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PROLEGOMENA
ZUR
GESCHICHTE ISRAELS
VON
J. WELLHAUSEN.
FüNtTE AUSGABE.
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BERLIN.
DRICK rXD VERLAG VON GEORG REIMER.
1899.
/
694Lb2 .
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MEINEM rXVEIMJESSENEN LEHHEH
HEINRICH EWALD
ZL' DANK l'ND EHREN.
Inhalt.
Einleitung. Ist das Gesetz Ansj^angspunkt für die Geschichte des alten
Israels oder des Judentums? Letztere Möglichkeit wird durch die Geschichte
des Kanons nicht von vornherein abgeschnitten, (irunde sie in Erwägung zu
ziehen. De Wette, George, V'atke, Reuss, Graf (p. 1). Die drei Schichten des
Peutateuchs : Deuteronomium, Priesterkodex, Jehovist (p. 6). Um den Priester-
kodex und seine geschichtliche Stellung handelt es sich. Methode der Unter-
suchung (p. 10).
A. Geschichte des Knltns.
Kap. 1. Der Ort des Gottesdienstes. I. Die histor. und proph. Bucher
ergeben für das hebr. Altertum keine Spur von einem ausschliesslich berech-
tigten Ileiligtiune (p. 17). Die Polemik der Propheten gegen die Kultusstätten.
Der Fall Samariens. Josias Reformation (p. 23). Einfluss des babyl. Exils
(p. 28). II. Der Jehovist (JE) sanktionirt die Vielheit der Altäre (p. 29). Das
Deuteronomium (D) fordert die lokale Einheit des Gottesdienstes (p. 33). Der
Priesterkodex (P) setzt sie voraus und überträgt sie mittelst der Stiftshötte
in die Urzeit (p. 34). III. Die Stiftshutte als Central h eil igtum und Obdach
der Lade ist in der historischen Oberlieferung nirgend aufzufinden (p. 39).
Unhaltbarkeit der Ansicht Noldekes. Lev. 17 (p. 47).
Kap. 2. Die Opfer. I. Das Ritual ist nach P Hauptgegenstand der
mosaischen Gesetzgebung, nach JE vormosaischer Gebrauch; nach P kommt
es auf das Wie, nach JE und D auf das Wem an (p. 54). Mit JE stimmen
die histor. Bücher, gegen P zeugen die Propheten (p. 57) bis auf Ezechiel
(p. 60). II. Materielle Neuerungen von P. Vorbemerkungen über Begriff,
Inhalt, Applicirung, sühnende Wirkung der Opfer (p. 61). Materielle und
geistige Verfeinerung der Opfergaben in P (p. 63). Das Mahlopfer tritt zurück
hinter dem Ilolokaustum (p. 69). Ausbildung der Sühnopfer (p. 72). IH. Durch
die Centralisirung das Kultus in Jerusalem ist die Verbindung des Opfers mit
den naturlichen Anlässen des Lebens zerstört und es hat seinen ursprüng-
lichen Charakter verloren (p. 75).
Kap. 3. Die Feste. I. In JE und I) herrscht ein Turnus von drei
Festen; Ostern und Pfingsten feiern den Anfang und das Ende des Saaten-
schnitts, das Uerbstfest die Lese und das Einheimsen des Korns von der Tenne.
VI Inhalt.
Mit dem Fest des IJegiuns der Mahd (Massoth) ist das Fest der Opferung
der männlichen Krstgeburten des Viehs (Pascha) verbunden (p. 82). l)ie Feste
basiren auf der Darbringung der Aparchen von den Fruchten des Feldes
und der Heerde. Bedeutung des Landes und des Ackerbaues für die Re-
ligion (p. 88). II. In den historischen und prophetischen Büchern ist nur
das Ilerbstfest deutlich bezeugt, das auch in JE und D das wichtigste ist; von
den übrigen finden sich nur schwache Spuren (p. 91). Aber die Natur der
Feste ist die gleiche wie in JE und 1) (p. 94). III. In P haben die Feste
ihre Beziehung zur Ernte und zu den Aparchen verloren und sind dadurch
im Wesen umgewandelt (p. 97). Die Metamorphose ist durch die Centrali-
sation des Kultus bewirkt und lässt sich über das Deuteronomium und Ezechiel
zu P hinab verfolgen (p. 102). Zu den drei Festen kommt in P der grosse
VersOhnungstag hinzu, entstanden aus den Fiisttagen des Exils. Änderung
des Jahresanfangs und der Monatsbezeichnung in P (p. 106). l\\ Der Sab-
bath, zusammenhängend mit dem Neumond, ist ursprünglich ein lunarischer
Feiertag. Überspannung der Uuhefordemng in P (p. HO). Sabbath- und
Jobeljahr (p. 114).
Kap. 4. Die Priester und Leviten. I. Nach Ezech. 44 sollen im Neuen
Jerusalem nur die Leviten von Jenisalem, die Söhne Sadoks, Priester bleiben,
die übrigen Leviten aber zu ihren Dienern degradirt und ihres Priesterrechts
entkleidet werden. Nach P haben die Leviten nie Priesterrecht gehabt, sondern
immer nur die Söhne Aharons (p. 118), welche den Söhnen Sadoks entsprechen
(p. 122). II. In der ältesten Periode der (ieschichte Israels findet sich die
Scheidung von Klerus und Laien nicht. Schlachten und opfern darf jeder,
Berufspriestcr fungiren nur an grösseren Heiligtümeni. Priesterfamilien zu
Silo lind zu Dan. Keine Absondenmg des Heiligen, z. B. der Lade (p. 124).
Die Reichstempel der Könige, Priester daran als königl. Beamte (p. 128). Be-
deutung der nordisraelitischen Priesterschaft in der Königszeit (p. 130). Die
Familie Sadok zu Jerusalem (p. 135). III. In dem ältesten Teile von JE
kommen keine Priester vor, kein Aharon neben Moses (p. 137). In D sind die
Leviten Priester. Als solche kommen sie, abgesehen von Jud. 18 s., erst in
der exilischen Literatur vor. Ihre Abstammung von Moses oder Aharon. Der
geistliche Stamm Levi und der weltliche Stamm Levi. Schwierigkeit sie zu-
sammenzubringen (p. 137). Konsolidirung des geistlichen Stammes in P:
Scheidung der Leviten und der Priester. Fortentwicklung des nachexilischen
Klerus (p. 142). Der Hohepriester als das Haupt der Theokratie (p. 145).
Kap. 5. Die Ausstattung des Klerus. I. Die Opfergefälle werden in
P gesteigert (p. 150), die Aparchen werden Abgaben an die Priester und da-
bei noch verdoppelt (p. 152). II. Levitenstädte (p. 156). Die historische
Situation, welche den Priesteransprüchen in P zu gründe liegt (p. 162).
B. Geschichte der Tradition.
Kap. 6. Die Chronik. 1. David wird ohne sein Zutun der Nachfolger
Sauls, ganz Israel ist von vornherein auf seiner Seite, namentlich die Priester
und Leviten. Entstelliuig des urspr. Berichtes über die Überführung der Lade
Inhalt. vii
nach Jerusalem. Auslassung der nicht erbaulichen Züge im Leben Davids
(p. 170). Vorbereitung des Terapelbaues. Schwelgen des Erzählers in Zahlen
und Namen, in geistlichen Zutaten. Widerspruch gegen 1. Reg. 1. 2. Das
Bild Davids in der Chronik (p. 177). Salomos Opfer bei der Stiftshütte zu
Gibeon. Der Terapelbau. Retouchirung des Original berichtes (p. 181).
II. Beurteilung des Verhältnisses von Juda und Israel; die Israeliten gehören
nicht zum Tempel und also nicht zur Theokratio (p. 186). Levitische Ideali-
sinmg Judas. Auffassung der im Buche der Könige getadelten und der ge-
lobten Maassnahmen der Herrscher im Tempelkultus. Konflikte mit der Er-
zählung der Quelle, Eintragung der Priester und Leviten (p. 189). Der gött-
liche Pragmatismus der heiligen Geschichte und seine Ausgeburten (p. 202).
Durchschimmern des Buches der Könige (p. 210). III. Die genealogischen
Verzeichnisse von 1. Chr. l — 9. Die zehn Stämme (p. 210). Juda und Levi
(p. 215). Die Chronik hat für die vorexil. Zeit keine anderen Quellen zu be-
nutzen gehabt als die auch uns im Kanon erhaltenen historischen Bücher.
Die Verschiedenheit der historischen Gesamtanschauung erklärt sich aus dem
Einfluss des Gesetzes, bes. des Priesterkodex. Der Midrasch (p. 222).
Kap. 7. Richter Samuelis und Könige. I. Schematische Bearbeitung
des Richterbuchs, chronologischer und religiöser Natur (p. 229). Verhältnis
derselben zum Stock der Oberlieferung. Jud. 19 — 21 (p. 233). Gelegentliche
Zusätze zu den ursprüngl. Erzählungen (p.238). Geistige Abstufung der letzteren
(p. 241). II. Die chronologische und religiöse Schematik im Buche Samuelis
(p. 247). Durchgreifende Umgestaltung der Geschichten über die Entstehung
des Königstums, über die Erhel)ung Sauls (p. 249). Sauls Verhältnis zu Samuel
(p. 259). Davids Jugendgeschichte. Samuels Auffassung ist der Gradmesser
für den Stand der Geschichte der Tradition. Saul und David (p. 264). III. Die
letzte religiös - chronologische Bearbeitung des Buches der Könige. Ihre
Gleichartigkeit mit der der beiden früheren Bücher. Ihr judäischer und zwar
deuteronomistischer Standpunkt. Ihr Verhältnis zu dem überlieferten Stoff
(p. 275. 284). Unterschiede in der Haltung der Quellen (p. 289). In der Chronik
wird die Geschichte des alten Israel nach Maassgabe des Priesterkodex umge-
dichtet, in den älteren historischen Büchern wird sie nach der Norm des
Deuteronomiums verurteilt (p. 297).
Kap. 8. Die Erzählung des Hexateuchs. I. Die Kosmogonie in P
und die Geschichte vom Paradise in JE (p. 300). Die ältesten Genealogien,
die Sündflut, und die Völkertrennung in P und JE (p. 313). Allgemeine
Unterschiede in der Darstellung der Urgeschichte der Menschheit zwischen P
und JE (p. 320). II. Die jehovistischen Erzählungen über die Erzväter (p. 322)
und ihr Extrakt im Priesterkodex (p. 331). Kultussage in JE und Kultus-
gesetz in P (p. 341). III. Allgemeiner Gegensatz zwischen P und JE in der
Auffassung und Darstellung der mosaischen Periode (p. 347). Vergleichung
der einzelnen Erzählungen in P und in JE (p. 356). Schluss (p. 366).
C. Israel und das Judentum.
Kap. 9. Abschluss der Kritik des Gesetzes. L Das Veto der kri-
tischen Analyse (p. 375). Die historischen Voraussetzungen des Deuteronomiums
vm Inhalt
(p. 375). Die deuteronomistische Redaktion erstreckt sich nicht über den
Priesterkodex (p. 380). II. Die Endredaktion des Hexateuchs geht vom Priester-
kodex aus, wie aus Lev. 17ss. erhellt (p. 383). Untersuchung von Lev. 26
(p. 387). Die priesterliche Endredaktion des Hexateuchs (p. 392). III. Die
Sprache des Priesterkodex (p. 393).
Kap. 10. Die mündliche und die schriftliche Thora. I. Kein
geschriebenes Gesetz im alten Israel. Ober den Dekalog und das Goethescho
Zwotafelgesetz (p. 400). Die Thora Jahves im Munde der Priester und der
Propheten (p. 401). Auffassung der Offeubaning bei Jeremias, Zacharia, dem
Verfasser von Is. 40 ss. (p. 407). II. Das Deuteronomium war das erste
eigentliche Gesetz. Sein Durchdringen im Exil. Ende der Prophetie (p. 410). Er-
gänzung der reformirenden durch die restaurirende Gesetzgebung. Kodifikation
und Systematisirung der Kultusbräuche durch Ezechiel und seine Nachfolger.
Der Priesterkodex. Eingeführt durch Ezra (p. 412). Die Thora die Grund-
lage des Kanons. Erweiterung des ursprünglich an der Thora haftenden Bo-
griffes auf andere Bücher (p. 415).
Kap. 11. Die Theokratie als Idee und als Anstalt. I. Frische und
Natürlichkeit der alten Israel. Geschichte (p. 417). Entstehung des Staates,
Beziehung der Religion und der Gottheit auf das Leben des Staates und der
Nation (p. 418). Die messianische Theokratie der älteren Propheten verlässt
nicht die in dem wirklichen Gemeinwesen der Gegenwact gegebenen Gnmd-
lageu (p. 420). Die Idee des Bundes (p. 423). II. Die Gründung der thco-
kratischeri Verfassung unter der Fremdlierrschaft (p. 424). Das Gesetz und
die Propheten (p. 428).
Das Problem
des vorliegenden Buches ist die geschichtliche Stellung des mosai-
schen Gesetzes, und zwar handelt es sich darum, ob dasselbe der
Ausgangspunkt sei für die Geschichte des alten Israel oder für
die Geschichte des Judentums, d. h. der Religionsgemeinde,
welche das von Assyrern und Chaldäern vernichtete Volk über-
lebte.
1. Es ist eine verbreitete Ansicht, dass die Bücher des Alten
Testaments, im ganzen und grossen, sich nicht bloss auf die vor-
exilische Periode beziehen, sondern auch aus ihr shimmen. Es
sind die Reste, meint man, welche die Juden aus der Litteratur
des alten Israel retteten, das Erbe der Vergangenheit, von dem sie
in Ermangelung eines eigenen geistigen Lebens zehrten. Auch wenn
man nicht gerade mit der Dogmatik das Judentum einfach als
ein Vacuum betrachtet, über welches hinweg das Alte Testament
in das Neue mündet, hält man doch insgemein daran fest, dass
dasselbe an der Hervorbringung der Schriften, welche es in die
heilige Sammlung aufnahm, nur ausnahmsweise einen Anteil ge-
habt habe. Aber die Ausnahmen, die man in der jüngsten und
in der mittleren Schicht des Kanons zugibt, sind nicht so ganz
geringfügig. Von den Hagiographen ist bei weitem der grösste
Teil erweislich nachexilisch, erweislich vorexilisch dagegen nichts;
der Daniel reicht hinunter bis zu den makkabäischen Kriegen,
Esther vielleicht noch tiefer. Auch die prophetischen Schriften
fallen durchaus nicht alle noch in die Königszeit, sondern zu
einem sehr beträchtlichen Teile überschreiten sie diese Grenze; die
im Kanon damit unter gleichem Namen zusammengefassten Historien-
bücher sind, wie wir sie haben, nach dem Tode des gefangenen
Wellhanieo, Prolegomena 5. Aufl. \
Königs Jeehouia veifasst, der noch eine Weile über das Jahr 56()
hinaus gelobt haben muss. Dringt man uun auch die älteren
Quellen in Anschlag, welche in den Büchern der Richter. Samuelis
and der Könige vielfach benutzt und meist wörtlich aufgenommen
sind, so beläuft sich doch die voresilische Literatur, die uns im
Alten Testament nhzäglich des Pentateuchs erhalten ist, noX nicht
viel mehr als die Hälfte vom Umfange des Ganzen. Das Übrige
gehört der späteren Periode an; darunter nicht bloss kümmerlicher
Nachwuchs aus halb erstorbenen Trieben von ehemals, sondern
auch so wertvolle und originelle Erzeugnisse wie Isa. 4CI — 66 oder
Ps. 73.
Wir kommen zum Gesetze. ■Ausdrückliche Angaben über den
Verfasser und die Abfassungszeit fehlen, wie gewöhnlich; ura nns
ungefähr zu orientiren, sind wir darauf angewiesen, aus der Ana-
lyse des Inhalts passende Daten zn gewinnen und sie zu dem,
was wir anderweit vom Verlaufe der israelitischen Geschichte
wissen, in Beziehung zu setzen. Hier aber pHegt man den zu
vergleichenden historischen Zeitraimi von vornherein ao abzustecken,
dass das babylonische Esil als eine ebenso unüberschroitbare
Grenze nach unten gilt wie der Auszug aus Ägypten nach oben.
Verleiht etwa die Geschichte des Kanons ein Recht daau? Es
könnte so »icheineu. Das Gesetz ist am frühesten kanonisch ge-
worden, durch Ezra und Nehemia; die Propheten sind beträchtlich
später hinzugekommen, am spätesten die Hagiographen. Es liegt
nun nahe, aus der Stufenfolge der Kanonisirung dieser Schriften
auf eine ungefähre Stufenfolge ihres Alters zu schliessen und dem-
gemäss nicht nur die Propheten den Hagiographen, sondern auch
die fünf Bücher Mosis den Propheten voranzustellen: wenn schon
diese zum grösseren Teile der vorexilischen Zeit angehören, wie
viel mehr Jene ! Aber so zulässig eine derartige Vergleichnng
zwischen der mittleren und der jüngsten Schicht des Kanons sein
m^, so unzulässig ist sie zwischen der ersten Schicht und den
beiden anderen. Nämlich der Begriff des Kanons haftet an der
Thora und ist von da erst auf die übrigen Bücher übertragen;
den letzteren wuchs allmählich und unter der Hand ein gewisser
Auteil an der Geltung zu, welche die Thora durch einen öffent-
lichen und ganz formellen Akt erlangt hatte, wodurch sie als die
Magna Charta der jüdischen Gemeinde eingefülirt wurde (Nehem.
8 — 10). Bei jenen gehört der kanonische d. h. gesetzliche
Das Problem. 3
rakter nicht zur Sache, sondern ist erst nachträglich hinzugetreten;
da muss ein längerer, kann ein sehr langer Zeitraum zwischen
der Entstehung und der Sanktionii*ung gelegen haben. Dagegen
der Thora ist der kanonische Charakter in der Tat viel wesent-
licher; die Annahme birgt Schwierigkeiten, dass das mosaische
Gesetz im vorexilischen Altertum entstanden sei, und dann ei*st
viele Jahrhunderte später unter völlig veränderten Umständen
Gesetzeskraft erlangt habe. Wenigstens kann daraus, dass es die
öifentliche Geltung als Gemeindebuch, die es beansprucht, früher
gewonnen hat als Schriften, die darauf in keinerlei Weise angelegt
sind, gewiss nicht gefolgert werden, dass es älteren Ursprungs sei
als jene.
Somit lässt sich die Möglichkeit, dass das Gesetz des Juden-
tums auch das Erzeugnis des Judentums sei, nicht gleich vor der
Türe abweisen, und es gibt dringende Gründe, sie in nähere Er-
wägung zu ziehen. Vielleicht scliickt es sich hier, pereönliche Er-
fahrung reden zu lassen. Im Anfange meiner Studien wurde ich
angezogen von den Erzählungen über Saul und David, über Elias
und Ahab, und ergriffen von den Reden eines Amos und Jesaias;
ich las mich in die prophetischen und geschichtlichen Bücher des
Alten Testaments hinein. An der Hand der mir zugänglichen
Hilfemittel glaubte ich sie zwar leidlich zu verstehn, hatte aber
dabei ein schlechtes Gewissen, als ob ich bei dem Dache anfinge
statt bei dem Fundamente; denn ich kannte das Gesetz nicht,
von dem ich sagen hörte, es sei die Gnindlage und Voraussetzung
der übrigen Literatur. Endlich fasste ich mir Mut und arbeitete
mich hindurch durch Exodus, Leviticus und Numeri und sogar
durch Knebels Kommentar dazu. Aber vergebens wartete ich auf
das Licht, welches von hieraus auf die geschichtlichen und pro-
phetischen Bücher sich ergiessen sollte. Vielmehr verdarb mir das
Gesetz den Genuss jener Schriften; es brachte sie mir nicht näher,
sondern drängte sich nur störend ein, wie ein Gespenst, das zwar
rumort, aber nicht sichtbar, nicht wirksam wird. Wo sich Be-
rührungen fanden, da waren Verschiedenheiten damit verbunden,
und ich konnte mich nicht entschliessen, auf Seiten des Gesetzes
das Ursprüngliche zu sehen; dunkel empfand ich einen allgemeinen
Abstand zweier verschiedenen Welten. Jedoch zu einer klaren
Anschauung gelangte ich keineswegs, sondern nur zu einer unbe-
haglichen Verwirrung, die durch Ewalds Erörterungen im zweiten
1*
4 Das Problem.
BttQile seiner Ueschirlite iles Vulkes Israel noch gesteigert i
Da errulir ich gelegentlich im ^^onimer IBlii, duss Karl Heinrich
Graf dem Gesetze seine Stelle hinter den Propheten anweise, und
heinall ohne noch die Begrnuduiig seiner Hypothese zu kenneii,
war ich für sie (gewonnen: ich durfte mir gestehn, dass das hebrä-
isuhe Altertum ohne duä Buch der Thora verstanden werden
könne.
Graf verdankt die Anregung zu seinou Aufstellungen seinem
Lehrer Eduard Reuss. Am richtigsten wäre ah er die Grafsche
Hypothese »u henennen nach Leopold fieorge unii Willielm Vatke;
denn diese haheu zie üueM literarisch vertreten, unabhängig von
Heuss und unabhängig von einander. Ilu'eiseits sind alle diese
Mäimer von Martin Lebrecht de Wette ausgegangeu, dem epoche-
machenden Eröffner der historischen Kritik auf diesem Gebiete').
Zu einer festen i'osition ist freilich de Wette nicht getaugt, aber
i)W. M. L de Walte, Beiträge zur Einlcituttg in das A. T., Bd. li Kri-
tischer VerBiich über die Glaubwürdigkeit der Bücher der Chrunik, Bd. II:
Kri(U der MoHiiischeu Geschichte; Halte 1806. 1807. .1. F. L. (ieorge,
die Uteren Jüdischen Feste mit einer Kritik der Oeiiettgebuiig des Vvu-
tateueh; Berlin 1835 (Vorrede vom 12. Oktob.). W. Vatkc, die biblische
Theologie wissenschaftlich dargestellt ; Berlin 1835 (Vorrede vom 18, Oktoli.,
nur der erate Teil des crsteo
(geschichtlichen Bacher des Alte
Bbenao wie J. Orth {Nouv. Res,
1859. 1860], die Anregung s'Hti
empfangen habe, war nicht m
im Jahre 1870 gezeigt durch iti
Keuss schon 1833 oder nach eiu<
1 theologisch D
erschienen).
I TcsiaijKiit.-, Leipzig 1866. Dass Gnt,
■■ .1.- 'riirnl. in. 384 SS., IV. 350 SS. Paris
■•■ Ki'iiik \<-]i M'iiicin Strassburger Lehrer
iik^iiini; ilciiiliili hat es sich aber erst
: Veiuirt-iitlicliiiiig gewisser Thesen, die
r anderen Augai>e 1834 formulirt, damals
Fubliliiun gedruckt vorzulegen Bedenken
ober dem grussi ^ ^ ^
getragen hatte. Die Thesen, auf die es ankommt, lauten (L^Histotre
Sointe et la Loi, Paris IS79 p. 23. Ü): I. L'el^ment hiatorique du Penta-
teuuue peut et dott etre eiamine k part et ne pas etre confondu avec
Pelement Uga\. 3. L'un et Taulre onl pu exister saos redactjon ^crite.
La mention, chen d'anciens ecrivains, de certainea traditions patriarcales
üu mosairgues, ne prouve pas l'existence du Pentatouquc, et une nation
peut avoir un droit couturaier Sans code ecrit. 3. Les traditions na-
lionales des Isra^Iites remontent plus haut que les lois du Pentatenrjue
et la redaction des premi^res est anterieure s celle des secondes. i. Läu-
teret principal de I historien dolt porter sur la datc des lois, parce
que sur m terrain il a plus de chance d'arriver ä des resultals cer-
taina. II taut en conaequenca proceder a Tinlerrogatoire des temoins.
ü. L'histoire racontee dans les livres des Juges et de Samuel, et mOine
en partie celle comprise dana les livres des Rois, est en ointrndiction
avec des lois dites mosaiques; douc celles-ci etaienl incouuues a l'rpoque
de la r^dactluu de ces livres, k plus forte raison elles u'ont pas existe
dans les teraps qui j sont decnts. 6. Les prophales du 8« et du 7 •
siede ne savent rien du Code mosüque. 7. Jer^mie est le premier
prophite qui coniutisse une lof ecrite et ses citAtions rapporteut
Das Problem. 5
er hat zuerst deutlich die Kluft empfunden und nachgewiesen,
welche sich zwischen dem angeblichen Ausgangspunkte der israeli-
tischen Geschichte und ihr selber auftut. Das in der Wüste auf
so breiter Grundlage eiTichtete Gebäude der religiösen Gemeinde,
mit ihrem heiligen Mittelpunkte und ihrer uniformen Organisation
verschwindet spurlos, seit Israel landsässig und ein eigentliches
A^olk geworden ist. Die Richterperiode stellt sich uns dar als ein
buntes Chaos, aus dem allmählich eine zusammenfassende Ordnung
hervorgeht, unter dem Druck der äusseren Umstände, aber auf eine
höchst natürliche Weise und ohne jegliche Reminiscenz an eine
einheitliche heilige Verfassung, die einst zu Recht bestanden hätte.
Hierokratische Neigungen hat das hebräische Altertum gar nicht;
die Macht ist lediglich bei den Geschlechts- und Familienhäuptern
und bei den Königen, sie verfügen auch über den Gottesdienst und
setzen die Priester ein und ab. Der Einfluss, den die letzteren
besitzen, ist bloss ein moralischer; die Thora Jahves ist nicht ein
ihre eigene Stellung sicherndes Dokument in ihren Händen, sondern
eine Unterweisung für andere in ihi-em Munde; sie hat wie das
Wort der Propheten nur göttliche Autorität, gilt nur so weit als
sie freiwillig anerkannt wird. Was endlich die Literatur betrifft,
die uns aus der Königszeit überliefert ist, so wird es dem besten
AVillen schwer, ein paar zweideutige Anklänge an das Gesetz auf-
zustöbern, die gar nichts bedeuten, wenn man bedenkt, was Homer
für die Griechen gewesen ist.
Um das Befremden auf die Spitze zu treiben, kommt nun
noch hinzu, dass im nachexilischen Judentum der bis dahin latente
Mosaismus plötzlich überall zum Vorechein kommt. Da haben
wir das Buch als Grundlage des geistigen Lebens, „die Leute der
Denteronome. 8. Le Deuteronorae (4, 45 — 28, 69) est le livre que les
pretres pretendaient avoir trouve dans le teraple, du temps du roi
Josias. Ce code est la partie la plus ancienne de la legislation (redigee)
comprise dans le Pentateuque. 9. I/histoire des Israelites, en tant
qu'il s'agit du developpement national determine par des lois ecrites,
se divisera en deux periodes, avant et apres Josias. 10. Ezechiel est
anterieur ä la redaction du code rituel et des lois qui ont definitivement
organise la Hierarchie. 11. Le livre de Josue n'est pas, tant s'en faut,
la partie la plus recente de l'ouvrage entier. 12. Le redacteur du Penta-
teuque se distingue clairement de Pancien prophete Moyse. — Trotzdem
darf Reuss mit Vatke nicht auf eine Linie gestellt werden: ihm ging
eben ein Licht auf, als jener bereits sein Buch schrieb, und er verstand
dies Buch nicht, als es erschien, sondern erst ein halbes Jahrhundert
später, nach seinem eigenen Eingeständnis.
Dm Problem.
k
Schrift" wie lior Koran sayt; lia haben wir das Heiligtum, diS
Priester imil Leviten int Mittelpunkt und das Volk als GemeinctA
darum gelagert, da liahen wir den Kultus, die Brand- und Sund-
opfer, die Iteinigungen uud Euthalluiigen, die Feste und Sabbathe
genau nach dor Vorscbril^ des Gesetzes, als die Hauptsache des
Daseins. Man uehmo die Gemeinde des zweiten Tempels und
vergleiche sie mit dorn alten Volke Israel, so hat man auch den
Abstaud dieses letzteren vom sogenannten Mosaismus. Die Juden
selbst haben diesen Alistand Behr wol enipfun<)en. Die gegen Ende
de« babylonisdieu Exils unternommene Bearbeitung der Bücher
der Richter, Samuelis und dor Könige, die weit stärker eingreift,
als man gewöhnlich annimmt, verdammt die ganze Königszeit als
liäretisuh. Später gestaltete mau die mehr und mehr mit einem
gewissen Nimbus umgebene Vergangenheit lieber einfach ins
Legitime um, als dass man sio verurteilte: die Chronik zeigt, wie
sich die Gesohichto des Altertums ausnehmen müsste unter der
Voraussetzung, daga d'e mosaische Ilierokratie ilire Grundlage ge-
wesen sei.
2. Diese kurzen Bemerkungen haben nur den Zweck, za
aeigen, dass es kein eingebildetes, sondern ein wirkliches und un-
abweisbares Proidem Ist, um das wir uns bemühen. Dasselbe soll
damit nur eingeleitet werden; zu erledigen ist es nicht so leicht,
im Gegenteil schwierig genug. 80 schlechtliin lässt sich die Frage
überhaupt gar nicht aufwerfen, welche geechichtliehe Stellung das
Gesetz einnehme. Denn das Gesetz, wenn wir darunter den ganzen
Pentateuch verstehn, ist keine literarische Einheit und keine ein-
fache geschichtliche Grösse. Seit Peyrerius und Spinoza hat die
Kritik die komplicirte Natur «lieses merkwördigen Schriftwerkes
erkannt und seit Jean Astruc sich mit Erfolg bemüht, die ursprüng-
lichen Bestandteile ans ihrer VorscUlingung zu lösen; sie ist gegen-
wärtig KU einer Anzahl von Ei-gebnisscn gelangt, die als gesichert
gelten können. Folgende sind darunter die vornehmsten. /Die fün f
Bücher Mosis gehören mit dem Buche Josua zusammen, indem
nicht dor Tod Moses, sondern vielmehr die Eroberung des ver-
heissenen Landes den wahren Abschluss zu der Erzvätergeschicht«,
der Ansfiihning aus Ägypten, und der Wüste nw an demng bildet;
man redet also Uterarisch richtiger vom Hexateuch als vom Penta-
teuch^. Aus diesem Ganzen löst sich am einfachsten das Deute-
rousiaium ab, als ein von Maus ans selbständiges Gesetzbucli.
d
Das Problem. 7
Im übrigen tritt am markantesten die s. g. Grundschrift hervor,
ehedem auch, wegen der Anwendung des Gottesnamens Elohim
bis auf Moses, als der Elohist, von Ewald, nach der regelmässigen
Form der Kapitelüberschriften in der Genesis, als das Buch der
Ursprünge bezeichnet. Sie zeichnet sich aus durch ihre Neigung
zu ^hl und Maass, überhaupt zum S chem a, dmxh ihre starre
pedantische Sprache, durch die beständige Wiederholung gewisser
Ausdrücke und Wendungen, die sich im älteren Hebraismus sonst
nicht finden: sie hat die ausgesprochensten Charakterzüge und ist
daher am leichtesten und sichersten zu erkennen. Hir Grund-
stock ist der Leviticus nebst den verwandten Teilen der an-
grenzenden Bücher, Exod. 25 — 40 mit Ausnahme von Kap. 32 — 34,
und Num. 1 — 10. 15 — 19. 25 — 36 mit geringen Ausnahmen. Sie
enthält demnach vorzugsweise Gesetzgebung, und zwar bezieht sich
selbige wesentlich auf den Kultus der Stiftshütte und was damit
zusammenhängt. Historisch ist um* die Form, sie dient dem ge-
setzlichen Stoflf als Rahmen, um ihn anzuordnen, oder als Maske,
um ihn zu verkleiden. Gewöhnlich ist der Faden der Einzahlung
sehr dünn und häufig nur dazu da, der Zeitrechnung als Vehikel
zu dienen, die von Erschaffung der Welt an bis zum Auszug aus
Ägypten lückenlos fortgeführt wird; nur wo die anderweitigen
Interessen einspielen, schwillt sie an, wie in der Genesis bei den
drei Vorstufen des mosaischen Bundes, die sich an die Namen
Adam, Noah und Abraham knüpfen. Scheidet man nun ausser
dem Deuteronomium auch diese Grundschrift aus, so bleibt das
jehovistische Geschichtsbuch übrig, welches im Gegensatz zu jenen
beiden wesentlich erzählender Natur ist und den Uberlieferungs-
stoflf recht mit Behagen ausbreitet. Die Patriarchengeschichte,
die ihr beinah ganz angehört, charakterisirt diese Schrift am
besten; dieselbe erscheint hier nicht als kurz abzumachende Ein-
leitung für das Wichtigere, was kommen soll, sondern als eine
ausfühiiichst^^zu^_behan^ Hauptsache. Legislative Elemente
finden sich nur an einer Stelle aufgenommen, wo sie in den ge-
schichtlichen Zusammenhang hineingeboren, nämlich bei der Ge-
setzgebung auf dem Sinai (Exod. 20 — 23. 34).
Lange Zeit hat man sich mit dieser Zweiteilung des nicht-
deuteronomischen Ilexateuchs begnügt, bis Hupfeld in gewissen
Stücken der Genesis, die man bis dahin teils der Grundschi-ift,
teils dem Jehovisteu zugewiesen hatte, eine dritte zusammen-
R Dss PmWem.
hangende Quello aufwies, den s. g, jän^eren Eloliiaten, Der Nan
ist darum gewählt, weil auch hier Elühim die regelmässige Be-
zeichnung der Gottheit ist-, ebenso wie es in der Orundsihrift bis
Exod. I) der Fall ist; doch bleibt der Zusatz der jüngere Elohlst
besser weg, da er ein unberechtigtes Präjudiz enthält und zur
Unterscheidung von der Cirundschrift nicht mehr nötig ist, seit für
sie der in der Tat anpassende Name Elohist aufgegeben worden
ist.. Ilupfetd nahm nun an, da£s die drei Quellen neutral neben
einander hergelaufen seien, bis ein Hpaterer sie allesamt zugleich
zu einem Ganzen vereinigt habe. Aber dies ist eine unhaltbare
Vorstellujig, der Elohist ist nicht bloss im Stoffe und in der An-
gi'hauuug dem Jehovisten nächst verwandt, sondern er ist uns auch
nur als ein Ingrediens der jehovistischen Schrift erhalten; was zuerst
Nöldeke erkannt hat'). Dann bleibt es also, trotz Hupfelds Eul-
deckung, dennoch bei der alten Zweiteihing in zwei giosse
Schichten; und man hat alle Ursache, diesen ITauptgegensatz aU
Grundlage der historischen Untersuchung festzuhalten, trotzdem
sich mehr und mehr herausstellt, dass nicht bloss der Jehovist,
sondern auch die Grundschrift komplicirte Gebilde sind, und dass
daneben noch zwitterhafte oder posthumo Elemente vorkommen,
die sieh nicht einfach der einen oder der anderen Schicht zuweisen
lassen ').
r Zu-
\ iinil die Art
deke, die s. «■ ''fund-
' Kritik de» Allen
i)I|pnnann Hu|ifcld, die (jup)lcn der (
sninmpnKetzilUg; Berlin 1853. ThcoUor noicie
schrifl des Pentateuchn (in den Unters iicliuiigcn
TesLaraenl*, Kiel 1869).
*) J. Wellhausen, die Romiiosilioa de« HexateuchB (Jahrhücher für
D^utachv Tlieoloeie 1876. 1877). Einiclheiten gehe ich preis; in der
allgnnjeinon Betrachtung weise dos literarischen Proiossea , wodurch der
Pentateuch entstanden ist, gUuhe ich der Forschung die richtige Bahn
gewiesen »u haben. Wesentlich korrigirt hin ich l>iB jetit nur durch
EnenUD, in den aeit 1S77 in der Leidener TheologiBehen Tijdschrift von
ihm vertiffentlii'hten Bijdragen tot de critjok tan Pentateuch cn Joiuä;
alier diese Korrektur ixt von der uigenchmeu Art, dass sie meine eigene
Grund an sc hauung l<e freit von hangen gebliebenen Resten des alten
Sauerteiges der raechauisehen Quell cnschcidung. Kuenen leiirt nainenl-
lich, dass gewisse Elemente, die ich dem Kiohii;ten zugewiesi'u habe,
nicht Fragmente eines einst selbständigen Znsammenhanges sind, sondern
eingeschaltete Nachträge, die sich para.sitisch einem anderweit i^'pn Zu-
sammenhauge nngesebt haben. Ich lie7eii'hiie das jeho\isfische üe-
schichtshuoh mit JE, die Elohimijuelle desselben mit E, die Jnhvequelle
mit J, den Priesterkodex mit P und verweise im übrigen nuf die Nach-
träge in meiner Komposition des Uexatcuchs und der historischen Bücher
des A. T. 3. Aofl. Berlin 189».
Bucher J
HU»
Das Gebets nun, nach desBen geschichtlicher f^teIlun)^ wir
fragen, ist. die b. r. Orundschrift, dio nach ihrem Inhalt und
l'rsprung der Pripsterkodex zu heisseii verdient und so auch hin-
fort genaunt werden soll. Der Priesterkodex prävalirt nicht bloss
in thnfang, aomlern auch in Geltung üher die anderweitige Gebets-
Hebung, er gibt in allen Hauptsachen MaiLss und Ausschlag, Nach
Reinem Muster haben ilie Juden unter Ezra ihre heilige Gemeinde
eingerichtet, und auch wir stellen uns darnach die mosaische
Theokratiö vor: mit der Stiftshfltte als ihrem Ceutrum, dem
»fiohenpriester als ihrem Haupte, den Priestern und Leviten als
Organen, dem legitimen Kultus als ihrer regelmässigen
|l>ebensäusscrung. Dies Gesetz im eminenten Sinne ist es nun
Mch grade, welches in jene Schwierigkeiten verwickelt, die unser
iblem begründen; nnd nur hier herrscht der grosse Zwiespalt
fiher die Entstehuugszeit. Bei der je hovistischen Sc hrift ist man
iri erfreulicher Weise darüber einveretanden, dass sie, ihrem Haapt-
bestande nach, durch Sprache, Gesichtskreis nnd übrige Voraus-
wtzungen, d er goldenen Peri ode dei^ hebräisciien_Literat!ir_jsuge-
wird, ans der die schönsten Stüt'ke der nücher der Richter,
NS&muelis und der Könige und die ältesten dor uns erhaltenen
prophetischen Schriften herrühren, d er Ze it der Könige l uid Pro-
pheten, dio der Auflösung der lieiden Israeli tiscRen Reiche durch
die Assyrer vorhergeht. Über den l'rs^ung jles Deuteronomiums
'herrscht noch weniger Zweifel-, in allen Kreisen, wo überhaupt
if Anerkennung wissenschaftlicher Resultate zu rechnen ist, wird
lerkannt, dass es in der Z eit verfasat ist , in jer es en tdeckt und
der Reformation des K önigs Jogjas zu gr ünde gelogt wurde: diese
letztere wurde etwa eine Generation vor der Zerstöiiing Jerusalems
durch die Chaldaer durchgeführt. Nur beim Priestorkodex gehn
die Ansichten weit auseinander. Dereelbe sucht nämlich mit Fleias
das Kostüm der mosaischen Zeit einzuhalten und seine eigene so
viel es immer geht zu verschleiern. Das Deuteronomium tut dies
ni weitem nicht in dem Grade, lässt vielmehr die wirkliche
Huatlon, die Periode, wo nach der Zeretörung Samariens nur
; Kelch Juda allein noch fortbestand, sehr deutlich durch die
igcnommene hindurch scheinen (12,8. 19,8). Der Jehovist nun
: will kein mosaisches Gesetz, sondern ein einfache.'; Geschichts-
Kh eeiii-, der Abstand der Gegenwart von dor Vergangenheit,
Bier di« gehandelt wird, wird nicht im mindesten verdeckt; hier
mir
10
D»s Pro Wem.
finilcii eich allo jene Hemcrliun^on, die zuerst Alieiieznis uad
später .Spinozas Aufmerksamkeit erregten, wie Gen. 12,6: 'lamals
wuhntcn nämlich die Kanaaniter im Lande; Gen. 36,31: das dnt]
die Könige, welche in Edom herrschten, ehe die Kinder Israel
einen König hatten; Num. 12,6. 7. Deut. 34,10: es stand fürder
kein Prophet m Israel auf, der SEoses gleich gekommen wäre.
Didiingegen der I'riesterkodex hütet sich vor jeder Uinweisung auf
die spätere Zeit, auf das ansässige Lehen im Lan'le Kanaan,
welches sowol im jehovistischen Bundesbuch (Exod. 21—23) wie
im Deuteronomium die ausgesprochene Basis der GesetJtgehui^ ist;
er hält sich formell streng innerhalb der Situation der Wüsten-
Wanderung und will alles Ernstes eine Wüstengesetzgebung sein.
Ea ist ihm wirklich gelungen, mit dem beweglichen Tabernakel,
mit dem WaiiderUger, und mit dem übrigen archaistisclieu Schein
seine wahre Abfassangszeit so zu verschleiern, dasa die vielen
materiellen Widersprüche gegen das uns anderweit bekannt« vor-
exilische Altertum, die er enthält, nur als Zeichen davon auf-
gefasst werden, wie er über alle historische Zeit weit hinansrago
und vor lauter Unvordeuküchkeit kaum noch in einer Berührung
damit stehe. Der Priesterkodex also gibt uns das Rätsel auf.
3. Es war ein richtiger Instinkt, dass die Kritik von dem
zuei-st in de Weites Geist aufgestiegenen und bestbnmter von
Gooi^e und Vatke erfassten geschichtlichen Probleme vorläu6g
Abstand nahm und zunächst mit der Komposition des Peutateuchs
einigermassen ins Reine zu kommen suchte. Es war aber ein
Irrtum, dass mau mit dem Ausscheiden der Quellen — wobei
man ganz suchgemäss die Hauptaufnierksamkeit auf die Genesis
richtete — beiläufig zugleich jene grosse historische Frage er-
Iciligt zu haben glaubte. In Wahrheit hatte man sie nur in
Schlaf gesungen: es ist Grafs Verdienst, nach einer langen Zeit
sie wiedererweckt zu haben. Seinerseits übersah er dabei freilich,
nicht zu seinem Vorteil, den Fortschritt der Secirarbeit und ver-
wickelte sich dadurch in eine Verlegeuheitsannalime , die völlig
unhaltbar war, indessen auch gar nicht mit der eigentlichen Hypo-
these znsammenliing und auf dem Stande, zu dem Hupfeld in-
zwischen die Quellenkritik gefordert hatte, von selber wegfiel.
Graf folgte nämlich anfangs der älteren, besonders durch Friedrich
Tuch vertreteneu Meinung, dass der Priesterkodex in iler Genesis,
mit seinem so nackt hervortretenden Skelett, die Gmndschrift eei.
J
Das Problem. 11
der Jehovist aber der Ergänzer und als solcher uatürlich jünger;
da er nun die Kultusgesetzgebung der mittleren Bücher umgekehrt
für weit jünger hielt als den Jehovisten, so musste er dieselbe
wol oder übel von ihrer Einleitung in der Genesis losroissen und
das eng Zusammengehörige durch einen Zeitraum von einem halben
Jahrtausend trennen. Aber längst hatte Hupfeld zur Anerkennung
gebracht, dass der Jehovist kein Ergänzer sei, sondern Verfasser
eines vollkommen selbständigen Schriftwerks, und dass die Stücke,
die, wie Gen. 20 — 22, vorzugsweise als Beispiele jehovistischer
Überarbeitung der Grundschi'ift vorgeführt wurden, in Wirklich-
keit einer ganz anderen Quelle, dem Elohisten, angehörten. Da-
durch war der Anstoss, über den Graf gestrauchelt war, bereits
im voraus beseitigt, eine unerwartete Bundesgenossin hatte ihm
die Wege geebnet. Dem W^inke A. Kuenens folgend zögerte er
nicht, ihre Hand anzunehmen, er widerrief die gewaltsame Zer-
splittening des Priesterkodex und zog nun unbehindert aus den
Ergebnissen, die er für den gesetzlichen llauptteil gewonnen hatte,
die Konsequenz auch füi* den erzählenden Teil in der Genesis').
Damit war der Grund gelogt; zur weiteren Ausgestaltung der
Hypothese hat hernach Kuenen das Meiste beigetragen, den die
Hebräer den Goel Grafs nennen würden. Die Inhaber der heiT-
schenden Meinung wehrten sich freilich, so gut sie vermochten,
sie waren aber vom langen Besitze her ein w^enig erstarrt auf ilu-en
Hefen. Sie erhüben gegen den Grundstürzer eine Reihe von Ein-
wänden, die alle mehr oder weniger an dem Fehler litten, dass
sie das erschütterte Fundament zur Basis hatten. Stellen aus Amos
und Hosea wurden vorgebracht, welche Bekanntschaft mit dem
Priesterkodex verraten sollten; wer aber diesen füi* jünger hielt
als jene, auf den konnten sie keinen Eindruck machen. Fast un-
') K. H. Graf, die s. g. Grundschrift des Pentateuchs, in Merx' Archiv
1869 p. 466 — 477. Schon in einem Schreiben an Kuenen vom 12. Nov.
1866, Theol. Tijdschrift 1870 p. 412, hatte er geäussert: vous me faites
pressentir une Solution de cette enigme c'est que les parties
elohistiques de la Genese seraient posterieures aux parties jehovistiques.
Graf war auch in dieser Hinsicht Keuss gefolgt, welcher letztere a. 0.
p. 24 von sich sagt: Le cote faible de ma critique a ete que, ä l'egard
de tont ce qui ne rentrait pas dans les points enumeros ci-dessus, je
restais dans l'omiere tracee par mes devanciers, admettant sans plus
ample examen que le Pentateuque etait Touvrage de Thistoricn tUoliiste,
complete par Thistorien jehoviste, et ne me reudant pas compte de
la maniere dont l'element legal, dont je m'etais occupe exclusivemont,
serait venu se joiudre a Telement historique.
geherdig stclHo
i DquI
1 sii'li Hnriilter, dass die Kultiisgt'WIzgflniDi; ]
ickt V
k
uiitw das DQuIcronomium hiiialigedrückt war: man berief sich d«^
auf, dass letzteres ereteru ja benutze. Al>er die Spuren erw-iesen
sich ala äusserst [Yroblematisch, während umgekehrt die gansliclie
Abhängigkeit des Deuteronomiuras vom Jchovisteii mit der grössten
Klarheit hervortrat. Mau wies auf die letzte liedaktion des hexa-
leuohiHclien ßesamtwerkes hin, die anerkannt ormasson deaterono-
mtatiBi^ sei — es stolUo sich aber heraus, duas die iloulerotio-
mistisehe Redaktion bei den zum l'riesterkodex geliörigen Stücken
schwer aufzuspüren war. Auch die Sprachgeachiclite mussto gegen
Graf herhalten; sie war es leider gewohnt, wie weiches Wachs be-
handelt zu werden. Kurz die Argumente, die ins Feld Keführt
wunlen, entlehnten insgemein ihre Kraft der moralischen Über-
zeugung, dass die Kultusgesotzgobung alt sein müsse und nicht
erst in der Periode des Judentums niedergeschrieben sein könne:
wenn sie vorher nicht wirksam, ja anter den vorexilischeu Ver-
hältnissen unausführbar gewesen sei, so könne sie ja darnm doch
vorhei' existirt haben. Diese Überzeugung war um so unerschütter-
licher, je weniger sie auf firünden benihte.
Von der Stolle, wo das Keuer angelegt war, hielt sich die
Löschmannschaft fern. Ich meine das Gebiet der gottesdienstliohen
Antiquitäten und der herrschenden Religionsideon, in dem gajizen
Umfange, wie Vatke es in seiner biblischen Theologie behandelt
hat. Nui- hier aber, wo der Kampf eigentlich entbrannt Lst, kann
er zum Austrage gebraclit werden. Indem ich dazu gegenwärtig
den Vereuch mache, gehe ich aus von der Vergleichung der drei
Schichten des Ilexateuchs, des Priesterkodex, des Deuteronomiuras
und dos Jehovisten. Allerdings enthalten die ereteren beiden, wie
wir gesehen haben, Gesetzgebung, der letztere Erzählung; aber wie
der Dekalog (Exod. 2t)), das Zwei ta felgesetz (Exod, 34), imil »las
Bundesbuch (Esod. 21 — 23) zeigen, fehlt dem Jehovisten das legis-
lative Element nicht ganz, und in noch weit stärkerem Maasse ist
das historische im Priesterkodex und im Deutoronominm vertreten.
Ausserdem spiegelt sich immer in der Dnrstellung der Geschichte
der gesetzliche, in der Darstellung der Gesetze der gcschichtliclie
•Standpmikt ab; an direkteu und indirekten Vergleichungspnnkten
mangelt es also in keiner Weise. Dass nun die drei Schichten
erheblich von einander abstelm, ist anerkanut; es fragt, sich, wie
sie folgen. Das Deuteronomium steht sowol dem Jehovisten ab
Das Problem. 13
dein Priesterkodex näher, der Unterschied zwischen den beiden
letzteren ist der weiteste, so weit, dass aus diesem Grunde Ewald
es bereits im Jahre 1831 (Stud. und Krit. p. 604) für unmöglich
erklärt hat, dass eins zur Ergänzung des anderen geschrieben sei.
Nehmen wir hinzu, dass der Jehovist unbestritten dem Deuterono-
mium vorangeht, so würde sich ergeben, dass der Priesterkodex
an das Ende der Reihe gehöre. Aber diese Betrachtung, wenn-
gleich, so weit mii* bewusst, von Zugestandenem ausgehend, hat
keinen Wert, so lange sie sich so im allgemeinen hält. Es kommt
darauf an, die Folge der di^ei Schichten im einzelnen aufzuweisen
und sie daneben mittels eines unabhängigen Masses zugleich zu
erproben und zu fixiren, nämlich mittels des inneren Ganges der
israelitischen Geschichte, sowie er uns aus anderweitigen unver-
dächtigen Zeugnissen bekannt ist.
Es ist eine literargeschichtliche üntereuchung umfassender und
schwieriger Art, die wir beginnen. Sie zerfällt in drei Teile. Im
ersten, grundlegenden, werden die auf die sakralen Altertümer
bezüglichen Data gesammelt und in der Weise disponirt, dass man
sieht, wie im Pentateuch die Schichten ebenso auf und aus ein-
ander folgen, wie in der Geschichte nachweisbar die Entwicklungs-
stufen. Nicht gegen, aber ohne die anfängliche Absicht ist eine
Art Geschichte des Kultus daraus geworden. Freilich durch Schuld
des Materials eine farblose und grobe ; denn es handelt sich immer
bloss, in erster Linie um den Gegensatz von vorexilisch und nach-
exilisch, in zweiter um den von deuteronomisch und vordeutero-
nomisch. Ein Vorteil ist indessen bei den ausgedehnten Perioden :
sie müssen sich greifbar unterscheiden, es muss bei geschichtlichen
und gar bei gesetzlichen Werken zu erkennen sein, ob sie vor
oder nach dem Exil geschi-ieben sind. Der zweite Teil, in
mancher Hinsicht abhängig vom ersten, weist den Einfluss der
jeweils herrschenden Vorstellungen und Tendenzen auf die Gestaltung
der historischen Tradition nach und verfolgt die verschiedenen
Phasen in der Auffassung und Darstellung derselben; er enthält
so zu sagen eine Geschichte der Überlieferung. Der dritte Teil
resumirt den kritischen Ertrag der beiden anderen mit Ilinzufügung
einiger weiteren Entscheidungsgründo, und schliesst mit einer all-
gemeineren Ausschau.
Die Voraussetzungen, die ich mache, werden im Laufe der
Untersuchung immer wieder neu gerechtfertigt; die beiden vor-
14 Das Problem.
nehmsten sind, dass das jehovistische Werk, seinem Grundstöcke
nach, vor die assyrisclie Periode fallt, das Deuteronomium an den
Schluss derselben. Für so sicher ich übrigens die Datirnng des
letzteren nach 2. Reg. 22 auch halte, benutze ich diese Position
doch nicht in dem Maasse wie Graf, um meine Hebel anzusetzen.
Das Deuteronomium ist der Ausgangspunkt nicht in dem Sinne,
dass ohne es nichts zu machen wäre, sondern nur in dem Sinne,
dass seine Ansetzung nach historischen Gründen die notwendige
Forderung nach sich zieht, auch den Priesterkodex nach historischen
Gründen anzusetzen. Meine Untersuchung ist breiter angelegt als
die Grafs und nähert sich der Art Vatkes, von welchem letzteren
ich auch das Meiste und das Beste gelernt zu haben bekenne.
I.
Geschichte des Kultus.
Legem non habentes naturaliter quae legis sunt faciunt.
Erstes Kapitel.
Der Ort des Gottesdienstes.
Wie aus dem Evangelium bekannt ist, stritten sich zur Zeit
Jesu Juden und Samariter über die richtige Stätte, wo man an-
beten solle; dass es nur eine einzige geben könne, das war ihnen
80 ausgemacht, wie die Einheit Gottes selber. Die Juden sagten,
es sei der Tempel zu Jerusalem, und seit er zerstört war, hörten
sie auf zu opfern. Allein von jeher hat diese Einheit des Heilig-
tums in Israel weder tatsächlich bestanden noch rechtlich gegolten,
sie hat sich erst allmählich im Laufe der Zeit herausgebildet.
Die Überlieferung des Alten Testaments gestattet noch ganz wo!
zu verfolgen, auf welchem Wege. Mehrere Stadien lassen sich
dabei unterscheiden: es wird sich fragen, ob die drei Schichten
des Pentateuchs eine Beziehung zu einem oder dem anderen
Stadium auf^^eisen, ob und wie sie sich in den Verlauf des ge-
schichtlichen Processes fügen, dem wir an der Hand der historischen
und prophetischen Bücher seit der Richterzeit nachgehn können.
I.
1. Für die älteste Periode der israelitischen Geschichte, vor
dem Tempelbau, lässt sich von einem ausschliesslich berechtigten
Heiligtume nicht die Spur auffinden. In den Büchern der Richter
und Samuelis wird kaum ein Ort erwähnt, an dem nicht auch,
wie sich bei Wege ergibt, ein Altar steht und geopfert wird.
Zum grossen Teil gehörte diese Vielheit der Heiligtümer schon
Wellhansen, Prolegoinena. 5. Aufl. O
18 Geschichte des Kultus, Kap. 1.
zur kanaanitischen Erbschaft der Hebräer; wie in die Städte und
überhaupt in die Kultur der alten Bewohner, so wuchsen sie auch
in ilire Kultusstätten hinein. Die sogenannten Höhen (Bamoth)
mit ihrem Zubehör sind ohne Zweifel von Haus aus kanaanitisch
(Deut. 12, 2. 30. Num. 83, 52. Exod. 34, 12 s.), hinterher finden
sie sich ganz allgemein von den Hebräern angeeignet. Bei Sichern
und Gibeon vollzieht sich der Übergang beinah im vollen Licht
der Geschichte; einige andere alt-israelitische Kultusorte, die hinter-
cbein zum teil zu Levitenstädten gemacht worden sind, verraten
wenigstens durch ihre Namen ihren Ui'sprung, wie Bethsemes oder
Ir-hercs, Anathoth, Astharoth. Auch in dem Volksgedächtnis ist
die Erinnerung daran, dcuss man manche der später angesehensten
Opferstätten schon bei der Einwanderung vorgefunden hatte, nicht
ausgestorben. Sichem Bcthel Beerseba gelten in der Genesis als
Stiftungen der Patriarchen, andere gleich wichtige Heiligtümer
nicht — der Grund dafür kann nur in dem Bewusstsein ilu^es
jüngeren Altei's liegen; jene hatte man bei der Einwanderung vor-
gefunden, diese hatte man selbst gegründet. Denn natürlich, wenn
sich die Hebräer nicht scheuten, die alten Landesheiligtümor sich
anzueignen, so trugen sie auch kein Bedenken neue zu stiften. In
Gilgal und Silo, den festen Lagern, wo sie zuerst im eigentlichen
Palästina festen Fuss gefasst haben, entstehn alsbald bedeutende
Centra des Gottesdienstes, ebenso an anderen Orten von politischem
Belang, auch an solchen, die nur zeitweilig in den Vordergrund
rücken, wie Ophra, Rama, Nob bei Gibea. l^nd neben den grösseren
fundirten Stätten, mit mehr oder weniger regelmässigem Dienste,
ist es durchaus gestattet, überall wo ein Anlass sich bietet ohne
weiteres einen Altar zu errichten und Opfer zu bringen. Als
nach der Schlacht von Michmas das A^olk, müde und hungrig,
über erbeutetes Vieh herstürzte und anfing das Fleisch im Blute
zu verzehren, Hess Saul einen grossen Stein herwälzen und be-
fahl, jeder solle dort sein Bind oder Schaf schlachten. Das sei
der erste Altar, den Saul dem Jahve gebaut habe, fügt der Be-
richterstatter hinzu, gewiss nicht um ihm einen A^orwurf zu
machen oder auch nur um sein Handeln als etwas auffallendes
und ausnahmsweises zu bezeichnen. Das Beispiel ist um so lehr-
reicher, weil es zeigt, wie das Verbot, Fleisch zu essen ohne das
Blut auf den Altarstein zu streichen, in einer Zeit wo das Volk
nicht auf ganz engem Räume zusammengedrängt wohnte, not-
Der Ort des' Gottesdienstes. 19
wendigerweise die Freiheit voraussetzt, überall zu opfern — oder
zu schlachten, denn beides ist ursprünglich ganz gleichbedeutend.
Rs versteht sich, die Opferstätten, auch abgesehen von den
impro\dsirten, standen sich nicht gleich an Ansehen und Frequenz;
neben rein lokalen gab es auch solche, zu denen man von weit
und breit wallfahrteto. Gegen Ende der Richterzeit scheint Silo
eine vielleicht über die Grenzen des Stammes Joseph hinaus-
reichende Bedeutung gewonnen zu haben. Den Späteren galt der
dortige Tempel sogar als der Vorgänger des salomonischen, d. h.
als der einzig legitime Kultusort, dem Jahve alle Brandopfer der
Kinder Israel verliehen habe (Hierem. 7, 12. 1. Sam. 2, 27 — 36).
In Wahrheit aber, wenn ein wolhabender Mann aus Ephraim
oder Benjamin beim Jahreswechsel zum fröhlichen Feste nach Silo
pilgerte, so tat er das nicht, weil in seiner Heimat zu Rama oder
Gibea keine Gelegenheit gewesen wäre, vor Jahve zu essen und
zu trinken. Eine strenge Centralisation ist für jene Zeit ein un-
möglicher Gedanke, auf dem Gebiete des Gottesdienstes nicht
minder, wie auf jedem andern. So zeigt sich denn auch, dass die
Zerstörung des Hauses von Silo, dessen Priesterschaft wir später
zu Nob wiederfinden, auf den dermaligen Charakter und Zustand
des Kultus nicht den geringsten Einfluss ausübt; dasselbe ver-
schwindet stillschweigend vom Schauplatz und taucht nicht wieder
auf, bis wir von Jeremias erfahren, dass es, mindestens seit der
Gründung des salomonischen Tempels, in Trümmern lag.
Für die Periode, wo der Tempel von Jerusalem noch nicht
stand, lässt auch die letzte Bearbeitung der historischen Bücher,
die \ielleicht nicht bei allen von der selben Hand, aber aus der
selben Zeit (des babylonischen Exils) und aus dem selben Geiste
stammt, die Vielheit der Altäre und heiligen Orte unbeanstandet.
Kein nachsalomonischer König kommt ohne Rüge davon, dass er
die Höhen geduldet habe, aber Samuel darf in eigener Person
einem Opferfeste auf der Bama seiner Vaterstadt voi-stehn, Salomo
im Anfange seiner Regierung ein solches auf der grossen Bama
zu Gibeon anrichten, ohne dass es getadelt wird. Der anstössige
Name wird 1. Sam. 9. 10 mehrfach in harmlosester Weise ge-
braucht und die Redaktion lässt ihn ohne Anstand passiren.
Der Grundsatz, von dem sie sich bei diesem wie es scheint un-
gleichmässigen V^erhalten leiten lässt, erhellt aus 1. Reg. 3, 2: das
Volk opferte auf den Höhen, denn bis dahin war noch
9*
I
I
20 Geschichte des Kaltii», Kap. 1.
kein llans dem Namen Jahvea gebaut. Erst seit daa Hfl
dem Namea Jalives gebaut war, das ist die Meinui^, kam das
Oebot in kraft, keine anderen Anbetnngsstätten daneben zu
liaben*). Von dem salomonischen Tempelbau, der ja auch als
chronologische Hanptepoche gilt, wird also ein neuer Absclinitt in
der Kultusgeschichte datirt. In gewisser Weise mit Recht. Das
Königtum in Israel verdankte seine Entstehung dem notgedrungeneii
Erwachen des Bediii'fnisses, die bis dahin nur sehr lose ver-
bundenen Stämme und Geschlechter der Hebräer zu der Einheit
eines Volkes und Reiches zusammenzufassen; es hatte eine aus-
gesprochene centralisirende Tendenz, die sich sehr natürlich auch
des Kultus als eines geeigneten Mittels zu dem politischen Zwecke
bemächtigte. Schon der erste, der beinah König geworden wäre,
Gideon, .stiftete ein kostbares Heiligtum in seiner Stadt Ophra;
David Hess die Lade Jalives in seine Burg auf dem Sion holen
und legte Wert darauf, den Erben der alten Familie, welche ehe-
dem zu Silo sie gehütet hatte, zum Priester zu haben; auch
Salomos Tempel sollte die Anziehungskraft seiner Residenz er-
höhen helfen. Unzweifelliaft gab auf diese Weise die politische
Central isatiou den Antrieb zu einer grösseren Centralisation auch
des Gottesdienstes, und dieser Antrieb wirkte fort nach der Spal-
tung, in Israel ein wenig anders als in Juda. Die königlichen
Priester, die grossen Reichstempel, die Festversammlungon des
ganzen Volkes und die ungeheuren Opfer — das waren die Züge,
wodurch der früher wie es scheint sehr einfache Kultus jetzt die
Signatur einer neuen Zeit erhielt. Noch eins ist bezeichnend: die
häuslichen Dienste, die noch zu Davids Zeit allgemein gewesen sein
müssen, kamen allmäliUch ab, versteckten sich und verloren ihre
Bedeutung, weil die Kreise der Gemeinschaft sich erweiterten und
das Leben öffentlicher wurde.
Aber diese Betrachtungsweise der Bedeutung des Königtums
für die Geschichte des Kultus ist oiclit die des Verfassers der
Königsbücher. Er beurteilt den Tempel Salomos als ein AVerk, ledig-
') 1. Reg. 8, 16. Nach Deut 13, 10 s. wird die lokale Einheit de.« Kultus
Geaetz von der Zeit an, wo die Israeliten mr Riihu (Meuucha) ge-
kommen sind. Vergleicht man damit 2. Sam. 7, 11. 1. Rejj. 5, 18, t
scheint die Uenucha erst znr Zeit Daiida und Salomos einy[etreten zn il
Hein. Die Richte rperia de inüsste dann viel kürzer vorgestellt s«in, als
CS nach der jetzigen Chronologie den Aoechein hat Vgl. Josephu J
_ contra Ap. 1, 127. '^^^^J
Der Ort des Gottesdienstes. 21
lieh unternommen im Interesse des reinen Gottesdienstes und einer
ganz anderen Absicht entsprungen als die heiligen Bauten der
israelitischen Könige, denen er darum nicht gleich, sondern ent-
gegen steht wie das Echte dem Falschen. Er ist seiner Natur
nach einzigartig und von vornherein in der Absicht, dass nun alle
anderen Opferstätten aufhören sollten, angelegt worden: in einer
religiösen Absicht, die von der Politik unabhängig ist und nichts
mit ihr zu schaffen hat. Diese Auffassung nun ist ungeschichtlich
und überträgt die Bedeutung, die der Tempel kurz vor dem Exil
in Juda erlangt hat, in die Zeit und in die Absicht seiner Giiin-
duag. In Wahrheit ist er nicht gleich anfangs gewesen, was er
nachgehens geworden ist. Er wirkte durch seine eigene Schwere,
aber nicht durch ein Monopol Salomos. Nirgends hören wir da-
von, dass dieser als ein Vorläufer Josias seinem neuen Heiligtum
zu lieb die übrigen habe abschaflfen wollen; von einem so unvor-
bereiteten gewaltsamen Einschnitte in die bisherigen Verhältnisse
des Gottesdienstes findet sich nicht die geringste geschichtliche
Spur. Nicht einmal die auf das kleine Juda beschränkten Nach-
folger Salomos machten den hier vielleicht durchführbaren und
gewiss in ihrem Interesse gelegenen Versuch, den öffentlichen
Kultus in ihrem Tempel zu vereinigen, so eigenmächtig sie sonst
auf diesem Gebiete schalteten. Die Höhen wurden nicht beseitigt
— so wird regelmässig bei allen konstatirt. Für das eigentliche
Israel war Jerusalem erst recht nicht der Ort, den Jahve erwählt
hatte — vollens nach der Spaltung des Reichs. Scharenweise
pilgerten die Ephraimiten durch die ganze Länge des Südreichs
hindurch nach Beerseba und gemeinschaftlich mit den Judäern
nach dem an der Grenze gelegeneu Gilgal; nach Jerusalem gingen
sie nicht. Im eigenen Lande dienten sie dem Jahve zu Bethel
und Dan, zu Sichem und Samarien, zu Phenuel und Mispha und
an vielen anderen Orten; jede Stadt hatte ihre Bama, in der alten
Zeit meist frei auf dem Berge gelegen, auf dessen halber Höhe
die Menschen wohnten. Der grosse Eiferer für den reinen Gottes-
dienst, Elias, nahm so wenig an den Höhen und an der Vielheit
der Altäre Jahves Anstoss, dass ihn ihi*e Zerstörung als die Spitze
des Frevels erbitterte und er mit eigener Hand den verfallenen
Altar auf dem Karmel wieder aufbaute. Und dass auch das
improvisirte Opfer bei ausserordentlichen Gelegenheiten nicht ausser
Brauch gekommen war, zeigt Elias Beispiel, der, als er hinter
22 Geschichte des Kultus, Kap. 1.
dem Pfluge weg berufen wurde, seine Rinder auf der Stelle zer-
stückte und opferte. In dieser Hinsicht blieb also auch nach
Salomos Tempelbau alles beim Alten.
Wenn Volk und Richter oder Könige, Priester und Propheten,
Männer wie Samuel und Elias ungescheut opferten, wo sie An-
lass und Gelegenheit hatten, so hatte offenbar in jener ganzen
Zeit niemand eine Ahnung davon, dass dies ketzerisch und ver-
boten sei. Wenn eine Theophanie dem Josua die Heiligkeit Gil-
gals kund tat, Gideon und Manoah veranlasste in ihrer Heimat
Altäre zu gründen, David auf die Tenne Araunas aufmerksam
machte, so galt darnach Jahve selbst als der eigentliche Stifter
aller dieser Heiligtümer, und zwar nicht bloss dem Zeitalter der
Richter, sondern viel gewisser noch dem Zeitalter des Erzählers
dieser Legenden. Durch eine gnädige Offenbarung belohnte er
Salomos erstes Opfer auf der grossen Bama zu Gibeon, er konnte
also kein Ausfallen daran haben. Nach alle dem ist es absurd,
von einer Hlegitimität des faktischen Bestandes zu reden; in der
ganzen älteren Zeit der israelitischen Geschichte ist die Be-
schränkung des Kultus auf einen einzigen auserwählten Ort auch
als fromme Forderung keinem bewusst gewesen. Wol glaubte
man in Bethel oder in Jerusalem Gott näher zu sein als an einer
beliebigen anderen Stätte, aber solcher Pforten des Himmels gab
es melu-ere, und es überwog doch immer die Voretellung, die sich
am greifbarsten 2. Reg. o, 17 ausspricht, dass Palästina als Ganzes
Jahves Haus, sein Grund und Boden sei. Nicht ausserhalb Jerusalems,
sondern ausserhalb Kanaans weilte man fem von seinem Angesicht,
unter der Herrechaft und — cuius regio eins religio — im Dienste
fremder Götter, die Heiligkeit des Landes floss nicht aus der Heilig-
keit des Tempels, sondern eher umgekehrt^).
') Gen. 4, 14. 1(5: indem Kain aus dem Lande (Kanaan) vertrieben wird,
wird er vom Angesichte Jahvos (Jon. 1,3. 10) vertrieben. 46, 4: Jakob
soll sich nicht scheuen nach Ägypten auszuwandern, denn Jahve will, in
ausnahmsweiser Gnade, seinen Wohnsitz mit ihm wechseln. Exod. 15, 17:
du brachtest dein Volk zum Berge deines Erbes, zum Orte,
den du dir zur Wohnung bereitet h attest; die folgende Erklärung
zum Heiligtum, das deine Hände gegründet hatten fällt aus
der Situation, der Berg des Erbes kann nichts anderes sein als das ge-
birgige Land Palästina. 1. Sam. 26^ 19: David, durch Saul in die
Fremde getrieben, wird dadurch aus der Familiengemeinschaft am Erbe
Jahves losgerissen und gezwungen, fremden Göttern zu dienen. Os. 8,1 :
ein Adlorgleicher stosst auf Jahves Haus, d. h. der Assyrcr auf
Jahve» Land; 9, 15: aus meinem Hause will ich sie vertreiben,
Der Ort des Gottesdienstes. 23
2. E ine Änderung hierin bereitet sich erst seit jener denk-
würdigen Epoche der israelitischen Religionsgeschichte vor, welche
durch den Stui'z Samariens und das demselben entsprechende Auf-
treten dß iL Proj)heten_ J)ezeichnet wird. Arnos und Ilosea setzen
den Zustand voraus wie er eben beschrieben worden ist: überall
in den Städten, auf den Bergen, unter grünen Bäumen, eine
Menge von Heiligtümern und Altären, wo dem Jahve gedient
wird, in gutem Glauben, nicht um ihn zu ärgern, sondern um
sein Wolgefallen zu erwerben. Es war eine unerhörte Sprache,
welche jene Männer führten, wenn sie verkündigten, Gilgal und
ßethel und Beerseba, Jahves Lieblingstätten, seien ihm ein Greuel,
die Opfer und Gaben, womit man ihn dort ehre, reizen seinen
Zorn statt ihn zu beschwichtigen, unter den Tiümmern seiner
Tempel, wo es Schutz und Zuflucht suche, solle Israel begraben
werden (Am. 9). Was wollten sie sagen? Man würde die Pro-
pheten falsch verstehn zu meinen, sie haben an den heiligen Stätten
— die noch Amos Bamoth nennt (7, 9) und zwar ohne Spott,
im höchsten Pathos — an und füi' sich Anstoss genommen, wegen
ihrer Pluralität und weil es nicht die richtigen seien. Sie eifern
nicht gegen die Orte, sondern gegen den Kultus, der daselbst ge-
trieben wird, und zwar nicht bloss gegen seine falsche Art, weil
allerlei Misbräuche sich darin finden, sondern beinah noch mehr
gegen ihn selber, gegen seine falsche Wertschätzung. Die gemeine
Meinung war: wie Moab sich als des Kamos Volk beweist, weil
es dem Kamos seine Opfer und Gaben darbringt, so Israel als
Jahves Volk, weil es dem Jahve seinen Kultus widmet, und es
ist seiner um so sicherer, je glänzender und eifriger es ihn ver-
ehrt. In Zeiten der Gefahr und Not, wo man seines Beistandes
besonders bedurfte, verdoppelten und verdreifachten sich die An-
strengungen. Das ist es, wogegen die Propheten opponiren, indem
d. h. die Israeliten aus ihrem Lande. Am deutlichsten redet Os. 9, 3 — 5;
sie bleiben nicht wohnen in Jahves Lande, Ephraim muss wieder nach
Ägypten und in Assur müssen sie Unreines essen: sie spenden Jahve
keinen Wein mehr und schichten ihm keine Opfer; wie Trauerbrot ist
ihr Brot, wer davon isst, wird unrein, denn ihr Brot wird nur für den
Ilunger sein, kommt nicht in Jahves Ilaus — was wollt ihr gar machen
zur Zeit der Versammlung und am Tage d<\s Festes Jahves! Yergl.
Hier. 16, 13. Ezcch. 4, 13. Mal. 2, 11. 2. Reg. 17, 25 s. Möglich auch,
dass der grosse Zorn 2. Reg. 3, 27 nicht sowol als Zorn Jahves, wie
als Zorn Kamos' vorgestellt wird, in dessen Lande sich das israelitische
Heer befindet
24 Geschichte des KiiltuH, Kap. I. ^^H
sie gaiiK HQ'lere Lcistnngen fordeiii, worin sich da.'^ VorhSH^^I
Israels zu Jahve lebendig erweisen müsse. Das ist. der firnnd,
warum sie dorn Kultus so feind wurden; von da stammte ihr
flass gegen die grossen Heiligtümer, wo dor abergläulnsche Eifer
sich selljer überbot, ihr Zorn auf die Vielheit der Altäre, die auf
dem Boden des falschen Vertrnueiis üppig emporwuchsen. Dass
die Stätten abgöschufTt wurden, dor Kultur selbst aber wie bisher
die Hauptsache iu der Frömmigkeit bliebe, nur zusammengedrängt
an einen einzigen Ort, das war keineswegs, was sie wünschten.
Aber mit durch ihre Predigt kam es in der Tat dahin, dass alle
übrigen Bamnth der von Jerusalem das Feld räumten. Dazu wirlcten
freilich dio äusseren Umstände anf das wesentlichste mit.
So lange das Dördliehe Reich bestand, pulsirte dort der Haupt-
strom israelitischen Lebens; man braucht bloss einen Blick in die
Köuigsbncher oder in den Arnos zu werfen, um das zu erkennen.
Zwar waren in Jerusalem dio Tage Davids und Salomos unver-
gessen, sie wurden zurückorsehnt und grosse Ansprüche daraus
hergeleitet, aber der Wirklichkeit entsprachen diese Ansprüche
gar wenig. Da fiel Samarien, Israel schrumpfte auf Juda zu-
sammen, Juda allein blieb als das Volk Jahves übrig. Dadurch
ward für Jerusalem das Feld frei. Die Residenz hatt« immer ein
erdrückendes Cbergewicht über das kleine Land gehabt, in ihr
selbst aber trat die Stadt zurück gegen den Tempel, Aus dea
wenigen von Juda handelnden Erzählungen gewinnt man fast den
Eindruck, als gebe es dort keine anderen Angelegenheiten als die
dea Tempels, und uamentlich die Könige scheinen dieser Ansicht
gewesen zo sein und die Sorge um ihr Palaatheüigtum für ihre
allerwichtigste Aufgabe gehalten zu haben: beinah alle judäischen
Erzählungen im Buche der Könige drehen sich um den Tempel
und um die Maassnahmen der Regenten in diesem ihrem Hoilig-
tume. So kam dio Bedeutung, weiche dem Hause Juda durch
deu Fall Samaricns znwuclis, in erster' Linie der Hauptstadt uud
ihrem Ileiligtume zu gut, zumal überhaupt der Gewinn melu* ein
geistiger als ein politischer war und mehr in der Steigerung des
religiösen Selbstbewusstseins als iu der der äusseren Macht be-
stand. Hatte schon immer das grosse Gottesbaus auf dem Sion
die übrigen judäischen weit überragt., so stand es nuu ohne
gleichen da in ganz Israel. Um aber ilies Resultat des Verlaufs
der Dinge recht zu wüi'digeu, dazu gaben die Propheten i
p beten die A^^^J
Der Ort des Gottesdienstes. 25
leitung. Sie hatten, der Zeit gemäss, bisher vorzugsweise das
Nordreich, seinen drohenden Sturz und die Heillosigkeit seiner
Bewohner im Auge gehabt, und so auch namentlich über die
dortigen Kultusstätten ihren Zorn entladen: Juda beurtöilten sie
aus persönlichen und sachlichen Gründen günstiger, und hofften,
dass es erhalten bleibe, für Jerusalem verleugneten sie ihre Sym-
pathien nicht. Unter dem Eindruck ihrer Rede wurde nun der
Untergang Samariens aufgefasst als ein Gottesgericht gegen das
sündige Königreich zu gunsten der verfallenen Hütte Davids, und
die Zerstörung der israelitischen Heiligtümer galt als eine unmis-
verständliche Kundgebung Jahves gegen seine älteren Sitze zu
gunsten seiner Lieblingswohnung auf dem Sion.
Vollens der Umstand, dass Jerusalem aus der Gefahr, der
die stolze Nebenbuhlerin erlegen war, zwanzig Jahre später trium-
phirend hervorging, dass im kritischen Augenblicke die Assyrer
unter Senaherib plötzlich abziehen mussten, steigerte die Ver-
ehrung des Tempels auf den höchsten Grad. Mit Recht pflegt
man dabei die prophetische Wirksamkeit Jesaias besonders in
Anschlag zu bringen, dessen Vertrauen, dass der Fels Sions fest
gegründet sei, unei-schütterlich wurde, als derselbe unheimlich zu
wanken anfing. Nur darf man nicht vergessen, dass für Jesaias
die Bedeutung Jerusalems nicht am Tempel Salomos hing, sondern
daran, dass es die Stadt Davids und der Inbegriff seines Reiches
war, der Mittelpunkt nicht des Kultus, sondern der Herrschaft
Jahves über sein Volk. Der heilige Berg war ihm die ganze
Stadt als politisches Gemeinwesen, mit iliren Bürgern, Räten
und Richtern (11, 9); sein Glaube an den festen Grundstein, auf
dem Sion stehe, war weiter nichts als der Glaube an die lebendige
Gegenwart Jahves im Lager Israels. Aber anders verstanden die
Zeitgenossen den Sinn der Ereignisse und die Worte des Propheten.
Für sie wohnte Jahve deshalb zu Sion, weil er dort- sein Haus
hatte, der dortige Tempel war durch die Geschichte als sein
wahrhaftiger Sitz erprobt worden, und die Unantastbarkeit des
Tempels verbürgte nun die Unzerstörbarkeit des Volkes selber.
Ganz allgemein verbreitet war dieser Glaube zur Zeit Jeremias,
wie die höchst lebendige Schilderung in Kap. 7 seines Buches
zeigt, aber schon zur Zeit Michas, im ersten Drittel des siebenten
Jahrhunderts, muss der Tempel als ein Gotteshaus ganz eigner
Art gegolten haben, so dass es paradox war, ihn mit den Bamoth
26 Geschichte des Kultus, Kap. 1.
Judas gleich zu stellen, und unerhört, an seine Verwüstung zu
glauben.
Indessen so überaus hoch und allgemein der Tempel verehrt
wurde, so blieben die anderen Heiligtümer vorerst doch neben
ihm bestehn. Zwar soll der König Hizkia schon damals einen
Versuch gemacht haben sie abzuschaffen, der aber ganz spurlos
verlaufen und darum zweifelhafter Natur ist. Sicher ist, dass
der Prophet Jesaias nicht auf die Beseitigung der Bamoth hinge-
arbeitet hat. In einer seiner spätesten Reden erwartet er von
der Zeit der Gerechtigkeit und der Gottesfurcht, die nach der
assyrischen Krisis anbricht: „dann werdet ihr den Überzug eurer
goldenen Gussbilder verunehren, verabscheuen wie Unflat; hinaus!
wTrdet ihr dazu sagen" (30,22). Iloflft er also auf eine Säuberung
der Anbetungsstätten Jahves von abergläubischem Wust, so ist es
klar, dass er sie nicht selber abgetan wissen will. Erst etwa ein
Jahrhundert nach der Zerstörung Samariens wurde in Wirklichkeit
der Schritt gewagt, aus dem Glauben an die Einzigartigkeit des
jerusalemischen Tempels die praktische Konsequenz zu ziehen.
Natürlich geschah dies nicht der blossen Folgerichtigkeit wegen,
sondern in einer anderweiten heilsamen Absicht. Mit der weg-
werfenden Art, womit die früheren Propheten bisweilen im Eifer
ihrer Opposition vom Kultus sprachen, war praktisch nichts aus-
zurichten; es kam nicht darauf an ihn abzuschaffen, sondern ihn
zu reformiren, und dazu sollte seine Koncentration in der Haupt-
stadt als Mittel dienen. Propheten und Priester scheinen ge-
meinschaftlich die Sache betrieben zu haben. Der Hohepriester
Ililkia machte zueilst auf das gefundene Buch aufmerksam, welches
der Aktion zu Grunde gelegt werden sollte, die Prophetin Hulda
bekräftigte dessen göttlichen Inhalt, die Priester und Propheten
bildeten einen hervorragenden Bestandteil der Versammlung, worin
das neue Gesetz veröffentlicht und beschworen wurde. Da nun
ein enges Verhältnis der beiden leitenden Stände überhaupt im
Wesen der geistigen Entwicklung in Juda begründet und für die-
selbe charakteristisch erscheint, wie das namentlich aus Jeremias
hervorgeht, so wird man annehmen dürfen, dass das bei dieser
Gelegenlieit hervortretende Einvernehmen nicht lediglich zu Zwecken
der Inscenirung gestiftet war. In der Tat entsprach eine derartige
Umgestaltung des Kultus dem beidei^seitigen Interesse, sowol dem
des Tempels, wie von selbst einleuchtet, als auch dem der pro-
Der Ort des Gottesdienstes. 27
phetischen Refonnpartei. Für die letztere musste (iie Beschränkung
des Opferdienstes an sich als ein Vorteil gelten; dieselbe hat her-
nach am meisten zu seiner Beseitigung beigetragen, und etwas
von dem späteren Erfolg hat ohne Zweifel in der ursprünglichen
Absicht gelegen. Dazu kam, dass nui* zu leicht der Jahve von
Hebron als verschieden von dem zu Bethsemes oder zu Bethel an-
gesehen wurde, und dass darum aus dem streng monarchischen
Oottesbegriff die Folgerung floss, dass auch die Stätte seiner
Wohnung und seiner Anbetung nur eine einzige sein könne;
allenthalben bei den Schriftstellern der chaldäischen Periode fällt
der enge Zusammenhang auf, in dem der Monotheismus mit der
Einheit des Kultus gedacht wii*d. Die Wahl des Ortes aber konnte
natürlich nicht zw^eifelhaft sein, der Mittelpunkt des Reiches musste
auch der Mittelpunkt des Gottesdienstes werden. Mochte das Haus
Jahves zu Jerusalem auch selber der Reinigung nicht unbedürftig
sein, den Vorzug vor den Winkelaltären verdiente es doch.
Jerusalem war der Sitz der geistigen Bildung, der Reform und
der Kontrolle am leichtesten zugänglich; es war die Stadt Davids,
an die sich die stolzesten Erinnerungen der israelitischen Geschichte
knüpften. Ausserdem mochte der kanaanitische Ursprung der
meisten Bamoth, der z. B. dem Deuteronomium nicht unbekannt
ist, zu ihrer Diskreditirung beitragen, während die Lade, die dem
jerusalemischen Tempel den Ui'sprung gegeben hatte, mit einem
gewissen Recht als das einzige echt mosaische Heiligtum gelten
konnte.
Im 18. Jahre Josias, 621 v. Chr., fiel der erete schwere Schlag
gegen die lokalen Opferstätten. Wie gewaltsam der König verfuhr,
wie neu die Maassregel war und wie tief sie ins Fleisch schnitt,
lehrt der Bericht 2. Reg. 23. Welche Lebenskraft hatten doch
noch immer die grünen Bäume auf den hohen Bergen! Sie wm'den
auch jetzt nur gekappt und nicht entwui'zelt. Nach Josias Tode
sehen wir die Bamoth allenthalben, nicht bloss in der Landschaft
sondern auch in der Hauptstadt selber, w^ieder auftauchen; so viel
Städte, so viel Altäre in Juda, muss Jeremias klagen. Was von
der reformatorischen Partei erreicht wai*, war einzig die feste
Position eines geschriebenen und feierlich von allem Volk be-
schworenen Gesetzes, das noch immer von Gottes wegen zu Rechte
bestand. Aber dasselbe wieder in Kraft zu setzen und
durchzuführen war nicht leicht, und alleine den Anstrengungen
28 Geschichte des Kultus, Kap. 1.
der Propheten, eines Jeremias und Ezechiel, wäre es wol nicht
gelungen.
3. Wären die Judäer ruhig in ihrem Lande geblieben, so
wäre die Reformation Josias schwerlich im Volke durchgedrungen,
weil die Fäden zu stark waren, welche die Gegenwart mit der
Vergangenheit verbanden. Um die Bamoth, an die sich von den
Vätern her die heiligsten Erinnerungen knüpften, die wie Hebron
und Beei*seba durch Abraham und Isaak selber gestiftet waren, in
den Ruf abgöttischer und ketzerischer Greuelstätten zu bringen,
dazu bedurfte es eines vollständigen Durchschneidens der natür-
lichen Tradition des Lebens, des Zusammenhangs mit den ererbten
Zuständen. Dies wurde bewirkt durch das babylonische Exil, wo-
durch die Nation gewaltsam aus ihrem Mutterboden losgerissen
wurde und füi* ein halbes Jahrhundert von demselben getrennt
blieb — ein Einschnitt in die geschichtliche Kontinuität, wie er
kaum grösser gedacht werden kann. Die neue Generation hatte
kein natürliches, sondern nur noch ein künstliches Verhältnis zu
der Vorzeit, die so fest eingewurzelten Gewächse des alten Ackers,
Dornen in den Augen der Frommen, waren ausgerissen, der Neu-
bruch bereit für neuen Samen. Es ist allerdings nicht an dem,
dass eine allgemeine Bekehrung im Sinne der Propheten damals
das ganze Volk ergriffen hätte. Vielleicht die Mehrzahl gab die
Vergangenheit überhaupt preis, verlor sich aber eben dadurch unter
den Heiden und kam für die Zukunft nicht mehr in Betracht. Nur
die Frommen, die zitternd Jahves Worte folgten, verloren sich
nicht; sie allein hatten die Kraft, in dem Völkergewoge, in dem
sie umhertrieben, die jüdische Besonderheit zu bewahren. Aus
dem Exil kehrte nicht die Nation zurück, sondern eine religiöse
Sekte, diejenigen, welche sich mit Leib und Seele den reforma-
torischen Ideen ergeben hatten. Es ist kein Wunder, dass diesen
Leuten, die sich noch dazu bei ihrer Heimkehr alle in der nächsten
Umgebung Jerusalems ansiedelten, nicht der Gedanke kam, die
lokalen Kulte herzustellen. Es kostete sie keine Kämpfe, die zer-
störten Bamoth in Trümmern liegen zu lassen, ihnen war es völlig
in Fleisch und Blut übergegangen, dass der eine Gott auch nur
eine Anbetungsstätte hätte, und seitdem galt das für alle Folgezeit
als eine selbstverständliche Sache.
Der Ort des Gottesdienstes. 29
n.
Dies war der faktische Verlauf der Centralisation des Kultus,
diese drei Stadien kann man unterscheiden. Lässt sich nun eine
Korrespondenz zwischen den Phasen des wirklichen Hergangs und
denen der Gesetzgebung in diesem Punkte aufzeigen? Die drei
Schichten der Gesetzgebung enthalten sämtlich Bestimmungen
über den Opferdienst und die Opferstätten. Es ist anzunehmen,
dass dieselben irgendwie in der Geschichte wurzeln und nicht
völlig ausser oder über dem Boden der Wirklichkeit in der Luft
schweben.
1. Das jehovistische Hauptgesetz, das sogenannte Bundesbuch,
enthält Exod. 20, 24 — 26 folgende Verordnung. „Einen Altar von
Erde sollst du mir machen und darauf deine Voll- und Schlacht-
opfer, deine Schafe und Rinder opfern; an jedem Orte, wo ich
meinen Namen ehren lasse, will ich zu dir kommen und dich
segnen. Oder wenn du mir einen Altar von Steinen machen willst,
so sollst du nicht mit behauenen bauen; denn hast du dein Eisen
darüber geschwungen, so hast du sie entweiht. Und nicht auf
Stufen sollst du zu meinem Altar aufsteigen, damit nicht deine
Scham vor ihm entblösst werde." Ohne Zweifel ist hier nicht der
Altar der Stiftshütte, der. aus Holz gezimmert und mit Erz über-
zogen war, oder der des salomonischen Tempels, der an seiner
Ostseite eine Treppe^) und rings herum auf halber Höhe einen
Umgang hatte, als der einzig wahre beschrieben. Dahingegen gilt
augenscheinlich eine Vielheit von Altären nicht bloss als zulässig,
sondern als selbstveretändlich. Denn es wird gar kein Wert
darauf gelegt, inmier die gleiche sei es stehende oder gar überallhin
mitzuschleppende Opferstätte zu haben; Erde und unbehauene
Feldsteine') findet man allerwegen, und sie zerfallen ebenso leicht
') Der Altar des zweiten Tempels hatte keine Stufen, sondern einen
schrägen Aufgang, ebenso nach der Meinung der Juden auch der der
Stiftehütte. Der Grund übrigens, weshalb Exod. 20, 2ß die Stufen ver-
boten werden, fällt hinweg, wenn die Priester Hosen tmgen (Exd. 28,42).
*) Der Plural der Steine ist vielleicht bemerkenswert. Es f(ab auch Opfer-
stätten aus einem grossen Steine 1. Sara. 14,33. 6,14. 15. 2. Sam. 20,8.
Jud. 6,20. 13,19. 20. 1. Reg. 1,9. Da aber solche einzelne heilige
Felsen leicht in eine mythologische Beziehung zur Gottheit traten, so
nahm man Anstoss daran, wie aus dem Nachtrag Jud. 6,22 — 24 erhellt,
worin der Felsaltar, der als Sitz der Theophanie gedachte Stein unter
der Eiche, auf dem Gideon opfert und aus dem die Flamme schlägt
t
30 GpscliicTilfl dps Kultus, Kap. 1.
wio sip zusammengeschichtet werden. Auch wird zweierlei Mat«i
zur \V;ihl gestallt, Dach der ursprünglichen Meinung docli wo!
zum Bau verschiedener Altäre; und nicht an dem Orte, sundem
an jedem Orte, wo er seinen Namen ehren lässt. will Jahve zu
seinen Anheteru kommen und sie segnen. Das in Rede stehende
Gesetz stehf. also im Einklänge mit Sitte und Brauch der ersten
geschichtlichen Periode, wui-zelt darin und sanctiouirt sie, Aller-
dings scheint die Freiheit überall zn opforn etwas beschränkt zu
werden durch den Zusatz: überall, wo ich meinen Namen ehren
lasse. Aber das hat weiter nichts zu bedentfln, als daüs man die
Stätte, wo der Verkehr zwischen Himmel nnd Erde vor sich ging,
tiirht geiiie als willkürlich gewählt gelten Hess, sondern als
ii^endwie durch die Gottheit selbst zu ihrem Dienst« ausereehen
betrachtete.
Mit dem jehovistischeu Gesetze stimmt die jehovistisctie Er-
zählung des Pentateuchs vollkommen überein, wie namentlich die
Patriarchengeschichte in J und E sehr deutlich lehrt.. Cberall, wo
sie wohnen oder vorübergehend sich aufhalten, gründen hiernach
die Erzväter Altäre, richten Malsteine auf, pHanzen Bäume, graben
Brunnen. Das geschieht nicht an gleichgiltigen zufälligen Ort«n,
sondern zu Sichern und Bethel in Ephraim, r.a Hehnm und Bcerseba
in Juda, zu Misphn Mahanaim Phenue! in Gilead: an lauter Imrühraten
altheiiigen Kultusstätten. Daran hängt das Interesse solcher An-
gaben, BS sind keine antiquarischen Notizen, sondern sie haben die
lebendigste Bedeutung für die Gegenwart der Erzähler. Der Altar,
den Abraham zu Sichern gebaut hat, ist eben der, auf dem noch
immer geopfert wird, und trä^ „bis auf den heutigen Tag" den
Namen, den ihm der Patriarch gegeben; wo er zu Hebron den
Jahve zum ersten Male bewirtet hat, da wird diesem seither be-
ständig der Tisch bereitet; wie Isaak so schwören seine .Söhne
noch immer (Am. 8, 14. Os. 4, lö) hei dem heiligen Bmnnen von
Beerseba, den er gegraben, und opfern dort auf dem Altar, den
er gebaut, unter der Tamariske, die er gepflanzt hat; den Ölstein
Jakobs zu Bethel salbt noch das lebende Geschlecht und bezahlt
den Zehnten, den jener einst dem dortigen Gotteshause gelobte.
(6, lä— 31), in einen Altar auf dem Felspn TBrbessprt wird. I'ie Masse -
both werden. Exod. 34, 4 vom Allar uulerHchiedpo , andersvo jedoch
ofenbar damit gleii^hgestifctl (Gen. 33, 20. 35, 14} iind üheiull tnrhr oder
wenigHr mit der Gottheit identilicirt (Gen. 28).
Der Ort des Gottesdienstes. 31
Darum sind auch die Stellen dieser Reliquien dem Berichterstatter
so wol bekannt, dass er sie auf den Punkt genau angeben kann,
trotz den 400 Jahren des ägyptischen Aufenthalts, welche die Wiederr
auffindung sonst einigermaassen erschwert haben würden. Der
Altar, den Abraham zu Bethel errichtete, liegt auf dem Berge
östlich von der Stadt, zwischen Bethel im Westen und Ai im
Osten; andere sind durch einen Baum oder eine Quelle fixirt, wie
der von Sichem oder Beerseba^). Natürlich aber war es nicht die
Absicht, den Kultus der Gegenwart dadurch zu verunehren, dass
man seine Einrichtung den Erzvätern zuschrieb. Diese Legenden
glorificiren vielmehi- den Ursprung der Stätten, an denen sie haften
und umgeben sie mit dem Nimbus altersgrauer Weihe. Um so
mehr, als die Patriarchen ihre Altäre in der Regel nicht nach
eigenem Gutdünken errichten, wo es ihnen beliebt; sondern eine
Theophanie macht sie aufmerksam auf die Heiligkeit des Ortes
oder bestätigt dieselbe wenigstens nachträglich. Jahve erscheint
dem Abraham bei Sichem, da erbaut jener den Altar „dem ihm
erschienenen Jahve"; er isst bei ihm unter der Eiche Mamre, das
ist der Ursprung des Opferdienstes daselbst; er zeigt ihm den Ort,
wo er seinen Sohn darbringen soll, da steht noch heute die Stätte.
In der ersten Nacht, wo Isaak auf dem heiligen Boden von Beerseba
schläft (26, 24), erhält er den Besuch des dort wohnenden Numen
und baut in Folge davon den Altar. Überrascht von profanen
Blicken wirkt Jahve vernichtend, aber freiwillig weist er selbst
seinen Lieblingen die Orte, wo er sich schauen lassen will; und wo
Menschen ihn gesehen haben und lebendig geblieben sind, da be-
zeichnet ein Heiligtum den offen stehenden Zugang zu ihm. Der
Inhalt der Offenbarung ist dabei verhältnismässig gleichgiltig: ich
bin die Gottheit; das Wichtige ist die Theophanie an sich, ihr
Erfolgen an dem betreffenden Orte. Man darf sie nicht als ein
') Vgl. Josephus Ant. 15, 364. Bellum 4, 533. Das richtijLfe Verständnis
bei Ewald, Geschichte des Volkes Israel I^ [). 43(5 s. A. liernsteiu (l r-
sprung der Sagen von Abraham u. s. w. : Berlin 1871) bringt die Politik
hinein, in garstiger Weise. „Er betritt zwar nicht Sichem und Bethel
selber — das sind Statten, die Jehuda feindlich sind — aber in echt
jehudäischer Demonstration erbaut er in ihrer Nahe Altäre und nift an
den Namen Jchovas" (p. 22). Er baut vielmehr die Altäre genau an den
Stellen, wo sie später nachweislich standen; sie standen nicht innerhalb
der Städte! In Gen. 18 wird auch die Eiche Mamre nicht gebraucht,
den Wohnsitz Abrahams, sondern den Ort der Erscheinung Jahves zu
fixiren.
32 Gesehicht* des Knltru, Kap. 1,
vereinzeltes Faktum ansehen, sondern yielmehr uls den eklatanten
Allfang eines an dieser Stelle fortzusetzenden Verkehrs (nirr ""JE riNl)
zwischen Gott und Mensch, gleichsam als die erste und stärksta
Äusserung der Heiligkeit des Rodens. In grösster Klarheit und
mit unvergieichliclier Anmut tritt uns diese Vorstellnngsweise in
dem Berichte über die Himmelsleiter entgegen, welche Jakob zu
Bethel sah. „Ihm träumte, da war eine Leiter, die stand auf der
Erde und ihre Spitze rühi-te an den Himmel, 'und siehe die Eugel
Gottes stiegen daran auf und nieder. Und er fürchtete sich und
sprach: wie schauerlich ist diese Stätte, dies ist nichts anderes
als ein Haus OotteH und dies ist die Pfoite des Himmels." Die
Leiter steht an dieser Stätte nicht bloss in diesem Augenblick,
sondern immer und gleichsam von Natur; Bethel — daa erkennt
Jakob daraus — ist ein Ort, wo Himmel und Erde sich berühren,
wo die Engel auf und nieder steigen, um den an diesem Tore von
Gott gestifteten Verkehr zwischen Himmel und Erde zu vermittelu.
Dies alles ist nur zu verstehn als eine Verklärung der Ver-
hältnisse und Einrichtungen des Kultus, wie wir sie etwa in den
ersten Jahrhunderten des geteilten Reiches antreffen. Was einer
späteren Zeit austössig und heidnisch erscheint, wird hier durch
Jahve selbst und seine Lieblinge geweiht und autorisirt, die Höhen,
tiie Malsteine (Masseboth), die Bäume, die Brunnen')- Zwischen
{iem ]' ehe \TB tischen Gesetze, welches die bestehenden Kultusstätten
sanktionirt, und der jehovistischen Erzählung herrscht wesentliche
Übereinstimmung, die letzte ist ihrem Fundamente nach vielleicht
noch etwas älter. Beide gehören augenscheinlich der vorprophetischen
Periode an — eine spätere Bearbeitung der Erzählung in prophe-
tischem Sinne hat das Wesen ihres Kernes nicht geändert. Es ist
undenkbar, dass Amos und ilosea oder ein ähnlich gesonnener
Mann mit so teilnehmender Liebe und gläubiger Ehrfurcht sich in
Geschichten versenken konnte, die nur dazu dienten, dem be-
stehenden Gottesdienste, wie ihn das Volk auf den Höhen (saaks
als seine heiligste Angelegenheit trieb, noch mehr Nimbus und
grösseres Ansehen zu verleihea.
') ALior nur der üffeutliclie Kultus , namentlkh au gi'Kijiseo Haupt-
stüttoii, wird glorificirt; dagegen der häuslicbe P»uiili'iikiiltus, ao dem
besonders die Weiber hängen, schon tod Jakob (in E) geinishilligt.
Ascheren werden nicht erwähnt, üussbilder vorworfeu, aamentlich von
E. Vielleicht hat liier scbon in JE eine Korrektur der alten Soge statt
gefunden.
Der Ort dos Gottesdienstes. 33
2. Das jehovistieche Bundesbuch liegt zwar dem Deutero-
nomium zu gründe, aber in einem Punkte diflferiren sie beträcht-
lich, und das ist grade der, der uns hier angeht. Wie doi-t., so
eröffnet auch hier eine Verordnung über den Altardienst die
eigentliche Gesetzgebung (Deut. 12), aber hier hält nun Moses
seinen Israeliten folgende Rede. „Wenn ihr in das Land Kanaan
kommt, so sollt ihr alle daselbst vorfindlichen Kultusstätten zer-
stören und nicht in der Weise wie die Heiden ihre Götter ver-
ehren, ebenso tun dem Jahve eurem Gotte. Vielmehr nur an
dem Orte, den Jahve aus allen euren Stämmen sich zur Wohnung
erwählen wird, sollt ihr ihn suchen und dort eure Opfer und
Gaben darbringen und dort vor ihm essen und euch freuen.
Gegenwärtig tun wir so wie es jedem gut dünkt, aber wenn ihr
zu festen Sitzen und zur Ruhe vor den Feinden gelangt seid, so
soll der Ort, den Jahve sich in einem eurer Stämme zur Wohnung
erwählen wird, der einzige sein, wohin ihr eure Opfer und Gaben
bringt. Hütet_ euch^ an einem beliebigen Orte zu opfern, ihr dürft
nicht in jeder Stadt eure heiligen Abgaben verzehren, sondern nur
an der Stätte, die Jahve erwählen wird."
Das Gesetz wird nicht müde, die Forderung der lokalen Ein-
heit des Gottesdienstes immer und immer zu wiederholen. Es
tritt damit dem „was wir gegenwärtig zu tun gewohnt sind" be-
wusst entgegen und bekämpft die bestehende Sitte, es hat durch
und durch polemischen, reformatorischen Charakter. Mit Recht
wird es darum von der geschichtlichen Ki*itik in die Zeit der
Angriffe der jerusaiemischen Reformpartei gegen die Bamoth ge-
setzt. Wie das Bundesbuch und überhaupt das ganze jehovistische
Schriftwerk die erste, vorprophetische Periode der Kultusgeschichte
abspiegelt, so ist das Deuteronomium der gesetzliche Ausdruck der
zweiten Periode des Kampfes und des Überganges — dieses histo-
rische Nacheinander ist um so sicherer, da die literarische Ab-
hängigkeit des Deuteronomiums von den jehovistischen Gesetzen
und Erzählungen ohnehin erwiesen und anerkannt ist. Nahe liegt
es daher auch zu glauben, dass das Buch, dessen Auffindung dem
König Josias den Antrieb zur Zerstörung der lokalen Heiligtümer
gegeben hat, eben das Deuteronomium gewesen sei, welches ur-
sprünglich selbständig und in einer küi'zeren Gestalt existirt haben
muss. Wenigstens bringt von allen Büchern des Pentateuchs nur
dieses die Beschränkung des Opferdienstes auf den einen erwählten
We 1 1 h ft n • e n , Prolegomena. 6. Aufl. 3
34 Geschichte des Kultus, Kap. 1.
Ort so gebieterisch zum Ausdruck, nur hier macht sich die Forde-
rung in ihrer aggressiven Neuheit so fühlbar und beherrscht die
ganze Tendenz des Gesetzgebers. Das alte Material, welches er
sonst benutzt, gestaltet er überall nach dieser Rücksicht um. Nach
allen Seiten geht er den Konsequenzen der Maassregel nach; um
ihre Durchführung zu ermöglichen ändert er frühere Einrichtungen,
erlaubt was verboten, verbietet was erlaubt war; fast immer steht
bei seinen übrigen Neuerungen diese im Hintergrunde. So, wenn
er gestattet zu schlachten ohne zu opfern und zwar an jedem
Ürte, wenn er, um nicht mit den Altären zugleich die Asyle
(Exod. 21, 13. 14. 1. Reg. 2, 28) abzuschaffen, besondere Zu-
iluchtÄStädte für unschuldig Verfolgte eim'ichtet, wenn er für die
Priester der aufgehobenen Heiligtümer sorgt, den Provinzialen em-
pfiehlt bei ihren Opferwall fahrten sie mitzunehmen, und ihnen diis
Recht gibt, im Tempel zu Jerusalem zu amtiren, so gut wie der
dort erbgesesseno Klerus. Auch übrigens dominirt der beregte
Gesichtspunkt, z. B. werden hauptsächlich ihm zu liebe die alten
Verordnungen und Bräuche betreffend die Abgaben und die Feste
dargestellt, wie sie sich nun ausnehmen müssen. Ein so lebendiges
Gesetz, das sich überall an der Wirklichkeit reibt, gegen d<is
Hergebrachte kämpft, durch Abrechnung mit den Bedürfnissen
der Praxis sich Bahn bricht, ist keine Velleität, kein Hirngespinst
eines müssigen Kopfes, sondern ebenso ?intstanden aus geschicht-
lichem Anlass, wie in dem Verlauf des geschichtlichen Processes
wirksam einzugreifen bestimmt. Ein sachgemässes Urteil kann
demselben daher nur einen geschichtlichen Platz anweisen, in
der Reformbewegung, die durch den König Josias zum Siege ge-
bracht worden ist.
3. Über den Priesterkodex ist die Meinung verbreitet, dass
er sich in dieser Sache ziemlich indifferent verhalte, weder die
Vielheit der Opfei*stätten erlaube noch auf die Einheit Gewicht
lege, und dass ihm dieser Haltung wegen die Priorität vor dem
Deuteronomium zukomme')* Diese Meinung ist, gelinde gesagt,
') De Wette, Ilubilitationsschrift über das Deuteronomium (Jena 1805)
unter 5: de hoc unico cultus sacri loco . . . priores libri nihil onmino
habeiit. De sacrificiis tantum unice ante taberua<'ulum conveutus
ollVTendis lex quaedam exstat. Sed in lejüfibus de diebus festis, de
priniitiis et decimis, tarn saepe repetitis, nihil omnino monitura est de
loco unico, ubi celebrari et ollerri debcant (Opusc. theol. p. 163 — 165).
Vgl. dagejj^en Composition des Ifexateuehs (1899) |). 15()s.
Der Ort des Gottesdienstes. 35
oberflächlich in hohem Grade. Die Voraussetzung der R gncen-
trirung des Gottesdienstes auf einen einzigen Mittelpunkt durch-
drin^t den Prie sterko(lox ganz und gar. Wer sich um sie zu
erweisen auf Lev. 17 oder auf Jos. 22 beruft, der zeigt, dass er
Exod. 25 bis Lev. 9 von Anfang bis zu Ende nicht verstanden
hat. Ehe noch irgend eine die Materie des Kultus betreffende
Verordnung gegeben werden kami — das ist der Sinn jenes
grossen Abschnitts — muss erst der rechte einige Ort dcssell)en
vorhanden sein. Die Stiftshütte ist nicht bloss Historie, sondern
wie alle Historie in jenem Ruche ist sie zugleich Gesetz. Sie
drückt die gesetzliche Einheit des Kultus als geschichtliche Tat-
sache aus, die von Anfang an, seit dem Auszuge aus Ägypten, in
Israel bestanden habe. Ein Gott, ein Heiligtum — das ist ilire
Meinung. Mit ihrer Einrichtung, die den Inhalt der göttlichen
Offenbarung auf dem Sinai ausmacht, wurde die Theokratie be-
gründet: wo sie ist, da ist jene. Ihre Beschreibung steht darum
ebenso an der Spitze des Priesterkodex, wie die des Tempels an
der Spitze der Gesetzgebung Ezechiels. Sie ist die Grundlage und
der unentbehrliche Boden, ohne den alles andere in der Luft
stünde; erst muss die Stätte der göttlichen Gegenwart auf Erden
da sein, ehe die heilige Gemeinde ins Leben und der Kultus in
Kraft treten kann. Glaubt man, die Stiftshütte dulde noch andere
Heiligtümer neben sich? Wozu dann aber das Lager der zwölf
Stämme um sie herum, das keine kriegerische, sondern rein geist-
liche Bedeutung hat und seinen ganzen Sinn von dem heiligen
Mittelpunkte aus empfängt? wn)her diese Koncentration des ganzen
Israels zu einer einzigen grossen Gemeinde (niy, bnp)^ die nii-gends
im Alten Testamente ihres gleichen hat? Vielmehr es gibt nur
diesen einen Ort, wo Gott wohnt und sich schauen lässt, nur
diesen einen, wo der Mensch sich ihm nahen und mit Opfern
und Gaben sein Antlitz suchen kaim. Diese Anschauung durch-
zieht die ganze Ritualgesetzgebung des mittleren P(Mitateuchs wie
etwa,s das sich gar nicht anders denken lässt. Bezeichnend daföi-
ist besonders das überall beiläufig eingestreute IV^ü bnx ^^D^ (vor
der Stiftshütte), namentlich in der Opferordnung.
Was folgt nun hieraus für die geschichtliche Eingliederung
des Priesterkodex, wenn man eine solche ü]>erhaupt für nötig hält?
Er kann nicht in die erste Periode verlej^t werden, konsequenter-
weise so wenig wie das Deuteronomium. Aber in welchem A'er-
3*
36 O^cbichte des Kultus, Kap. 1.
fiältnis steht er zu diesem? Im Deuteronomiam wird die
des Kultus liefor dert, im Priesterltodes wird sie voraosgesetgt.
Stillschweigend liegt aie ihm allenthalhen zu gründe, aber von
Lev. IT, worüber demnächst weiter zu reden sein wird, abgesehen,
macht »ie sich hier nirgend mit ausdrücklichem Anspruch geltend,
sie ist nicht« Neues, sondern etwas ganz Selbstverstäudliches. Was
folgt daraus für unsere Fri^e? Doch wol nichts anderes iJs dass
der Priesterkodex auf dem Resultat fusst, welches das IJentern-
noraium anstrebt. Dieses steht mitten im Kampf und in der Be-
wegung, es spricht deutlich seine reformatorische Absicht aus,
seinen Gegensatz gegen das Hergebrachte „was wir gegenwärtig
zu tun pflegen"; jener steht ausser und über dem Streit, dasZiel
ist erreicht und siclierer Besitz geworden. Auf grund des Pnester-
kodex wäre nie eine Reformation erfolgt, kein Josias hätte daraus
gemerkt, dass der damalige Zustand verkehrt sei und umgestaltet
werden müsse; es wird ja getan, als sei alles seit je in bester
Ordnung. Und auch nur im Deuteronomium sieht man hinein in
die Wurzel der Hache und erkennt ihren Zmammenhuiig mit der
Sorge für einen strengen Monotheismus und für die Entfernung
volkstümlich-heidnischer Elemente aus dem Gottesdienste, also
mit einem tieferen und wirklich wertvollen Zwecke; im Priester-
kodex berulit ilie Ratio der an sich docli keineswegs rationellen
Einrichtung auf ihrer eigenen „Legitimität", wie alles Tatsächliche
für die Gewohnheit natürlich erscheint und uubedürftig der Moti-
virung. Nirgends tritt hier hervor, dass die Abschaffung der Bamoth
mitsamt Ascheren und Malsteiuen der eigentliche Zweck ist, diese
Institute sind kaum noch bekannt, und was nur als negative und
polemische Maassregel sich begreifen lässt, wird als in sich sinnvoll
Die Idee als Idee bt älter wie die Idee als Geschichte. Im
Deuteronomium trägt sie ihre angeborene Farbe, tritt fordernd und
aggressiv der Wirklichkeit entgegen. Insofern allerdings als sie
dem Moses iu den Jilond gelegt wird, gesclüeht ein Schritt sie
geschichtlich einzukleiden; aber dieser Anfang hält sicli iu be-
scheidenen Grenzen. Moses stellt nur dajj Gesetz auf; es auszuführen,
macht er weder für seine eigene Zeit Anstalten noch verlangt er
es von der nächsten Zukunft. Vielmehi* soll dasselbe erst in Kraft
treten, wenn das Volk mit der Eroberung des Landes fertig und
zur Ruhe gelaugt ist. Es ist oben vermutet, dass der letztojc^^j
Der Ort des Gottesdienstes. 37
Termin die Giltigkeit des Gesetzes bis auf die Tage Davids und
Salomos (1. Reg. 8, 16) hinausrücke. Dies ist um so wahrschein-
licher, da zu seiner Ausführung „der Ort, den Jahve erwählen
wird" gehört, womit nur die judäische Hauptstadt gemeint sein
kann. Davon also, dass das was sein soll, auch von jeher ge-
schichtlich dagewesen sei, weiss das Deuteronomium gar nichts,
bis auf den salomonischen Tempel hat die Kultuseinheit eigent-
lich nicht einmal zu Recht bestanden, und dass sie von da ab
auch mehr eine fromme, als eine praktische Forderung gewesen
sei, steht unverkennbai* zwischen den Zeilen. Dahingegen der
Priesterkodex kann so wenig von ihr abstrahiren, dass er sich
Israel ohne sie in keinem Augenblicke vorstellen kann, dass er ihr
tatsächliches Vorhandensein bis in den Anfang der Theokratie
hinaufrückt und demgemäss die alte Geschichte völlig umgestaltet.
Die Grundlage der Koncentration des Gottesdienstes, der Tempel,
der in Wirklichkeit erst von Salomo gebaut wurde, gilt hier auch
für die unruhige Zeit der Wanderung, die der Sesshaftigkeit vor-
herging, als so unentbehrlich, dass er tragbar gemacht und als
Stiftshütte in die Urzeit versetzt wird. Denn diese ist in Wahrheit
nicht das Urbild, sondern die Kopie des jerusalemischen Tempels.
Die beiderseitige Ähnlichkeit ist bekannt*), aber mit nichten wird
1. Reg. 6 berichtet, dass Salomo das ältere Muster benutzt und
seinen tyrischen Meistern befohlen habe, sich daran zu halten. Näher
sucht Graf die Posteriorität des mosaischen Baues aus folgenden
zwei Punkten zu erweisen. Erstens ist bei der Beschreibung der
Stiftshütte wiederholt von ihrer Süd- Nord- und Westseite die Rede,
ohne vorhergehende Anordnung einer bestimmten und stets gleichen
Orientirung derselben: diese wird stillschweigend vorausgesetzt, weil
sie vom Tempel hergenommen ist, der ein festes Gebäude war und
seinen Platz nicht wechselte. Zweitens ist der eherne Altar eigent-
lich als ein hölzerner beschrieben, der nur mit Erz überzogen ist:
nun entspricht zwar diese Konstruktion vielleicht der ältesten Be-
handlung des Erzes, aber für einen Herd grössten Umfangs, auf
dem beständig ein gewaltiges Feuer brennt, ist sie doch sehr un-
geeignet und am leichtesten aus dem Bestreben erklärlich, den
') Sap. Sah 9, 8 heisst der Tempel ein fx^fiTjfxa ax7)v^« ifia^. Josephus saj^^
Ant. 3, 103 von der Hütte : ^ V o66iv (xsxotpepofA^vou xal aufiTcepivoaxouvToc
vaou Sti^epe. Er nennt sie geradezu das heilige Ilaus, ebenso wie den
Hof den Tempel und das Lager die Stadt.
38 Geschichte des Kultus.
ehernen Altur, den Salomo gegossen hatte (2. Reg. 16, 4), dadurch
transportabel zu machen, dass man seinen Kern in Zimmerwerk
verwandelte. Die Hauptsache bleibt indessen, dass die Stifti^hütte
des Priesterkodex ihrer Bedeutung nach nicht ein einfaches
provisorisches Obdach der Lade auf dem klarsehe ist, sondern das
einzige legitime Heiligtum der Gemeinde der zwölf Stämme vor
Salomo und darum also eine Projektion des späteren Tempels*).
Wie bescheiden und fast verlegen nimmt sich gegen diese dreiste
Tatsache einer von Anfang an gegebenen Grundlage der Centralisation
der deuteronomische Hinweis auf den zukünftigen Ort aus, den
Jahve erwählen werde! Hier ist gewissermiuissen nur die Idee in
des Gesetzgel)ers Geiste vorhanden und beansprucht ei"st für eine
weit spätere Zeit reale Wirksamkeit, dort hat sich die mosaische
Idee auch einen mosaischen Körper nachwachsen lassen, mit dem
sie gleich von Anfang an leibhaftig in die Welt tritt').
Auf dem selben einfachen historischen W^ege, wie der Priester-
kodex da« Centralheiligtum in die vorsalomonische Zeit hinein-
pflanzt, schaflt er die anderweitigen Kultusstätten aus der Luft.
Seine achtundvierzig Levitenstädte sind zum grossen Teil nach-
weislich eine zeitgemässe Metamorphose der alten Ramoth. Der
Altar, den Jos. 22 die ostjordanischen Stämme bauen, soll bei Leil)e
nicht in der Absicht ihn zu gebrauchen errichtet sein, sondern nur
so zum Andenken an irgend etwas. Sogar die vormosaische Zeit
wird in dieser Weise purificirt. Weil die Patriarchen keine Stifts-
hütte haben, so haben sie überhaupt keinen Kultus, sie bauen
nach dem Priesterkodex keine Altäre, bringen keine Opfer und
halten sich sorgfältig von allem fern, wodurch sie dem Privileg
des einzig wahren Heiligtums irgendwie vorgreifen könnten. Diese
Gestaltung der Erzvätergeschichte ist nur die äusserste Konsequenz
des Strebens, ghnchsam das Sempcr ul)ique et al) omnibus der ge-
setzlichen Kultuseinheit geschichtlich durchzuführen.
') Als solche wird sie einpfuiideii, wenn sie mehrfaeh in der Chronik un-
willkürlieh mit dem Tempel konfnn<lirt wird: Oraf ]). 55. In m. Zel)a-
eliim 14,4 heisst es; antequam erectum esset tahernaeuhim, fuennit
«'xrclsa lieita: postcpiani erectum est tahernaculiim, [)rohil>ita fuerunt
excelsa. Nach dem denterononiischen \«'rse 1. Reir. 3, 2 tritt erst mit
der Krlumuup: des Tempels das \ erbot der Ramoth in Kraft.
-) Ks entspricht dem jrenan. wenn der deiiteronom. r)earl>eiter des Konigs-
hnchs zwar seit dem Temj)elhau das Gesetz als zu Ueclit hestehond an-
sieht, aber das konstante Abweichen der Praxis anerkennt, daj^egen der
Chronist die jüdische Geächichtc der Hej^a^l nach ins Ge&otz umdichtet.
Der Ort des Gottesdienstes. 39
Also im Deuteronomium liegt die Institution in den Geburts-
wehen und hat im Kampf mit der Praxis der Gegenwart sich
durchzuringen, im Pri esterkodex trägt sie Sorge für ihre yralte
Legitimit ät und gestaltet die A^ergangenheit nach sich um, offenbar
leshalb, weil dies für die Gegenwart nicht mehr nötig ist — die
Zurücktragung des Neuen in die alte Zeit pflegt später zu geschehen
als die Geburt des Neuen selber. Das Deuteronomium steht in der
geschichtlichen Krisis mitten drin und noch im engen Zusammen-
hang mit der älteren Kultusperiode, deren Zustände es bekämpfen,
aber nicht ignoriren oder gar ableugnen kann. Kein Fortlel)en
der früheren Sitte in der Gegenwart verhindert dagegen den
Priesterkodex, sich ein Bild der alten Zeit wie sie sein muss zu
entwerfen; unbeengt, durch noch vorhandene Anschauung und wirk-
liche Tradition kann er sie nach Herzenslust idealisiren. Er hat
demnach seine Stel le hinter dem Deuteronomium, und zwar in
der dritte n, nachexilischen Periode der Kultusgeschichte, wo einer-
seits die Einheit d gr Opfftrstät tn ftinQ vollendfttft^ von niemand und
durch nichts angefochtene Tatsache war, und wo andrerseits das
Exil das natürliche Band zwischen der Gegenwart und dem Alter-
tum so durchschnitten hatte, dass einer künstlichen Ausgestaltung
des letzteren, von der Idee aus, kein Hindernis im Wege stand.
III.
Das gewöhnliche Urteil ist umgekehrt. Im Deuteronomium,
meint man, kommen deutliche Beziehungen zur Königszeit vor, der
Priesterkodex passe mit seinen geschichtlichen A^oraussetzungon in
keine Situation derselben und sei deshalb älter. Wenn, wie bei
Ezechiel, der Kultus auf dem Fundamente des salomonischen
Tempels ruht, so erkennt jedermann die spätere Zeit; wenn er
aber auf die Stiftshütte gegründet ist, so ist das eine andere Sache.
Man beweist das hohe Alter der priesterlichen Gesetzgebung damit,
dass man sie in eine von ihr selbst aus ihren gesetzlichen Prämissen
geschaffene historische Sphäre versetzt, die in der wirklichen
Historie nigend zu finden ist und darum ihr voraufgehn muss.
So hält sie sich am eigenen Schopf über dem Boden in der Schwebe.
1. Es mag jedoch scheinen, als sei bisher nur behauptet
worden, dass die Stiftshütte auf einer historischen Fiktion beruhe.
In Wahrheit ist es zwar bewiesen, indessen mag noch einiges
hinzugefügt werden, w^as zwar längst gesagt, aber nochJ,.|^nmer
40 Geschichte des Kultus, Kap. 1.
nicht recht beherzigt ist. Es handelt sich, wie ich vorausschicke,
um die Stiftshütte des Priesterkodex. Denn irgend ein Zelt für
die Lade mag es wol gegeben haben. Zelte waren in der Tat in
Palästina die ältesten Obdächer der Idole (Os. 9, 6) , woraus erst
später feste Häuser wurden; und auch die jehovistische Über-
lieferung (jedoch nicht J) kennt ein heiliges Zelt ^) beim mosaischen
Lager und zwar ausserhalb desselben, wie die älteren Höhen meist
frei vor der Stadt lagen. Es handelt sich aber um das bestimmte
Zelt, welches Exod. 25 ss. nach Jahvcs Anweisung als der Grund-
stein der Theokratie errichtet wird, das vorsalomonische Central-
heiligtum, welches auch äusserlich das Gegenbild des Tempels ist.
Schon dessen blosse Möglichkeit ist bestreitbar. Ganz wundersam
koutrastirt dieser Prachtbau, zu dem das kostbarste Material bei-
gesteuert und in der kunstvollsten Weise des Morgenlandes ver-
arbeitet wird, gegen den Boden, auf dem er sich erhebt, in der
Wüste unter den urwüchsigen hebräischen Wanderstämmen, die
ihn doch ohne fremde Beihilfe in kurzer Frist hergestellt haben
sollen. Der Gegensatz ist früh aufgefallen imd hat zuerst Voltaire
Anlass zu Zweifeln gegeben. Diese Zweifel mögen auf sich be-
ruhen; es genüge, dass die hebräische Überlieferung, selbst für die
Zeit der Ri(;hter und der ersten Könige, für welche doch die mosaische
Stiftshütte eigens bestimmt ist, nichts von derselben weiss.
Man sollte das freilich nicht denken, wenn man sieht, wie
viel manch einer heute von ihr zu erzählen hat, der das Buch der
Chronik geschickt zu benutzen versteht. Nämlich 2. Chron. 1, 3 ss.
heisst es, Salomo habe seinen Regierungsantritt mit einem gi'ossen
Opferfeste zu Gibeon gefeiert, denn dort habe die Stiftshütte und
der eherne Altar Moses gestanden. Dem entsprechend wird 1. Chron.
21, 29 gesagt, David habe zwar auf der Tenne Araunas ein Opfer
gebracht, aber die Wohnung Jahves und der rechtmässige Altar
sei in jener Zeit zu Gibeon gewesen; und weiter 16, 39, dort in
Gibeon habe der legitime Hohepriester Sadok fungirt. llievon aus-
') Es wird a]>er iiirjreiid zu gesetzgeberischen Zwecken benutzt, sondern
ist einfaches Obdach für die Lade, steht ausserhalb des Laj^ers, wie die
ältesten lleilij^ünier ausserhalb der Städte, und wird von Josua als Aedi-
tuus bewacht, der auch darin schläft: wie Samuel, der Aedituus Elis.
