glücklicherweise die Ausiuht 
Buden, ilass in der mythischen Universalgeschichte der Menschheit 
(Jen. 1 — 11 die Jehovistische Version altertümlicher sei als die 
priesterliche. Zu dieser Ansicht wird man in der Tat genöt^, wenn 
mau einsieht, Aass der Stoff hier nicht israelitischen, sondern all- 
gemein ethnischen Ursprunges ist. Von diesem Ursprünge hat der 
Jehovist die Spuren weit deutlicher bewahrt, darum hat sich auch 
die vergleichende Mythologie unwillkürlich vorzugsweise an seine 
Berichte gehalteu. Veränderungen hat die Urgeschichte aUei-dings 
auch bei ihm erlitten; der mythische Charakter ist stark verwischt, 
allerlei israelitische Elemente sind eingedrungen. Schon der aus 
religiöser Eifersucht begangene Brudermord Kains, mit dem Hinter- 
grunde des Gegensatzes zwischen dem friedlichen Leben der He- 
bräer im Lande Kanaan und dem unrahigen Schweifen iler Kai- 
niter iu der angrenzenden Wüst«, fällt ganz aus dem allgemeinen 
geschichtlichen und geographischen Rahmen hinaus. Noch mehr die 
Verfluchung Kanaans; hier ist der augenscheinlich alte Zug, dasa 
Noah den Weinbau eingeführt hat, zu einem nebensächlichen In- 
grediens einer ausgesprochen national-israelitischen Erzählung ge- 
worden. Aber im Jehovisten ist doch die Entleerung der Ursage 
von ihrem eigentlicheu Sinn und Gehalt bei weitem nicht so weit 
vorgeschritten wie im Priesterkotle.i, wo es geradezu auffallt, wenn 
noch einmal etwas Mythisches durchschimmert, wie bei Henoch 
un<l bei ilem Regenbogen. 

Der mytiiische Stofl" der ältesten ^Veltgeschicht« ist beim Jeho- 
visteu mit einem eigenartigen, düsteren Ernste erfüllt. Es steckt 
eine Art antiker Geschichtsphilosophie darin, die nahe au Pessi- 
mismus sti-eift: als seufzte die Menschlieit uuter einem ungeheureu 
Druck, nicht sowol der Sünde, als der Kreatürlichkeit ((!, 1 — 4). 
Es herrscht eine scheue heidnische Stimmung; das gelegentliche 
Hasseln an den Ketten verschlimmert nur die Gebundenheit der 
raeuscldichen Natur, die entfremdende Kluft zwischen Mensch und 
Gottheit lässt sich nicht, ausfüllen. Jalive steht nicht hoch genug, 
fühlt sich nicht sicher genug, um den Erdbewohnern eloe alUn 
grosse Annäherung zti verstatten; der Gedanke vom Neide der 
Gottheit wird gestreift. Wenn auch schon vielfach gemildert liegt 
diese Stimmung dennoch erkennbar geimg in Gen. 2. 3, in 6,1 




Die Erzählung des Hexateuchs. 321 

und 11,1 — 9 zu gi-unde. Im Priesterkodex ist sie vollständig 
verechwunden; hier fühlt sich der Mensch nicht mehr unter ge- 
heimem Bann, sondern gottverwandt und fi-ei, als Herr der Natur. 
Wol erkennt auch der Priesterkodex, wie wir in dem Kapitel 
über die Opfer gesehen haben, die Macht der Sünde in seiner Weise 
an; aber die Sünde, als erklärende und ausrottbare Wurael des 
Verderbens, steht im Gegensatz zu dem dumpfen unabwendbaren 
Verhängnis; die Sündenknechtechaft und die Freiheit der Kinder 
Gottes sind im Evangelium Correlata. Mit der Zerstörung der 
mythischen Anschauungsweise durch die Autonomie der Moral hängt 
enge zusammen die verständige Naturbetrachtung, deren Anfänge 
wir im Priesterkodex finden; ihre Voraussetzung ist, dass der Mensch 
sich selber als Pei'son über und ausser die Natur stellt und sie 
schlechtweg als Sache betrachtet. Man darf vielleicht behaupten, 
dass ohne diesen Dualismus des Judentums die mechanische Natur- 
wissenschaft nicht vorhanden wäre. 

Die Entfärbung der Mythen ist gleichbedeutend mit Hebrai- 
sirung. Scheinbar hebraisirt der Priesterkodex weniger als der 
Jehovist, er hütet sich grundsätzlich vor Vermischung der Zeiten 
und Sitten. In Wahrheit hebraisirt er viel stärker; indem er den 
ganzen StolT nach dem Maasse zuschneidet, dass er als Vorstufe 
der mosaischen Gesetzgebung dienen kann. Schon der Jehovist 
hat allerdings diese ethnischen Sagen an die Schwelle seiner hei- 
ligen Sage gesetzt und sie vielleicht unter dem Gesichtspunkte, 
dass sie als Einleitung dazu passen, ausgewählt; denn sie sind 
durchweg ethischen und geschichtlichen Inhalts, sie betreffen die 
Probleme der Menschenwelt, nicht die der Natur. Aber beim 
Jehovisten kommt doch die Individualität der einzelnen Geschichten 
noch einigermaassen zu ihrem Rechte; im Priesterkodex ist die- 
selbe durch den Zweck des Ganzen nicht bloss modificirt, sondern 
vollkommen zerstört. Der auf die Thora Moses abzielende Zu- 
sammenhang ist alles; die einzelnen Glieder bedeuten nichts mehi\ 
Natürlich wird dadui'ch auch der Zusammenhang selber vollkommen 
leer; er besteht abgesehen von den Bundschliessungon nur in 
Genealogie und Chronologie. De Wette findet das alles schön, 
weil symmetrisch, durchsichtig und zweckvoll konstruirt. In- 
dessen ist das nicht jedermanns Geschmack; es gibt auch eine 
ungemachte Poesie des Stoffs, und sie verdient auf diesem Gebiete 
den Vorzug. 

Wellbansen, Prolegomeoa. 5. Aufl. 21 



» 



322 Gpsflhiclite der TrniHtiön, K.-i|i. S. 

II. 

1. Audi in der Patriarchengescliichte ist der Grundriss der 
gleii^lie in I* und JE: Abrahams Einwanderung in Kanaau mit 
Sara und Lot, seine Trennuug von Lot, Ismaels Gebort vuu der 
Hagar, Erscheinunj^ Gottes zur Verheissung Isaaks^ Isaaks Gebart. 
Tod Saras und Abrahams, Ismael, Isaaks Beirat mit R«b«kka, 
Jakiib und Esan, Jakobs Reise nach Mesopotamien uud seine Fa- 
milieniiründuny daselbst, seine Heimkehr, Esau, Joseph in Agj'pten, 
Jakub in Aj^pten, Jakobs Segen über Joseph und seine übrigen 
Söhne, sein Tod und sein Begräbnis, Der Stoff ist hier nicht 
mythisch, sondern national; darum durchsichtiger und in gewissem 
Sinne historischer. Freilich über die Patriarchen ist hier kein 
historisches Wissen zu gewinnen, sondern nur über die Zeit, in 
welcher die Erzählungen über sie im israelitischen Volke eut- 
standen; diese spätere Zeit wird hier, nach ihren inneren und 
äusseren Grundzägen, absichtslos ins graue Altertum pi-ojicirt nud 
spiegelt sich darin wie ein verklärtes Luftbild ab. Das Knochen- 
gerüst der Erzvärersage bildet bekanntlich die ethnographische 
Genealogie. Die Leastämme werden mit den Ralielstäniraen unter 
dem gemeinsamen Vater Jakob-Israel zusammengefasst, demnächst 
das ganze Israel mit dem Volke Edom unter dem alten Nameu 
Isaak (Arnos 7, 9. l(i), weiter Isaak mit Lot. dem Vater von Moab 
und Ammon, unter Abraham; zusammen werden diese uah ver- 
wandten und einst eng verbundenen hebräischen ^'ölkerschai'tBU 
in enge Beziehung gesetzt zu den Bewohnern der mesopotamischeii 
Wüste und in scharfen Gegensatz zu den Kanaaniten, in dereu 
Lande sie wohnten. Das historische Nacheinander uud Nebenein- 
ander ist in Wahrheit nur statistische Subordination und Koor- 
dination; in IVirklichkeit sind gewöhnlich die Elemente älter als 
die Gruppen und die kleineren Gruppen älter als die grösseren. Die 
etwaijfen Wanderungen der Völker und Stämme sind notwendige 
Folgen des angenommenen ^'erwandtschaftsverliältnisses. Ganz 
ähnlich liesse sich noch jetzt in jedem Augenblick die Statistik 
eines beliebigen Volkes in der Form einer genealogischen L rg'-'- 
Bchichte darstellen. Eine unmittelbare Wiedergiibe der bestehenden 
Verhältnisse ist allerdings die Genealogie nicht. Ob ein Stamm 
der Vetter oder der Bruder oder der Zwillingsbruder eines andere«, 
oh er überhaupt mit ihm verwandt oder nicht verwandt ist, lässt 




Die Erzählung des Hexateuchs. 323 

sich nicht so objektiv feststellen; die Verwandtschaft kann ver- 
schieden aufgefasst und gedeutet werden, die Gruppirung hängt 
immer etwas ab von dem Standpunkte des Genealogen, sogar 
von seinen Zuneigungen und Abneigungen. Die nahe Beziehung, 
in welche die Aramäer zu den Israeliten gesetzt werden, wird sich 
wol daraus erklären, dass die Patriarchensage im mittleren und 
nördlichen Israel ihren eigentlichen Boden hat, vde das aus der 
ausgesprochenen Vorliebe für Rahel und Joseph klar erhellt. Wäre 
sie judäischen Ursprungs, so >^ürden wahrscheinlich die jetzt un- 
gebührlich in den Hintergrund gedrängten kainitischen Tribus der 
Sinaihalbinsel viel stärker hervortreten, da sie zweifelsohne für die 
älteste Geschichte Israels keine geringe Bedeutung gehabt haben. 
Auch an scheinbaren Widersprüchen mangelt es in der ethno- 
graphischen Genealogie nicht; Ismael, Edom, und die eben er- 
wähnten kainitischen Tribus stossen sich mehrfach miteinander: 
das erklärt sich ganz natürlich aus verschiedener Auffassung und 
Gliederang der Verwandtschaftsverhältnisse. Hinzuzufügen ist end- 
lich noch, dass die Form der Genealogie an sich sehr bunten In- 
halt aufzunehmen verträgt. In der Patriarchensage wiegt jedoch 
das ethnographische Element durchaus vor. Nur Abraham ist ge- 
wiss kein Volksname wie Isaak und Lot; er ist überhaupt ziemlich 
undurchsichtig. Natürlich wird man ihn in diesem Zusammen- 
hange darum doch nicht für eine geschichtliche Person halten 
dürfen; eher noch könnte er eine freie Schöpfung unwillküi^icher 
Dichtung sein. Er ist wol die jüngste Figur in dieser Gesellschaft 
und wahrscheinlich erst verhältnismässig spät seinem Sohne Isaak 
vorgesetzt '). 

^) Die Erzählunp^en über Abraham uud über Isaak sind sich so ähnlich, 
dass an gegenseitige Unabhän^agkeit nicht zu denken ist; die über Isaak 
aber sind ursprünglicher, wie das besonders schlagend aus einem Ver- 
gleich von Gen. 20, 2 — 16 mit 26,6 — 12 sich ergibt: die kur/.e und 
profane Version, worin Isaak der Held ist, ist die lebendigere und 
motivirtere, die lange und erbauliche, wo Abraham au seine Stelle tritt, 
steigert die mögliche Gefahr zur wirklichen, macht dadurch das Ein- 
greifen der Gottheit notwendig und erreicht auf diese Weise eine Ver- 
herrlichung des Patriarchen, die er sehr wenig verdient hat. Freilich 
finden sämtliche Erklärer der Genesis in Kap. 20 das Original von Kap. 26, 
aber sie stützen ihr l'rteil nicht auf die Vergleichung der Parallelen, 
sondern weil der Vater älter ist als der Sohn, halten sie auch die Er- 
zählungen über den Vater für älter als die entsprechenden über den 
Sohn und sehen überhaupt in Isaak lediglich einen Abklatsch Abrahams. 
Gegen diesen beinah zu nahe liegenden Grundsatz erhebt sich jedoch 
das Bedenken, dass sich in der späteren Entwicklung der Sage deutlich 

21* 



324 



Geschiclile der Tradition, Kap. 8. 



I 



liieses Gerippe der ethnognipMschen Genealogie fm 
nun beim Jehovislen ilberall mit Fleisch und Blot belebt. T)ift 
Erzväter Abraham Isaak nnd Jakob sind nicht blasse Xamen, 
sondern lebendige Gestalten, Vorbilder des rechten Israeliten, 
Alle sind sie friedliebende Hirten, zu ruhigem Wohnen bei den 
Zelten geneigt, bemüht dem Streit und Zank ans dem Mes» in 
l^elm, unter keinen Umständen bereit Gewalt gegen Gewall xa 
setzen nnd Tm-echt mit dem Schwerte abzuweisen. Mutig und 
mannhaft sind sie nicht, aber gute Hans«irte, ein wenig unter 
der Herrschaft ihrer mit mehr Temperament ausgestatteten Ehe- 
frauen. Sie dienen dem Jahve wesentlich in der selben Weise 
«ne in gesi'hicbtlicben Zeiten ihre Nachkommen; ihre Frömmigkeit 
besteht nicht bloBs in Opfern, eondeni in rechtschaffnem Wandel 
nnd in gläubiger Ergebung in Gottes Fügung. Jakob ist realisti- 
scher gezeichnet als die beiden anderen; List und Gewimisocbt 
zeichnen ihn aus, und diese Eigenschaften führen ihn schliesslich 
immer zum Ziele. Aus jeder Fährlichkeit und schwierigen Lag» 
kommt er nicht bloss mit heiler Haut, sondern ndt Gewinn da- 
von; Jahve hilft ihm, aber vor allem hilft er sich doch selber, 
ohne in seinen Mitteln nach unserem Geschmacke sehr wählerisch 
KU sein. Die Erzählungen über ihu machen am wenigsten ein 
moralisclies Gesicht, im Grunde leuchtet ans ihnen nur die helle 
Freode über alle gelungenen Künste und Griffe des Ei-zschelms. 
Unter den Nebenligureu ist besonders Esau mit \orliebe gezeich- 
net, <Unn Laban und der gebrechliche Heilige I^t; Ismael wird 
als das Urbild des Beduinen geschildert, als ein Waldesel von 
Mensch, dessen Hand gegen jedermann ist und jedermanns Hand 
gegen ihn, nnd der alten seinen Brüdern auf der Nase sitzt. Auf- 
fallend ist es, dass die Helden der israelitischen Sage so wenig 



div nicbtUQg verfolgen llsttt, Abnibaoi zum Erzvater par exccllfiicv tu 
machen und die anderen zu verdunkelu. In der älteren Literatur da- 
gegen komuit l«aak schon bei Arnos, Abraham aber zuerst Isa. iO — «6 
vor: Uicha T, ^ ist nnchexilisch und iu Isa. 39, 23 sind die Worte 
der Abraham erlöütc unecht, sie haben keine mögliche Stelle im 
^atze und die Vorstellung von der Erlösung Abrahams (aus dem Feuer 
der Chaldöer) bomnit erst sehr spät vor. Es ßllt mir übrigeus uicbt 
eia zu behaupten, dass zur Zeit des Arnos Abraham noch uubekuunt 
gewesen «Ire: nur stand er schwerlich schon mit Isaak und Jakob 
aof gleicher Stufe. Als Heiliger von Hebron künute er kalibbäi9ch>n 
Ursprunges sein und mit Ram (l.Chrau.S) zusnatmeohäDgen ; Abram 
für Abiram ist ebenso wie Abner für Abiner und Abah fnr Ahiab. 




Die Erzählung des Hexateuchs. 325 

kriegerisch sich zeigen, insofern scheinen sie nicht gerade der ge- 
schichtlichen Ali des israelitischen Volkes zu entsprechen. In- 
dessen ist es doch nicht so unbegreiflich, dass ein Volk, welchem 
in der Gegenwart ewiger Krieg aufgezwungen wurde, nicht bloss 
von einem e^^igen Frieden der Zukunft träumte, sondeiii auch 
seines Herzens Wünsche in diesen friedlichen Gestalten der gol- 
denen Vorzeit verkörperte. Daneben muss man bedenken, dass 
das friedliche Hirtenleben der Patriarchen durch die idyllische 
Form der Vorgeschichte des Volkes veranlasst ist; Kriege können 
nur Völker oder Stämme führen, aber nicht einzelne Männer'). 
Daraus wird man sich erklären müssen, dass im persönlichen Cha- 
rakter der Patriarchen das Selbstbewusstsein der Nation so wenig 
zum Ausdrack kommt. Dasselbe macht sich nur Luft in den 
eingelegten Weissagungen über die Zukunft; hier spüren wir den 
nationalen Stolz, der die Frucht von Davids Taten gewesen ist, 
aber immer schon verklärt zu religiöser Gehobenheit. 

Viel lebhafter als in den persönlichen Charakterzügen der 
Patriarchen, in denen sich wesentlich nur der einzelne Israelit 
nach seinem Wesen und nach seinen Wünschen abspiegelt, zeigen 
sich die historisch-nationalen Bezüge in den Verhältnissen der- 
selben zu ihren Brüdern, Vettern und übrigen Verwandten. Da 
blickt überall der Hintergrund, bricht überall die Stimmung der 
israelitischen Königszeit durch. Am deutlichsten geschieht das 
vielleicht in der Erzählung über Jakob und Esau. Schon im 
Mutterleibe stossen sich die Zwillinge*), schon bei der Geburt will 
der jüngere dem älteren nicht den Vortritt lassen und versucht 
ihn an der Ferse zurückzuhalten. Das wird der besoi*gten Mutter 
von dem Orakel zu Beerseba also erklärt: zwei Nationen sind in 
deinem Leibe und zwei Völker scheiden sich aus deinem Schoosse, 
das eine wird das andere überflügeln und das ältere dem jün- 
geren dienen. Die Knaben entArickeln sich sehr vei*schieden, Esau 
schweift als rauher und gebräunter Jägersmann in der Wildnis 
und lebt unbekümmert in den Tag hinein; Jakob, ein frommer 

*) Diese Erwägung ist allerdings weniger durch schla«j^end als die voran- 
gehende. Nicht bloss der idyllischen Form wegen ist Jakob ein fried- 
licher Hirt, sondern er ist es seinem innersten Wesen nach, im ausge- 
sprochenen Gegensatz zu seinem Bruder Esau, der trotz der idyllischen 
Form kriegerisch ist. Ausnahmen wie Gen. 14 und 48, '2'2 (Kap. 34) i»e- 
stätigen nur die Regel. 

*) wie Eteokles und Polynikes. 



i'scliiL'lil« der Tradili 



li^liitter MuüD, bleilit liubeim bei den Zelten uud verstelii 
Wert (1er Dinge, die sein argloser Bruder nicht arhtet. Jener ist 
der Liebling seines Vaters, des Äntoththoiien Isiiak, diestn' wird 
von seiner Mutter, der Aramäeriu Kebekka, bevoniagt; jener bleibt 
in der Heimat und nimmt sioh seine Weiber aus der UrbevölWe- 
rimg des südlichen Kanaans und der Sinaihalbinsel, dieser wan- 
dert aus und holt sie sich aus Mesopotamien. Deutlich wird 
damit der Gegensatz der spätei-eu Volkertjpen vorgespielt, des 
ruhen urwüchsigen im Boden wurzelnden Edora, und des glatteren 
civilisirteren den Weltmächten naher stehenden Israel. Durch 
Trug und List gelingt es dem jüngeren Bruder, den älteren um 
ilen Segen des \'aters und am das Recht der Erstgeburt zu brin- 
gen; in folge dessen nimmt sich dieser vor ihn zu töten, und ihr 
Verhältnis wird sehr gespannt. Edom war l'rüher als Israel ein 
Volk und Reich gewurden, wurde aber dann von Israel überflügelt 
und schliesslich durch David auch unterworfen; in folge dessen 
entstand der Hass zwischen den Brudervölkern. Dass dies 
die geschichtliche Orundlnge der Sage ist und als solche empfunden 
wird, erhellt ganz klar aus dem Wortlaut des Segens Isaak; hier 
wini sogar schon Bezng genommen auf öfters wiederholte Versuche 
der Edomiter, das israelitische Joch abzuschütteln, und diesen Ver- 
suchen wird schliesslich ein glücklicher Erfolg verheissen. Vor 
David können sich also die Erzählungen über Jakob und Esau 
nicht einmal in ihren Grundzügen gebildet haben ; in ihrer jetzigen 
(iestalt (Gen. 27, 40) blicken sie sogar noch auf weit spätere 
Zeiten voraus. Bei diesem Wurzeln der Sage in der späteren fie- 
schichte, das im Jehovisten so unverholen an tage tritt, ist es denn 
auch nur eine scheinbare Sprengung des historischen Rahmens, 
wenn gelegentlich ein Verzeichnis der edomitischen Könige bis auf 
David hergesetzt wird, mit eingestreuten chronistischen Bemerkungen, 
wie z. B., dass Uadad ben Bedad (etwa gleichzeitig mit Gideon) 
die Midianiter geschlagen habe auf dem Felde Mnabs. Ein weiteres 
Beispiel, wo der zeitgenössische Hintergrund recht klar linrch die 
Patriarchengeschichte hindurchschimmert, bietet die Erzählung von 
Jakob und Laban dar. Dem von Äram nach dem Jordaulande aus- 
wandernden, halb flüchtigen Hebräer folgt der aramäische Schwiegen 
vater auf dem Kusse und ereilt ihn in Gilead: dort vertragen sie 
sich miteinander und türmen einen Wall auf, welcher die Grenze 
zwischen ihnen bilden soll, welche sie sich verpflichten zu i 




Die Krzrtliliiiiij di-s Hesutuuclis. 327 

nnd nicht feindlich zu iiberschreiteu. Das entspricht dum wirk- 
lichen Sachverhahe, ilass der helirälschen EiDwuuderuiig in Knriuan 
die aramäische folgte und sie zu überiiuten drohte, dass Gilead das 
Grenzland zwischen den beiden Völkern war und lange Zeit der 
Schauplatz der grimmigsten Kämpfe zwischen ihnen. Auf die 
Syrt'rkriege wird auch im Segen Jakohs, iu dem Spruche über 
Joseph, itezug genommen; die PfeUschützen, die Joseph arg be- 
drängen, ihn aber nicht zu überwältigen vermögen, können nur 
die Aramäer von üamuskos sein, deren Angriffen er ein Jahr- 
[lltindert lang ausgesetzt war; Joseph erscheint hier durchaus als 
jder Träger des uordisraelitischen Königtums, als der Diademträger 
"Unter seinen Brüdern, wozu er ja auch schon durch seine frühe- 
»ten Traume bestimmt wird. Sonst acheinen allerdings der Er- 
'izKblung über Joseph, soweit sie überhanpt durchsichtig und nicht 
'Produkt freier Poesie ist, weit ältere geschichtliche Tatsachen zu 
gründe zu liegen, ans einer Zeit wo sich die Vereinigung der 
l>eideu Hälften des nachmaligen Volkes Israel gerade erst vollzog, 
wenngleich in der Eifersucht der Brüder auf ihn ein späteres 
Motiv eingemischt sein mag. Ebenso sind auch die geschicht- 
ttchen Beziehungen, die den Erzählungen von den ühr^en Söhnen 
Jakobs zu Grunde liegen, verhältnismässig sehr alt; sie liefern 
nntf beinah die einzigen Nachrichten über die grosse Veränderung, 
welche bald nach Moses in dem Bunde der Stämme vor sich ge- 
gangen sein muss. Diese Veränderung hat besonders die zusam- 
mengehörige Ornppe der vier alten Leastämme betroffen. Ruhen 
hkt sich zu früh die Itecbtc des Vaters angomasst und verliert 
den Primat. Simeon und Levi unternehmen eigenmächtig einen 
treulosen Oberfall gegen die Kanaaniter, Gesamttsrael lässt sie 
die Folgen allein tragen, sie erliegen der Rache ihrer Feinde 
imd lösen sich als Stämme auf. Dadurch geht die Erstgeburt auf 
Juda über. Zwar wird auch Juda, ohne Zweifel in den Kämpfen, 
welche die Ansiedluug im Lande Kanaan begleitet haben, arg 
mitgenommen und auf einen kleineu Teil seines alten Bestandes 
herabgemindert, aber hier wird die Lücke ausgefüllt durch frischen 
Znwachs von dem Mutterboden der Leastämnie her, durch die 
Verbindung von Pheres und Zerah, d. i. von Kaleb Kenaz Kain 
Jerahmeel, mit dem Reste des allen Juda. Sicher liegen den 
jehovistischen Ei-zählungen über Rüben Simeon Levi Juda Tat- 
sachen aus der Zeit der Erobeninf; des heiligen Landes zu gründe; 



es ist iii'lessen hier nicht dw Ort die gesehiditlicln^ Deutuns^ U'>i''' 
weiter aoeziifüiireii. Ausdrücklich al)er möge noch hemerlrt werden, 
dass noch da, wo die liistorischon Motive ^niiz uiizweidetitig in 
der Patriarchensage sich verraten, doch nicht einfach die Wirk- 
lichkeit darin transponirt ist. Edom kommt dem von Mesopota- 
mien Kurückkehrenden Brnder, der in grösster Angst vor ihm ist, 
mit rührender Versölmlichkeit entgegen; es ist ein Zuu;, der der 
historischen Wirklichkeit nicht entspricht, der aher den alten 
Israeliten nicht geringe Ehre mauht.. Daneben ist auch ein Vnll von 
offenbarer Gehässigkeit zu verzeichnen, nämlich Gen. 19, 30 — 3."i, 
wo insbeaontiere die anffallenrte Nametilosigkeit der Töchter Lots 
beweist, dass sie lediglich zum Zweck der Blutschande zwischen 
Lot imd seine Söhne Moab und Amnion eingeschoben sind. Sjnn- 
pathien und Antipathien mischen sich überall ein, dabei wird 
durchgehens der nordisraelitische 8tandpunkt eingenommen, wie 
sich besonders klar daraus ergibt, dass Rahel die schöne und 
geliebte Frau Jakobs ist, die er eigentlich allein haben wollte, Lea 
die hässliche und zurückgraetzte, die ihm nur untergeschoben ist '). 
Im ganzen werden die Gegensätze der Wirklichkeit in dieser poe- 
tischen Verklärung eher ausgeglichen als verschärft, die verbin- 
denden Momente treten stärker und absichtlicher hervor als die 
trennenden. Von eigentlichen Anspielungen detaillirter und per- 
sönlicher Art, z. B. auf die unsauberen Vorgänge am Hofe Davids, 
ist nichts zu bemerken, so wenig wie von gemachter und versteckter 
Tendenz. 

Diese Geschichten würden nun aber in der Luft schweben, 
wenn nicht noch andere Elemente hinzukämen, durch die es be- 
wirkt wird, dass sie an einer bestimmten ürtlichkeit haften. Vor- 
zugsweise kommt es in dieser Hinsicht in betracht, dass die Pa- 
triarchen als die Begründer des volkstümlichen Kultus zu Sichern, 
Bethel, Beerseha und Hebron ungesehen werden, wie wir bereits 
oben p. Stlsü. gesehen haben. Eine ganze Reihe von Erzähltitu^n 
über sie sind Kultusmythen: sie entdecken darin durch eine Theo- 
phanie, dass ein bestimmter Fleck Landes heiliger Boden sei, er- 
richten dort einen Altar und nennen ihn nach dem Namen dos 
Ortes. Sie wohnen ausachliesslich au Stätten, die späteriiin als 

') Es ist daraus aber nur zu arhtiesaen, dass die Sitgeu iirspränglicb üi 
Ephraim entstanden, nicht dass sie dort auch in ihrer uns TorliegendMi 
Gestalt niedergescliriel'en sind. 




Die Erzählung des Ilexateuchs. 329 

uralte Heiligtümer galten, und inauguriren den Opferdienst da- 
selbst. Die Bedeutung dieser Erzählungen hängt ganz und gar 
von dem Lokal ab; Interesse haben sie nur für diejenigen, die 
noch immer an dem selben Altare wie einst Abraham dem Jahve 
opfern, unter der selben heiligen Eiche More oder Mamre. Ähn- 
lich finden oder graben die Patriarchen die Grabhöhlen, die Quellen 
oder Brunnen, pflanzen sie die Bäume, die ihre Nachkommen noch 
nach Jahrtausenden heilig oder doch in Ehren halten. Es kommt 
auch vor, dass auffallende oder bedeutungsvoll scheinende Forma- 
tionen der Landschaft durch einen Vorgang aus der Patriarchen- 
zeit legendarisch erklärt werden. Wäre die sonderbare Einsen- 
kung nicht, in der das Tote Meer liegt, so wüi-den Sodom und 
GomoiTha nicht untergegangen sein; wäre nicht die kleine flache 
Landzunge, welche von Südosten her in den Sumpf sich vor- 
streckt, so lÄ^-de Lot alsbald auf die Berge seiner Söhne Moab 
und Ammon geflohen sein und nicht erst den Umweg über Soar 
gemacht haben, welcher bloss den Zweck hat zu erklären, warum 
dieser Zipfel vom „Einstürze" ausgenommen ist, zu dessen Gebiet 
er doch eigentlich gehört. Die Salzsäule, zu der Lots Weib ver- 
steinert worden war, wurde noch zur Zeit des Josephus gezeigt; 
\delleicht hat auch der Ofenrauch, den Abraham am Morgen nach 
der Katastrophe vom judäischen Ufer aus aufsteigen sah, eine Be- 
ziehung zu einer dort gelegenen gleichnamigen Stadt'). Die Ent- 
stehung des Gebii'ges Gilead wird durch seine historische Bedeu- 
tung erklärt; es ist ein ungeheurer Wall, der einst von Laban 
und Jakob aufgetürmt wurde, um als Grenze zwischen Aram und 
Israel zu dienen. Manchmal haben die Namen der Orte Anlass 
zur Entstehung einer Legende gegeben, die nicht immer den 
wahren Grund der Benennung trifit. Letzteres ist zum Beispiel 
der Fall bei der Quelle von Lahai Roi, durch deren Entdeckung 
Hagar und Ismael vor dem Verschmachten gerettet werden. „Hagar 
nannte den Namen Jahves, der mit ihr redete, El Roi (Gott des 
Schauens), denn sie sprach: habe ich die Gottheit geschaut und 
bin am Leben erhalten nach meinem Schauen! Darum nennt 
man den Brunnen Beer Lahai Roi (lebendig ist wer mich schaut), 
er liegt zwischen Kades und Berdan." Nach Jud. 15, 9 — 19. 



]l2*^in Jos. 15, 62 heisst wol riclitiger (IC^^rrii da. der Name wegen 
des vorgesetzten Artikels eine klare Bedeutung erkennen lassen muss. 



330 beschichte der Traditi'ou, Kup. 8. 

2. Silin. 23, II wini Lahai Roi richtiger zn erklären seiu: Kiiiu- 
liirle iler Bergziege (oder eines anderen derartigeu Tieres) — so 
heiBst nach dem Aussehen eine Reihe uebeii einander steJieader 
Felszähne '). 

Der hiermit aufgezeigte renlc Kern der Sage erscheint aber 
weiter im Jehüvisten überall und immer überkleidet von dem 
bunteu Gewebe der Phantasie. Die volkstümliche Phantasie gpielt 
nun wol wie sie will; doch macht sie nicht solche Sprünge, 
dass man ihr nicht nachgehn könnte. Wunder, Engel, Gotte»- 
erecheinungen, Träume fehlen nie auf der Palette. Ganz gewöhn- 
licher Aberglaube liegt zu gründe, wenn Rahel durch den Genuss 
der ihr von Lea abgetreteneu Alraunen, die Rubeu gefunden bat, 
fruchtbar und mit Joseph schwanger wirtL Echt Mythisches findet 
sich vereinzelt in dem Rijigen Jakobs mit der Gottheit an der 
Jabbokfurt. Sehr beliebt sind Etymologie und Spruch .ils Aus- 
gangspunkte von oft sehr lebendigen bunten Erzählungen. Auch 
hinter dem, was man für individuelles Kunstprodukt halten möchte, 
stecken dennoch oft alte volkstümliche Motive. Ganz und gar ans 
solchen zusammengesetzt ist zum Beispiel die Geschichte Jakobs 
und Labans. Die Brautwerbung am Brunnen wiederholt sich 
ganz ahnlich noch zwei mal; dass der Schwiegervater die iüt«ste 
Tochter zuerst los werden will und sie dem Eidam nach dem 
Hochzeitsgelage untersclüebt, ist ebenfalls schwerlich Erfindung 
eines einzelnen; die Hirtenkunststücke, wodurch Jakob die Schilfe 
beliebig larbt, zeigen g;inz die Art des Volksschwiinkes. Eine sehr 
beträchtliche Stelle nimmt gehaltene oder verletzte Gastfreundscliaft 
in der jehovistischen Genesis ein; dass unerkannt die Gottheit 
selber von Lot bewirtet, von den Sodomiten freventlich augetaätet 
wird, ist ein bekannter überall wieder auftauchender Zug, Psycho- 
logische Ausschmückung, eigentliche Mache ist sehr weniges; das 
meiste beruht auf der in einander greifenden unwillküilichen Arbeit 
Uuaähliger. Wie bildsam und lebendig der Stolf noch im iidaateu 
oder achten Jahrhundert gewesen sein muss, zeigen tue vielfac 
Varianten und Dubletten, die gleichwol den (Tnuidcharakl« 
Themas kaum verändern. 



') \gl. Onu^oiuthos nad die Kamelsbitmlade , Jokiit IV. 353, Sa. 
dVi Gen. IC, 13 ist Cüh» in lesen (vgl, 1, Sam. 8, 13) imd vor ' 
etwa 'nj(l einzuschieben. 




Die Erzählung des Ilexateuchs. 331 

Noch einen Zug zur Charakteristik des Jehovisten muss ich 
hinzufügen. Seine Erzählungen sind jede für sich und einzeln zu 
verstehn; die Genealogie dient nur dazu sie aufzureihen, ihr 
Interesse und ihre Bedeutung bekommen sie aber keineswegs erst 
aus dem Zusammenhang. Die lokale Färbung so vieler unter 
ihnen beweist lokalen Ursprung, und wie manche stosseu sich im 
gründe genommen und stehn nur gezwungen bei einander! In 
dem ganzen literarischen Charakter, in der lockeren Fügung der 
jehovistischen Patriarchengeschichte zeigt sich wie allmählich die 
Elemente zusammengebracht, wie wenig sie schon mit einander 
verwachsen sind. In diesem Punkt steht die Patriarchengeschichte 
der Uraage des Jehovisten, bei der das selbe zu konstatiren ist, 
ganz gleich. 

2. Die jehovistische Gestalt der Erzväterlegenden beherrscht 
durchaus den Eindruck, den wir überhaupt davon haben. So 
lernen sie die Kinder in der Schule und so können sie sie be- 
halten. Um die Parallele des Priesterkodex damit zu vergleichen, 
ist es unumgänglich dieselbe zunächst herzusetzen; denn wenige 
kennen den Eindruck, den sie macht. 

„Und Abram war 5 Jahr und 70 Jahr als er aus Haran aus- 
zog. Und Abram nahm Sarai sein Weib und Lot seines Bruders 
Sohn und all ihren Erwerb, den sie ei'worben, und die Seelen, 
die sie erzielt hatten, und sie zogen aus zu gehn ins Land 
Kanaan und kamen in das Land Kanaan (12, 4**. 5). Und das 
Land ertrug sie nicht beisammen zu wohnen, denn ihr Besitz war 
gross, und sie konnten nicht beisammen wohnen. Und sie trennten 
sich von einander, Abram wohnte im Lande Kanaan und Lot 
wohnte in den Städten des Kikkar^). Und da Gott die Städte 
des Kikkar verderbte, gedachte Gott an Abram und Hess Lot 
heraus aus dem Umsturz, als er die Städte umstürzte, in denen 
Lot wohnte (13,6. IP. 12--^- 19,29). Und Sarai war un- 
fruchtbar, hatte kein Kind. Da nahm Sarai, Abrams Weib, die 
Agj'pterin Hagar, ihre Magd, nach 10 Jahren des Aufenthalts 
Abrams im Lande Kanaan, und gab sie Abram, ihrem Manne, 
ihm zum Weibe, und Hagar gebar dem Abram einen Sohn, und 
Abram nannte den Namen des Sohnes, den Ilagar geboren hatte, 
Ismael; und Abram war 80 Jahr und (> Jahr, da Hagar den 

^) wo später das Tote Meer war. 