In gewissen (irundzüj^cn stimmt die Bauart der Xaaba mit der der Stifts-
hütte überein: mit Zeui,' überhangener Kubus, innerhalb eines durch
Säulen begrenzten Hufes, von dem noch ein besonderer, unmittelbar an
eine Seite des Heiligtums stossender Raum (Ui^r) abgesperrt ist. Wie
das zu erklären ist, sei dahin gestellt.
Der Ort des Gottesdienstes. 41
gehend haben schon die Rabbiner und neuerdings besonders Keil
und Movers eine systematische Geschichte der Stiftshütte bis auf
den Tempelbau ausgesponnen. Unter David und Salomo, so lange
die Lade auf dem Sion sich befand, war sie in Gibeon, wie auch
daraus zu ersehen, dass dort (2. Sam. 21, 6. 9) Opfer vor Jahve
gebracht werden. Vorher zu Nob, wo Ephod und Schaubrode er-
wähnt werden (1. Sam. 21); m^sprünglich zu Silo, seit Josua. Aber
dies waren nur ihre ständigen Wohnorte, daneben hielt sie sich
vorübergehend bald hier bald dort auf und rettete durch ihre all-
gegenwärtige Geschwindigkeit die Einheit des Kultus, trotz der
verschiedenen und weit auseinander liegenden Stätten, an welchen
derselbe ausgeübt wurde. Überall, wo von einem Erscheinen und
Opfern vor Jahve die Rede ist, muss die Stiftshütte stillschweigend
ergänzt werden^). Wie dogmatisch dies Verfahren ist und zu wie
absurden Konsequenzen es fühii, braucht nicht noch gezeigt zu
werden; die Hauptsache ist, dass der Ausgangspunkt nichts
weniger als fest ist. Denn die Angabe der Chronik, Salomo habe
sein Antrittsopfer auf dem Altar der Stiftshütte zu Gibeon dar-
gebracht, steht in Widei*spruch zu der älteren Parallele 1. Reg. 3, 1 — 4.
„Diese sagt nicht nur nichts von der mosaischen Stiftshütte, die
zu Gibeon gestanden habe, sondern sie sagt ausdrücklich, dass
Salomo auf einer Höhe (als solcher) geopfert, und entschuldigt
ihn deswegen'^ damit, dass bis dahin noch kein Haus dem
Namen Jahves gebaut worden sei. Dass der Verfasser der Chronik
von dieser Relation abhängig ist, ist aus allgemeinen Gründen
gewiss und ergibt sich speciell daraus, dass er die Stiftshütte zu
Gibeon mit dem Namen Bama bezeichnet, eine condradictio in
adiecto, die nur aus dem Restreben authentischer Interpretation
„der grossen Bama zu Gibeon'^ 1. Reg. 3 zu erklären ist. Hier
wie sonst konformirt er die Geschichte dem Gesetze: der junge
fromme Salomo kann sein Opfer doch nur an der gesetzlichen
Stätte gebracht haben, welche also jener Höhe zu Gibeon unter-
gelegt werden muss. Mit 2. Chron. 1 , 3 ss. fallen auch die zwei
anderen Notizen 1. Cliron. 16, 39 und 21, 29, die beide von jener
Hauptstelle abhängig sind, wie der wiederkehrende Ausdruck „die
') Septuaginta zu Jos. 24, 33: uaeli Josuas und Kleazars Tode Xaßdvrec ol
ulol 'löpo^X T7)v xißwTOv Toü Oeoü TtEpiEtp^poaav h ^Gt'JToi;. Vgl. Wa«,'enseil,
Sota p. 151. Nach Jo. Buxtorf und 8al. van Til (l'gol. Bd. 8) ist dann
diese Theorie besonders von Movers ausgebildet worden. Dagegen
de Wette, Beiträge p. 108 ss., Yatke a. 0. p. 316 Anm.
42 Geschichte des Kultus, Kup. 1.
Bamii von Gibcon" deutlicli von'ät. Sonst kommt die Stift sliüttc
in der Chronik nicht weiter vor, sie liat noch nicht ihre Konse-
qnenzen j^ezo^en und die historische Anschauung des Verfossers
noch nicht durchdrungen. Dieser würde gewiss durcli die Frage,
oh sie vorher in ^'ol) gestanden habe, in einige Verlegenheit ge-
raten sein, da er Gewicht legt auf die Verinndung des recht-
mässigen Heiligtums mit dem rechtmässigen l^riestergeschlecht
Sadok-Eleazar, wa^lche allenfalls für Silo, aber nicht für Nob 'an-
zunehmen möglich ist*).
Dass die Chronik die israelitische Geschichte dem Priester-
kodex gemäss darstellt, hat zwar gewöhnlich unwillkürlich dazu
veranlasst, ihre principielle Aufla«isung derselben zu gi'unde zu
legen, dürfte aber doch wol eher dazu bewegen, sie aus dem
Spiel zu lassen, wenn es sicli um Ermittlung der wirklichen und
echten Tradition handelt. Die Bücher der Richter und Samuelis
tun zwar vieler Heiligtümer- Erwähnung, darunter aber nicht des
allei-i^'ichtigsten, des Tabernakels. Denn die einzige Stelle, wo
der Name Ohel Moed vorkommt, 1. Sam. 2, 22, ist schlecht be-
zeugt und inhaltlich verdächtig'). Von dem Vorhandensein der
Lade Jahves allerdings finden sich gegen Ende der Hichterzeit
deutliche Spuren (1. Sam. Kap. 4 — 6). Bürgt nun die Lade für
das Tabernakel? Vielmehr ist ihre Geschichte bis zur Unter-
bringung im Tempel Salomos ein Bew'ois dafür, dass „sie ganz
unabhängig von einem ihr besonders geweihten Zelte gedacht
wurde". Das hebt aber den Begriff der mosaischen Stiftshütte
auf, denn nach dem Gesetz gehören beide Stücke notwendig zu
einander, eins darf nicht ohne das andere sein, eins ist so wichtig
wie das andere. Das Ta])ernakel muss da^ Symbol seiner Gegen-
wart überall begleiten, das Dunkel des Allerheiligsten ist gleichsam
das Lei)enselement der Bundeslade; nur notgedrungen und auch
dann nur unter der Hülle der A-'orhänge verlässt sie ihre Wohnung
w-ährend des Marsches, um sie sofort wieder zu beziehen, wenn
Station gemacht wird. Nun aber zieht 1. Sam. 4 ss. lediglich
die Lade zu Felde, sie allein fallt den Philistern in die Hände,
vom Tabernakel und vollens von dem notwendig dazu gehörenden
^) Von (lor Priesterschaft zu Noh entrann nur Abiathar dem Blutbade
1. Sam. 22: also war Sa(l(»k nirlit dalK'i.
-) Die ScptuaLTiuta liest die Stelle nieht, und üherall sonst in 1. Sam. 1 — 9
ist das lleilijj^um von Silo ein Jlekal, d. h. sicher kein Zelt.
Der Ort des Gottesdienstes. 43
Altar ist auch in Kap. 5, wo das Symbol Jahvcs im Tempel
J)agons zu Asdod aufgestellt wird, keine Rede; ebensowenig in
Kap. 6, obwol hier die Feinde deutlich ihren gesamten Raub am
Heiligtume herausgeben. Man nimmt an, die Behausung der Lade
sei in Silo zurückgeblieben. Sehr glaublich, aber das war dann
nicht die mosaische Stiftshütte, die unzertrennliche Begleiterin der
Lade. In der Tat redet der Erzähler von einem festen Mause zu
Silo, mit Pfosten und Türen; möglich, dass dies ein Anachronis-
mus^) — obgleich warum? — , aber so viel folgt jedenfalls, dass
er von der Stiftshütte keine Ahnung hat, die ja mit in den Krieg
hätte ziehen müssen. Wäre gerade diesmal eine ungesetzliche
Ausnahme gemacht, warum wurde denn die Lade nicht w^enigstcns
nach ihrer Herausgabe wieder mit der Wohnung vereinigt, die sie
ja eigentlich gar nicht hätte verlassen dürfen? Statt dessen kommt
sie nach Bethsemes und bringt Unheil, weil — die Leute sie sich
neugierig besehen. Dann nach Kiiiathjearim, wo sie lange Jahre
im Hause eines Privatmannes bleibt. Von da lässt sie David
nach Jerusalem holen — natürlich, sollte man auf grund der
aus dem Pentateuch und der Chronik fliessenden A'orstellung
denken, um sie der ebenfalls nach Jerusalem zu bringenden Hütte
wiederzugeben. Aber daran kommt ihm nicht der Gedanke, so
nahe er gelegen hätte. Zuerst will er die Lade zu sich auf die
Burg nehmen, wird jedoch davon abgeschreckt, und aus Verlegen-
heit sie andersw^o unterzubringen, stellt er sie schliesslich in das
Haus eines seiner Hauptleute, des Obededom von Gath. Hätte er
etwas von dem Tabernakel gewusst, hätte er geahnt, dass es leer
in Gibeon stehe, ganz in der Nähe, es hätte ihm aus aller Not
geholfen. Da nun die Lade dem Hause Obededoms Segen bringt
— man denke: die Lade im Hause eines Soldaten, eines Philisters,
und trotzdem kein Zorn, sondern Segen ^) — , so wird der König
*) Vgl. ähnlich Jos. 6, 19. 24. 9, 27, wo frradc der Anacliroiiismus beweist,
dass die Vorstellung der Stiftshütte dem \f. unbekannt war. Dass
übrigens in Wirklichkeit zu Silo damals ein festes Haus staud, folgt
daraus, dass Jeremias (7, 12) auf seine Trüuimer verweist. Denn er
kann nur ein vorsalomonisches Ileiligtuui als Vorgänger Jerusalems be-
trachten; ausserdem gibt es auch von einem bedeutenderen Tempel zu
Silo seit der Königszeit nicht die geringste Spur mehr.
*) Die Chronik hat gute Gründe, ihn zum Leviten zu machen. Aber Gath
an sich, namentlich bei David, ist das philisthäische, und Ob<'deom
gehört zu der Leibwache, die vorwiegeiul aus Fremden und Philistern
bestand. Ausserdem ist sein Name schwerlich israelitisch.
44 Geschichte des Kultus, Kap. 1.
ermutigt, nun doch sein ursprüngliches Vorhaben auszuführen und
sie in seiner Bui-g aufzustellen. Und zwar unter einem Zelte,
welches er für sie hatte machen lassen (2. Sam. 6, 17); dies Zelt
Davids auf dem Sion blieb ihr Aufenthalt bis zum Tempelbau.
Unumgänglich war die Stiftshütte, falls es sie gab, zu er-
wähnen als der Tempel an ihre Stätte trat. Dass sie ihm nicht
als Vorbild diente, ist bereits gesagt. Wenigstens wäre es doch
aber zu erwarten, dass in dem Bericht über den Bau des neuen
Heiligtumes ein Wort über den Verbleib des alten einflösse. Das
scheint nun auch 1. Reg. 8, 4 zu geschehen: nach Vollendung des
Tempels brachte man ausser der Lade den Ohel Moed und
alle darin befindlichen heiligen Geräte hinein. Die Aus-
leger schwanken, ob sie unter dem Ohel Moed das Zelt der Lade
auf dem Sion verstehn sollen, von dem bisher allein die Rede
gewesen (1. Reg. 1, 39. 2, 28 — 30), oder das mosaische Zelt, das
nach der Chronik in Gibeon stand, von dem aber das Buch der
Könige nichts berichtet und auch nichts weiss (3, 2 — 4). Dem
Verfasser des Verses 8, 4 wii'd wahrscheinlich beides in einander
geflossen sein, wir aber sind vor folgende Alternative gestellt.
Entweder steht die Notiz im Zusammenhange der Erzählung des
Buchs, dann kann der Ohel Moed nur das Zelt auf dem Sion
sein — oder der Ohel Moed 8, 4 ist die mosaische Stiftshütte, die
von Gibeon in den salomonischen Tempel übergeführt wurde:
dann steht die Angabe ausserhalb des Zusammenhangs und geht
nicht von den Prämissen aus, die dieser an die Hand gibt, dann
ist sie mit andern Worten von einem Spätem eingeschoben. Die
erstere Möglichkeit ist unwahi-scheinlich, denn der Name Ohel Moed
kommt, abgesehen von jener Interpolation im masorethischen Texte
zu 1. Sam. 2, 22, in den Büchern der Richter Samuelis und der
Könige überhaupt nicht vor und insonderheit nicht füi* das Zelt
Davids auf dem Sion; dasselbe war auch zu wenig durch das
Alter geheiligt und nach 2. Sam. 7 zu unansehnlich und provi-
sorisch, um der Aufbewahrung im Tempel gewürdigt zu werden.
Wenn aber der Ohel Moed hier wie immer die Stiftshütte ist,
worauf auch die heiligen Geräte fülu^en, so ist der Vers eben
auch später eingeschoben. Die Veranlassung dazu ist leicht zu
begreifen; der selbe Anstoss, von dem wir oben ausgingen, musste
es einem Juden, der von pentateuchischen Gedanken ausging,
nahe legen, an dieser Stelle die Stiftshütte zu suchen und wenn
Der Ort des Gottesdienstes. 45
er sie nicht fand, zu ergänzen. Doch auch die Interpolation be-
seitigt die Schwierigkeiten nicht. Wo bleibt der mosaische Brand-
opferaltar? er war ebenso wichtig und heilig als das Tabernakel
selber, wird auch in der Chronik ausdrücklich stets daneben auf-
geführt und verdiente nicht, dass man ihn in Gibeon verkommen
Hess — was andrerseits auch der Einheit des Opferdienstes sehr ge-
fährlich gewesen wäre. Ferner, wenn die heiligen Geräte aus der Hütte
in den Tempel übertragen wurden, warum goss denn Salomo nach
1. Reg. 7 alles neu? Warum machte er an stelle des sieben-
armigen Kandelabere zehn Leuchter? Kostbar genug waren doch
auch die alten Geräte, zum teil noch kostbarer als die neuen,
dazu durch ihren alten Gebrauch geheiligt.
Ein negatives Gegenstück zu der Einführung der Stiftshütte
1. Reg. 8, 4 ist die Streichung des ehernen Altars in dem Ver-
zeichnis der von Salomo gegossenen Tempelgeräte 1. Reg. 7. Der
eherne Altar Salomos wird 1. Reg. 8, 64. 2. Reg. 16, 14 15 als
bekannt erwähnt, ohne dass wir in der Hauptstelle 1. Reg. 7
etwas von ihm erfahren haben. Ursprünglich kann er hier nicht
gefehlt haben; denn er ist ja grade das wichtigste Gerät. Man
hat ihn also, wegen seiner unbequemen Konkurrenz mit dem
Brandopferaltar Moses, tot su schweigen versucht; man ist aber,
wie es zu gehn pflegt, nicht konsequent genug gewesen, um all
seine Spuren aus der Welt zu schaffen und dann zu versichern,
Salomo habe nicht selber einen ehernen Altar gegossen, sondern
den der mosaischen Stiftshütte nach Jerusalem geholt und dort
vor dem Tempel aufgestellt.
Es ist klar, dass zur Zeit Salomos weder Stiftshütte noch
heilige Geräte noch eherner Altar Moses existirten. So wie es nun
aber zur Zeit der letzten Richter und ei^sten Könige keine Stifts-
hütte gab, so war sie auch in der ganzen früheren Periode nicht
vorhanden. Das folgt aus 2. Sam. 7 , einem Abschnitt, auf dessen
Geschichtlichkeit es nicht ankommt, der aber jedenfalls die Auf-
fassung eines vorexilischen Schriftstellers wiedergibt. Nachdem
David, wird erzählt, vor seinen Feinden Ruhe hatte, gedachte
er der Lade ein würdiges Obdach zu bauen und sprach seinen
Entschluss gegen den Propheten Nathan mit den Worten aus:
„ich wohne in einem Cederhause und die Lade Jahves unter
einem Zelte". Er kann nach 6, 17 nur das Zelt meinen, das er
errichtet hatte, also nicht das mosaische, das auch nach der Be-
46 Geschichte des Kultus, Kap. 1.
Schreibung Exod. 25 ss. nicht füglich einem Hokbau entgegen-
gesetzt werden, noch weniger für eine äi-mliche, am allerwenigsten
für eine Jahves unwürdige Behausung gelten konnte und in bezucr
auf Pracht mit Salomos Tempel zum mindesten wetteiferte.
Nathan billigt anfangs die Absicht des Königs, verwirft sie al^or
nachträglich, Jahve wolle es jetzt nicht andere haben als wie er
es sonst gehabt habe. „Ich habe in keinem Hause gewohnt, seit
ich die Kinder Israels aus Ägypten geführt habe, vielmehr bin ich
in Zelt und Obdach herumgewandert.." Natürlich hat auch Nathan
nicht das mosaische Zelt als gegenwärtige Wohnung der Lade vor
Augen, sondern das Davids anf dem Sion. Er sagt nun nicht,
die Lade sei früher immer in der Stiftshütte gewesen und ihr
jetziges Notdach sei darum höchst illegitim, sondern gerade der
jetzige Zustand sei der rechte, in einem ähnlichen simplen und
unansehnlichen Obdach habe die J^ade bisher stets gehaust. Da
Davids Zelt nicht bis zum Auszug aus Ägypten hinaufreicht,
so redet Nathan notwendigerweise von wechselnden Zelten und
Wohimngen, die Lesart der Parallelstolle in der Chronik (I 17, 5)
beruht darum auf einem ganz richtigen Veretändnis. Der Vor-
stellung des Pentateuchs kann nichts stärker entgegenlaufen als
diese Worte: die Lade hat nicht ein bestimmtes einziges heiligem
Prachtzelt zum Korrelat, sondern ist gegen ihr Obdach ganz
gleichgiltig, hat damit häufig gewechselt, aber nie ein besonders
schönes gehabt. Und so ist es seit Moses gewesen *).
So steht es um die Stiftshütte: will man das Alter des
Priesterkodex an diesen Faden hängen, so habe ich nichts dawider.
Ihre Vorstellung ist erwachsen in Anlehnung an die früh be-
zeugte heilige Lade, die zur Zeit Davids und auch schon eher
unter einem Zelt gestanden hat, aus der Wurzel des salo-
monischen Tempels. Von diesem hat sie sowol ihr inneres Wesen,
ii
) 2. Silin. 7 war für die landiriutiy^e liistorisoli-kritischc Einleitung8wis»soii-
schaft der locus |)n)l)au.s dassiciis dafür, dass Ids zum Tem])cl die mo-
saische Stiftshütte funjrirt habe. Für die .Stumpfheit ihres Hlickes kann
es kaum einen schlagenderen Hewtas gehen. Uichtig ist nur, dass hier
geleugnet wird, es hahe vor dem Tempelhau die Lade je in einem Hause
gewohnt. Aber diese allgemeine und bestimmt veranlaiSste Betrachtung
verdient weniger Glauben als die gelegentlichen Einzelangaben, woraus
erhellt, dass die Lade lange Jahre im Hause Abinadabs stand und dass
der Tempel von Silo ein Haus war. Unser Verfasser scheint besonders
d«Mi Krieg im Auge zu haben, und die Lade war allerdings ursprünglich
ein kriegerisches Heiligtum, zunächst des Stammes .J(»seph (.losuas), so-
dann Davids (2. Sam. 11, 11. 15,24).
Der Ort des Gottesdienstes. 47
die centrale Bedeutung für den Kultus, als auch ihre äussere
Form.
2. Einen eigentümlichen Standpunkt nimmt Theodor Möldeke
ein. Er gibt die Prämisse zu, dass die Stiftshütte eine Fiktion
sei mit dem Zwecke, den Tempel und die Einheit des Kultus
präexistent zu machen, leugnet aber die Folgerung, dass der
Priesterkodex in diesem Falle die Einheit des Kultus in seiner
Gegenwart als schon bestehend voraussetze und darum später sei
als das Deuteronomium. „Ein starker Drang nach Einheit des
Kultus, sagt er^), musste entstehn, sobald Salomos Tempel er-
baut war. Gegen dies glänzende Heiligtum mit seinem bildlosen
Kultus am Mittelpunkte des judäischen Reichs mussten die alten
heiligen Stätten immer mehr zuiücktreten, und zwar nicht ])loss
in den Augen des Volks, sondern ganz besonders auch in denen
der Besten und geistig am meisten Vorgeschrittenen (vgl. Arnos 4,8.
8, 14). Wenn schon Ilizkia die Einheit in Juda ziemlich durch-
führte, so muss das Streben danach doch recht alt sein; denn
man wird sich nicht leicht entschlossen haben, alte heilige Ge-
bräuche gewaltsam zu unterdrücken, wenn dies nicht die Theorie
schon lange gefordert hatte. Die Priester in Jerusalem mussten
ganz besondei*s früh auf den Gedanken kommen, diiss ihr Tempel
mit der heiligen Lade und dem grossen Altar der einzig wahre
Oi*t der Gottesverehrung wäre, und dieses für die Reinheit der
Religion gewiss sehr förderliche Streben hat unser Verfasser in
die Form eines freilich in seiner Strenge ganz unausführbaren
Gesetzes gekleidet (Lev. 17, 4ss.), diis daher auch später vom
Deuteronomiker für die Praxis modificirt ward.''
Was geschehen musste, darauf kommt es weniger an als auf
das was wirklich geschah. Nöldeke stüzt sich einzig auf die Nach-
richt 2. Reg. 18, 4. 22, dass Ilizkia die Bamoth und Altäre Jahves
beseitigt und zu Juda und Jerusalem gesagt habe: vor diesem Altar
sollt ihr anbeten in Jerusalem. Gegen dieselbe sind bereits
oben Zweifel erhoben worden. Welches Geräusch machte später
die gleiche Maassregel Josias, wie tief schnitt sie ein! und diese,
obwol die frühere, soll so ganz ruhig abgelaufen sein, und so spurlos,
djiss ihre Wiederaufnahme nach sie])zig oder achtzig Jahren in
Wirklichkeit nicht im mindesten an sie anknüpft, sondern sich
*) rntcrsuchunj^en zur Kritik des Alten Testaineuts j). 127 s.
iü jeder Beziehung als eiii neuer erster Schritt geberdet, auf
einer bisher völlig unbetretenen Bahni' und su ganz beilÄufig ist
davon die Rede, während doch sonst der Gegenstand das bevor-
zugte Hauptthema des Buulis der Könige ist? Dazu kommt nun
noch das besondere gleichfalls oben i^hon geltend gemaclite Be-
denken, dass der Manu, von dem Hizkia nacli Lage der Dinge die
Anregung zu seinem Vorgelien erhalten haben muss, der Prophet
Jesaias, in einer seiner spätesten B«den ausdrücklich nur eine
Reinigung der Kultusstätten von Schnitz- und Gussbildern in
der messianischen Zeit fordert, also nicht ihre völlige Aufhebung
wünscht. Das steht jedenTalls fest, dass wenn an der in Rede
stehenden Angabe überhaupt etwas ist'), Hizkia nur einen schwachen
und gänzlich erfolglosen Versuch in dieser Richtung gemacht und
auf keine Weise „die Einheit in Juda ziemlich durchgeführt" hat.
Es liesse sich höchstens daraus folgern, dass das Bestreben den
Gottesdienst im l'empel von Jerusalem zu koncentriren schon zur
Zeit Hizkias sii^h regte. Das würde aber der Absicht Nöldekes,
den Frieatorkodex vor das Deateronomium zu rücken, sehr ent-
gegen sein. Denn ein Centralisationsbestreben ze%t sich grade
') Auf 'L Reg. 18, 22 ist wenig zu gehen; die Erzihluiig über die assyrischi'
Belagerung Jorusaloms ist nicht gleichzeitig, wie im Allgcmeiuen aus
lier völligen L'nbostimmlbeit der Nachrichten über den plÖtwichen AbKUg
der Äfsyrer und seine Qründe, im Beduniteren nua 19, 7 (36. 37) erhellt
I>eDn die Ueinung ist hier jedenfalls die, daaa Senaherib bald nach
dem vei^eblichen Feldzuge im Jahre 701 ermordet worden aei; in
Wahrheit hat er aber bis <!84 oder 681 regiert (Smi(h, Assfritin Eponym
Canon p. 90. 170). Der Erzähler hat also nicht bloss zwanzig .lahre
nacb den Ereignissen geschrieben, sondern noch um so viel später als
erforderlich ist, damit sieb jene tw^mig Jahre so stark verküravii
konnten; er steht zweifellos schon unter dem Einfluss des Deutero-
nomiums. Schwerer als 2. Reg. 18,23 wiegt allerdings 2, ReH- 18, 4
S21, 3). Indessen so authentische Nachrichten uns auch in den 1ii'^'i'Ntt<ti
les Buchs der Könige erhalten sind, so habeu dieselben doch alle nicht
bloss die Auswahl, sondern auch die Bearbeitung des deute ron um iijc heu
Redaktors possirt, und es ist gar leicht möf^'lich, dass diosLT sich tri
einer General isining berechtigt glaubte, wodurch die von Jesaias an-
geregte und durch Hizkia ausgeführte Iteinigung (zunlchsl des Tempels
XU Jerusalem) von Idolen in eine Besi'itijjuiig der Bamoth samt HasseWn
und Ascheren verwandelt wurde. Wie wenig die späteren Schriftsteller
Zeitunterschiede und Orade in der Kclzerei <[es ungesetzlichen Kultus
anerkennen, ist bekannt: sie gelm iiniuer gU'ich aut das Ganze. In
Wirklichkeit aber hat sich die Reformation ohne Zweifel stufenweise
vollzogen. Zuerst findet sich bei Ilosea und Jesaias die Polemik gegen
geschnitzte und gegossene Bilder, darauf bei Jeremias die Polemik gegen
Holz und Stein, d. h. gegen Mnsseben und Äscheren; Ton den Propheten
ist die Bewegung ausgegangen, auf ihr authentisches Zeiigni.t ist das
grösate, ja das eiruigc: (jcwicht lu legen. "'^~
Der Ort des Gottesdienstes. 49
im Priesterkodex gar nicht; hier wird vielmehr die Centralisation
vorausgesetzt, als selbstveretändliche Tatsache und in all ihre
Konsequenzen entwickelt. Nur das Deuteronomium kann man
nach 2. Reg. 18 , 4. 22 ansetzen, wenn man nämlich Lust hat mit
dieser Notiz gegen den Bericht von 2. Reg. 22. 23 anzukämpfen,
wonach das Deuteronomium erst achtzig Jahre später aufgefunden
imd damals zuei'st in Geltung gesetzt ist.
Nöldeke setzt voraus, dass das Sti-eben nach der Einheit ge-
rade in den jerusalemischen Priesterkreisen seinen alten und ur-
sprünglichen Sitz gehabt habe. Wenn der Priesterkodex älter ist
als das Deuteronomium, so muss allerdings die prophetische
Agitation für die Kultusreform, aus der das Deuteronomium her-
vorgewachsen ist, nur das Nachspiel einer älteren priesterlichen
sein. Von dieser erfahren wir aber lediglich nichts, während
w4r jene von ihren idealen Anfängen an bis zu ihrem praktischen
Ausgange leidlich verfolgen können. Amos Hosea Jesaias sind es,
welche die Bewegung gegen den alten volkstümlichen Gottesdienst
auf den Höhen eingeleitet haben. Sie gehn dabei nicht von
einer eingewurzelten Vorliebe für den Tempel von Jerusalem aus,
sondern von sittlichen Motiven, die in ihnen zuerst urwüchsig
entstanden sind, ja vor unseren Augen entstehn; ihre Äusserungen,
wenn auch aus geschichtlichen Gründen durch die nordisraelitischen
Heiligtümer veranlasst, lauten doch völlig allgemein und richten
sich gegen den Kultus überhaupt. Von der Einwirkung eines
Gesichtspunktes, der mit einem priesterlichen auch nur verwandt
wäre, dass nämlich der Gottesdienst an dem und dem besonderen
Orte mehr wert sei als an allen anderen und da^'um allein fort-
zubestehn verdiene, findet sich bei ihnen nichts; ihre Polemik ist
eine rein prophetische, d. h. individuelle, theopneuste in dem Sinn,
dass sie von allen hergebrachten und vorgefassten Menschen-
meinungen unabhängig ist. Von diesem absolut originellen Anfange
ist aber nun die folgende Entwicklung abhängig, und diese läuft
nicht auf den Priesterkodex aus, sondern auf das Deuteronomium,
ein Buch, das bei aller billigen Rücksichtnahme für die Priester
(freilich für die jerusalemischen nicht mehr als für die anderen)
doch seinen prophetischen Ursprung nicht verleugnet und vor allen
Dingen von all und jeder hierukratischen Neigung vollkommen
frei ist. Und das Deuteronomium endlich ist es gewesen, welches
den geschichtlichen Erfolg der Reformation Josias gehabt hat.
Wellham«!!, Prolagomena. 5. Aufl. 4
50 fieschlchf* i«» Kultus, Kap. 1.
Also die liisti>risiln> Bewegung auf diesem (ietiiete, soweit sie
wirksam und uiis dadurch bL^kaimt gewordeu ist, ist vou Haus
aus uud wesentlich prophetisch, wenn auch «u Ende priest erli ehe
Einflüsse sekuudirt haben mö^en; nnd sie kann nicht bloM^,
gondern sie muss aus sich heraus verstanden werden. Eine
ältere oder selbständij; nebenhergehende priesterliche Be-
wegung in der selben Richtung ist wenigstens völlig resultatlos
geblieben, darum auch gänzlich unbezeugt. Uns kommt es viel-
leicht so vor, als hätten die jerusalemischen Priester doch seibat
zuerst (las Ziel in das Auge fassen müssen, dessen Verwirklicbaug
ihnen später soviel Gewinn brachte, aber es scheint nicht, dass
sie von vornherein so klug waren, wie wir es nachträglich sind.
Wenigstens gibt es weiter keine Gründe fiir die Hypothese eines
seit alter Zeit latent vorliaudenen reniralisationsbestrebens der
Jerusalem ischen Priesterschaft als die vornefasste l^Ieinung, dass
der Priesterkodex nicht bloss dem Dentoronominm , sondern auch
den Propheten zeitlich vorangehn müsse. Zu diesem Behuf wird
eine ganz abstrakte — und als solche unwiderlegliche — Möglich-
keit konstmirt, durch deren Pforte man der historischen Walir-
siheiülichkeit entscldüpft, über die hinaus wir es ja nicht bringen
Wie vollständig unbekannt der Priesterkodex noch bis mitten
in das Exil hinein gewesen ist, ersieht man aus den Büchern der
Könige, welche ihre gegenwärtige Gestalt nicht vor Nabokndrossors
Tode erhalten haben können. Der Redaktor, der das deutemno-
mische Gesetz citirt und beständig daraach urteilt, hält, wie wir
aus 1. Reg. 3, 2 gelernt haben, die Bamoth vor dem Torapelbau
Salomos fiir erlaubt; die Stiftsbütt« hat also in seiner Vorstellung
nicht existirt. Der etwa um eine Generation ältere Jereniiiis
könnt sie gleichfalls nicht, sondern er betrachtet — der Lade
wegen, jedoch nicht notwendig in "Übereinstimmung mit hei^-
iiracbter Meinung — das Gotteshaus von Silo, dessen Ruinen
damals wie es scheint noch zu sehen waren, als den Vorgänger
des jerusalemisclicn Tempels, und ilarin folgt ihm die anonyme
Weissagung 1. Öam. 2, 27^3(1, deren späteres Alter aus der Sprache
(2, 33) und aus dem Unistande erhellt, dass sie der folgenden
Drohung in Kap. 3 vorgreift. Bei allen diesen Scliriftstellern,
besonders auch beim Deuteronomiker solher. der in Kap. 12 die
Einheit dos Kultus faktisch erst von der A\'nhl
I Jerusalems idi^^^J
Der Ort des Gottesdienstes. 51
hängig macht, ist es doch höchst auffallend, wenn damals der
Priesterkodex längst vorhanden war, dass sie ein so bedeutendes
einschlägiges Buch nicht gekannt haben; es zu übersehen machte
die alte hebräische Literatur nicht ganz so leicht als in einem
ähnlichen Fall unsere heutige. Und wie kommt es nun, dass in
der aus dem dritten Jahrhundert stammenden Chronik der Priester-
kodex auf einmal nicht mehr scheintot ist, sondern seinen Einfluss
auf die Betrachtungsweise überall nur zu lebendig und deutlich
äussert? Für diese Schwierigkeiten ist Nöldeke unempfindlicher
als billig ist. Er scheint der Ansicht zu sein, dass die nach-
exilischo Zeit nicht gew^agt haben wüi-de, eine so durchgreifende
Umbildung, ja Neugestaltung der Tradition vorzunehmen, wie die
Prädatirung des salomonischen Tempels durch die Stiftshütte sie
mit sich bringt ^). Es ist jedoch grade umgekehrt das Kennzeichen
der nachexilischen Schriftsteller, dass sie von ihren Ideen aus auf
das freieste mit den Einrichtungen des israelitischen Altertums
schalten, mit welchem ihre Zeit durch kein lebendiges Band mehr
verbunden war. Wozu steht sonst die Chronik im Kanon, als
um uns dies zu lehren? Wenn Nöldeke aber die Unbekanntheit
der Stiftshütte damit entschuldigt, dass sie eben ein blosses Ge-
dankending sei*), so lässt er einstw^eilen ausser Acht, dass hinter
ihr die sehr reale Idee der Kultuseinheit steckt, um deren willen
sie z. B. dem Deuteronomiker, auch als blosse Vorstellung, sehr
willkommen sein musste. Nur das Gerüst der Stiftshütte ist
I^hantasie, ihre Idee wurzelt in geschichtlichem Boden, [und bei
dieser lässt sie sich fassen.
Ein Punkt muss hier noch schliesslich besprochen werden,
den besonders Dillmann, gestützt auf ältere Vorgänger, als Achilles-
ferse der Grafschen Hypothese stark hervorhebt, dass nämlich der
Priesterkodex trotz der Beschränkung des Opferns auf einen ein-
zigen Ort dennoch die alte Bestimmung, dass jede Schlachtung
Opfer sein müsse, aufrecht erhalte, während das Deuteronomium,
') Jahrbb. für prot. Theol. I. p. 352: Und min mochte ich fra<(en, ob eine
derartige Schrift, welche nns von Geschiclite Landverteihmj^ und Opfer-
gebrauch des gesamten Israel ein so vielfach von «ler Wirklichkeit ab-
weichendes Bild darbietet, in eine Zeit gehört, in der sich Israel in
ängstlicher Scheu an das f'berlieferte anklammerte.
*) Unters, p. 130: Man muss sich immer vor Äußren halten, dass der Vf.
in seinen Berichten wie in seinen Gesetzen nicht tatsächliche Verhält-
nisse, sondern zunächst seine Theorieen und Ideale schildert. Dahin
gehört die Verherrlichung tler Stiftshütte u. s. w.
4*
52
fiflschiclile ^e» Eullns, Knp. 1.
k
einen Schritt weiter gehend, sie fallen lasse. Daraus i'olj!;o evident
die Priorität des Priesterkodox. Es heisst nämlich I,ev. 17: „Wer
immer vom Hause Israel Rind oder St:haf oder Ziege schlachtet, im
Lager oder ausserhalb des Lagei-s, und es nicht vor die Stiftshütte
führt um Jalive eine Üiu'briiiguug darzuhiingen vor der Wohnung
Jahves, dem soll es als Blutschuld gelten; Blut hat er vergossen
und er soll ausgerottet werden aus seinen Verwandten, Auf dass
die Kinder Israel ihre Opfer, die sie auf dem Felde opfern, dem
Jahve bringen vor die Stiftshüttc zum Priester und sie opfern als
Daukopfer dem Jahve . . . und nicht mehr den Feldteufeln, denen
sie naclihuren, ihre Opfer opfern!" Nun ist das Absehen dieser
VorHchrift einzig und allein darauf gerichtet, die Alleinberechtigung
der einzig legitimen Opferstätte sicher liu stellen; nur um des-
willen, wie man sieht, wird auch die profane Schlachtung ausser-
halb Jerusalems verboten, welche das Deuteronomium gestattet
hatte. Die Alleinberechtigung der legitimen Opferstätte wird aber
durch die Erlaubnis der profanen Schlachtung an beliebiger Stätte
nur dann angetastet, wenn die Schlachtung trotz ihrer angestrebten
Profanirung dennoch sich nicht vom Opfer losreissen konnte.
Offenbar verstand also der gemeine Mann nicht recht den Unter-
schied zwischen dem religiösen und profanen Akte, der bisher
ganz unbekannt war; und wenn er, was er ja durfte, zu Hanse
schlachtete, so beobachtete er dabei doch, trotz aller Kautionen
des Deuteronomikers, den alten heiligen Ritus des Opfers. Daraus
erwuchs die Gefahr, dass sich unter der Hand eine Vielheit der
Altäre wieder einschlich; und einer solchen Gefahr wiid in Lev. 17
begegnet, genau in der selben freilich völlig unpraktischen Weise
wie der etwa gleichzeitige Prophet Ezechiel in seiner Polemik
gegen das Blutessen') es tut, der doch auch nach Dillmann jünger
ist 'als das Deuteronomium. Bemerkenswert ist dabei, wie sehr
dieses im Übrigen auf dem Deuteronomium fussende Gesetz in der
Beschränktheit legitimist ischer Betrachtungsweise fortgescluitten ist.
Das Deuteronomium erkennt noch durchaus an, daas die Opfer
ausscrhall> Jerusalems doch auch dem Jahve dai^ebracht werden;
für den Verfasser von Lev. 17 ist das eine unmögliche Vorstellaug,
') Din bV 73K eigentlich = Fleischessen ohne den Ritu» der ItluUns-
schüttuug vollzogen zu hatieu, vgl. ahen p. ISa. Ezvchii;! aivht die
Opfer auf den Hüben weder ii.\a richtig geopfert uuch als richtig ge-
sehlaclitel an. Vgl. Zach. 9, 7,
Der Ort des Gottesdienstes. 53
er sieht wie der Verfasser der Chi'onik diese Opfer schlechtweg an
als Opfer für die Dämonen '). Ich lasse mir nicht eim-eden,
dergleichen sei für jemand möglich gewesen, der noch vor der
deuteronomischen Refonnation, oder auch nur vor dem Exil in
den alten Verhältnissen lebte.
Übrigens gehört Lev. 17 bekanntlich zu einer eigenartigen
kleinen Gesetzsammlung, die zwar in den Priesterkodex aufge-
nommen ist, aber mehrfach von ihm abweicht und so auch gerade
hinsichtlich des Verbots der profanen Schlachtungen. Der Priester-
kodex im Ganzen steht in diesem Punkt vollkommen auf dem
Boden des Deuteronomiums. Er erlaubt die Schlachtung ohne
Opfer schon in den Noachischen Geboten, die nicht bloss für alle
Welt, sondern auch für die Juden Giltigkeit haben. Später wieder-
holt er diese Erlaubnis zwar nicht ausdrücklich, er sieht sie aber
als selbstverständlich an. Nur darum kann er das Dankopfer so
ganz als Nebensache ansehen und die Opfermahlzeit beinah igno-
riren; auch gibt er in Lev. 7, 22 — 27 geradezu Regeln über das
Verfahren beim Schlachten solcher Tiere, die nicht geopfert
werden*). Also auch hier zeigt sich wieder das Verhältnis, dass
was im Deuteronomium als Neuerang auftritt, im Priesterkodex
als längst und schon seit Noah bestehende Sitte vorausgesetzt
wird. Mithin ist dieser auf dem Boden ei-wachsen, welcher durch
jenes präparirt ist.
') 2. Chr. 11, 15. Etwas ähnliches, wenngleich nicht das selbe ist es,
wenn die Muslime sagen, die alten Araber hätten ihren Gottesdienst
den Ginnen gewidmet — und was dergleichen mehr von Degradirung
der Gottheiten zu Gespenstern vorkommt. Vgl. Baruch 4, 7. Ps. 95, 5
106, 37 (Sept.). 1. Cor. 10, '20.
') Dass in Lev. 7, 22 — 27 nicht langst und ausführlich gegebene Bestim-
mungen über das Dankopfer wiederholt, sondern neue über die Schlach-
tung nachgetragen werden sollen, erhellt aus: das Vieh wovon man
dem Jahve Opfer bringen kann v. 25 und aus: in allen euren
Wohnsitzen v. 26, desgleichen aus der Praxis des Judentums.
Gusrhiclilf <il'^ Kuitu«, Kap. 2.
Zweites Kapitel.
Dil
n,,iv
Wip dem ujlukch Alloi'tiim, so ist aucli ilen llpbräcni iljw
Opfer dio Hanplsnclic im Kultus. Es fragt sich, ob dprscllm
nicht, auch in dieser wichtijisten Hinsicht eine Geschichte ilurc)i-
gemacht hat, deren Stadien sich im I'eiitatench widerspiegeln.
Nach den bereits gewonnenen Ergehnissen muss dies als von
voruheiein wahrscheinlich gelten. Aber um nun wirklich den
Process zu verfolgen oder auch nui- seinen Anfang und seiu Ende
festzTi stell C41, dazn scheinen die uns erhallonen Quollen nicht.
zureichen.
[.
1. Geflissentlich beschäftigt sich mit dem Gegenstände nur
der Priestorkodex, der die verechiedenen Arten tles t.)pfors klassi-
ficirt nnd d)ia Verfahren bei ihnen genau beschreibt. Er liefert
darum auch ilen neueren Darstellungen das majissgcbende Schema,
woiin sich die übrigen gelegentlichen Angaben des Alten Testa-
mente wol oder übel fü^eu müssen. Damit ist nun sogleich für
die Charakteristik des Buches in diesem Punkte ein wichtijtor
Zug gewonnen. Das Opfen'itual ist hier ein Üestandteil der
mosaischen Gesetzgebung und zwar ein sehr wesentlicher; es ist
nicht als alter Braucli von Urväter Zeiten her durch die lebendige
Praxis den Israeliten überliefert, sondern erst Moses hat ihnen die
Theorie davon gegeben und zwar gleich eine sehr au^ebildeto, und
diesen hat Gott selber dariu unterwiesen (Exod. 25ss. Ia>v. Iss.).
Auf die der Theorie entsprechende Technik des Opfers, sowol auf
das wann, wo und durch wen, als auch hesondera auf das wie,
wird darum ein ganz unverhältnismässiger Nachdrack gelegt. Da-
durch erhält dasselbe seinen specilisehen Wert; man könnte glauben,
auch wenn es einem anderen fiotte dargebracht würde, würde es
durch den legitimen Ritus an sich gleichsam jahvistisch von Natur
sein. Durch seine Form wird der israelitische Kultus wesens-
verschieden von jedem anderen, ein unterscheidendes und kon-
stitnirendcs Merkmal der heiligen Gemeinde. Mit ihm Ringt die
Theokratie an und er mit der Theokratie, letztere ist weiter nichts
n de I
Die Opfer. 55
als die Anstalt um ihn in der gottgewollten Weise zu betreiben.
Uaj'um gehört auch das Ritual, das nur die Priester anzugehn
scheint, in ein Gesetzbuch, welches für die ganze Gemeinde be-
stimmt ist; sie müssen doch alle, um am Leben der Theokratie
teilnehmen zu können, über ihr Wesen Bescheid wissen, und zu
diesem gehört in erster Linie die Theorie des Opferdienstes.
Auch die jehovistische Schicht des Pentateuchs kennt keine
andere Art der Gottesverelu'uug als den Opferdienst und hält ihn
nicht für weniger wichtig ah der Priesterkodex. Aber dass sich
das israelitische Opfer durch eine besondere dem Moses geoflfen-
barte Foim, die es allein legitim macht, vor allen anderen aus-
zeichnet, davon ist hier nicht viel zu merken. Opfer ist Opfer —
wird es dem Baal dargebracht, so ist es heidnisch, wird es dem
Jahve dargebracht, so ist es israelitisch. Im Bundesbuch und in
den beiden Dekalogen wird geboten, vor allem, keinem anderen
Gotte als Jahve zu dienen, ihm aber auch wirklich zur rechten
Zeit Ei'stlinge und Gaben zu opfern. Negative Bestimmungen, die
zumeist irgend eine heidnische Absonderlichkeit ausschliessen,
kommen vor, aber positive Verordnungen über das Ritual finden
sich nicht; wie man es machen muss um zu opfern, ward als be-
kannt vorausgesetzt und erecheint nicht als Gegenstand der Gesetz-
gebung. Was Bundesbuch und Dekaloge vielleicht noch zweifel-
haft lassen, wird aus der jehovistischen Erzählung vollkommen
klar. Hier ist weit mehr von Opfern die Rede als dort, und schon
dies kann man bezeichnend finden: im Priesterkodex ist das Ver-
hältnis umgekehrt. Besondei-s wichtig jedoch ist es, dass nach der
jehovistischen Geschichte die Praxis des Opfers, und zwar des
rechtmässigen und gottgefälligen, w^eit über die mosaische Gesetz-
gebung hinausreicht und eigentlich so alt ist wie die Welt selber.
Ein Opferfest, das sie in der Wüste feiern w^ollen, ist die Veran-
lassujig des Auszugs der Israeliten, schon zu Raphidim (Exod. 17)
baut Moses einen Altar, und noch vor der Bundschliessung auf dem
Sinai wird bei Gelegenheit von Jethros Besuch (Exod. 18) ein
feierliches Mahl vor Jahve veranstaltet. Aber der Brauch ist noch
viel älter, Abraham Isaak und Jakob haben ihn gekannt und
geübt. Noah, der Vater der gesamten Menschheit, hat nach der
Flut den ersten Altar errichtet, und lange vor ihm haben Kain
und Abel in der selben Weise geopfert, wie es Jahrtausende später
in Palästina zu geschehen pllegte. Der Araniäer Hileam versteht
rt6
r.,!sclii.-lilc' .los K'iltus. Kap. 3.
B8 SO gut wie jodiir Israelit, dem Julive Opfer daraubringeu,
ihre Wirkung auf ihn nicht verfehlen. Daraus oi^ibt sich mit
aller nur wün9(;henBwei-tt>n Deutlichkeit die Vorstellung, dass das
Opfer eine aus grauer Vorzeit überkommeno und ganz allgemeine
Weise die Gottheit zu verehren ist, und dass das israelitische
(Ipfer nicht durch das Wie, sondeni diuch das Wem sich unter-
scheidet, dadurch, dass ea dem Gotte Israels dargebracht wird.
Moses hat nach dieser Vorstellung das Verfahren heim Opfer-
dienste ebenso dei' hergebraehteu Praxis überlassen wie da» Ver-
fahren beim Gebot; wenn man überhaupt an bestimmte Urheber
des israoli tischen Kultus denken kann, so sind es am ehesten die
Patriarchen, aber auch sie liaben das Ritual nicht erfunden, sondern
nur die Stätten gt^ründet, wo die Isrueliten den gemeinen Ge-
brauch aller Welt dem Jahve widmeten. Der Gegensatz gegen
den Priesterkodex ist höchst auffallend, denn es ist bekannt, dasfi
dieser keinen Opferakt vor Moses erwälmt, weder in der Genesis
noch im Exodus, obwol seit Noah die Schlachtung erlaubt ist
Das Fest der Darbringung von Schafen und Rindern als die Ver-
anlassung des Auszugs aus Ägypten fällt hier weg, und aus dem
Opfer der Eratgeburten wird das Pa^chalanmt, welches ohne Altar,
ohne Priestor und nicht vor Jahve geschlachtet und gegessen
wird ').
Zu meinen, dass der Kultus auf vormosaischen Gebrauch zu-
rückgehe, ist ohne Frage naturgemässer als asu meinen, dass er
das liauptstück der siuaitiscben Gesetzgebung sei; es ist ein
wunderlicher Gedanke, dass Gott oder Moses plötzlich das richtige
Opferritual sollte erfunden und eingeführt haben. Indessen daraus
ei^bt sich nicht der Schluss, dass der Priesteikodex jüngerer Zeit
angehöre. Ebenso folgt dies auch nicht aus der hier schon sehr
entwickelten Technik des Verfahrens, denn die mag bei den
grossen ITeiligtümern schon recht früh vorhanden gewesea>sein,
ohne fi'eilich darum gerade als echt mosaisch zu gelten. Dagegen
fällt es allerdings schwer ins Gewicht, dass die ausschliessliche
I^gitimität einer so bestimmten Opferordnung, wie sie im Priester-
kodex als die einzig mögliche in Israel gilt, eine Vorstellung ist,
die sich nur in Folge der Centralisation des Kultus zu Jerusalem
ausgebildet haben kann. Doch dadurch wurde die Entscheidung
tt'llt iQ
ie JK.
Beziig auf di« Opf«r noch gai
nie ll(>fiT.
5T1
I über nnwe Fragte auf H;ia im vorison Kapitel i^ßrtiii'lene ReBollat |
irkgeechoboii, und wüiisiiioiDiweit wäre es jodenfalls, sto sßlbst-
Btändig tu erledigen, damit nicht der Trugkruft eines einzigen wenn I
\ auch noch so stärken Pfcilorg zu viel anvertraut werde.
2- Auch hier können die Gründe der Entscheidung nur doo I
i goechiditliuhen Dokumenten aus der voroxilischcn Zeit entnommon 1
werden, den Bnihern der Richter Samuetis nnd der Könige auf 1
der einen, den Si'ihriften der Prnpheten auf der anderen Seite. [
L Was die crsteren betrifft, so erscheint hier der Kultus und daa
I Opfer hei allen Gelegenheiten als eine grosse Hauptsache im lieben
des Volks und des Einzelnen. Aber wenn andi nicht anzunebmon
I ist, daas auf das rite gar nichts sollte gegeben sein, so liegt doch ,
> darauf keinesfalls der Nachdruck; der Gegensatz ist nicht: rite (
. und nicht rite, sondern: dem Jahve und den fremden
^ (lottern — umgekehrt wie im Priesterkodex. Neben glänzenden
[ Opfern wie die königlichen, die vermutlich nach allen R«geln
[ der Kunst dargebracht werden, kommen auch höchst einfache
und primitive vor, z. B. das Sauls 1. Sam. 14, 35 und Elisas
1. Reg. lil, 21: richtig sind sie beide, wenn sie nur dorn richtigen
I Gotte gewidmet sind. Abgejscheu von der oxilischen Bearbeitung
des Buchs der Könige, welche den Kultus ausserhalb Jerusalems
ftr ketzerisch hall, trifft man nirgend die Vorstellung an, dasa
ein Opfer dem Gotte Isiaots geweiht und doch illegitim sein kön
I Kneman (2. Reg. 5, 17) wird seinen heimischen eyrischen Ritus !
befolgt haben; das tnt der Wolgefälligkeit seines Opfers keinen
Eintrag. Zu einer Beschreibung dos Ritus findet sich erklärlicher
I Weise selten Aulass; kommt aber einmal eine solche vor. so lässt I
* 616 sich nur mit Gewalt in. das gesetzliche Schema hineinzwängen.
L Am meisten frappirt das Vorfahren Gideons (Judic. 6, 19—21),
I womit vielleicht zugleich das zu Ophra noch zor Zeit des Er-
I Kühlers übliche beschrieben wird. Gideon kocht einen Ziegenbock
I und hückt ungesäuerte Aschenkuchenj tat darauf das Fleisch in
j «inen Korb und die Brühe in einen Topf, nnd dann wird daa
I so sabereitete (lahl der Flamme des Altai's Übergeben, Doch mag
1 Buch Übereinstimmung mit der Regel des Pentateuchs vorgekommen
I sein; daa Wichtige ist nur, dasa der B^riff des Legitimen und
I dcA Ketzerischen ganz fehlt. Man vergleiche die Chronik, so merkt
I man den Unterschied.
Den Eindruck, den man aus den geschichtlichen Büchern
58 (iescliii'lile il<-s Kiillus, Kii]<. 2. ^M
gewinnt, vorw^liäifen die Pro[)hGten. Sie leugnen, dass Juhvo »^"
Opfer Wert logo utul dass or sie befohlen habe. Amus sa^t-it, 4s.:
„Kommt nach Bethel zu sünflige», nach Gilgal noch mehr zu
lüütidigen, und bringt am Morgen eure Opfer, am dritten Tage
eure Zehnten — so liebt ihr es ja, ihr Kinder Israel!" Ihr, nicht
Jahve; es ist eitel selbstgewählter Gottesdienst. Noch deutlicher
reglet er Ö, 21s9.; „Ich haase, verschmähe eure Feste und riecho
niiiht au eure Feiertage; bringt ihr mir Brandopfer, , and
eure 8peiäopfer mag ich nicht, und eui'en Dank an Mastkälbern
sehe ich nicht an. Fort von mir mit dem Lärm eurer Lieder,
euer Harfenspiel will ich nicht hören; es quelle aber wie Wasser
das Recht hervor und Gerechtigkeit wie ein uuversieg! icher Dach.
Habt ihr mir Opfer und Gaben in der Wüste dargebracht, vierzig
Jahre, Hans Israels?" Damals wurden keine Opfer gebracht, und
doch wai' das die goldene Zeit der Theokratie. Hosea führt 4, 6s8.
bittere Klage darüber, dass die Priester statt der Thora die Opfer
kuttiviren. „Mein Volk geht unter aus Mangel der Erkenntnis,
denn ihr selbst (ihr Priester!) verachtet die Erkenntnis, so will
auch ich euch verachten, dass ihr mir nicht Priester sein sollt;
ihr habt die Thora eures Gottes vergossen, so will ich auch euer
vei^essen. So viel sie sind, so sündigen sie gegen mich, ihre
Ehre vei^tanschen sie gegen die Schande. Meines Volkes Sünde
essen sie und nach seiner Verschuldung tragen sie Verlangen."
Auch S, 11 SS. setxt er die Thora dem Kultus entg^en. „Ephraim
hat sich viele Altäre gebaut, zu sündigen, die Altäre sind ihm
da, KU sündigen. Schreib ich ihm noch so viel Weisungen, sie
worden geachtet wie die eines Fremden." Statt die göttlicheu
Weisungen zu befolgen, opfern sie; die Opfer sind also nicht
Gegenstand der Weisungen. Aus Jesaias Reden gehört hierher
die bekannte Stelle l,10ss, „Hört Jahves Wort, ihr Sodoms-
fürsteu , vernimm die Thora unseres Gottes, du Gomorrhavolk !
Wozu mir eui'e vielen Opfer, sagt Jahve; ich bin der verbrannten
Widder und des Fettes der Mastkälber satt, und das Blut von
Uindent und Schafen mag ich nicht. Weun ihr kommt, mein
Angesicht zu schauen, wer verlangt das von eurer Hand?" Jesaias
gebraucht zwar das Wort Thora nicht, wie Hosea, von der priester-
lichen, sundern von der prophetischen Weisung; da aber beide
einer gemeinsamen Quelle entspringen und rler eigentliche Weiser
Jiilive ist, so macht das nidit viel aus — der Inhalt des I'r
Die Opfer. 59
kodcx passt nicht in dio hier vorgetragene Thora. In Mich. 6
fragt das Volk, wie man sich die Gunst des zürnenden Gottes
wieder erwerben könne. ,,Soll ich mit Brandopfern ihm entgegen
kommen, mit jährigen Kälbern? hat er Gefallen an Tausenden
von Widdern, an unendlichen Ölströmen? soll ich meinen Erstge-
borenen für meine Sünde geben, meines Leibes Frucht als Sühne
meiner Seele?" Die Antwort lautet: „Es ist dir gesagt, Mensch,
was frommt und was Jahve von dir fordert: vielmehr Recht pflegen
und Liebe üben und demütig wandeln vor deinem Gott." Am
nachdrücklichsten endlich äussert sich der letzte vorexilische
Prophet, Jeremias, namentlich 7, 21ss.: „Eure Brandopfer fügt
zu euren Dankopfera und esset Fleisch! Denn ich habe, euren
Vätern nichts gesagt und ihnen nichts befohlen, als ich sie aus
Ägyptenland führte, in Betreff von Brand- und Dankopfern. Sondern
das habe ich ihnen befohlen: höret auf meine Stimme, so will
ich euch Gott und ihr sollt mir Volk sein, und geht auf dem
Wege, den ich euch immer weisen werde, damit es euch wol
gehe."
Aus diesen Äusserungen darf nun allerdings nicht zu viel ge-
schlossen werden. Die Behauptung, dass Jahve keine Opfer ge-
boten habe, ist eine histoiische petitio principii. Das Zweitafel-
gesetz von Exod. 34 enthält ausschliesslich Vorschriften über die
Feste und den Kultus; mehrfach kehrt die Forderung wieder, dass
alle männlichen Personen dreimal im Jahre vor Jahve erecheinen
sollen und nicht mit leeren Händen; die Tradition über Moses
knüpft sich an die Bundeslade, d. h. an die Kultusstätte. In-
dessen völlig unmöglich wären doch die Äusserungen der Propheten,
wenn ihnen eine rituale Gesetzgebung in der Weise des Priester-
kodex vorgelegen hätte. Die Praxis der Priester am Altar war nicht
Gegenstand der Unterweisung für das Volk. Der Begriff des legi-
timen Ritus, des durch seine gesetzliche Regelung von allem heid-
nischen Wesen unterschiedenen, spezifisch israelitischen Kultus
fehlte. Man glaubte, dass Jahve von seinen Anhängern ebenso
müsse geehrt werden wie die anderen Götter von ihren Unter-
tanen, ducfh Opfer und Gaben, als die natürlichen und allgemein
üblichen Äusserungen der religiösen Huldigung; man glaubte aber
nicht, dass das Verdienst bei der Darbringung von der genauen
Beobachtung der Etikette, als des Gesetzes Jahves, abhänge. Dass
der Ritus nicht den Inhalt der Thora bilde, dürfen die Propheten
60
il.'» Kultus. Ku|
als sollistvoretämilidi ansolieu. Das ^iiiigt, um ihio völlige Pl^"
hekanutschaft mit dem Priesterkodex und seinen Vorstellungen zu
erweisen.
3. Den Ühergang von der vorexilischen zur nachexiHst-hou
Zeit macht hier nicht der Deuteronomiker, sondern Ezechiel, der
Priester im Prophetenmantel, welcher unter den ««ton Verhannten
sich befand. Er steht in einem merkwürdigen Gegensätze zu
seinem älteren Zeitgenossen Jereraias. In dem von ihm im Jaliro
573 entworfenen Zukunft.sliilde Israels Kap. 4(V— 4^, worin wol
niif Jahve phantastische llo^uugen gesetzt, an die Menschen
aber keine unerfüllbaren Ansprüche gestellt wenlen, nimmt der
Tempel und der Kultus eine centrale Stellung ein. Woher kommt
diese plötzliche Wendung? etwa weil jetzt auf einmal der Priester-
kodex nach langem Schlafe zum I^ben aufwachte und den Gzechiel
inspirii-te ? In einem solchen Zufall liegt die Erklärung nicht, sondern
einfach in den geschichtlichen Umständen. So lange der Opfer-
dienst als Praxis bestand, übte man ihn eifrig aus, beschäftigte
sich aber nicht theoretisch damit und hatte gar keinen Anlass
ihn zu buchen. Nun war der Tempel zerstört, der Opferdienst
vorbei, das Personal ausser Dienst: es ist begreiflich, dass die
heilige Praxis von ehemals nun zum Gegenstand der Theorie un<i
der Schrift gemacht wurde, damit sie nicht verloren ging, und
dass ein verbannter Priester den Anfang machte, das Bild von
ihr, das er in seiner EHnneiiing trug, aufzuzeichnen und es als
Programm für die zukünftige Herstellung der Theokratie zu ver-
ÖITcntlichen. Begreifen lässt es sich auch, wenn Einrichtungen, die
solange sie lebendig waren einfach als natürlich galteö, seit ihrer
Zerstörung in einem verklärenden Lichte erschienen und durch
da^ ihnen gewidmete Studium auf eine künstliche Weise noch
mehr im Werte stiegen. Diese durch das Exil gegebenen Be-
dingungen reichen hin, den Übergang von Jeremias auf Ezechie!
und die Genesis von Ezech. 40 — 18 zu veretehn. Die Dititwirkung
des l'riestorkodex ist dabei nicht nur völlig überflüssig, sondern
auch störend. Die Abweichungen Ezechiels vom Ritual des Penta-
teuchs lassen sich nicht als absichtliche Änderungen des On^nals
verstehn, dazu sind sie zu zufällig und unbedeutend. Der Prophet
hat ferner das Autorrecht für den Schluss seines Buches so gut
wie für die übrigen Teilo, er bat ea ebenso auf sein Zukunfts-
bild wie die frilhcren Propheten auf die ihrigen. Er nennt sich,
Die Opfer. 61
der Priesterkodex ist anonym. Endlich erwäge man das Gewicht
der einfachen Tatsache, dass ein exilirter Priester sich veranlasst
sieht, eine solche Skizze des Tempelkultus zu entwerfen. Wozu
wäre sie nötig gewesen, w^enn das ausgeführte Bild existirt hätte,
welches durchaus seinen Absichten entsprach und die Gefahr gar
nicht aufkommen liess, dass der Kultus durch sein tatsächliches
Pausiren erlöschen würde, da er im Buche stand?
Der Ausweg einer leblosen Existenz des Gesetzes bis auf
Ezras Zeit steht auch hier wieder offen. Es ist aber unberechtigt,
dasselbe dann nicht von Moses zu datiren, sondern von irgend
einem mittleren Punkte der israelitischen Geschichte. Ausserdem
ist doch gerade beim Opferritual die Annahme einer Kodifikation,
die entweder vor aller Praxis oder unabhängig neben ihr her-
geht, äusserst schwierig, da es auf der Hand liegt, dass dieselbe
nur der endliche Niederschlag eines alten und reich entwickelten
Usus und nicht Erfindung eines müssigen Kopfes sein kann. Aus
diesem Grunde ist ebenso die Ausflucht einer gesetzwidrigen Praxis
unmöglich und die Legitimität des faktisch Bestehenden nicht an-
zufechten.
U.
Zu allen Zeiten also hat der Opferdienst in Israel bestanden
und grosse Bedeutung gehabt, aber in der älteren Zeit gründete
er sich auf den ererbten Brauch der Väter, in der nachexilischen
auf das Gesetz Jahves durch Moses. Früher war er naiv: auf die
Menge und Güte d er Gaben kam es vorzugsweise an; später wurde
er Tegal: auf die scrupulose Ausfülu'ung des Gesetzes, d. i. des
Ritus, wurde vor allem gesehen. War denn nun, abgesehen da-
von, ein eigentlich materieller Unterschied nicht vorhanden? Um
darauf zu antworten, muss etwas weiter ausgeholt und zuvor einiges
Allgemeine zur Orientirung bemerkt werden.
1. Im Pentateuch wird wol der Ritus der Opfer weitläufig
beschrieben, nirgend aber im Alten Testament wird ihre Bedeu-
tung formlich auseinandergesetzt, sondern diese gilt im Ganzen
als selbstverständlich und aller Welt bekannt. Der allgemeine
Begriff des Opfers i^ im Priesterkodex Korban, im übrigen Alten
Testament Minjia^), d. h. Gabe; die entsprechenden Verba sind
^) Gen. 4, 3—5. Nuin. IG, 15. 1. Sam. 2, 17. 29. 20, 19. Is. 1, 13. Mal. 1, 10
bis 13. 2, 12 8. 3, 3 s. Im Priesterkodex ist Min ha ausschliesslich ter-
r.2 fiesühiclitc des Kultus, Kap. 3.
hakn'li und luiggiscli, A. h. nuhe bringen. Heide Nomiria luul
Verba slehii ursprünglich von dem Darbringen eines Geschenks
jui den König (oder die Grossen), nm ihm zu huldigen, ihn guätlig
zu stimmen, eine Bitte au unlerstützen (Jud. 3, 17 s. 1. Sam. 10, 27.
1. R^. 5, 1); von da also sind sie auf den höchsten König über-
tragen (Mal. 1, 8). Aüpa Deoüc irstöst, 3räp' afSoi'iu; ßttotXr,«;. Die
(lalie darf nicht zur Unzeit und nicht täppisch aufgedrungen werden,
nicht wenn der König im hellen Zorn ist, und Tiicht von einem.
dessen Anlilick ihm verhasat ist.
Gegen den Inhalt ist der ßegiiff des Opfers an sich gleich-
f^iltig, wenn es nur überhaupt einen Wert hat und Eigentum des
Darbringere ist, Korban und Minba umfa-sst auch das, was die
alten Griechen Anathema nennen. Die heiligen Abgaben, die
hinterher an die Priester fallen, sind ohne Zweifel ursprünglich
i'^elmäsaige Opfer gewesen, darunter befindet sich auch Wolle und
Flachs (Deut. 18, 4, Os. "2, 7. 11). Jedoch werden vorzugsweise
geniesabare Dinge an Gott geschenkt, regelmässig in der Form.
dass man ein Mahl ihm zu Ehren veranstaltet, woran der Mensch
als Gast Gottes teilnimmt. Das Opfer schlechthin ist stets ein
Ess- oder 'l'rinkopfer, Dsirum wiril der Altar auch Tisch genannt,
deshalb gehört zum Fleische Halz, zu Mehl und Brot Öl, zu beiden
Wein; darum kommt das Fleiscli regelrei.'ht zerstückt und in
alter Zeit gekocht auf den Altar, das Korn gemahlen oder ge-
backen. Daher auch der Name Brot Jahves für das Opfer
(Lev. 21. 22).
Die Alt, wie die Gott zufnllenden .Stücke ihm applicirl werden,
ist verschieden. Die primitivste ist das hlr)sse Hinstellen des
Hrodes, daa Streichen und Gieaseu des Blutes, Öles und Weines.
Die üblichste aber ist das Verbrennen oder, wie die Hebräer sich
ausdrücken, das Käucheni. Das Verbrennen ist ebenfalls ein Appli-
ciren, nicht etwa, wie man aus dem „süssen Duft" (Gen, H, 21)
schliessen könnte, ein Znbereiten. Denn in alter Zeit brieten die
Hebräer das Fleisch nicht, sondern sie kocht«n es, in dem nach-
weislich ältesten Ritus (Jud. I>, l'.i) wini auch das Opfer gekocht
iler Altarflamme übergeben; ausserdem wird ja nicht- bloss das
Fleisch, sundern auch das Brot und das Mehl verbrannt.
tninuN tcctiriicus für daü HphlopfiT. Per allgemeine Name in d?r Sep-
tuagtnta und iui Neuen Testainenl ist iüpqv (Hatth. 5, 23 a. 8, 4. 15, 5.
23, 18 8.), \');l. Spencer III 2 de riiHone el orig. sueriWciuruin.
Die Opfer. 63
Was den Untei*schied von nichtblutigen und blutigen Opfern
betrifft, so werden bekanntlich die letzteren im Alten Testament
vorgezogen, eigentlich aber haben die ereteren den selben Weii;
und die selbe Wirkung. Das Weihrauchopfer erscheint als Sühn-
opfer* (Lev. 16. Num. 17, 12) und ebenso die unendlichen Olströrae
mitten zwischen den Tausenden von Widdern und dem Menschen-
opfer (Mich. 6). Uass das vegetabilische Opfer immer nur das
tierische begleite, trifft nicht einmal für den Priesterkodex zu,
weder bei den Schaubroten noch bei der täglichen Minha des
Hohenpriestei-s (Lev. 6, 13. Neh. 10, 34). NmLdas^ranko£fer^_hjtt
nicht selbständig auf und hat überhaupt nicht die Bedeutung wie
bei den Griechen.
Bei der Schlachtung besteht das Opfer nach der jetzt im
Alten Testamente heri-schenden Praxis nicht im Blute, sondern im
Fl eisch e und im Fette, in den zu räuchernden d. i. zu verbrennenden
Teilen. Aber es gibt Spuren einer anderen Praxis, die wahr-
scheinlich bei den echten Hebräern die ältere war. In dem bereits
öfters angeführten, in mehr als einer Hinsicht sehr lehrreichen
Beispiele L Sam. 14, 32j ::^5 besteht allem Anscheine nach das
Opfer lediglich darin, dass das Blut der Tiere auf den Altar Jahves,
einen grossen Stein, geschüttet oder gestrichen wird. Das ist
zweifellos der Eindruck, den der Wortlaut der Stelle erweckt, und
die Richtigkeit dieses Eindrucks wird dadurch bestätigt, dass die
nächsten Verwandten der Hebräer, die Araber, gar keine andere
Weise zu opfern kennen; bei ihnen ist Schlachtung und Opferung
nicht mit einander verbunden, sondern geradezu das selbe. Ein
gewisser Rest der alten Sitte blieb auch in späterer Zeit, als das
Verbrennen gewisser essbarer Teile des Tiers die Hauptsache ge-
worden war. Immer galt das Blutausschütten und Blut^prengen,
bei allen Opfern, als ein Ritus von hervorragender Wichtigkeit,
und wenn auch die Schlachtung im allgemeinen nicht mehr wie
ehedem die Opferung selber war, sondern nur die Vorbereitung
dazu, so blieb sie doch bei einigen und grade bei den geschätz-
testen Opfern ein heiliger Akt, der vor dem Alter zu geschehen
hatte. Namentlich neigte man sich je länger je mehr dazu, die
sühnende Wirkung des Opfere vorzugsweise dem Blute und der
stellvertretenden Kraft des getöteten Lebens zuzuschreiben.
2. In diesen Umriss fügen sich die Züge der verschiedenen
Quellen. Der Priesterkodex lässt nun einige Besonderheiten er-
ß4
Geschichte des Eulttie, Kap. 3.
kennen, woilmth er sich in Hinsiclit anf lias Opferweaeii von (1er
vorexillsclien Literatur nnterscheiilet.
Zunäclist zeiobnet er sich hei ilea unblutigen Opfern liurdi
eine gewisse Verl'eiueniiig de^ Materials aus. So will er zu Jon
Mehlopfern nicht HCp far angewanilt wissen, eomiern n?S siniila.
lu der vorexilischen Literatur findet sich das letztere überhanpt
nur an drei Stelleu, nie aber beim Opfer, wo rielmehr das pe-
wöhnliclie Melil gebraucht wird (Jud. 6, 19. 1. Sam. 1, 24). Daas
dies kein Zufall ist, folgt einerseits daraus, dass iu der späteren
Literatur seit Ezechiel HDp als Opfermehl verschwindet und statt
dessen stets n70 erscheint, andererseits daraus, dass die Septua-
ginta oder ihre hebräische Vorlage an dem ungesetzlichen
Matenul 1. Sam. 1, 24 Anstoss uimmt und es iu gesetzliches ver-
bessert ').
Dahin gehört femer, dass der Weihrauch in auffallender Weise
bevorzugt wird. Mit jedem Mehlopfer gelangt Weihrauch auf den
Altar: im inneren Heiligtum wird eine eigentümliche Mischung
von Spezereien verwandt, deren genau angegebenes Recept für den
Privatgebrauch nicht nachgemacht werden darf. Das EiLucher-
opfer ist Vorrecht der höchsten Priester, in dem Ritus des grossen
Versöhnungsstages, dem einzigen bei dem Aharon in Person fuii-
giren muss, uimmt es eine hervorragenile Stellung ein. Es ist
von einer ganz gefährlichen Heiligkeit, Aharons eigene Söhne
starben, weil sie sich nicht der richtigen Kohlen bedient hatten.
Den nicht dazu hereclitigton Leviten der Rotte Korah bringt es
Tod und Verderben, während es alsbald diuauf iu der Hand des
legitimen Hohenpriesters das Mittel ist den ausgesprochenen Zoiii
Jahves zu beschwichtigen und der Plage Einhalt zu tun. Von
d iesem Opfer nun, das mit einem solchmi ülanz der Heiligkeit
ausgestattet ist, we jss die äl tere Litßi'utur des judischen Kanons,
bis auf die Propheten Jeremias und Sepliauia, lediglich nichts.
Das Verbum "lEp heisst da immer nur das Fett oder Mehl ver-
brennen und es dadurch Gott zu einem wolgefälligen Geruch
machen, nicht aber Weihrauch opfern; das Substantivum
mcp als Opferterminus hat den ganz allgemeinen Sinn des auf
I
') Eiech. 16. 13. 19.46, 14. 1. Chron.9, 29, 23, 29. Sirac. 35, 2. 38.11.89,32.
Sept. m Im. 1, 13. 66, 3. Im Priesterkodei kominl H"?!) über riemig
Die Opfer.
dem Altar VerbrannteD'). Iii Änfzählongen, wo die Propheten |
I .alles erschöpfe», was an Guben und Utnri^ischen Iieistuugeii existirt,
[■■wo sie in dem Bedürfuis die Reihe za verlängern sich aiirh vor
J Wiederhulungen nicht scheuen, ist von WeiUrancliopfer keine Kede,
I weder bei Arnos (4, 4s. 5, 21ss.), noch Ijoi JesuiiLS (1, llss.), not':h
t bei Micha ((i, 6 s,). Sollten sie es durcli Zufall allesamt ver-
r auf Verabredung ignoriii haben? — denn wenn es
[- vorhanden und von .so grosser WJehtigkeit war, so hätte es doch
I wenigstens einer von ihnen erwähnen müssen. Ebenso wanig
■ findet sieh siinst eine Erwähnung desselben weder in der jebo-
I vistiiH^hen Scbiciit des Ilexateuchs, noeh in den geschiditlichen
LBächem, abgesehen von der Chronik, noch bei den IVopheten —
LbiB auf Jeremias, welcher ß, 20 gerade das Weihruuchopfer hervor-
lihebt als etwas Kares, Weither|2;Gholtes: wozu mir der Weihrauch
Itoii Saba her und das edle Rohr aus fernem Landet Von da ah
Ivird es erwähnt bei Ezeuhiel, Is. 40^66, Nehemia, und in der
I Chronik; die Zeugnisse reissen nicht ab. Die Einführung hängt
I natürlich ztisammen mit gesteigertem Luxus; man könnte geneigt
I seiu KU vennuleu, <iiiÄS dar Gebranc.h erst vou einem feiner ent- i
[ wickelten fremden Kultus aus in den Jahvedienst eingedrungen :
') Das Verbuin wird von den alten .SchriflJ<lelteni im Piel f,'etirmicljt, im
Prieaterkodex (Chronik) im Iliphil, in di>r Ol'Crgun^üzt^it vuin VerfuJKt^r
du Buchs der Köuige prniniscue. Wonigsteii» ist dies su, wu man die
Vonaeo nirher unterscbcidiMi kann, im Perfcktum liiipi-rativ und Infinitiv ;
der Unteraciiied zwiscljen nBp> iinil TEp', lüpD und TCpO !)eniht
hekaontlich nicht aiif guüichcrter Obcrliufemng. Vgl. z. B. katCer juk-
tiruD 1. S&ni. 3, 16; die AbHchreiticr und die Punktalor^n lj<>vorzagcn
unter dein EinfluBS des Pentalouch« das Ilipiiil. — Im Prieaterkodax
(Chronik) hat TBpn beide Bedeutungen neben i'itirtndcr, duch steht os
hier abnolule ineist vom WeihrSuchern, voio Verliruunen gewöhnlich mit
dem Zusatz nn^TOH d. h. auf dem Altar, auf dem nSmÜRb das eigi^nV
liehe Räuchuropfer nicht dargebracht wurde. — Das Subslantivum
niDp ist in der Bedeutung Weihrauchupfer, in der os im Priester-
kodei auSBi'hliesBÜch uud Hohr häufig vürkouiiut. xuerst nacUweiahar bei
Eiechiel (8, IL 16, 18.23,41), dann oft in derChrunik, im übrigen Alten
Tetttunente nur Prov. 27, 3, aber im profanen Sinne. Sonst nie, nicht ]
einmal in su npäterj äli'llen uie L Sam. 3, ^8. Ph. 66, 15. 141,2.
«jeher vorexilisdieii Srhrifistcllern findet sich da8 Wort nur zwei mal, 1
beide mal in ganz, allgemein eru 8iane. Isa. I, 13: bringt mir nicht mehr, I
vergebliehe Opferga)ie, s^reuiii'lie« Uüucherwerk ist mir das. I)eut. 33, ICh f
die Leviten bring<-n Ittüicherwerk (^ das Fett der Uanbopfer) in dein« I
NajB und VollopfT auf deinen Altar. — Der Name njl^ thua kommt I
xuersi bei Jeremiua vor 6,20. 17, :J6. 41,5; ühriccna nur im Priester- ]
kudex (S mal), Is. 40— 66 (3 mal), Nehemiu und Chron. (3 mal),
Cantieum (3 mal). Vgl. Süpbon. 3, 10. l. Reg. 9. ^5.
fiosthichtp (tcB Kultus, Kap, 2.
66
wäre'). Zu wek-her Bedeutung dei-selbe aber in der Rituali^Liselz-
i^eljuiig lies Pentateucbs goluiigt ist, geht vor allem ilarÄUS hervor,
ilass er hier zu der Neubildung eiues eigenen hochheiligen Gerätes
geführt hat, nämlich des golileuen Altars im Iimereu der Stifts-
hütt«, den die Geschielite nicht kennt und der sogar dorn Kerne
des Prie-st*rkoilex selbst fremd ist.
Wir ei-ft-ajl^ii den Räucheraltar in Esod. 25 — 211, wir iinden
ihn statt dessen nachträglich zu Anfang von Exod. 30. Warum
erat an dieser Stelle, warum getrennt von den übrigen Geräten
dea inneren Heiligtums, warum sogar nach der Verordnung übor
den Priestentrnat und ilie Inauguration des Gottesdienstes? Der
Grund, warum der Verfasser von Kap. 2ö — 29 au der Stelle, wu
er die innere Einrichtang der Hütte, bestehend in Lade Tisch
und liCHchtei-, beschreibt, den goldenen Räucheraltar nicht auf-
führt, ist, dass er von letzterem nichts weiss. Vergessen kann er
ihn nicht haben — so bleibt keine weitere Möglichkeit. Hinterher
wiederholt sich die Erscheinung, dass der Räucheraltftr nur in ge-
wissen Stücken des Prieaterkodex vorkommt, in anderen aber fehlt,
wo er nicht fehlen könnte, wäre er bekannt gewesen. Der Ritus
des feierlichsten Siindopfors geht zwar in Lev. 4 am goldenen
Altar vor sich, aber in Exotl. 29. Lev. S. 9 ohne denselben. Auf-
iallender noch ist es, dass in Stellen, wo ee sich um das heiligste
Häucherupfer selber liaudelt, von dem betreffenden Altar keine
Spur zu entdecken ist. So uameutlicli in Lev. 16. l'm im Heilig-
tunie zu räuchern, nimmt Abaron eine Pfanne, füllt sie mit
Kohlen vom Briiudopferaltar (v. 12. 18—20) und tut im Adyton
den Weihrauch darauf. Ebenso wird Lev. lU. Num. 16. 17 auf
Pfannen geräuchert, deren jeder Priester eine besitzt. Die Kohlen
wenlen vom IJraudopferultar genommen (Num. 17, 11), der mit
den Pfannen der korahitlschetl Leviten überzogen ist (17,3.4);
wer diia Feuer andei'swoher nimmt, ist des Todes (Lev. 10, 1 ss.).
Der RäucherultAr ist hier überall unbekannt, der Brandopferaltar
ist der alleinige Altar und hcisst auch immer schlechthin der
Altar, z. \i. sogar Esod. 27, wo es doch besonders nötig gewesen
wäre die unterscheidende Restiramung hinzuzusetzen. Nur in ge-
wissen jüngeren Partieen des Priesterkodex kommt der Name
') Auch boi HiiiQpr ist der Weihiaiich nuth unbekannt, und öiui
iptiuui m« ItSp' die Opfentücke in Rauch auf^ebu lasseu.
Die Opfer. 67
Brandopferaltar vor, eben in denen, die den Räucheraltar kennen.
Lehrreicli in dieser Beziehung ist der Vergleich des Befehls Kxod. 27
mit der Ausführung Expd. 38.
Der goldene Altar im Heiligtum ist ui^sprünglich nichts anderes
als der goldene Tisch, der Wechsel des Ausdrucks hat z.ur Ver-
doppelung der Sache geführt. Ezechiel untei^scheidet nicht zwischen
dem Tisch und dem Altar im Naos, sondern setzt beides gleich.
Denn er sagt 41,21s.: „vor dem Adyton stand etwas, aussehend
wie ein hölzerner Altar, drei Ellen hoch, zwei Ellen lang und
breit, und hatte vorstehende Ecken, und sein Gestell und seine
Wände waren von Holz: das ist der Tisch, der vor Jahve
steht." Demgemäss bezeichnet er den Dienst der Priester im
inneren Heiligtum als den Dienst am Tis(!h 44, !(>: Tiscli ist der
Name, Altar der Zweck'). In l. Heg. 7,48 werden allerdings
goldener Altar und goldener Tisch nel)en einander aufgeführt. Es
fällt je^loch auf, dass die Schlussübersicht, in diesem Falle ein
Gerät — • und zwar ein so wichtiges Gerät — mehr nennt, als die
vorhergehende Einzelbeschreibung; denn in der letzteren ist nur
von der Verfertigung des goldenen Altai's die Rede, nicht von
der des goldenen Tisches ((>, 20 — 22). Wie die rmstände liegen,
ist nichts wahrscheinlicher, als dass irgend ein späterer den goldenen
Tisch 7, 48 eingeschoben hat, weil er ihn auf grund des Penta-
teachs für verschieden von dem goldenen Altare ansah und darum
seine Erwähnung vermisste. Dass der Text des ganzen Kapitels
vielfach verderbt und interpolirt ist, steht auch aus anderen
Gründen fest.
Wenn es im nachexilischen Tempel einen goldenen Altar
und einen goldenen Tisch neben dem goldenen Leuchter gegeben
hat, so ist das kein Wunder. Wir hören (1. Macc. 1, 21 s. 4, 49),
dass der eine und der andere von Antiochus IV fortge.schleppt und
beim Tempel weihfest neu gemacht sei. Aber Ilekatäus (Jos. c.
Ap. 1, 198s.) kennt nur zwei goldene Geräte im Tempel, ebenso
der Verfasser von 2. Macc. 2, 5, und noch Prokopius (Vand. 2,9):
es ist gleich, ob diese zwei Stücke als Tisch und Leuchter oder
als Altar und Leuchter bezeichnet werden. Vor allem befremdet
es, dass Josephus unter den verbotenen Dingen, die Pompeius im
Tempel zu schauen sich erdreistete, und unter den Trophäen,
') Auch der Braudopfeialtiir vor dem Tempel heisat Tisch (Muluchi 1,7.
Ileuoch 89, 73), so wie das Opfer Brod Jahves.
k
fyfi Geschichte des Eultuü, Kap. Ü.
welrhe später die Römer liort vorfanden uod erlieiitefen , nur den
Tisch und nicht auch den Altar nennt, nnd (laus ihm wenigstens
für dun zweiten Fall der Triimiphbogen .des Titus Recht gibt.
Unter diesen Umständen ist endlich auch die schwankende Orts-
angabe Exud. 30, (i und der vermeintliche Irrtom des Hebräerbriers
wichtig und begreiflich.
Soviel über das Uäucheropfor und den RäuchoraJtar. Eben-
falls als eine Art Verfeinerung, die freilich mehr gcistit^er Natur
ist, darf es betrachtet werden, dass das Opferfleisch im I'rieater-
kodex nicht gekocht , sondern roh der Altarüamme üliergeben
wird. Die alte Sitte iat dies nicht, wie nicht bloss aus dem be-
reits angefuhi-ten Beispiele Gideons (Jud. 6), sondern anch aus dem
1. Sam. 2 beschriebeneu Verfahren zu Silo erhellt, wo die Hohne
Elis nicht warten wollen, bis das Opferdetsch gekocht und die
Altarstücke „geräuchert." sind, sondern iliren Anteil iiih zum
Braten verlangen. Der Gottheit winl das Mahl, das sie mit <len
Mea^chen teilt, in der selben Weise wie den Menschen zubereitet.
Diese Sitt« ist der fortgeschrittenen Bildung gewichen, und zwar
wol nicht erat in ganz später Zeit. Dabei mag noch eine andere
Ursache mitgewirkt haben. Die alte und auch späterhin im Volk
allgemein übliche Sitte, das Fleisch zuzubereiten, war das Kochen.
Das Wort b\l"2. (sieden) kommt äussei-st häutig, dagegen rh^i (braten)
nur noch Exod. 12, K und Is. 44, IH. 19 vor. Alles Opferfleisch
(nba'3.) wurde gekocht und anderes gab es nicht '). Aber bei
vornehmen Leuten mnss schon früh das Braten daneben aufge-
kommen sein. „Gib dem Priester das Fleisch zum Braten, er
will es nicht gesotten von dir haben, sondern roh" — sagt 1. Sam.
2, 15 der Diener der Söhne Elis, Es mag also auch das zum
Wegfall des alten Brauchs, die Stücke gekocht zu opfern, beige-
trugen haben, riass inzmschen das Kuchen überhaupt mehr aus
der Mode gekommen war. Jedenfalls erklärt es sich daraus, dass
das Osteropfer, welches ebenso wie alle anderen ehedem gesotten
wunle, nach der ausdrücklichen Verordnung des Priesterkodes nur
gebraten genossen werden sollte').
') Dnnmch wird man auch niCV vom Kuchen vcrHteJm iiiÜKsim Juil. G. 19.
Vgl. die Kochhiuser dea Tempels noch bei Ezechicl 4(i, ^O. 24. In 1. Suui.
1,9 sprich beschelii statt bcschilo und tilge diu fi.lgtnilc 'IRNl
nntp. Vgl. Tabwi i, 25m
') Vgl. die jinlemi3chp Bestimmung Eiod. 12, 9 mit Deut, li
Die Opfer. 69
In die selbe Kategorie gehört es, dass das Mehl im Gesetze
vorzugsweise roh, in früherer Zeit aber, selbst als Zutat zum Brand-
opfer, gebacken dargebracht wird. Wenigstens ist dies Jud. 6, 19
der Fall, und darnach wird man auch die Angabe 1. Sam. 1, 24
aufzufassen haben: der Opfernde bringt Mehl mit, um es an Ort
und Stelle zu Massa zu verbacken (Ezech. 47, 20). Er bringt aber
etwa auch gewöhnliche, d. h. gesäuerte Brote mit (1. Sam. 10, 3);
diese scheinen keineswegs von jeher, so wie Lev. 2, 11, als nicht
opferbar gegolten zu haben. Schon die Auflegung der Schaubrote
würde sich unter dieser Bedingung nicht verstehn lassen, und
sicher sind doch auch die l^fingstbrote ursprünglich richtige Opfer
gewesen, nicht blosse Abgaben an die Priester. Nach Amos 4, 5
wurde gerade bei einem besonders festlichen Opfer Gesäuertes ver-
wandt, und eine Reminiscenz an diese Sitte ist sogar Lev. 7, 13
erhalten, ohne dass ihr freilich praktische Bedeutung gegeben
wird'). Übrigens bedeutet auch Massa eigentlich nur das eilig
und in primitivster Weise für den augenblicklichen Genuss be-
reitete Gebäck und enthält ui-sprünglich keinen Gegensatz zu der
Säure, sondern nur zu der künstlicheren und langsameren Her-
stellung der gewöhnlichen Brote (Gen. 18, G. 19, 3). Im Priester-
kodex sind die Stoffe feiner, aber sie werden möglichst roh belassen:
beides ist ein Fortschritt.
3. Eine andere und weit bedeutendere Differenz besteht bei
dem Tieropfer. Von diesem kennt die ält ere Praxis nur zwei Arten,
abgesehen von ausserordentlichen Varietäten, die nicht in Betracht
kommen. Diese beiden Arten sind das Brandopfer, 01a, und das
Dankopfer, Sc hele m, Z ebah , Zebah-scjielamim. Bei dem
ersteren kommt das ganze Tier auf den Altar, bei dem anderen
bekommt Gott, ausser dem Blut, nur ein Ehrenteil, während übrigens
*) Die Brote werden Lev. 7, 29 s. totgeschwie^^on, trotzdem ^'orade hier die
Darbrinjrung von Seiten der Opfernden näher heschriehen wird. Und
wenn es heisst: 7, 12 wenn er das Opfer als Thoda hrinjrt, so soll er
dazu mit C)\ anj:emachte Mazzenkuchen und mit Öl bestrichene Mazzen-
fladeu und mit Öl gemengtes Semmelmehl (Sept.) darbrin^'en; 7, 13
[auf] gesäuerte Brotkuchen soll er als (iahe darbringen zu dem Dank-
opfer der Thoda — , so ist der Verdacht äusserst nahe gelegt, dass v. 12
eine voraufgeschickte authentische Interpretation ist, die den Anstoss
des V. 13 zum voraus beseitigt, und dass ebenso das erste vV in v. 13,
das sich mit dem zweiten keineswegs gut verträgt, eine spätere Kor-
rektur ist An V. 11 schliesst sich v. 13 besser an als an v. 12. —
Exod. 34, 25.
70 G(^«chiL-hte des Kultus, Eap. 2.
(las FleisL-h von deu Opfergästen veraehrt «-ird. Nim ist ps he-
mei'kenEWprt , wie selUtii das Brandupfer tdleiiie vorknmmt. Nur
beim Menschenopfer verstellt sidi ilas vod selbst ((iwi. 22, 2 ss.
Jud. 11, 31. 2 lieg. 3, 27. liier. 19, T)), aoust aber ist der Fall iiu-
gewöhnlidi (Gen. 8, -2». Num. 23, 1 sa. Jud. 0, 20. 26. 13, IG. 23.
l.Sam. 7,9b. 1. Re^t. 3, 4. IH, 34. 38) — noch dazu sind alle
diese npfer auäserordentlich oder mythiiwh, was l'ür ltiuseu);iing
der >Sitte an sich gleit^gjItiK t^ein mag, tdcht aber fnr die Statistik
ihrer Häufigkeit*). In der Ri^el kommt die Ola nur in Verbin-
dung mit Z«bAhim vor, die letzteren sind dabei iu der Überzald
und stelin immer im Plural, wahrem] daneben das erstcre mehr-
fach im Singular"). Sie erj,'ünzyu sich alsu wie zwei zusammen-
passende Hälften; diu Ola ist, wie ihr Ntime sagt, eigeutlich
weiter nirliti' als der auf den Altar gelangende Teil einea gi'osaen
Ojifers. Mau könnte darum auch das, was von einem einzelnen
Tioru der (iottheit geweiht wird, Ola nennen; dies geschieht jedoch
nicht, weder vom Blute noch vom l'ette (iCp) gebraucht man das
Verbum nbvn- sondern bloss von Kleischstüeken , von denen bei
einem kleinen Dpfer nichts verbrannt wird. Aber ein principieller
l'iitersidiied esistirt nicht, sondern nur idu gradueller: ein kleines
Zebali, vcrgrossert and gesteigert, wird zu Ola und Zebiüiim; auf
eine gewisse Anzahl geschlachteter Tiere, welche die Opfergesell-
sehaft verzehrt, kommt eins, welches für Gott iiestimmt und ganz
der flamme übergeben wiiil. Übrigens hat man zu bedenken,
') Vonuutlich entartete Jepbthali Jui). 11, 31, dasB ihm ein Uensch und
nicht etwa ein Ilunii au» aeinem llause EDtgpgenkSme. — Bei der obigen
AiifiSlilaue ist aligciielieii von dem SHcriticiiim iuge 3. Itpg. 16, 1^. Oin
Angalir 1. Iteg. 3, 4 |!«hnrt tjüllciclit mil 3, 15 xiisunuicn: glaubwürdiger
wird sie freilirh auch dadurch nichl, Selliatveretündlich sind liiiT flln-rnll
nur dis Slelleii ^u berücksichtigen, wo von wirklich daTgehruchltn Opfern
erzShIt HJrd, nicht allgoinciue Aussagen über eine oder mehrere Dfder-
tirteo. Die lelztenin kÜnnen natürüi^h die Ola alleine ins Auge fassen,
ohne do^is daraus für die Praxis irgend etwas erhellt
») E>üd. 1«, 25. ia, 12. 34, 5, 32, G. Jos. 8, 31. .lud. 2(1, 20. 91, 4. 1. Sam. 6,
14a. 10,8. 13,9—19. 9. Sam. 6, 17 s. ■lirlZ-ü',. 1. n.-f. 3. 15. 8, f.3 8.
2. Reg. 6, 17. 10,24.35. — Das Zeut'r.i.i -'...1. -'^ -.'(:, .'l. 1 i. i-i.'-r i;i.^'«n
den iiteren Sprachgebrauch, — Der lij' ■ '■• , " ■■ ,- '. ■ , .m^iHm
scheint 'rbo IU »ein Deut 33, 10. 1. - . : ■ . ■.; r^-\ lie
Opfcrabgaliii Ton allen Arten des /.Imi ji. !■ 'i lim-ti !-i . i l.^l sieh
nipht eiiläi'liiiili n , "nhrsrliiHniich ist i-a diitiI. Wrmuiln'li wind die
Scliflamiiii f-i.] liilni'^ Of.h-r als das einfache Zebah. Itas Won Fett
wird Iti-ii. -) I. !.\iii|. ■!'.■. 18 in einem sehr allgemeine« Sinne gebraucht
Was nuiii il'iii S.TiM n des Zebah I. Sam. 9, 13 gemeint ist, Ut niclit
ganz klar; ^•.TULiiUkli düa Art Onttias.
Die Opfer. 71
dass es in der Regel nur grosse Opferfeste sind, über welche die
historischen Bücher Anlass nehmen zu berichten, und dass in
Folge davon das Brandopfer doch noch mehr hervortritt, als es
durchschnittlich im gewöhnlichen Leben der Fall gewesen sein
wird. Für gewöhnlich kamen gewiss nur üankopfer vor; wo in
den Büchern Samuelis und der Könige von einem simplen Opfer
die Rede ist, versteht es sich von selbst, dass es ein Dankopfer
ist. Namentlich die Stelle 1. Sam. 2, 12ss. ist auch in dieser
Beziehung lehrreich.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass nach der Pivixis jier^^llfii:ßn
Zeit mit dem Opfer immer ein Mahl verbunden war. Es war die
Regel, dass WossJBI.utjind_Fett auf den Altar kam, die Menschen
aber das Fleisch verzehrten; nur bei sehr grossen Opferfesten be-
kam Jahve ein ganzes Tier oder mehrere. Wo geopfert wurde,
da wurde auch gegessen und getrunken (Exod. 32, G. Jud. 9, 27.
2. Sam. 15, 11 s. Amos 2, 8); kein Opfer ohne Mahl und auch
kein Mahl ohne Opfer (1. Reg. 1,9). Auf keiner bedeutenderen
Bama fehlte wol die Unterkunft, die Lesche, in welcher Samuel
den Saul, Jeremias die Rekabiten traktirte. Sich freuen, essen und
trinken vor Jahve, ist eine bis auf das Deuteronomium übliche
Redeweise. Durch das Mahl bei Jahve wird eine Bundesgemein-
schaft einerseits zwischen ihm und den Gästen, anderei-seits zwischen
den Gästen unter einander gestiftet, welche für die Opferidee
wesentlich ist und von der die Schelamim ihren Namen haben.
Vgl. Exod. 18, 12. 24, 11. Gott ladet ein, denn sein ist das
Haus, sein ist auch die Gabe, die ihm von dem Darbringer ganz
vor den Altar geführt werden muss und die er ei*st darauf zum
gi'össten Teil seinen Gästen abtritt; diese essen also gewissermaassen
an Gottes Tisch und müssen sich dazu vorbereiten, heiligen^).
Auch bei Gelegenheiten, die uns höchst unpassend scheinen, fehlt
doch das Mahl nicht (Jud. 20, 2G. 21, 4. 1. Sam. 13, 9—12).
') Fin vor Jahve zu treten, putzt mau sich mit Kleidern und Schmuck
Exod. 3, 22. 11, 2 s. 12, 35 s. Os. 2, 15. Kzech. 16, 13 (vjljI. 8ur. 20, 61),
heilip^ sich 1. Sam. 16, 5 (Num. 11, 18) und wird jreheili^'t 1. Sam. 16, 5.
Exod. 19, 10. 14. Das Opfermahl j^ilt als Kodesch, denn nicht hloss die
Priester essen Kodesch, sondeni alle Geheilijjrten 1. Sam. 21,5s. Über
den Sinn der Pleiligunji: gibt 1. Sam. 21, 5. 2. Sam. 11, 4 Aufschluss.
Jahve ladet die Heere der Völker zu seinem Opf«T ein, zu welcliem er
irgend ein anderes Volk ihnen preis«riht, und nennt die Meder, denen
er Habe! darbietet, seine (ieheilij^ten d. h. seine Gäste. Sophon. 1, 7 s.
Hier. 46, 10. Ezech. 39, 17. Isa. 13, 3 s.
72
Geschiclite dPK Kultus, Kap. 2.
Dass PS iiiflil immor ganz sänberücli dabei herging, lässt sieb
von voraheroiii aiincbmeii und wird dui-ch laa. 28, H aa^&r in Be-
ziehung uuf den Tempel vun Jerurmlöm bezeugt: alle Tische sind
voll unflätigen Gespeies, kaum Platz! Daher war auuh Elis Yerdat^ht
geg^en Manna ualieliegeail und nicht so entrüstend, wie er uns
vorkommt.
Wie verschieden von diesem Bilde ist die Vorstellung, welche
der Priesterkodex erweckt! Dass zu jedem Opfer ein Malil gehört,
mi'rkt man hier nicht, das Kssen vor Jahve, noch im Deuterono-
mium schlechthin ~3er Ausdi'uck für Opfern, kommt nirgend vor
und ist jedenfalls kein Stück des Gottesdienstes. Schlachtung
und Opfer fiillt nicht mehr zusammen, das Dankopfer, wovon die
Brnst uufi die rechte Keule zu weihen sind, ist etwas anderes als
das alte einfache Zebah. Aber gerade darum hat es »eine frühere
breite Bedeutung eingebüsst. Der Mizbeah, d. h. der Ort wo die
Zebahim darzubringen sind, hat sich in einen Mizbah ha-ola
verwandelt. Das Brandopfer ist ganz selbslän<lig und unabhängig
geworden und tritt durchaus in den Vordei^rund; die nicht mit
einem Mahl verbundenen Opfer überhaupt herrschen so sehr vor, dass
bekanntiKh Theophrast behaupten konnte, andere gäbe es gar nicht
bei den Juden, die sich auf diese Weise von den übrigen Völkern
unlei-sihicdeu. Wo ehedem ein Daukopfer, das man vor Jalive
\erzehrte, wir können deutlicher sagen ein Mahlopfer vorgeschrieben
war, hat der Prie^terkodex, wie wir später sehen werden, einfache
Abgaben an die Priester daraus gemacht, z. B. bei den Erstgeburten
und Erstlingen. Nur darin gibt auch er noch der alten Sitte ein
unwillkürliches Zeugnis, dass er die Namen Thoda Ncder und
Nedaba, von denen namentlich die beiden letzteren notwendig
einen ganz allgemeinen Sinn haben müssen (Lev. 22, 18. Ezoch.
46, 12), ausschlieBslich auf das Dankopfer bezieht, wie denn auch
Milluim und Pesah nur Abarten desselben sind-
4. Was das Dankopfer verloren hat, ist dem Sund- und
Schuldopfer zugewachsen; das freiwillige Privatopfer, welches der
Darbringer in fröhlicher Gesellschaft an heiliger Stätte verzehrte,
ist dem notwendigen gewichen, von dem er nichts bekommt und
das überhaupt den Charakter des heiligen Mahles ganz abgestreift
hat. Ascham und Chattath sind Bnssen an die Priester, die aber
in Gestalt eines Opfera gezahlt werden. Von dieser für den
Piiesterkodex überaus wichtigen Opferail; findet
sich nun y(^^J
Die Opfer. 73
Ezechiel im Alten Testamente keine Spur. In Deut. 12 ist sie
nicht mit aufgezählt, obwol die Aufzählung dem Zweck des Kapitels
gemäss hier notwendig so vollständig wie möglich sein muss. Auch
sonst ist keine Rede davon, weder beim Jchovisten und Deuterono-
misten, noch in den geschichtlichen und prophetischen Büchern.
01a (incl. Zebah) und Minha, oder von einem anderen Gesichts-
punkte aus Kodaschim und Nedaboth (incl. Nedarim) ist die Zu-
sammenfassung aller Opfer. Auch zur Sühne dient die 01a (1. Sam.
3, 14); eine eigene Opferart für diesen Zweck kommt nicht vor.
Was sich findet sind Bussen an das Heiligtum und an die
Priester. Die fünf goldenen Mäuse und die fünf goldenen Pest-
beulen, mit denen die Philister die geraubte Lade erstatten, werden
als Ascham bezeichnet, desgleichen gewisse Gelder, die den jerusa-
lemischen Priestern zufielen, als Ascham und Chattath (2. Reg. 12, 17).
Aber diese Bussen sind eben keine Opfer, sondern einfache Ent-
schädigungen und zwar gewöhnlich in Gelde. Umgekelui; sind die
stellvertretenden Hinrichtungen, die ebenfalls vorkommen und, wie
die Hinrichtungen selber, allerdings an den ältesten Charakter des
blutigen Opfers streifen, keine Bussen an die Priester. Wenn
der Verbrecher selber der Strafe entrückt ist oder entrückt werden
soll, so opfert man statt seiner seine Söhne (2. Sam. 21, 1 — 4),
oder man richtet ein Tier auf dem Hinrichtungsplatze hin (Deut. 21,
1 — 9). Das Äquivalent wird Mich. 6, 7 und Jsa. 53, 10 Chattath
und Ascham genannt, nicht in dem technischen Sinne des Priester-
kodex, sondeni einfach als Schuld, die von dem Unschuldigen für
den Schuldigen getragen wird.
Die Verbindung der beiden Merkmale, so dass die Busse an
die Priester zugleich Opfer an Jahve ist, fehlt durchaus. Nur ein
Beispiel dafür hat man aufgetrieben, nämlich Os. 4, 8: die Sünde
meines Volkes essen sie und nach seiner Verschuldung sind sie
gierig. Es werde hier den Priestern vorgeworfen, sie veranlassen
das Volk zunächst selber zur Veruntreuung der heiligen Abgaben,
um diese hinterher mit dem Zins der Sund- und Schuldopfer
wieder einzuheimsen. Ein schauderhaftes Raffinement! aber nicht
der Priester, sondern der Ausleger. Denn die Sünde und die Ver-
schuldung, die Hosea meint, ist der Opferdienst überhaupt, wie er
vom Volke getrieben wird (8,11. Arnos 4, 4); in dem ganzen
Abschnitte begründet der Prophet den hier scharf zugespitzten
Vorwurf gegen die Priester, dass sie die Thora vernachlässigen
Ulli] <k-iii ir.'in<;e iii.'g Vdlkcä zu iiEjcrglikulitädicm iiixt unziiclitii;cim
Kultus Vcirsclmh leisten. Was enthielte nach dor liei-jjebrachten
ÄOBlegunfi der erste Satz von Os. 4, 8 für einen Vorwurf? und der
«weite redet nicht von Äscliam, sondern von Avon ; diia ist einmai
kein technischer Ausdnii^k der Knitnsspradie nnd liedcTitet zweitens
niuhts, was nach dem Priesterkodex eine rituale Sühne üherhanpt
nur zulässt. Zugegeben übrigens, dass Hosea Bussen an die Priester
im Auge hätte, so würde noch immer nicht folgen, dass or die-
selben in Fomi von Opfern kannte; denn das Essen kann ebensogat,
leben von als verzehren bedeuten, nnd da^ es solion damals
aji die Priester zu zahlende Strafen gej^eben hat, lengnet niemand.
Die heiligen Strafen, Ascliara und f'liattatli, al« Opfer finden
sich Zuerst bei Ezecliiel und scheinen nicht lange Zeit vor ihm an
die Stelle der gleichnamigen üeklbussen (2. Reg. 12, 17) getreten
zu sein; wol im siebenten Jahrhundert, welches für das Mysteriiun
der Sühne tind des IMutvergiessens sehr empfanglich und in der
Einführung nener Knltusgebräuche recht fruchtbar gewesen zu sein
scheint'). Ihrem Wesen nach decken sich diese Opfer mit den
Üussen und Wrogen; es sind Veine Gaben an Gott, nicht einmal
symbolische, sondern Strafabgaben, namentlich Entschädigungen
an die l'riester, zum Teil von bestimmtem Taxwerte (Lev. ö, lö).
Ihrer Fonn nach sind sie aus dem lirandopfer (1. Sam. 3. 14) ent-
standen, wie iler Ritus lehrt. Der Ritus des einfachen Opfers hat
drei Akte: 1) die Vorführung des lebenden Tieres vor Johve und
die Ilandauflegung als Zeichen der Manumissio von Seiten des
Darbringers, 2) die Schlaclitnng und die Ansschnttung des Blutes
an den Altar, 3) die wirkliclie oder scheinbare Übergabe der
Clpfei-stücke an die Gottheit unil das Mahl der Menschen. Beim
Brandopfer Tällt im dritten Akt das Mahl der Menschen fort, im
zweiten tritt die Schlachtung als bedeutungsvoll und heilig hervor,
da sie, wie stets ausdrücklich bemerkt wü*d, vor Jalive zn ge-
schehen hat, an der Noi^dseife des Altars. Das selbe ist auch beim
Sund- und .Schnldopfer der Fall, nur dass hier anch die Übei'gabe
der Opfei'stücke an ilic Gottheit verschwindet und damit der ganze
') Man erwäg« das GroRsiren ()«!< Kinderopfers genule in dirscr Zeit, die
Einführung des Weihrmichs, die neuen Moden, die der KSnijt Miinasse
nnflirBchte «od von denen frewiss mnnches haften Wieb, was der Zeit-
Btiinmung entsprach und mit dem Jahvedianst vereiiiiiar »ur oder fc-ir
dessen ^V□^de und Rrnst zu erliÖlien seinen. Vgl. Israel, und JüdUcb«
Gescbichte (1897) p. 129.
Die Opfer. 75
dritte Akt wegfällt. Die ganze Bedeutung der Handlung Tallt
dann auf die Schlachtung und die Blutsprengung, aber nur scheinbar
wird dadurch der Anschluss an den ältesten hebräisch -arabischen
Opferritus erreicht.
Die Neuheit dieser Opferart scheint sich sogar innerhalb des
IViesterkodex selber durch ein gewisses »Schwanken zu verraten.
In dem darin recipirten Korpus Lev. 17 — 26 werden noch die
Opfer insgesamt unter der Zwieteilung n^.] und roV l>egriffen 17, 8.
22,18.21; andere gibt es nicht. Zwar kommt IV), 21 s. das
Ascham vor, aber anerkannt ermaassen in einem Zusatz der lie-
arbeitung; (higegen wird dasselbe 22, 14 nicht gefordert^), wo es
nach Lev. 5 und Num. 5 hätte geschehen müssen. Und auch ab-
gesehen von Lev. 17 — 26 herrscht in diesem l^unkt zwischen dem
Kern des Priesterkodox und den Novellen keine Übereinstimmung.
Einmal besteht eine Differenz hinsichtlich des Ritus des feierlichsten
Sündopfei*s zwischen Fxod. 21). Lev. 9 auf der einen und Lev. 4
auf der anderen Seite; sodann aber, was wichtiger ist, kommt
dits Schuldopfer nie in den primären, sondern nur in den sekun-
dären Stücken vor, Lev. 4 — 7. Kap. 14. Num. 5, 7. 8. 6, 12. 18, 9.
Auch in den letzteren ist übrigens der Unterschied zwischen Ascham
und Chattath nicht sehr deutlich und nur die Absicht klar, einen
solchen zu machen — vielleicht weil er in der alten Praxis zwischen
PINtCn ^M und Cl^'N Pj^D^ und bei Ezechiel zwischen PCNTi und
Cl^'N wirklich vorhanden gewesen war.
JII.
Die Krisis in der Geschichte des Opferwesens ist die l^efor-
mation Josias, ihre Konsequenzen sind es, die im Priesterkodex
zur Reife gediehen sind. Gerade bei den charakteristischen Diffe-
renzen des Opfergesetzes von der alten Opferpraxis lässt es sich
verspüren, dass sie, wenn auch nicht alle geradezu durch die Cen-
tralisation des Kultus verursacht, doch ]>einah alle irgendwie damit
zusammenhangen.
In der alten Zeit erzeugte sich der Gottesdienst aus dem
*) Genauer nrnss man vielleicht sagen, dass hier das Ascham, hei Zurück-
erstattung widerrechtlichen Besitzes, einfacli das Auffjeld von einem
Fünfteil des Wertes ist, und nicht das Widdoropfer, welches Lev. 5 ohen-
drein gefordert wird. Auch Num. 5. wird eben dies Fünfteil Ascham
genannt
7<i
(leschichte des KiOfus, Kap. 2.
Iipboii tnui Will" aufs oiigste «Jiimit verwachsen, lliis "iiFcr Jahv(
wür ein Mali] der Meuächeu, bezeiuhiieud für das fehlen des Oe^en-
satzea von iieistliuhem Ernst nnd weltlicher Fröhtiehkeit. Ein MiM
lioiihigt einen abi^escLIossenen Kreis von Gästen: so verband das
Opfer die Angehörigen der Familie, tue fliieder der Korporation,
die OenosHen des Heeres und jadweiler daneniden oder voriiber-
geheuden Vereinigung. Es sind irdische ßezieliuugeri, denen dadurch
die Weihe gegeben wird; iluien entepreclien natürliche Anlässe der
Feier, wie sie das bunte Leben bietet. Von Jahr zu Jahr kelirt»
die Ohsticse, die Kornernte, die Schafschur wieder und vereinigte
die Hausgenossen, vor Jalive z« essen und zu trinken; daneben
fehlte es nicht an weniger regelmässigen Vorkommnissen, die in
wechselnden Kreisen gefeiert wurden. Kein Kriegszug, der nicht
auf diese Weise eingeleitet, keine Verabredung, die nicht dadurch
perfekt wurde, kein ii^end wichtiges Unternehmen ohne Opfer').
Wenn ein angesehener Gast kommt, so schlachtet man ihm ein
Kalb — nicht ohne der Gottheit Blut und Fett darzubringen. Her
dem Leben entnommene Anlass ist also von der heiligen Handlung
unabtrennbar und gibt ihr erst Inhalt und Charakter, ein der
Situation entsprechender Zweck steckt immer dahinter. Daher darf
auch das Gebet nicht fehlen. Das Verbum "'\"iS.'n „opfern" be-
deutet schlechthin flehen, umgekehrt rTni ns "ifpl „den Jahve
suchen" faktisch nicht seiton opfern. Zur Unterstützung der Bitte
oder Frage, zur Bezeugung des Dankes dient die Gabe, das Gehet
gehöil: als Interpretation dazu. Dies erhellt freilich mehr gelegent-
lich, als dass es ausdrücklich gesagt wüi^de (Os. 5, 6. Isa, 1, lü.
Hier. 14, 12. 1. Reg. H, 27 ss. Prov. 15, H); nur lur die Daibringmig
der Festgabe haben wir in Deut. 26, 3ss. das Muster eines Gratias;
bei der einfachen Schlachtung wird ein Segen gesprochen (1. Soin.
9, 13). Es versteht sich, dass das Gebet weiter nichts ist als der
Ausdi'uck der Stimmung des Anlasses und dass es ebenso mannig-
fach variirt wie dieser. Hervorgegangen aus den Autrieben und
gerichtet auf die Zwecke des Lebens spiegeln somit tiie Opfer dessen
bunte Alaunigfaltigkeit in sich ab. Unsere Hochzeiten, Taufen,
Leichenschmäuse auf der einen, alle Arten von Zweckessen auf der
anderen Seite würden sich noch nm ersten kuv Vergleichung herbei-
ziehen lassen, wenn nicht auch hier der Zwist zwischen Geistlich
U'
1 ist das Opfer I. Snin. lU, Iss. I. lieg. l,!>ss.: vgl. Prov. 7,
Die Opfer. 77
und Weltlich die Naivetät stöi*t«. Der Gottesdienst war im
hebräischen Altertum Natur, er war die Blüte des Lebens und
dessen Höhen und Tiefen zu verklären war sein Sinn.
Durch das Gesetz, welches alle Opferstätten mit Einer Aus-
nahme aufhob; wurde diese Verbindunf^ durchschnitten. Das Deu-
teronomium beabsichtigt zwar eine solche Wirkung nicht. Im
merkwürdigen Gegensatz zum Priesterkodex ist hier noch das Essen
und sich Freuen vor Jahve die stehende Bezeichnung das üpferns:
die Meinung ist, es handle sich bei der Zusammenlegung des
Kultus nach Jerusalem bloss um einen Ortswechsel, der das Wesen
der Sache unverändert lasse. Aber das war ein Irrtum. "Es war
ein anderes Ding, ob man die Feier der Weinlese in den heimischen
Bergen oder in Jerusalem beging, ob man einen sich zufällig dar-
bietenden Anlass zu einem Opfennahl an Ort und Stelle benutzen
konnte oder vorher erst eine Reise unternehmen musste. Und es
war auch etwas anderes, ob man bei sich zu Hause vor Jahve er-
schien oder an der allgemeinen Stätte unter der grossen Gemeinde
verschwand. Wie das Leben im Lokal wuraelt, so wurzelte auch
der alte Kultus im Lokal; durch die Verpflanzung aus seinem ur-
sprünglichen Boden wurde er seiner natürlichen Nahrungssäfte be-
raubt. Es musste eine Scheidung zwischen ihm und dem Leben
eintreten, eine Scheidung, welche das Deuteronomium selber vor-
bereitet hatte durch die Erlaubnis der profanen Schlachtung. Man
lebte in Hebron, man opferte in Jerusalem, Leben und Gottesdienst
fielen auseinander. Die Folgen, die im Gesetz des Deuteronomiums
schlummern, haben sich im Priesterkodex entwickelt.
Von daher rührt es, dass das Mahlopfer, ehedem bei weitem
die Hauptsache, jetzt gänzlich zurücktrat. Fleisch essen konnte
man zu Hause, in Jerusalem war das Geschäft der Gottesdienst.
Man bevorzugte also solclie Opfer, bei denen der gottesdienstli(;he
Charakter abstrakt, d. h. möglichst rein und ohne natürli(;he Bei-
mischung hervortrat, von denen Gott alles und der Menscli nichts
hatte: Brand-, Sund- und Schuldopfer.
War früher diis Opfer gefärbt durch die Art seines Anlasses,
so hatte es jetzt wesentlich einen und den selben Zweck : Mittel
des Kultus zu sein. Der Atem des Lebens zog nicht mehr hin-
durch, es hatte seinen Sinn für sich selber. Es symbolisirte den
Gottesdienst: damit gut. Die Seele war entwichen; die Schale ge-
78
I.Uel.e
Geschiclite des Kultus, Gap. 1
, und aul'titiFän Ausbildung; wurde tiuu alle Kr^ift verwandt^
Diti Mannigi'aUii^eit der Riten trat im die 8t«l)e dei- individuuli-
sireiiden Äulässe; die Technik wurde Hauptsache, die voraclirifts-
nitis^ige Ausführung uach den Itegelii der Kunst.
Der Kultus war ehedem spontan, jetzt wird er Statut. Diu
Befriedigung, die er gewährt, liegt eigentlich ausser ihm, in dem
m oral ist heu Vergnügen der Gewissen haftigkcit, mit der man die
ritualen Gebote erfüllt, die Gott nun einmal seinem Volke befohlen
hat. Es ist zwar das freiwillige Opfer nicht verlioten, aber eigent-
licher Wert wild nur den vot^eschriebonen beigelegt unil diese
überwiegen durehaus. Und auch bei dem freiwilligen Opfer miiss
sich alles streif in die Grenzen der Satzung fügen: hätte jemand
im J^rang seines Herzens dabei mehr Kleischstücke dargebracht «la
der Ritus forderte, so wäre ea ihm üliel liekommen.
Sonst stiftete das Mahlopfer eine besondere Beziehung zwischen
der Güttlicit und einer geschlossenen Gesellschaft von Gästen; die
natürliche Opferg;escllschaft war die Familie oder das Geschlecht
{I. Sam. 1, 1 SS. 10, Iss. 20, li). Jetzt verlieren sich die kleinen
Sakralgemeinscliaften, die bunten Kreise des l-ebens versidiwinden
in dem Schatten der universalen Gemeinde (mjli Sip). Der De-
griif derseliieii ist dem hebräischen Altertum fremd, dnrchdiüugt
aber den l*riesterkodex von vorn bis hinten. Wie der Gottesdienst
selber, so wurde auch sein Subjekt abstrakt, eine geistliche Grösse,
die dnrüh nidits anderes als eben durch den Gottesdienst zasaminen-'
Kehalten wuixle. Da nun die Teilnahme der Gemeinde „der Söhne
Israels" am Opfer doch eigentlich immer nur oino ideale war, so
trug auch dies dazu bei, dass die heilige Handlung wesentlich durch
sich selbst perfekt wurde, daiiurch, dass sie der Priester vorrichtete,
wenn auch niemand daitei war. Daher dann später die Notwendig-
keit eiuei' besonderen Opferdeputation, der Ansehe Maamad. Wie;
endlich alles dies zusammenhängt mit <lor judaistischen Ferurückui
Gottes vom Menschen, ist klar.
Zwei Einzelheiten verdienen hier noch besonders hervorgehobon
zu werden. Da.s wichtigste Opfer ist im Priesterkodex das Itrand-
Opfer, d. h. tatsächlich das Thamid, das hulocaustum iuge, be-
stehend in zwei jährigen l^ämmern, die täglich auf dem „Brand-
opferaitare" verbrannt wei'den, eins des Morgens und eins des Abends.
Die -Sitte, täglich zu lieatimmter Zeit ein festes Opfer zu bringen,
ig- ,
^ie^^
b
Die Opfer. 79
bestand zwar, in einfacherer Form ^), schon im vorexilischen Alter-
tum, aber daneben nahmen damals die Privatopfer doch eine viel
wichtigere Stellung und einen weit grösseren Kaum ein. Im Gesetz
ist das Thamid faktisch das Grundelement des Gottesdienstes, denn
auch die Sabbath- und Festopfer sind nur eine numerische Steige-
rung desselben (Num. 28. 29). Wenn es nachher im Buche Daniel
heisst, das Thamid wurde abgeschafft, so ist damit gesagt,
der Kultus wurde abgeschafft^). Nun aber bedeutet das
Dominiren des täglichen, sabbathlichen, und festlichen Thamid,
dass der Opferdienst eine ganz feste Form angenommen hatte, die
von jedem besonderen Anlass und von jeder Spontaneität unab-
hängig war, und ferner (was nahe damit zusammenhängt), dass er
von Gemeinde wiegen geschah, Gemeinde in dem technischen Sinne
des Gesetzes genommen. Daher die Notwendigkeit der allgemeinen
Tempelsteuer, deren Vorbild in dem halben Sekel als Kopfsteuer
für den Gottesdienst der Stiftshütte Exod. 80, 11 ss. gegeben ist.
Vor dem Exil bezahlten die jüdischen Könige das regelmässige
Opfer, noch bei Ezechiel trägt der Fürst die Kosten nicht allein
des Sabbath- und Festopfei-s 45, 17 ss., sondern auch des Thamid
4(5, 13 — 15'). Es ist auch ein Zeichen der Zeit, dass nach Exod. 30
die Kosten des Tempeldienstcs direkt aus der Kopfsteuer der Ge-
meinde bestritten werden, und es erklärt sich nur daraus, dass es
*) Kuenen, Godsdienst vau Israel II, 271. Nach 2. Rejur. 16, 15 wurde zu
Ahaz' Zeit im Tempel von Jerusalem täglich eine n'py zu Morgen und
eine nnjD zu Abend geopfert. Auch Ezechiel redet 46, 13 — IT) nur von
der Morgenola. Vgl. noch Esdr. 9, 4. Neh. 10, 33. Im Priesterkodex ist
die Ahendminha zu einer zweiten Ola gesteigert: daneben hat sie sich
aber doch in der taglichen Minha des llohenpriesters erhalten und auch
auf den Morgen ausgedehnt Lev. 6, 12 — 16. — Die tägliche Minha scheint
älter zu sein als die tägliche Ola. Denn während es nahe lag, der (Jott-
heit regelmässig ein Mahl zu bereiten, waren die Kosten einer täglichen
Ola für eine einfache 0[)ferstätte zu gross, und es ents])rach aucli nicht
der menschlichen Sitte, alle Tage Fleisch zu essen. Die r>arbringung
der täglichen Minha wird schon 1. Heg. 18, 29. 36 als Zeitberechiumg für
den Nachmittag angewandt, und diese Bezeichnung ptlanzt sich fort bis
in die späteste Zeit, während nie das Thamid d. h. die Ola zu gleichem
Zwecke Ijenutzt wird. Die älteste Sitte war aber wol auch die tä«diche
Minha nicht, sondern die Schaubrote, die dem sell>en Zwecke dienten,
aber nicht alle Tage frisch aufgelegt wurden. — Vgl. Dea Svr. § 44.
2) Vgl. Dan. 8, 11—13. 11, 31. 12, 11. Neh. 10, 33. Joel 1, 9. 13. 16. 2, 14.
Josephus Ant. 14, 65. 477. 15, 248.
') Vgl. die Sept. Der masorethische Text hat die auf den Fürsten l»ezüg-
liche dritte Person in die zweite korrigirt, als Anrede an den Priester,
die aber im Ezechiel gänzlich unmöglich ist
HO Gesohichte des Kultus, Kap. 2.
keinen König mphr gab. So sehr wurde im Judentum das Opfer
Sache der Gesamtheit, dass das freiwillige Korbau des Einseliien
siuli iti eine Geldnbgabe verwaudelt«, als Bettri^; zu dan Kosten dos
ullj^omeiDen OottesdieDst^ (Marc. 7, 11. 12, 42s. Matth. 27, 0).
Der zweite I'uiikt betrifft feiendes. In dem Maasse wie die
speziellen Anlässe und Zwecke der Opfer wegfallen, tritt ein
gleicher allgemeiner Anlass hervor, die Sünde, und ein gleicher
allgemeiner Zweck, die Sühne. Im Priesterkodex ist bei allen Tier-
opfern das eigentliche Mystorium die Sühne durch das Blut; am
reinsten ausgebildet ersclieint dieselbe bei den Sund- und Schuld-
opfern, welche ebensowol für den Einzelnen, als füi" die Gemeinde
anii für ihr Ilanpt dai'gebracht werden. In dem grossen Ver-
söhnungstage gipfelt in gewisser Hinsicht der ganze Gottes- und
Opferdienst, dem bei aller Verscliiedenhoit der Riten eine dnrcli-
gehende Beziehung auf die Sünde gemeinsam ist. Hievon lassen
nun die alten Opfer wenig merken. Wol suchte man ehedem durch
reiche Gaben auf die zweifelhafte oder drohende Stimmung der
Gottheit einznwirken und ihr Angesicht zu glätten, aber die Gabe
hatte dann natni^emäss den Charakter des tastenden Versuchs
(Mich. 6, fi). Der Gedanke lag fem , dass eine bestimmte Schuld
dui'cb ein vorgeschriebenes Opfer gesiihut werden müsse und könne.
Wenn im Gesetz zwischen solchen Sünden, die dm-ch eiii Opfer
gedeckt werden, und solchen, die uuuachsichtlich den Zorn nach
sieb ziehen, unterschieden wird, so ist diese Unterscheidung durch-
aus nicht antik; für das hebräische Altertum war der Zorn Gottes
etwas völlig Unberechenbares, man kannte nie seine Ursachen, ge-
schweige dass man im voraus die Sünden hätte angeben können,
die ihn erregen und nicht err^en'). Im allgemeinen fand eine
obligate Beziehung der Opfer zur Sünde durchaus nicht statt.
Sie waren durchweg fröhlicher Natur, ein sich Freuen vor .lahve,
bei Sang und Klang, nnter l'auken Flöten und Saiten spiel
(Os. 9, 1 3s. Amos 5, 23. Ö, 3. Isa. 30, 32). Kein grösserer Gegen-
') Wenn sich der Zorn nacli des Regeln „des Bundes" richtut , sa ist der
Tirsprüngliche Begriff voUaläudig altprirl: dvr sputtct dur Alimaubung.
fierade daas man sich auf kein« Weise davor in Acht nehmeu und uirhta
dagegen machen konnte, ga!) der Sache ihr unheimliches Gruueu. -~
Unter dem Druck des Zornes Jabves unterliess man nicht nur das
0|itBni, sondern vonniod es sogar seinen Namen lu nennen, um SMne
Aiiriii'TksAiiiki'il nicht auf sidi tn lenken. Uh. 3, 4. 9, 4. Arnos t>, 10. j
Der Ort des Gottesdienstes. 81
Satz hiezu, als der monotone Ernst des sogenannten mosaischen
Kultus *).
In dieser Weise zeigt sich im Priesterkodex die mit der
Centralisirung gleichlaufende Vergeistlichung des Gottesdienstes. Er
erhält so zu sagen einen abstrakt gottesdienstlichen Charakter, er
scheidet sich zunächst vom Leben und absorbirt es sodann, indem
er das eigentliche Geschäft desselben wird. Das ist füi- die Zu-
kunft von folgenschwerer Bedeutung geworden. Die mosaische Ge-
meinde ist die Mutter der christlichen Kirche; die Juden sind
es, die den Begriff geschaffen haben.
In der alten Zeit ist der Kultus dem grünen Baume zu ver-
gleichen, der aus dem Boden wächst, wie er will und kann, hinter-
her ist er zurecht gehauenes Holz, das mit Zirkel und Winkel-
maass immer künstlicher ausgestaltet wird. Ersichtlich hängt mit
dem qualitativen Gegensatz, der soeben entwickelt worden, der
formale von Brauch und Gesetz, von dem wii* zu Anfang aus-
gegangen sind, enge zusammen. Zwischen dem sponte ea quae
legis sunt facere und dem secundum legem agere besteht doch ein
mehr als äusserlicher Unterschied. Wenn wir am Ende des ersten
Abschnittes das unabhängige Nebeneinander der alten Praxis und
des Gesetzes Moses gerade auf diesem Gebiet unwahi-scheinlich ge-
funden haben, so steigert sich die ünwahrscheinlichkeit dadurch,
dass das letztere mit einem ganz anderen Geiste erfüllt ist, der nur
als Zeitgeist aufgefasst werden kann. Es ist nicht die Luft des
alten Reichs, sondern der Gemeinde des zweiten Tempels, in der
der Priesterkodex atmet. Damit stimmt, dass seine Opferordnung,
in ihrem positivem Inhalt vom Altertum ebenso vollständig ignorirt,
als von der nachexilischen Zeit genau befolgt wird.
') Cber das Fehlen der Tempelinusik im Priest erkodex und ihre Blüte im
zweiten Tempel vj;!. Isr. imd Jüd. Geschichte (1897) p. 192. Faktisch hat
der jüdische Gottesdienst, trotz dem Priesterkodex, den alten fröhlichen
Geist doch nicht verloren oder ihn in späterer Zeit mehr und mehr
wiedergewonnen, je mehr die kümmerliche Sekte wieder zu einem Volke
heranwuchs.
Wellhaaaen. ProUgomeoa. ö. Aufl.
GeBi'liidite ä,-s Kullim, Kap, 3.
Drittes Kapitel.
Die Feste.
Die Feste gehöre» fjeiuiu geuommeii nouli in das voi-ii;e Kjipilel,
ileiui sie sind arsprün^licli nichts als die Termine <ier regelmässigen,
gesetzlich geforderten Opfer. Die Ergebnisse der vorhergehenden
Untersuchung wiederholen sich denn auch hier, aber mit einer so
präcisen Deutlichkeit, dass es sich lohnt, diesen Punkt für sicli iti
das Au^e zu fassen, Zunächst und hauptsächlid) winl in
OesL'hichte derjenigen Feste in Anaprucli nehmen, die sieb
den Jahreszeiten richten.
I.
ui^|l
1. In dem jehovistisch'deuteronomischeu Teile des Pentaleuchs
herrscht ein Turnus von tbei grossen Festen, ilie aliein mit dem
eigeEiltii'hen Namen Hag bezeichnet werden. „Dreimal sollst du
mir Fest feiern im Jahr, dreimal im Jahr sollen ulle deine Männer
vor dem Herrn Jahve, dem Gotte Israels, erscheinen. Das Fest der
ungesäu eilen Orote sollst du feiern, sieben Tage Massoth essen, wie
ich dir befohlen habe, zur Zeit des Monats Abib, denn im Monat
Abib bist du ausgezogen aus Ägypten : [aller erste Wurf ist mein,
alles männliche Vieh, der erste Wurf von Rind und Schaf; den
ersten Wurf vom Esel sollst du lösen mit einem Schafe oder sonst
ihm dfus (ienick brechen, alle Erstgeburt deiner Söhne sollst du
lösen] und nicht erscheint man vor mir mit leeren Händen. Und
das Wochenfest (Schabnoth) sollst du halten, der Erstlinge des
Weizenscimittes (Kasir), und das Fest der Lese (Asiph) beim
Jahreswechsel." So verordnet die jeho\'istische tiesetsgebuug im
Zweitafelgesetz und im Bundesbuch Exud. ^4, IH— 23. 28, 14—17;
nur fehlt im IJundesbuch beim Massothfest der eingeklammerte Satz
über die Opferung des ersten Wurfes. Auafülirlidier dagegen und
von einer etwas anderen Art sind die Bestimmungen im 16. Kapitel
des Deuteronomiums. „Achte auf den Monat Abib und halte das
Pascha dem Jahve deinem Gntt, denn im Monat Abib hat dich
Jahve dein Gott aus Ägypten geführt bei der Nacht; und opfer
als Pascha dem Jahve deinem Gott Kleinrieh und Rinder,
[Binder, an «iu^^^J
Die Feste. 83
Orte, den Jahve erwählen wird zur Wohnung seines Namens. Du
sollst nichts Gesäuertes dabei essen, sieben Tage sollst du dabei
Massoth essen, Brot des Elends, denn in ängstlicher Eile bist du
aus Ägyptenland gezogen, damit du des Tages deines Auszugs aus
Ägyptenland all dein Lebetag gedenkest. Es soll sieben Tage in
deinem ganzen Lande kein Sauerteig zu sehen sein, und von dem
Fleische, welches du am Abend am ersten Tage opferst, soll über
Nacht kein Rest bleiben bis zum andern Morgen. Du darfst das
Pascha nicht in einem beliebigen deiner Tore, die Jahve dein Gott
dir gibt, opfern, sondern an dem Orte, den Jahve dein Gott zum
Wohnsitz seines Namens erwählen wird, sollst du das Pascha opfern
am Abend nach Sonnenuntergang, zur Zeit deines Auszugs aus
Ägypten, und sollst es kochen und essen an dem Orte, den Jahve
dein Gott erwählen wird, und am andern Morgen wieder heimgehn.
Sechs Tage sollst du Massoth essen und am siebenten Tage ist die
Schlussfeier für Jahve deinen Gott, da sollst du keine Arbeit tun
(v. 1 — 8). Sieben Wochen von da sollst du dir abzählen, von dem An-
hieb der Sichel in die Saat sollst du anfangen sieben Wochen zu zählen
und dann das Wochenfest (Schabuoth) dem Jahve deinem Gott
halten, auf grund freiwilliger Gaben deiner Hand, in dem Maasse
wie dich Jahve dein Gott segnet; und sollst dich freuen vor Jahve
deinem Gott, du und dein Sohn und deine Tochter und dein
Knecht und deine Magd und der Levit in deinen Toren und der
Fremdling und die Waise und die Witwe in deiner Mitte, an dem
Orte, den Jahve dein Gott zur Wohnung seines Namens erwählen
wird. Und denke daran, dass du Knecht gewesen bist in Ägypten,
und halte und tue diese Gebote (v. 9 — 12). Das Laubhüttenfest
(Sukkoth) sollst du dir halten sieben Tage laug, beim Einherbsten
von deiner Tenne und von deiner Kelter, und sollst dich freuen
an deinem Feste, du und dein Sohn und deine Tochter und dein
Knecht und deine Magd und der Levit und der Fremdling und die
Waise und die Witwe in deinen Toren. Sieben Tage sollst du
feiern dem Jahve deinem Gott an dem Orte, den Jahve erwählen
w^ird, dafür dass Jahve dein Gott dich segnet in allem Ertrage
und in aller Arbeit deiner Hände, und sollst ganz Freude sein.
Dreimal im Jahr sollen alle deine Männer vor Jahve deinem Gott
erscheinen, an dem Orte, den er erwählt, am Fest der ungesäuerten
Brote, der Wochen, und der Laubhütten (Hag ha-Massoth, -Scha-
buoth, -Sukkoth); und man soll nicht leer vor mir erscheinen,
6*
84 Geschichte di-s Kultus, Kap. 3.
jeder soviel er geben kaiiti, imcli dem Mausse i\es Segens, den
Jahve dein Gott dir gegeban hat (v. 13 — ^18)."
Hinsiulitlicli des Wesens der beiden letztea Feste herrscht hier
Übereinstimmung. Die Sukkoth des Denterunomiums und das
Asiph der jebovistiächen (jesetz^ebung fidlen nicht bloss der Zeit
nach zusaninisn, sondern sind in der Tnt das selbe Fest. Der
Name Asiph geht zunächst aul' die Trauben- und Oliveulese, und
auf diese scheint sich auch der Name Sukkotli zu beziehen, der
sich am einfachsten aus der Sitte erklärt, mit Alt und Jung in die
Weinberge zu ziehen und dort die Zeit des Herbstens über im
Freien zu kampiren, unter ioiprovisirteni Zweigdach (Is, 1 , 8).
Schabuoth und Kasir sind gleicMalls um- verschiedene Namen für
die selbe Sache, nämlich für das Fest des Weizenschnittes, welcher
in den Anfang des Sonimei-s fallt. Diese beiden Feste haben alno
einen rein natürlichen Aiüass; dagegen wird das Frühlingsfest, welches
immer die Reihe eröffnet, gesciuclitlich motivirt, und zwar wird
ihm der Auszug aus Ägypten zur Grundlage gegeben, in der au^e-
sprochensten Weise vom Deuteronumiiim. Aber der ('yklus scheint
duch die ursprüngliche Oleichartigkeit seiner Glieder vorauszusetzen
und zu fordern. Nun deutet der doppelte Hitus des Pascha und
der Massoth auf ein zwiespältiges Wesen dieses Festes. Uas eigcnl-
liehe II ug heisst nicht Hag ha-Pesah'), sondern Hag ha-
Massoth, nur das letztere wird den beiden auduren lluggim
koordiniil; der Name l'esah iindet sich überhaupt erst im Deutero-
nomium, obwol allerdings schon im Zweitafelgeeetz Kx. 34 das
Erstgeburtsopfer mit dem Fest der ungesäuerten ßrote zusammen-
gelegt zu wenlen scheint. Es folgt, dass für die Vergleichuiig mit
Kasir und Äsipli nur die Massoth in Betracht kommen können,
die im Bandesbuch auch allein damit zusammengestellt werden.
Über deren eigentliche Bedeutung die Zeitgenossen zu belehren
findet die jehovistische Gesetzgebung nicht nötig, dieselbe verrat
sich aber im Den tero nomium, Hier ist das Schneidefest in eine
bestimmte zeitliche Bezielmng zum Alassothfeste gesetzt: es soll
sieben Woclien später gefeiert wei-den. Dies ist keine neue Ver-
ordnung, sondern auf alter Sitte beruhend, denn iler Name Wotheu-
') Die orijrinalo Fonii d 8 <pr li t. Rxöd. 34, 25 ist Exod. ^3, 18 ('JH.
nii'ht nSSn 3n) orlialtci I ]) i(pr»iii)iiiiiirii lii-isKt es. utohou das
rot niflir lienurlrjll J I 1 UCH JH 10, HJ.
Die Feste. 85
fest, der sich aus Hier, o, 24 (vgl. Ev. Luc. 6, 1) erklärt, findet
sich schon Exod. 34. Sieben Wochen nach Ostern (Deut. 16, 9)
wird aber weiterhin genauer dahin bestimmt: sieben Wochen nach
dem Anhieb der Sichel in die Saat. Mithin ist das Massothfest
der Anhieb der Sichel in die Saat, und es fällt dadurch
Licht auf seine feste Beziehung zu Pfingsten. Pfingsten feiert, das
Ende der Mahd, die mit der Gei-ste beginnt und mit dem Weizen
schliesst, Ostern den Anfang „im Ährenmonat", dazwischen liegt
die auf sieben Wochen bemessene ])auer der Kornernte. Dieses
ganze tempus clausum ist eine von den beiden Festen eingerahmte
grosse Freudenzeit. Weitere Aufklärung gewinnen wir «aus Lev. 23,
9 — 22^). Der Ostertermin ist hier wie im Deuteronomium der
Anfang des Schneidens, er wird aber genauer bestimmt auf den
Tag nach dem ersten Sabbath, der in die Erntezeit fällt, und dar-
nach richtet sich dann auch die Rechnung der Pentekoste. Der
eigentliche Osterritus aber ist die Darbringung einer Gei*stengarbe
— vorher darf niemand von neuem Getreide kosten; der ent-
sprechende Pfingstritus ist die Darbringung gewöhnlicher Weizen-
brote. Mit der Gei'ste beginnt, mit dem Weizen schliesst die Korn-
ernte; zu Anfang wird die Aparche roh als Garbe dargebracht,
wie auch die Menschen das frische Gewächs als geröstete Ähren
verspeisen (Lev. 23, 14. Jos. f), 11), zu Ende zubereitet als ordent-
liches Brot. Nun werden auch die Massoth verständlich. Es sind
dies, wie bereits gesagt, nicht eigentlich süsse, sondern in der Eile
gebackene Notbrote (1. Sam. 2S, 24); sie werden insofern ganz
richtig mit der Eile des Auszugs motivirt und als Elendbrot be-
zeichnet. Zueret lässt man sich nicht Zeit, das Neue vom Jahre
noch lange zu säuern, zu kneten und zu backen, sondern man
macht daraus geschwind eine Art Fladen in der Asche: das sind
die richtigen Massoth. Sie stehn in dem selben Gegensatz zu den
Pfingstlaiben , wie die Garbe und die gerösteten Ähren, welche
letzteren nach Jos. 5, 11 an ihrer statt gegessen werden dürfen;
') Man könnte dagegen freilich erinnern, dass dies Stuek gegenwartijr dem
Priesterkodex angehört. Aher die Sammlung Lev. 17 — 2f) ist hekannt-
Hch von diesem mir iiherarl)eitet und recipirt, ursprünglich aber ein
selbständiges Korpus, welches auf dem Übergänge vom Deuteronomium
zum Priesterkodex steht, bald diesem bald jenem sich nähernd: und die
volle Berechtigung, I^ev. 23, 1) — 22 in diesem Znsammenhange zu ver-
werten, folgt daraus, dass die dort beschriebenen Riten [nur auf diese
Weise Leben nnd Bedeutung gewinnen.
Cesphiphte des Kiilhif, Kap. 3.
sind ui-sprüiiKlicIi liewisM iiirht
blos
(Isterepeise
Menschen sondern auc-h Gottes gewusen, so dass die Garbe in die
Kategorie der geistrgim Verfeiiioninge" des Opfermatorials gehören
würde.
Also Lst Ostern die Anfangs- und Pfingsten die Schlussfeier
oder was das selbe sagen will, die Aseroth') der siebenwöchent-
lichen „Freude des Schneidens" ; und das Frühlingsfest hat nun
keine befremdÜcho Stellung mehr in dem Cyklus der drei Jahres-
fesU). Aber wie steht es mit dem Pascha:' Was der Name be-
deutet, ist nicht klar; wie wir gesehen haben, kommt er, da er
Exod. 34,25 wegen Exod. 23, 18 nicht für ui-sprüngHch zu hallen
ist, eigentlich erst im Denteronomiara vor, und dort wu^l auch
die Zeit der Feier bestimmt auf den Abend und die Nacht des
ersten Masse tlitages, von Sonnenuntergang an bis an den folgenden
Morgen'). Der Sache nach läuft das Pascha hinaus auf das Erst-
geburtsopfer (Exod. 34, 18s. 13, 12ss. Deut. 15, 19ss. 16, 1 ss.),
und an diesem Punkte vornehmlich hängt der historische Charakter
des ganzen Festes. Weil Jafave die ägyptische Erstgeburt ge-
schlagen und die hebräische verschont hat, deswegen wird ihm
seitdem die letztere geheiligt.. So heisst es nicht bloss im Priester-
kodex, sondern auch Exod. 13, 11 ss. Aber in ihren beiden
Quellen kennt die johovistische Tradition diese Vorstellung nicht.
„Lass mein Volk, ilass es mir ein Fest feiere in der Wüste, mit
Opfern von Bindern und Schafen" — das ist von anfang an die
Foitlerung an Pharao, und um sit:h zu diesem von vornherein in
das Auge gefjissten Zwei;ko wie siclis gehört, zu putzen, boi-gen die
Ausziehenden Feierkloider und Schmuck von den Ägyptern. Weil
Pharao nicht zugeben will, dass die Hebräer ihrem Gott die ihm
gebührenden Erstlinge des Viehs darbringen, deshalb nimmt Jahve
sich selbst mit Gewalt von jenem die Ei-stgeburt der Menschen.
Also gilt nicht der Auszug als Veranlassung des Festes, sondern
das Fest als Veranlassung, wenn auch nur als Vorwand, des
Auszugs. Wenn nun in Exod. 13 diLs Verhältnis umgekehrt ist,
so gehört d;is Stück eben nicht den Quellen der jehovistischen
') Hanebere, Allerlumer 2. Aufl. p. fi56; Dotj, Su|ipipineQl II 181.
UbuL dauprt FtinKSten als Aseretb nur einen Tag, während D^ltTii
Laubhöltpn eine Woche.
>) Daher DniCtt" b'h uox vEgiliarum Exod. I?, 42.
Die Feste. 87
Tradition an, sondern der Bearbeitung, und zwar, wie aus anderen
Gründen für den ganzen Abschnitt 13, 1 — 16 gewiss ist, einer
deuteronomistischen Bearbeitung. Damit gelangen wir zu dem Er-
gebnis, dass die geschichtliche Motivirung des Pascha erst vom
Deuteronomium vollzogen ist, wenn auch vielleicht schon vorher
eine gewisse Neigung dazu sich konstatiren lässt, ebenso wie bei
den Massoth (Exod. 12, 34). Sie ist augenscheinlich veranlasst
durch das schon von der älteren tiberlieferung angenommene Zu-
sammenfallen des Frühlingsfestes und des Auszugs aus Ägypten,
wobei sich das Verhältnis von L'rsache und Wirkung im Laufe der
Zeit umkehrte. Der Natur der Dinge entspricht es einzig, die Sitte
des israelitischen p]rstlingsopfers als Mutter der Erzählung von der
Tötung der ägyptischen Erstgeburt anzusehen; ohne Voraussetzung
der Sitte wüi'de die Erzählung unerklärlich und die sonderbare
Auswahl, welche die Pest unter den Menschen trifft, völlig un-
raotivirt sein.
Das Opfer der Erstgeburten — der männlichen^ denn die weib-
lichen wurden wie bei uns aufgezogen — erklärt sich auch ohne
geschichtliche Grundlage und zwar auf eine recht simple Weise: es
ist der Dank, welcher der Gottheit von den Erzeugnissen der Vieh-
zucht entrichtet wird. Wenn auf die menschliche Erstgeburt eben-
falls Anspruch erhoben wird, so ist das weiter nichts als eine
nachträgliche Generalisirung, welche am Ende doch nur auf eine
Lösung durch Schlachtvieh und also auf eine Vergrösserung des
ursprünglichen Opfers hinausläuft. In Exod. 22, 28. 29 und 34, 19
scheint diese Konsequenz noch nicht gezogen, ja noch nicht einmal
als möglich geahnt, und in 34, 20 erst nachgetragen zu sein; am
ausgesprochensten tritt sie in der spätesten Stelle 13, 12 auf, denn
da ist cn*! lüS dem ^:i^* "itCD entgegengesetzt und für das erstere
der Ausdruck l^^yn gebraucht, der für das Kinderopfer zu Jeremias
und Ezechiels Zeit technisch ist. Die Ansicht von einigen Ge-
lehrten, meistens Streifzüglern auf Alttestamentlichem Gebiete, als
sei die Schlachtung der erstgeborenen Knäblein ursprünglich gerade
die Haupti>ache beim Pascha, verdient kaum Widerlegung. Wie
die anderen Feste, so hat auch dieses, abgesehen von der Auf-
fassung des Priesterkodex, einen durchaus fröhlichen Charakter
(Exod. 10, 9. Deut. IB, 7 vgl. Isa. 30, 29). Historisch ist die Hin-
gabe des einzigen oder des wertesten Kindes wol in einigen Bei-
spielen bezeugt, aber stets als freiwillige und ganz exorbitante Tat;
88
(leRchlchte Ate Knltos, Kap. 3.
(Ho Stelle Os. 13, 3 l>pwcist iiitlit das Gegenfpil')- l^-'ne regel-
mässige und geforderte Abgabe ist in der alten Zeit das menschliche
Erstgehurtsopfer anf keinen Fall gewesen, es finden sich von einem
80 enormen Blutzoll keine Spuren, desto mehrere von einer grossen
Itevorzngung der ältesten Söhne. Erst knrs vor dem Exil kam
mit vielen anderen Neuerungen das Kinderverbrennon im grossen
Stil auf, das man dann aui'h mit einer strengen Interpretation der
Forderung der Erstgeburten stützte CHier. 7, 31. 19, 5. Ezecli. 20, 26).
Dazu stimmt es, dass das Gesetz Exod. 13, 3 — 16 von der Hand
des jüngsten Bearbeiters des jehovistischen Gescbichtswerks her-
rührt.
2. „Abel -war ein Hirt und Kain war ein Ackersmanu. Lnd
einmal, da brachte Kain von der Frucht des Ackers dem Jahve
eine Gabe dar, und Abel brachte «uch ein Opfer von den Eretge-
hurten seiner Schafe." Die einfachsten natürlichsten und allge-
meinsten Opfer, deren Anlässe sich regelmässig mit den Jahres-
zeiten wiederholen, die Erstlinge von den Erzeugnissen dos Acker-
baues und der Viehzucht, sind die Grundlage der Feste. Pascha
entspricht den Erstgeburten Abels des Hirten, die anderen drei
den Feldfrüchten Kaina des Ackermannes; abgesehen von diesem
l'nterechiede ist das Wesen und das Fundament aller dieser Feste
das gleiche. Ihr Zusammenhang mit den Primitien der Jahreszeit
wird freilich in der jehovistischen Gesetzgebung mehr voraosgesetzt
als an^sprochen. Dagegen ist es im Deuteronomium deutlich zu
sehen, dass alles drei zusammenfallt, Opfer, Abgaben, Feste. Es
ist hier kaum von anderen Opfern die Rede als von denen, die
von den Abgaben veranstaltet werden, nin sich vor Jahve um
Feste zu freuen; die Abgaben sind weiter nichts als die von der
Volkssitte vorgeschriebenen, dämm festen und festlichen Opfern'),
von denen allein das Gesetz ■\'eranlas5ung hat zti handeln. Mit
der Fundirting der Feste auf die Ei-stlinge hängt es zusammen,
i
') ,fiie laachtn sith GussWUIlt aus iilrein .SilluT, nurli ilinT Phanlasi" Hl-
KÖtzen, zu denpn redpn sii>, npfemrifi MeiiM-lnn liiivii'n ksIIht."
Menechonopfer würde der Proiilict sehweflich nur m. Iii;1:iiiIil', Iir int
.Spott ata in der Kntrüstimg, Mileln: er würde diis r.iii|i(ii.iiili'. Si-hriiJ..«-
liche der Tut viel melir hervorheben nls das Wiiiit-nmi;.;!-. AIsu he-
deulet CIN %n3.t wol: Opfernde aiis dem Geims MeiiKch. hidessen,
wenn es auch Ilenscbenseblächt^r bedeutete, m wurde damiix für Aivi
Tfgehaiasige Kinderopfer doch nicht« folgen.
*) CVflp im Gegensatz m Cmj-
Die Feste. 89
dass die Termine nur ungefähr bestimmt sind, mehr auf eine
Jahreszeit als auf einen festen Monatstag. Ostern wird im Früh-
ling gefeiert, wenn die Saat in Ähren steht, genauer beim Anhieb
der Sichel in die Gerste; Pfingsten sieben Wochen später, wenn
der Weizenschnitt die Zeit der Mahd beschliesst; Laubhütten im
Herbst, wenn Drusch und Lese beendet sind. Das Deuteronomium
tut einen Schritt zu grösserer Fixirung der Fristen — eine Folge
der Einschrumpfung Israels auf Juda und der Centralisirung des
Kultus in Jerusalem — doch sind auch hier noch keine Monatstage
für den Anfangstermin der Feste festgesetzt. Und Gesamtfestopfer
der Gemeinde gibt es im Deuteronomium so wenig wie bei dem
Jehovisten, sondern nur vereinigte Privatopfer der Einzelnen: dies
verdient vor allen Dingen beachtet und hervorgehoben zu werden.
Das Maass der Gaben ist noch so ziemlich dem guten Willen
überlassen. Nur die Eretgeburten sind eine bestimmte Forderung.
Die im Deuteronomium gestattete Ablösung durch Geld, wofür
man in Jerusalem anderes Opfervieh kauft, hat für die frühere
Zeit keinen rechten Sinn; doch mag auch damals der Darbringer
sich in einzelnen Fällen die Freiheit des Umtauschs genommen
haben, da ja doch seine Gabe, als Mahlopfer, wesentlich ihm
selber zu gut kam (Exod. 23, 18. Gen. 4, 4: jC partitiv). Für die
Erstlinge der Feldfrüchte wird im Exodus gar kein Maass vorge-
schrieben, das Deuteronomium verlangt den Zehnten von Korn,
Most und Öl, der aber nicht mathematisch streng zu verstehn ist,
da er zu Opfermahlzeiten verwandt, nicht an einen Anderen ent-
richtet und also auch nicht nachgezählt wird. Und awai* wird
der Zehnte, w^ie aus Deut. 26 (1. Sam. 2, 21 Sept.) erhellt, zum
Herbst d.h. zu Laubhütten dargebracht; dies ist das abschliessende
Erntedankfest, für den Ertrag nicht bloss der Kelter, sondern auch
der Tenne (16,13); es nimmt sieben Tage in Anspruch, die alle
in Jerusalem gefeiert werden müssen, während bei den Massoth
bloss der erste. Übrigens vereteht es sich von selbst, dass man
sich nicht auf den Genuss der vegetabilischen Gaben beschränkt,
sondern auch Fleischopfer hinzunimmt, die vielleicht mit aus dem
Verkauf des Zehnten bestritten wurden. Dadurch konnte sich der
besondere Charakter der Feste und ihr Zusammenhang mit den
ihnen eigentümlichen Aparchen leicht verwischen, ein Fall, der in
der Tat im Deuteronomium und vielleicht schon früher eingetreten
zu sein scheint. Dass uns vieles unklar vorkommt, was den Zeit-
90
r.esehichte des KuItiLs, Kop. 3,
genosÄen selbst verstand! ich sein musste, i^t niclit kii verwiirnlerii;
es wird el^ien auch im 1 )e utero nomi um (las meiste der bestellenden
Sitte überlassen und nur immer die eine Hauptsache einKeschärTtj
dass man den Gottesdienst und also auch die Feste nur in Jerusalem
feiern dürfe.
Lässt man das Pasclia ausser Betracht, welches ursprünglich
für sicli stand und nur nachträglich durch seine Verbindung mit
den Maasoth in die Reihe der drei Ha^ini mit aufgenommen
wurde, so fussen die Feste nach der je ho v istischen und der deute-
ronomisclton Gps(>tzgebun^ auf dem Äckerbau, der die Grundlage
wie des Lebens so der Religion ist. Das Land, das fruchtbai'o
Land, ersetzt Himmel und Hölle zugleich. Jahve gibt das Land
und sein Vermögen, er empfängt das Best« vom Ertrage zum
Dank, den Zehnten als Anerkennung seineis Besitzrechtes. Indem
er seinem Volk das Land 2U Lehen gegeben hat, ist überhaupt
das Verhältnis üwischen beiden erst zu stände gekommen; es wird
dadurch beständig unterhalten, dass von Jahve Wetter und Frucht-
barkeit abhängt. Im Douteröuomium sieht man die ereteu stärkeren
Spuren einer Vergeschichtlichung der Religion und des Kultus,
die sich aber noch in bescheidenen (irenzen hält. Uns liistnrischc
Ereignis, worauf zurückgegaugen wird, ist immer die Ausführung
aus Ägypten, und dies ist insofern bezeichnend, als die Ausführung
ans Ägypten zusammenfällt mit der Eiiiführnng in Kanaan, d. Ii.
mit der Landgabe, und also die geschichtliche Motivirung doch
wieder einmündet iu die natürliche. Darum kann man sagen,
da.'is von der Herbringung nach Kanaan nicht bloss das Osterfest,
sondern alle l'esto abhängen, und dies tritt wirklich deutlich iu
dem gegen • den Baalsfestkultus gei'ichteteu Bekenntnis Deut. 2fi
hervor, womit zu Laubhütton der Anteil, der dem Priestor von
den Festgaben zufiel, überreicht wurde. Es wird ein Körbchen
mit Friichten auf den Altar gesetzt und Folgendes dazu gesprochen:
„Ein irrender Aramäer war mein Vater und fring hinab nach
Ägypten und weilte doit wenige Männer stark, und wani dort zu
einem grossen starken und zahlreichen Volke. Die Ägypter aber
mtshandelten und drückten sie und legten ihnen harten Dienst
auf, da riefen wir zu Jahve dem Gott unserer Väter und er hörte
unsere Stimme und sah unser Elend und Leid und unsere Drangsat.
lud Jahve führte uns ans Ägypten mit starkor Haml und aus-
gestrecktem Arm und grosser ^Injestäf unter Zeichen und Wiiiiderat,^
Die Feste. 91
und brachte uns an diesen Ort und gab uns dies Land,
ein Land, wo Milch und Honig flicsst: nun also bringe
Ich das Beste der Früchte des Landes, welches du mir ge-
geben hast." Man beachte, worauf hier die Heilstat hinausläuft,
durch die Israel gegründet wurde.
IL
Mit diesem Befunde der jehovistisch-deuteronomischen (lesetz-
gcbung stimmt die vorexilische Sitte, soweit sie verfolgbar und in
den geschichtlichen und prophetischen Büchern bezeugt ist.
1. Altisraelitische Feste müssen das Ilii-tenleben zur Grund-
lage gehabt haben; es kann darum nur dtis Pascha als ein solches
betrachtet werden. Mit vollem Recht wird insofern eben das
Pascha dem Auszuge aus Ägypten als A^oranlassung untergelegt,
als ein in der Wüste zu feierndes Schlachtfest, welches mit dem
Fruchtlande und der Ernte nichts zu schaffen hat. Merkwürdig
aber, wie wenig dies Fest später heiTortritt, welches der Natur
der Sache nach das älteste von allen gewesen sein muss. Dem
Bundesbuche kann es überhaupt nicht bekannt gewesen sein, denn
da wird geboten, die Erstgeburt sieben Tage bei der Mutter zu
lassen und am achten Tage zu opfern (Exod. 22, 29. 30). Durch
das Vorwiegen der Landwirtschaft und der darauf gegründeten
Feste scheint das Pascha in manchen Gegenden ausser Brauch ge-
kommen zu sein und nur da sich behauptet zu haben, wo das
Hirtenleben und die Wüste noch ihre Bedeutung behielten d. h.
vor allem in Juda. Dadurch würde es sich auch erklären, warum
die Paschafeier zuei'st deutlich an das J^icht kommt, als Juda nach
dem Fall Samariens allein übrig geblieben ist. Das Pascha kommt
unter diesem Namen ausserhalb des Gesetzes nur 2. Reg. 2B, 21 ss.
vor, wo erzählt wird, im achtzehnten Jahre des Königs Josia sei
es nach der Voi-schrift des Gesetzes (Deut. 16) begangen, und zwar
damals zum ersten mal, bisher nie seit den Tagen der Richter.
Man hat übrigens zu bedenken, wenn die Neuheit der Institution
hier so stark hervorgehoben wird, dass das geschieht weniger in
Bezug auf die Sache selber, als auf ihre Modificirung durch das
Deuteronomium.
Die Landwirtschaft haben die Hebräer von den Kanaanitern
gelernt, in deren Lande sie sich niederliessen und mit denen ver-
schmelzend sie in der Richterzeit zum ansässigen Leben über-
Geseliiclite Aes Kulln«, Tap. 3.
pingen. Ehe sie die Met;imorphose von Hirten zu IJancrn diirrh-
gfimacht hatten, konnten aie onmö^licli die auf den Ackerbau be-
züijürhon Fo^te haben. Es müsste mit sonderbaren Dtni^eii zu-
gehn, wenn aie dieselben nicht ebenfalls von den Kanannilern
übernommen hätten.. Jene verdankten dem Baal das I^nd und
seine Friiiihte nnd bezahlten ihm dafür den Tribut; sie dem
Jahve. Der Inlialt der Handlung an sich war we<ler heidnisch
noch israelitisch, eines und das andere wurde sie eret durch die
dativische lleziehnng. Der Üboi-tm^ung der Feste von Baal auf
Jahve stand somit niclits ent.gq;en, im Gegenteil musste sie als
Bekenntnis des (ilanbens gelten, ilass nicht dem heidnischen,
sondern dem israelitischen Gott das Land und sein Ertrag, and
damit die firnndlane der Existenz des Volke?!, verdankt werde
CDeut. 26),
Am höchsten hinauf reicht die l(ezeupuu>; des llerbstfestes
der Weinlese. Und zwar zunächst als einer Sitte der banaaniti-
sctien Bevölkerung von Sichern. In der alten und inhaltreichon
Geschichte von Abimelech, dem Hohne Jeruhbaals. wird über die
Bürger von Sichem berichtet (Jud, 9, 27): sie gingen hinaus aufs
Feld und hielten Weinlese und kelterten und feierten Hiltulim
uud kamen in das Haus Uires Gottes und assen und tranken und
flucbteu dem Abimelech. Ziemlich früh muss sich aber diese
Feier dann auch bei den Israeliten eingebürgert haben. Zu Silo
soll nach Jud. 21, 19ss. von Jahr zu Jahr in den Weinbergen
dem Jahve ein Fest begangen sein, wobei die Mädchen draussen
zum Reigen antraten. Wenn auch die Erzählung Jud. 19ss- im
ganzen höchst nnglanli würdig ist, so berührt, das doch diesen iiei-
läuHgen Zug nicht notwendig, zumal er durch 1. Sam. 1 bestätigt
wird. Hier ist nämlich abermals von einem Feste zn Silo die
Bede, welches am Ende des Jahres, d. i. ira Herbst zur Zeit des
Asiph '), stattlindet und wozu anch die Nachbarschaft wallfahrtet.
Ei-sichflich kommt das Fest nicht allenthalben zugleich auf, sondern
an bestimmten einzelnen Orten (in Ephraim), die dann auch auf
die l'mgegend wirken. Die Sache hängt zus«nnien mit der Ent-
stehung grösserer Heiligtümer gegen Ende der Richtetaeit, be-
Darnaili ist auch nO'C D'^CC Jml. 21 , 19. 1. fiaui. 1 , 3 lu versteht!,
T^l. Zach. U, 16.
Die Feste. 93
ziehuDgsweise mit ihrer Übernahme von den alten Einwohnern;
z. B. nachdem Sichern eine israelitische Stadt geworden war,
werden die Hillulim so wenig abgeschafft worden sein wie das
Gotteshaus.
Bedeutenden Einfluss müssen dabei die grossen königlichen
Tempelbauten ausgeübt haben. Sowol zu Jerusalem als zu Bethel
wurde seit Salomo und Jerobeam das Fest gefeiert, das selbe wie
zu Sichem und Silo, dort im September, hier vielleicht etwas
später*). Dies war damals die einzige wii-kliche Panegyrls. Die
Feste zu Anfang des Sommers mögen zwar auch schon begangen
sein (Isa. 9, 2), aber in kleineren lokalen Kreisen. Man erkennt
diesen Unterschied noch im Deuteronomium , denn obgleich hier die
Laubhütten theoretisch nicht den Vorrang haben, so werden doch
faktisch nur sie von Anfang bis zu Ende beim Centralheiligtum,
Ostern dagegen im ganzen zu Hause und nur am ersten Tage in
Jerusalem gefeiert; noch dazu wird die geringere Forderung viel
nachdrücklicher eingeschärft als die grössere, so dass die ei"stere
scheint Neuerung, die letztere aber ältere Sitte gewesen zu sein.
Arnos und Hosea, wie sie einen glänzenden Kultus und grosse
Opferstätten voraussetzen, kennen ohne Zweifel auch mehrere
Feste, aber sie haben keinen Anlass, irgend eins bei Namen zu
nennen. Bestbnmtere Angaben finden sich bei Jesaias. Die Dro-
hung, dass man binnen Jahresfrist die Assyrer im Lande haben
werde, drückt er 29, 1 so aus: „fügt Jahr zu Jalu-, lasst die Feste
kreisen, dann bedränge ich Jerusalem'', und am Ende der selben
Rede lässt er sich 32, 9ss. so vernehmen: „ihr leichtsinnigen
Weiber, auf! hört meine Stimme, ihr sorglosen Mädchen merkt auf
meine Worte: in Jahr und Tag werdet ihr Sorglosen zittern, denn
ein Ende hat es da mit der Lese und das Herbsten fällt aus; auf
die Brüste werdet ihr euch schlagen ob der lieblichen Gefilde, ob
des reichtragenden Weinstocks." Wenn die beiden Stellen zu-
sammengehalten werden, so geht daraus hervor, dfiss Jesaias, der
allgemeinen Sitte der Propheten bei grossen Volksversammlungen
aufzutreten folgend, hier zur Zeit des Herbstfestes redet, an dem
sich auch die Weiber lebhaft beteiligten (Jud. 21, 19ss.). Dieses
Herbstfest aber, dessen fröhlicher und natürlicher Charakter un-
verkennbar durchscheint, fällt bei ihm an den Jahreswechsel, wie
') l. Reg. 12, 32 ist freilich sehr unzuverlässig. 1. Reg. 8, 2 ist mit G, 38
nicht gut zu reimeu, weuu die Deutuag von Bul uud Ethauiiu richtig ist.
94 Oesebichte des Snltai, K«{i. S.
mau aus ilem Vergleich von 15p3' 29, 1 mit nspn Exod. 34, 22.
l.Sam. 1,20 »biiehmen darf, und schÜesst einen hier zuerst er-
wähnten Cykliis von Feyteu ab.
2. Nach dieser Überaicht sclieint es nnn freilich mit der be-
haupteten Kougrueuz des jeho>'istisch-deuteronomischen Gesetzes
und der älteren Praxis nicht ganz wol bestellt zu sein. Namen
lassen sich überall nicht uachweiaen, der Sac he nach is t uur dii 5
Mer{i£lj£gLj£ut bg;iatigt, aber wie es scheint als das einzige, als
das Fest. Ohne Zweifel ist es auch in historischer Zeit das
wichtigste gewesen, wie es immer das abschliessende blieb. Was
glücklieb vollendet ist, begellt man mit dem meisten Recht; der
Äbscliluss der Ernte, sowol des Drusches als der Keltorung, eignet
sich auch deshalb am besten zu einer grossen üesamtfeier, weil hier
der Terrain nicht so wie bei der Freude des Schneidens von der
Natur abhängt, snndern eher in des Menschen Hand stellt und von
ihm geregelt werden kann. Doch müssen schon in der älteren
Konigsze it die Vor feste daneben bestanden haben (Isa. 29, 1). Die
Einzigkeit der Laubhütten wäre dann dai'auf zu beschränken, dass
es weiter kein allgemeines Fest zu Jerusalem und zu Bethel
gab; lokale Feiern anderweitiger Feste werden dadurch nicht aus-
gescldossen (Üs. B, 1). Die jehovistische (Gesetzgebung aber macht
dazwischen keinen Unterschied, vielleicht weil sie von den grossen
Tempeln nichts wissen wilP). Übrigens mag sie auch wot die
noch unbestimmtere Sitte etwas systematisiren ; in der Praxis hatte
vielleicht die Darbringung der Ei'stlinge der Mahd noch nicht
überall zu einer gemeinsamen und gleidizeitigen Feier gefülut.
Von l'be rein Stimmung in der Hauptsache dennoch zu reden, ist
man, bei der Dürftigkeit des überlieferten Materials, daiiim be-
reditigt, weil der Hegriff der Feste hier und dort der selbe ist.
Sehr lehrreich in dieser Hinsicht sind zwei Abschnitte aus Hosea,
Kap. 2 und Kap. 9, so dass sie verdienen ausführlich mitgeteilt zu
werden.
In der einen wird Israel als Frau vorgestellt, die von ihrem
Manne, d. h. der Gottheit, den Unterhalt bekommt: dies ist die
Basis des Treueverhältnisses. Sie irrt sich aber in dem, der ihr
Speise Trank und Kleidung gibt, meinend es seien die Götzen,
'] Exod. 20, '24~3G uimnit sich beioali aus vie ein Protest gegi^u die Kin-
ricbtungen des salomotiischen Tempels, namentlich v. 26.
Die Feste. 95
während es Jahve ist. „Sie hat gesagt: ich will meinen Buhlen
nachlaufen, die mein Brot und Wasser, meine Wolle und Flachs,
mein Öl und meine Getränke spenden. W^eiss sie denn nicht,
dass ich "(Jahve) ihr das Korn und den . Most und das Öl gegeben
habe und Silber in Menge und Gold — daraus sie Götzen macht?
Darum will ich mein Korn wieder an mich nehmen zu seiner Zeit
und meinen Most zu seiner Frist, und meine Wolle und meinen
Flachs wegholen, die ihr zur Kleidung dienen; und dann will ich
ihre Blosse vor den Augen ihi-er Buhlen aufdecken und niemand
soll sie meiner Hand entreissen. Und ich mache all ihrer Freude
ein Ende, ihi-en Festen Neumonden und Sabbathen und all ihren
Feiertagen. Und ich verwüste ihre Reben und Feigen, von denen
sie sagte: Buhllohn ist es für mich, den meine Buhleu mir gegeben
haben; und ich mache dieselben zur Wildnis und die Tiere des
Feldes sollen sie fressen. So strafe ich an ihr die Tage der Götzen,
da sie ihnen räucherte und ihren Schmuck und Kleinodien an-
legte und ihren Buhlen nachlief und mich vergass, spricht Jahve.
J)arum so will ich sie locken und sie in die Wüste fülu'en und
ihr dort ihre Weinberge anweisen; da wird sie fügsam wie in ihrer
Jugend und wie zur Zeit da sie aus Ag}'ptenland zog. Darnach
verlobe ich dicli mir aufs neue für immer, um Recht und Ge-
rechtigkeit und um Liebe und Erbarmen. Jenes Tages will ich,
spricht Jahve, dem Himmel willfahren, und der wird der Erde
willfahren, und die Erde wird dem Korn Most und Ol willfahren,
und sie werden Israel willfahren" (2, 7 — 24). Der Segen des
Landes ist hier das Ziel der Religion, und zwar ganz allgemein
sowol der falschen heidnischen, als auch der wahren israelitischen ').
Sie hat keine geschichtliche Heilstaten, sondern die Natur zur
Grundlage, welche jedoch nur als Domanium der Gottheit und als
Arbeitsfeld der Menschen betrachtet und keineswegs selbst ver-
göttert wird. Das Land ist das Haus Jahves (8, 1. ü, 15), worin
er der Nation Wohnung und Unterhalt gibt; im Lande und durch
^) Zach. 14, IGss.: -Die Cbrijjf^a'bliebeiien von den Völkern, die jij'egen
Jerusalem «(czo^en sind, werden von Jahr zu Jahr wallfahrten zu hul-
digen dem Jahve Sebaoth und das Laubhuttenfest zu feiern. Welche
aber nicht mit wallfahrten von den (ieschlechtern d«'r Erde nach Jerusalem
zu hujdigen dem Jahve Sebaoth, für die wird der Kegen ausbleibeu.**
Die Ägypter aber — die wegen des Nils keines Regens bedürfen —
werden auf andere Weise gestraft, wenn sie nicht zum Laiibhüttenfeste
kommen. Vgl. Isa. G2, 4ss. &2. 9. CA, 10.
96 Oeschichte dea Kultus, Kap. 3.
(los l.anil wird Israel ei-st Jalives Volk, wie die Ehe dailurch ge-
schlossen wird, dasa daü Weih in des Maunes Haus aurgeaomineii
und ilort nnterhallen wird. Und wie die Scheidung die Verweisung
des Weibes aua dem Hauae ist, so löst Jahve seine Beziehung au
Israel, indem er däs Liiud zur Wüste macht oder zuletzt das Vulk
geradezn daraus in die Wüste vertreiht; er kuüpft sie audierseiti*
wieder an, indem er es aul's neue ^einsät im hande", den Himmel
regnen und die Erde tragen lässt, und dudurch den Nameu Gott
gesät für Israel wieder za Eliten bringt (2, 2b). Demgemäss ist
der (iotteadienst weiter nichts als der schuldige Dank für die Gaben
des Rodens, der Lehenstribut für den Hausherrn, der diesen und
jene gegeben hat. Er fallt von selbst fort, wenn Kura und Wein
ausbleibt, in der ^Vüste ist er undenkbar; denn wenn Gott nichts
beet^hert, so kann man sich auch nicht freuen, und der Gottesdienst
ist lauter Freude ober den liesi-herten Segen. Dereclbe bat somit
durcbgeheus und allgemein den Charakter, den in der jehovistischeu
Gesetzgebung die Feste tragen, in denen er auch nach der Be-
schreibung Ilosens gipfelt. Oetin die Tage der Götzen, an denen
man sich [mtzt und upfert, sind eben die Feste, und zwar die
Feate Jahves, den aber das Volk unter Bildern verehrte, welche
dem Propheten schlechterdings als heidnisch gellen.
Ebenso lehrreich ist die andere Stelle 9, 1— li, „Freue dich
nicht zu laut, Israel, wie die Heiden, dass du hurst gegen deinen
Gült, Buhllobu gern hast auf allen üetreidelennen. Tetme und
Keller wird sie nicht laben und der Most wird sie trügen — sie
werden im Laude Jahves nicht bleiben, Ephraim muss wieder
nach Ägy|jten und in Assur müssen sie Unreines essen. Dami
spenden sie nicht mein* Wein für Jahve und schichten ihm keine
Opfer; wie Trauerhrot ist ihr Brut, alle die davon essen werden
unrein, denn ihr Brot wii-d nnr für ihren Hunger sein, kommt
nicht in Jahves Haus. Was wollt ihr erst machen zur Feierzeit
und für den Tag des Festes Jahvesi' Denn siehe nachdem sie
aus Trümmern ausgezogen, wird Ägypten sie festhalten, Memphis
sie begraben, ihre silbernen Lieblinge wird die Nessel beerben,
der Dornbusch in ihren Zelten." Es braucht uns nicht zu stören,
dass der Prophet hier wieder den Kultus, der der Absicht nach
ersichtlich dem Jahve gelten soll, mit dem in iler Tat äusserlich
wol wenig verechie denen Kultus der Heiden gleichsetzt, weil er
die silbernen Lieblinge der Zelte auf den Höhen nicht für 3n
Die Feste. 97
bole Jahves, sondern für Götzen und ihren Dienst für Hurerei er-
kennen muss. Genug, dass abermals erhellt, wie der volkstümliche
Gottesdienst in Israel damals beschaffen war. Tenne und Kelter,
Korn und Most sind seine Motive, laute Freude, rauschender Jubel
sein Ausdruck. Alle Lust des Lebens drängt sich zusammen in
Jahves Hause, bei den Freudenmahlen zum Anbruch der Gaben
seiner milden Güte; kein schrecklicherer Gedanke, als dass man
sein Brot wie unreine Speise, wie Trauerbrot essen muss, ohne
die Primitien (zum Feste) dai-gebracht zu haben ^). Dieser Ge-
danke ist es, der der gedrohten Verbannung den Stachel gibt;
denn Opfer und Feste hängen von dem Lande ab, de^ nähi'enden
Mutter und dem wohnlichen Hause der Nation, der Grundlage
ihrer Existenz und ihi*es Kultus.
Dass dies vollständig mit dem Wesen des Gottesdienstes und
der Feste im Bundesbuch Zweitafelgesetz und Deuteronomium
übereinstimmt, ist an sich klar, wird aber noch deutlicher durch
die Vergleichung des Priesterkodex, wozu wir nunmehr übergehn.
in.
Über den Festcyklus handeln hier die Abschnitte Lev. 23 und
Num. 28. 29, von denen der erstere einen dem Kern des Priester-
kodex nicht ganz gleichartigen Bestandteil (23, 9 — 22 und zum teil
V. 39 — 44) mit einem völlig gleichai-tigen verbindet. Die drei
grossen Feste kommen auch in diesen beiden Aufzählungen vor,
aber mit beträchtlicher Veränderung ihres Wesens.
1. Die eigentliche Feier wird durch vorgeschriebene Gesamt-
opfer erschöpft. Es werden dargebracht: in der Ostei*woche und
ebenso am Pfingsttage, ausser dem Thamid, täglich 2 Farren 1 Widder
7 Lämmer als Brand- und 1 Ziegenbock als Sündopfer; zu Laub-
hütten vom ei-sten bis zum siebenten Tage 2 AVidder 14 Lämmer
und in absteigender Linie 13 — 7 Farren, am achten Tage 1 Farre
1 Widder 7 Lämmer als Brand-, ausserdem tagtäglich 1 Ziegenbock
als Sündopfer. Hinzukommende freiwillige Leistungen der Einzelnen
*) Trauerzeiten sind f^ewisserniaas.sen InU'nlikte, in denen die (Toineinschaft
zwischen Gott nud Mensch pausirt. Chrijjeus ass man überhaupt nichts
als wovon zuerst die Gottlu'it ihren Anteil bekommen hatte, nicht bloss
kein anderes Fleisch, sondern auch keine anderen Ye^:etabilien ; denn
die Primitien von Koni und Wein jralten als Anbruch des Jahresertrags
und heiligten den {(anzen. Alles andere war unrein : vtrl. Ezech. 4, 13.
Deut. 26, 14.
Wellhaaten, Prolegomena. 5. Aufl. 7
98 Owchiehte dos Kultus, Kap. 3.
werden nicht ausgeschlossen, sind aber Nebensache. Sonst ist,
sowol in der älteren Praxis (1. Sam. 1, 469.) als im Gesetz (Exod.
23, 18), gerade das Festopfer stets ein Mahl-, also ein Privalopi'er.
Im Deuteronomium bat man nur deshalb die fröhlichen Mahlzeiten
vor Jahve aoffalleiid finden küuneu, -weil man das Alte Testament
nur aus der Perspektive des Priesterkodex kanute; eigentümlich
ist hiei' höchstens eine gewisse humane Ausbeutung der Festopfer,
daas man nämlich die Armen und Gnindbesitzloseu seiner Bekannt-
schaft dazu einladen soll. Das ist aber eine Foitbildung, die der
alten Opferidee der Commuuio zwischen Gott und Menschen weit
näher liegt als das tote Werk Jener Gesamtopfer. Nur da* Pascha
ist auch im T'riesterkodex ein Mahlopfer geblieben nud die Teil-
nahme daran auf die Familie oder eine geschlossene Gesellschaft
beschränkt. Aber dieser letzte Best der alten Sitte erscheint hier
als sonderbare Ausnahme; auch hat die Feier im Hause, statt vor
Jahve, etwas ganz Zwitterhaftes und mneht das Opfer fast ganz
zu einer profanen Schlachtung — bis auf Jen Ritus der Blut-
streichung, der charakteristischer Weise beibehalten wird (Exud. 12, 7
vgl. Ezech. 45, 19),
Dem geht zur Seite, dass die Erstlinge der Jahreszeit sich
noch mehr, als es schon ohnehin der Fall war, von den Festen
gelost haben. Während sie im Deuteronomium noch zu den drei
grossen Mahlzeiten voi- Jalive verwandt werden, sind sie im Priester-
kodex überhaupt keine Opfer mehr und also auch keine Festopfer,
sondern nüchterne Abgaben an die Priester, die teilweise von diesen
selber eingesammelt werden und allesamt nicht vor den Altar ge-
langen. Damit verlieren die Feste vollens ihre eigentlichen Charakte-
ristica, ihi'e beseelenden and unterscheidenden Anlässe; durch das
Einerlei der ewigen Brand- und Sündopfer der Gesamtgemeiude
werden aie alle einander gleich gemacht und zu Exercitien der
Religion herabgesetzt. Nor ganz leise Spuren bezeugen noch, gleichsam
verräterischer Weise, den Ausgangspunkt der Eutwickelung, näm-
lich die Riten der Gerstengarbe der Weizenbrote und der l,aub-
hütten (Lev. 23), Aber es sind dies eben blosse Bitcn, versteinerte
Reste der alten Sitte; die wirklichen Erstlinge der Grandeigentümer
heimsen die Priester ein, ihr Schatten bleibt dem Feste erhalten
in der von der ganzen Gemeinde dargebrachten symbolischen Garbe,
die nun ein ganz vereinzelter und unverstandener Zug geworden
ist. Wenn somit in Wahrheit die Abstatttmg des Dankes für die
Die Feste. 99
Fruchte des Feldes nichts mehr mit den Festen zu tun hat, so
föngt auch selbst der Schein an zu schwinden; denn die Riten
Lev. 23 sind aus einer älteren Gesetzgebung übernommen und
werden Num. 28. 29 gi'össtenteils mit Stillschweigen übergangen.
Auch die Erstgeburten werden im Priesterkodex nur als Abgaben,
nicht als Opfer gefordert; das Pascha, immer ein jähriges Schaf-
oder Ziegenlamm, hat der Sache nach überhaupt nichts mehr damit
zu schaffen, sondern steht gesondert daneben. Da dasselbe jedoch
gestiftet sein soll, damit die menschliche Erstgeburt der Hebräer,
beim Würgen der ägyptischen, verschont bleibe, so verrät sich
durch diesen Zusammenhang, dass die jährigen Lämmer doch nur
ein Ersatz sind für die Erstlinge alles schlachtbaren Viehs, aber
in Vergleich zu den Rindern und Schafen der jehovistischen Tradi-
tion und des Deuteronomiums ein sekundärer und in seiner Gleich-
förmigkeit unmotivirter Ei-satz, und dass wenn nun die Erstlinge
noch ausserdem an die Priester gesteuert werden, dies einer Ver-
doppelung gleichkommt, welche auf grund zunächst einer gänzlichen
Verdunkelung, sodann einer künstlichen Erneuerung der ursprüng-
lichen Sitte ermöglicht ist.
^ , Ein weiterer wir.l^fi p rftr Pn^ ikt^ wodurch sich der Priesterkodex
unterscheidet, ist di e^Datirung der Feste jiach Monatstagen. Ostern
fallt auf den 15. Tag, d. h. auf den Vollmond, des ersten Monats,
Laubhütten auf den selben Tag des siebenten Monats. In der
jehovistischen und deuteronomistischen Gesetzgebung werden nur
ungefähre Termine angegeben; Ostern wii-d im Ährenmonat, beim
Anhieb der Sichel in die Saat, begangen, Laubhütten nach dem
Herbsten, beim Jahreswechsel. Die Erntefeste richten sich hier
nach der Jahreszeit, nach dem Stand der Früchte; sie werden nicht
an den Mondwechsel gebunden. Nun kann man allerdings fragen,
ob die Äquinoctialfeste von allem Anfang an Erntefeste gewesen
sind; sie scheinen älter zu sein als der Ackerbau und sich ihm erst
nachträglich angepasst zu haben. Auch die arabischen Nomaden
feierten zwei Feste, im Frühling und im Herbste, und fixirten sie
nach dem Monde. Aber die Hebräer haben doch allem Anschein
nach die Feste schon als Erntefeste von den Kanaanitern über-
kommen; bei ihnen kann es schwerlich als ein Zeichen höchsten
Alters angesehen werden, wenn mit der materiellen auch die zeit-
liche Beziehung der Feste zur Ernte im Priesterkodex verschwindet
und dieselben auf den 15. Monatstag festgelegt werden. Der un-
7*
100 Geschichte des Kultus, Kap. 3.
gefähre Termin hat das Präjudiz des Alters für sich gegenüber
dein bestimmten; die Fixirung hängt zusammen mit der Centrali-
sirung. Nur das Pascha ist wol von Anfang an nicht bloss ein
Jahresfest, sondern als Pannycliis auch ein Mondfest gewesen.
Eine Gegenprobe für die behauptete Denatuiirung der Feste im
Priesterkodex liegt darin, dass die schon von der jehovistischen
Tradition vorbereitete g egchichtliche Deu tung de rselben hier ihre
Spit a&jerr eicht haf. Denn sind dieselben ihres ursprünglichen In-
halts verlustig gegangen und zu vorgeschriebenen Formen des
Gottesdienstes herabgesunken, so steht nichts im Wege, die leeren
Schläuche nach dem Geschmack des Zeitalters neu anzufüllen. So
werden nun auch die Laji^iütten (Lev. 23) ein liistorisches Fest,
eingesetzt zum Andenken an die \Ojidächer , unter denen sich das
Volk während des vierzigjährigen Wüstenzuges behelfen musste.
Bei Ostern wird über die bereits im Deuteronomium und in Exod.
13, 3ss. sich findende Moti>drung durch den Auszug aus Ägypten
noch ein Schritt hinaus getan. Im Priesterkodex ist nämlich dies
Fest, das gerade wegen seines eminent geschichtlichen Charakters
hier als das bei weitem wichtigste von allen gilt, noch mehr als
bloss Nachhall einer göttlichen Heilstat, es ist selber Ileilstat.
Nicht weil Jahve die Erstgeburt Ägj'ptens geschlagen, wird in der
Folge das Pascha gefeiert, sondern vorher, im Moment des Aus-
zugs, winL?? gestiftet, damit er die Erstgeburt Israels verschone .
Die Sitte wird also nicht bloss geschichtlich motivirt, sondern in
ihrem Anfange selber zu einem geschichtlichen Faktum verdichtet
und durch ihren eigenen Anfang begründet; der Schatten, den
sonst doch nur ein anderweitiges historisches Ereignis wirft, wird
hier verkörpert und wirft sich selber. Sehr ähnlich verhält sich
die Sache mit den ungesäuerten Broten. Statt dass sie durch den
Umstand, dass die in der Mitternacht Ausziehenden in der Eile
ihren Teig ungesäuert wie er ist mitnehmen, veranlasst sind und
bestimmt, das Andenken an diesen Zug zu erhalten (Exod. 12, 34),
werden sie im Priesterkodex ebenfalls schon vorher (12, 15 ss.) be-
fohlen und hinterdrein zum Andenken an sich selber gefeiert, also
nicht bloss durch die Geschichte motivirt, sondern selbst ver-
gescbichtlicht. Darum wird denn auch das Ostergesetz ganz aus
dem Zusammenhange der Stiftshütten -gesetzgebung herausgehoben
(Exod. 12, Iss.), und die Schwierigkeit, dass nun beim Pascha
von dem sonst im Priesterkodex unentbehrlichen Heiligtume ab-
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strahirt werden muss, durch möglichstes Abstreifen des Opfer-
charakters beseitigt *). Einzig beim Pfingstfest zeigt sich noch kein
Ansatz zur historischen Deutung; hier ist dieselbe dem späteren
Judentume vorbehalten geblieben, welches darin, auf grund der
Chronologie des Buches Exodus, eine Erinnerung an die sinaitische
Gesetzgebung erkennt. Man sieht aber, wohin der Zug der späteren
Zeit geht.
Es ist schon im Vorhergehenden angedeutet, dass für die Ent-
wickelung die Centralisation des Kultus epochemachend gewesen ist.
Die Centralisation ist mit Generalisirung und Fixirung gleichbe-
deutend; und das sind die äusseren Züge, wodurch sich das Fest-
wesen des Priesterkodex von dem früheren unterscheidet. Ich ver-
weise auf die vorgeschriebenen Gemeinde- statt der spontanen
Privatopfer, auf die festen Termine am 15. des Monats, auf die
reinliche Sonderung von Opfern und Abgaben, auf die Unifoimirung
des Pascha: nichts frei und naturwüchsig, nichts undeutlich und
noch im Werden, alles statutarisch, klipp und klar. Aber auch
an der inneren Umwandlung der Feste ist die Centralisation des
Kultus nicht zum wenigsten schuld. Erst werden die Gaben der
Jahreszeit von den einzelnen Häusern geopfert wie es jedem passt,
sodann werden sie zusammengelegt an den Festen, die mehr und
mehr an einzelnen Heiligtümern sich koncentriren und zu grossen
Wallfahrten führen, zuletzt treten die vereinigten Einzelopfer zu-
rück gegen die einheitlichen Gesamtopfer der ganzen Gemeinde.
Je mehr Gewicht auf die Gemeinsamkeit und Gleichförmigkeit der
Feier gelegt wird, desto mehr löst sie sich von ihrer Wurzel.
Dass sie dann gern einen historischen Inhalt annimmt, wird zum
teil auch daher kommen, dass die Geschichte nicht, wie die Ernte,
ein Erlebnis der einzelnen Haushaltungen ist, sondern vielmehr
ein Erlebnis des Volkes im ganzen. Man sieht freilich, dass die
Feste an sich die Neigung haben sich von ihren ursprünglichen
Trieben zu entfernen; aber nii-gends haben sie sich so weit davon
entfernt wie im Priesterkodex. Während sie doch sonst noch
*) Das Absehen vom Heiligtum ist nur beim ersten Pascha Ijeiurründet und
soll vielleicht nur für dieses gelten. Der l'nterschied zwischen dem
D^liJD HM und dem Plinn HÖD ist notwendig, schon weil jenes
historisches Faktum, dieses eine Erinnerungsfeier daran ist. Dagegen
ist nicht zu kämpfen, wenn für die l'rsprünglichkeit des Pascha-ritus im
Priesterkodex damit eingetreten wird, dass dieser allein den Bedingungen
des ägyptischen Aufenthalts entspreche.
•102'.
ä-stläatt.ies^l^ltas, K»|J. 5.
überall, wie wir sahen, in tlentlicher Bezielmng zu dem Lanfl^
and eeiDem Segen stehn und gleichsam die grossen Huldigungs-
uud Trihuttage für den Lehoshemi und Verleiher des Landes sind,
80 tritt dieser Zusammenhang hier völlig zurück. Wie miiu im
Gegensatz zum Buiidesbuch und Deuteronomium, ja seihst zu dem
Korpus, welches I-ev. 17 — -26 za gründe liegt, den ganzen Priester-
kodex als Wüstengesetzgebiing charakterisiron kann, insofern er
von den natürlichen Bedingungen und Motiven des wirklichen
Volkslebens im Lande Kanaun abstrabirt und auf der tabula rasa
der Wüste, der Negation der Natur, aus kahlen Statuten des
absoluten Willens die Hierokratie aufbaut , so sind auch die
Feste, bei denen sich die Abliän^gkeit des Kultus vom Ackerbau
am stärksten zeigt, so viel es angeht, hier zu Wüstenfesten ge-
worden ').
2. Mit der Centralisation des Kultus, deren umgestaltender
Eiufluss sich im Priesterkodex zeigt, macht das üeuteronomium den
Anfang. Jener fusst auf diesem und zieht die hier noch nicht
geahnten Konsequenzen. Dies Verhältnis bewährt siph auch in
Einzelheiten. Zunächst in den Namen der Feste, welche beider-
orts die gleichen sind, Pesah, Schabuoth, ^ukkuth. Es ist das
nicht ohne innere Bedeutung, denn Asiph hätte der gescluchtlichen
ümdeutung viel grössere Hindernisse in den Weg gelegt als
Sukkoth. äodann in der Bevorzugung des Pascha, welche im
Priesterkodex noch weit auiTallender ist als im Deuteronomium.
Femer in der Daner der Feier. Während das Deuteronomium
allerdings die Anfangstermine noch nicht gleichmässig fisirt, tut
es doch darin einen Schritt über die jehovistische Gesetzgebung
hinaus, dass es Ostera und Laubhütten auf eine Woche, Pfingsten
auf einen Tag normirt- Damit, sowie auch mit der zeitlichen Be-
ziehung von Pfingsten zu Ostern, stimmt der Priesterkodex im
ganzen überein, doch »ind seine Bestimmungen im einzelnen aus-
gebildeter. Das Pascha, im ersten Monat am Abend des 14., er-
öffnet zwar auch hier das Fest, zählt aber nicht wie Deut. 16, 4. 8
als erster Tag der Osterwoche, sondern diese be^nt erst mit dem
15. und schliesst mit dem 21., vgl. Lev, 23, 6, Num. 28, 17.
Exod. 12, 18. Da nun der Anfang der Festwoche besonders aus-
gezeichnet wird, so entsteht dadurch nicht bloss ein gewöhnlicher,
') Vgl. Sir. 3fi, 7—9.
Die Feste. 103
sondern ein ausserordentlicher Feiertag mehr, der Tag nach dem
Pascha, an dem nach den Bestimmungen des Deuteronomiums be-
reits in der Frühe die Pilger von Jerusalem in die Heimat zurück-
kehren sollten^). Eine andere Steigerung besteht darin, dass nicht
bloss das Pascha, wie im Deuteronomium, oder ausserdem der hin-
zugekommene erste Festtag, sondern auch der siebente, der nach
Deut. 16, 8 nur dmxh Ruhe auszuzeichnen ist, als Mikra Kodesch
in 'Jerusalem gefeiert werden muss. Mit andern Worten sind die
nicht ganz in der Nähe wohnenden Wallfahrer gezwungen die
ganze Woche dort zuzubringen: eine Anforderung, die den Fort-
schritt der Centralisirung erkennen lässt, den weit massigeren An-
sprüchen des Deuteronomiums gegenüber. Die Laubhüttenwoche
wird auch in dem letzteren Gesetze von Anfang bis zu Ende in
Jerusalem begangen, aber der Priesterkodex hat hier abermals
eine Oktave zuzulegen verstanden, als eine Asereth zum Haupt-
feste, die freilich in dem älteren Bestände von Lev. 23 noch zu
fehlen scheint. Nach alle dem unterliegt es keinem Zweifel, dass
der Priesterkodex zunächst mit dem Deuteronomium zu vergleichen
ist und in der selben Richtung darüber herausgeht, wie dieses
selbst über die jehovistische Gesetzgebung. Auf jeden Fall nimmt
das Deuteronomium die mittlere Stellung in der Reihenfolge ein,
und wenn man dieselbe mit dem Priesterkodex beginnt, so gelangt
man konsequenter Weise dazu, sie mit dem sinaitischen Bundes-
buch (Exod. 20, 23 SS.) zu schliessen.
Nachdem der König Josias das Deuteronomium publicirt und
es durch feierliche Verpflichtung des Volkes zum Bundesbuch ge-
macht hatte (a. 621), befahl er allem Volke: begeht Pascha dem
Jahve eurem Gotte, wie es vorgeschrieben ist in diesem Bundes-
buche — ein solches Pascha war nicht begangen seit den Tagen
') Dadurch, dass im Priesterkodex der Tag vom Abend an goreclmet wird,
lässt sich diese Differenz nicht ausgleichen, denn erstens hat dies keinen
praktischen Einfluss, da die Datirung dennoch mit dem Morgen beginnt
und der dem 15. voraufgehende Abend immer der 14. des Monats heisst
(Lev. 23, 27. 32) ; zweitens ist der erste Festtag im Deut, eben der Tag,
an dessen Abend das Pascha fällt und es folgen dann nicht noch sieben,
sondern sechs Tage, während im Priesterkodex die Feier vom 14. bis zum
21. des Monats sich ausdehnt Exod. 12, 18. — Wenn die PIlK^n niRD
nicht wie Jos. 5, 11 als der auf den 14., sondern wie in der jüdischen
Tradition (Sept zu Lev. 23, 11) als der auf den 15. Nisan folgende Tag
gedeutet wird, so tritt zum 14. und 15. auch noch der IG. Nisan als be-
sonderer Festtag hinzu.
104 Geschichte des Kultus, Kap. 3.
der Richter und während der ganzen Königszeit (2. Reg. 23, 21. 22).
Und als der Schriftgelehrte Ezra den Pentateuch, wie er uns gegen-
wärtig vorliegt, als Grundgesetz der Gemeinde des zweiten Tempels
einführte (a. 444), da fanden sie geschrieben in der Thora, welche
Jahve durch Moses befohlen hatte, dass die Kinder Israel am Feste
im siebenten Monat in Hütten wohnen und dabei Laubzweige von
Oliven und Myrten und Palmen gebrauchen sollten; und dement-
sprechend ging das Volk hin und machte sich Hütten: das war
nicht geschehen seit den Tagen Josuas des Sohnes Nun bis auf
diesen Tag (Nehem. 8, 14 ss.). Dass sich das Pascha Josias auf
Deut. 16 und nicht auf Exod. 12 gründet, muss man schon an-
nehmen, weil die Festfeier im Zusammenhange steht mit der
neuen Centralisation des Kultus und zur Erprobung derselben
dienen soll, während die Vorschrift von Exod. 12, wörtlich befolgt,
nur zur Erschütterung derselben hätte dienen können. Auf der
anderen Seite ist es, trotz kleiner Inkongruenzen, klar, dass die
Laubhüttenfeier unter Ezra auf Lev. 23 zurückgeht. Es trifft sich
also, dass die zwei so wichtigen und einander so ähnlichen Gesetzes-
publicirungen beide in die Zeit eines Festes fallen, die eine in den
Frühling, die andere in den Herbst; und es ergibt sich bei dieser
Gelegenheit, dass die Festsitte des Priesterkodex erst beinah 200
Jahre später anfing ins Leben zu treten und Geltung zu gewinnen,
als die deuteronomische. Es gibt dafür noch einen anderen Be-
weis. Der Verfasser des Buchs der Könige weiss nur von einer
siebentägigen Dauer der Laubhütten (1. Reg. 8, 66): am achten
Tage entlässt Salomo das Volk. Dagegen in der Parallelstelle der
Chronik (II 7, 9s.) hält der König am achten die Asereth und ent-
lässt das Volk erst am folgenden, dem 23. des Monats. Es wird
also hier der deuteronomischen Sitte, welcher der ältere Schrift-
steller und der ihm etwa gleichzeitige Ezechiel (45, 25) folgt, von
dem jüngeren die seit Ezra (Nehem. 8, 18) herrschende des Priester-
kodex überkorrigirt. Im späteren Judentum kam es bekanntlich,
durch die Neigung gerade das Anfechtbare am festesten zu be-
haupten, dahin, dass der achte Tag des Festes als der herrlichste
von allen angesehen wurde ^).
Am nächsten steht dem Priesterkodex auch auf diesem Gebiete
Ezechiel, der (4;"), 21 — 25) folgende Verordnung gibt. „Im 1. Monat
Joh. 7, 37. V«rl. Delitzsch zu Ps. 29.
Die Feste. 105
am 14. sollt ihr das Paschafest feiern, eine Woche Massoth essen;
an selbigem Tage soll der Fürst für sich und das ganze Volk einen
Sündfarren bringen und während der sieben Tage regelmässig als
Brandopfer 7 Farren und 7 Widder, als Sündopfer einen Ziegen-
bock, als Mehlopfer ein Epha für jeden Farren und Widder, und
Öl ein Maass auf das Epha — im 7. Monat am 15., am Feste,
soll er das selbe darbringen, 7 Tage, hinsichtlich der Sund-, Brand-
und Mehlopfer und des Öles." Im einzelnen deckt sich hier aller-
dings beinah nichts mit den Bestimmungen des Ritualgesetzes
Lev. 23. Num. 28s. Abgesehen davon, dass der — vom maso-
retischen Texte durch eine alberne Korrektur in v. 21 restituirte —
Pfingsttag übergangen wird, weicht zunächst die Dauer der Feste
ab ; beide währen sieben und nicht acht Tage, und das Pascha gilt
als der erste Ostertag, wie im Deuteronomium. Ferner difTeriren
die Opfer, sowol durch ihre stets gleich bleibende Zahl als durch
ihre Qualität; insbesondere ist vom Paschalamm keine Rede,
sondern von einem Sündfarren als Generalopfer. Bei der Minha
fehlt der Wein, doch das darf man nicht in Anschlag bringen, da
Ezechiel diosen grundsätzlich aus dem Kultus verbannt. Endlich
bringt nicht die Gemeinde die Opfer, sondern der Fürst, für
sich und das Volk. Aber trotz aller Differenzen leuchtet doch
die allgemeine Gleichartigkeit durch; es wird an ihnen gewisser-
maassen nur anschaulich, dass man hier zum ersten male etwas
hat, was man auf allen Punkten mit dem Priesterkodex zusammen-
stellen kann, mit dem die jehovistische Gesetzgebung ganz und die
deuteronomische halb unvergleichbar ist. Beiderorts findet sich
der nach dem Monatstage datirte Termin, das fest vorgeschriebene
Gesamt-, Brand- und Sündopfer, die Abstraktion von Aparchen
und Ackerbau, die Ausgleichung der natürlichen Unterschiede zu
einer allgemein -kirchlichen Feier. Schwerlich nun hatte Ezechiel
einen Grund, Lev. 23 und Num. 28s. zu reproduciren, noch weniger
aber, sich dabei eine Menge völlig zweckloser Variationen zu
erlauben. Man beachte, dass er in keiner Einzelheit dem Deutero-
nomium widerspricht und doch dem Priesterkodex so unendlich
viel näher steht: die Verwandtschaft ist eine unwillkürliche, die
in der Zeit liegt. Ezechiel ist der Vorläufer des priesterlichen
Gesetzgebers im Pentateuch, sein Fürst und Volk die noch
einigermassen von der vergangenen Königszeit gefärbte Vorstufe
der Gemeinde der Stiftshütte und des zweiten Tempels. Dieser
106
Geschichte dea Kultus, Kap. 3.
Äunjihme steht iiichte im Wege nnd sie ist darum die rationelle,
weil nicht Ezechiel, sondern der Prieaterkodex die .Sitte der
späteren Zeit nonnirt hat.
Denn sowie das Festwesen des Priesterkodex sich in die Axt
des älteren Kahus, wie wir iliu z. B. ans Os. 2. 9 kennen,
schlechterdings nicht schicken will, so ist dasselbe für die Prajcis
des nacUexilischen Jodentums und dai'um auch für unsere von
daher entuuinmeue Anschauuug, in jeder Hinsicht maaasgehend.
Niemand denkt im Neuen Testament an eine andere Paschafeier
als die von Exod. 12 und an ein anderes Opfer als das dort vor-
geschriebene Pasclialamm. Mau darf vielleicht die A'ermutung
wagen, dass wenn in jener ^Vüstenge^etzgebung der Ackerbau
überhaupt nicht als die Grundlaj^e des Lebens empfunden wird,
die er noch im üeuteronomium nnd selbst in dem Kerne von
Lev. 17— 2G ist, auch dies ein Beweis für ihren Zusammenhang
mit den Zuständen weniger einer selu- alten als einer sehr jungen
Zeit ist und nicht sowol als ein Noch nicht, sondern viel eher
als ein ^icht mehr anfgefusst werden muss. In Babylouien sind
die Juden ein llandelsvolk geworden.
3. Eine Erscheinung, wodurch sich der Priosterkodex aus-
zeichnet, ist bisher übergangen, dass nämlich hier der dreigliedrige
Cyklus der Feste erweitert und dui-chbrochen ist. lu der nach
der Zeitfolge geordneten Aufzählung Lev. 23. Num. 28. 29 sind
zwischen Pfingsten und Laubhütten zwei andere Feiertage ein-
gesetzt, Neujahr am 1. des 7. Monats nnd der grosse Vei'söhnuugs-
tag am 10. des selben Mouatä. Wie sehr die drei, ursprünglich zu ein-
ander gehörigen, Erntefeste abgeblasst sind, sieht man daraus, dass
diese beiden heterogenen Tage mitten dazwischen erscheinen, der Jörn
Kippurim in gleicher Reihe mit den alten Haggim, d.h. Tänzen,
die lauter Lust und Freude] waren und mit einem Trauerfasten nicht
an einem Tage zu nennen. Im einzelneu ist Folgendes zu bemerken.
Der Jahreswechsel fiel in der Königszeit auf den Herbst; daa
Herbstfest, bezeichnete den Abschluss des Jahres nnd der Feste
(Exod. 23, 16. 34, 21. 1. Sam. 1, 20. 21. Isa. 29, 1. 32, 10). Daa
Deuteronomium wurde im 18. Jahre Josiae aufgefunden und noch
im selben Jahre Ostern nach Vorschrift dieses Gesetzes begangen —
das war nur möglich bei Jahresanfang im Herbst'). Hiernach
Die Feste. 107
richtet sich nun auch im Priesterkodex die kirchliche Neujahrs-
feier. Der Jörn Therua (Lev. 23, 24s. Num. 29, Iss.) fällt auf
den ersten Neumond des Herbstes, und es folgt aus der durch
Lev. 25, 9 s. beglaubigten Tradition, dass dieser Tag als nDirni2'*N1,
als Neujahr begangen wird. Er wird nun aber immer als der
erste des siebenten Monats bezeichnet. Also hat sich das
bürgerliche Neujahr von dem kirchlichen getrennt und auf den
Frühling verlegt; das kirchliche kann nur als Rest von früher her
anfgefasst werden und verrät schlagend die Priorität der Sitte, wie
sie in der älteren Königszeit herrschte. Erst durch den Einfluss
der Babylonier scheint dieselbe abgekommen zu sein, welche die
Frühlingsära hatten *). Denn die mit dem Gebrauch der Frühlings-
ära zusammenfallende Bezeichnung der Monate durch Zahlen statt
durch die althebräischen Namen (Abib Ziv Bul Ethanim) findet
sich, abgesehen vom Priesterkodex und dem letzten Redaktor des
Pentateuchs (Deut. 1, 3), noch nicht im Deuteronomium (16, 1),
sondern erst bei Schriftstellern des Exils. Zuerst bei Jeremias,
aber nur in solchen Teilen seines Buchs, die nicht von ihm auf-
geschrieben oder doch von späterer Hand redigirt sind*), sodann
bei Ezechiel und dem Verfasser des Buchs der Könige, der die
Namen seiner Quelle durch Zahlen erklärt (1. Reg. 6, 37. 38. 8, 2),
femer bei Haggai und Zacharia; zuletzt noch in der Chronik, aber
hier beginnen schon die zunächst vom Hebräischen ferngehaltenen
babylonisch - syrischen Monatsnamen einzudringen. Wollte man
diese seit dem Exil nachweisbare Änderung des Kalenderwesens
aus der zufällig jetzt beginnenden Einwirkung des bisher schein-
toten Priesterkodex erklären, statt aus allgemeinen in den Zeit-
*) In Exod. 12, 2 wird dieser Wechsel der Ära förmlich durch Moses ange-
ordnet: dieser Monat (der Ostermonat) soll euch der Anfang der Monate
sein, der erste sei er euch von den Monaten des Jahres. Nach George
Smith (the Assyrian eponym canon p. 19) begann das assyrische Jahr
mit der Fruhlingsnachtgleiche ; die assyrische Sitte hängt von der baby-
lonischen ab. Trotz der entgegenstehenden Annahme Idelers war ich
▼on dem Frühlingsanfang des babylonischen Jahres fest überzeugt, lange
bevor ich die Ergebnisse der Assyriologie in dieser Beziehung kannte.
In Palästina behielten übrigens die Bne haGola den baylonischen Jahres-
anfang nicht lange bei, sondern gingen l»ald wieder zu dem alten
landesüblichen (im Herbst) über, so dass das kirchliche Neujahr wieder
mit dem bürgerlichen zusammenfiel. Vgl. Isr. und Jüd. Geschichte 1897
p. 169 n. 1. Auch das Sabbathjahr wurde bekanntlich von Herbst zu
Herbst gerechnet (Lev. 25, 9).
2) Kuenen, historisch-kritisch OnderzoekUI 196.216.
108 Geschichte des Kultus, Kap. 3.
umständen liegenden Gründen, unter deren Einfluss eben auch
der Priesterkodex stand und die überhaupt damals einen Um-
schwung — allgemeinere Anwendung und grössere Genauigkeit —
in der Zeitrechnung zur Folge hatten, so würde das absurd ge-
nannt werden müssen*).
Während des Exils scheint Neujahr nicht am 1., sondern am
10. des 7. Monats gefeiert zu sein (Lev. 25, 9. Ezech. 40, 1) —
ganz begreiflich, nachdem es überhaupt einmal von dem wirk-
lichen Jahresanfang sich getrennt hatte '). Schon daraus würde er-
hellen, wie jung der grosse Versöhnungstag Lev. 16 ist, der später
auf diesen Termin begangen wurde; denn obwol derselbe als
Generalreinigungsceremonie mit Fug am Jahreswechsel steht, so
passt doch der fröhliche Lärm der Neujahrsposaunen nicht in seine
stille Feier, wie denn der r^V^'^Vi D^^ ™ Priesterkodex in der Tat
auf den 1. des 7. Monats gelegt ist. Trotz seiner überragenden
Wichtigkeit ist der Versöhnungstag weder im jehovistisch-deutero-
nomischen Teile des Pentateuchs, der nur ein dreimaliges Erscheinen
vor Jahve fordert, noch in den historischen und prophetischen
Büchern bekannt. Seine ersten embryonischen Keime zeigen sich
im Exil. Ezechiel verordnet (45, 18 — 20) zwei grosse Entsündigungen
zu Anfang der beiden Jahreshälften; denn 45, 20 ist nach der
Septuaginta ßfin^. ^yniT^. »™ ^- Monat am Neumond" zu lesen.
Die zweite von diesen, im Herbst, ist mit der des Priesterkodex
zu vergleichen, nur dass sie auf den ersten und Neujahr (40, 1)
auf den zehnten fällt, während dort umgekehrt Neujahr auf den
ersten und die Entsündigung auf den zehnten; auch ist der Ritus
weit einfacher. Zacharia, gegen Ende des sechsten Jahrhunderts,
*) Eine ähnliche Erscheinung zeigt sich bei dem Gewichtswesen. Der „heilige
Sekel", der oft im Priesterkodex und nur hier vorkommt, kann unmög-
lich eher so benannt sein, als bis auch die natürlichsten altisraelitischen
Dinge, weil abhanden gekommen, in einem wundersamen Nimbus er-
schienen. Er hat zum Gegensatz den „Stein des Königs**, der 2. Sam.
14, 26 in einer Glosse erwähnt wird: .der König ist kein anderer als der
Grosskönig von Asien. Interessant ist es, dass der heilige Sekel des
Priesterkodex dem Ezechiel noch der gewöhnliche ist; vgl. Exod. 30, 13
mit Ezech. 45, 12.
') Dass bei Ez. der 10. als HOltTI l^NI genau zu nehmen ist, folgt nicht
bloss daraus, dass diese Bezeichnung nur in diesem Sinne vorkommt
sondern auch daraus, dass es nicht zufällig ist, wenn der Prophet gerade
zu Neujahr das Neue Jerusalem schaut. Dann aber ist nach Lev. 25, 9
der siebente Monat gemeint, an dessen 10. Tage die Posaunen zum An-
bruch des Jobeljahres geblasen werden.
Die Feste. 109
sieht auf zwei seit siebzig Jahren, d. h. seit dem Anfange des
Exils bestehende regelmässige Fasttage im 5. und 7. Monate zurück
(7, 5), denen er (8, 19) noch zwei andere im 4. und 10. Monate
zuftigt. Sie beziehen sich, nach Ch. B. Michaelis' sehr wahrschein-
licher Erklärung, auf die geschichtlichen ünglückstage, welche dem
Exil vorhergingen. Am 9. des 4. Monats wurde Jerusalem einge-
nommen (Hier. 39, 2), am 7. des 5. wurde die Stadt und der
Tempel verbrannt (2. Reg. 25, 8), im 7. Monat wurde Gedalia er-
schlagen und der Rest des jüdischen Staates vernichtet (Hier. 41),
im 10. hatte die Belagerung der Stadt durch Nabokodrossor be-
gonnen (2. Reg. 25, 1). Den grossen Vereöhnungstag von Levit. 16
kennt mithin auch dieser Prophet noch nicht, sondern erwähnt nur
neben anderen das Fasten im 7. Monat als seit 70 Jahren bestehend.
Derselbe ist sogar bis a. 444, dem Jahre der Publikation des Penta-
teuchs durch Ezra, noch nicht in Kraft getreten. Ezra beginnt
die Vorlesung des Gesetzes am Anfang des 7. Monats, darnach
wird am 15. Laubhütten begangen: von einer Sühnfeier am 10. des
Monats wird in der genauen und gerade füi* Liturgisches interessirten
Erzählung nichts berichtet, sie wii'd dagegen am 24. nachgeholt
(Nehem. 8. 9). Dies testimonium e silentio ist voUgiltig — bis
dahin bestand der grosse Tag des Priesterkodex nicht, der erst
jetzt eingeführt wurde ^). Sein Termin wird teilweise im Anschluss
an Ezechiel durch das alte Neujahr (Lev. 25, 9) bedingt sein, teil-
weise im Anschluss an Zacharia durch das Fasten Gedalias, welches
freilich später dann doch noch besondere gefeiert wurde.
Auch vor dem Exil kamen wol allgemeine Fasttage vor, aber
sie wurden besonders angesagt und waren immer ausserordentlich
veranlasst, wenn eine Schuld zum öffentlichen Bewusstsein kam
oder der göttliche Zorn drohte, namentlich bei Landeskalamitäten
(1. Reg. 21, 9. 12. Hier. 14, 12. 36, 6. 9. Joel 1, 14. 2, 12. 15). Im
Exil begannen sie regelmässige Sitte zu werden, ohne Zweifel zu-
nächst in Erinnerung an die erlebten dies atri und gewissermaassen
als ein der Situation entsprechender Einsatz für die nur im heiligen
') ^Wenn Lev. 16 zum ursprünglichen Bestand der Priesterschrift gehört
und im Jahr 444 der gesamte Pentateuch von Ezra plubiizirt wurde
und doch damals der Tag nicht gefeiert wurde, so wird ja eben damit
zugegeben, dass es Gesetze geben kann, ohne dass sie ausgeführt werden."
So Dillmann in der Einleitung zu Lev. 16 (1880 p. 525): es wird ihm
jeder zugeben, dass das Gesetz, ehe es öffentliche Geltung gewinnen konnte,
zuvor promulgirt sein rausste.
Geschichte Ars Kultus, Kap, 3.
Lande möglichen li'öhlichen Volksversammlangea zu Ostern, Pfingsteu
und Laubhütten ')• Eudlich traten sie den Festen selber zur eeite
und wurden ein förmlicher und selir «ächtt^er Bestandteil des
ordentlichen Gottesdienstes. Im Priesterkodex ist das grosse Fasten
am 10. des 7. Monats der heiligste Tag des ganzen Jalu-es. Nii-hts
ist so bezeichnend für den Gegensatz des neuen Kultus znm alten:
wie er überall auf tlie Sünde und die Sühne sein Absehen richtet,
so läuft er auch in ein grosses Sündensühnfest als iii seine Spitze
aus. Es ist als ob die Stimmung des Exils auch nach der Befrei-
ung, wenigstens wahrend der ersten Jahrhunderte, im Judentum
stehn geblieben wäre; als ob man sich nicht bloss momentan, wie
in fi-üherer Zeit, bei einem besonderen Anlass, sondern unaufhör-
lich unter dem bleiernen Druck der Sünde und des Zorns gefühlt
hätte. Ich habe kaum nötig ausdrücklich hinzuzufügen, dass auch
hinsichtlich des Versöhnungstages als des Festes aller Feste der
Prieaterkodex für die nachexilische Zeit maassgebend geworden ist.
„Ritus und Opfer sind durch das Misgeschick der Zeiten unterge-
gangen, aber die selbe Heiligkeit ist ihin geblieben; wer sich noch
nicht ganz losgesagt hat vom Judentum, hält diesen Tag, mag er
auch sonst gegen alle Oebmuche und Feste desselben gleichgiltig
IV.
Zum -Schluss noch ein Wort über die Sioudfeste, d. Ii. über
Neumond und Sabbath. Dass beides zusammengehört, lasst sich
allerdings aus dem Pentateuch nicht sehen, wol aber annähernd
aus Arnos 8, 5 und 2. Reg. 4, 22 s. Bei Arnos sagen die über jede
Unterbrechung ihres Wnchers ungeduldigen Kornhändler: wann
wird der Neumond vorübei-gehn, dass wir Getreide verkaufen, und
der Sabbath, dass wir Korn auftun! An der anderen Stelle wird
die .Sunamitin, als sie ihren Mann um einen Esel und einen Kneclit
bittet um den Propheten Elisa zu l^esuchen, von diesem gefragt,
wie sie denn dazu komme, jetzt einen solchen AusHug zu unter-
nehmen, da es ja doch ^kein Neumond und kein Sabbath", d. h,
wie wir sagen würden, kein Soimtag sei. Wahrscheinlich hat sich
der Sabbath ursprunglich nach den Phasen des Mondes gerichtet
') Auch nach der iweiten Zerstöruug Jenisaleois, durth Titus, nahm das
Fftstenwcsen eiuea solchen Aufschwung-, dass die Tage Terieiehnot werden
musaten, an denen das Fasten verboten war.
Die Feste. 111
und ist also immer der 7. 14. 21. (28.) Tag des Monats gewesen,
den Neumond als ersten gerechnet: eine Ratio muss er gehabt
haben, und eine andere lässt sich nicht auffinden*). Denn dass
die Woche durch die sieben Planeten bedingt sein soll, erscheint
sehr wenig glaublich. Erst nachdem man die sieben Tage hatte,
kam man darauf sie nach den sieben Planeten zu benennen; die
Siebenzahl ist das einzige Band zwischen ihnen. Ohne Zweifel
ist die Woche älter als die Namen ihrer Tage. Vgl. Ideler 1 178ss.
Die Mondfeste sind wol überhaupt älter als die Erntefeste,
imd sicher sind sie es bei den Hebräern. Es lässt sich nachweisen,
dass die Neumondsfeier in alter Zeit mindestens auf gleicher Linie
mit der Sabbathfeier gestanden hat'). In der jehovistischen und
deuteronomischen Gesetzgebung jedoch wird dieselbe vollkommen
ignorirt, und wenn sie in der priesterlichen und ezechielischen
«twas mehr hervortritt — ohne entfernt mit der Sabbathfeier sich
messen zu können — , so hängt das vielleicht damit zusammen,
dass sich hier die grossen Feste nach dem Neumond richten und
deshalb seine Beobachtung von Wichtigkeit ist. Es mag einesteils
bewusste Absicht gewesen sein, welche die Neumondsfeier wegen
allerhand heidnischen Aberglaubens, der sich leicht daran ansetzte,
verdrängt hat, andernteils ist wol auch das unwillkürliche Über-
gewicht des Sabbaths daran schuld gewesen, zufolge dessen dieser
seine eigenen Wege ging und in regelmässigen siebentägigen Inter-
vallen weiter gerechnet wurde, unbekümmert um den Neumond,
mit dem er nun kollidirte, statt wie früher durch ihn gestützt zu
werden.
Als Mondfest reicht ohne Zweifel auch der Sabbath in sehr
hohes Alter hinauf. Bei den Israeliten aber bekam dieser Tag
«ine ganz eigentümliche Bedeutung, wodurch er sich von allen
hinderen Festen unterechied; er wurde der Ruhetag in Sonderheit.
Ursprünglich ist die Ruhe nur eine Konsequenz der Feier, z. B.
der Erntefeste nach der sauren Arbeitszeit; auch die Neumonde
*) George Smith, the Assyrian Eponym Canon p. 19 s.: Among the Assyrians
the first twenty-eight days of every month were divided into four weeks
of seven days each, the seventh, fourteenth, twenty-first, and twenty-
eighth days, respectively , being sabbaths; and there was a general
Prohibition of work on these days.
^ 1. Sam. 20, 5. 6. 2. Reg. 4, 23. Arnos 8, 5. Isa. 1, 13. Os. 2, 13. Dass das
Halle! mit dem Hiläl (arab. Neumond) etwas zu tun hat, ist freilich
nicht anzunehmen. Hilal scheint dem hebr. Ilelel zu entsprechen.
119
GractiJFhte dw KaHm, Kap. 3,
I
wurden dadnrfli ansj^ezeichuet (Arnos 8, 5. 2, Reg- 4, 23). Sie ist
auch beim Sabbath eigentlich nur die Fulge davon, dass er der
Feier- und Opferlag der Woche ist (Isa. 1, 13. Ezech. 46, 1 9s.), an
dem die Schaubrote aufgelegt werden; für ihn aber wurde sie wol
wegen der KegelmSäsigkeit, mit der er die Alitagsarbeit alle acht
Tage unterbrach, allmähUch die wesentliche Eigenschaft. Am Ende
wurde dann auch sein Name so gedeutet, als sei er vom Ruhen
hergenommen. Als solcher Ruhetag kann nun der Sabbath nicht
so nralt sein; in dieser Eigenschaft setzt er vielmehr den Ackerbau
und ein ziemlich angestrengtes Werktagsleben voraus. Dazu stimmt
es, dass sich im Laufe der Geschichte eine Steigerung der Sabbaths-
ruhe bei den Israeliten nachweisen iässt. Am höchsten ausgebildet,
bia »ur Veränderung der Qnalitilt, ersclieint dieselbe im Priester-
kodes.
Nach 2. Reg. 4, 225. hat man am Sabbath Zeit zu nicht all-
täglichen Beschäftigungen; Knecht und Esel können abkommeu, zu
einer Reise, die weiter ist als ein Sabbatherweg. Üs. 2, 13 heisst
es: „ich mache all ihrer Freude ein Ende, ihren Festen Neumonden
und Sabbathen"; diese letzteren teilen also mit den erstei-en die
Lust und Fröhlichkeit, die sich im Exil, mit dem Jahve droht,
von selbst verbietet. Beim JehoxTsten und Deuteronomiker ist der
Sabbath, der freilich schon Amos S, 5 auf den Handel ausgedehnt
wird, eine Einrichtung speciell fiu' den Ackerhau; er ist der Er-
holuugstag für die Leute und das Vieh und wird mithin in ähn-
licher Weise wie die Opfermahle zu socialen Zwecken benutzt
CEiod. 20, 10. 23, 12. 34, 21. Deut. &, 13. 14). Obwol diese
moralische Wendung echt israelitisch und nicht ursprünglich ist,
so ist die Ruhe doch auch hier noch ein Fest, ein Vergnügen für
die arbeitenden Klassen; denn was zur Pflicht gemacht wird —
den israelitischen Herren nämlich, an welche die Gesetzgeliung sich
richtet — ist weniger, dass man ruhe, als dass man ruhen lasse.
Im Priesterkodex dagegen ist die Sabbathsruhe schlechterdings
nicht mit dem fröhlichen Aufatmen von der Last des Lebens bei
den Festen gleichartig, sondern eine Sache für sich, die den Sab-
bath nicht bloss von den Wochentagen, sondern auch von den
Festen unterscheidet und einer ascetischen Leistung weit näher
kommt als einer lässigen Erholung. Sie wird hier ganz abstrakt
genonmien, nicht als Rnhe von der gewöhnlichen Arbeit, sondern
als Ruhe schlechthin. Man darf am heiligen Tage nicht aus dem
Die Feste. IISV
Lager geLn, um Manna oder Holz zu sammeln (Exoii. IG. Num, 15),
nicht einmal Feuer anzünden und kuchen (Exod. 35, 3): diese Ruhe
ist iti Wahrheit ein Opfer der Eiitlialtsumkeit von aller Besuliäfti-
I gUQg, worauf mau sich stehen den Tag vorher präpariren muaa
' (Elxod. lli). In der Tat könnte vom Subbath des Priesterkodex *
nicht gesagt werden, er sei um des Menschen willen da (Marc. Ü, 27);
er ist vielmehr ein mit der Starrheit eines Naturgesetzes auf-
tretendes Stiltut, das gich selbst zum Grunde hat und auch für
I Gottes SchalTen gilt. Der ui-sprüu gliche Schöpfungsberielit, wonach
Gott am siebenten Tage die Welt vollendete und ihn darum
f heiligte, ist dahin verbessert, dass er in sechs Tagen fertig wurde
und am siebenten Tage ruhete ').
Ansätze zu einer solclien Übei-spannung der Sabbathsruhe ins I
Absolute finden sich seit der chaldäischen Zeit. Während nach
Os. 2, 13 und sogar nach Lament. 2, 6 der Sabbath ausserlutlt) des
heiligen Landes, wie der übrige Gottesdienst, aufhören muss, ge-
wann er tatsächlich im Exil ausserordentlich an Bedeutung, indem
' er nicht bloss vom Ackerbau, sondern namentlich auch vom Opfer- |
' kultus sich unabhängig und als heilige Ruhefeier völlig selbständig |
nitichte. Dei^estalt wurde er neben der Beschneidang das
aammenlialtende Symbol der jüdischen Diaspora, wie schon im
Priesterkodex beide Inatitute die allgemeinen religiösen ErkennungB-
zeichen (ms Gen. 17, 11. 10. Exod. 31,13. Ez. 20, 12. 20) sind,
welche auch unter Umständen bestehn, wo ähnlich wie im Exil
die Bettingungen des mosaischen Kultus nicht vorhanden sind
(Gen. 2, 3. 17, l-2s,). Welche Mühe inzwischen noch die Gründer
der Gemeinde des zweiten Tempels hatten, mit den neuen strengen
Anforderungen durchzudringen, erhellt aus Neh. 13, lüss.'). Aber
es gelang schliesslich. Die Sabbathfeier des Judentums hat sich
auf grund der priesterlichen Gesetzgebung folgerecht weiter ent-
wickelt, immer mehr dem Ideal der absoluten Ruhe sich nähernd,
so dass für die strengste Richtung der Pharisäer die Vorbereitung .
■) Es ist du uiuwoifelhafter Widerspruch, nenn ca in Gen. 3, 2 zunächst J
Jieisstr er machte die Arbeit um sti'lientcu li-ne fertig, und sodann ;
feierte »in siubcntcn Tnga von der Arlieil. Ilandgreitlicb ist der lettter« 1
Satz eine iLiitheulische lnler[jretaliou, aus sehr deutlichem Motittt uach-
getragen.
>} In div uMe Ziüt ßllt wol muh ha. 56, 2. 58, 13 und Hier. 18, 19 sa^ ^
An der letzteren Stelle wird gesagl, dasü dai Kuhegeliot zwar sehou den' i
Vfttem gegeben, vun ihnen aber nicht gehalten sei.
k
auf doli heiligen Tag lüe gaiizc Woche in Aiispi'uoh nahm und
also womöglich das halbe Menschenleben um seiiiotwegen da war.
„Vom Sonntag an denk an den Sabbath", sagt Hchammai. Hervor-
gehoben EU werden verdient die Unterscheidung üwischen Jouitob
und Schabbnth, die mit der puritanischen zwischen Test- und
Sonntag zu vei^leichen ist, und die Oiäkussion über das Brechen
des Sabbatlis durch den Gottesdienst; zwei Einzelheiten, welche
die durch den Priesterkodex angezeigte Richtung erkennen lassen,
in der »ich die spätere Sitte vom Ursprünglichen entl'ernt.
2. Mit dem Sabbath steht das Sabbathjahr in Verbindung.
Im Bundesbuche wird gefordert, einen Hebräer, den man zum
Knechte kauft, nach sechs Jaliren des Dienstes im siebenten frei
zu geben, wenn er anders nicht selber zu bleiben wünscht (Exud.
21,2 — ß). Ebendaselbst wird an einer anderen Stelle geboten,
sechs Jahre das Land und die Obstgärten zu bestellen und die
Ernte einzuheimsen, aber im siebenten dieselbe preiszugeben
(CCff), damit die Armen sie essen und, was sie übrig lassen, die
Tiere des Feldes (23, lU. 11), Von einem Sabbathjahr ist hier
keine Reile. Die Freigebung des hebräischen Knechts erfolgt sechs
Jahr nach dem Kauf, also an einem relativen Termin. Ebenso
ist in der anderen Verordnung ein absolutes siebentes Jahr durch
nichts angezeigt; auch handelt es sich nicht um einen Sabbath,
d. h. eine Brache, für das Land, sondern um eine Preisgabe der
Ernte.
Das erste Gebot wird im Denteronomium wiederholt, ohne
sachliche Abweichungen, teilweise wörtlich (15,12 — 1''^). Das
andere hat wenigstens ein Aualogon in Deut. 15, 1 — 6: „am Ende
von sieben Jahren sollst du eine Sch'mittä machen und damit hat
es folgende Bewandtnis: kein Gläubiger soll wogen seiner Fonlerung
seinen Bruder drangen, denn man hat eine Sch'mitta ausgerufen
dem Jahve; den Fremden magst du drängen, aber was dir deiu
Bruder schuldet, sollst du zur Sch'mitf« machen*. Dass diese Ver-
ordnung mit Exod. 23, 10, 11 zu vergleichen ist, beweist der
Name Sch'mitta, aber derselbe bekommt, eine andere Bedeutung.
Es handelt sich im Denteronomium nicht um firnnd und Boden,
sondern um Geld, und zwar soll im siebenten Jahre der jndisclie
Schuldner nicht zur Zahlung der Schuld gedrängt, werden können.
So wird der Sinn der Forderuni; zweimal deutlich angegeben. Es
verkehrt, nach der Etymolngie des Wortes ScVmitti
Die Fi-stp.
115
r anzanehmen, ilass eine Preisgabe der Forderung, des Kel'öhenen ,
' K&pitalä, verliingt, werde. Ein Schritt auf das Sabbathsjulir zu ist i
1 dariti zu erkennen, diLSs der Termin des siebenten Jahres nicht |
[ ein (är die einzelnen Schuld Verhältnisse, je nach dem Datum ihrer ]
Eontraktion, verschiedener ist, sondern ein für alle gleicher und 1
I gemeinsamer, den man Öffentlich nnsagt; ein absoluter also, kein J
' relativer.
Das Sabbathsjalir ist dem Priesterkodex eigentümlich, oder
r der von ihm recipirlen und überarbeiteten Gesetzsamm-
lung, weiche in I,ev. 17 — 26 zu gründe Üegt. Es heisst in Lev. 25,
—7: „wenu ihr in das Land kommt, welches ich euch geben
* werde, so soll das Land dem Jahve einen Sabbath feiern; sechs
Jahre sollst dn dein Feld säen und deinen Weinberg bestellen
\ und die Ernte einheimsen, und im siebenten Jahre soll das Land
«iuen Ruhesabbath feiern dem Jahve, dein Feld sollst du nicht
[ säen und deinen Weinbei^ nicht bestellen, da-s freigewachsene
I Korn sollst du nicht mähen und die Trauben der nicht geputzten
I Reben nicht schneiden, ein Ruhejuhr .soll das Land haben, und
[ dar Sabbath des Landes soll euch zur Nahrung sein, dir und deinem
I Knechte und deiner Magd und deinen Uenerleuten und deinem
I Vieh und dorn Wilde soll all sein Ertrag zur Nahrung aein". Die
, Ausdrucke lassen keinen Zweifel darüber, dass Exod. 23, lü. 1)
I die Grundlage dieser Verordnung ist, aber es ist etwas anderes
' daraus gemacht. Das dort relative siebente Jahr ist hier ein festes
geworden, nicht verschieden für die veiwhieiienen Äcker, sondern
1 gemeinsam für das ganze Land, ein Siibbathjahr nach der Ähn-
, liebkeit des Sabbathtages. Dies kommt einer gewaltigen Erschwerung
der Sache gleich, denn es ist ein anderes Ding, ob sich der Ver-
zicht auf die Ernte über sieben Jahi-e verteilt, oder auf das je
i siebente zusammendrängt. Gleicherweise zeigt sich die Steigerung
T der Anforderung darin, dass im siebenten Jahre nicht bloss einzu-
F'lieimseu, sondern auch zu säen und zu bestellen verboten wird.
In dem originalen Gebote ist das nicht der Fall, liier lallt nur
[ die Ernte im siebenten Jahre nicht dem Eigentümer des Feldes
: zu, sondern ist publici iuris — vielleicht ein liest der Geraelü-
wirtschaft. Durch ein blosses Misveratändnis des Verbulsni^xes
r Exod. 23, 11, wie Ilupfeld venuutet hat, ist aus dem Liegenlassen
L des Ertrags des Landes ein Liegenlassen des Landes selbst, eine"
[ allgemeine Brache desselben gemacht Lev. 25, 4. Das Misvei-ständnis '
llß
rn-scbic'hte dm. Kultus, E»p. 3.
ist aber nicht zufällig, sondern überaus dinrakteristisch. In Exod. 21'
ist die Eiuriclitung für die Menschen da, eine Beschränk un|{ der
Privateij^entümer des Grundbesitzes zum besten der Gesamtlieit,
d. h. taktisch der Besitzlosen, die im siebenten Jahr den Niess-
brauch haben sollen; in Lev. 2ö ist die Einrichtung wegen des
Landes da, damit es wenn nicht am siebenten Tage doch im
siebouten Jahre iiihe, und wegen des Sabbaths, damit er seine
Herrschaft auch über die Natur ausdehne. Natürlich set^t dies
die estrorae Sabbathfeier durch absolute Ruhe voraus und ist nur
als Auswuchs davon zu begreifen. Übrigens ist eine allgemeine
Brache nur nuter Vorhältnissen möglich, die schon von der eigenen
landwirtschaftlichen Produktion demlich unabhängig sind: vordem
Exil hätte schwerlich auch nur der Gedanke daran kommen köunen.
Zu dem Habbathjahre kommt nun im Priesterkodex als Er-
gänzung noch das Jobeljahr hinzu (Lev. 25, Hss.). Wie jenes dem
siebeuteu, so ist dieses dem fünfzigsten, d. i. dem Püngtittag nach-
gebildet, wie schon aus dem Parallelismus von Lev. 25, H mit
Lev. 23, 15 zu erkennen ist. "Wie der 50. Tag nach den sieben
Sabbathta^^en als Schlussfeier der 49tägigeii Pertode gefeiert wird,
so das 50. Jahr nach den sieben Sabhatfajahren als Hchlussstein der
49jährigen; die sieben in die Ernte fallenden Sabbathe, die be-
sonders gezählt zu werden pHegen (Luc. 6, 1), haben eben dadurch,
dass sie die Erntearbeit unterbrechen, eine besondere Ähnliclikeit
mit den Jahrsabbathen, die deu Ackerbau überhaupt uuterbrechen.
Jobel ist also eine künstliche Einrichtung, aufgebaut auf den Brach-
jahren als Erntesabbathen, nach der Analogie des P6ngstfestes.
Seine beiden Funktionen scheinen ursprünglich auch dem Sabbath-
jahr angehört zu haben und aus den beiden entsprechenden Be-
stimmungen des Ueuterononiiaras über das siebeute Jahr abgeleitet
zu sein, so dass also Exod. 23 die Basis von I^v. 25, 1 — 7 und
Deut. 15 die von 25, 8ss. wäi'e. Die Freilassung des hebräischen
Sklaven sollte zuerst im siebenten Jahre des Kaufes, sodann ver-
mutlich im siebenten Jahre schlechthin geschehen: von da ist sie
aus praktischen Gründen auf das fuufzigste verlegt, worden. Analog
ist auch wol das andere Klement des Jobel, der Bückfall des ver-
pfändeten Grundbesitzes an den Erbeigentümer, erwachsen aus dem
Schuldenerlass, der Deut. 15 für das Ende des siebenten Jahres ge-
fordert wird; denn beides hängt sachlich eng mit einander zu-
wie Lev. 25, 21t ss. zeigt.
Die Feste. 117
Was die Bezeugung aller dieser Einrichtungen betrifft, so
werden die des Bundesbuchs gleichmässig vom ])euteronomium
und vom Priesterkodex vorausgesetzt. Auf die Anregung des
Deuteronomiums scheint es zurückzugehn, dass gegen Ende der
Regierung Sedekias Ernst gemacht wurde mit der Freilassung der
hebräischen Sklaven; die Ausdrücke Hier. 34, 14 weisen auf
Deut. 15, 12 und nicht auf Exod. 21, 2. Da sie bislier nicht prak-
tisch geworden war, wurde in diesem Falle die Maassregel von allen
zu gleicher Frist durchgeführt; in der Tat musste dies immer ge-
schehen, wenn sie als ausserordentliche Neuerung in die Welt trat:
vielleicht hängt es damit zusammen, dass aus einem relativen ein
festes siebentes Jahr wurde. Das Sabbathjahr ist nach der eigenen
Aussage des Gesetzgebers in der ganzen vorexilischen Zeit nicht
gehalten worden. Denn nach Lev. 26, 34 s. soll die Verödung des
Landes während der Dauer des Exils eine nachträgliche Erstattung
der früher nicht eingehaltenen Brachjahre sein: „dann wird das
Land seine Sabbathe bezahlen alle Tage der Verödung, wenn ihr
im Lande eurer Feinde seid, dann wird das Land feiern und seine
»Sabbathe bezahlen; alle Tage der Verödung wird es naclifeiern,
was es früher nicht gefeiert hat, solange ihr darin wohntet". Der
Vers wird 2. Chr. 36, 22 als ein Wort Jeremias citirt, und das ist
ein richtiger und unbefangener Eindruck seines exilischen Ursprungs.
Da nun aber der Verfasser von Lev. 26 auch der von Lev. 25, 1 — 7
ist, d. h. der Gesetzgeber des Sabbathjahres, so folgt daraus die
Jugend dieser Einrichtung. Das Jobeljahr, auf alle Fälle vom
Sabbathjahr abgeleitet, ist noch jünger als dieses. Jeremias (34, 14)
ahnt nichts davon, dass die Freilassung der Knechte nach dem
„Gesetz** im 50. Jahre erfolgen soll. Den Namen "im, welchen
Lev. 25, 10 das Jobel trägt, gebraucht er vom siebenten Jahre, und
das ist auch für Ezech. 46, 17 entscheidend: das Grundstück, welches
der König einem seiner Diener schenkt, bleibt nur bis zum siebenten
Jahre in dessen Besitz.
' KulliiK, K.ip. 4.
Viert(?s Kapitel.
Die Priester unil Leviten.
I.
1. Das Problem, um Ans es sich hier handelt, erscheint !
besonderer äc^härfe iu einem prägnanten Beispiele, das wol an die
Spitze gestellt zu worden verdient. Das mosaische Gesetz, d. h.
der l'riesterkodex , scheidet bekanntlich zwischen den zwölf welt-
lichoQ Stummen nnd Lcvi, andererseits innerhalb des geistlichen
Stammes selber zwischen den Söhnen Äharons and den schlechthin
sogenannten Leviten. Der erstere Unterschied wird anscliaulich
in der Lagerordnung Num. 2, in der I/evi einen schütaendou Ring
um das Heiligtum bildet, gegen die unmittelbare Berührung der
übrigen Stämme. Der andere wird mit ungleich grösserem Nach-
druck eingeschärft. Bloss Äliaron und seine Söhne sind Priester,
zum Opferdienst und zum Itäuchorn befähigt, die Leviten sind
Hierodulen (3. Esilr. 1, 3), die zur Besorgiing der niederen Dienste
an die Aharouiden geschenkt, worden sind (Nnra. 3, 9). Zwar sind
sie deren Stammgonossen , aber nicht wegen seiner Zugehörigkeit
zn Levi ist Aharon erwählt und sein Priestertum nicht etwa die
Spitze und Blüte des allgemeinen Berufs seines Stammes. Er war
vielmehr Priester schon bevor die Leviten geheiligt wurden; während
der Kultu.s längst eingerichtet und im Gange ist, sind die letzteren
noch geraume Zeit nicht vorhanden; im ganzen dritten Buche
nicht, das seinem Namen Leviticua insofern keine Ehre macht.
Genau genommen gehören die Leviten gar nicht zum Klerus, sie
werden nicht von Jahve berufen, sondern von den Rindern Israel
an das Heiligtum gewidmet; an Stelle der Erstgeborenen, aber
nicht als Priester'), sondern als Abgabe an die Priester, ab welche
sie sogar die übliche Schwingung vor dem Altar, d. h. das schein-
bare Werfen in die Opferflamme durchzumachen haben (Num. 8).
Die Verwandtschaft zwischen Aharon und Levi und dass gerade
dieser Stamm als Lösung der Erstgeborenen dem Heiligtum abge-
treten wird, erscheint somit fast als zufällig, erklärt sich aber
') Weder Niini. 3. 4. 8 noch sonst ira Alten Testament kommt von einem
Pricstorhim der Erstgeborenen eine Spur vor. Vgl, CompoB, des Hex«-
teiicli3 189'J p. 177 s.
Die Priefiler und l.ei
1191
jedenfalls nicht daraus, dass Aliaron auf ileii l^chiiltcrn Levis toi
die Höhe gestiegen, sondern daraus, dass I^evi an Aharon herauf- 1
geranlit ist, desisen Priestertum durchaus als das Prius gilt'),
Nuu )iat sich der Prophet Kzeclitel in dem Plan des neuen |
Jerusalem, welchen er im Jahr 573 entwarf, auch mit der Neu-
gestaltung der Verhältnisse des Tempel personal» beschäftigt und |
er aigt in dieser Beziehung 44, 6 — 16; „So spricht der Herr j
Jahve. Lasst es genug sein all eurer Greuel, Haua Israel!
dass ihr Ausländer, unheschnittencn Herzens und unbeschDitteuen
Fleisches, habt eiugehn lassen zu sein in meinem Heiligtum, es za j
entweihen, wenn ihr mein Brot, das Fett unii Blut, darbrachtet,
und habt meinen Bund gebrochen') durch all eure Greuel und J
meinen heiligen Dienst nicht gewahrt, indem ihr jene') zu Be- 1
sorgern meines Dienstes in meinem Heiligtum gemacht habt. \
Darum") spricht der Herr Jahve also: kein Ausländer, nnba- I
schnittenen Herzens und uubeschnittenen Fleist^hes, soll in mein ]
Heiligtum hineinkommen, keiner von allen, welche unter (
Kindern Israels leben, sondern die Leviten, welche sich entfernt
haben von mir, da Israel von mir abirrte hinter seinen Götzen her,
die sollen ihre Schuld büssen, und sollen in meinem Heiligtum
Handlanger sein, Wachen an den Toren des Hauses und Diener
des Hauses, sie sollen das Brandopfer schlachten und das Dankopfer
den Leuten und vor ilinen stehn sie zu bedienen. AVeil sie ihnen
gedient haben vor ihren Götzen und dem Hause Israel ein Anstosa
zur Hunde geworden sind, dämm erhebe ich meine Hand gegea
') Ea bpstehl alli'rdin^'!; biiiKi<^litlicli diT AiifriiHaiiug dts ^'crhaltuisses lon
Abaronideii und Leviti?n ein l'nterschied zwischen den primireu nnd
den sekundären Bcstnndlteilen des l'riesterkodcs, wie Kuenen tu Num.
16— IS gezeigt hat, Nach der Gnindächrift herrscht nwiachun Ahorou
und Levi du beste Eitiveruehmen in der moBsischen Zeit: über dem
Unlerschiede wird die ZussinineD^ehürigkeit uicbl ühereeben, eine n
cesprocheno Sympathie mit den Leviten ^lit sich kund. So ausser ._
Num. IG. 17 auch in Nuni. 18. Sehr hemehnend ist es, dass die so 1
drohende Äussenmg Ezechids über die I.eviL'u (Ez. U, IT) in Num. 18, S3
zwar wifdfrhiilt nirti, ^iIht mit fi}l.rl.'i.riiiij; i'iin's (rauü anderen, barm-
Icwn ^^iriiiMS. lii ,|..„ M-niiidrinii Sduk.u d... l'ne.-lerkodex wird diu
Kliifl y.ni.si'hoi] i'liru,-. iiiriinv iinil iniiinr i\''it -tiiiki'r liptuut, die Leviten
wenieu niriyliili.'.t li.Tal.;;iilriiiki. Sn m Ni ;J. 4. 8 und besonders
i'h.-irnkti'ri.',tLiit'h itj di'u KitiHi bribvu iu <i,ir Krzalihtng Num 16. Die
bilTeri'iii besteht aJlerdingH weniger in der Sache, als in der Stimmung.
Trotidvin ilurf sie nicht übcräelien werden. \gL Compos. des Hexk-
») Fi
[■. ;-t43.
ns'i V. 7 1. nsni. für poiB'ni \. s oictpnii für gdS «
.lll's iindi lict ^epttja^Liita.
p=^
120 Gwchichte des Kultus, Kap, 4.
BIO, spvitbt. ilor Herr .lahve, dass sie ilirc ScliiiM büsseii »oUei
sie sollen sich mir nicht n»hen, mir zu priestern und all meinem
Heiligen zu nahen, sondern ihre -Schande und Greuel biissen, die
sie verübt haben; un<l icli will sie zu Besorgertl des Hausdienstes
macheu, aller Arbeit daran und alles dessen, was durin £n g^
schehen hat. Aber die Priester, die Leviten Söhne Öadolts, welche
den Uienst meines Heiliy;tums gewahrt haben in der Zeit da die
Kinder Israel von mir abirrten, die sollen zu mir nahen mich zu
bedienen und sollen vor mir stehn, mir Fett und Blut darzn-
bringen, spricht der Herr Jahve; sie sollen eiuf^ehn in mein Heilig-
tum und treten an meinen Tisch, mich zu bedienen, und sollen
meinen Dienst bewahren."
Hieraus ist zweierlei zn lernen. Einmal, dass die systematische
Absperrung des Heiligen vor profaner Berührung nicht von jeher
bestand, dass man im salomonischen Tempel sogar Heiden, wahr-
scheinlich Kriegs};efangeue, zu den Hierodulendiensten verwendete,
welche nach dem Gesetz die Leviten hätten verrichten müssen
und später auch wirklich verrichteten. Freilich hält Ezechiel diese
Sitt« für einen abscheulichen Misbrauch; man könnte sie also für
einen l'ngehoraam ausgeben, den die jerusalemischen Priester gegen
ihre eigenen Forderungen sieh zu schulden kommen Hessen, und
wüMe es dadurch vermeiden, sie dei- Unbekanntschaft mit ihrem
Gesetz zu zeihen. Dahing^en schliesst eine zweite Tatsache, die
aus unserer Stelle erhellt, das Vorhandensein des Priesterkodex fiir
Ezechiel und seine Zeit zweifellos aus. An die Stelle der heid-
nischen Tempelsklaven sollen künftig die Leviten treten. Bisher
besassen diese das Priestertum, und zwar nicht zufolge eigen-
mächtiger Anmaassung, sondern vermöge ihres guten liechtos.
Denn es ist keine blosse Zurückweisung in die l^chrankeu ihres
Standes, weim sie nicht mehr Priester, sondern Tempeldiener sein
sollen, keine Herst^illung eines Status quo ante, dessen Befugnisse
sie ungesetzlicher Weise ülmrscliritten Jiaben, sondern ausgesprochener
maassen eine Degradation, eine Entziehung ihres Rechtes, welche
als eine Strafe erscheint und als verdiente gerechtfertigt werden
muss: sie sollen ihre Schuld büssen. Sie haben ihr Priester-
tum dadurch verwirkt, dass sie es misbraucht haben, um dem
Kultus der Höhen vorzustehn, der dem Propheten als Götzendienst
gilt und ihm in tiefster Seele verhasst ist. Natürlich sind die-
jenigen Leviten von der Strafe ausgenommen, welche an der legalei
Die PripstiT iinii Leviten.
121
I Stelle amtirt haben; das siml die I.oviten dio Söhne Sadoks
an Jerusalem, wekhe nun einzig Priester bleiben und über ihre
! bisherigen Standesgeiiosseu, mit denen sie Ezechiel noch unter dem
I selben Gemeinnamen ztisammsnl'asst, emporrticken, indem diese zu
[ ihren Uundlangern und Hierodalen erniedrigt werden.
St eine wunderliche Gerechtigkeit, dasa die Priester der
I altgeschafften Bamoth dafür bestraft werden, dtiss sie Priester der
»hgosuhaffteu Bamoth gewesen sind, und umgekehi-t die Priester
des jerusalemischen Tempels dafür belohnt, dass sie Priester des
Tempels gewesen sind: die Schuld jener und das Verdienst dieser
I besieht in ihrer Existenz. Mit anderen Worten hüngt Ezechiel
f bloas der Logik der Tatsachen einen moralischen Mantel um. Aus
der Abschalfnng der volksttimlichen Heiligtümer in der Provinz zu
I guusten des königlichen von Jerusalem folgte mit Notwendigkeit
r die Absetzung der provinzialen Priesterschaften au gunstcn der
[Söhne Sadoks am Tempel Salamos. Zwar will der Urheber der
I Ceninlisimng, der dcntei'onomische Gesetzgeber, dieser Konsequenz
I vorbeugen, indem er auch den aoswärtigen Leviten das Recht gibt
[ in Jerusalem zn opfern so gnt wie ihre dort erbgesessenen Brüder;
[ »her es war nicht möglich in dieser Weise das Schicksal der
[ Priester von dem ihrer Altäre zu trennen. Die Söhne Sadoks
I lieesen es sich wol gefallen, dass in ihrem Tempel alle Opfer sich
[vereinigten, aber dass sie ihr Erbe nun mit der Priest erechaft der
[Höhen teilen sollten, leuchtete ihnen nicht ein und es wnrde nicht
t durchgesetzt (2. lieg. 23, 9). Für diese Abweichung vom Gesetz
I findet Ezechiel einen moralischen Ansdruck, der indes die Tatsache
[ Dicht motivirt, sondern imr umschreibt.
der Grundlagu des Deuteronomiums aus ist es leicht
[ nögUuh, die Verordnung Ezechiels zu veretehn, von der Gründ-
linge des Friesterkodex aus ist es ganz und gar unmöglich. Waa
r als das nrsprüngliche Recht der Leviten betrachtet, <len Priester-
t dienst zu verrichten, betrachtet dieser als eine bodenlose und höchst
■tige Anmaassung, die einmal in der Urzeit dei- Rotte Korah
•ien Unteig:ang brachte; was jener als nachträgliche Entziehung
Blhres Rechtes, als Degradirung zur Strafe einer Schuld ansieht,
[neht dieser als ihre erbliche Naturbestimmung an. Der Unterschied
wischen Priester nnd Levit, den Ezechiel als eine Neuerung ein-
fährt und rechtfertigt, besteht nach dem Priesterkodex seil ewigen
eiten; wag dort als Anfang erscheint, ist hier seit Moses immer
122 Geschichte ricK KultiiR, Kap. 4.
SO gowcsoii, ein fiegebeiios, nichts Gemachtes oder fieword«!