Ismael dem Aliram gebar (11, 30. Hi. 3. li'i. !()).'■ Voigt .lie 
Bundi^liiiessnug Gottes mit Äbram, dessen Namen er jetzt in 
Abraham verwandelt, uud die Anordnuni; der Beschneidang als 
Zeichen der Bundeäzugehörigkeit; ferner die AnVüudignng d«r Ge- 
burt Isaaks von der 90jahrigen .Sarai, die hinfort Sar» heisseii 
soll, und dessen Einsetzanja: zum Erben des Bnndca an Isma«is 
Stelle (Kap. 17). ^l ""l '"^i"'« cebnr dem Abraham einen Sohu lu 
der Frist, die ihm Gott gesagt hatte. Und Abraham nannte den 
Kamen seines Sohnes, der ihm geboren war, den ihm Sara ge- 
boren hatte, Isaak. Ind Abraham beschnitt seinen Sohn Isauk 
nach licht Tagen, wie ihm Gutt geboten hatte. Tml Abrahain 
war lOl) Jahre alt, als ihm sein Hohn Tsauk geboren worde 
(21 , 2 — ^5). Und es war das Leben der Sara lü() Jahr und 
20 Jahr und 7 Jahr, die Lebensjahre der Sara. Und Sara starb 
in Kiriath Arba. das ist. Hebron im Laude Kanaan." Daraa 
schliesst sich .idie juristisch genau aufgenommene VerhandJuni; 
Abrahams mit dem Hethiter Ephron, von dem er die Hölile von 
Makphela gegenüber Manire zum Erbbegräbnis erwirbt (Kap. 23). 
„Und dies sind die Tage des Lebens Abrahams, die er lebte, 
KK) Jahr und 70 Jahr und 50 Jahr, Und Abraham verschied 
und starb in gutem Greisenalter, hochbetagt und lebeussatt, und 
ging ein zu seiner Verwandtschaft. Und IsaaV und Ismael, seine 
Söhne, begruben ihn in der Höhle Makphela auf dem Felde Ephron.'i 
ben Sohar des Hethitei's gegenüber Mamre: das Feld, das Abraham 
von den Kindern Heth gekauft hatte, da ward Abraham begraben 
und sein Weib Sara. Und nacltdem Abraham tot war, segnete 
Gott seinen Sohn Isaak (2h, 7— II')." Folgen die Tholedolh 
(generationes) Ismaels, gemäss der regelmässigen Sitte, zuerst di" 
Nebenlinien zu erledigen (25, 12 — 17). „Dies sind die Tholedoth 
Isaaks des Sohnes Abrahams. Abraham zeugte Isaak .... und 
Isaak war 40 Jahr alt, da er die Rebekka, die Tochter Bethuols 
des Aramäers ans Phaddan Aram, die Schwester Labans des Ara- 
mäera sich zum Weibe nahm .... und Isaak war 60 Jahr alt, da 
sie geboren wurden (25, 19. 20. 26''). Und Esau war 4li Jahr all, 
da nahm er ein Weib, Judith, die Tochter Beeris des Hethitere. 
nnd Bosmath die Tochter Elons des Hethiters, und sie waren ein 
Herzensknmmer für Isaak nnd Itebekka. Und Rebekka sagte xu 
Isaak: mich verdi'iesst zu leiten wegen der Töchter Heths; wenn 
Jakob auch solche Weiber von den Töchtern Heths, von den 




Die Erzählung des Hexateuchs. 333 

Töchtern des Landes, nimmt, was soll mir das Leben! Da rief 
Isaak den Jakob und segnete ihn und befahl ihm und sprach zu 
ihm: du sollst dir kein Weib nehmen von den Töchtern Kanaans; 
auf geh nach Phaddan Aram zum Hause Bethuels, des Vaters 
deiner Mutter, und hol dir von dort ein Weib von den Töchtern 
Labans, des Bruders deiner Mutter, mid El Schaddai wird dich 
segnen, dich mehren und ausbreiten, und er wird dir den Segen 
Abrahams geben, dir und deinem Samen mit dir, dass du das 
Land, wo du fremd bist, erbest, das Gott dem Abraham gegeben. 
Und Isaak entsandte Jakob, und er ging nach Phaddan Aram zu 
Laban ben Bethuel dem Aramäer, dem Bruder der Rebekka, der 
Mutter Jakobs und Esaus. Und Esau sah, dass Isaak den Jakob 
segnete und ihn nach Phaddan Aram sandte, um sich von dort ein 
Weib zu nehmen, indem er ihn segnete und ihm befahl: du sollst 
kein Weib von den Töchtern Kanaans nehmen. Jakob nun hörte 
auf seinen Vater und ging nach Phaddan Aram. Esau aber sah, 
dass die Töchter Kanaans seinem Vater Isaak misfielen, und Esau 
ging hin zu Ismael und nahm die Mahalath, die Schwester Neba- 
joths, zu seinen Weibern hinzu sich zum Weibe (26, 34s. 27, 46. 
28, 1 — 9) . . . und Laban gab ihr seine Magd Zilpha, seiner Tochter 
Lea zur Magd .... Und er gab ihm seine Tochter Rahel ihm 
zum Weibe, und Laban gab seiner Tochter R<ahel seine Magd 
Bilha ihr zur Magd (29, 24. 28^ 29). Und die Söhne Jakobs 
waren zwölf. Die Söhne Leas: der Erstgeborene Jakobs Kuben, 
Simeon, Levi, Juda, Issachar, Zebuion. Die Söhne Raheis: Jo- 
seph und Benjamin. Die Söhne Bilhas Raheis Magd: Dan und 
IKaphthali. Die Söhne Zilphas Leas Magd: Gad und Äser. Das 
sind die Söhne Jakobs, die ihm geboren wurden in Phaddan Aram 
(35, 23 — 26) . . . [Und Jakob nahm] all seinen Erwerb, den er 
erworben, die Habe seines Besitzes, den er in Phaddan Aram er- 
worben, heimzugehn zu seinem Vater Isaak ins Land Kanaan 
(31, 18). Und Gott erschien dem Jakob als er heimkam aus 
Phaddan Aram, und segnete ihn, und Gott sprach zu ihm: dein 
Name ist Jakob, dein Name soll nicht mehr Jakob heissen, son- 
dern Israel soll dein Name sein. Und Gott sprach zu ihm: ich 
bin El Schaddai, wachse und breite dich aus, ein Volk und ein 
Haufe von Völkern soll caus dir kommen und Könige sollen aus 
deinen Lenden hervorgehn; und das Land, das ich Abraham und 
Isaak gegeben habe, dir will ich es geben, und deinem Samen 



334 Geschichte der Tradätton, Kap. S. ' 

nach dir will ich das Land geben. Und Gott fuhr anf vim ihm 
von dem Orte wo er mit ihm geredet hatte. Und Jakob nannte 
den Namen des Ortes, wo Gott reit ihm geredet hatte, Bethd 
(35, 9—13. 15). Und Jaknb knm zu seinem Viiter Isaak nach 
Mamro bei Kiriath Arba d. i. Hebron, wo Abraham und Is»ak als 
Fremde wohnten. Und es waren ilie Tage Isaaks 100 Jahr nni) 
80 Jahr, l'nd Isuak vei'schied und starb und ging ein zd seiner 
Verwandtschaft, hochbetagt und lebenssatt, und seine Söhne Eeati 
und Jakob begraben ihn (35, 27. 28)." Folgen die ThoieJoth 
Esaiis in Kap. 36, weiches Kapitel jedoch nur teilweise dem 
Priesterkodex an>rehiirt. «Und Ksau nahm seine Weib«r ttod 
seine 8öhne und seine Töchter und alle Seelen seine Hanses imd 
seine Habe und all sein Vieh und all seinen Besitz, den er «r- 
worben im Lande Kanaan, und gbig ins Land Seir wegen aiiatt 
Bruders Jakob. Denn ihr Besitz war zu gross um beisunraeu n 
wohnen, und das Land ihres Aufenthalts vennochte nicht ne n 
ertrjigen wegen ihres Besitzes. Und Esau wolmt« auf dem Ge- 
birge Seir, Esau das ist Edom. Und Jakob wohnte im Lande d« 
Aufenthalts [-eines Vaters, im Lande Kanaan (36, 6 — 8, 37, 1), 
Dies sind die Tholedoth Jakobs , . , . (37, 2). Und sie oahniHU 
ilir Vieh und ihren Ei-werb, den sie erworben im Laude Kansau 
und kamen nach Ägypten, Jukob und all .sein Same mit ihm; 
seine Söhne und seiner Söhne Söhne und all seinen Samen bradite 
er mit sich nach Ägypten (45, ö. 7). Folgt die Anfz&hloag dtr 
70 Seelen, welche damals seineu Samen ausmachten. „Und Jak'ib 
nnd seine Söhne kamen nach Ägypten zu Joseph, und Pharao, 
der König von Ägypten, hörte es. Und Pharao sagte zu Jnseph: 
dein Vater und deine Brüder sind zu dir gekommen, siehe das 
Land Ägypten steht dir offen, im besten Teile des Landes las 
deinen Vater und deine Bruder wohnen, l'nd Joseph brachte 
seinen ^'ate^ Jakob und stellte ihn vor Pharao, und Jukob seffuete 
Pharao. Und Pharao sprach zu Jakob: wie viel sind die Tage 
deiner Lebensjahre? und Jakob sprach zu Pliarao: die Tage dar 
Jahre meines Aufenthalts in der Fremde sind 130 Jahre, wenia 
und böse sind die Tage meines Lebens gewesen und haben iiichl 
erreicht die Tage der Jahre meiner Väter zur Zeit ihres Anl'eni- 
halts. Und JaVob segnete den Pharao und ging fort von Pharao- 
Und Joseph Hess seinen Vater und seine Brüder wohnen und gah 
ihnen Grundbesitz im Lande Ägypten, im besten Teile des l^andes, 



Die Erzählung des Kexateuchs. 335 

im Lande Rameses, wie ihm Pharao geboten hatte (47, 5*". (5. 
Sept.; 47, 7 — 11). Und sie siedelten sich dort an und wuchsen 
und mehrten sich sehr. Und Jakob lebte im Lande Ägypten 
17 Jahr, und es waren die Tage Jakobs, seine Lebensjahre, 7 Jahr 
und 140 Jahr (47, 27''. 28) . . . Und Jakob sprach zu Joseph: El 
Schaddai erschien mii* zu Luz im Lande Kanaan und segnete mich 
und sprach zu mir: siehe ich breite dich aus und mehre dich und 
mache dich zu einem Haufen von Völkern und gebe dieses Land 
deinem Samen nach dir zu ewigem Besitz. Und nun, deine beiden 
Söhne, die dir im Lande Ägypten geboren sind, ehe ich zu dir 
kam nach Ägypten, sind mein ; Ephraim und Manasse sollen mein 
sein wie Rüben und Simeon. l.'nd die Kinder, die du nach ihnen 
gezeugt hast, sollen dein sein; nach dein Namen ihrer Brüder 
sollen sie heissen in deren Erbe. Und als ich von Phaddan kam, 
st^irb mir Rahel im Lande Kanaan unterwegs als es noch eine 
kurze Strecke bis nach Ephrath war, und ich begrub sie am Wege 
nach Ephrat, das ist Bethlehem (48, 3 — 7, zu v. 7 vgl. 49, 31) 
.... [und auch die übrigen Söhne] segnete er und befahl ihnen und 
sprach zu ihnen: ich gehe ein zu meiner Verwandtschaft, begrabt 
mich bei meinen Vätern in der Höhle des Feldes Makphela gegen- 
über Mamre im Laude Kanaan, welches Feld Abraham von Ephron 
dem Hethiter zum Erbbegräbnis gekauft hat — dort haben sie 
Abraham begraben und Sara sein Weib, dort haben sie Isaak be- 
graben und Rebekka sein Weib und dort habe ich Lea begraben 
— den Besitz des Feldes und der Höhle darauf von den Kindern 
Heth. Und Jakob liörte auf seinen Söhnen zu befehlen und zog 
seine Füsse zusammen auf dem Lager und verschied und ging 
ein zu seiner Verwandtschaft (49, 2S»^ — 33). Und seine Söhne 
brachten ihn ins Land Kanaan und begi'uben ihn dort in der 
Höhle des Feldes Makphela, welches Feld Abraham gekauft hatte 
zum Erbbegräbnis, von Ephron dem Hethiter, gegenüber Mamre 
(50, 12. 13). Und dies sind die Namen der Kinder Israel, die 
nach Ägypten kamen, mit Jakob kamen sie, jeder mit seinem 
Hause: Rüben Simeon Levi Juda Issachar Zel)ulon Benjamin 
Dan Naphthali Gad Äser. Und die Summe der Seelen, die aus 
Jakobs Lenden hervorgegangen waren, war 70 Seelen, und Joseph 
war m Ägypten. Und die Kinder Israel wuchsen und wucherten 
gar sehr, und das Land ward voll von ihnen, und die Ägypter 
knechteten die Kinder Israel mit Härte, zu aller Arbeit, welche 



33fi 



Geschichte der Tradition, Kap, S. 



sie diucli sie arbeiteteu mit Harte, nnd verbitterten iliuen Jm 
lieben mit schwerer Arbeit (Exod. 1, 7. 13. 14). l'nd die Kinder 
Israel stöhnten wegen der Ari>eit und schrien, und ihre Klage 
wegen der Arbeit drang zu Gott, und Gott hörte ihr Geschrei 
lind Gott gedachte au seinen Buud mit Abraham Isajik uml 
Jakob und Gott hatte ein Einsehen (2, 23 — 25). Und Gott reiJete 
zu Moses und sprach zu ihm: Ich bin Jahve. Dem Aljrahaia 
Isaak und Jakob bin ich erschienen als El Schaddai, mit meinem 
Xameu Jahve habe ich mich ihnen nicht kundgegeben, und ich 
habe einen Bund mit ihnen gemacht, ihnen das Land Kanaan 
KU geben, das Lnnd ihres Aufenthalts, wo sie Fremdlinge waren. 
Tnd ich habe auch das Gesclirei der Kinder Israel gehört, dass die 
Ägj-pter sie knechten, nnd habe meinesBundesgedadit u.3.w,(fi, 253.)." 

Das ist das Ganze. Im allgemeinen beschränkt sich die Dar- 
stellung darauf, bloss die Gliederung und Verkettung das Stoffe» 
wiederzugebeu. Es ist als ob P der rote Faden sei, an dem die 
Perlen von JE aufgereiht werden. Statt des noch ziemlich lockeren 
Gefüges des Jehovisten zeigt die Erzählung des Prieslcrkodex eine 
fest geschlossene literarische Kerm; ein sehr merkwürdiges Zeichen 
davon sind die regelmässigen Überschriften nn der 8pitze der 
e!n2elnen Abschnitte, die stehend mit den Worten nn^lp H^ 
(hae suut generationes), beginnen, von denen die Genesis den 
Namen hat') — in der übrigen historischen Literatur des Alten 
Testamentes findet sich dergleichen noch nicht. Dabei ist cha- 
rakteristisch, dass jedesmal nach einer solchen Überschrift, die 
einen neuen Abschnitt erölTnet, zuerst ganz kui-z iler Inhalt des 
vorigen rekapitulirt wird, um das Glied der Kette einzureihen. 

Auf <len Inhalt der einzelnen Erzählungen gelit der I'riester- 
kodex so wenig wie möglich ein. Die Prädikate werden so weit 
es geht abgestreift und damiich die Subjekte ordentlich in ein Re- 
gister, mit verbindendem Texte, zusummengestellt. Fast schrumpit 
die Darstellung auf diese Weise zusammen zu einer Art räsonni- 
render Genealogie; die Genealogie bildet jedenfalls den haupt- 
sächlichen Inhalt der Geschichte und tritt hier so breif und syste- 
matisch auf wie nirgend sonst. Man hat nun wol eben hietiu 
einen Beweis gefunden, dass V einem älteren Entwicklungsstadium 
der hebräischen Geschichtsschreibung angehöre als JE; deiui dass 

I für den PricaUi^ 




Die Erzählung des llexateuchs. 337 

sich die älteste hebräische und überhaupt morgeuländische Ge- 
schichtsschreibung aus den den Stammes- und Geschlechtsverzeich- 
nissen eingefügten historischen Notizen und Überlieferungen her- 
ausgestaltet habe, könne doch keinem Zweifel unterliegen'). In- 
dessen A^issen wir genau, dass in den Büchern der Richter 
Samuelis und der Könige von genealogischer Statistik nichts vor- 
kommt, während die Chronik samt Zubehör voll davon ist; wir 
wissen ferner, dass Lieder wie Jos. 10, 12. 13. Jud. 5. 2. Sam. 1, 19s8. 
3, 33 SS. die ältesten historischen Denkmäler sind, und dass sich 
davon in JE eine Anzahl findet, in P kein einziges. Die Herdersche 
Theorie von der Entwicklung der Geschichte aus der Genealogie 
hält nicht stich*); ausserdem aber haben wir es hier überhaupt 
nicht mit eigentlicher Geschichte zu tun, sondern mit Volkssage. 
Wol liegt die Genealogie auch im Jehovisten als Skelett zu 
gründe. Sie ist das naturgemässe Band, um die Sagen aufzu- 
reihen. Auch in der Zeit, wo diese letzteren nur erst einzeln 
und mündlich umliefen, ist sie dem Volke nicht unbekannt ge- 
wesen. Aber sie hat nur als stillschweigende Voraussetzung zu 
gründe gelegen. Wenn von Isaak und Ismael und Lot und Esau 
erzählt wurde, so A^nisste man ohne weiteres, was man sich unter 
diesen Personen vorzustellen hatte, in welcher Beziehung sie zu 
Israel und zu einander standen. Das war nur das selbstverständ- 
liche Substrat, aber keineswegs das eigentliche Interesse der ur- 
sprünglichen Erzählungen. Dieses hängt vielmehr eben an den 
Zügen, die im Priesterkodex fortgefallen sind. Die Charakteristik 
der Völker nach ihrem wirklichen historischen Verhältnisse zu 
einander, nicht nach dem leeren genealogischen, nach ihrer Ge- 
sinnung gegen einander, nicht nach ihrer Verwandtschaft, ist das 
eigentlich Fesselnde dieser Art von Sagen; auf ihrer unbewussten 
Transparenz, auf dem Durchscheinen der geschichtlichen Stimmung 
ihrer Entstehungszeit beruht ihr Reiz und ihr Leben. Je mehr 
wir dabei von Liebe und Ilass, von Furcht und Hoffnung, von 
Eifersucht und Schadenfreude spüren, desto näher stehn wir den 
treibenden Kräften der Überlieferung über die Vorzeit. Im 
Priesterkodex fehlen alle jene Geschichten, an denen man etwa 

^) Riehm, die s. g. Gnmdschrift des Pentateuchs, in den Studien und 
Kritiken 1872 p. 296. 

^ auch bei den Arabern nicht, wie besonders Sprenger gegen Caussin de 
Perceval (Essai, preface p. IX) ausgeführt hat. 

W«llbaas«n, Prolegomena. 5. Aufl. 22 



338 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

einen moralischen Anstoss nehmen könnte, z. B. von der durch 
die Feigheit der Erzväter bewirkten Gefährdung der Ehre ihrer 
Weiber, von der grausamen Eifersucht der Sara auf die Hagar, 
von dem hässlichen Wettkampfe Leas und Rahels um Mann und 
Kinder, von der Blutschande der Töchter Lots, von der Schändung 
Dinas. Aller Hass und Streit und Betrug in der Erzväterfamilie 
fällt fort: Lot und Abraham, Isaak und Ismael, Jakob und Esau 
gehn friedlich schiedlich auseinander; von dem bösen Spiele Labans 
und Jakobs gegen einander, von der Treulosigkeit Simeons und 
Levis gegen Sichem, von der Feindschaft der Brüder gegen Joseph 
ist nichts im Priesterkodex zu lesen. Hiemit bleiben nun aber 
nicht bloss „psychologische Ausschmückungen", wie man es ge- 
nannt hat, weg, sondern es wird den Sachen das Herz ausge- 
schnitten. Dass Moab und Ammon und Ismael und Edom he- 
bräische Völkerschaften sind, sämtlich näher oder entfernter den 
Israeliten verwandt, dass auch die Aramäer zu den Hebräern in 
naher Beziehung stehn und mit ihnen vielfach verschwägert sind, 
dass die einen in diesem, die anderen in jenem Nachbarlande 
Palästinas wohnen — das durch eine trockene ethno- und geo- 
graphische Statistik in genealogischer Form darzustellen, worin 
von nichts als von Heiraten und Geburten und Scheidungen der 
Ahnherren in die verschiedenen Wohnsitze ihrer Völker die Rede 
ist, hat die Volkssage unmöglich im Sinne gehabt zu einer Zeit, 
wo alle diese Verhältnisse noch lebendig und jedem Kinde ver- 
traut und geläufig waren. 

Ebenso wie die historische ist auch die lokale Färbung der 
Erzvätersage im Priesterkodex abgestreift: sie werden von all den 
Orten ferngehalten, deren Heiligkeit sie im Jeho^'isten begründen '). 
Zum Verständnisse der Erzählung des Priesterkodex in der Genesis 
hat man keine historische Geographie nötig; das bedeutet aber, 

'' Einen wunderliohiMi Ausdruck hat Hupfold dieser Beobachtung gegeben, 
indem er sajrt, Abraham Isaak und Jakob siedelen im Priesterkodex 
ueit fester. Ks ist ja doch diese Schrift, welche geflissentlich so oft 
die Pilirerscliaft. die Nichtansässigkeit der Patriarchen herrorhebt: sie 
redet immer nur davon, dass Abraham im Laude Kanaan geweih 
habe, und nennt selbst für die (lutteserscheimuig Kap. 17 keinen be- 
stimmten Ort: erst als es sich darum handelt Sara und Abraham zu be- 
i:raben, wird, aus diesem zwins:enden (ininde, das Feld Makphela bei 
Hel'ron ,wul «jeniäss dem verloren geiranijeuen Berichte von JE) zum 
(irundbesitz der Krzväterfamilie erworben, wo sie nun weiterhin sich 
dauernd niederlässt. Das Wohnentdeiben Isaaks und Jakobs am Grabe 



Die Erzählung des Hexateuchs. 339 

dass dieselbe dem Boden, woraus die mündliche Tradition er- 
wächst, ganz fern steht. Imgleichen ist das Absehen von der 
Etymologie, vom Spruche und vom Liede, das Fehlen der Theo- 
phanien, der Wunder und Träume und weiter des ganzen bunten 
Zaubers der Poesie, mit dem die jehovistischen Erzählungen ge- 
schmückt sind, nicht etwa ursprüngliche Simplicität, sondern Ver- 
zichtleistung auf die Quelladern und auf die wesentlichen Züge 
der Sage*). Was übrig bleibt, ist mit nichten die historische 
Objektivität, sondern das Schema. 

Was von der Ursage gilt, gilt auch von der Patriarchensage: 
die Individualität der einzelnen Erzählung ist das Wesentliche 
und das Ursprüngliche, der Zusammenhang ist Nebensache und 

Abrahams hat mehr negative als positive Bedeutung; und umgekehrt 
sollen die Kreuz- und Querzüge der Patriarchen in JE sie nicht als 
schweifende Nomaden darstellen, sondern sie mit all den heiligen Orten 
in Berührung bringen, zu denen sie eine besondere Beziehung hatten. 
Übrigens ist darin, dass die Erzväter ihre Wohnsitze vermischen (am 
wenigsten geschieht das in J), schon eine Kontamination der Sagen er- 
sichtlich, die notwendig eintreten musste, sobald sich die literarische 
Komposition des zerstreuten Stoffes bemächtigte. Es scheint, dass ur- 
sprünglich Abraham in Hebron, Isaak in Beerseba, und Jakob in Sichern 
wohnte. 

^) Uiehm (a. 0. p. 302 s.) hält es freilich für ausgemacht, dass die religiöse 
Cberlieferung des höheren Altertums sich durch ihre ^nüchterne Einfach- 
heit" und ihre „dem erhabenen Gegenstande angemessene Haltung" aus- 
zeichne, dass sie erst im Laufe der Zeit von der Phantasie des Volkes, 
die aber nicht so leicht in die ernste Literatur (!) Eingang finde, mit 
allerlei Wunderbarem und Geheimnisvollem ausgeschmückt werde. Er 
benift sich darauf, dass die Engelvorstellung, obgleich gewiss beim N'olke 
längst ausgebildet, bei den älteren Propheten doch nur vereinzelt vor- 
komme, häufiger dagegen l)ei den jüngeren, wie Ezechiel Zacharia 
Daniel. Es ist schwer Wahrheit und Irrtum aus diesem Gemisch zu 
scheiden. Im Priesterkodex finden sich allerdings keine Engel, dagegen 
aber Azazel und Seirim (2. Chron. 11, 15. Isa. 13, 21. 34, 14 vgl. oben 
p. 53) ; denn wo die Götter nicht sind , da walten (lespenster. In der 
einen jehovistischen Hauptquelle (J) kommt vorzugsweise der MaKak 
Jahve (die Botschaft Jahves) vor, das ist Jahve selber, sofern er erscheint 
und sich offenbart, sei es in einem Naturvorgange, sei es in Menschen- 
gestalt; es scheint übrigens, dass der Mal'ak wenigstens zum teil auf 
jüdischer Korrektur (für Jahve) beruht; vgl. DMZ. 1878 p. 742 u. 1. Etwas 
anderes sind die Bne Elohim, Wesen von göttlicher Substanz, an welche 
man vielleicht bei der 1. Pluralis im Munde Jahves (Gen. 3, 22. 11, 7) 
zu denken hat. Beides ist ohne Zweifel sehr alt. In der anderen 
Hauptquelle (E) scheint eine Vermischung eingetreten zu sein; die himm- 
lischen Scharen sind nicht bloss die Kinder und Begleiter der Gottheit 
(32, 2. 3), sondern auch deren Boten, Vermittler des Verkehrs zwischen 
Himmel und Erde (28, 12): hier haben wir die MaPakim neben Gott und 
im Plural. Dass auch dies nicht gerade jung ist, erhellt aus der \ isiou 
Michas (1. Reg. 22, 19 ss.). Was versteht Riehm unter höherem Altertum? 
eine Periode, aus der uns gar keine Denkmäler erhalten sind? Warum 

22* 



340 Gesehicbte der Tnu^itiou, Kap. 6. 

orst liurdi die Samniiunj! und schriftliche ÄiifzeiL-hiiuiig lüneiu- 
j^ebracht. Die ludividnAÜtät dor eiiizeluen Erzähltuig ist nun 
aber im PriesWrkodex durch die einseitige Hervorhebung des Za- 
äummenhangs i^eradezu vernichtet. Was hat es für eiueu 811111, 
■luss Jakob plötzlich Israel d. j. Käntpfegott heissen soll (3ö, 10), 
wenn sein Ringkampf mit El, der Grand der Umnennnng, ver^ 
schwiegen wird? Kommt die Geschichte von Joseph im Priester- 
kodex auch nur im entferntesten zu ihrem Rechter* Kann das 
ursprüiiiiliclie Kürze sein, wenn die Zerstörung Sodoms und Gu- 
morrhas in einem Nebensatze abgemacht wird, wie es 19, 29 ge- 
schieht? Man hat das bemerkenswerte Zugeständnis gemacht, es 
sei <ler summarischen Berichterstattaug des Priesterkodex nuzu* 
merken, dass der Verfasser viel ausfülirlicher hätte erzählen 
können, wenn dies im Plane seines Werkes gelegen hätte, und 
dies setze allerdings eine ausföhrlichere Kunde voraus. Indessen 
die vorausgesetzte ausführlichere Kunde sei keineswegs notwendig 
eine schriftlich verzeichnete und am wenigsten die nns vürliegendu 
jeho V ist i sehe; vielmehr erkläre sich iler Sachverhalt ;im befriedi- 
gendsten durch die Annahme, dass der Verfasser eine ausführliche 
Erzählung nicht für erforderlich gehalten habe, weil die im Volke 
lebendige mündliche Iberlieferung die (irundliiueu seiner clironik- 
artigen Notizen nnch überall zu lebensvollen farbenreichen Bildern 
auszumalen im stände gewesen sei. Dies ist indessen lediglich 
ein Versuch, der bestimmten Vergleichung zwischen Prieaterkodei 
und Jehovisten, die doch unvermeidlich ist, aus dem Wege zo 
gehn. Die Frage ist, welche der beiden Schriften dem Änsgangs- 
pimkte am nächsten steht. Ist es diejen^, welche zur Haupte 
Bache macht, was dem Wesen der mundlichen Überlieferung eigcut- 

ziehl er gerade die prüphelischti Literatur ia betriichti* Da er trüniiuol. 
dass die Engelvorstellung „in der Phantasie des Volkes* früh vorhanden 
gewesen sei, soljle er sich doch aach »u dem weiteren Ziigcslnndnls 
eiitscbliessen, dass die Aufzeichuer der Volkssage sich etwas ander« 
luiD Volksglaiilien verhallen haben als die pruphetischen Biis»|ir«iiger. 
Nieht einmal die historischen Bücher können in dioüem Punkte, mit 
dem gleichen Maasse gemessen werden wie die vorgeschielitliche C'tier- 
liefening. Was ist nbrigens urspräoglieher, dass die Eugel sich eiuer 
Leiter bedienen, wie in der Genesis, oder da:jS sie Flügel halim «ic 
hei Jesaias? BetrefTtnd endlich die \'erweisung auf Kieehiel (?) Zacharia 
und Daniel, so scheiut mir der l'nterschied xwisclieu der sjstenintüjchea 
überall init Zahlen luid Namen operirenden Angelolugie uud dem kind- 
lichen Eogelglauben ziemlich klar m sein. Jene rückt Gott in i" 
Feme, dieser bringt ihn nahe. Vgl. Ewald tur Apokal. IlSjSJ 3^J ' 




Die Erzählung des Ilexateuchs. 341 

lieh fremd ist, was erst durch literarische Komposition hinein- 
kommt? Es wäre doch seltsam, wenn der Anfang zur Aufzeichnung 
der Sage damit gemacht wäre, das aufzuzeichnen, was die Sage 
nicht enthielt. Was uns im Priesterkodex geboten wird, ist die 
Quintessenz nicht der mündlichen, sondern der bereits schriftlich 
gewordenen Überlieferung. Und zwar ist die schriftliche Fixirung 
der Vorgeschichte, welche benutzt wird, das jehovistische Erzäh- 
lungsbuch. Die Anordnung, welche die volkstümlichen Legenden 
dort gefunden haben, ist hier zum Kern der Erzählung gemacht; 
der dort noch hinter der Ausführung versteckte Plan tritt hier 
scharf und markirt, fi'eilich durchweg übereinstimmend, als die 
Hauptsache des Ganzen hervor. 

3. Dem Geiste der Sage, in dem der Jehovist noch lebt, ist 
der Priesterkodex entfremdet; er tut ihr Zwang an, indem er sie 
von seinem Standpunkte aus behandelt, der ein ganz anderer ge- 
worden ist als der ihrige. Die sittliche und geistige Bildung ist 
fortgeschritten. Daher die Beseitigung von wii'klichen oder an- 
scheinenden Verstössen gegen die Moral, von allzu kindlichen, 
abergläubischen oder gar mythischen religiösen Vorstellungen. 
Wenn die Gottheit auftritt, so darf sie doch nicht in die Sinne 
fallen, wenigstens nicht in irgend einer Form gesehen werden. 
Jahve redet mit Jakob, aber nicht im Traume von der Himmels- 
leiter, er offenbart sich dem Moses, aber nicht im feurigen Busch; 
der Begriff der Offenbarung wird festgehalten, aber die Ergänzungen, 
die hinzukommen müssen um aus dem Abstraktum ein Kon- 
kretum zu machen, werden abgestreift. Unter welchen Formen, 
durch welche Medien ein Mensch Offenbarung empfängt, ist gleich- 
giltig, wenn nur die Tatsache feststeht; mit anderen Worten ist 
die Offenbarung nicht mehr lebendige Realität in der Gegenwart, 
sondern totes Dogma für die Vergangenheit. Vor allem anderen 
zeigt sich der Foi*tschritt der Bildung beim Priesterkodex in der 
gelehrt historischen Behandlung, die er der Sage angedeihen lässt. 
Da ist zunächst die Chronologie, der wir schon bei der Ursage 
begegnet sind und die natürlich bei der Patriarchensage fortgeht. 
Gerade bei der Patriarchensage zeigt sich recht deutlich, wie 
fremd die gelehrte Rechnung dem poetischen Stoffe ist; in einigen 
Beispielen, in denen die Sachen zu einer ganz anderen Vorstellung 
führen als die Zahlen. Folgt man den Zahlen des Priesterkodex, 
so kann man mit den Rabbinen Sem und Eber als die greisen 



342 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Häupter der Judenschule ansehen, bei denen der kleine Jakob die 
Buchstaben und die Thora lernte. Jakobs Aufenthalt in Mesopo- 
tamien dauert dann etwa 80 Jahr; während dieser Zeit liegt Isaak 
beständig auf dem Sterbebett; nachdem er für uns längst tot ist, 
taucht er unversehens noch einmal auf, freilich nur um zu sterben. 
Mit der Chronologie Hand in Hand geht die allgemeine Vorliebe 
des Priesterkodex für Zahlen und Namen, die sich schon in der 
Genesis, freilich noch weit stärker in den späteren Büchern des 
Pentat euchs äussert. Die mündliche Volkssage kann wol runde 
Zahlen enthalten, wie die 12 Söhne und die 70 Seelen der Familie 
Jakobs, die 12 Brunnen und die 70 Palmen zu Elim, die 70 Älte- 
sten und die 12 Kundschafter; aber ein chronologisches System, 
ganze Listen genauer und grosser Zahlen, nackte Verzeichnisse 
völlig bedeutungsloser Personennamen, Datirungen und Messungen 
wie sie der Sündflutsbericht des Priesterkodex gibt, setzen schon 
zu ihrer Entstehung, geschweige zu ihrer Überlieferung, die Schrift 
voraus. Diese Kunstprodukte der Pedanterie treten an Stelle des 
lebendigen poetischen Details der jehovistischen Einzahlung; denn 
das episodische Element muss dem Ernste der trockenen Historie 
weichen. Historische Gelehrsamkeit ist es auch, wenn die Ver- 
mischung der Patriarchenzeit mit einer späteren Periode als 
anachronistisch vermieden wird. Der Jehovist lässt überall die 
Gegenwart durchschauen und verhehlt in keiner Weise sein eige- 
nes Zeitalter; wir erfahren, dass Babylon die grosse Weltstadt ist, 
dass das assyrische Reich besteht, mit den Städten Nineve und 
Kelah und Resen, dass die Kanaaniter einst in Palästina wohnten, 
jetzt aber längst unter den Israeliten aufgegangen sind: vor alle 
dem hütet sich der Verfasser des Priesterkodex sorgfältig*). Er 
putzt die Sage nach den Regeln der Kunst zur Historie auf, tötet 
sie dadurch als Sage und beraubt sie auch des wirklichen Wertes, 
den sie zwar nicht für die Urzeit, wol aber für die Königszeit 
besitzt. 

Die Geschichte der Urmenschen und der Erzväter verläuft 
nach dem Priesterkodex in drei Perioden, deren jede durch einen 
Bund eröffnet wird. Der Bund mit Adam (Gen. 1, 28 — 2, 4) ist 
der eiufiichste; er wird noch nicht Bund genannt, doch ist er die 
Grundlage des zw^eiten Bundes mit Xoah (9, 2 — 17), der Um in 

Daher auch die Archaismen wie Kiriath-Arba, Luz, Ephrath. Vgl. die 
antiquarische Gelehrsamkeit in Deut 1—4 und in Gen. 14. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 343 

wichtigen Punkten modificirt und dem gegenwärtigen Weltalter 
näher bringt. Der Bund mit Abraham (Gen. 17), welcher den 
folgenden Erzvätern lediglich bestätigt wird, gilt nicht mehr für 
die ganze Menschheit, sondern nm* für die Abrahamiden und spe- 
ciell für Israel. Das erste Bundeszeichen ist der Sabbath (Gen. 2, 3 
vgl. Exod. 31, 12. Ezech. 20, 12. 20), das zweite der Regenbogen 
(Gen. 9, 12), das dritte die Beschneidung (17, 10). Der Un-ater 
der Menschheit wird lediglich auf Pflanzennahrung angewiesen, 
der Vater der nachsündflutlichen Menschheit erhält Erlaubnis auch 
Tiere zu schlachten, wobei ihm jedoch eingeschärft wird, kein 
Blut zu essen und kein Menschenblut zu vergiessen. Was dem 
Noah gesagt ist, bleibt noch für Abraham in Kraft; diesem aber 
verspricht Gott für seine Nachkommen von Sara den Besitz des 
Landes Kanaan, der weiterhin verbürgt wird durch den in aller 
Form Rechtens, unter den w^eitläufigsten Verhandlungen, abge- 
schlossenen Kauf der Höhle Makphela zum Erbbegräbnis; ausser- 
dem gibt er sich ihm näher zu erkennen als El Schaddai. Unter 
diesem Namen offenbart er sich auch dem Isaak (28, 3) und Jakob 
(35, 11) und wiederholt ihnen die Verheissung des Landbesitzes. 
Es wird Nachdruck darauf gelegt, dass Gott mit seinem israeliti- 
schen Namen der vormosaischen Zeit unbekannt gewesen sei, dass 
er sich den Erzvätern nur als El Schaddai kund getan habe, als 
Jahve aber erst dem Moses (Exod. 6, 2. 3). Ebenso wird mit 
deutlicher Absicht die Patriarchenzeit auch von den übrigen mo- 
saischen Formen des Gottesdienstes noch frei gehalten, daher hier 
noch keine Opfer und Altäre, kein Unterschied reiner und un- 
reiner Tiere und dergleichen. Bis vor kurzem ist man nun sehr 
geneigt gewesen, — gegenwärtig will es allerdings keiner mehr 
gewesen sein — die Keuschheit und Treue des Priesterkodex zu 
bewundern, die sich in dieser Innehaltung des Unterschiedes der 
Religionsstufen kund gebe. In Wahrheit kann man an diesen 
Vorzügen nur Geschmack finden, wenn man glaubt, die Religion 
sei anfangs rationalistisch gewesen, dann sprung>\'eise ein Stück 
positiver, und endlich im Jahre 1500 vor Christus ganz positiv 
geworden. W^ie ist es möglich darin historische Treue zu er- 
blicken, dass die Erzväter zwar wol haben schlachten, aber nicht 
haben opfern dürfen, dass erst der Sabbath, dami der Regenbogen, 
dann die Beschneidung und zuletzt unter Moses der Opferdienst 
eingeführt sei! Natürlich ist es, dass Jakob zu Bethel den Zehnten 



344 Geschichte derTraflitioii, Kap. S. 

gibt von allfiii was er erwirbt, unnatarlicli dass der Heros Epo- 
njinns gera<ie im Gottesdienst den Seinen nicht mit gutem Bai- 
Bpiel voran^ehn diirf. Was ist es anders als Theorie, duss der 
Name Jahve erst dpm Moses und durch ihn den Israeliten oßim- 
bart wird und vorher ganz unbekannt bleibt? eine Theorie, dt* 
ohne Zweifel nicht stich hält — denn Moses hätte nichts wid^s 
sinnigeres tno können als für flen Gott der Väter auf deu er sün 
Volk verwies eiTien neuen Namen einführen — , die aber weges 
der Korrelation znischen Jahve dem Gotte Israels und Israel den 
Volke Jahves sehr nahe liegt and nach dem Verfasser des Priestw- 
kodex nicht ganz eigeiitiimli(:h ist'). Er hat eine Vorlage gehabt, 
deren andeutende Linien er mit systematischer Schärfe nachzieht; 
darin so weit gehend, dass er sogar da wo er selber erzälilt 
den Namen Jahve in der vormosaischen Zeit vermeidet, dass er 
auch in seiner eigenen Rede bis auf Exod. i) nur Elohim sagt, 
nicht Jahve. 

Die drei Perioden und die entsprechenden drei Bünde der 
Vorzeit sind Vorstufen zur vierten Periode und zum vierten Bnode. 
Auf das mosaische Gesetz ist fiberaU das Absehen des Erzähler» 
gerichtet, nach dieser Rücksicht entwirft er den bei ihm so stark 
hervortretenden Plan seiner Darstellung der Ui'sprünge. Die 
llohenpuukte derselben bilden die Haupt- und Staatsaktionen 
Elohims mit den Erzvätern. In diesen Haupt- und Staatsaktionen 
wird nichts erzöldt, sondern nur geredet und verhandelt; es wer- 
den darin die präliminarischen Gesetz gegeben, welche stufen- 
weise fortschreitend das Hauptgesetz vorbereiten, nämlich ilas 
mosaische. Das Knltusgesetz ist an die Stelle der Knltussnsfe 
getreten. In der Kultussage entstehn die heiligen Sitteu und 
Bräuche so zu sagen unwillkürlich, bei irgend einer motivirendeu 
Gelegenheit die in die heilige Vorzeit verlegt wird. Jahve stellt 

") E.tod. fi, 2. 3 (P) = 3, 13. 14 {JE). Dass dif Prioritsf der Theuphani.^ 
auf Seiten des Jehovistea ist, ergibt sieb action aus dem feurißen Biiscli, 
während ihr ita Pries l«rkod«s eigentlich der ganie Charakter der Theo- 
phftnie abgestreift ist; uauieatlicli aber ergibt es sicti aas der Vergleirhung 
von Exod. 7,1 (?) mit 4, le <.IB). l)er Ausdruck 7, 1: „siehe ich mache 
dich zum Gott für Pharao und deiu Bruder Aharon soll dein Pruphet 
seiu" ist eine Verschlechterung des eutuprechendeu 4,16: .Ahiron soll 
dir als Mund dienen und du sollst ihm für Üott sein'. Denn wenn 
AharoQ der Prophet öder der Mund Moses ist, so ist nach der nrsprn^- 
lichcn neil allein sachgemKeseu Konception, Moses der Qott ^ben ßir 
Äharon und nicht der Gott ffir Pharao. 




Die Erzählung des Hexateuchs. 345 

nicht statutarisch fest, dass die Hüftsehne nicht gegessen werden 
darf, sondern er ringt mit Israel und verletzt ihm dabei die Ilüft- 
sehne, und aus diesem Grunde pflegen die Kinder Israel die Hüft- 
sehne nicht zu essen. Wie es gekommen ist, dass die jungen 
Knaben von den Israeliten beschnitten werden, wird folgender- 
maassen erzählt (Exod. 4, 25 s.): als Moses auf seiner Rückkehr 
von Midian nach Gosen unterwegs übernachtete, überfiel ihn Jahve 
in der Absicht ihn zu töten ; sein Weib Sipphora aber nahm einen 
Feuerstein und schnitt die Vorhaut ihres Sohnes ab und berührte 
damit die Scham Moses und sprach: du bist mir ein Blutbräuti- 
gam; da Hess Jahve von ihm ab. Sipphora beschneidet also ihren 
Sohn statt ihres Mannes, macht den letzteren dadurch symbo- 
lisch zum Blutbräutigam und löst ihn von dem Zorne Jahves, 
dem er verfallen ist, weil er eigentlich kein Blutbräutigam ist, 
d. h. weil er nicht die Beschneidung vor der Hochzeit an sich 
hat vollziehen lassen. Mit anderen Worten wird die Beschneidung 
der Knäblein hier geschichtlich erklärt als ein gemildertes Äqui- 
valent für die ursprüngliche Beschneidung der jungen Männer vor 
der Hochzeit'). Damit vergleiche man die Avt und Weise, wie 
der Priesterkodex in Gen. 17 die Beschneidung der männlichen 
Kinder am achten Tage nach der Geburt statutarisch verordnet 
und durch die Verordnung die Erzählung, die ihr zum Anlass ge- 
dient hat, vollkommen in den Schatten stellt und verdirbt, näm- 
lich die Erzählung von der Verheissung der Geburt Isaaks zum 
Lohn für die Gastfreundschaft, welche Abraham dem Jahve zu 
Hebron erwiesen hat. Es besteht aber nicht bloss ein formeller 
Untei*schied, sondern auch ein materieller Gegensatz zwischen der 
jehovistischen Kultussage und dem priesterlichen Kultusgesetz. Die 
Kultussage wird durch das Kultusgesetz purificirt, das heLsst in 
allen ihren Grundzügen und Trieben negirt. Wie wir bereits im 
ersten Kapitel gesehen haben, ist es bewnisste Polemik, dass 
Abraham Isaak und Jakob im Priesterkodex keine Altäre er- 
richten und keine gottesdienstliche Gebräuche ausüben, dass sie 

') Dass dies in der Tat die ursprüngliche Sitte ist, geht aus dem Worte 
chatan hervor, welches sowol die lieschneidung als den Bräutigam 
(resp. arabisch den Schwiegersolm) bedeutet, worauf in Exod. 4, 25 der 
Sinn von chatan damin (Blutbräutigam) beruht. Noch gegenwärtig 
soll die ursprüngliche Sitte bei einigen arabischen Stämmen herrschen, 
ebenso wie auch Sichem in Gen. 34 sich vor der Heirat beschneiden 
muss. 



346 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

gelöst werden von den heiligen Ort^n mit denen sie in JE un- 
zertrennlich verbunden sind. Das Volksreligionsbuch, welches uns 
in der jehovistischen Genesis noch so ziemlich, wenngleich auch 
nicht ganz unkorrigirt, erhalten ist, erzählt, wie die Ahnen und 
Repräsentanten Israels die alte volkstümliche Praxis des Kultus, 
an den Hauptorten wo derselbe gefeiert wurde, begründet haben. 
Das Gesetz des legitimen Kultus von Jerusalem, wie es uns im 
Priesterkodex vorliegt, reformirt und zerstört den alten volkstüm- 
lichen Gottesdienst auf grund mosaischer d. i. prophetischer Ideen. 
Die Stiftshütte verträgt sich nicht mit den Heiligtümern von He- 
bron Beerseba Sichem Kades Mahanaim Lahai-Roi Bethel; die 
Patriarchen wohnen in Hebron nm* um sich dort begraben zu 
lassen, nicht um die Gottheit unter der Eiche Mamre zu bewirten 
und dort den Altar zu bauen. Die ketzerischen Malsteine Bäume 
und Brunnen verschwinden und mit ihnen die anstössigen Bräuche: 
dass Gott den Abraham sollte aufgefordert haben ihm seinen ein- 
zigen Sohn zu opfern, wäre im Priesterkodex ein unmöglicher 
Gedanke. Der ganze Stoff der Sage ist legislativen Zwecken 
untergeordnet, überall tritt der umändernde Einfluss des Gesetzes 
auf die Erzählung hervor. 