Hinsidittich diesus Punktes herrscht das eellie Verhältnis Kvist^hen
Ezochiol und dem Priesterkodex, wie scwischen dem Deuterono-
miiim und dem Priestorkodex hinsiditlich der Centralisation des
Kiiltua, ])ass nun der Prophet vom priesterlichen Gesetz, mit
dessen Tendenzen er von Heraen übereinstimmt, nichts weiss,
kann nnr daher kommen, dass es nicht vorhanden war. Seine
eigenen Verordnungen sind nur als Vorstufe desselben zu verstehn.
2. Nöldeke jedoch deutet den Vei^leich der Söhne Aharons
mit den Söhnen Sadoks zu ;runsten der Priorität des Priester-
kodex, der doch noch nicht ganz so exklusiv sei wie Ezßchiel').
Er vorwirrt zwei verschiedene Dinge, das Verhältnis von Priestern
und Leviten, und das Verhältnis von Sadok und Aliaron. Es
handelt sich zunächst um den Unterschied von Priestern und
l.eviten. Ezechiel muss ihn erst selber machen, der Priesterkodex
setzt ihn als längst gegeben voraus. Daraus erhellt mit grösötor
Deutlichkeit die Priorität Ezechiels. Diivon unabhängig ist die
Frage, wie es gekommen ist, das im Priesterkodex Sadok durch
Aharon ersetzt wii'd. Die näcliato Antwort ist offenbar die, daüS
Sadok für die mosaische Zeit nicht zu gebrauchen war, weil er
ei-st unter Salomo lebte. Wie die Stiftshntte an .Stelle dos jeru-
salemischen Central heiligtums trat, so musste Aharon an Stelle dos
salomonischen Priesters treten. Nicht ausgeschlossen ist es aller-
dings, vielmehr höchst wahrscheinlich, dass niclit bloss ein nomineller
und scheinbarer, sondern auch ein wirklicher Unterschied statl-
lindet, duss die Söhne Ahiirons nicht bloss die .Söhne Sadoks um-
lassen. Es gelang manchen alten Leviten nach dem Eul, ihr
Priestertum zu behaupten, das sie nach Ezechiel verwirkt hatten.
Der Priestorkodex träf;t dem Heclinung; der Name Aharon gewährt
ihm das Mittel, diese uichtjernsalemischeu Priester mit den alten
Jernsale mischen zusammenzufassen und sie dadurch zu legitimiren.
In Wahrheit ist es gerade ein Beweis der nachcxilischen Ab-
fassung des Priestorkodex, dass er die Priester des CentralheiUg-
tums — das sind auch nach dem traditionollen Verständnis (2. Chr.
13, 10), direkt oder indirekt, die jerusalemischen — zu Söhnen
Aharons macht und dadurch ihi-en Ursprung bis zur Stiftung der
') Jalirlih. tSr Prut. Th. 1875 |i. 351: ,Dass er die AaronWoii «IImu als
»ahre Priester Itetrnclitel, hat seia Uegenbild im Eiechiel, welcher n""'"
yivi uikliisivcr bloss üie Söhne Sidoks als Priester anerteuiiL*
I I.evilcn.
123 i
^Theok ratio liinaiiffülirt. Denn diese Meinung konnte vor dem Exil I
nicht gewagt werden. Dumala war es zu wol bekannt, dass das |
Priestertnm des jenisalemisdieu Geschlechts sich nicht über die |
Zeit Davids verfolgen Hess, sondern erst von Sadok dalirte, der J
, unter Salomo die erbberechtigte Familiü Eli aus der Stellung vor-
drängte, welche dieselbe schon seit lauge, ctrst zu Silo und zu Noh, 1
und dann zu Jernsalem an dem jeweils hervorragendsten Heilig- i
tnme Israels eingenommen hatte. In einer deuteronomisch go-
I Hu-bten Stelle, die nicht lange vor dem Exil gest^iirieben sein kann,,
> lieiast es in einer Weissagung an Eli aber den Sturz seines Hauses
[ dun^h Sadok: „Ich habe zwar gesagt, spiicht Jahve der (lott 1
[ Israels, dein und deinem Vaters llaus sollen vor mir wandeln in |
I liSffigkeit, aber jetzt sage ich: das sei ferne vou mir, denn die mich
BD, die ehre ich, und meine Verächter wei'den zu schänden —
[ siehe es kommen Tage, da zerechmettere ich deinen und deines
Gcschlechtcis Arm, und erwecke mir einen verlässigen IViestcr, der
L nach meinem Herzen handelt, und baue ihm ei» verlässiges Haus,
[ dasB or vor meinem Könige wandeln soll immerdjir" (I. Sam. 2,
I 27 — 3ß). Also ist Elia Haus und Vaterhaus das in Ägypten er-
I wählt« rechtmässige Pricstergcsciilecht; gegen das Erbrecht und
I gegen die Verheissung ewigen Bestandes wird es abgesetzt, weil
r die Oerechtigkeit vorgebt. Der an die Stelle tretende verlässigo
[ Priester ist Sadok, nicht bloss weil es 1. Reg. 2, 27 auadrilcklich
Igt wird, sondern auch weil kein anderer als er das verlässige
I Haus gehabt hat und als Ahn und Inhaber desselben vor deu
I jüdischen Königen gewandelt ist alle Zeit. Dieser Sadok gehöi't
} also weder dem Hause noch dem Vaterhause Elis an, sein Priester-
[ tarn reicht nicht bis in die Stiftuugsacit der Theokratie und ist
I Icein im eigentlichen Sinne legitimes; er hat es vielmehr erlangt
[ dnrch den Brnch d&s gewissermaassen verfassungsmässigen Privilegs,
I für das kein weiterer Erbe existirte als Elis Familie und Geschlecht.
[ Man sieht, er gilt nicht als Mittelglied der Linie Aharons, sondern
[ als der Anfänger einer absolut neuen Linie; die jernsulemischen
I.Priester, deren Älinhen* er ist, sind Emporkönmüiuge aus dem
1 Anfange der königlichen Zeit, mit denen das alte mosaische Sacer-
[ dotinm nicht fortgesetzt wird, sondern abbricht. Wenn dieselben
[nun im Priesterkodex Söhne Aharons heis.son, mindestens unter
l'den Söhnen Aharons mit einhegrlffou sind, denen sie in Wahrheit
■aar entgegengesetzt werden können, so ist dns ein sicheres Merk-
124
(lesvhicbte des Kultus, Kap, i.
mal, (Ihss die I'äden der Tradition aus der vorexilischen Zoit 1
voltküsimcn abgerissen sind, was in Kzecliiels Tagen noih nicht
der Fall war').
Das hiemit dai^elegt« Verliältnia der priest«r!iclien Gesetz-
gelmn^ za Ezocliiol ^ilit nun Ziel and Rii^htimg für die folgende
Eutwicktang an, in welcher der Vereuch gemacht wird, die oinzelue
Erechcinung in ihren uligemeinen Zusammenhang zu stellen.
1. Die Absonderung eines ganzen geistlichen 5)tanunes niis
dem übrigen Volk und der schroffe Hanganterschied innerhalb der
Klassen desselben setzen einen gewaltigen Apparat des Knitus vor-
aus. In der Tat sind nach der Darstellung des Priesterkodex die
Israeliten von Anfang an als Ilierokratie organisirt gewesen, mit
dem Klorus als Skelett, dem Hohenpriester als Haupt und der
Stiflshütte als Herz. Aber so plötzlich wie diese Hierokratie aus-
gebildet vom Himmel in die Wflste berabgefahron ist, so plötzlich
ist sie im Lande Kanaan spurlos wieder verschwunden. AVie weg-
geblasen sind, in der Zeit iler Richter, Priester und Leviten mit-
samt der „Gemeinde der Kinder Israel", welche sich um jene
achai-t; kaum ein Volk Israel gibt es, nur einzelne Stämme, die
sich nicht einmal zu den dringendsten Notsachen vereinigen, ge-
schweige denn auf gemeinsame Kosten ein nach Tausenden zählendes
Kultufipersonal mit Weib und Kind unterhalte«. Statt der Kirchen-
geschichte des Hexateuchs set^t mit einem mal im Bach der
Richter die Weltgeacbtchte ein, der geistliche Charakter ist völlig
abgestreift. Der Hohepriester, nach der Absicht des Priesterkodex
die centrale Obrigkeit von Gottes Gnaden, mag sehen wo er bleibt;
denn die wirklich eingreifenden Volkshaupter sind «He Richter,
Leute von ganz anderem Schlage, nicht gestützt auf ein Amt,
sondern auf ihre Person und das Bedürfnis der I^mstäude, selten
über die Grenzen ihres Stammes hinaus von Einfluss. l'nd offenbar
sehen wir hier nicht die traurigen Reste einer einst unter Moses
') In der Chronik wird, lun iIgs Pentftteuchs willen, durch künstliche Üe-
ne&Io^en oachgewieaen, wie sieh die Söhne Sadoks in ununterbrochener
Va}f:e von Aiiarnu und Elearnr ableiten. Die Sacht ist xuerst entdeckt
von Vatke p. 3U s., sodann von Kueiien, Th. Tijdschr. 111 463—509, m-
kt(t von mir, Text der Bb. Sam. p. 48—51.
Die IVi
125
Josua vorliaDdeneii, üatiii über toUl zerfallenen kirchlich-
politischen OriiiiuuE, sondern die eisten Anfäuge staatlicher Autorität,
die sich »eiter uLd weiter entwickelnd schliesslich zum Königtum
gefuhrt haben.
Im Kern des Kicliterbuohes Juil. 3 — 17 kommt nirgends ein« I
, Person vor, die den Kultus al» Profession beti'eibt. Zweimal wird \
ein Opfer dargebracht, von Gideon und Hauoah; ein Priester gilt
dabei nicht für nötig. In einer Olosse zu 1. 8am. (i, 13s. macht
, sich die Divergenz der späteren Sitte Luft, Als die I^de Jahvets
auf einem Knhwageu aus ihrem philisthäischen Exil zurückkehrte,
blieb sie in der Feldmark von Bethsemes bei dem grossen Steine
stebn; die Einwohner des Ortes aber, die eben bei der Weizen-
ernte waren, spalteten das Holz dos Wagens und verbrannten die
Kühe auf ilem Stein. Nachdem sie nun fertig sind, kommen v. 15
die Leviten im Plusquamperfektum und tun als ob nichts geschehen
wäre, heben die Lade von dem gar niclit mehr vorhandenen Wagen
I und setzen sie auf den Stein, auf dem bereits das Opfer brennt:
natfirli'ch nur um das Gesetz zu erfiilleu, dessen Aiiforderuugen,
die arsprüii gliche Erzählung ignorirt. Ehe nicht der Kultus einiger-
' massen centralisirt ist, haben die Priester keinen Boden. Denn
venn jeder für sich und sein Haus opfert, an einem Altar, den '
1 er wo möglich für das augenblickliche Bedürfnis improvisirt, woza
) braucht es solcher Leute, deren Geschäft und Begrilf es ist, für
I andere zn opfern? Wenn sie also in der frühesten Periode der
I israelitischen Geschichte so wenig von sich merken lassen, so hängt
i da» damit zusammen, ilass es noch wenige grosse Heiligtümer gibt.
I Sobald dagegen solche auftauchen, finden sich auch die Priester
ein. Su Eli und seine Söhne bei dem alten Gotteshanse des
Stammes Ephraim zu Silo. Eli nimmt eine sehr angesehene Stellung
ein, seine beiden Sohne werden als übeimülige Menschen geschildert,
die nicht direkt, sondern dui'ch einen Diener mit den Opfernden
verkehren und ihren Pfücbteii gegen Jahve mit vornehmer Läas^-
Iteit nachkommen. Das Amt ist ei-blich, die Priesterachaft schon,]
zahlreich. Wenigstens zur Zeit Sauls, nachdem sie von Silo,
wegen der Zerstörung des dortigen Tempels durch die Philister,
nach NoI) übergesiedelt war. zählte sie über fünfundachtzig Männer, i
die iudesssen nicht gerade lauter Blutsverwandte Elis gewesen zu J
I sein brauchen, wenn sie sich auch zn dessen Geschlechte rechneten j
Gfschichtc des Kultus, Kap. 4.
1. 8am. 22, II '). Noch eio anderes Heiligtum wird gegen Ausgang
der Richterperiode erwähnt, das üq l)au an der Quelle des Jordans.
Ein reicher Ephrainiit, Miclia, hatte dem Jalive ein silberüber-
zogeues liild gestiftet und dii^elbe in einem ilini gehörigen tiottes-
hutise aufgerichtet. Zunäclist stellte er eiueti i>eiuer Btihne dabei
als Priester an, darauf den Jonathan ben Ueison beu Mose, einen
iieimatiusen Le^-iteii von Bethlehem Juda, den er sich glücklich
schätzte gegen ein Jahrgeld von zehn Silberlingeu nebst Kleidung
und Unterhalt festzuhalten. Als jedoch die Daniten dnrch die
Philister gedrangt aus ihren alten Sitzen aufbrachen, um sich im
Norden an den Abhängen des Hermon eine neue Heimat zu gründen,
raubten sie unterwegs das Gottesbild und den Priester Michas;
veranlagst durch ihre Kumischafter, welche vordem bei Micha ge-
herbergt und dort ein Orakel eingeholt hatten. Ho kain Jonathan
nach Dan und wurde der Begründer des Geschlechtes, welches bei
dieser späterhin so wichtigen Kultusstätte bis zur Fortführung der
Daniten in die assyrische Gefangenschaft das Priestertum inne
hatte (Jud. 17. 18). Seine Stellung erscheint sehr verschieden von
der des Eli. Nur darin heri-sclit Gleichheit, dass sie beide Erb-
priester, 8. g. Leviten sind und sich vom Geschlechte Moses ab-
leiten: darüber wird unten des näheren zu reden sein. Während
aber Eli ein vornehmer Mann ist, vielleicht der Hesitzer des
Heiligtums, jedenfalls ganz unabhängig und das Haupt eines grossen
Hauses, ist Jonathan ein einsamer fahrender Levit, der bei dem
Eigentümer eines Gotteshauses gegen Kost und Lohn in Dienst
tritt, von diesem seinem Brotherrn zwar wie ein Sohn gehalten,
von den Daniten aber keineswegs mit sonderlicher Hochachtung
behandelt wird').
Der letztere Fall stellt vermutlich eher die Regel dar als der
erste. Ein selbständiges und angesehenes Priestertum konnte sich
nur an grösseren und olfentlicheu KnltusstÜtten ausbilden, die zu
Milo scheint aber die einzige dieser Art gewesen zu sein. Die
übrigen Gotteshäuser, von denen wir aus der Übergangsperiode zur
Königszeit hören, sind nicht bedeutend und befinden sich in Privat-
') Freilich ist 1. Sam. 1 n. nur immer vou Eli und sdnüu xwci Sütiuen uud
vou ciucm Kuecbt die Rede; uud iiocli Daviil uuil ^jülouio S(.'h«iu«U aui
dem Haupttemper nur eüieu oder xwei Prieater ^liabt lu haben. Sollt«
Iiueg füufuudachlzig Mäuoer allelne halen hiuricliteu köoneu?
^ Genauer iat der Sachverhalt dargelegt in der Comp, dea Hexat. 18ft9
Die Priester "
127
I besitz, entapreclien also dem des Micha iiuf dem Gebirge Ephraim. ,
' Das zu Oplira gehört dem Gideun utid das zu Kiriathjearim dem
, Abinadab. Namentlich scheint es, dass Micha, indem er für Geld ,
einen Diener des Heiligtums anstellt, einer allgemeineren Sitte ge- ,
' folgt ist. Weil er anstellen will, steht im Belieben des Eigen- ,
' tümera; hat er sonst niemand, so beauftragt er einen seiner Höhne
(Jud. IT, 5. 1. Harn. 7, 1): von einem character indelebilis ist dabei
natü^Iil^h nicht die Kede, wie man aus dem ersteren Beispiel er-
' sehen kann, wo Michas Sohn nach kurzer Frist vum Dienst zurück-
I tritt. David, als er die Lade überführte, vertraute sie zunächst
1 dem Baase Obededoms an und macht« dieseu seinen Bauptmann
einen Philister aus Gath, zu ihrem Wächter. Ein Berufspriester,
T ein I^vit, bt nach Jud. 17, ID für ein gewöhnliches Heiligtum eine
[ grosse Seltenheit. Auch zu Silo, wo übrigens die Verhältnisse
ausserordeutlicli sind, ist daü Privilegium der Söhne Elis nicht ex-
klusiv; Samuel, der nicht zur Familie gehörte, wird doch zum
Priester angenommen. Der Dienst, wozu man einen ständigen
Beamten nötig Iiattß, war nicht das Opfern; das geschah nicht so
regelmässig, dass man es nicht auch selber hätte besorgen können.
Für einen einfachen Altar bedarf es keines Priesters, sondern nur
für ein Haus, worin ein Guttcsbild befindlich ist'); dieses musa
bewacht und bedient werdou (1. Sam, T, 1) — ein Ephod wie das
Gideons oder Michas (Jud. 8, 2(3 s. 17, 4} war in der Tat sehr
L stehlenswert und die Gotteshäuser lagen gewöhnlich frei (Exod. 33, 7).
E^ocb in späterer Zeit sind von daher die Ausdrücke ~\ütff und H'^tf'
r för den heiligen Dienst beibehalten worden, und während jeder-
mann za opfern vei-steht, ist die Kunst, mit dem Ephod umzugehn
nnd ihm Orakel zu entlocken, von jeher nur das fieheininis des
Priesters. Ausnahmsweise ist bisweilen der Wärter nicht der
■ Priester selber, sondern sein Lehrling, der die Anwartschaft hat.
ESo bat Moses den Josuu als seinen Aedituus neben sich (Sd, 11
I Vgl. 1. Sara, 2, 11), der nicht aus dem Zelte Jalivcs weicht, so
f'feraer Eli den Samuel, der nachts im Innern des Tempels bei der
■Sandeslade schläft: wenn auch die Jagendgeschichte Samuels den
Bivirklicheu Verhältnissen ku Silo vielleicht nicht ganz gerecht wird,
[ao reicht sie doch jedenfalls zur Bezeugung anderweit vor-
') DinV« n^a fiotle-sliniis isl nie
Bildes. Ephud ist uusserliulli üea
Bnd das PrieNterkUid.
Oi'scbichti' df9 Kultus, Kap. 4.
luiiiiencr Sitte vollkommen aus. Man vergieiL-lie mit diesen ein-
fachen Zuständen, dass im Priesterkodex den Söhnen Aharüßs etwa
die Hälfte von 22000 Leviten als Wächter und Diener des Heilig-
tums zur Seile stehn.
Schlachteu und opfern daif jedennann (1. iSam. 14, 34s.), und
aucli da wo Priester vorhantlen sind, lat von syatematisiher Ab-
sonderung {(es Heiligen und von einer Scheu es zu berühren nichts
zu spüren. Wenn David ^in das Haua Gottes eingeht und die
Srhanbrote isst, weiche nur die Priester essen dürfen, und seinen
Leuten davon gibt" (Marc. 2, '2G), so gilt dies l.Sam. 21 in dem
Falle gar nicht für unerlaubt, dasa die Essenden geheiligt sind,
d. h. sich Tags zuvor von Weibern enthalten haben. Verfolgte
Flüchtlinge erfassen das Hörn des Altars, ohne dass dies als Pro-
fanirung desselben gilt. Ein Weib, wie die Hanna, tritt vor Jahve,
d. h, vor den Altar, um zu beten; die von der Septuaginta ge-
gebenen Worte " ■'Js'? Ü'PPI (1. Sam. 1, 9) sind für den Zusammen-
hiuig notwendig und vom masoretischen Text als anstössig ausge-
lassen. Sie wird dabei von dem Priester beobachtet, der wie er
pflegt gemütlich in der Tempeltür auf seinem Stuhle sitzt. Nament-
lich die Geschichte der Lade, wie Vatke (p. 317. 332) mit Recht
bemerki, bietet mehrfache Beläge dafür, dass der Begriff der Un-
nahbarkeit des Heiligen unbekannt war; ich will nur den auf-
fallendsten hervorheben. Samuel der Ephraimit schläft von Amts
wegen Jede Nacht bei der Lade Jahves, wohin nach Lev. 16 nur
einmal im Jahi' der Hohepriester eiugohn darf und auch er nicht
anders als nach der strengsten Vorbereitung und unter den ceremo-
niösesten Sühngebräuchen, Der Widerspruch der Empfinduiigs-
weise ist so gross, dass ihn noch niemand sich klar üu machen
gewagt hat.
2. Mit der beginnenden Königszeit treten alsbald auch Jie
Priester, im Anschluss an die Könige, stärker hervor; die Steige-
rung der ( 'entralisation und der öfTentlichkeit des Lebens macht
sich auch auf dem Gebiete des Kultus bemerklich. Im Anfange
der Regierung Sauls finden wir die angesehene ephraimitische
Priesterschaft, das Haus Elis, nicht mehr in Silo, sondern zu Nob,
in der Nähe des Königs, und gewissermaasseu im Bunde mit ihm;
denn ihr Haupt, der Priester Ahia. ist gleich bei der ersten Schild-
erhebung gegen die Philister in seiner nächsten Umgebung, teilt mit
ihm die Gefuhr und befragt für ihn das Ephod. Hinterher trübt
Die Piiesler uml Levileii,
129
weh (ias Einvernehmen, Ahia und seine Brüiier fielen iler Eifer-
l'BQcht des Köni;^ zum Opfer, und damit wurde dem einzigen An-
l'Batz eines selbständigen Priestertunis vim Bedeutung, welcher sich
rin der alten israelitischen Gescbidite findet, für immer ein Ende
rgemacht. Abiathur, der allein dem Blutbad von Nob (1. Sam. 22)
l«ntkam, üoh mit dem Ephod zu David, er gelangte zum Dank
1 dafür später zu hohen Ehren, aber alles was er geworden ist,
fwurde er als Diener Davids, Unter David begaun das königliche
rFriestertum sich zu der Bedeutung zu entwii^keln, die es fortab
[.behalten hat. Er verfügte mit voller Freiheit wie über das Heilig-
I lum der Ijtde, welches in seiner Burg stand, so über die Eiu-
I.Betzung der Priester, welche lediglich seine Beauftragten waren.
l'Meben Abiathar stellte er den Sadok (später noch den Ira) neu
I an, ausserdem auch einzelne seiner 8öhiie. Denn wenn ei^ 2. 8am.
|8, 18 heisst die Söhne Davids waren Priester, so dürfen
fdiese Worte nicht dem Fentateuch zu liebe anders gedreht werden
I «Is wie sie lauten. Audi den Solni des Propheten Nathan treffen
ISirir 1. Reg. 4, f) als Priester, uingekelirt dagegen den des Sadok in
[einem hohen weltlicliori Amte (v. 2); die spätere Grenze zwischen
l'lleiligen und niclitheiligen Personen existirte eben noch nicht.
f '^Vas unter Da\'id der Institution des königlichen Kultus und der
J königlichen Priester noch fehlte, ein fester Mittelpunkt, kam durch
[ den Tcmpelbau seines Nachfolgere hinzu. Zu Anfang der Regierung
I Salomos gab es noch keine, grösseren Bedürfnissen genügende,
I israelitische Opferstätte; er war gezwungen, seinen Antritt auf
[ der grossen Bama zu Uibeou m feiern, einer damals noch ganz
1 kanaanitischen wenn auch schon länger unterworfenen Stadt in
I der Nälie Jerusalems. Jetzt sorgte er dafür, dass seine ungeheuren
BTeste auch in seinem eigenen Heiligtum gefeiert werden konnten.
I Er iDttclite daran den Sadok zum Priester, nachdem er bereits
L früher den greisen Abiathai', der aus vornehmem und echtem
I Priesterblute entspros.sen war, wegen seiner Parteinahme für ileii
I rechtmäasigen Thronfolger abgesetzt und auf sein Landgnt na(.'h
LAnathoth, einem Dorfe bei der Hauptstadt, verbannt hatte, damit
I 1. Sam. 2 angedrohte Geschick der einst so stolzen und mäch-
ttigeu Familie Elis erfüllend.
Wenn diese ersten Könige, ganz ebenso wie es in dem kTa9-
Inschen Beispiel Jud. 17. 18 Micha tut, ihre Heiligtümer als ihr
T Privateigentum betrachten und in der Ein- und Absetzung der
Gesehichle des Kultus, Ksp. 4.
LScnniten daran gnnz uiiumsdi rankt veiTalireii, so si'lieuen »le sich
niitüi'lidi auch nicht, selber die Rechte auszuüben, die von ihnen
ausflössen und auf andere übertragen wurden. Von Saal, der
freilich noch alles selber und wenig durch andere tat, wird raelir-
fach gemeldet, dass er in eigener Person geopfert liabe^ und «s
ist deutlich, dass ihm das 1. Sam. 14 und Kap. 15 nicht zum
Voi-wnrf gemacht wird. David opferte, als er die Lade glücklich
nach Jei'usalem heraufgeholt hatte; dass er dabei selbst fungirte,
geht daraus hervor, dass er den linnenen Priesterrock trug, das
Ephüd Bad, und dass er nach vollbrachtem Opfer den Segen
sprach (2. Sain. 6, 14. 18). Nicht minder vollzog Salomo selber
die Einweihung des Tempels, er trat vor den Altar und beteti)
dort auf den Knieeu mit ausgestreckten Armen, dann erhob or
sieh und segnete das Volk (1. Reg. 8, 22, 54. 55); ohne Zweifel
wiril er auch eigenhändig das erste Opfer dargebracht liaben. Nur
zur Befragung des Orakels vor dem Ephod ist die Technik des
Priesters nötig (1. Sam. 14, 18).
3. Die Geschichte des Priestertums nach der Teilung des
Reichs ist die Fortsetzung dieser Anfänge. Jerobeain I., der Be-
gründer des israelitischen Reichs, gilt dem Geschichtsschreiber auch
als der Begründet' des israelitischen Kultuswesens, sofern dieses
sich von dem judäischen Ideal unterechied ; „er machte die beiden
goldenen Kälber und stellte sie auf zu Bethcl und zu Dan, er
machte die Damothhänser und stellte Priester mitten aus dem
Volke an, die nicht zu den Sölmen Levis gehörten und feiert« Fest
im achten Monat und stieg auf den Altjir um zu räuchern"
(1. Reg. 12, 28ss. 13, 33). Hier wird zwar in der bekannten
Weise der frommen Pragmatik dem <)euteronomischeu Gesetze, das
erst dreihundert Jahre später in Geltung kam, rückwirkende Kraft
verliehen un<l also nacJi einem historiscli unzulässigen Maassstabe
geurteilt; auch werden die dem Urteil zu Grunde liegenden Fakta
einesteils zu sehr verallgemeinert, andemteils zu ausschliesslich
dem Jerobeam zur Lost gelegt. Der erste König trägt die Kultus-
sünden aller seiner Nachfolger und des ganzen Volks. Aber die
Allerkennung des souveränen Priestertums des llerrsi-hers, dos be-
stimmenden Einflusses, den er anf den Knltus ausgeübt hat, ist
richtig. Die bedeutendsten Tempel waren königlich und königlich
auch die Priesterschaft daran (Arnos 7, 10 ss.). Als darum Jeliu
das Haus Ahabs stürzte, da erwürgte er nicht bloss alle seine An-
Die Pricuter und Leviten.
131
gehörigen, sondern mit seinen Beamten und Höflingen aach seine
Priester; daa siod ebenfalls küoigliche Diener und Vertrauena-
personen (2. Reg. 10, II. v^I. 1. R^. 4, 5). Die Angabe, dass die-
selben nach Belieben von dem Könige ausgewählt wurden, winJ
dahin zu verstehn sein, dass sie, wie in der Zeit Daviib und
Salomos, SU auch später iteliebig ausgewählt werden konnten und
F durften; denn tatgächliuh blieb wenigstens in Dan das heilige Amt
K'JWit der Richterzeit bis zur assyrischen Gefangenschaft in der
f Tamilie Jonatlians erblich. Ausserdem hat man sich gewiss nicht
vorzustellen, dass sämtliclie Bamothliäuser und sämtliche Priester-
stellen') königlich gewesen seien; so tief konnte die Regierung
unmöglich in diese Angelegenheiten eingreifen. Öffentlich waren
in dieser Periode wol die meisten Heiligtümer, aber darum nocli
nicht königlich, und .so gab es ohne Zweifel auch zahlreiche
Priester, die nicht königliche Diener waren. Dem Übergewicht
Ldes officielleu Kultus und des ofHcielen Kultuspersonals stand ge-
tlade im Nordreich der häufige Wechsel der Dynastien und der
igebundene Partikulurismus der Stämme entgegen; die Verhält-
werden sich sehr bunt und individuoll gestaltet, erliliche
pd nichterbliche, unabhängig ausgestattete und arme Priester
leben einander bestanden haben; die Verschiedenartigkeit und das
F^Ieiche Reicht des Verschiedenartigen ist die Signatur der Zeit.
Im allgemeinen aber hat sich die Priesterschaft gegen früher
i.^tschieden gefestigt und wie an Zahl so auch au Einfluss nicht
rvenig zugenommen; sie ist eine wichtige Macht im öffentlichen
jeben geworden, ohne welche sich das Volk nicht mehr denken
Auf grund der kurzen und unzulänglichen Notizen des
KSuigsbuchs, welches vorzugsweise das ausserordentliche Eingreifen
Propheten in den Gang der israelitischen Geschichte hervor-
hebt, wäre es vielleicht etwas kühn dies zu behaupten, aber au-
und authentischere Zeugnisse berechtigen dazu. Zuerst der
■jBegen Moses, ein unabhängig für sich stehendes, nordisraelitischea
Dokument. Daiin wird gesagt: „Deine Urim und Thommim ga-
iBreu dem Manne deiner Freundschaft , den du erprobt hast zu
. für ihn gestritten an den Wasseru von Meriba; der den
1) Dar Paralielismus voq B&motbhiluseni uad Pri^teruisMliiug 1. Keg. 12,31
scheint uiclit iurrilli^- zu sein. Wäliread dat^ Bama eiu einfacher Altar
seil! kann, setzt ein Baioothliaus eiu öottesMId vorou» und macht einen
.4cilituu3 nutweiidi^;.
l^
Geschielite dn Kultus, Kap. 4.
Vitter fremd iieunt imd zur Mutter spricht: idi habe »lieh nie ge-
»elieu, und seine Brüder nicht kennt nnd um seine Kinder sich
nicht kümmert — denn sie bewahren dein Wort und dein Gesetz
leliüteu sie, sie lehren Jakob deine Rechte und Israel deine Wei-
sungen, sie bringen Fettduft in deine Nase untl Vollopfer auf deinen
Altar; segne, Jahve, seinen Wolglimd und lass dir seiner Hände
Werk gefallen, zersfhmettre seinen Gegnern die Lenden und seinen
Hassern, dass sie sich nicht erheben" (Deut. 33, 8 — 11). Die
Prieitter erscheinen hier als ein fest geschlossener Stand, so sehr,
dass sie nur ausnahmsweise als Plural auftreten, meist aber zu
einem aingularischen Kollektivum zusammengefasst werden, zu einer
organischen Einheit, die nicht bloss die gleichüeitigen, sondern
auch die ascendirenden Glieder umfasst und ihr lieben mit Moses,
dem Freunde Jahves, beginnt, welcher als Anfang ebenso mit
der Fortsetzung z nsamuien fällt , wie das Kind mit dem Manne,
zu dem es erwachsen ist. Die Geschichte Moses ist zugleich die
Geschichte der Priester, die Uiim und Thnmmim gehören, man
weiss nicht recht, ob jenem oder diesen, aber das ist das selbe;
jeder Priester, dem die Hut eines Ephod anvertraut war, befragt
vor demselben das heilige Los. Der erste auf Moses bezügliche
Relativsatz geht ohne Subjektawechsel über in einen anf die Priester
bezüglichen, darnach fällt der Singular unvermittelt in den Plural
und der Plural zurück in den Singular. Jedoch beruht diese so
sehr hervortretende Solidarität des Standes keineswegs auf der
natürlichen Grundlage der Geschlechts- otler Pamilienelnheit; den
Priester macht nicht das Blut, sondern im Gegenteil die Verieng-
nung des Blutes, wie mit grossem Nat-hdruck betont wird. Er
muss um Jahves willen tun, als habe er nicht Vater und Mutter,
Bruder und Kinder. Indem mau sich dem Dienste Jahves widmet,
das ist der Sinn, tritt man heraus aus den natürlichen Verhält-
iiissen und reisst sich los von den Banden der Familie; es hat
also mit der Brüderschaft der Priester in Nordisrael ganz ähnliche
Bewandtnis wie mit den ebenfalls dort heimischen religiösen Gilden
der Propheteiwöhne, der Rekabiten und wol auch der Naziräcr
(Amos 2, 11 s.). Wer wollte (oder: wenn er wollte), den machte
Jerobßiim zum Priester, drückt sich der deuteronomische Bearbeiter
des Königsbuches aus (1. Reg. 13, 33). Ein historisches Beispiel
dazu liefert der junge Samuel, wie er in der Jedenfalls auf ephrai-
mitischen Zoständen der Königazeit fussenden Jugend geschichte
Dia PrieNipr im<] i.e\
133
. Swn- 1 — 3 ersulieint, Aue einer wolhabonrieii bürgerlichen Familie
I KU Rama in <ler Landschaft Suph Ephraim gebürtig, ist er von
t seiner Mutter schon vor der fiebuil dem Jahve versprochen
1 (Hat. 3, 3]) und dann sobald es irgend möglich dem Heiligtnm
Izu Silo übergeben, und zwar nicht etwa zum Naziräer oder
|I4athinäer im Sinne des Pentateuchs, sondern zum Priester, denn
f»ls n"^B"C trägt er den linnenen Priesterrock, das Ephod Bad und
Ifogar d^ Pallium. Sehr deutlich erhellt dabei, dass es als eine
f Verzicht leistung auf die Rechte der Familie betrachtet wird, wenn
lilie Mutter den Knaben, der eigentlich ihr gehört, des Gelübdes
Ivegen dem Heiligtum abtritt und ihn, wie sie sich ausdrückt, für
■■immer dem Jahve leiht (1. Miim. 1, 28 ';sii2K' = 'jNB'lD). Dasa
■ Samuel von seinen Eltern gewidmet wird und sich nicht selber
Iwidmet, begründet natürlich keinen erheblichen Unterschied; das
Ittue steht auf gleicher Linie mit dem anderen und wird neben
Bdem anderen voi^ekonimen sein, wenngleich seltener. Umgekehrt
■ ist es aber auch schwerlich die Regel gewesen, dasfl jemand nicht
I bloss Eltern und Brtidei', süiidern auch Weib und Kinder dahinten
um der Priesterschaft beizutreten; das wird Üent. 33, 9 nur
l^s extremes Beispiel der Anfopferungsrähigkeit angeführt. Auf
ti«inen Fall darf man daraus auf gefordertes Cölibat schliessen,
Baondem nur darauf, dass das Priestertum hänfig kaum ilon Mann,
Bschweige denn seine Familie ernährte.
So fest und bedeutend, so selbständig und abgeschlossen muss
1 der Entstehungazeit des Segens Moses der Priesterstand gewesen
^in, dass er eine eigene Stelle neben den Stämmen des Volks
WDliimmt, gleichsam selbst ein Stamm, aber nicht durch das Blut,
^nderu durch geistige Interessen verbunden. Seine Bedeutung
^hellt auch aus der Opposition, die er lindet und die zu einer
I lebhaften Verwünschung seiner Gegner Anlass gibt, dass man
■glaaben sollte, wer sie nieilerschrieb , sei wol selbst ein Priester
. Worauf die Feindschaft beruht, wird nicht gesagt; es
icheint aber, als richte sie sich einfach gegen die Existenz eines
^mfsmässigen und fest oi^anisirten Klerus und gehe vou Laien
hlOB, welche die Rechte der alten priesterlosen Zeit festhalteu.
Neben dem Segen Moses enthalten die Heden Hoseas das wich-
ste Material liii* die Würdigung des noi^ltsraelitischeu ?ri|3Ster-
Die grosse Bedeutung desselben für das öffentliche Leben
feeht auch ans seinen Äus,serungen hervor. Die Priester sind die
134
Gesrhirhie ripB Kultiic, Kap. 4.
geistigen Leiter des Volkes; der Vorwurf, dass sie ihren hofcl^^
Beruf nicht erfüllen, beweist Eunächst, dass sie ihn habea. Aus-
ßoartot sind sie alk'rdin^, sie erscheinen bei Hosea in einem ähn-
lichen Lirhte wie die Söhne Elis nach der Beschreibung 1. Sam.
2, 12 SS., zu der vermutlich der Verfasser die Farben aus Ver-
hällniBsen entlehnt hat, die ihm näher lagen als die der Richter-
Keit. Die Priestor von Sichern werden von dem Propheten sopar
offenen Strassen raubea bezichtigt (ß, 9), und alle mit einander
klagt er sie an, tiuss sie ihr Amt in schnöder (iewinnsucht aus-
beuten, dessen heiligste Pflichten vernachlässigen und auf diese
Weiße an dem Ruin des Volks die Hauptschuld tragen. „Hört
Jahves Wort, ihr Kinder Israel, denn Jahve hat zu hadern mit
den Landesinsasaen ; denn es ist keine Treue und Liebe und Gottps-
kenntnis im Lande. 2. Schwören und lügen und morden und
stehlen und ehebrechen, sie üben Oewalt und reihen Mord an
Mord! 3. Darum trauert das Land nnd welkt alles was darin
wohnt, bis auf das Wild des Feldes und die Vögel des Himmels,
lind auch die Fische des Meeres werden hingerafft. 4. Doch
schelte nnd tadle nur niemand, denn das Volk macht es wie ihr,
ihr Priester! ö. Darum werdet ihr straucheln zuerst, nnd mit euch
die Propheten gleich hinterdrein und ich rotte aus. ... 6. Denn ihr
verachtet die Kenntnis, so will auch ich euch verachten, dass ihr
mir nicht Priester sein sollt, ihr habt die Lelire eures Gottes ver-
gessen, so wili auch ich ener vergessen! 7. So viel sie sind, so
sündigen sie gegen mich, ihre Ehre vertauschen sie gegen Schande;
8. meines Volkes Sünde essen sie und nach seiner Verechuldui^
tragen sie Verlangen, 9. so soll es wie dem Volke auch den Priestern
ergehn, ich ahnde an ihnen ihi'en Wandel und vergelte ihnen ihre
Taten')." Kaum geringer scheint hienach auch im Nordreiche der
geistige Einfluss der Priester auf das ^'olk gewesen zu sein, als
der der Propheten, und wenn wir in den historischen Berichten
weniger davon hören*), so erklärt sich das daraus, dass sie still
') 0«.4, l— Ö vgl. Kleiue Proph. 189S p. 109 b.
') Niich 2. Keg. 17, 27. '28 tsiirdfu die vou den AsEyrcru unch dem eul-
völkerten Samarien eingeführten fremden Kolonen Kiieret von Löwen ße-
fressen, weil »ie die richtige Verehrungsweise des LandesgotlflS nicht
liannteu. In Folge desüuu snodlc Kaarliaddon einen der eiilirteu sftina-
riarhen Priester bin, der seinen Sitz tn Brthel, dpm niten Hauptheiligtum,
aufschlug und die Ansiedler in der Religion des I.audeegottes unterwies
(miD)- Das setzt einen geschlossenen Priesterstand ■
sogar in der Verbannung längere Zeit erhielt.
Die Priester unil Uviten, 135
tind regeltnÜRsig in Ideinen Kreii^en wirkten, unpolitisch und der ge-
gebenen Ordnung Untertan, und dass sio darum niclit 90\iel Auf-
Behen und weniger von sich reden machten, als die Propheten, dia '
dnn:h ihr ausserordentliches und oppositionelles Eingreifen Israel
aufrcEiten, wie Elias und Elisa.
4. In Juda war der Ausgangspunkt der Entwickotuug der \
gleiche wie in Israel. Die Meinung, hier habe sich das echte mo- i
s&ische Priestertum von Gottes Onadcn erhalten, dort dagegen sich ,
ein schismatisches Priestertum von des Königs und der Menschen '
Gnaden eingedrängt, ist die der späteren Judäer, die das letzte I
Wort und darum Recht beliielten. Die Bne Siidok von Jernsalein '
waren gegenüber den Dne Eli, die sie verdrängten, ursprünglich j
illegitim — wenn mau diesen in jener Zeit völlig unbekannten
Begriff anwenden darf — und hatten ihr Recht nicht von den
Vät^-rn her. sondern von David und Salomo. Sie blieben immer
• Abhängigkeit, sie wandelten, wie es 1. Sam. 2, 35 aus-
gedrückt wird, vor dem Gesalbten Jahves allezeit, als dessen '
Diener nnd Beamte. Den Königen war der Tempel ein Teil ihres
I'alastes, der wie 1. Reg. 7 und 2. Reg. 11 lehrt auf dem selben '
Hügel lag und unmittelliar daran stiess; sie legten ihre Schwelle
neben Jahves Schwelle und setzten ihre Pfosten neben die seinigen, i
I nnr die Wand zwischen Jabvo und ihnen lag (Ezech. 43, S).
Den ofTicicIlen Kultus gestalteten sie ganz nach ihrem Belieben
nnd hielten seine Bewirtschaftung, wie es wenigstens nach den
Regesten des Königsbuches scheint, für das Hauptgeschäft ihre
Re^emng. Sio fülirten neue Gebräuche ein und schafften alte ab, ,
-die Priester fügten sich dabei stets ihrem Willen und waren nur
,ihre ansführemlen Organe'). Dass sie auch opfern durften, ver-
steht sich, sie taten es jedoch nur ausnahmsweise, etwa zur Ein-
weihung eines neuen Altars (2. Reg. IG, 12. 13). Erst Ezcchiel '
jrotestirt gegen die Behandlung dos Tempels als einer königlichen |
Dependenz, bei ihm ist die Prärogative des Fürsten dahin zu-
sammengeschrumpft, dass er den öffentlichen Kultus auf seine
Kosten unterhalten moss.
IDer l'ntei-schied zwischen dem jadäischen und israelitischen
Priestertum wjir nicht von Anfang au vorhanden, sondern ent-
')V.
xiUeUl noch Kap. Üi Ju«
136
Gciichlrhte den KtiltiiR, Ksp. 4.
I
I
stantl eifit durch den Verlanf der Geschichte. Den äusseren
inneren Vnruhen, dem raschen aufgeregten Treiben im Nordreich
steht das geschätzt« Stilüeben des Kleinstaats im Süden gegen-
öher. Dort warf der geschichtliche Strudel ausserordentliche Persän-
lichketten aus der Tiefe hervor, Usurpatoren und IVopheten, hier
befestigten sich die Institutionen, die auf das Bestehende gegründet
und von den bestehenden Mächten abhängig waren'). Am meisten
kam natürlich die Stabilität dem Königtum selber eu gut. Der
königliche Kultus, der im Reiche Samarieu nicht im staude war
den volkst jimlichen und unabhäng:igen zu verdrangen, bekam in
dem kleinen Juda schon früh ein fühlbares Cbergowicht; die
königliche PHesterschaft, welche dort gelegentlich in den Stura der
Dynastie verwickelt wurde, erstarkte hier zur seite des Hauses
David — schon Aliaron und Amminadab waren nach dem Priester-
kodex verschwägert wie in Wirklichkeit Jojada und Ahazia. Anf
diese Weise wurde schon früh der Uniformirung vorgearbeitet, wo-
durch Josias den königlichen Kultus zum alleinigen und offiziellen
machte. Als begleitende Folge seuier Maassregel ergab sich
natürlich die ausschliessliche Berechtigung der königlichen Priester-
Bchaft zu Jerusalem. Jedoch wai' die Erblichkeit auch bei den
übrigen priesterlichen Familien schon so durchgedmngen, dass ihnen
der Übergang zu profanem Berufe nicht zugemutet wurde. Der
deuteronomische Gesetzgeber hatte ihnen das Recht gegeben, ihr
Amt KU Jerusalem fortzusetzen mid dort für jeden, der ihre Dienste
in Anspruch nahm, zu fungiren; aber diese Bestimmung erwies
sich, dem Widerstreben der Bne Sadok gegenüber, im ganzen als
undurchführbar (2. Reg. 23, 9), wenn auch einzelne fremde Elemente
damals Aufnahme in den Tempeladel gefanden haben mögen.
Die Masse der ausser Dienst gesetzten Höhenpriester musste, da
sie ihren geistlichen Charakter schon nicht mehr los werden konnten,
sich zur Degradirung unter ihre Jerusalem ischen Brüder und zu
einer untergeordneten Teilnahme am Dienste des Heiligtums be-
quemen, vgl. 1, Sam, 2, 36. So entstand am Ausgange der vor-
exilischen Geschichte der Unterschied von Priestern und Levil
den Ezechiel sich bemüht zu legalisiren.
h) Die Etekubitcii,
und Jeremias w
r
lie im Nordreiche eutstanden, orhielti
ssai^ ihnen, e§ solle Uineu nie febli
s d«r Familie des Stifterd (35, 19).
be- '
vo r- I
HI.
Mit ilpn erkennhjiren Stufen der hislorisrhen Entwickelung
1 Schichteu des Pentateui^hs in Parallele zu stellen, gelingt hier
D ganzen leicht. In rtw jeliovistischen Gesetzgebung (Exoi). 20^ 2S.
Kap. 34) ist von Priestern nicht die Rede, und auch solche Gebote
jrie: du aolbt nicht niif Stufen zn meinem Altare hinaufgehn, Ah-
mit nicht deine Scham davor «ich entblitsse (20, 26), werden an das
allgemeine Du, d. h. an das Volk, gerichtet. Dem entspricht, dass
iei der feierlichen Bundschliessung am Sinai (Exod. 24, 3— S) junge
Männer ans den Kindern Israel als Opferer amtiren. Anderswo
Jehovisten gelten Aharon (Exod. 4, 14. 32, 1 ss.) und Moses
[SS, 7 — 11. Deut. 33, 8) als die Anfänger des Kloras. Zweimal
Bxod. 19, 22. 32, 29) werden noch andere Priester neben ihnen
K^natint; aber Exod. 32, 29 steht auf dem Boden des Deuterono-
ninms, und auch Exod. 19, 22 gehurt schwerlich zum ursprüitg-
jÜchen Bestände einer der jehovistJaehen Quellen.
Im Deuteronomium nehmen die Priester neben dem
lichter und den Propheten eine sehr hervorragende Stellnng ein
[16,18—18,22) und bilden einen in zahlreichen Familien erb-
lichen Klerus, dessen Privilegium nicht bestritten wird und darum
auch nicht geschützt zu werden braucht. Hier nun tritt zuerst
mit Regel mässigkeit der Name Leviten für die Priester auf, dessen
(bisher aufgeschobene Besprechung hei dieser Gelegenheit nachgeholt
Iverden soll.
In der vorexilischen Literatur ausserhalb des Hexateuchs findet
mvt sich sehr selten. Bei den Propheten zuerst ein einziges mal im
Meromiaabuche (33, 17 — 22), in einer Stelle, die jedenfalls spüter
t als die chaldäische Eroberung Jerusalems und gewiss nicht von
[Jeremias hen-ührt '). Gesichert ist der Gehrauch des Namens bei
izechiel (a. 583), und nun reisst derselbe bei den späteren Pro-
Jpbeten nicht ab, zum Zeichen, dass das frühere Fehlen nicht als
Unfall zu erklären ist, zumal bei Jeremias, der so häufig von den
üestem spricht'). In den historischen Büchern kommen Leviten,
') lu der öeptuaginta fehlt 33, M— üt), AiiffalleDd ist der Pwnlleliamus
T. 17—32 mit V. 23—36. Es scheint, als spieu David und Levi Midver-
st&ndnig der beiden Geschlechter von r. 24, nämlich ■huhu und RphraiiiiN.
Jedenfalls ist "ini v. 26 inlerpolirt.
, 48, 11 — 13.22.31.
21.
138 Geschichte des Kultus, Kap. 4.
abgesehen von 1. Sam. fi, 15. 2. Sam. IT», 24 und 1. R
12, 'iV), nur vor in deu boiden ÄnLäuj^cn zum Richlerhuchfl
(Kap. 17. ]S und Kap. 19. 20), von denen jedoch der letztere un-
historisch und spät ist und mir der eretere ohne Zweifel vor-
exilisi'h. Hier alior handelt es sich nicht wie sonst um diu Le-
viten, sondern um einen Leviten, der als grosse Iturität gilt
und vom Stamme Dan, der keinen h«!, geraubt wird.
Dieser Jonathan nun, der Ahnherr des Priostergeschlechtes
von Dan, wird, obgleich judäischon Geschlechts, von Gersou dem
Sohne Moses abgeleitet (Jud. 18, 30). Das andere alte Priester-
geschleeht, das in die Richterzeit htnaufreichl, das ephraimitlsche
von Silo, scheint gleichfalls mit Moses in Verbindung gebracht stt
werden; wenigstens wird in der allerdings nachdeuteronomischen
Stelle 1. Harn, 2,27, wenn Jalive sich dem Vaterhause Elia in
Ägypten geolfenbart und dadurch zu der Begabung desselben mit
dem Priestortum deu Grund gelegt haben soll, doch wol an Moses
als den Emplanger der Offenbarung gedacht. Mit historischer
Wahrscheinlichkeit iässt sich die Familie auf Phinehas znrücfc-
ffihren, der in der frühen Richterzeit Priester der Lade war und
von dem das Erb}j;ut auf dem üebii^a Ephraim und ebenso der
zweite von Elis Söhnen den Namen hatte: es ist nicht anzunehmen,
dass er nur der Schatten seines jüngeren Naraensgenossen sei, weil
der letztere noch vor dem Vater starb und neben demselben keine
Bedeutung hatte. Phinehas aber ist nicht nur im Priesterkodes,
sondern auch Jos. 24, 33 (E) der Sohn Eleajiars, und dieser ist
awar nach der maassgebenden Tradition ein Sohn Aliarons, jedoch
in der Aussprache Eliezer neben Gersou ein Sohn Moses. Zwischen
Aharon und Moses Ist im jehov istischen Pentateach kein grosser
Unterschied; wenn Aharon im Gegensatz zn seinem Bruder als der
Levit charakterisirt wird (Exod. 4, 14), so führt andererseits
Moses den pries ter liehen Stab, ist der lieiT des Heiligtums und hat
dabei den Jusua zur seite, wie Eli den Samuel (Exod. 33, 7 — 11).
Er hat offenbar die älteren Ansprüche ; in der jehovistischeu Ilaupt-
') Tber I. Sam. B, 15 ist auf p. 125 und über 1. lieg. 8, 4 auf p. 44». das
Nütige ttemerkt norden. Dai<ä 1. Iteg. 12,31 von dem deute ronoiniachen
Bearbeiter herrührt, der nicht vor der zweiten Hälfte des Exils ge-
scfarishen bat, bedarf keines Beweises. Die totale Eorraptiun tun
2. Sum. 15, 24 habe ich im Text der BScher Samuelis (Uöttingen 1871)
Die l'risRt« uufl l.oviten.
139
qnelle, in J, kommt Aharon ursprünglich üherhanpt nicht vor'),
. wie auch Deut. 32, H nicht an ihn gedacht wird. Noch in den
I Genealogien des Priesterkodox heisst der eine Ilanptasi des Stammes
I Levi Geraon wie der älteste Sohn Moses, nnd ein anderer wich-
tiger Zweig lieisst geradezu Muschi, der Mosaische.
Nicht unmöglich, dass wirklich in der Familie Moses das
beilige Amt sich fortpflanzte, nnd sehr wahrscheinlich, dass die
I beiden ältesten Erhgeschlechter zu Dfin nnd zu Silo im Ernst den
I Anspruch machten, von ihm abzusUmmen. Hinterher verehrten,
■wie uns Deut. 33,8 as. gelehrt hat, alle Priester in Moses ihren
Yater. In Juda geschah das seihe. Alle Leviten zusammen bildeten
endlich eine Blutsverwandtschaft, einen Stamm, der zwar kein eigenes
, Land, dafür aber das Priestertum zum Erbteil empfangen hatte. Seit
dem Anfange der israelitischen Geschichte sollte dieser Erhklerus be-
{ standen haben, und zwar schon damals nicht beschränkt auf Moses
[ und Aharon, sondern gleich als ein zahlreiches Geschlecht. So ist
I die Vorstellung hei den späteren Schriftstellern, seit dem Dontero-
I nominm; doch wird im letzteren meist von dem Leviten in den
[jüdischen Provinzialstädten und von den Priestern den Leviten
f in Jerusalem geredet, von Gesamtleri nicht häufig').
Dass mau es hier mit Prädatirung zu tnn hat, ist bereits nach-
I gewiesen, namentlich an dem Beispiele der Söhne Sadok von
[ Jerusalem, die zuerst Parvenüs und hernach die legitimsten der
I legitimen waren. Aber höchst sonderbar ist es, wie diese künst-
' liehe Bildung eines geistlichen Stammes, die an sich durchaus
') Am besten liast ea sich in Exod. 7 — 10 nachweisen, dtLss Ah»ron in J
uicht Urs prall gl ich, somleni erst durch deu Bearbeiter, der J und K KU
JE Torband, hineingebracht ist Der Befehl Johvps, vor PJiarao tn
I treten, ergeht nfimlich in J immer an Moses allein (7, 14. 3li. S, It!.
9, 1. 13. 10, I); nur im weiteren Verlauf eraclieint dnueben viermal
Aharnn, uämlii^b immer in dem Falle, wenu Pharao in der Not Mu^es
nud Aharon holen Ijlsst, um ihro Fürbitte in Anxprucb xu nehmen.
Merkwürdigerweise aber wird hinterher wieder Aharon vüllig i^orirl,
Moses antwortet allein, redet nur in seinem, nicht zugluich in Aharons
Namen (8, 5. 32. 25. 9, 29), und obwol er selbander gekommen, geht er
doch im ISinguUr wieder foK und bittet im Singular (8, 8. 36. 9, 33. 10, 18):
der Wechsel des Numenis in 10, 17 ist unter diesen Umständen Ter-
dlobtig genug. Es scheint als ob der jchovistische Bearbeiter gerade
bei der Fürbitte die Assistenz Aharons für angemessen gehalten habe.
>) 10, 8s. 18,1. An eini|(Gn ätellen des Deuteninomiiuns scheinen die
levitischcn Priester erst dtirch eine spSterc Bearbeitung iiucti getragen m
«ein: vgl. die Compos. des HexaL 1899 p. 357». 35i). Auch Ilt 18,2
und 18, ,'i scheint einer späteren Hedaclion aniugeh'"iren, desgleichen der
ganze Stamm Levi 18,1.
14<) GeBPliidilp d.'.s Kiiltiic, Kap. 4.
nichts rätselhartea h»t, iladurch tmliegelegt UDd hegünstigt '
dass es in grauer Vorzeit einmal einen wirklichen Stamm Levi
gegeben hat, iler schou vor «ter Entstohung des Königtums nnter-
gegangen ist. Er gehört zu der Ciruppe der vier ältesten Söhne
Leas, Ruhen Simoon Levi Juda, dio immer in dieser Reihenfolge
zusammen aufgezählt werden und zu beiden Seiten des tuten
Meeres sich ansiedelten, gegen die Wfiste zu. Meriwüidiger weise
hat sich von ihnen allen nur Jnda zu behaupten gcwa»st., die
anderen lösten sich unter den Wflstenbewolmern oder unter ihren
Volksgenossen auf. Am frühesten erlitten die beiden Gen. 49 xa
einer Einheit zusammengefassteii Stämme Simeou und I,cvi dieses
Schicksal, iu folge einer Katastrophe, die sie in der llicbterzeit
betroffen haben muas. „Simeon und Levi sind Brüder, Mordwaffen
ihre Hirtenstäbe; meine Seele komme nicht in ihre (iesellsthaft,
meine Ehre sei fern von ihrer Rotte, denn im Zorn erwiii^ten sie
MSuner und zur Lust verhieben sie Rinder: verflucht sei ihr Zorn,
so heftig, und ihre Wut, so grausam — ich will sie verteilen
in Jakoli und zerstreuen über Israel!" Die hier gestrafte Untat
Simeons und Levis kann nicht gegen Israeliten gerichtet gewesen
sein, denn in diesem Falle würde der Gedanke gar nicht entstehu
können, der hier mit Nachdmck zurückgewiesen wird, dass Jakob
d. i. Gesamtisrael mit ihnen gemeinsame Sache machen konnte.
Es handelt sich also um einen Vreve! gegen die Kanaaniten. höchst
wahrscheinlich um den selben, der in Gen. 34 den beiden Brüdern
zur Last gelegt wird und von dem auch dort (v. SO) Jakob nichts
wissen will, dass sie nämlich trotz eines mit Sichem abgeschlossenen
l'riedens Vertrages die Stadt treulos überfallen und ihre Bewohner
niedergemacht haben. In Jud. 9 wird erzählt, dass Sichern, bis
dahin eine blühende Stadt der Kanaaiiiten, mit denen sich übrigens
schon israelitische Elemente zu mischen begannen, von Abi-
melech erobert imd zerstört sei: damit kann man jedoch die Zer-
störung durch Simeon und Levi auf keine Weise zusammenbringen,
dieselbe muss früher stattgefunden haben, wenngleich auch iu
der Richterperiode. Die Folgen ihrer Tat, die Rache der Kanaaniten,
haben die beiden Stämme allein zu tragen gehabt; Israel hat sich
nach der Andeutung Gen. 49, ü. 34, 30 nicht bewogen gefühlt für
sie einzutreten und gemeinschaftliche Sache mit ihnen zu machen.
So sind sie zersprengt und haben sich aufgelöst, und damit ist
ihnen nach der Meinung ihres eigenen Volkes ganz recht ge-
141
I mehr
■ Beliehen. Li den gescliit^htlichen Bücheru ist von ilioen i
I die Rede').
Es ist eine baare Lliimöglichkeit, dioseu Levi der Genesis,
I den BruiW Simeons, als einen blossen Reflex der Kaste anzusehen,
welche gegen Ende tier Königsaeit aus den verechiedenen Priester-
1 Tamilien Judus zusamaiäugewachsen ist. Der Spruch (Jen. 49, 5 — 7
[ eetzt ilie beiden Brüder völlig gleich und legt ihnen einen sehr
weltlichen blutdäi'stigen Charakter bei. Keine Ahnung von dem
heiligen Bemfe Levis und seiner dadurch bedingten Zerstreuung,
dieselbe ist ein Flucli und kein Segen, eine Vernichtung und keine i
Bestätigung seiner Besonderheit. Ebenso unmöglich aber ist es
die ICaste aus dem Stamme abzuleiten, es existirt kein realer Zu-
I sammenbang zwischen beiden. Es fehlen alle Mittelglieder, der
I Stamm ist Mb untergegangen und die Kaste sehr spät entstanden,
I nachweisbar ans freien Anfängen. Unter aotanen Umständen ist
[ nun aber die Obereinstimraung des Namens höclist rätselhaft:
I Levi, der dritte Sohn Jakobs, vielleicht einfach das Gentile seiner
I Hutter Lea, und Levi der Beruf9j)rie8ter. Wenn es anginge, den
I letzteren Sprachgebrauch aus der appellativischen Bedeutung der
I Wurzel herzuleiten, naturlich mit Evidenz, so würde man an
[Zufall glauben können; aber das ist nicht möglich. Man ist darum
[ «nf den Ausweg verfallen, die gewaltsame Auflösung des Stammes
1 in der Richterzeit habe die einzelnen Leviten, die nun kein Land
I mehr hatten, dazu veranlasst, sich ihren Unterhalt durch Ver-
waltung des Opferdienstes zu erwerben; dies habe sieb ihnen
I darum nahe gelegt und sei ihnen deshalb gelungen, weil einst
Moses der Manu Gottes zu ihnen gehört nnd ihnen ein gewisses
Vorxugsrecht auf das heilige Amt vererbt habe. Aber es gab da-
\ malfi keine Menge von unbesetzten Priesterstellen, und ein solcher
I Alasseuüb ergang der LeWten zum Dienste Jahves in jener alten Zeit ist
l* bei der Seltenheit grösserer Heiligtümer eine sehr schwierige Annahme.
l Richtig ist es vielleicht, dass Moses wirklich aus Levi stammt und '
I dass von ihm aus die spätere Bedeutung des Namens Levit zu er-
[ Iclären ist. In der Tat scheint derselbe zunächst nur auf die Nach-
I kommen nnd Verwandten Moses augewandt und erst später auf
L die Priester überhaupt übertragen zu sein, die dem Blnte nach
\ nichts mit ihm zu tun hatten, aber alle mit ihm als ihrem Ilanpte
') rompiis. (i. Hfxit. 1899 p. 3'.
142
Geschichte des Kultns, Kap. 4.
in Znsamnuinliang steliii wolUen. Über Vei'mutuiiijen wird ii
liiiiauskommeii. Die richtigun Erbpriesier, ileren es anfani^ä nur
sehr wenige gab, waren vietleiclit zumeist zugleich mit ilen Altären
von den Kitnaaiiitern übemoiunien, womuf die Tatiwiche führt, dass
uuch später die Leviten niclit zum israelitischen Geschlei^Utsverbiuiil
gehörten, sonden Gerim (Schutzgeuossen) wiiren').
3. Während im Deuteron omi um der geistliche Stamm des
Leviten (10,8a. 18, 1. Jos. 13, 14, 33) noch bescheiden auftritt,
wii-d im Priesterkodex massiver Ernst damit gemacht; der Stamm
Levi (Num. 1, 47. 49. 3, 6. 17, 3. 18, 2) wird von den übrigen
Slümmen dem Heiligtum übergeben, nach dem genealogischen
System seiner Familien katalogisirt, zählt 22 00) männliche THit-
giimler und ei'hält sogar auch eine Art ätamnigebiet, die 48 Leviten-
städte (Jos. 21). Einen mit dieser Verbreiterung des Klerus zu-
sammenhängenden, aber noch viel bedeutenderen Sehritt vorwärts,
den der Priesterkodex tut, haben wir bereits am Anfange des
Kapitels besprochen: während os sich bisher immer nur ei-st um
die Scheidung des Klerus von den Laien handelt, wird hier jene
grosse innere Zwieteiluug desselben eingeführt, in Aliaroniden und
l>eviten. Nicht bloss im Deuteronomium, sondern überall im Alten
Testament abgesehen von Esdrae Nehemiae und Chronik ist Levit
der Ehrentitel des Priesters*) — Aharon selber wird in der öftere
angeführten Stelle Exod. 4, 14 so genannt und zwar um datlurcU
seinen Beruf, nicht seine Familie zu bezeichnen, denn die letztere
hat er mit Moses gemein, von dem er doch durch das Bei-
wort dein Bruder der Levit unterschieden werden soll. Im
Deuteronomium aber fallt es auf, da^s mit eiiter aiisichtUcheo
Emphase die gleiclie Berechtigung aller Leviten znm Opferdienste
in Jerusalem statuirt wiid; „die Priester die Leviten, der ganze
Stamm Levi, sollen nicht Teil noch Erbe haben mit Israel, die
Opfer Jahves und sein Erbteil sollen sie essen — und wenn ein
Levit aus irgend einer Stadt von ganz Israel, wo er wohnt, kommt
zu dem Orte, den Jahve erwählen wird, so darf er im Namen
I
L
') Vgl. Reste Arab. Heidontiims 1897 p. 31.
=) Exod. 4, 14. Deut 33, 8, Jud. ITs. — Exod. 32, 2G-2a, Heul. 10,8 8.
12, 12. 18s. I4,a7. 29. 16, 11. 14. 17,9. 18. 18, 1—8. 24,8. 27,9. 14.
31,9.25. Jos.3,3. 13,14.33. 14, 3a. 18,7. Jud.lSs. l.Saui.6.15.
1. Reg. 12, 31. Hier. 33, 17—22. Ewch. 44, 8 ss. Isa. 60, 21. Zach. 12, 13.
.3,3. — Nur die Glossen 2. Sam. 15, -24 und I. Reg. 8,4
(vgl. jedoch 2. Chrou. 5, 5) mügen aul dem Priualerliodes beruhen:
iDil Levileii,
143
Jahves seines Gottes fungircn so gut wie die Leviten, die daselbst
vor Jahve stehii" (18, 1, 6. 7). Der fiesetzgeber hat liiebei seine
Bauptmaassregel vor Augen, nämlich die Abschaffung iiller KuUua-
Btätten bis auf den Tempel Salomos; die bisherigen Priester der-
selben durften damit nidit brotlos werden. Darum legt er es auch
so oft und so dringend den l'rovinzialen an Herz, sie sollten bei
ihren Opferwall fahrten nach Jerusjilem den Leviten ihres Orts
nicht vergessen und ihn mitnehmen. Dies ist nun für das Ver-
ständnis der folgenden Entwickclung insofern sehr wichtig, als man
sieht, wie durch die Centralis! rung des Gottesdienstes die nicht-
jerusalemischen Leviten in ilirer Stellung bedroht waren. Tat-
sächlich erwies sich die gnte Absicht des Deuteronomikers als un-
durchiulirbar, mit den ßamoth fielen auch die I'riester der Bamoth.
Sofern sie überhaupt noch am heiligen Dienste teilnalimon, mussten
sie sich eine Unterordnung unter die Söhne Sadoks gefallen lassen
(2. Reg. 23, 9). Mit Recht vielleicht hat hierauf Graf die Weis-
sagung 1. 8am. 2, 36 bezogen, dass dermaleinst zu dem Feslge-
gröndoteu königlichen Priester die Nachkommen des gestürzten
Hauses Eli kommen würden, ihn um ein Almosen anzugehn, oder
zu sa^n : füge mich ein in eine der I'riesterschailen, um ein Stück
Brot zu essen ; dass geschichtlich die abgesetzten I/eviten mit jenen
alten Schicksalsgenossen nicht allzu nahe zusammenhingen, kann
jegen die Deutung bei einem nacbdeut«ronomischen Schriftsteller
leine Bedenken erregen. Auf diesem Wege entstand, als eine ge-
setzwidrige Folge der Reformation Josias, der Unterechied von
Priestern und Leviten '). Für Ezechiel ist derselbe noch eine Neue-
rung, die gerechtfertigt und sanktionirt itu werden bedarf; für den
Priesterkodex „eine ewige Satzung", obgleich doch noch nicht so
ganz nuangef echten, wie aus der letzten Bearbeitung der Erzählung
von der Rotte Korah erhellt. Für das Judentum seit Ezra und daduiTh
für die christliche Tradition ist auch hier der Priesterkodex raaass-
gebend geworden. Statt der douteronomischen Formel die Priester
die Leviten heisst es fortab die Priester und die Leviten,
namentlich in den Übersetzungen wird der alte Sprachgebrauch
mehrfach korrigirt*).
') Beieicbneod siaA Ntklneu wie Libsi, Hetirooi, Korhi fnr die ahge-
seilten Priester der iücÜ Beben Landsctiafl; Ttrl. die Cumnos. des Uexnl. 1S99
p. 183.
') Z. B. .Sejituag. Jos. 3, 3. Isn. CG, 21 ; Hierwi. [K'uL 18, 1. Jiid, 17, 13; Syr.
an vielen Stellen.
Geschichte ilos Kultus, Kap. 4.
Es ist telinek'li für uiiseron Zwoolt und dariini nicht ungp-
hörig an dieser Stelle, die Dardtfühniiig der neuen Organisation
des Tempelpersonals nach dem Exil zu verTolffen. Mit Zerababel
und Josua kehrten a. 1)38 vier l'riestergeschlechter aus Babylon
zurück, zusammen 4289 Köpfe stark (Esdr. 2. 36— 39). luit Ezra
kamen a. 458 noch zwei Geschlechter hinzu, deren Z.ibl nicht an-
gegeben wird (8, 2). Von Leviten zogen das erstemal 74 mit
(2,40), das üweitemal befand sich unter den 1500 Männern, die
sich auf dem von Ezra bestininiteii Sammelplatz eingefunden hatten
um die Reise durch die Wüste anzutreten, anfangs kein einziger
Levit, und erst auf dringende ^'^oretelluiigen des Schriftgelehrten
wanlen endlich noch einige dreissig bewogen sich anzuschliesseu (8,
15 — 20). Wie ist dies Übergewicht der Priester über die Leviten zu
erklären, das auch dann noch auffallend bleibt, wenn man die ?ost«n
nicht für genau vei^leichbar hält? Sicherlich nicht auf grund eines
tausendjährigen Bestehens der Verhältnisse, wie sie im Prieater-
küdex und in der Chronik erscheinen. Dahingegen vereehwindet
das Rätselhafte, wenn die Leriten die degra<lirteii Priester der
Judäischen Bamoth waren. Diese waren wot überhaupt nicht zahl-
reicher als das Jerusalem! sehe Kollegium, und auf keinen Fall
konnte die Aussicht, in der Heimat fortab nicht mehr opfern,
sondern nur schlachten und waschen zn sollen, für sie suhr ver-
lockend sein; man kann es ihnen nicht vertlenken, dass sie keine
Lust hatten, sich freiwillig zu Handlangern der Söhne Sadoks zu
erniedrigen '). Ausserdem wird man anneinnen dürfen (p. 12ä),
Anas doch anch manche ursprünglich nicht flazu gehörige (nament-
lich levitische) Elemente es damals verstanden sich in die salomo-
nische Priesterschaft einzudrängen; dass es nicht allen gelang
(Esdr. 2, 62), beweisst, dass es manche versuchten, und bei der
Leichtigkeit, mit der man damals altersgraue Stammbäume schuf
und anerkannte, wird auch nicht jeder Vei-such misglückt sein*).
I
/ Z*ci(e\ diirau, üt das VuricJchnis Kad. -2 .si
Kückkehr aus dem Exil unter Cynis ln'/i.lii
und oll schon damalB der von Ezechii-l ^< ti>
{'riestum uad Leviten durchdrang, wrnl.'ii
Malachi (2,4) noch die Zuaätte irn ln-iilin
nl« faktisch bestellend keuuei
Zeit iler eraten
An/. I8»7|i, iM)
-cliied KwiBcbeii
gl , itasii «udvr
si'u Cnterscbied
W'alirln'it SL-Iieiut er erst von Kiru
und Nehemia durchgeführl zu sein, bei der damaligeD definitiven Neu-
or<lnung der Theokratie auf Oruud des Priesterkoitei.
') Vgl. Isr. und jüd. Geschichte 1897 p. 191.
Die Priester und Leviten.
145
Wodurcli ist es denn aber nun (;;ekominen, dnss in der Folge-
', wie in»n aus den Angaben der Chronik schliessen mnss, das
I Verhältnis der Leviten zu den Priestern der gesetzlii:hea Proportion
Ivenn auch nicht ganz, so doch mehr entsprach? Einfach durch
I Levitisirnng fremder Geschlechter. In dem Verzeichnis Ead. 2.
■Heb. 7 werden die Leviten noch nnterschieilen vun den Sängern
I Torwächtern und Nethinim. Aber der Unterschied hatte keine fak-
I täsuhe Basis mehr, nachdem einmal die Leviten auch zu Tempel-
1 dienern degradirt und zu Nethinim der Priester geworden waren
I (Num. 3, 9). Wo daher der Chronist, der zugleich der Verfasser
I 4er Bücher Esdrae nnd Nehemiae ist, nicht ältere Quellen wiodor-
I gibt, sondern frei schreibt, da betrachtet er auch die Sänger und
I die Torwächter als Leviten. Durch künstliche Genealogieen sind
I die drei Sängergesclüecliter Heman Asaph und Ethan von den alten
Bievitischen Geschlechtem Kehath Gerson und Merari abgeleitet
|.(1. Chron, 6, 1 ss,), wobei mit dem Material nicht gerade wählerisch
I.Yerfifthren wird, s. Graf a. 0. p. 231 , Ewald III p. 380s. Inwieweit
I äer I'nterschied der Nethinim gegen die Leviten späterhin aufrecht
I erhalten wui-de (Jos. 9, 21. 3. Esdr. 1, 3. Esdr. 8, 20), ist nicht klar.
Es wäre nicht übel, wenn die Absicht Ezechiels, die Ausländer aus
dem Tempel zu verbannen, in der Weise erfüllt wäre, ds8S diese
heidnischen Hieroduleu, die Meunäer ?<ephisäor Salmäer und wie die
fremdartigen Namen Esdr. 2, 43 ss. sonst noch lauten, auf dem be-
■ liebten genealogischen Wege in den Stamm I^evi Aufnahme ge-
ftinden hätten. Ein eigentümliches Sclilaglicht auf die Richtung,
in der sich die Dinge entwickelten, wirft die Tatsache, dass die
Sänger, die zur Zeit Ezras noch nicht einmal Leviten waren, später
sich schämten es zu sein und wenigstens änsserlich den Priestern
i;l eichgestellt werden wollten. Sie baten den König Agrippa II.,
I ihnen vom Sjiiedrium die Befugnis zu erwirken, dass sie das weisse
Priestergewand tragen dürften ').
4. Der Schlnssstcin des heiligen Gebäudes, welches die Ge-
BeUigebnng des mittleren Pentateuchs aufrichtet, ist der Hohe-
priester. Wie über den Leviten die Aharoniden, so erhebt sich
Äharon selber über seinen Söhnen; in seiner Person gipfelt die
einheitliche Ausgestaltung des Kultus, wie sie durch das Deutero-
, Kueiien, Godsdieust II
14Ö
Geschichte dos Kultus, Kap. 4.
nomium uud Josiaa angebahnt worden ist. Eine Fignr von fl^*
nnvergleichlicher liedentung ist dem übrigen Alteu Testamente
fremd, selbst Ezechiel kennt noch keinen Hohenpriester mit emi-
nenter Heiligkeit. Schon vor dem Esil war allei'dings der Tempel-
dienst zu Jerusalem so grossai'tig und das I'ersonal 30 zahlreich.
dase eine geregelte Ämterteiliing und abgestufte Rangordnung eine
Notwendigkeit war. Zur Zeit Jeremias bildeten die Priester eine
in Klassen oder Geschlechter eingeteilte Genossenschaft, mit Ältesten
als Vdrstehern: der oberste Priester hatte in der Anstellung seiner
niederen KoUegeu einen bedeutenden Eiuflnss (1. Sam. 2, 36):
neben ihm standen der zweite Priester, der Schwelleuhüter, der
Wachtoberst als vornehme Chargen '). Aber im Gesetz nimmt
Aharon keine bloss oberste, sondern eine einzigartige Stellung ein,
wie der römische Pontifex gegenüber den Bischöfen; seine Söhne
fungiren nnter seiner Aufsicht (Num. 3, 4), der einzige vollberechtigte
Printer ist nur er, die Koncentration des Heiligen in Israel. Er
allein trägt die Urim und Thummim und das Ephod: der Priester-
kodex weiss zwar nicht mehr was es damit für eine Bewandtnis
hat und er konfundirt das Ephod Zaliab mit dem Ephod Bad,
das überzogene Gott^bild mit dem P liest eriib erzieh er; aber die
trüben lleminisceiizen dienen dazu, Ahnrons majestätischen Ornat
noch magischer zu ge.stalten, Er atleio darf in das Allerheil igste
eindringen und dort das Räucheropfer bringen; der .sonst unnali-
bare Zugang (Neh. 6, lü, H) steht ihm am grossen Versöhnnngs-
tago offen. Nur in ihm berührt sich Israel unmittelbar, in einem
Punkte und in einem Momente, mit Jahve, die Spitze der Pyrs-
ramide ragt an den Himmel.
Der Hohepriester erscheint auf seinem Gebiete völlig souverän.
Bis auf das Exil, haben wir gesehen, war das Heiligtum Besitz
des Königs und der Priester sein Diener; sogar bei Ezechiel, der
im übrigen auf Emanzipation hinarbeitet, hat doch der Fürst noch
eine sehr grosse Bedeutung für den Tempel, an ihn werden die
') Der Euhl^n tia-ltoach findet sich zuerst 3. Sau. 15, 27, aber hier stamml
a'Nin (so statt n«nn) vou dem Interpolstor des t. 24. .Soditmi *3n
hyiirt 2. Reg. 13, 11, aber 2. Reg. 12 stammt vom Ver^ser von 2. Hag.
16, IQss. und Kap. 22 s. Sonst einfach der I'riester. — Vgl. übrigens
3. Reg. 19, 2. Hier. 19, 1. 2. Reg. 23, 4. 25, 18. Hier. 30, 1. 29. 25. 26. In
l.Sam. 2, 3fimuss nsnr Priesterschaft, Priesterordeu bedauten,
wegen 'jnSö ^''^^re micli ein.
Die Priester und Leviten. 147
Abgaben des Volkes entrichtet und er unterhält dafür den Opfer-
dienst. Dagegen im Priesterkodex werden die Abgaben direkt an
das Heiligtum entrichtet, der Kultus ist vollkommen autonom und
gibt sich seine eigene Spitze von Gottes Gnaden. Und nicht bloss
die Autonomie des Heiligen repräsentirt der Hohepriester, sondern
auch die Herrschaft desselben über Israel. Das Scepter und das
Schwert führt er nicht, nirgends, wie Vatke p. 539 treffend be-
merkt, wird ein Versuch gemacht, ihm weltliche Macht zu vindi-
ciren. Aber eben nach seiner geistlichen Würde, als oberster
Priester, ist er das Oberhaupt der Theokratie, und so sehr, dass
ein anderes neben ihm nicht Platz hat, ein theokratischer König
ihm zur seite nicht denkbar ist (Num. 27, 21). Er allein ist der
verantwortliche Vertreter der Gesamtheit, die Namen der zwölf
Stämme sind ihm auf Herz und Schultern geschrieben; sein Fehl-
tritt zieht Verschuldung des ganzen Volkes nach sich und wird
gesühnt wie der des ganzen Volkes, wälirend die Fürsten durch
ihre Sündopfer sich ihm gegenüber als Privatleute charakterisiren
(Lev. 4, 3. 13. 22, 9, 7. 16, 6). Sein Tod begründet eine Epoche;
nicht wenn der König stirbt, sondern wenn der Hohepriester stirbt,
tritt für den Flüchtigen Amnestie ein (Xum. 35, 28). Er empfängt
bei der Investitur die Salbung wie ein König und heisst darnach
der gesalbte Priester, er ist mit Diadem und Tiara geschmückt
wie ein König (Ezech. 21, 31), er trägt wie ein König den Purpur').
Was bedeutet es nun, dass die Spitze des Kultus — eben als
solche und nur als solche, ohne daneben mit politischen Befug-
nissen ausgestattet zu sein und in die Regierung einzugreifen —
zugleich die Spitze der Nation ist? Was anders, als dass die welt-
liche Herrsch'Bft dieser Nation genommen und nicht mehr ihre
eigene Sache ist, dass sie nur noch eine geistliche kirchliche Existenz
führt! Vor der Anschauung des Priesterkodex steht Israel in der
Tat nicht als Volk, sondern als Gemeinde; weltliche Angelegen-
heiten liegen dersell)en fern und werden von dieser Gesetzgebung
nie berührt, ihr Leben geht auf im Dienste des Heiligen. Es
ist die Gemeinde des zweiten Tempels, es ist die jüdische Hiero-
kratie, mit der Fremdherrschaft als Voraussetzung ihrer Möglich-
*) Clem. RecogTi. I 46: Aaron chrismatis compositione penmctus .... prin-
ceps populi fiiit et taraquam rex primitias et tributuin per capita accepit
a populo. Ibid. I. 48: chrisma per quod poutiticatus praebebatur vel
prophetia vel regnum.
10*
148
keit, die i
schichte des Kultus, Kiip. i.
Zwjir pfle^
lier eütgegen
der f^eschiuhtlichoa Realität llier^chie i
idealeu d.h. blinden Namen Theokratio zn bezeichnen; aiiei- wer
damit einen Unterschied der Sache gewonnen zu haben glaabt,
der belügt sich selber. Wer das fertig bringt, dem gelingt es dann
auch weiter, die hierokratisohe Gemeindeverfaasung in die mosaische
Zeit zu versetzen, weil sie das Königtum ausschliesst, nud dann
entweder die Geheimhaltung derselben während der ganzen Richter-
und KönigBzeit zu i>ebaupten oder mit dem Hebel der Fiktion die
gesamte überlieferte Geschichte aus den Angeln zu heben.
Für einen einigermaassen mit der Geschichte Vertrauten ist
es nicht nötig nachzuweisen, da»s die sogenannte mosaische Theo-
kratio, die in die Verhältnisse der früheren Zeit nirgends hinein
passt und von der die Propheten, auch in ihren idealsten Schilde-
rungen des israelitischen Staates wie er sein soll, nicht die leiseste
Spur einer Vorstellung haben, dem nai^hexilischen Judentum so
zu sagen auf den Leib geschnitten ist und nur da Wirklichkeit
gehabt hat. Damals hatten die fremden Herrscher den Juden die
Sorge für die weltlichen Geschäfte abgenommen, sie konnten und
mussten sich rein den heilten widmen, in denen man ihnen volle
Freiheit Hess. So wurde der Tempel der ausschliessliche Mittel-
[lunkt des Lebens und der Tempelfüi'st das Haupt des geistlichen
Gemeinwesens, dem auch die Verwaltung der politischen Angelegen-
heiten, so weit solche etwa noch der Nation überlassen wurden,
von selbst zuÜel, weil es überhaupt keine andere Spitze gab').
Der Chronist läsat den zwei mal zwölf Generationen zu vierzig
Jahren, welche man von der Befreiung aus Ägypten bis zum
Tempelbau Salomos und von da wiederum bis zur Be&eiung aus
Babylonien annahm, ebenso viele Hohepriester zur Seite gehu; die
Amtsdauer dieser Hohenpriester, von denen die Geschichte ti'eilich
nichts weiss, ist an die Stelle der Regierung der Richter und
Konige getreten, wonach ehedem gerechnet wurde (1. Chron. 5,298.)*).
') Vgl. übrigens Israel, und Jüd. Ooschichte 1897 p. 190, Der Hohepriester
war nicbt von vornherein such der Etboarch der nochexilischen Gemeinde,
soodem er wurde es erat in der Zeit nach Gzra und Nehemia. Es ist
bereits gesngt (p. 144 n. 1), dusa aucb damals erst der Interscbied
zwischen Leviten «nd Priestern wirklich durchgeführt wurde.
') Marc. 2, 26: iiA 'ABtdftap ^jupiui;. Das ist keine '\'erwecbslung mit
Ahimelech, sondern bedeutet: in dem nach Äbiathara Pontifikat benannten
Zeiträume.
Die Ausstattung des Klems. 149
Wie man in dem Omate Aharons, an dem übrigens die Urim
und Thummim fehlten (Neh. 7, 65), gewissennaassen die dem
Volke Gottes zum Trost für die verlorene irdische Hoheit ge-
bliebene transcendente Majestät verehrte, erhellt aus Sirac. 50 und
aus mehreren Angaben des Josephus, z. B. Antiq. 18, 90ss. 20, ßss.
(Hekat. bei Diodor 40, 3). Unter der griechischen Herrschaft wurde
der Hohepriester Ethnarch und Präsident des Synedriums; nur
durch den Pontifikat konnten die Hasmonäer zur Herrschaft ge-
langen, aber indem sie damit die volle weltliche Souveränetät
verbanden, schufen sie ein Dilemma, an dessen Folgen sie unter-
gingen.
Fünftes Kapitel.
Die Ausstattung des Klerus.
Die Macht und Unabhängigkeit des Klerus läuft parallel mit
seiner materiellen Ausstattung, hier wie dort lässt sich daher die
gleiche Entwickelung verfolgen. Ihre Stufen spiegeln sich in der
Sprache ab, in der graduellen Abstumpfung des eigentlichen Sinnes
der Formel die Hand füllen, welche zu allen Zeiten für die
Ordination gebraucht worden ist. Ursprünglich bedeutet das be-
vollmächtigen (Jud. 17), die Priester sind nicht das Subjekt,
sondern das Objekt dazu und erecheinen somit als Angestellte eines
über ihnen stehenden HeiTn, des Besitzers des Heiligtums. Später
füllt ihnen nicht mehr ein anderer die Hand, der das Recht hat
sie ein- und abzusetzen, sondern sie füllen sich auf Gottes 6e-
heiss selber die Hand; oder vielmehr sie haben das zur Zeit
Moses ein für alle mal getan, wie in dem mit dem Deuteronomium
gleichstehenden Einsätze Exod. 32, 26 — 29 gesagt wird. Sie sind
also nicht bloss das Objekt, sondern auch das Subjekt des Be-
voUmächtigens. Dass dies bei Lichte besehen, trotz 2. Reg. 9, 24,
ein Widersinn ist, sich aber erklärt aus dem Streben, das- Ein-
150
Gpsehic)it4> des Kultas, Kap. 5
^'reifen des frein<ien Sulijekts zu entfernen, lii-gt auf der Hund.
Zuletzt verliert die Formel vollständig ihren nrsprünglicheu Sinn
(bevollmächtigen) und bedeutet nur noch einweihen. Bei
Ezechiel wird nicht nur dem Priester, sondern sogar dem Altare
die Hand gefüllt (43,26); im Priesterkodex ist hauptsächlich das
Äbstractum milluim in Gebrauch, mit ausgelassenem Subjekt und
Objekt, als Name eiuer blossen Inauguratiunsceremouie, die mehrere
Tage dauert (Lev. Ö, 3S. Exod. 29, Sä) und wesentlich in der Darbrin-
gung eines Opfers von Seiten des Einzuweihenden iiesteht (2. Chron.
13, 9 vgl. 29, 31). Das Verbum bedeutet dann nicht mehr und
nicht weniger ab diese Ceremonie vollziehen, und das Subjekt ist
dabei ganz gleichgiltig (Lev. 16, 32. 21, 10, Num. 3. 3); nicht von
der den Ritus ausführenden Person hängt tlie Einsetzung ab, sondern
von dem Ritus selber, von der Salbung, Investitur und den übrigen
Formalitäten (Exod. 29, 29).
Dieser Wandel im Sprachgebrauch ist das Echo der realen
Veränderungen in der äusseren Lage des Klerus, die nunmehr
näher ins Auge zu fassen sein werden.
1.
1. Von den Opfern widmete man in alter Zeit einiges di
Gottheit, das meiste verwandte man zu heiligen Mahlzeiten,
denen man, wenn ein Priester vorhanden vau; natürlich auch
diesen in irgend einer Weise teilnehmen Hess, Aber einen ge-
setzlichen Anspruch auf bestimmte Fleischabgaben scheint derselbe
nicht gehabt zu haben. „Elts Söhne waren nichtsnutzige Leute
und kümmerten sich nicht um Jahve noch um Hecht und Pflicht
der Priester gegen das Volk; so oft jemand opferte, sq kam der
Knecht des Priesters — das sind hier die 22000 Leviten —, wenn
rlas Fleisch kochte, mit einer dreizinkigen Gabel in der Hand und
stach in den Kessel oder in den Topf, und alles was die Gabel
heraufl>rachto, nahm der Priester, So taten sie allen Israeliten,
die dort nach .Silo hinkamen. Sogar bevor das Fett geräuchert
war, kam der Knecht des Priesters und sprach zu dem Opfernden:
gib Fleisch zum Braten her füi- den Priester, er will kein gekochtes
von dir haben, sondern rohes, und sagte jener dann zu ihm: ei^t
soll das Fett geräuchert werden und dann nimm dir wie du willst,
so sprach er: nein, Jetzt gleich sollst du es geben, sonst nehme
d^^
Die Ausstattimg des Klerus. 151
ich es mit Gewalt*^ (1. Sam. 2, 12 — 16). Die Abgabe roher Fleisch-
stücke vor der Räucherung des Fettes gilt hier als eine unver-
schämte Forderung, welche geeignet ist das Opfer Jahves in Ver-
achtung zu bringen (v. 17) und den Untergang der Söhne Elis zur
verdienten Folge hat. Erträglicher ist es, aber auch schon ein
Misbrauch, dass sich die Priester gekochtes Fleisch aus dem Topfe
holen lassen, dabei nicht einmal das beste sich aussuchend, sondern
die Wahl dem Zufall überlassend; sie sollen abwarten, was man
ihnen gibt, oder sich damit begnügen, dass man sie zur Mahlzeit
einlade. Dagegen ist es nun im Deuteronomium „das Recht der
Priester an das Volk" (18, 3=1. Sam. 2, 13), dass ihnen ein
Vorderbein die Kinnladen und der Magen des Opfertieres zu-
kommen; und nach dem Priesterkodex haben sie Anspruch auf die
Brust und auf das rechte Hinterbein^). Wohin der Lauf geht,
sieht man; für das Judentum ist der Priesterkodex maassgebend
geworden. Bei den Opfern wenigstens galt seine Forderung; jedoch
um alle Gerechtigkeit zu erfüllen, hielt man daneben auch die
des Deuteronomiums aufrecht, indem man sie, gegen die klare
Meinung und also gewiss erst infolge späterer schriftgelehrter Rigo-
rosität, nicht auf die Opfer, sondern auf die profanen Schlachtungen
bezog und auch von diesen den Priestern einen Teil gab, die
Kinnladen (nach Hieronymus zu Mal. 2, 3) einschliesslich der
Zunge: also harmonistische Verdoppelung der Leistung'). In einer
älteren Zeit bekamen die Priester zu Jerusalem Geld von ihren
Kunden (Deut. 18, 8), hatten dafür aber die Pflicht den Tempel
in Stand zu halten; man sieht daraus, dass dies Geld eigentlich
an das Heiligtum gezahlt und nur bedingungsweise dessen Dienern
pW ist im Gegensatz zu J?T1T jedenfalls das Hinterbein, allerdings ur-
sprünglich wie im Aramäischen und Arabischen nicht femur, sondern
crus, aber dann im Hebräischen (wie crus) wol auf das ganze Bein
erweitert und als Abgabe an die Priester in diesem weiteren Sinne zu
verstehn, obgleich Josephus die engere Bedeutung (xvi^fjirj) fest hält
Die falsche Übersetzung ßpoy^wv in der Septuaginta, bei Philo, und in
der Vulgata erklärt sich aus der Absicht, die Differenz gegen das Deu-
teronomium auszugleichen. Es fällt auf, dass der Ritus des Webens
(aussen. Lev. 9, 21) nur mit der Brust vollzogen wird, nicht mit der
Keule, die einfach Theruma, d. i. Abgabe heisst; vegl. Benzinger, Archäo-
logie p. 459. Die Bnist ist die ältere Forderung, sie ist an die Stelle
des deuteronomischen Vorderbeins getreten, obgleich beim Opfer des
Nazlräers (Num. 6, 19 s.) der Priester beides mit einander bekommt. Es
zeigt sich eine gewisse Unsicherheit der Praxis auf diesem Gebiete.
*) Philo de praemiis sacerdotum § 3. Josephus. Ant. 3, 229. 4, 74.
152 Gfschiehle des Kultti«. Knp. 5.
Überlassen wurde, Ha sie die Bedingung nicht liieiten, wurde ihren
vou König Joas auch das Geld entzogen (2. Reg. 12, Tss.).
Uie Mahlopfer sind im Priesterkodex Nebensache, und w»s
den Priestern hievon zufällt, ist geringfügig im Vergleich zu ihrer
Eionaiuue aus den übrigen Opfern. Das Melil, wovon nur eine
Hajidvoll auf den Altar gestreut wird, die Gebäcke und überliaupt
die Minha bekommen sie ganz, ebenso die so bänfig geforderten
Sund- und 8cbiildopfer (Ezech. 44, 29), von denen Gott nur das
Blut mid Fett, der Darbringer abei- gar nichts erhält; vom Braud-
opfer Tallt wenigstens das Fell für sie ab. Diese Gefälle jedoch,
in ihrer bestimmten Form ullesamt nicht als alt nachzuweisen
und zum Teil nachweislich nicht alt, werden schon in der früheren
Zeit Analoga geliabt haben, so dass sie nicht schlechthin als Steige-
rung des Einkommens betrachtet werden dürfen. Zur Zeit Josias
waren die Masaoth eine Hauptnahrung der Priester (2. Reg. 23, 9):
sie rührten doch wol grossenteils von der Miuha her. Statt der
Sund- und Schuldopfer, die noch dem Deuteronomium unbekannt
sind, gab es früher Sund- und Schuldbussen als Geldzahlungen
an die Priester, die freilich gewiss nicht so regelmässig gewesen
sein werden (2. Heg. 12, 17). Es ist als ob die blossen Geld-
zahlungen dem Gesetze zu profan seien, es muss bei der Sühne
Blut vergossen werden. Dass von der 01a die nicht opferbare
Haut dem Priester zufallt, ist eine so natib-liche Sitte, dass
man sie füi' neu zu halten nicht geneigt sein wird, obwol Ezechiel
vou dieser doch nicht wertlosen Gebühr schweigt (44, 28 — 31).
Soweit sich also in den OpfergefäUen des Priesterkodex Ab-
weichungen gegen den früheren Gebrauch erkennen lassen, sind
sie zwar keinesfalls für bloss lokale Verschiedenheiten auszugeben,
aber auch im ganzen und grossen nicht gerade für eine bedeutende
Erhöhimg der Taxe. Indessen, die ÜpfergefaUe sind hier auch nur
ein ziemlich untergeordneter Teil des Einkommens der Priester.
Im Deuteronomium sind <lie letzteren darauf angewiesen, sie leben
vom Opfer (18, 1) und von der Einladung zn den heiligen Mahl-
zeiten (12, 12. 18 s.); sie müssen hungern, wenn sie nicht fungiren
(1, Sam. 2, 36). Dahingegen die Aharonideu des Priesterkodes
brauchen gar nicht zu opfern und haben doch ihr Brot, denn ihre
Huupteinnahme besteht in den reichen Naturalsteuern, welche ihnen
geleistet werden müssen.
2. Die Abgaben, welche nach dem Gesetze au die Pd^
Die Ausstattung des Klerus. 153'
fallen, waren allesamt ursprünglich Opfer, nämlich die regel-
mässigen Opfer, welche zu den Festen gebracht werden mussten
(C^dp); und allesamt dienten sie ursprünglich zu heiligen Mahl-
zeiten, von denen' die Priester den auch sonst üblichen Anteil be-
kamen. Dies gilt zunächst von den männlichen Erstgeburten des
Viehs. Wie wir in dem Kapitel über die Feste gesehen haben,
werden sie in dem jehovistischen Gesetze ebenso wie in der jeho-
vistischen Erzählung (über den Auszug und über Abel) geopfert
und zwar als Mahlopfer, wie alle von Privaten dargebrachten
Opfer in alter Zeit. Wenn es Exod. 22, 29 heisst, sie sollen dem
Jahve gegeben werden, so bedeutet das nicht, sie sollen den
Priestern gegeben werden; von solchen wird im Bundesbuch
nirgend etwas erwähnt. Ebenso stehn die Sachen im wesent-
lichen auch noch im Deuteronomium: „du sollst sie dem Jahve
heiligen und nicht pflügen mit der Erstgeburt deines Rindes
noch die Erstgeburt deines Schafes scheren, vor Jahve sollst
du sie verzehren alle Jahr an dem Ort den er erwählt; wenn
aber ein Fehl daran ist, so sollst du sie nicht opfern dem Jahve
deinem Gott" (15, 19 — 21). Dem Jahve heiligen, vor Jahve
essen, dem Jahve opfern — sind hier ganz gleichwertige Begriffe.
Wenn nun nach Num. 18, 15ss. aller erste Wurf ohne Umschweife
dem Priester zugesprochen und daneben dann noch ein be-
sonderes Paschaopfer eingesetzt wird, so kann das nur als die
letzte Phase der Entwickelung verstanden werden, teils weil über-
haupt der Begriff der Abgabe im Vergleich zu dem des Opfers
etwas abgeleitetes ist, teils weil der gewaltige Zuwachs in der
Einnahme der Priester auf hierokratische Machtentfaltung hinweist.
Ezechiel zählt die Erstgeburten noch nicht unter den Einkünften
des Klerus auf (44, 28 — 31); dagegen richtet sich die Praxis des
Judentums wie gewöhnlich nach der Norm des Priesterkodex; seit
Nehem. 10, 37-
Auch der Zehnte ist ursprünglich Gott gegeben und ebenso
wie die anderen Opfer behandelt, d. h. nicht von den Priestern,
sondern von den Darbringern in heiligen Mahlzeiten verzehrt. In
der jehovistischen Gesetzgebung kommt er nicht vor, aber Jakob
widmet ihn (Gen. 28, 22) dem Gott von Bethel, wobei trotzdem
dass das Ganze Projektion aus späterer Zeit ist, es doch schwer-
lich im Sinne des Erzählers sein würde, an Priester daselbst zu
denken. Der Prophet Arnos, der in gleiche Linie gestellt werden
-154 Die Qescbiehte des Kulhis, Kap. 5.
darf, sa^t: „kmnmt uach Bethel zu süntligeu, nach Gilgal noch
Biehr zu sündigeu, und bringt am Morgen eure Opfer, am dritten
Tage eure Zehnten, und bringt auf Brot Fleiächstücke dar zur
Flamme und rufet Freigaben laut aus — so liebt ilir es ja. Haus
Israel!" (4,4s.). Man sieht, dasa der Zehnte hier in einer Reihe
mit Zebah Thodii und Nedaba steht; er ist ein Freudenopfer und
ein glanzvolles Stitok des Öffentlichen Kultus, keine blosse Abgabe
an die Priester. Auch in diesem Funkte nun hat das Deulero-
nomium die alte Sitte im ganzen unverändert, gelassen. Nach
I4, 22 — 29 soll der Zehnte des Feldwucbaes, oder auch der Erlös
desselben in Gelde, von Jahr zu Jahr zum Ueiligtume gebracht
and daselbst vor Jahve, also als Mahlopfer, verzehrt werden; nur
in jedem »bitten Jahre soll er nicht in Jerusalem geopfert, sondern
als Almosen an die des Gnmdbesitzes entbelu'enden Ortsangehörigen
gespendet werden, zu denen namentlich die Leviten gehören.
Die letztere Verwendung ist eine Neuerung, die einerseits mit der
Abschaffung der lokalen Kultusstjitten zusammenhängt, andererseits
mit der Tendenz des Deuteronomikers, die Festfreude zu humanen
Zwecken zu benutzen'). Das ist aber noch nichts dagegen, dass nun
im Priesterkodex endlich der ganze Zehnte zu einer blossen von
den Leviten einzusammelnden (Neh. 10, 38) Steuer an den Klerus
geworden ist, dessen Ausstattung dadurch wiederum sehr beträcht-
lich verbessert wird, Ezechiel schweigt auch hierüber (44, 2S — 31),
aber so wie der Zehute im Buche Numeri (18, 21 ss.) gefordert
wird, hat ihn seit Nehemia (10, 3H s.) die Gemeinde des zweiten
Tempels gegeben. Späterhin fügte man dazu dann noch, um emer
misv erstandenen Fonlerung des Denteronomiums zu genügen, den
sogenannten zweiten Zehuten hinzu, der für gewöhnlich zu. Jerusalem
verzehrt und im dritten Jahr an die Armen gegeben wurde (so
Sept. zu Deut. 26, 12), und am Ende entrichtete man sogar den
Armenzehnten als <iritten zu dem ersten und zweiten obendrauf
(Tobith 1, 7. 8. Jos. Aut. 4, 240).
Wahrhaft unerhört ist es, dass der Zehnte, der sich der
1} Dns deute ronomiäche Geseti der Preisgabe des Zehntens (der für ge-
wüliulicti von den Dnrhriugern seDier gei^esaen wurde) an die .^rnien
im drillen Jnhre ist in Wahrheit ein Ersntx für die Kiod. iS geforderte
Preisgabe der ganien Ernte ira siebten Jshr; es gehurt zusammen mit den
unmiltelbsr folgenden Gesetzen über die Sch'mitta im siebten Jahre und
die Freilas.^img des hebräischen Knechtes naeh sechs Jahren; vgl. die
Compos. des Ilex&t. 1899 p. 8Ö5 s.
Die Ausstattung des Klenis. 155
Natur der Sache nach nur von Gegenständen festen Maasses, von
Korn Most und öl versteht (Deut. 14, 23), im Priesterkodex auch-
auf das Vieh ausgedehnt wird, so dass neben den männlichen Erst-
geburten auch noch das zehnte Stück von Rindern und Schafen
an die Priester gezahlt werden muss. Jedoch findet sich diese
Forderung noch nicht Num. 18 und ebenfalls noch nicht Neh. 10,
38. 39, sondern erst in der Novelle Lev. 27, 32 (1. Sam. 8, 17).
Ob sie in der Praxis des Judentums durchgedrungen ist, erscheint
fraglich; 2. Chron. 31, 6 wird der Viehzehnte zwar erwähnt, aber
dafür die Ei-stgeburten nicht ; in der vorrabbinischen Literatur sind
keine Spuren zu entdecken, insbesondere nicht bei Philo, der nur
den an die Leviten zu entrichtenden gewöhnlichen, aber nicht den
an die Priester zu entrichtenden Viehzehnten kennt (de praem.
sacerd. § 6).
Mit dem Fruchtzehnten sind die Erstlinge in der Wurzel
identisch, sie sind durch ersteren nur nachträglich auf ein be-
stimmtes Maass gebracht. Dies wird der Grund sein, warum in
der jehovistischen Gesetzgebung nicht beides neben einander ge-
fordert wird, sondern nur eine dem freien Ermessen anheimgestellte
Gabe des Ersten und Besten (Reschith) von Korn Most und Öl,
welche mit der Erstgeburt der Rinder und Schafe zusammengestellt
wird (Exod. 32, 28. 34, 26. 23, 19). In ganz gleicher Bedeutung
steht im Deuteronomium neben den Erstgeburten des Viehs der
Zehnte des Feldes (14, 22 s. 15, 19 ss.). Daneben kommt aber
auch die Reschith im Deuteronomium vor und zwar in doppelter
Form. Sie besteht 18, 4 in einer Abgabe von Korn Most Öl und
Wolle an den Priester, dagegen 2G, 10 in einem Korb voll Fracht,
den der Darbringer am Ende des Jahres, d. h. beim Laubhüttenfest,
persönlich auf den Altar niedersetzt*). Im Priesterkodex wird
neben dem ganzen Zehnten als Abgabe an den Klerus ebenfalls
noch die Reschith gefordert (Num. 18, 12), und dieselbe wii-d da-
durch vervielfacht, dass sie nicht bloss von der Tenne, sondern
auch vom Backtrog gefordert wird: bei jeder Säuerung gebührt die
Halla dem Jahve (15, 20). Zu der Reschith (18, 12) kommen noch
die Bikkurim (18, 13) hinzu. Sie scheinen davon unterschieden
zu werden, und wenn dies wirklich der Fall ist, so müssen diejenigen
rohen Früchte damit gemeint sein, die am frühesten reif geworden
») Vgl. die Coinpos. des Hexat. 1899 p. 361.
15G
Gpsehichte des Kulhis, Kap. '
sind. Das Judentum, welches eich hier abermals im weseiitlicheu
durchaus nach der Yorsthrift des Priesterkodex richtet, hat in der
Tat diese Distinktion gemacht; seit der Publikation des Gesetws
durch Jlzra verpflichtete sich die Gemeinde, die Bikkui-im jahrlich
hinaufzubringen zum Hause Jahves, die Reschith aber in die Tempel-
zellen abzuliefern (Neb. lU, 3(5, 38). Jenes war eine mit Processionen
verbundene religiöse Feier, bei der man Deut. 26 als Ritual be-
nutzte, dieses mehr eine simple Naturalsteuer — ein Unterschied.
der \'ielleicht mit den verschiedenen Ausdrücken sie sollen
bringen (Kum. 18, 13) und sie sollen geben (18, 12) zusammen-
hängt. Die Septnaginta hält invpyixt und TEputo^ewriiiatet geuan
auseinander, ebenso Philo de praem, sac. § 1. 2 und Josephns
Ant. 4, 70. 241').
3. Es ist unglaublich, was am Ende alles abgegeben werden
muss. Was ursprünglich neben einander hergelaufen war, wird
zosammengehänft, was frei und unbestimmt gewesen, wird auf
Maasa gebracht und vorgeschrieben. Die Priest-er bekommen alle
Sund- und Schnldopfer, den grössten Teil der vegetabilischen Zu-
gaben, die Haut vom Brand-, Keule und Brust vom Mahlopfer,
Ausserdem die Erstgeburten, sodann Zehnten und Ei-stlinge in
doppelter Form, kurz alle Kodaschim, die früher bloss als regel-
mässige Mahlopfer gefordert (Deut. 12, 26 = v. 6. 7 u, a.) und
freilich an heiliger Stätte und von geheiligten Gästen, aber nicht
von dem Priester verzehrt wurden. Trotzdem wird dafür nicht
etwa dem Klerus (wie von Ezechiel dem Fürsten, der dort die
Abgaben bezieht 4:1, 13 ss.) zugemutet den öfFeutlichen Gottes-
dienst auf seine Kosten zu bestreiten, sondern dazu dient die
Kopfsteuer, die im Kern des Priesterkodex noch nicht angeorduet,
aber seit Neh. 10, 33 in der Höhe eines «b-ittel Sekel, in einer
Novelle des Gesetzes (Exod. 30, 16) in der Hohe eines halben ge-
fordert und schliesslich in der Höhe eines ganzen geleistet ist.
U.
M
I. Zu der Ausstattung des Klerus im Priesterkodex gehören
endlich noch die achtundvieniig Städte, welche ihm nach Moses
') Dm Verh<nis vun "ItPJIO, n^IffNI, CIDi' "l"" HDlin zu einander
bedärfte Ptner genauen Untersuchung, mit aorgsaui?r L'nterscheidimg der
verschitfdenen Quellen und Zeiten, \iis zur Mischna herunter. Die Unlei^
schiede sind mir uictit recht klar; die Richtung der Entwickelung J
Die Ausstattung des Klerus. 157
Anordnung von Josua zugewiesen worden sind (Num. 35. Jos. 21).
Die Stämme geben sie gutwillig her, der kleine wenig, der grosse
mehr (Num. 35, 8). In vier Abteilungen losen die Aharoniden
und die drei Geschlechter der Leviten dai-um, jene treffen 13 Städte
in Juda, diese 10 in Ephraim-Manasse, 13 in Galiläa und 12 im
Ostjordanlande. Nicht etwa bloss die Wohnberechtigung, sondern,
trotz allem apologetischen Rationalismus, den vollen Besitz erhalten
sie an denselben (Jos. 21, 12), einschliesslich einer als Gemeinde-
anger dienenden Feldmark von 2000 Ellen im Quadrat — Quadrat
in ganz eigentlichem Sinne gefasst (Num. 35, 5).
Die sachliche Unmöglichkeit dieser Einrichtung hat nach Gram-
bergs Vorgange Graf mit schlagenden Gründen, erwiesen (Merx
Archiv I p. 83). Die 4x12 oder statt dessen 13+10+13 + 12
Städte, von denen trotz Num. 35, 8 gewöhnlich vier auf je einen
der zwölf Stämme fallen, reichen schon hin den Verdacht künst-
licher Mache zu begründen; vollens die Bestimmung, dass ein
quadratischer Bezirk von 2000 Ellen Seitenlänge rings um die
Stadt, die dabei (Num. 35, 4) rein als Punkt beti'achtet wird,
zur Viehtrift für die Leviten abgemessen werden solle, Hesse sich,
um mit Graf zu reden, wol etwa in einer südrussischen Steppe
oder bei neu zu gründenden Städten im Westen Nordamerikas,
nicht aber in dem gebirgigen Palästina ausführen, wo ein solcher
geometrisch abzumessender Raum gar nicht vorhanden ist und
es keineswegs von willkürlichen Gesetzesbestimmungen abhängt,
welche Grundstücke sich zu Viehweiden und welche sich zu Feld-
und Gartenbau eignen, wo auch die Städte schon bestanden und
das Land schon bebaut war, als die Israeliten es im Laufe der
Jahrhunderte eroberten. Geschichtliche Spuren von dem Vorhanden-
sein der Levitenstädte finden sich denn auch seit Josua nirgend.
Eine ganze Anzahl derselben wai- noch in den Tagen der Richter
und bis in die erste Königszeit im Besitz der Kanaaniten, so Gibeon
Sichern Gezer Thaanach, einige mögen sogar stets darin verblieben
sein. Die aber in die Hand der Israeliten übergingen, gehörten zu
keiner Zeit den Leviten. Sichem Hebron Ramath waren die Metro-
polen von Ephraim Juda und Gilead, ebenso Gibeon Gezer Hesbon
wichtige und keineswegs geistliche Städte. In der deuteronomischen
dessen, dass die Kodaschim d. i. die regelmässigen Opfer (im Gegensatz
zu Nedarim und Nedaboth) allmählich zu blossen Abgaben an die Priester
herabsanken, unterliegt keinem Zweifel.
(Ic-eliirlitc rti'S Kultus, Kap. 5.
Periode lebten die Leviten in der IV eise über Juda verstreut, dass
jeder Ort die seinigen tind den seinigen hatte, nii^ends wohnten sie
abgeschlossen io kompakten Massen zusnininen, da sie sich ja vom
Opfern für andere nährten nnd ohne Gemeinde ihren Beruf nicht
ansüben konnten. Einzelne hatten wol Land und Erbe; wie einst
die silonische Familie zu Gibeath-Pinehas, Amasia zu Bethel und
Abiathar zu Anathoth, so in späterer Zeit Jeremiaa gleichfalls zu
Anathoth. Aber eine Priesterstadt im Sinne von Jos. 21 war z. B.
Anathoth darum noch nicht, Jeremias hatte dort sein Grumlstnck
als Büj-ger und nicht als Priester und teilte nicht mit deu Priestern,
sondern mit dem Volke (37, 12). Als Stamm unterschied sich
Levi eben dadurch von den anderen Stämmen, dass er kein I^ud
hatte und seine Glieder nur als luquilinen deu angesessenen Büi^ern
und Bauern sich anschlössen (Deut. 10, iL ]!:*, J),
Auch nach dem Exil wurde es freilich in dieser Beziehung
nicht andere als es vorher gewesen war. Ah excidio tempU prioris
sublatum est Levitia ius suburbiorum, sagt R. N'achman (h. Sota -JH»),
und das Schweigen von Neh. 10 gibt ihm Recht. Man verschob
die Ausführung des Gesetzes wahrscheinlich auf die Zeit des Messias,
sie stand in der Tat nicht in der Menschen Macht und kann vom
I'riesterkodex selbst nicht im Ernst gefordert sein, da er ein rein
ideales Israel mit idealen Grenzen dabei vor Augen hat und von
der Wirklichkeit so weit abstrahirt, dass er Jerusalem, den ge-
schichtlichen Hauptsitz der Priester, aus archaistischen Gründen
gar nicht mit unfluhrt.
Dieser Umstand nun, dass nämlich diese Städte in partibus
infidelium lagen, scheint sie als Handhabe für die Altersbestimmung
des Priesterkodex unbrauchbar zu machen. Man kann wie Bleek die
geschichtliche Transcendenz als Mosaicitat auslegen, dagegen ist
nicht anzukämpfen. Man kann aber auch in der Weise Nöldekea
geltend machen, eine so kühne Erfindung lasse sich dem Geist« der
exilischen und nachexilischen Zeit nicht zutrauen, der überall nur
ängstlich an das Alte sich anzuklammern tind es zu restauriren
beflissen sei; dies verdient und gestattet eher eine Widerlegung.
Es ist nämlich nicht au dem, dass die Juden der Restauration vor
ihrer alten Geschichte Respekt gehabt hätten, sie verurteilten %nel-
mehr die ganze frühere lüntwickelung und Hessen nur die mosaische
Zeit nebst ihrem davidischen Abglanz gelten, d. h. also nicht die
Geschichte, sondern die Idee. Die thookratische Idee stand
Die Ausstattimg des Klerus. 159
dem Exil im Mittelpunkt alles Denkens und Strebens, und sie ver-
nichtete den objektiven Wahrheitssinn, die Achtung und das Inter-
esse für den überlieferten Sachverhalt. Es ist bekannt, dass es
nie dreistere Geschichtsmacher gegeben hat, als die Rabbinen. Die
Chronik aber liefert hinreichende Proben, dass diese schlimme Dis-
position in sehr frühe Zeit hinaufreicht, wie denn ihre Wurzel, der
dominirende Einfluss des Gesetzes, die Wurzel des Judaismus selber
ist. Der Judaismus also ist für ein solches Kunstgewächs, wie die
achtundvierzig Priester und Levitenstädte sind, gerade der geeignete
Boden. Einem Autor, der in der Königszeit, noch in der Kon-
tinuität der alten Geschichte lebte, würde es schwer gefallen sein,
80 gänzlich von allen Bedingungen der damaligen Wirklichkeit zu
abstrahiren, er würde dadurch auf seine Zeitgenossen keinen an-
deren Eindruck gemacht haben als dass sie ihn für nicht recht
klug gehalten hätten. Nachdem aber durch das Exil das alte
Israel vernichtet und der natürliche Zusammenhang mit den Zu-
ständen des Altertums gewaltsam und gründlich durchschnitten
war, stand nichts im wege, die tabula rasa in Gedanken beliebig
anzupflanzen und auszustaffiren, etwa so wie es die Geographen
mit den Landkarten zu machen pflegen, so lange die Gegenden
unbekannt sind.
Weiter nun ist bekanntlich keine Phantasie reine Phantasie,
einer jeden liegen irgendwelche reale Elemente zu gründe, bei
denen sie sich fassen lässt, seien es auch nur gewisse herrschende
Vorstellungen eines Zeitalters. Es ist klar, wenn dem Klerus ein
eigenes Gebiet zugesprochen wird, so ist die Vorstellung von dem
geistlichen Stamm, die im Deuteronomium eben anfängt Wurzel
zu schlagen, hier bis zu dem Grade ausgewachsen und erstarkt,
dass auch der letzte und ausschlaggebende Unterschied wegfällt,
welcher die wirklichen Stämme gegenüber den I^eviten auszeichnet,
die kommunale Selbständigkeit und die Dichtigkeit der Konsistenz,
welche in abgeschlossenen Sitzen zum Ausdnick gelangt. Denn
dass es trotzdem im Priesterkodex heisst, Aharon und Le^d sollen
kein Teil und Erbe haben in Israel (Num. 18, 20. 23), das ist nur
eine aus dem Deuteronomium beibehaltene Redensart und zugleich
eine unwillkürliche Koncession an die Wirklichkeit'): was sollen
*) Es ist vielmehr zu sagen, dass Num. 18 der Grundschrift des Priester-
kodex angehört, welche die Levitenstädte noch nicht kennt (p. 119 n. 1).
160 Lleschiclite des Kultus, Kup. 'i.
<lenD diese acht und vierzig Städte, hätte es eie wirklich gegebc
anders sein als ein Los, als eia Landgebiet niid zwar ein vergleichs-
weise setir bedoutendes? Lässt sieb insoweit die allgemeine Basis
erkennen, welche der historischen Fiktion zur Voraussetzung dient,
so kann man auch einen näheren Einblick in das konkrete Material
derselben gewinnen. Die Priester- und Levitenstädte hängen mit
den sogenannten Freistätten zusammeu. Diese werden nun auch
im Deuteronomium angeordnet (Kap. 19), nur noch nicht uument-
lich aufgeführt — denn Deat. 4, 41 — 13 kann nicht als genuin in
Betracht kommen. Ursprünglich waien die Altäre Asyle (EKod.21,14.
1. R^. 2, 28), einige in höherem Grade als andere (Exod. 21, 13).
Um nun nicht mit den Altären zugleich auch die Asyle abzuschaffen,
wollte der deuteronomische Gesetzgeber einzelne heilige Orte als
Zufluchtsstädte fortbestehn lassen, vorläufig di'ei fiir Juda, zu denen
wenn sich das Gebiet des Reichs erweiterte noch drei andere hin-
zukommen sollten. Der Priesterkodex nimmt diese Einrichtung
herüber und nennt drei bestimmte Städte diesseit und drei jenseit
des Jordans (Num. 35. Jos, 20) — vier davon sind nachweislich
berühmte alte Kultusstätten, nämlich die sämtlichen drei wesent-
lichen und von den östlichen Ramathd. i. Mispha (Gen. 31. Jud. 11,11).
Alle diese Asyle sind nun aber zugleich Priester- und Le\iten-
städte; die Vermutung liegt nahe, dass diesen auf eine ähnliche
Weise alte Heiligtümer mögen zu gründe gelegen haben. Es soll
damit nur das Nachklingen einer allgmeinen Erinnerung behauptet
werden, dass es einst in Israel viele heilige Orte und Sitze von
Priesterschaften gegeben hatte, nicht gerade, dass jeder einzelneu
der Jos. 21 aufgeführten Städte wirklich ein altes Heiligtum ent-
spreche. Vielfach Eässt sich dies jedoch allerdings nachweisen*),
obwol einige der berühmtesten oder für den späteren Standpunkt
berüchtigtsten Bamoth, wie Bethel Dan Gilgal und Beei-seba, walir-
scheinlich mit Absicht übergangen sind.
Indessen ist vielleicht der nächste Ausgangspunkt für diese
') Bei Hebrou Qibeon Sichern Rauath Mahanoini und Thahor (Os. 5, I)
durch gesctuchtllche Nachrichten, bei Bethsemes Airtharoth Eedes, Tiel-
ieicht auch Rimmona, dorch die Nomen. Konaequente historische Treue
irird iDBO freilich auch hier dem Priesterkodex uicht xutraueu därfen.
Was Oh. 5. 1. 2 augeht, so schdnt der urspröngücbe Siaii zu sein; .eio
Fallstrick seid ihr geworden für Miaphu und ein ausb,'ebreitetes SvU auf
dem Thabor, und die Fallgrube von Sittim CO'Ktfn nnB") hoben sie
tief eemacht". Sittjm ist als Lagerstätte unter Uoscs und Jasui aiclier
ein Heiligtum, so gut wie Kadea Oilgul und Sila; der Prophet i
Die Ausstsittimg lios Klir
lei
I
I
Ciebietsabgabe an die Leviten bei dem Propheten Ezechiel zu
Sachen, in dem Bilde, welches er zum Schluss von dem zukünftigen
Israel entwirft. Ausführlich beschäftigt er sich da auch mit der
Absteckung der Grenzen des Volkes und der Stämme, wobei, er
ganz frei zu Werke geht nnd gewissermaassen nach der Elle za-
Bchueidet. Während er das Land östlich vom Jordan den Bne
Kedem überlässt, teilt er das westliche in 13 parallele Querstreifen;
iD der Mitte des (übrigens dem Fürsten zugewiesenen) dreizehnten,
der zwischen Juda und Benjamin sich erstreckt, treten die zwölf
8tämme ein Quadrat von 2r>0()0 Ellen als heilige Abgabe an Jahve
ab. Dieses wird in drei von West nach Ost laufende und somit
in dieser Richtung 25000 Ellen lange Oblonga zerlegt, davon um-
fiisst das südliche, ÖOOO Ellen breit, die Reichsstadt nebst Ge-
markung, das mittlere, lOüO«-) Ellen breit, den Tempel nnd das
Gebiet der Priester, das nördliche, gleichfalls 10000 Ellen breit,
das Erbe nnd die Städte der Leviten '). Also ebenfalls eine Land-
abgabe von Seiten der Stämme au den Klerus; die Vergleichuug
mit Jos. 21 ist nicht abzuweisen, um so weniger, da sonst im
Alten Testament sieh nirgend Ähnliches findet. Ezechiel nun ist
ganz durchsichtig und aus sich zu verstehn. Damit der Tempel
in seiner Heiligkeit auf das beste geschützt werde, kommt er in
die Mitte des Priestergebietes zu liegen, welches seinerseits wieder
Ton der Sladt im Süden und von den Leviten im Norden gedeckt
wii'd. Zugleich soll auch das Kultuspersonal selber möglichst ab-
geschieden auf eigenem Grund und Bodeo wohnen, derselbe soll
Ihnen dienen zu abgesonderten Häusern sie zu heiligen,
■wie es für die Priester 45, 6 ausdrücklich bemerkt wird und in
ftbgestui^m Maass natürlich auch für die Leviten ihnen zur seite
gilt. Vom Tempel geht hier alles aus und erklärt sich alles. Sein
Original ist unverkennbar der salomonische; er liegt bei der Haupt-
stadt, im Centrum der heiligen Mitte des Landes zwischen Juda und
Benjamin, dort haben die Söhne Sadoks Ihren Sitz und daneben
'die Leviten, welche Josias aus dem ganzen Lande nach Jerusalem
aolche StAllcn u:i, nn denen nach seiner Meinung der Kultus besonders
rerlockeud und seelenmürdi^risch ist; den Vorwnrfinadit er den Priestern,
die das Subjekt der Aussagen sind.