Im ganzen stellt sich der Judaismus negativ zu der alten 
Sage, einiges Positive aber hat er doch neu hineingebracht. Wäh- 
rend die Patriarchen nicht opfern, sondern nur schlachten dürfen, 
haben sie dagegen den Sabbath') und die Beschneidung. Sie 
gleichen darin den Juden in Babylonien, denen die fehlende 
Kultusfeier durch diese beiden vom jei-usalemischen Tempel un- 
abhängigen Verbindungs- und Erkennungszeichen der Religion er- 
setzt wurde. Im Exil, nach dem Aufhören des Altardienstes, 
haben der Sabbath und die Beschneidung die Bedeutung erlangt, 
die ihnen als Symbolen — in der eigentlichen alten Bedeutung 
des griechischen Wortes — und zwar als praktischen Symbolen 
des Judentums bis auf die Gegenwart geblieben ist. Merkwürdig 
ist es, mit welchem Nachdruck stets im Priesterkodex hervor- 
gehoben wii'd, dass die Patriarchen ein Leben in der Fremde 
geführt haben, dass sie Ger im gewesen seien. Nimmt man 

^) Der Sabbath ist nach dem Priesterkodex keine mosaische Verordnung, 
er besteht nach Gen. 2, 3 seit Anfang der Welt. Bei den alten Israeliten 
trat der Sabbath an gottesdienstlicher Bedeutung völlig zurück hinter 
den Festen, im Judentum war es umgekehrt. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 347 

hinzu, dass Abraham von Ur, aus Chaldäa, nach Palästina ein- 
gewandert sein soll, so ist in der Tat der Gedanke nicht ab- 
zuweisen, dass auf die priesterliche Gestaltung der Ei-zvätersage 
die Verhältnisse des babylonischen Exils eingewii'kt haben. Trotz 
allem historischen Bestreben und allem archaistischen Schein 
wurde dann dennoch die Gegenwart des Erzählers auch positiv in 
der Schilderung der Patriarchenzeit zum Ausdrucke gelangen. 

m. 

1. In dem jehovistischen Geschichtsbuche ist die Genesis eine 
grosse Hauptsache und nimmt mindestens die Hälfte vom Ganzen 
ein, im Priesterkodex verschwindet sie völlig gegen die späteren 
Bücher. Er kommt erst mit der mosaischen Gesetzgebung in sein 
eigentliches Fahrwasser und erdrückt alsbald die Erzählung durch 
die Last des legislativen Stoffes. In seinem dünnen historischen 
Faden läuft er zwar auch hier dem Jehovisten parallel, aber wir 
verlieren denselben bei ihm stets aus den Augen w egen der immer 
wiederkehrenden Unterbrechungen durch umfangreiche Ritualge- 
setze und statistische Aufnahmen. 

„Durch eine höchst traurige, unbegreifliche Redaktion werden 
diese vier letzten Bücher Moses ganz ungeniessbar. Den Gang 
der Geschichte sehen wir überall gehemmt durch eingeschaltete 
zahllose Gesetze, von deren grösstem Teile man nicht einsehen 
kann, warum sie hier angeführt und eingeschaltet werden." Diese 
Sprengung der Glieder der Erzählung durch die ungeheuren Aus- 
wüchse gesetzlichen Inhalts, die indessen nicht wie Goethe meint 
erst Schuld der Redaktion, sondern schon des unredigirten Priester- 
kodex selber ist, ist in der Tat unerträglich; sie kann auch, rein 
fonnell und literarisch betrachtet, nichts ursprüngliches sein. Es 
lässt sich noch verfolgen, wie der gesetzliche Stoff in die Erzäh- 
lung eindringt und sich dort allmählich immer breiter macht. Im 
Jehovisten scheint noch eine Form der Überlieferung durch, in 
welcher die Israeliten sofort nach dem Durchgange durchs Schilfs- 
meer auf Kades zogen und nicht erst den Abstecher zum Sinai 
machten. Während wir erst in Exod. 19 zum Sinai gelangen, 
befinden wir uns schon in Exod. 17 zu Massa und Meriba, d. h. 
auf dem Boden von Kades. Dort spielt der Vorgang, wie Moses 
mit seinem Stabe Wasser aus dem Felsen schlägt; dort der Kampf 
mit den Amalekitern, die eben hier und nicht am Sinai wohnten; 



34« Geacliichte der Tradition, Kap. 3. 

dort Jethros Hesuch, der eine von seiner Heimat (am Sinai) ziem- 
lich entfernte Örtlichkeit voraussetzt, wo nicht bloss ein voröber- 
gehendes Wanderlager , sondeiii die dauernde (lerichtastätte *} des 
Volkes sich befand. Darum kehren auch lüe Encähinngen, die 
vor der Ankunft am Sinai berichtet werden, nach dem Aufbruch 
von dort noch einmal wieder, weil das Lokal vorher nnd nachher 
das gleiche ist, nämlich die Wüst« von Kades, der wahre Scban- 
platz der mosaischen Geschichte. Mit der Einsetzung von Uichtem 
und Ältesten wird vor dem grossen Sinaiabschnitte abgeschlossen 
und nachher wieder angefangen (Exod. 18. Nn. 11); die Erzählnua 
von dem durch Moses hervorgelockten Felseuquell zu Massn und 
Meriba begegnet nicht bloss Exod. 17, sondern auch Nam. 'K). 
Das besagt mit anderen Worten, dass die Israeliten nicht erst 
nach iler Digression zum Sinai, sondern sofort nach dem Auszüge, 
in Kades, dem ursprünglichen Ziel ihrer Wanderung, anlangen 
und dort die rierzig Jahre ihres Aufenthaltes in der Wüste ver- 
bleihen. Kades ist dann auch der ursprüngliche Ort der Gesetz- 
l^ebung. „Dort setzte er ilinen Recht und Gericht, und dort ver- 
suchte er sie'*, heisst es vor der Sinaiperikope in einem poeti- 
schen Fraginente (Exod. 15, 3ö), welches jetzt in die Erzählung 
von der Heilung des Urunnens zu Mara eingesetzt ist, doil aber 
ganz verloren und ohne Beziehung steht: die eigentämliche Verbin- 
dung von Gericht und Versuchung weist mit Entschiedenheit auf 
Massa und Meriba (d. i, Gerichts- und Versuchungsstätte), also 
auf Kades als den eigentlich gemeinten Ort. Die Gesetzgebung 
an der Gerichtsstätte von Kades wird jedoch nicht vorgestellt als 
ein einmaliger Akt, wodurch Moses den Israeliten ein für alle mal 
ein allgemeines umfassendes Gesetz verkündet, sondern sie dauert 
vierzig Jahre und besteht in der Rechtsprechung am Heiligtum, 
die er beginnt und die nach seinem vorbildlichen Anfange die 
Priester und Richter nach ihm fortsetzen. So ist die Vorstelltmg 
in der überaus lehrreichen Erzählung Esod. 18, welche zu Kade.s 
spielt. Und in dieser Weise gehört die Thora hinein in die Ge- 
schichtsdarstellung, nicht nach ihrem Stoff als Inhalt irgend eines 
Kodex, sondern nach ihrer Form als das berufsmässige Tun Moses, 
nicht nach ihrem Ei^ebnis als Summe der in Israel gilttgea^ 

') Kades heisst auch Meriba, die Ge rieb Li stalte, oder Jleriliat Kadeti 
Gerich Isstattn am heiligen Quell. * 




Die Erzählung des Hexateuchs. 349 

setze und Bräuche, sondern nach ihrer Entstehung als begründender 
Anfang der noch immer in Israel fortwirkenden und lebendigen 
Institution der Thora. 

Die wahre und alte Bedeutung des Sinai ist ganz unabhängig 
von der Gesetzgebung. Er war der Sitz der Gottheit, der heilige 
Berg, ohne Zweifel nicht bloss für die Israeliten, sondern allge- 
mein für alle hebräischen und kainitischen Stämme der Umgegend. 
Von dem dortigen Priestertum wurde das Priestertum Moses und 
seiner Nachfolger abgeleitet; dort war Jahve ihm im brennenden 
Dornbusch erachienen, als er die Schafe des Priesters von Midian 
hütete; von dort hatte er ihn nach Ägypten entsandt. Dort blieb 
Jahve auch für die Israeliten noch wohnen, lange nachdem sie 
selber sich in Palästina niedergelassen hatten; im Liede der De- 
bora muss er vom Sinai herkommen, um seinem bedrängten Volke 
zu helfen und sich an die Spitze seiner Krieger zu stellen. Nach 
der Meinung des Dichters von Deut. 33 haben sich nicht die 
Israeliten zu Jahve nach dem Sinai begeben, sondern umgekehrt 
ist dieser vom Sinai zu ihnen nach Kades gekommen: „Jahve 
kam vom Sinai und er glänzte von Seil*, blitzte auf vom Berge 
Pharans und kam nach Meribath Kades" *). Es erklärt sich aber 
leicht genug, dass es für passender gehalten wurde, sich die Israe- 
liten zu Jahve bemühen zu lassen. Das geschah zunächst nur in 
der Form, dass sie dort vor Jahves Antlitz erscheinen um ihm zu 
huldigen und zu opfern (Exod. 3, 12), und dass sie beim Ab- 
schiede die Lade erhalten zum Ersätze für Jahve selber, der auf 
dem Sinai wohnen bleibt (Exod. 33): denn die Lade ist die Re- 
präsentation Jahves, darin besteht ihre Bedeutung und nicht in 
den Gesetztafeln, die ursprünglich gar nicht darin liegen. Erst 
ein weiterer Schritt führte dazu, den Sinai zum Schauplatz der 
feierlichen Eröffnung des geschichtlichen Verhältnisses zwischen 
Jahve und Israel zu machen. Es waltete das poetische Bedürfnis, 
die Konstituirung des Volkes Jahves zu einem dramatischen Akte 
auf erhabener Bühne zuzuspitzen. Was nach der älteren Über- 
lieferung auf stille und langsame Weise vor sich ging, den Inhalt 

^) Wo der Sinai geleg:en hat, wissen wir nicht und die Bibel ist sich 
schwerlich einig darüber; das Streiten über die Frage ist bezeichnend 
für die Dilettanten. Den besten Anhalt gibt Midian Kxod. 2, denn das 
ist doch wahrscheinlich Madian an der arabischen Küste des Roten Meeres. 
Nach unserer Stelle scheint der Sinai südöstlich von Edom zu liegen; 
der Weg vom Sinai nach Kades geht über Seir und Pharan. 



350 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

der gesamten Periode Moses ausmachte, und ebenso begann wie ^ 
sich später noch immer fortsetzte, das wurde nun der Feierlichkeit 
und Anschaulichkeit wegen in einen eklatanten Anfang zusammen- 
gedrängt. Dann aber musste der Bund zwischen Jahve und Israel 
auch ii-gend wie positiv charakterisirt werden, das heisst, Jahve 
musste die Grundlagen und Bedingungen desselben dem Volke an- 
kündigen. So entstand die Notwendigkeit, die Grundgesetze ihrem 
Inhalte nach hier mitzuteilen, so fand der legislative Stoff Ein- 
gang in die geschichtliche Darstellung. 

Wie der Jehovist ursprünglich ein reines Geschichtsbuch, so 
war das Deuteronomium, als es zuerst aufgefunden wurde, ein 
reines Gesetzbuch*). Diese beiden Schriften, die geschichtliche 
und die gesetzliche, waren anfangs ganz unabhängig von ein- 
ander; erst hinterdrein wurden sie verbunden, weil das neue 
Gesetz die Popularität des alten Volksbuches teilen und das- 
selbe zugleich mit seinem Geiste durchdringen sollte. Eine be- 
queme Handhabe dazu bot der Umstand, dass, wie wir eben 
gesehen haben, schon ein gesetzliches Stück in das jehovistische 
Geschichtsbuch aufgenommen war. Dem Dekaloge, am Anfang 
der vierzigjährigen Periode, A^-urde nun das Deuteronomium, am 
Schluss derselben, hinzugefügt. Die Situation — von der das 
Gesetz selber nichts weiss — ist sehr gut gewählt, nicht bloss 
weil Moses in seinem Testamente das Recht hat weissagend vor- 
zugreifen und ein Gesetz für die Zukunft zu geben, sondern auch 
weil dadurch, dass das Gesetz an den Schluss seines Lebens zu 
stehn kommt, der Erzählungsfaden nicht weiter unterbrochen, 
sondern nur ein Einschnitt zwischen dem Pentateuch und dem 
Buche Josua gemacht wird. Durch diese Zusammenarbeitung 
des Deuteronomiums mit dem Jehovisten ist nun zuerst die Ver- 
bindung von Erzählung und Gesetz entstanden; und nur weil dem 
Priesterkodex dieses Muster vorgelegen hat, erklärt es sich, dass 
er, obwol seine Absicht lediglich auf die Thora geht, doch gleich 
von vornherein darauf angelegt ist auch die Geschichte von der 
Weltschöpfung an zu umfassen, als wenn die auch zur Thora ge- 
hörte. In der Natur der Sache liegt diese Art der Darstellung der 
Thora in Form eines Geschichtsbuches ganz und gar nicht, sie bringt 
im Gegenteil die grössten Unzuträglichkeiten mit sich. Sie lässt 

1) Kap. 1-2—26. Die beideu historischen Einleituni^en Kap. 1—4. Kap. 5—11 
sind erst spater hiiizugekommrn, ebeuso die Anhänge Kap. 27 ss. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 351 

sich nur auf die oben angegebene Weise begreifen, durch die Ver- 
mittlung eines vorausgegangenen literargeschichtlichen Processes*). 
Wie vom literarischen Gesichtspunkt aus, so erscheint auch 
vom historischen der Moses des Jehovisten ursprünglicher als der 
des Priesterkodex. Dies zu beweisen ist nun allerdings eigent- 
lich die Aufgabe des ganzen vorliegenden Buches: doch wird es 
deshalb nicht als ungehörig gelten können, wenn wir an dieser 
besonders geeigneten Stelle den Gegensatz der historischen An- 
schauung über Moses und sein Werk in den beiden Hauptquellen 
des Pentateuchs kurz darlegen und l)eurt^ilen. Nach dem Priester- 
kodex ist Moses Religionsstifter und Gesetzgeber, so wie wir ihn 
uns gewöhnlich vorstellen. Er empfängt und veröffentlicht die 
Thora, vielleicht nicht als Buch — obgleich man sich die Sache 
schliesslich doch kaum anders vorstellen kann — , wol aber fix 
und fertig als weitläufiges, fein ausgebildetes System, welches die 
heilige Konstitution der Gemeinde für alle Zeiten enthält. In 
dem Botendienste, den Moses als Mittler des Gesetzes leistet, be- 
steht seine ganze Bedeutung; was er sonst noch tut, tritt zurück. 
Dass das Gesetz ein für alle mal gegeben wird, das ist das 
grosse Ereigniss der Zeit, nicht, dass das Volk Israel anfängt auf 
die Weltbühne zu treten; das Volk ist des Gesetzes wegen da 
und nicht das Gesetz um des Volkes willen. Nach dem Jeho- 
visten dagegen besteht Moses Werk darin, dass er sein Volk rettet 
vor den Äg}'ptern und in der Wüste in jeder Weise für es Sorge 
trägt; in dem Präludium aus seiner Jugend, wo er den Ägypter 
erschlägt und den Streit seiner Brüder zu schlichten sucht (Exod. 
2, 11 SS.), ist seine Geschichte vorgezeichnet. Zu seiner Für- 
sorge für die Israeliten gehört es ebenso wol, dass er ihnen 
Unterhalt verschafft als dass er Friede und Ordnung unter ihnen 
stiftet und erhält (Num. 11). Die Thora ist nur ein Teil seiner 
Tätigkeit und fliesst aus dem allgemeineren Beinif, dass er der 
Wärter des jungen Volkes ist und dasselbe gewissermaassen auf 
die Beine setzen muss (Num. 11, 12). Sie ist nach Exod. IS 
nichts anderes als ein Ilatschaffen, ein Expediren aus den tat- 
sächlich eingetretenen Verwicklungen und Verlegenheiten; indem 

') Dass dem Priesterkodex die Sinaigesetzgebun«? des Jehovisten und das 
Deuterouoiniuin bereits vereint vorlagen, zei^ sich aueh darin, dass er 
sowol eine Gesetz j^'ebunjr am Berge Sinai, als auch eine (lesetzgebuni; 
in den Arl>oth Moab hat und dazwischen noch eine in der Wüste des 
Sinai. 



352 Gtsi-hicLte ävT Trailitiun, Kap, 8. ^^^H 

er den Leuten in den bestimmten Fällen die sie vor ihu liringW" 
Uedil spricht oder Bescheid erteilt, lehrt er Bte den Weg den 
sie gehn sollen. So wird er der Aufänger der nacJi ihm iu 
Priestern und Propheten fortlebenden Interweisung Jahves. Hier 
ist alles lebendig und im Hnss; wie Jahve selber, so arbeitet 
auch der Mann Gottes im lebendigen StolT, praktisch, in keiner 
Weise theoretisch; geschichtlich, nicht literarisch. Es lässt sdch 
wol von seinem Tun and Wirken erzählen, aber der Inhalt 
desselben ist mehr als ein System und lässt sich niclil iu ein 
Kompendium bringen: es ist niclit abgeschlossen, sondern nur 
lier Anfang einer Reihe unendlicher Wirkungen. Im Priesier- 
küdex hat man das Werk Moses reinlich und abgegrenzt vor 
sich liegen; wer tausend J;ihre später lebt, kennt es so gut als 
wer dabei gewesen ist. Es hat sich losgelöst von seinem Vr- 
heber und seiner Zeit; selber unlebendig hat es das Leben 
auch aus Moses und aus dem Volke, ja aus der Gottheit selber 
ausgetrieben; das Residuum iler Geschichte, indem es als Ge- 
setz an den Anfang der Geschichte tritt, erdrückt tmd tötet die 
Geschiclite selber. Welche von den beiden Anschauungsweisen 
die liistorischere ist, ist darnach nicht schwer zu entscheiden, 
Es kommt hinzu, dass in der älteren hebräischen Literatur immer 
die Volksgi-ünilung und nicht die Gesetzgebung als die theokra- 
tische Schöpfertat Jahves angesehen wird. Es fehlt überhaupt der 
üegriff des Gesetzes; man kennt nur Verträge, wodurch die Ver- 
treter des Volkes sich gegenseitig die feierliche Verpflichtung auf- 
erlegen, dies und jenes allgemein zu tun oder zu lassen. 

Noch ein Unterschied miiss hier hervorgehoben werden, der 
freilich uns schon öfters beschäftigt hat. Was im Prlesterkodes 
der Inliiilt der Thora Moses ist, nämlich die Einrichtung des 
Kultus, das geht nach dem Jehomten zurück auf die Praxis der 
Patriarchen — eine weitere Konsequenz des Gegensatzes zwischen 
Kultusgeseta und Kultnssage. Jäicht bloss der Zukunft greift der 
Moses des Priesterkodex vor, sondern auch der Vergangenheit; er 
kollidirt mit der Geschichte nach allen Seiten. Offenbar ist die 
Vorstellung die einzig natürliche, wonach der Kultus nichts sped- 
fisch Israetitsches, nichts zufolge plötzlichen Befehles der Gottheit 
von Moses Eingeführtes, sondern uraltes tierkommen ist. Zur Zeit 
der Abfassung des Priesterkodex machte der Kultus allerdings das 
wahre Wesen der Israeliten ans. An liie Stelle des Volkes I 




Die Enählung des Hexuteiiehe. 



353 



f.bei ihm schon in der mosaischen Zeit die Kirche, die einheitliche 
I Kuhasgemeinde — der Geschichte zum trotz, aber bezeichnend för 
[.seinen Standpunkt. 

Autoritäten wie Bleek Uupfeld und Knebel haben sich nun 
[ freilich durch den Schein des Historischen täuschen lassen, den 
der Priesferkodex hier wie in der Fatriarchengescliichte mittels 
I gelehrter Kunst zu erwecken sucht, sie haben die vielen Zaiileu 
I und Namen, die genauen technischen Beschreibunj;;en, dus strenge 
f Einhalten der Scenerie des Lagerlebens als Zeichen urkondlichor 
i Objektivität angesehen. I4öldeke hat dieser Kritik für immer 
-ein Ende gemacht, eigentlich aber gebührt Colenso das Ver- 
[ dienst, zuerst das Gespinnst zerrissen zu habeu. Die Dreistig- 
[ keit der Zahlen und Namen, die Genauigkeit der Milteitungeu 
t über gleicligiltige Äusserlichkeiteu bürgt nicht für ihre Zuver- 
I lässigkeit; sie stammen nicht aus gleichzeitigen Aufnahmen, sou- 
j dern lediglich aus der spiltjüdischen Phantasie, einer Phantasie, 
l die bekanntlich nicht malt und bildet, sondern rechnet und 
kenstruiil und weiter nichts als öde Schemata zu wege bringt. 
Wenn man die Beschreibung der Stiftshütte (Exod. 25ss-) nicht 
wörtlich wiederholen will, so ist es schwer von ihrer Umständ- 
lichkeit einen Begriff zu geben; man muss sich an der Quelle 
I überzeugen, was dieser „Erzähler" dariu leistet. Man sollte 
^ denken, er liefere Kalkulatoreu das Material zu einem Kostenan- 
schläge oder schreibe für Weber und Zimmerleute; aber die 
würden sich auch nicht daraus vernehmen, denn die unglaubliche 
Nüchternheit ist dennoch Phantasie, wie in Kap. 1 gezeigt ist. 
IJie Beschreibung der Stiftshütte wird im Buche Numeri durch 
die des Lagers ergänzt; ist jene das Centrum, so ist dieses der 
Kreis dazu, der in einen äusseren Ring, die zwölf weltlichen 
Stämme, in einen mittleren, die Leviten, und in einen inner- 
Bten, die Aharoniden, zerrällt: eine mathematische Darstellung 
■ Theokratie in der Wüste. Die beiden ersten Kapitel ent- 
1 halten die Zählung der zwölf Stämme und ihre Gliederung in 
[ vier Quartiere, lauter Namen und Zahlen. Zu dieser ersten 
Zählung kommt in Kap. 34 noch eine andere am Schluss der 
■H) Jahre hinzu mit ganz verschiedenen Einzelposten aber nahezu 
der gleichen Gesamtsumme. Diese Gesamtsumme, (WOÜlXl Krieger, 
stammt aus der älteren Überlieferung; ihre Wertlosigkeit erhellt 

i daraus, dass in einem wirklich authentischen Dokument der 
■ ""•' " 



1 

I 



354 » Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

israelitische Heerbann zur Zeit Deboras auf die Stärke von 
40000 Mann geschätzt wird. Dem Priesterkodex bleibt das Ver- 
dienst, die Gesamtsumme ein bischen weniger rund gemacht und 
sie in künstliche Einzelposten zerlegt zu haben. An die Muste- 
rung des Volkes schliesst sich in Num. 3. 4 die Weihung des 
Stammes Levi an das Heiligtum, zum Ersatz für die bis dahin 
nicht geopferten und auch nicht gelösten männlichen Erstge- 
borenen der Israeliten, Es sind 22273 männliche Erstgeborene 
und 22000 männliche Leviten über einen Monat alt vorhanden; 
die überschiessenden 273 Erstgeborenen werden mit fünf Sekel 
für den Kopf noch besonders gelöst. Wie genau! Aber was 
soll man dazu sagen, dass auf ein Volk von mindestens zwei 
Millionen nur 22273 männliche, also vielleicht 50000 männliche 
und weibliche Erstgeburten gekommen sein sollen? Dann ent- 
fallen ja durchschnittlich vierzig Kinder auf jedes Weib, denn 
Erstgeburt im Sinne des Gesetzes ist, was zum ersten die Mutter 
bricht: dazu hat schon Bleek den Kopf geschüttelt (Einl. * p. 117). 
Die Fortsetzung zu Num. 3. 4 liefert Kap. 8. Da die Leviten 
eine Abgabe an das Heiligtum von Seiten des Volkes sind, welche 
jedoch nicht geopfert sondern den Priestern abgetreten werden soll, 
so wird auch der charakteristische Ritus dieser Art Abgaben mit 
ihnen vorgenommen, nämlich das scheinbare Werfen in die Altar- 
flamme (Aristeas 31,5) — man denke sich Aharon und Moses die 
22 000 Menschen schwingen! Ein nicht minder starkes Beispiel 
dieser eigentümlichen Poesie ist die Geschichte Num. 31. Zwölf- 
tausend Israeliten, je tausend aus einem Stamme, ziehen gegen die 
Midianiter zu Felde, tilgen ohne Kampf — wenigstens ist von 
dieser Hauptsache nirgend die Kede — das ganze Volk aus, indem 
sie alle Männer und einen Teil der Weiber en^^ürgen und die un- 
verheirateten Mädchen gefangen führen, und erleiden dabei selber 
keinen Verlust. Das letztere wird nicht bloss im allgemeinen be- 
hauptet. „Die Hauptleute über tausend und über hundert traten 
zu Moses und sprachen zu ihm: deine Knechte haben die Summe 
der Kriegsleute, die uns untergeben gewesen sind, aufgenommen, 
und es fehlt nicht einer.'' Von der unermesslichen Beute an 
Menschen und Vieh bestimmt Ja hve die eine Hälft« denen, die ins 
Feld gezogen sind und die Schlacht geliefert haben, die andere 
Hälfte der Gemeinde; jene sollen den aOOsten Teil an die Priester, 
diese soll den 50 sten Teil an die Leviten abgeben. Die Aus- 



Die Erzähhmg des Hexateuchs. 355 

führuiig dieser Verordnung wird in folgender speciellen Weise l)e- 
richtet. ^Es war die vorhandene Beute, die das Kriegsvolk geraubt 
hatte, 675000 Schafe, 72000 Rinder, 61000 Esel, und 32000 Weiber, 
die nicht beim Manne gelegen hatten. Und die Hälfte, welche 
den ins Feld Gezogenen zufiel, w ar 337 500 Schafe, davon Steuer 
an Jahve 675; 36000 Rinder, davon Steuer an Jahve 72; 30500 
Esel, davon Steuer an Jahve 61; 16 000 Menschenseelen, davon 
Steuer an Jahve 32; und Moses gab die Abgabe an Jahve dem 
Priester Eleazar. Aber die andere Hälfte, die Moses den Kindern 
Israel zuteilte, die der Gemeinde zuständige Hälfte, war 337 500 
Schafe, 36 000 Rinder, 30 500 Esel, 16 000 Menschenseelen; und 
Moses nahm von dieser Hälfte der Kinder Israel je ein Stück 
von fünfzig und gab es den Leviten." Mit der Berechnung der 
Abgabe an Jahve hat es Kloses insofern bequem, als der 5(X)ste Teil 
von der Hälfte ebenso viel ist wie der 1000 ste vom Ganzen; er 
braucht also von den Hauptsummen bloss die Tausende weg zu 
lassen. Zum Schlüsse bringen noch die Hauptleute dem Jahve 
Geschenke von goldenen Geräten, Ketten, Geschmeiden, Ringen und 
Spangen, zusammen 16750 Sekel im Gewicht, zur Sühne ihrer 
Seelen. „Das war aber nur, was die Hauptleute an Gold erbeutet 
hatten, denn die Kriegsmänner hatten geraubet ein jeglicher für 
sich." Man darf sich vielleicht die Frage erlauben, in w^elchem 
Verhältnis diese 16750 Sekel, welche hier allein die Hauptleute 
von dem Goldschmucke der Midianiter an die Stiftshütte 
spenden, zu den 1700 Sekeln stehn, welche in Jud. 8 das ganze 
Volk von dem Goldschmuck der Midianiter zur Errichtung 
eines Gottesbildes in Ophra weiht? 

Weniger leicht als Verhältnisse und Zahlen scheinen sich 
die zahlreichen, oft registerweise zusammengestellten Namen aus 
blosser Fiktion zu erklären. Darüber wird allerdings kein Zweifel 
walten können, dass die vierzig Orte, welche in der Liste der 
Stationen der Wüstenwanderung (Num, 33) aufgeführt werden, 
wirklich in der Gegend, durch welche die Israeliten ihren Weg 
genommen haben sollen, vorhanden gewesen sind. Wer sich das 
zum Beweise, dass wir hier ein uraltes historisches Dokument vor 
uns haben, genügen lässt, dem wird keine Kritik die Freude 
stören. War es aber so schwer, für die vierzig Jahre des Wüsten- 
zuges vierzig bestimmte Stationen in der Wüste auszusuchen? 
Wenn die Elemente nicht fingirt sind, so folgt daraus noch lange 

23* 



3r>6 Geschichte der Tradition, Knp. 8. 

nicht, diisti auch die KompositioD lUL-lit fiiigirt sei. Bei den \'er- 
zeichnisseD der Personeimamen sind übrigens auch die Elemente 
vielfach von überaos zweifelhafter BeschafTeuheit, imd man tut 
hier am besten, sich an den Grundsatz Vatkes (a. 0. p. (575) la 
halten, nämlich Subjekten ohne Prädikaten kein Vertrauen m 
schenken nnd nicht an die Wirklichkeit von Personen zu glanben, 
die gar nichts zu wirken haben. Die Dutzendnamen in Nam. 1. 
H. 14 sind fast alle nach der selben Schablone gemacht niid haben 
gar keine Ähnlichkeit mit den echten alten Eigennamen. Dass 
der Name Jahve nicht in ilirer Komposition vorkommt^ beweist 
nur, dass der Komponist seiner religionsgeschicbtlichen Theorie 
wol eiugetlenk war. 

Durch diese Vorliebe für unfruchtbare Namen und Zahlen 
niiil technische Beschreibungen kommt der Priesterkodes auf eine 
Linie zu stehn mit der Chronik und der übrigen Literatur des 
Judentums, welche mit der künstlichen Wiederbelebung der allen 
Tradition sich abgiebt (p. 179 s. 215, 227 s.). Nah verwandt 
mit dieser Vorliebe ist eine unbeschreibliche Pedanterie, die das 
innerste AVeseu des Verfassers des Priesterkodes bildet. Für das 
Klassificiren imd Schematisiren hat er eine wahre LeidenschaA; 
wenn er einmal ein Genns in verschiedene Species zerlegt hat, so 
müssen wir uns jedesmal alle Species einzeln wieder vorführen 
lassen, so oft vom Genus die Kede ist; der subsumirende Gebrauch 
der Präpositionen Lamed und Beth ist für ihn bezeichnend. Wo 
er kann, bevorzugt er den weitläufigen Ausdruck, das Selbst- 
verständliche zum hundertsten male ausführlich zu wiederholen 
wird er nicht müde (Num. S), er hasst die Pronomina und alle ab- 
kürzenden Substitnte. Das Interessante wird übergangen, das 
Gleichgiltige genau beschrieben, vor lauter erschöpfender Deutlichkeit 
weiss man oft bei einer ohnehin deutlichen Sache mit den vielen 
Bestimmungen nicht ans noch ein. Dies ist es, was man ira 
weiland historisch-kritischen Sprachgebrauche als epische Breite zq 
bezeichnen pflegt« '). 

2. Nachdem wir so den allgemeinen Gegensatz des Priester^ 
kodex und des Jehovisten füi' die mosaische Periode darzustellen 

') Etiehm 0,0.293: „Die Duretellimg ist ruhig, einfach, frei Ton allem 
reilnemchen imd dichtcriachen Schmuck, und die Ausdrucks« eis« b«i 
gleich srti^eu Objekteu von epischer nieiclifürmigkeil. So eindruckSTuU 
mauL-he Stöcke gerade in ihrer sclilichten Einfachtieit nnd objekäM' 




Die Erzählung des Hexateuehs. 357 

versucht haben, bleibt uns- jetzt noch übrig, die einzelnen Er- 
zählungen zu vergleichen. Als Anfang der israelitischen Geschichte 
wird überall der Auszug aus Ägypten betrachtet. Im Priester- 
kodex ist derselbe zur Epoche einer Ära gemacht (Exod. 12, 2), 
nach welcher künftighin datirt wird, und zwar nicht bloss in 
Jahren, sondern in Monaten und Tagen. Dass diese genaue Da- 
tirungsweise erst sehr spät unter den Hebräern aufgekommen ist, 
steht fest. In den historischen Büchern haben wir aus vor- 
exilischer Zeit nur eine einzige Monatsangabe (1. Reg. 6, 38), aber 
ohne Hinzufügung des Tages. Eine gewisse Wichtigkeit hatte die 
Zeitbestimmung für die prophetischen Schriftsteller, und da lässt 
sich die Entwicklung der Sitte einigermaassen verfolgen. Amos 
ist aufgetreten „zwei Jahre vor dem Erdbeben". Bei Jesaias ist 
die bestimmteste Angabe „das Todesjahr des Königs Uzzia". 
Jahreszahlen finden sich zuerst bei Jeremias, „das 13. Jahr des 
Königs Josia" und wenige andere. Plötzlich aber tritt ein Um- 
schwung ein; die im babylonischen Exil aufgewachsenen Propheten 
Haggai und Zacharia datiren fortwährend und geben dabei nicht 
bloss das Jahr und nicht bloss den Monat, sondern auch den 
Monatstag an. Im Priesterkodex wird diese Genauigkeit, welche 
die Juden offenbar von den Chaldäern gelernt haben, seit der Zeit 
Moses angewandt. 

Im Jehovisten ist der ostensible Anlass des Auszuges ein Fest, 
welches die Kinder Israel ihrem Gotte in der Wüste feiern wollen. 
Im Priesterkodex föUt dieser Anlass weg, weil es keine vormosaischen 
Feste geben darf. Damit fällt aber zugleich der Grund weg, weshalb 
Jahve die Erstgeburten der Ägypter tötet: er tut es deshalb, 
weil ihm der Ägypterkönig die Erstgeburten der Israeliten 
vorenthält, welche ihm zum Feste dargebracht werden sollen; 
denn das Fest ist das Opferfest der Erstlinge des Viehs im 
Frühling. In der älteren Überlieferung ist das Fest das Prius, die 
Erklärung für die Umstände und die Jahreszeit des Auszugs; in 
der jüngeren hat sich das Verhältnis umgekehrt: die Tötung der 
Erstgeburten der Ägypter ist der Anlass der Opferung der israelitischen 
Erstgeburten, der Auszug im Frühlinge hat das Fest im Frühliuge 

Haltung sind, so bemerkt man doch nirgends ein Streben, durch die 
Mittel schriftstellerischer Kunst Effekt zu machen und das Interesse 
des Lesers zu spannen." Vgl. dagegen Lichtenberg, Werke II 162 s. 
(Göttingen 1844). 



358 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

zur Folge. Auf gruud dieser jüngeren Überlieferung entfernt sich 
der Priesterkodex am allerweitesten vom Ursprünglichen dadurch, 
dass nach ihm das Pascha, dessen Zusammenhang mit dem Erst- 
geburtsopfer er ganz verwischt, nicht zum Danke dafür, dass Jahve 
die Erstgeburt Ägyptens geschlagen hat, gefeiert, sondern im 
Momente des Auszuges gestiftet wird, damit er die Erstgeburt 
Israels verschone. Wie dies alles zu verstehen und zu beurteilen 
sei, ist im Kapitel über die Feste (p. 86 s. 99 ss.) ausführlicher 
dargelegt worden. 

Über die Darstellung des Durchgangs durchs Schilfmeer in 
den beiden Quellen lässt sich nur das sagen, dass dieselbe im 
Jehovisten (J) komplicirter ist. Nach ihm kommen auch die 
Ägypter zunächst durch das von einem starken Winde trocken 
gelegte Meer hindurch und stossen dann nachts am östlichen Ufer 
mit den Hebräern zusammen. „Aber gegen die Morgemvache 
kehrte sich Jahve, in der Feuer- und Wolkensäule, gegen des Ägj pters 
Heer und bestürzte des Ägypters Heer und hemmte das Rad seiner 
Wagen und Hess ihn ins Unwegsame geraten. Da sprach der 
Ägypter: ich will fliehen vor Israel, denn Jahve streitet für sie 
gegen Ägypten. Aber das Meer kehrte zurück gegen Morgen zu seinem 
gewöhnlichen Stande, und die Ägypter flohen ihm entgegen, und 
Jahve schüttelte sie mitten ins Meer" (Exod. 14, 24. 25. 27). Xach 
dem Priesterkodex ^) stürzen die Wellen über den Verfolgern zu- 
sammen, ehe sie noch ans jenseitige Ufer gelangen: die Vor- 
stellung ist viel einfacher, aber ärmer an zufälligen Zügen. 

Das Wunder des Manna (Exod. 16) wird im Priesterkodex als 
ein sehr zweckmässiges Mittel benutzt, die strenge Sabbathsheiligung 
dem Volke einzuschärfen: am siebenten Wochentage fällt keins, 
aber das am sechsten gesammelte hält sich zw^ei Tage, während es 
sonst nur ganz frisch gegessen werden kann. Dass dies gesetzliche 
Interesse die Erzählung verdirbt und ihren eigentlichen Sinn zurück- 
drängt, liegt auf der Hand. Ebensowenig ursprünglich ist es, viel- 
mehr ein Zeichen von Greisenhaftigkeit, w^enn Im Priesterkodex 
das Manna nicht roh, sondern gekocht und gebacken genossen wird. 

Auf dem Berge Sinai erhielt Moses nach dem Priesterkodex 

') und überhaupt nach der jüiim'eren Überlieferung; auch nach dem Liede 
Exod. 15, welches abgesehen von dem alten Anfange ein Psalm in der 
Weise des Psalmen ist und keine Ähnlichkeit hat mit den historischen 
Liedern Jud. 5. 2. Sam. 1. Num. 21. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 359 

die Offenbaning — des Modells der Stiftshiitte, nach dessen ihm 
vorschwebenden Muster er dann unten die wirkliche Stiftshütte 
bauen lässt. Alle inhaltliche Offenbarung erfolgt schon zur Zeit 
Moses soweit als möglich in der Stiftshütte, Exod. 25, 22. Denn 
auch der Sinai darf dem einzig legitimen Gottessitze nicht länger, 
als es unumgänglich nötig ist, zur Seite treten. Die Gesetzestafeln 
werden, wie es scheint, stillschweigend vorausgesetzt, ohne vorher 
eingeführt zu sein; natürlich auf grund der Annahme, dass die 
Sache den Lesern, nach der älteren Überlieferung, bekannt sein 
werde. Dafür wird dann aber das Äussere der Lade aufs ver- 
schwenderischste ausgestattet, mit einer Pracht, an welche die an- 
derweitigen Nachrichten über den Akazienholzkasten nicht denken 
lassen, wie denn auch sonst die Lade im Priesterkodex anders 
aussieht, als sie nach 1. Reg. 7,23 ss. ausgesehen hat. An die 
Haggada erinnert die Decke, welche Moses über sein vom Wider- 
schein der Herrlichkeit Jahves strahlendes Antlitz legen muss, um 
die Leute nicht zu blenden (Exod. 34, 29 — 35), und die Ver- 
fertigung des ehernen Handfasses aus den Spiegeln der Tempel- 
weiber (38, 8 vergl. Num. 17,lss.); diese Züge gehören zwar nicht 
zum ursprünglichen Bestände des Priesterkodex, fallen aber dennoch 
In seine Sphäre. 

Vom Sinai gelangen wir nach der alten Überlieferung über 
diese mid jene namentlich aufgeführten Stationen alsbald nach 
Kades, um hier die längste Zeit des vierzigjährigen Wüstenaufent- 
halts zu verbleiben: hier spielen, wie bereits gesagt, eigentlich 
alle Geschichten, die überhaupt von Moses erzählt werden. Im 
Priesterkodex kommen wir auch hier, gerade wie in der Pa- 
triarchensage, nicht an bestimmte Orte, sondern treiben in der 
Wüste des Sinai, in der Wüste Pharan, in der Wüste Sin um. 
Mit offenbarer Absicht wird namentlich Kades möglichst in den 
Hintergrund gedrängt, jedenfalls wegen der grossen Heiligkeit, 
welche dieser Ort als langjähriges Standlager der Israeliten unter 
Moses ursprünglich gehabt hat. 

Von Kades gehn nach dem Jehovisten die Kundschafter aus, 
nach dem Priesterkodex von der Wüste Pharan. Nach jenem 
gelangen sie bis nach Hebron, bringen von dort die schönen 
Trauben mit, finden aber das Land, wo sie wachsen, uneinnehm- 
bar; nach diesem gelangen sie ohne weiteres gleich durch ganz 
Palästina hindurch bis zum Libanon, haben aber nichts mitzu- 



960 



Geschichte der TruditJoD, Kap. 8. 



bringen und raten deshali) vom Angriff auf das Land ab, weil 
sie es nicht besunders begehrenswert finden: gerade als ob nnr 
dem Glauben die Vorzüge desselben zugänglich, für ungläubige 
Augen aber nicht zu entdecken seien, wie es aur Zeit Hagisais 
nnd Zacharias und zur Zeit Ezras und Nehemias wirklich der 
Fall war, während dem alten echten Israeliten die Herrlichkeit 
seiner geliebten Heimat kein blosser Glaubenssatz war, an dem 
er hätte auch zweifeln können. Dort wird (nach Dt. 1,23) nur 
die Zahl der Kundschafter angegeben sein, hier werden sie alle 
zwölf mit Namen benannt. Dort macht alleine Knleb die jinte 
Ausnahme, hier Kaleb und Josna. ursprünglich gehörten wol beide 
nicht in diese Erzählung, aber Kaleb als Ausnahme zu nennen lag 
nahe, weil er in der Tat gerade die Gegend von Kades bis Hebron 
eroberte, welche die Kundschafter als uneinnehmbar geschildert 
und die durch sie eingeschüchterten Israeliten nicht anzugreifen 
gewagt hatten. Josna dagegen ist hinzugefügt worden von der 
Erwägung aus, dass nach dem Num. 14, 23. 24 ausgesprochenen 
Grundsätze auch er das Verdienst Kalebs geteilt haben müsse, da 
er gleichen ausoahmsweisen Lohnes teilhaft geworden sei. 