') FürnilffS CniST) 45, 5 lies mit der Septunginla r>1.wh D'IJJIP-
Tore m wohnen. Vgl. Sept 42,3 die gleiche l'mstellunt' der Buch-
staben. Der Ausdruck Tore (d.i. MSrklf, Gerichlsslätten) für Städte
ist dnrch dus Deuteronomium T(>rii:itiisf<i,
ir*ll>iis>ea, Piulcgamiaa. (.Abu. 11
152 OtfSL'hiL-litP des Kultris, Kap. 5.
äbergefuhii hatte. Man sieht, hier liegen die ^lotive saf der £
Dahingegen im Priesterkodex, der nicht in der Lage war, die Zu-
kunft frei von der Gegenwart ans zu gestalten, sondern gezwungen,
sich archaistisch zu verbrämen, sind dieselben historisch verdeckt
und fast paralysirt. Die Wirkung ist gebliebea. nämlich der ab-
geschlossene Landbesitz des Klerus, aber die Ursache oder der
Zweck, durch die Abstraktion vom Heiligtum, nicht mehr zu er-
kennen. Jerusalem und der Tempel, die eigentlich treibende Kraft
der gauzeii Einrichtung, werden mit einer höchst auH'aüeudeu Ge-
tlissentlichkeit in Stillschweigen begraben, und dagegen, in Iteminis-
cenz der friiher überall an den israelitischen Bamoth zerstreuten
Priesterschafteu, achtuudvierzig anderweitige Levitenstädte kreirt,
denen aber ihr eigeutlicher Mittelpunkt, niimlich ein Heiligtum,
entzogen ist. Nur darin, dass die Aharoniden sich zufällig gerade
die dreizehn jüdiscb-benjaminitiscbeu Städte erlosen, bricht denn
doch unwillkürlich der EinHass Jerusalems durch.
2. Abgesehen von dieser historischen Fiktion sind die übrigen
Ansprüche betreffs der Ausstattung des Klerus, so exorbitant sie
sind, doch ausführbar und ernst gemeint. Man steht ihnen gegeu-
über, was die Umstände ihrer Genesis betrifft, vor zwei Möglich-
keiten. Entweder die Priester forderten, was sie zu erlangen holTeu
konnten; dauu hatten sie tatsächlich die Herrschaft über das Volk.
Oder sie stellten Forderungen, die zu ihrer Zeit weder berechtigt
noch überhaupt möglich waren: dann waren sie zwar nicht bei
Sinnen, zugleich aber doch so prophetisch nüchtern, dass Jahr-
hnnderte später ihre goträumten Einkünfte in wirkliche sich ver-
wandelten. Soll etwa Moses seinem in der Wüste notdürftig das
Leben fristenden Volke angemutet haben, für eine übermässig i-eiche
Dotirung des IvJcrns zu sorgen? oder glaubt man, in der ßichter-
periode, wo die einzelnen israelitischen Stämme und Geschlechter,
nachdem sie sich zwischen die Kanaaniter eingedrängt, Müho hatten
ihre Position zu behaupten und sich in den neuen Wohnsitzen
und Verhältnissen einigermaassen einzuwurzeln, sei der Gedanke
aufgetaucht, dergleichen Steuern zu erheben von einem Volke, das
erst zusammenwuchs, zu einem Zweck, der ihm durchaus ferne lag?
welche Gewalt hätte denn damals, wo jeder tat was ihm recht
schien, den eiuzeluen vermögen aollen zu beaaiilen? Als aber wirk-
lich unter dem Druck der Umstände eine politische Organisatiou,
welche die sämtlichen Stämme umfnsste, zu stände gekommen war.
Die Ausstattung des Klenis. 163
auch da konnten die Priester schweriich darauf verfallen, den welt-
lichen Arm als Mittel zu benutzen, um sich selber eine souveräne
Stellung zu geben; und ohne den König konnten sie, bei ihrer
völligen Abhängigkeit von ihm, noch weniger die Rechnung machen.
Km-zum die Ansprache, welche sie im Gesetz erheben, würden
sich in der vorexilischen Zeit im eigentlichen Sinne utopisch aus-
genommen haben: sie erklären sich nur aus den Verhältnissen,
wie sie seit der chaldäischen und noch mehr seit der persischen
Fremdherrschaft sich anliessen zur Ausbildung einer Hierokratie,
der das Volk als der wahrhaft nationalen und dazu auch göttlichen
Obrigkeit frei\(^illigen Gehoi-sam entgegenbrachte und der auch die
Perser Rechte einräumten, die sie der Familie Davids nicht ver-
statten mochten. Gleich im Anfange des Exils beginnt Ezechiel
die Einkünfte der Priester zu steigern (44, 28 — 30); doch hält er
sich im ganzen noch an das Maass des Deuteronomiums und er-
wähnt nichts von Zehnten und Erstgeburten. Von den Forderungen
des Priesterkodex im vollen Umfange hören wir geschichtlich zum
ersten male in Neh. 10; da wird berichtet, dass sie von Männern,
welche die Autorität des Artaxerxes hinter sich hatten, durch-
gesetzt wurden. Es ist dies mit das schwerste und zugleich wichtigste
Stück in der Ai-beit, welche Ezra und Nehemia bei der Einführung
des Pentateuchs als Gesetzes der jüdischen Gemeinde hatten; darum
ist so speciell und so ausführlich davon die Rede. Hier liegt offen-
bar die materielle Biisis der Hierokratie, von wo aus ihr Haupt
schliesslich auf den Königsthron gelangte.
Denn alle diese Abgaben, abgesehen von den Opfergefällen,
flössen in eine gemeinsame Kasse und kamen denen zu gut, die
über die letztere zu verfügen hatten, d. h. dem Priesteradel zu
Jerusalem, dem sie zu einer wahrhaft fürstlichen Stellung ver-
halfen. Die gewöhnlichen Priester und gar die Leviten hatten
nichts davon. Die letzteren sollten zwar nach dem Gesetz den
Zehnten bekommen und davon nur wiederum den Zehnten an die
Aharoniden abtreten, aber wie überhaupt die Richtung der Zeit
dahin ging sie herabzudrücken, so wurde ihnen allmählich auch
dieses gesetzliche Einkommen entzogen und von den Priestern an-
geeignet. Weiterhin nahmen dann die Erzpriester den Zehnten
für sich allein in Beschlag, während ihre niederen Standes-
genossen bitteren Mangel und selbst Hunger litten (Jos. Ant. 20,
181. 206).
11*
]r;4 (Icsi'liichte des EiiJtiis, Kap. 5. ^H
Zum Scillugs sei iioch ein Einwurf erwähnt, iler ueuerdii^ja
auf grund der eiteu angegebenen DilTeTeiiz der späteren Praxis
vom Gesetz gegen die Änsetzung desselben in der babyloniacb-
[leraischen Periode gemacht worden ist. „Ein «uderes Zeugnis
der Überlieferung schliesst Abfassung der elohistischen Thom (d. h.
des Priesterkodex) durch Ezra geradezu aus. Ea ist bekanntlich
<lie elohistische Thora, weiche das Verhältuis der Priester und
Leviteu zu einander gellissentlich ordnet, während das Oeutero-
norainm beides ohne den Unterschied hervorzuheben zusanimeu-
fasst. Jene ist es, welche den Leviten den Zehnten zuweist, sie
jedoch verpflichtend den Zehnten von ihi'em Dienstzetinten als
Hebe au die Priester abzugehen. So war auch bald nach dem
Exil [d. h. 100 Jahi-e später Neh. 7, 5] die Praxis . . . (Neil. 10,
;-{8ss.). Weiterfiin aber kam die Eutrichtung des Zehnten an
die Leviten ganz ausser Brauch, man eutrichtete den Zehnten un-
mittelbar und nur an die Priester, so dass Jose ben Chauina ge-
radezu bekennt: wir geben den Zehnten nicht nach Gottes An-
ordnung (Sota 47*'). Überall aber fühi't der Thalinud diese Praxis
auf Ezra zurück. Ezra soll es gewesen sein, welcher die Leviten
durch Entziehung des Zehnten strafte und zwar weil sie nicht
aus Babel heimgekehrt waren (Jebam. >^^. Chulün 131''). Wir
konstatiren, dass Ezra eine Vorschrift der elohistischen Thora nach
traditionellem Zeugnis antiquirt hat, indem er sich dabei vielleicht
auf die deuteronoraiache Thora stützte." So Delitzsch in der
Zeitschr. für luth. Theol. 1877 p. 448 s. Dass Ezra nicht der Vei--
fasser des Priesterkodex ist, soll bereitwilligst zugestanden werden
— nur nicht auf dies Argument hin. Wenn die Überlieferung,
die mit Recht diesen edlen Namen verdient, den Ezra ausdrücklich
als Einführer des Levitenzehntens gerade nach der Vorschrift des
Gesetzes nennt (Neh. 10, 38ss.), welcher gewissenhafte Mensch
darf dann etwas darauf geben, dass der Thalmud es besser weiss?
Aber nelmien wir an, die von der geschichtlicheu Voi'sclirifit
dilferirende Praxis reiche wii-klich bis auf Ezra zurück, was würde
daraus gegen den nachexilischen Ursprung des Priesterkodex folgenP
denn auf diesen kommt es an, nicht auf die Abfassung durch Ezra,
die nur von der durchsichtigen Angriffstaktik jenes Theologen zur
Hauptsache gemacht wird. Die Forderungen des Priesterkodex, die
vor dem Exil nachweislich weder gestellt ncch irgendwie erfüllt
worden sind, erlaugten 100 Jahre nach der Kückkelir aus Babil
Die Ausstattung des Klerus. 165
Gesetzeskraft (Neh. 10), das ganze Abgabensystem des Judentums
basirte allezeit darauf — soll das gar nichts besagen in Vergleich
zu der Kleinigkeit, dass der Zehnte zwar auch durchaus in Über-
einstimmung mit dem Priesterkodex und im Widerspruch zu der
alten Sitte an den Klerus abgegeben wurde, aber nicht dem
niederen, sondern dem höheren zu gute kam?
Besser in der Tat als diese hätte jede andere Differenz der
jüdischen Praxis vom Gesetz gegen die Thesis Grafs geltend ge-
macht werden können, z. B. das Fehlen der Urim und Thummim
(Neh. 7, 65) oder der achtund vierzig Levitenstädte, die Gemeinde
der zurückgekehrten Exulanten statt der Gemeinde der zwölf Stämme
Israels, der zweite Tempel statt der Stiftshütte, Ezra statt Moses,
die Söhne Sadoks statt der Söhne Aharons, item die Abwesenheit
der übrigen Merkmale der Mosaicität. Denn mit jenem Punkte
wird gerade die Achillesferse des Priesterkodex berührt. Wenn
die Leviten späterhin noch weiter unter die Priester herabgedrückt
und gegen sie benachteiligt werden, so setzt das doch den Unter-
schied zwischen beiden voraus: weise man also erst nach, dass
dieser dem genuinen Alten Testament bekannt ist und dass in-
sonderheit Ezechiel ihn nicht als neu, sondern als uranfänglich ge-
geben behandelt. Oder bedeutet die primäre Tatsache, dass die
Kluft zwischen Priestern und Leviten nur im Priesterkodex und
im Judentum vorhanden und in ihrer Genesis seit Josias mit
Sicherheit verfolgbar ist, weniger als die sekundäre, dass dieselbe
in der weiteren Entwickelung des Judentums sich noch etwas ver-
breitert hat? ist denn nicht die Konsequenz Folge des Princips?
Aber — ganz zutraulich stellt Delitzsch den Satz an die Spitze:
„es ist bekanntlich die elohistiache Thora, welche das Verhältnis
der Priester und Leviten zu einander geflissentlich ordnet, während
das Deuteronomium beides ohne den Unterschied hervorzuheben
zusammenfasst", und auf dem Grunde dieser vorsichtigen Harm-
losigkeit wirbelt er dann, in der Meinung den Baum an der Wurzel
zu treffen, einen Stein in den Wipfel, der auf ihn selber zuiiick fällt.
IL
Geschichte der Tradition.
nXiov fJfjLtau TcavT^c.
Sechstes Kapitel.
Die Chronik.
Unter dem Einfluss des Zeitgeistes ist der gleiche, Ursprung-
lieh aus Einer Quelle geflossene UberlieferungsstofF sehr verschieden
aufgefasst und geformt worden, anders im neunten und achten
Jahrhundert, anders im siebenten und sechsten, anders im fünften
und vierten. In der selben Ordnung nun, wie die Schichten der
Gesetzgebung, folgen sich auch die Schichten der Tradition. Dabei
macht es keinen Unterschied, ob die Tradition sagenhaft oder
historisch ist, ob sie vorgeschichtliche oder geschichtliche Zeiten
betrifft: der Wechsel der hen-schenden Ideen prägt sich gleich-
massig hier wie dort aus. Dies für den Hexateuch nachzuweisen
ist allerdings unsere Hauptabsicht; aber den Anfiing machen wir
vielmehr mit den eigentlich historischen Büchern. Denn aus ver-
schiedenen Gründen können wir hier mit grösserer Gewissheit be-
haupten: dies Ansehen hatte die Geschichte in dieser, jenes in
jener Periode, diese und jene Einflüsse herrschten hier und dort.
Wo die Sache am klarsten liegt, setzt die Untersuchung ein,
nämlich bei der Chronik. Die Chronik, mit den Büchern Esdrae
und Nehemiae eigentlich zusammengehörig, geht im Stoff voll-
kommen den Büchern Samuelis und der Könige parallel, und wir
sind hier in der günstigen Lage, die Vergleichungsobjekte nicht
erst wie gewöhnlich durch Quellenscheidung gewinnen zu müssen,
sondern sie von vornherein, sicher begrenzt, vor uns zu haben.
Was aber mehr ist, wir können sie auch ziemlich sicher datiren.
Die Bücher Samuelis und der Könige sind im babylonischen Exil
170 Geschichte der Tradition, Kap. 6.
redigirt, die Chronik dagegen ist wol 300 Jahre später verfasst,
nach dem Untergange des persischen Reichs, schon mitten aus dem
Judaismus heraus. Es soll nun gezeigt werden, dass es lediglich
der Zeitunterschied ist, welcher die abweichende Darstellung des
selben Gegenstandes auf der früheren und auf der späteren Stufe
erklärt, und dass der Unterschied im Geist der Zeiten beruht auf
dem inzwischen eingetretenen Einfluss des Priesterkodex. Ich
fusse durchgehens auf de Wettes kritischem Vei-such über die Glaub-
würdigkeit der Bücher der Chronik (Beiträge I 1806); diese Ab-
handlung ist von Graf (Gesch. Bücher des Alt. Test. p. 114 ss.)
nicht verbessert, denn die Schwierigkeit ist hier nicht, die Einzel-
heiten aufzutreiben, sondern einen Gesamteindruck zu geben und
des überreichen Stolfes Herr zu werden. Und das hat de Wette
viel besser verstanden.
I.
1. Nachdem Jahve den Saul getötet hatte, so beginnt die
Erzählung der Chronik, wandte er das Königreich dem David ben
Isai zu; ganz Israel versammelte sich zu ihm nach Hebron und
salbte ihn zum Könige nach dem Worte Jahves durch Samuel
(1. Chron. 10, 1 — 11, 3). Wie einfach und glatt, wie ganz ohne
menschliches Zutun hat sich darnach die Sache gemacht! Anders
in der Relation des Buches Samuelis. Diese enthält zwar wört-
lich auch den Bericht der Chronik, aber noch einiges mehr, wo-
durch die Sache ein ganz anderes Aussehen gewinnt. Auf der
untersten Stufe zum Königtum ist David hier der Bandenfülu*er
in der Wüste Juda, der schliesslich durch Sauls Verfolgungen ge-
zw^ungen wird auf philisthäisches Gebiet überzutreten und dort
unter dem Schutz der Feinde seines Volks sein Freibeuterleben
fortsetzt. Nach der Schlacht von Gilboa benutzt er die Auflösung
des Reichs, um als Vasall der Philister im Süden ein Partikular-
fürstentum zu errichten; er wird nicht erwählt, sondern mit sechs-
hundert Mann hinter sich kommt er und trägt sich den Altesten
Judas an, die er schon früher durch allerlei Gefälligkeiten und
Geschenke sich verbunden hat. Inzwischen rettet Sauls Vetter,
Abner, vom Reich was zu retten ist, nicht für sich, sondern für
den rechtmässigen Erben Isbaal; von Gilead aus, wohin er nach
der grossen Katastrophe die Regierung verlegt hat, erobeit er all-
mählicli das Westjordanland zurück und trachtet darnach, auch
Die Chronik. 171
das losgerissene Juda wieder zu gewinnen. So kommt es zu
langwierigen Kämpfen zwischen Abner und David, worin das
Glück mehr auf seilen des letzteren ist, doch tritt er nicht aus
der Defensive heraus und erwirbt nicht etwa im Kampfe die
Herrschaft über Israel. Sie wird ihm vielmehr durch Verrat in
die Hände gespielt. Abner selbst, über den Undank seines könig-
lichen Neffen erzürnt, bietet dem Nebenbuhler die Krone an und
tritt deshalb mit ihm in Unterhandlung, aber da er gleich darauf
der Blutrache zum Opfer fällt, so wird nichts daraus, bis Isbaal
heimtückisch im Schlaf von zweien seiner Hauptleute ermordet
wird: da erst -kommen die Ältesten von Israel nach Hebron und
da eret wird David König über das Reich Sauls. Wie viel Zeit
gebrauchen die Dinge, wie natürlich entwickeln sie sich, wie viel
Menschliches läuft mit unter, List und Verrat und Krieg und
Mord! Der Chronik ist das alles zwar wol bekannt, wie aus
gelegentlichen Äusserungen in Kap. 11 und Kap. 12 erhellt, aber
es wird verschwiegen. Unmittelbar nach seines Vorgängers Tode
wird der Sohn Isais von ganz Israel aus freien Stücken zum Könige
gemacht, nach dem Worte Jahves durch Samuel. Andei*s lässt
sich die Folge von 10, 13. 14. 11, 1 nicht verstehn, anders ist sie
auch nicht verstanden — denn es ist dadurch wirklich gelungen,
wenigstens das Königtum Isbaals aus der traditionellen biblischen
Geschichte so ziemlich herauszubringen: auf Saul, sagt man, folgt
David. Es liegt also eine beabsichtigte und in ihren Gründen sehr
durchsichtige Verstümmlung der originalen Relation vor, die uns
im Buche Samuelis erhalten ist.
Wie ganz Israel den David zum Nachfolger Sauls gemacht
hat und ganz Israel dann mit ihm auf die Eroberung Jerusalems
ausgezogen ist (11, 4) — in 2. Sam. 5, 6 ist bloss von den Männern
Davids die Rede — , so werden nun alsbald die edelsten Repräsen-
tanten aus allen Stämmen Israels, die schon bevor er König ge-
worden mit dem Herzen und auch mit der Tat auf seiner Seite
gestanden haben, an dieser Stelle mit Namen und Zahlen aufge-
führt, in drei Verzeichnissen (11, 10 — 12, 40), welche zwischen
die Mitteilung von 2. Sam. o, 1 — 10 und 5, 11 ss. eingeschoben
sind. Das erste (11, 10 — 47: dies sind die Helden, die ihm bei-
standen in Gemeinschaft mit ganz Israel ihn zum Könige zu
machen) ist das von 2. Sara. 23, welches der Chronist, wie er in
Kapitel 20. 21 verrät, an jener Stelle gekannt hat und hier höchst
172 GMchii-hte der Trailition, Kap, t:.
verfrülit mitteilt; denn es sind meistens Kriejier aus Davi
späteren Kämpfen, die auTgezählt werden '). Das zweite Veraeichnia
(12, 1 — 22: dies sind die nach Hiklag zu David Gekommenen, als
er noch verbannt war vor Saul) ist nicht aus dem B. Samaelis
entnommen, man merkt aber auch den Unterschied: neben alten
und echten höchst gewöhnliche Namen, kaum ein einziger nui"
hier vorkommender; die in Kap. 11 so specielle Angabe der Her-
kunft mangelt fast immer, und statt vor unseren Augen volks-
tümliche Taten zu verrichten, ein Gerstenfeld vor dem Feind zu
retten, einen Trunk Wasser mit Blut zu bezahlen, einen Löwen
im Brunnen zu erlegen, bekommen die Helden allerlei Epitheta
ornantia (12, 1 — 3) und Ehrentitel (12, 14. 20) und führen gelegent-
lich eine recht geistliche Sprache (12, 17. 18). Was vollens die
historische Situation betrifft, welche Unmöglichkeit, dass zu David
als philisthäischem Lehnsmanne in Siklag sich ein grosses israe-
litisches Heer gesammelt haben soll (12, 22), mit einer Menge
von Hanptleuten über Hunderte und über Tnusende! Offenbar
ist der verbannte Flüchtling für diese Voretellung der glänzende
König und der erlauchte Ahnherr der legitimen DjTiastio; daher
auch die naive Bemerkung v. 29. Nicht besser steht es mit dem
dritten Verzeichnis (12,23 — 40: dies sind die Häupter der Ge-
lüsteten, welche zu David nach Hebron kamen). Man beachte
die regelrechte Aufzählung der zwölf Stämme, die in den älteren
geschichtlichen Büchern nirgend vorkommt und überall kfmstlich
ist, äodann die ungeheuren Zahlen, die hier nicht-9 gleichgiltiges,
sondern die HauptsacLe sind und den ganzen Inhalt ausmachen,
endlich die 4')(X) Leviten und 3700 Priester, die auch mit in dem
kriegerischen Zuge auftreten und fort;ab die eigentliche Garde des
Königs bilden: der Chronik ist der Unterschied zwischen weltlichen
und geistlichen Soldaten nicht ganz klar. Specialia kommen wenig
vor; die Bemerkung 12, 32 hängt vielleicht mit 2. Sam. 20, 18 zu-
sammen, Jojada der Fürst des Hauses Aharon d, h. der Hohe-
priester, eine neben der historisch gesicherten Folge Eli Phinehas
') Die durch Textverderbnisse in 3, Siitii. 23 verwisclite EinteÜimg in eine
Gnippe voB drei und in eine andere von dreissjg Helden [Textder Bb.
Sam. p. 213 — 216) hat dar Chronist nicht Terstsnden und ganz unkennt-
lich gemacht Durum hat er am Schliise (11,42—47) noch eine Kethe
auderer Nauieu hinzufügen können, die über die Zahl Dreissig hinaiu-
schiesaen. In t. 24 rerrät sicli deutlich sein Stil, die Elemente wird er
irgendwo vorgefunden haben.
Die Chronik. 173
Ahitub (Ahimelech) Abiathar vollkommen unmögliche Person, ist
ein Reflex des Jojada von 2. Reg. 11. 12, und die Angabe, Sadok
an der Spitze von 22 Erzpriestern sei damals zu David gestossen,
ist ein wenig glaubwürdiger Ersatz der Nachricht des B. Samuelis,
wonach Abiathar, dessen ältere Ansprüche den Bne Sadok und den
Späteren nicht genehm waren, derjenige Priester gewesen ist, der
es von vornherein mit David gehalten; die 22 Erapriester scheinen
den Häuptern der 22 nachexilischen Priesterfamilien zu entsprechen
(Neh. 12, 1—7. 12—21. 10, 3—9. 1. Chron. 24, 7—18). Doch es
bedarf Tcaum so weitläufiger Untersuchungen des Inhalts dieser
Veraeichnisse, da die Absicht, in welcher sie hier stehn, zum
Schlüsse ohne Umschweif angegeben wird v. 38: „alle diese Kriegs-
leute, in Heeresordnung, kamen von ganzem Herzen gen Hebron,
David zum König über ganz Israel zu machen, und auch alles
andere Israel war eines Herzens, dass man David zum Könige
machte; und waren daselbst bei David drei Tage, assen und tranken
— denn es w^ar eine Freude in Israel".
Nach dieser an recht verkehrter Stelle eingeschobenen Expli-
cirung des Begriffs Gesamt -Israel wii-d mit der Wiedergabe von
2. Sam. 5 — 7 fortgefahren. Davids erste Tat, nach der Eroberung
der Feste Jebus, ist in der Chronik die, dass er sie, durch Über-
führung der Lade Jahves, zur heiligen Stadt macht (13, 1 ss.).
Es hat den Anschein, als solle der Palastbau und der Philister-
krieg 2. Sam. 5, 11 — 25 ausgelassen werden, aber nachdem die
Erzählung 2. Sam. 6, 1 ss. bis zu dem Punkte und die Lade
Gottes blieb im Hause Obed-edoms drei Monate (1. Chron.
13, 14 = 2. Sam. 6, 11) wiedergegeben ist, wird diese viertel-
jährige Pause benutzt, um das Übergangene nachzuholen (14, 1 — 17
= 2. Sam. 5, 11 — 25), und dann der Bericht über die Lade zu
Ende gebracht. Dadurch wird zwar das Zusammengehörige aus-
einandergerissen, aber zugleich das weltliche Geschäft, welches nach
der älteren Relation das nächste und angelegenste ist, zu einer
blossen Episode des heiligen herabgedrückt. Dass Hausbau und
Philisterkrieg in den drei Monaten, die so praktisch zu ihrer Ein-
schaltung dienen, keinen Platz haben, ist Nebensache.
Was nun näher die heilige Angelegenheit betriff't, die Über-
führung der Lade auf den Sion, so findet sich beinahe alles, was
2. Sam. 6 steht, wörtlich auch 1. Chron. 13. 15. 16. 17, 1. Zwei
Züge nur fehlen in der Chronik, aber beidemal nicht zum besten
Geschiclite der Troditiou, Ka|J. G.
des Zagam in eiihimgee. Davids Weib Micha!, heisst es 2. Sam. 6, U».
20 — 23, da sie den König in der Proi'cssioii taiizei) und spritn^en
sah, verachtete ihn in ihrem Herzen; hinterher als er nach Hause
kam, sagte sie ihm über sein unwürdiges Benehmen die Meinung.
Die erstere Bemerkung findet sii^h anch in der Chronik (15, 29),
aber die letztere ist (bis auf den abgerissenen Ansatz 16, 43^2. Sam.
f>, 20) ausgelassen, obgleich sie die Hauptsache enthält; denn die
AusBerung der Verachtung ist das historische Ereignis, nicht die
psychologische Motivirung dei'selben — ein Weib durfte dem
David nicht so etwas bieten. Ganz ähnlich steht es mit dem
anderen Fall. Wegen des Unglücks, das den Führer der Lade be-
troffen hat, wi^ David zuerst nicht sie in seine Burg zu nehmen,
sondern bringt sie unter im Hause seines Hauptmanns Obeil-edom;
da aber Jahve das Hans Obed-edoms segnet, so fasst er Mut, sie
za sich zu holen (2. Sam. G, U) — 12). Dass Jahve Obed-edoma
Haus gesegnet habe, teilt auch die Chronik mit (13, 14), aber
dem wird keine Folge gegeben, wir Imben wieder die Ursache
ohne die Wirkung. Statt dessen wird eiu anderer Pragmatismus
beliebt: Darid erkannte, dass jener Uiiiall beim Transport der
Lade davon gekommen sei, weil sie nicht, nach der Vorschrift des
Gesetzes, von den Leviten getragen wurde; nun sollten die Leviten
sie tragen, dann sei keine Gefahr dabei (15, 1. 13 — 15). Dass dies
dem älteren Berichte völlig widei-spricht, liegt auf der Hand; und
da die Chronik in Kap. 13 denselben copirt, so widerspricht sie
sich auch selber (13, 10), und zwar in um so auffallenderem
Maasse, als sie durch den Zusatz 13,2 die Fahrt der Lade auf dem
Kuhwagen von den nebenherziehenden Klerikern stillschweigend
approbiren Itisst. Nachdem ihnen so ihre gebührende Beteiligung
an dem heiligen Zuge gesichert ist, wird 1. Chr. 15 in Priestern
und Leviten, von denen 2. Sara. kein Wörtlsin zu lesen ist, förm-
lich geschwelgt, auch alsbald eine Art musikalischer Gottesdienst
von David höchstselber vor der Lade eingerichtet und eine von
ihm aus nachexilischen Psalmen zusammengesetzte Festkautate auf-
geführt (Kap. 16). Aus der ursprünglichen Relation, deren zerrissene
Glieder sich nun sehr sonderbar in dem neuen Zusammenbauge
ausnehmen, ist dadurch etwas ganz anderes gewoi-den. „Dort ist
alles frei, bloss Sache des Königs imd des Volks, hier ist es
Priesterceremoniell, dort- jauchzet und tanzet fröhlich das Volk
mit seinem Könige vor der Lade her, hier sind die Levitea ll
I
Die Chronik. 175
und Sänger in festgesetzter Ordnung. Beide Erzählungen ver-
einigen zu wollen, ist ganz gegen die Gesetze historischer Inter-
pretation. Wäre die ei*ste kurz und gedrängt, so wäre eine Ver-
einigung eher möglich, allein specieller und anschaulicher kann
nicht erzählt werden, und nur von den Leviten, wenn sie eine so
wichtige Bolle gespielt hätten, sollte nichts gesagt sein? Der Ver-
fasser der Chronik konnte sie nur hineinbringen, indem er sein
Original entstellte und verstümmelte und mit sich selbst in Wider-
spruch geriet. Er kann nichts ohne Leviten geschehen lassen,
und die Bundeslade sollte ohne sie nach Jerusalem geschafft
worden sein? Das Gesetz sollte auch das zweitemal unter dem
frommen König David unterlassen worden sein? Dies schien ihm
unmöglich. Veranlassung mag ihm gegeben haben, dass Uzza bei
der ersten Abholung der Lade umkam, und dass 2. Sam. 6, 13
die Lade das zweitemal — wo es sich um einen ganz kuraen
Weg handelt — getragen wird. Der kombinationsreiche Verfasser
benutzte diesen Wink." So sagt mit Becht de Wette, Beiträge I,
88—91.
Nachdem der Bericht 2. Sam. 6 mit der ereten Hälfte von
V. 19 (1. Chron. 16, 3) abgebrochen ist, wird nach Einschiebung
von 16, 4 — 42 die andere Hälfte des Verses und der Anfang des
folgenden nachgebracht (16, 43) und dann das Kapitel 2. Sam. 7
angeschlossen, welches 1. Chron. 17 im ganzen wörtlich wieder-
gegeben wird: der Entschluss Davids, der Lade ein Haus zu
bauen, und was für einen Bescheid darauf ihm Jahve durch Nathan
gegeben. Der Sinn der Bede des Propheten hängt 2. Sam. 7 an
dem Gegensatze: „du willst mir ein Haus bauen? vielmehr ich
will dir ein Haus bauen"; das Haus Davids ist natürlich die
Dynastie der Davididen. Aber schon in den Samuelistext ist
eine Interpolation eingedrungen 7, 13, welche die Antithese so
fasst: du willst mir ein Haus bauen? nein, dein Sohn soll mir
ein Haus bauen. Die Chronik nun, der David lediglich als der
eigentliche Giünder des salomonischen Tempels in Betracht kommt,
nimmt gerade wegen dieser Interpolation die Erzählung 2. Sam. 7
auf, wie aus 22, 9. 10 erhellt; sie erweitert das Misverständnis,
indem sie in einem Zusätze (17, 14) darauf zurückkommt, und
verdirbt von vornherein den originalen Gegensatz durch die un-
schuldige Änderung: „du sollst mir das Haus nicht bauen"
(17, 4) statt: du willst mir ein Haus bauen? Das Haus kann
17(i Geschichte der Tradition, Kap. 6.
liier uur heissen (Ins notwendige und längst von Gott und Mensdl
in das Auge gel'asste, das jedenfalls gebaut werden mnss, nur
nicht von David, sondern von Salomo; es ist unzweideutig der
Tempel und enthält nicht wie ein Haus die Möglichkeit des.
Doppelsinns, worauf die ursprüngliche Pointe beruht. Interessant
ist auch der Vergleich von 2. Sam. 7, 14 mit 1. Chron. IT, 13.
„Ich will deinem Samen Vater und er soll mir Sohn sein; wenn
er fehlt, so will ich ihn mit Meuscbenrnte züchtigen und
mit menschlichen Schlägen, aber meine Gnade soll nicht
von ihm weichen.'* Die gesperrten Worte fehlen in der Ghronik,
der Sinn, dass Jahve der judäischen Dynastie im ganzen seine
Gnade nicht entziehen wolle, wenn auch einzelne ihrer Glieder
Strafe verdienen würden, wird dadurch zerstört und iu einen
abstrakten Idealismas verflüchtigt, welcher zeigt, dass dem Ver-
fasser das davidische Köuigsgeschlecht nur als Nebelbild bekannt
ist und nicht aus historischer Erfahrung wie dem Verl'asser von
2. Sam. T.
In Kap. IS — 2fl scheint sich die Chronik an einer kleinen
Abwechselung zu erholen, indem sie die äusseren Kriege Davids
erzählt, nach der Reihenfolge von 2. Sam. S. 10. 11, 1. 12, 30. 31.
21, 18 — 22. Aber sie hat dabei doch ihren Zweck im Auge, der
auf David als Stifter des jerusalemischeu Gottesdienstes gerichtet
ist; diese Kriege brachten ilun das >'jeIo Geld ein, das zum Tempel-
bau nötig war. Alles dagegen, was über die itmeren Vorgänge
jener Zeit im Buche Samuelis so ausführlich und schön erzählt
ist, wird weggelassen, da es doch nicht viel zur Verherrlichung
des Königs beiträgt. So die Geschichte von Moribaal und Siba
Kap. 9, von Bathseba und Uria Kap. 11. 12, von Thamaj- und
Amnon Kap. 13. 14, vom Aufstände Absaloms Kap. 15 — 20 nnd
von der Opferung der Söhne Sauls 21,1 — 14. Wie mechanisch
und roh dabei die jVngaben über äussere Kriege aus dem Zu-
sammetihange mit hänslichen Begebenheiten, worin sie in der
älteren Relation stehn, herausgerissen werden, zeigt 1. Clmin. 20,.
1. 2 verglichen mit 2. Sam. 11, 1. 12, 30. Die Notiz David blieb
in Jerusalem als das Heer gegen Rabba ausrückte bereitet
2. Sam. 11 den Ehebruch mit dem Weibe eines im Felde stehenden
Hauptmanns vor, hat aber 1. Chrou. 20, 1 keinen Sinn und ver-
wickelt in Widerspruch mit v. 2, wo Da\'id dennoch im Lager zu.
Rabba erscheint, obgleich der Lbei^ang, dass er dem I
dem Heere nai^^^^J
Die Chronik. 177
^zogen, zusammen mit dem ganzen Zwischenspiel von Batliseba
I Uriu ausgelassen ist (de Wette p. 18, 20. ßü). Wie weit das
lerkeu der Schande der Heiligen getrieben wird, miige noch
kdaraus abgenommen werden, dass auch von den äusseren Kämpfen
Davids, die sonst allesamt mitgeteilt sind, einer verschwiegen wird,
David nicht ganz mit Ehren bestanden haben soll, der mit
■dem Riesen Jisbobenob (2. Sam. 21, 15—17). Bemerkenswert iat
lendllch noch die Ändening 1. Chron. 20, 0. Elhauan, der Sohn
I^Jairs von Bethlehem, heisst es 2. Sam. 21, 19, habe den Goliath
1 Gatli getötet, dessen Speerethaft so dick gewesen sei wie ein
■'Webebaum. Aber David von Bellüehem hatte doch nach 1. Sam. 17
Iden Riesen Goliath erlegt, dessen Speerschaft so dick war wie ein
IWebebauni? Also erschlagt lÜIhnnan in der Chronik den Brnder
i veritablen Goliath.
2. Die letzten Kapitel des B. 8amnelis II 21 — 24 sind bc-
l'kauntlicb ein Nachtrag von sehr eigentümlicher Struktur. Der
I Faden von 21, 1—14 wird mit 24, 1—25 fortgesetzt, in die Mitte
»Aber ist 21,15—23,311 geraten, a«f eine sehr irrationelle und
I vielleicht rein zurällige Weise. In diesem Zwischenstücke selber
I gehören wiederum die ganz gleichartigen Verzeichnisse 21, 15—22
lund 23,8 — 39 eng zusammen; die beiden Lieder also 22, 1 — ^51,
!3, 1—7 sind ein Einschiebsel im Einschiebsel. Dieser Unordnung
Ifolgt nun auch der Verfasser der Chronik, indem er 2. Sam. 23,
tfi— 39 gesomlert von 21, 15—22 behandelt und 2. Sam. 24 an der
rletzten Stelle mitteilt, welche w nicht aus sachlichen Gründen ein-
Ipinunt, sondern nur deshalb, weil es nachträglich angehängt nnd
Enoch dazu von seiner ursprünglichen Verbindung mit 21, 1 — 14
Vdarch eine grosse Interpolation losgerissen ist.
Im ganzen ist 1. Chron. 21 (die Pest, als Strafe für Davids
Volkszählung und die Theophaiiie als Veranlassung des Altar-
baues auf der Tenne Arauna) eine Kopie von 2. Sam. 24, jedoch
mit Auslassung der genauen nnd interessanten geographischen An-
5 BS. und mit Anbringung mehrfacher Verbesserungen.
■£o 2l, 1: und der Satan stand auf wider Israel und reizte David
I — statt: und Jahve zürnte nochmals auf Israel und reizte David
1(2. Sam. 24, 1). Desgleichen 21, 6; I,evi nnd Benjamin eShlte-
I Joab nicht mit, da des Königs Befehl ihm ein Greuel war - — ein
IZnBatz, der sich einesteils ans Num. 1,49 und andemteils daraus
l^nktärt, dass im Gebiete Benjamins die heilige Stadt lag. Sodann
ligomenu. i. Aufl. 12
178 Geachiebfe der Tradition, Kap. 6.
21, Ifi. 27: David sali den Engel stehn zwischen Himmel
Erde und sein Schwert gezückt in seiner Hand, ausgereckt gegen
Jerusalem — verglichen mit 2. Sara, 24, 16, (1. Chr. 21, 15): der
Engel stretikte seinen Ann aus Jertisidem zu verderben und er war
bei der Tenne Arauna; nach der älteren Anschauung haben die
Engel keine Flügel (Gen. 28). Ferner 21, 25: David gab dem
AiauDu für seine Tenne 600 Sekel Goldes — dag^en 2. Saui.
24, 24: nur 50 Sekel Silber; dem Verfasser der Chronik kostete
es nichts den König königlich bezaiden zu lassen. Seine bedeut-
aamste Zutat endlich ist das Feuer vom Himmel, welches das
Opfer verzehrt (21,26); dadurch soll der Altar auf der Tenne
Arauna, d. h. der des jerusalemischen Heiligtums, dem Altar der
Stiftshütte, seinem Vorgänger, gleichgestellt werden, dessen Feuer
ebenfalls vom llimmel entzündet wurtle (Lev. 9, 24). Wer die
Geschichten von den Altarbauten der Erzväter, Josuas (5, 15)
Gideons und Manoahs begriffen hat, wird zugeben, 'dass der Ver-
fasser der Chronik die Meiunng von 2. Sam, 24, der zufolge hier
die göttliche Inauguration der jerusal emischeu Kultiisstiitto be-
richtet werden soll, ganz richtig vei'standen hat; aber was dort,
ebenso wie in den ähnlichen älteren Sagen von Anzeigung ge-
weihter Ställen durch eine Theophanie, für geistesverwandte Zeit-
genossen nur angedeutet wird, das muss er stark herausstreichen,
damit die Epigonen es merken; und doch hat er die Pointe da-
durch halb verdorben, dass er den Engel nicht bei der Tenne
Arauna auf dem heiligen Boden stehn, sondern ihn in der Luft
schweben lässt.
2. Sam. 24 = 1, Chron. 21 dient nun weiter zum Ausgangs-
punkte für die freie Ausführung 1. Chr. 22—29. Da^ im letzten
Kapitel des Buchs Samuelis David den Altar zu Jerusalem gründet,
wird dahin erweitert, dass er im letzten Jahre seiner Itegierung
den salomonischen Tempelbau in allen Stücken bis auf das kleinste
vorbereitet habe. Unbeeogt von der historischen Überlieferung
bewegt sich hier der Verfasser in freien Regionen, in seinem
richtigen Fahi'wasser. Was bis dahin an der Hand der älteren
Quelle über den König gesagt ist, das alles ist durcli Zusätze und
Auslassungen zugestutzt zu einer blossen Einleitung i&r dos eigent-
liche Werk seines Lebens, welches jetzt recht con amore be-
schrieben wird. Er selber hat leider dem Jahve das Haus nicht
bauen dürfen, weil er viel Blut vergossen und grosse Rri^e j
Die Chronik. 179
führt hat (22, 8. 28, 3), Jiber das Verdienst an der Sache nimmt
er doch noch im letzten Jahre seiner Regierung (23, 1. 2(5, 31)
seinem Nachfolger vorweg. Mein Sohn Salomo, sagt er, ist jung
und schwach, das Haus aber, das dem Jahve gebaut werden soll,
muss gross und herrlich werden, da will ich es ihm vorbereiten
(22, 5). So beschafft er denn zum voraus die Handwerker und
Künstler, wozu er namentlich die nichtisraelitische Bevölkerung
aufbietet, ^er beschafft das Material, Steine und Holz und Era und
Eisen und Gold und Silber und Juwelen ohne Zahl, er liefert
auch den Plan oder erhält ihn vielmehr direkt von Jahve, und
zwar schriftlich, schwara auf weiss (28, 19), während Moses die
Stiftshütte doch nur nach der Erinnerung an das himmlische Ur-
bild baut, welches er auf dem Sinai hat schauen dürfen. Vor
allem aber bestellt er das Personal für den Dienst des Tempels,
die Priester Leviten Torwächter und Sänger, teilt ihre Tausende
in Klassen ein und weist ihnen durch das Los ihre Ämter zu;
mit besonderer Vorliebe nimmt er sich dabei natürlich der Musik
an, indem er die Instrumente erfindet (23, f)) und selber als obereter
Dirigent waltet (25, 2. 6). Und da er doch nun einmal König ist,
so nimmt er zum Schluss auch noch ein Inventar seines weltlichen
Staates auf, nachdem er zuvor den geistlichen geordnet. Dies
alles tut er für die Zukunft, für seinen Sohn und Nachfolger;
nicht in Wirklichkeit, sondern bloss nach dem Plane werden z. B.
die Torwächter auf ihre Posten gestellt (26, 12ss.), nichtsdesto-
weniger mit genauester Angabe und Benennung der Lokalitäten
des dereinstigen Tempels — und zwar des zweiten! Wie er fertig
ist mit den Vorbereitungen, beruft David eine grosse Versammlung
der Prälaten und Notabein (23, 2. 28, 1), lässt Salomo zum Könige
und Sadok zum Priester salben (29, 22), und übergiebt in langer
Predigt dem ersteren mit dem Reich zugleich die Aufgabe seiner
Regierung, nämlich die Ausführung dessen, was er selber vorbereitet
und angeordnet hat; bei dieser Gelegenheit werden dann noch
mehr köstliche Steine und edle Metalle, darunter Gold von Ophir
und persische Dariken*), von David und von den Fürsten zum
heiligen Bau gespendet. Der ganze Abschnitt 1. Chron. 22 —29 ist
ein abschreckendes Beispiel der statistischen Phantasie der Juden,
die sich ergötzt an ungeheuren Geldsummen auf dem Papier
*) Vgl. indes diu phon. Kraiizinsclirift vom Piraons iius dem Jahre 96 vor
Chr. Hn. 3 und 6.
12*
180 Qeschichtc der Trailition, Eap. 6. ^^H
(22, 14), an künstlich eiugeteilteu Regimentern vuu Namen niV
Zahlen (Kap. 23 — 27), an der Aufzählung von lauter Subjekten
ohne Prädikat, die in Parade neben einander stehn und nichts
zu tun und zu bedeuten haben. Nur durch gusalbte Kfiden wird
zuweilen die Monotonie unterbrochen, aber keineswegs in erquick-
licher Weise. Man lese die Kapitel durch, wenn man es fertig
bringt.
Nach 1, Reg. 1. 2 war der König David in seinen alten Tagen
krank und schwach an Leib und Seele, und durchaus nicht in der
Verfassung, kurz vor seinem Tode seinem Nachfolger in dieser
Weise voi'znarbeiten, ihm rias Brot so weit fertig zu machen, dasa
jeuer es nur in den Ofen zu schieben brauchte. Von seiner Ab-
eicht, dem Jahve ein Haus üu bauen, ist allerdings auch 2. ■Sam. 7,
in Anlass von 6, 17, die Hede; sie wird aber in folge der Ab-
lehnung Jahves, nicht der Mensch baue der Gottheit, sontlera die
fiottheit dem Menschen ein Haus, definitiv aufgegeben. Wunder-
lich kontrastirt gegen diese Motinrnng die der Chronik, David sei
ein Kriegsmann und liabe viel Blut vergossen, darum dürfe er den
Tempel nicht errichten: da^ er die Kriege Jahves geführt, dass
Jahve durch seine llaud Sieg g^eben, wäre der älteren kriegs-
gewohnten Zeit wahrhaftig nicht ak Urund wider, sondern nur
als Gmiid für seine Würdigkeit zu diesem Werke erschienen. Am
schlimmsten stösst sich jedoch die feierliche in allen Formen des
Hechts und der Öffentlichkeit geschehende Einsetzung .Salomos
zum Könige und Sadoks zum Priester, wie sie 1, Chroii. 28. 29
vgl. Kap. 22. 23, l erzählt wird, mit der älteren Relation 1. K^.
1.2, Nach der letzteren war es vielmehr eine gewöhnliche Palast-
iiitrigue, durch die ea einer Partei am Hofe gelang, dem alters-
schwachen Könige die Sanktion der Nachfolge .Salomos abzulocken.
Bis dahin hatte Adonia als präsumtiver Thronerbe gegolten, bei
David selbst, bei ganz Israel und bei den Hauptwönienträgern
des Reichs, Joab und Abiathar; zu der Entscheidung für Salomo
trug vor allen Dingen das Gewicht der 600 Prätorianer Benajas
bei, einer furchtbaren Macht unter den Umständen der damaligen
Zeit. Ganz harmlos glaubt der Verfasser der Chronik allen
Schwierigkeiten zu entgehn, indem er die von ihm berichtete
Krönung Salomos für die zweite ausgiebt (2!l, 22); eine Bezug-
nahme auf 1. Reg. 1. 2, die den Widerspruch nicht beseitigt, sondttrit
Die rhronik.
ISl
l>oeh di«s bestif^ iiichtä gegenüber der Disharmonie Am Oe-
itemtbildes. Was hat die Chronik aus David gemacht! Der Gründer
Ides Reichs ist xqdi Gründer des Tempels und des Oottesdiensles
■•geworden, der König und Held an der Spitze seiner WalTengenossen
I sum Kantor und Liturgen an der Spitze eines Scliwiu'mes von
|Prie3t«rn und J.evilen, seine so sciiarf gezeichnete Fignr zn
I matten Heiligenbilde umnebelt von einer Wulke von Weih-
l'iauch. Dass es vergoidich ist, die ginudvei-schiedonen Bilder steroo-
I skopisch zusammenzusi'huueu , leuchtet ein; histoiischeu Weit hat
nur die Tradition der älteren Quelle. In der Chronik ist dieselbe
dem Geschmack der nachexilischen Zeit gemäss vet^eistlicht, welche
. ffir nichts mehr Sinn hatte als für den Kultus und die Tliora,
welche daher der alten Geschichte, die doch die heilige sein sollt«,
■fremd gegenüber stund, wenn sie sie nicht ihren BegrilTen assimi-
Uirte nnd znr Kirchengeschichte umgestaltete. So wie das GeEetz
i das Werk Moses ang^ohen wnrde, so wurde die heilige Musik
Kund die Ordnung des Tempelpersouitls auf den König David za-
Blräckgef&hrt, den lieblichen Sänger Isi'aels, der nun seine Muse in
Bden Dienst des Kultus stellen und in Gemeinschaft mit Asaph
Beman und Jeduthun, den levitischen Sängergeschlecht em, Psalmen
Seichten musste').
3. Bei Salomo entfernt sich die Chronik (II Kap. 1 — 9)
irgend sehr weit von dorn Leitfaden des Buches der Könige. Da
^ie Erzählung 1. Reg. 1. 2, die nicht erbaulich ist und dem Be-
■^ricJite 1. Chron, "22 — 2Ö nnbarmherzig ins Gesicht schlägt, ausge-
fgelassen werden mus.«<, so wird mit 1. Reg. 8 angefangen, mit dem
Antrittsopfer Salomos auf der grossen Bama zu Gibeon nnd der
Offenbarung Jahves, die ihm darauf im Traume zu teil wurde.
Die letztere ist mit geringen Änderungen abgeschrieben, aber am
afang findet sich eine charakteristische DilferenK. „Salomo liebte
I Jahve zu wandeln in den Sitten seines Vaters David, nur
topferte nnd räucherte er auf den Höhen (denn es war bis dahin
L Namen Jahves noch kein Haus gebaut); und der König ging
^Ach Gibeon, dort zu opfern, denn da ist die grosse Bama, tausend
Brandopfer opferte er auf jenem Altare, und Jahve erschien ihm
Traiime: bitte was ich dir geben soll." So 1. lieg. 3, äse.
die Chronik umgibt den König zunächst in ihrer Weise mit einer
'} Ur. iinil .lü>l. (
■ 1897 p. 11)3.
182 OespliKhln der Trodition, Kap. fl.
grossen Versammlung von Hanpticii teil über Hmidnrtt' und Tatiaende.
vou Kichtern und l-'üisteu und Familienhäuptern, mit lauter penta-
teuiihischen Grössen, und fährt daun fort: „und Salomo und die
};uuze Gemeinde mit ihm gingen zur Höhe In Gibeon, denn ilort
war die Stiftähntte Gottes, die Moses iler Knecht J»bves in der
Wüste gemai^ht hatte; ahei' die I^He Gottes liatte David ans
Kirtathjearim heraufgeholt dahin, wu er ihr die Stätte bereitet
hatte, denn er hatte ihr ein Zelt aufgeschlagen in Jerusalem^ tind
der eherne Altar, den Desaleel ben Uri ben Hur gemacht hatte,
stand dort vor der Wohnung Jahves. den besuchte Salomo und
iHe (iemcinde; und Salomo opferte dort auf dem eherneu Ält^ir
vor Jahve, bei der Stiftshütte opferte er tausend IJrandopfer und
Gott erschien ihm im Traume: bitte was ich dir geben soll"
2. Chron. 1, Sss. In der älteren Relation steht nichts von der
Stiftshütte; unter der Voraussetzung derselben würde die Ent-
schuldigung dafür, dass Salomo nuf einer Höhe geopfert habe,
weder nötig noch möglieh Bein. Die Chronik, in ihren Vor-
stellungen vom Altertum durch deu Prtesterkodex beherrscht, hat
sie varmisat und nach jener Norm ergänzt; der junge fromme
König konnte doch unmöglich sein feierliches Antrittsopfer, wozu
er sich express von Jerusalem weg begab, an einem anderen als
dem gesetzlich vorgeschriebenen t*rte dargebracht, widrigenfalls
noch unmöglicher Jahve ihm dazu seinen Segen gegeben haben.
Es kennzeichnet die Gebundenheit und die Kühnheit des Ver-
fassers, dass er deu 1. Reg. 3, 3 gebrauchten Ausdruck Höhe bei-
behält und mit Stiftshütte gleichsetzt, obwol derselbe das ge-
rade Gegenteil davon bedeutet. Lehrreich aber ist es zu sehen,
wie hinderlich ihm nmi bei anderen Gelegenheiten sein ad hoc io
die (teschiclite eingeführtes mo.saischeB Central heiligtum zu Gibeon
wird. Nach 1. Chron. Iti ist IJavid im besten Zuge, bei der Lade
Jahves, die er auf deu ^ion übergeführt hat. auch einen Opfer-
dienst einzurichten: aber er daif nicht, denn der mosiiische Altar
steht zu Gibeon, und muss sich mit einem musikalischen Surrogat
begnügen (v. 37— 42). Ähnlich wii-d die Krzählung 1. Chron. 21,
(laes J)avid durch die Theophanie auf der Tenne Arauna veran-
lasst sei, dort einen Altar zu bauen und darauf ein vom Himmel
acceptirtes Opfer zu bringen, zum Schluss noch geknickt und ver-
dorben durch die auf 2. Chron, 1 vorblickende Bemerkung; frei-
lich sei das mosaische Heiligtum und der Brand opferaltar du
Die Chronik. 1^ J
noch auf der Höhe zu Oibeoti gewesen, aber der König habe nicht
die Kruft gehabt eich dorthin zum Opfer zu begeben, weil ihm der
Schrecken vor dem Engel mit dem gezückten Schwert in die Glieder
gefahren. So mu99 denn auch das Opfer, welches Salomo gleich
nach der Rückkelir von Gibeon vor der Bundeslade zu Jemsalem
dargebracht liaben soll, ebenfalls ignorirt wenlen (2. Chron. 1, 13),
weil es den Zweck der vorangegangenen Intei'pretatton der Bama
zu Gibeon vernichten würde. Also der Schatten raubt dem Körper
die Luft. An anderen Stellen wird bezeichnender Weise die Stifts-
hütte mit dem jenisalemischen Tempel vei-win-t (Graf p. 56), im
fcanzen ist sie Jedoch eine ziemlich wirkungslose Vor.stellung ge-
blieben, die nur im unserer Stelle (2, C'hrou 1) gewiasermassea ex
I maehina benutzt wird, um den Salomo von schwerem Vorwurf zu
Auf den letzten feierlichen Gottesdienät bei dem mosaischen
Heiligtum folj!;t nun, mit Übergehung von 1, Reg. 3, 16—5, 14, gleich
der Tempelbau (1,18 — t,ll). Doch werden inzwischen ein paar
kurze Zuge zur Schilderung des Reichtums Sulomos gegeben
I (1, 1^^-17), die im Buche der Könige erst 10,20—29 stehu und
l &n dieser weit schicklicheren Stelle auch in der Chronik wieder-
[ holt werden (9, 25ss.); vgl. die Septuaginta zu 1. Reg. 3. Die
[ Vorbereitungen zum heiligen Ban hat zwar eigentlich David dem
' Nachfolger abgenommen, aber letzterer scheint davon nicht be-
I friedigt (2, 16) und besorgt sie noch einmal (1, 18—2, 17). Ein
Vergleich mit Esdr. 2 (Zurüstung des zweiten Tempels) lehrt, dass
f die Erzählung ein Elaborat unseres Verfassers ist, jedoch nach
Motiven von 1. Reg. 5, 16ss. und mit Beibehaltung mancher wört-
lichen Reminiscenzen. Während Ilirom nnd Salomo nach dem
[ älteren Berieht sich gleichstehu und einen Kontrakt machen, der
f »nf Ijelstang und Gegenleistung beruht, ist hier der tjrische König
I der untertänige Diener des israelitischen und liefert ihm, was er
I verlang;t, als Tribut; statt sich wie dort mündlich bereit zu er-
[ Vlären, schreibt er hier einen Brief, worin er nicht bloss offen
[seinen Glauben an Jalive den Gott Israels, der Himmel und Erde
I gemacht hat, bekennt, sondern auch eine seltsame Kenntnis des
[ -pentateuchischeii Priesterkodex verrät. Der Erzgiesser. deu Salomo
I ans Tyrus kommen lässt (1. Reg. 7, 13. 14), wiid 2, 13 als ein
[wahrer Dädalus und Tausendkünstler beschrieben, ganz in der
[Weise Besaleels (Exod. 31, 2ss.); daäs derselbe zum Sohne eines
k
Geschieht« der Trudiöon, Kap. G.
Weibes von Dan statt eiuer Witwe vou Naphthali gemacht wird,
gibt den Auslegern Stoff zur Ausspinnung; eines kleinen Familien-
romans'), hat aher nicht mehr auf sich, als diiss das Sandelholz
(2, T) vom Libanon bezoj^en wird. Die Auj^alie }.\le\^.ö./21 (H,2>^,
12,4), dass Israel in starkem Miiasse zum Frondienst« des Königs
herangezogen sei, ersetzt der Chronist durch die an einem anderen
Orte (1. Reg. 9,21) vorkommende, dass nur die kanaanitischen
[lörigen dazu benutzt seien: die Summe derselben berechnet er
gleichwol aus den 1. Reg. ö, 29a. aufgeführten Zahlen. Charak-
teristisch ist endlich noch, wie Salomo ('2, 3) dem Hirom versichert,
er werde den Gottesdienst in dem neuen Hause ganz legitim nach
dej' Ordnung des Priesterkodes einrichten; solche Hinnerkungen,
aus denen die ununterbrochene Ausübung des mosaischen Kultus
nach den Regeln des Gesetzes erhellt, werden dann von Zeit zu
Zeit wiederholt {8, 12— Iti. 13,11).
In Kap. 3. 4 gibt der Verfasser die Beschreibung des Tempels
1. lieg. Ü. 7 wieder, mit Auslassung dessen, was sich auf Profan-
bauten bezieht. Den gegenwärtig sehr verderbten Text hat er viel-
leiüht an einer Stelle (1. Reg. T,23) noch besser vorgefunden, im
übrigen ihn entweder liederlich ausgezogen oder wörtlich ab-
geeclu'ioben , mit Zntat einiger Extravaganzen und späterer Ein-
liuhtnngeu, z. B. der Specification des Goldes (3, 48s. S, fl), der
zehn goldenen Tische und hundert gohlenen Schalen (4, S), der
erräbei-zogenen Türen der Ausaenture (4, ö), des Vorhofs der
Priester (4,9), des Vorhangs zwischen Heiligem und Allerlieiligstem
(3,14). Zu leugnen, dass in 1. Reg. (i. T das Original erhalten
sei, auf das an mauuhon Stellen zum Verständnis zurückgegangen
werden muss, dazu gehört ein übel angebrachter Mut, zumal da
gera*leso wie l.Reg,7,40 — T)! auch 2, Chr. 4, 11— IJ, 1 das sum-
marische Verzeichnis auf die Beschreibung des einzelnen folgt.
Währemi die konkreten und sachlichen Angaben von 1. Reg.
i>. 7 nur unvollständig und Hüchtig mitgeteilt werden, wird da-
gegen der Äktus der Einweihung und die dabei von Salomo ge-
haltene Rede genau imd ausführlich nach 1 . Hog. 8 wieder-
g^eben (5,2 — 7, lU); die vorkommenden Zusätze und Auslassun-
gen sind allesamt geflissentlich. Die Priester unti Leviten spielen
') „Sie war von Geburt eine Uauitlu, heiratete in den Stamm Naptitholi,
wurde Witwe, als Wilire aus dem Slnmniü Naphthali wurde hie das Weib
' " tyrisehea ilBunts.° So Bürtlienu z. d. Sl.
Die Chronik.
ißal
. 8 hei einer GelegRii)i(«il , die sie so nahe anging, nicht die
[ihnen gebührende Rolle und machen namentlich gar niclil die bei
I einer solchen Feier doch gfinz iinentbelirlirlie Musik. Also schiebt
1 der Chronist ad vocem I'rJester jn der Mitte der iinseinander
rjjeriasenen Glieder von 1. Reg. 8, 10. 11 folgendes ein: „denn (vllo
[Priester, so viel ihrur waren, hatten sich geheiligt, ohne Unt*r-
I schied der Klassen, und die Leviten, die Sänger, allesamt standen
I Kleidern mit Cjmbcin und Harfen und Zithern Östlich
f vom Altäre und liei ihnen hundertundzwanKig Priester mit Po-
I Bannen; nnd wie auf einmal die Posaiinenbläser und Sänger zu-
Isammen den Lobgesang Jalives anstimmten nnd die Musik begann
■ mit Posaunen und Cymbotn nnd Degleitinstrumenten nnd dem
IXobgesang: Prel-s sei Jahve, denn er ist freundlich nnd seine Güto
■ "Währet ewiglich, da füllte sich das Hans mit Hauch" (i), 11 — 13).
I Weiterhin wird die Angabe 1, Reg, S, 22, Salamo sei vor den
I Altar getreten nnd habe dort gebellt, zwar zunächst Vopirt (ti, 1*2),
I aber einer nnthcntiachen Interpretation unterworfen, der
I König habe nämlich nicht etwa wirklich vor dem Altar gestanden
I (was nur die Priester durfte»), sondern auf einer improvisirten
1 Kanzel im inneren Vorhof, auf einem nrogestülpton ehernen Kessel
I (6, 13) — ein ausgezeichneter Gedanke, der denn auch die ver-
I diente Approbation iter Ausleger gefunden hat. Der Sclüuss von
I Salomos Getict (1. Heg. fi, 49—53) wird, vielleicht um 8,50 los
r SU worden, verkürzt (6, 39. 40) und dafür ein Epilog uigener Fa-
I brik gegeben (ß, 41. 42), der an nach^xilische Psalmen erinnert.
I Darauf folgt eine grössere Auslassung, nämlich von I. Reg. S,
I 64 — 61, die sich aus dem Anstoss erklärt, daas der König hier
I doch nicht auf dem Kessel, sondern vor dem Altare kniet und
[' steht und segnet wie ein Priestor; als Ersatz wird dann in
|3, 1 — 3 berichtet, wie der Altar durch Feuer vom Himmel ein-
vtähl sei, das zwar schon einmal auf ihn herabgefallen (L 21, 2ß),
Fidtcr wie es scheint unverantwortlicher AVeise ausgegangen ist.
I Mit 7, 4 erreicht der Verfasser wieder den yVnschlnss an 1. Reg. 8, .
I 62 BS., spickt indes.«eu auch hier seine Vorige, wo sie ilmi zu mager
l dünkt, mit posaunenden Priestern und musicirenden Leviten (7, fi)
j and lässt zum Schlnss die Entlassung des A'olks statt am achten
I Tage des Laubhuttenfestes (1. Reg. 8, üG) vielmehr erat am neunten
I geschehen (7, 10) auf grund der Vorschrift Nuni. 29, 35.
Der Rest der beschichte Salomos (7, 11—9,28) ist aus 1. Reg.
ISfi Geschichte der Tradition, Kap. ß.
9. 10 «tiertraijeii. Dabei ist die Nachricht 1. Reg. 9, 10—18,
Salomo dem Hii-om zwanzig galilaische Städte verhandelte, in ihr
Gefteiiteil um gedichtet, dass nämlicli Hirom dem Saloino die Städte
iibgetroten uud dieser darin Israeliten angesiedelt habe (S, 1, 2),
und ähnlich ist die schon 1. Reg. 9, 24 vordunkelte Notiz von der
Uber»tede1nng der ägyptischen Gemahlin Salonios aus der Uui-g
Davids in seinen neuen Palast '), verändert und in ein ganz falsches
Licht gesetzt: „die Tochter Pharaos brachte Salamo ans der Bnr^
Davids in das Haus, welches er ihr hatte bauen lasi^en, denn er
sprach: im Hause Davids soll mir kein Weib wohnen, denn es ist
heilig, weil dort die Lade Jabves hingebracht ist" (8, 11). Über
?<. 12—16 (1. Reg. 9, 25) tut nicht weiter not zu reden: mehr
^leichgiltiger Art sind der Zusatz 7, 12 — lö, ans lauter Reminis-
cenzon zusammengesetzt, die Ausschmückung 8, 3 — 6, entsponnen
aus 1. Reg. 9, 17 — 19, die Variationen 8, 17s. 9, 21, misverstunden
aus 1. Reg. 9. 26ss. 10, 22. Das Schlusskapitel über Salomos Re-
gierung (1. Reg. 11), worin der König sich nicht von der glänzenden
Seite zeigt, wird aus denselben Gründen mit Stillschweigen über-
gangen wie die beiden Anrangskapitel.
Nach dem selben Plan und mit gleichen Mittein wie die Ge-
schieht« des Vaters ist also auch die Geschichte des Sohnes beaj^
heilet, nur fügt sich hier der Gegenstand leichter der Absicht der
Bearbeitung. Das alte Bild ist in der Weise retoucbirt, dass alle
dunklen und hässlichen Züge getilgt und dafür neue und glän-
zende Farben aufgesetzt sind, nicht im Stil des Originals sondern
im Geschmack der Zeit: Priester und Leviten und Feuer vom
Himmel uud Erfüllung aller Gerechtigkeit dos Gesetzes uud viel
Musik, dazu noch allerlei harmlose legendarische Anachronismen
und Übertreibungen, Der überlieferte Stoff erseheint gebrochen
dnrch ein fremdartiges Medium, den Geist des nachexilischeo
Judentums.
1- Seit Salomos Tode wird die Gest^hicbte Israels in der
('hronik nur durch das Reirb Jahves in der Hand der .Söhne
Daviits fortgesetzt und alles beiseile gelassen, was sich auf die
Zehn Stämme bezieht. Denn nach den Begriffen der judaistischen
ic hen I
Die Chronik.
18TJ
r Periode ist Israel die Gemoinile des rechtmässigen Gottesdienstes^ 1
dieser über ist un den Tempel zu Jerusalem geknüpft und am
Tempel zu Jerusulom buhen natürlicli die Sumarier keinen Anteil,
Abia von Jnda macht dem Könijre Jerobeam I und seinem Heere
I diesen Standpunkt klar, in einer Rode vom Berge Semaraira herab,
I womit er dio Schlacht eröffnet. ,,Ihr denkt zu bestehn vor dem
Keiche Jahves in der Hand der Söhne Davids, da ihr ein grusser
Hanfe seid und die goldenen Kälber auf eurer Seite habt, die euch
Jeroheam zu Göttern gemacht hat? habt ihr nicht die Priester
Jahves, dio Söhne Aharons, und die Leviten vertrieben und wie
die Heiden euch selber Priester gemacht, so dass jeder, der kommt
I Hand zu füllen mit einem Farren und sieben Widdern, Priester
' wird für die Götzen? Wir aber haben den Jahve unsern Gott nicht
' verlassen und unsere Priestw dienen dem Jahve, die Söhne Aha-
, rons und die Leviten zur Dienstleistung, und räuchern dem Jahve
Brandopfer alle Morgen und Abend und bringen Weihrauch dar
I Qnd Schaubrote auf den reinen TisL'h; denn wir haben den Dienst
I Jahves un.seres Gottes bewahrt und ihr habt ihn verlassen. Und
eiehe mit uns sind an der Spitze Gott und seine Priester und die
Lärmposanneu zu lärmen gegen euch: Israeliten, kämpft nicht
eu Jahve den Gott eurer Väter, denn es wird euch nicht ge-
^enl" (13,8—12, vgL 11, 13-17). '
In Wahrheit war das Reich, welches den Namen Israel führte,
I in alter Zeit auch tatsachlich das eigentliche Israel, und Jnda eine
Art Anhang dazu. Als Amasia von Juda nach der Bezwingimg
I der Edomiter den König Joas von Samarien zum Kampfe heraus-
I forderte, dessen Land damals durch die ewigen Syrerkriege aufs
[ insserste gelitten hatte, Hess der ihm sagen: „die Distel auf dem
I Libanon sandte zur Ceder auf dem Libanon: gieb deine Tochter
t meinem Sohn zum Weibe — da lief das Wild darüber hin und
l sertrat die Distel; du hast Edom geschl^en und bist stolz gewor-
[ den, geniesse deinen Ruhm und bleib zu Hause" (2. Reg. 14, 9);
I and da der andere nicht höron wollte, strafte er ihn wie einen
r unartigen Knaben und Hess ihn laufen. Dem Verhältnis der poli-
und historischen entsprach nu ziemlich das der religiösen
■ Bedeutung. Israel war die Wiege des Proplieteiitums, Samuel
£lia9 und Elisa wirkten dort; welche ähnliche Gestalt wäre ihnea
^gleichzeitig ans Jnda au die Seite su setzen!'' sicher würde sie der
^Verfasser dee Buchs der Könige nicht vergessen haben, der von
IFift nesehi^hte der TrudilioQ, Kap. 6.
ganzem Herzen Jude ist und doch dnroh don Stoff selber
zwiingen wird, sich vorzugsweise für das Nordreich zu interessiren.
Noch zum Scliluss w«r es der drohende Untergang Saniarlens,
welcher eine neue Phjisd der Prophefcie erweckte; ihr EröffaiT, der
Jiidäer Arnos von Thekoü, wui'de nicht an Jnda. sondern an Israel
gesandt, dessen Geschieht« als die des Volkes -lahves von ihm tu
tiefcter Speie mit- ttnd vorauseinpfiinden wurde. Erst Jesaias
stellte Jerusalem in don Mittelpunkt seiner Schan und wandte sich
von Israel ah; denn als er zueret auftrat, brannte der Krieg zwi-
schen den Brudervölkern, und als er auf der Höhe seiner Wirk-
samkeit etand, war es aus mit dorn Nordreicho und alle llorfnung
muBste sich an den H«st halten, iiu die verfallene Hütte Davids.
Hinsichtlich des Kultus allerdings mochten die Dinge, wenigstens
in dem letzten Jahrhundert vor der assyrisi^hen (lefangenschuft, in
Tsrsei etwas ungünstiger liegen als in Juda, ahpr von vornherein
bestand kein wesentlicher Unterschied. Hüben und drüben wurde
Jahve aU der eigentliche Gott des Volks an zahlreichen Stätten
verehrt, dem Höhendienste mangelte es weder hier noch dort an
heiligen Häumen Pfählen und Steinen, an goldenen und silbernen
Bildern (Isa. 2, 8ss. 17, 8. 30, 22. Micha o, 12). Ob in der Zeit
vor Hizkia der ßeicbskultns zu Jerusalem sich so sehr vor dem
zu Hetliel und Dan ausgezeichnet habe, ist die Krj^e — den gol-
denen Kälbern Jerobeams st^ht die eherne Sehlange Moses und
die Lade Jahves selber gegenüber, die im Altertum ein Idol war
(1. Sam. 4 — G) und zu einer Lade des Hundes d. i, Gesetzes erst
idealisirt wurde, als sie wahrscheinlich gar nicht melu" vorhanden
war. Was aber ilie prophetische Heaktion gegen den volkstüm-
lichen Kultus betrifft, so beweist das Ueispiel Hoseas, dass sie
sich gerade so früh und so stark innerhalb Israels regte wie
innerhalb Judas. Sogai' noch nach der üeforniation Josias klagt
Jeremias, die bis dahin verschonte Schwester sei um nichts besser
als die vor hundert Jahren dem Assyrer zum Opfer gefallene
(S, ^ — 10), und der Verfasser des Buches der Könige, obwol
er, auf dem Denteronomium fussend , grundsätzlich Juda und
Jerusalem vorziehl, verändert doch nicht seinem Urteil zu lieb
die Tatjsachen, welche beweisen, dass das alte Israel den Anforde-
rungen jenes Gesetzes nicht eben schlechter entsprochen hat als
das alte Juda.
Die Chronik dagegen legt das Gesetz — und zwar in
Die Chronik.
' Tlinfange das ganze pentatenohisuhe-Geaeta, nameutlich aber den
darin (lomiDirendeu Priesterkodex — nicht bloss ihrem Urteil ülier
die Vergnügen hei t zu gi-iinde, soudeni dichtet auch die Tatsachen
in jene von jeher giltige Noitq um und denkt akh das alte he- '
bräische Volk genau nach dem Muster der späteren jüdischen Ge-
meinde, als einheitlich gegliederte Hierokrutie, mit einem streng
centralisirteti Kultus von genau vorgeschriehener Form im der
heiligen Stätte zu Jerusalem. Wenn also die Zelm Stämme alle ;
diese Kennzeichen des Reldies Gottes vermissen lassen, 3o be-
deutet das ihren Al^fall vom wahren Israel; sie haben die Böcke
nud Kälber zu ihren Göttern gemacht, die Priester und Leviten
verjagt, überhaupt sich losgesagt von den Einrichtnugüii , die in
Jnda seit Josias sich ausbildeten and durch Ezra iiiren Äbschluss
gewannen'). Sie kommen darum wie andere Heiden nur so weit
fnr die heilige Geschichte in betracht, als sie mit dem eigentli<3hen
Volke Jahves, dem Israel im Lande Juda (2. Chron. 23, 2), in
freundlicbe oder leindliclie Berührung treten, wobei dann immer
in geflissentlichster und utiverholenster Weise für Jndu Partei ge-
nommen wird, sogar von den Bewohnern des Nordreichs selber*).
Macht man Ernst mit dem Peiit^teuch als mosaischem Gesetze,
8U ist diese Ausschliessung der Zehn Stämme in der Tat eine
notwendige Konsequenz; denn die blosse Tatsache Ihrer Zugehörig-
keit zum Volke Jahves zerstört dessen Grundvoraussetzung, die
Einheit und Legitimität des Gottesdieastes als Basis der Theo-
kratie, die Priester und Leviten als ihre wichtigsten Oi^ane,
„als die Sehnen und Muskeln des Volksleibes, welche deu
Glied erbau zu einem lebenskräftigen und beweglichen Ganzen
zusammenhalten".
2. Die Kehrseite ist natürlich die Idealisirung Judas vom
' le^timen Kultus aus, in einer Weise, die man sieh nach den bei
David nud Salomo abgelegten Proben vorstellen kann. Die Priester
und Leviten, die aus Israel ausgewandert sind, haben das südliche
Reich gestärkt (11, 17) und bilden hier das eigentlich herrschende,
die Geschichte tragende Element. Um ihretwillen sind die Könige
') Freilicli kauu der Verfasser der Chrouik aiicli bei dicsi-D Schis matikorm J
nicht von seinen gesetzlichen Vorstelliirigen abkommen, wie es sich in I
oiiicr fast kunüachcu Weise darin leigt, dnss iMe Priester Jerabeaius j
ihre Kettereien gaa}. nnch Vorschrift des Priesterkodex Ije^ehu und ihra I
HuidfülUiuij' mittelst e'mv* ttrosiieu Opfers liesorgeu (13,9).
*) Vgl. 11, Ifi. 15,9. 30, H. 19,3. 30, 85 sb. ii&, 7. 38, 9 »s.
190
Oeschichto der Traditioii, Kap. 6,
da, als die Schirm he ireii und Vögte des Kultus, in desse
Angelegenheitea sie sich aber nit^ht mischen dürfen (26, 16s9.);
Predigten zu halten und geistliclie Feste — ■ welche als die Höhen-
punkte der Historie erscheinen — zu ordnen gehört zn den Haupt-
pflifhten ihres Regiments'). Die guten outer ihnen begreii'en ihre
Aufgabe und sind nnzertrennliuh von den heiligen Dienern Jahres,
80 namentlich Josaphat llizkia und Josias. Von dem ersteren
wird berichtet, er habe im dritten Jahr seines Königreichs eine
Kommission von Notabein I'riestern und Leviten abgeoi-dnet nm
mit dem Gesetzbuch umherzuziehen und zu lehren in den Ort-
soliaften Judas (17, T — ^9); in den grösseren Oi-ten, in den Festungen,
liabe er demDaUibat RirhterkoFTegien bestellt und über ihnen ein
höchstes Tribunal zu Jerusalem eingesetzt, gleichfalls bestehend aus
Priestern und Leviten und Notabein, unter dem Vorsitz des Hohen-
priesters für die geistlichen und des Fürsten von Juda für die welt-
lichen Sachen (19, ö — 11). Im Buche der Könige steht davon
nichts, obwol weniger Wichtiges bemerkt wird (1.22,47); der
Verfasser der Chronik meldet es in seiner eigenen Sprache, die
namentlich in den frommen Reden unverkennbar ist. WaJirschein-
lich ist es die Justizorganisation seiner Gegenwart, die hier auf
Josaphat zurückgeführt wird, so dass wir hier wol das UltiSte
Zeugnis für das Synedrium zu Jerusalem als oberste InstJiuz über
den provintialen Synedrien, sowie für dessen Zusammensetzung
und Präsidium haben. Die (inraöglichkeit einer aolchen Gerichts-
verfassung im Altertum erhellt aas der Voraussetzung des Gesetz-
buches als ihrer Grundlage, aus der Koordination von Priestern
und Leviten, und auch aus dem tatsächlichen Widerspruch ge-
legentlicher Angaben namentlich bei Jesaias und den älteren
Propheten (bis auf Hierem. 2(i), iu denen es überall als selbst-
verständlich gilt, dass die Machthaber zugleich auch die geborenen
Richter sind'). Schon von David weiss übrigens die Chronik.
Ähnliches zu erzählen wie von Josaphat (I. 23, 4. 26, 29 — 32):
der flrund, warum vorzugsweise der letztere zu diesem Werke aus-
ersehen wird, liegt eiufach in seinem Namen Jahve ist Richter,
wie er selbst mehrfach andeuten ranss (19, 5 — 11 vgl. Joel 4, 12).
Aber nicht bloss in diesen inneren Angelegenheiten, sondern i
1) 13, 7 SS. 15, 10 BS. 30,6
») Vgl. freilich DeuL 16,
Hexal. 1899 p. 257.
Die Chronik. Ifll I
f BUin Kriege stärken die Priestur und Leviten den König von Juda.
I Wie die Posauneu der Priester dem Abia Mut und Sieg wider
Ljerobeam von Israel verleihen, so die Musik der Leviten dem
I Jos&phat gegen Moab und Ammou. Nai^hdem er zuvor gefastet
I nnd die tröstiiche Verheissung des Sängei-s Schauegott anbetend
\ entgegen genommen hat, rückt er am anderen Morgen mit dem
I Heere g^en die Feinde aus, die Leviten voran, die im heiligen
\ Schmuck vor den Gerüsteten lierzieheu und aiugen: danket dem
I Jabve, denn seine Güte währet ewiglich. Er findet darnaeh die
I Kampfesarheit von den Feinden selbst getan, die sich auf das
I Signal jenes Lobesgesjinges hin einander angefallen und allesamt
aufgerieben liuben, teilt drei Tage den Raub uns nnd kehrt dami
nm wie er gekommen ist, die levitische Musik voran, mit Psaltern
Harfen und Drommeten zum Hauses Jahves (20, 1^28). In ähn-
licher Weise wird Hizkia verherrlicht. Von der assyrischen Be-
I lagerung Jerusalems und der denkwürdigen Befreiung der Stadt
I Tfird verhältnismässig wenig Aufhebeos gemacht (32, 1 ss. vgl. de
1 Wette I p. 7ö); nach der Chronik ist seine Hanpttat, dass er, so-
bald er auf ilen Thron gelangt, im ersten iMonat des Jalires und
Beiner Retrierang (Exod. 4(), 2. I^ev. 9, 1), durch die Priester und
I Leviten, die er ganz vätt^rlich als seine Kinder anredet (29, 11),
I ain gi'ossos Weihfest des angeblich von Ahaz verscliloaseneii und
I verwüsteten Tempels veranstaltet, darauf im zweiten Monat das
[ Pascha in grossartigster Weise nachfeiert, und endlich vom dritten
[ bis zum siebenten Monat für das genaue Eingehn der Abgaben
I an den Klerus Sorge tra^; wie das alles in dem gewohnten Stile
I durch drei lange Kapitel beschrieben wird, aus denen wir für die
['Zeit Hizkias nichts, wol aber manches für die Zeit des Verfassers
lernen können, besonders für die damalige Darbringungs weise der
heiligen Abgalion (29, 1 — 31,21). Auch bei Josias wird zwar der
Bericht über seine epochemachende KuUusreformation im ganzen
nur vei'stfinimelt in der Chronik wiedergegeben, aber die kurze
r-Notis 2. Reg. 23, 21—23 wird zu der ausführliclisten Schilderang
['«nes glänzenden Paschafestes erweitert, wobei wie immer die
rPriöster und vor allem die Leviten die Hauptrolle spielen. lu
\ letzterer Beziehung ist noch ein einzelner kleiner Zug mitteilens-
I vert, dass nümlich dis grosso Versammlung, worin der König das
[ Gesetzbuch beschwöreu lässt, zwar im übrigen 2. Chron. 34. 29 8,
1 genau so zusammengesetzt ist wie 2. Reg. 23, 1. 2, aber statt der
192 Geschichte 6er Tradition, Kap. G.
Priester und Propheten die Priester und I.eviteii tiaran teil-
nehmen. AVas das zu bedeuten halie, lehrt am besten der Ver-
gleich lies Thargiim, wo die Priester and Propheten in Priester
und Schriftgelehrte übersetzt wtirden.
In einen eigentümlichen Koutllkt gerät nun aber der Chronist
durch diese Projektion des im Gesetz vorgeschriebenen und im
Judaismus verwirklichten legitimen Kultus mit den Angaben seiner
Ijnelle, ans denen hervorgeht, dass derselbe nicht fertig aller Ge-
schichte vorangegangen, sondern allmählig im Laufe der (leschicUte
geworden ist; er wickelt sich heraus so gut es geht, ohne jedodi
einem wunderlichen Schaukeln zwischen der zeitlosen Anschauung,
die ihm Natur ist, und der historischen Tradition, die er benutzt
und aufnimmt, zu entgehn. Die Vei'se 1. Reg. 14, 22. 23 die
Judäer (nicht bloss Uebubeam) taten was Jahve übel gefällt
und ärgerten ihn wie ihre Väter und errichteten eben-
falls Höhen und MalsCeine und heilige Pfähle n. s. w.,
welche ebenso wie die parallelen über Israel 12,263a. an dieser
Stelle von prinuipieller Bedeutung sind und einen derben Strich
durch den augeblichen Unterschied der Kulte des levitischen und
des nichtle vi tischen Reiches ziehen, werden als gar zu unmöglich
ausgelassen, obwol der ganze übrige Zusammenhang mitgeteilt ist
(12, 1—16), Desgleichen ist. das ungünstige Urteil über Keha-
beams Nachfolger Abia 1. Heg. lö, .3 — 5 nicht aufgenommen, weil
die ersten jüdischen Könige, da sie ja den rechten Gottesdienst
bewahren, gegenüber den israelitischen, die davon abgefallen sind,
notwendig gut sein müssen. Aber wenn der Chronist zur Ehre
Judas das Schlimme verschweigt, so mag er doch nicht die natih
1. Reg. 15, 12 SS. mit Asa ebigetretene Besserung übergehn, ob-
gleich man nun gar nicht weiss, wozu es deifelben bedarf, da ja
schon vorher alles in bester Urdnung gewesen ist. Ja er über-
treibt noch diese Besserung und macht den Asa zu einem andern
Josias (lö, l — l.'i), lässt ihn auch (14,4) die Hohen abschaffen
und wiederholt dann doch (lö, 17) die Angabe 1. Reg. lü, 14, die
Höhen seien nicht abgetan. Ähnlich heisst es über Josaphat zu-
nächst, er habe in den anfänglichen Wegen seines Vaters gewandelt
und die Höhen abgeschafft in Juda (17, B. I>, 10, 3), in falscher
Verallgemeinerung von 1. Reg. 22,43.47, und hinterdrein dennoch,
die Höhen seien geblieben (20,32.33), wörtlich nach l.Reg. 22, 43. 44.
Es dünkt dem Verfasser einerseits eine Unmöglichkeit, da^
nie fiiTOuik. 193.1
Höhendienst, der ihm trota 33, 17 im gründe Abgötterei bt, auch
von deu frommen d. i. gi^setzestreuen Königen uiulit unterdrückt
sein sollte, und auf der auderen Seit« copirt er douh raechaniKch
I seine Vorlage.
Bei den notorisch misfälligen Herrschern hilft er sich damit,
dass er sie einfach zu Heiden und za Verfolgern der Huiides-
religion macht; denn innerhalb des Jahvismus, der ja zn allen
'Zeiten nach dem Getetz normirt und mit dem exclusiven Moaaismus
des Judentums gleichbedeutend gewesen ist, sind sie für ihn un-
idenkbar. So zuerst bei Joram: er macht Flöhen auf den Beiden
.Judas und verführt die Bewohner Jerusalems zur Hurerei und
Ijuda zum Abfall (21, 11), erwürgt dazu alle seine Brüder mit
dem Schwert (v. 4) — eins ergiebt sich ans dem anderen. Seine
Witwe Athalia verwüstet, durch ilire ermordeten aber zu di^em
Zweck wieder auflebenden Söhne, den Tempel Jahves und macht
Baalebilder aus dem geweihten Metall (24,7); nichtsdestoweniger
geht der öffentliche Jahvedienst unter Leitung des Priesters Jojada
• imanterbrochen fort. Am unbarmherzigsten wird Ahaz zugerichtet.
Nach 2. Reg. lli, lOss. bat derselbe zu Damaskus einen Altar ge-
sehen der ihm geßel, und nach dessen Muster einen ähnlichen zu
Jerusalem errichten lassen, während der eherne Altai' Salomus
wahrscheinlich in die Schmelze wanderte; Uria der Priester hat
die Ausführung der betreffenden Befehle des Königs liesorgt. Man
[ äeht, von Autonomie, von unantastbarem göttlichen Hecht des
■Heiligtums ist keine Hede, der König befiehlt und der Priester tat
Dem Chronisten ist also die Geschichte vollkommen unfassbar;
3 macht er daraus? Ahaz hat den damascenischen Götzendienst
Kflingeführt, den Jahvedienst abgeschafft und den Tempel zage-
Kwhiossen (26, 23s.). An der Pei-son eines Menschen liegt ihm
Ijlichte, an der unbeugsamen Einheit des mosaischen Kultus alles,
Innd dessen Legitimität wäre ja dahin, wenn ein rechtgläubiger
Bpriester, ein Freund des Propheten Jesaias, die Hand dazu ge-
iboten hätte, einen fremden Altar einzuführen. Um Manasse und
mon zu reinen Götzendienern zu machen, war eine Steigerung
(der Angaben 2. Heg. 21 kaum von nöten; ausserdem lagen hier
besondere Gründe vor, die es verboten zu schwarz zu zeichnen.
Wunderbar ist, wie auch das Volk, welches stets von Eifer und
I Freudigkeit für das Gesetz b&feelt ist und den frommen Herrschern
ibn Bondestreue belohnt (I j, I.'>. 17, 5. 24, 10. 31, 20), diese bösen
I W.llb.u..n,PH>l.(™sn.. fl. AuH. 13
li)4 Gi'schii'hli- der Tradition, Kap. 6.
Könige tl;i<liir('li i-ensirt, tla&i t;s ihiieu die Ehre des köiii^liclitiii
Begräbnisses versagt oder verkümmert (21,19.20. 28,27. 33,20)
— in Widereprutli gegen 2. Ueg. 9,28. Iß, 2it. 21,26.
Die periodischen Anfälle des Heidentums dienen zugleich daau,
die liaranf Folgenden Besserungen zu verslehu, die sonst das lie-
gri^verm»>jen des jüdischen Schriftgelehrten übersteigen. Nach
dem Ruche der Könige trafen die Könige Joas Htikia und Josias
lobenswerte Neuerangen im Tempelkultus, l)eseitigt«u tief ein-
gewurzelte und von jeher geübte Gewohnheiten und reformirteji
den ufficiellen Dienst Jnhves. Aus diesen Kort»chritteu innerhalb
des .lahvismns, die allerdings seiner niosaisohen Stabilität recht
unbequem widersprechen, macht die Chronik vielmehr einfache
Herstellungen des reinen tiottesdienstes, welche auf vorübergehende
gewalttätige AbsohafTung desselben folgen. Am gründlichsten t>ei
tlizki«. Nachdem sein Voi^änger die heiligen Tore geschlossen,
die I;euchter gelösidit und den Hottesdienst eingest«llt hat, bringt er,
durch die wieder eingesetzten Priester und Leviten, alles wieder
in Gang; seine erste und wichtigste Regieruugstat ist die Tempel-
weihe (Kap. 29). daran schliesst sich (Kap. 3(.l, .^1) die Wieder-
erötlnung des Pascha und die Eintreibung der Temporalien au deu
bisher, wie im scheint, gesperrten Klerus. Dass die freilicJt gatis
anderes beaagenden Angaben 2. Reg. 18, 1—7 der Ausgangspunkt
zu diesen Extravaganzen gewesen sind, lehrt der \'crgIoich von
29,1.2.31,1.20.21.32,22. Nnr dass der Köuig die eherne
Schlange Nehnstan zerstört« (2, Reg. IS, 4). wird mit Stillschweigen
übergegangen, als sei es ungiaublich, dass man ein solches Abbild,
im Glauben es rühre von Moses her, bi.s dahin sollte verehrt
haben; der nicht geringere Anstoss dagegen, dass er die Aschera
umhieb, worunter man nur die des Tempelaltars versichn kann
(Deut, lli, 21), wird durch Umsetzung des Singulars in den Pltiral
geebnet: er hieb die Ascheren um (31,1), die sic^Ji hie und da
in Juda vorfanden, natürlich bei heidnischen Altären.
Itei Jons und Josias stehii die nicht bloss kurz das Residtat
lierichtcnden sondern apeciell in den Hergang eingehenden Er-
zählungen der Vorlage, an dio der Chronist gebunden ist, 2. Reg.
11. 12. Kap. 22. 23, dem freien Fluge seiner gesctzesseligen Plian-
tafde entgegen. Oerade solche Geschichten, fast die einzigen aus-
führlichen über das Reich Juda im Buche der Könige, die ihrer
Natur nach der Vorliebe unseres Verfassers für den Kultus ,
Die Chronik.
195
meisten entsprechen, bringen ihn durch ihr Detail in die grösste
Verlegenheit, welchevS nach seinen Begiiffen total ungesetzlich ist
und doch nicht anders als im günstigsten Lichte dargestellt
werden darf.
Dass die im Tempel spielenden und den Tempel betreffenden
Perikopen über Joas 2. Reg. 11, 1 — 12, 17 eigentlich identisch sind
mit 2. Chron. 22, 10 — 24, 14, steht ausser Zweifel. Was zunächst
2. Reg. 11 betrifft, so kehrt der Anfang und Schluss v. 1 — 3.
V. 13—20 in 2. Chron. 22, 10—12. 23, 12—21 wörtlich wieder,
von kleinen Alterationen abgesehen. Aber auch in der Mitte
finden sich Stellen aus 2. Reg. 1 1 in 2. Chron. 23 unverändert
aufgenommen , nur sind sie hier im Zusammenhange -ungereimt,
während dort veretändlich. Denn die Meinung und Farbe des
Ganzen ist in der Chronik völlig verändert, wie folgende Neben-
einanderstellung der Hauptpartie lehren mag, zu deren Verständnis
man wissen muss, dass die Regentin Athalia alle dem Blutbade
Jehus entronnenen Glieder der davidischen Familie gemordet hat
bis auf den kleinen Joas, welcher mit Wissen des Priesters Jojada
im Tempel Versteck und Schutz gefunden hat.
2. Reg. 11,4. Im siebenten Jahre
beschied Jojada und nahm die Haiipt-
leute der Karer und Trabanten
und Hess sie zu sieh ins Haus Jahves
kommen und machte mit ihnen einen
Bund und Verschwörung im ITause
Jahves und zeigte ihnen den Konigs-
sohn 5 und befahl ihnen: dies ist es
was ihr tun sollt: das Drittel von eucli,
das am Sabbath heimgeht und den
Dienst im Konigshause versieht [6 und
das Drittel im Tore Jesod und das
Drittel im Tore hinter den Trabanten
und ihr sollt den Dienst im Hause
versehen ] 7 und die zwei
anderen Drittel von euch, die Sabbatlis
2. Chron. 23, 1. Im siebenten
Jahre ermannte sich Jojada und
nahm die Hauptleute Azaria ben
Jeroham, Ismael ben Johauan, Azaria
ben Obed, Maaseja ben Adaja und
Elisaphat ben Zikri mit sich in Bund,
2 und sie zogen in Juda umher und
sammelten die Leviten aiis allen Städten
Judas und die Familienhäupter Israels
und kamen gen Jerusalem, 3 und die
ganze Gemeinde schloss einen Bund
im Hause Gottes mit dem Könige,
l'nd er sprach zu ihnen: siehe der
Konigssohn soll herrscheu wie Jahve
geredet hat über die Sohne Davids,
4 dies ist es, was ihr tun sollt:
das Drittel von euch, das am
Sabbath kommt, von Priestern
und von Leviten, soll die Schwellen
hüten, 5 und das Drittel von euch soll
sein im Hause des Königs und das
Drittel im Tore Jesod und alles Volk
13*
Knp. «;.
^ab (leu üiiupl-
id RüaluQge
im Huuse Juhvt
11 Und die Trabanteu slanden, mäuoig-
lich mit der Waffe in der Hand, von
der Südseite des Tempels henim bis
iur Nordseitc um AlUr und Tempel,
riDgs um den König.
IS I'nd er führte den Königssohn her-
aus und legte ihm das Diadem und
die Armspangen an, und sie machten
ihu zum Eünig nuil salbten ihn und
klatschteo in die llaud und rieren: es
lebe der Köuigl
la^^V
9 t'iid die Hauptleute taten genau
wie ihnc?n der Priester Jojada g^aagt
lifttte und nahmen jeder seiue Ilanu-
Bvbaft, die am Sabbath Heiingehenden
und die um Sabbath Aufziehenden, uud
kftucn xiim l'neiiler Jujada.
iu dea Hilfen des
6 und niemand soll ina Haus Jftb*M
dnngen als die Priester uud di<t Dieu«t-
haliendeu von den Leviten, sie «ollen
Itiuein, denn sie sind heilig, %ber all«*
Vulk soll die Ordnung -lahves uio-
balteu: 7 und die l,evitno sollen
deu KÖuig rings umgeben; jeder
mit gezogener Waffe, und wer
iii den Tempel dringt, floll Kotötet
nerdeii, und aio sollen mit dem
sich «endet. 8 t'ud die Levit«n und
an» ganze Judu taten genau wie
ihnen der Priester Jojad« be-
jede.
chaft, dii
Ih Kum
1 Stil-
lil dei
th fieheuden, denn der
Prieiiter Jujada enlliess die Abteilun-
gen nicht. 9 l'nd der Priester Jojada
gab den Uauptleuten die Speere und
Scbilder und Rüstungen iles Königs
David die im Hause riotlea «area.
10 und er stellte dos ganze Volk,
miuniglich mit der Waffe In der
Hand, von der Südseite degTem-
rings II
»US und legte,
und die Arm
> Söhne und sj)j
iler König'
Die luthronisalioii des 3oas »o\], ähnlich i
die
durch die Leibwache der jüdischen Könige geschehen sein?
der Hohepriester eoll mit den Hau[)tleuten im Hause Jahves eine
Verschwörung gemacht und seihst die Anregung gegeben haben,
jeue halbheidnischen Söldlinge in den Tempelraum einzuführen?
das wäre ja ein Greuel gegen das Gesetz, der einem solchen hei-
ligen Mann niclit zugetraut werden kann. Warum brauchte Jojada
P
nie Chronik.
1971
Kdann nicht seine eigene fiaide, die Myriaden von Ijeviten, die ihm '
I EU geböte standen? Das war doch das einzig richtige und also
f auch das wirliliolie Verfahren. „Niemand soll ins Haus Jahves
I dringen als die Priester und die Diensthabenden von den Leviten", <
L naeh diaseru von ihm seihst angegebenen firnndsatze (23, 6; vgl,
den Tempel statt in die Reihen) setzt unser frommer
} Ge«(chichtsschreiber an die Stelle der Karer und Trabanten seina
I Priester uud Leviten. Dadurch räcltt nun auch Jojada in die ihm
[ gehfihrende Stelle als t^euverän des Heiligtums und der Gemeinde.
[ Er braucht min nicht mehr in^eheim mit den Befehlshabern der
i Leibwache eine Verschwörung anzustiften, sondern beruft durch
I seine gewtliclien Officiere die Leviten und Familieiihänpter aus allen
I Städten Judas in <len Tempel uud läast dort die ganze Versamm-
1 Bund mit dem jungen König schtiessen. Die schreienden
I Disharmonieeu, die durch derartige Übermalungeii einzelner Partien
I des alten Bitdos unvermeidlich cntstehn, muss man in den Kauf
l nehmen. Wenn Jojadn imbeschräniit über eine solche Macht go-
I. bietet und bei seiner Revolution mit der grössten Offen tlichlceib
L verfährt, so hat er und nicht Athaiia die eigentliche Herrschaft —
P wozu macht er aber dann so viel Wesens um die Tyrannin abzu-
setzen? aus blosser Lust an levitischem Pomp und solennem Ver-
fahren? Was soll man ferner mit den Hauptlenten, die 23, 1,(1
beibehalten und v. 14 sogar wie i. Heg. 11, Ifj Officiere des Kriegs-
volks genannt worden, anfangen, nachdem ihnen ihie Soldaten ge-
nommen oder vorwandelt sind? Waren die 1 o\iten militärisch
orgauisirt und lösten sie sich, in drei Kompagnien eingeteilt, all-
l-wnchentlich im Tempeldienste ab? Die Ausleger sind geneigt,
l-soicbe llilfsannahmen hinzuzndichteo; damit können >ie in'^ nnend-
■ liche fortfahren ohne zum Ziel zu gelangen, denn der Intum ist
liruchtbar. Als ein besondei-s aulTallendes Beispiel, wie sich das
■ Verfahren der l'hronik rächt, möge noch 23, 8 erwähnt werden'
Lttnd sie nahmen jeder seine Mannsciiaft u. s, w, Die Worte sind
2. Reg. 11, w entlehnt, haben aber dort die Hauptleute zum
l;6ubjekt, dagegen hier die Leviten und alle Judäer, als ob ein jeder
iyou diesen letzteren seine Maunschaft gehabt hätte, die des Sabbaths
|:|Ui- und abtrat,
Nicht viel weniger lehrreich ist der Vorgleich von 2, Reg.
|12, ö— 17 mit 2. Clu-on. 24, 4—14. Nach 2. Reg. 12 traf Joas
l'dic Anordnung, dass alle dem Tempel geweihten Geldgaben künftig
J9R Geschichte der Tradilion, Kap. C.
an (lio Priester fallen, diese aber dafür die Pfliclit hahen soIHi
Aas Gebäude in gutem Stande zu halten. Aber sie nahmen d»s
(ifld nnd vernachlässigten doch die Reparatur, und als sie und in-
sonderheit Jojada ilarnm vom Könige gescholten wurden, verzich-
teten sie auf die Einnatuue, um die Last nicht zu tragen. Darauf
stellte der König eine Art Gottesiiasten, eine Truhe mit einem
l.uch, ueben dem Altare auf, „rechts wenn man in den Tempel
will", dahinein aollten die Priester dns einlaufende Geld werfen,
mit Ausnahme der Straf- und Schuldgelder, die ihnen verblieben,
I'nd so oft die Truhe voll war, schütteten die Schreiber des Kö-
nigs und der oberete Priester das Geld aus, wogen es nnd über-
gaben es den Werkführem zur Löhunng der Arbeiler: zur An-
schaffung heiliger Geräte sollte nichts dazu verwandt werden,
wie ausdrücklich (v. 14) gesagt wird. Diese Einrichtung des
Königs Joas war eine dauernde nnd bestand noch zur Zeit Josias
(2. Reg. 22, 38s).
In die autonome Ilierokratie von Gottes Gnaden passte das
eigenmächtige Verfahren des Joas nicht. Nach dem Gesetze fielen
die laufenden Geldabgabon an die Priester; kein König durfte sie
ihnen nehmen und nach Gutdünken darüber befinden. Wie konnte
Jojada auf sein göttliches Recht verzichten und eine solche Ma-
jestätsbeleidigung des Heiligen dulden! wie konnte er für seinen
anfänglichen passiven Widerstand gegen die gesetzwidrige Zu-
mutung getadelt, wie konnte überhaupt der Priester in seinem
eigenen Departement vom Könige zur Rede gestellt werden! Die
Chronik weiss es besser. Athalia, die schlimme, hatte den Tempel
verwüstet und ansgeraubt; so beschloss Joas ihn zu restauriren
nnd zu dorn Zweck durch die Leviten aus ganz Israel Gehl sammeln
zu lassen. Da aber diese damit keine Eile hatten, so machte er
eine Truhe und setzte sie draussen in das Tor des Heiligtums:
rla strömte das Volk herbei und l'reudigen Herzens taten Vornehme
nnd Geringe iiire Gaben in die Truhe, bis sie ganz voll war. Als
nun die Torwache dies gemeldet hatte, kamen die Schreiber des
Königs und der Delegirte des Hohenpriesters, das Geld aoszuschütfen,
und der König und der Hohepriester lohnten damit die Arbeiter;
was übrig blieb, wurde zu kostttaren Geräten verarbeitet (2. ('hron.
24, 5 — 14). Hiernach trifft Joas nicht über die heiligen Abgaben
irgend welche Verfügung, sondern or veranstaltet eine ausserordent-
liche Sammlung wie einst Moses zum Hau der Stiftshütte (24, C
Die Chrouik. 199
in folge dessen erscheint auch alles andere, was 2. Reg. 12 dauernde
Einrichtung ist, hier als einmalige Begebenheit ; statt von den immer
wieder nötigen Reparaturen des Tempels ist von einer ausserordent-
lichen Restauration desselben die Rede, und nur zu diesem vorüber-
gehenden Zweck wird der Gotteskasten aufgestellt, jedoch nicht
bei dem Altare sondern am Tore (24, 8 vgl. 2. Reg. 12, 10). An den
Klenis, und zwar an die Leviten, ist nur die Zumutung gestellt
worden, die Sammlung zu betreiben, nicht selbst von den heiligen
Einkünften den Bau zu bezahlen; in folge dessen wird ihnen auch
nicht vorgeworfen, dass sie das (leid für sich behalten, sondern dass
sie nicht recht an die Sammlung heran wollen. Es erweist sich aber,
dass sie mit diesem Widerstreben ganz Recht gehabt haben,
denn der König braucht nur den Gotteskasten auszustellen, so
fliesst er auch über von freiwilligen Gaben des sich herzudrängen-
den Volkes, so dass davon auch noch zu anderen, freilich nach
2. Reg. 12, 14 ausdrücklich ausgeschlossenen Zwecken etwas übrig
bleibt (v. 14). Den Priestern erteilt Joas überhaupt keine Be-
fehle, und namentlich Jojada steht ihm ganz gleichberechtigt
gegenüber: schickt der König seinen Schreiber, so erscheint auch
der Hohepriester nicht pei*sönlich, sondern lässt sich durch seinen
Abgesandten vertreten (24, 11 vgl. 2. Reg. 12, 11). Auch hier
passt mancher neue Lappe nicht zum alten Kleide, wie de Wette
I p. 100 zeigt; stillschweigend gibt die Chronik selber dem älteren
Bericht die Ehre, indem sie den Joas schliesslich vom Alosaismus
abfallen und die dankbare Ehrerbietung, welche er dem Hohen-
priester schuldig war, verleugnen lässt: (bis ist die Nachwirkung
des unangenehmen Eindrucks, den sie nicht aus ihrer eigenen Er-
zählung, sondern nur aus der dos Buches der Könige über das
unangemessene Auftreten des dennoch frommen Königs in Ange-
legenheiten des Heiligtums und der Priester gewinnen konnte.
Die Früchte für ihre Entstellung von 2. Reg. 12 erntet die
Chronik bei der Wiedergabe der damit nahe vei'wandten und eng
zusammenhangenden Perikope 2. Reg. 22, 3 — 10. Es ist der Mühe
wert, die Parallellen noch einmal zusammenzustellen.
2. Reg. 2*2, 3. Tiid im 18. Jahre des 2. Chron. 34, 8. lud in seinem
Königs Josia sandte der KonijUf den 18. Re^ieningsjahre, zu reinigen das
Saphan ben Asalia hen Mesullam ins Land und den Tempel, sandte er den
Haus Jahves sprechend: 4 geht zu Sapha ben Asalia und Maaseja den
Hilkia dem Hohenpriester, und schüttet Burgemeister und Joah ben Joahaz
200
Geschichte der Tradition, Ks[». R.
lins Silber aus, dos rin^i^^^ngcii ist im
llnuae Jahvca, welches die Scbwelbn-
hüter eiogenninmen haben von dem
Volk, 5 und gebt es den Werkführem
im HuuBe Jnhves, daas sie ea den
Arbeitsleuten geben, welche im riauee
Jahves mit der Iteparatur lieBchlftigt
sind, 6 den Schmieden Zimmcrleuten
und Maurern, und num Kauf von Holt
und Bmisteiueu xur AusbessenmK dos
HauseH, 7 duch soll über dru ihnen
ül'ergebcne (ield nicht mit ihnen abge-
rechnet «erden, auf Treu und Glauben
verfuhren sie.
8 Hilkia aber, der Hohcprlesler, sprach
m dem Schreiber Sapban also: das
Buch der Thora hade ich im üaune
Jahves gefunden, und er gab es dem
Sapban und der las es. 9 Und S»pha.n
der Schreiber kam lum Könige und er-
Blaltcte ilim Bericht und sapte: deine
Knechte haben dos im Tempel vorhan-
dene Geld ausgese hättet und es den
Werkführern Im Ilausc Jahves über-
geben. 10 l'nd der Schreiber Saphan
erzähhe dem Könige also: ein Buch
den K&niler, in restauriren das
Jahves seines tiottex. 9 l'nd sie ko*
men zum Hohenpriester Uilkia, und
sie gaben das im Hause Gottes eiu-
gegangene Silber, welch« die I^evitea,
die SchvrellenhSter, gesammelt hallen
van Ephraim und Uana«Ee und dem
übrigen Israel und von goni: Juda und
Benjamin und damit heimgekehrt wa-
ren nach Jenisalem, 10 das gaben sie
den Arbnitern bestellt tu Haune Jabves,
und die Arbeiter, welche an der Rc-
stenretion im Hause Jahves «chafTlen,
11 die gaben es den Kaudweriiem und
Bauleuten, tu kaufen Hausteine und
Bölter lu Decken und Balken der
Häuser, welche die Könige Judas ver-
derbt halten. 13 Tnd die SlKnner
verfuhren mit Treu und (ilauben bei
dem Werke, und o« waren ihnen vor-
gesetzt Jahatb und Obadia die Leviten
von den Söhnen Meraris und Zachoria
und Uesullam von den Kchathilen, xu
dirigireu, und die Leviten, alle die
sich auf Musikinstrumente verstanden,
13 waren über die Lasttriger und
leiteten alle Arbeit bei jedem Werk,
und andere Leviten waren Schreiber
und Aufseher und Torwächter. 14
l'nd da sie das im Uaiise Jahves ein-
gegangene Geld ausschalteten, fand
der Priester Hilkia das Buch der Thora
Jahves durch Moses, 15 und Hilkia hub
an and sprach zu Saph&n dem Schrei-
ber: ilas Buch der Thora Jahves habe
ich gefunden im Hause Jahves: uud
Hilkia gab dos Buch dem Sajiban.
16 l'nd Sapban brachte das Buch dem
Könige uud erstattete ausserdem dem
Künige Bericht also: alles wss deinen
Knechten aufgetragen ist, tun sie,
17 und sie haben das im Hause Jahves
vorhandene Geld ausgeschüttet und es
den Vorstehern uud den Arbeilsleuten
übergeben. 18 L'nd der ScbreüMT
r der Pries 1 er Hilkia
Ifts eti dem Küui^'i.' '
lirouik. $ßiM
SapfaikD era&hlt« dem König also: ein 1
BuL-h hat mir der Priester Hilkia ge- .
);el>rii, und Saphan los daraua dem \
Mie in der Eiiiriclitiiiif; iles Jwis Hepcink'ii Voraussetzungen 1
des Anlasses, bei ilem der Priester dem Saphan das GescUbach
insiniiirt, hat die Chronik zerstört und dafür andere crganict:
unter den Vorgängern Josias sei der Tempel verderlit, unter ihm
selber aber durch umhei-ziehende Lc^'iteu ans ganz Israel Geld {
zur Restauration gesammelt und zunächst im Gotteskasteii nieder^ I
gelegt. Beim Ausschütten dieses Kasten soll dann der Priester J
das Buch gefunden haben (v, 14, nach Deut. 31,26), ungeachtet
hei dieser Gelegenheit auch Saphan und die beiden v. K hinzuge-
fügten Statist«a zugegen waren und den Fund hätten mitmuclien i
müssen, was durch v. 15 (= 2. Heg. 22, 8) ausgescMossen ist. j
Andere Mis Verständnisse kommen hinzu, namentlich sind die Werk- j
föhrer (muphkadira), denen nach dem ursprünglichen Bericht das 1
Geld zur Löhnung übergeben wird, zu einfachen Arbeitern heralt-
gesetzt, von denen sie dann doch wiefier unterschieden werden; !
während sie 2. Reg. 22, 7 bei der Auszahlung des Geldes anf j
Treu und Glauben verfahren, verfahren sie 2. Chron. 34, 12 be
dem Werke mit Treu und Glauben. Vielleicht ist dies indessen ,
kein reines Misverständnis, sondern hängt zusammen mit dem I
streben, die profauon Iläude tuulichst vom Heiligen ferne zu
halten und besonders die Leitung des Baues den Leviten zu über-
geben (v. 12. 13). Wie weit die Ängstlichkeit der Späteren ia
diesem Punkte ging, ersieht man aus der Angabe (Joseph. Ant.
15, 390), dass Herodes zum Bau seines Tempels tausend Priester
zu Maurern und Zimmerleuten ausbilden Hess. Die zwei inter-
essantesten Änderungen der Chronik sind ganz unscheinbar. Ia
V. 18 Bind die Worte: er las das Buch dem Könige vor, umge-
wandelt zu: er las daraus dem Könige vor, und hinter: und
Hilkia gab das Buch dem Saphan (v. lö), ist der Satz: und er'
las es ausgelassen. Nach 2. Heg. erscheint das Gesetzbuch als
sehr massigen Umfangcs, aber der Verfasser der Chronik stellt sich j
den ganzen Pentateuch darunter vor.
Im weiteren wird zwar 2. Itog. 22, 11—23, 3 wörtlich wieder-
holt 2, Chron. 34, 19—32. aber der sich anschliessende unverhältnis-
202 Reschichte der Traditimi, Kap. C.
massig wii'hligcre Abschnitt. 23, 4 — 2(t, der eine •feniiue .Sfliildl
rnng der gewaltBamen Refnrmatioii Jusia» enthält, wird ühcr-
l^iiiigen tmd niit der nitlitssa^iiden Bemerkung ersetzt, der Köatg
tialio alle Greuel aus Israel entfenit (34, 33); desto ausführlicher
will! diifür sein Paschafest beschrieben (Kap. 3ü). Wenn die
Chronik anch den Reritht vr>n der Auffindung und Veröffentlichung
de& Gesetzes mitteilt, so begreift sie doch nicht, ilass dasselbe erst
seit diesem Ängenlilicko geschiditlit^h wirksam und plötzlich von
so grosser Bedentnng gewonien sein sollte. Es waa- ja seit Moses
die Grundlage der Gemeinde und bestand zu allen normalen Zeiten
in Kraft und Geltung; nur zeitweilig keimte dies Lebeiisprincip
der Tlieokratie von aehlechten Königen niedergehalten werden, nm
nach dem Aufhfiren dos Druckes sofort wieder wirksam und mächtig
KU werden. Sobald Ahaz die Augen gesuhlossen hat, stell) Hi^kia
im ersten Monat seines ersten Jahres den mosaischen Kultus
wieder her; und sobald Josias an verständigen Jahren gekommen
ist., macht er gnt was seine Väter gesäudigt. ^V''eil er bei seinem
Antritt noch zu jung ist, wird Auslands halber statt des achten
Jahrs seines AHers das achte Jahr seiner ßegiening gewählt und
dahin die grosse Reformation verlegt, die er tatsächlich viel später
unternahm (M, 3—7 = 2. lieg. 23, 4—20). So verliert dieselbe
denn glücklich den geschichtlichen Anlass uiul den Charakter der
Neuerung, erscheint vielmehr als einfaches Empoi-schnellen der
Feder nach Beseitigung der ihr angetanen Gewalt. Das Gewölk
weicht vor der Sonue des Gesetze^s und sie sclieint wieder wie zu-
vor — ihr Lieht macht keine Phasen durch, sie leuchtet vou An-
fang an in gleicher Stärke. Was Josias getan hat, hat ganz ebenso
vor ihm schon Asa getan, darnach Josaphat, darnach Hizkia; die
Reformen sind keine Stufen einer fortschreitenden Entwlckuiung,
sondern haben alle den gleichen, ewigen Inhalt. Das ist der Ein-
fluss des transcendenten, allem Werden und Waclisen enthobenen
Mosaismus auf die historische Anschauung, spürbar sclion im Bnche
der Könige, aber in der Chronik ungleich handgreiflicher.
3. Abgesehen davon, dass sie die Kontinuität des legitimen
Kultus zu Jerusalem darstellt, hat die Geschichte Judas in der
Chronik noch einen anderen lehrhaften Zweck. In dem Reiche
Jahves wii'kt nicht ein natürlicher und menschlicher, sondern der
göttliche Pragmatismus. Ihn zum Ausdruck zu bringen, dazu
sind die Propheten da, die In ununterbrochener I'olge den Köuijfi
Die Chronik, 2€8
und Roheripriesterii zur seito Reho; sie verknüpfen die Taten Her
Menschen mit den Ereii^nisgen des WellUiifs und benutzen diA
heilige Goachichte als Thema für ihre Predigt, als Beispiels-
sammhing für die prompteste Wiiksjimkeit der Gerechtigkeit
Jahvos, Neues und Freies verkündigen sie dabei nicht, sondern
liandhuben tiitr, ebenso wie Jalive selber, die Thora Moses, indem
BIO nach der Schubloue Glück oder Unglück in Aussicht stellen,
je nachdem das Gesetz treulich erfüllt oder vernachlässigt wordeo
ist. Natürlich treffen ihre Weissagungen immer genau ein, und
es enribt sich somit ein ganz wunderbarer Einklang zwischen
innerem Wert und äusserem Ergehn. Jiie bleibt auf die Sünde
die f^trafe aus und nie mangelt dem Unglück die Schuld.
Im 5. Jahr Rehabeams ward Juda und Jerusalem von Pharao
^ Sisftk ausgeplündert (l. Reg. 14, 25). Nämlich drei Jahre lang
wandelten sie in den Wegen Davids und Salomos, denn drei
Jahre lang wunleu sie gestärkt un<l gekräftigt von den ans dem
Nordreich zugezogenen Priestern und Leviten und übrigen Frommen
(2. Chron, 11 , 17); darnach aber im 4. Jahr, da das Königreicli
Rehabeams gestärkt und gekräftigt war, verlieas er das Gesetz und
ganz Israel mit ihm (12, 1) — und es folgte im ö, Jahre der Über-
fall Sisaks, Ein Prophet kündigt denselben an, in folge dessen
demütigt sich der König mit seinem Vnlk nnd kommt mit blauem
Auge davon — weil er gewürdigt worden, noch zwölf weitere
Jahre zu regieren.
Asa litt im Alter an den Füssen (1. Reg, IS, 23), Nach
2, Ohron, 16, 12 starb er an ilor als sehr gelUlirtich geschilderten
Krankheit im 41. Jiihro seines Königtums, nachdem er schon
vorher in der späteren Zeit setner Regierung Unglück gehabt
hatte. Was war die .Schuld? Er hatte gegen Baesa von Israel
answärtige Hilfe statt der göttlichen angerufen, Nuu lebte Baesa
nur bis zum 20. Jahre Asas, jene böse Tat müssto also vorher
begangen sein. Aber dann wäre ihr Zusammenhang mit der
Strafe nicht klar geworden, die den König erst gegen Ende seines
Iiehens traf. Also wird Baesas Zug gegen Jerusalem mid der in
folge dessen von Asa veranlasste Einfall der l^yrcr in Israel von
der Chronik ins H6. Jahr des letzteren verlegt (16, 1). Man hat ,
die treffende Beobachtung gemacht, dass Baesa damals eigentlich
längst tot war, und darum die Zahl Hii in 16 verbessern wollen .
— ohne zu bedenken, dass die erste llälff.o der Rcgierun^eit
I
Geschichte der Tradition, Kap, fi.
Asiis ausdriickÜL'!! nls glücklioh bezeii-huet wird, liass sclion ITj, lil
das Sli). Jahi- erreicht ist und dass jene Korrektur de» Ziisammeu-
haiig mit dem Folgenden (Ui, T ss.) zerstört. Nämlicli in Aidass
jener frevelhaften Herbeirufnng der SjTer tritt nun der üblicho
Prophet auf (16, 7) und verkündet die Übliche Drohung. Es ist
ll»nani, ein Nordisraelit (1. Reg. Iti, 7), aber Asa behandelt ihn
wie seineu eigenen Untertan, läest ihn hart an und setzt ihn in
das Stoelthaus. Dadurch vergrössert und besühlennigt er die Strafa
und erliegt ihr im 41. Jahr seiner Regierung.
Josaphat, der fromme Konig, beteiligt« strh nach ], Reg. 2^
an dem Feldzuge des gottlosen Ahab von Israel gegen die Daroas-
ceuor. l'jii^ahndet kann ihm das die Chronik nicht hingehn
laasen, also sagt ihm, du er iu Frieden heimkehrt, selbiger llanani
eine jedoch gnädige Strafe au (19, 1 — ü). l'nd in der Tat, sie
ist gnädig; die Moabiter und Ammouiter fallen in das Land, aber
Josaphat ti-ägt ohne sein Zntuu einen glänzenden Sieg davon uud
uiat:ht unermcssliche Heute (2I>, 1 ss.). Man kann es ihm darnach
nicht verdenken, dass er sich noch einmal mit Ähabs Nachfolger
verbindet, zu einer gemeinschaftlich zu betreibenden Hchifffahrt,
die von einem Hafen des Roten Meeres aus, wahrscheinlich um
Afrika herum, nach Tarsis (Spanion 2. Chron. 9, 21) gehn soll.
i)ie$mal aber wird er einstlieher gestraft: wie Eliezier hen Dndija
goweissagt, scheitern die SchilTo. Damit vergleiche man 1. Reg. 22,
49. 09; „Josaphat baute Tai-sisschiffe nach Ophir zu fahivu um
Gold, aber die Fahrt kam nicht zu Stande, denn die Schiffe zer-
brachen im Hafen am Roten Meer«; damals hatte Ahazia hon Ahah
um ßeteiligung seiner Kuechte an der Fahrt gebeten, aber Josaphat
es abgeschlagen". So der Originalbericht. Aber in der Chronik
muss das Unglück moralisch begründet sein und darum Josaphat
sündige Gemeinschaft mit dem Samarier macheu, den er in Wnhr-
heit abgewiesen bat, freilich keineswegs aus religiösen Hedcnken.
Joram beu Josaphat habe es sehr schlimm getrieben, hoisst
es 2. Reg. S, IS; die Chronik steigert seine Frevel und ergänzt
vor allem den verdienten Lohn (21,4ss), Elias, obgleich damals
längst gen Himmel gefahren (2. Reg. 3, llss.), muss dem Sünder
einen Brief schreiben, dessen Drohungen Jahve danu pflichtschul-
dig in Erfüllung gohn lässt. Nachdem zuvor die Phili^er und
Araber ihn bedrängt haben, verfällt Joram in eine unheilbare
Krankheit der Eingeweide, die ihn Jahre lang (jnält und endlti
in furchtbarster Weise sein Ende lierlieifülirt (21, 12s9.). Dem '
Gottestirteil beifallend, versagt (fns Volk dorn Toteu (üe konig-
lictieii Ehren und begräbt ihn nicht bei semen Vätem: trotz {
2. Reg. 8, 24.
Joas war nach 2. Reg. 12 ein frommer Herrscher, aber « ]
hatte Unglück; den Syrer Ilazael, der Jerusalem belagerte, miMste '
er durch schwerus Gehl znin Abzüge bewegen, zuletzt G^
durch Meuchelmord. Womit er dies Schicksal verdient hat, weis» '
die Chronik. In dem 8ntae: „er tat was Jabve wolgefällt alle ■
seine Tage, weil ihn der Priester Jojndo, unterwiesen hatte" |
(2. Keg. 12, 3), verändert sie den Srhluss dabin: alle die Tage <
Jojadas des Priesters (24, 2). Nämlich nach dem Tode sein^ '
Woltäters ist er abgefallen und liat ihm an seiner Familie mit
schnödestem Undank gelohnt: am Ende des selbigen Jahres
überfallen ihn die Syrer, bei ihrem Abzug verrällt er in eine
schreckliche Kranklieit, um die sein Unglilck hier nuch ver-
schlimmert wird; und in der Krankheit wird er ermordet (24,
17 9S.).
Amusia wurde von dem samarischen Könige Jehoas, den er i
übenuütig herausgefordert hatte, geschlagen, gefangen und empfind-
lich gest.raft (2. Reg. 14, 8sk.). Warum? weil er erbeutete edo- i
mitische (lötzen in Jerusalem aufgestellt hatte und ibuen diente
(2. Chron. 25, 143- Erbeutete Götzen eines überwundenen Volkes
zieht er in dem Augenblicke dem Jahve vor, als letzterer jene I
Biegt hat! Seit diesem in der Tat nicht genug zu strafenden Ab- ,
fall sollen dann auch seine Knechte sich gegen ihn verschworen
und ihn umgebracht haben (25, 27) — und doch wird v. 25 nach ■
2, Reg. 14, 17 versichert, Amasia habe seinen Gegner Jehous um
15 Jahre überlebt.
Uzzia, einer der besten Könige Judas, wurde aussätzig und
mnaste die Regentschaft seinem Sohne Jotham übergeben (2. Reg.
16, o). „Nämlich, liigt die Chronik hinzu, er war sehr mächtig ge-
worden und da erhub sich sein Herz zum Verderben, so dass er I
sich an Jahve seinem Gott vergriff und in deu Tempel einging,
auf dem Bäucheraltar zu räuchern. Und da der Priester Azari» '
und achtzig seiner Genossen sich ihm widersetzten und sprachen:
es gebührt dir nicht zu räuchern, sondern altein den Söhnen Aha- <
rona, die dazu geheiligt sind, so wurde er zornig und Hess das
Räucherfass nicht tius der Haud. Da fuhr der Aussatz aus aa |
200 Cwscbichie der Tradilion, Kap.fi.
seioöc 8l.inie uiid die Priuster scheuch tou ihn vuri liaiiiieii" 0H
l(i — 20). Nun ist die Suche kein Rätsel mehr.
Ahaz taugt» wenig und half sich doch j^aiiz leidlich aus der
Betlräiigiiis, in die er durch deu Einfall der verbündetou Syrer
un(] Israeliteii geraten war, iudom er sein Keicli deiu Assyror Thi-
glathpileser zu Lehen antrug (2. Reg. lf>, Iss.). So billigen Kauf^
konnte ihn die l'hronik unmöglich davon kommen lassen. Hier
wird er dahingegeben in die Hand der feinde, allein« die Israe-
liten erschlagen 12U0OO Juden, darunter den Sohu des Königs
und seine vornehmsten Diener, und schleppen 3(X) 0Ü() Weiber und
Kinder nebst anderweitiger grosser Beute fort nach Samarien-
Auch die Edomiter und Philister fallen über Ahaz her; die Assyrer
aber, die er zur Hilfe gerufen hat, misverstehn ihn nnd rücken
in feindlicher Absicht vor Jerusalem; sie erobern freilich die Stadt
nicht, gewinnen jedoch mühelus ihre Schätze, die ihnen der König
selber ausliefert (28, 1—21).
Keinen schlimmeren Herrscher kennt da^ Bnch der Könige
als Mauasse; dennoch hat er, länger als ii^eud ein anderer, durch
Dit. Jahre ungestört die Regierung geführt (2. Heg. 21, 1 — IS).
Diesen Stein des Anstosses niuss diu Chronik aus dem Wege
schalfeu. Sie erzählt, Manasse sei von den Assyrern in Ketten
nach ßabei gebracht, clort aber habe er zu Jahve gefleht, sei von
diesem wieder in sein Reich eingesetzt und habe nun den Götzen-
dienst aus Juda beseitigt (33, 11 — 20). So entgeht er einerseits
nicht der Strafe, und anderei'seits erklärt sich doch die lauge
Dauer seiner Itegierun^. Freilieb ist mau neuerdings der Glaub-
würdigkeit dieser Angaben mit einer assyrischen Inschrift su Hilfe
gekommen, aus der henorgeht, dass Manafiae dem Esarhaddou
Tribut geleistet hat. Also, sagt mau, ist er von den Assyrern
vergewalti(;t, und aber also ist er gefossolt von ihticn fortgeschleppt.
Weniger geschwinde aber vielleicht eben so richtig wäre die Fol-
gerung, dass er als Tributzahler auf dem Thron von Juda und
nicht im Kerker zu Babylon gesessen haben müsse, in Wahrheit
steht die zeitweilige Absetzung Manassus ganz auf gleicher Linie
mit Nabokodrossors zeitweiligem Grasfressen. Die Ungeschichl-
lichkeit des in seinen Motiven vollkommen durchsichtigen Inter-
mezüu folgt nicht allein aus dem Stillschweigen des Buches der
Könige, welches wahrhaftig in dieser Sache nicht leicht wiegt,
sundern auch z. B. aus Hierem. 15,4. Denn wenn es au letzte
Die Chruuik. 2
rfit^le lieisst, um der Schuld Muuassoä willen süUe ganz Juda und
[ Jerusalem der Veriiichtmig preis gegeben werden, so ist die Vor-
t ansselzunji: iiicbt, diiss sie bei'eilä von ihm selber gebüsst und ^e-
ffifibut sei.
Dem Jnsiii wird, um zu r echt fertigen , daas er bei Me^iddo
[ Schlacht und Leben verlor, die Si^huld angeheftet, daas er den
I -Worten Nethos aus dem Munde Oottes nicht gehorcht habe, der
I ihn vom Kampf nbmahnte (35,21,22). Umgekehrt wird dem
I gottlosen Jojakim die .Strafe vergrössert; er soll von dem Chal-
[ däer in Ketten geschlagen und imch Babel geführt worden sein
I C36'3) — freilidb wai- das vor der Einnahme Jerusaloms nicht
Lwol möglich, die erst im dritten Monat seines Nnclifolgers gelang.
I Der letzte Davidide Sedekia, weil er Schwereres als alle seine
I Vorgänger erlitt, muss halsstarrig und veret.ockt gewesen sein
1(36,12. 13), Eigenschaften, auf die er nach dem authentischen
[ Zeugnisse des ftopheten Jeremias in Wahrheit am wenigsten Än-
[ ^ruch erheben konnte.
Man sieht, die alterknnliretesten Produkte sind aus dem Plan
dieser Geschichtsschreibung, wie man sich euphemistisch auszu- >
drücken pflogt, hervorgegangen. Man wird darum überhaupt die
BestimratJieit der Angaben, mit denen die Chronik allein steht,
nicht für einen Beweis ihrer Tatsächliclikeil halten dürfen. Die
Eraätilung von dem Äthiopen Zerah (2. Chron. 14, 7 ss.) ist ebenso
apokrj-ph wie die von Kusan Kisathaini (.lud. :-t,10). Schon des
Vignoles hat zwar den ei-steren mit dem Osorthon Manethos gleich-
gesetzt, der als Osorkon iSoIni des Hisak, jedoch nicht als Erneuerer
des Keldzngs gegen Palästina, auf den ägyptischen Monumenten
wiedet^efnnden ist ; aber (Jsnrkon war ein Ägypter, Zerah ein
Äthiop, und die Ähnlichkeit ihrer Namen ist doch auch nicht
, allzu sclilageud. Ausserdem — wäre Zerah in der Tat eine histo-
rische Person, was hülfe dies zur Uettung des unhi.^torischen Zu-
BuninenhongN? Mit einer Million zieht der König der Mohren und
Libyer, Ägypten überspringend, gegen .Inda aus, Asa rückt mit
BöOlXK) Mann, dem Aufgebot eines Landes von ungefähr sechzig
Qaadratmeilen , den Feinden entgegen und schlägt sie auf der
I £bene nördlich von Maresa so, das» kein einziger am Leben bleibt.
FDas soll, der genau angegebenen Lokalität wegen (wobei jedoch
f Maresa stMt (iath nicht eben nach alter Ijuelle scbmecki) glaub-
haft sein, wenigstens nach Abzug der Uiij;!anblichkeiteni' Viel-
208 fiesclilchte der Trafliticn, Kap. ß.
mehr nadi Abzug dor Uiigliiuhlichkeiten ist der Iteet gleich Null.
Der Einfall des Baesa vou Israel in Juda und Aaas Beuehmeii
ihm gegenüber (1. Reg. 15,17 ss.) ist eine vermdilende Kritik
des grossen Sieges, den er vorher über die Athiopen davon ge-
tragen haben soll. Mit Josaphats Siege Über die Ammoniter unil
Moabiter steht es um kein Haar besser (2. (.'hron. 20}, ts lie^t
hier wahrscheinlich ein Echo von 2. Reg. 3 vor, wo von der Be-
teiligung Josaphats an einem Feldzuge gegen Moab ei-zählt wird
und ebenfalls der i^liarakteristische Zug von der gegenseitigen Auf-
reibuug der Feinde vorkommt, so dasa dem Widei-part um" die
Arbeit des Beutemacheus übrig bleibt (3,23. 2. Chr. 20,23).
Feinde stehn dem Chronisten immer zu Gebote, wenn er sie
nötig hat, Araber zur Seite der Kuschiten (17,11. 21,11». 22,1.
2ß,75, Meunäer (26,7), Philister 17,11. 21, lU. 26,08. 28,48),
Ammoniter (20,1. 26,8. 27,5), die sich zum teil schon durch
ihre Namen für die a1to Zeit unmöglich machen. Nachrichten
wie die, dass die Ammoniter den Königen Uzzia und Jütham
unterworfen gewesen seien (2(J,H. 27,5), werden, bei dem voll-
kommenen Schweigen der glaubwürdigen Quellen, einfach durch
ihre innere Hnmöglichkeit gerichtet; denn ku Ammon war Moab
die Brücke, und dieses Land war jener Zeit keinesfalk im judäi-
«■hen Besitze, wie übrigens auch nicht behauptet wird. Die Phi-
lister sind (21, HJ. 28,18) durch den Plan der Oeschichtschrei-
bung als rachgierige Feinde benötigt; schon dns tlössl Mistraaen
ein gegen die vorhergehenden Angaben (17,11. 26, (is.), dass sie
von Josaphat zur Tributleistung gezwnngeu und von Uzzia nieder-
gekämpft seien; voUens unglaublich ist es, dass der letztere
die Mauer von Asdod (Arnos 1,7) gebrochen und Festungen in
Philisthäa angelegt haben soll. Nach dem Buche der Könige hat
er Edom wieder unterworfen; Edom ist hier das einzige Land,
worauf die Davididen Ansprüche macheu und wogegen sie Kriege
führen, während Moab und Philisthäa — letzteres jedoch mit Aus-
ijahme der bedeutendsten Städte — virtuell zum Gebiete Israels
gehören.
Die Triumphe, welche die C'hi-onik ihren Lieblingen gönnt,
haben allesamt keine gescliichtliche Wirkung, sondern nur die
momentane Bedeutung den Glanz ilirer Regierung zu steigern. Der
Erfolg ist nämlich stets die Kelirseite des Verdienstes. Joram
Joas Ahaz, die als verworfen geschildert werden, baueu
HU Chronik. 309
^«stnngen, halten koine grossen Heere, haben nicht eiue Fälle
AVeibero und Kinderu; uur bei den rroiumeu Könl^n, zu
Ldeaen ja auch Reliabeam uud Abia gehören, äugseil sich iu dieeen
Segen Gottes. Die Macht ist der Gradmesser der
migkeit uud steigt und fällt mit <lieser. Weiter hat es
keinen 8iuu, wenn z. B. Josuphat über elf mal hundert tauseud
LSoldateti hat (lT,14gs.); denu zu Kriegen werden sie nidit ge-
f braucht, der Sieg kommt von Gott und von der Mneik der Leviten
' (Kap. 20). Bei deu Nachrichten über Festung-sbauten , die sich
regelmässig bei den i^ten Ilerrschern wiederholen'), sind allge-
meine Angaben, wie Os, H,14. 2. Reg. 18,13, in konkreter Weise
r exemplificirt , unter Benutzung einzelner traditioueller Elemente
h:(Ijachis). Es ist nicht möglich, aber auch wahrhaftig nicht nötig,
lÄberall die Erdichtung nachznweiaen; nach 19,5 scheint es, als
I ob einfach alle einigermaassen beträchtlichen Städte als Festungen
werden, in dem Veraeichnis ll,<jss. trifft man vor-
I zugsweise Namen, die auch in der nachexilischcu Zeit bekannt
firareu. Daas Abia dem Jerobeam unter anderem Bethel abgo-
ind dass Josaphut in die von seinem Vater Asa eroberten
l ephraimitischeu .Städte Statthalter gesetzt habe (13, lil. IT, 2),
t wünle Verwunderung erregen, wenn es nicht in der Chronik
I stünde. Zur Beurteilung der Familiengeschicbta der DaWdiden
rleiatet besondei-s die Mitteilung l.-t,21 nach Form uud Inhalt gute
I Dienste: „und Abia stärkte sich und nahm sich vierzehn Weiber
[ and zeugte zweiundzwanzig 8öhue uud sei^'hzehn Töchter". Man
■< meinen, dies falle in das Königtum Ablas uml zwar nach
I dem angeblichen Siege über Jerobeam; er regierte aber alles in
l allem nur drei Jahre und binnen dieser Zeit soll einer seiner
[ 8fihne sogar zum Muime gereift sein? In AVahrheit hat Abia nun
I fiberhanpt keinen Sohn gehabt, denn sein Bruder ist ihm gefolgt.
l Selbstverständlich ist doch auf die bestimmte und zweifelsohne
I <)nellen massige Nachricht, Maacha, die Frau Rehabeams, sei die
I Matter sowol Ablas als Asaa gewesen nnd letzterer habe sie aus
I ihrer Stellung am Hofe entfernt (I. Reg. 15,2. 10. 13), mehr zu
Lg«ben als auf die andere verhältnismässig leicht zu erklärende,
t wonach der Nachfolger für des Voi-gängers KSohu ausgegeben wird
l.(v. 6). Nach Josaphats Tode soll zunächst Joram alle seine
") 8,3-G. 11,5-12. 13, 19. 14,5.«. 17, 12. 19,5. 26', 9. 10. ^7, 4. 32.5.
33, U.
WaltklDKn. rrul«i,'snieui. &. Ana. 14
210
Geschichte der Tradition, Kap, fi.
Brillier ("21, 4) j^enioiilef. hiilieii, sodanii die Ar;i!>er alle Sühne
Jorams mit Ausnahme eines eiazit^eii (22, 1): wer von tlen Davi-
(liden bleibt denn da iiuch lur Jehu übrig, der aui;h ihrer zwei-
undvierzig abschlachtete ("2. Reg. 10, 14)!* Knra die Familien-
geschichte des Hauses Davids ist von dem selben historischen
Werte, wie alles andere, was die Clirouik mehr und besser weiss
aU die älteren kanonischen Geschichtsbüclier. Aach ,die Namen
und Zahlen können an diesem Urteil nicht irre macheu; deiin um
solche Kleinigkeiten, die den Schein der Genauigkeit erwecken, ist
der Verfasser nie verlegen.
4. Die Grundlage des Buches der Könige schimmert auch
in diesem das nachsalomonische Juda behandelnden Teile der
Chronik allenthalben durch. Wo dort genau und ausführlich er-
zählt wird, da gebietet aucli unser Verfasser über reicheres und
interessanteres Miiteriat; so bei den jndäisch-israelitischen und bei
den den Tempel betreffenden Geschichten (Kap. 10. 18. 23 8. 25,
17 — 23. 33 s.). Sonst ist er an die Regesten gebunden, die das
Skelett des Buches der Könige bilden, darnach richtet er sich
suwol in den Verdikt«n über den allgemeinen Wert der Herr-
scher als auch in den chronologischen Angaben, jedoch seinem
Plane gemäss die Synchronismen für gewöhnlich (13, 1. 2.'), 2ö)
auslassend. Aui-h die positiven Data der Regesten über die von
diesem und jenem Könige getroll'onen Kultusmaasregeln finden
sich grösstenteils wörtlich wieder nnd schwimmen brockenweise
und sofort unterscheidbar in dem Anfguss von Kestfeiern, Pre-
digten, Levitenchöreu, Gesetz nnd Propheten. Denn das ist eine
wichtige Gegenprobe alles dessen, wns sich bisher ergeben hat:
was in der Chronik nicht aus den Biichem Samuelis und der
Könige herrühi-t, gleicht sich nicht bloss in der inneren Art, son-
dern auch in der unbeholfenen und häuüg unverständlichen
Sprache, die offenbar einer Zeit angehört, wo das Hebräische im
Aussterben begriffen war, und in der manirirten Uarstellougsweise,
die ganz von Ueminiscenzen lebt. Es gehört nicht hierher, dies
nachzuweisen; vgl. aber Stäheün, specielle Einleitung (lSti2)
p. 139 s., Bertheau p. XIV ss-, Graf p. 116.
ÜI.
1. Wo die f'ln'ouik mit den älteren kanonischen Geschichts-
büchern pai'allel geht, da enthält sie keine Bereicherung, sontU
tÜL' Clirouik.
211
Fbut eine Verlarbimg der Tradition durch zeitgenüseische Motive.
[Jd dem Gesamtbilde, welches sie malt, spiegelt sich ihre eigeiie
■ Gegenwart, nicht das Altertnin wieder. Nicht viel anders verhält
les sich nun aber auch mit den Geachtechtaverzeichnissen, welche
[ 1. Chron, 1 — 9 zur Einleitung vorangesdiickt sind; auch sie haben
I im ganzen nur Für die Abfussungszeit Geltung, sei es für deren
[ wirkliche Verhältnisse oder für ilire Vorstellungen über die Ver-
gangenheit.
Die Vorliebe für Stammbäume und Geschlechtsregister, ge-
f mischt aus genealogisch-historischen und ethnologisch-statistischen
I Elementen, ist bezeichnend fib* den Judaismus; mit der Sache ist
I auch das Wort jaches erst in späteren Zeiten aufgekommen.
f Man schreibt kompendiarische Geschichte in der Form von Tho-
ledoth und Juchnsin. Der Faden ist dünn, unanschaulich, und
doch scheinbar fest und zusammenhangend; man behauptet nicht
viel und hat doch Gelegenheit allerlei Bemerkenswertes anzubringen.
Material findet sich; hat man erst Anfang und Ende, so ist
1 Brücke leicht geschlagen. Eine andere Äusserung des selben
t Triebes ist die Neigung, alle Verbindungen und Beziehungen der
I meuschlicheu Gesellschaft auf einen genealogischen Ausdruck zu
j bringen, überall künstlich Familien zu schatTen und sie in Ver-
[ -wandfachaft zu setzen. Wir hören von den Geschlechtern der
I Sciiriftgel ehrten zu Jabes, der Töpfer und Gärtner und Byssns-
I arbeiter, von Söhnen der Goldschmiede Salbenhändler und Walker,
i welche Korporationen ganz auf gleicher Linie mit wirklichen Fa-
i milien aufgeführt werden. Die Gliederung des Kultuspersonals ist
r die konsequenteste Ausbildung dieses künstlichen Natursystems,
r welches ebenso auf alle anderen socialen VerhÄltnisse ausgedehnt
I wurde.
Um nun näher auf den Inhalt von I. Chron. 1 — 9 (und an-
I derer damit zusammenhangender Verzeichnisse) einzngehn , so
I K^ hier, abgesehen von dem nicht weiter berückstchtigenswerten
I ersten Kapitel, eine ethno-genealogische Übersicht über die zwölf
I Stämme Israels vor, welche meist an die Data des Priosterkodex
I (Gen. 46. Num. 36) anknüpft und sie bald mehr bald minder be-
Vkächtlich erweitert. Nur sollen die Angaben des Priesterkodex
Jör die mosaische, jedoch die der Chronik zugleich für die folgende
ft'2eit gelten, z. H. Sauls und Davids, Thiglathpilesers und Hizkia».
(Aber schon tu der Itichterzeit waren in diesen Verhältnissen sehr
14*
•2lä
Geschichte der Tradition, Ka\<.
I
beiieuteiide Verümlerungeii eingetreten. A\'ähreini Dan mit Mühe
sich hielt, lösten Simeou und Levi sich gänzlich auf (Gen. 49. 7):
im Segen Moses bedeutet letztoier bereits etwas ganz anderes als
einen Stamm, und ereterer wird gar nicht ennähnt, obwol die
Aufzählung vollständig sein soll; schon zur Zeit Davids war er tn
der Gegend, wo er einst Fuss gefasst hatte, von judäisch-edomiti-
scben Geschlechtern aufgesogen. Östlich vom Jordan hatte, aller-
dings in etwas späterer Zeit, Leas Ei-stgeborener ein ähnliches
Schicksal. Nachdem er Gen. 40 des Primats verlustig gesprochen
und Jud. ö wegen seiner anspruchsvollen Worte, denen keine
Taten entsprachen, verspottet ist, wird Deut. 33, ti der klein-
mütige hoffnungslose Wunsch geäussert: „es lebe Hüben und sterbe
nicht", und König Mesu weiss nicht anders, als duss der Mann
von Gad seit je in dem Laude wohnte, welches eigentlich rubeni-
tisches Erbe war. Aber in der Chronik tauchen diese vei'schollenen
Stämme — und zwar nicht bloss Levi, mit dem es ja eine be-
sondere Bewandtnis hat, sondern auch Sinieon und Kuben, die
hier voreret allein in betracht kommen — wieder auf und existiren
als selbständige Zwölfteile Israels so gut wie Ephraim und Manasse
durch die ganze Königszeit hindurch bis zur Zerstörung des Reichs
durch die Assyrer '). Diametral widerspricht dies aller beglaubigten
Tradition; denn dass es sich bloss um ein Jahrhunderte langes
Fortbestehen einzelner simeonitischor und rubenitischer Gesdilechler
innerhalb anderer Stämme handle, ist eine harmonistische Ver-
legenheitsanuahme, und ebenso verbietet sich auch jede andere
Abschwächung der Tatsache, do^ jene untergegangenen und halb
mythischen Tribus in der Chronik den übrigen ganz unterschieds-
los an die Seite gesetzt werden. Der liistorische Wert, welcher
durch diese Gleichstellung dem Ganzen genommen wird, kann
nicht durch die scheinbar objektiven Einzelheiten wietler her-
gestellt werden. Oder sollen wirklich die Kriege der Simeoniten
und Rubeniten gegen die Araber mehr zu bedeuten haben als
die überall aus dem Ärmel geschüttelten Kriege der jüdischen
Könige gegen diese Wüstenvölker? wenn nur wenigstens die Namen
nicht wären. Söhne Harns und Meunäer und Uagarener (4, 40s.
L
') Vcrgleiclie für Rüben ausser I. 5, 1—10 noch 5, 18. 11, 43. 13, 37. 36, 82.
27,16, für Simeon auuaer 1.4,34^ noch 12,25. n. 15.9. 34,6 lUid
beachte, datia in den beiden letzten Stellen äimeon zum Nordreiel) go-
rechuot wird, damit die zehn Släuiine voll werden.
Die rhroiiili.
213
rh, 10)! Was feraer die Oesfhlechtsregister und Stammbäume he-
L trifft, sind sie deshalb historisch, weil ihre Elemente für uns uii-
I durchsichtig sind imd unserer Kritik sich entziehen? Die Sprache
[ iJUst Iceineswegs vermaten, da^s man hier Excerpte aus uralten
I Dokumenten vor sich hat (4, 33. 38, 41. ö, Is. 7. !'s.), und Eigeo-
wie B. li. Eljoenai nud andere (4, Sbs.), bestehen nicht
I durch idtertüraliches Aussehen.
m den übrigen Stämmen, soweit sie zu Israel und nicht
L zu Juda gehören, kommen im Anschluss aji Rnben zunächst die
I transjordanischen an die Heihe (5, 11 — 26). Sie seien verzeichnet
I in den Tagen Jothams von Juda und Jerobeams von Israel, wo-
I bei sich ihre Zahl anf 447(iO Krieger belaufen habe; sie seien zu
I Felde gezogen gegen die Ilagarener Ituräer Naphisäer und Naba-
I täer und haben Sieg und viele Heute gewonnen, „denn zu Gott
I schrieen sie UTid er Hess sich von ihnen erbitten weil sie auf ihn
L trauten". Darnach aber seien sie abgefallen vom Gott ihrer \äter
1 nnd zur Strafe durch Phul und Tiglathpile-ser nach Armenien ge-
\ schleppt an den ('habor nnd an den Kluss Gozans. Abgesehen von
I der spätjüdischen Sprache im erbaulichen Tone und von der Auf-
[ sählung Ruhen Gnd und halb Manasse sind hier die wunderlichen
I nnd höchst dubiosen Koordiuationen bezeichnend: Phul nnd Thij!lath-
j.pileser, Chabor und der Fluss Gozans sind schwerlich von ein-
I ander verschieden, Jothara und Jendioam dagegen ein so unniög-
I lieber Synchronismus, dass die Advokaten der Chronik behaupten,
leB solle gar keiner sein; freilich ohne an Os. 1, 2 zu denken und
I ohne anzugeben, was dann Jotham von Juda hier sonst überhaupt
zn tun habe. Auch ilie Hagarener nnd Ituräer, statt etwa der
Moabiter und Ammoniter, geben zu denken, desgleichen die geo-
graphischen Angaben, dass Gad in ßa-san und ^tanasse am und
im Libanon gewohnt habe. Was aber die Eigennamen der Ge-
schlechter und Häupter betrifft, so entziehen sie sich allerdings
tmeerer Beurteilung; jedoch sind die Ausdrücke des Schemas,
worin sie stehn (ansehe schemoth rasche Pbetli abotham, mi-
E'grasch, jaches) dem Priesterkodex unil der t'hronik eigen, und
Bfieben alten und anderweit bezeugten Elementen kommen an-
dere sehr neuen Gepräges vor, z. It. ü, 24 Eliel Azriel Hodnja
kbdid.
Die galiläischen Stämme nehmen in der Einleitung keine be-
Untende Stelle ein, aber in der übrigen Chronik treten sie günstig
214 (leBcbiclito der TrodiKon, Kap, R.
hervor, uameiitlich I 12, 32—34. 40 und II 3Ü, 10. 11. 18: "
liegt nalie, besondei's bei der letzteren Stelle, an ilie spätere Jn-
daisiruDg Oaliläae zu denken'). In Issacliar soll es zur Zelt Davids
HToOl) Mann gegeben haben (mispharam rtholedotliam l'beth abo-
tham T, 1^5), ans Zebuion und Nnphthali sollen wiederum genau
S7(XJ0 Mann zu David nat^h Hebron gekommen sein, um ihn zu
salben und sich drei Tage bewiiten zu lasseu; doch heisst es vor-
sorglich 12, 40, sie brachten die Lebensmittel selber mit. — Der
eigentliche Kern Israels, Ephraim und Manasse, ist 7, 14^29 im
vergleich zu Simeon Ruhen Gad Issachar Äser sehr stiefmütterlich
beliaudelt — ein sehr verdäi^htiges Zeichen. Das Verzeichnis der
manassi tischen Geschlechter ist eine künstliche Neukomposition
aus irgendwo aufgelesenen verwitterten Elementen; Maacha, welche
vielleicht mit Molecheth gleich bedeuten« I ist, gilt sowol als Weih
wie als Schwester Machirs, gehört aber als Gileaditin flieth-
Maacha) gar nicht liierher, da vom cisjordanis(.^hen Mauasse die
Hede ist: zur Ausfüllung der Lücken wird kein Materia! ver-
schmäht. Bei Ephraim ist bloss eine lange und dünne Genealogie
gegeben, die v. 20. 21 beginnend und v. 25 sich fortsetzend,
immer die gleichen Namen (Thachath Thachan 1, Sam. 1, 1,
Elada Ladan, Scimthelah TholaJi) wiederholt und schliesslich ihr
Ziel und Ende mit Josua erreicht, von dem die älteren Quellen
nm' den Vater Nun kennen. In die Genealogie hinein hat sich
eine wunderliche Nachricht über die Tötung der Söhne Ephraims
durch die Männer von Gath (1. Sam. 4 ?) eingedrängt, die (wie
8, 6. 7} nacli der herrschenden Meinung uralt sein soll. I)o<-h soll
auch die Notiz 4, uralt sein, während sie sich otfeubar auf das
Aufblühen der Schriftgelehrtenschulen bezieht, welche sich nach
2, bb zu Jabes befanden.
Überall wird vorausgesetzt, dass Israel während der ganzen
Königszeit nach den zwölf Stämmen organisirt gewesen sei (Kap.
2 — 9. Kap. 12. Kap. 27); bekanntlich ist diese Voraussetzung
grundfalsch, wie z. B, aus I. Reg. 4 zu erkennen. Ferner wird
die statistische Neigung des späteren Judaismus auf die ältere Zeit
ühertragen, der Aufnahmen und Zählnngen aufe äusserate zuwider
waren. Unter David sollen trotz 2, Sam. 24 ■
. indes lar. iind jäd. Geschichte I
24 wieder und windar I
lliu (.'hruiiik.
216 1
Zählongen sowol des geistlichen als der weltlicliea Stämtno vor-
gekommen sein; eboiiso unter seinen Nachfolgern, wie teils aus-
drückliuli angegeben wird, teils aus den genauen Angaben über die
kriegsiahige Alaniischaft zu schliessen ist; immer ergeben sich
dabei die ungolieuerlichsten Ziffern, die doch arkmidüch und rech-
nungsmässig sein sollen. Wir haben es also büi den statistischen
Verzeichnissen der. Chronik, soferu sie sieb auf diis vorcxilische
AUortum bezielien, mit künstlichen Kompositionen zu tun. Es
tBug sein und ist mitunter nachweislich, dass dabei einzelne Ele-
mente benatzt sind, die auf Überlieferung bernbeu. Sicher eben
80 viele sind aber auch erdichtet, und die Verbindung der Ele-
mente, auf die es vor allem ankommt, stammt, wie form und
I Inhalt zeigen, aus späteater Zeit. Wer hier geschichtliche Er-
r kenntnia über altisraelitische Verhältnisse sucht, muss sich dui'auf
I legen, das Gras waclisen zu hören.
Anders allerdings als mit den untergegangenen zobu
I Stämmen, von denen biäbei' die Kede war, »^teht es mit Juda
und Benjamin und in gewisser Hinsicht mit Levi. Es lasst sich
denken, dai^s hier eine lebendige ethno- genealogische Tradition
[die Gegenwart mit dem Altertum verbunden habe. Jedoch bei
[ näherem Zusehen ergiebt sich, dass das meiste, was der Clu'onist
I hier mitteilt, auf die nacheülische Zeit sich bezieht, und dass die
I wenigen Fragmente, die hoher hiuaufweisen , einem Zusammen-
I bange eingearbeitet sind, der im ganzen sehr jungen Datums ist.
LAm stärksten fällt es auf, dass das Verzeichnis der zu Jerusalem
1 lohnenden Häupter des Volkes 9, 4 — 17 einfach mit Neil. 11,
? S — 19 identisch ist. Man erwartet an dieser Stelle, zur Einleitung
[.der Königsgeächichto Kap. l(h«s., keineswegs über die Verhältnisse
■ der Gemeinde des zweiten Tempels etwas zu hören; über unser
1 Verfasser glaubt dadurch auch über die Verhältnisse des alten
[Jerusalems aufzuklären; von Uavid zn Nehemia ist für ihn kein
F£pnuig, er weiss von keinem Untei'schied der Zeiten. Auch für
. 8, wo eine auslührliche Aufzählung der Itenjaminitischen
jFaLmilien gegeben wird mit besonderer Bücksicht auf die in der
B^nptstadt sesshafteu, hat Bertheau die nachexilische Beziehung
ien-, interessant ist es, dass es im späteren Jerusalem
ine ausgebreitete Familie gab, welche von Saul alistammen wollte
ihre Ansprüche durch einen langen Stammbaum begründete
216
Geschichle Her Tradition, Kap. S.
I
8,33— 4()'}. Ohne Zweifel wird auf diese Weise für das
Alter des anderen Verzeichnisses der Benjarainitcu (7,(1^11) kein
allzu günstiges Vorurteil enweckt; um übrigens an dem ungeb-
lichen Zurückgehen desselben auf verblichene Urkonileii ed zweifeln,
braucht man nur auf die echt jfidiiwhen Termini in den Versen
7.9.11, auf Eigennamen wie Eljoenai nnd auf die hier nicht
leicht abtrennbaren, sondern sehr zur Saclie gehörigen Zahlangaben
(22034 +202IX)-(-17 2011, zusammen 59434 Kriegsmännor) acht zu
geben.
Am meisten historischen Wert haben die Huf den Stamm
.Inda bezüglichen Register (2, 1 — 4, 23). Doch mnss man den
Stammbaum der Davididen Kap. 3 ausnehmen, der nur von Zerii-
babel abwärts Interesse hat'), sonst aber eine änsserst liederliche
Znaammen Stellung" des auch uns noch aus den älteren kanonischen
Cieschichtsbüchern und aus .Tereraias zugänglichen Materials ent-
hält. Uie ersten vier der in Jernsalera geborenen Söhne Davids
sollen nach 3,5 alle von der Rathsoba stammen, die anderen
sieben werden durch ein Textversehen, welches anch in der Sep-
tuaginta 2. Sam. &, H> vorliegt, auf nenn erhöht. Bei den Söhnen
Josias (3, lös.) wird Jnhanan d. i .Joahaz von Saliom (Hier, 22, 1 1)
unterschieden und, weil er zuerst seinem Vater folgte, znm Erst-
geborenen gemacht, während in Wahrheit Jojakim älter war
(2. Reg. 23,36. 31); Sedekia, Jojakims Bruder, wird für den Sohn
Jechonias, des Sohnes Jojakims, ausgegeben, weil er der Nach-
folger Jochonias, des Nachfolgers Jojakims, war. Ähnliche Dinge
kommen auch im Buche Daniel vor, man erkennt sie nicht an,
weil man in der Weise von lobs Freunden für Oott Partei neh-
men zu müssen meint. Wer Augen hat zu sehen, kann nur den
beiden grossen jüdischen Geschlechtslisten in Kap, 2 und Kap. 4
höheren Wert zugestchn. Doch finden sich auch hier die ungleich-
artigsten Elemente zusammengewürfelt und die Spreu mit dem
Walzen vermischt').
Das 2. Kapitel ist abgesehen von der Einleitung v. 1 — S t
I) =9,35—44, wii« liellei-^ht die sjiriterf Eicisclisltung von 9,1—34
") In IHW» 1. Chr. 3, 18 hat Kosters den nüatflf erkannt: Tgl. 1
poasapO! im griechischen Eedras, aram. ^i'"J5 und "ISNIöitt*'
*) Für alles Näbere verweise ich nnf mujne Dissertatiun De getitibus et
familiis Judacis. Gotting. 1870.
Die Chronik.
217 I
Verzeichnis der Bne llesroo, einer Tribns, die «nr Zeit Davids
noch gur niclit viillig mit Juda verschmolzen war, aber schon da-
mals die eigentliche Kraft dieses .Stammes ausmachte und später
völlig damit verschmolz. Ans der übrigen t^mgebung tritt folgen-
des Schema hervor. „Die Bne Hesron sind Jeralimeel and Keln-
bai (Kaleli) (v. 9). Und die Bne Jeralimeel, des Eratgeborenen
Hesrons, waren (v. 25) . . . Das waren die Bne Jerahmeel (v. 33).
Und die Bne Kaieb des Bruders Jerahmeel waren (v. 42) . . ,
Dns waren die Bne Kaleb (v. 50 init.)." Was in dieser Weise
formell begrenzt und zusammengehalten wird (vgl. in letzl«rer Be-
: aiehnng „Jerahmeel der Erstgeborene Hesrons", „Kaleb der Bruder
.^erahmeela"), zeichnet sich auch inhaltlich gegenüber allem an-
deren ans. Es ist der Kern des Ganzen und bezieht sich auf die
,'Vorexilische Zeit. Schon das nngewöhnliche et fnernnt (v. 25.
'83. 50) leitet darauf hin, ausserdem bei Kaleb die positive Tat-
sache, dass die Städte v. 42 — 49 alle bei Hebron und im Negeb
Juda liegen, wo nach dem Exil die Iduraäer wohnten, und bei
Jerahmeel der negative Umstand, dass hier überhaupt keine Städte ■
unter den Geschlechtern erwähnt werden, vielleicht mit Ausnahme
Ton Molad (v. 2Vt)' wo'lui'i'h man in den tiefsten Süden gewiesen
würde. Dieser Kern ist nun durch eine Reihe nachexilischer Zu-
sätze erweitert. Zuerst findet eich bei Jerahmeel ein Anhang
. 34 — tl, der nicht ethnologischer, sondern rein genealogischer
Natnr ist und einen funfzehngliedrigen Stammbaum offenbar bis
.nahe zur Gegenwart des Throiiiaten herabfiihrt, der ausserdem nur
in scheinbarer Verbindung mit dem Vorhergehenden steht (vergl.
'V. 34 mit V. 31) und regelmässig die Hiphill'orm holid gebraucht,
«ilie V. 25 — 33 nie und v. 42 — 50 nur sporadisch vorkommt, an
.drei Stellen, die späterer Redaktion verdächtig sind. Ungleich
■wichtiger sind jedoch die Nachti-äge zu Kaleb, von denen sich der
! Teil vordrängt v. 18—24, der andere dazu gehörige aber
passender an den Schluss gehängt hat v. 5U — 55 (anfangend mit:
„und die Söhne Ilurs, des Erstgeborenen der Ephrath", Kalebs
Zweiter Frau v. 19). Hier erscheint Kaleb nicht mehr im tiefen
en Jadas und in der Nähe Jerahmeels (1. Sam. 25, 3. 27, 10.
30, 14, 29), wo er vor dem Esil gesessen hat, sondern seine Ge-
schlechter, die allesamt von seinem Sohne Hur abstammen, be-
rßelhlehem KiriatlijearJm Soraa Estbuol und andere im
otegene und iu den Büchern Esdrae und Nehemiae viel
218 Goscliichto der Tradition, Kip. G.
yoiiaiinte Städto. Dio Kalibliäer haben also iu folgo dos I
ihre alten Wohnsitze verlussen tind nach der Ktickkehr andero
emgenommen ; diese Tatsache wird v. 1!) so ausgedrückt, dt'm
Kaleb sei sein erstes Weib Azuba bath Jerioth (Üesei-Ia filia Nu-
ina<]umj verstorben nnd da habe or ein zweite« f^enouiinen, die
Kphrath, mit der or den Hur ztinglo — Ephrath ist der Name
der I^ndacbaft, wo Bethlehem und Kinathjoaiim liegen, und eigent-
lich eine blosse Nebenform von Ephraim, wie der Name Rphrathi
boweisf. Ausser diesen Zusätzen zu Jerahmeel und Kaleb ist noch
die lienealogie Davids hinzugekommen (v. 10 — 17). Das Buch
Samuelis weiss nur von meinem Vater Isai, während dagegen Sanis
fieschlecht höher hinauf verfolg;! wird und kein Grund war dies
bei David zu unterlassen, wenn die Mittel zu geböte standen.
Hier aber wird wie im Buche Ruth über Isai Obed Boaz auf
Salma zurück g^angeu. Salma ist der Vater Bethlehems (2, 54),
daher der Vater Davids. Aboi- Salma ist der Vater Bethlehems
und benachbarter ganzer und halber Städte nach dem Exil: er
gehört zu Kaleb Abi Hur'). Wenn nun ii-gend etwas gewiss ist,
so ist es das, dass in der alten Zeit die Kalibbäer im Süden und
nicht im Norden Judas wohnten uud dass insonderheit David
durch seine Geburt nicht zu ihnen, sondern vielmehr zu dem
älteren Teile Judas gehörte, der gegen das eigentliche Israel 2U
gravilirte und mit Benjamin in nächster Verbindung stand. \'on
den drei ersten Gliedern der Genealogie sind Nahson und Ammi-
nadab die Fürsten Judas im Priesterkodex, die passeud als die
Ahnen ihrer Nachfolger angesehen werden; Ram aber ist der Ei'st-
geboreiie des Rrstgeborenen Hesrons (v. 25) und auch durch die
Bedeutung seines Namens (der Hohe) wie Abram zum Ausgangs-
punkt der fürstlichou Idnio geeignet.
Während man also in Kap. 2 in der Tat auf einen alten uud
notwendig auf gute Tradition zurückgehenden Kern stösst, der frei-
lich nur um der späteren Zusätze willen erhalten zu sein scheint,
') Im Thurpim TnirdPii die mit Kaleb vurwandti'u Koolter al,'' SjilmanBr
(SaXnjiioi, 2«X(ii)voi bei Steph. Byz.) heieicliiint, der Name koiuint iiiieli
im Kolien I.ieilo vor (1, b: die Zelte vnii Kt-dur, dir Decken von Salm.i),
und mit dcti NaliatAern verimndea öfters »uf den nulintfiisi'lien lii-
scbriften (ed. Euliug, 2,7. 4, -4 9,3). L'uter deu Neliein. 7, 46— 60 aiif-
([ezählten Familien der Nuthinäer kommen uuch die Bne Salinft »or,
neben mehreren anderen Namen, die deutlich den niehtisraelitiacliHn
nnd ansl&ndischen (Kierh. 44) Ursprung dieser TempeUkisT
lassen, i. B. v. 48. 52. 53. 55. 57.
Die Chronik. 219
irakterisirt sich das 4, 1 — 23 enthaltene gau2 unabhängige
l'linil parallele Verzeichnis durch viele und deutliche Zeichen für
, jeden Sachverständigen als eine späte und auf nachexiÜscho Ver-
hältnisse abzweckende Komposition, worin vielleicht einzelne ältere
Elemente nufg:enommen sein mögen, die aber nicht mit ii^end
welcher Sichorlieit zu erkennen sind').
Am ausführlichsten wird selbstverständlich I^evi behandelt
t (J 5, 27—6, 66. % lÜBs. Kap. 15s. Kap. 23—27 u. s. w.). Wir
rvissen, dass dieser geistliche Stamm ein Kunstprodukt ist und
rieeiae hierarchische Gliederung, wie sie im Priesterkodex ausgebil-
Ldet vorliegt, die Folge der Centralisation des Kultus in Jerusalem.
P Ferner ist oben nachgewiesen, dass in der Oeschichtsachreibuug der
Chronik das Streben am aufTallenJsteu ist, die Aharouiden und
, Leviten Überall da, wo sie in den älteren historischen Büchern
L des Kanons vermisst werden, diejenige Rolle spielen zu lassen, auf
l'-welclte sie nacli dem Priesterkodex Ansprach haben. Wie uu-
tnittelbar an dieses Gesetz angeknüpft wird, wie die Chronik in
^wisser Hinsicht dasselbe fortbildet, ersieht man z. I). daraus, dass
[dort Moses (Num. 4, 3ss. 8, 23s3.) den Anfang des Dienstalters
Lder Levite» von 30 Jahren in einer Novelle anf 25 Jahre, hier
■ David (1. Chron. 23, 3. 24) von 30 Jahren noch weiter anf 20 Jahre
Iherubsetzt; die Dinge sind uoch eiuigermaassen im Fluss, und die
Ordnung des Tempelknltus durch David setzt die Gründung des
f Gottesdienstes der Stiftshütte durch Moses fort. Sofern nun die
Statistik des Klerus auf Wirklichkeit zurückgeht, ist diese Wirk-
' lichkeit nachexilisch. Es ist längst aufgefallen, wie viele der
anter David uud seinen Nachfolgern auftretenden Personen (z. B.
Asaph Ueman Jeduthun) mit Familien oder Innungen der späteren
Zeit gleichnamig sind, wie sogar beides beständig in einander fliesst
und man häufig schwankt, ob mit dem Ausdruck Haupt ein
einselner oder ein Geschlecht gemeint ist. Aber da der Chronist
doch nicht seine eigene, sondern die alte Zeit schildern will, so
[t er sich keineswegs streng an die Statistik <ler Gegenwart, sou-
|)Ph.
Bei
') Phere« tlesru
Reihv: man mii.ss altiu
tncndiger, da in il<'
1 dritter Slulle erschei
zudädist von Si'liolial (
1 deinaell'cn Vorhilliiit
1 Keluli uder KaJeb.
Ilur Si-lio1>al 4, 1 ist eine genealogische abKteigendo
) niilwenJi« Kelultaj lesen statt Kanni, tttn so
^r fiilKHiiil'-ti Äusfülluug Keluli und nicht Karuii
i^inL; ticiii diese, von ixalea aufsleitfend, hiuidelt
"inn (v. 3— 10) von Our, der tu Äs-hur
ie Tob tu Is-tub, KU dritt (v. U — 15)
Geschichte der Tritdiüon, Kap. 6.
liern lassl ziiyleidi seiner Phantasie freien Raum: ilaher koniiiit
es, daas mun trotz der zahlreichen und scheinbar genaneti Ansahen
sich (lennuLh \un der Organisation des Klerus, der Ordnung
der Famdien und Geschlechter, der Verteilung der Ämter durch-
aus kein Bild machen kann, vielmehr sich in einem Wirrwarr
von Widersprüchen verwickelt findet. Obed-edom Jeduthnn Salo-
mith Korah stehen in den verst-hiedenen Verbindungen, gehören
bald zu 'lieser bald zu jener levitischen Abteilung und bekleiden
bald dns bald jenes Amt. Natürlich sind die Ausleger schnell
bei 'ler Hand, gleiche Namen zu unterscheiden und ungleiche zu
verselbigen.
Einige charakteristische Einzelheiten mögen hier noch eine
Stelle finden. Die Namen der sechs T>evitenklassea Ijiddalthi
V'romamthi - Ezer Joachebkascha Mallothi Hothir M.ihazioth sind
nach 20, 4 die zerstückten Glieder eines zusammenhangenden
Satzes: ich habe gross | und herrlich gemacht I die Hülfe dessen ',
der in Not sa.sa, j habe Weissagungen | geredet in- Fülle. Der
Wächter oder Sänger Obed-edom, der znr Zeit Da^^d8 und Ama-
sias fungirt haben soll, ist kein anderer als der Hauptmann, dem
David drei Monate lang die Obhut der Lade anvertraute, ein Phi-
lister von (!ath. In höchst durchsichtiger Weise sind die Stamra-
hänme der Sänger komponirt, namentlich der des Heman (1. Chr.
6, 7—12 = v. 18—23). Ansser Exod. G, Ifi— 19 sind vorzugs-
weise dabei die Angaben über Samuels Familie (1. Sam. 1, 1. 8, 2)
benutzt, der weil ihn seine Mutter zum Dienst am Heiligtum
weihte, natürlich levitiacher Abstammung gewesen sein muss.
Heman ist der Sohn Joels ben Samuel b. FJkana b. Jeroham b.
Rliab b. Thahath b. Snph — nur wird nicht wie 1, Sam. 1, 1
(Sept.) mit Ephraim geschlossen, weil ja auf Le\-i gekommen
werden soll; aber Suph ist eine ephraimitische Landschaft, und
Thabath (Thohu Thoah Thshan Nahath) ein ephraimitUches Ge-
schlecht (T, 2*1). Weiter hinauf wiederholen sich die gleichen
Elemoute vereinzelt noch öftere, Elkana im ganzen viermal: ein-
mal kommt er schon Exod. ii, 24 vor, ohne Zweifel aach hier aus
1. Sam. 1 entlehnt. Das Schönst« ist, dass, entgegen der Absidit
der 1. Chron. (i mitgeteilten Genealogien, wodurch die Sänger-
innnngen als Leviten erwiesen werden, sich daneben (2, 6) die
Notiz findet, Heman und Etlian stammen von Zerah h. Pheres b,
Juda ab. Die Auslcjji.'r in ihrum Bi-mühen, die Homonyms
|)ie rhrouik.
differenziren, werden zwar begünstigt durch ihre UnVenutnis des
Umatandes, dass aoch z. Z. Neheiiiiaa die Sanger nicht für Loviten
, gelten, scheitern aber daran, dass nicht bloss die Söhne, soudern
ksnch die Väter gleichnamig sind (Ps. 88, 1. S9, 1. Ewald Ül 380 a.)-
tfiiatorisch stammen natürlich diese Musiker des zweiten Tempels
[weder von I.evi noch von den Söhnen Muchols (1, Iteg. ö, 11) ab,
l *ber von den letzteren haben sie iu der Tat wenigstens ihre
f Hamen hei^enommen. Allenthalben finden sich solche künstliche
I Nanieu bei den Leviten. Einer lieisst Issauhar; mau würde sich
[nicht wundem, einem Naphthali Hirsch oder Juda beu Jakob zu
leu. Jeduthuu ist eigentlich Bezeichnung einer Singweise
L(Pö. 39, 1. ß2, l, 77, 1), daher denn auch eines darauf einge-
L'fibten Cliores '). Besonders interessant sind einige heidnische Namen,
lt. B. Uenadad (Unadeugabe Hadads) und mehrere andere, die
l'Ursprüuglich bei den Hierodulen (Neb. 7, 4Gss.) heimisch, ohne
[Zweifel aber mit diesen hinterher m den Leviten übergegangen
[sind.
Mit den Priestern, deren so manche aus allen Zeiten der
l israelitischen Geschichte namhaft gemacht werden, steht es, so-
P weit sie nicht aus den Büchern Sarauelis und der Könige ent-
lehnt sind, nicht besser als mit den niederen Leviten. Insbesondere
siud die 24 Priesterklasseu keine EinricbtuJig des Könige David,
sondern der nachexili sehen Zeit. Wenn Hitzig zu Ezech. 8, Iti
I bemerkt, dass ilie 25 Männer, welche zwischen dem Tempel und
■"dem Altar stehend ihr Gesicht gen Osten wenden and die Soune
(^anbeten, die Vorsteher der 24 Priesterklassen mit dem Hohen-
priester au der Spitze gewesen seien (weil nämlich niemand anders
I das Hecht gehabt zwisclien Tempel und Altar im inneren Vorliof
KZa stehn), so ist das für ilm selber und für die gimze weiland
■bistorisch-k ritische Schule charakteristisch, die ihren Scharfsinn
rimmer von Fall au l-'all anstrengte, aber sich nicht Zeit liess über
Idie Sachen im Zusammenhang nachzudenken, vielmehr einfach
(die Gesam tauschaumig der Tradition beibehielt und sich nur zum
['Vergnügen eine Menge Ketzereien erlaubte. Es ist beinah nicht
tDÖglich anzunehmen, dass Hitzig, als er Ezecb. 8 kommentirti;,
■die Stullen Ezech. 43, T s. 44, Oss. gelesen hatte, aus denen auf
•das unzweideutigste hervorgeht, dass der vorexilischeu Zeit die
') Audi'ra LayarJe, Nomiaalbilduug p. 121,
-222 fii'scliioljto (IcrTraditina, Kap. fi,
nachmalij^ü Absperrung iles Heiligen für die Laien völlig onlM
kaont war. Wie viel die Chrouik über die vtirexilisclie Priester-
schaft wusstc, verrät am deatliclisten daa Verzeichnis der 22 Hohen-
priester I 5, 29—41. Vom 9. bis 18. Gliede laufet die Reihe:
Amaria Ahitub Sadok Ahimaas Azaria Johaiian Aznria Amaria
Ahitub Sadok. Was die ersten fünf angeht, so war Aznria nicht
lier Sohn, sondern der Bruder des Ahimaas und letzterer dem An-
acliein nach nicht Priester (1. Reg. 4, 2); Ahitub aber der aogeb-
iiehe Vater Sadoks war vielmehr der Grossvater von dessen Rivaieu
Abiathar aus der Familie Eli (1. Sam. 14, 3. 22, 20): die ganze
altbeiuhmte Linie Eli, Phinehas Ahitab Ahimelech Abiathar, welche
seit den T,igen der Itichter und noch unter Da^-id das Priestertnm
der Lade inue hatte, wird totgeschwiegen, und die erst nnter
Salomo (1 Reg. 2, 35) an stelle jener getretene Linie Sndok ab
die seit Moses im Besitz des vornehmsten Priestertums befindliche
dargestellt Was femer die vier letzten Namen der oben auf-
gezahlleu Liste betrifft, so wiederholen sie einfach die früheren.
Im Bath der Könige kommen Azaria II Amaria Ahitab 8adok
nicht vor, dagegen aber gleichzeitige andere Hohepriester, Jojadü
und Dria, die im Verzeichnis der Chronik fehlen. Gleicliwol kann
das letztere nicht für lückenhaft erklärt werden. Denn in der
jüdischen Chronologie wird die alte Geschichte in zwei 48()jäbrige
Perioden eingeteilt, deren eine vom Auszuge aus Ägypten bis zum
Tempelbau und die andere von da bis zur Gründung der zweiten
Theokratie läuft. Nun sind 480 Jahre 12 vierzigjährige Gene-
rationen; und 1. Chron. .') werden 12 Iloliepriestür auf die tempel-
lose Zeit gerechnet (v. 36b hinter V. 35a), von da aber noch 11
bis aufs Exil, d. h. inclusive des Exils 12 Generationen- Man
kiinn also nicht umhin über den historischen Wert der Genealogie
5,29 — 41 den Stab zu brechen. Wusste aber die Clmmik von
den Priesterfüraten der älteren Zeit nichts, so ist ihren Angaben
über die gewöhnlichen Priester erst recht nicht zu trauen.
3. Von einer Tradition ans vorexilischer Zeit kann also in
der Clironik nicht die Rede sein, weder in I. 1—9 noch in
1. 10— II. 36. Schon im Jahre 1806 hatte dies der damals
2(i jährige de Wette bündig dargetan. Aber seitdem hat sich
mancher theologische Sisyphus bemüht, den Stein auf halbe oder
ganze Höhe wieder bergauf zu wälzen, mit besonderem Erfolge
namentlich der dem nüchternen evangelischen Kritiker an Geist
Diu (
Mheinbar fiberlogeue Movere. Dieser tielehrte verwirrte ilie Frage
ich dem hiatorist-lien Wort der für uns kontrolirbaren Nach-
der f'hronik mit der nach den mutroaS8lii;hen (juelten
I ihrer Abweu-hmigeii von den älteren hanoniauhen Geschichtsbüchern.
IVergebeiis hatte de Wette im voraus gegen ein solches Vorfahren
Kproteetirt: es sei möglich und zuzugeben, dass die (^rooik, wo
Väe variire oder widerspreche, älteren Vorgänf^ern folj^e, aber die
iFfage bleibe nach wie vor die gleiche, auf welche Weise sich die
^ totale '\'^erschiedeQheit der Gesamtanschauung und die Menge dei'
partiellen Differenzen erkläre; die Quellenhypothese, wie sie vor
Movers von Eichhorn vertreten war, helfe zur Entscheidung dieser
[ frage nichts, man müsse eben doch bei der kritischen Vergleicliung
|Äer beiden Relationen und der Priifting ihres geschichtlichen Cha-
iTakters sich halten an das was vorliege (Beiträge I. p. 24. 29. SS').
ISokhe Grundsätze waren einer geistreichen Zeit zu simpel; Movere
fimponirte, zumal da er nicht so naiv war, sich iiuf authentische
Ltlrkunden wie den Tliief Uirains und Elias zu berufen, sondern
KjKhr kritisch verfuhr. Gegenwärtig erkennt natürlich auch Dill-
mann (Herzogs RE. II ' p. (»93. III* p. 223) an, „daes der Chronist
^berall nach Quellen gearbeitet hat und von absichtlicher Erdich-
oder Entstellung der Geschichte bei ihm keine Rede sein
Ifcann". Und von der Hohe der Wiasenschaft herab sieht der Ver-
es 5. Teiles des biblischen Kommentara über das A. T.
nitleidig auf K. H. Graf herab, „der so weit hinter dem gegen-
wärtigen Standpunkt der ÄTlichfin Forschung zurückgeblieben ist,
Kdass er die de Wette'schen Ansichten zu repristiniren versucht
f hat"; ja um die Chronik völlig auf eigene Füsae und den Hfichern
tS&muelis und der Könige gleich zu stellen, leugnet er ül)erhaupt
iSire Abhängigkeit von deQsell)en und lässt sie auch da, wo sie
(«Örtlich daraus abschreibt, anderweitige selbständige Quellen be-
laatzeu: eine unnötige Übertreibung der Wissenschaftlich keit, denn
. B. das Gebot Salomos und die liegesten hat doch der Verfas.ser
i Buchs der Könige selber geschneben, der Chronist kann sie
Rj|l&o, direkt oder indirekt, nur aus seinem Werke haben.
Hiegegen kann man nur wiederholen was de Wette gesagt
^at. Es kann sein, dass die Chronik nicht lediglich auf eigene
Rechnung und Gefahr, sondern auf grund schriftlicher Vorlagen
der echten Tradition in Farbe und Zeichnung so ganz
abweichendes Bild des alten Israel entwirft. Dadurch verändert
Gesehicble der Tradition, Kap. C.
sich ylier ihr geschichtlidier Clmnikter nicht um ein Haar, sie teilt
ihn uuii lilüss mit ihreu s. g. Quellen. Das 2. MakkabäurliticL
und eioe Menge ähnliclier Schriften hahen auch Quellen benutzt,
was hilft das zur Verbessernng des AVortes ihrer Mitteiluueeti?
Der muss doch aus dem Inhalt derselben erkannt werden, welcher
nicht nach den verloren gegangeneu primären, sondern nur nach
den erhaltenen sekundären literarischen Produkten beurteilt worden
kann. Auf die Prüfung de« histüri3<.^hen Gehaltes läuft mithin alles
hinaoB — ^ätp haben schon gesehen, zu welchen Ergebnissen diese
füln-t. Die Äudernngun und Supplemente der Chronik fliegen
schliesslich alle aus dem selben Brunnen: es ist die Judaisiruug
der Vergaugeidieit, in welcher sonst die Epigonen ihr Ideal nicht
wieder erkennen konnten, Das Uesetz und die llierokratie, oad
der deus ex macluna als einzig wirksamer Faktor der lieiligeu Ge-
schichte sind nicht iu der Überlieferung voi^fundeu, soudero sie
sind durin vermisst wurden und darum liiiizu gesetzt. Wenn dli»
Auslassungen aus „dem Plane" erklärt werden, warum nicht
aus der gleichen Rücksicht die ZutatenP Die Entrüstung, mit
der sich Ewald (Jahrbb. X 361) über die Ansicht äussert, dass die
Oefaugensuhaft Mauasses auf judisiber Dogmatik beruhe, „sie sei
ein verzweifelt schlechter Gedanke und zugleich ein grosses Unrecht
gegen die biblische Chronik", erinnert an Bernhard Schäfers denk-
würdiges Wort über den Prediger öalomo, daas Giitt der Herr
keinen Lügner brauche, um ein kanonisches Buch zu schreiben.
Was sagt deun Ewald zu den Ei-zählungen im Daniel oder im
Jona? Warum muss die ömdichtung der Geschichte Mauasst«
anders beurteilt werden, als die der Geschichte des Ahaz, die eben
so dreist ist, und als die übrigen p. 302 ss. aufgeführten nnnlogen
Beispiele ? Mit welchem Rechte gilt überhaupt der Clironist, oaob-
dem ihm so und so oft die l'n glaub Würdigkeit nachgewiesen ist,
in einem beliebigen Einzelfallu immer wieder für einen unver-
dächtigen Erzähler? Mindestens da, wo die Beziehimg zum „Plane*
deutlich ist, sollte man doch seinem Zeugnisse gegenüber mia-
trauisili sein; man sollte aber zugleich bedenken, dass solche Be-
ziehungen viel häufiger vorkommen werden als sie füi" uns, nament-
lich für die Bünden unter uns, erkennbar sind. Es ist ja möglicli,
dass sich irgend ein gutes Korn unter der Spreu befände, aber ge-
wissenhafter weise muss man von der Möglichkeit der Ausnahme
absehen und der Wahrscheinlichkeit der Regel die Elire gel»
I in (lern Ausheben cüier gesundeii Einzelheit ans einem infi-
nörteii Gaiiztin tittisdit man sich gjir zu leicht. Za 2. Sunt. 5, 9:
lad David wohnte in der Burg und nannte sie die Stadt Davids
bautti sie rings von der Maaerböschung nach ianeo zu —
Indet sich 1. Chr. 11, 8 der Znsatzi Joab aber stelltu den Rest
der Stadt (Jerusalem) wieder her. Die Notiz sieht unverdächtig
aus und findet allgemeijieji Glauben. Aber das M'ort HTl statt
nn beweist ihre Jugend, und bei nälierer Überlegung findet man
aueh, dass die Neustadt erst nach David entstanden ist, mithin
nicht von Joab wieder aufgebaut werden konnte; das Interesse
für den letzteren erklärt sich aus Neh. 7, 11. Vielfach pflegt man
I solche Angaben anzusehen als aus eiuem uoch besseren Texte der
■ Bücher Samuelis und der Könige gefl<issen, welcher der Chronik
k\orgelegen habe; und das ist jedenfalls die zutä&sigste Form, sie
l einzuführen. Aber die Testkritikei' des exegetischen Handbuches
■ tnud dem Chronisten nur allzu kimgeuial und greifen imjner mit
■ beiden Händen nach seinen Glasjierlen und nach den verwandten
II Erscheinungen in der Septuaginta.
Zuzugestelm ist, dass die Chronik nicht der Willkür eines
I einzelnen, sondern einer aUgemeiiien Zeitrichtung ihre Entstehung
J'Terdankt. Sie ist das notwendige Produkt der Überzeugung, dass
l'4as mosaische Gesetz der Ausgangspunkt der israelitischen Ge-
Bflchicht« sei and dass in ilir ein aller Analogie entnummenes hei-
EHgea Kräftespiel wirke-, diese Überzeugung musste zu einer völligen
I Umgestaltung der alten Tradition führen. Von gleicher Voraus-
' Setzung ausgehend konnte eine Mann wie C. F. Keil noch heute
die Chronik schreiben, wenn sie nicht schon vorhanden wäre. In
dieser Hinsicht nun, um die Clironik als den Typns der Geschichts-
- anffassung der Schriftgelehrten zu würdigen, ist die Frage nach
„Quellen" in der Tat wichtig und interessant. Verweisungen
%oi anderweitige Schriften, aus denen man sich des näheren unter-
ichten könne, folgen in der Regel am Schlüsse der Regierung
K Jedes Königs, ausgenommen Joram Ahazia Athalia Amou Joahaz
yJTojachin Sedekia. Die dabei angegebenen Tit«l lassen sich in
k;zwei Gruppen bringen: a) das Buch der Könige von Israel und
Ijnda oder vuu Juda und Israel (bei Äsa Amasia Jotham Ahaz
kjosia und Jojakim), womit das Buch der Könige von Israel (Josa-
■pbat >lanasse vgl. I 9, 1) identisch ist, da es sich Ja nur um
I Jnda handelt; b) die Worte Samuels des Sehers, Kathans dee)
i40ien. Prol(igom.n., t. AuB. 15
22ß fieschirhte der Tradition, Kap. G.
Prnphctoii iiiid ("iads des Spähers (David I 29, 29 vgl. 27, *.
Sir. 46, 13. 47, IJ, die Wort« Nathans des Propheteu, die Pro-
plietie Ahias von Silo und das Gesicht Iddos des Spähers über
Jenibeam ben Nebat (Salomo U 9, 29). die Worte Semaias des
Propheten und Tddos des Spaliers (Rehabeam 12, 15), die Worte
Jehus ben Hanani, welthe ins Buch der Könige von Israel über-
tragen sind (Jusaphat 2t), 34), eine Schrift Jesaias des Propheten
(llzzia 26, 22), näher bezeichnet als das Gesicht des Propheteu
Jesaia ben Arnos in dera Buche der Könige von Juda uud Israel
(Hizkia 32, 32), die Worte der Seher in den Geschii^hteu der
Könige Israels (Manasse 33, 18 vgl. auch v. 19). Nach Movers Vor-
gänge haben Bertheau und andere die Richtigkeit der alten An-
nahme z. B. CarpzovB erwiesen, dass mit diesen verschiedenartigen
Citaten immer nur ein und das selbe Buch bezeichnet ist, ent-
weder nach seinem Gesamt tite! oder nach den konventionellen
Einzeltiteln seiner Abschnitt«'). Bertheau macht darauf aufmerk-
sam, dass für gewölmlich entweder die eine oder die andere Ver-
weisung vorkomme, und, wenn ausnahmsweise zwei zugleich, dann
regelmässig die prophetische Schrift als ein Stück aus dem Ge-
schichtsbuche der Könige bezeichnet werde (2(1, 34. 32, 32 and
ganz allgemein 33, 18). Die eigentümliche Beuennong der eio-
zelnen Abschnitte') — in einer Zeit, welche keine Kapitel und
Verse kennt, — geht davon aus, dass jede Periode der heiligen
Geschichte ihren leitenden Propheten hat (äxpipTjt -cüiv TMfriTmv
hia^'/il contra Apion. 1, 41), sie involvirt aber wol auch (nach
26, 22 trotz 9, 29. 12, 15. 13, 22 I 29, 29) dio Meinung, dass
jeder Prophet seiue Periode selbst beschrieben habe. Offenbar ist
dies der Grund des Namens prophetae priores, den die Bücher
Josua Richter Samuelis und Könige im jüdischen Kanon tragen,
und auch der Gesichtspunkt, aus dem die Obertragimg von 2, lieg.
ISss. in das Buch Jesaias zu beurteilen ist. Hei geringen histo-
rischen Ansprüchen wurde es leidit, für jeden Absuhnitt den
nötigen propheta eponymus zu finden. Jehn ben Hanani, ein Nord-
'} Auch in den Bäcbern Ksdrae und Nebcmiae hat der Chronist nicht so
viel Quellen hemiUt a!s man anniminl. Die Kliigelinder 2. Cliron. 35, ^5
nicht für unsvri; Kl&geliMer Hiertmiae zu halten bat uian kuineu Urnnd;
wenigstens liann die foluche Üexiehung derselben auf deu Tod Juaias
(Joseph. Aut. 10, 78) nicht ola ein solcher gelten.
>) Kom. 11,3: ti 'tiUa t( Hjit ii Tpa^i^: da» helüst: wie Hteht in dem
Abschnitte nber Elias geschrieben?
Die fhrunik. 227
Israelit ans der Zeit Baesas, muas wie für Asa so noch für Joea-
phat herlmiten. Idilo der 8pälier, der gegen Jerohenra bfn Nebat
geweissiigt hat, ist der anonyme Prophet von 1. Reg. 13 (Jos.
,Ant, B, '231. Hieron. au Zarhar. 1, 1); in der daraaligeu Zeit
wusste man auch die Namen der Weiber Kaius und der Urväter
anzugeben.
Anlangend die nähere Bestimmung des der f'hronilc zn gnmde
liegenden Buches der Könige, eo kann eine Zusammenarbeitung
der KÖnigBreihen von Israel und Jnda erat nacli dorn AbsehlnsB
'beider erfolgt Bein, also erst im babylonbchen Exil. Im babylo-
niavhen Exil ist unn das kanonische Budi der Könige wirk-
Kch entstanden, und dessen Verfasser hat zum ersten mal die Jahr-
bücher von Israel nml die Jahrbücher von Jnda zu.sammengear-
beitet; wenigstens beruft er sich nur auf die getrennten Werke
und kennt noch keine ältere Vewchmelzung derselben. Es läge
also am nächsten, die von der Chronik gemeinte Schrift für unser
L Titel gleichlautendes und im Inhalt entsprechendes kanoaisches
Bnch zu halten. Aber das geht nicht an, weil in jenem Dinge
gestanden haben, von denen hier nichts zu finden ist, z. B. nach
1. Chron. 9, 1 eine Familien- und Zablenstatistik c
Israels in der Weise von 1. Chron. 1 — 9 — welche Kapitel z
daraus entnommen sein werden — und nach 2. (^on 3'6, 19
das Gehet Manaases. Ans diesen beiden Angaben sowie unch aus
der Art der übrigen mutmaasslich grossenteüs aus dieser Quelle
geflossenen Nachrichten mnss mau schliessen, dass das von der
Chronik citirte Buch der Könige ein der wirkliehen Tradition fem
stehendes nnd spätes Machwerk ist, und sein Verhältnis zum
tEanoniächen Buche der Könige so erklären, dass es eine apokryphe
An^utznng und Erweiterung desselben ist, uach der Weise der
Behandlung der heiligen Geschichte durch die Schriftgelehrten.
Diesem Schlüsse aus dem Inlialt kommt nun ein wichtiges positives
Datum zu Hilfe, nämlich die Anführung II. 24, 27: der Mldrasch
.des BucliB der Kiiuige und 13, 32: der Midrasch des Propheten
Iddo. Ohne Zweifel hat Ewald Recht, hierin den wahren Titel
der sonst einfach das Bui'h der Konige genannten Schrift zu er-
kennen. Nun versteht es sich zwar von selfjst, dass die Ausleger
behaupten, das Wort Midrasch, das nur an diesen beiden Stellen
^H in die Bibel hinemragt, heisse hier etwas ganz anderes als was es
^^bonst immer iieisst — aber die wirkliche Bedeutung passt ausge-
2SS
ioschklilc clor Trariiliuu, Kiii>.
zokluiet und wir stüim mit der Clu-uiiik initteu im Zeitalter
der Schriftgelehrten bine (1. (.'Iiroii. ä, 5ö). Der Midrasuh ist die
Folge der Ueilighaltung der Heliquieii der Verf^Riigonheit, eine ganz
eigene Wiedererweckung der toten Gebeine, auf künstlichem und
jsunächst auf schriftlichem Wege, wie die Vorliebe für Listen von
Namen und Zahlen zeigt. Wie Efeu umgriüit derselbe den abge-
storbenen Stamm mit fremdartigem Leben, Altes und Neaes in
sonderbarer Vereinigung; mischend. Es Ist Mochst'hätzuog der Über-
lieferung, welche sich in ilirer Modernisiruug äussert; aber dabei
wird sie auf das willkürlichste nmgedentet, verrenkt und mit
fremdartigen Zutaten versetzt. Im Zusammenhang mit dieser
Widerspiegelung der Gegenwart im Altertum stehu sowol Jona
wie Daniel und eine Menge von Apokryphen (2. Macc. 2, 13);
das Gebet des Manasse, das jetzt nur griechisch erhalten ist, scheiut
in der Tat, wie Ewald vermutet, direkt aus dem Duche entlehnt
zu sein, welches 2. Chron. 33, 19 angeführt wird. In dieser Sphäre,
in der das ganze Judentum sich bewegt, ist auch die (lironik ent-
standen. Ob man Chronik sagt oder Midrasch des Buchs der
Könige, ist dabei ziemlich gleichgiltig, sie sind Kinder des selben
Schoosses and nach Geist nnd Sprache auf keine Weise ku unter-
scheiden, während dagegen die wörtlich aus dem kanonischen Buche
der Könige beibehaltenen Stucke in beider Hinsicht sofort auf-
fallen.
Siebentea Kapitel.
Richter Samuelis und Könige.
In der an Unglücksfällen reichen Geschichte der hebi-äischen
Literatur ist auch ein glückliches Ereignis zu verzeichnen. Die
Chronik hat die ihr zu gründe liegenden Geschichtsbücher nicht
verdrängt, sondern neben der jüngeren ist uns die ältere Dar-
stellung erhalten. Jedoch auch in den Büchern der Richter Sa-
muelis und der Könige liegt die Überlieferung nicht rein in ihrer
Rbbtar SainuHÜs nud Könige. 229
iirspränglichen Fassung vor, sondern schon hier überwuchert von
Späteren Trieben, Neben einer älteren Relation hat sich eine
nene gebildet, formell unabhängig und für sich verständlich,
maDchmal freilich dennoch sich vorhandenem Zueammenhange an-
schmiegend. Häu^ger haben die nenen Säfte nicht einen ganzen
Stumm aus der alten Wurzel noch anch einen ganzen Ast am
alten Stamme her vo iget rieben, sondern nnr parasitische Bildungen
angesetzt; kleinere unselbständige Stücke sind einer älteren Kr>
itahlang angewachsen. Über das ganze Geschiebe der Tradition
ist endlich gleichförmig ein letztes Sediment gelagert, welches die
(Sestalt der Oberfläche bedingt, l'm dies letztere handelt es sich
nns znvörderst; seine Art festznstelien , die zeugenden Kräfte za '
erkennen, die darin wirken. Darnach erst können wir versuchen,
auch in der dahinter liegenden älteren Schichtung den Stimmungs-
WGcksel der Zeiten zu verfolgen.
I.
1. Znr Beurteilung der Richterperiode wird man durch fol-
gendee Prooeminm auf den richtigen Standpunkt gesetzt. „Nach
dem Tode Josuas taten die Kinder Israel was böse ist vor Jahve
und verliessen den Gott ilirer Väter, der sie ans Agyptenland ge-
führt hatte, nnd dienten den Göttern der Völker ringsom, den
BaaJen nnd Astarten. Und Jahves Zorn entbrannte über sie und
er übergab sie in die Hand von Räuhern, die sie ausraubten, und
verkaufte sie iu die Hand ihrer Feinde ringsum; bei all ihrem
rntemehmen war Jahves Hand gegen sie zum Bösen, wie er ge-
redet nnd wie er ihnen geschworen hatte; und sie kamen sehr in
die Enge. Dann erweckte ihnen Jahve Richter und war mit dem
Richter und rettete sie ans der Hand ihrer Feinde alle Tage des
Richters, weil er sich erweichen Hess durch ihr Geschrei vor ihren
Drängern und Peinigern. Wenn aber der Richter st«rb, trieben
CT wieder schlimmer alB ihre Väter, fremden Göttern nach-
• znwandeln; sie blieben nicht zurück hinter deren Taten und ihrem
verstockten Wandel, so dass Jahve über Israel ergrimmte" u. s. i
i Jud. 2.
Das ist der Test, es folgen die Exempel. „Und die Kinder 1
[Israel taten was böse ist vor Jahve und vergassen Jahve ihren
I Gott nnd dienten den Bnalen und Astarten, und Jahves Zorn ent-
230 G«9chichti> der Tradition, Kap. 7.
braiiute über Israel und er verkaufte sie in die Hand des Köni^
Kusiin Risatliaim von Äruui und sie dienten ihm Hcht Jahre.
l'nd die Kinder Isriiel schrien zu Jiilive, und Jahve erweckte
ihnen einen Helfer, Othuie) ben Kenaz, und fiab den König von
Ar.iin in seme Hand, nnd das Land hatte vierzig Jahre Ruhe, da
starb Othniel ben Kenaz." I)io gleidien (iesichtspunkte und auch
ziemlit^h -wörtliih die Ausdriiike, die bei Othniel das ganze Cadre
ausfüllen, kehren hei Ehud Deboni Gideon Jephtliah und Slmsou
wieder, bilden hier aber nur am Anfang und am Ende der Er-
zühlnnt^en einen Rahmen, um anderweitigen und reicheren Inhalt
einzufassen; selten schwellen sie zu aQstiihrlicheron Betrachtungen
an, wie 6, 7. 10, 6. Auf diese Weise entsteht das regelmässige
Pachwork von Jud. 2 — 16. Es sind jedoch bloss die sechs grossen
Richter die darin untergebracht sind; die eecha kleinen stehn
ausserhalb und haben ein besonderes Schema für sich, sie werden
erst nachträglicli hinzugefügt sein, um die Zwölfzahl voll m
machen.
Es sind wenige und markante Zage, welche diese historische
Methodik charakterisiren. Eine fortlaufende Chronologie reiht die
Rnliezoiten und die Unterbrechungen an einander und sorgt für
die Konlinuität der Periode. Um dieselbe richtig zu würdigen,
muss man etwas über die Grenaen des Richterbnchs hinau^ehn.
Der Schlüssel zu ihrem Verständnis liegt in 1. Reg, 6, 1: „im
48Ü. Jahre dos Auszugs der Kinder Israel aus Ägyptenland, im
4. Jahre der Regierung Salomos baute er das Haus Jahves". Wie
Bertheau erkannt und Nöldeke weiter verfolgt hat, entsprechen
diese 480 Jalire 12 Generationen zu je 40 Jahren. Analog werden
1. Chron 5, 29 — 34 in diesem Zeitraum von Aharon bis Ahimaas
1 2 [ Hohepriester angenommen , nach deren Succossion man in
der späteren Zeit die Geschlechterfolge ausznmeaseu suchte (Num.
30,28). Es ist nun allerdings nicht sofort, klar, wie diese Gesamt-
summe mit den Einzelposten in Harmonie zu bringen ist. Jedoch
daes die Vierzig die Grundzahl der Rechnung sei, lassen auch die
Einzelposten zur Genüge erkennen. Vierzig Jahr lang dauert der
Wüstenzug, während des die ägj'ptische Generation ausstirbt; je
40 Jalire hat das Land Rulie unter Othniel Debora und Gideon,
80 unter Ehud; 40 Jahre wührt die Herrschaft der Philister,
ebensolange die Herrschaft Davids. Nach der notwendigen ^Vn-
uahme, dass die Periode der Philister (Jud. 13, 1), die das
Richter SiLmiielJs \im\ Könige.
231
«Öbnliche Ma&äs der Fremdherrschiifteii weit überschreitet , sich
mit ilex Elis (1. Sam. 4, 18) deckt und gleichermaAsson die sich
ei^ärizenden 21) Jsihre Öimsous (Jud. Ifi, 31} nnd 20 des Inter-
regHums vor Samuel (1. Sam. 7,2) nrafüsst, aliid hieinit 8X40 J
Jahre untergebracht, und es bleiben noch 4x4l). Davon müsf
einmal die beiden Generationen bedacht werden, für die keine
Zahlen angegeben sind, nämlich die Josuas and der ihn über-
lebenden Zeitgenusseii (iad. 2, 7), und die Samuel- Sa uls, ver-
mutlich jede mit den normalen 40, beide zusammen sicher mit
80 Jahren. Von den ilbrigeu 80 wären hauptsächlich zn be-
streiten die 71 Jahre der Interregna oder Fremdherrschaften nnd
die 70 der kleinen Richter. Man sieht, diese beiden Abschnitte
haben neben einander nicht Platz — es sind Äqnivalente, die sieb
gegenseitig ausseht iesseu. Ich ziehe vor, die Interregna fest^zu-
halten. weil gegenwärtig nur sie dem eigentlichen Schema des
Bichterbuches eingeordnet sind. Der noch verfügbare Rest von
(I oder 10 Jahren verteilt sich auf Jephthah mit (i und auf Sa-
lomo (bis zum Tempelbau) mit 3 oder 4 Jahren, resp. wenn man
die letzteren nicht mitrechnet, auf Abimelech mit 3 Jahren.
Aber die Hauptsache ist nicht die Chronologie, sondern die <
religiöse Verknüpfung der Begebenheiten. Beides hängt eng zu-
sammen, formell, wie aus dem Schema zu ersehen, nnd anch
durch eine iimerlichc Beziehung. Derm es handelt sich liier wie
dort um Zusammenfassung grosser Zeiträume, nm einen fort-
gesetzten Überblick über die Folge nnd die Verkettung der Ge-
schlechter, wobei von dem näheren Inhalt der Ereignisse abge-
sehen wird; die geschichtlichen Faktoren, mit denen der religiöse
B, Pragmatismus rechnet , sind so gleichartig, dass die einzelnen
Perioden in der Tat bloss mit Jahreszahlen ansgefüUt zu werden
brauchen. Man wird an Satz Gegensatz nnd Vermittlung erinnert,
wenn man sich den einförmigen Takt ins Ohr klingen lasst, nach
' dem hier die Geschichte fortschreitet oder sich im Kreise dreht.
Abfall Drangsal Bekelimng Ruhe, Abfall Drangsal Bekehrung
' Ruhe. Die einzigen Subjekte aller Aussagen sind Jahve and
Israel, ihr Verhältnis allein ist es, was den Weltlauf in Bewegung
' setzt; je nachdem in entgegengesetzter Richtong, so dass er ,
schliesslich immer auf dem selben Flecke bleibt.
„Sio taten was hose ist vor .lahvo, sie hurten den Götzen
nach" — diis ist der durchklingonde Grundton. Trotzdem die
232 OescMditB der Tradition, Kap. 7,
Moiiolatrie Jahves auch äuseerlich fo wirkwim siHi ^mpfie]
schlägt sie dni'h kerne festen Wurzeln, verwächst nicht mit dem
Volke, sondern bleibt ihm eine traiiscendeute ForHernng. Jahr-
zehnte hbidurch hia^en sie sich il»bei festhaheD, iliinn aber macht
sich ihr (;iitzernfieneriwher llani^ Luft, der nur ilnrch die Scheu
vor dem Richtpr hei dessen Lebzeiten zurückgehalten ist; sie
müssen Veränderung haben. Nun ist der Abfall zwar für die
Pragmatik ganz notwendig, weil sonst überhaupt nichts geschieht;
es ist die Inruhe in der VHir, wovon alle Bewegung abhängt.
Indessen das ist natürlich kein Milderniigsgrund, das Betragen des
Volkes oracheint vielmehr überaus nnentschnldbar. Die Hanpt-
aktionen, die Taten der Richter, sind für diese geschichtliche Be-
trachtungsweise immer nur Beweise von Israels Sünde und von
,)ahves beschämender Gnade.
Dass dies «lies nicht zum eigentlichen Inhalte der Tradition
gehört sondern eine darüber gezogene l'niform ist, wird anerkannt.
Numero dens impare gaudet. Man pflegt diese nachträgliche Be-
arbeitung deuteronomistisch zu nennen. Das Gejsetz, das .lahve
den Vätern befohlen und dessen Bruch er schwer zu ahnden ge-
droht hat 2,15.20, wird zwar seiner Art nach nicht iiälier W-
stimmt, man kann jedoch nicht daran zweifeln, dass die (^nint/-
essenz davon ist, Jahve allein und keüien anderen Gott zu ver-
ehren. Somit kHnn wenigstens an den Priestorkodex dabei nicht
gedacht werden, denn hier wird jene l-'orderung gar nicht atis-
lirücklich geltend gemacht, sondern als selhstverständlit-h ange-
sehen. Dagegen das Deuteronomiuni spri<^ht in der Tat keinen
Satz mit grösserm Nachdruck aus als das HSre Israel, dass Jahve
der einzige Gott sei und fremder Dienst die Sünde aller Sünde.
Diesen Satz haben vor allem die Zeitgenossen weit hinter daraus
vernommen, als die moralischen Gebote der Menschlichkeit und
Milde, die auch darin eingeschärft werden, die aber nicht neu
sind, sondern älteren Spruciisammlungeu entnommen; nur nach
dieser Seite, sofern es den prophetischen Monotheismus auf dem
Gebiete der Volksreligion in seine praktischen Konsequenzen ver-
folgt, hat das Gesetzbuch Josias seine geschichtliche Bedeutung
gehabt, nach dieser Seite in Ezechiel und den Epigonen fortge-
wirkt. Wenn demnach überhaupt die Norm des theokratischeu
Verhältnisses, die in der Bearbeitung des Hichterbuches voraus-
gesetzt wird, in einer schriftlichen Thora zu suchen ist, so ku
julis uud EüuiKe.
•233
t allerdings nur die deuteroüomischo sein. Die endgiltige Ent-
I echeidung der Frage hängt yon der Vergleicliuug des Buches der
L Könige ab und mass bis dahin versclioben werden.
AVas das Verhältnis dieses Daches zum Unterbau betrifft,
I so ist es in erheblich verachiedenem Stile aufgeführt. Die Bear-
K 1)oitung, worin das Richterliuch Aufnahme in den Kanon gefunden
1 hat, ist ohne Frage judäischen rrspnings; aber die ßeschichten
I selber sind nicht judäisch, ja im I,iede der Dobora wird Jnda gar
[ nicht mit zn Israel gerechnet. Der einzige judlische Richter ist
[ Othniel; er ist aber keine Person, sondern ein Geschlecht. Was
I von ihm berichtet wird, ist vollkommen inhaltsleer und besteht
I kdiglieh ans den schematischen Wendungen des Bearbeiters, der
I also hier selbst ans SchalTen gegangen ist. damit die Reihe durch
I eben Judäer eröffnet werde ; die Wahl Othniels wurde durch
I Jnd. 1, 12 — ir> an die Hand gegeben. Also eine Ausnahme,
t welche die Regel bestätigt. Wichtiger sind innere Differenzen,
i die hervortreten. Vm mit dem Allgemeinsten anzufangen, so ist
[ die geschichtliche Kontinuität, auf welche das Schema so viel Ge-
I wicht legt, in den einzelnen Erzählungen des Hichterbuchs mit
j nichts angezeigt. Ohne Rücksicht auf Zusammenhang und Folge
I etehn dieselben lose nnd unverbunden neben einander, wie ein-
I Beine lichte Pimkte, die hie und da aus dem Nobel der Erinnernngs-
\ Insigkeit auftauchen. Eiueu längeren Zeitraum wirklich auszu-
l'füikn machen sie keinen Anspruch, für eine Chronologie geben
l'Säc keine Anhidtspiuikte. Es ist in Wuhiliett kaum der blasse
pfichcin eines fortlaufenden Zusamnicnhungs, der durch die leeren
l^itmaasse des Schemas über den Inhalt der Tradition geworfen
Vwird. Ferne liegt der letzteren überhaupt die Vorstellung einer
fäswischen Josna ujid Sani liegenden Periode der Richter, ia
Ivder diese über Israel geherrscht und einander annähernd sn regel-
I massig wie später die Könige succedirt haben. Man kann nicht
|.iweifeln, dass Jud. 1 and Jud. 17. IH da^ beste Recht haben zum
iprünglichen Stock gerechnet zu werden; von der Aufnahme in
I Sehema sind diese Stücke nur deshalb ausgeschlossen, weil
PfUria von Richtern nichts zu lesen steht und von den allgemeinen
»Verhiltnissen ein Bild entworfen wird, das sehr wenig zum Plane
Kgtimint').
234
Oeschitlite der Trattiti
, Kaji. 7,
Der falsrheii Kuutiiiuität liegt eine falsche Verallgemeinentt^
zu e;randt'. Aub lokalem Nebeneinander entsteht ein «eitlicJiee
Nacheinander, indem auf das Gnnüo liezogen wird, was vom Teile
gilt, indem immer die Kinder Israels in rorpore auf den Sihan-
[datj! treten, von den Feinden bedrüi-kt und von den Richtern ge-
richtet werden. In Wirklichkeit treten nur die einzelnen Stäimno
htmdelnd auf; die Richter sind Sfammhelden, Ehud von Benjamin,
Barak und Debora von Issachar, Gideon von Joseph, Jephthah von
(4ilead, Simson von Dan. Nur zum Kampfe gegen Sisera haben
sich mehrere Stämme vereinigt, und empfangen daroh ansser-
ordenlliches Lob im I,ieile der Debora. Es lieisi^t nirgends: zur
Zeit du die Richter regierten, es heisstt zur Zeit da noch kein
König war über Israel und jeder tat wa.« er wollte; die rogel-
mässigo Verfassung der Periode ist die patriarchalische Anarcliie
der Familien- nnd Gcschlechterliorrschaft. l'nd als die Trsache,
warum es lange nicht glückte dio Kanaanitf-r ans den grösseren
Städten zu verdrängen, scheint in Kap. 1 nicht undeutlich die Zer-
splitterung und Vereinzelung hindurch; erst als Israel etai-k wurde,
d. h. als seine Kraft durch das Königtum zusammengefasat wurde,
da wurde es anders.
Die Einheit Israels ist nun aber diu Viirauseet2ung für das
theokratische Verhältnis, für den Gegensatz voti Israel uod Jalive,
wodurch nach dem Schema der Verlauf der Geschichte einzig und
allein bedingt wird. In der echten Überlieferung fällt die Voraus-
setzung fort, uud im Zusammenhange damit bekommt der gauze
geschichtliclie Pi'ocess ein wesentlich anderes und zwar natür-
licheres Aussehen. Das Volk wird nicht immer insgesamt in den
wie vorifiglich das erste Slfick als all^emBine Kinlaitung in die Periode
iTiiaelien Uoses und dem Königtum aa seil]« Stelle pwet, und wie vinl
Eehnltvolier imd lehrreicber es in dieser fieziehiing ist als der fnlgende
eitartibet 3, 6sij. Aujaierdem exiatirl eine furmeSle Betiohung iwischcn
1, IG und i, II. Was ferner Kap. 17. 18 betrifft, so sclilleast sicli diese
Geschichte uher den Aufhrucb Dans nach Norden sichtlich an die n&chst
vorher^hcode an, wo sich der Stamm noch .Im Lager Üaa»' befindet,
aber arg bedrängt wird und auch durch Simson keine Hilfe findet.
Bei Kap. 19—21 freilirh kaun es iweifelhuft sein, ob sie von der Be-
arl>eitung ausgeschlossen oder noch gnr nicht vorgefunden sind: indessen
ist es beachtenswert, dass auch hier die Ku|ip. 17. 16 (Js voruigegan^en
vorausgesetzl werden. Der I.ent von Bellilebem Jnda zeugt davon und
namenllich die Keminiscuui 19, 1, diii nii' wir sehen werden iii Kxp,
19—21 gar ki-inen Boden hftt. Vgl. n.icb L'O, 18 mit 1, 1 s.
Richter Samunlia imd Könige,
235
[ gleichen iiiiicren und äusseroa Schwingangen hin- and hergezogen,
I nnd es hängt nicht alles Geschehene lediglich an der Attraktion
I nnd Repulsion, die Jahve üusübt. 8(att des perioiliachen t^chautcel-
I Spiels von absoluter Ruhe und absoluter Drangsal horrsfht durch
I die ganze Zeit* relative l'nnihe; hier Friede, dort Kampf und
[Streit. Mislingon und Gelingen wechseln ab, aber nicht als obli-
[ gate Folgen von Bundestrene und Ungehorsam. Wenn der an-
[ nonyme Prophet, der in dem Einsatxe der letzten Bearheitiuig
-10 ebenso plötzlich auftritt wie er abrupt versehwindet, die
r Midianiterplage zu einer Strafpredigt für Israel benutzt, so wird
I unmittelbar darauf die Sache mit ganz anderen Augen angesehen.
\ Denn anf den Gruss der Gottfl8e^s<.^heinung; „Jahve ist mit dir, du
L atreitbarer Held", antwortet Gideon: „nnd ist Jahve mit uns,
Y warum hat uns denn alles dieses betroffen? wo sind seine Wnn-
[ der, von denen unsere Väter uns berichtet haben J*" — ihm ist
[von einer Schuld Israels nichts bewusst. Somit treten nun auch
\ die Ileldongestalton der Richter aus dem Zusammenhange der
I Sünde nnd des Abfalls heraus; sie sind der Stolz ihrer Landslout«
[und nicht demütigende Erinnerungen daran, da&s Jahve unvor-
Idienter maassen immer wieder gut gemacht, was die Menschen
f verdorben haben. Wie künstlich endlich die nötige Sünde erzeugt
erhellt gelegentlich recht deutlich. Nachdem Gideon gc-
Irtorhen war, heisst es 8, 33, hurten die Kinder Israel den Baalen
■ nach nnd machten sich Baal Berith zum Gott. Indessen aus dem
I folgenden Kapitel erhellt, dass Baal oder El Berith nur der Schutz-
I gott Sichems nnd einiger anderer damals noch kanaanitischer
Städte gewesen ist: der Bearbeiter verwandelt den kanaanitisohen
Lokalkalt in Götzendienst des ganzen Israels. In anderen Fällen
. verfahrt er noiih einfacher; z. B. 10, ßss. wo die Siebenaahl der
•Götter der Siebenzahl der hinterher aufgezählten Völkerschaften
^entspricht. Für gewöhnlich begnügt er sich mit Baalen und Ast^
■arten oder Ascheren, bei denen schon der Plural zeigt, wie wenig
■Individuelles, Positives zu gründe liegt — davon zu geschweigen,
IdasB Ascheren gar keine Gottheiten sind.
Kurz, was man so eigentlich für das Theokratische in der
Geschichte Israels ausgiebt, das ist durch die Bearbeitung hinein-
Lgebracht. Da greifen Gnade und Sünde wie die mechanischsten
in das Getriebe der Ereignisse ein, der Lauf der Welt
methodisch der Analogie entzogen, die Wunder sind nivhta
236 Geachichle der Tr!i<li1:ioii, Kap. T. ^^H
ausseronlentliches, sondern ilie regelmässige Fonn des Geschehend
vprstehn sich von selbst nnd machen gar keinen Eindruck. Dieser
pedantische Supranaturalismiis, die heilige Geschichte nach
dem Recept, findet sich in den nrsjjrfingliclien Erzählnnyien nicht.
Israel Ist da ein Volk wie andere Vülker, und iiuch sein Ver-
hältnis zu Jahve wird nicht iinders anfsefasst als z. R. Mo»l>s
Verhältnis zu Kamos (1J,24). An Erecheinnngen nnd Zeichen
der Gottheit fehlt es nicht; aber die Wimder sind so, dass man
sich wirklich darüber wundert, Sie durchbrechen hin und witMier
den irdischen Nexns, bilden jedoch kein zusammenhangendes
System; sie sind Poesie, nicht Prosa und Dojjmatik. Im gan^ten
aber wird der g;est;hicht]icho Process, obgleich scheinbar kranser
und verworrener, in Wirklichkeit doch viel f>egreif! icher, und ob-
wol scheinbar zerrissener, schreitet er in Wirklichkeit zusammen-
hangender fort. Es geht bergauf auf das Königtum zu, nicht
bergab von der Glanzzeit Moses und Josnas (.lud. 1, 28. 3ö. 13,
.=). IS, 1).
Nur eine Erzählung allenÜngs, abi^esehcn von der nicht tn
rechnenden über Othniel, entspricht ganz den Anfordemngen an
die heilige Geschichte, wie sie sein raüssfe, um in das Schema
hineinzupassen. Es ist Jud. 19— Sil. Um sie recht «u würdigen,
ist es angebrai^ht, nuvor einen Blick auf den vorhertfehenden Be-
richt zu werfen, über den Wanderaug des Stammes I»an nach
Norden. Die Daniten, *MX> Mann stark, überfallen die kanaani-
tische St.idt Lais, nicht weil sie innerhalb der dem Volke Gottes
zugewiesenen Grenzen belegen und ihre Eroberung Pflicht ist —
wenn sie auch das Orakel befragen, so liegt, es ihnen doch ferno
sich auf das aus dem ßnchc Josna bekannte göttliche Bccht zu
berufen — , sondern weil ein friedliches und nichtsahuendes Volk-
chen darin wohnt, das gegenüber solchen verzweifelten Gesellen
wehrlos ist; gegen Israeliten, wie Micha, mit der selben Treulosig-
keit zu verfahren, gilt ihnen gleich. Sie nehmen das Recht zu
sein wie man ist unverkümmert tu Anspruch und kennen keine
Rucksicht, weshalb sie sich Zwang antun sollten; die NatürUchkeit
ihres Benehmens grenzt ans Unverschämte. Dabei sind sie fromm
auf ihre Art; wie viel ihnen Jahve wert ist, beweisen sie dadurch,
dass sie sein Bild aus dem Gotteshause stehlen und den Priester
dazu, der es hütet. Was von gottesdienstlichen Bräuchen in den
beiden Kapiteln vorkommf., lüsst es kaum a.n einem Greuel fehleui
Richter Samuelis ii
237
den lias Gesetz verliietet: das Privatlieiligtnm im Besitze des
Ephraimiten Micha, der ErikH Mi)S(# ds PriestLT in dessen Dienst
I a&<] Huld, Epliod und Therapiiini als nutwondige Hequisittüi des
Jahvekultus ; und doch wild dies alles auch vou dem Erzähler so
^vorgetragen , als üb es ^anz iu der Ordrmng und uuanstössig sei,
ftttie er doim damit nicht zeitweilige Rcgelw-idriKkeiten , sondern
Kdie Entstehnng Itleihender Einrichtungen an einem Hauptheilig-
Ftura des alten Israel zu berichten })eabsichtigt. Man wiivi in eine
■ milere Welt versetzt, wenn man von hier aus zu der folgenden
FErzäblnng kommt, über die Schandtat der Benjaminiten und deren
mplarische Bestrafung; es giebt kaum einen grösseren und lehr-
■Teicheren reUgionsgeschichtUcheu Gegensatz im Alten Testamente.
■la Jud. 19 — 21 sind es nicht, wie sonst überall, die einzelnen
rJ^täinme, welche agiren, nicht einmal das Volk Israel, sondern
P^e Gemeinde des Bundes, die auf der Einheit des Kultus basirt.
^IVas sie zum Handeln veranlasst, ist eine in ihrer Mitte begaogene
»Sünde, die fortgeschafft werden musa; die Heiligkeit der Theo-
Ikratie bringt diese vier mal hunderttausend Mann in Harnisch
Innd erfüllt sie zugleich m!t Salbung und mit blutiger Energie.
IDieser uniformen Masse sind die geistlichen Instinkte gaius in
■Fleisch und Blut übergegangen und machen sie zu einem einhoit-
l£chen Automaten, so dass alles was geschieht immei' von allen
r mgleich getan wird, Individuen treten nicht hervor, nicht mit
Namen, geschweige mit Heldentaten; die Moral ist nichts weniger
als heroisch. Da die gottlosen Buben von Gibea dem dort über-
nachtenden Leviten an den Leib wollen, liefert er ihnen sein
krWeib aus, um sich zu retten — und ganz Israel liudet an dieser
tnpörenden Feigheit nichts auszusetzen; vermutlich ist die Mei-
ttong, der heilige Mann habe duvuh sein Verhalten die Frevler
firor noch schlimmerer Schuld bewahrt. ^Vom mosaischen Ge-
tze kommt iu diesen Kapiteln nichts vor, aber wer könnte es
perkenuen, dass der Geist, welcher seinen Ausdruck im Gesetz
Bfuuden hat, die so handelnde Gemeinde erfüllte! Hätten wir
)hrere Erzählungen älmlicben Inhalts, manches Hätsel des Pen-
nichs wüj'den wir losen. Wo fanden wir unter den Königen
t 90 einiges kraftiges ernstes, für die höchsten Guter den schwer-
en Kampf sü willig übernehmendes Israel!" So urteilt Bortheau,
^öchtig empfmdend, dasa diese Erzählung eine völlige Ausnahme-
■Melloug einnimmt und allem widerspricht, was wir sonst über die
23S Gescliichte der Trnditiim, Kap.".
Richter- uud sugar uoch über die Köuigszeit liüreu. tiat kann i
nicht für einen Reweis ihres historischen Wertes gelten, wenn sie
der anderweitigen Überlieferung in den Büchern der Richter Sa-
miielis und der Könige in das Oesicht suhtügt und dafür dem Ge-
setze homogen ist. Dagegen ist es ein verräterischer Selbstwider-
spruch, wpuri der Verfasser, in nnwillkürlicher Kriunerung an die
voran gellenden Kapitel, über die Zerfahrenheit der diimaligen Zeit
klagt (19, 1. 21, 25), nud uns faktisch dann doch Israel in einer
geistigen Centralisation vorführt, wie sie im Altertum nachweislich
nie bestanden hat; sondern »'s! m folge des Exils aufgekumniea ist
und das Judentum kennzeichnet.
Da diese Erzählnng nicht in das deuteronomistische Schema
des Richterbaches aufgenommen ist, so kann gefragt werden, ob
sie bloss das deuteronomische oder auch das priesterliche Uesetz
voraussetze. Die meisten sprachlichen Berührungen hat sie mit
dem Deuteronomium, aber ein vorzugsweise wichtiger Ausdruck
und Begriff, der der (iemeinde der Kinder Israel, weist eher auf
den Priesterkodex; desgleichen auch l'fainehas ben Eleazar beu
Aharon (20, 27). Indessen kommt der letztere nur einmal vor
und zwar in einer Glosse, die sich zwischen und die Kinder
Israel fragten Jahve uud das eng dazugehörige folgender
maassen sehr sturend eindrängt. Im übrigen verdient es Beach-
tung, dass mit der Stiftshütte, die neben Mispha keinen Platz hat
(p. 2ö8), das Hauptwahrzeichen des Priesterkodex fehlt. Derselbe
bereitet sich also nur vor, ist aber noch nicht erschienen; wir
stehn noch auf dem Boden des Deuteronomiums, aber der Über-
gang bahnt sich an.
3. Gehn wir von der letzten Bearbeitung einen Schritt
weit«! zurück, so treffen wir auf eine weniger systematische Vor-
stufe derselben in gewissen Ergänzungen und Verbesserungen, die
hie und da den ursprünglichen Erzählungen angeflickt worden
sind. Sofern dieselben aus einfacher Freude an der Weiterung
oder am Reden entstanden sind, gohn sie uns hier nicht weiter
an. Teilweise aber haben sie ihren Grund darin, dass die spütere
Zeit in die religiösen Bräuche und Vorstellungen der Väter sich
nicht mehr schicken konnte. Von dieser Art kommen in der Ge-
schichte Gideons zwei Beispiele vor. Es hoisst 6, 25 — 32, auf
Jahves Geheiss habe Gideon in der Nacht nach seiner Berufung
den Altar Baals in seiner Vaterstadt Ophra nebst der dabei stehen-
Richter Samuelis und Könige. 239
den Aschera zerstört, dagegen dem Jahve einen Altar gebaut und
darauf ein jähriges Rind verbrannt, mit dem Holz der Aschera
als Feuerung. Als dann am andern Morgen die Leute von Ophra
empört die Auslieferung des Frevlers verlangten um ihn zu töten,
habe sein Vater sie verweigert und gesprochen: „wollt ihr für
Baal streiten oder ihr ihm beistehn? wenn er Gott ist, streite
Baal (liebräisch Jareb Baal) für sich selber". Und in folge
dieser Äusserung sei Gideon Jerubbaal zubenannt. Dies wider-
spricht dem Vorhergehenden. Da hat bereits Gideon den grossen
Stein unter der Eiche von Ophra, wo er Jahve sitzen sah, zum
Altar gemacht und darauf das erste Opfer gebracht, welches durch
spontan herausschlagendes Feuer verzehrt wird, so dass in der Lohe
die Gottheit selber zum Himmel fährt. Wozu die zwei Altäre
und die zwei Stiftungsgeschichten dazu, um ihren Ursprung auf
den Patron von Ophra zurückzuführen? Sie vertragen sich nicht
neben einander, aber man sieht wol, warum die zweite der
ersten nachgeschickt ist. Der Altar aus Einem Steine, die daraus
hervorbrechende Lohe, der immergrüne Baum, der schon durch
seinen Namen Ela eine natürliche Verwandtschaft mit El anzu-
deuten scheint^), alles dies gilt den Späteren nicht mehr für
korrekt, ja für Baidswerk. Aus dem Streben nun, auf Gideons
Frömmigkeit keinen Zweifel sitzen zu lassen, ist der Nachtrag
entstanden, worin er einen Altar Jahves an die stelle des bis-
herigen Altar Baals setzt. Wie dies Streben gelungen ist, beui;^
teilen wir am besten aus dem damit zusammenhangenden Versuch,
noch einen anderen Anstoss zu beseitigen, der in dem Namen Jerub-
baal liegt. Auf gioind des oben berichteten Anlasses wird der-
selbe erklärt als bedeute er Streitebaal. Sprachlich ist diese Er-
klärung an den Haaren herbeigezogen, und unmöglich in jedem
Betracht; nach einem Gott nennen sich nur Personen, die ihn ver-
ehren. Im hebräischen Altertum wechselt Baal unterschiedslos
mit El, und es herrscht kein Bedenken, Jahve selber als den Baal,
d. h. den Herrn, zu bezeichnen. Das bezeugen vor allem eine Reihe
n^N ]1vX? im Aramäischen der Baum schlechthin, im Hebräischen «ge-
wöhnlich der heilige Baum (Isa. 1, 29 s.), meist ohne ruterscheidung
der Arten. Nicht bh)ss Eiche und Terebinthe, sondern aucli Palme
wird einbegriffen. Denn der nil^l ll^N bei Bethel heisst anderswo
IDP» Üw^ hat seinen Namen von den 70 Palmen, und von VO^i^ am
Roten Meere gilt vielleicht ein gleiches.
■2-iO Di'- G.>scluditL- der Traditicm, Kap, 7.
Eigen uaiiK- II aus tier KaDiilie Sauls um! Davids, Is}>aal Meribi
Baaljada, zu denen nun aui;li der Name- Jembliiial für den Midia-
oiterkämpfer hiozukommt. Wenn ulgo der Baal an ^-ioh nucli in
der israelitischen Königszeit keineswe;^ schlei^hlhin dt-r Antipode
Jahves geweeen ist, woher denn der feindliche CJegensatz zwischen
den Gottheiten, den Jerubbal durch sein praktisches Verhallen vor-
aussetzt, ohwol or durch seinen Namen den grossen Baal preist?
Audi die Meinung, dass die Asi:hera sich mit dem Jahvedieiiste
nicht vertrage, entspricht nicht dem Glauben des Altertums; nach
Deut, Iti, 21 müssen diese künstlichen Bäurao hüuiig genug netiea
den Altären Jahves gestanden haben. Merkwürdigerweise verrät
sich sogar innerhalb des eingelegten Abschnittes selber das Be-
wusstsein, dass diese Art Eifer für den legitimen Gottesdienst das
historische Niveau überschreite. Man hat den Eindruck, d.isa die
Bewohner von Ophra von der l'nrechlmässigkeit ihres Baalskultiis
nichts wissen, dass Gideon densellien auch seinerseits im guten
Glauben mitgemacht und dass es bisher einen Altar Jahves nber-
httupt dort nicht gegeben hat.
Von etwas andei-er l-'orm ist eine Korrektur, die sich am
Schlüsse der Geschichte Gideons findet (8, 22ss.), Nach dem
Siege über die Midianiter habe er das ihm angetragene Königtum
mit Rücksicht auf Jahve den alleinigen Herrscher abgelehnt, sich
aber die goldenen Nasenringe, die man den Feinden abgenommen,
erbeten, daraus ein Jahvebild, ein Ephod, gemacht und es iu
Ophra zur Anbetung aufgestellt. „Und ganz Israel hurte dahinter
her and es ward Gideon und seinem Hause zum Fallstrick." Aber
nicht bloss ist faktisch die Handlungsweise eines solchen Mannes
in einem solchen Augenblick völlig maassgebetid für den der-
maligen Stand des israelitischen Gottesdienstes überhaupt, sondern
auch dem nrsprüngliclieu Erzähler kann es nicht zugetraut werden,
dass er seinen Ifelden durch den unmotivirtesten Abfall der Gott-
heit habe danken, durch Götzendienst dem Siege habe die Krone
aufsetzen lassen. Es wird dies um so unmöglicher, wenn man
bedenkt, dass nach dem Zeugnisse von Hosea Jesaias und Micha
dergleichen Bildwerke nocli während der assyrischen Periode nicht
bloss in Samarien, sondern auch in Juda zum regelmässigen Zu-
behör der Gotteshäuser gehörten. Hinzu kommt, dass der Gegen-
satz iler göttlichen gegen die menst^^hliche Herrschaft, wie er in
diesen Versen hervortritt, auf späterer Abstraktion beruht;
Richter Samuelis und Könige. 241
demnächst mehr zu sagen sein wird'). Studer wird also Recht
behalten mit der Behauptung, der alten Überlieferung habe es nui*
als ein schöner Zug von Uneigennützigkeit und Frömmigkeit gelten
können, dass Gideon das Gold nicht für sich behält, sondern Gott
weiht; wir haben in 8, 22 — 27 sekundäres Produkt vor uns, worin
die ui'prünglichen Züge nach späterem Geschmack entstellt sind.
Leider hat in diesem Falle die zweite Hand die Arbeit der ersten
verdrängt. Die ältere Erzählung bricht 8, 21 mit den Worten
ab: „Gideon nahm die Zierrate am Halse der Kamele der Könige".
Was er damit angefangen, erfahren wir nicht mehr; aber natür-
lich müssen w4r annehmen, dass er aus ihnen das Ephod ge-
fertigt habe. Nach dem Auswüchse, der unmittelbar hinter 8, 21
einsetzt, werden dazu vei'>\'andt die von ganz Israel erbeuteten
goldenen Nasenringe der sämtlichen Midianiter, im Gewichte von
1700 Sekeln, abgesehen vom Schmucke der Könige und ihrer
Kamele. Ein ähnliches Verhältnis, wie das der 600 Daniten in
Kap. 18 zu den 257(X) Benjaminiten in Kap. 20, oder der 40000
Männer von Israel in 5, 8 zu den 400000 in 20, 2.
4. Gewisse Unterschiede der geistigen Haltung, die in der
Entwicklung der Tradition schon leise die Richtung andeuten,
welche in der bisher charakterisirten Überarbeitung und Aus-
putzung ihi' Ziel gefunden hat, lassen sich endlich auch inner-
halb der originalen Erzählungen selber verfolgen, namentlich bei
denen, die uns in doppelter Version erhalten sind. Letztere sind
im Richterbuch nicht häufig, doch kommen sie vor. Als einen
sehr einfachen derartigen Fall kann man Jud. 4 im Verhältnis zu
Jud. 5 betrachten.
Gegen die Kanaaniter, die unter ihrem Oberkönige Sisera
wieder ihr Haupt erheben und von ihren Städten in der Ebene
aus die Bergdörfer der neuen Ansiedler beunruhigen, vereinigt
Debora die hebräischen Stämme zum Kampfe. Von Nord und
Süd steigen die Kriegsscharen Jahves vor unseren Augen gen
Jezreel hinab, die Seherin Debora an der Spitze, der Kriegsmann
') ^Die Worte Gideons erhalten erst durch die Voraussetzung Sinn, dass
Jehovas Herrschaft anderweit, durch Propheten oder Priester, repräsentirt
sei, was aber in der Hichterperiode nicht der Fall war und wogegen
die eigene Geschichte (lidcons zeugt" — Vatke p. 263. Übrigens ist nach
9, 1 SS. Gideon in der Tat Herrscher von Ephraim und Manasse gewesen;
den Konigstitel hat er vielleicht nicht getragen, aber der wird ihm 9, 22. 23
gar nicht angeboten.
W«llbaat«n, Prolegomeno. 5. Aufl. \(y
242 Geschichte der Tradition, Kap. T.
Barak ihr zur Seite. Am Rache Kisou erfolgt der Znsammeni
and eudot mit der Niederlage der Könige Kanaans, Sisern selbst
wird auf der Flucht von Jael, dem Weibe eines nomadischen
Keuitei-s, erschlagen. Das der Inlialt des Liedes Jud. 5. Iii der
voraufgeschicktoD Erzählung Jud. 4 sollte man einen historisi-hen
Kommentar daaa erwarten, man findet aber nur eine Reproduktion,
die die apeciellen Züge verwischt und verfälsoht. Aus den Königen
Kanaans wird der König von Kanaan, als sei Kanaan ein Reich
gewesen; ans Sisera ihrem Oberhaupt wird ein blosser Feldbaupt-
mann; die Unterdrückung der Hebräer wiM ins unbestimmte ver-
allgemeinert. Jael mordet den Sisers , während er in tiefem
Schlafe liegt, indem sie einen Zeltpllock ihm durch die Schläfe
und in den Boden treibt — im I.iede steht davon nichts, er
trinkt als sie den Schlag führt und ist dabei stehend gedacht,
denn sonst könnte er nicht vor ihr zusammenbrechen, zu Bodon
stürzen und erschlagen liegen bleiben, wo er hingesunken (5, 27),
Im Liede wird das Unternehmen mit menschlichen Mitteln
vorbereitet ; A'erhandlungen werden geführt zwischen den Stämmen,
bei denen Unterschiede hervortreten; die Lauheit oder die grossen
Worte der einen werden getadelt, der tatkräftige Gemeinsinn und
der Kriegsmut der anderen gelobt. In der Ei'zählung ist dage;^n
die Befreiung rein Sache Jahves, die israelitischen Mannen sind
Statisten, denen kein Verdienst und kein Dank gebührt. Dafür
koncentrirt sich das Interesse auf die Tat der Jael, die aus einer
Episode zur Pointe des Ganzen ausi^hwillt. Als solche wird sie
angekündigt, indem Debora dem Barak voraussagt, nicht sein
werde der Ruhm sein, sondern eines Weibes, in dessen Hand der
Feind werde verkauft werden: der Held, die Menachenkraft tut es
nicht, sondern in der Schwachheit ist Jahve märhtig. Noch sonst
wird gerade dem Barak sein Anteil am Werk verkÜHimert, Er
wird von Debnra aufgefordert, nicht etwa in den Kampf sonderu
auf den heiligen Berg Thabor zu ziehen, wo Jahve das weitere ver-
anlassen werde; er macht aber Umstände und bedingt sich aus,
dass die Prophetin auch selber mitziehe. Das wird deshalb als
eine Laune des Unglaubens ungesehen, weil die Aufgabe der
Prophetin damit für erschöpft gilt, dass sie den Befehl der Gutt-
heit an das Werkzeug befördert hat; sie ist bloss dazu da, damit
man aus ihrer Vorhersagung erkenne, wie Jahve der einzige Eßicieiit
der Geschichte sei. Im Liede ist das anders. Da wird
Richter Samuelis und Könige. 243
nicht wider seinen Willen aufgerufen, sondern er hat einen per-
sönlichen Anlass zum Losbrechen: ,,auf, Barak, und fange deine
Fänger, Sohn Abinoams!" Und die Seherin hat nicht bloss zu
prophezeien, sondern sie wirkt psychologischer; sie gehört hinein
in den Kampf und befeuert durch ihren Gesang den Mut der
streitenden Scharen: „auf, Debora, singe das Lied"'). Überall in
den Varianten der prosaischen Reproduktion macht es sich fühl-
bar, dass das bunte Getriebe des wirklichen Hergangs verblasst
vor der einen allgemeinen Endursache, Jahve. Wol rauscht Jahve
auch durch das Lied, in dem Enthusiasmus, der die hebräischen
Krieger erfüllt, in dem panischen Schrecken, der die reisige Macht
der Feinde verwirrt. Aber in der Erzählung ist der Gottheit das
Mysterium abgestreift, vermittelst mechanischer Prophetie gelingt
es, ihren Anteil an der Geschichte fest und nüchtern umgrenzt
darzulegen. Je specieller sie eingreift, desto ferner tritt sie; je
bestimmter die Aussagen über sie lauten, desto weniger spürt
man sie.
Es gibt noch ein anderes Beispiel im Buche der Richter, wo
uns der gleiche historische Stoff in zwei verschiedenen Formen
ausgeprägt vorliegt; das ist die Geschichte von Gideon aus dem
manassitischen Hause Abiezer. Studer hat den Einschnitt zwischen
8, 3 und 8, 4 erkannt, der zwei für sich zu verstehende Erzäh-
lungen trennt. Mit 8, 1 — 3 ist die erste abgeschlossen. Vorher
ist gesagt worden, wie Gideon, nachdem der erste Überfall der
Midianiter gelungen, den Heerbann Israels zur Verfolgung aufge-
boten, wie dann namentlich die Ephraimiten den flüchtigen No-
maden die Furten des Jordans verlegt und bei der Gelegenheit
ihre beiden Anführer in die Gewalt bekommen haben. Nun hören
wir zum Schluss (8, 1 — 3), dass die Ephraimiten im Ubermute
des Erfolgs mit Gideon zu zanken anfingen; er aber habe ihren
Zorn beschwichtigt und gesagt: „was habe ich denn jetzt getan
im vergleich mit euch? ist nicht die Nachlese Ephi-aims besser als
die Ernte Abiezers? in eure Hand hat Gott die Fürsten Midians
gegeben und was habe ich dagegen zu tun vermocht!" Zu einem
solchen häuslichen Zwist über den Anteil am Verdienst ist doch
*) V. 12 ist eine Aufforderung den Kampf anzufangen; da kann Dehora
doch nicht das Triumplilied singen, welches den glücklichen Ausgang
desselben feiert. Aus ähnlichem (imnde ist auch die oben gegebene
Cbersetzung: »fange deine Fänger" die natürlichere und richtigere.
16*
244
(nwliichip dtT Traditio
Klip. 7.
orst Zeit, gewesmi, nachdem das Venlienst sellier erworben.
dpm der Streit mit den Feinden ausgefochten war, wie denn auch
das Bild von der Ernte und Nuchlese voratissetüt, dass der Sieg
vollständig und alle seine Früfhte gepflütlct waren. Mit 8, 1 — 3
ist die Sai'Iie ahgetan; die fol>;einle Erzählung ist keine Fort-
setzuni; der vorh ergehenden, sondern eine zweite Version, die von
fianz anderen Voraussetzun^n ausgeht. AVälirend nach 7, 23s-
ein grosses Heer auf den Beinen ist, hat Gideon 8, 4 es. nur seine
3(X) Lente hei sich. Während nach S, 1—3 schon Lese und Nach-
lese i^eliulten und der Kampf am Ziel ist, setzt Gideon K, 4ss.
unaufhaUsam den Feinden nach, und da er die Bürger von Sukkotb
und Phenuel um Brod fnr seine müde und hungrige i^annscliaft
bittet, fragen ihn die höhnisch, ob er denn etwa auhon des Er-
folges sicher sei, so dass man ITi-sach habe für ihn Partei zu
nehmen. Die beiden Häuptlinge, welche dort die Fürsten Zeeb
und Oreb heissen und bereits gefangen sind, werden hier die
Kiinige Zebnh und Salmuna genannt und sind noch nicht gefangen.
Leider ist der Anfang von S. 4ss. nicht erhalten; in folge dessen
lässt sich nicht ausmachen, ob der Verfolgung, auf der wir Gideon
hier treffen, schon eine Begegnung mit den Feinden voraufgegangen
sei. Unmöglich ist eine solche Annahjne gerade nicht, doch lässt
der weite Vorsprang der Nomaden und ihre Sorglosigkeit im Lager
die Sachlage eher so erscheinen wie in 1. Sam. 30. Wie dem
auch sei, das Gewicht der ilie beiden Versionen trennenden Mo-
mente bleibt sich gleich.
Worin liegt nun die Wnrtel des Unterschiedes? Das lehrt
am besten eine Vergleichung der Eingänge des einen und lien an-
deren Berichtes. Wie gesagt mangelt zwar dem zweiten jetzt der
Anfang, aber einigermaassen lässt er sich aus dem weiteren Ver-
laufe ergänzen. Nach H,4ss. hat Gideon es ganz specieti auf die
beiden Könige der Midianiter abgesehen, diese erscheinen stets als
seine eigentlichen Feinde, hinter denen er her ist; die übrigen
Midianiter sind ihm mehr oder weniger gleichgiltig. Nämlich
Zebah und Salmuna, erfahren wir aus 8,10s., hatten am Tliabor
seine leiblichen Brüder erwürgt; um dafür Hache zu nehmen setzt
er den Schuldigen nach und ruht nicht, bis sie in seiner Hand
sind. Es ist die Pflicht der Blutrache, um deren willen er mit
seiner Hausmacht sich aufmacht, unbekümmert nm das Misvec-
hältiiis gegen die Überzahl; es ist die Gew:dt des Familiem
Richter Samuelis uud Könige. 245
die ihn in Bewegung setzt und ihn beiläufig zum Retter Israels
vor den Räubern macht. In dem ersten Berichte (6,11 — 8,3)
sind diese natüriichen Motive völlig verschwunden und andere an
die Stelle getreten, von ungefähr entgegengesetzter Beschaffenheit.
Im voraus, ehe noch die Midianiter ihren diesjährigen Einfall ge-
macht haben, wird der nichtsahnende Gideon durch eine Theo-
phanie zum Kampf gegen sie berufen. Wie sie nun wirklich
kommen, da ergreift ihn der Geist und er zieht Urnen entgegen.
Was an ihm Menschliches ist, hat nichts mit der Tat zu tun;
Fleisch und Blut sträuben sich dagegen. Es ist der direkte Ein-
fluss Jahves, der ihn treibt; natürlich dann auch im allgemeinen
Interesse Israels gegen die Midianiter, nicht gegen die Person
ihrer Fürsten. Im Zusammenhange damit wird weiter auf alle
weise dafür gesorgt, dass der Mensch hinter der Gottheit in den
Schatten tritt. Gideon, nach dem zweiten Berichte ein vornehmer
und königlicher Mann, ist im ersten aus unansehnlichem Hause
und Geschlechte; während ihn dort eine unaufhaltsame Energie
kennzeichnet, erscheint er hier bis zum letzten Augenblick zag-
haft und zögernd und wird durch immer neue Wunder ermutigt
und gekräftigt. Die 32000 Mann, mit denen er ins Feld rückt,
muss er auf Jahves Geheiss bis auf 10(XX) und aber bis auf 300
entlassen, „damit Israel sich nicht gegen mich rühme und sage,
seine eigene Hand habe ihm geholfen!" Die Waffen, womit die
Dreihundert den nächtlichen Überfall ausführen, sind Fackeln
Krüge und Posaunen; für Schwerter haben sie dann keine Hand
mehr (7, 20), und demgemäss muss das feindliche Heer sich selber
aufreiben (7,22).
Unter den Abweichungen der religiösen Version von der na-
türlichen gibt es wenige undurchsichtige, wozu man namentlich
die rechnen kann, dass der Schauplatz diesseit des Jordans
verlegt wird. Die meisten sind sofort erkennbar als Produkte
einer verklärenden Beseelung der Tradition, die ihren Körper ver-
flüchtigt und sie in luftige Regionen hebt. Z. B. bilden nicht
bloss in Kap. 8, sondern auch in Kap. 7 die 300 Mann das
alleinige Gefolge Gideons bei der Hauptaktion, beim Überfall des
feindlichen Lagers; aber um die Bedeutsamkeit dieser geringen
Anzahl zum Eindruck zu bringen, werden sie im Kap. 7 zum
letzten Residuum eines anfangs ganz ansehnlichen Heeres gemacht
und daraus entspinnt sich eine weitläufige Erzählung. Auch das
(.■lili' der Trarlilioi
darr
■Ol
[eiclieii, ilass wiu diis 6. Kapitt-1 mit der
Ziehung dieses Rkhters zum Ileiligtnme seiner A'aterstadl anhebt,
so das 8. Kapitel damit schliesst: hier entdeckt er durch eine
Theophauie, wie die Patriarchen der Genesis, die Heiligkeit des
Altarsteiues nnter der Eiche; dort stiftet er, weit realistischer, dfta
Ephod ans dem goldenen Schmnckt' der Midianiterkönige. Histo-
risch kommt vorzugsweise, wenn nicht ausschliesslich, die n«-
türliche Version iu Betnicht, die in trockenem Tone die Sachen
retlen Ifost und in die Einfachheit des Hergangs nichts von der
Bedeutung seiner Folgen einmischt. Dits Verhältnis ist jedoch
etwas anders als wie wii- es zwischen Jud. fj und 4 gefunden
haben, Kap. Gs. basirt nicht direkt auf Kap. 8, sondern wol
auf sei batständiger mündlicher Grundlage, Mit den historisclien
Erinnerungen, über deren Unbestimmtheit die lebhafte Lokal-
färbung nicht läuschen darf, schalten die wuchernden Triebe hier
viel freier und bringen weit plastischere und naivere (iebilde
hervor. Offenbar aber ist im Gebiete des Wunders die Puesie
älter als die Prosa.
Drängt sich bei den Geschichten, die uns in doppelter Fassang
aufbewahrt sind, der innere Abstand von selber auf, so lässt sicJi
ein solcher nun auch da wahrnehmen, wo keine eigentlichen Pa-
rallelen verglichen werden köuneu. Wie fühlbar unterscheidet
sich die Erüählung über Abimelei^h, etwa von der folgenden über
Jephthah, durch den Reichtum des sachlichen Gehalts, durch das
objektive Interesse für die Mittel- und Nebenglieder in der Folge
der Begebenheiten! Ohne Vergoldung durch übernatürlichen Nim-
bus werden die Dinge schlecht und recht vorgetragen, die Mural
ergiebt sich aus ihrem Verlauf von selber. In den Sagen von
Simson hinwiederum stellen sich uns so zu sagen zwei Seelen in
einem Körper vereinigt dar. So eng hier auch der derb volks-
tümliche Stoff und die besonders am Anfange und am Ende her-
vortretende religiös-nationale Form verwachsen sind, so stehn sie
doch iu einem innerlichen Widerstreit, und schwerlich sind ilie
Streiche dieses absonderlichen Gottesmanns ursprünglich im Geiste
.Tahves koncipirt, aus dem sie jetzt geboren werden. Vielmehr
wird der religiösen Darstellung eine ziemlich profane zu grnude
liegen, aber gegenwärtig kann man die ältere .Stufe nicht mehr
von der jüngeren sondern. Es verst«ht sich übrigens, dass in
diesem Falle der Gegensatz von historisch und unhistorisch i
tJ
mielis und Künigw.
■247
angewandt werden darf, der indessen für unsere Absicht auch
nicht wesentlich ist. Nur Ans gilt allgemein: je näher die Ge-
Bchirhtsschreibung ihrem l'rsprang ist, desto profaner ist sie. In ,
der Art der Frömmigkeit gibt sich in den vordenteronomischea l
Erzählungen der Unterschied weniger zn erkennen als im Grade,
1. Die umtassende Buarlieitiing, die wir im Richterbuche
wahrgenommen haben, hat auch dem Buche Samnelis ihr Siegel
aufgedrückt. Da aber hier die Periode kurz, dagegen ihr Inhalt
überaus reich nnd wirklich zusammenhangend ist, so Itanu sich
das künstliche Facli- und Netzwerk nicht so sehr bemerklieb
machen. Doch fehlt es keineswegs, wie zunächst die Zeitangaben
lehren, die wii- schon oben in das System der Chronologie einge-
ordnet haben. Es verdient Beachtung, wie lose dieselben in den
Rontext eingefügt sind. In 1. Sam. 4, 18s.: „nnd da der Bote
die Schreckensnachricht erzählte, fiel Eli hinterrücks vom Stuhle
and brach den Hals und starb, denn er war alt und unbeholfen
und er richtete Israel vierzig Jahre; da aber seine Schnur,
die hochschwangere Frau des Phinehas, die Kunde vernahm a. s. w."
— ist der Satz mit dem Datum zwar hei halbwegs passender Ge-
legenheit, aber doch eben deutli(^h bei Gelegenheit eingeschoben.