Anftra^eber der Kundschafter, zu dem sie ihre Meldung zu- 
rückbringen, ist nach dem Jehovisten Moses allein, nach dem 
Priesterkodex Moses nnd Ahaion. In der ältesten Quelle des 
Jehovisten (J) kommt Aharon überhaupt noch nicht vor, im 
Priesterkodex darf Moses Öffentlich nichts ohne ihn tun'). Moses 
ist zwar auch hier ilie Seele, aber Aharon der Repräsentant der 
Theokratie; und es wird streng darauf gehalten, dass derselbe 
nii^end fehle, wo es auf diese Repräsentation, der Gemeinde 
gegenüber, ankommt. Die auffallendsten Fi-üchte hat der Trieb, 
den Vertreter der Hierokratie uud damit überhaupt die Hiero- 
kratie in die mosaische Geschichte einzuführen, getragen in der 
sogenannten Erzählung vom Anfmhr der Rotte Korah. Nach der 
jehovistischen Überlieferung sind es die Rnbeniten Dathan und 
Abiram, vornehme Männer des erstgeborenen Stammes in Israel, 
von denen der Aufruhr ausgeht, und derselbe richtet sich gegen 
Moses als Führer und Richter des Volkes. Nach der Ver- 
sion der Grnndschrift des Priesterkodex ist ein Judäischer Summ- 
fürst mit Namen Korah der Rädelsführer, und er empört sich nicht 




Die Erzählung des Hexateuchs. 361 

gegen Moses allein, sondern gegen Mos^s und Aharon als 
Vertreter des Priestertums. In einem späteren Nachtrage, 
welcher seiner Ai*t nach ebenfalls zum Priesterkodex, aber nicht 
zu dessen ursprünglichem Bestände gehört, erscheint der Levit 
Korah an der Spitze eines Aufstandes der Leviten gegen Aharon 
als Oberpriester und verlangt die Gleichstellung des niederen 
Klenis mit dem höheren. Nehmen wir die jehovistische Version, 
als deren geschichtliche Grundlage das Herabsinken Rubens von 
seiner alten Stellung an der Spitze der Bruderstämme durch- 
schimmert, zum Ausgangspunkte, so lässt sich mit Händen greifen, 
wie die zweite daraus entstanden ist. Nachdem das Volk der 
Gemeinde, d. h. der Kirche, Platz gemacht hat, treten statt des 
volkstümlichen Führers Moses die geistlichen Spitzen Moses und 
Aharon ein, und die Eifersucht der weltlichen Grossen richtet sich 
nun gegen den Stand der Erbpriester, statt gegen den ausser- 
ordentlichen Einfluss eines gottgesandten Heroen auf das Gemein- 
wesen: alle diese Veränderungen ergeben sich naturgemäss aus 
der Übertragung der Hierokratie in die mosaische Zeit. Vom 
Boden der zweiten Version lässt sich nun ferner die Entstehung 
der dritten begreifen. Nachdem zunächst dort die ursprünglich 
rubenitischen Stammfürsten zeitgemäss einem judäischen gewichen 
sind, ist hier, gemäss dem weiteren Fortschritte der Zeit, an die 
Stelle des judäischen Stammfürsten Korah der gleichnamige Epo- 
nymus einer nachexilischen Levitenfamilie getreten, und der Streit 
zwischen Klerus und Adel hat sich in einen häuslichen Streit zwi- 
schen höherem und niederem Klerus verwandelt, der ohne Zweifel 
in der Gegenwart des Erzählers brennender war. So entwickeln 
sich die drei Versionen, deren Zusammenschweissung unter jedem 
anderen Gesichtspunkte als ein reines Rätsel erscheint, in gerad- 
liniger Descendenz auseinander; unter dem Einfluss uns vollkommen 
bekannter, grosser historischer Wendungen haben sich die Meta- 
morphosen vollzogen und im Lichte der judäischen Geschichte seit 
Josia sind sie uns durchaus nicht unverständlich'). 

Es folgt der Aufbruch der Israeliten ins Ostjordanland. Nach 
dem Jehovisten legen ihnen die Nachbarvölker dabei Schwierig- 
keiten in den Weg, und das Land, wo sie sich ansiedeln wollen, 
müssen sie sich mit dem Schwerte erobern. Der Priesterkodex 

') Composition des Hexateuchs (1899) p. 102 ss. 340 ss.; Leideuer Theol. 
Tijdschrift 1878 p. 139 ss. 



362 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

berichtet davon so wenig wie fiüher vom Amalekiterkriege; nach 
ihm sieht es so aus, als ob die Israeliten geradeswegs auf ihr 
Ziel losgesteuert wären und es sich dort bequem gemacht hätten; 
der Besitz des herrenlosen Landes wird (Num. 32) von Moses und 
Eleazar den beiden Stämmen Rüben und Gad zugestanden. Damit 
es aber nicht gänzlich an einem Kriege unter Moses fehle, wird 
hinterher der Krieg mit den Midianitern, über den wir bereits 
referirt haben, erzählt (Num. 31); erzählt wird freilich dabei nicht 
viel, sondern nur gezählt und verordnet; in dem Verse 31, 27 
scheint 1. Sam. 30, 24 als Grundlage des Ganzen durchzuschimmern. 
Für die Anschauung vom Kriegswesen, wie sie die ganz kriegsent- 
wöhnten Juden der späteren Zeit hatten, ist der Bericht äusserst be- 
zeichnend. Sehr merkwürdig ist auch der Anlass des Krieges: nicht 
etwa um Land zu erwerben oder aus irgend welcher anderen prak- 
tischen Ursache wird er begonnen, sondern bloss zur Rache dafür, 
dass die Midianiter einzelne Israeliten zum Huren verfuhrt haben. 
Die Ältesten von Midian sind nämlich hingegangen zum 
Wahrsager Bileam, um sich bei ihm Rats zu erholen, was gegen 
die israelitischen Eindringlinge zu machen sei. Er hat ein Mittel 
angegeben, der Gefahr die Spitze abzubrechen: die Midianiter 
sollen den Israeliten ihre Töchter zu Weibern geben und so das 
heilige Volk seiner Stärke berauben, deren Geheinmis seine Ab- 
sonderung ist. Die Midianiter sind Bileams Rate gefolgt, es ist 
ihnen gelungen, manche Israeliten durch die Reize ihrer Weiber 
zu bestricken, eine schwere Plage ist in folge dessen von Jahve 
über das untreue Volk verhängt. Bis so weit lässt sich die Er- 
zählung des Priesterkodex nur aus Num. 31, 8. 16. Jos. 13, 22 
und aus den Prämissen der Fortsetzung erraten; erst an diesem 
Punkte setzt das uns erhaltene Stück (Num. 25, 6ss,) ein und 
zwar mit dem Bericht, auf welche Weise der Plage endlich Ein- 
halt getan worden sei. Ein Mann bringt ganz dreist eine Midia- 
nitin ins Lager, vor den Augen Moses und der weinenden Kinder 
Israel; da nimmt der jugendliche Erl)priester Phinehas einen Speer, 
durchsticht das gottlose Paar, und wendet durch diesen seinen 
Eifer den Zorn Jahves ab. Diese Erzählung gründet sich «auf die 
uns gleichfalls nur fragmentarisch erhaltene jehovistische (Num. :J5, 
1 — 5), ül)er den Abfall der Israeliten im Lager zu Sittim zum 
Dienste des Baal Pheor, wozu sie sich verführen lassen dui'ch die 
Töchter Moabs: der Götzendienst ist im Priesterkodex, bis auf 



Die Erzählung des Hexateuchs. 363 

einige unwillkürliche Reminisceuzen, ganz fortgefallen und statt 
dessen die Hurerei, die ursprünglich nur den Anlass zu der eigent- 
lichen Hauptschuld bildet, ausschliesslich hervorgehoben, offenbar 
in dem Gedanken, dass das Heiraten fremder Frauen schon an 
sich ein Abfall von Jahve, ein Bundesbruch sei. Diese Abwand- 
lung war für das exilische und nachexilische Judentum höchst 
zeitgemäss, denn damals lag die Gefahr groben Götzendienstes nicht 
nahe, wol aber kostete es grosse Mühe, dem drohenden Ein- 
dringen des Heidentums in die Gemeinde unter der freundlichen 
Form der Mischehen entgegenzutreten. Zu der jehovistischen Er- 
zählung von Baal Pheor ist nun aber in der Version des Priester- 
kodex noch die Figur des Bileam hinzugekommen, die gleichfalls 
dem Jehovisten entlehnt, aber freilich ganz umgestaltet ist. So 
wie er in der alten Geschichte erscheint, veretösst er gegen alle 
Begriffe des Priesterkodex. Ein aramäischer Seher, der für Geld 
gedungen wird und allerhand heidnische Vorbereitungen trifl't um 
zu weissagen, aber dabei doch kein Betrüger ist, sondern ein 
wahrer Prophet so gut wie irgend ein israelitischer, der mit 
Jahve in den vertrautesten Beziehungen steht trotzdem er eigent- 
lich die Absicht hat Jahves Volk zu verfluchen — das ist dem 
exklusiven Judentum zu stark. Die Korrektur wird einfach da- 
durch bewirkt, dass Bileam mit der folgenden Perikope in Verbin- 
dung gebracht und zum intellektuellen Urheber der Teufelei der 
midianitischen Weiber gemacht wird; in dieser Neuschöpfung des 
Priesterkodex lebt er dann in der Haggada fort. Unklar bleibt es, 
warum die Moabiter in Midianiter umgesetzt werden; es steht je- 
doch fest, dass die Midianiter nie in jener Gegend gewohnt haben. 
Mehr und mehr nehmen im Buche Numeri auch die erzählen- 
den Partieen, welche im übrigen die Art und Farbe des Priester- 
kodex an sich tragen, den Charakter blosser Ergänzungen und 
redaktioneller Nachträge zu einem bereits vorhandenen anderweiti- 
gen Zusammenhange an; die selbständige Grundschrift des Priester- 
kodex tritt immer stärker gegen die jüngeren Zusätze zurück und 
hört wie es scheint mit dem Tode Moses ganz auf. Wenigstens 
lässt sie sich in der ei^sten Hälfte des Buches Josua nirgend ver- 
spüren, und dann kann man auch die ausführlichen dem Prieister- 
kodex angehörigen Stücke der zweiten Hälfte, die von der Vertei- 
lung des Landes handeln, nicht zu ihr rechnen, da dieselben ohne 
vorhergehende Erzählung über die Eroberung des Landes in der 



3H4 



Oescliklile der Trmliliou, Kap. 8. 



Luft schweben und keineu eigenen Zusammenhang mehr darstdf 
sondern daa jehovistiach-deuterimomistisehe Werk voraussetzen. 

Eine A'ergleiehung der Versionen über die Weise, wie dio 
israelitischen Stämme von dem eroberten Lande Besitz ei^tfan 
haben, möge den Reigen beschliessen. Der Priesterkodes lisst, in 
Einklang mit der deuteronomistischen Bearbeitung, ganz Kanaan 
zur tabuta rasa machen und es dann herrenlos und menschenleer 
der Verlosung unterbreiten. Zuerst Tällt dem Stamme Jiida sein 
Los zn, sodann Manasse und Ephraim, darauf den beiden Stämmen, 
die sich an Ephraim und Juda anschmiegten, Benjamin und Simeon, 
endlich den fünf nordlichen Stämmen Zebulou Issachar Äser Naph- 
thali Dan. „Das sind die Stammländer, welche Eleazar der Priester 
und Josua ben Nun und die Stanunhäupter der Rinder Israel zu- 
teilten nach deni Lose zu Silo vor Jahve vor der Stiftshütte. " 

Nach dem Jehovisten scheinen Juda und Joseph ihr fiebiet 
schon zu Oilgal (14, ti), und zwar nicht durch das I>os, zugeteilt 
erhalten und es von dort aus in Besitz genommen zu haben. 
Geraume Zeit später wird das übrige Land unter die säumigen 
sieben kleinen Stämme verlost, von 8i!o oder vielleicht ursprüng- 
lich von Sichern aas (18, 2^10); Josua alleine wirft das Los 
und weist an, Eleazar der Priester nicht mit ihm. Schon hier 
mid die unterschiedslose Allgemeinheit der Anschauungsweise des 
Priesterkodes etwas eingeschränkt, viel stärker aber widerspricht 
derselben das wichtige Kapitel Jud. 1. 

Dasselbe ist in Wahrheit keine Fortsetzung des Buches Josua, 
sondern eine Parallele dazu, die wo! die Eroberung des ostjorda- 
nischen, aber nicht die des westjordanischen Landes voraussetzt, 
diese vielmehr erst selber erzählt und zwar erheblich abweichend. 
Von Gilgat, wo der Mal'ak Jahve zuerst sein Lager aufgeschlagen 
hat, ziehen die Stämme einzeln aus um sich ihr „Los" am ei"- 
kämpfen, zuerst Jnda, dann Joseph. Bloss von diesen wird 
eigentlich erzählt, indessen von Joseph auch nur der erste An- 
fang der Eroberung seines Laudes. Von Josua ist keine Rede; 
als Befehlshaber Israels passt er auch nicht in die Oesammt- 
anschanung; wähi-end es sich wol damit vertragen würde ihu 
als Führer seines Stammes anzusehen. Rückhaltlos wird die Un- 
vollatändigkeit der Eroberung zugestanden, dass die Kanaaniter 
in den Städten der Ebene ruhig fortgewohnt haben und erst in 
der Köuigszeit, als Israel stark 'geworden, unterworfen und zins- 



Die Erzählung des Hexateuchs. 365 

bar gemacht seien. Dass dies Kapitel, sowie überhaupt der Stock 
des Richterbuchs, der jehovistischen Traditionsschicht entspricht, 
zu der auch die gleichlautenden oder ähnlichen Stellen in Josua 
(15, 13 — 19 u. a.) unbestritten gerechnet werden, lehil schon der 
MaPak Jahve. Die Verachiedenheit von der jehovistischen Haupt- 
version im Buche Josua erklärt sich grössten Teils daraus, dass 
diese ephraimitischen Ursprungs ist und in folge dessen dem 
Helden Ephraims oder Josephs die Eroberung des ganzen Landes 
zuschreibt, während Jud. 1 den Stamm Juda mehr berücksichtigt. 
Es findet sich übrigens im Buche Josua selber der Rest einer Ver- 
sion (9, 4 — 7. 12 — 14), worin ebenso wie in Jud. 1 „der israeli- 
tische Mann** handelt und „den Mund Jahves befragen'* muss, 
während sonst Josua allein zu sagen hat und als Nachfolger Moses 
die Entscheidung lediglich der Vollmacht seines eigenen Geistes 
entnimmt. Endlich ist auf Exod. 23, 20ss. aufmerksam zu machen, 
wo gleichfalls die Übereinstimmung mit Jud. 1 darin hervortritt, 
dass nicht Josua, sondern der Mal'ak Jahves (Jud. 5, 23) Israels 
Führer ist, und dass das gelobte Land nicht auf einmal, sondern 
sehr allmählich im Laufe der Zeit erobert wird. 

Die Anachronismen und Anekdoten in Jud. 1 hindern nicht 
anzuerkennen, dass die zu gründe liegende Gesamtanschauung von 
dem Hergange der Eroberung, nach dem was wir von der Folge- 
zeit wissen, eine ungleich historischere ist als die im Buche Josua 
herrschende, wonach alles mit systematischer Gründlichkeit zuge- 
gangen, das ganze Land erst entvölkert, sodann unter die ein- 
zelnen Stämme ausgelost sein soll. Sofern die letztere Vorstellung, 
welche einerseits ermöglicht wii'd durch die wörtliche Deutung des 
von den Familienäckern auf das Stammgebiet übertragenen Aus- 
druckes Los (Jud. 18, 1), andererseits durch die übliche Zusammen- 
drängung einer langen Entwicklung in den ersten Hauptakt, am 
konsequentesten im Priesterkodex ausgebildet ist, so steht dieser 
dem Ursprünge der Tradition am fernsten*). Das Gleiche zeigt 
sich auch darin, dass der Stamm Joseph nie erwähnt wird, son- 
dern statt seiner immer nur die beiden Stämme Ephraim und 
Manasse, und dass diese beiden Stämme fast ganz gegen Juda 

*) In der deuteronomistischen Bearbeitung (Jos. 21, 43 — 45) zeigt sich dooh 
noch ein Schwanken, ein gewisses Unvermögen sich loszureissen vom 
Alten (Deut. 7, 22. Jud. 3, 1. 2), ausserdem sind hier die Motive der 
Neuerung weit deutlicher: die Kanaaniten werden ausgerottet um die 
Ansteckung der neuen Ansiedler mit ihrem Götzendienst zu verhüten. 



366 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

verschwinden, obwol trotzdem der Führer Ephraims, Josua, als 
Führer Gesamtisraels aus der alten ursprünglich ephraimitischen 
Tradition beibehalten wird. 

Es ist kein Widerspruch, bei der Vergleichung der Überliefe- 
rungsschichten den geschichtlichen Maassstab für die Ursage und 
die Patriarchenlegende abzulehnen und ihn für die epische Zeit 
Moses und Josuas in gewissen Grenzen anzuwenden. Die epische 
Überlieferung enthält doch Elemente, die sich nicht anders er- 
klären lassen als dadurch dass geschichtliche Fakta zu gründe ge- 
legen haben müssen; sie geht doch von der Zeit aus von der sie 
handelt, während die Patriarchenlegende mit der Zeit der Patriar- 
chen in durchaus keiner Verbindung steht *). Darin liegt das Recht 
der verschiedenen Behandlung. Das letzte Ergebnis ist das gleiche: 
sow^ol mit dem ^laasse der Poesie als mit dem Maasse der Historie 
gemessen steht der Priesterkodex nach Wert und nach Zeit be- 
trächtlich unter dem Jehovisten. 

3. Ich habe in groben Zügen den Gegensatz zwischen den 
Endpunkten der Überlieferung des Hexateuchs zur Anschauung zu 
bringen gesucht. Es wäre nicht unmöglich, der inneren Ent- 
wicklung der Überlieferung durch die Mittelglieder nachzngehn, 
unter Benutzung der feineren Ergebnisse der Quellenscheidung und 
mit Heranziehung der nicht gerade zahlreichen aber wichtigen 
Anspielungen, die im Deuteronomium, in den historischen und in 
den prophetischen Büchern, namentlich bei Hosea^ vorkommen. 
Es würde sich herausstellen, dass die Sage ihrer Natur nach dazu 
auffordert, sie zu variiren, dass sie sich objektiv gar nicht darstellen 
lässt. Schon bei der ersten Aufzeichnung spielen die verfärbenden 
Einflüsse ein, ohne dass darum doch dem einw^ohnenden Sinne des 
Stoffes Gewalt geschähe. Nachweisbar ist zuerst die Einw^irkung 
jenes specitischen Prophetismus, den wir von Amos ab verfolgen 
können. Am wenigsten lässt er sich in der alten Hauptquelle des 

') Bei vereinzelten Angaben lässt sich wol auch hier der historische Maass- 
stab anlegen. Man kann es eine richtigere Vorstellung nennen, dass 
Hebron zur Zeit Abrahams von den Kanaanitem und rherezitem, als 
dass es von den Hethitern bewohnt gewesen sei, die letzteren wohnten 
nach 2. Sam. 24, 6 (Sept.) in Coelesyrien und nach 2. Reg. 7, 6 in der 
Nähe der Aramäer von Damaskus. Die Angabe, dass die Israeliten als 
Hirten von Pharao das Weideland (iosen an der Nordostgrenze Ägyptens 
erhalten und dort für sich gewohnt haben, verdient den Vorzug vor der, 
dass sie unter den Ägyptern im besten Teile des Landes angesiedelt 
seioii. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 367 

Jehovisteii, in J, merken, doch ist es auffallend, dass die Äscheren 
im Patriarchenkultus nirgend vorkommen. Weit stärker prophetisch 
angehaucht ist die zweite jehovistische Quelle, E; sie lässt eine 
fortgeschrittenere und grundsätzlichere Religiosität erkennen. Be- 
deutsam in dieser Hinsicht ist die Einfülining Abrahams als Nabi, 
das Vergraben der Theraphim durch Jakob, die Auffassung der 
Masseba bei Sichem (Jos. 24, 27), vor allen Dingen die Geschichte 
vom goldenen Kalbe. Die Gottheit wird weniger urwüchsig vor- 
gestellt als in J, sie tritt nicht leibhaftig zum Menschen hin, sondern 
ruft vom Himmel oder offenbart sich im Traume. Indem sich 
das religiöse Element verfeinert hat, ist es zugleich energischer 
geworden und hat auch das Heterogene durchdrungen, gelegentlich 
so wunderliche Mischungen erzeugend wie in Gen. 31, 10 — 13. 
Dann tritt das Gesetz ein und durchsäuert die jehovistische Er- 
zählung; zuerst das deuteronomische, schon in der Genesis, dann 
sehr stark im Exodus und im Josua. Zuletzt wird im Priester- 
kodex, unter dem Einfluss der Gesetzgebung der nachexilischen 
Restauration, eine völlige Umgestaltung der alten Tradition bewirkt. 
Das Gesetz ist der Schlüssel zum Verständnis auch der Erzählung 
des Priesterkodex. Mit der Einwirkung des Gesetzes hängen alle 
untei-scheidenden Eigentümlichkeiten derselben zusammen; überall 
macht sich die Theorie, die Regel, das Urteil geltend. Was oben 
vom Kultus gesagt ist, lässt sich wörtlich von der Sage wieder- 
holen: in der alten Zeit ist sie dem grünen Baume zu vergleichen, 
der aus dem Boden wächst wie er will und kann, hinterher ist 
sie dürres Holz, das mit Zirkel und Winkelmaass regelrecht zu- 
behauen wird. Es ist ein wunderlicher Einwurf zu sagen, die 
nachexilische Zeit habe zu Productionen, wie die Stiftshütte oder 
die Chronologie es sind, nicht das Zeug gehabt. Originell war sie 
freilich nicht, aber der Stoff war ja schriftlich gegeben und brauchte 
nicht mehr erfunden zu werden. Was gehörte denn gross dazu, 
um den Tempel in ein tragbares Zelt zu verwandeln? Was ist 
das für eine Schöpferkraft, die lauter Zahlen und Namen hervor- 
bringt! Von Jugendfrische wenigstens kann da nicht die Rede 
sein. Mit ungleich grösserem Rechte wird sich behaupten lassen, 
dass die theoretische Modelung und Aptirung der Sage, wie sie im 
Priesterkodex geübt wird, erst hat eintreten können, nachdem 
dieselbe aus dem Gedächtnis und dem Herzen des Volks heraus- 
gerissen und in iliren ^V'urzeln abgestorben war. 



368 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Die Geschichte der vorhistorischen und der epischen Tradition 
hat also ganz die selben Phasen durchlaufen wie die der historischen; 
und der Priesterkodex entspricht in dieser Parallele in all und 
jeder Hinsicht der Chronik. Das Mittelglied aber zwischen Alt 
und Neu, zwischen Israel und dem Judentum, ist überall das 
Deuteronomium. 

Der Antar-romkn sagt von sich selber, er habe ein Alter von 
670 Jahren erreicht und davon 400 Jahre im Zeitalter der Un- 
wissenheit (d. h. des altarabischen Heidentums), die übrigen 270 
im Islam verlebt. Etwas ähnliches könnten die biblischen Ge- 
schichtsbücher von sich aussagen, wenn sie, personificirt , ihr 
Leben begönnen mit der Aufzeichnung des ältesten Kernes und es 
abschlössen mit der letzten grossen Umarbeitung. Die Zeit der 
Unwissenheit würde dauern bis zum Erscheinen „des Buchs", 
welches allerdings im Alten Testament nicht so auf einmal wie 
der Koran, sondern während einer längeren Periode und in 
mehreren Phasen herniedergekommen ist. 



III. 



Israel und das Judentum. 



Das Gesetz ist zwischenein getreten. 



Well bansen, Prolegomenii. 5. Anfl. 



24 



Neuntes Kapitel. 

Abschluss der Kritik des Gesetzes. 

Gegen die allgemeine Art der Begründung der Grafschen 
Hypothese ist Einspruch erhoben worden. Es soll eine unerlaubte 
Argumentation ex silentio sein, wenn daraus, dass die priester- 
liche Gesetzgebung noch bei Ezechiel latent ist wo sie wirksam, 
unbekannt wo sie bekannt sein sollte, geschlossen wird, dass sie 
damals noch nicht vorhanden gewesen sei. Was verlangt man 
denn aber? Soll die Nichtexistenz des Nichtvorhandenen etwa 
auch noch vorher bezeugt werden? Ist es verständiger, ex silentio 
positiv den Beweis der Existenz zu erbringen? zu sagen: in der 
Richter- und Königszeit gibt es keine Spuren der Hierokratie, 
also stammt sie aus dem höchsten Altertum, von Moses her? Das 
Problem bliebe dann das selbe, nämlich zu erklären, wie es kommt, 
dass mit und nach dem Exil die Hierokratie des Priesterkodex 
praktisch zu werden beginnt. Was die Gegner der Grafschen 
Hypothese Argumentation ex silentio nennen, ist weiter nichts als 
die allenthalben giltige Methode historischer Forschung. 

Ein etwas anderes Aussehen gewinnt der Protest gegen die 
Argumentation ex silentio, wenn darauf hingewiesen wird, dass 
Gesetze manchmal Theorien sind und dass es kein Beweis gegen 
die Existenz einer Theorie ist, wenn sie in der Praxis nicht durch- 
dringt. Wer wird zum Beispiel daraus, dass das Deuteronomium 
während der vorexilischen Zeit wesentlich Theorie blieb , schliessen 
wollen, es sei nicht vorhanden gewesen? Wenn Gesetze nicht 
gehalten werden, so sind sie darum doch da — vorausgesetzt 
nämlich, dass man dafür anderweitige genügende Beweise hat. 
Aber diese Beweise wollen sich eben für den Priesterkodex ganz 

24* 



372 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

und gar nicht finden lassen. Ausserdem ist selten alles bei einem 
Gesetze Theorie; die Möglichkeit, dass etwas Theorie sein kann, 
darf nicht allgemein, sondern immer nur im einzelnen Falle geltend 
gemacht werden. Und nicht alles, was in der Tat Theorie ist, 
entzieht sich darum der geschichtlichen Ansetzung. Auch die 
gesetzliche Phantasie geht immer von irgend welchen gegebenen 
Voraussetzungen aus; eben an diese Voraussetzungen, nicht an 
die Gesetze selber, hat sich die geschichtliche Ki'itik zu halten^). 

Gerade umgekehrt pocht man nun freilich auch darauf, dass 
die (lesetze des Priesterkodex sich doch überall in der Praxis der 
historischen Zeit bezeugen, dass es immer Opfer und Feste und 
Priester und Reinigungsbräuche und was dergleichen mehr ist im 
alten Israel gegeben habe. Dem liegt wo möglich die Meinung 
zu gründe, dass nach der Grafschen Hypothese der ganze Kultus 
erst durch den Priesterkodex erfunden und erst nach dem Exil 
eingeführt worden wäre. Die Vertreter der Grafschen Hypothese 
i^lauben wirklich nicht, dass der israelitische Kultus plötzlich in 
die Welt getreten sei, so wenig durch Ezechiel oder durch Ezra 
als durch Moses — wozu würden sie auch sonst des Darwinismus 
bezichtigt? Sie finden nur, dass des Gesetzes Werke vor dem 
(resetze geschehen sind, dass ein Unterschied besteht zwischen 
hergebrachtem Brauche und formulirtem Gesetze, und dass dieser 
Unterschied auch da, wo er bloss formell scheint, doch einen 
materiellen Hintergrund hat, indem er zusammenhängt mit der 
Ontralisirung des Gottesdienstes und der darauf gegründeten 
Hierokratie. Es kommt auch hier nicht bloss auf den Stoff an, 
sondern auf den Geist, der dahinter steckt und sich überall als 
Zeitgeist charakterisirt'). 

Inzwischen leiden alle diese Einwüi'fe an dem Fehler, dass 
sie ausser acht lassen, um was es sich eigentlich handelt. Es 
handelt sich nicht darum zu erweisen, dass das mosaische Gesetz 
in der vorexilischen Zeit nicht bestanden habe. Es gibt drei Ge- 
setzes- und Traditionsschichten im Pentateuch, und die Aufgabe 
ist, diese Schichten in historische Folge zu bringen. Beim Jehovisten 
und beim Deuteronomium hat diese Aufgabe eine Lösung gefunden, 
die als' allfrcmein anerkannt gelten kann; es handelt sich nun 

') Vgl. p. 51. 147 s. 159 s. 256 s. Darum ist auch die Vergleichung der 

Traditionsschichteu cIkmiso wichtig als die der Gesetzesschichten. 
'') Vgl. p. 75 s.S. 101 SS. 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 373 

bloss darum, das Verfahren, wodurch die Reihenfolge und die 
Zeit dieser beiden Schriften ennittelt worden ist, auch auf den 
Priestorkodex anzuwenden, nämlich die innere Vergleichung der 
Schichten unter einander und die historische Vergleichung der- 
selben mit den sicher überlieferten Tatsachen der israelitischen 
Geschichte'). Man sollte nicht denken, dass hiegegen Wider- 
spruch erhoben werden könnte. Aber dies ist dennoch der Fall; 
das selbe Verfahren, welches auf das Deuteronomium angewandt 
historisch-kritische Methode heisst, heisst auf den Priesterkodex 
übertragen Geschichtskonstruktion. Konstruiren muss man be- 
kanntlich die Geschichte immer; die Reihe Priesterkodex Jehovist 
Deuteronomium ist auch nichts durch die Überlieferung oder durch 
die Natur der Dinge Gegebenes, sondern eine nur wenige Decennien 
alte Hypothese, von der man jedoch die freilich etwas unfassbaren 
Gründe vergessen hat und die dadurch in den Augen ihrer An- 
hänger den Schein des Objektiven, d. h. den Charakter des Dogmas, 
bekommt. Der Unterschied ist nur, ob man gut oder schlecht 
konstruirt. Es ist mit Recht erinnert worden, dass die logische 
Auseinanderfolge der Gesetze nicht die historische Aufeinanderfolge 
derselben zu sein brauche. Um des logischen Fortschritts willen 
geschieht es aber auch nicht, wenn wii* die von den Propheten 
ausgehende Entwicklung schliesslich auf das Kultusgesetz auslaufen 
lassen; von dem gesunden Menschenverstände ausgehend hat man 
gewöhnlich der Geschichte, trotz des Wideretrebens ihrer auf uns 
gelangten Spuren, den umgekehrten Gang aufgedrängt. Wenn wir 
von der israelitischen Kultusgeschichte nach mühsam gesammelten 
Daten der historischen und prophetischen Bücher einen Aufriss 
machen, darnach den Pentateuch damit vergleichen, und auf solche 
Weise bestimmte Beziehungen der einen Schicht des Pentateuchs 
mit dieser historischen Phase, der anderen mit jener erkennen, so 
heisst das nicht die Logik an stelle der historischen Untei^suchung 
setzen. So weit darf doch gewiss die Lehre von der Unvernünftig- 
keit des Wirklichen nicht getrieben werden, dass man die Korre- 
spondenz zwischen Gesetzesschicht und betreffender Geschichtsphase 
als Grund ansieht, beides möglichst weit auseinander zu reissen. 
Wenigstens müsste man dann diesen Grundsatz auch auf den 

^) Die Methode ist in der Einleitung (p. 1 ss.) angegeben; ich habe mich 
besonders im ersten Kapitel, über den Ort des Gottesdienstes, bemüht, 
sie deutlich hervortreten zu lassen. 



;^74 l-ra^I uad das Judentuin, Kap. D. ^^H 

.leho\'7sten und diis Deuteronomium »nwemlen, nicht bloss anf dflAI 
Priesterkodex. Denn was dem einen recht ist, ist dem anderen 
hillig. 

Dass nicht alles, was ich in der Geschichte des Kaltns und 
der Tradition vorgebracht habe. Beweis der Hypothese, rielinelir 
gar manches nnr Erklärung auf grund der Hypothesß ist, die nicht 
dnza dienen kann sie selber zu stützen, das versteht sich von 
selbst. Im Gegensaijs zu Graf bin ich absichtlich so verfahren, 
firaf hat seine Argumente ziemlich unverbunden vorgetragen und 
nicht versucht, die historische (iesamtbetrachtung der Geschichte 
Israels zu änilern. Eben darum hat er keinen Eindruck bei der 
Mehrzahl seiner Fachgenossen gemacht; sie sahen nicht hinein in 
die Wurael der Sache, konnten das System für unerschüttert halten 
und darum die einzelnen Anstösse für unlergeoi-dnete Kleinigkeiten 
ansehen. Mein Unterschied von Graf besteht zunächst darin, dass 
ich immer auf die Central isirnng des Kultus zurückgehe und dar- 
aus die einzelnen Differenzen ableite. Meine ganze Position ist im 
ersten Kapitel enthalten; dort ist namentlich auch der historisch 
sehr wichtige Anteil der prophetischen Paitei an der grossen Meta- 
morphose des Kultnswesens klar gelegt, die sich keineswegs bloss 
spontan vollzog. Weiter lege ich weit mehr Jvis Graf entscheidendes 
Gewicht auf den Wechsel der herrschenden Ideen, der mit der 
Änderung in den Einrichtnngen und Bräuchen des Kultus parallel 
läuft, wie das besonders der zweite Teil des vorliegeudeii Bnches 
aufweist. Fast wichtiger als die Erscheinungen selber sind mir 
die dahinter liegenden Voraussetzungen. 

AVenn nicht alles, was bisher zur Sprache gekommen ist. Be- 
weis für die Grafsche Hypothese ist noch sein soll, so gibt es 
andererseits auch Beweismaterial genug, welches noch nicht berück- 
sichtigt ist'). Dasselbe ausführlich zu erörtern, würde abermals 
ein Buch erfordern; es kann hier nur in Auswahl und in anden- 



') Der Friesterkodex kenut nicht blu$ die Äitslten (VI]}), sondern uucli die 
Ituräer. In der Ausschliessung za naher VerwandtBchafts grade von der 
Ehe geht er sehr weit über das D enteren omium hinaus, wenn man, wie 
l'illig, van Deut. 27 absieht; vgl. Compos. des Heiateiichs 1899 p. 363. 
Von Sehern und Propheten redet er nirgend. Im tiegensatz zu dem 
noch rein auf dem Blut beruhenden Qalial (politisch und saernl voll- 
berechtigt« Bärger} des Deutern uomiums ist die Eda des Priesterkodex 
schon eine beinah ganz religiöse Grösse; Judo ist, wer sich Kur Religion 
des Gesetzes bekennt, die Gerim sind von den Sacra niolit / '~' 




Abschluss der Kritik des Gesetzes. 375 

tender Kürze vorgeführt werden, wenn die Grenzen nicht über- 
schritten werden sollen, welche der wesentlich historische Charakter 
dieser Prolegomena steckt. Grösstenteils wird sich dabei das Pro 
an die Widerlegung des Contra anschliessen. 

I. 

1. Eberhard Schrader erwähnt zwar in seinem Lehrbuch der 
Einleitung (1869, p. 266), dass Graf die Gesetzgebung der mittleren 
Bücher des Pentateuchs der nachexilischen Zeit zuweise, gibt 
jedoch nicht den mindesten BegrüBF von der Begründung dieser 
Thesis, sondern weist sie kurzer Hand damit ab, dass dagegen 
„schon die kritische Analyse ihr Veto'* einlege. Schon die kritische 
Analyse! Wie fängt sie das an? Wie kann sie beweisen, dass 
die nach allen Seiten ausgebildete Kultuseinheit, die Denaturalisi- 
rung der Opfer und der Feste, der Unterschied von Priestern und 
Leviten, die autonome Hierarchie älter seien als die deutero- 
nomische Reform? Schrader meint vielleicht, dass die aus der 
kultusgeschichtlichen Vergleichung der Quellen entnommenen Merk- 
male, wonach Jehovist Deuteronomium Priesterkodex, in dieser 
Ordnung, auf einander folgen, durch andere mehr formale und 
literarische aufgewogen werden, wonach der Priesterkodex an die 
Spitze oder doch nicht ans Ende der Reihe gehört. Dann stünde 
gleich gegen gleich, und die Frage müsste in der Schwebe bleiben. 
Dieser ungünstige Fall würde jedoch nur dann eintreten, wenn 
die literarischen Gegeninstanzen den mehr realistischen Gründen 
füi- die Grafsche Hypothese wirklich das Gleichgewicht hielten. 
In der Untersuchung über die Komposition des Hexateuchs habe 
ich nach dem Vorgange anderer gezeigt, wie wenig dies der Fall 
ist: die Hauptpunkte will ich der Vollständigkeit halber wieder- 
holen. 

2. Man sagt, das Deuteronomium gründe seine historischen 
Anschauungen nicht bloss auf die jehovistische, sondern auch auf 

schlössen; der Menschheitsbegriff durchbricht die Blutrache in dem 
Spnich: wer Menschenblut vergiesst, des Blut soll wieder vergossen 
werden. Merkwürdig insonderheit ist die Vergeistlichung solcher Be- 
griffe und Dinge wie NZ12f> *1D1t&% nynp; siehe meine Bemerkung zu 
Arnos 3, 6. Auch das Jahr von 365 Tagen ist zu beachten , welches 
der Priesterkodex mit Henoch und Noah in Verbindung bringt; ebenso 
die Hohe des Geldes, welche er den Abraham für eine Grabhöhlo zahlen 
lässt Über das Fehlen der Perser in Gen. 10 vgl. Compos. des Hexa- 
teuchs p. 311. 



376 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

die priesterliche Erzählung. Das eigentliche Deuteronomium 
(Kap. 12 — 26) enthält zwar kaum historischen StoflF, aber bevor 
Moses zur Sache kommt, schickt er zwei Einleitungen voraus 
Kap. 5 — 11. Kap. 1 — 4, und klärt uns darin über die Situation 
auf, worin er kurz vor seinem Tode „diese Thora" veröffentlicht. 
Wir befinden uns in dem zuerst eroberten Amoriterreich östlich 
vom Jordan, am Ende der vierzigjährigen Wanderung; der Über- 
gang ins Land Kanaan, für welches diese Gesetzgebung berechnet 
ist, steht nahe bevor. Bisher, heisst es nun in Kap. 5. 9. 10, ist 
nur das unter allen Verhältnissen giltige und darum von Gott 
selbst am Horeb verkündigte Grundgesetz der zehn Worte gegeben 
worden. Damals verbat sich das Volk weitere direkte Offenbarung 
von Jahve und beauftragte Moses mit der Vermittlung, der sich 
demgemäss auf den heiligen Berg begab, dort vierzig Tage und 
Nächte verweilte und die zwei Tafeln des Dekalogs empfing, 
ausserdem aber die Satzungen und Rechte, welche er erst jetzt 
nach vierzig Jahi-en zu publiciren im Begriff steht, da sie erst mit 
der Ansiedelung praktisch werden. Nachdem inzwischen unten 
das goldene Kalb gegossen worden, stieg Moses vom Berge herab, 
zerschmetterte im Zorn die Tafeln und zerstörte das Idol. Darauf 
begab er sich zum zweiten mal wiederum vierzig Tage und vierzig 
Nächte auf den Berg, bat um Gnade für das Volk und für 
Aharon, und nachdem er nach göttlichen Geheiss zwei neue 
Tafeln und eine hölzerne Lade für sie gemacht hatte, schrieb 
Jahve den Wortlaut der zerbrochenen noch einmal auf. Bei jener 
Gelegenheit, wird 10, 8s. bemerkt, wurden auch die Leviten zu 
Priestern bestellt. 

Dass dies eine Reproduktion des jehovistischen Berichtes 
Exod. 19. 20. 24. 32—34 ist, liegt auf der Hand. Hingegen wird 
der Priesterkodex vollkommen ignorirt. Nur zwei Gesetze kennt 
das Deuteronomium, den Dekalog, den das Volk, die Satzungen 
und Rechte, die Moses am Horeb empfing; beide sind zu gleicher 
Zeit unmittelbar lünter einander offenbart, aber nur der Dekalog 
bisher publicirt. Wo bleibt die gesamte Wüstengesetzgebung von 
der Stiftshütte aus? ist es doch geradezu eine Negation ihres Be- 
griffs, wenn Moses die Thora erst verkündet beim Übergang in 
das heilige Land, weil sie eben nur für das Land', nicht für die 
Wüste passt und Geltung hat. Kann der Deuteronomiker, ganz 
abgesehen davon, dass ilim nach Kap. 12 von einem mosaischen 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 377 

Centralheiligtum nichts bekannt gewesen ist, zwischen Exod. 24 
und 32 das gefunden haben, was wir dort jetzt lesen? Er über- 
schlägt ja alles, was aus dem Priesterkodex eingesetzt ist! Freilich 
findet Nöldeke') eine Reminiscenz an denselben in der Lade aus 
Akazienholz (Deut. 10, 3). Aber die Lade kommt hier in einem 
Zusammenhange vor, der dem jehovistischen (Exod. 32. 33) genau 
entspricht und dem priesterlichen (Exod. 25 ss.) widerspricht. Sie 
wird erst nach der Aufrichtung des goldenen Kalbes gestiftet, 
nicht gleich zu Anfang der göttlichen Offenbarung als der Grund- 
stein der Theokratie. Es ist wahr, wir finden gegenwärtig in JE 
Exod. 33 . die Lade nicht erwähnt, aber in dem nächsten 
jehovistischen Stücke (Num. 10, 33) ist sie plötzlich da, und es 
musste doch ursprünglich gesagt sein, woher? Wie die Herrichtung 
des Zeltes, welches 33, 7 gleichfalls unvorbereitet vorhanden ist, 
muss auch die der Lade einst zwischen 33, 6 und 7 eraählt und 
dann vom Redaktor des gegenwärtigen Pantateuchs wegen der not- 
wendigen Rücksicht auf P Exod. 25 ausgelassen worden sein: dafür 
sprechen auch noch andere Gründe'). Dass der deuteronomische 
Erzähler JE vor der Verarbeitung mit P noch vollständiger vor- 
gefunden hat als diese Schrift uns nach der Verarbeitung vorliegt, 
ist doch keine so schwierige Annahme, dass man um sie zu ver- 
meiden lieber zu den allerunmöglichsten zu greifen hätte. Nach 
Nöldeke nämlich hat der Verfasser von Deut. 5 — 11 entweder den 
jetzigen Pentateuch vor sich gehabt und es dann rätselhaft gut 
verstanden JE heraus zu schälen, oder er hat zwar JE als selb- 
ständige Schrift benutzt, aber doch auch P gelesen, so aber dass 
seine Gesamtanschauung nicht im mindesten von der priesterlichen 
beeinflusst ist, sondern derselben total und doch unbewusst wider- 
spricht, da sie für eine ausser dem Dekalog erfolgte Kultusgesetz- 
gebung, d. h. für den ganzen wesentlichen Inhalt von P, keinen 
Platz offen lässt. Zu diesem Dilemma sollte man sich deshall) 
verstehn, weil ein oder der andere Zug der deuteronomischen Dar- 
stellung in der gegenwärtigen Gestalt von JE nicht nachweisbar, 

*) Jahrbb. für i>rot. Theologie 1875 ]>. 350. 