In 2. Sam. 2, 8 — lü heisst es: „Abner der Feldhauptmann nahm
den Sohn Sanis Isbaal und brachte ihn über den Jordan nach
Mahanaim und unterwarf ihm Gilead und Gesur nnd Jezreel und
Ephraim und Benjamin und ganz Israel, vierzig Jahre war
Isbaal als er König wurde nnd zwei Jahre regierte er,
nur Juda hielt es mit David, und die Zeit die David König
war über Juda in Hebron ist sieben Jahr und sechs ^(o-
nat, nnd Abner mit den Kriegern Isbaals zog aus von Mahanaim
nach (libeon und Joab mit den Eri^ern Davids zog ihm ent-
gegen". Es liegt auf der Hand, dass die gesperrten Worte den
Znsammenhang sprengen; in bezng auf die Daten über Isbaal ist
ausserdem zu bemerken, dass er nach allen übrigen Angaben
einesteils in noch ganz unmündigem Alter gestanden, andernteila
eben 80 lange zu Mahanaim wie David zu Hebron geherrscht I
haben muss. Die Zweizahl der Regierungsjahre erklärt sich beä4
ihm eben so wie liei Saul 1. Sam. 13, 1: . , . Jahre alt war ^
Saul als er König wurde, und zwei Jahre herrschte
I
24H Geschichte der Tradition, Kap. 7.
Über Israel. Wie iu diesem letjitereu Vers«, d
giuta mangelt, die Zahl für die Lebensjahre no'
fehlt, so war ursprünglich anch die Zahl Mr die R^eningsjahre
ansgeljissen ; die ganz absurde Zwei ist ans dem folgenden Wort«
fni- Jahr herausgewachsen, das im Hebräischen ziemlich gleich
aussieht.
Hand in Hand mit der chronologischen Schematik linden wir
1. Sam. 7, 2 — 4 die religiöse wieder. „Seitdem die Lade m Ririath-
jearim wohnte, vergingen zwanzig Jahre, da sammelt« sich das
ganze Haus Israel hinter Jahve her. Und Samuel sprach zum
ganzen Hause Israel: wenn ihr euch von ganxem Herzen zu Jahve
bekehrt, so schaift die fremden Götter und die Astarten aus eurer
Mitte und richtet euer Herz auf Jahve und dient ihm allein, so
wird er euch von den PhilLsteni befreien, l'nd die Kinder Israel
schafften die Baale und Astarten ab und dienten dem Jahve
allein." Im Vorhergehenden wird zwar von einem Abfall nichts
berichtet, und an Vertrauen auf Jahve haben es die Israeliten
na<;h Kap. 4 in der unglücklichen Schlacht gegen die Philister
wahrlich nicht fehlen lassen; aber die selbstverständliche Annahme,
dass das Joch der Fremdherrschaft zur Strafe der Sünde auferlegt
sei und dass die Sünde im O'itzendienst bestehe, ist bezeicimend
für diese Betrachtungsweise. Eine weitere Probe derselben haben
wir in der Rede Samuels 1. Sam. 12, die als Einleitmig in die
Königszeit mit Jud. 2 als Prooemium der Hichtergeschiehte zu ver-
gleichen ist. „Stellt euch her, dass ich euch vor Jahve vorhalte
alle die Taten Jahves, durch die er euch und euren Vätern Recht
geschafft hat! Wie Jakob nach Ägypten gekommen war, schrieen
eure Väter zu Jahve, und er sandte Moses und jVliaron und führte
eure Väter aus Ägypten und gab ihnen Wohnung in diesem Laude.
Aber sie vergassen Jahve ihren Gott, uud er verkaufte sie in die
Hand Siseras des Feldhauptmanns zu Hasor und in die Hand der
Philister und Moabiter, die stritten wider sie. Da schrieen sie zu
Jahve und sprachen: wir liaben gesündigt, dass wir Jahve ver-
lassen und dem Baal und der Astarte gedient haben, nun errette
uns vor unsem Feinden, so wollen wir dir dienen. Und Jahve
sandte Jerubbnal Barak Jephthah und Samuel und rettete euch
vor euren Feinden ringsum, daas ihr sicher wohntet. Als ihr aber
sähet, dass Nahas der Ammoniterkönig gegen euch anzog, spracht
ihr zu mir: nein, ein König muss über uns herrschen — da doch
Uichler Samuel is
249
Jahvo, euer Gott, ener König ist. Nim siehe da ist der König, i
den ilir gefordert habt, siebe Jahve hat einen König über ench
gesetzt. Weun ihr Jahve fürchtet und ihm dient und auf seine
ßtirame hört und seinem Befehle nicht widerstrebt, gut! wenn ihr '
aber der Stimme Jahvee ungehoi-sara seid und seinem Gehf
widerstrebt, so wird Jahves Hand gegen euch sein wie gegen
eure Väter," Es ist die bekannte Weise; Abfall Drangsal Bekeh-
rung Ruhe; Jahve der Grundton der Melodie, das erste Wort und
das letzte. Am stofflichen Detail haftet der Blick nicht, i
Lücken der Tradition werden ebenso positiv verwertet, als ihr i
auf so wenige Punkte koncentrirter Tnhalt. Das Einzelne kommt
nur als Moment des Ganzen in betracht; in grosaartiger lle^Tie
werden die Perioden überblickt und das Gesetz dai^elegt, das sie
verkettet. Dabei kaim Samuel eine bestimmt geformte Kenntnis
der biblischen Geschichte bei seinen Zuhörern voraussetzen, ja
Rogar ohne Bedenken über seine eigene htsturische Bedeutung reden; .
auf einen Zeitraum, in dessen lebendiger Bewegung sie selber mitten
drin stehn, müssen sie zurückblicken wie auf eine tote Vergangen-
heit. Indem sie so zui* Höhe objektiver Betrachtung über sich und
ihre Väter emporgehoben werden, tritt zum Schluss das zu er-
wartende Resultat ein: sie werden sich ihrer schweren Sünde be-
wusst, immer haben sie der Gottheit gegenüber das ängstliche Ge-
fühl Strafe verdient zu haben.
2. Die deuter onomische Bearbeitung macht sich zwar nur an
diesen beiden oder besser an dieser einen Stelle geltend, aber dies
ist eben die Hanptepoche in unserem Buche, der Übergang zum
Königtum, der mit dem Namen Samuels verknüpft ist. Und hier
tritt sie um so intensiver auf, nicht bloss als geschmackgebende
Zutat zur älteren Überlieferung, sondern dieselbe von Grund aus
amgestalteTid. Denn was wir so eben daraus angelührt haben, sind
nur Fragmente eines bedeutenden geschichtlichen Zusammenhanges,
dessen erstes Stück 7, 2—17 uns zunächst in Anspruch nehmei
wird. Nach der Aufforderung zur Bekehiung 7, 2—4 beruft Samuel
7, ö ebie Versammlung der Kinder Israel nach Alispha bei Jeru-
salem, um für sie um Abwendung dei' Fhiüsterpiage zu beten; dia
Maassregel steht natürlich im engsten Zusammenhange mit der
vorher berichteten Abschaffung des Götzendienstes, denn nachdem
die Schuld beseitigt ist, rauss auch die Strafe aufgehoben werdi
Mau kommt zusammen, schöpft Wasser um es auszugiessen vor I
250 llcschicbti? der Tradition, Kafi. T. ^^^^^H
Jahve, fastet aad hekeuut seine Sünileii za Mispha. Als daß 4H^^^
Philister hören, sind sie gleich am selbigen Tage zur Stelle uml n
überfallen die betende IJemeinde. Aber Samuel opfert ein Milch-
lamm und schreit zu Jahve um Hilfe; und wie nun während dessen \
der Zusammenstoss erfolgt, da donnert Jahve gewaltig über die
Philister und setzt sie in Verwirrung, dnss sie weichen müssen nod i
bis weit hin verfolgt werden. Die Philister aber, so lantet das j
Ende, wurden gedemütigt und drangen nicht wieder in das israeli- i
tische L.'ind ein, und die Hand Jtihves war wider die Philister, so |
lange Samuel lebte; und die Städte, welche die Philister den Israe-
liten abgenümnien hatten, wurden wiedergewonnen, Alikarou nnd ;
Gath und ihr Gebiet entriss Israel den Philistern, und es war
Frit'do zwischen Israel und dem Amoriter.
Es genügt den Inhalt dieser (ieschichte zu referiren, um ihre
geistliche Mache und ihre innere Unmöglichkeit sofort zur Empfiu-
ilnng zu bringen: was ilrängt sich alles in den Raum dieses einen
Tages zusammen! Nun aber beachte man noch den vullenileten
Widerspruch gegen alles sonst Überlieferte. In der Folge liuden |
wir die Herrschaft der Philister keineswegs beseitigt, nicht blosa i
dringen sie, noch bei Samuels Lebzeiten, melu'fach über die Greuze,
sondern sie sind im Besitz des israelitischen Landes, einer ihrer
Statthalter wohnt zu Gibea mitten in Benjamin. Uer Kampf
gegen sie ist recht eigentlich der Eutstehungsgrund und die Auf-
gabe des Königtums, kein Gedanke daran, dass Samuel di(.>sem
Arbeit und Verdienst vorweg genommen und sogar Akkaruu und
Gath „zurückerobert" habe. Grade zu seiner Zeil hat vielmehr
das Philisterjocli am schwersten auf Israel gelastet.
An der ganzen Erzählung kann kein wahres Wort sein.
Ihre Motive aber lassen sich leicht durchschauen. Samuel ist ein
Heiliger ersten Hanges (Hier. 15, 1); einem solchen Planne ge- ,
bührt in der Theokratie, A. h. in dem religiösen Gemeinwesen,
als weldies das alte Israel nach dem Muster des Judentums vor- |
gestellt wird, die Stelle an der Spitze des Ganzen. Natürlich j
muss dann sein Einfluss weit genug gereicht haben, um Götzen-
dienst und Untreue gegen Jahve im Volke auszusi-hliessen ; im |
ganzen muss der Gemein charakter der Zeit seinem eigenen V»r-
bilde entsprochen haben. Nim aber erhebt sich ein hässliclier
AnsfosB, Wenn Samuels Leitung dafür bärgt, dass im Imiera
alles war wie es stän muss, wie soll ■iaiin zugleich von ai
Richter Samuelis und Könige. 251
her so grosse Not geherrscht und sogar der Existenz des Volkes
Gefahr gedroht haben! Wenn die Menschen das ihrige tun, wie
kann es dann Jahve an sich fehlen lassen! Man hat vielmehr zu
glauben, dass der inneren Gerechtigkeit auch die äussere Recht-
schaffung entsprochen habe. Schon unter Samuel sind die
Philister mit Gottes Hilfe zu den Grenzen hinausgetrieben und
haben sich sein Lebetag nicht wieder sehen lassen. Der
Frömmigkeit einer betenden Versammlung hat Jahve einen
Erfolg in den Schooss fallen lassen, an dessen Erringung sich
hinterher das Schwert kriegerischer Könige lange vergeblich
gemüht hat.
Aber diese Geschichtskorrektur steht nicht für sich und vdvd
erst durch den folgenden Zusammenhang vollkommen begreiflich;
1. Sam. 7 wird durch Kap. 8, und Kap. 8 weiter durch 10, 15 bis
12, 25 fortgesetzt. Nachdem Samuel das Land von der Fremd-
herrschaft befreit, führt er bis in sein Alter ein ruhiges und glück-
liches Regiment. Da aber seine Söhne, die er sich beigeordnet
hat, nicht in seinem Wege gehn, so nehmen die Ältesten Israels
das zum Anlass, sich von ihm einen König zu erbitten; es ist
aber nur ein Vorwand für ihr Gelüste, die göttliche Herrschaft
abzuschütteln und zu werden wie die Heiden. Samuel ist höchst
aufgebracht über diese Undankbarkeit, wird aber von Jahve ange-
wiesen, der Forderung zu willfahren. „Sie haben nicht deine,
sondern meine Herrschaft vensorfen, grade so wie sie, seit ich
sie aus Ägypten geführt, es gemacht, mich verlassen und anderen
Göttern gedient haben, so handeln sie nun auch gegen dich."
Vergebens hält ihnen Samuel ein abschreckendes Verzeichnis der
Rechte des Königs vor, sie gehn von ihrem Entschluss nicht ab,
und so beruft er (8, 22. 10, 17) eine allgemeine Versammlung des
Volkes nach Mispha. Dort wird, nachdem die einleitende Straf-
predigt gehalten ist, um den König gelost und Saul getroffen,
worauf Samuel noch das Königsgesetz schreibt und es vor Jahve
niederlegt. Dann wird das Volk entlaasen, „und auch Saul ging
nach Hause gen Gibea und mit ihm die Kriegsleute, denen Gott
das Herz rührte, aber die nichtsnutzigen Buben verachteten ihn
und sagten: was mrd der uns helfen!"
Nur de iure soll damit Saul zum König gemacht sein, de
facto wird er es erst, nachdem er sich erprobt hat, Kap. 11.
Nämlich etwa nach einem Monat (10, 27 Sept.) schicken die
I
252 Gescljiclite der Truditiuii, Kb[>. T. ^^^H
Bürger vod Jabes, vou lieii Amniooiteru belagert uuil schwer W^
drängt, Boten durch ganz Israel mit der Bitte nm schleunige
Hilfe, denn binnen sieben Tagen müssen sie sich den Feinden
Gi^ebeii und sich ein jeder diis rechte Äug« ausstechen lassen.
Die Boten kommen auch nach der Stadt Sauls, Gibea in Ben-
jamin, Tind reden ihre Wurfe vnr den JiCnten; die hebea ihre
Stimme auf und weinen. Indem kiimmt Saul mit einem J"ch
Rinder vom I'VIde, und da er das allgemeine Weinen bemerkt,
fragt er was geschehen sei. Man erzählt es ihm, da überiallt ihn
der Geist Gottes und er gerät in sehr grossen Zorn: er zerstückt
seine Rinder imd schickt die Teile durch ganz Israel mit dem
Entbieten: wer nicht ausziehe in den Kampf, des Rbdern solle
also geschehen! Und der Schrecken Jahves fällt auf das Volk,
sie ziehen aus wie ein Mann nnd entsetzen die belagerte Stadt.
Darauf wird dem Saul zu GÜgal „das Köuigstuni erneuert" ; imd
nun erst tritt Samuel ihm die Regierung ab, in der langen Rede
Kap. 12, aus der oben ein grösseres Stück mitgeteilt ist.
üass das 11. Kapitel in diese ^>^sion aufgenommen ist, er-
hellt aus 12, 12 und auch aus 11, 12 — 1-1. Aber ursprünglich ist
es nicht für diesen Zusanuneuhang berechnet. Denn von den
Kriegsniänneru, die Saul nach 10,26 begleiten, merkt man hier
nichts, und die Boten von Jabes kommen nicht seinetwegen nach
Gibea. Wie der vermeintliche Kiinig vom I'llügen zu Hause
kommt, «"ird nicht getan, als gehe ihn die Botschaft nilher an;
niemand teilt sie ihm mit, er muss sich nach der l'rsache des
allgemeinen \Vemens erst erkundigen. Nicht kraft seines Amtes
als König, sondern in der Autorität des Geistes bietet er den
Heerbaim Israels auf und ündet begeisterten Gehorsam. Erst
nachdem er seine Kraft gezeigt und die Ammoniter geschlagen
hat, wird er 11, 15 vom Volke zum Könige gemacht: die Reuo-
vation des Konigstums II, 14 — nach oinem Monat — ist ein
durchsichtiger Kunstgriff des Verfassers von Kap. 8. 10, ITss.,
womit er das anderswoher entlehnte Stück seiner eigenen Relation
einverleibt; die Verse 11, 12 — 14 rühren von ihm her.
Der Zusammenhang, worin 1. Sam. 11 nrsprünglich stand, ist
die andere Erzählung über Sauls Erhebung 9, 1—10, 16, Hier
wird er uns zu Anfang vorgefühlt, wie er entlaufenen Eselinnen
nachgellt. Auf mehrtägiger vergeblicher Suche bis gen Rama ge-
langt, wendet er sich auf den Rat seines Knechtes an einen Seher
Richter Samiielis und K<ini|ie.
253
daselbst am Anskunft, elien an Samuel. Dem ist er schon tags \
zuvor durch Jahve angemeldet: „morgen werde ich dir einen Mann
aus Benjamin zusenden, den satbe zum Füreten über mein Volk,
er soll es erretten von den Pliilistera" — ei- hat ihn also erwartet ]
und zum Voraus ein Opferfest auf der Barna für ihn veranstaltet, i
Jetzt ist Samuel, zwischen dem sakralen Akt und der daran sich
schliessenden Mahlzeit, hinabgegangen zur Stadt, und wie er eben
zurückwill zu den Gästen, trifft er im Tore den nach ihm fragenden
Saul und erkennt auf Jahves Zuraunen in ihm seinen Mann. Er
nimmt ihn mit hinauf zur Bama, und nachdem er ihn über die i
Eselinnen beruhigt, deutet er ihm auf der Stelle an , zu wie hohea
Dingen er berufen sei, und gibt ihm üJ)erzeugende Beweise, dass er
auf ihn als Ehrengast beim Opfermahle gerechnet und ihm das
best« Stück aufgehoben habe'). Darauf beherbergt er ihn noch
die folgende Nacht und begleitet ihn am anderen Mfirgeu auf den
Weg. Nachdem der Knecht ein wenig vorauf geschickt ist, bleibt
Samuel stehn, salbt den Sau!, zum Zeichen dass or von Jahve zum
Könige und Helfer Israels ausersehen sei, und weisst ihn zum
Schlüsse an: wenn Gelegenheit zu handeln komme, so solle ei' sie
in dem Bewusstsein brauchen, da^ Gott mit ihm sei. Auf dem
Heimwege durch das Eintreffen dreier ihm angekündigter Zeichen
von der Zuverlässigkeit des Seiiers vei'sichert. und dadurch im
Herzen nach und nach bis zum Überschäumen umgewandelt,
kommt Saul nach Gibea, und obgleich durch sein seltsames Wesen
den Bekannten auffallend, verrät er zu Hause doch nicht einmal
dem nächsten Freuntie, was Uim Samuel gesagt, sondern wartet der
Dinge, die da kommen sollen.
So weit siud wir 10, lli. Dass hiemit noch kein Abachlnss
erreicht ist, leuchtet ein; der Same muM doch aufgehn, der ver-
änderte Geist zur Wirkung kommen. Dieser Forderung geschieht
auf das vollkommenste Genüge, wenn Kap. 11 als unmittelbare
Fortsetzung von 10, Ui betrachtet wird. Etwa nach einem Monate,
da kommt für Saul die Gelegenheit zu handeln, auf die ihn Samuel
verwiesen hat: während die anderen über die Schmach, die einer
israelitischen Stadt von den Ammonitem droht, weinen, überfällt
ihn der Geist und der Zorn; er hat von jener Unterredung 1
den Stachel im Herzen und tut aau, „was seine Hand findet", |
1) Vgl. Aph. :
254 Oi'sohichtB der Tradition, Kap. 7.
Der Erfoli; ist überraschend, saf die uatiirlichsle Weise von der
Welt erfüllt sich das Seherwort.
Gehort Kap. 11 ursprünglich der Relation 9, l — 10, 16 an,
so ergibt sich daraus die Abhängigkeit und Posteriorität der an-
dereu ohne weiteres. In welchem inneren Verhältnis stehn nnn
die beiden Vereionen zu einander? Ilie und da berühren sie sich
in den Ideen. Dort sucht Saul die Eselinnen und findet die Kruue,
hier versteckt er sich unter den Geraten und wird als König her-
vorgezoiten- Dort wird er vom Seher berufen, hier wird er durch
das Los eingwelzt — beide mal wirkt die göttliche Kausalität.
Aber wie wird der Gedanke auf der späteren Stufe übertrieben
und wie plump tritt er hervor! Und weit stärker als diese Ver-
wandtschaft in der Anschauungsweise ist auf der anderen Seite
die Abweichung des Ablegers vom Original. Über die Richtung
derselben sind wir durch das 8. Kapitel vorbereitet. Samuel bat
seine Landsleute von den Feinden befreit und hinterher gerecht
und glücklich Über sie geherrscht — warum verlangen sie also
nach einer Veränderung in der Regierungsforin ? Sie haben so
viel und so wenig Grund duzu wie zum Abfall von Jahve, der
ihnen ja uuch nach einer Reihe ruhiger Jahre periodisch zum Be-
dürfnis wird; es ist der Äuiiiluss ihres inut'rlich heidnischen Wesens.
So nach Kap. 8 nebst Zubehör, Ganz anders nach Kap. 9 ss. Da
befindet sich Israel am Ende der Richterzeit nicht auf der Höhe
von Macht und Glück, sondern im tiefsten Staude der Erniedrigung,
und gerade im Königtum wird das Mittel der Rettung gesehen.
Mit diesem Unterschiede hängt ein anderer eng zusammen, be-
stehend in der Auffassung der Autorität Samuels. In Kap. 8 ss.
ist er wie in Kap. 7 der Reichsverweser Jahves, mit unbeschränkter
Vollmacht. Er empfindet die Königsherrschaft als seine eigene
Absetzung; jedoch rebellirea die Israeliten nicht etwa gegen ihn,
sondern erbitten sich von ihm selber den König. Er hätte die
Bitte verweigern, er hätte ihnen einen Herrscher nach seinem Gut-
dünken geben können, doch als korrekter Theokrat lässt er J&hva
entscheiden. Zum Schluss t^t er feierlich die bisher von ihm ge-
führte Regierung nieder und übergibt sie seinem Nachfolger, der nur
den Titel, nicht aber die Fülle der flacht vor ihm voraus hat,
eher in letzterer Beziehung, als bloss weltlicher Fürst (l"i, 23 8,),
hinter ilim zurücksteht, Wie steht es dagegen in Kap. 9ss.? Hier
ist Samuel dem Sani selber weder dem Namen noch dem Wcd
lUchttir '^u^l^l>lis null Köuitfe.
255
orte nach bekannt, nur der Knecht hat von ihm sagen hüren und
in seiner Heimat steht er als Seher in grosser Achtung. Was
man sich anter einem Seher von damals vorzustellen habe, wird
mit einiger Absichtlicbkeit Itlai- gestellt, indem Samuel nach dem
Verbleib entlaufener Eselinnen gefragt und ihm dafür ein viertel
Silberling angeboten wird. Steht nun auch dieser Seher dentlich
über der Masse seiner Standesgenoaseu, so bleibt doch sein geschicht-
liches Eingreifen völlig innerhalb der Schranken des auch etwa
einem Kalchas Möglichen, und lässt von der legislativen und
exekutiven Gewalt eines Regenten der Theokratie nicht das mindeste .
merken. Er bringt nicht die Hilfe, er ersieht nur die Hilfe undl
den Helfer. Gerade das Ereignis, wodurch Samuel nach Kap. 8 a
von seiner Stellung verdrängt, und in den Hintergrund geschoben |
wird, begründet hier einzig .seine Bedeutung: das Königtum Saula,
das zwar nicht sein Werk, aber sein Gedanke ist. Er kündigt
dem Benjaminiten seine Itestimmung an, als Interpret von dessen
eigenen Herzensgedanken ('J, 19). Damit ist seine Aufgabe erfüllt,
seinen Naclifolger in der Regierung zu ernennen hat er keinen
Auftrag und keine Gewalt. Alles weitere überlässt er dem Lauf« l
der Dinge und dem Geiste Jahves. der Saul auf eigene Küsse stellen J
werde.
Im Hintergründe der beiden verschiedenen Berichte erkennea j
wir den geistigen Abstanii zweier Zeitalter. Dem vorexilischoD "
Israel ist das Königtum der Höhepunkt der Geschichte und die
grosste Segnung Jahves. \'orher ging eine Periode der Unruhe
and Bedrängnis, wo jeder tat was er woUte und also die Feinde
leichtes Spiel hatten. Nun wohnt man sicher, geachtet von den
Nachbaren, und kann im -Schutze staatlicher Ordnung seines Feigen-
baumes und seines Weiustocks froh werden, Das ist das Verdienst
der beiden ersten Könige, die Israel von seinen Häubern befreit, ,
ihm Macht und Rulie gegeben haben. Sie werden in dieser Hin- J
sieht nicht verschieden beurteilt, der eine hat das Werk ange- I
fangen, der andere es vollendet (I. 9, l(j. 14, 48. II. 3, 18. 19, 10). \
Während man friilier in harter Kampfesarbeit nicht zu Atem kam,
ist nun Zeit anch an anderes zu denken. Noch das Deut^ronomium, J
das nicht lange vor dem Exil geschrieben ist, betrachtet die vor-J
königliche Periode nur als eine vorbereitende und nicht für voll I
zu rechnende Übergangszeit: erst muss Israel selber zu festen I
Sitzen geliingf und eine gesicherte Existenz gewonnen ba.bun, dajin.l
Sil«
fleschichte der Tradition, Kap. 7.
wird aui^h Jahvc sicii eiüi'n Sitz erwählen mid Ansprüche in bt'zug
auf den Kultus erheben. Nachdem alier David es dahin gebracht,
dass das Volk Raum hat nml festjjewtiraelt ist im Boden and
nicht mohr zittert vor den Feinden, die es von Anfang an und
alle Tage der Richter in Atem (lehalten haben, ist dann unter
seinem Nachfolger die Zeit gekommen, den Tempel zu bauen und
sich höheren Aufgaben hinzugeben. Wie ferne dem hebraiseheo
Altertum die Vorstellung eines feindlichen Gegensatzes zwis(.rhea
dem himmlischen und dem irdischen Herrscher lag, ersieht maa
aus dem Namen des Gesalbten Jahves und aus der prophetischea
Hoffnung, die auch iur die idente Zukunft den menschlichen König
nicht entbehren kann. So lebendig wie je einem anderen Volke
ist es deu alten Israeliten im Hewusstsein geblieben, welcher Dank
den Männern und der Institution gebühre, wodurch sie aus der
Anarchie and rnterdiückung zu einem geordneten und wehrfähigen
Gemeinwesen emporgehoben wurden; die Bucher Samaelis logen
davon das beredteste Zeugnis ab').
In schneidendem Gegensata daau nimmt die Versiou 1. Sam, 7.
B. 10, 17 SS. 12 ihren Standtpuukt ein. Da ist die Errichtung des
Königtums nur eine tiefere Stufe des Abfalls. Einen Fort-
schritt über das mosaische Ideal hinaus kann es nicht geben;
je weiter man sich davon entfernt, desto grösser ist der Rück-
schritt. Die kapitale Sünde, einen menschlichen Herrscher auf
Jahves Thron zu setzen, dient sogar der Richterzeit, die sonst
auch grau in grau gemalt wird, zur verklärenden Folie; selbige
erscheint wegen ihres Festhaltens an der Urform der Theokrati©
in hellerem Lichte, ja gerade zuletzt noch, um den Kontrast zu
erhöhen, in herrlichem Glänze, Unter Samuels Regimeute war
alles wie es sein sollte. Fragen wir nun, wie es denn da
eigentlich war und was es mit der theokratischen Verfassung für
eine Bewandtnis hat, so erhalten wir darauf freilich keine ge-
>) lu der Ausschau Bileums iitter die gesegnete Zukunft Israels Nuni. ä3 s.
haftet aein Blick besoadera auf dem K^piii^tTii nis rinem Kaoplsefi«!!!.
Im »II gemeinen 23,21: .Jahve sein Goti i-^i mit ilim, tuid Krinissjutie!
wird laut unter ihm". Mit besonderer l'.ivii Iihfil' .ml Smil :;4. 7: .iiiid
über Agag Iriiimphirt sein König iioJ mki llii'li .-tiL>;t tuiimr". Auf
David 24, 17: ,icb sehe ihn obwol nicLt jclü, ii^h =k'iinue ihn of-w.jl
nicht oahe; aufgebt (ml) ein Stern aus Jakob und eine Rute aus
Israel, und xerschm eitert die Schlftfun Moabs und den Scheite) aller
Seltne . . . ., auch Bdoin wird Grobening". liie Tliora und das Königtum
sind nacli Deut. 33, 4. 5 die beiden gröasteu Gnulengabeit Qotlea..
Richter Samuelis und Könige. 257
nügende Antwort. Man konnte vom Haupte auf den Körper
zurückschliessen wollen, aber was für einen Begriff soll man sich
von Samuels Stellung machon? So wie er in diesen Kapiteln
erscheint, ist er in den Kategorien, die etwa in Frage kommen,
durchaus nicht unterzubringen; er ist kein Richter, kein Priester,
kein Prophet, wenn wir den Worten ihre historische Bedeutung
lassen. Ein zweiter Moses ist er — nun ja, aber das macht uns
nicht klüger. Deutlich ist nur, dass die Theokratie auf ganz
anderem Fusse eingerichtet ist als die Reiche dieser Welt, und
dass es als Abfall zum Heidentum gilt, wenn die Israeliten wie
andere Völker einen König an ihre Spitze stellen, der Hofleute
und Beamte, Offleiere mid Soldaten, Rosse und Wagen hält. Sie
ist demnach ein geistliches Gemeinwesen, wie denn auch der
geistliche Charakter des Regenten ausser Frage steht. Samuel
mahnt das Volk vom Götzendienst zu lassen, er steht dem grossen
Busstage zu Mispha vor, der in der heiligen Geschichte Epoche
bildet, seinem Bitten und Schreien vermag Jahve nichts abzu-
schlagen (12, 17). „Es sei ferne von mir, sagt er noch zum
Abschiede (12, 23), dass ich ablasse für euch einzutreten und euch
auf den guten Weg zu weisen." Entsprechend haben die Bürger
der Theokratie die Aufgabe, den Jahvekultus zu pflegen und sich
der Leitung des Stellvertreters der Gottheit nicht zu entziehen.
Auf Mittel sich wehrfähig zu machen brauchen sie nicht zu
denken; w^enn sie fasten und beten und von ihren Sünden lassen,
so schlägt Jahve die Feinde durch seinen Blitz und Donner zurück,
und so lange sie fromm sind, lässt er dieselben gar nicht in das
Land kommen. All der Aufwand, wodurch ein Volk sonst seine
Existenz sichert, ist dann natürlich überflüssig. Dass diese
Vorstellung ungeschichtlich sei, vereteht sich von selber; dass sie
der echten Tradition widerspricht, haben wir gesehen. Die alten
Israeliten haben nicht von Anfang an eine Kirche, sondern zuei*st
ein Haus zum Wohnen gebaut; und sie sind überfroh gewesen,
als sie es glücklich unter Dach hatten (11,15). Aber noch das
ist zum Schluss hinzuzufügen, dass jene Vorstellung nur in einer
Zeit entstanden sein kann, welche Israel als Volk und Reich nicht
mehr kannte und von den realen Bedingungen, die dfizu gehören,
keine Erfahrung hatte — dass dieselbe mit anderen Worten dem
exilischen oder nachexilischen Judentume entstammt. Damals war
aus der Nation eine religiöse Gemeinde geworden, deren Glieder
Wellbaaten, Prolegomenu. 5. Aafl. X7
258 Geschichte der Tradition, Ka|i. 7.
sich um des willen uuf (lis Hauptsache, den üottesdienst and die
Frömmigkeit, beschränken konnten, weil ihnen die Sorge för die
weltlichen Angelegenheiten durch die Chaldäer oder die Perser
abgenommen war. Damals existirte also die Theokralle, and
von daher wird sie idealisirt auf die Vorzeit übertragen. Aber
so, dass dabei der materielle l^ntergrond, worauf sie tatsächlich
rnhte, nämlich die Fremdherrschaft, ignoriil und es hingegen den
alten Israeliten ajs Heidentum angerocimet wird, dass sie selber
für ilire äussere Esistenzfähigkeit sorgen, dass sie ein Volk im
vollen Sinne des Wortes sind und sich als solches mit den
Mitteln, wie sie die gemeine Wirklichkeit erheischt, zu erhalten
streben. Dass ilie durch das Königtum geschaffene politische
Organisation und Central] sation die kultische erst begründet habe,
dass ihre Kirche nur das verklärte Überbleibsel der Nation sei, der
Gedanke kam begreiflicher weise den Epigonen nicht — was
dem Moses gutgeschrieben wird, wird dem Königtum entzogen.
Noch eins ist hervorzuheben. Die Kapitel 7. 8. 10. ITss. 12 be-
kunden nicht bloss durch ihre allgemeine Haltung eine nahe Ver-
wandtschaft mit Jud. 19 — 21, sondern auch durch einen speciellen
Berührungspunkt. Nnr hier kommt Mispha boi Jerusalem als Ver-
sanimlnngsstätte Gesamtisraels vor, sonst böreu wir in der ganzen
Richter- und Königszeit nichts von dem Orte, Erst nach der Zer-
störung Jerusalems wird er erwähnt und zwar als Mittelpunkt des
neuen von den Chaldäern eingerichteten jüdischen Gemeinwesens
(Hier. 40äB.), als Substitut der alten Hauptstadt. In ähnlicher
Bedeutung erscheint er noch einmal 1. Makk. 3, 46s8., in einer
Zeit, wo der jeruaaleroische Tempel iji den Händen der Syrer
und den Juden unzugänglich war. Auf grund von Hier. 40ss.,
ist Mispha vermutlich auch in Jud. 20. 1. .Sam. 7. 10 bestimmt,
die Stelle Jerusalems zu vertreten, des allein legitimen, damals
aber noch nicht vorhandonun Heiligtums. Das ist ein weiterer
Beweis des nachdeuterouomisch -jüdischen Trsprungs dieser Ge-
schichten, zugleich aber auch ein Merkmal dafür, dass dieselben
den Priesterkodex, bei aller Hinneigung zu dessen Anschauungen,
doch tatsächlich noch nicht voraussetzen. Dort vollzieht sieh
nämlich die Projektion Jerusalems für die vorsalomonische Periode
in ganz anderer Weise, die .Stiftshütte macht Mispha überflüssig.
Übrigens ist auch der Ritus des Waaserausgiessens 1. Sam. 7 dem
Priesterkodex fremd.
Richter Samuelis und Könige. 259
3. Sauls Verhältnis zu Samuel, sehr geeignet zu verallge-
meinernder Betrachtung, hat auch sonst der Entwicklung der Tra-
dition zum Anhalt gedient. Gehn wir von der Auffassung in
1. Sam. 7. 8. 12 als unterer Grenze aus, so steht ihr am nächsten,
w^as 1. Sam. 13 in einer Einlage von Samuel berichtet wird.
Nachdem Saul in Gilgal von dem Volksheere, womit er Jabes
entsetzt hat, zum Könige gemacht ist, sucht er sich darunter
Männer aus, die mit ihm und Jonathan zu Gibea und dem be-
nachbarten Michraas lagern; Jonathan gibt das Signal zum Kampfe
gegen den Erzfeind, indem er den Vogt zu Gibea erschlägt. Die
Philister rücken vor und machen nordwärts von Gibea Halt, nur
durch ein tiefes Tal davon getrennt. Saul aber, heisst es nun
plötzlich 13, 7 (vgl. 13, 4), war noch immer in Gilgal und wartete
sieben Tage auf Samuel gemäss der Frist, die ihm dieser gesetzt
hatte; aber Samuel kam nicht und die Kriegsleute zerstreuten
sich. Wie er nun eben selber das Opfer brachte, ohne das kein
Feldzug eröffnet werden konnte, da kam Samuel und fuhr ihn an.
Saul rechtfertigte sich sehr triftig: das Volk habe sich verlaufen und
Samuel sich nicht zur bestimmten Zeit eingestellt, die Philister
aber seien schon bis dicht vor Gibea vorgerückt, so habe er nicht
länger warten können das Opfer zu bringen und ihnen entgegen-
zugehn. Aber Samuel hatte darauf nur die Antwort: „du hast ge-
fehlt, hättest du Jahves Gebot gehalten, so hätte er dein Königtum
bestätigt in Ewigkeit, nun wird dein Königtum nicht bestehn;
Jahve hat sich einen Mann nach seinem Herzen ausgesucht und
ihn zum Fürsten über sein Volk bestimmt, denn du hast nicht
gehalten, was Jahve dir befohlen hat". Sprachs und entfernte
sich, Saul aber zog mit dem Heere von Gilgal nach Gibea. Zu
Gibea — fährt der folgende Vers (13, 16) dann fort — sassen
Saul und Jonathan und ihre Leute, als die Philister in Michmas
sich lagerten.
Dass der ganze Passus über die Begegnung des Königs mit
dem Propheten in Gilgal (13, 7 — 15) von späterer Hand eingesetzt
ist, erhellt aus dem Ortswechsel. Im Anfange der Erzählung be-
findet sich Saul in Gibea (13, 2. 3) und eben dort suchen ihn die
Philister auf, deshalb vor dem Orte Halt machend, weil sie hier
auf die Gegenwehr treffen. Plötzlich wird 13, 7 stillschweigend
vorausgesetzt, Saul habe sich seit der Königswahl noch immer
in Gilgal aufgehalten und sei von da gegen die Philister gezogen,
17*
260
si-hirhte ilrr Tra
die vor Gihea auf ihn warteten. Alier in 13. Iti hat man \
den Eindruck, cUss Saul mit den Seinigen längst in Gibea ge-
sliindeu habe, ab die Feinde gegenüber Lager schlagen: nur so
versteht sich der fJeifensatK des zustand liehen Partidps (sedentes)
und des inchoativen Perfekts (castrametnti sunt). Und weiterhin
verrät sich in der triuiuphirenden Fortsetzung der Erzählung,
namentlich in Kap. 14, keine Spur, dass jene ominöse Scene
in Gilgal auf Sauls, des Volkes und des Seh riftstel lere Seele
Mit den sieben Tagen, die Saul nach 13, 7 — 15 za GilgaJ
auf Samuel warten soll, wird zurückgegrilfen auf 10, 8, wo der
Seher dem zukiiuftigen Könige sagt: „du sollst vor mir nach
liilgal hinahziehen nnd dort will ich dir nachkommen, um die
Opfer zn briogen; sieben Tage sollst du auf mich warten, damit
ich dir ansage, was du zu tim liast". Diesem Verse spricht nicht
bloss der Zusammenhang mit 13, 7^15 sein Urteil. Nach 10,
1^7 handelt es sich dem Samuel in diesem Augenblicke nur
darum, das Mistrauen des seine Eseliimen suchenden Benjaioiniten
zu dem ihm geweissagten hohen Herufe zu überwinden, ihm
iilauben und Zuversicht eiuzuflössen , Jiber nicht, ihm unveiständ-
liche A'orschrifteu darüber zu geben, was er, wenn er wirklieb
König geworden sei, zunäclist tun und wie lange er in Gilgal auf
ihn warten solle. Den schulmeisterlichen Ton von 10, 8 erwartet
man am wenigsten gerade nach der unmittelbar vorangehenden
Äusserung 10, 7: wenn die drei Büi^uhaften eingetroffen seien,
so solle Saul tun was seine Hand finde, denn Gott sei mit ihm.
Hiermit wird ihm doch die volle Freiheit des Handelns gegeben,
und zwar deshalb, weil Gottes Geist in ihm wirkt, der bekannt-
lich wehet wo er will und sich von keiner Autorität drein reden
lässt ').
Die Einlage beruht auf einer älteren Relation über den Bruch
zwischen Samuel und Saul 1, Sam. 15, in welcher aber auch das
Opfer die Gelegenheit und Gilgal der Schauplatz ist: nur aus letz-
') Obrigens ist os klar, dass dor Verfasser von 10,8. 13,7 — 15 unmöjjlicli
schon in Knp. II d<?a Samuel iu Giljtal vorgefundoti habca kaau, tietor
er Um in Kap. 13 dortliin kommen läset Dass II, 12— H Nachtrag; ist,
habun wir bereits gesehen: aber auch in 11,7 muas der Nsme Samuel«
inturpolirt sein, in iler Tat handelt 11, 15 dns Volk, d. i. das Heer,
noch im jetzigen Text vullkommen auf eigene Iland. Daraus folgt i
gleich, dass 10, 8. 13, 7—1.1 SIi.t ist ah Ka|i. T. 8. |(i, 17 ss. l"^
Richter Samuelis und Könige. 261
terem Umstände erklärt es sich, dass Gilgal auch in 13, 7 — 15
trotz aller Unmöglichkeit als der gegebene und notwendige Ort
festgehalten wird. Jahve erteilt durch Samuel dem Könige Befehl,
die Amalekiter zur Strafe für eine vor alters gegen Israel began-
gene Heimtücke zu bannen und nichts von ihnen übrig zu lassen.
Demzufolge bekriegt Saul die Amalekiter und schlägt sie, führt
aber den Bann nicht ganz streng aus, sondern schont des besten
Viehs und des gefangenen Königs Agag. Daiüber in Gilgal, wo
man den Sieg vor Jahve feiert, von Samuel zur Rede gestellt gibt
er vor, die Beute zum Opfer Jahves bestimmt zu haben. Damit
macht er keinen Eindruck. „Siehe Gehorsam ist besser als Opfer,
Aufmerken mehr wert als Widderfett; siehe wie Wahrsagerei ist
das Widerstreben und wie Bilder- und Götzendienst der Ungehor-
sam : wxil du Jahves Wort verschmäht hast, hat er dich als König
verschmäht." Der König erkennt seine Schuld und w4il Samuel
begütigen, der aber wendet sich erzürnt, und da ihn jener fest-
halten will, reisst der Mantel. „Jahve hat das Reich Israel heute
von dir gerissen und es einem Besseren gegeben, auch lügt der
Wahrhaftige Israel nicht und ändert seinen Sinn nicht, denn er
ist kein Mensch, dass ihn etwas reue." Doch auf die Bitte Sauls
ihm wenigstens nicht öffentlich vor dem Volke die Ehre zu ver^
sagen, nimmt Samuel am Opfer teil und eröffnet es selber damit,
dass er den Agag vor Jahve zerhaut. Dann gehn sie auseinander
um sich nie wiederzusehen, Samuel aber trägt Leid um ihn, dass
Jahve es sich hatte reuen lassen, ihn zum Könige über Israel ge-
macht zu haben. Mit dieser Erzählung hängt eine andere, dm*ch
Gegenstand und Behandlung, Gedanken und Ausdruck, auf das
engste zusammen; die von der Hexe von Endor. Als Saul kurz
vor der Schlacht, in der er fiel, das Heer der Feinde überblickte,
befiel ihn Angst und Schrecken. Er fragte Jahve, erhielt aber
keine Antwort, weder durch Träume noch durch das Ephod noch
durch Propheten, bis er durch die Not einer dunklen Zunft in die
Arme getrieben wurde, die er sonst verfolgt und ausgerottet hatte.
Verkleidet suchte er nachts mit zwei Begleitern eine Toten-
beschwörerin in Endor auf, und nachdem er sie über die Todes-
gefahr beruhigt hatte, die ihr durch Ausübung ilu*er Kunst drohte,
hiess er sie den Samuel citii'en. Wie sie den Geist heraufkommen
sieht, erkennt sie, dass derjenige, dem er zu einer Unterredung
entgegengehe, der König selber sei; sie schreit laut auf, lässt sich
262 Geschichic der Tradition, Kap. 7.
aber wieik'i' beschwichtigen und beschreibt das Aussehen des Toten.
Saiil sieht ihn nicht, er hört, ihn nur reden, „AVarmu hast du
mich in Unruhe gesetzt und mich heraufholen lassen? Jahve tnt
wie er durch mich gesagt, reisst das Reich von dir und gibt es
einena andern, weil du seiner Stimme nicht gehercht und seinen
grimmigen Zorn gegen Ämalek nicht ausgerichtet hast; morgen
wirst du mit. deinen Söhnen bei mir sein und auch das Heer
Israels wird Jahve in der Philister Hand übergeben." Bei den
Worten schlägt Saul so lang wie er ist zu Boden, er ha,tt« tags
zuvor und auch die Nacht nichts gegessen. Mit Mühe wird er
bewogen etwas zu sieh zu nehmen; darauf erhebt er sich mit
seinen Knechten, seinem Geschick entgegen an gehn (1- Sam.
28, 3—25).
Vei^leichen wir mit diesem Original die Kopie 13, 7 — 15, so
fallt zuvörderst die Verschiebung des Bruches auf, Kanm König
geworden wird Saul sofort abgesetzt, gleich auf dem Fleck, zd
Gilgal. Und auf was für Gründe hin? Samuel hat ihm ganz
willkürlich eine Wartezeit gesetzt, erst nachdem sie veratrichen
ist, trifft Saul Anstalten zum Abmarsch, zu dem die Not zwingt.,
nnd darum wird er verworfen! Offenbar ist jener von vornherein
von der Stimmung gegen ihn beseelt, die der legitime Fürst dem
Usurpator gegenüber hat; er hat es darauf angelegt einen Aulass
zu finden, um sein Verhältnis zu ihm in das klare zu bringen.
Genau genommen hat er freilich den Anlass doch nicht gefunden,
da ja die Frist eingehalten ist; aber unausgesprochen steht cUe
Meinung im Hintergründe, dass der König nicht bloss vor Ablauf
der sieben Tage, sondern überhaupt nicht opfern dürfe; sein Opfern
wird als Raub am Heiligen angesehen. Da taucht die autonome
Theokratie vor unsern Augen auf, an die vor Ezechiel niemand
gedacht hat; wir werden erinnert an die Erzählungen der Chronik
über Joas und Uzzia. Bei aller Ähnlichkeit des Inhalts ist doch
der Geist von 1. Sam. 15. 2Ö ein wesentlich anderer und älterer.
Nicht mit so rasender Eile erfolgt hier die Verwerfung, man ge-
winnt nicht den Eindruck, dass Samuel sich freut, den König von
der Hand schlenkern zu können. Er ehrt ihn vielmehr vor dem
Volke, er trt^ Leid, dass Jahve ihn verschmäht hat; Saul, der
ihn im Leben nicht mehr schaut, wendet sich in der höchsten
Not noch an den Toten: er hält ihn nicht für seinen bösen Feind,
Während ferner dort der König sich versündigt, indem
Richter Samuelis und Könige. 263
Heiligkeit des Opfers und die Unnahbarkeit des Altars für die
Laien nicht gebührend achtet, so wird ihm hier vorgeworfen, dass
er dem Opfer einen viel zu hohen Wert beilegt. Dort handelt
endlich die Gottheit und ihr Stellvertreter mit absoluter Willkür,
stellt sich mit unbegreiflichen kleinlichen Geboten schroff dem
Menschen gegenüber, fordert ihn zum Widerspruch heraus; hier
ist das Auftreten Samuels, wenn man den Bann als Volkssitte
voraussetzt, motivirt, sein Wesen nicht von Geist entblösst, er be-
ruft sich nicht auf seine ünverantwortlichkeit, sondern auf die
moralische Evidenz, dass Gehorsam besser sei als Widderfett.
Freilich gehören auch die Kapitel 15 und 28 nicht zum Stock
der Überlieferung. Bei 1. Sam. 28, 3 — 25 ist es leicht, die Ein-
schiebung aufzuzeigen, denn der Faden von 28, 1. 2, herkommend
von Kap. 27, wird 29, 1 fortgesetzt; nach 28, 4 sind die Philister
schon zu Sunem in Jezreel, nach 29, 1 noch zu Aphek in Saron,
von wo sie erst 29, 11 nach Jezreel aufbrechen. Um in bezug
auf 1. Sam. 15 das gleiche zu zeigen, könnte man sich darauf be-
rufen, dass zwischen 14, 52 und 16, 14 direkter Anschluss be-
steht — aber das ist etwas umständlich zu beweisen. Es genüge
also, dass in der vorhergehenden Geschichte Sauls der Amalekiter-
krieg in einem ganz anderen Lichte erscheint (9, 1 — 10, 16.
Kapp. 11. 13. 14 vgl. auch Num. 24). Die Veranlassung dazu ist
nach 14, 48 den Bedürfnissen der Gegenwart entnommen und der
Zweck der sehr praktische „Israel von seinen Räubern zu be-
freien"; keine Rede davon, dass der Feldzug um eines religiösen
Gebotes willen unternommen sei, um die Amalekiter für eine
längst verjährte Schuld zu strafen, über die man nur aus den Ge-
schichtsbüchern über die mosaische Zeit Bescheid wusste. Beide
Erzählungen, Kap. 15 sowol als Kap. 28, sind Vorspiele der fol-
genden Begebenheiten. Mit Kap. 16 tritt David auf den Schau-
platz, ist sofort die Hauptperson und drängt Saul zur seite: in
Kap. 15 wird diese Wendung prophetisch eingeleitet. Die Tat-
sache war überliefert, dass Saul von Jahve zum Könige ersehen
war. Wie ist es denn möglich, dass seine Hen'schaft trotzdem
keinen Bestand hatte? Jahve, der sonst seinen Sinn nicht ändert,
hat sich in ihm geirrt; Samuel, der den König berufen hat, muss
zu seinem gi-ossen Schmerz ihm nun auch das Urteil der Verwer-
fung sprechen. Die Gelegenheit, bei der er es tut, ist augen-
scheinlich historisch, nämlich die Siegesfeier zu Gilgal, wobei als
2f'>4 Gesctichte der Tradition, Kap. 7. ^^H
vornehmstes Opfer der gefangene Führer der Ainalekiter setbi^l
dargebracht wurde. Uas Opfer Agags, der späteren Sitte völlig
fremdartig, mag zu der Deutung Anlass gegeben haben, dass Saal
den Kunig geschont, Jahve aber seinen Tod verlangt und ihn
dnrch Samuel am Altare habe zerhauen lassen. Daraus lässt sich
leicht das übrige entspinnen, naher auf das Wie eiaingehen, ist
nbertlässig. Zu Kap. K» verhält sich weiter Kap, 28. wie zur
ersten Stufe die zweite. Es branclit nicht nachgewiesen zu werden,
dass hier Sauls l-'all im tetüten Kampf gegen die Philister seinen
prophetischen Schatten vorauswirft. Dass er sich au die Hexe
wendet, um den abgeschiedenen Samuel zu beschwören, gibt einen
höchst wirksamen Eindruck von der Tiottverlasgenheit, worin er
sich befindet, seit jener von ihm sich abgewandt. Die allgemeine
Färbung endlich wird dem Gegensatze zwischen Samuel und Saul
hier verlieben durch das Verhältnis der Propheten zu den Königen,
wie es sich besonders im Reiche Samarien (1. Fieg. 14, 7) aus-
gebildet haben muss. Es bt klar, dass unsere Erzählungen in
der Auffassung dieses Verhältnisses den prophetischen Standpunkt
einnehmen, wie sie denn auch nach den lehrhaften Ideen, die darin
ausgesprochen werden, als prophetische Konceptiouen angesehen
werden müssen.
4. David ist der erste judäische Held, dorn wir begegnen:
er stellt sogleich alle übrigen in den Schatten. Ober seine Taten
besitzen wir zwei ausführliche und zusammenhangende Schriften,
die sich gegenseitig ergänzen. In I. Sam. 14, 52 — 2. Sam. 8, 18
«'ird zunächst umständlich erzählt, aof welche Weise David aof
den Thron gelangt sei, sodann folgt seine Haupttat als König, die
Demütigung der Philister imd die Gründung Jerusalems, worauf
mit einer kurzen Obersicht über das sonst noch Itemerkenswerte
abgeschlossen wird. Der Bericht ist nns vollständig erhalten, nnr
nicht in seiner reinen Form, sondern vielfach durchbrochen nnd
überarbeitet. Die zweit« Schrift 2. Sam. 9 — 1. Reg. 2 ist am An-
fange verstümmelt, sonst jedoch fast völlig intakt, wenn man
2. Sam. 21 — 24 heraushebt. Sie erzählt vorzugsweise die Vor-
gänge am Hof na Jerusalem aus den späteren Jahren des Königs
nnd verfolgt dabei mit besonderem Interesse, wie Salomo, von
dessen Gebnrt und deren l'mständen gleich aui'angs die Rede ist,
über seine vor ihm stehenden Brüder Amnon Absalom Ädonia
hinweg auf den Thron gelangt. Beide Schriften zeichtien sich i
Richter Sainuelis und Könige. 265
durch ihren wesentlich historischen Charakter. Die Darstellung
ist weit eingehender und nicht von fern so poetisch wie in der
Geschichte Sauls 1. Sam. 9ss., Übertreibungen wie 14, 46ss.
kommen nicht vor. Den Vorzug verdient 2. Sam. 9ss. In den
Hergang der Begebenheiten, die natürlichen Anlässe und mensch-
lichen Motive der Handlungen gewinnen wir da vielfach einen
recht tiefen Einblick, wenngleich der Standpunkt ein beschränkt
jernsalemitischer ist und beispielsweise die eigentlichen Gründe des
Aufstandes der Judäer unter Absalom kaum berührt werden. Die
Begeisterung für David hat wol auch hier die Feder geführt,
aber seine Schwächen werden nicht verschwiegen, die wenig erbau-
lichen Verhältnisse seines Hofes getreu berichtet, die Palastintrigue^
durch die Salomo auf den Thron gelangte, mit einer beinah bos-
haft scheinenden Unbefangenheit vorgetragen. Die erste Schrift
1. Sam. 16 — 2. Sam. 8 erzählt nicht so eingehend, gibt aber den
Zusammenhang nicht minder strenge und beruht auf nicht viel
schlechterer Information. Der Parteistandpunkt tritt dadurch
stärker herv^or, dass David in biographischer Weise seit seinem
ersten Auftreten zum Helden der Geschichte gemacht wird, wäh-
rend doch noch König Saul sie eigentlich beherrscht und bewegt.
Aber zur Umdichtung der Tatsachen hat die unvermeidliche ju-
däische Sympathie schwerlich geführt, überhaupt nicht anders und
nicht stärker eingewirkt, als sonst das lokale Interesse für den
iStammhelden, von dem aus ursprünglich immer erzählt worden
ist. Doch gilt dies Lob von' 1. Sam. 16ss. nur, sofern der ur-
sprüngliche Bestand in Frage kommt. Anders steht es mit den
gerade hier sehr zahlreichen Einsätzen, welche dem älteren Zu-
sammenhange sich anschmiegen oder auch wol eine Neubearbei-
tung an stelle eines echten Gliedes desselben treten lassen. Hier
hat die Idealisirung des Gründers der judäischen Dynastie schöpfe-
risch gewirkt, hier finden wir für die Geschichte der Tradition, in
dem rohen Stil wie sie vor der Hand allein ausführbar ist, reiche
Ausbeute. Vor allem den Anfang der ersten Schrift hat die spä-
tere Sagenbiidung überwuchert.
David, als tapferer kluger und redegewandter Maim bekannt,
empfohlen zugleich durch sein Saitenspiel, kam an des Königs
Hof und ward sein Waffenträger (16, 14 — 23). Im Kampfe gegen
die Philister bewährte er sich so, dass Saul ihn von Stufe zu
Stufe erhob und ihm seine Tochter zum Weibe gab (18, 6s8.).
266
Geschicltte der Tradition, Eap. 7.
»
Aber das Glück und der Ruhm des Jodäers inachten i
gächtiß uiid in einem Anfall der Manie, der er auch iiaeli 10, 10
ausgesetüt war, warf er nach Da\-id, der durch sein Saileuspiel
den bösen Geist zu verscheuchen suchte, mit der Lanze (19, 9. 10).
Da jener im Einverständnis mit Jonathan es für geraten hielt zn
entweichen, so bestätigte das des Könif^ Argwohn, dem zunächst
die Priester von Nob zum Opfer fielen, weil ihr Oberhaupt David
mit Brod versorgt und das Orakel für ihn befragt hattp (21, 2 — 7.
22, ti— 23). Den Flüchtigen selber bekam Sau! nicht iji die
Hand, er scharte sein Geschlecht und andere verzweifelte Gesellen
um sich und ward ihr Anführer in der Wüste Jnda (22, 1 — ö.
23, 1—13. 2ö, 2ss). Um den sich wiederholenden Verfolgungen
Sauls zu entgehn, trat er endlich auf das Gebiet der Philister
über und erhielt von dem Fürsten Achis die judäische Stadt Siklsg
zu Lehen (27, Iss.).
Dies der Anfang der Geschichte Da\'ids nach dem einfachen
Faden <ler alten Erzählung. Znsatz ist zunächst die Legende von
dem Kampfe des Hirtenknaben gegen Goliath 17, 1 — 18,5, welche
gleichmässig nach vorn nnd hinten anstösst. Denn nach 16, 14 — 33
war David, als er mit Saul in Berührung kam, nicht ein des
Waffenhandwerks unkundiger Fant, sondern, „ein streitbarer Kriogs-
held, verständiger Itede und von stattlichem Ansehen", und nach
IH, 6 sangen die Weiber bei der siegreichen Heimkehr des Heeres:
Sani hat des Philisters Tansende geschlagen und David seine My-
riaden — letzterer also war neben «fem Könige der Führer Israels,
ein erprobter und bekannter Mann. Augenscheinlich mnss zwischen
16, 23 und 18. G ursprünglich etwas ganz anderes gestanden haben.
Mit der Geschichte von Goliath 17, 1— IB, 5 TälU nun aber aus
ähnlichen Gründen auch die von der Salbung DaWds 16, 1 — 13,
die von jener abhängig (16, 12. 17, 42) ist; und anf diese Weise
entsteht, da wir Kap, 15 bereits als sekundäres Erzeugnis kennen
gelernt haben, der nötige Anschlnss von 14, ■'J2 mit 16, 14. In
18, Gss., wo über die Entstehung der Eifersucht Sanis gehandelt
wird, fehlen mehrere der störeudsten Erweiterungen noch in der
Heptuaginta, namentlich der erste Speerwurf (IS, 10. 11) und die
Verlobung mit Merab (18, 17 — 19). Am buntesten kreuzen sich
die Einschläge in dem Bericht über den Ausbruch der Feindschaft
Sauls und über Davids Flucht, Kap. 19. 20. Das Stück 19, 1—7,
sehr unmotivirtes Machwerk, verrät durch die Bekanntschaft j
Richter Samuelis und Könige. 267
Kap. 17 seinen späteren Ursprung; erst mit 19, 9 beginnt die Fort-
setzung von 18, 29» (Sept.). Nach Sauls Speerwurf 19, 8 — 10 ent-
flieht David zum ersten mal, ist aber v. 11 doch noch zu Hause
und entflieht mit Hille weiblicher List v. 12 zum zweiten male,
zu Samuel gen Rama, um indessen in Kap. 20 nach wie vor in
Gibea zu erscheinen. Es fällt dem Könige auf, dass er nicht zur
Tafel kommt; Jonathan versichert ihn der Gewogenheit seines
Vaters, an der David allerdings zweifelt ohne jedoch vom Gegen-
teil deutliche Beweise zu haben. Nachdem der tödliche Hass des
Königs konstatirt ist, macht Da\dd nun endlich Ernst mit der
Flucht; in Kap. 21s. finden wir ihn auf dem Wege über Nob
nach Juda, doch weicht er 21, 11 noch einmal von frischem von
dem Angesichte Sauls. Es verateht sich von selbst, dass in der
Wirklichkeit und in der ursprünglichen Erzählung die Flucht nur
einmal geschehen und gleich von vornherein nach der Zuflucht,
d. h. nach Juda, gerichtet gewesen sein muss. Das genügt, um
über 19, 11 — 24 den Stab zu brechen; das 20. Kapitel ist wenig-
stens in seiner jetzigen Gestalt im Zusammenhang unmöglich; in
Kap. 21 sind v. 8 — 10 und v. 11 — 16 auszuscheiden. Auch in
dem Abschnitte über Davids Freibeuterleben Kap. 23 — 27 finden
sich bedeutende Nachträge; nämlich ausser 27, 7 — 12 besonders
die Begegnungen Davids mit seinen Verfolgern, in zwei Versionen,
von denen die eine 26, 1 — 25 wegen v. 19 vor Kap. 27 eingesetzt
ist, die andere 23, 14 — 24, 23 vor Kap. 25, um eine zu nahe
Kollision zu vermeiden. Da beide vielerwäi-ts wörtlich überein-
stimmen, so wird man Recht haben, die kürzere und motivirtere
Fassung Kap. 26 für die Grundlage anzusehen. Dass aber auch
Kap. 26 nicht dem echten Stocke angehört, ergiebt schlagend die
Folge 26, 25. 27, 1. Die Einschiebung der Zusätze ist übrigens
natürlich nicht ohne allerlei Redaktionsänderungen im älteren Stoffe
abgegangen; vgl. z. B. 16, 14.
Obgleich von der selben Wurzel ausgehend, sind diese Wuche-
rungen doch keineswegs gleichartig und gleichstufig. Zum teil
sind es volkstümliche Sagen und unabsichtliche Dichtungen. So
die Geschichte von der Michal, die es gegen ihren Vater mit
ihrem Manne hält, ihn abends am Seile dmxh das Fenster lässt
und die Häscher eine Weile hinhält, indem sie vorgibt, David
sei bettlägerig, und ihnen den Hausgott vorweist, den sie auf das
Lager gepackt und unter die Decke gesteckt hat (19, 11 — 17). Von
5C8
Gescliiclite der Tradition, Kap. 7,
I
etwas andeiüc l'arbe aiud die BogegDuugssceiieii zwiatheii Smil |
David; doch Int die Überzeugting, dass letzterer der König der Zn-
kuuft soi, der Anerkennung des erstereu ak des wirklichen Königs
und Gesalbten Jahves keinen Kintrag; auch erscheint 8aul nicht
bösartig, sondern verblendet. lu der sekuudären Vereion 23, 14sfl.
kommt, abgesehen von der ganz posthnmeu EiDi^chaUuug zwischen
23, 15 und 23. 19, zu den rührenden Motiven ein gattnütiger
Scherz hinzu, wie nämlich die beiden um einen Berg heram
Hasehen spielen, der davon den Namen hat. Als religionsgeschicht-
liches Kennzeichen für das Alter dieser Erzählungen kommt einer-
seits die unbefangene Erwähnung des Gottesbildes im llaase Davids
in betracht, andererseits die Äusserung 26, 19: ^wenn Jahve dich
gegen mich reizt, so möge er Opfer riechen, wenn es aber Men-
schen sind, 90 seien sie verflucht vor Jahve, dass sie mich jetzt
vertrieben haben aus der Gemeinschaft im Lande Jahves und mich
zwingen, fremden Göttern zu dienen". Es ist vielleicht nicht zn-
fällig, dass letztere Aussemng in dem Parallelbericht fehlt nnd
dafür eine förmliche Huldigung liinitugekommen ist, die Saul znm
Schlüsse seinem destinirten Nachfolger darbringt. Was die Er-
ziildung von Goliath anlangt, so ist sie zwar auch harmlos, aber
von einer viel specifischeren religiösen Färbung, Bezeichnend in
dieser Hinsicht ist die Rede, mit der Da\id dem Riesen ent-
gegen geht 17, 4Ö3S.: „du kommst zu mir mit Schwert und
Speer, ich komme zu dir im Namen Jahwes lier Heerscharen,
den du geschmäht; heute wird er dich in meine Hand übergehen,
dass alle Welt erfahre, dass Israel einen Gott hat und dass diese
Versammlung ("pHpH = das Heer) wisse, dass nicht durch Schwert
und Speer Jahve hilft, denn sein ist der Streit". Das nähert eich
der geistlichen Sprache der nachdeuteronomischen Zeit, Nach
2. Sam. 21, 19 ist Goliath von Gath, dessen Speerschaft dick war
wie ein Webebaum'), nicht in den Philisterkriogen Sauls, sondern
seines Nachfolgers aufgetreten und nicht von einem Hirtenknaben,
sondern von einem Krieger aus Bethlehem, namens Elhanan, erl^
worden.
Diis Thema David und Jonathan hat ohne Zweifel geschicht-
') Dieser Aiudmck kommt 1. Siwi. 17 wieder vor uud tieweist die Alih&agig-
keit dieser Legende vou 2. äam. 31. i3, einer Zusanimeiiatelhmg tod
HcldenoDekdoten aus den Philistcirkriegen Davide im echtfin knrava volks-
tömlichen Tod. Vgl. oben p. 177 zu 1. Chr. 20, 5.
Uirlitir Snmiiciis iinil K'mige. 269
liehen Grund, findet sich jetzt aber nur in sekundären Ansffth-
mngen bi'handelt. Als solrhe hiit man iiucfi dii- Erzählung über
den Abschied Kap. 20 anzusehen. Jedoch seheint dieaelbt; auf
eine ältere (Irundlage zurückzugehn, welche wol dem Zusammen-
hange der arspmnglicben Schrift angehört haben könnte. Nämlich
jder Pfeilschiiss hat nur dann Bedeutung, wenn eine Unterredung
wischen den beiden Freunden nicht stattfinden kann. Da sie ja
d}er zusammenkommen und &ei her.Tn88RgeD was sie auf dem
ISerzen haben, so ist jenes stumme Zeichen nicht bloss überllussig,
»ndern auch unverständlich und sinnlos. Wenn aber gerade der
I meisten charakteristische Zug nicht in die gegenwärtige Physio-
puomie der Erzühlung passt, so heiast das mit anderen Worten,
( sie nicht in der wahren Form erhalten ist. Ursprünglich hat
Banathan lediglich den l'feil abgeschossen und seinem Knaben zu-
ienifen, wo er liege; und David, in der Nahe des Schiessplatzes ver-
teckt, hat aus dem Zuruf das verabredete Signal entnommen. Mit
lem Zuruf, der l'feil liege näher nach ihm zu oder weiter von ilim
Ireg, forderte Jonathan scheinbar den Knaben, in Wahrheit den
lud auf, entweder zu ihm heranzukommen oder von ihm weg
[ehn. Zum Zwiegespräch sind die beiden in tlem zweiten Fall,
Her bekanntlich in Wirklichkeit eintrat, nicht gekommen; der
Inenreiche Abschied fällt also fort und mit ihm auch vorher die
ichen Stil gelialteneii sentimentalen Reden, in denen .lonathan
ieiuem Vater tatsächlicli Hecht gibt, doch aber auf das ent-
hieden&te Partei nimmt für David, dessen nicht achtend, dass
r ilm selber vom Erl>e verdrängen wird^).
Tendenziös im schlimmen Sinne ist Kap. lä,6ss., auch ab-
') Nur io einor Hinsicht kgrt er «einer Selbstverleugnung Scbraulien an;
er I&sst sieh von dem knnftigen Könige feierlich verDär|jen, diLS» er
seine Familie achoneu n-erde. Hier liegt ein Interesse aus der Gegen-
wart des Erziiilers zu gründe. Die orientalische Sitte, dnas der neu«
Kepnl die Torh ergeh ende Dynastie ausmordet, hat Duvid nicht syste-
matisch befolgt und insonderheit tu gimslen eines hiiilerl asseneu Sohnes
des Jonathun eine Ausnahme gemacht. „Mein ganies Geschlecht —
sagt Meriboal II 19, 29 — war meinem Herrn Erinige zu Tode verfallen,
du aber hast mich an deinen Tisch gesetzt, wag hsbe ich also für ein
Recht, mich (auch aber Ungerechtigkeiten] zu beklagen!" Dieser Sohn
JonaÜiaus aber ist der .Vhn einer jerusaleraücbau Familie gewurden.
die bis über da* Exil hinaus geblüht hat. — -Vllere Züge in 1. Sam. 20
SJnd die Wichtigkeit des Neumondes, das Familienopfer zu Bethlehem,
vielieicht der Stein b^Ü '^^il, mit dem es keine ganz legitime Bc-
waudlnis mi haben scheint, da der Name zweimal so soüdcrliar ver-
derbt ist.
270 Geschichte der Trsilition, K»p, 7.
gesehen von diin Zusätzen des masorethischen Textes. Hier wi(i(
die Feindachuft Sauls gegen David gleich in die ersten Anianu:«
ihres Verhältnisses zurückgetragen und die Freundschjift selber
als heimlicher Hass dargestellt. Alle die Ehren, womit der König
seinen Waffenträger überschüttet, werden als Mittel deuselben za
beseitigen gedeutet; zu seinem Eidam soll er ihn unr deshalb
gemacht haben, um durch den verlangten Preis für seine Toditer,
die hundert Vorhäute der Philister, ihn tödlicher Gefahr ausea-
setzen. Für den Zusiimmcnhang ist 18, 6ss. nicht zu entbehren,
aber zugleich steht fest, dass die giftige Betrachtungsweise Zeichen
späterer Bearbeitung ist. Denn Saul begeht liier seine Perfidien
im Einverständnis mit seinen Knechten, denen also dadurch seine
Gesinnung gegen David bekannt geworden sein musste, aber der
alte Eraähler nimmt im Gegenteil an, dass der ilasa plötzlich zu
tage gekommen sei und dass bis dahin David bei allen für den
beüebteslen der Diener des Königs gegolten habe. Vgl. 21, 2.
22, 14 s.. um von Kap. 20 abzusehen. Xur dies entspricht auch
der Natur Sauls, wie sie sonst überall geschildert wird.
Auf der tiefsten Stufe der Korruption steht die Überlieferung
charakteristischer weise in den beiden eingesetzten Erziihlnngeu.
in denen Samuel in das Leben Dands hineinragt. Nach Ü9,
18—24 flieht David zn dem Alten gen Rama in die Propbeten-
schule, Saul sendet ihm Häscher nach, aber wie diese in die Nähe
•Samuels kommen und ihn einen Haufen ekstatisclier Enthusiasten
kommandiren sehen, werden sie auch von der Haserei ergrifTeu,
und den zweiten und dritten Boten, die .Saul absendet, ergeht es
nicht besser. Saul muss endlich selber kommen, aber auch er
wird in den Wirbel gezogen, wirft die Kleider von sich und t^tnzt
vor Samuel und DaWd, die allein nüchtern der bacchantisi^hen Ge-
sellschaft zuschauen, bis er nmfällt und nackt wie er ist einen
ganzen Tag und eine ganze Nacht liegen bleibt — daher das
Sprichwort: „ist auch Saul unter den Propheten?" Aber ilass
David, wenn er floh, auch gleich Im Ernst nach Juda und nicht
erst zum Spass gen NoMen nach Rama Höh, liegt ebenso auf der
Hand, wie dass es ein starker Misbniuch ist, den Geist der Pro-
phetie fremden Zwecken dienstbar zu machen und ihn so bloss
zum persönlichen Schatze Davids aufzubieten, der gar nicht nötig
gehabt hätte, in Rama auf Saul zu warten und ihm dort ein
Schnippchen zn schlagen. Unsere ErzälJnng, welche
Richter Samuelis und Könige. 271
fasser von 15,35 noch unbekannt ist, geht zurück auf das ange-
führte Sprichwort, dieses wird aber anderswo (10, 12) in einem
weit edleren Sinne erklärt, und man kann sich des Verdachtes,
hier mit einer frommen Karikatur zu tun zu haben, um so
weniger erwehren, da ja die Pointe jedenfalls die ist, dass Samuel
und David sich an der Schande des nackten Königs weiden. Für
die allgemeine Geschichte der Tradition ist der I^mstand am inter-
essantesten, dass Samuel hier zum Haupt einer Prophetenschule
geworden ist, deren Übungen er leitet. Nach der ursprünglichen
Vorstellung (Kap. 9. 10) tritt er einzeln für sich auf und hat mit
den Banden der Ekstatiker, der Nebiim, nichts zu tun. Er ist
Roe, Seher, kein Nabi, Prophet. Zwar wird in der Glosse 9,9
behauptet, beides laufe auf eins heraus, was gegenwärtig Nabi
heisse, sei ehedem Roe genannt. Aber das ist nicht ganz richtig.
Der Verfasser von Kap. 9. 10 kennt auch den Namen Nabi sehr
wol, aber er gebraucht denselben nie für Samuel, sondern nur
pluralisch für die Haufen jahvetrunkener Den^ische; in einer ganz
anderen Bedeutung wie Roe und auch in ganz anderer Bedeutung
als wie Jesaias und Jeremias den Titel Nabi führen'). Man
kann nicht daran zweifeln, dass diese unterschiede historisch be-
gründet und erst hinterher allmählich zusammengeflossen sind,
dass also Samuel als Seher nicht zu einem der Flagellanten zu
erniedrigen ist.
Da Davids Flucht zu Samuel eine frühere Beziehung zu ihm
voraussetzt, so scheint 19,18s. auf 16,1 — 13 zurückzusehen. In
diesem Stück fängt David seine Laufbahn gleich damit an, dass
er als Hirtenknabe, der in der Familie noch gar nicht mitgerechnet
wird, von Jahves wegen an Sauls statt zum Könige gesalbt wird.
Aber nachher ist davon keinem etwas bekannt; selbst in der Er-
zählung von Goliath, die sonst noch am ehesten mit 16, 1 — 13 auf
gemeinsamem Boden steht, wissen die älteren Brüder — hier drei,
nicht sieben — nichts von der Salbung des Jüngsten, obwol sie
dabei gewesen und selbst in Frage gekommen sein sollen (17, 28).
Ebenso ist in den Verfolgungsgeschichten Kap. 24. 26 nur Saul die
geheiligte Persönlichkeit, der Gesalbte Jahves, nicht David; der
•Glaube, dass letzterer von Jahve zu hohen Dingen ersehen sei, ist
^) Diese müssten allerdiujifs nach dem Sprachgebraiiclie von 1. Sam. 9 s.
eher Roe heisseu, und darin liegt die BerechtijLTuug der Glosse 9, 9.
^72 GescMchte der Traditiou, Kap. i. ^^^H
etwRs amlereir a\s dje Tatsaclie geiner bereits vulizn^neu 'Siill>n|H
Weiiu endlich die Folge bedingt ist von der Ursache, so zieht sich
Samuel uach 15,35 nicht bloss bis an seinen T'>d v<in Saul zn-
riick, sondern er trägt auch Lei<l um ihn big an seinen Tod. Es
ist ein harter Übergang, weim es 15,35 heisst: „Samuel sah Saul nie
wieder bis an seinen Tod, weil er über ihn trauerte", und dann
llj, 1 fortgefahren wird: „und Jahve sprach zu ihm: wie lauge
willst du über Sani tranern, da ich ihn doch verworfen hab«".
Deutlich aber erhellt, da^ die Einsetzung des Nachfolgers eine er-
txanzende Konsequenz der Absetzung des Vorgängers ist.
Zugleich ist die Salbung Davids durch Samuel das Gegen-
stück zur Salbung Sauls durch Samuel, wie das besonders der
Vergleich von 10, G. 11,(5 „und der Geist Gottes sprang auf Sau!"
und Iß, 13, 14" „und Jahres Geist sprang auf David und von Saut
wich er" lehrt. Dort nun ist die Theopneustie ein momentanes
Überschäumen, hier (trotz des Springens) eine ruhende Eigenschaft;
schon allein dieser Unterschied lässt keinen Zwoifel darüber, wo
das Original und wo die Imitation zu suchen ist. Auf eine gött-
liche, d. h. übeiTascheude und ideale Weise ist nach der alten
Tradition bloss Sani König geworden, David auf einem recht laug-
samen menschlichen Wege und durch viele Zwischenstufen. Bloss
von Saul erzählte man uisprüngllch, dass der plötzliche Ausbruch
des Geistes, wodurch er, unberufen wie er war, den Heerbann
Israels aufbot, sich an die Spitze stellte, die Ammoniter schlag und
König wurde, im stillen vorbereitet sei durch einen alten Seher,
der seine grosse Bestimmung deutete und ihm Zuversicht zu sich
selber einllösste, indem er ihn heimlich im Namen Jahves salbte.
Von David wusste man nur, wie er sich dorch eigene Kraft vom
Kriegsmann zum Bandenfülirer, vom Bandenfiihrer znm philisth&i-
schen L^husfürsten von Siklag und Juda, vom Lfhnsfürslen zum
onabhangigen onil mächtigen Könige Israels aufgescliwnngen habe:
gesalbt wurde auch er, aber nicht zum voraus von Gott, soudem
hinterdrein von den Ältesten von Juda und Israel. Diesen seitieu
menschlichen Ursprung, seinen Abstand gerade in bezug auf gött-
liche Weihe von dem \'organger, dessen Heich Jahve liiiiterdrein
faktisch doch nicht bestätigt hatte, konnte eine spätere Zeit nicht
auf ihm sitzen lassen; er musste mindestens eben so gut wie jener
lue Salbung von Samuel empfangen haben. Dies ist denn also
durch die Legende 16, 1 — 13 nachgeholt worden. Ein ;
Richter Samuelis und Könige. 273
weiter auf der abschüssigen Bahn ist es, dass in der judaistischen
Version 10, 17ss. von Sauls Salbung stillgeschwiegen wird.
AVir kommen auf Samuel zurück, von dem das Buch Samuelis
den Namen hat und der in der Tat zwar nicht für die Geschichte
selber, wol aber für die Geschichte der Tradition von solcher Be-
deutung ist, dass seine Gestalt als Gradmesser für den Stand der-
selben benutzt werden kann. Vier Stufen lassen sich in seiner
Auffassung unterscheiden, ursprünglich (9, 1 — 10, 16) ist er ein
einfacher Seher, jedoch zugleich ein patriotischer Israelit, dem die
Not seines Volkes zu Herzen geht und der seine Autorität als
Seher benutzt, um einem Manne, den er als geeignet erkennt, in
(las Ohr und in den Sinn zu setzen, er sei zum Helfer und Führer
Israels bestimmt. Diese Beziehung zwischen Seher und Krieger
ist, wenn überhaupt Samuel irgend etwas bedeuten soll, notwendig
als historisch festzuhalten; ähnliche Beispiele hat man in Debora
und Barak aus älterer, in Ahia und Jerobeam und namentlich In
Elisa und Jehu aus späterer Zeit. Samuels Grösse ist, dass er den
erweckt hat, der nach ihm kommt und grösser ist als er; er ver-
lischt nachdem er das Licht entzündet, welches nun in hellem
Glänze brennt. Sein meteorisches Auftauchen und Verschwinden
hat aber Ven^underung erregt und früh zu einer Jugendgeschichte
geführt, w^o er schon als Knabe den Zusammenbruch des vorkönig-
lichen Israels vorausverkündet (1. Sam. 1 — 3). Nachdem er das
getan, schlägt jedoch das Dunkel \iieder über ihm zusammen; schon
in Kap. 4ss. verlieren wir ihn völlig aus den Augen und erst als
(rreis treffen wii* ihn wieder. Auf der anderen Seite hat der Um-
stand, dass wir auch nach der Begegnung mit Saul nichts mehr
von dem Seher hören, der Meinung Vorschub geleistet, dass es
sehr bald zu einem Bruch zwischen den beiden gekommen sei.
Dieser Meinung begegnen wir auf der zweiten Stufe, welche
durch die prophetischen Erzählungen Kap. 15. 28 repräsentirt wird.
Erzeugt ist sie aus dem Widerspruch, dass Jahve den, den er zum
Könige ersehen, doch hinterher in seinem Königtume nicht bestä-
tigt und seine Dynastie stürzt. Also muss Samuel, der Saul ge-
salbt hat, zu seinem Kummer ihn hinterher verwerfen. Er ei'scheint
dabei schon nicht mehr als der einfache Seher, sondern als ein
Prophet im Stile Elias und Elisas, der den Gesalbten Jahves als
seiner Hände Werk betrachtet und ihm herrische Befehle gibt
(15, 1), während er ihn dagegen nach 10, 7 ausdrücklich seiner
Wellhausen, Prolegomena. 5. Aufl. IS
I
274 Geächklite dpr TradilioD, Kap, 7. ^^H
eigoaeu Inspiralion überlässt. Von der zweiten Stufe ist der ScIhMV
zur drillen nicht gross. Hier überträgt Samuel die Salbung, gleich
uuchdem er sie Saul entzogen, auf David und setzt ihn als den
nunmehrigen König von Gottes Gnaden dem verworfenen Vorgänger
entgegen. Sein Ansehen hat sich inzwischen noch gesteigert; wie
er nach Bethlehem kommt, zittern ilim die Ältesten entgegeu
(lÖ, ls9.); in 19, löss. hat er zauberische Gewalt über die
Menseben. Noch immer aber gilt er bisher als der intellektuelle
Urheber des Köni^nms. Erst der letzten exilischen oder »achexi-
lischen Stufe in der Entwicklung der Tradition isl es vorbehalten,
ihn umgekehrt als denjenigen dai-zusteUen, der dem Verlangen des
Volkes einen König zn haben, so viel an ihm ist, widerstrebt.
Hier ist das vorkönigliche Israel zur Theokratie nnd Samuel znm
Haupt der Theokratie emporgerückt: daher erklären sich seine
Emplindungen.
Diis moderne Urteil wird durch Samuels Fluch zu gnnstäu
•SauU und durch Samuels Segen zu Ungunsten Davids eingenommen,
das Bild des einen hat unter der Venlunkelung nicht gelitten, wol
aber das Bild des andern unter der Verklärung'}. Dewisse in
Vorurteil wie in Sachkenntnis gleich unbefangene Kritiker verehren
in Öaul den liekämpfer und verabschenen in David die Kreatur
der geistlichen Herrschsucht, die sie in Samuel verkörpert sehen,
Dem letzteren gibt man dabei eine Machtstellung dem Königtum
gegenüber, die er nicht besessen haben kann, ohne breiten Grund
unter den Füssen und einen oi^anisirten Eintluss in weiten Kreisen
zu haben. Soll er sich nun etwa auf die Nebiim gestützt haben?
Aber diese entstanden damals eben erst aus einer formlosen Be-
geisterung, die sich noch uicht auf schulmässig abgeschlossene
Kreise bescbi-änkte ; ausserdem stand nach der älteren Überlieferung
wol der König, aber nicht der Seher mit ihnen in näherer Ver-
') Am ölielsten bat ührigyns das TBrherrlicIioude Strehao der Spüteren dem
David mitgespielt ia dem Testamente 1. Heg. 2, 1—12. Schon durch
die Sprache rerrät es sieb (v. S — 4) als u.ichdeiiteronomiBchi'n Einsalt,
der Inhalt ist der nnchfolgeDileii Erzalilno» Piitiinmmen. Aber iti dieser
wird Salumu bei seinem Verfahren ^'egt'ii Adunia Abiuthsr Joab und
Simei keineswe«» durch jenes Testameiit ^-tlcitet, sondern durch auder«
Grande; und die uuseesprochene Absiebt des Erzählers ist die, zii seigon,
wie SalomoB Thron durch Beseitigung der ihn geAbrdenden Elemente
befestigt wurde. Zudem passt die roffinirte Cberleguug gar nidit lu
dem l?iu4nick, den man sonst ans 1. lieg. 1. 2 tou dem nltersschwkcbni
Kr>ni!iL' jreiiinuT.
Uichter Samuelis und Könige. 275
bindung — der Glaube, dass letzterer Gründer und Voretand ihi*er
Oilde gewesen sei, gründet sich auf die wertlose anachronistische
Anekdote 1. Sam. 19, 18 ss. Oder konspirirte Samuel mit den
Priestern zusammen gegen Saul? Dafür beruft man sich auf 1. Sa-
muelis 21. 22, wo Ahimelech von Nob den flüchtigen Daxdd mit
Brot versieht und zur Strafe dafür samt dem ganzen Geschlechte
Elis den Tod erleidet. Aber erstens stehn diese Priester mit Sa-
muel in keiner Verbindung, zweitens lässt es sich mit nichts wahr-
scheinlich machen, dass sie mit David im Einverständnis waren
und von dessen ehrgeizigen Plänen — angenommen er habe sie
schon damals gehabt — etwas wussten, drittens steht das umge-
kehrt fest, dass sie dem Könige gegenüber gar keine Macht be-
sassen, vielmehr auf Gnade und Ungnade von ihm abhingen und
auf einen leisen Verdacht hin sämtlich hingerichtet wm*den ohne
dass Hund oder Hahn darnach krähten. Jene freisinnige» Auffassung
von Samuels Verhältnis zu Saul und David leidet an dem Fehler,
dass sie dem Samuel die Hierokratie als Basis seines Auftretens
gegen das Königtum unterlegt. Wer aber die Hierokratie in diese
Zeiten zurückträgt, der hat zu einem historischen Verständnis des
hebräischen Altertums noch nicht den Anfang gemacht.
HL
1. Am breitesten macht sich die letzte Bearbeitung im Buche
der Könige. Chronologische und religiöse Elemente verbinden
sich auch hier zum Aufbau des Fachwerks; wir beginnen damit,
die ersteren auf ihren systematischen Zusammenhang zu unter-
suchen.
\ om Auszuge aus Ägypten bis zum Anfange des Tempelbaues
sind 480 Jahre verflossen, von da an bis zur Zerstörung Jerusalems,
nach den Zahlen der Könige von Juda, 430, einschliesslich des
Exils wiederum 480 Jahre. In der Chronik folgen sich von Azaria
ben Ahimaas, der nach richtiger Lesart zuerst im salomonischen
Tempel amtete, bis auf Josadak, der in die Gefangenschaft geführt
wurde, 11 Hohepriester, einschliesslich des Exils also wiederum
12 Generationen zu je 40 Jahren. Die Einzelposten, aus denen
sich die Gesamtsumme zusammensetzt, sind hier krauser, gewiss
aus dem Grunde weil sich manche gegebene Daten darunter be-
finden.
Die israelitische Königsreihe ist in absieht auf die Chronologie
18*
-i7r.
Gesclikhte der Traditiou, Kap. ".
I
von der judnischeo abhän^^ig. Nacb den judäischen Zahlen i
seit der Spaltung des Reichs Ms zur liabylimischen Verhannong
393 Jahre verflossen; nimmt man nun mit Ezechiel (4,4) an. dass
Samarien 150 Jahi'e frühei' als Juda untergegangen ist, so bleiben
243 Jahre für die Daner des nördlichen Königtumes — auf 342
beläuft sich in der Tat die Snmme der angegebenen Posten. Frei-
lieh schiessen dann die von der Zerstörung Samariens bis zur Zer-
störung Jerusalems augeuommeneo lött israelitischen Jahre um 17
Über die Summe der parallelen judäischen hinaus, und um etwa
ebenso viel bleiben die israelitischen Jahre vom 1, Jerobeani bis
'.). Hosea hinter den judäischen vom 1. Rehabeam bis 6. Hizkia
Kurück: synchronistische Rücksicht zwischen den einzelnen Regie-
rungen aus beiden Reiheu ist also ursprünglich nicht genommen.
Die 242 Jahre des Nordreiches werden durch die mit 1. Jehu ge-
machte Epoche in 9H + 144 zerlegt; rundet man sie auf 240 d. h.
auf die Hälfte von 48t} ab, so muss man die 9S in 96 verwan-
'lein, die daim den gleichzeitigen 95 judäischen Jahren entsprechen.
und zwar muss man den Abzug bei der Regierung Baesas machen.
Denn dann entsteht folgendes Spiel: Jerobeam 22, Nadab 2,
IJaesa 22, Ela 2, Omri 12, Ahab 22, Ahazia 2, Joram 12. Das
heisst: die acht Könige zusammen haben 96, die ersten vier und
die letzten vier je 48 Jahre, zwei den Durchschnitt von 12; bei
den übrigen sechs teilen sich drei Paare von Vater und Sohn so
in die ihnen zukommenden 2X12 Jahre, dass der Vater 12-f ID,
der Sohn 12 — 10 bekommt — offeTd)nr weil der Vater für \-iel
■wichtrger gilt als der Sohn ').
') Zahleu diT Kotüge JiidBB \om 4. Salomos an: 37+n-+-3+«4-S5+8
+ l+G+«+29+52+16+29+55-t-2-(-31 + ll-(-ll =430 Jahre.
Dabei sind Juahni und Jecbonia nicht mitgerechoet, brin^ loftn sie
mit 1 Jahre iu Aiis<?hl3g, su muss mui fär Salomo 36 ansetzet). Zahlen
der Könige laraeis vom 1. Jerobeam: 324-34-34+2+12+23+2+13
+28+17+16+41+1+10+2+20+9. Die künsilichca Zahleuverhilt-
niBse, wie ai« ohen dorgpicgt siud, hat Emst Krey mir mitgeteilt Dar-
äber dass die Sjochronismen ursprünglich mcbt datu gehnren, vl-I.
Jahrbb. für Deutsche Theol. 187.^ p. 607 ss. Über Kiech. 4 hnl zii-rsi
Bernhard Duhm (die Theol. der Proph. p, 253) d»s lliehtige »fröfffniüchi.
Die Zahl 390, die der MT in v. 5 ffir die Dauer der GsfauKonscbafl drr
Nordiara eilten angibt, ist uamüglirb. Denn Ezecbiel kann nicht uii'ini'n,
dass sie bereits seit 350 Jahren in der Fremde sich befinden, anderer-
seits aber die Strafzeit, die sie noch vor sich habr-n . uieht höher an-
schlagen als auf 40 Jahre, denn so lange dauert das Exil der JudSer
nach seiner Rechnung, und die Restitution erfolgl hei ihm gleichKeitJf
für Israel und Juda, ja aelbst für .Ig^l'^eu (29, 11 — 16) — oflenbar 1
Richter Samuelis und Könige. 277
Der grosse in dieser Weise abgesteckte und nach Maass und
Zahl gegliederte Zeitraum wird bei allen bedeutenden Epochen in
predigtartigen Betrachtungen überblickt und gewürdigt, die im
Buche der Könige weit häufiger sind als in den Büchern der Richter
und Samuelis. Es macht keinen Untei*schied, ob der Schriftsteller
dabei selbst das Wort führt oder einen anderen reden lässt; jenes
tut er beim Rückblick auf die Vergangenheit U 17, dieses bei der
Vorausschau auf die Zukunft I. 8. 9. Einige Proben sind unerläss-
lich, um eine Anschauung zu geben.
Bei der Hauptepoche, dem Tempelbau, hält König Salomo
eine grosse Weihrede, worin er Jahve bittet das Gebet derer, die
ihn an dieser Stätte aufsuchen, vom Himmel aus zu erhören, und
schliesst dieselbe wie folgt. „Wenn sie an dir sündigen — denn
niemand ist der nicht sündigt — und du auf sie zürnst und sie
in Feindes Land nah oder fern gefangen führen lässt, wenn sie
dann in sich gehn und zu dir beten: wir haben gefehlt gesündigt
sind schuldig, und wenn sie sich von ganzem Herzen und von
ganzer Seele zu dir bekehren im Lande ihrer Feinde wohin sie
geschleppt sind, und zu dir beten in der Richtung auf ihr Land
das du ihren Vätern gegeben hast, auf die Stadt die du erwählt
und das Haus das du deinem Namen gebaut hast, so höre im
Himmel ihr Gebet und Flehen und nimm dich ihrer Sache an
und vergib deinem Volke seine Untreue und lass sie Mitleid finden
bei ihren Gewalthabern, dass sie sich ihrer erbaimen. Denn sie
sind dein Volk und Erbe, da du sie aus Agj'gten, aus dem Schmelz-
ofen, herausgeführt und sie dir aus allen Völkern der Erde ausge-
sondert hast, wie du dmxh deinen Knecht Moses geredet." Was
Jahve darauf geantwortet habe, vernehmen wir in Kap. 9. „Ich
habe dein Gebet und Flehen vor mir gehört, ich habe das Haus
geheiligt, meinem Namen dort eine ewige Stätte zu geben, dass
mein Auge und mein Herz allezeit dort seien. Wenn du nun vor
mir wandelst wie dein Vater David aufrichtig und ehrlich, alles
bewirkt durch die gleiche Ursache, den nach 40 Jahren zu erwartenden
Sturz der Chaldäer. Die Zahl 390 ist in v. 5 falsch eingedrungen aus
V. 9, wo es sich um etwas ganz anderes handelt, nicht um die Jahre
des Exils, sondern um die Tage der letzten Belagerung Jerusalems; auf
einer ähnlichen Konfusion beruht die Glosse v. 13. Richtig gibt die
Septuaginta für das israelitische Exil die Jahrsumme 150 resp. 190 an,
exclusive resp. inclusive der letzten 40 gemeinschaftlich mit Juda abzu-
büsseuden Strafjahre. Bemerkenswert ist, dass 390 = 240-1-150. Vgl.
noch Robertson Smith, im Journal of Philology, Vol. X p. 209. 213.
278
Tiesphicht* di>r Tfadition, Kap. 7.
HU tUD was ich lür liefohien habe, uad meine Gesetz
hältst, so will ich den Thron deiner Herrschaft ober Israel in
Evi;:keit bestätii;en, wie ich zu David gesagt habe: es sott dir nie
fehlen an einem Nachfolger auf dem Throne Israels. Wenn ihr
und eure Söhne aber von mir abweicht nnd meine Gesetze und
Rechte die ich euch geschrieben nicht haltet und andere Götter
verehrt, so vertilge ich Israel aus dem Lande das ich ihm ver-
liehen habe, und das Haus welches ich meinem Namen geheiligt
habe schlage ich mir aus dem Gesicht; Israel wird zu Spott niid
Schanden unter alleu Völkern und dies Haus zu Trümmern. Und
fragt, man dann: warum hat Jabve diesem Lande uud diesem
Hause solches angetan? — so wird es heissen: weil sie Jahve
ihren Gott, der ihre Väter ans Äg)'ptenland geführt, verl;
und sich an andere Götter gehängt und ihnen gehuldigt und
dient haben."
Das gleichfalls sehr einsclineidende Ereignis der Reichsspab
wii'd dnrch eine Prophetie Ahias an den ersten Jerobeam einge-
leitet. „Siehe ich rebse das Reich von Salomo uud gebe dir die
zehn Stämme, nur ein Stamm soll ihm bleiben wegen meines
Knechtes David und wegen der Stadt Jerusalem die ich erwählt
habe; weil er mich verlassen und die Astarte von Sidon uud den
Kamoa von Moab und den Milkom von Ammon angebetet hat
und nicht gewandelt ist in meinen Wegen, zu tun was mir ge-
fällt, meine Rechte und Gebote, wie sein Vater David. Und
wenn du höi'st was ich dir befehle und in meinen Wegen gehst
und tust was mir gerällt, meino Rechte und Gebote, wie mein
Knecht David tat, so will ich mit dir sein und dir ein festes Haus
bauen wie dem David und dir Israel geben. Uud den Samen
Davids will ich demütigen wie gesagt, doch nicht füi- alle Zeit."
Eine Reihe regelmässig bei den Throuumwälzungen des Nord-
reiches eingefügter l'rophetien ähnlichen Stiles übei'geh ich und
setze nur noch das Schlusswovt her, womit der Sturz des Zehn-
stämmereiclis (2. Reg. 17) begleitet wii'd. Derselbe sei erfolgt,
„weil die Kinder Israel an Jahve ihrem Gott, der sie aus Ägypten-
land befreit hatt«, sündigteu und andere Götter fürchteten and
wandelten in den Satzungen der von ihnen vertriebeneu Völker
und in den Neuerungen der Könige Israels; uud weil die Kinder
Israel Dinge, die nicht so sind, ihrem Gott Jahve andichteten und
sich Ilöheu bauten in all ihren Orten vom Wachttunn au bia
Jative
;inee- "
lÜL-hler SsBueiis und Königi-.
279
I Dnunauerteo Stadt, um) sich Maläteiiie und Holzsäalen aufrichteteu
auf jedem hoheu Häfiol und unter jedom grünen Baume und dort
auf allen Höhen opferten, wie die Völker die Jalive vor ihnen
vertrieben hatte, und böse Dinge verulkten um Jahve zu reizen,
und den Greueln dienten die Jahve verboten hatte. Zwar bezeugte
Jahve ihnen durch alle Propheten und .Seher: kehrt um von euren
bösen Wegen und haltet meine Gebote und Satzungen nach all
der Thora, die ich euren Vätern befohlen und durch meine
Knechte, die l'ropheteu, entboten Irnbe; aber sie hörten nicht,
Bondern verhärteten ihren Nacken wie ihre Väter, weil sie Jahve
ihrem Gott nicht glaubten, nnd sie verschmähten seine Satzungen
und seinen Bund den er mit ihren Vätern geschlossen und seine
Zeugnisse die er ihnen eingeschärft, und folgten dem Nichts und
wurden zu nicht und wandelten den Völkern ringsum nach, denen
es gleichzutun ihnen Jahve verboten hatte. Und sie verliesseu alle
Gebote ihres Gottes nnd machten sich Gussbilder und Ilolzsäulen
und beteten das ganze Himmelsheer an und dienten dem Baal
und Hessen Uire Kinder durchs Feuer gehn und triebeu Zauber
nnd Wahrsagerei und waren versessen zn tun was böse ist vor
Jahve, ihn zu reizen. Und Jahve zürnte sehr auf Israel und trieb
sie fort von sich; nur der Mann von Juda altein blieb übrig.
Aber auch die von Juda hielten die Gebote ihres Gottes nicht und
wandelten io der Weise Israels; so verwarf Jahve das f^anze Ge-
schlecht Israels und demütigte sie und gab sie in die Hand von
Räubern, bis er sie fortgeworfen hatte von seinem Angesicht." Für
Juda fehlt eine besondere Schlussbetrachtung, aber die für Israel
gilt auch für Jnda mit. Man erkennt das nicht bloss aus den
[ letzten angeführten Worten, sondern auch daraus, dass zwei sehr
I charakteristische Greuel in dem obigen Verzeichnis, die Anbetung
des Hinunelsheeres und die Kinderopfer, nach dem allein maass-
i Zeugnisse der Propheten noch nicht im achten, sondern
[ erst im siebenten Jahrhundert, unter Hanasse, eingerissen sind und
I ftlsn nicht Israel sondern Jnda zur Last fallen.
I solchen Sammelpunkten ans, wo sieb, bei den wichtigeren
[ Epochen, das Wasser gleichsam staut, veraweigt sich das Geäder
I nach allen Seiten'). AV'ie sich die Herrscher zum reinen Gottes-
') ZusSlie wie nin' niÜD 1. Reg. 18, 18 (Sept. richtig nini ohne niaO),
•jnni 12.11! (Sept. richtig' *)1HI.' otine nm) und weitläafigere wiu
2S0 Geschiciita der TraditioTi, Kap. 7. ^H
dieDSt gestellt, ob sie was recht oder was biJse ist in den Ängi^l
Jabves getan iiaben, ist die Frage die immer zuerst aufgeworfen
nnd auch bei solchen die nur acht Tage regiert haben beantwortet
wird. Gewöhnlich muss konstatirt werden, daas sie das Böse ge-
tan haben; Tta^ii ifiulB xai 'ECsxfuu xal 'Iwai'nu ravisj rf.TjjifjiiXEt«-/
inKrjjiiiaXi^aav, sagt Jesus Siraeh (49, 4}, nicht ganz genau aller-
dings, aber doch insofern mit Recht als auch an den frommeu
Königen immer noch etwas auszusetzen ist. Uie Hunde aber ist
hier nicht mehr, wenigstens nicht hauptsächlich, der Dienst fremder
Götter, sondern der verkehrte Dienst Jahves. Es wird jetat ein
specieller und darum strengerer Maassstab angelegt — den Grund
davon kennen wir; seit an dem Orte den Jahve sich em'ählt
hat der Tempel erbaut ist, hört die bisherige Gemütlichkeit auf
(Dent. 12, 8) und vor allem tritt nun das Verbot der Baraoth in
Kraft (1. Reg. 3, 2). Dass dieselben trotzdem fortbestanden, ist
die eigentliche allgemeine und durchgehende Sünde der Zeit. Ver-
schlimmert wird sie noch dadurch, ditss mit den Bamoth sich
auch allerlei ungesetzlicher Unfug im Jahvediensto einnistete.
Masseben und Ascheren und immergrüne Bäume und die männ-
lichen und weiblichen Huren. Speciell für Israel, welches bestän-
dig mit .ludiL verglichen wird, kommt als zweite llauptsiiude hinzu
die Sünde Jerobeams, d. h. die goldenen Kälber zu Bethel und zu
Dan. Mit den chronologischen Daten verbindet sich die religiöse
Würdigung zu jenem Schema, welches gleichmässig jede einzelne
Regierung der Könige von Israel und Juda einfasst, zwar häufig
mit reicherem Inhalt gefällt, nicht selten aber auch fast leer ist
an historischem Stoff. Am nacktesten tritt diisselbe her\-or in
Kapiteln wie I 15. 10, II 13. 14. 15.
Daas diese Bearbeitung unseres Buches mitr derjenigen der
beiden vorangehenden Geschichtsbücher im wesentlichen gleichartig
ist, bedarf keines Nachweises. Nur hat sie hier einen wärmeren,
lebhaJ'teren Ton und ein weit näheres Verhältnis zu den Sachen.
Es hängt damit zusammen, dass sie auch viel deutlicher den Staud-
1. Reg. 18.31. 33.. 2. Sam. 6, 2 (Ul K1p3 "Iff«) liringe ich nicht iu
Anroclmimg, weil sie aus verscliicdeneu Zeiteu stammen, grösstenteils
jüngur sind als die deuteronomistische Bearbeitung unil «eiliger ivr
literarischen als der Textluritik angehören. Ad sich ist es freilich sehr
wichtig, diese Retouchen aufzudecken und zu beseitigen. Die xanie alte
Überlieferung ist damit öberxogen wie mit einem judiistiacoeu Vcr-
dauungsschleim.
Richter Samuelis und Könige. 281
puiikt erkennen lässt, von dem sie ausgeht. Schon daraus dass
der historische Stoff sich bis zur Zerstörung Jerusalems, ja bis
zum Tode des gefangenen Königs Jechonia ausdehnt, ergiebt sich,
dass mit der Abfassungszeit bis in das babylonische Exil, bis in
dessen zweite Hälfte, hinabgegangen werden muss; die Chronologie,
sofern sie das Exil selber mit 50 Jahren in die 480jährige Periode
einrechnet, führt uns noch etwas tiefer; doch ist es nicht unmög-
lich, hier eine nachträgliche Modificirung anzunehmen, die den
Gesamtcharakter nicht weiter verändert hat^). Vom Ende aus
w^ird hier auf die Königsperiode zurückgeschaut wie auf eine ab-
geschlossene Vergangenheit, über welche das Urteil gesprochen ist.
Schon bei der Einweihung des Tempels lässt sich der Gedanke an
seine Zerstörung nicht zurückhalten, auch sonst steht überall die
Vernichtung der Nation und ihrer beiden Reiche im Hintergrunde.
Das gibt dem Ganzen die Beleuchtung: es wird gezeigt, warum es
so kommen musste. Wegen der Untreue gegen Jahve, wegen der
grundverkehrten Richtung, an der man trotz der Thora Jahves und
seiner Propheten beharrlich festgehalten habe. Die Darstellung
wird gewissermassen zu einem grossen Sündenbekenntnis der exi-
liiien Nation über ihre Vergangenheit. . Es ist die Art, nicht bloss
das gegenwärtige Geschlecht sondern die gesamte bisherige ge-
schichtliche Entwicklung zu verurteilen, die wir zuerst bei Jeremias
^) Krey vermutet, dass das letzte erwähnte Datum, die Befreiung Jechonias
aus dem Kerker im 37. Jahre nach seiner Thronbesteigung, die ursprüng-
lich beabsichtigte untere Grenze der Chronologie gewesen sei, zumal
die 40jährigen Perioden, worin sich nach seiner Annahme die judäischen
Posten einteilen, gerade auf dies Datum auslaufen. Wenn dem so ist,
so kann aber nicht das 4. oder 5. Salomos als die Anfangsepoche ange-
sehn werden; denn die 37 oder 36 daraus resultirenden Jahre lassen
sich, mit Absicht auf das 37. Jechonias als Ziel, nicht unterbringen.
Jene Epoche ist nun auch durchaus unnatürlich, Salomos 40 Jahre dürfen
nicht so zerrissen werden, und wenn man in jener Zeit überhaupt einen
Einschnitt machen will, so muss man es bei der Spaltung des Reiches
tun als dem gegebenen Ausgangspunkt der Reihen von Israel und von
Juda. Beachtenswert ist, dass die 37 Jahre Jechonias am Schluss der
älteren Rechnungsweise, die vielleicht nur 40jährige Generationen, viel-
leicht aber auch eine 500jährige Periode von David an (404-404-20-1-41
4-404-404-814-384-804-79 V4) herauszubringen suchte, den 37 Jahren
Salomos am Anfang der jetzt durchgeführten entsprechen. Dass man
auch späterhin an der Chronologie noch allerlei änderte und besserte,
ergibt sich aus den nachgetragenen Synchronismen der Könige Israels
und Judas, aus den schwankenden und nebeneinander hergehenden An-
gaben im Buch der Richter (z. B. Interregna und kleine Richter, die
dreifache Verrechnung der Philisterzeit) ja sogar noch aus den Varianten
der Septuaginta. — Vgl. Aphraates 84 s.
282 flcsphichte der Trniiition, Kup. 7.
(2,188.-1,3) antreffen, der sich aoch schon die Krage oach den
GruDdeii des Endes vorzulegen hatte'). Ezechiel hat diese negs-
tive BetrachtUDgsweiae. mit bei^ondei'or Rücksicht auf die Greuel
(\&i älteren Kultus, weiter verfolgt (Kap. 16. 20. 23), man liodet
sie gleichfalls in Isa. 4Ü ss. (42, 24. 43.27), obwol ihr hier eine
positive und weit gehallvollere ergänzend zur weite tritt, ferner in
Deut. 28 — 30 und Lev. 2l5. Die ganze Vorzeit gilt als oine uo-
geheure Schuld, die im Exil abgebüsst wird (Hier. 32, 29. Ezech.
IH, 2. 33, 10. Isa. 40, 1); es wird sogar die Dauer der Strafe
nach der Dauer der Sünde berechnet (Lev. 2i>, 34), Äucli nach
der Befreiung schleppt sich diese Stimmung gegenüber dem
Altertum noch fort (Zach. 7, 8sa. Esdr. 9, Tss. Neh. V, las.).
Die Bearbeitung stobt naturgemäss auf judaistischem Stand-
punkte. Ausserhalb Jerusalems ist der Jahvedienst ketzerisch, so
dass der politische Abfall der Nordisraeliten zugleich als kirchlicher
erscheint. Doch werden sie darum nicht wie in der Clirouik von
der Gemeinschaft des Volkes Gottes ausgeschlossen, so völlig sind
doch die alten Traditionen noch nicht über Bord geworfen: erst
nach der assyrischen Zerstörung Samarieus setzt Juda allein die
Geschichte fort. Nahezu die gleiche Verehrung wie der Sladt und
dem Tempel Jahves wird dem David imd seinem Hause dargebracht.
Das letztere hat die \'6rheis9uiig ewigen Bestandes , welche beson-
ders gern mit den Worten Hier. 33, 17 ausgedrückt zu werden
pflegt. Ea ist ohne Zweifel kein Zufall, dass mit der Befreiung
des Da\ididen Jechonia aus dem Kerker geschlossen wird; sie ist
das Angeld des Grösseren, was zu erwarten steht. Auch in den
Worten Ahias an Jerobeam, dass die Demütigung des Hauses Dayid
und tue Abreissung der Zehn Stämme doch nicht für alle Zeit
dauern sulte, blitzt die messianische Hofl'nung auf, die grade in
und nach dem Exil in den Gemütern sehr lebendig gewesen ist,
wie wir aus Ha^ai und Zacharia ersehen.
'] D<^r Stnrt Samaricnii hat achon dii? ält^re^n Projjheten in bezuu auf das
Nordreich zu ähalirbeu Betrachtungen cefShrt^ die abor doch in d«r
Itcgel (.4in. 5. Isa. 9) iange nicht so radilial und so weit hergeholl sind.
Nur üueea Terfolgt allcrdinRs die Schuld der Gegenwftft hinauf bis in
den .Anfang' — aTier er exeinpliticirt (wie Mich. 6) vorzugsveise an der
rrgescbichte Jakobs und Mosi-s, in der eigeutlicli geschielt II ic he n Zeit
steckt er doch noch zu sehr darin um sie ton so hohem Standpunkte
Ulis tu übenchauen. Aticb darin ist er der ^'orläufer der .Späteren,
dasa er das menschliche Königtum für einen Hauptschaden IsraHs an-
sieht: er hatte dazu in den Verhältsisaen seiner Gegenwart allerdla^
sehr dringende Veranlassung.
Richter Sainuelis und Könige. 283
Lässt sich bei den Büchern der Richter und Samuelis vielleicht
nicht mit völliger Hestimmtheit entscheiden, welches die Norm sei,
wonach der letzte Verfasser die Vergangenheit beurteilt, so ist
beim Buche der Könige kein Zweifel möglich. liier wird nicht
bloss in unbestimmten Andeutungen von dem Willen Jahves ge-
redet, dem Israel gehorchen soll und widerstrebt, sondern auch
hin und wieder (12,3. II 14, G. 17, 37) von der geschriebenen
Thora, worin seine Rechte und Satzungen enthalten sind — eine
Unterscheidung, worin sich immerhin ein geschichtliches Gefülil
ausspricht. Das Gesetzbuch aber, das als Maassstab zu gründe ge-
legt wd, ist dasjenige, von dessen Auffindung unter Josia in
2. Reg. 22. 23 so ausführlich erzählt wird, das Deuteronomium.
Darauf führt, wie allseitig anerkannt wird, sowol die Phraseologie
des Bearbeiters, als der Geist, in dem er richtet und insbesondere
diejenigen Volkssünden verdammt, gegen welche das Deuteronomium
und die Reformation des Königs Josia gerichtet sind. Auch das
einzige wörtliche Citat aus dem Buche der Thora, welches vor-
kommt, ist eben dem Deuteronomium entnommen, 2. Reg. 14,(3.
Deut. 24, 16. Dahingegen finden sich von der ünbekanntschaft
mit dem Priesterkodex sehr deutliche Anzeichen in der Bearbeitmig.
Nirgend wird zwischen Leviten und Priestern ein Unterschied ge-
macht; von den Aharoniden ist keine Rede. Desgleichen wird
durch 1. Reg. 3,2 die Vorstellung eines vorsalomonischen Central-
heiligtums ausgeschlossen. Nur in einem Abschnitt, der im hohen
Grade allerhand Korrekturen und Interpolationen ausgesetzt gewesen
ist, in der Beschreibung des Tempels und der Tempelweihe 1 6 — 8,
finden sich Spuren der Einwirkung auch des Priesterkodex, nament-
lich im masorethischen Texte, weniger in der Septuaginta. Was
es damit für eine Bewandtnis hat, ist an dem wichtigsten Beispiel
bereits oben p. 44 — 4() dargelegt worden.
Wenn man darnach in vollem Maasse berechtigt ist, die Be-
arbeitung deuteronomistisch zu nennen, so darf man damit doch
keinen anderen Sinn verbinden als den, dass dieselbe unter dem
Einfluss des Deuteronomiums entstanden ist, unter dem das ganze
Jahrhundert des Exils steht. Zwischen deuteronomistisch und
deuteronomisch ist ein nicht bloss zeitlicher sondern auch inhalt-
licher Unterschied'); das Deuteronomium selber sieht im Kultus
*) Nachdeiiteronomisch , aber noch aus der Köni<jszeit sind 1. Sam. 2, 27 ss.
2. Sam. 7, 1 ss. 2. Reg. 18, 13. 17 ss. 19, Iss. Kapp. 11. 12. 22. 23.
2Ri
GpBchichte der Tradition. Kap, 7.
I
dol-L niflil so die Hauptaufgabe Israels und steht noch weit mehr
iunerhalb des Realismus eines wklichen Volkslebens. Eine be-
sonders greifbare einzelne Differenz liegt in der Oatiruugsweise.
Statt mit ihren althebräisi-hen Namen Ziv Bul Ethanim bezeichnet
der letzte Verfasser die Monate mit Zahlen, die vom Frühling als
Jahresanfang ausgehen. Dadurch unterscheidet er sich nicht nur
von seinen illteren Quellen (I 6,37s. 8,2), sondern auch vom
Uenteronomium.
2. Es versteht sich, dasa diese Bearbeitung dem überlieferten
Stoffe fremd ist und ihm Gewalt antut. Insbesondere ist derselbe
durch eine sehr einseitige Auswahl alterirt worden, welche von
specifisch religiösen Gesichtspunkten ausgeht. Das Interesse für
die Propheten mischt sich darin mit dem Interesse für den
Kultus. Es ist freilich nicht gesagt., dass diese Auswahl erst vom
letzten Verfasser herrühre, so gut sie auch zu seinem Geschmacke
passt: es war ihm wahrscheinlich in dieser Richtung schon vor-
gearbeitet. Aber für nns ist es weder möglich nnch wichtig, in dem
Sichtungsproceas, den die Überlieferung über die KöoigSüeit durch-
KUtnachen gehabt hat, verschiedene Phasen za unterscheiden.
An der Spitze des ganzen Ruches steht der Tempelbau, fast
alles was von Salomo erzälilt wird steht dazn in Beziehung. Da-
mit ist zugleich der Gesichtspunkt angegeben, der auch die Übrige
judäische Geschichte beherrscht; sie ist mehr eine Geschichte
des Tempels als des Iteiches. Die Geschicke des Heiligtums und
seiner Schätze, die den Kultus betreffenden Einrichtungen and
Maassregeln der Könige sind so ziemlich das einzige, worüber wir
immer aul' dem laufenden gehalten werden. Auch die wenigen
ausgeführten Erzählungen (II 11s. 16. 228.) spielen im Tempel
und drehen sich um den Tempel; nur in II ISs, wiegt das pro-
phetische Interesse vor.
In bezug auf das Reich Israel sind die Angaben über den
Kultus sehr mager und meist ziemlich vage; hier treten die pro-
phetischen Erzählungen in den Vordergrund, in der Regel solche
tue vom prophetischen Standpunkte aus erzähll sind, oder doch
solche in denen die Phropheten handelnd auftreten. Hie und da
wird anch über Berührungen des Nurdreiches mit Juda näher be-
richtet: dariji äussert sich das judäische Interesse der Auswahl.
Das einfach Geschichtliche, das bloss Weltgeschichtliche so
sagen, wird im alterdürftigsten Maasse mitgeteilt, häufig nur i
Richter Samuelis und Könige. 285
Aufeinanderfolge der Königsnamen. Über König Omri, den Grün-
der der Stadt Samarien und Neubegmnder des Reichs, der auch
Juda in eine Art freundschaftlicher Abhängigkeit gebracht zu haben
scheint, erfahren wir fast nichts, über Jerobeam II, den letzten
grossen Herrscher, nicht mehr; in ein paar nichtssagenden Versen
wird der Zusammenstoss mit den Assyrern und der Fall Samariens
abgemacht. Zuweilen unterbricht ein blitzendes Juwel (II 9. 10)
die umgebende Nacht, aber hinterher tappen wir wieder im Dunkeln.
Die alte Überlieferung ist uns nur, soweit sie den .Späteren von
religiösem Werte schien, aufbewahrt worden, sie hat ihren ange-
borenen Schwerpunkt verloren und nunmehr eine Haltung an-
genommen, die sie ursprünglich gewiss nicht hatte. In Juda mag
in der Tat der Tempel grössere Bedeutung gehabt haben als das
Reich, aber die Geschichte Israels ist ohne Zweifel nicht bloss und
nicht vorzugsweise Geschichte der Prophetie gewesen. Von den
Verlusten, die wir zu beklagen haben, muss am stärksten die
israelitische Überlieferung betroffen sein.
Nicht so unersetzlich ist der Schaden, den die Bearbeitung
durch ihr positives Eingreifen in den quellenmässigen Stoff ge-
stiftet hat; doch ist er auch nicht unerheblich. Am besten lässt
sich die Verfärbung charakterisiren an den weittragenden Bemer-
kungen, womit die Königsreihe von Israel eröffnet wird. „Jero-
beam sprach in seinem Herzen: nun wird das Reich wieder an
David fallen; wenn dies Volk hinaufzieht Opfer zu bringen im
Hause Jahves zu Jerusalem, so werden die Leute sich im Herzen
zu ihrem rechten Herrn zurückwenden und mich töten und wieder
dem Rehabeam von Juda Untertan werden. Da beriet sich der
König und machte zwei goldene Kälber und sprach zu ihnen: hört
nun auf nach Jerusalem zu ziehen; siehe da deine Götter, Israel,
die dich aus Ägj^ptenland geführt haben. Und er stellte eins in
Bethel und das andere in Dan auf. Und dies geriet zur Sünde
und das Volk ging wie ein Mann sogar bis Dan. Und er machte
Höhentempel und nahm Priester mitten aus dem Volk, die nicht
aus den Söhnen Levis waren: wen er wollte, den stellte er an
zum Höhenpriester" (I 12, 2(5 — 30. 13, 33). Nicht ganz so ver-
kehrt wie in der Chronik, aber doch auch anachronistisch genug
ist hier zunächst die Anschauungsweise, die in den Erwägungen
Jerobeams durchschimmert, als sei das ephraimitische Königtum
sich seines illigitimen Ursprungs bewusst und nur künstlich in
280 GesL-hichte der Trii<litioii. Kap. 7. ^^H
soiiiet Sniidfrexistenz zu erhalten gewesen. Wie man ui Wu^^B
holt in dieser Hinsicht in Nordisrael gedacht hat, bezeug der
Hegen Jaknlts und der Seßen Moses. Dort beisst Joseph der de-
kronte seiner Brüder, hier wird von ihm gesagt: ^sein erstgeborner
Stier voll Majestät (^ der König) hat Höraer, mit denen er die
A^ölker niederstösst, dass sind die Myriaden Kphraims nnd die
Tausend Manasaes". AVoher auch sonst der Zauber des Namens
Ephraim, als weil er der Königsst.iinm (Gen. 37, 8. 9) und der
vornehmste Repräsentant des stolzen Namens Israel isti Von Jnda
aber heisst es ebendaselbst: „Höre Jahve die Stimme Judas nnd
bringe ihn üurück zu seinem Volke". Über das Volk, zu dem
Juda gehört, kann mau nicht im Zweifel sein; man wird Graf
darin Recht geben mässen, dass dieser Stamm hier als das est-
fremdete Glied angesehen und seine AVieder>'ereinigung mit dem
grössoren Reiche sogar als sein eigener Wunsch betrachtet wird
— was nicht so sonderbar ist, wenn man bedenkt, dass der Teil
zum Ganzen und nicht das Ganze zum Teile strebt. Erst durch
lanife Erfahiiuig lernte Juda den Segen einer festen Dynastie Tind
Ephraim den Fluch der ewigen Thronwechsel kounen.
Da die Anziehungskraft Judas für die Bewohner des Sord-
reidis in dem Kultus des salomonischen Tempels gesehen wird,
so soll Jeroheam ihr vorgebeugt haben, indem er neue Heilig-
tümer, eine neue Form Jahve zu verehren, und eine neue Art des
Priestertunis geschafl'en habe. Das wodurch sich der alte samari-
tische Gottesdienst von dem jntiäischen Muster unterschied, wird
fui" absichtliche Neuerung des ersten Königs ausgegeben, an dessen
Süude dann die Folgezeit festsehalten habe. Aber indem Jero-
beam die Tempel von Bethel und Dan zo Reichstempein erhob
— dass er die Höhenliäuser überhaupt erst eingerichtet habe, verdient
keine Berücksichtigung — , rat er weiter nichts als was Sainmo
vor ihm getan hatte. Nur hatte er dabei festeren Boden unter
den Füssen als jener, denn Bethel und Dan waren alte Heiligtümer,
Jerusalem nicht. Die goldenen Stierbilder feiner, die er aufstellte,
unterschieden sich wol durch ihr Gold aber nicht durch ihren
Zweck von den Kphodeu and anderweitigen Idolen, die überall in
den Gotteshäusern wohnten, z. B. von der ehernen Schlange zu
Jenisalem. Mit Fug und Recht hat schon Eichhorn erinnert, dass
wenn Elias und Elisa gegen den eingedrungenen Dienst des tyti-
schen Baal eiferten, sie positiv für den Jahve von Bethel und Dan
Richter Samuelis und Konige. 287
eintraten und nicht daran dachten gegen diese bildliche Dar-
stellung zu protestiren: noch Arnos tut es nicht, sondern erst
Hosea. Was endlich die nichtlevitischen Priester betrifft, die der
König angestellt haben soll, so ist darüber schon oben (p. 130ss.)
das Nötige gesagt.
Eine merkwürdige Kritik dieses ITrteils über den samarischen
Gottesdienst wird durch das bald darauf folgende Zugeständnis
geliefert, dass der judäische damals auch nicht anders, jedenfalls
nicht besser gewesen sei. In dem Berichte über Rehabeams Re-
gierung heisst es (I 14, 22s.): „auch die Judäer errichteten sich
Höhen und Malsteine auf jedem hohen Hügel und unter jedem
grünen Baume, und auch Hurerei an geweihter Stelle wurde ge-
trieben im Lande" — damit wird ein Zustand beschrieben, der
mit einigen Schwankungen bis gegen das Exil hin fortdauerte.
Wenn nun die Norm, nach der Samarien gerichtet wird, auch
nicht in Juda Realität besessen hat, so ist sie überhaupt im alten
Israel nicht zu finden gewesen. Wir wissen, es ist das Gesetz-
buch Josias; wir sehen aber, wie die Tatsachen darnach nicht bloss
beurteilt, sondern auch gemodelt werden.
Noch ein einzelnes Beispiel ist in dieser Hinsicht erwähnens-
wert. König Salomo, heisst es, hatte ausser der Tochter Pharaos
noch viele ausländische Weiber, aus Moab Ammon und anderen
Völkern, deren Töcher zu ehelichen Jahve verboten hatte (Deut.
17, 17). Fnd da er alt wurde, verführten sie ihn zum Dienst
ihrer Götter, und er baute auf dem Olberge bei Jerusalem Höhen
füi" Kamos von Moab und für Milkom von Ammon und für die
Götter der übrigen Weiber. Zur Strafe dafüi* kündigte ihm Jahve
an, dass sein Reich nach seinem Tode von ihm gerissen und
seinem Knechte verliehen werden solle, und weiter erweckte er
ihm Widereacher in dem Edomiten Hadad, der Edoni befreite,
und in dem Syrer Rezon ben Eljada, der Damaskus unabhängig
machte. Zum künftigen Könige der Zehn Stämme aber Hess er
durch den Propheten Ahia von Silo den Ephraimiten Jerobeam
designiren, der damals die Frohnar])eiten des Hauses Joseph bei
der Befestigung der Burg Davids ])eaufsichtigte. So wird 1. Reg.
11, Iss. berichtet. Nun hat sich aber Edom und wie es scheint
auch Dfimaskus gleich beim Thronwechsel vom Reiche Davids
losgerissen (11, 21s. 25); die Befestigung der Bm*g, wobei Jero-
beam durch Ahia zum Aufstand angereizt wurde, fällt zwar später,
2S>^
pscliielite lier Tradiliun, Kap. 7
aber auch nodi in die erste Hälfte von Salomos Regierung v^
sie mit den übrigen Baaten zusarameiihänirt (9, 15. 24). Da nun
.Sitlomo für eine Schuld, die er erst im Älter auf sich lud, nicht
schon iu seiner Jagend zunt vuvans gestraft worden sein kaon, so
widerspriiiht dieser moralische Pragmatismus der Zeitfolge und
kann unmöglich dem urspi'uiiglichen Erzähler zn(ie9chrieben werden.