') Ohne die Lade hat der in Exod. 33 so wichtige Gegensatz von Ke- 
präsentation (Mal'ak) Jahves und Jahve selber keinen Sinn. Durcli das 
Gusswerk, dass sie sich gemacht, haben die Israliten den Beweis ge- 
geben, dass sie ohne eine sinnliche Vergegenwärtigung der Gottheit 
nicht auskommen, darum gibt ihnen Jahve die Lade statt des Kalbes. 
Composition des Hexateuchs (1899) p. 93 s. 



37s Israel und das Judentum, Kh|>. 9. ^^^H 

(lagegcu iu P erhülten ist? ist denn unter sotiLiiün Umstand«^ 
damit bewiesen, dass er dorther stamme? muss mau nicht büligep- 
weise einige Rücksicht auf dns Ensemble nehmen? 

Übrigens hat Vatke riclitig bemerkt, dass die hölzerne Lade 
l.leut. 10, 1 gar nicht so sehr an die von Exod, 25 erinnere, die 
nach Analogie des goldenen Tisches mid Altars viel eher eine 
goldene zu nennen war. Noch mehr guter Wille gehört dazu, die 
Angabe über Aharons Tod und Begräbnis in Moaera und über 
Eleazars Einsetzung an seiner statt (Deat, 10, ö) für eine Re- 
miniscenz an P (Nom. 20, 22 ssj anzusehen, wo Aharon auf dem 
Berge Hör stiibt und und begraben wird. Aharou nud Eleazar 
stehn auch in JE als Priester zur Seite Moses und Josuas; vgl. 
Jos. 24, 33. AlleMings ist in JE jetzt der Tod und das Begräbnis 
Aharons nicht erhalten; aber man kann doch vom Redaktor des 
Pentateuchs nicht verlangen, diiss er eine Person zwei mal sterben 
lasse, einmal nach P und einmal nach JE. Noch dazu ist Deut. 
10, 6. 7 eine Interpolation, denn die folgenden Verse 10, 8 ss., 
in denen nicht bloss Aharon und Eleazar. sondern alle Le^-iten 
das Priestertum besitzen, schliessen sich an 10, T) und beruhen 
auf Exod. 32: wir befinden uns noch am Horeb, nicht schon in 
Mosera. 

Der historische Faden, der in Deut. 5. 'J. 10 angesponnen 
wird, lässt sich in Kap. 1 — 4 weiter verfolgen. Von Horeb auf- 
brechend kommen die Israeliten direkt nach Kades Barnwi and 
schicken von hier^ bevor sie den befohlenen Einfall in dasjudäische 
Bergland wagen, aus eigener Vorsicht, die aber von Moses gebilligt 
wird, zwölf Kundschafter zur Rekognoscirung aus, unter ihnen 
Kaleb, aber nicht Josua. Nachdem diese bis zum Bache Eakol 
vorgedrungen sind, kehren sie zurück, und obwol sie die Güte des 
Landes preisen, wird doch das Volk durch ihren Bericht so ent- 
mutigt, d)iss es murrt und nicht angreifen mag. Zornig darüber 
heisst Jahve sie wieder umkehren in die Wüste, da sollen sie sich 
so lange umhertreiben, bis die alte Generation ansge-storlieu und 
eine neue herangewachsen sei. Als sie nun doch aus falscher 
Scham nachträglich vordiüngen, werden sie mit blutigen Köpfen 
heimgeschickt. Nunmehr wenden sie sich zurück zur Wüste, wo 
sie lange Jahre in der Gegend des Gebirges 8eir hin und her 
sieben, bis sie endlich, achtunddreissig Jahre nach dem Aufbruch 
von Kades, Befehl erhalten nach Norden vorzugehn, jedod: 




Abschluss der Kritik des Gesetzes. 379 

verwandten Völker Moab und Ammon zu schonen. Sie erobern 
das Land der Amoriterkönige Sihon von Hesbon und Og von Basan, 
Moses gibt es den Stämmen Rüben Gad und Halbmanasse, unter 
der Bedingung, dass ihr Heerbann noch ferner am Kriege teil- 
nehmen müsse. Mit der Designation Josuas zum künftigen Führer 
des Volks wird der fortlaufende Bericht abgeschlossen. 

Man kann denselben, wenn man die hie und da im Deutero- 
nomium zerstreuten Einzelheiten hinzunimmt ^), geradezu als Leit- 
faden zur Ermittlung von JE benutzen. Was dagegen der Priester- 
kodex Eigentümliches hat, wird mit tiefem Stillschweigen über- 
gangen und von Exod. 34 direkt auf Num. 10 übergesprungen. 
Während nicht wenige Geschichten, auf die im Deuteronomium 
zurückgekommen oder angespielt wird, sich bloss in JE und nicht 
in P finden, kommt der umgekehrte Fall nicht vor. Und bei den 
Erzählungen, welche sowol in JE als auch in P vorhanden sind, 
befolgt das Deuteronomium in allen Fällen, wo man eine deutliche 
Differenz erkennen kann, immer die Aversion von JE. Die Kund- 
schafter gehn von Kades aus, nicht von der Wüste Pharan, sie 
gelangen bis nach Hebron, nicht bis beinah nach Hamath, Kaleb 
gehört zu ihnen, nicht aber Josua. Die Meuterer von Num. 16 
sind die Rubeniten Dathan und Abiram, nicht Korah und die 
Leviten. Nach der Niederlassung im Ostjordanlande hat das Volk 
es mit Moab und Ammon zu thun, nicht mit Midian; mit jenen 
und nicht mit diesem steht Bileam in Beziehung und ebenso auch 
Baal Pheor, Deut. 4, 3 stimmt mit JE (Num. 25, 1 — 5), nicht 
mit P (Num. 25, 6ss.). Da die Sachen so stehn, so kann man 
nicht mit Nöldeke in der Zwölfzahl der Kundschafter (Deut. 1, 23) 
eine sichere Spur des Einflusses von P (Num. 13, 2) sehen. Hätte 
der A^erfasser die Erzählung so gelesen, wie sie uns jetzt Num. 13. 14 
vorliegt, so w^äre es unverständlich, dass, wie wir eben gesehen 
haben, nur die jehovistische Version auf ihn Eindruck gemacht 
hat. Er müsste also P als besondere Schrift gekannt haben, aber 
es ist doch überhaupt höchst bedenklich, aus einer solchen Einzelheil 
auf die Benutzung einer Quelle zu schliessen, deren Einflusslosigkeit 

^) Einsetzung von Richtern und Pflegern 1,9 — 18. Thabera, Massa, 
Kibroth Thaava 9,22. Dathan und Abiram 11,6. Bileam 23,5. Baal 
Pheor 4, 3. Bloss auf die jehovistische Erzählung Num. 12 scheint nirgend» 
Bezug genommen zu sein. Deut. 1,9 — 18 spielt noch am Horeb, lässt 
aber auch Bekanntschaft mit Num. 11 durchblicken und benutzt beide 
Versionen zu einer neuen und etwas andersartigen. 



380 Israel und das Judentum, Kap. 9 

und Unbekanntheit übrigens eine vollständige ist, zumal die 
Priorität dieser Quelle keineswegs an sich fest steht, sondern erst 
aus dieser Benutzung erwiesen wird. Wäre eine Differenz zwischen 
JE und P in diesem Punkte nachweisbar, könnte man sagen, nur 
P lässt zwölf, JE dagegen drei Männer aussenden, so stünde es 
schon andei*s; aber der Anfang des Berichts von JE ist Num. 13 
durch den von P verdrängt und uns also unbekannt, man weiss 
nicht, ob und wie die Zahl angegeben worden ist. In diesem 
Falle ist es doch das einzig Rationelle, aus dem Deuteronomium, 
welches sonst lediglich dem Jehovisten folgt, das A^erlorene in JE 
zu ergänzen und zu schliessen,. dass auch hier der Kundschafter 
zwölf gewesen. — Mit dem meisten Rechte lässt sich noch die 
Bekanntschaft des Deuteronomiums mit der Erzählung des Priester- 
kodex aus 10, 22 beweisen. Denn die siebzig Seelen, die den 
Bestand Israels bei der Einwanderung in Ägypten ausmachen, 
werden in JE nicht erwähnt, und eine Lücke in dieser Beziehung 
macht sich in der jehovistischen Tradition nicht fühlbar. Aber sie 
widei-sprechen ihr doch auch keineswegs, und wenn man Deut. 
10, 22 nicht für einen Beweis halten will, dass sie ursprünglich 
auch in dieser einen Platz hatten, so muss man mindestens zugeben, 
dass jene Stelle entfernt nicht ausreicht die Evidenz zu entkräften, 
dass die priesterliche Gesetzgebung von der deuteronomischen 
ausgeht'). 

3. Gegen die Grafsche Hypothese wird ferner die deutero- 
nomistische Redaktion des Hexateuchs eingewandt, die am klarsten 
in den Teilen hervortritt, welche auf die deuteronomische 
Thora folgen und zurücksehen. Man hat als selbstverständlich 
angenommen, dass dieselbe sich ebenso wie über die jehovistischen 

') Nüldeke verwertet solche Zahlen wie 12 und 70 manchmal so als kämen 
sie ausschliesslich in P vor. Dem ist nicht so. Wie P im Anfang der 
Genesis nach der Zehn, so gnippirt JE nach der Sieben; die Zwölf und 
die Vierzig kommen in JE ebenso oft vor wie in P, die Siebzig nicht 
minder. Es ist daniin wunderlich, die Erzählung von den 12 Wasser- 
quellen und 70 Palmbäumen zu Elim bloss wegen 12 und 70 zu P zu 
rechnen. Nicht einmal die Angaben über das Alter der Patriarchen — 
soweit sie nicht dem chronologischen System dienen — sind ein sicheres 
Merkmal von P; vgl. Gen. 31, 38. 37, 2. 41,26. 50,26. Deut. 34, 7. 
Jos. 24, 29. — Nur die Namen der 70 Seelen und der 12 Kundschafter 
sind unanfechtbares Eigentum des Priesterkodex; es hält aber auch nicht 
schwer (namentlich bei Gen. 40, 8 — 27) nachzuweisen, dass sie weit 
weniger ursprünglich sind als die Summen, die als runde eigentlich gar 
nicht eine solche Herzählung der einzelnen Posten vertragen. 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 381 

auch über die priesterlichen Stucke erstrecke; seit man Ui'sach 
hatte genauer zuzusehen, zeigte sich, dass dies nicht in der selben 
Weise der Fall ist. Denn die Spuren, die Nöldeke a. 0. zusammen- 
gebracht hat, sind geringfügig und bestehn zudem die Probe nicht. 
Er sagt, der deuteronomistische Bericht über den Tod Moses 
(Deut. 32, 48 SS. 34,lss.) sei nicht anders aufzufassen wie als eine 
Erweiterung des fast noch im genauen Wortlaute erhaltenen Be- 
richtes der Grundschrift (P): aber Deut. 34, l'' — 7 enthält nichts 
von P, und 32,48 — 52 ist nicht deuteronomistisch überarbeitet. 
Er verweist ferner auf Jos. 9,27: „Josua machte die Gibeoniten 
damals zu Holzhauern und Wasserschöpfern für die Gemeinde, und 
für den Altai* Jahves bis auf diesen Tag, an dem Orte den er er- 
wählen würde.'' Die zweite Hälfte des Satzes sei hier ein deu- 
teronomistischer Zusatz zu der ersten, welche der Grundschrift au- 
gehöre. Aber, wie Nöldeke selber zugiebt, sind die deuteronomistisch 
überarbeiteten Verse 9, 22 ss. nicht die Foi-tsetzung der priester- 
lichen Version 15^ 17 — 21, sondern der jehovistischen Ib*-^. 16; 
es fehlt zwischen v. 16 und 22 nur die Nachricht, auf die v. 26 
sich bezieht. Den 27. A^ers von v. 22 — 26 zu trennen, dazu be- 
rechtigt der Ausdruck Holzhauer und Wasserschöpfer an sich 
nicht, da er nicht bloss in v. 21, sondern auch in JE v. 23 vor- 
kommt. Dem Zusatz für die Gemeinde aber, der allerdings auj 
den Priesterkodex zurückweist, hält der folgende für den Altar 
Jahves, welcher der jehovistischen Anschauung folgt, das Gleich- 
gewicht. Das Ursprüngliche ist nun jedenfalls, dass die Gibeoniter 
dem Altare oder dem Hause Jahves zugewiesen werden. Aber 
nach Ez. 44 sollten die Hierodulendienste im Tempel nicht mehr 
durch Ausländer besorgt werden, sondern durch Leviten — aus 
diesem Grunde sind im Priesterkodex aus den Knechten des Altares 
Knechte der Gemeinde geworden. Es erhellt daraus, dass 1 mv^ 
in V. 27 gegen n3.10^ den kürzeren zieht und eine nachträgliche 
Korrektur ist. Als solche aber beweist sie, dass die letzte Re- 
daktion des Hexateuchs vom Priesterkodex und nicht vom Deu- 
teronomium ausgeht. Über Jos. 18, 2 — 10, worin Nöldeke eben- 
falls einen deuteronomischen Zusatz zum Berichte der Grundschrift 
über die Landverteilung erblickt, habe ich meine Ansicht oben 
p. 364s. angedeutet: es ist ein jehovistisches Stück, und wenn 
die Meinung, dass Josua zuei*st Juda und Ephraim und dann nach 
geraumer Zeit den übrigen sieben Stämmen ihr Gebiet zugewiesen 



:-tS2 Israel und das Judiiuliiii], Kap. !). ^^^^| 

hitbti, Überhaupt die Meinung des Priesterkodex wäre, so wäre 4^ 
dort ein Erbteil von JE, wo sie allein ihre Wurzeln bat'). Wenn 
schliesslich Nöldeke ganz besonders Jos. 22 für seine Meinung ent- 
^heidend Codet, so ist zu bemerken, dtiss in der Erzitlilang ilis 
Priestetkodex 22, 9 — 34, zu der die Verse 1^-8 nicht gehören, von 
<leuteronoinistischer Überarbeitung nichts zu tinden ist"). 

Eine ernstere ^Schwierigkeit entsteht bloss bei dem korz^n 
Kapitel Jos. 20, welches dem Kerne nach zam Priesterkodex g(^ 
hört, Jedoch allerhand Zusätze enthält, welche stark an die deu- 
ten) uomiatische Bearbeitung erinnern. Kayser hat diese nnbe- 
qnemen Zusätze für ganz späte Glossen erklärt. Das scheint die 
reine Tendeuzkritik zu sein, aber es fügt sich, dass ihre Elrgeb- 
nisse durch die Septuaginta b^täti^ werden, welche die sämt- 
lichen angeblich deuteronomistischen Ergänzungen an dieser Sl«lle 
noch nicht vorgefunden hat*). 

Gesetzt übrigens, es Hessen sich wirklich einige probable 
.Spuren deuteronomistischer Bearbeitung im Priesterkode x auf- 
weben, so mnsB doch erklärt werden, warum sie so unverbältnis- 
mässig viel mehr in JE vorkommen — warum z. B. überhaupt 
nicht in der Oesetzeamasse der mittleren Bücher des Hexateachs. 
Diese sichere und durchgehende Erscheinung muss gegen einzelne 
tiegeninetanzeu von vornlierein mistrauiscb machen, um so mehr, 
da Jos. äO zeigt, dass die späteren Retouchen des kanonischen 
Textos manchmal den Ton des Denteronomisten naciiahmen. Die 
eigentliche deuteronomistische Redaktion, an der mehr als eine 
Hand beteiligt gewesen ist, erstreckt sich nicht über den Priester- 
kodex, aber „die frühe Hochstellnng des deuteronomischen Ge- 
setzes hat eine Menge von Wendungen, Manieren, Gedanken in 
den Sprachgebrauch eingeliihrt, so dass wir dieselben bis lu die 
spätesten Erzeugnisse der hebräischen Literatur hinein immer 
wieder finden und uns gar nicht wundem dürfen ihnen auch in 
dem so viel verbesserten, ei'weiterten, überarbeiteten Priesterkodex 
zu begegnen"'). 

') CoinpoBition des Heiateiu-hs (1899) ]). U'8s. 

') Job. Hollenberg io deu Stud. uad Krit. 1874 p. 462«*. 

*) AuK- Eujser, da« vorexillsche Buch der Irgeschichlc Israels (Straasb. 1874) 

p. 147 s. — Joh. Holienberg, der Charakter der «lex. Oberaetiung def B. 

JnsUB fProgramm des Gymn. lu Mürs 1876) p. 13. 
*) Xd. jaUpUec in den G.>ll. gel. Am. 1S83 ]: 1458. 




Abschluss der Kritik des Gesetzes. 383 



II. 

1. Ich habe vorhin in 1 myb Jos. 9, 27 den Zusatz einer 
priesterlichen Endredaktion gesehen. Eine solche muss natürlich 
angenommen werden, wenn der Priesterkodex jünger als das Deu- 
teronomium ist. Aber nicht bloss auf Deduktion beruht die An- 
nahme; Kuenen hat sie auf induktivem Wege begründet, noch 
ehe er ein Anhänger der Grafschen Hypothese geworden war^). 
Zur Demonstration eignen sich am besten die Kapitel Lev. 17 — 2lx 
Sie sind gegenwärtig dem Priesterkodex einverleibt, durch eine 
entsprechende Bearbeitung, die an manchen Stellen nur weniges, 
an anderen bedeutendes zugefügt hat. Ursprünglich aber bilden 
sie ein eigenes und abgeschlossenes Ganzes, durchzogen von einem 
ziemlich manirirten religiös-paränetischen Tone, der nui- wenig 
mit dem Priesterkodex stimmt. Der Verfasser hat vielfach nach 
älteren Vorlagen gearbeitet, wodurch sich z. B. die Nebeneinander- 
stellung von Kap. 18 und Kap. 20 erklärt. Für die Erkenntnis 
der literarischen Verhältnisse ist Lev. 17 — 26 unvergleichlich lehr- 
reich, ein wahres Kompendium der Literaturgeschichte des Penta- 
teuchs'). 

Wie dem Deuteronomium, so merkt man es dieser Gesetz- 
gebung noch deutlich an, dass sie zuletzt in der jehovistisclien 
vom Sinai (Exod. 20 — 23) wurzelt. Sie soll gleichfalls auf dem 
Berge Sinai gegeben sein 25, 1. 2ij^ 46. Sie ergeht an das Volk 
und ist auch dem Inhalte nach volkstümlich, zum grossen Teile 
bürgerlich und moralisch. Sie will nur für das Land und das 
ansässige Leben, nicht auch füi* die Wüste gelten. Die Feste, 
drei an der Zahl, haben ihren Charakter als Erntefeste noch nicht 
ganz eingebüsst; unter den Opfern fehlen die Sund- und Schuld- 
opfer. Der Kultus tritt zwar schon unverhältnismässig stark als 

^) Historisch-kritisch Onderzoek I (Leiden 1861) p. 165; der Redaktor des 
Pentateuchs muss in den selben Kreisen gesucht werden, wo das Buch 
der Ursprünge entstand und allmählich erweitert und modificirt wurde, 
d. h. unter den jerusalemischen Priestern; p. 194; nach der gewöhnlichen 
Meinung ist der Deuteronomist Redaktor des ganzen B. Josua, aber 
seine Iland zeigt sich nicht überall, z. B. nicht in den priesterlichen 
Stücken; der letzte Redaktor ist vom Deuteronomisten zu unterscheiden. 

') Vgl. die Composition des Ilexateuchs j). 149 — 172, namentlich über die 
Ausscheidung der Redaktionszusätze, von denen ich in der folgenden 
Erörterung zunächst absehen muss. Ich ziehe z. B. bei Kap. 23 nur 
V. 9—22. 39—44 in betracht, bei Kap. 24 nur v. 15—22. 



3S4 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

Gegenstand der Legislation hervor, aber die Verordnungen dar- 
über gehn doch noch nicht in das eigentlich Technische ein und 
richten sich noch durchaus an das Volk: selbst in den die Priester 
betreffenden wird das Volk angeredet, während von jenen in dritter 
Person gehandelt wird. Es fehlt auch nicht an greifbareren Be- 
rührungen. Man kann Lev. 19, 2 — 8. 9 — 10 als Analogon zur 
ersten und zweiten Tafel der Dekalogs betrachten. Der Spruch 
^du sollst nicht Partei nehmen für den Armen und dich nicht 
scheuen vor dem Grossen" 19, 15 ist eine Fortbildung der Regel 
Exod. 23, 3, eine Reihe anderer Sprüche in Lev. 19 könnten ebenso 
gut in Exod. 22, 17 SS. stehn. Die Verordnungen Lev. 22, 27 — 29 
lehnen sich an Exod. 22, 29. 23, 18. 19. Ebenso fussen die von 
Lev. 24, 15—22 nach Inhalt und Form auf Exod. 21, 12*); bei 
24, 22 merkt man die polemische Beziehung auf Exod. 21, 20s. 
26 s. In 25, 1 — 7 wiederholen sich die sämtlichen Ausdrücke von 
Exod. 23, 10. 11. In 20, 24 findet sich die jehovistische Phrase 
^ein Land fliessend von Milch und Honig". 

Jedoch nimmt Lev. 17 — 2ü nur den Ausgang von der jeho- 
vistischen Gesetzgebung, modificirt sie aber sehi* bedeutend und 
zwar etwa in der Weise des Deuteronomiums. Sowol in den 
Ideen als in den Ausdrücken lässt sich die Vei*wandtschaft dfö 
Abschnittes mit dem Deuteronomium nachweisen. Beiden gemein- 
sam ist die Sorge füi' die Armen und Rechtlosen, beiden ist die 
Humanität ein Hauptzweck der Gesetzgebung. „Wenn ein Fremd- 
ling in eurem Lande bei euch wohnt, sollt ihr ihn nicht be- 
diücken; er soll euch sein wie ein Eingeborener von euch, und 
du sollst ihn lieb haben wie dich selber, denn ihr selbst seid 
Fremdlinge gewesen im Lande Ägypten" (19, 3. 4). Auf die ört- 
liche Einheit des Opferdienstes w^ird auch in Lev. 17 ss. starkes 
Gewicht gelegt. Sie wird noch gefordert, nicht vorausgesetzt 
(17, Ss. 19, 30. 26, 2); ihr ^lotiv, die Abwehr heidnischer Ein- 
flüsse und die Durchführung des bildlosen Monotheismus'), leuchtet 
noch erkennbar durch: wichtige Punkte der Berührung mit dem 
Deuteronomium. Dergleichen lassen sich ferner nachweisen in 
dem Trauerverbot (19, 27 s.), in der Zählung der Pent^koste vom 

Vw). 24. 15 s. mit Kxod. 2l\27 (21, 17): 24, 18 mit Exad. 21, 28 ss. 

24, 19. 20 mit Kxod. 21, 33. 34: 24, 21 mit Exod. 21, 28ss. 
-) 17. 7 (v«rl. 2. Chron. 11, 15) 18, 21. 19, 4. 19, 26. 29. 31. 20, 2 ss. 6. '2G, 

1.30. Für die I>atirung i.st besonders wichtig das scharfe Verbot des- 

^lolochdienstes. Cber hev. 17 \<i\. oben p. 51 ss. 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 385 

Anfange des Gerstenschnittes (23, 15), in der siebentägigen Dauer 
des Laubhtittenfestes und in den fröhlichen Mahlopfern, womit 
dasselbe begangen werden soll (23, 40 s.). Hinzukommt eine nicht 
unbeträchtliche Ähnlichkeit in der Farbe der Rede, z. B. in 18, 
1—5. 24—30. 19, 33—37. 20, 22 ss. 25, 35 ss. Von einzelnen 
Wendungen sind hervorzuheben: „wenn ihr in das Land kommt, 
das ich euch geben werde", „ihr sollt euch freuen vor Jahve", 
„Jahve der ich euch aus Ägj^ptenland geführt habe", „ihr sollt 
meine Gebote Satzungen und Rechte halten und tun". 

Aber auch über die deuteronomische Stufe ist hier die Gesetz- 
gebung hinaus. Schon überwiegt bei den Festen das Gesamtopfer 
der Gemeinde (23,9 — 22), Priester sind nicht die Leviten, sondern 
die Söhne oder Brüder Aharons, ihr Einkommen hat beträchtlich 
zugenommen, ihre abgesonderte Heiligkeit sich gesteigert. Auch an 
die leibliche Heiligkeit der Laien werden strengere Anforderungen 
gestellt, namentlich hinsichtlich der Enthaltung von Fleischessünden 
und von der Verwandtenheirat (Lev. 18. 20). Demgemäss wird 
die Schwagerehe verboten (18, 14. 20, 20), die im Deuteronomium 
noch zu Rechte besteht. In eine Zeit, wo man mit dem Exil gar 
wol vertraut war, führt 18, 24 ss.: „gebt acht, meine Satzungen 
und Rechte zu tun und solche Greuel zu vermeiden, demi die 
Leute, welche vor euch im Lande wohnten, haben dergleichen getan 
und das Land hat sie ausgespieen — hütet euch, dass das Land 
nicht auch euch ausspeie, wie es das Volk vor euch ausgespieen 
hat". Ahnlich 20, 23 s.; in der Gesetzgebung will so etwas mehr 
besagen als in der Prophetie. In dem Grade nun, wie sich unser 
Abschnitt vom Deuteronomium entfernt, nähert er sich dem Pro- 
pheten Ezechiel. Diese Vei'wandtschaft ist die nächste, sie ist auch 
am meisten aufgefallen. Sie zeigt sich in der eigentümlichen Durch- 
dringung von Kultus und Moral, in der ziemlich materialistisch 
gefassten Heiligkeit als Grundforderung der Religion, in der Be- 
gründung dieser Forderung auf das Wohnen beim Heiligtum und 
im heiligen Lande ^). Noch bemerklicher macht sie sich indessen 
in der Sprache, viele seltsame Redeweisen, ja ganze Sätze aus 
Ezechiel wiederholen sich in Lev. 17 ss.'). Am 10. des 7. Monats 

') Zu Lev. 22,24. 25 vgl. Kuenen, Weltreligiou und Volksreligion (Berlin 
1883) p. 326 SS. 

2) Vgl. Oolenso, Pentateuch and Joshua VI p. 3—23; Kayser a. 0. p. 177 
bis 179; Smend zu Ezechiel p. XXV. 

Well hausen, Prolegomena. 5. Aufl. 25 



Sä> 



jji] il.is Jiideiituni, Ka]). 9. 



ist Lev. 25, i) Neujahr wie bei Ezechiel (40, I), uiclit grofluB 
Versöhnangatag wie im Priestertodex. Griif liat tlariim jenen 
esilischen I'ropheteu sellier für deu Verfasser dieser GesetZBammlaitg 
des Leviticus angesehen, Coleiiso und Kayser sind ihm darin gefolgt. 
Daran ist indessen nicht zv denken; trotz der vielen sprachlichen 
and sachlichen Berührungen ist doch die Übereinstimmung keine 
vollständige. Ezechiel kennt keinen Samen Aharons nnd keinen 
Wein l>eim Opfer (Lev- 23, 13), seine Festgesetzgebnng weicht er- 
heblich ab und steht im Geiste dur dos Priesterkodex näher. Er 
würde iinssordeni über die Stellung, die den Lehnten nnd dem 
Fürsten im Kultus gebühre, etwas haben sagen müssen. 

Von Ezechiel neigt sich unser Korpus, welchem Klostermann 
den nicht unpassenden Namen des Ueiligkeitsgesetzes gegeben hat, 
dem Priesterkodex zu-, bei Stücken wie Kap. 17. 21, 22 bedarf es 
einiger Aufmerksamkeit um der (in der Tat freilich nicht au- 
beträchtlichen) Differenzen von jenem inne zu werden. Es steht 
zwischen beiden; allerdings dem Ezechiel etwas näher. Wie ist 
diese Tatsache zn verstehn? Jehovist Deuteronomium Ezechiel sind 
eine historische Reihenfolge; Ezechiel lleiligkeitsgesetz Prieslerkodex 
müssen gleichfalls als historische Stufen b^rilTeu werden, and zwar 
so dass dabei zi^leich die Abhängigkeit des Heiligkeitsgesetzes vom 
Jehovisten und vom üenteronomium üiro Erklärung fmdet. Durch 
die Annahme, dass Ezechiel eine l)esoudere Vorliebe gerade für 
dieses Stück des ihm übrigens im selben Umfange wie uns be- 
kannten Pentatoucbs gehabt und es sich für die Bildung seiner 
Denk- und Schreibweise zum Muster genommen habe, kann man 
sich der Forderung historischer Anordnung nicht entziehen und den 
Ezechiel aus der anzuordnenden Reihe nicht herausbringen; ein 
solcher Zufall muss überhaupt ausser Rechnung bleiben. Die 
Antwort nun auf die Frage, ob das Heiligkeitsgesetz vom Priestar- 
kodex auf Ezechiel überleite oder von Ezechiel auf den Priester- 
kodex, wird sehr bündig dadurch gegeben, dass dasselbe einer 
letzten Redaktion unterworfen ist, welche nicht von Ezechiel, 
sondern vom Priesterkodes ausgeht und wodurch es in den Priester- 
kodex aufgenommen wird. Nicht überall hat die Bearbeitung stark 
eingegriffen, zum teil sind ihre Supplemente und Korrekturen 
Iiöchst umfangreich z. B. 23, 1—8. 23—38. 24, 1—14. 33, zum 
teil nur geringfügig z. B. die Eintragung des Ohel Moed (für das 
Mikdasch oder das Misclikan) 17, 4. G. 9. 19, 21 s., des Schuld- 



Aliscilliis 



3H7 1 



Opfers 19, 21s., di^s Kodesch KodaschimSl, 22. Dio Äussclieldang 
der Zusätze gelingt nur m 25, 8 ss. nicht vollstäudig. Die Tatsuche 
aber, dass die letzte Rei]akti(in des Ileiligkeitsgesetzcs vom Priester- 
Itodex ausgebt, wird atlgemeio erkannt. Ihre literargeschichtllche 
Ifedeutuug kann nicht hoch genug angeschlagen werden'). 

2. Eine besondeie Itejichtnng verfUeiit die Schlnssrede I.ev. 
26, 3 — 16. Das Stück, dessen Zugehörigkeit zu Lev. 17, 1—26, 2 
vorher Stillschweigens eingenommen worden ist, wird von manchen 
Forschern, z. B. von Nöldeke, als eine fremdartige Interpolation 
im Leviticus betrachtet. Judenfalls ist diese Hede mit specieller 
Absicht auf das Nächstverhorgohende geschrieben. Fasst man sie 
nicht als Schlussrede auf, wie Exod. 23, 20 — 33. Deut. 28, so ist 
ihre Stellung, an einem beliebigen Orte dos Priesterkodex, ganz 
unbegreiflich. Sic knüpft denn auch sichtlich au die Gesetze 
Kap. 17 — 25 an. Das Land und der Ackerbau haben hier die 
selbe Bedeutung für die Religion wie in Kap. 19. 23. 25, die 
Drohnng des Ausspeiens (18, 25 ss. 20, 22) wird hier ausführlicher 
wiederholt, das einzige namhaft gemachte Gebot ist die Brache des 
siebenten Julires (26, 34. 25, 1 — 7). Mit der fdi' den Verfasser von 
Kap. 17 38. 80 charakteristischen Wendung „wenn ihi' iu meiuen 
Satzungen wandelt und meine Gebote haltet" beginnt das Stück, 
etwas abgewandelt kehrt dieselbe in v. 15, 43 wieder. Der Schluss 
(26, 46) lautet: „dies sind die SatKungen Rechte und Weisungen, 
■welche Jahve zur Regelung des Verhältnisses zwischen sich und 
Israel gab, auf dem Berge Sinai, durch Moses". Das ist angen- 
scheinlich die Unterschrift zu einem vorhergegangeneu Korpus von 
„Satznugen und llechteu", wie es in Kap. 17, 1 — 26, 2 vorliegt. 
Der Berg Sinai wird auch 25, 1 als die Offeubarungsstätte genannt. 

Wenn die Absicht von Lev. 26, zu Kap, 17 — 25 den .Schluss 
zu bilden, unbestreitbai- ist, so liegt es am nächsten, den Verfasser 
jener Sammlung auch für den Verfasser der Rede anzusehen. Nun 
meint aber Nöldeke, die Sprache weiche au selu- von Kap. 17 — 25 

') L Uoret hat in seiner Abhandluag fll>er Lev. 17—26 und Heaekiel 
(Kolmar 1881) iwar schlagend erwieseu, dass die methanische Kritik, in 
welcher Dillmann seinen VorgAiiger Knoliel noch überbietet, dem litera- 
rianhen Problem, welctie» das Heil igkeits gesell stellt, in keiner Welse 
gewacbden ist, aber mit dem Versuch, die olle Strassburger These, dass 
EaechiPl di^r Verfnaser sei, durch eine Modificirung zu retten, scheitert , 
er an I.ev. 2G. wie Kiienen richtig bemerkt (Leidener Th. Tijdschr. 1882 
p. W(i); v«l. i>, 3511 Anm. 1, 

25' 



388 






ab. Jetiofh muss er selber mehrere uml zwar gewichtig^ 
Älmlichkoiten zageben, einige Differenzen, die er anführt (Bamoth, 
(lillulim, Ilaminanim 26, 30), simi i;l eich falls in Wahrheit eher 
Berührnngen. Seltene und originelle Worte lassen sich aach bei 
den fmheren Kapiteln znsam mens teilen. In Kap. 36 mögen sie 
verliältnismässig häufiger vorkommen; doch ist ea irrig, fjnrnach 
die Sprache überhaupt für sehr originell zu halten, die sich vi«!- 
melu* überall an Heminisceozen anlohnt. Was wirklich von 
sprachlichen Unterecliieden bleibt, erklärt sich (genügend aus der 
Verscliiedenheit des Stoffs: bisher Gesetze in sachgemäss trockener, 
jetzt Propliet.ie in poetisch-pathetischer Rede. Dort tritt die 
Subjektivität des Verfassers meistens hinter dem Objekt zurück, 
das er öfters sogar geformt vorgefunden hat; hier kann sie sich 
frei äussern. Es ist billig, das nicht zu übersehen. 

Die Gegengründe, welche Nöldeke gegen die Wahi-scheinlichkeil, 
dass Lov, 2ß nicht bloss an Kap. 17 — 25 angeleimt ist, sondern 
dazu gehiii't, vorgebracht hat, verschwinden vollkommen bei uäherer 
Vergleichung des beiderseitigen literarischen Charaktere. Aufs 
stärkste werden wir zuuäclist durch Kap. 26 an ilie Denk- nnd 
Redeweise Ezechiels erinnert. Die signiükanteste Stelle ist I^v. 
26, 39. Nachdem vorher gedioht worden ist, dass Israel als Volk 
werde vernichtet und der dem mörderischen Schwert der Feinde 
entgangene Hest ins Exil geführt wei-den, um unter dem Druck 
des vergangenen Unglücks und der gegenwärtigen Leiden za ver- 
schmachten, wird in diesem Zusammenhange fortgefahren mit den 
Worten: „und die übrigen von euch verfaulen in ihrer Sunden- 
schuld in den Läudeni eurer Feinde und auch in der Sünden- 
schnld ihrer Väter verfaulen sie — dann gestehn sie ihre und 
ihrer Väter Sunde ein". Bei Ezechiel erfolgt dies F-ingeständnis 
wirklich von selten seiner Mitverbannten; sie sprechen (33, 10): 
„unsere Missetaten und Sünden lasten auf uns uud wir verfaulen 
darin und könueu nicht aufleben". Ähnlich sagt der Prophet 
(24, 23), er werde in seiner dumpfen Trauer über den Tod seines 
Weibes das Vorbild des Volkes seiu: „ihr werdet nicht weinen 
und klagen, ihr werdet verfaulen in eurer Sündenschuld". 

Auch die begleitenden Erscheinungen, ilie wir neben der 
ezechielischen Färbung bei den vorhergehenden Gesetsen konstatirt 
haben, fehlen in unserer Rede nicht. Weuu sich von einem Ein- 
fluss der jehovistischen Gesetzgebung (abgesehen davon, dass Exod. 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 389 

23, 20 SS. das Muster wie zu Deut. 28 so zu Lov. 26 gewesen ist) 
natürlich hier nichts spüren lässt, so wird dies dadurch ausge- 
glichen, dass der Einfluss der Propheten um so deutlicher ist, 
auch der älteren, wie des Arnos (v. 31). So wenig wie das Buch 
Ezechiels, ist unser Kapitel denkbar ohne die Grundlage der vor- 
hergehenden prophetischen Literatur. ^ 

Was das Verhältniss zum Deuteronomium betrilTt, so ist die 
Ähnlichkeit von Lev. 26 mit Deut. 28 sehr gross, nicht bloss im 
Stoflf, sondern auch in der Anlage. Lexikalische Berührungen gibt 
es zwar nicht viele, aber die wenigen sind gewichtig. Die Aus- 
drücke 26, 16 kehren im Alten Testamente nur Deut. 28, 22. 65 
wieder, ebenso auch C^Jlt^Nl v. 45 in dieser Bedeutung nur Deut. 
19, 14 und in der späteren Literatur (Isa. 61, 4). Der Tropus 
vom unbeschnittenen Herzen (v. 41) kommt im Gesetz gleichfalls 
nur an einer Stelle des Deuteronomiums noch einmal vor, ausser- 
dem in der gleichzeitigen oder etwas späteren prophetischen Lite- 
ratur (Hierem. 4, 4. 9, 24. 25. Ezech. 44, 7. 9). iVnklänge an 
Jeremias finden sich noch mehrere, meist jedoch unbestimmtere. 
Hervorzuheben ist die Beziehung von Hier. 16, 18 einerseits zu 
V. 30, andererseits zu v. 18 unseres Kapitels. Hier wird die 
Sünde siebenfach, bei Jeremias wird sie doppelt bestraft. So 
auch bei Isa. 40,2. 61, 7: mit diesem Propheten hat Lev. 26 
ferner den auffallenden Gebrauch von nm (mit Sünde oder 
Schuld als Objekt gemeinsam^). Stünde unser Kapitel nicht im 
Leviticus, so würde man es ohne Zweifel für eine Reproduktion 
zum geringsten Teil der älteren, zum grössten Teil der jeremianisch- 
ezechielischen Weissagungen halten, wie denn Lev. 26, 34 wirklich 
in 2. Chron. 36, 22 als ein Wort des Propheten Jeremias ange- 
führt wird. 

Mit dem Priesterkodex endlich berührt sich Lev. 26 in niS 
null, n'»'^3. D'^pn, minn, "»^X (nie "»D^x), in der übertriebenen 
Anwendung der Akkusativpartikel und Vermeidung der Verbal- 
suffixe, in der Vorliebe für das farblose |n3 statt speciel lerer Verba. 

Das Motiv, Lev. 26 von Kap. 17 — 25 zu trennen, ist nur der 
Umstand, dass der exilische oder nachexilische L'rsprung dieser 
Mahn- und Drohrede mit Händen zu greifen ist. Für uns ist 
dieser Umstand nur ein Beweis der Zugehörigkeit zu Kap. 17 — 25 
und eine wertvolle Bestätigung des Urteils, das uns ohnehin über 

Vgl. S. Fraenkel m Stades Ztschr. 181)9 p. 181. 



ayO Israel timl das Judenlimi, Kup, !l. 

dio Entsteh iin^sneit dieser Gesetze feststeht. „Wenn ihr trot« 
mir nicht gehorcht, sondern in Feindschaft gegen mich angeht, so 
gehe idi In bitterer Feindschaft gegan euch an und züchtige euch 
eiie^eIlfa<.^h für eure Sünden. Ihr sollt das Heisch eurer Sohne 
und Töcht«r essen, und ich zerstöre eure Höhen und ßlle eare 
Sonnensänien und werfe eure Rümpfe über die Rümpfe eurer 
fiötzen, und meine Seele wird sich euer ekeln. Und ich mache 
eure Städte zu Trümmerhaufen und verwüste eure Heiligtümer 
und rieche nicht an euren Opferduft. 1 nd ich verwüste das 
Land, dass eure Feinde die sich darin ansiedeln dnrob erstarren, 
und euch streue ich unter die Völker und zücke das Schwert 
hinter euch her, und euer Land soll Einöde und eure Städte 
Süllen Trümmerhaufen werden. Dann wird das I^nd seine Sab- 
liütho bezahlen alle Jahre der Verödung wo ihr im I^ndo 
eurer Feinde seid, dann wird il.ts Land feiern und seine Sabbathc 
bezahlen; alle Jahre der Verödung wird es die Sabbathe nach- 
feiern die e^ nicht gefeiert hat so lange ihr darin wohntet. Die 
aber von ench übrig bleiben, in deren Herz bringe ich Verzagen 
in dem Lande ihrer Feinde, das Rauschen eines verwehenden 
Blattes wird sie scheuchen, dass sie fliehen wie var dem Schwerte 
und fallen ohne dnss sie jemand verfoltit; sie werden über ein- 
ander straucheln wie in der Furcht vor dem Schwerte und ist 
doch niemand der sie verfolgt nnd es wird euch kein Haltens 
sein auf der Flucht vor euren Feinden. Und ihr werdet ench 
verlieren unter den Völkern und das Land eurer Feinde wird 
euch fressen. Und die von euch übrig bleiben, verfaulen in ihrer 
Schuld in den Ländern eurer Feinde, und auch in der Schuld 
ihrer \'äter verfaulen sie. Und sie werden ihre und ilirer Väter 
Schuld eingestehn, in Botreff der Untreue die sie an mir be- 
gangen, und dass, weil sie gegen mich angegangen sind, ich auch 
gegen sie angehe nnd sie ins Land ihrer Feinde bringe. Dann 
beugt sich ihr unbeschnittenes Herz nnd dann bezahlen sie ihre 
Schuld, und ich gedenke an meinen Bund mit Jakob, und an 
meinen Bund mit Isaak und an meinen Bund mit Abraham ge- 
denke ich nnd des Landes gedenke ich. Und das J.aud, von ihnen 
verlassen, bezahlt seine Sabbathe, indem es bewohuerlos nnd öde 
daliegt, und sie selbst bezahlen ihre Schidd, sintemal und alldie- 
weil sie meine Rechte vervi'orfen und meine Satzungen verschmäht 
haben. Doch bei alledem, wenn sie auch im Lande ihrer Feinde 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 391 

sind, habe ich sie nicht verworfen und verschmäht, sie gänz- 
lich zu vernichten und meinen Bund mit ihnen zu brechen, denn 
ich bin Jahve ihr Gott. Und ich gedenke ihnen an den Bund mit 
den Vorfahren, welche ich vor den Augen der Völker herausge- 
führt habe aus dem Land Ägypten, um ihnen Gott zu sein, ich 
Jahve". (26, 27—45.) 

Dass so nicht vor dem babylonischen Exil geschrieben worden 
ist, unterliegt keinem Zweifel. Man hofft freilich mit der assyri- 
schen Gefangenschaft auszukommen, aber wo steckt die Verw^andt- 
schaft unserer Rede mit dem alten echten Jesaias? Während zu 
Ezechiels Zeit nachweislich solche Gedanken Gefühle und Aus- 
drücke herrschten, wie sie hier vorliegen, wird es schwierig sein 
zu zeigen, dass Samariens Fall diese Art von Depression in Jeru- 
salem hervorgebracht habe — denn im Nordreich kann Lev. 26 
nicht geschrieben sein, da die Einheit des Kultus vorausgesetzt 
wird. Wie in Deut. 29. 30 werden auch hier die Judäer angeredet, 
und sie hatten kein so lebhaftes Bewusstsein von ihrer Solidarität 
mit den fortgeschleppten Israeliten, dass sie bei solchen Drohungen 
an diese denken konnten. Mii* scheint es sogar gewiss, dass unser 
Verfasser entweder gegen Ende des babylonischen Exils oder nach 
demselben lebte, weil er nämlich zum Schluss die Restitution in 
Aussicht nimmt. Bei Propheten wie Jeremias und Ezechiel hat 
eine solche Ausschau in die fröhliche Zukunft Sinn, hier aber 
widerspricht sie der historischen Einkleidung ebenso wie dem 
Zwecke der Drohung und scheint am natüi'lichsten durch den Zu- 
fall, d. h. durch die Wirklichkeit sich zu erklären. Dass im Ver- 
gleich mit Jeremias und Ezechiel die Priorität nicht auf Seiten 
von Lev. 26 ist, zeigt sich darin, dass das unbeschnittene Herz 
seine Genesis bei Jeremias hat (4, 4. 9, 24 s.), hier aber als fertiger 
und bekannter Terminus übernommen ist, und darin, dass die 
Phrase verfaulen in der Sündenschuld von Ezechiel aus der 
Leute Mund wiederholt, also bei ihm literarisch ursprünglich und 
hier entlehnt ist^). 

*) Horsts Versuch, die Rede Lev. 26 in den letzten Jahren des Königs 
Sedekia unterzubringen (a. 0. p. 65. (j()) ist bloss die Konsequenz seiner 
Annahme, das der jugendliche Ezechiel der Autor sei — einer Annahme, 
die eben durch diese Konsequenz gerichtet wird. Dass ich aus Ezech. 
33, 10 herauslese, was dasin steht, scheint Delitzsch für eine grosse 
Dreistigkeit zu halten (Zeitschr. f. kirchl. Wiss. 1880 p. 619). Ober 
Deut. 10, 16. 30, 6 und überhaupt über den color Hieremianus des Deutero- 
nomiums vgl. Composition des Ilexateuchs p. 192. 



392 



Israel and dnK Judentum, K«p. S 



L 



Die Kritik von Lev, 17 ss. fuhrt zu dem Er(,'übnis, lia*« i 
selbst erst im Exil entstandene Gesetzsammlung im Priest er kodex 
rofipirt und verjoiigt worden ist. Vor Seliradcrs Drohung mit der 
„kritischen Analyse" brautlit uns also nicht eu granen, die Gruf- 
sche Hypothese fallt davon nicht nm. 

3, Noch Kwei oder drei andere wichtige Spuren der prioster- 
lichen Schlussbearboitung des lloxateuchs mögen hier Erwähnung 
linden. In der Erzählaug von der Sundnat sind die Verse 7, (i — 9 
eiij redaktioneller Einsatz, der sich mit der Beseitigung eines 
Widerspruchs zwischen JE und V beschäftigt; derselbe teilt die 
Vorstellungen und redet die Sprache dos l'riesterkodex. In der 
Überschrift des Denteronomiums gehört der Vera „es geschah im 
vierzigsten Jahre, im elften (TCJ!) Monat, am ersten des Monats, 
redete Moses zu den Kindern Israel gemäss allem was ihm Jahve 
an sie aufgetragen hatte" (Deut- 1, 3) nach den mizweideutigsten 
^lerkmalen dem l'rieatorkodex au und hat den Zweck, das üea- 
teronomium in denselben aufzmiehmen. Daes im Buche Josua 
der Priesterkodex weiter nichts ist als Ergänzung der jeboviatisch- 
deuteronomistischen Erzählung, ist bereits früher nachgewiesen. 

Dass der Priesterkodex aus zweierlei Elementen bestehe, erstens 
aus einem selbständigen Kern, dem Vierbundesbuche, zweitens aus 
zahllosen Nachträgen und Ei^änzungen, die zwar vorzugsweise dem 
Vierbuudesbuche, aber nicht diesem allein, sondern dem ganzen 
llexateuche sich anschmiegen — diese Behauptung hat auffalleiider- 
weise nicht den Widerspruch erfairen, der zu erwarten gewesen 
wäre. Ryssel hat sogar in der zwieschlechtigen Natur des Priestt-r- 
kudex das Mittel gefunden, das Vierbundesbuch vor der Exilirung 
zu retten, indem er es nämlich von den Ei^änzungen, welche er 
preisgibt, durch eijjen beliebig lange» Zeitraum trennt. Ule sehr 
enge Verwandtschaft beider Teile mit einander hält er dadurch 
für erklärt, duss sie aus dem selben Kreise stammen, aas dem 
Kreise der Priesterschaft von Jerusalem. Wenn der Tempel Von 
Jerusalem zm' Zeit Snlomos ebenso autonom und einzig legitim 
gewesen wäre, wie zur Zeit der Fremdherrschaft, wenn die Priester 
unter Abaz und Hizkia und Josia ebensoviel zu sagen gehabt 
hätten, wie nach dem Exil, wenn e.s erlaubt wäre, sie sich au 
denken, wie es einem gerade passt und nicht wie sie historisch be- 
zeugt sind, kurz wenn es überhaupt keine israelitisclie liescliichte 
gäbe, so könnte eine solche Erklärung hingehn. >Sie wäre freUigfi 




Abschluss der Kritik des Gesetzes. 393 

auch dann Willkür und weiter nichts als Willkür. Der sekundäre 
Teil des Priesterkodex zieht mit Notwendigkeit den primären zu 
sich herab. Die formelle und materielle Gleichartigkeit, die völlige 
Übereinstimmung in Tendenzen und Voi-stellungen, in Manieren 
und Ausdrücken zwingen dazu, das Ganze, wenngleich es keine 
literarische Einheit ist, dennoch als eine geschichtliche Einheit zu 
betrachten. 

III. 

1. Als unüberwindliches Rollwerk wird neuerdings den Um- 
sturzversuchen der Tendenzkritik die Sprache des Priesterkodex 
. entgegengesetzt. Leider wird das A'eto der Sprache von Riehm 
Delitzsch und Dillmann so wenig näher begründet wie das Veto 
der kritischen Analyse von Schrader, und einer nicht begründeten 
Behauptung mit Gründen zu begegnen, ist nicht erforderlich. Aber 
ich benutze den Anlass, um einige zerstreute Beobachtungen mit- 
zuteilen, die sich mir zuerst, wie ich vielleicht bemerken darf, gar 
nicht im Zusammenhange mit der Untersuchung des Pentateuchs, 
sondern bei ganz anderer Gelegenlieit ergeben haben. An der 
Stells 2. Sam. 10, 13 befremdete mich Düvb auf äusserste, nicht 
^veniger N"^3. an den beiden Stellen Isa. 4, 5. Am. 4, 13; und in- 
dem ich der sprachlichen Verbreitung dieser beiden Worte nach- 
ging, kam ich auch analogen Erscheinungen auf die Spur. 

Der Sprache der vorexilischen Geschichtsbücher ist im allge- 
meinen die der jehovistischen Schrift nahe verwandt, dagegen die 
des Priederkodex vollkommen fremdartig. Man kami dies, nach 
bewährter Praxis, so deuten, dass letzterer einer früheren Periode 
entstamme. Aber abgesehen davon, dass er dann gar keinen Ein- 
fluss ausgeübt hätte, stimmt es dazu schlecht, dass w^enn man auf 
die ältesten Dokumente, die uns aus der historischen Literatur der 
Hebräer erhalten sind, zurückgeht, der Abstand eher grösser als 
geringer wird. Mit Jud. 5 und 2. Sam. 1 können wol die poetischen 
Stücke in JE verglichen werden, in P lindet sich nichts Ahnliches. 
Umgekehrt aber lassen die sehr spät eingeschobenen Erzählungen 
Jud. 19—21. 1. Sam. 7. 8. 10, 17 ss. 12. 1. lieg. 13 und die apo- 
kryphen Zusätze in 1. Reg. 6 — 8 noch am ehesten eine sprachliche 
Hinneigung zum Priesterkodex erkennen. CJerado so wie bei der 
historischen, stellt sich das Verhältnis auch bei der prophetLschen 
Literatui\ Die Redeweise von Arnos Jesaias Micha ist im ganzen 



394 



iRriicI unii ilaa .liirienliim, Kup. i>. 



Hör fies Johovisten cutsprecliend, nicht der des pi'iosterlichon i. 
stollera. 

In oiiucelnen wichtigen Ausdräcken stimmeu zuerst da^ DoDte- 
ronomtiim und das nach dem Propheten Jeremias benannte Buch 
mit dorn Priesterkodex, in weit zahlreicboron sodann der Prophet 
Ezerhiol, und zwar keineswegs bloss mit Lev. 17 — 2fi'}. Bei ilen 
folgenden nafhcxilischen Propheten bis auf MaleaohJ beschränken 
sich die Deruhrun^punkte auf Einzelheiten, hören aber nicht auf; 
ebenso finden sie sich in den Pswilmen nnd im Prediger. Uorai- 
niscenzcn an den Priesterkodex kommen einzig nud allein in 
der Chronik und in einigeu Psalmen vor. Denn dass Am. 4. 11 ans 
Oeu. 10, 21) entlehnt sei, ist gerade so klar, wie dass zu Am. 1, 2 . 
das Original in Jo. 4, 10 gesucht werden müsse. 

Seine sprachliche Absonderlichkeit behauptet der Priesterkodes 
atich gegenüber der späteren Literatur. Dieselbe beruht teils auf 
den vielen technischen Worten, teils auf der steten Wiederholung 
der selben Formeln, auf der grossen Spracharraut. Rechnet nwn 
über die staiT ausgeprägte Individualität des Schriftstellers ab, so 
steht das fest, dass eine ganze Reihe sehr charakteristischer Aos- 
dröcke, die er anwendet, sich vor dem Exil nicht finden, erst seit 
dem Exil allmählich auftauchen nud gebräuchlich werden. Die 
Tatsaclie wird auch nicht geleugnet, man geht nur um sie herum. 
Damit sie mehr Eindruck mache, möge hier eine kurze Stxtistik 
des sprachgeschichtlich interessaut«n Materials von Gen. 1 eineu 
Platz finden. 

Gen. 1, 1 n^li'XT heisst im älteren Hebräisch nicht der An- 
fang eines zeitausfullendeu Geschehens, sondern der erste (und 
gewöhnlich der beste) Teil einer Sache. In der Bedeutung 
des zeitlichen Anfangs, als Gegensatz zu n'int* findet es sich 
zuerst in einer Stelle des Deuteronomiums 11, 12 (vgl. dagegen 
13,10), ferner in den Überschriften Hiurem. 26, 1. 27, 1. 28, 1. 
49, 34 und in Isa. 46, 10, endlich in den Hagiograplien lob. 8, 7. 
42, 12. Prov. 17, 14. Eccles. 7, 8. In Gen. 10, 10 ist tnrbDD nitP«"r 
ganz etwas anderes wie in Hier. 27, I, nämlich dort der erste Teil 



') Bemerkenswert ist nauii.']i 
Prieaterkodex. In der Ui. 
es Mut den wirkliclipn N^'. 
■Süden geltraiidit (Xum. ;;i 
lichm .Sinu vüllig vcrlorcu, 



rN5 l'ei Ezechlel und bn 
' nird Ne^eti, aelliot Wttm 
'der BedetttuDß 




Abschluss der Kritik des Gesetzes. 395 

des Reichs, hier der [Beginn der Regierung. Fiü' im Anfang 
sagt man in der frülieren Zeit absolut ni;^*?<l^ n'pnr^^., relativ 

Über das wegen seiner specifisch theologischen Bedeutung so 
merkwürdige Wort Nlü ist schon oben (p. 310) gehandelt worden. 
Abgesehen von Am. 4, 13 und Isa. 4. o findet es sich ausserhalb 
des Priesterkodex zuerst beim Deuteronomisten Exod. 34, 10. 
^^lm. 16, 30 (?) Deut. 4, 32 und Hierem. 31, 22, ferner in Ezcch. 
21, 35. 28, 13. 15. Mal. 2, 10, in Ps. 51, 12. 89, 13. 4H. 102, 19. 
104, 30. 148, 5. Eccl. 12, 1 — am häufigsten aber, zwanzig mal, 
in Isa. 40 — Gf), auffallenderweiso gar nicht im lob, wo man es er- 
warten sollte. Mit Nia. (abholzen) und Nnn (= xnc feist) hat 
es nichts zu tun. 

Gen. 1, 2 mm inn kommt noch vor Hier. 4, 23. Isa. 34, 11; 
inn allein findet sich häufiger, jedoch abgesehen von Isa. 29, 21 
ebenfalls nur in der späteren Literatur Deut. 32, 10. 1. 8am. 12, 
21. Isa. 24, 10. 40,17.23. 41,29. 44,9. 45,18 s. 49,4. 59,4. 
lob. 6, 18. 12, 24. 2f>, 7. Ps. 107, 40. — Das Verbum ^r}-) (brüten), 
welches im Aramäischen gewöhnlich ist, begegnet im Alten Testa- 
ment nur an einer einzigen und zwar späten Stelle Deut. 32, 11; 
indessen muss man die Möglichkeit einräumen, dass zu häufigerer 
Anwendung desselben keine Gelegenheit gewesen sei. 

Gen. 1,4 b^'^nn und ^"2.3 (scheiden und sich scheiden), im 
Priesterkodex gewöhnlich, wird zuerst gebraucht vom Deutero- 
nomiker und Deuteronomisten (Deut. 4, 41. 10, 8. 19, 7. 29, 20. 
1. Reg. 8, 53), dann von Ezcchiel (22, 26. 39, 14. 42, 20) und dem 
Verfasser von Isa. 40 ss. (56, 3. 59, 2), am meisten vom Chronisten 
(1. Chr. 12, 8. 23, 13. 25, 1. 2. Chr. 25, 10. Esdr. 6, 21. 8, 24. 9, 1. 



') Sehr auffallend ist die VokalisiruDg n^K'X"^!! für die man erwarten 

würde Pl^t^N*!!!- Mau hat ihr zwar gerecht zu werden versucht durch 

die Übersetzung: ^im Anfange als Gott Himmel und Erde schuf — die 
Erde aber war wüst und leer und Finstenii.s lag auf der Tiefe und der 
Geist Gottes brütete über dem Wasser — da sprach (lott: es werde 
Licht!" Aber diese Konstruktion ist verzweifelt, und jedenfalls nicht 
die von der Punktation befolgte, denn die jüdische Überlieferung (»Sep- 
tuaginta A((uila Onkelos) übersetzt einstimmig: j,im Anfang schuf Gott 
Himmel und Erde". Bekanntlich findet sich dagegen im Aramäischen 

n^lTN^^ill^ nicht als Emphaticus, sondern als Absolutus in der Form des 
Constructus, für: im Anfang. 



10, H. 1 1. IG. Suh. y, 2. 10, 2'.). 13, n). — Ul>er irs DV ') (ien. ifl 
vgl. JoBephus Antiq. 1,30: „das wäre nun der erste Tag, Mnsee 
aber sagt ein Ta[{; die Ursaclie könnte ich wo) hier augebeii, da 
ich abßi- (in der Einleitung) versprochen habe eine Gesamterklärung 
in einem besonderen Buche zu geben, schiebe ich es bis daliio 
fluf^. Auch die Rabbioeii in der Genesis Rabba nehmen Änst^ss 
an dem Ansdnick, der übrigens seines gleichen hat an dem späterer 
Redeweise angehörigen ll'in? ~nx- Im -Syrischen sagt, man regel- 
miissig Nütt'n. "in- daher im Neuen Testamente (ifi {wßßdTuiv für den 
ersten Tag der Woche. 

Gen. 1, 6 Vp"! (Finnament) (iudeC sich ausserhalb des I'rieater- 
kiidex nur bei Ezechiol (I, '32 — 26. 10,1) und bei noch späteren 
Schriftstellern Ps. l'.l, 2. l.'iH, 1. Dan. 12, 3 vgl. lob 37, 18'). — 
GfU- 1, 10 C'ü' fdas Meer sing., vgl. 1,22- Uv. 11, 9. 10) ist in 
älterer Zeit selten nnd liochpootisch , gewöhnlich dagegen Iiei 
Ezechicl (zehn mal) und in den Psalmen (sieben mal), ferner 
lob 6, 3- Neh. 51, ß. Jon. 2, 4. Dan. 11, 45. — Gen. I, 11 pa (Art), 
ein namentlich in der Form lerainehu sehr eigentumliches Wort, 
findet sich abgesehen von Gen. 1. Lev, 14. Gen- G, 20- 7, 14 nur 
noch Deut. 14 und Ezech. 47, 10. 

Gen. 1, 2(1 mm (Ähnlichkeit 5,1-3) kommt in der älteren 
[.iteratur nicht vor. Es erscheint zuerst 2. Reg. Ifi, 10, lu einer 
nuchdeutenmo mischen Stelle, denn der Schi'iftsteller ist der von 
Rap. 11 s. 21 SS. Sodann bei Ezechiel (lü mal), Isa. 13, 4. 40, IH. 
2. Chr. 4, 3. Ps. 58, 5. Dan. 10, 16. Es ist ein aramäisches Lehn- 
wort; auch das entsprechende Verbum wird erst in der Zeit, wo 
ilas Aramäische einzudringen beginnt, gebräachlich. 



^gl- Ass. 1- •- Jos- Styl. 4n, 10. II. 48, 12. Im 
1 findi'f sidi liii'üi^ Cotistniction nur bei der Utttinin^ 

~ ::'.-l r.2ai l">i;ul, 15, 9. 
' . iiiiaiiiipn wird, äas Diiimi^ctilaKiaKt 



nach KÖaigajalii 

*) &t heiHüt nicht, 

Ausgereckte, li 

stellt, »weitflDB k \v h.-[i. \]. i„\- liedeutiuif,' nur dem Plel 

dw da»ön nbgüleifck öuL'&taüliv liiulct y|3"^,. 1)3» Kai, wnrait JI'jTI 
xuHamnicii xu bringen ist, findet sich I«a.42, 5. 44, 34. IS. i:)6, f>. " 
wird nememigiicli -<---•■- -•- — ... -i— - ......i-i.- t> — i— -. 




I'aralM diiinlt sieht tÖ-> <i 
tnuf^nta filiürträgt os au ■•iW 
Ppimit OTipto))!« (firm:iiii 
»i?l]r jiasseode Btdtutiui!.' 
Vcrliiini V'pl gefjrSuciilicli 



ilherHetzt ohne etwekho UerechtJipiDg, 
it 131!. 6): ilU Sop- 
vJt lind fciht ilkmach 

i'iiL ülii-rli«tertB nnd 
s f>jri»chp, «o 4mi. 




Abscliluss der Kritik des Gesetzes. 397 

Gen. 1, 27 "^DJ (männlich) heisst in der früheren Zeit "TIDJ; 
denn wenn diese Vokalisation Exod. 23, 17. 34, 23. Deut. 16, Iß. 
20, 13 im Rechte ist — und daran lässt sich nicht zweifeln — , 
so \^drd man sie auch Exod. 34, 11). Deut. If), 19. 1. Keg. 11, 15 s. 
durchführen müssen. Im Priesterkodex findet sich irj ungemein 
häufig, sonst aber nur in der späteren Literatur Deut. 4, Iß. Hier. 
20, 15. 30, ß. Ezech. 1(), 17. Isa. ß(), 7. Mal. 1, 14. Jud. 21, 11. 12. 
2. Chr. 31, Iß. Esdr. 8. Noch ungünstiger steht die Saclie für n2.pj 
(weiblich), ausserhalb des Priesterkodex findet es sich nur im Buch 
Hierem. (31, 22) und beim Deuteronomisten (4, Iß). Der Jehovist 
sagt bekanntlich immer ni^*N1 l&*^Ni auch von Tieren; wohinp:egen 
der Redaktor des Ilexateuchs dem Sprachgebrauch des Priester- 
kodex folgt. 

Gen. 1 , 28 nt^^onn iT'n fällt auf dadurch dass der Artikel 
beim Substantivum ausgelassen und bloss dem folgenden Adjectiv 
präfigirt ist, als wollte man im Griechischen sagen Gtvy;p 6 dt^aOo? 
für 6 dvTjp 6 «Yaöo;. Ebenso 1, 31 ">l&'l5^n G^ und 2, 3 ''y^-rn DT»- 
Das führt herunter in jene Periode, wo man nvn 2. "in und 
n7n:in H^jD zu sagen pflegte. — l^*2.D und ni'^ sind Aramismen. 
In mi&*2.D erscheint in Gen. 1 das einzige Verbalsuflix, übrigens 
immer die Formen IHN DPIN ; ähnlich ist diis Verhältnis auch sonst 
im Priesterkodex. In der jehovistischen Haupt schrift, in J, werden 
diese Substitute mit nx nur zuweilen und aus besonderen Gründen 
gesetzt; man kann allgemein behaupten, dass dieselben je später 
je beliebter werden '). Dem geht parallel der Gebrauch von ^23^ 
in J, von ^^N im Priesterkodex; die letztere Form wird in der 
späteren Zeit immer häufiger. 

Diese Bemerkungen greifen schon über Gen. 1 hinaus; für den 
Priesterkodex im allgemeinen kann ich jetzt auf F. (iiesebrecht« 
Abhandlung zur Hexateuchkritik verweisen. Wörter wie )— *)p, 
CHJ/i r\Dvb^ ^ntyy fallen jedes einzelne für sich schwer in die 
Wage für die Annahme einer späten Abfassungszeit des Priester- 
kodex. Man kann nicht glauben, dass so alltiigliche Wörter bis 
aufs Exil in der übrigen Literatur nicht sollten zur Anwendung 
gekommen sein, wenn sie vorhanden waren. Man kann sie auch 
nicht zu den technischen Terminis rechnen; )Il'^p im Hebräischen 

') In den Psalmen finden sich aber stets die Suffixe, ansgenommen 106, 4(>. 

Denn in 27, 4. 67, 2 liegt die Saclie anders, und \mN HnnO 31, 6 ist 
ein Zusatz, der nicht in den Zusammenhang passt. 



398 






Jus Judouliiin, Kii]i 



für Opfer iiikI (i^itieEi gesagt, ist ulclil: anders uU \m\.-re im Deulät^^H 
statt Gebet gesutzt. Im übrij^en ist bei der Ver^lcichimg des 
I>exIkoiis iinmei' zii bedoaketi, dass erstens die nlteiitlial bon ein- 
jrreifende Überurbeituiig; und Kedaktion der biblischen Bücher, 
zvi'eiteDs die Willkür der Schreiber (bei scheinbaren Kbiuigkeiten 
wie '33X und ^iN, besondere ttusserhnll) des Pen täte uchs) den ur- 
sprünglichen Tiitliestiind so zerrüttet haheo, dass man sich im 
allgemeinen nur an Proportionen halten kann und sich mit dem 
Nachweise begnügen mugs, da^ ein Wort in der älteren Literatur 
drei mal, in der jüngeren siebeuundzwanzig mal auf gleichem 
Räume vorkommt. 

Ee handelt sich hier zum teil um echt hebräisches Sprachgat; 
um Wörter, die in der lobenden Sprache und dialektisch längst 
dagewesen, aber in der älteren Literatur nicht gebräuchlich sind 
und dann in deu Hagiographen , im t^irach und in der Aliscbma 
literarischen Kurs bekommen; oder um Bildungen, die früher nnr 
vereinzelt vorkommen (Juil. 9, 27) und dann plötzlich beliebt werden, 
wie milluim, kippurim, piqqudim'). Zum teil aber auch qra 
Araniaisnien. Zwar finden sich schon Irüh auffallende Ei-scheinangen 
wie Tt; statt IIJ, "n (preisen), m'nx (Rätsel), b?D (E Gen. 21, 7), 
]ra statt ]VS (E Gen. 4.'), 17 für SDU J 44, 13), und im üouteru- 
nomium [32.J? neben b—U. Aber Aramaismen wie Jilp als ge- 
wöhnliches Wort lür Opfer, nnc (für yra Num. 34, 11), V2.1 
(für pT Lev. 19 und 20), y;^, lön (Schande), n'jJiD (Schale), 
-]1Z.V (Ertrag los. ö), m für i'lT (I,ev. 26, 10) und in: (Lev. 11, 21} 
^ ~\Wj mischnisch) im Priesterkodex sind doch sehr licherzigens- 
wcrt. Auch nn:if PS. (Nuni. !.'>, 27), der Plnral des Compositums 
niD.N TVZL^ die Form m^lN. die Schreibung ^Ep (statt 'jpp) sind 
Aramaismen '). 

2. Die sprachgeschichtliche Forschung steht im Hebräischen 
noch sehr in den Anfangen. Auf lexikalischem Gebiete müsiKe 
sie auch auf die Eigennamen aasgedehnt werden; es würde sich 
woi herausstellen, dass nicht bloss Pharnak (Num. 34, 25), sondern 
auch Kompositionen wie Pheda-sur Phcda-el Nathana-el Phag'i-el 
Eli-asaph weniger auf die mosaische, als auf die persische Zeit 



II 



') mSt wird schon im Leviüciis für if'S im Sinne vi 

») V({1. Lsgardu'8 Obersicht über die nildimg der N 

der Oültioger Gesellschaft der Wiäsensc haften X: 



n ^eli raucht 
dun Abhh. 
)) p. U6 SS. 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 399 

hinweisen und in der Chronik ihre Analoga haben. Andererseits 
müssten auch die Zahlwörter und ihi'e Stellung, Präpositionen und 
Partikeln in die Untersuchung gezogen werden. Uer Gebrauch 
der Präpositionen Beth und Lamed im Priesterkodex ist sehr eigen- 
tümlich. Das würde weiter hinüberführen auf die Syntax oder 
besser die Rhetorik und Stilistik — ein sehr schwieriges und 
wenig angebautes, aber ungemein wichtiges und für vergleichende 
Behandlung sehr wol geeignetes Gebiet. Am allerweitesten ge- 
langt man mit der Vergleichung solcher Parallelen, die in un- 
zweifelhafter, direkter Beziehung zu einander stehn. Schlagender 
kann die Abhängigkeit des Priesterkodex vom Jehovisten nicht er- 
wiesen werden, als durch sein vmin. p^lH Gen. 6, 9 im Vergleich 
zu n)n nnn pnjj Gen. 7, l (JE). Der Plural nin steht ganz mit 
den D^i^D und den y^^n ^Dj; der Rabbiner und mit den (Jirspjxaia 
von Gal. 3, 15 auf gleicher Linie; denn er bedeutet nicht die suc- 
cessiven Geschlechter, sondern die Zeitgenossen, die gleichzeitigen 
Individuen eines und des selben Geschlechtes. 

Von den Worten wird man dadurch wieder auf die Sachen 
gebracht werden, dass in manchen Fällen das Alter der Worte 
abhängt von der Einführung der Sachen. Der Name "iniL im 
Hohenliede z. B. setzt den Anbau des Malobathron in Syrien und 
Palästina voraus. Der Priesterkodex fühi*t Farben, Gewebe, Gold- 
arbeiten, Edelsteinarten auf, die in der älteren Literatur nirgend 
vorkommen; er bildet zusammen mit Ezechiel die Hauptfundgrube 
im Alten Testament für die Geschichte der technischen Kultur, 
und das wird um so weniger Zufall sein, da die beiden auch in 
ihrem geographischen Horizonte sich decken. Eine Berührung 
findet ebenfalls, wenngleich in geringerem Maasse, in dieser Hin- 
sicht statt zwischen dem Priesterkodex und Isa. 40 — 66; sie muss 
also ohne Zweifel historisch, durch das babylonische Zeitalter, er- 
klärt werden^). 

') Zum IFoheliede vgl. Schürers Theol. LZ. 1879 p. 31; es ist durch seine 
Ptianzennamen und Ähnliches ebenfalls eine wichtige Quelle der äusseren 
Kulturgeschichte. 



Wai-1 iiljJ d^L« .liidnj 



Zclmtos Kapitel. ^^H 

Die mündliche uad die schriniiche Thora. ^^ 

Webliß BedeutuDg bei den Juden die Sulirift,, das Bach des 
üesetzüs hatte, "bissen wir alle aas dem Neaen Testamente. Vani 
alten Israel ilagegen heisBl es im Eiii}:angsgedicht des Westöst- 
licheii Divaii, dass das Wort so wichtig dort war, weil es ein ge- 
sprochen IVm-t war. Der Gegensatz, den (Joethe offeuhar einiifan- 
dcu liat, ist wirklich eharakteristisdi und einer eingehenderen 
Würdigung wert. 

I. 

1. Wenngleirh d.-is Deutenmomium und der Priesterkodev 
erst in sehr später Zeit aufgezeichnet worden sind, so bleibt doch 
noch die jehovistische (Jesetzgebang (Exod. 2I.V— 23. Kap. S4), die 
als schriftlicher Ausgangspunkt der israelitischen Keligionsgeschichte 
lietrachtflt werden konnte. Dieselbe wird in der Tat so verwertet, 
freilich gewiihnlith nicht im ganzen Umfange. Denn von dem 
sinaitischeu Bundcwbuche (Exod. 20, 22—23, 1'.)) pllegt man ein- 
zusehen, dass es einem sessbafteji und in den Ackerban voll- 
konimen eiiigelebteii Volke gegeben ist, welches auch in der Gold- 
wirtschnft schon ziemlicli weit über ilie ersten Anfange liinaas 
war'). Als mosaiach im eigentlichen Sinne wird in der Kug«! 
nur der Dekatog festgehalten. Und zwar hauptsächlich aus dem 
Ctrunde, weil bezeugt wird, er sei auf den zwei Steintafeltt dftr 
heiligen Lade verzeichnet gewesen. Indessen auch vom DeutOTo- 
nominm wird bezeugt, einerseits os sei auf zwölf Steine eing«- 
achrieben, andererseits es sei in die heilige Lade gelegt worden 
(Deut. 31, 2ö). Unbedingter Verlass ist also nicht auf »Ich« An- 
gaben, Die über den Dekalog scheint und freilich gestützt so 
werden durch 1. Reg. S, 9, Aber das Gewicht dieser Aussage wird 
iladurch abgeschwächt, dass sie in einem deuteronomistiseh bear- 
beiteten und ausserdem noch intei-polirten Zusammenhange stebt 
Um so grössere Bedeutung wird man demgegenüber dem Umstände 
beizumessen haben, dass der Name „die Lade des Bundes" (d.h. 



kl 



') Kxod. 21, 35: Tgl. 21, 32 mit Jiid, 9, 4. 




Die mündliche und die schriftliche Thora. 40l 

der Kasten des Gesetzes)*) den späteren Schriftstellern eigen ist, 
und wo er in älteren Erzählungen vorkommt, sich durch sein 
sporadisches Auftreten sowie durch die Vergleichung der Septua- 
ginta mit dem masorethischen Texte als Korrektur erweist. In 
alter Zeit war die Lade kein blosser Behälter des Gesetzes, sondern 
als „Lade Jahves" hatte sie ihre Bedeutung füi' sich, wde man aus 
1. Sam. 4 — 6 klar genug erkennen kann. Gleichwie die zwölf 
Masseboth, welche den Altar auf dem heiligen Berge von Sichem 
umgaben, erst nachträglich zu Gesetzesmonumenten geworden sind, 
so wird auch die Lade des Bundes erst durch Umdeutung aus dem 
alten Idol entstanden sein. Wenn überhaupt Steine darin lagen, 
so dienten sie schwerlich als Schreibmaterial, zumal sie ja dann 
nicht als Mysterium im Dunkel des Heiligtums hätten verborgen, 
sondern öffentlich ausgestellt werden müssen. Es kommt hinzu, 
dass über den Inhalt der zehn Worte, die auf den zwei Tafeln 
gestanden haben sollen, die Tradition mit sich selbst in Zwiespalt 
ist, indem zwei ganz verschiedene Dekaloge, Exod. 20 und Exod. 34, 
überliefert werden. Daraus folgt, dass es ein wirkliches und 
festes Wissen darüber, was auf den Tafeln gestanden habe, nicht 
gegeben hat, und weiter, dass wenn solche Steine — was wol 
wahrscheinlich ist — überhaupt in der Lade gelegen haben, nichts 
darauf geschrieben gewesen ist. Zu entscheiden, welcher der beiden 
Versionen die Priorität zukomme, gehört nicht hierhier; für unseren 
Zweck genügt das negative Resultat, das wir gewonnen haben. 

2. Wol fehlte es auch im alten Israel nicht an gottgegebenen 
Grundlagen für die Ordnung des menschlichen Lebens, nur waren 
sie nicht schriftlich fixirt. Im weiten Umfang wurden Brauch und 
Herkommen als Stiftung der Gottheit angesehen. So zum Beispiel 
die Weise und Regel des Ackerbaus. Jahve hat den Landmann 
unterwiesen und ihm das Rechte gelehrt. Er ist es namentlich, 
dessen Autorität den ungeschriebenen Gesetzen der Sitte die ver- 
pflichtende Kraft gil)t. „So pflegt man nicht zu tun in Israel", 
„das ist eine Torheit in Israel" und dergleichen Äusserungen des 
verletzten Volksgewissens kehren häufig wieder und bezeugen die 

Vgl. 1. Reg. 8, 21 ^die Lade worin der Bund Jahves lag"; 8, 9 „es waren 
in der Lade nur die beiden Steintafeln, die Moses am Horeb hineingelegt 
hatte, die Tafeln des Hundes, den Jahve mit den Kindern Israel gemacht 
hatte". Mit dem deuter. Ausdruck „Tafeln des Hundes" wechselt im 
Priesterkodex der Ausdruck „Tafeln des Zeuj^nisses", d. h. ebenfalls des 

Gesetzes. Für mVH '2. Reg. 11, 12 lies nnyKH nach 2. Sam. 1, 10. 

WellbAttsen, Prolegomeoa. 5. Aafl. 26 



402 Israel «od das Jiidentriin. Kap. 10. 

Macht der Sitte; als das Motiv sich ihr zu rüi,'eii erscliuini 
liüttesfurcht. „Gewiss ist keine Gottesfurcht lui tliisera Orte xmÜ 
iiiiiii wild mich töten wegen meines Weibes", denk? Älirahiim in 
Ger;ir. „Wie sollte ich so gi'osses Unrecht tun iind wider tiott 
sandigen", sagt Joseph znr Ägypterin. „Die Leute von Öodnm 
waren böse uud smidigten scliwer gegen Jahvo", lieisst es Gen. 13, 13. 
DöBgltiichen Deut. 25, 18: „die Amalekiter griffen Israa) auf 
dem Marach an und mordeten die Nachzüglei-, die nicht recht 
weiter konnten, und fürchteten Gott niclit". Man sieht, Aass diese 
Forderungen dor Gottheit nicht bloss den Israeliten, sondern aJlur 
Welt bekannt sind oud gelten, also nicht auf besondere Ueliote 
üurückgehu — wie denn auch schon lange vor Moses die Erzväter 
ihnen nachkommen. „Ich kenne Abraham — sagt Jahve Gen. i>^, lU 
— darin dasa er seinen Nachkommeu befelilen wird den Weg 
Jahves einzuhalten, Recht und Gerechtigkeit zu üben". 

Viel grösseres Gewicht wird aber auf die besondere Thora 
JiUives gelegt, die nicht allgemein giltige Gesetze des HiuideliiB 
aufstellt, sondern dem Menschen in bestimmten schwierigen Fülli«n, 
wo er selbst sich nicht Rat weiss, den Weg zeigt. Sie gehfirt wir 
ei gen tum liehen ßegabnog Israels (Deut. 33, 4) und zwai' ist sie 
den Priestern nnverti'aut. deren EinÜuss sich, wahrem! der hebräi- 
schen Königszeit, von der wir hier reden, viel mehr auf diesen 
Besitz als auf das Üpferprivileg gründete. Das Yerbum, von dem 
Thora hei^eleitet ist, bedeutet in der ältesten Anwendung Bescheid, 
Entscheid geben. Das Parti<dpium heisst der Dnikelerteller in den 
beiden Beispielen gibeath more und allon more, der leuiterc 
Ausdruck wird durch einen damit wechselnden, erklärt, als „Eiche 
der Weissager". Da wir nun wissen, dass die Priester in den 
Tagen Sauls und Davids durch das Ephod und die damit ver- 
bundenen Lose, die auf eine bestimmt gestellte Doppelfi'age so oder 
so entschieden, Gottessprüche erteilten, so wird sich hieraas ifare 
Thora entwickelt haben'). Die Urim und Thummira gelten uodi 
Deut. 33, H als das wahre und allgemeine Insigiio des Priester- 
staiides; das Ephod wird in den historischen Büchern zum letzten 
mal 1. Reg. 2, 26 erwähnt "), scheint sich abei- noch bis auf Jesaias 
Zeit in Gebraucli erhalten zu haben (Os. 3 4. Isa. 3Ü, 22). Mit 

■) 1. SBin. 14. Ka|.. äS. Kap. 30. 

^ liier ist "liesn XU Icaen stillt ijl« JilS, uLcuso 1, Sain. 14, 18; vgl. 




Die mündliche und die schriftliche Thora. 403 

der Zeit befreite sich, dem allgemeinen Zuge des Geistes folgend, 
die Thora von solchen heidnischen Medien und Vehikeln (Amb. 2, 19). 
Al)er sie blieb ein mündliches Entscheiden und Bescheiden. 
Als Ganzes ist sie immer nur Potenz und zwar Gottes, beziehungs- 
weise der Priester — von diesem Subjekt kann nicht abstrahirt 
werden, die Lehre ist nur als Aktion des Lehrers gedacht. Es 
gibt keine Thora, als fertiges, ohne den Urheber bestehendes, jedem 
zugängliches System; aktuell wird sie bloss in den einzelnen 
Sprüchen, die natürlich allmählich eine feste Tradition begründen. 
„Sie bewahreti dein Wort und hüten dein Gesetz, sie lehren Jakob 
deine Rechte und Israel deine Weisungen". 

Die Thora der Priester scheint zuvörderst einen rechtlichen 
C'harakter gehabt zu haben. In Fällen, wo es eine zuständige Ge- 
walt nicht gab oder die für menschliche Entscheidung zu schwierig 
waren, wurde die Sache in letzter Instanz vor Gott, d. h. vor das 
Heiligtum oder vor die Priester gebracht (Exod. 18, 25 s.). Die 
Priester bildeten also eine Art hödister Gerichtsbarkeit, die jedoch 
rein auf freiwilliger Anerkennung ihrer moralischen Autorität be- 
ruhte und nicht im stände war den Sprüchen durch Zwang Nach- 
druck zu geben: „wenn ein Mensch gegen den andern fehlt, so ist 
Gott Schiedsrichter'^, heisst es 1. Sam. 2, 25 sehr unbestimmt. 
Auch gewisse besonders feierliche Kechtsgeschäfte wurden vor Gott 
vollzogen (Exod. 21, C). Je mehr nun aber mit dem Königtum 
die bürgerliche Justiz ei-starkte, desto mehr musste das Fas das 
Jus aus seinem Schoose entlassen. Die Gotteskenntnis, welche 
Hosea (Kap. 4) als den Inhalt der Thora betrachtet, hängt zwar 
noch immer näher mit der Jurisprudenz als mit der Theologie zu- 
sammen; aber da sie darauf hinausläuft, dass Gott von den 
Menschen Gerechtigkeit und Treue und Wolwollen verlangt, so ist 
sie doch im Grunde Moral, wenngleich die Moral zu jener Zeit 
ihre Forderungen weniger an diis Gewissen als an die Gesellschaft 
stellt. Natürlich hat sich auch eine rituale Tradition schon vor 
dem Exil ausgebildet (2. Reg. 17, 27. 28). Aber nur diejenigen 
Riten werden unter Thora mit einbegriffen, welche die Priester 
andere zu lehren haben, nicht die, welche sie selber ausüben; 
selbst im Leviticus lässt dieser Unterschied sich noch spüi'en, wo 
vorzugsweise die Anweisungen über essbare und nicht essbare Tiere, 
über reine und unreine Zustände, über den Aussatz und seine 
Kennsieichen als Thoroth bezeichnet werden; vgl. Deut. 24, 8. 

26* 



404 



Tsrael und (!a« JuJeuIiim, Eit|i. 10. 



I 



So war tt- in Israel, wnför bis dahin die Zeugnisse beige- 
bracht woiden sind; so war es ituch in Juda. Das Sprichwort: 
„die Thnra wird dem Priester nicht aiisj^ehu noch der Rat dem 
Ältesten noch das Wort dem Propheten", welches zur Zeit Jero- 
mias und Ezethiels gäiig und gäbe war, wird nicht erst damals 
entstanden sein und jedenfalls tatsäuhlich auch anf die frühere 
Zeit passen. Nicht sofern sie opfern, sondern sofern sie weisen, 
erscheinen hier die Priester als Grundpfeiler der geistigen Ordnung 
der Dinge; und zwar ist ihre Thora lebendige Kraft, die dem An- 
lass entspricht und nicht versagt. Von Micha wird ilmeu vor- 
geworfen, daäs sie für (ield bescheiden (H, 1 1), was gleichfalls bezeugt, 
dass ihre Weisheit auf einer nur ihnen zugänglichen Tradition be- 
ruhte; das selbe folgt aus einigen Äusserungen des Deut^ronomiums 
(17,10 s. 24, H). Wie das Gegenstück zn dem oben angeführten 
Spruche (Hier. IH, IH. Ezech. 7, 2f>) lautet die Klage (Lara. 2, VI): 
„Jerusalem ist zerstört, König uud Fürsten unter den lieideu, die 
Thora ist dahin, die Propheten erlangen kein Gesicht von Jahve'; 
nai'hdent das Heiligtum und die Priester zu gründe gegangen, gibt 
es auch keine Thora mehr, und damit ist dem Volksleben die Axt 
an die Wurael gelegt. Bei den uachexilischcn Propheten bekommt 
die Thora, die noch im Deuteronomium (17, 11) wesentlich rech^ 
liehen Inhalts ist, einen stark rituulen Beigeschmack, den man 
früher niclit verepürt; doch ist sie selbst hier noch ein mündliches 
Lehren der Priester (A^. 2, 11). 

Die Priestor leiteten ihre Thora von Moses ab, sie wollten 
nur bewahren und behüten, was Muses hinterlassen hatte (I)eat, 
m,-i. 9 s.). Er galt als ihr Ahnherr (33, 8. Jud. 18, 3U), sein 
Schwäher ist der Priester von Midian am Sinai, sowie au<A 
Jahve gewissermaassen von dem älteren Gott des Sinai abstimmt. 
Aber zugleich galt Moses als der unvergleichliche Anfanger der 
Prophetie (Num. 12, (iss. Deut. 84, 10. Ob. 12, 14), wie denn 
sein Bruder Aliaron gleichfalls nicht bloss Levit (Ex. 4, 14), sou- 
deiu auch Prophet ist (4, 15. Num. 12, 2). Es besteht also eine 
nahe Beziehung zwischen Priestern und Propheten d. h. Sehern: 
wie bei anderen Völkern (1, Sam, G, 2. 1. Reg. 18, 10 vgl. mit 
2. Reg. 10, 19), so auch bei den Hebräern. Nicht die Technik 
des Kultus kennen, die noch sotir einfach und unaiisgebildet ist, 
sondern ein Manu Gottes sein, mit Gott auf vertrautem Fusso 
stehn, (las ist ea, was In ältester Zeit den Priester macht, d. b. 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 405 

den Mann, der für andere den Verkehr mit dem Himmel besorgt; 
der Seher ist vor anderen dazu befähigt (2 Reg. 18, 30 ss.). Der 
Unterschied ist in der frühesten Zeit fliessend, noch Samuel wird 
1. Sam. 1 — 8 als angehender Priester, 1. Sam. 9. 10 als Seher an- 
gesehen. 

Auch als sich später die Priester und Propheten sonderten 
und abschlössen, blieben sie doch in Zusammenhang, sowol im 
Reiche Israel (Os. 4, 5), als auch namentlich im Reiche Juda 
(2. Reg. 23, 2. Hier. 26, 7 s. 5, 31. Deut. 18, 1—8. 9—22. Zach 7, 3). 
Was sie verband, war die Offenbarung Jahves, die durch sie beide 
fortging und lebendig erhalten wurde. Jahve ist es, von dem die 
Thora der Priester und das Wort der Propheten ausgeht; er ist 
der eigentliche Weiser, wie ihn Jesaias in der Stelle 30,20 s. 
nennt, wo er von der messianischen Zeit zum Volke sagt: „nicht 
mehr verhüllt sich dann dein Weiser (^^'^lö), sondern deine Augen 
sehen deinen Weiser und deine Ohren hören die Woiie eines der 
hinter dir ruft: dies ist der Weg, hier geht! — wenn ihr links 
oder rechts abweichen wollt". Thora und Wort sind verwandte 
Regriffe, die sich vertauschen lassen (Deut. 33, 9. Jsa. 1, 10. 2, 3. 
5, 24. 8, 1(). 20). Daher erklärt es sich auch, dass Priester und 
Propheten gemeinsame Ansprüche erhoben auf Moses: als Begründer 
des Kultus wurde derselbe dabei nicht angesehen. 

Den unterschied kann man, in der Periode wo er sich voll- 
kommen ausgebildet hatte, so bezeichnen, dass die Thora der 
Priester einer stetig fortlaufenden, die der Propheten einer inter- 
mittirenden Quelle gleicht, die aber wenn sie sich öffnet um so 
gewaltiger sprudelt. Die Priester gehu den Propheten voran, wenn 
sie zusammen genannt werden; sie haben sich offenbar früher und 
fester konsolidirt. Ihnen ist der Stand und die innerhalb des 
Standes sich fortpflanzende Tradition wesentlich; sie bewahren 
und hüten die Thora (Deut. 33, 9). Eben deshalb, weil sie sich 
so ganz auf die Tradition stützen und von ihr abhängen, ist ihr 
Anspruch auf Moses als ihren Vnter, als den Anfänger und Gründer 
ihrer Tradition, in sich berechtigter^), wie denn auch im gewöhnlichen 
Sprachgebrauch unter Thora überall zunächst und hauptsächlich 

^) Kr ist auch historisch bejurründeter; denn wenn Moses irgend etwas getan 
liat, so hat er das Heiligtum zu Kades und die Thora daselbst begründet 
welclic (iie Priester der JiOde nacli ihm fortsetzten — darin den Faden 
der Geschichte Israels fortspinneud, der durch daa Königtum kräftig 



4(t6 l^ro,.l .ind das .hi,li-Mti„„. K.ip. la ^H 

■liti |)rit!sterliLiho Tlioia vorstaüdcri wird. Die l'ropheten haMl^ 
bükHimtlich keinen Vater (1. Öam. JO, 12), Ihre Bedentung l>eruhf< 
anf den liidividnen; es ist liezeichoend, tlass ans nor von ihnen 
Namen und l.ebeuBbilder erhalten sind. Dem Zuge der Zeit folgend 
t^liedeiTi sie sich zwai- auch zu Korporationen, aber eigentlich heben 
sie dadurch ihr Wesen auf: die Koryphäen stehen immer oinsteln, 
anf sich selber. Der Überlieferung; eines Standes, welche dün An- 
lässen des gewöhnlichen Iiebens genügt, tritt hier die Inspiration 
einzelner Erweckter gogenfiber, angeregt durch ausserurdenlliclic 
Anlässe. Nachdem der (Jeist der ältesten MäJinor Gottes, Jiuses 
iLti der Spitze, in Institutionen gewissermaassen gebannt war, suchte 
und fand er ein neues Ventil in den l'ropheton: das alte Feuer 
brach vulkanisch hindurch durch die Schichten, die einst anch 
Hüssig aus der Tiefe gestiegen, nnn aber erstarrt and abgulu(p;rt 
waroii- 

Das rioi>enselemont dor Propheten iat der Sturm der Wclt- 
gestiliichte, der die Ordnungen der Menschen hinwegfegt, in dorn 
der Schutt der Oeschtochtor mitsamt den Hänsern darauf ins 
Wanken gerät und nur ein (Irund fest bleibt, der selbst keiner 
Begründung bedarf. Wenn die Erde in Heben vergeht, dann 
triuraphireri sie, das-s Jahve allein hoch bleibe. Hie predigen nicht 
Übel' gegebene Texte, sie reden aus dem Geist, der alles richtet 
nnd von niemand gerichtet winl. Wo atiitüen sie sich jemals »nf 
eine andere Autorität als die moralische Evidenz, wo auf ein anderes 
Fundament als ihre eigene Gowissheit? Das gehört zum Bogriffo 
der prophetischen, der echten Offenbarung, dass Jahve, über iillo 
nrdnungsrnässigö Vermittinng hinweg, sich dem ludividnum 
mitteilt, dem Dcrafenen, in welchem der geheimnisvolle und un- 
zergliedorbare Hupport energisch wird, worin die Gottheit mit dem 
Menschen steht. Losgetrennt vom I'ropheten, in abstrat^to, gibt es 
keine Offenbarung; sie lebt in seinem gottmenscblichen Ich. Eine 
Synthese scheinbarer Widerspräche entsteht dadurch : das Subjektive 
im höchsten Sinn, erhaben über alle Satzungen, ist das In Wahrheit 
Objektive, das Oüttliclic. Es bewährt sich als soliiies durch die 
Zustimmung des allgemeinen Gewissens, worauf die Propheten, 



wieder aufgenommen wurde. Die PrO|iheten sind erat mr Zeit Ssoinelä 
bei deo Ilebräern sufuekoiumen: die iyihvr aber waren älter als Hos«a 
und standen schwerlicn seiner Tradition ao nahe wie die Priester an 
Ilpiligttim der Lade .lahvcs. 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 407 

s^erade wie Jesus im Evangelium Johannis, bei all ihrer Polemik 
gegen den hergebrachten Gottesdienst rechnen: sie wollen nichts 
neues, nur alte Wahrheit verkündigen. In der schöpferischsten 
Aktion haben sie das Gefühl vollkommener Passivität; das homo 
tantum et audacia, welches man mit vollem Recht auf Menschen 
wie Elias Arnos Jesaias anwenden könnte, bedeutet bei ihnen das 
selbe wie deus tantum et servitus. Aber ihr Credo steht in keinem 
Huche. Es ist eine Barbarei, einer solchen Erscheinung mit dem 
Gesetz die I*hysiognomie zu verderben. 

3. Es ist ein leerer Wahn, dass die Propheten das Gesetz 
erklärt und angewandt haben sollen. Maleachi (zh 450) sagt 
allerdings 3, 22: „gedenket der Thora Moses meines Knechtes", 
aber wo fände sich sonst ein Analogen dazu! Viel richtiger als 
die Neueren urteilen die Männer, die am Ausgange der vor- 
exilischen Geschichte zurückschauten auf ihre bewegenden Kräfte, 
die göttlichen sowol als die ungöttlichen. Ihnen erscheinen die 
Propheten nicht als die Ausleger, sondern als die ebenbürtigen 
Fortsetzer Moses; das Gotteswort ist in ihrem Munde nicht geringer 
als im Munde Moses; sie sind so gut wie er Organe des Geistes 
Jahves, durch die er in Israel gegenwärtig ist. Die unmittelbare 
Offenbarung an das Volk, heisst es Deut. 18, hat mit den zehn 
Geboten aufgehört; fortab bedient sich Jahve der Propheten als 
seines Mundes: „einen Propheten wie du bist", sagt er zu Moses, 
„werde ich ihnen envecken aus ihren Brüdern und meine Worte 
in seinen Mund legen, dass er zu ihnen rede was ich ihm auftrage, 
und wer auf meine Worte, die er in meinem Namen redet, nicht 
hört, an dem werde ich es ahnden". Ähnlich nimmt bei Jeremias 
die stets rechtzeitig erschallende Stimme der Propheten die gleiche 
Stelle ein, die nach der herrschenden Meinung dem Gesetz zu- 
kommen müsste; nur dies lebendige Befehlen Jahves kennt er, 
kein ein für alle mal gegebenes Testament. „Ich habe euern 
Vätern, als ich sie aus Ägypten führte, nur das befohlen: hört auf 
meine Stimme und wandelt in den AVegen, die ich euch immer 
weisen werde. Von dem Tage an, wo eure Väter aus Ägypten 
gezogen sind, habe ich alle meine Knechte, die Propheten, zu euch 
gesandt, immer frühzeitig sie entbietend, aber ihr hörtet nicht." 
Noch nach dem Exil bei Zacharia (r)20 v. Clir.) begegnen wir 
dieser Anschauung über die Bedeutung der l*ropheten. „So sprach 
Jahve Scbaoth (vor dem Exil zu den Vätern): sprecht wahrhaftiges 



403 Isnirl und da* Jinlentiim, Ksp. 10. 

Itechl Tiiifl üht. iiiilor einajider fiüt« und Barniherni^keit, 
und Witwen uiiii frennUinge und Arme IWrückot nicht, und 
siniiot im Herzen nichts arges gegen irgend wek-hon Bruder! Aber 
sie wallten nicht acht geben und machten ihren Hais starr und 
ihre Ohren tauh und ihre Herzen kioselhart, so dass sin nicht 
hörten die Tliora und die Wort«, welche Juhve Scbnoth <lurch 
seinen Geist durch die alten Propheten sagen Hess, und es kam 
ein grosser Zorn von Jahve Sebaoth. Und wie er rief und sie 
nicht hört«n, so sollen nun auch sie, sprach er, rufen nnd iih will 

niulit hören, und ich will sie verwehen unter die Völker 

Ho spricht Jahve Sehaoth (nach dem Exil zn der Gefjenwart): wie 
ich beschlossen hatte euch erbarmungslos zu strafen, weil mich 
eure Väter erzürnt hatten, so habe ich wieder in diesen Tagen 
beschlossen dem Hause Juda wol zu tun, liirchtet euch nicht! 
Dies ist es was ihr tun sollt: redet unter einander die Wahrheit, 
Wahrheit und heilsames Recht sprecht auf euren Gerichtfistätten; 
and sinnet nichts arges gegen einander und lasset die Lngeii- 
schwüre; denn all so etwas hasse ich, spricht Jahve" (Zach. 7, 
9—14. H, 14—17). Süwol der Inhalt der Thora, auf deren Be- 
fnlgung hifir diu Theokratie gegründet wird, gibt zn denken, als 
auch ihre Uerleitung von den , alten" d. h, vore^ilischen l'rophelen. 
Selbst Ezra kann noch sagen (9, 10.11): „wir haben deine Gebete 
vergessen, die du durch deine Knechte die Propheten liefohlen hast 
und gesprochen: das Land wohin ihr kommt es einKunehmon ist 
ein durch die Greuel der einheimischen Völker bedecktes Land, das 
sie von Rand zu Rand mit ihrer Uureinigkeit angefüllt haben". 
Er hat das Üeuterouomium, Ezechiel, Lev. 17— 26 im Auge. 

Unter denen, die vom Ende aus über den Sinn der abgelanfenun 
Entwicklang nachdenken, nimmt der Verfasser von isa. 40 65, die 
erste Stelle eiu. Die Thora, die er auch das Mischpat (das 
Recht d. h. die Wahrheit nennt), erscheint ihm als das Göttliche 
und Unvergängliche in Israel. Sie ist ihm aber unzertroiuilicb vnn 
ihrem Verkündiger, dem Knechte Jahves (42, 1 — 4. 49, 1 — ß. 
.Ttl, 4 — 9. 52, 13 — ri3, 12). Der Name bezeichnet den Propheten, 
hier wird darunter Israel verstanden, ein Prophet im grossen Stil. 
Der Beruf Israels ist nicht der der Weltreiche, Aufsehen und 
Lärm zu machen auf den Gassen (42, 1—4), sondern der stille, 
die Thora zu verkündigen und zur Anerkeimung zn bringen. Und 
zwar sowol iu Israel selbst als auch unter den Heiden. Prophet 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 409 

ist ja Israel nicht nach seiner eigenen inneren Qualität, sondern 
durch sein Verhältnis zu Jahve nach seinem Beruf als Träger 
der göttlichen Wahrheit; darum ist es kein Widerepruch, 
dass der Knecht bei Israel selbst die Arbeit anfängt. Bisher 
hat er sich nur innerhalb des eigenen Volkes abgemüht, das 
immer geneigt ist, von Jahve und von sich selber abzufallen: 
der Schmach und der Leiden nicht achtend hat er unermüdlich 
den Aufträgen seines Meisters sich unterzogen und dessen Wort, 
verkündigt. Aber vergeblich. Er hat es nicht vermocht, den 
Sieg des Heidentums in Israel abzuwenden, dem nun auch sein 
Sieg über Israel gefolgt ist. Jetzt im Exil hat Jahve das Verhältnis 
zu seinem Volke abgebrochen; die einzelnen Hebräer leben noch, 
der Knecht, das Volk Jahves ist tot. Aber die Thora würde ja 
mit Ihm sterben, die Wahrheit selber der Lüge, dem Heidentum 
unterliegen. Das kann nicht sein, die Wahrheit muss zu Rechte, 
muss an das Licht kommen. Wie dem Apostel Paulus der Geist 
die Bürgschaft der Auferstehung des Wiedergeborenen ist, so un- 
serem Autor die Thora das Unterpfand der Auferstehung Israels, 
der Rechtfertigung des Knechtes Jahves. Der endliche Triumph 
der Sache, die Gottes Sache ist, wird alle Ei-wartungen übertreffen. 
Nicht bloss in Israel selbst wird die Thora, wird der Knecht 
Jahves durchdringen und die Neugeburt des Volkes bewirken, 
sondern die Wahrheit wdrd nun von Israel aus leuchten in alle 
Welt und unter allen Heiden zum Siege kommen (49, (>). Dann 
ergiebt sich, dass die Arbeit des Knechtes, so vergeblich sie bis 
zum Exil geschienen hat, doch nicht umsonst gewesen ist. 

Ich brauche wol nicht noch auseinanderzusetzen, wie unge- 
mein lebendig, ich möchte sagen wie ungemein geschi<'htlich hier 
der Begriff der Thora gefasst ist, wie gänzlich inkompatibel er 
ist mit dem „der Thora Moses". Sie wäre am ersten zu ver- 
gleichen mit dem Logos des johanneischen Prologs, wenn man 
denselben nach Joh. 10, 35 und nicht nach Philo versteht. Wie 
Jesus die Mensch gewordene, so ist der Knecht Jahves die Volk 
gewordene Offenbarung Gottes. Die Ähnlichkeit ihres Wesens und 
ihrer Bedeutung bringt die Ähnlichkeit ihres Wirkens und Lei- 
dens mit sich, so dass in der Tat die messianische Deutung von 
Isa. 52, 13 — 53, 12 nahe genug liegt. 



Isrui'l kikI iIjh 



1. Im Ift, .liihro dos 
DeuttirniioiDiiim (jcruiKli'u iinil veriin'eiiliii^ht. Es 
Fundhorichte 2. Uv>g. 1% 23 i 



i-rl t 
s Buch iIltTIioi 



(Ihorichte 'l. \\«g. 22. 2fi immer das Buch iIlt Thorfi srlilerht- 
liin ^eiiaunt: es war als» das ei'st« und .«eiiier Zeit dati cinzi;^. 
Schon früher freilich hatte» nicht liloss die Propheten ihre lt«den, 
sondorn wol auch die Priester manche von ihren Sprüi-hon aof- 
fjüneichnct; es wäre möglich, wie Vatito vermutet, dass wir z.H. 
in dem sinaitischen llumlesbuche ein Dcnkinal ihres Geistes bu- 
sitzen. Das Deuterenomium aber, welches solche ältere Aufsütxe 
voraussetzt und vielfjwh das .Material daraus putuimmt, iint«- 
scheidet sich vou ihnen nicht bloss durch seinen weit grnsseron 
Umfang, sondern auch durch seine weit höheren Ansprüche. Ks 
Ist mit der dentlichen Absicht verfasst, nicht PrlyataufzoichnunR 
zu bleiben, sondern als Ruch öllontliche fieUuni; zu orlaugen. 
Der Versuch, eine bestimmt formiilirto schriftliclie Thora ziliii 
Hetchsgesetz zu machen, gelang zunächst ülier allos Erwaricu. 
Freilich trat dann wieder eine Reaktion ein, aber ilas hahylonische 
Kxi! vollendete den Sieg des (Jesi^zes. Einer ungeheuren Auf- 
regung war damals die tiefste Depression gefolgt (Am. 8, 1 1 ae,). 
1(1 einer solchen Zeit klammerten sich die, welche an der Zukauft 
nicht vorzagten, au den geistigen Ei'werii der Vei'gangenheit, Zur 
rechten Zeit war derselbe, mit Rücksicht auf die praktische An- 
wendung im bürgerlichen und religiösen Loben des Volke«, im 
Deuteronomium gebucht worden. In dem allgemeinen Ruin ging 
das Buch der Thora nicht unter, sondern blieb bestehn und wani 
der Kompass für die, die auf ein neues Israel hiiisteuertou. Wie 
sehr mun es als Norm zu benutzen entschlossen war, zeigt die im 
Kxil unlernomniene Itearbeitang de» Hoxatcnchs und der histori- 
schen Bücher. 

Mit dem Erscheinen des fiesetzes hörte die alte Freiheit anf, 
nicht bloss auf dem Gebiete des Kultus, der nun auf Jerusalem 
beschränkt wurde, sondern auch auf dem Gebiete des reli^Öaon 
Geistes. Es war jetzt eine höchste objective Autorität vorhanden: 
das war der Tod der I'rophetie. Denn für diese war es not- 
wendig, dass das Unkraut zwischen dem Weizen aufwachsen (Jurfte. 
Mögen auch die Merkmale, welche da? Deuteronomium aufstellt 
um den wahren Propheten vom falschen zu unterec beiden, recht 



Die muudliche und die schriftliche Thora. 411 

allgemein und recht unpraktisch sein, so spricht sich die Tendenz 
der Kontrolirung und Unifoimirung doch klar darin aus, und sie 
ist das epochemachende. Es war freilich nicht die Absicht des 
Gesetzgebers, die mündliche Thora oder das freie Wort zu beein- 
trächtigen. Aber diese Konsequenz, durch die äusseren Umstände 
begünstigt, war nicht zu vermeiden; die Empfindung, dass es 
mit den Propheten aus sei, hat nicht erst in den makkabäischen 
Kriegen begonnen. Wir hören schon früher die Klage, dass die 
Weisung der Priester und das Wort der Propheten verstumme (Lam. 
2, 9); V'S wird gefragt, wo der geblieben sei der in der Vorzeit 
seinen Geist in Israel hineingelegt habe (Isa. 63, 11); in der Zeit 
Nehemiiis wird eine zweifelhafte Frage wenigstens theoretisch in 
der Schwebe gelassen, bis „der Priester mit Urim un<l Thummim" 
d. h. ein mit zuverlässiger Weissagung Betrauter erscheine (Neh. » « 
7, ();')). Man darf Jeremias den letzten der P roj}hcten nennen^ ); 1 \ 
die nach ihm kamen, waren es ritTf dem Namen nach. Ezechiel 
hatte ein l^uch verschlungen (3, 1 — 3) und gab es wieder von 
sich. Wie Zacharia so nennt auch er schon die vorexilischen 
Propheten, im Bewusstsein seines Epigonentums, die alten Pro- 
pheten; er sinnt über ihre Worte nach wie Daniel und kommen- 
tirt sie durch seine eigene Weissagung (3H, 17. 39, 8). Viel eher 
verdient der Verfasser von Isa. 40 ss. ein Prophet zu heissen, 
aber er will keiner sein, seine offenbar beabsichtigte Anonymität 
lässt darüber nicht in Zweifel. Er ist in der Tat mehr Theologe, 
er reflektirt vorzugsweise über die Resultate der vorhergegangenen 
Entwicklung, deren Sauerteig die Proi)hetie war, wie über ge- 
wonnene feste Güter, er heimst die Ernte ein. Was die nach- 
exilischen Propheten betrifft, so haben wir schon gesehen, da^ss 
Zacharia von den alten Propheten als von einer abgeschlossenen 
Reihe redet, zu der er sich selbst und seinesgleichen nicht rechnet. 
In der seinem Buche angehängten Schrift eines späteren Anonymus 
findet sich folgende merkwürdige Äusserung: „in jener (erhoflten) 
Zeit spricht Jahve, tilge ich die Namen der (lötzen aus dem Lande, 
dass sie nicht mehr erwähnt werden, und auch die Propheten und 
den unreinen Geist lasse ich aufhören; und wenn ein Mensch noch 

') Jeremias, der in seinen jünj^^cren Jahren an seinem Teile heigetraj^'en 
hatte zur Einfühnin«,' des (resetzcs, zei«(t sich spater über dessen AVir- 
kun;; wenig erbaut: zur liilgc habe geschrieben der Lügengritfel der 
Schreiber. Die Leute versclimrihten das prophetische Wort, da sie die 
Thora schwarz auf weiss besassen (8, 7 — 9), 



412 



lim, K-ip. 10. 
11 ZQ ihm 



: du ht9 



Kltoni 



\^ 



wcissH>ien will, mt werden seine Filtern za ihm sagcu: 
Todes weil du Läge redest im Namen Jahves, und 
werden ihn durchbohren, wenn er weissagt". 

2. Das IJenteroiiomiam indessen w:u' ein Programm für eine 
Kofonnatiou, nicht für eine Restauration. Es setzte das Itesltihn 
des Kultus voraus und korrigirto ihn nur in gewissen allgemcinoo 
Punkten. Aber nun war der Tempel «erstürt und der Gottes- 
dienst unterbrodien, die Praxis von ehemals omsste aufgezeichnet 
werden wenn sie nicht untergehen soUtu. So kam es, da.ss im 
Exil das Kultuaverfahren Gegenstand der Thora wunle," wolici 
natürlich neben dem restaurirenden der reform a lorische Gesichts- 
punkt fortwirkte. Wir haben gesehen (p. ftJs.), dass Ezechiel der 
erste wai-, der diesen durch die Umstände indicirton Schritt tat. 
In dem letzten Teile seiner Schrift hat er den Anfang gemacht 
mit der Aufzeichnniig des im Tempel von Jerusalem üblich ge- 
wcsenen Rituals, Andere Priester schlössen sich ihm an (I^v. 17 
bis 26), und so entstand ans diesem Stande im Exil eine Art Schule 
von Leuten, die was sie früher praktisch betrieben hatten, jetxt 
anf Schrift und in ein System brachten. Nachdem der Tempel 
wieder hergestellt war, liielt sich doch der theoretische Eifer und 
bildete in Wechselwirkung mit der erneuerten Praxis das Ritual 
noch weiter aus; die in Babylon verbliebenen Priester nahmen aus 
der Ferne nicht weniger Anteil am heiligen Dienste als ihre mit 
der Ausübung desseliien beschäl'tigten Brüder zu Jerusalem, die 
unter widrigen Umstanden lebend es mit der peinlichen Refolgang 
der festgestellten Observanzen nicht so genau gehalten zn haben 
scheinen. Das letzte Resultat dieser langjährigen Arbeit ist dar 
Priesterkodex. Man hat zwar gesi^t, die Schöpfung eines solchen 
Werkes könne einer Zeit nicht «ngetraut werden, die nur bu 
repristiniren suche. Zugegeben, dass das letztere Urteil richtig 
wäre, — zum künstlichen Systematisiren vorhandenen Materials ist 
gerade eine solche Zeit durchaus geeignet, und wesentlich darin 
besteht die Originalität des Pi'iesterkodex '). 

Der Priesterkodex, eingearbeitet in den Pentateuch als deseen 
maassgebender legislativer Bestandteil, wurde das definitive n°">~ 

') Dillmami findet, ee aei die mttürlicbste Anmthme von dt^r Wdt tmd ans 
ACn (!) iinch XU erweisen, dnss div PricNtiTBcliaft Ai-s ('eatrnlbciligtumc» 
schon in attcr iCuit ihre Tlmr.i uiifsclirieli : Anns nma erst iiu Rxil null 
in Uitlijlodiüii, no man gar Iteinea Ciulti'sdieust iLalt«, die |irit<stFrIkbeu 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 413 

saische Gesetz". Als solches wurde er publicirt und eingeführt \ 
während der Statthalterschaft Nehemias, in der zweiten Hälfte der 
Regierung des Königs Artaxerxes Longimanus, durch den baby- 
lonischen Schriftgelehrten Ezra. Ein Bericht darüber, dessen An- 
fang und damit auch die Jahresangabe leider abgeschnitten ist, 
ist uns erhalten in Neh. 8 — 10. Am 1. Tage des 7. Monats ver- 
sammelte sich alles Volk wie ein Mann auf dem Markt vor dem 
Wassertore, und Ezra wurde aufgefordert das Buch des Gesetzes 
Moses vorzubringen, das Jahve Israel geboten. Der Schriftgelehrte 
bestieg eine hölzerne Kanzel, je sieben Priester traten ihm rechts 
und links zur Seite. Wie er das Buch aufechlug, erhoben sich 
die Anwesenden, Männer und Weiber; mit lautem Amen stimmten 
sie in den Eingangssegen ein, erhoben die Hände und warfen sich 
zu Boden. Darauf las er vor, vom fiiihen Morgen bis zum Mittag, 
in kleinen Absätzen, welche von einer Anzahl unter der Menge 
zerstreuter Leviten wiederholt und erklärt wurden. Die Wirkung 
war, dass ein allgemeines Weinen sicli erhob, weil man sich be- 
wusst war bis dahin die Gebote Gottes nicht befolgt zu haben; 
Nehemia und Ezra und die Leviten mussten die Aufregung 
dämpfen und sprachen: der heutige Tag ist Jahve eurem Gott ge- 
weiht, trauert nicht und weint nicht, geht hin, esst was fett ist 
und trinkt was süss ist, und gebt denen ab die nichts mitgebracht 
haben! Da zerstreuten sich die Versammelten und veranstalteten 
„eine grosse Freude", weil sie die Worte verstanden hatten, die 
ihnen mitgeteilt waren. Am anderen Tage wurde die Verlesung 
fortgesetzt, aber bloss vor den Familienhäuptera, und zwar kam 
ein zeitgemässes Stück an die Reihe, nämlich die Verordnungen 
über die Feste, insbesondere über das unter grünen Zweiglauben 
zu feiernde Hüttenfest am In. Tage des 7. Monat, desjenigen, in 
dessen Anfang man gerade stand. Mit grossem Eifer ging mau 
daran, die seit den Tagen Josuas ben Nun nicht rite begangene 
Feier nun nach der Vorschrift des Gesetzes Lev. 23 zu rüsten, und 
mit allgemeiner freudiger Betheiligung beging man sie vom 15. bis 

und gottesdienstlichen (Jesetzc aufgeschrieben oder sogar erst gemacht 
hal»o, sei widersinnig. Widersinnig immerhin, wenn nur wahr. Kin 
Fortschritt ist es niclit, gleichwo! ein Faktum, dass auf die Könige die 
Hohenpriester folgten un<l auf die Propheten die Kabbinen. Ks soll 
übrigens doch öfter vorkommen, dass die traditionelle IVaxis erst auf- 
geschrieben wird, wenn sie auszusterben droht, und dass ein Buch so zu 
sagen Revenant eines abgeschiedenen Lebens ist. 



414 Israel uud dos Judentum, Kap. 10. 

2'2. des Monats '). Am 24. aber ward in Hank und Asc 
grosser ßusstag gehalten. Mit der Gesetzealektioii wurde am-h jcW ' 
liogonueii, ilaranf fulgte ein SüQdenfjekeniituis, das im Niinien des 
Volkes von den Leviten ifesprodien wurde und mit der Bitte um 
Gnade und Erbarmen scbloss. Das war die Vorliereiluug zu dem 
Haupt- und Schliissakte, worin die weUlicIien und geistüdieii Bo- 
amtcn und Ältestea der Gomeiude, fünfnudachtzig au der Zahl, 
siüh schriftlich auf das durch Ezra veröffentliclite^esetzbnch ver- 
pflichteten, alle übrigen aber sich mit Eid und Fluch verbindlich 
machten zu wandeln in der Thora Gnttes, gegeben durch seineu 
Diener Moses und zu halten alle Gebote Jahves und seine Satzungen 
uud Rechte. Besonders zur Nachachtung hervorgehoben wurden 
die Bestimmungen des l'entateuchs, welche direckte Bedeutung für 
das Volk hatten — der grüsste Teil bezieht sich ja auf das Ritual 
der Priester — und darunter namentlich diejenigen, welche die 
Aiigaben der l.aieu an die Priester Ixitrufeu, auf denen die Existenz 
dar Hierokratie ruhte'). 

Verwunderlicher Weise haben die Alttestamentlichen Kritiker 
bis auf Kuenen dieser merkwürdigen Ei-zählung wenig Wiciitigkeit 
beigelegt.: erst Kuenen hat sie nach ihrem vollen Wert gewürdigt. 
Es liegt auf der Hand, dass wir in Neh. S — 10 eine genaue 
Parallele zu 2. Reg. 22. 23 haben. Insbesondere zu 23, 1 — 3: 
Josia liess alle Ältesten von Juda und Jerusalem zusammenkommeu 
und zog mit den Männern Jud;i9 und den Bewohnern Jerusalems, 
mit den Priestern und Propheten und allem Volke hoch nnd 
niedrig, hinauf zum Hause Jahves; dort las er der Vei'sammliuig 
alle Worte des Gesetzbuchs vor und vorpilichtete sich mit üllem 
Volke vor Jahve, zu halten alle Worte dieses Buches, Gleichwie 
bezeugt wird, dass das Deuteronomium im Jahr 621 bekannt ge- 
worden, bis dahin unbekannt gewesen ist, geradeso wird bezitugt, 
djL'W die anderweitige Thoru des Peutatenclis — denn d.-iss ilas 



I) Acht Tage lang, nach Lev. S3, 39 gegen Deut 16, 13—15. 

') Dio innere Glaub Würdigkeit des taktiäclien (lehalta der Eriäliliin); betongt 
sich selber. I>ass der Chronist sie iiir.ljl sclher verfüsst, sondern aas 
seiner U&uptquelle entlehnt hat, ans der auch die Fragmenle dvt UcmoiniD 
Exros und Nehetnias mit^etcill sind, i<r|,'il>t sich daraus, dass ttr, ind«n 
er ia Ksdr, ^ das Kap. Neh. 7 abschruilit, uiiwillkärlicli auch noch dMi 
Anfunj,' vuu Neh. 8 ('= Ksdr. 3, 1) hiuiuoiinrnt Also fand er scUm 
Null. 7 und 8 in der jetzigen Verbindung vor und srhrieb nlchi i' 
die Kap. 8 ss. «elber. 




Die. mundliche und die schriftliche Thora. 415 

Gesetz Ezras der ganze Pentateuch gewesen ist, unterliegt nach 
Neh. 9 und 10, 30 ss. keinem Zweifel — in der zweiten Hälfte des 
fünften Jahrhunderts bekannt geworden, bis dahm unbekannt ge- 
wesen ist. Es erhellt zunächst unwidersprechlich, dass das 
Deuteronomium die erste, die priesterliche Thora die zweite Stufe 
der Gesetzgebung ist. Weiter aber wii'd man den selben Schluss, 
den man für die Abfassungszeit des Deuteronomiums aus der uo < ' 
Publicirung und Einführung durchJosia zu ziehen pflegt, für die 
Abfassungszeit des Priesterkodex aus der Publicirung und Einführung / ,/. ' 
durch F^zra und Nftheii[^ ia zu ziehen ha ben. Es bedarf sehr ge- 
wichtiger innerer Gründe, um die auf einer höchst positiven 
Nachricht beruhenden Wahrscheinlichkeit zu entkräften, dass die 
Kodificirung des Kituals eret in der nachexilischen Periode vor sich 
gegangen ist. Wie es mit solchen inneren Gründen beschaffen ist, 
haben wir gesehen. 

3. Ezra und Nehemia, und die fünfundachtzig Männer der 
Grossen Versammlung (Neh. 8 ss.), die als Unterzeichner des Bundes 
genannt werden, gelten der späteren Tradition als die Begründer 
des Kanons. Nicht mit Unrecht, nur müsste mit noch grösserem 
Rechte der König Josia dafür angesehen werden. Die Einführung 
des Gesetzes, zunächst des Deuteronomiums, sodann des ganzen 
Pcntateuchs, war in der Tat der entscheidende Schritt, wodurch 
die Schrift an Stelle der Rede trat und das Volk des Wortes ein 
Volk des Buches wurde. Dem Buche haben sich die Bücher 
mit der Zeit angeschlossen; jenes wurde in zwei auf einander 
folgenden Akten, förmlich und feierlich eingeführt, diese gewannen 
unter der Hand eine ähnliche öffentliche Geltung für die jüdische 
Gemeinde. Der Begriff des Kanons geht durchaus von dem der 
schriftlichen Thora aas; auch die Propheten und Hagiogra})hen 
hcissen bei den Juden Thora, wenn auch nicht Thora Moses. 

Über die Entstehung des Kanons, welche dank den beiden 
Erzählungen 2. Heg. 22. 23. Neh. 8 — 10 vollständig im Licht der 
Geschichte \\^'>^'i ist sich die herkömmliche Einleitungswissenschaft 
höchst unklar. Josia, pflegt man sich etwa voranstellen, hat zwar 
das Gesetz aber nicht den Kanon eingeführt, Ezra umgekehrt zwar 
den Kanon aber nicht das Gesetz. Eine Analogie, die von dem 
sekundären Teil des Kanons, von Propheten und llagiographen, 
hergenommen ist, überträgt man ohne Besinnen auf den primären, 
auf die Thora Moses. Wie die historischen und prophetischen 



41ß 



Israel tind das Judentmn, Kap. 10, 



ItÜL-ber zum teil lunge existirt haben ehe sie kaiionisi'h wurden, 
so, glanbt man, werde es auch mit dem Gesetze gegangeu sein. 
Indessen beim Gesetze liegt die Sache wesentlich aiidci-s. Das 
Gesetz will gesetzliche Geltnng haben, will Gemeindebuch sein: i 
6in_^Jntgi:gchied_ aaisctien_Jjesetz und Kanon ist nicht vorhatidon. ' 
Es ist darum leicht zu begreifen, daws dieT£ora7"'on^Trf— Äß" 
schrift«teIlerjBches Produkt jünger als die geschichtlichen and pru- 
phetischeu Bücher, dennoch als Gesetz älter ist als jene Schriften, 
die ja urspmnglich und ihiein Wesen nach gar keiuen gesctzlicheu 
Charakter tragen, sondern denselben uccessorisch erlaugt haben, 
im Änscbluss an ein vorliandones eigentliches Gesetz. 

Erkennt man au, dass der Kanon das Judentum vom allen 
Israel unterscheidet, so erkennt man auch an, dass die schriftliche 
Thoru das Judentum vom alten Israi'l untei'scheidet. Das Wasser, 
das in diT Vergangenheit gequollen war, fassten die EpigoneD in 
eist erneu. 



Elftes Kapitel. 




Die Theorkratie als Idüc und als Anstalt 

Mit den Ausdrücken Theokratie und theokratiscb s 
Neuereu, ohne über ihren Sinn und die Berechtigung 
Wendung sich Uocbenschaft zu geben. Mau weiss aber, 
Josephns das Wort DEoxpam gebildet hat'), und es ist bekannt, 
dass diesem Schriftjsteller, wenn er von der mosaischen Verfassung 
redet, das heilige Gemeinwesen seiner Zeit vor Augen schwebt, 
wie es bis zum Jahre 70 nach Chr. beschallen gewesen ist Im 
alten Israel hat in der Tat eine Theokratie als Verfassungsforiu 
nie bestanden. IJie Herrschaft Jahves ist hier eine ideale Vor- 

änaaiv iyVp&r.oK haif^pal. 'A (liv yäp lUnap-^itK, nX ii taic äXifiuv Suva- 
oxtlaii, jXXal ik nie i^.^^Bi^iv tnlipc^av Ti|v iioMalav tüv noXiveUftirDM. 
'0 i' Witpe; vemBiTTis i't fi* toünov oüS' bxtmi dicilSiv, ätt S' äv tis 

8i(f t)',v i(>-^)V rrti -.i tfdros dvahff (contra Apion, 2, 161). 




Dil; 'l'lic!i>kr>iti<' Ms Idi'i.' und uU Atiat:ilt. 



Jli 



» 



stellniig; erst seit dem Exil werden Versuclie gemacht, sie als 
Herrschaft des Heiligen mit änsserlicheti Mitteln zu realisiren. Es 
ist vielleicht das Haiiptverdienst von Vatkea Biblischer Theologie, 
die Etität«hiU]g der Theokratie und die Metamorphose der Idee zu 
einer Anstalt durch die Jahrliundert« verfolgt zu haben. 



Dass Moses den Pentaieucli geschrieben liubo, wird von 
den Vertretern der herrschenden Meinung geleugnet, desto bestimmter 
aber Testgehalten, dass er die Gemeinde der Stiftshütte in der 
Weise organisirt habe, ivie es im Priesterkodex beschrieben ist. 
Es scheint dabei die Ansicht zu gründe zu liegen, dass er ja sonst 
überhaupt keine Bedeutung gehabt habe: al^ ob es nicht auch 
etwas wäre, einen Samen in den Acker der Zeit zu streuen, den 
das daraus entspringende Spiel der Wirkungen und Gegenwirkungen 
in einer Ewigkeit aur Reife bringt. In Wahrheit ist Moses etwa 
in dem gleichen Sinne der Urheber der „mosaischen Verfassung", 
wie Petrus der Stifter der Römisdien Hierarchie. Von der angeblich 
nralt«n heiligen Oi^antsation ist in der Zeit der Richter und der 
Könige nichts zu merken. Sie soll eine Art pädagogischer Zwangs- 
jacke gewesen sein, um den ungebändigten Eigenwillen der Hebräer, 
zu brechen und sie vor schlechten Einflüssen von aussen her zu 
bewahren. Wollte man aber auch zugeben, ditss eine Verfassung 
des Altertums so ausser allem Verhältnis zu dem eigenen inneren 
Leben des Volks entgtanden sein könne, so tritt doch an der Ge- 
schichte des alten Israels nichts mehr hervor als die ungemeine 
Frische und Natürlichkeit ihrer Triebe. Die handelnden Persouen 
treten durchweg mit so einem Muss ihrer Natur auf, die Männer 
Gottes nicht minder wie die Mörder und Ehebrecher; es sind Ge- 
stalten, die nur in freier Luft geraten. Das Judentum, welches 
die mosaische Verfassung verwirklicht und konsequent fortgebildet 
hatte, liess für die Individualität keinen Spielraum: im alten Israel 
war das göttliche Recht nicht bei der Institution, sondern bei dem 
Creator Spiritus, bei den Individuen. Sie redeten nicht bloss, wie 
die Propheten, sondern sie handelten auch, wie die Richter und 
Könige, aus freier Initiative, nicht nach einer äusseren Norm, uud 
dennoch und gerade darum im Geiste Jahves. Höchst charakteristisch 
zeigt sich der Unterschied der Zeiten in der Auffassung Sauls nach 
den beiden, oben (p. 24yss.) gesonderten und verglicheneu Versionen. 



418 



Israel und da« 



liiiji, Kap. 10. 



I 

I 



2. Es igt eine ßiufuülie aber sehr wichtige ßemerknng Ym 
Aass die im Pricsteikodex so weitläufig beschriebene heilige Ver- 
fassnng der Gemeinde durdians QDvolIständig soi und dasjenige 
voranssetze, was zu gründen zur Zeit Moses die Hauptsache ge- 
wesen wäre, nämlich den Staat, ohne den doch auch die Kirche 
nicht bestehn kann. Um einen reichen und kostspieligen Kultus 
und einen ungeheuren Schwärm von Klerikern zn unterhalten, 
waren erhebliche Steuern und Abgaben nötig; um selbige einzu- 
treiben, um ferner daa Ansehen der heiligen Pei-sonen und Ein- 
richtungen, um namentlich die strenge CentralisiJ'uug und l'ni- 
formirung des legitimen Gottesdienstes bei einem immerhin ruhen 
Volke aufrecht zu erhalten, daisu bedurfte es einer (.<?L;ekutiveQ 
Macht, die das ganze Volk umspannte und in der Gewalt hatte. 
Wo aber ist die einheitliche Gewalt in der Richterperiode? üie 
Hauptbefugnisse wohnten dnm.ils den kleinsten Kreisen bei, den 
Familien und Gesclilechtern; sie waren wenig heachränkt, wie os 
scheint, durch die übergeordnete stacht des Stammes, und den 
BegriiF des Staates oder Reiches gab es überhaupt noch nicht. Zu- 
weilen vereinigten sich die verwandten Geschlechter, wol auch die 
benachbarten Stämme, zu gemeinschaftlichen Unternehmungen; 
aber nicht auf gruud irgend welcher verfassungsmässigen Ordnung, 
sondern in der Not, vorausgesetzt dass ein hervon^agender Iitaim 
sich fand, der an die Spitze trat und ein erfolgreiches Aufgebot 
erliess. Diese voräbergehendon Verbindungen unter Herzögen waren 
die Voratufe einer dauernden Vereinigung unter einem Ki>iuge{ 
schon zur Zeit des Midianiterkriegs scheint ein Ansatz dazu ge- 
macht worden zu sein, der aber nicht recht einschlug. In dem 
schwierigen und langwierigen Kampf gegen die Philister trat du 
Bedürfnis nach einer festen Einigung der Stämme unabweislidi 
liervor, und es fand sich auch der Mann für die Zeit. Sani, ein 
vornehmer Benjaminit aus Gibea, ward vom Zorn überwältigt wegen 
der höhnischen fierausforderong, welche sich damals sogar die 
Ammouiter den Hebräern gegenüber erlaubten; nicht durch irgend 
ein Amt, nur durch den eigenen Drang berechtigt rief er seine 
Landslente zum Kampfe auf: sein Enthusiasmus wirkt« ansteckend, 
Scheu erregend. Ganz wie einer der früheren Richter begann er 
seine Laufbahn, aber als er zum Siege geführt hatte, da wurde er 
nicht wieder los gelassen. Der Gesuchte, der König war g»* 
funden. 




L' und a\s Au^lall. 



419 



I 

^m Aus 80 iiatüriiclieii Anlangen entstand damals der Staat., ohne 
V}ede Anlehnung au die Form der „mosaischen Theokratie"; er 
trägt alle Merkmale einer neuen äihöpFung an sich. 8aul und 
David haben ans den hebräischen Stämmen erst ein wirkliches 
Volk im politischen Sinne gemacht (Deut. 33, 5). David blieb 
auch den Späteren unzertrennlich von der Idee Israels, er war 
der König schlechthin; Saul wurde verdunkelt, aber beide zu- 
sammen sind die Gründer des lieichs und haben insofern eine viel 
allgemeinere Bedeutung als alle ihre Naclifolger. Sie sind es ge- 
wesen, die dem öffentlichen Leben Mittelpunkt und Inhalt gegeben 
haben, ihnen verdankt die Nation ihr geschichtliches Selbstbewosst- 
sein. Auf dem Königtum gründet alle weitere Ordnung, auf diesem 
Boden wachsen die übrigen Institutionen hervor. In der Richter- 
zeit heisst ea, tat jeder was er wollte, nicht weil damals die 
mosaische Verfassung nicht in Kraft, sondern weil kein König im 
Lande war. Auch aul religiösem Gebiete sind die Folgen sehr 
wichtig gewesen, sofern durch den politischen Aufschwung des 
Volkes auch das historisch-nationale Wesen Johves wieder in den 
Vordergrund trat, nachdem der alte Gott der Wüste, durch die 
während der Hichferzeit erfolgende (übrigens völlig notwendige) 
Übernahme des kanaanitischen Fcstkultus in seinen Dienst, eine 
Zeit lang in Gefahr geschwebt hatte ein Gott des Ackerbaus und 
der Viehzucht zu werden wie Baal-Dionysus. Der Festkaltus blieb 
zwar noch lange die Quelle des Heidentums, wurde aber doch 
immer mehr seines Niitnrcharakters entkleidet und musste schliess- 
lich eine Beziehung zur Niition und ihrer Geschichte annehmen, 
um sich überhaupt zu halten. Die Beziehung Jahves zu Volk und 
Ueich stand felsenfest; auch dem schlimmsten Götzendiener war 
er der Gott laraeis; im Knege fiel es keinem ein, von einem 
anderen als Jahve Sieg und Heil au erwarten. Das war die Frucht 
davon dass Israel ein Reich geworden war; das Königtum Jahves, 
in der politischen Bestimmtheit wie es gedacht wird, ist der 
religiöse Ausdruck der Staatsgründung durch Saul und David. Die 
Theokratie war eben der Staat selber; den bürgerlichen Staat sahen 
die alten Israeliten als ein Wunder oder, wie sie sich ausdrückten, 
als eine Hilfe Gottes an. Die späteren Juden setzten bei ihrer 
Anschauung von Theokratie den Staat immer schon als bestehend 
voraus und konnten darum die Theokratie als ein besonderes geist- 



liches Wesen darüber 



•21' 



420 



Iära(-1 imii da^ Jiii 



, Ku[.. U). 



'i. Das Reich Sauls uiid iJaviils hielt Bioli uicJit laoge ÄuP" 
seiner Höhe. Schun mit der Spaltung begann der Verfall; seit 
die Äasyrer aus Tor klopften, brach er nnaufhalisam herein. Aber 
am so lebhafter hielt man die Zeit der Blüte und Macht in Er- 
inneruug, man hoffte auf ihre Wiederkehr. Durch deii Kontrakt 
der trüben Gegenwart gegen die glänzende Vergangenheit entstand 
das Bild des Staates wie er sein sollte; dem Znatnnde innerer 
Anarchie nnd äusserer Zertrümmerung, worin er damals sich be- 
fand, setzten die Propheten das Muster der Theokratie entgegen. 
Die Theokratie, wie die Propheten sie sich vorstellen, ist nicht 
artverechietien von dem politischen Gemeinwesen, etwa wie eine 
geistliche von einer weltlichen Grösse; sie beruht \ielmehr auf den 
selben Grundlagen wie jenes nnd ist eben nur die Idee desselben. 
Ihre klassische Ausbildnng hat Jesaias dieser Idee gegeben, 
in den Zukunftsbildern, die man messianische Weissagungen za 
nennen sich gewöhnt hat. Es werden hier nämlich nicht zufällige 
Dinge vorausverkündet, sondern Ziele aufgestellt, deren Verwirk- 
lichung zwar erst von der Zukunft erwartet wird, die aber schon 
in der Gegenwart Geltung haben oder haben sollten, zu denen das 
Gemeinwesen seiner wahren Natur nach Mnstrebt. 

Die Austreibung der Assyrer ist der Zug, mit dem die 
messianischen Schilderungen beginnen; aber der Hau ptnachd ruck 
wird gelegt auf die Herstellung der inneren Grundlagen des Staates, 
deren Morschheit auch die äussere Krisis herbeigeführt und not- 
wendig gemacht hat. Die Zerrüttung des Kegiments, das Dar- 
niederliegen des Gerichtes, die Ausbeutung der Schwachen durch 
die Mächtigen sind die Schäden, die roparirt werden müssen. „Wie 
ist die ehrbare Stadt zur Hure geworden, sie war voller Gericht, 
Gerechtigkeit wohnte in ihr — und nun Mörder! Deine Amtleute 
sind Schurken und Diebesgesellen, alle lieben sie Geschenk und 
jagen nach Bestechung, der Waise schaffen sie nicht Recht, um! 
einer Witwe Sache kommt nicht vor sie. Darum spricht der 
Herr: o ich will mich letzen an meinen Widersachern tmd au 
meinen Feinden mich rächen! und will meine Hand gegen dich 
kehren, Sion, und wie mit Lauge ausschmelzen deine Schlacken, 
und will deine Richter machen wie zuerst und deine Ratdeate 
wie zu Anfang; darnacJi wird man dich eine gerechte ehrb&n 
Stadt nennen. Sion wird durch Gericht erlöst werden und ihre 
Einwohner durch Gerechtigkeit" (1,21 — 27). Immer hat der 



|iie TIrt'okrutiu hIs l<li'i:! 



421 



Prophet das vorhamletio natürlidio, nie eiii durch absonderlicho 
Heiligkeit seiner Orgauisatioii ftusgezeiclinetes rtemeinwesen vor 
Äugen. Das R«ich Jahves ist ihm voUkommeii identisch mit dem 
Reiche Davids; die Aufwallen, die er an dasHeline stellt, sind 
politischer Natur, etwa solche, wie man sie ^e^'enwärtig im das 
Türkenreiih stellen müsste. Von Unterschied zwischen mensch- 
lichem nnd göttlichem Recht ist ihm nichts hewusst; das Recht 
an sich, das eigentliche juristische Recht, ist göttlich, die Autorität 
des Heiligen Israel steht dahinter. „Jenes Tages wird Jahve Sebaoth 
eine werte Krone und ein herrliches Diadem sein für den Rest 
seines Volkes, und ein tteist des Rechtes dem der da sitzet zu 
Gericht, und ein Geist der 8tiu'lie denen die den Krieg über die 
Marken zurücktreiben" (28, 5. 6). Jahve ist ein wirklicher voller 
König, darnm Gerechtigkeit seine Hanpteigenscliaft und seine 
Hauptforderung. Und diese Gerei-htigkeit ist lediglich ein forenser 
oder socialer Begriff; die Gerechtigkeit der Bei^predigt kann erst 
ta die Reihe kommen, wenn die bürgerliche Reclitsordnung solbst- 
, Terständlich ist — was damals durchaus nicht der Fall war. 

Der Verweser Jahves ist der menschliche König. Dem himm- 
lischen Herrscher steht der irdische so wenig im wege, dasn er 
«ich für das herrliche Reich der Zukunft nicht entbehrt werden 
kann, „Dann herrschet nach dem Recht der König und die Fürsten 
regiereu nach Gerechtigkeit; jeder wild wie ein Obdach vor dem 
Sturm, wie ein Schirm vor dem Wetter sein; gleich WasserbiU'hen 
in der Dürre, wie Schatten eines wuchtigen Felsen im lechzenden 
tiande" (32, 1. 2). Da der vorhandene König gemeiniglich nicht 
genügt, so hofft Jesaias auf einen neuen, der dem Vorbilde des 
alten David entspreche, den Messias. „Dann spriesst ein Reis aus 
Isais Stumpfe und ein Keim erwächst aus seiner Wurzel, auf den 
wii-d Jahves Geist sich sanken , ein Geist der Weisheit und 
Einsicht, ein Geist des Rats und des Kri^mutes, ein Geist der 
Furcht und der Kenntnis Gottes: sein Atem geschieht in Jahves 
Furcht. Nicht nach dem Schein der Augen wird er richten und 
nicht nach Hörensagen entscheiden; er wird mit Gerechtigkeit die 
Geringen richten und mit Billigkeit bescheiden die Niederen im 
Laude, aber den Frevler trifft er mit der Rute seines Mundes 
und mit dem Hauch seiner Lippen tötet er den Schuldigen, so 
dass Gerechtigkeit der Gurt seiner Lenden und Verlässigkeit der 
Gurt seiner Hüften ist. Dann kehrt der Wolf beim Lamme ein 



Israel und das Judentum, Kap. 10. 

und ilor Purttel lagert beim Böfkleiii, Kalb nud Löwuiikalze fressen 
zusamineti, ein kleiner Knabe hütet sie. Dauu weidet Kuh and 
Bärin, bei einajider lagern ihre Jangeu, und der T^we frisst Stroh 
wie das Rind; der Sängling streiuhelt der Natter Fühlhorn und 
nach des Basilisken Leuchte streckt ein Entwöhnter die Hand: kein 
ItovöI geschieht und kein Unrecht auf meinem ganzen heiligen 
Berge" 11, 1 — Ü. Man glaubt gewöhnlich, es sei hier ein allge- 
meines goldenes Zeitalter auf Erden geweissagt, aber Jesaias redet 
bloss von dem heiligen Berge als Schnnptatz, worunter er die gan<« 
Stadt Davids als Mittelpnnkt seines Reiches versieht. In folge des 
gerechten nnd strengen Regiments des Davididen küssen sich G&- 
rechtigkoit nnd Trene, kein Mächtiger wagt den Schwächeren zu 
beleidigen. Die Scheu vor der Strenge des Hechts bewirkt allge- 
meines Vertrauen, das T^amm fürchtet sich nicht vor dorn Wolfe. 
Der Gegensatz zu diesem Ideal ist die innere Rechtlosigkeit und 
Anarchie, nicht der äussere Krieg; die Hoffnung richtet sich nicht 
auf internationiUeu Frieden, wie sowol aus v. 1 — 5 als auch aus 
V. 1) erhellt. Einfache Regenteutugenden sind es, die den Messias 
schmücken; das ist wiederum bezeichnend für die Natur des Reiches, 
an dessen Spitze er steht, für den Begrilf der Theokratie. 

Die anderen Propheten dieser Periode stimmen mit Jesaias 
überein (Lament. 4, 20), nur Hosea bewährt anch hier seine Eigen- 
tümlichkeit. Er scheint das Königtum als solches für ein Übel 
anzusehen, in mehr als einer Äussemng setzt er es in Gegensatz 
zur Herrschaft Jahves. Aber man beachte, dass er sein l^rtoil 
durchaus auf geschichtliche Erfahrung gründet. Im Zehnatämme' 
reich ward die oberste Gewalt immer wieder von l'snrpatoreü an- 
gemaasst: statt der Bort der Ordnung und des Rechtes ku sein 
wurde sie ein Spielball der Parteien, die Ursache einer ewigen 
Aufregung. Eben dies nordisraelitische Königtum hat Ilosoa vor 
Augen; und er bricht den Stab darüber aus keinem anderen Grunde 
als weil es sich in den dreihundert Jahren seines Bestehns nicht 
erprobt hat und auch in der gegenwärtigen Not sich nicht erprobt. 
Von einer apriorischen Theorie geht er nicht aus, ein vor aller 
geschichtlichen Entwicklung gegebenes Muster- der theokratisctien 
Verfassung legt er nicht als Maass an. Oline Zweifel hat anch er 
noch keine Ahnung davon, dass die got^ewollte Form des (iemeia- 
wesens am Sinai olTenbart sei, nicht nach den Umständen sidi 
richte. 




Die Theokratio als Idee und als Anstalt. 423 

4. Auch in der späterhin so sehr beliebt gewordenen Form 
des Bundes hat die Theokratie nicht seit Moses existirt. Das 
Verhältnis Jahves zu Israel war von Haus aus ein natürliches; 
kein zum Nachdenken geeignetes Zwischen trennte ihn von seinem 
Volke. Erst seitdem durch Syrer und Assyrer die Existenz Israels 
bedroht wurde, hoben Propheten wie Elias und Amos die Gottheit 
hoch über das Volk hinaus, zerschnitten das natüi-liche Rand 
zwischen ihnen und setzten ein bedingtes und zwar sittlich bedingtes 
Verhältnis an die Stelle. Zu oberst w\ar ihnen Jahve der Gott der 
Gerechtigkeit, Gott Israels erst in zweiter Linie und nur insofern, 
als Israel seinen Gerechtigkeitsansprüchen entsprach die er ihm 
aus Gnade offenbart hatte : sie drehten die hergebrachte Anordnung 
dieser beiden Fundamentalartikel des Glaubens um. „Wenn eure 
Sünden wie Scharlach sind, sollen sie dann für weiss gelten 
wie Schnee? wenn sie sich röten wie Purpur, sollen sie dann wie 
Wolle sein? Wenn ihr folgt und gehorcht, so werdet ihr das Gute 
des Landes geniessen ; wenn ihr euch aber weigert und widerstrebt, 
so müsst ihr das Schwert fressen, denn der Mund Jahves hat es 
gesagt." Dadurch nun trat die Natur und der Inhalt der Be- 
dingungen, die Jahve an das Volk zu stellen hatte, in den Vorder- 
grund der Betrachtung; die Thora Jahves, die ursprünglich wie 
all sein Tun unter den Begi'iff des Helfens, nämlich des Recht- 
schaffens, des Wegzeigens, der Lösung verwickelter Fragen, gefallen 
war, wurde jetzt aufgefasst als der Inbegriff seiner Forderungen, 
von deren Erfüllung seine Beziehung zu Israel alleine abhing. 
Sachlich entstand auf diese Weise, aus nahe liegenden Voraus- 
setzungen, aber doch völlig neu, der Begriff des Bundes, d. i. des 
Vertrages. Der Name Berith aber findet sich bei den alten Pro- 
piieten noch nicht, selbst nicht bei llosea, der im Übrigen der 
Sache den schärfsten Ausdruck verleiht, durch sein Bild von der 
Ehe (Isa. 1, 21). Seine Unbekanntschaft mit dem technischen 
Sinne von Berith wird durch 2, 20 und 6, 7 so schlagend dargetan, 
dass sich darnach auch das Urteil über die (vermutlich interpolirte) 
Stelle 8, 1 wird richten müssen. 

Der Name Berith hat wahrscheinlich einen ganz anderen 
Ausgangspunkt. Die alten Hebräer hatten für Gesetz keine andere 
Vorstellung und keine andere Bezeichnung als die des Vertrages. 
Ein Gesetz wurde nur dadurch rechtskräftig, dass diejenigen denen 
es galt, sich verpflichteten es zu halten. So geschieht es Exod. 24 



424 



\snt\ nn^ Ans Judentum, Kap. 10. 



3_H, so '2. Heg. 23, 1—3, so noch Hier. 34, 8ss. — ^'^raHe so wio 
boi duu alten Arabern. Daher auch die Bezeichuuoi^ SciphiT Ilerilh 
sowol Tür das jehovistiache als auch für das deuteronomisclic 
Gesetzbuch. 

Dieser Spi'Hchgebrauch, Berith (d. i. Vertrag) für Gesetz, liess 
sich unu sehr bequem der [nophetischen Gmndidee anpassen uud 
nach derselbeu deuten, wonach das Verhältnis Jahves zu Israel 
bedingt war durch die Forderungen seiner Gerechtigkeit, dereo 
Inhalt durch sein Wort und seine Weisung explicirt wurde. Zu- 
folge dessen wurden tinn Jahve und Israel die Kontrahenten des 
Bundes, durch den ureprünglich die verschiedenen Vertreter des 
Volkes unter einander sich vej|)flichtet halten zur Haltung z. B. 
des deuterou »mischen Gesetzes'). Seit dem feierlichen und folgen- 
schweren Akte, durch den Josia dies Gesetz einführte, scheint die 
Idee der Bundschliessung zwischen Jahve und Israel in den Mittel- 
jiunkt der religiöseu Reflexion geruckt zu sein; sie hefischt im 
Deutoronomium, bei Jeremias, Ezechiel, in Isa. 40 — 66, Lev. 17 — ^26^ 
und am meisten im Viorbuud es buche. Ohne Zweifel hat das 
babylonische Exil, ebenso wie einst das assyrische, auch seinai^eits 
dazu beigetragen, dass man sich mit dem Gedanken der Bedingt- 
heit und der möglichen Lösung des Vei'haltnisaes vertraut machte. 
Es ist natürlich kein AViderspruch hiegcgen, dass, nachdem das 
Keich Jahves zerstört uud sein Land verwüstet war, der Bund das 
Band wurde, woran das Volk .sich hielt, nachdem der btahetigf 
Grund unter seinen Rissen gewichen war. 

II. 
1. Die Hütte Davids verliel vollens, kein König wurde i 
boren, der sie wieder aufrichtete. Für das Reich kam kerne J 
sondern der Untergang. Das hiitte die Wirkung, dass reUfflSa i 
lloifimngen, sofern sie festgehalten wurden, sich nicht mehr in 
den Grenzen gegebener Grundlagen hielten, sondern nun einen 
freieren Flug nahmen und zumeist ins Ungemessene schwärmten. 
Früher war es stets ein bereits im Hintürgrunde drohender Feind, 
eine wirklich heranrückende Gefahr gewesen, wodurch die Erwar- 



') Diese Variation geschah um so leichter, als Berilh i. B. aucli vun der 
Kapiluintinn steht, deren )!editi|^'iiQi.'eu der Stärkere niifcrief,'! ; ein« 
OleJchberechtigung der konlmhirendcn Teile ]ng duirbans uicbt im B«r 
i;riir der Beritli. Vgl. die schwoDketide VorstdlaDj; liier. 34, 13. 18. 





e ah ld«u und nU Aij«1hI[. 



425 



tiiug eines grossen, durch reiL-hliclie Ansamralmif; von Zündstoff im 
Inneren lüngst vorbeveileten Brandes erregt wurde — seit ilem 
Esil wunio von einer allgemeinen Vereinigung Gott weiss welcher 
Völker gegen das Neue Jerusalem pliantasirt, zu der in der Wirk- 
lichkeit durchaus kein Anlass vorhanden war'). Sonst war der 
nationale Staat, wie er unter David bestanden hatte, das Ziel aller 
Wünsche; jetzt wurde eine universale Weltherrschaft in Gedanken 
aufgerichtet, welche über den Trümmern der beidüischen Reiche 
sich in Jerusalem erheben sollte. Die Prophetie verlor ihre ge- 
schichtliche Gebundenheit «nd ihren geschichtlichen Halt, 

Aber den excentriBchen Ilotfnnngen, die man auf Jahve setzte, 1 
wurde auf der anderen Seite durch nüchterne und realisirbare Ziele, ] 
die im Zusammenhange damit den Menschen ijestellt wurden, die 
Wage gehalten. Denen die auf den Trost Israels warteten, stellte 
damals die Situation praktische Aufgaben. Die alten Propheten 
begnügten sich mit dem Aussprechen ihrer Ideen, mit der Kritik 
der bestehenden Schäden; tatsächlich hatten sie nichts zu sagen, 
die wirkliche Leitung des Volkes war in anderen Händen. Nach- 
dem nun aber mit dem alten Gemeinwesen auch seine Häupter 
gestürzt waren, konnten und mussten sich die Frommen an die 
Spitze des neu zu Behauenden Israel stellen, das sie seit lange er- 
strebten und woran sie auch jetzt noch den Glauben festhielten. 
Ehedem war das Volk nicht so ernsthaft bedroht gewesen, dass 
nicht sein Fortleben, trotz der durchzumachenden gefährlichen Krisis, 
als eine natürliche und selbstverständliche Sache hätte betrachtet 
werden können. Jetzt aber war das nicht mehr selbstverständlich, 
die Gefahr lag sehr nalie, dass die judäischen Exulanten, ebenso 
wie vor ihnen die samaiischen, verechlungen würden von den 
Heiden unter denen sie lebten. Damit würden auch die messi- 
anischen Hoffnungen ihren Ansatzpunkt verloren haben, denn 
mochte ihre Verwirklichung noch so sehr Sache Jahves sein, so 
mussten doch die Menschen da bleiben, an denen sie erfüllt 
werden sollten. Es kam also alles darauf an, jetzt den heiligen 
Rest hinülierzuretten, ihn so fest zu organisiren, dass er als Träger 
der Verheissung die Stürme der Zwischenzeit überdauern konnte. 



') Eiecb. 3S. 39. ha. 6«, 1S--24. Jo. 4. Zach. t3. U. In Isa. 5, 36 At^egm ' 
ist xtlbslvcrsländlicb ^U statt Q^13 lu lesea, iter Singular statt ä»9 J 



I 



42ii Isrncl utid "las Jiiilriilnin, Kiip. l'l. 

Ähcr ilas alte Gemeinwesen, sowie es früber gewesen war, 
stand bei denen, die bei der Restauration maasügebend wai-on, in 
keinem guten Andenken, da sie ja dem vorwerfenden Urteile Jalives, 
das er durch deu Muud seiner Knechte und durch die Geschichte 
ausgesprochen hatte, Recht geben mussten. Man behenci<|te die 
ÄnsBcrnngen der Propheten, daas Festungen und Rosse und Kriegs- 
loute, dass Könige und Fürsten nicht hülfen, und machte praktische 
Grundsätze daraus; man wollte Ernst machen mit der alleinigeu 
lleri'fichaft Jahves. Dabei ward man von den fmständen be- 
günstigt: und das war die Hauptsache, Denn nach Lage der Dinge 
war damab an die Wiedereinrichtung eines wirklichen Staates 
nicht zu denken; die Fremdherrschaft Hess eine solcJic nicht xu 
(Rsdr. 4, ly SS.). Woran sollte man sich halten, woher die Mittel 
nehmen zu dem Notbau ? Die prophetische!) Ideen langten nicht als 
liunsteiiie, ihnen ging die praktische Verwendbarkeit ab. Da zeigte 
Mich die Wichtigkeit der Insfitutlouen, der traditionellen Formen, 
für die Konservirung auch dos geistigen Gehalts der Religion. 

Der judäische Rolchstempel hatte früli die übrigen Heiligtümer 
übertlügelt und ihnen im Lauf des siebenteu Jahrhunderts vollen» 
die Luft geraubt. Unter dem Schatten des Kbnigtumea waren die 
Priester von Jerusalem gross geworden und hattfu auletzt ihren 
Stand esgeuossen gegenüber eine ausschliesslich berechtigte Stellnng 
erlangt. Je schwächer der Staat wui'de, je tiefer er seit Josias 
sank, desto hoher stieg das Ansehen des Tempels beim Volke, desto 
liedout«nder und selbständiger wurde die Macht seiner zahlreictian 
Priesterschaft: wie viel fühlbarer macht sie sich zu Jeremias als 
zu Jesaias Zeiten! Dem entspricht ein unverkennbarer AufacKwnng, 
den der Kultus im siebenteu Jahrhundert genommen hat, gefordert 
eher als gehemmt durch die so übel belenmdote lange Regierong 
Manasses. Derselbe zeigt sii'h nicht bloss in der Einfuhraag 
luxuriöseren Materials, z. B. des Weihrauchs, sondern noch mehr 
in der Bevorzugung schwerer und bedeutsamer l^istungen, z. B. dot 
Kinder- und .Sühnopfer. Auch als die wüsten Gi'euel beseiUgt 
wurden, blieb doch der blutige Ernst, mit licm man jetzt die Aus- 
übung des Gottesdienstes nahm. 

So eng war der Jerusalcmische Kultus mit dem Bewusstsein 
dos jüdischen Volkes verwachsen, so fest hatte der Stand der i'rtceter 
sich kousolidirt, dass nachdem da^ Reich zusammengebrochen wu^ 
hier die Elemente sich erhielten zur Nonbilduiig einer 




Die Thcokratie als Idee und als Anstalt, 427 

wie sie den Umständen und den Bedürfnissen entsprach. An dem 
in Trümmern liegenden Heiligtum richtete sich die Gemeinde 
wieder auf (1. Reg. 8. Agg. 1 s. Zach. 1 ss.). Die Bräuche und 
Ordnungen wurden, wenn auch im einzelnen überall umgebildet, 
so doch im ganzen nicht neu geschaffen; das Schöpferische lag 
darin, dass sie zu einem System verbunden und als Mittel zur 
Ileretellung einer Organisation ,,des Bestes" vei"wandt wurden. 

Ezechiel hat zuerst den Weg eingeschlagen, auf den die Zeit 
wies. Er ist das Mittelglied zwischen Prophetie und fiesetz. Er 
will Prophet sein, er geht in der Tat von prophetischen Gedanken 
aus: aber es sind nicht seine eigenen, sondern die seiner Vor- 
gänger, die er dogmatisirt. Von Natur ist er ein Priester, und sein 
eigenstos Verdienst ist, dass er die Seele der Prophetie einge- 
schlossen hat in den Körper eines auf den Tempel und den Kultus 
begründeten, unpolitischen Gemeinwesens. l)iej^ ;mitel^ 40 — 4 S sind 
die wichtigsten seines Buches, welches von jTOrth in?htuHTricntig 
als der Schlüssel des Alten Testaments bezeichnet worden ist. 

Es entstand jenes künstliche Produkt, die heilige Verfassung 
des Judentums. Ihr ausgeführtes Bild haben wir im Priesterkodex. 
Der Unterschied, den man zwischen der mosaischen Theokratio 
und der nachexilischen Ilierokratie zu machen sich anstrengt, ist zu 
fein. Theokratie als Verfassung ist Hierokratie. Hat Moses eine 
solche Verfassung gestiftet, so hat er es als Prophet getan, im 
Hinblick auf Verhältnisse wie sie tausend Jahre nach ihm eintraten 
(p. 102 8. 259 SS.). Das alte Israel war noch nicht zusammenge- 
schrumpft auf eine religiöse Gemeinde; das öffentliche Leben ging 
nicht auf im Dienste des Heiligen, der Hohepriester und die Woh- 
nung Jahves war nicht das Centrum um das sich alles drehte 
(p. 109 — 228). Das ist erst anders geworden durch die Vernichtung 
der politischen Existenz zuei'st Samariens, dann Judas. Dadurch 
wurde das Volk „ein Reich von Priestern und ein heiliges Volk" 
(Exod. 19, G. Isa. Gl, G). Wenn früher die Gottesherrschaft ein 
(ilaube war, an dem die natürlichen Ordnungen der menschlichen 
Gesellschaft ihren Halt hatten, so wurde sie jetzt als Gottesstaat 
sichtbarlich dargestellt, in einer ihr eigentümlichen künstlichen 
Sphäre, die das gewöhnliche Volksleben übtM-stieg. Die Idee, die 
früher den natürlichen Körper durchdrungen hntU\ sollte jetzt, um 
recht eigentlich realisirt zu werden, ihren eigenen heiligen Körper 
haben. Ein materieller, äusserlicher Gegensatz von Heilig und 



428 



. Israel und da» .ludi: 






Profan entstand iiinl eiföllte die Geister; man war bestrebt fl^ 
Grenzen auf das i)i:hürfsto zu zieheu und das Natnrgebiet immer 
weiter zurückzudrängen. Die Heiligkeit ist bei Ezecliiel, in l^v. 
17 — 26, und im Prieslerkodex das herrsi'hende Ideal, Es ist ein 
in sich ziemlicb leerer, haupttitichlich autithetisctier Begriff; ur- 
sprÜDglicli gteii^hbedeutend mit göttlich wird er jetzt vorzugsweise 
im Sinne von geistlich, priesterlich angpwandt, als sei das Göttliche 
dem Weltlichen, Natürlichen durch äusserliche Merkmale entgegen- 
gesetzt. 

Die mosaische Theokratie, das Residuum eines nntergegaugenen 
Staates, ist selbst kein .Staat, sondern ein nnter ungünstigen ßo- 
dingungen durch eine ewig denkwürdige Energie geschatfenes, un- 
politisches Kunstprodukt; sie hat die Fremdherrschaft zur not- 
wendigen Ergänzung. Sie ist ihrem Wesen nach diT altkatholischen 
Kirche nachstverwandt, deren Mutter sie in der Tat gewesen ist. 
Ästhetisch anstössig mag es sein venu man von der jüdischen 
Kirche redet, historisch unrichtig ist es nicht, und insofern wäre 
CS am Ende vorzuziehen, als hinter dem Namen Theokratie sich 
die Konfusion zu verbergen pflegt. 

2. In der mosaischen Theokratie si^heint sich ein gewaltiger 
Rückschritt vollzogen zn haben. Jahves Gesetz bedeutet die Eigen- 
tümlichkeit seines Volkes gegenüber deu Heiden. Diese lag nun 
in WaJu'heit nicht im Knltna; es wäre vergebliche Mühe, diese 
und jene Nuance der hebräischen und der griecluschen Riten zu 
einer principiellen Differenz aufzubauschen. Der Kultus ist das 
heidnische Element in der israelitischen Religion — wobei heidnisch 
durchaus niclit iu einem unedlen und schlechten Sinne gonommcn 
werden soll. Wenn er nun im Priestorkodex zur Hauptsache ge- 
macht wird, so scheint das einem systematischen Rückfatt in das 
Heidentum gleichzukommen, welches die Prophet-en nnausgesolzt be- 
kämpften und doch nicht entwarzeln konnten. Man wird zuge- 
slehn können, dass bei der Konstitnimng des Neuen Jerusalem 
die prophetischen Antriebe durch eine vorhandene natürliche Rich- 
tung der Masse, auf die sie wirkten, umgebogen wurden. Aber 
überall spürt man doch in dem gesetzlichen Gottesdienste auf das 
entschiedenste ihren Einfluss. Wir haben gesehen, wie sehr der- 
selbe überall die Einwirkung der Centralisation erkennen lasst. 
Diese wird zwai- im Priesterkodex nicht in Verbindung gesetzt mit 
der Bekämpfung ungehörigen oder fremden Gottesdienstes, 




Die Theukrali« als Idee und a\n Anstalf. 



4291 



ist doch nur als pulenusche Maassregel zu bügreifen ; und wenn sie 
als na turuut wendiges Axiom betrachtet wird, so bedeutet das den 
vollkommensten Sieg prophetischer Forderungen auf eiuera Felde, 
wo ihnen die schwersten Hindemisse entgegenstanden. Die exklusive 
Monolat^ie ist auf keine Weise dem Kultus angeboren, sie lässt 
sich nnr ableiten aus Rücksichten die seiner Nator fremd sind, sie 
ist das Gegcnbilil des strengen Monotheismus. Auch die bildlose 
Verehrung der Gottheit wird zwar nicht besonders eingeschärft ] 
wie im Deuteronomium, ist aber von ganz selbstverständlicher ] 
Oeltung und ihrer selbst so sicher, dass sie auch zweifelhafte und ' 
widerstrebende Elemente ohne Gefahr in eich aufnimmt und , 
assimilirt. Das goldene Ephod, gegen das Josaias eifert, ist zb ' 
einem bedeutungslosen Schmuck <les Hohenpriesters geworden; 1 
Talismane, die noch Ezechiel verbietet, werden erlaubt (Num. 15,1 
37^41), aber sie dienen dazu, „dass man sich erinnere aller Ga- | 
böte Jahve.3 und sie tue und nicht nachschweife seinem Herzen 
und seinen Augen, deren Gelüsten man ehedem nnchgehurt hat". 
Der krasse Götzendienst, von dem sonst immer der Ausdruck rui j 
gebraucht wird, steht schon ausser Frage; daa eigene Herz und j 
sein ungebundenes Streben ist der fremde Gott dosaen Dienst ver- 
boten wird. 

Man kann weiter gehn und sagen, dass der Kultus durch die 
Kultusgesetzgebnng seinem eigenen Wesen entfremdet, in sich 
selber überwunden wurde. Bei den Festen zeigt sich das am sil^ht- 
barlichsten. Sie haben ihre Beziehung zur Ernte und zur Vieh- 
zucht verloren und sinil zu historischen Erinnerungsfeiern ge- 
worden; sie verleugnen ihre Herkunft aus der Natur und feiero 
die Stiftung der übernatürlichen Religion und der darauf beaü^ j 
liehen Gnadeutaten Jahves. litis allgemein Menschliche, das Frei- 
wüchsige geht davon, sie bekommen einen statutarischen Charakter J 
und eine specifisch israelitische Bedeutung. Bei den Opfern steht 1 
es nicht anders. Sie ziehen nicht mehr die Gottheit, bei allen ' 
wichtigen Anlässen, hinein in das irdische l.eben, dass sie teilnehme 
an dessen Freuden und Nöten; es sind keine menschlichen Ver- 
suche mit naiven Mitteln ihr etwas zu gut zu tun und sie geneigt 
zu stimmen. Sic sind der natürlichen Sphäre entrückt und zii 
göttlichen Gnadenmitteln gewurden, die Jahve in Israel, alsl 
Sakramente der Theokratie, eingesetzt hat. Man glaubt ihm nicht t 
mit dem Inhalt der Gabe eine Freude und einen Geuuss zu 



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reili'ii; wiis ihm wolydallt uml wiis WirVoog liiit, ist niir 
strikte Auäfülirung des Ritus. Geii.-iD uach VorsL'hrift müssen die 
Opfer (largebradit werden, am riolitigen Orte, znr rirlitigen Zeit. 
Vüu den ricbtigen Personen, in der richtigen Weise. Sie gründen 
sieb nicht auf den inneren Wert der Sytlie, «uf den Autrieb frischer 
Anlässe, sondera auf den positiven, alle Einzelheiten ordnenden 
Defebl eines «bGoluteu, nnniotivirten Willens. Das Bnud zwisi-lien 
Kullua Qnd äiuulicbkeit ist zersdmitten; die Gefahr der Einmischung 
unlauterer, unsittlicher Elemente, die im hebräischen Altertum st«ts 
vorhanden war, kann gar nicht mehr aufkommen. Aus innerem 
Trieb erwiu.-hst der Kultus nicht mehr, er ist eine Übung der 
Gottseligkeit geworflen. Er hat keine niitürlichc, sondern ebe 
transcendcnte, unvergleichliche uud unangebbare Bedeutung; »eine 
llauptwirkung, die nuch immer sicher hervorgebracht *inl, ist die 
.Sühne. Denn seit dem Exil wurde das .Sünden bewusstsein, welches 
durch die Verwerfung des Volkes von Jubves Angesicht hervor- 
gebracht wiir, gewissermaassen permanent; auch als der Frohn- 
dieust erfüllt und der Zorn eigeutlicli verraucht war, wollte es 
nicht woicheu. 

Wenn nun das Wertvolle bei den heiligen Darbringungen uicht 
in ihnen selber, sondern in dem Gehorsam gegen Gottes Vonjchriffeii 
lag, so wurde der Schwerpunkt des Kultus aus ihm selber heraas 
nnd in ein fremdes Gebiet, das der Moral, hinein verlegt. Die Folge 
war, dass die Üpfer uud Gaben zurücktraten hinter ascetischen 
Leistungen, die mit der Moral in noch engerer und einfacherer 
Verbindung standen. Vorschriften, die ursprünglich grössteuteils 
bahufa der Heiligung der Priester ku ihren gottesdienst- 
lichen Funktionen gegeben waren, wurden anf die Laien aus- 
gedehnt; die Beobachtung dieser Gebote der leiblichen Reinigkeit 
war von weit durchgreifenderer \Vichtiglieit im Judentum als der 
grosso öffentliche Kultus nnd führte auf dem geradesten Wege dem 
theokratist'hen Ideal der Heiligkeit und des allgemeinen Priester- 
tums zu. Das ganze Leben wurde in eine gewiesene Bahn ein- 
geengt, indem man dadurch, dass es stets ein gottliches fiebot zn 
erfüllen gab, abgehalten wurde setneu eigenen Hei-zensgedankea und 
-gelüsten uachzuschweifou. Auf der anderen Seite wurde durch 
diesen kleinen, immerdar in Anspruch nehmenden Privatkultos das 
Sündengefühl des Einzelnen wach und rege gehalten. 

Der grosse Patholog des Judentums hat giuiz Recht: 




Dte Theokratie als Idee und als Anstalt. 



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mosaischen Theokratie ist der Kultus zu einem pädogischen Zucht- 
mittel geworden. Dem Herzen ist er entfremdet; wäre er nicht 
alte Sitte gewesen, so w^ürde er aus sich selber nie mehr empor- 
geblüht sein. Er wurzelt nicht mehr in dem naiven Sinn; er ist 
ein totes Werk, trotz aller Wichtigkeit, ja gerade wegen der Pein- 
lichkeit und Gewissenhaftigkeit, womit er genommen wurde. Hei 
der Restauration des Judentums sind die alten Bräuche zusammen- 
geflickt zu einem neuen System, welches aber nur als Form diente 
zur Aufbewahrung eines edleren Inhalts, der anders als in einer 
so harten, alle fremden Einflüsse schrolT abhaltenden Schale nicht 
hätte gerettet werden können. Das Heidentum in Israel, gegen 
welches die Propheten vergebens protestirten, ist auf seinem eigenen 
Gebiete vom Gesetz innerlich überwunden, und der Kultus, nach- 
dem die Natur darin ertötet worden, zu einem Panzer des supra- 
naturalen Monotheismus gemacht. 



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