In der Tat verrät sich die deuteronomische Bearbeitung in 11,
1^13 an jedem Wort. Znr echten Überliefening gehört nur die
Erwähnung der \ielen Weiber, jedoch ohne den daran geknüpften
Tadel, und die Angabe über den Bau der Altäre des Kamos und
Milkom und vielleiclit der Astarte auf dem Ölberge, wo sie bis
auf Josia standen (II 23, 13). Die ursächliclie Verknüpfung beider
Tatsachen aber gehöii. ebenso dem letzten Verfasser an wie die
VeiaJIgemeiueruDg, dass der König für alle unter seinen Weibern
vertretenen National i täten Altäre ihrer Oött-er errichtet habe.
Freilich wird die Überlieferung im Buche der Könige nicht
in der Weise iu das Gesetzliche umgedicht«t, wie es in der Oiro-
iiik geschieht. Was noch am meisten an die Chronik erinnert, bt,
dass von Zeit zu Zeit ein Prophet eingelegt wird, der sich im
Geiste des Deuteronomiums und iu der Sprache Jeremias und
Ezechiels äussert und dann verschwindet '). Dadurch wird das
Gesetz lebendig in die Geschichte eingeführt, die Propheten er-
halten es wirksam und wenden es an, nach dem auf Hier, T.3ö.
Deut, ly, 18 beruhenden Grundsatz. II 17, 13: „Jahve besen^e
ihnen durch alle Propheten uud Seher: kehrt uiu von euren böseu
Wegen und haltet meine Gebote und Satzungen nach all dei"
Thora, die ich euren Vätern befohlen und durch meine Knechte,
die Propheten, entboten habe". Das krasseste Beispiel dieser Art,
an historischem Unwert mit Jud. 19 — 21 oder 1. Sam. 7 sb. za
') Vgl, Kuenen, de Profclen (Leiden 1875) II p. 143. Eine dieser dtMite-
ronomistischea Weissagungen ist oben p. 278 mitgcttilt. Zuui teil
«nd sie nnonym i. B. 11 10, 3üs«. 21, IObs., i. T. alten Namen in den
-Mund geleut z. B. I ] 6, 1 ss. Mauchmal hat der l!earlieit«r wo! in seinen
Quellen Anßnge vorgefunden, die er dann in aeirnT V/viae niugefährt
lint; SU 1 14, 7as. 3l,2Igs. 119, 7as. In diesen .'^i.'Uen trelen »wnr die
deute ronomisti sehen Gedanken und die jeremiani.'hcb-eiechielischeD Wen-
dungen (nyi N^2.0 '3jri) deutlich hervor, aber eiüiielue Ausdi'ücke
originalen Gepräge finden sich eingestreut, die dann fr« i lieh immer
wiederliehren, ». B. HIJ?! 11SV- Auch Xanien wie Jehu bisn Hauani
sind gewiss nicht fingirt: so weit sind wir noch nicht wie in der Cbraailc
— Vgl. I. Sam. 2, 27 ss. 2. Sam. 7, Iss.
Richter Samuelis und Könige. 289
vergleichen aber noch eine Stufe niedriger stehend, ist 1. Reg. 13.
Ein Mann Gottes aus Juda bedroht hier den Altar von Bethel, vor
dem gerade König Jerobeam opfert, also: Altar Altar, siehe ein
Sohn vsrird dem Hause Davids geboren, mit Namen Josia, der wird
die Hohenpriester auf dir opfern, die auf dir räuchern, und wird
Menschengebeine auf dir verbrennen. Und zur Gewähr der Richtig-
keit dieser erst nach drei Jahrhunderten sich erfüllenden Weissa-
gung gibt er das Zeichen, dass der Altar zerbersten und die Opfer-
asche sich verschütten werde — was denn auch auf der Stelle ein-
trüft. Diese Legende gehört indessen nicht eigentlich dem Deutero-
nomisten an, sondern ist ein noch späterer Zusatz, wie man
leicht daraus erkennt, dass der jenem angehörige Satz 12, 31 erst
13, 33b vollendet wird. Es verdient Beachtung, dass in den beiden
das 13. Kapitel einleitenden Versen 12, 32 ss. das Laubhüttenfest
dem Priesterkodex gemäss auf den 15. des 7. Monats fixirt ist.
3. In den verai-beiteten Quellen lassen sich hier ebenfalls
noch bedeutende Abstufungen und Schattirungen wahrnehmen. Im
Buche der Könige begegnen wir zum ersten mal fortlaufenden
kurzen Daten, die durch ihren streng faktischen Inhalt und ihre
knappe Form sofort in der Umgebung auffallen und den Anschein
gleichzeitiger Aufzeichnungen ei-wecken. Trotz ihrer losen Auf-
reihung sind sie es eigentlich, worauf unser zusammenhangendes
Wissen über die Periode beruht; sie sind auch der regelmässige
Inhalt des religiös-chronologischen Schemas (z. B. I 14 — 16), wegen
ihrer lockeren Fügung und neutralen Haltung vorzüglich zur Be-
arbeitung geeignet, die denn auch genugsam mit ihren Zutaten
eingegriffen hat^). Schon bei Salomo beginnen diese wertvollen
Notizen, hier freilich sind sie gegenwärtig stark mit anekdotenhafter
Spreu untermischt. Hinterher finden sie sich vorzugsweise, ja fast
ausschliesslich in der judäischen Reihe. ^lehrere bestimmte Zeit-
angaben lassen auf annalistische Natui* schliessen ^), man könnte
damit auch das charakteristische dazumal in Verbindung bringen,
*) Die oben besprochene Stelle 1. Reg. 11, Iss. gibt davon ein gutes Bei-
spiel ; man erkennt sofort den nackten Satz 1^11 H^Il^ TN aus der übrigen
inhaltlosen Weitschweifigkeit heraus. Sonst vgl. II 16, 3s. 18, 4.
2) 5. Rehabeams (I 14, 25), 23. Joas (II 12, 7), 14. Ilizkias (II 18, 13),
18. Josias (II 22, 3), 4. u. 11. Salomos (I G, 37. 38). Allerdings kommen
diese Daten zum teil in ausgeführten judäischen Erzählungen vor, die
aber im nächsten Verhältnis zu den kurzen Notizen stehn und auf ihnen
zu benihen scheinen. Es lässt sich denken, dass solche bestimmte
Wellhauien, Prolegomeoa. b. Aufl. 3.9
290 GeBchichte der Tradition, Kap. 7.
welches häufig die kurzen Sätze einleitet unil im jetzigen Zu-
sammenhang mebt beziehungslos ist. In iveldien Kreisen diese
Auizeiclinangen gemacht sind, lässt sich kiium mufmassen. Wenn
man sicher wäre, dasa die hervurrageude Berücksichtigung des jn-
däischen Reichstempels nicht bloss auf späterer Auswahl, Bouderu
auf einem ursprünglichen Interesse beruhte, so läge es nahe, an
die jerusaleraische Priest«rschaft zu denken. Der gut königliche,
vollkommen officielle Ton würde sich damit sehr wol vertrugen,
denn die Söhne Sadoks waren bis auf Josia nichts weiter als lÜe
gehürsumeu Dieuer der Nachkommen Davids und betrachteten das
unbedingte Verfüguiigsrecht der letzteren über ihr Ueiligtuin «Is
selbstverständlich (II 16, 10 s. Kap. 1^. 22 s,). IiidesseD wie wir
sie haben sind diese Notizen nicht aus den Akten selber geschöpft,
sondern aus einer sekundären Zusammenstellung, vielleicht aus den
Jedesmal am Schluss einer Regierung citirten beiden Clironiken der
Könige von Israel und von Juda, ans denen jedenfalls die lieiliwu-
folge der Herrscher entnommen zu sein scheint. Dass diese Chro-
niken nicht mit den urkundlichen Annalen gleichgesetzt werden
dürfen, leuchtet ein; das Buch der üibre-hajamini muss von den
Dibre-haJ amini selber unterschieden werden. Ob die Chronik von
Israel — aus welcher beinah nichts mitgeteilt wird — viel früher
ahgefasst ist als die (wie os scheint mit Jojakim abschliessende)
Chronik von Juda, und «b sie und die Chronik Salomos (I 11, 41)
ein ganz selbständiges Werk ist, möchte ich in Zweifel ziehen.
Die Excerpte aiis den Annalen werden unterbrochen durch
grössere Ausführungen, die damit zusammengearbeitet und elien-
falls in das den terono mistische Schema aufgenommen sind. Unter
ihnen sinA die judäischen in der Minderzahl, die samarisclien
überwiegen, drängen sich indessen auf einen ganz kleinen Zeit-
ranm znsammen. Als Beispiel, um die Stimmung und den Weichsel
der Stimmung auch hier nachzuweisen, wähle ich die wundervolle
Geschichte Elias.
Der Prophet Elias, aus Thisbe in Gilead, tritt vor König
Zahlen, einst in noch reicherer Fülle rorbattdvn , die Auhnllspunkle
ireliefcrt lialien für oine ungufthrv SvliätKung dur Sumoitn, »us wek'hen
die System iitia che Chronologie sutoebaut ist. Jedentnils stehu diPSf
Riozeldaten aelber «usserhalli Am Syst«iiis. Dbj Gleiche gUl übri^ns
von den Ällersangaben der jud&ischcn Könige (leiin ttegierunp&ntrflt,
din viellnicht auch auf die „Annnlen" xurücksulm. Da« i;{ findet sieh
13,16. 8,|1.12. 9,11. 11,7. IG, 31. 22,50. H8,22. 12.18, 14,8.
15, IS. le, 5.
Richter Samuelis und Könige. 291
Ahab von Samarien und spricht: beim Leben Jahves des Gottes
Israels, dem icli diene, es soll diese Jahre nicht tauen noch regnen
ausser auf mein* Wort. Der Anfang der Erzählung ist abgebrochen;
wir müssen wissen, dass Ahab auf der Königin Izebel Betreiben
die Verehrung des tyrischen Baals in Israel verbreitet und die
Propheten Jahves zu hunderten getötet hat (18, 13. 22), und dass
darum ihn und das Land die Strafe trifft. Plötzlich wie er auf-
getaucht ist Elias vei^schwunden. Wir finden ihn wieder am Bache
Krith der in den Jordan fliesst, dann im Lande de» Baal zu Sarepta
bei einer Witwe: indem sein Lebenslauf verfolgt wird, kommt zu-
gleich auf einfache und schöne Weise die Schwere der Hungersnot
zur Empfindung. Inzwischen hatte Ahab seine Häscher nach ihm
ausgesandt und allen Reichen, wohin die vergebliche Suche ging,
einen Eid abgenommen, dass er nicht zu finden sei. Nun jedoch
zwang ihn die Not an andere Dinge zu denken, er selbst mit
seinem Reichsverweser musste ausziehen um Futter zu suchen für
die noch übrigen Kriegsrosse (Am. 7, 1). In dieser demütigenden
Situation wm-de er von dem Geächteten übeiTascht — er traute
seinen Augen nicht. „Bist du es, Aufrührer Israels!" „Ich rülu'e
Israel nicht auf, sondern du, König, und deines Vaters Haus!"
Nach dieser Begrüssung forderte Elias den König auf, einen Zwei-
kampf zwischen den 450 Propheten Baals und ihm, dem einzigen
noch übrigen Propheten Jahves, zu veranstalten. Eine Opferprobe
vor allem Volk fand auf dem Karmel statt; beide Parteien sollten
einen Stier zubereitet auf den Altar legen, ohne das Holz anzu-
zünden: welcher Gott mit Feuer antworten werde, der sei der
rechte. Die Baalspropheten, die zueret an die Reihe kamen,
suchten auf ihre Weise ihren Gott zu erweichen. Sie schrien
und sprangen ungeberdig, verwundeten sich mit Schwertern und
Lanzen bis sie mit Blut übergössen waren, rasten ekstatisch vom
Morgen über Mittag bis gegen Abend. Derweil schaute Elias
ihnen zu und spottete: ruft recht laut, denn er ist ein Gott, er
ist wol im Gespräch oder hat ein Geschäft, oder vielleicht schläft
er, dass er aufwache! Endlich ging auch er an das Werk, stellte
den zerstörten Altar Jahves her, schichtete darauf die Opferstücke
und Hess sie um das Wunder zu erhöhen zwei drei mal mit
Wasser übergiessen. Dann betete er zu Jahve — und Feuer fiel
vom Himmel und verzehrte das Opfer. Das Volk, bis dahin ge-
teilten Herzens, trat nun auf die Seite des Eiferers, griff die Pro-
19*
202 Geseliichte der Tradition, Kap. 7.
piieteii Buiils uuil schlaclitete sie nnteo am Bache. Alsliald tränkt«
eiu überrasche iKler Plittzregeu das Land.
Dieser Trinmph des Elias wai' nur ein Vorspiel. Wie Izebel
erfuhr was geschehen, schwur sie ihm Bache, und er llüchlete um
sein Leben nacli dem judäischen Beerseba, dem Heiligtume Isaiiks.
Todmüde setzte er sich dort unter eiuem Giusterbuscli in der
Wüste nieder, und mit der Bitte: es ist genug, nimm Jahvtt
meine Seele! schlief er ein. Da wurde er von einem himmlischen
Boteu mit wunderbarer Speise gestärkt niid aitf den Berg Gottes
Hureb beschieden. Wie er dort nach lauger Reise angelangt ia
eine }löhle sieh zurückgezogen hat, rauscht es an ihm vorüber:
Sturm und Beben und Blitze sind Jahves \'orreiter, darnach
kommt er selbst im leisen Säuseln hinter dem Gewitter. Vei-
hüllten Hauptes tritt Elias aus der Höhle und hiirt eine Stimme
fragen was ihm sei. Nachdem er sein llei-z ausgeschüttet, _wird
ihm der göttliche Trost zn teil, dass seine Sache mit uichten ver-
loren sei, dass die grimmigste Rache, deren Vollstrecker er selbst
zn berufen habe. Aber alle Verehrer Baals ergehen solle, und da^s
diejenigen Siebentausend to Israel das Feld behaupten werden,
die ihre Kniee dem Abgotte nicht gebeugt. „Du sollst Hazael
zum Könige über Damaskus salben und .lehu ben Nimsi zum
Könige über Israel und Elisa ben Saphat zum Propheten au
deiner stJttt, und wer dem Schwerte Hazaels entrinut, den wird
Jehu, und wer dem Schwerte Jehus entrinnt, den wird Elisa
töten." Der Berieht, wie Elias diese Befehle ausgerichtet habe,
ist gegenwärtig ausgelassen; wir werden bald sehen aus welchem
Grunde. Nur dass er den Elisa vom I'liuge weg aufgerufen habe
ihm nachzufolgen, wird zum Schiusa von Kiip. 1'.) gemeldet. Auch
von der Erfüllung des Gerichtes über die Baalsverehrer haben wir,
in dieser Erzähiuugsgruppe, nur die Einleitung Kap. 21. Ahab
wollte gern einen Weinberg haben, der in «einer Lieblingsresideuz
Jezreel neben dem Valaste gelegen war; aber Naboth, der Ilesitzer,
fand sich nicht bereit ihn zn verkaufen oder zu vertauschen. Ärger-
lich glaubte der König dabei nichts weiter tun zu können, jedoch
Izebel, die Tyrierin, hatte andere Begriffe von Macht und Recht
und sagte: du willst die IleiTschaft spielen in Israel? sei gutes
Muts, ich verschaffe dir den Weinberg! Hie schrieb eiuen Brief an
die Häupter der Stadt und lies den Naboth durch feile Richter
aus dem Wej,'e schaffen. Wie nun Ahab eben hinging i
Richter Samuelis und Könige. 293
fallenen Weinberg in Besitz zu nehmen, stiess der Feind auf ihn.
Der Prophet Elias, immer im richtigen Moment zur Stelle, schleu-
derte ihm das AVort entgegen: „hast du gemordet und dich auch
in Besitz gesetzt? fürwahr an dem Orte, wo die Hunde Naboths
Blut geleckt haben, werden sie auch deines lecken.'^ Damit bricht
dieser Bericht ab; was folgt, ist nicht die wahre Fortsetzung.
Zugleich ist hier überhaupt der Faden der Erzählung von
Kap. 17 — 19. 21 abgeschnitten, ohne zu dem richtigen Ende ge-
langt zu sein. Es fehlt der Sieg Jahves über den Baal, des Pro-
pheten über den König; die Geschichte Naboths wie gesagt leitet
denselben nm* ein. Der Sache nach sind wir zwar genügend dar-
über unterrichtet, aber der Form nach entsprechen die Berichte
nicht der Ankündigung in Kap. 19 und 21; sie sind anderen
Quellen entlehnt. Die Syrerkriege sollen nach 19, 17 zur Rache
an den Baalsverehrem, d. h. vor allem an dem götzendienerischen
Königshause, bestimmt sein; aber gar nicht nach diesem Gesichts-
punkte werden sie in Kap. 20. 22. II 7. 9 erzählt. Vielmehr be-
haupten sich darnach Ahab und Joram mannhaft und ehrenvoll
gegen die Übermacht von Damaskus, erst nach der Ausrottung
des Baaldienstes unter Jehu begann die unglückliche Wendung;
Hazael, der sie herbeiführte, wurde nicht schon von Elias, son-
dern erst von Elisa gesalbt (II 8, 7ss.)'). Auch das Blutbad zu
Jezreel, worauf die Drohung I 21, 19 geht, muss, um den litera-
rischen Abschluss zur Geschichte Naboths zu bilden, in anderer
Weise erzählt sein als es II 9. 10 geschieht. Nach 21, 19 soll
Ahabs Blut zu Jezreel fliessen, nach II 9. 25 floss dort seines
Sohnes Blut zur Rache für Naboth. Zwar wird 21, 27 — 29 die
Bemerkung angehängt, da der König auf Elias Drohung in sich
gegangen sei, so habe Jahve nachträglich dem Propheten mitge-
teilt, er werde dieselbe ei*st nach seinem Tode an seinem Hause
erfüllen — aber wer merkt hier nicht die Harmonistik')! Noch
^) Ebenso auch Jehu II 9, 1 ss. Dies der Gmnd der oben bemerkten Aus-
lassung hinter I 19. 18; vgl. Thenius' Kommentar.
2) Trotz 21, 27—29 ist in 22, 38 ein Versuch j^emacht die Erfüllung von
21, 19 an Ahab selber nachzuweisen. Nachdem vorher berichtet, dass
die Knechte des in seinem Wagen erschossenen Königs seine Leiche
von Kamath Gilead nach Samarien gebracht haben um sie dort beizu-
setzen, heisst es 22,38: und sie spülten den Wagen am Teiche
von Samarien und die Hunde leckten sein Blut und die
Huren badeten darin, nach dem Worte Jahves. Auf diese
Weise erklärt es sich, wie die Hunde zu Samarien das seit der Schlacht
21)4
sthifhie der Traditidii, Kap. 7.
eint) Ileiiie untergeordneter Differenzen kommeu hinzu, i
weisen, dass in 11 9. 10 nicht auf die Relation über deTi Mord
Niilioths zurückgesehen wird, wie sie I 21 lautet. Niich II 9, 2b. 26
handelt es sich nicht um den Wembei^, soudorn um den Äcker
Nahoths, der eine Strecke vor der Stadt lag; mit ihm wnrde
auch seine Familie hingerichtet; am fulgeuden Tage, als Ahali
in Begleitung Jehus und Ren Dekers hinaustritt um den Acker
einzuziehen, traf ihn das (nicht so specicll auf seine Person ge-
miinzte) Wort des Propheten: „fürwalu- das Blut Nabotlis imd
seiner Kinder habe ich gesehen, gestern, und zahle es dir heim
auf diesem Acker!"
Mit Hilfe dieser andei-weitigeu Berichte, unter denen sich ua-
mentlich eine grössere gleichartige Gruppe volkstümlicher Erzäh-
lungen (I 20. 22. II S, (i, 24—7, 20. 9, 1—10, 27) voneilhaft
auszeichnet, lässt sich nun an der (ieschichte Elias eine Kritik
üben, welche das für den Entwicklungsgang der Tradition lehr-
reiche Ergebnis liefert, dass der Kintluss des gewaltigen Propheten
auf seine Gegenwart doch viel zu hoch angeschlagen ist. Das
negative Fundament seiner Bedeutung ist die Verbreitung des
Baalskultus in Israel: diese zunächst ist nicht wenig übertrieben.
Von einer Unterdrückung des nationalen Gottesdienstes iu dama-
liger Zeit kann keini' Rede sein, es ist nichts mit der Angabe,
dass die Propheten Jalives damals sämtlich ausgerottet seien und
Elias allein übrig geblieben. Uie Propheten vereine zu ßethel
Jericho und Gilgal haben ungestört fortbestanden, in den Syrer-
kriegen stehn Jahvepropheten dem Ahab zur .Seite, vor seinem
letzten Felilznge sind ihrer vierhundert in der Hauptstadt ver-
sammelt, von denen weni^tena der eine dem Könige längst als
l'nglücksseher bekannt, aber weder früher erwürgt war noch jetxt
erwürgt wurde, trotzdem er hei seiner misliebigen Art verharrte.
Ahab nannte von den Söhnen, die ihm Izebel gebar, den einen
Ahazjnhn Jahve hält und den anderen Jehoram Jahve ist er-
haben: er hielt an Jahve ;ds dem Gotto Israels fest, trotzdem i
seiner Gemahlin zu lieh der lyrischen Gottheit in Samarien eio*!
Datürlich längst eingetrocknete Blut liabeu lecken könnmi! Leider . .
diktiei nhersehen, das.q nach dem Worte Jafa^e« ^1, 19 die Hunde nicht
IU Samarien, aondeni lu Jexreel, dem Orte Nabotbs, du Blut Ahnba
lecken sollen. Uer Vers 32, 38 ist eine Interpolation, di« jüdisdieiD
Scharfsicae Ehre macht.
Richter Samuelis und Könige. 295
Tempel und einen Gottesdienst stiftete. Ist dem nun so, so kann
auch Elias Kampf gegen den Baal damals nicht die Wichtigkeit
gehabt haben, die ihm im Lichte eines späteren Standpunktes
beigelegt wurde. Wirklich merkt man in der oben bezeichneten
Gruppe volkstümlicher Erzählungen nichts von einer religiösen
Bewegung, die Israel innerlich zenissen hätte; das Volk wird
ganz durch die Syrerkriege in Anspruch genommen. Die Augen
sind auf die Könige gerichtet, die ihre Pflicht und Schuldigkeit
im Kampfe tun, Elias steht im Hintergi-unde. Ohne viele Worte
verrät sich mehrfach die Hochachtung, die Ahab bei Freund und
Feind geniesst (20, 31. 22, 32. 34 s.); auch Joram und selbst
Jzebel werden durchaus nicht unsympathisch geschildert (II 6, 30.
y, 31). Von Jehu dagegen, dem von den Propheten angestifteten
Mörder des Hauses Ahab, kann man schwerlich das Gleiche be-
haupten (H 9. 10).
Tatsache ist allerdings, dass es dem Baalshass der Propheten
am Ende gelungen ist die Dynastie Omris zu stürzen. Aber auf
welche Weise! Während König Joram durch eine Wunde von
seinem im Felde stehenden Heere fern gehalten wurde, ging ein
Abgesandter Elisas ins Lager, rief den Feldhauptmann von einem
Gelage, bei dem er ihn antraf, zu einer heimlichen Unterredung
ab und salbte ihn zum Könige. Als Jehu zu den trinkenden
Kameraden zurückkam, fragten ihn die, was jener Verrückte ge-
wollt habe, und da er mit ausweichenden Antworten nicht aus-
kam, sagte er ihnen die Wahrheit. Sofort erhoben sie ihn auf
einen improvisirten Thron und Hessen ihn als König ausposaunen:
die Sache leuchtete ihnen ein, um „jenen Verrückten" scherten
sie sich nicht. Mit einer unerhörten Meisterschaft in Ven-at und
Blutvergiessen rechtfertigte Jehu ihr Vertrauen, aber er verliess
sich dabei lediglich auf die Hilfsmittel seines eigenen Mordgenies.
Von einer allgemeineren Bewegung gegen die Dynastie wurde er
nicht getragen, das Volk, das er misachtete (10, 9), stand starr
und entsetzt vor den schlag auf schlag sich folgenden Greueln;
noch nach hundert Jahren war der Schauder über die Bluttat von
Jezreel lebendig (Os. 1, 4). Nachdem nun die Krone gewonnen
war, erwies der verwegene Spieler den Fanatikern seinen Dank
und schickte den Priestern Jahves, die er zusammen mit dem
ganzen königlichen Anhange hingeschlachtet hatte (10, 11), die
Priester und Verehrer Baals nach. Aus der Weise, wie er sie in
■29<.; Geschiclile der Tradiliuii, Kap. 7. ^^M
die Falle lockte (10, 18ss.), gülit hervor, ilass uieinand bislijf"
daran gedaclit hatte in ihm den \'(irkiinipfer Jahves zu erblicken;
offenbar war auch jetzt der Eifer nur ostensibel (10, Ifjss.), er
kämpfte nicht für eine Idee. Also, das sieht man, der Baal ist
es nicht gewesen, der das Hans Ahab zu Kall gebracht hat, srm-
dern gemeijier Verrat; die Eiferer haben ein recht unheili^es
Werkzeng zu ihren Zwecken aufgeboten, von dem sie danu seihst
als heiliges Mittel zu seinen Zwecken benutzt wurden; das A'olk
rum Sturm gegen den Baal mit fortzoreissen ist ihnen mit nichten
gelungen. Grössere Entrüstung scheint dii? Hinrichtung Naboths
hervorgerufen zu haben, ein moralischer, kein religiöser Frevel.
In der Geschichte Elias selber wird zugestanden, dass sein Kampf-
gegen deu Baal trotz des Opfersieges auf dem Karmel resnltatlos
verlaufen und dass erst mit jenem Justizmorde eine andere Wen-
dung eingetreten sei. Aber nach II 9, 25 ist derselbe doch nicht
etwa durch eine allgemeine Erregung, die er hervorrief, so ver-
liängnisvoU geworden, sondern vielmehr durch den zufälligen Um-
stand, dass Jehu Zeuge des unvergesslicheu Anftiitts iwist^hen
Ahab und Ellas war und darum dem Propheten zum Vollstrecker
der Drohung geeignet schien.
Gewiss ist es richtig, dass diese grandiose Gestalt des Elias
nicht hätte gezeichnet werden können ohne aus einem entsprechen-
den Eindrucks der Wirklichkeit concipirt zu sein'). Aber sie ist
zu sehr aus dem historischen Ensemble herausgerissen und dadurch
ins kolossale vergrössert. Überhaupt siuii in dieser Gattong von
Erzählungen die Propheten zu stark in den Vordei^raud gerückt,
als wären sie schon iu ihrer Gegenwart die Hauptmacht der israe-
litischen Geschieht« gewesen, als hätte das was sie bewegte auch
ihre Zeit beherrscht und angefüllt. Das war nicht der Fall, für
die Zeitgenossan traten sie hinter deu Königen völlig in den
Schatten, erst den Späteren wurden sie die Hauptpersonen. Ihre
') Auch ist der zeitliche Alistaad des Kraählers voa deu Sachen nicLl allzu
gnWB, Er ist Nordisraelit, wie sich aas min"''? "IB'S 19, 3 ergibt und
uns 19, 8 vgl. lait Deut I, 2: ein Judfter konnte sich in der Entfemuog
nicht so leicbt imd nicht so stark vergreifen, nenn inoii freilich ftucb
bedenken uiua, dass der Eoreb für diesen Krzäbler schwerlich da lag,
wo wir seine Loge aniunehmen seit altera gewohnt sind. Ein Zeicbcu
des Alters ist femer die rnbefnngeuheit, womit Ellas in Israel Baal be-
kämpft und doch im sidoniscbeo Laude aufs freundschaftlichste mit d«a
Baalsverelirera verkehrt (Ev. Luc. 4, 35s.).
Richter Samuelis und Könige. 297
ideale Bedeutung, wodurch sie mehr auf die Zukunft als auf die
Gegenwart eingewirkt haben, ist ins Reale übei*setzt worden. In
der Zeit Ahabs und Jehus genossen die Nebiim, die sich damals
sehr weit ausgebreitet und in eigenen Orden organisirt hatten,
keiner grossen Achtung; durchschnittlich waren es armselige Ge-
sellen, die dem Könige aus der Hand assen und in leitenden
Kreisen wegwerfend behandelt wurden. Elias und Elisa ragten
nun zwar über ihren Stand hervor; aber der erstere, dessen Hände
rein geblieben sind, hat wol gelegentlich durch sein kühnes Wort
imponirt, tatsächlich aber nichts gegen den König ausgerichtet und
auch das Volk keinesw^egs auf seine Seite gezogen; Elisa dagegen
hat wol etwas ausgerichtet, jedoch mit lichtscheuen Mitteln, die
eher die Schwäche als die Macht des Prophetentums in Israel
bezeugen.
4. Fassen wir zum Schluss zusammen, was wir auf unserer
eklektischen Wandeiomg durch die historischen Bücher gelernt
haben. Was der gewöhnlichen Vorstellung als der specifische
Charakter der israelitischen Geschichte erscheint und derselben vor-
zugsweise den Namen der heiligen Geschichte eingetragen hat,
beniht zumeist auf nachträglicher Übermalung des ursprünglichen
Bildes. Schon früh beginnen die verfärbenden Einflüsse. Dazu
rechne ich nicht das Eindringen sagenhafter Elemente, die schon
in den ersten Anfängen zu denen wir die Tradition zurückver-
folgen können nicht fehlen, auch nicht den unvermeidlichen Lokal-
ton der mit Tendenz nichts gemein hat. Ich denke nur an das
gleichförmige Gepräge, welches eine principielle Betrachtungsweise
der Geschichte der Überlieferung aufdrückt. Da lässt sich nun
zuvördei-st ein religiöser Einfluss wahrnehmen, der sich in den
Büchern Samuelis und der Könige näher als prophetischer heraus-
stellt. Die Meinung scheint mir irrig, dass die Propheten dem
hebräischen Volk seine Historie überhaupt erst gegeben haben.
Das Lied Jud. 5, allerdings vielleicht das älteste geschichtliche
Denkmal im Alten Testament, lässt sich nicht dafür anführen;
denn selbst wenn es wirklich von Debora gedichtet wäre, so steht
doch die Seherin in keinem Zusammenhange mit den Propheten.
Am wenigsten werden die Kollegien der Bne Nebiim zu Gilgal
und an anderen Orten als Pflanzschulen der Tradition zu be-
trachten sein; die Produkte, die aus diesen Kreisen stammen, ver-
raten einen ziemlich beschränkten Gesichtskreis (2. Reg. 2, 1 — 25.
•2QS Geschichte der Tr&dition, Kap. 7. ^^M
4, 1 — fi, 23). Die Propheten habeu die Überlieferung nicht zueaKl
geformt, somlern siml mit ihrer eigentümlichen Beleuchtung hinter-
drein gekommen. Ihr Interesse für den geschichtlicheo ^^toff war
nicht so gross dass sie sich gedrungen fühlten ihn aufzuzeichnen^
sie hftuchten ilim nur nachträglich ihren Geist ein.
Aber systematisth überprägt ist die Überlieferang erst, seit-
dem man einen festeren Stempel hatte als die freien Ideen der
Propheten, seitdem der Wille Gottes schriftlich formniirt war. Da
wiird miin allgemein des Widerstreits inne, welcher zwischen dem
idealen Anfang, den man jetzt herznstellen strebte wie er ira
Buche stand, und der nachfolgenden Entwicklung klaHte. Dia
alten Volksbücher, die harmlos an den verwerflichsten Sitten nnd
Hinrichtungen vorübergingen, bedurften einer gründlichen Aptirung
nach der mosaischen Form, um sie für die neue Zeit verwertbar,
veniaulich und erbaulich zu machen. Nicht erst durch die Chro-
nik, im Anfange der griecliischeu Herrschaft, wurden sie dem-
gemäss zusammenhangend überarbeitet, sondern, wie wii' in diesem
Kapitel gesehen haben, schon im babylonischen Exil. Aber in
einer etwas anderen Weise, In der Chronik wird die Vergangen-
heit auf grund des Gesetzes umgedichtet; jeweilige Übertretungen
kommau vor, aber nur als Ausnahmen von der Regel. In den
Büchern der Richter Samnelis ujid der Könige winl die Tatsache
des radikalen Absttindes der alten Praxis vom Gesetz im ganzen
nicht in Abrede gestellt. In einzelnen Fällen zwar wird die Ver-
gangenheit auch hier auf grund des Ideals umgedichtet, in der
Regel aber doch nur verurteilt. Das ist der eine Unterschied; ein
anderer kommt hinzu, der ungleich wichtiger ist. In der Chronik
I ist es der Pentateuch, d. h. vor allem der Priesfcerkodex, nach
dessen Muster die Geschichte des alten Israels dargestellt wird.
In der Quelle der Chronik, in den älteren historischen Bächeni,
geht die Bearbeitung nicht vom Priesterkodex aus, der ihr viel-
mehr vollkommen unbekannt ist, sondern vom Deu teronominm.
Die Geschichte der Tradition führt idso, was die Reihenfolge der
beiden grossen Gesetzeskörper betrifft, zu dem gleichen Ergebnis
wie die Geschichte des Kultus.
Die Erzählung des Hexateuchs. 299
Achtes Kapitel.
Die Erzählung des Hexateuchs.
In den geschichtlichen Büchern ist die Form, in der die
Tradition weiter gebildet worden ist, die Ergänzung und Über-
arbeitung; doppelte Relationen kommen zwar hier und da vor,
aber nicht grosse pai-allele Zusammenhänge neben einander. Im
Hexateuch haben zwar auch Ergänzungen und Nachtragungen in
umfangreichem Maasse stattgefunden, aber vorzugsweise sind hier
fortlaufende Erzählungsfäden, die für sich selbst verstanden werden
können und müssen, zu einer doppelten und dreifachen Schnur
zusammengeflochten. Man ist nun wenn auch nicht grundsätzlich
so doch tatsächlich geneigt, die formelle Selbständigkeit dieser
s. g. Quellenschriften des Hexateuchs so zu deuten, als seien die-
selben auch materiell unabhängig von und beziehungslos gegen
einander. Dies ist nun von vornherein sehr unwahrscheinlich.
Wenn selbst bei den Propheten, die doch ihr Wort von Jahve
empfangen hatten, der Nachfolger den Vorgänger kennt und auf
ihm fusst, wie viel mehr muss dies bei Erzählern der Fall sein,
die es ausdinicklich mit der Überlieferung zu tun haben. Mit der
mechanischen Zerlegung hat die Kritik ihr AVerk nicht getan, sie
muss darauf hinaus, die ennittelten Einzelschriften in gegenseitige
Beziehung zu setzen, sie als Phasen eines lebendigen Processes
begreiflich und auf diese Weise eine stufenmässige Entwicklung
der Tradition verfolgbar zu machen.
Um so dringender liegt diese Aufgabe vor, je auffallender die
Einzelschriften nicht bloss im Stoffe, sondern auch in der Anord-
nung der Erzählungen übereinstimmen. Keine Ursage hat be-
kanntlich einen so geschlossenen Zusammenhang wie die biblische,
so dass es in der Tat kein AVunder ist, dass sie der Rahmen für
viele anderen wurde und sie verfärbte. Dieser Zusammenhang
aber ist in allen Hauptzügen den Quellen gemeinsam. Der Priester-
kodex läuft in seinem historischen Faden dem jehovistischen Ge-
schichtsbuche durchaus parallel. Nur dadurch ist es möglich ge-
wesen, diese beiden Schriften so in einander zu schieben, wie sie
uns gegenwärtig im Pentateuche vorliegen. Dass es dabei nicht
ohne alle Eingrifl'e abgegangen ist, ist weniger zu verwundern, als
300 Geschichte der Tradition, Kap. 8.
dass sich die Eingriffe in so engen Grenzen halten und insbesondere
die Anlage der beiden Schriften fast ganz unangetastet lassen.
Das begreift sich nur aus der weitgehenden Übereinstimmung der-
selben in diesem Punkte. Wo es sich nun nicht um Geschichte,
sondern um Sagen über die Vorgeschichte handelt, da kann die
Anordnung des Stoffes nicht mit dem Steife selber gegeben sein,
sondern muss auf dem Plane eines Darsteilere beruhen. Aus dem
Volksmunde stammen bloss die losen und nur ganz ungefähr auf
einander bezogenen Erzählungen; ihre Verbindung zu einer festen
Einheit ist das AVerk dichterischer oder schriftstellerischer Formung.
Die Übereinstimmung der Quellen im Plane der Erzählung ist also
nicht selbstveretändlich, sondern höchst auffallend und nur aus
literarischer Abhängigkeit zu erklären. Die Frage, wie das Ab-
hängigkeitsverhältnis zu bestimmen ist, drängt sich darum weit
stärker auf, als wie man gemeiniglich annimmt').
Es ist indessen hier nicht der Ort, eine Geschichte der Ent-
wicklung der israelitischen Sage zu versuchen. Es soll vielmehr
nur der Grund dazu gelegt werden durch eine Vergleichung der
Erzählung des Priesterkodex mit der jehovistischen, wobei sich
herausstellen wird, dass Buttmann (Mythologus I p. 121 ss.) gegen
de AVette (Beiträge II) Recht hat mit der Behauptung, dass die
jehovistische Gestalt der Sage die urspiünglichere sei.
I.
1. Mit dem Berichte des Priesterkodex über die Weltschöpfung
beginnt die Bibel. Im Anfang ist das Chaos; Dunkel, Wasser,
brütender Geist, der lebenzeugend die tote Masse befruchtet. Der
^) Die Cbcreinstimmuiig erstreckt sich auch weiter ins einzelne, bis auf
die Ausdrücke. Von mahbul (Sündflut) und theba (Arche) sehe ich
ab, aber folgende Beispiele haben mich frappirt. In P Gen. 6, 9 heisst
Noah gerecht in seinen Geschlechtern, in JE 7, 1 gerecht in
in seinem Ge schlechte — keine gewöhnliche Redeweise, die den
H abbineu und Hieronymus viel Kopfzerbrechens verursacht. Ebenso P
Gen. 17, 21: der Sohn den dir Sara gebiert um diese Frist
im künftijren Jahr und JE 18, 14; zur selben Frist will ich
nächstes Jahr wieder zu dir kommen und dann hat Sara
einen Sohn. Desgleichen P Exod. 6, 12. 7, 1: (Moses) ich bin un-
beschnittenor Lippen, (Jahve) siehe ich mache dich zum Gott
für Pharao und dein Bruder Ah aron soll dein Prophet sein
verglichen mit JE 4, 10. 16: (Moses) ich bin schweren Mundes und
schwerer Zunge, (Jahve) Aharon soll dir als Mund dienen und
du sollst ihm für Gott sein.
Die Erzählung des Hexateuchs. 301
Ui*stofF enthält untei*schiedslos alle Einzelwesen in sich, aus ihm
geht stufenweise die geordnete AVeit hervor, und zwar durch Ent-
mischung, durch Ausscheidung zunächst der grossen Elemente.
Das chaotische Urdunkel weicht dem Gegensatze von Licht und
Finsternis, das ürwasser wird durch das Himmelsgewölbe geteilt
in das himmlische, woraus die unseren Blicken entzogene AVeit
jenseit des Firmaments konkrescirt, und in das irdische; die letztere
endlich wird aus schlammiger Mischung zu Meer und Land ge-
schieden, worauf alsbald das Land sein giiines Kleid anzieht. Die
so entstandenen Elemente, Licht Himmel AV asser Land, werden
darauf, etwa in der Ordnung wie sie geschaffen sind, mit Einzel-
wesen belebt; dem Licht entsprechen die Leuchten der Gestirne,
dem AVasser die Fische, dem Himmel die A'^ögel des Himmels,
dem Lande die übrigen Tiere. Der letzte Schöpfungsakt wird be-
deutungsvoll heiTorgehoben. „und Gott sprach: lasset uns Menschen
machen nach unserem Ebenbild, dass sie heri-schen über die Fische
des Meeres und die Vögel des Himmels und über das Aleh und
alles Getier der Erde und alles Gekreuch, das auf Erden kriecht.
Da schuf Gott den Menschen nach seinem Bilde, nach Gottes
Bilde schuf er ihn, und er schuf sie männlich und weiblich. Und
Gott segnete sie und sprach: seid fruchtbar und mehret euch und
füllet die Erde und machet sie euch untei'tan, und herrschet über
die Fische des Meeres und die Vögel des Himmels und alles Ge-
tier das auf Erden wimmelt. Und Gott sprach: siehe ich gebe
euch alle samentragende Gräser auf der ganzen Erde und alle
Bäume mit Samenfrüchten, dass sie euch zur Nahrung dienen;
allen Tieren der Erde aber und allen Vögeln des Himmels und
allem Gekreuch auf Erden, worin eine lebendige Seele ist, gebe
ich das grüne Kraut zur Nahi'ung." So ward Himmel und Erde
geschaffen und all ihr Heer, und Gott vollendete sein AA^erk am
siebenten Tage und segnete den siebenten Tag und heiligte ihn
(Gen. 1, 1—2, 4«).
Es geht die Rede, diese Erzählung verfolge nur fromme
Zwecke. Gewiss verleugnet sich der Israelit darin nicht; der
religiöse Geist womit sie durchdrungen ist tritt sogar gelegentlich
in AViderspruch zu der Natur des Stoffs. Das Chaos ist seinem
Begriffe nach die unei*schaffene Materie, es ist ein merkwüi-diger
Gedanke, dass es liier im Anfang von Gott geschaffen wird. Vom
Geist bebiütet ist es ferner angelegt auf Entwicklung aus sich
302 Geschichte der Tradition, Eap. 8.
heraus, und ilariu dass die Schöpfung überall als .Scheidung des
im Chaos schon gemischt Vorhandenen dargestellt wird, verrüt
sich noch jetzt die ursprängliche Anlage; doch in der hebräischeu
Erzählung ist der immanente Geist dem transcendenten Gott ge-
wichen und daB Evolutionsprincip zurückgedmngt durch Ana lie-
tehleude 8chÖpferwort. Dennoch ist das Interesse des Erzähler«
nicht hauptsächlich ein religiöses. Hätte er bloss sagen wollen,
Gott habe die Welt aus nichts geschaffen und er habe sie gnt ge-
schaffen, so hätte er das einfacher ausdi'iicken können und zugleich
deutlicher. Er will ohne Zweifel den tatsächlichen Hergang der
Entstehung der Welt naturgetreu schildern, er will eine kosmo-
gouische Theorie geben. Wer das leugnet, verwecliselt den Wert
der Geschichte füi" uns mid die Absicht des Schi-iftstellers. Wäh-
rend unsere religiösen Vorstellungen den seinigen konform sind
oder vielmehr konform zu sein scheinen, haben wir über das
Werden der Welt andere Begriffe, weil wir über die Welt selber
andere BegrilTe haben, im Himmel kein Gewölbe, in den Sternen
keine Leuchten und in der Ei'de nicht das Fundament des Alls
erblicken. Aber das darf uns nicht abhalten, das theoretische
.Streben des Verfassers von Gen. 1 anzuerkennen. Er sucht die
Dinge so wie sie jetzt sind ans einander abzuleiten; er &agt steh
wie sie wol allmählich aus dem Ui'stoff hervorgegangen sein mögen,
und hat dabei überall nicht eine mythische Welt, sondern «iie gegen-
wärtige gewöhnliche vor Augen.
Die blasse Farbe, welche älinlichen Enseugnissen der ältesten
nichtmythischen Naturerklärung eigen zu sein pflegt, ist auch inr
Gen. 1 charakteristiscli. Zwar ist man gewölmt, dies erste Blatt
der Bibel in all dem Zauber zu sehen, den die Vereinigung hohen
Altertums tiefsinnigen Inhalts und kindlicher Form zu geben ver-
mag. Es wäre vergeblich, die erhabene Ruhe und die einfornuge
Grösse zu leugnen, die der Erzählung ihren Typus gibt, unver-
gleichlich vor allem ist der Anfang: „die Erde war wüst und «n-
gestalt und Finsternis lag auf der Flut und der Geist. Gottes brü-
tete auf dem Wasser, da sprach Gott: werde Licht! und es ward
Licht". Nimmt mau aber das Chaos als gegeben, so ist von hier
aus das Ganze entsponnen; alles Folgende ist Reflexion, systema-
tische Konstruktion, der man mit leichter Mülie nachrechnen kann.
Es sind sehi* einfache Erwägungen, welche dazu fühi-en, erst das
Grosse und dann das Kleine, erst das Fundament
Fundament und r^ann «Im II
Die Erzählung des Hexateuchs. 303
darauf Befindliche entstehn zu lassen, das Wasser vor den Fischen,
den Himmel vor den Vögeln des Himmels, das Land und die
Pflanzen vor den Tieren. Die Anordnung der zu erklärenden
Dinge gilt hier für die Erklärung selbst, über eine vom Einfachen
zum Entwickelten fortschreitende Reihenfolge kommt es nicht hin-
aus, kein Vei'such der Phantasie, den Hergang näher zu beschreiben,
überall bedächtige Überlegung, die sich scheut, über das All-
gemeinste hinauszugehn. Es wird eigentlich bloss das Fachwerk
der Schöpfung gegeben, das aber unausgefüllt bleibt. Daher auch
die Form des Ganzen, die durch ein Referat nicht wiedei'zugeben
ist; das Schema überwuchert 'den Inhalt, statt anschaulicher Schilde-
rungen bekommen wir logische Definitionen zu hören. Es ist die
stufenmässige Ordnung in der Ausscheidung der Einzeldinge aus
dem Chaos, womit hier das Erwachen einer „natürlichen" Betrach-
tung der Natur und eines verständigen Nachdenkens über sie sich
ankündigt, ebenso wie in den Versuchen des Thaies und seiner
Nachfolger, die auch als Anfänge der Theorie und eines objektiven
Interesses für die Dinge der Aussenwelt merkwürdig, aber nicht
dazu angetan sind Begeisterung zu erregen^).
Den ereten Satz des jehovistischen Berichtes über den Anfang
der AVeltgeschichte hat der Redaktor abgeschnitten. [Es war alles
trockene Wüste], als Jahve die Erde bildete, es gab noch kein
Gewächs auf dem Felde und nirgends spross das Grün, denn Jahve
hatte noch nicht regnen lassen auf die Erde und kein Mensch war
da den Acker zu bauen. Ein AVasser^) aber entstieg dem Boden,
das tränkte die Fläche des Ackers. Und Jahve- bildete den Men-
schen aus Staube vom Acker und hauchte ihm Lebensodem in die
Nase. Dann pflanzte er einen Garten im Lande Eden fern im
Osten, an der Stelle, wo die vier Hauptflüsse der Erde aus ge-
meinsamem Ui'sprunge sich teilen; da wachsen unter anderen
schönen Bäumen der Baum des Lebens und der der Erkenntnis. In
diesen Garten setzte Jahve den Menschen, ihn zu bauen und zu
pflegen und zu essen von allen Bäumen: nur die Frucht des
Baumes der Erkenntnis verbot er ihm. Mutterseelenallein aber
*) Dabei bleil)t es auch dann, wenn Thaies und der Verfasser von Gen. 1
aus der AVeisheit der Chaldaer geschöpft haben — was sehr wol
möglich ist.
^ "I^N (?) ist ein mythisches Wasser und wahrscheinlich trotz dem
mangelnden Artikel determinirt. Vgl. das abess. n^J?.
304 Geschieht« <Ier Tradition, Kt^. 8.
ist der lleusch iu seinem Garten, er muss Gesellächaft lial>eii die
für ihn passt. Also bildet Jahve jetzt eret die Tiere, ol> der
Mensdi vielleicht mit ihnen verkehren nnd sich beireandeii könne.
Er führt sie ihm niich einander vor, zu sehen, welchen Eindruck
sie machen, wie der Mensch sie nennen würde. Er nennt sie lieim
rechten Namen, Ochs Esel Bär, gibt also der Empfindung Ausdruck,
dass er nichts Verwandtes linde, ujjd Jahve muss andei-en Rat
schaffen. Da bildet er das Weib aus der Rippe des schlafenden
Mannes und lüsst ihn erwachen. Der vergeblichen Experimente
mit den Tieren wie überdrüssig ruft der Mensch nun entzückt
beim Anblick des Weibes aus: das ist ducli einmal Fleisch von
meinem Fleisch und Bein von meinem Bein, die kann man Mäouin
heisseu. — Damit ist der Schauplatz gemalt, die auHretenden Per-
sonen eingeführt, eine Handlung insgeheim vorberaitet: nun spielt
sich die Tragödie ah, die mit der Vertreibung des ^leuscheu im»
dem Garten endigt. Von der Schiauge verführt streckt der Mensch
die Hand aus nach dem verbotenen Gute um zu werden wie Gott,
nnd isst vom Baume der Erkenntnis. Der Anfang der Bekleidung,
die erste Stufe der Civilisation, ist die nächste Folge davon: trau-
rigere schliessen sich alsbald an. Am Abend hören der Meusch
und sein Weib Jahve im Garten sich ergehn, sie verstecken sich
vor ihm und verraten sich eben dadurch. An Leugnung rler Tat
ist nicht mehr zu denken, und indem jeder die Schuld auf den
anderen wälzt, geben sich die Beteiligten nach einan<ier sellter an.
Der Ricliterspruch beschliesst die rntersucimng. Die Schlange soll
auf dem Bauche kriechen, Staub fressen, und im ungleichen Kampfe
mit dem Menschen zu gnmde gehn. Das Weib soll mit Schmerzen
viele Kindyr gebären und nach dem Manne sich sehnen, der doch
ihr Herr sein wird. Der ilauptlluch trifft den .Menschen il. h. den
Mann. „Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit yaal sollai
du dich davon nälneu dein Lebetag. Dorn und Distel wird er
dir tragen und sollst das Gras des Feldes essen, bis du zum Acker
zurückkehrst, davon du hei-genomnien bist; denn Staub bist du uml
Staub wirst du wieder." Nachdem so das Urteil gesprochen, be-
reitet Jahve die Menschen für ilu"e künftigeu Lebensverhältuisse
dadurch vor, dass er ihnen Böcke aus Fellen macht und anzieht.
„Siehe — wendet er sich dann an seine himmlische Umgebung — ,
siehe der Mensch ist geworden wie unser ein zu erkennen Gut und
Böse: nun dass er seine Hand nicht iiussLrecke und nehme (
Die Erzählung des Hexateuchs. 305
vom Baume des Lebens und esse und lebe ewiglich." Mit diesen
Worten treibt er den Menschen aus dem Paradise und lagert davor
die Cherube und das flammende Wandelschweii;, zu bewahren den
Weg zum Baume des Lebens (Gen. 2, 4** — 3, 24).
Die schwermütigste Betrachtung des Lebens, wie es gegen-
wärtig ist, liegt dieser Erzählung zu gründe. Eitel Not und Ar-
beit, ein Frohndienst sind des Menschen Tage, aussichtsloser
Frohndienst, denn der Lohn ist, dass man wieder zur Erde wird,
davon man hergenommen. An ein Leben nach dem Tode kein
Gedanke; als eine verscherzte Möglichkeit gilt das Leben ohne
Tod — jetzt wehrt der Cherub den Zugang zum Baume des
Lebens, von dem der Mensch im Paradis hätte essen können aber
nicht gegessen hat. Dies gegenwärtige öde Erdenlos ist das eigent-
liche Problem der Erzählung. Es wird empfunden als klaff'ender
Widerspruch gegen unsere wahre Bestimmung, es kann nicht das
Ureprüngliche sein. Es ist vielmehr Verkehrang des Ureprüng-
lichen, die Strafe einer uralten Schuld lastet darin auf uns allen.
Zuerst führte der Mensch im vertrauten Umgange mit Jahve ein
glückliches und menschenwürdiges Dasein im Paradise: das ver-
botene Streben nach der Erkenntnis von Gut und Böse hat ihn
daraus vertrieben und all das Elend über ihn gebracht.
Was ist die Ei'kenntnis von Gut und Böse? Die Ausleger
sagen, es sei das Vermögen der sittlichen Unterscheidung, also
das Gewissen. Demgemäss nehmen sie an, der Mensch im Paradise
sei moralisch indifferent gewesen, in einem Zustande, der ein be-
wusstes Handeln ausschloss und weder gut noch böse zu nennen
war. Da nun ein solcher Zustand kein Ideal ist, so finden die
einen, durch den Sündenfall sei mehr gewonnen als verloren, und
die anderen gestehn, es könne nicht die göttliche Absicht gewesen
sein, den Menschen immer auf dieser Stufe kindlicher Unzurech-
nungsfähigkeit zurückzuhalten, und auch der Erzähler könne das
nicht meinen.
Aber es ist deutlich, der Erzähler redet nicht von relativem
sondern von absolutem Verbot der Erkenntnis: er meint sie stehe
nur Gott zu, und wenn der Mensch die Hand darnach ausstrecke,
so überschreite er seine Schranken und wolle werden wie Gott.
Auf der anderen Seite kann er allerdings nicht meinen, das Ge-
wissen sei ein sehr zweifelhaftes Gut, dessen Besitz zu beklagen,
sei etwas, was Gott dem Menschen eigentlich versagt und nur
Wellhausen, Prolegoraena. 5. Aufl. 20
30t) (iüschklite der Traiiitio«, Kap. 8.
Bii;h selber vori)fh.')lteit linbe. Die Erkcmitiiis kaoii nicht liiti t^ilt-
Ik'he seiii. Wiis sull es liebsen, ilass Oott allein deii rutenBctiied
»wischen Gat und Böse kennen and dem Menschen dies Wissen
versagen will? Dürfte man doch meinen, das Gewissen sei eher
etwas apecifiscli menschliches, Wms soll es ferner heissen, dass
Adam und Kva so neu^erig sind za erfahren was Sütidc uml
Tugend sei? Darauf ist niemand nenyierig und nie entsteht die
Sfiiide iinf dem Wege des ethisclieu Experiments, dadurch, dass
man sierne wissen möchte was sie eigentlich sei. Offenbar winl
doch auch vorausgesetzt, dass die Menschen iui Paradise wussten,
dass der Gehoi-sam gegen Jahve gut, der Ungehorsam böse sei.
Es widerspricht endlich der gemeinsamen Tradition aller Völker,
sich den ersten Menschen als eine Art Tier vorzustellen; nur hin-
sichtlich der äusseren Kultur winl er unentwickelt gedacht. Viel-
mehr die Erkenntnis, ilie hier verboten ist, ist die eigentliche,
die allgemeine Erkenntnis, das Klugwerden wie es hinterdrein ge-
nannt wird- Das ist es, was nach des Verfassers Meinung aber
die Schranken unserer Natur hinausgeht, das Geheimnis der Ding«,
das Geheimnis der Welt zu ergräuden, Gott gleichsam in die
Karten zu gucken, wie er ea bei seinem lebendigen Wirken an-
fängt, um es etwa ilun abzusehen und nachanmachen. Denn
Wissen ist der alten Welt Immer zugleich auch Können, keine
blosse Metaphysik. Dieses Erkennen im höchsten Sinne steht uur
Gott zu, der im schöpferischen Mittelpunkt der Dbige stehend das
Ganze durchdringt und überschaut, es ist dem Menschen, der sich
am Einzelnen abquält, verschlossen, fnd dennoch hat das ver-
botene Gut den grössteu Reiz für ihn, er bretmt darauf es zu er-
Inngen, und statt in Vertrauen und Ehrfurcht zu resLgnireu, ver-
sucht er das ihm neidisch vorenthaltene Kleinod zu rauben und
dadurch Gott gleich au werden — sich zum .Schaden.
Diese Erklärung ist nicht neu, es ist die alt« und populäre,
darum auch von Goethe Im Faust befolgte. Ein Einwand freilich
erhebt sich dagegen: es steht doch da nicht bloss die Erkeuntnis,
sondern die Erkenntnis von Gut und Böse? Aber im Hebräischen
bedeutet Gut und Böse znnäcliBt immer nur heilsam uuä schäd-
lich; auf Tugend und Sünde werden die Ausiirücke nnr über-
tragen, sofern deren Wirkung frommt oder schadet. Mit Gut und
Böse, wie es in Gen. 2. 3 gemeint ist, ist keine Entgegensetzung
der llandUniiten nach ihren sittlichen rnterschieden beabsichtigt.
Die Erzählung des Uexateuchs. 307
sondern eine Zusammenfassung der Dinge nach ihren zwei polaren
Eigenschaften, wonach sie den Menschen interessiren, ihm nützen
oder schaden: denn, wie gesagt, nicht wie die Dinge metaphysisch
sind, sondern wozu sie gut sind, will er wessen. Neben dem aus-
führlichen Ausdruck kommt übrigens auch der einfache vor, Er-
kenntnis schlechthin (3, 6), und zu beachten ist noch das, dass es
nicht heisst: erkennen das Gute und das Böse, sondern: erkennen
Gutes und Böses.
Wir müssen nun aber weiter diese Erkenntnis nicht indi\a-
duell, sondern geschichtlich auffassen; es ist das gemeint, was wir
Kultur zu nemien pflegen. Wie das Menschengeschlecht in der
Kultur vorwärts schreitet, schreitet es in der Gottesfurcht rück-
wärts. Die erste Stufe der Givilisation ist die Bekleidung; hier
ist sie die nächste Folge des Sündenfalls. Unsere Erzählung setzt
sich fort in Kap. 4: Adams Söhne fangen an Städte zu gründen,
Jul>al ist der erste Musiker, Kain erfindet die älteste und die
\dchtigste Kunst, das Schmieden — das Schwert entsteht dadurch
und die blutige Rache. Weiter schliesst sich in der gleichen Rich-
tung die Geschichte von der Stadt und dem Turme zu Babel an,
worin die Gründung der grossen AVeltrciche und Weltstädte vor-
geführt wird, die die Menschenkraft zusammenfassen und damit
bis zum Himmel vordringen wollen. In dem allen entwickelt sich
die Emancipation des Menschen weiter, mit der steigenden Civili-
sation steigt die Entfremdung von dem höchsten Gute; und —
das ist ofi'enbar die stillschweigende Meinung — zum Ziel gelangt
der unruhige Fortschritt doch nicht, es ist eine Sisyphusarbeit,
der ewig unvollendete babylonische Turm ist das richtige Symbol
dafür. Es ist das sehnsüchtige Lied, das durch alle Völker geht.
Zu geschichtlicher Kultui* gelangt, empfinden sie den AVert der
Güter, die sie dagegen aufgeopfert ').
Es war nötig so ausfülu'lich den Begriff der Erkenntnis zu
erörtern, weil das Misverständnis der Philosophen und Theologen
einen Schein des Modernen über unsere Geschichte geworfen hat,
welcher auf das Urteil über ihr relatives Alter nicht ohne Ein-
*) Ich halte es jetzt doch für möglich, dass Gen. 4 und 11 über den Siun
von Gen. 2. 3 nicht entscheidet und dass das den Menschen versagte
Wissen dort wenigstens ursprünglich als Zauber und Zauhermacht auf-
gefasst ist. Vgl. das in der Note zu p. 312 über das Buch Ilenoch Be-
merkte; femer hebräisch jid'oni und aralusch scha'ir und 'arräf.
20*
I gewef
Niicbdem zunächst dic'St'r Schein liespitij;^ *1
wenden wir uns denjeuigeu Zügen von (ieii. 2. 3 zn, wulciie posi-
tiv bei iler Destimtnung des Verhältnisses za (Jen. 1 in die Wag-
schale fallen.
Was man von Gen. I mit Unrecht behauptet hat, das ist
wahr von Gen. 2. 3; die jehovistische Erzahtuiij; glänzt in der
Tat dnrch das Abw&sen jei^liches rationellen Erkläningsstn-Iieus,
(lui'ch die Verachtiuiu jeglicher kusniolojiischen Spekulatiun. Die
Erde winl zu Auffing nicht feucht und bildsam, sondern (wie
lob. 3H, H) hart nnd trocken gedacht, es muss erst Wasser kommen,
damit die Wüste (getränkt wenle, der Äcker bedarf der Hestelliug
durch den Menschen, dümit die Saat spriesst. Auf eine [latürliche
Reihenfolge der Akte wird ^;\r nicht Itedacht tjenomroen; das bedörf-
tigste Wesen, der Mann, entsteht zuerst und sieht sich auf die kahle
Welt angewiesen, uhne ßauin nnd Stranch, ohne Tiere, ohne das
Weih, rnverholen ist der Mensch der ansBchÜessliehe Gegenstand
des Interesses, die übrigen Wesen werden erklärt durch Uire Be-
detitung für ihn, als ob sie nur darin ihr Existenzrecht Iie.säs5en.
])ie I<lee erklärt den Stoif, nach der mec^lianisclien Mögliihkeit
wird man nicht versucht zu fragen. Es ist der Abgrund der G«-
schmacklosigkeit, wenn dieser oder jener Gelehrte wegen Gen. 2, 21
seine Rippen nachzählt, oder auch schlie-sst, iler nrspruiigliche
Mensch sei Mann und Weib zusammen gewesen.
8tehn wir bei dem ersten Bericht in den Anfängen nüch-
ternen Nachdenkens über die Natur, so bei dem zweiten auf dem
wunderbaren Roden des Mythus. Diesen hat nicht die verständige
Reflexion erzeugt — wenigstens so weit die Natnransicht in Frage
kommt, um die es sich uns hier zunächst handelt ^ sondern die
volkstümliche Phantasie. Wir befinden uns hier in dem Zauber-
garteu der Vorstellungen des echten Altertums, der frische antike
Eiflgemch weht uns entgegen. Die Hebräer atmeten in der Enft
die sie umgab; was sie sich am Jordan erzählten vom Lande Eden
und vom Sündenfall , das erzählte man sich ganz ähnlich am
Euphrat und Tigris, am Oxus und Arius. Das wahre Land der
Erde, wo die Gottheit wohnt, «las ist Eden. Es ist nicht etwa .
nach dem Sündenfall eotjückt, sondern noth heute vorhanden;
warum wären sonst die Chenibe nötig den Eingang zu wahren)'
Es sind wirkliche Flüsse, die von dort ausgehn, dem Erzähler
nach den Ländern, durch die sie fliessen, nach den Produkt«
k
Die Erzählung des llexateuchs. 309
die von dort kommen, sämtlich wolbekannt, drei davon auch
uns nicht fremd, der Nil der Euphrat und der Tigris. Wüssten
wiYj wie der Verfasser sich den Lauf der \aer Flüsse denkt, so
wäre es leicht zu sagen, wo ihr gemeinschaftlicher Ursprung ist,
wo also das Paradies liegt. Ähnlich bestimmen andere alte Völker
die Lage ihres heiligen Landes; die Ströme heissen bei ilmen an-
ders, aber die Namen tun nichts zur Sache. Auch an die Wunder-
bäume im Garten zu Eden finden sich \'ielfache Anklänge, bis
hinein in die germanische Mjthologie. Ebenso ist der Glaube an
die Cherube, die das Paradis hüten, weit verbreitet. Kr üb ist
vielleicht der selbe Name ') und gewiss die selbe Vorstellung wie
Gryp im Griechischen und Greif im Deutschen; überall sind diese
wunderbar aus Löwe Adler und Mensch zusammengesetzten Wesen
Wächter des Göttlichen und des Heiligen, dann auch des Goldes
und der Schätze. Allerdings hat der mytische Stoff unter der
schöpferischen Behandlung des monotheistischen Erzählers Manches
von seiner ursprünglichen Gestalt und Farbe verloren. Das he-
bräische Volk erzählte wol nicht bloss vom Baum des Lebens,
sondern nach der Ortsbestimmung in der Mitte des Gartens
scheint es, er habe am Ausgangspunkt der \ier Ströme gestanden,
an der Quelle des Lebens, die im Glauben des Orients so grosse
Bedeutung hatte und die zu suchen Alexander auszog'). Gewiss
war ferner das Paradies ursprünglich nicht für den Menschen ge-
pflanzt, sondern es war die Wohnung der Gottheit selbst '). Spuren
davon sind noch erkennbar. Jahve fährt hier nicht vom Himmel
hernieder, sondern lustwandelt abends im Garten als ob er da zu
Hause wäre: im ganzen aber ist doch der Gottesgarten etwas
naturalisirt. Eine ähnliche Abschwächuug des Mythischen hat bei
der Schlange stattgefunden; man merkt nicht mehr recht, dass sie
ein Dämon ist. Doch ist durch die Abstreifung des Fremdartigen
an Gehalt nichts verloren, an edler Einfalt nur gewonnen. Der
^gl» 11*13 iß tl^ii südarabischen Eigennamen; auch Fraenkel Fremd-
worter p. 274. Eine Abbildung südarabischer Cherube zwischen heilijren
Bäumen findet sich auf Tafel 73 des C. I. S. IV.
^ Vgl. die Composition des Hexateuchs 1899 p. 305. Der Baum der Er-
kenntnis ist an die Stelle des Baumes des Lebens getreten.
^) Dem Garten Gottes kann sehr wol der heilige Hain (arab. Himä) zu
gründe liegen, wo sich Wasser und Grün vereinigen, wo die Früchte
der heilijjen Bäume Tabu (vgl. Bedjans Acta Mart. I ß5) und die wilden
Tiere anis sind, d. h. mit dem Menschen zutraulich umgehn, da sie nicht
gescheucht werden dürfen.
310 Oesi-Tikhte iler TwliKon, Kap. S.
mythische Hiiitergnimi gilit iler Erzähliini^ ihren loiicliiomien
r^chiinmer, wir fühlon uns in der (johlenen Zeit, wo noch der
Himmel auf Erdeu war: dabei ist doch der iinversttLndliclie Zau-
ber gemieden und nirgends die Grenze eines keuschen HelldimkeU
überschritten.
Beknnntlicb hat dns Seclistagewerk ftrnudlegende Iledeuttuig
lur die Entwickelung der Kosmologie and der fieologie gehabt. Es
ist kein ZuTall, dass die Naturwißsenschaft nicht an fien. 2 und 3
angeknüpft hat: Natnr gibt es da kaum. Aber die Poesie liat es
zu alten Zeiten mit der Geschichte vom Paradise gebalten. Ob
nun in der Betrnclitung der Welt die mythische Poesie oder die
verständige Prosa älter sei, braucht nicht mehr gefragt und nicht
mehr entschieden zn werden.
Mit den nnfgeklärtea VorBtellungen über die Jjatur, die wir
in Gen. 1 antreffen, hängt der „geläuterte" GottesbegrUf eng zu-
sammen. Das Wichtigste ist, dass es hier ein eigenes A^'ort gibt,
um lediglich die göttliche SchSpferthatigkeit zn bezeichnen und sie
dadurch aus der Ähnlichkeit menschlichen Tuns und Bilden» her-
HUSKuhebeu, ein Wort, das in so enger Bedeutuni; weder im Grie-
chisi'hen, noch im Lateinischen oder im Deutschen wiederaiigpben
ist. In einem jugendlichen Volke ist eine solche theologbche Ab-
straktion unerhört, wir linden deuo auch bei den Hebräern Wort
und Bei^rüf erst seit dem babylonischen Exil mehr und mehr ge-
bräuchlich werden: parallel mit der Hervorhebung der Schöpfer-
allmacht Jahves in bezng auf die Natui', die heinah plötzlich in
der exilischeu Literatur anftrilt, im Buche lob einen grossen Raum
einnimmt und in Isa, 40 — fi(i vielfach in lyrischen Intermezzi ebi-
gestreut wird'). In Gen. 2. 3 ist nicht die Natur, sundern der
Mensch der Anfang der Welt und der Geschichte; ob da über-
haupt eine Schöpfung aus nichts angenommen wird, ist eine Frage,
deren Bejahung nur wegen der Verstümmelung des Anfangs (vor
2,4'') nicht ganz unmöglich ist. Jedenfalls regt hier nicht der
Befehl des Schöpfen die Dinge an, dass sie sich aus dem allge-
meinen Chaos zu besonderen Arten entwickeln, sondern Jahve legt
überall selber Hand an und setzt dabei das Bestehu der Welt im
grossen und ganzen voraus. Er pflanzt und wässert den Garten,
er formt den Menschen und haucht ihm Atem in die Nase, er
') Vgl. .4n)09 4, 1-2. 13. 5, 8. 9. 9, 5. G. Os. 13, i Sept. Merkwätdig 1. Ht$.
8, 53 Sept.: CDlfll l^^H B'DB'-
Die Erzählung des Hexateiichs. 311
baut (las Weib aus des Mannes Rippe, nachdem er vorher in dem
Streben ihm Gesellschaft zu verschaflfen nicht das Rechte getroflfen:
die Tiere sind lebendige Zeugen seiner mislungenen Experimente.
Auch sonst verfahrt er wie ein Mensch. Er geht abends wie es
kühl wird im Garten spazieren, dabei entdeckt er zufällig die
Übertretung und führt eine Untersuchung, in welcher er von seiner
Allwissenheit nicht den mindesten Gebrauch macht. Und wenn
er sagt: „siehe der Mensch ist geworden wie unser ein zu erkennen
Gut und Böse: und nun — dass er seine Hand nicht ausstrecke
und nehme auch vom Baume des Lebens und esse und lebe ewig-
lich", so ist das ebenso wenig Ironie als wenn er in Anlass des
Baues von Babel äussert; „siehe ein Volk und alle haben sie eine
Sprache, und dies ist nur der Anfang ihres Tuns, und nun — es
wird ihnen nichts zu schwer sein was sie sich unterfangen; auf
lasst uns herniederfahren und ihre Sprache verwirren!" Dass mit
alle dem gleichwol der Majestät Jahves nichts vergeben wird, ist
das Geheimnis des Geistes. Wie würde sich der blasse Gott der
Abstraktion hier ausnehmen!
Was endlich den Mikrokosmus betrifft, so spiegelt sich in
dessen Auffassung der allgemeine Unterschied wider. In Kap. 1
wird dem Menschen von Anfang an der Boden zugewiesen auf
dem er sich noch gegenwärtig bewegt: „füllet die Erde und machet
sie euch Untertan" — die Aufgabe ist eine völlig natürliche. In
Kap. 2. 3 wird er in das Paradis gesetzt und hat darin, vom
Mutterschooss der Gottheit gleichsam noch umfangen, einen sehr
beschränkten Wirkungskreis — seine gegenwärtigen Lebensverhält-
nisse, die Feldarbeit des Mannes, das Kindergebären des Weibes,
entsprechen nicht seiner ursprünglichen Bestimmung, sind kein
Segen, sondern ein Fluch. In der jehovistischen Erzählung ist der
Mensch sich selbst so wunderbar wie die Aussenwelt, in der an-
deren ist er sich selbst so alltäglich wie jene. Dort sieht er
staunenswerte Geheimnisse in der Geschlechtsverschiedenheit, in
der Ehe, in der Geburt (4,1); hier sind diis physiologische Tat-
sachen, die nichts zu fragen und zu denken geben: „er schuf sie
männlich und weiblich und sprach: seid fruchtbar und mehret
euch!" Dort steht er den Tieren vertraut und doch befangen
gegenüber, er weiss nicht recht was ei* aus ihnen machen soll, sie
sind ihm verwandt und passen doch nicht recht in seine Gesell-
schaft — hier sind sie neutrale Wesen, über die er hen'scht.
319 GMchiehle dw Tracfition, Kap. !*.
Der Hnuplpunkt, worin der Gegeusatz zusummeuläufi
sich zuspitzt, ist Tolgeuder. In Gen. 2. 3 ist es dem Alenschrai
eigentlich verboteo. lieii .Schleier der Dinge zu heben und ilie
Welt, repräsentirt im Baume des Wissens, zu erkennen; in Gen. 1
ist dies die ihm von Anfang an gestellte Aufgabe, zu herrscheu
über die ganze Erde: Herrschaft und Wissen bedeutet gleichviel.
bedeutet Civilisation. Dort ist ihm die Natur ein geweilites Myste-
rium, hier ist sie ihm Sache, Objekt: er steht ilir nicht mehr be-
fangen, sondern frei und überlegen gegenüber. Dort gilt es für
einen Rauh des Alenschen Gntt gleii:h sein zn wollen, hier hat
Gott ihn von vornherein in seinem Bild« und nach seiner Ähn-
lichkeit gesdialTen und ihn zu seinem Stellvertreter auf Erden be-
stimmt. Es kann nicht für zuiallig gelten, dass Gen. 1 in diesem
Punkte das Gegenteil von Gen. 2. 3 behauptet; die mit sulcheni
Nachdruck ausgesprochenen und wiederhohen Worte 1, 27. ö, I.
9,1» klingen geradezu wie ein Protest gegen die Grundanschauang
von Gen. 2. 3, ein Protest, der teilweise zusammenhängt mit der
entwickelteren religiösen und moralischen Bildung, teilweise aber
wol auch mit dem krampfliaften Streben des späteren .Inden-
tums, die sicherste aller geschichtlichen Erfahnmgen zn leugneu.
nämlich dass die Söhne büssen müssen für die Sünden der
Väter ')■
Was man als Vorzüge von Gen. 1 gegen Gen- 2. 3 anzuführen
pflegt, das sind sicher Anzeichen eines P'ortschrittes der äusseren
Kultur. Die geistige Individualität der beiden Erzähler darf mau
nicht vergleichen, denn die gibt keinen Maassstab der Zeiten ah;
was aber die allgemeinen Vorstellungen übej' Gott Natur und
Mensch betrifft, so steht darin der erate auf einer höheren, jeden-
falls auf einer späteren Stufe. Dieselben sind, für unseren Stand-
punkt, verständiger einfacher natüi'licher. I'reilich hat man sie
gerade darum für älter gehalten. Man hat da einerseits die Be-
griffe natürlich und ursprünglich gleichgesetzt — daa ist be-
') Eiu gröberes äegeuntück zu Geu. 2. 3 , uuch eiue Art Süad^ufall, i$t
Geu. 6, 1 — 4. die Vürrückimg der Grenze imischeii göttlichem nnd
inenscblichem ßesfhlecht. Später nird es von d(<n Jaden wieder hervar-
Seiogen, z. B. im Buch Henoch, mit der AuDüheniug ou Gcd. 2. 3, iuM
ie Dämouen deu Mcuachen di« vcrliotene Kemituis der Mystcrieu und
des Zaubers beibringen, lu Oen. 1 wird die Kluft zwischen Geist
als göttlicher und Fleisch als rneuachlicher Substanit durch die Ehen-
iiilillichkeit des Henschen mit Golt überbmvkt. Hil Gen. 1 stimmt
Ps. 8.
Die Erzählung des Hexateuchs. 313
kanntlich eine arge Vei*wechslung. Andrerseits hat man an die
vorgeschichtliche Tradition einen Maassstab gelegt, der nur für die
geschichtliche berechtigt ist — der letzteren gereicht das Fehlen des
Wunders und des Mythus zur Empfehlung, aber nicht der ersteren.
Die geheime Wurzel aber der sichtlichen Vorliebe, welche die
weiland historisch - kritische Theologie für Gen. 1 gehegt hat,
scheint da zu liegen, dass man sich selber füi* das was die Bibel
sagt verantwortlich fühlt und sich darum freut, wenn sie möglichst
wenig behauptet, was gegen die allgemeine Bildung verstösst').
2. Auf den Anfang der Weltgeschichte folgt in Gen. 1 — 11
sowol im Priesterkodex (P) als im Jehovisten (JE) zunächst der
Übergang von Adam auf Noah (Kap. 4. 5), sodann die Sündflut
mm
(Kap. 6 — 9), endlich der Übergang von Noah auf Abraham
(Kap. 10. 11).
In den trockenen Namen, die in Gen. 5 und in Gen. 4 an
einander gereiht werden, hat Buttmann RevSte eines aus uralten
Erzählungen einst gewobenen geschichtlichen Zusammenhanges er-
kannt Zerstört ist der ursprüngliche Gehalt dieser augenschein-
lich mythologischen Elemente sowol in Gen. 5 (P) als in Gen. 4
(JE), aber nur die jehovistische Liste macht noch den Eindruck
der Ruine, während dagegen in der anderen die Trümmer zu
einem künstlichen Neubau benutzt worden sind, in welchem sie
sich nun eben nicht mehr wie Trümmer ausnehmen. Sie dienen
hier nämlich zu Trägern einer Chronologie, die von Adam bis auf
Moses herabgeht und den zwischenliegenden Zeitraum auf 2066
^) Ich behaupte nur die Priorität von Gen. 2. 3 vor Gen. 1 , glaube aber
nicht, dass die Erzählung vom Paradise und vom Sündenfalle bei den
Israeliten sehr alt ist. Damach sieht es nicht aus, dass der Mensch
und das Weib an der Spitze der Genealogie des Menschengeschlechtes
stehn; man sollte an dieser Stelle viel eher die (nach ui-sprünglichem
semitischen Glauben keineswegs widergottliche) Schlange erwarten, wie
im Chronicon Edessenum und in der abessynischen Sage. Vgl. Compos.
des Hexat. (1899) p. 305. — Femer war der echt hebräische Gottessitz
der Berg Sinai, der echt hebräische Lebensberuf der nomadische der
Patriarchen, nicht der Garten- und der Ackerbau. Endlich ist nicht zu
glauben, dass sich Barbaren über Segen und Unsegen der Civilisation
Gedanken sollten gemacht haben. Vor Salomo ist der Stoff von Gen. 2. 3
schwerlich eingewandert. Woher er stammt, lässt sich kaum raten: am
nächsten läge es, an die Phönicier oder die Kanaaniter überhaupt zu
denken, was auch durch Gen. 4 empfohlen wird. Da jedoch in JE Babel
als die letzte Urheimat des Menschengeschlechtes gilt, nach Eden, und
Nod, so werden die Hebräer die l'rsage letzlich wol von dorther be-
kommen haben. Auf etwaige Gleichungen der Assyriologen soll darum
aber kein Gewicht gelegt werden.
314 neschlcbte d«r Tradition, Knp. 8.
Jidire tierechnet. Diese 2()*^i6 Jahre entspreclieu 2l>'/i fieneratioueii
zu je hundert Jahren, uämlich 1 — 2(J Adam liis Abrahiim. 21 Isaatc,
22 Jakob, 23 Levi, 24 Kehath, 25 Amiam, 2l)Aharon; das letzte
unvollständige Glied ist Eleazar, der beim Auszug schon eiu ge-
reifter Mann war'). Es versteht sich, dass eine solche Zeitrech-
nung zu der Einfalt der Sage passt wie die Faust aufs Auge.
„Die genauen ohronologischeu Angaben sind das sichere Gepräfl»
späterer Ausführung alter poetischer Sagen" sagt Buttmauu mit
Recht (I. p, 183). Es versteht sich femer, dass wenn die systema-
tische C'hronoltigie sogar bei den historischen Büchern erst ans der
Zeit des Exils stammt , sie beim Pentateuch noch späteren l'r-
spmugs sein muss. Denn für die geschichtliche Zeit hat sie wirk-
liche Anhaltspunkte gehabt; sie kann nicht von den Patriarchen
iiuf die Kiinige, sondeni nur von den Königen auf die Patriarchen
überfragen, sie muss von unten ausgegangen sein, wo sie alleiu
ein Fundament hat. Der Glaube an das hohe Alter der Umienscheu
ist zwar gewiss alt, aber die geschlossene Zeitrechnung, die sidl
auf die Zeugungsjahre stütjit, ist eine Künstelei, wodurch die ge-
lehrte Behandlung, wie sie sich für die Historie der späteren Zeit
auszubilden anfing, nun sogar auf die Ursage übertrage» Vi'urd«.
Nur naclidom der lebendige Gehalt der Sage völlig entwichen
wai-, konnte ihr Gerippe als Gemst der Chronologie benutzt
werden.
Buttmaun hat ebenfalls erwiesen, dass die Elemente der
zehngliedrigen Genealogie von P (Gen. ;>) und der siebengtiedngen
von JE (Gen. 4) gleich sind. In P ist am Schlüsse Nuub nm-h
hinter Lamech getreten und am Anfange hat sich Adam Kain
verdoppelt zu Adam Seth Enos Kainan. Da Adam mid Enos
sich decken, so läuft das hinaus auf Adam .'^eth Adam Kainan:
d. h. Adam Seth ist vorgesetzt, und mit Enos Kainan fängt die
Reihe von vorne an und zwar ebenso wie in JE. Der grösseren
Ursprünglichkeit der jehovistischen Genealogie stellt der Priester-
kodex selber ein merwürdiges Zeugnis aus. dadurch dass er dem
r.amecb, der nach ilim der neunte in der Reihe ist, ein Alter
von 777 Jahren gibt. Das erklärt sich nur aus JE, wo er der
siebente in der Reihe ist nnd ausserdem seine besondere Re-
'} So Nöldeke in den Jafarbli. für protent. Theo). 1875 p. 344. ba»s di«>
Uenerotioii ia dieser Periode zu 100 Jahren gerechnet wird, wird Gen. 15,
13 — 16 aoidräcklich angegeben.
Die Erzählung des Hexateuchs. 315
Ziehung zur Siebenzahl noch durch die Äusserung hervorhebt:
sieben mal rächt sich Kain und Lamech siebenundsiebenzig mal.
Auch darin zeigt sich die Posteriorität von P, dass hier der erete
Mensch nicht wie in JE ha Adam, sondern stets Adam ohne
Artikel heisst (5, 1 — 5), ein Unterschied, den Kuenen treflfend mit
6 yptatoc und Xpiorto; vergleicht. Nun ist aber gerade nach den
Voraussetzungen von P (Gen. 1) der erste Mensch bis jetzt nur
der Gattungsmensch; wenn er trotzdem 5, 1 einfach Adam ge-
nannt wird, als sei dies sein Eigenname, so kann das nur aus
Reminiscenz an Gen. 2. 3 erklärt werden, obwol sich dort die
Personificining noch nicht auf den Namen erstreckt.
Wir kommen zur Erzählung von der Sündflut Gen. 6 — 9.
In JE ist die Sündflut wol vorbereitet; in P würden wir ver-
wundert fragen, woher denn die Erde auf einmal so verderbt sein
soll, nachdem bisher alles in bester Ordnung gewesen, wenn wir
es nicht eben aus JE wüssten. Mit dem Sündenfalle, dem Bruder-
morde Kains, dem Schwertliede Lamechs, der Vermischung der
Gottessöhne mit den Menschentöchtern, überhaupt mit der ganzen
bestimmten und zwar düsteren Färbung der Urgeschichte der
Menschheit in JE ist im Priesterkodex auch die Motivirung der
Sündflut fortgefallen; dieselbe erscheint hier nun völlig unvor-
bereitet und abrupt. Im Stoffe der Erzählung stimmt die priester-
liche Version hier in aussergewöhnlichem Maasse mit der jeho-
vistischen überein; sie unterscheidet sich von ihr hauptsächlich
durch die künstliche, technisch - mathematische Regulirung der
Form. Die Flut dauert 12 Monat und 10 Tage, d. h. genau ein
Sonnenjahr; im Jahr 600 Noahs am 17. des 2. Monats tritt sie
ein, 150 Tage steigt sie, seit dem 17. des 7. Monats fällt sie
wieder, am 1. des 10. werden die Spitzen der Berge sichtbar, im
Jahre 601 am 1. des 1. Monats hat sich das Wasser verlaufen,
am 27. des 2. ist die Erde trocken. Zum Bau der Arche giebt
Gott, ebenso wie zur Stiftshütte, selber die Anweisung und die
Maasse: dreistöckig soll sie werden, und in lauter kleine Fächer
abgeteilt, 300 Ellen lang, 50 Ellen breit, 30 Ellen hoch; und
genau nach der Elle soll Noah sie machen. Beim höchsten
Wasserstande, am 17. des 7. Monats, steht die Flut 15 Ellen
hoch über den höchsten Bergen: bei all seiner Angst hat Noah
augenscheinlich doch nicht vergessen, das Senkblei auszuwerfen
und sich das Datum im Kalender anzumerken. Es ist klar, dass
»
:^1(', GMchichte der Tradition, Kip. S.
(luri'li dieses altkluge Ausmesaen und Nat-lirei'hiieii nicht die An-
echaulichlieit der Erzählung erhöht, sondern nur die Illusion zer-
stört wird. Überall wird der Sage das Idyllische und Niiive nairh
Kriiften abgestreift. Wie die IJauer der Flut von 40 Tageu (JE)
iiuf ein ganzes Jahr erhöht wird, so vntA auch ihre Au-s-
(lehnung uaermesslich gesteigert. Mit besonderem Nai;hdrui'ki'
betont es der Priesterkodex, dass sie ganz allgemein gewesen und
über alle die höchsten Bei^e gegangen sei — wozu er freilich
durch die Annahme gezwungen ist, dass das Menschenge-sthlechl
von vornherein über die ganze Erde sich ausgebreitet habe. ZüKe
wie die von dem Zuschliessen der Arche durch Jahve, von den
HUsgesandten Vögeln und dem abgebrochenen Olivenblatt wenU-n
übergangen, die dichterische Sage wird zur historischen Prosa
abgeflaclit. Gerade auf solchen kleinen Zügen beruht nun ah«r
der Wert und der Reiz der Erzählung, sie sind nicht Nebensache,
sondern für die Poesie Hauptsache, fierade sie kehren denn auch
ganz ähnlich in der babylonischen Veraion der Sündflutgeschicbte
wieder; wenn der Jehovist sich mit dieser näher herüiirt als der
Priesterkodex, so ist das ein Zeichen davon, dass sich bei ihm
der internationale Charakter dieser Trs^en noch treuer erhallen
hat. Am stärksten schimmert derselbe bei ihm durch in der
Motivirung der Süudflut durch die Verrücknng der Grenzen
zwischen Geist uml Floisch, durch die A'ermischung der Gottes-
söhne mit den Menschentöchtern; hier haben wir in JE noch ein
ziemlich unverfälschtes Stück mythischen Heidentums, welches in
P ganz undenkbar wäre.
Den Regenbogen hat allerdings der Priesterkodex gegenwärtig
vor dem Jehovisten voraus. Es ist aber zu bedenken, dass tuis
in Gen. 6 — 9 der jehoviatJsche Bericht nur verstfimmelt, der
priesterliche dagegen vollständig erhalten ist. l\'enn der Regen-
bogen sowol in JE als in P vorkam, so musste er notwendig
einmal gestrichen werden, und zwar in JE, gemäss dem sonst be-
folgten Verfahren des Redaktors. Es ist also leicht möglich, dass
er ursprünglich auch in JE nicht gefehlt hat; er passt sogar besser
zu dem simplen Regen, der hier die l'lut herbeiführt, als zu den
geöffneten Sclileusen des Himmels und Brunnen der Tiefe, welche
sie in P bewirken, und er hat hinter 8, 21. 22 eine weit schick-
lichere Stelle als hinter 9, 1 — 7. Im Priesterkodex ist zudem die
Bedeutung des Regenbogeus halb verwischt, teilweise durch, i
Die Erzählung des Ilexateuchs. 317
schickte Vergeschichtlichung, wodurch man den Eindruck bekommt,
als sei er entweder nur diesmal, nach der Sündflut, am Himmel
erschienen, oder als stehe er seitdem beständig da; teilweise durch
seine Verwendung als Zeichen des Bundes zwischen Elohim und
Noah, wobei man nach dem sonstigen Sprachgebrauch und nach
der Analogie von Gen. 17 an den Bund denkt, dessen Inhalt in
9, 1 — 7 dargelegt wird: der Regenbogen würde dann zum Gegen-
stücke der Beschneidung'). Der Bund d. h. das Gesetz 9, 1 — 7,
eine Modifikation der ersten, dem Adam gegebenen Ordnung
(1, 29. 30) für die nachsündflutliche, noch gegenwärtig fortdauernde
Weltperiode, ist für den Priesterkodex der krönende Schluss und
die Hauptsache der ganzen Erzählung, wie denn überhaupt bei
ihm das Interesse am Gesetz das einfache Interesse am Stoffe
gänzlich verschlingt. Sehr merkwürdig ist dabei, dass die Rache
für das vergossene Blut nicht Sache der Verwandten, sondern
Sache Gottes ist, und dass sie gefordert wird für den Menschen
schlechthin, sei er Herr oder Knecht, mit Ausschluss der Geld-
sühne. So einfach und ernst die Worte lauten: „wer Menschen-
blut vergiesst, des Blut soll durch Menschen vergossen werden,
denn nach seinem Bilde hat Gott den Menschen gemacht", so ist
doch der religiöse Begriff des Menschentums, der in den
noachischen Geboten hervortritt, auch bei den Hebräern nicht alt;
man vergleiche als Gegensatz Gen. 4, 15. 24 und Exod. 21,20 s.
Die Arche landet nach P auf dem Gebirge von Ararat. In
JE ist gegenwärtig überhaupt kein Landungsplatz angegeben. Das
ist indessen um so weniger ursprünglich, als sonst die mythische
Geographie überall jehovistisches Characteristicum ist. In P wird
die Urgeschichte nirgend lokalisirt, gleich von Anfang an wird die
ganze Erde dem Menschen zur Wohnung angewiesen. In JE da-
') Der Himmelsbogen ist ursprünglich das Werkzeug des pfeilschiessenden
Gottes und darum Symbol seiner Feindschaft; er legt ihn aber aus der
Hand zum Zeichen des abgelegten Zornes, der nunmehrigen Versöhnung
und Iluld. Wenn es gewettert hat, dass man vor einer abermaligen
Sündflut in Angst sein könnte, erscheint der Regenbogen dann am
Himmel, wenn die Sonne und die Gnade wieder durchbricht. Den Be-
griflF der blossen Wölbung hat Hl^'p im A. T. nicht, es bedeutet stets
den Kriegsbogen. Und was vor allem wichtig ist, auch die Araber
fassen die Iris durchaus als' Kriegsbogen Gottes auf: Kuzah schiesst
Pfeile von seinem Bogen nnd hängt ihn dann in den Wolken auf. Bei
Juden und Judengenossen hat der Regenbogen bis tief in christliche
Zeiten hinein eine merkwürdig nahe Beziehung zur Gottheit behalten.
Seltsam ist der edomitische Gottesnarae Kuus neben Kuzah.
31S
Geschichle dtr Tradition, Kap. -i
gegeiii Wuhnen sie zuerst im L.imle Eden, weit im Osten
auch hot'h iui Norden; von da vertrieben kommen sie ins Land
Nod, wo Eain die Stadt baut; und voll dieser ebenfalls noch sehr
ästliclien Gegend aufbrechend lassen sie sich im Lande Sinear
nieder, an der IMundnng dea Euphrat nnd Tigris, wo sie die Slmlt
Bahel bauen'). .Sinear ist der Ausgangspunkt der nicht mehr
bloss mythischen Weitgeschichte, die Heimat der gegenwärtigen
Menschheit: in diesem Punkte namentlich springt der Gegvnsatt
der lokalen üfslinimlheit dpr jeho\Tst Ischen Sage, die ihr den Cha-
rakter lies Idyllischen verleiht, gegen die v^:e Allgemeinheit der
anderen ins Äuge, In Sinear sind nach JE Gen. H, 1 — V noch
alle Menschen beisammen und wollen dorr auch beisammen bleiben.
Um nicht zerstreut zu werden, bauen sie sich eine grosse Stadt
die sie alle umfassen soll, und um sich einen Namen zu machen,
fügen sie einen liohen Turtn hinzu der an den Himmel reichen
soll: Jahve, ans solchen Anfangen die Gefahr eines weiteren Fort-
schrittes in dieser Richtung erkennend, fahrt hernieder ihre Sprache
zu verwirren nnd führt dadurch, auf gewaltsamem Wege, die Zer-
streuung der ihm in ihrer Einheit furchtbaren ^lenschheit
herbei. In P versteht es sich von seihst, dass sieh die Menäclien
auf der ganzen Erde zerstreuen; sie werden nie als an einem
Punkte wohnhaft vorgestellt — weshalb denn auch die Söndflut
hier mit Absiebt und Nachdruck als ganz allgemein beschrieben
wird. Die Zerteilnng der A'Ölker geht einfach auf geueatogischetn
Wege vor sich und hat die Zerteilnng der Sprachen nicht lur
Ursache, sondern zur Folge. Als begleitende Erscheinung finden
wir wiederum den merkwürdigen Unterschied der geistigen
Stimmung: was in JE als Unnatur, als nur begreiflich ans ge-
waltsamer ^'erkellmng des Ursprünglichen empfunden wird, das ist
in P das natürlichste von der Welt.
Üen Zeitraum zwischen der SUndtlut und Abraham fülll in
P noch einmal eine zehugliedrige Genealogie ans, die in JE, wu
sie nicht gefehlt haben kann, nach Analogie von Gen. 4 wahr-
J
') Nach tien. 6, I — t ülirif^i^ns wird durch di« Süudänt dos ^anit frühurv
Uenscheugescblecht ausgetilgt. Der Eutsclüiiss ti, 3 ^stattet keine Aus-
nahme; es darf uiemaDd, in deiu rieist und Fleii^di vermischt ist, die
Art auf Erden forlpflauzeD. Also anch Soah nicht. Wenn er gerettet
wird, so muss er entrückt werden, wie tlenocli. Darauf weist die auch
von Koni) gebrauchte Kedeusart liin: mit den Güttem wandelte Ko^
Henoch (der des Priesterkodt'x, nicht dpr des Jeliovisten) U3 " ""
Die Erzählung des Hexateuchs. 319
scheinlich siebengliedrig war, indem sie von Sem gleich auf Eber
überging und den Gross vater Naher ausliess (10, 21. 24. 24, 15.
29, 5); der letztere untei*scheidet sich in der Tat von seinem
gleichnamigen Enkel noch weniger als Adam von Enos. Der ur-
sprüngliche Wohnort der Therahiden ist nach P nicht wie in JE
(12, 1. 24, 4) Haran, sondern Ur Kasdim, was nichts anderes be-
deuten kann als Ur der Chaldäer. Von da soll Therah, der Vater
Abrahams Nahors Harans, mit Abraham und mit Lot, dem
Sohne des bereits veretorbenen Haran, ausgewandert sein. Nahor
müsste dann in ür Kasdim geblieben und Haran daselbst gestorben
sein. Beides ist vollkommen gegen die Meinung der Sachen. Es
ist trotz der verschiedenen Aspirata schwerlich sachgemäss, den
Mann Haran von der Stadt Haran zu scheiden und ihn wo anders
sterben zu lassen. Es ist ebenso unmöglich, Ur in Chaldäa für
den Wohnsitz Nahors — einerlei ob des Grossvatei*s oder des
gleichnamigen Enkels — anzusehen; es ist offenbar auf Verhält-
nisse der Wirklichkeit gegründet, dass der jedenfalls syrische Ort,
wo die Nahoriden Laban und Rebekka wohnen, in J die Stadt
Nahors und in E Haran heisst; in P selber wohnen Laban und
Rebekka, trotzdem dass Naher in Ur bleibt, nicht in Chaldäa,
sondern in Paddan Aram, d. h. im mesopotanischen Syrien. Zum
Beweise, dass Ur Kasdim nicht in die ursprüngliche Gestalt der
Tradition hineingehört, kommt noch hinzu, dass wir bereits mit
Serug, dem Vater Nahoi-s, weit von Babylon weg nach Westen
gerückt sind. Serug ist der Name einer nördlich an Haran gren-
zenden Landschaft; wie soll nun der Sohn Serugs plötzlich nach
Ur Kasdim zurückspringen! Welche Gründe dazu bewogen haben,
Babylonien zum Ausgangspunkte Abrahams zu machen, sei dahin
gestellt; nachdem er aber mit Therah von t^r Kasdim aufge-
brochen ist, kommt er seltsam genug doch vorerst nur bis Haran
und bleibt dort bis zu seines Vaters Tode; nach Palästina wan-
dert er auch in P ei^t von Haran aus ein. ^V'enn diese Ver-
doppelung des Ausgangspunktes nicht aus der Absicht den An-
kurireu, als die zwei Geretteten aus dem vorsüudflutlicheu Gesehlechte.
Im Buche Ilenoch macht sich diese Konkurrenz fühlbar. Nach Henoch 17
wird Ilenoch, wie der babylonische Noah, an die Mündung der Ströme
versetzt. Nach Usener ist auch der Ararat eigentlich der Gottersitz, zu
dem Noah entrückt wird. Das Fahren im Schiff und den Wein hat
Noah mit Dionysus gemein.
I
32lJ üeschkhte iler Tradilion, Kap. 8.
schluss au JE zu orreicbeu ent^pruugen ist, so giebt es überhaupt
keiue Hai'monistik.
3. Mehr und mebi* gewinut jetzt glücklicherweise die Ausiuht
Buden, ilass in der mythischen Universalgeschichte der Menschheit
(Jen. 1 — 11 die Jehovistische Version altertümlicher sei als die
priesterliche. Zu dieser Ansicht wird man in der Tat genöt^, wenn
mau einsieht, Aass der Stoff hier nicht israelitischen, sondern all-
gemein ethnischen Ursprunges ist. Von diesem Ursprünge hat der
Jehovist die Spuren weit deutlicher bewahrt, darum hat sich auch
die vergleichende Mythologie unwillkürlich vorzugsweise an seine
Berichte gehalteu. Veränderungen hat die Urgeschichte aUei-dings
auch bei ihm erlitten; der mythische Charakter ist stark verwischt,
allerlei israelitische Elemente sind eingedrungen. Schon der aus
religiöser Eifersucht begangene Brudermord Kains, mit dem Hinter-
grunde des Gegensatzes zwischen dem friedlichen Leben der He-
bräer im Lande Kanaan und dem unrahigen Schweifen iler Kai-
niter iu der angrenzenden Wüst«, fällt ganz aus dem allgemeinen
geschichtlichen und geographischen Rahmen hinaus. Noch mehr die
Verfluchung Kanaans; hier ist der augenscheinlich alte Zug, dasa
Noah den Weinbau eingeführt hat, zu einem nebensächlichen In-
grediens einer ausgesprochen national-israelitischen Erzählung ge-
worden. Aber im Jehovisten ist doch die Entleerung der Ursage
von ihrem eigentlicheu Sinn und Gehalt bei weitem nicht so weit
vorgeschritten wie im Priesterkotle.i, wo es geradezu auffallt, wenn
noch einmal etwas Mythisches durchschimmert, wie bei Henoch
un<l bei ilem Regenbogen.
Der mytiiische Stofl" der ältesten ^Veltgeschicht« ist beim Jeho-
visteu mit einem eigenartigen, düsteren Ernste erfüllt. Es steckt
eine Art antiker Geschichtsphilosophie darin, die nahe au Pessi-
mismus sti-eift: als seufzte die Menschlieit uuter einem ungeheureu
Druck, nicht sowol der Sünde, als der Kreatürlichkeit ((!, 1 — 4).
Es herrscht eine scheue heidnische Stimmung; das gelegentliche
Hasseln an den Ketten verschlimmert nur die Gebundenheit der
raeuscldichen Natur, die entfremdende Kluft zwischen Mensch und
Gottheit lässt sich nicht, ausfüllen. Jalive steht nicht hoch genug,
fühlt sich nicht sicher genug, um den Erdbewohnern eloe alUn
grosse Annäherung zti verstatten; der Gedanke vom Neide der
Gottheit wird gestreift. Wenn auch schon vielfach gemildert liegt
diese Stimmung dennoch erkennbar geimg in Gen. 2. 3, in 6,1
Die Erzählung des Hexateuchs. 321
und 11,1 — 9 zu gi-unde. Im Priesterkodex ist sie vollständig
verechwunden; hier fühlt sich der Mensch nicht mehr unter ge-
heimem Bann, sondern gottverwandt und fi-ei, als Herr der Natur.
Wol erkennt auch der Priesterkodex, wie wir in dem Kapitel
über die Opfer gesehen haben, die Macht der Sünde in seiner Weise
an; aber die Sünde, als erklärende und ausrottbare Wurael des
Verderbens, steht im Gegensatz zu dem dumpfen unabwendbaren
Verhängnis; die Sündenknechtechaft und die Freiheit der Kinder
Gottes sind im Evangelium Correlata. Mit der Zerstörung der
mythischen Anschauungsweise durch die Autonomie der Moral hängt
enge zusammen die verständige Naturbetrachtung, deren Anfänge
wir im Priesterkodex finden; ihre Voraussetzung ist, dass der Mensch
sich selber als Pei'son über und ausser die Natur stellt und sie
schlechtweg als Sache betrachtet. Man darf vielleicht behaupten,
dass ohne diesen Dualismus des Judentums die mechanische Natur-
wissenschaft nicht vorhanden wäre.
Die Entfärbung der Mythen ist gleichbedeutend mit Hebrai-
sirung. Scheinbar hebraisirt der Priesterkodex weniger als der
Jehovist, er hütet sich grundsätzlich vor Vermischung der Zeiten
und Sitten. In Wahrheit hebraisirt er viel stärker; indem er den
ganzen StolT nach dem Maasse zuschneidet, dass er als Vorstufe
der mosaischen Gesetzgebung dienen kann. Schon der Jehovist
hat allerdings diese ethnischen Sagen an die Schwelle seiner hei-
ligen Sage gesetzt und sie vielleicht unter dem Gesichtspunkte,
dass sie als Einleitung dazu passen, ausgewählt; denn sie sind
durchweg ethischen und geschichtlichen Inhalts, sie betreffen die
Probleme der Menschenwelt, nicht die der Natur. Aber beim
Jehovisten kommt doch die Individualität der einzelnen Geschichten
noch einigermaassen zu ihrem Rechte; im Priesterkodex ist die-
selbe durch den Zweck des Ganzen nicht bloss modificirt, sondern
vollkommen zerstört. Der auf die Thora Moses abzielende Zu-
sammenhang ist alles; die einzelnen Glieder bedeuten nichts mehi\
Natürlich wird dadui'ch auch der Zusammenhang selber vollkommen
leer; er besteht abgesehen von den Bundschliessungon nur in
Genealogie und Chronologie. De Wette findet das alles schön,
weil symmetrisch, durchsichtig und zweckvoll konstruirt. In-
dessen ist das nicht jedermanns Geschmack; es gibt auch eine
ungemachte Poesie des Stoffs, und sie verdient auf diesem Gebiete
den Vorzug.
Wellbansen, Prolegomeoa. 5. Aufl. 21
»
322 Gpsflhiclite der TrniHtiön, K.-i|i. S.
II.
1. Audi in der Patriarchengescliichte ist der Grundriss der
gleii^lie in I* und JE: Abrahams Einwanderung in Kanaau mit
Sara und Lot, seine Trennuug von Lot, Ismaels Gebort vuu der
Hagar, Erscheinunj^ Gottes zur Verheissung Isaaks^ Isaaks Gebart.
Tod Saras und Abrahams, Ismael, Isaaks Beirat mit R«b«kka,
Jakiib und Esan, Jakobs Reise nach Mesopotamien uud seine Fa-
milieniiründuny daselbst, seine Heimkehr, Esau, Joseph in Agj'pten,
Jakub in Aj^pten, Jakobs Segen über Joseph und seine übrigen
Söhne, sein Tod und sein Begräbnis, Der Stoff ist hier nicht
mythisch, sondern national; darum durchsichtiger und in gewissem
Sinne historischer. Freilich über die Patriarchen ist hier kein
historisches Wissen zu gewinnen, sondern nur über die Zeit, in
welcher die Erzählungen über sie im israelitischen Volke eut-
standen; diese spätere Zeit wird hier, nach ihren inneren und
äusseren Grundzägen, absichtslos ins graue Altertum pi-ojicirt nud
spiegelt sich darin wie ein verklärtes Luftbild ab. Das Knochen-
gerüst der Erzvärersage bildet bekanntlich die ethnographische
Genealogie. Die Leastämme werden mit den Ralielstäniraen unter
dem gemeinsamen Vater Jakob-Israel zusammengefasst, demnächst
das ganze Israel mit dem Volke Edom unter dem alten Nameu
Isaak (Arnos 7, 9. l(i), weiter Isaak mit Lot. dem Vater von Moab
und Ammon, unter Abraham; zusammen werden diese uah ver-
wandten und einst eng verbundenen hebräischen ^'ölkerschai'tBU
in enge Beziehung gesetzt zu den Bewohnern der mesopotamischeii
Wüste und in scharfen Gegensatz zu den Kanaaniten, in dereu
Lande sie wohnten. Das historische Nacheinander uud Nebenein-
ander ist in Wahrheit nur statistische Subordination und Koor-
dination; in IVirklichkeit sind gewöhnlich die Elemente älter als
die Gruppen und die kleineren Gruppen älter als die grösseren. Die
etwaijfen Wanderungen der Völker und Stämme sind notwendige
Folgen des angenommenen ^'erwandtschaftsverliältnisses. Ganz
ähnlich liesse sich noch jetzt in jedem Augenblick die Statistik
eines beliebigen Volkes in der Form einer genealogischen L rg'-'-
Bchichte darstellen. Eine unmittelbare Wiedergiibe der bestehenden
Verhältnisse ist allerdings die Genealogie nicht. Ob ein Stamm
der Vetter oder der Bruder oder der Zwillingsbruder eines andere«,
oh er überhaupt mit ihm verwandt oder nicht verwandt ist, lässt
Die Erzählung des Hexateuchs. 323
sich nicht so objektiv feststellen; die Verwandtschaft kann ver-
schieden aufgefasst und gedeutet werden, die Gruppirung hängt
immer etwas ab von dem Standpunkte des Genealogen, sogar
von seinen Zuneigungen und Abneigungen. Die nahe Beziehung,
in welche die Aramäer zu den Israeliten gesetzt werden, wird sich
wol daraus erklären, dass die Patriarchensage im mittleren und
nördlichen Israel ihren eigentlichen Boden hat, vde das aus der
ausgesprochenen Vorliebe für Rahel und Joseph klar erhellt. Wäre
sie judäischen Ursprungs, so >^ürden wahrscheinlich die jetzt un-
gebührlich in den Hintergrund gedrängten kainitischen Tribus der
Sinaihalbinsel viel stärker hervortreten, da sie zweifelsohne für die
älteste Geschichte Israels keine geringe Bedeutung gehabt haben.
Auch an scheinbaren Widersprüchen mangelt es in der ethno-
graphischen Genealogie nicht; Ismael, Edom, und die eben er-
wähnten kainitischen Tribus stossen sich mehrfach miteinander:
das erklärt sich ganz natürlich aus verschiedener Auffassung und
Gliederang der Verwandtschaftsverhältnisse. Hinzuzufügen ist end-
lich noch, dass die Form der Genealogie an sich sehr bunten In-
halt aufzunehmen verträgt. In der Patriarchensage wiegt jedoch
das ethnographische Element durchaus vor. Nur Abraham ist ge-
wiss kein Volksname wie Isaak und Lot; er ist überhaupt ziemlich
undurchsichtig. Natürlich wird man ihn in diesem Zusammen-
hange darum doch nicht für eine geschichtliche Person halten
dürfen; eher noch könnte er eine freie Schöpfung unwillküi^icher
Dichtung sein. Er ist wol die jüngste Figur in dieser Gesellschaft
und wahrscheinlich erst verhältnismässig spät seinem Sohne Isaak
vorgesetzt ').
^) Die Erzählunp^en über Abraham uud über Isaak sind sich so ähnlich,
dass an gegenseitige Unabhän^agkeit nicht zu denken ist; die über Isaak
aber sind ursprünglicher, wie das besonders schlagend aus einem Ver-
gleich von Gen. 20, 2 — 16 mit 26,6 — 12 sich ergibt: die kur/.e und
profane Version, worin Isaak der Held ist, ist die lebendigere und
motivirtere, die lange und erbauliche, wo Abraham au seine Stelle tritt,
steigert die mögliche Gefahr zur wirklichen, macht dadurch das Ein-
greifen der Gottheit notwendig und erreicht auf diese Weise eine Ver-
herrlichung des Patriarchen, die er sehr wenig verdient hat. Freilich
finden sämtliche Erklärer der Genesis in Kap. 20 das Original von Kap. 26,
aber sie stützen ihr l'rteil nicht auf die Vergleichung der Parallelen,
sondern weil der Vater älter ist als der Sohn, halten sie auch die Er-
zählungen über den Vater für älter als die entsprechenden über den
Sohn und sehen überhaupt in Isaak lediglich einen Abklatsch Abrahams.
Gegen diesen beinah zu nahe liegenden Grundsatz erhebt sich jedoch
das Bedenken, dass sich in der späteren Entwicklung der Sage deutlich
21*
324
Geschiclile der Tradition, Kap. 8.
I
liieses Gerippe der ethnognipMschen Genealogie fm
nun beim Jehovislen ilberall mit Fleisch und Blot belebt. T)ift
Erzväter Abraham Isaak nnd Jakob sind nicht blasse Xamen,
sondern lebendige Gestalten, Vorbilder des rechten Israeliten,
Alle sind sie friedliebende Hirten, zu ruhigem Wohnen bei den
Zelten geneigt, bemüht dem Streit und Zank ans dem Mes» in
l^elm, unter keinen Umständen bereit Gewalt gegen Gewall xa
setzen nnd Tm-echt mit dem Schwerte abzuweisen. Mutig und
mannhaft sind sie nicht, aber gute Hans«irte, ein wenig unter
der Herrschaft ihrer mit mehr Temperament ausgestatteten Ehe-
frauen. Sie dienen dem Jahve wesentlich in der selben Weise
«ne in gesi'hicbtlicben Zeiten ihre Nachkommen; ihre Frömmigkeit
besteht nicht bloBs in Opfern, eondeni in rechtschaffnem Wandel
nnd in gläubiger Ergebung in Gottes Fügung. Jakob ist realisti-
scher gezeichnet als die beiden anderen; List und Gewimisocbt
zeichnen ihn aus, und diese Eigenschaften führen ihn schliesslich
immer zum Ziele. Aus jeder Fährlichkeit und schwierigen Lag»
kommt er nicht bloss mit heiler Haut, sondern ndt Gewinn da-
von; Jahve hilft ihm, aber vor allem hilft er sich doch selber,
ohne in seinen Mitteln nach unserem Geschmacke sehr wählerisch
KU sein. Die Erzählungen über ihu machen am wenigsten ein
moralisclies Gesicht, im Grunde leuchtet ans ihnen nur die helle
Freode über alle gelungenen Künste und Griffe des Ei-zschelms.
Unter den Nebenligureu ist besonders Esau mit \orliebe gezeich-
net, <Unn Laban und der gebrechliche Heilige I^t; Ismael wird
als das Urbild des Beduinen geschildert, als ein Waldesel von
Mensch, dessen Hand gegen jedermann ist und jedermanns Hand
gegen ihn, nnd der alten seinen Brüdern auf der Nase sitzt. Auf-
fallend ist es, dass die Helden der israelitischen Sage so wenig
div nicbtUQg verfolgen llsttt, Abnibaoi zum Erzvater par exccllfiicv tu
machen und die anderen zu verdunkelu. In der älteren Literatur da-
gegen komuit l«aak schon bei Arnos, Abraham aber zuerst Isa. iO — «6
vor: Uicha T, ^ ist nnchexilisch und iu Isa. 39, 23 sind die Worte
der Abraham erlöütc unecht, sie haben keine mögliche Stelle im
^atze und die Vorstellung von der Erlösung Abrahams (aus dem Feuer
der Chaldöer) bomnit erst sehr spät vor. Es ßllt mir übrigeus uicbt
eia zu behaupten, dass zur Zeit des Arnos Abraham noch uubekuunt
gewesen «Ire: nur stand er schwerlich schon mit Isaak und Jakob
aof gleicher Stufe. Als Heiliger von Hebron künute er kalibbäi9ch>n
Ursprunges sein und mit Ram (l.Chrau.S) zusnatmeohäDgen ; Abram
für Abiram ist ebenso wie Abner für Abiner und Abah fnr Ahiab.
Die Erzählung des Hexateuchs. 325
kriegerisch sich zeigen, insofern scheinen sie nicht gerade der ge-
schichtlichen Ali des israelitischen Volkes zu entsprechen. In-
dessen ist es doch nicht so unbegreiflich, dass ein Volk, welchem
in der Gegenwart ewiger Krieg aufgezwungen wurde, nicht bloss
von einem e^^igen Frieden der Zukunft träumte, sondeiii auch
seines Herzens Wünsche in diesen friedlichen Gestalten der gol-
denen Vorzeit verkörperte. Daneben muss man bedenken, dass
das friedliche Hirtenleben der Patriarchen durch die idyllische
Form der Vorgeschichte des Volkes veranlasst ist; Kriege können
nur Völker oder Stämme führen, aber nicht einzelne Männer').
Daraus wird man sich erklären müssen, dass im persönlichen Cha-
rakter der Patriarchen das Selbstbewusstsein der Nation so wenig
zum Ausdrack kommt. Dasselbe macht sich nur Luft in den
eingelegten Weissagungen über die Zukunft; hier spüren wir den
nationalen Stolz, der die Frucht von Davids Taten gewesen ist,
aber immer schon verklärt zu religiöser Gehobenheit.
Viel lebhafter als in den persönlichen Charakterzügen der
Patriarchen, in denen sich wesentlich nur der einzelne Israelit
nach seinem Wesen und nach seinen Wünschen abspiegelt, zeigen
sich die historisch-nationalen Bezüge in den Verhältnissen der-
selben zu ihren Brüdern, Vettern und übrigen Verwandten. Da
blickt überall der Hintergrund, bricht überall die Stimmung der
israelitischen Königszeit durch. Am deutlichsten geschieht das
vielleicht in der Erzählung über Jakob und Esau. Schon im
Mutterleibe stossen sich die Zwillinge*), schon bei der Geburt will
der jüngere dem älteren nicht den Vortritt lassen und versucht
ihn an der Ferse zurückzuhalten. Das wird der besoi*gten Mutter
von dem Orakel zu Beerseba also erklärt: zwei Nationen sind in
deinem Leibe und zwei Völker scheiden sich aus deinem Schoosse,
das eine wird das andere überflügeln und das ältere dem jün-
geren dienen. Die Knaben entArickeln sich sehr vei*schieden, Esau
schweift als rauher und gebräunter Jägersmann in der Wildnis
und lebt unbekümmert in den Tag hinein; Jakob, ein frommer
*) Diese Erwägung ist allerdings weniger durch schla«j^end als die voran-
gehende. Nicht bloss der idyllischen Form wegen ist Jakob ein fried-
licher Hirt, sondern er ist es seinem innersten Wesen nach, im ausge-
sprochenen Gegensatz zu seinem Bruder Esau, der trotz der idyllischen
Form kriegerisch ist. Ausnahmen wie Gen. 14 und 48, '2'2 (Kap. 34) i»e-
stätigen nur die Regel.
*) wie Eteokles und Polynikes.
i'scliiL'lil« der Tradili
li^liitter MuüD, bleilit liubeim bei den Zelten uud verstelii
Wert (1er Dinge, die sein argloser Bruder nicht arhtet. Jener ist
der Liebling seines Vaters, des Äntoththoiien Isiiak, diestn' wird
von seiner Mutter, der Aramäeriu Kebekka, bevoniagt; jener bleibt
in der Heimat und nimmt sioh seine Weiber aus der UrbevölWe-
rimg des südlichen Kanaans und der Sinaihalbinsel, dieser wan-
dert aus und holt sie sich aus Mesopotamien. Deutlich wird
damit der Gegensatz der spätei-eu Volkertjpen vorgespielt, des
ruhen urwüchsigen im Boden wurzelnden Edora, und des glatteren
civilisirteren den Weltmächten naher stehenden Israel. Durch
Trug und List gelingt es dem jüngeren Bruder, den älteren um
ilen Segen des \'aters und am das Recht der Erstgeburt zu brin-
gen; in folge dessen nimmt sich dieser vor ihn zu töten, und ihr
Verhältnis wird sehr gespannt. Edom war l'rüher als Israel ein
Volk und Reich gewurden, wurde aber dann von Israel überflügelt
und schliesslich durch David auch unterworfen; in folge dessen
entstand der Hass zwischen den Brudervölkern. Dass dies
die geschichtliche Orundlnge der Sage ist und als solche empfunden
wird, erhellt ganz klar aus dem Wortlaut des Segens Isaak; hier
wini sogar schon Bezng genommen auf öfters wiederholte Versuche
der Edomiter, das israelitische Joch abzuschütteln, und diesen Ver-
suchen wird schliesslich ein glücklicher Erfolg verheissen. Vor
David können sich also die Erzählungen über Jakob und Esau
nicht einmal in ihren Grundzügen gebildet haben ; in ihrer jetzigen
(iestalt (Gen. 27, 40) blicken sie sogar noch auf weit spätere
Zeiten voraus. Bei diesem Wurzeln der Sage in der späteren fie-
schichte, das im Jehovisten so unverholen an tage tritt, ist es denn
auch nur eine scheinbare Sprengung des historischen Rahmens,
wenn gelegentlich ein Verzeichnis der edomitischen Könige bis auf
David hergesetzt wird, mit eingestreuten chronistischen Bemerkungen,
wie z. B., dass Uadad ben Bedad (etwa gleichzeitig mit Gideon)
die Midianiter geschlagen habe auf dem Felde Mnabs. Ein weiteres
Beispiel, wo der zeitgenössische Hintergrund recht klar linrch die
Patriarchengeschichte hindurchschimmert, bietet die Erzählung von
Jakob und Laban dar. Dem von Äram nach dem Jordaulande aus-
wandernden, halb flüchtigen Hebräer folgt der aramäische Schwiegen
vater auf dem Kusse und ereilt ihn in Gilead: dort vertragen sie
sich miteinander und türmen einen Wall auf, welcher die Grenze
zwischen ihnen bilden soll, welche sie sich verpflichten zu i
Die Krzrtliliiiiij di-s Hesutuuclis. 327
nnd nicht feindlich zu iiberschreiteu. Das entspricht dum wirk-
lichen Sachverhahe, ilass der helirälschen EiDwuuderuiig in Knriuan
die aramäische folgte und sie zu überiiuten drohte, dass Gilead das
Grenzland zwischen den beiden Völkern war und lange Zeit der
Schauplatz der grimmigsten Kämpfe zwischen ihnen. Auf die
Syrt'rkriege wird auch im Segen Jakohs, iu dem Spruche über
Joseph, itezug genommen; die PfeUschützen, die Joseph arg be-
drängen, ihn aber nicht zu überwältigen vermögen, können nur
die Aramäer von üamuskos sein, deren Angriffen er ein Jahr-
[lltindert lang ausgesetzt war; Joseph erscheint hier durchaus als
jder Träger des uordisraelitischen Königtums, als der Diademträger
"Unter seinen Brüdern, wozu er ja auch schon durch seine frühe-
»ten Traume bestimmt wird. Sonst acheinen allerdings der Er-
'izKblung über Joseph, soweit sie überhanpt durchsichtig und nicht
'Produkt freier Poesie ist, weit ältere geschichtliche Tatsachen zu
gründe zu liegen, ans einer Zeit wo sich die Vereinigung der
l>eideu Hälften des nachmaligen Volkes Israel gerade erst vollzog,
wenngleich in der Eifersucht der Brüder auf ihn ein späteres
Motiv eingemischt sein mag. Ebenso sind auch die geschicht-
ttchen Beziehungen, die den Erzählungen von den ühr^en Söhnen
Jakobs zu Grunde liegen, verhältnismässig sehr alt; sie liefern
nntf beinah die einzigen Nachrichten über die grosse Veränderung,
welche bald nach Moses in dem Bunde der Stämme vor sich ge-
gangen sein muss. Diese Veränderung hat besonders die zusam-
mengehörige Ornppe der vier alten Leastämme betroffen. Ruhen
hkt sich zu früh die Itecbtc des Vaters angomasst und verliert
den Primat. Simeon und Levi unternehmen eigenmächtig einen
treulosen Oberfall gegen die Kanaaniter, Gesamttsrael lässt sie
die Folgen allein tragen, sie erliegen der Rache ihrer Feinde
imd lösen sich als Stämme auf. Dadurch geht die Erstgeburt auf
Juda über. Zwar wird auch Juda, ohne Zweifel in den Kämpfen,
welche die Ansiedluug im Lande Kanaan begleitet haben, arg
mitgenommen und auf einen kleineu Teil seines alten Bestandes
herabgemindert, aber hier wird die Lücke ausgefüllt durch frischen
Znwachs von dem Mutterboden der Leastämnie her, durch die
Verbindung von Pheres und Zerah, d. i. von Kaleb Kenaz Kain
Jerahmeel, mit dem Reste des allen Juda. Sicher liegen den
jehovistischen Ei-zählungen über Rüben Simeon Levi Juda Tat-
sachen aus der Zeit der Erobeninf; des heiligen Landes zu gründe;
es ist iii'lessen hier nicht dw Ort die gesehiditlicln^ Deutuns^ U'>i'''
weiter aoeziifüiireii. Ausdrücklich al)er möge noch hemerlrt werden,
dass noch da, wo die liistorischon Motive ^niiz uiizweidetitig in
der Patriarchensage sich verraten, doch nicht einfach die Wirk-
lichkeit darin transponirt ist. Edom kommt dem von Mesopota-
mien Kurückkehrenden Brnder, der in grösster Angst vor ihm ist,
mit rührender Versölmlichkeit entgegen; es ist ein Zuu;, der der
historischen Wirklichkeit nicht entspricht, der aher den alten
Israeliten nicht geringe Ehre mauht.. Daneben ist auch ein Vnll von
offenbarer Gehässigkeit zu verzeichnen, nämlich Gen. 19, 30 — 3."i,
wo insbeaontiere die anffallenrte Nametilosigkeit der Töchter Lots
beweist, dass sie lediglich zum Zweck der Blutschande zwischen
Lot imd seine Söhne Moab und Amnion eingeschoben sind. Sjnn-
pathien und Antipathien mischen sich überall ein, dabei wird
durchgehens der nordisraelitische 8tandpunkt eingenommen, wie
sich besonders klar daraus ergibt, dass Rahel die schöne und
geliebte Frau Jakobs ist, die er eigentlich allein haben wollte, Lea
die hässliche und zurückgraetzte, die ihm nur untergeschoben ist ').
Im ganzen werden die Gegensätze der Wirklichkeit in dieser poe-
tischen Verklärung eher ausgeglichen als verschärft, die verbin-
denden Momente treten stärker und absichtlicher hervor als die
trennenden. Von eigentlichen Anspielungen detaillirter und per-
sönlicher Art, z. B. auf die unsauberen Vorgänge am Hofe Davids,
ist nichts zu bemerken, so wenig wie von gemachter und versteckter
Tendenz.
Diese Geschichten würden nun aber in der Luft schweben,
wenn nicht noch andere Elemente hinzukämen, durch die es be-
wirkt wird, dass sie an einer bestimmten ürtlichkeit haften. Vor-
zugsweise kommt es in dieser Hinsicht in betracht, dass die Pa-
triarchen als die Begründer des volkstümlichen Kultus zu Sichern,
Bethel, Beerseha und Hebron ungesehen werden, wie wir bereits
oben p. Stlsü. gesehen haben. Eine ganze Reihe von Erzähltitu^n
über sie sind Kultusmythen: sie entdecken darin durch eine Theo-
phanie, dass ein bestimmter Fleck Landes heiliger Boden sei, er-
richten dort einen Altar und nennen ihn nach dem Namen dos
Ortes. Sie wohnen ausachliesslich au Stätten, die späteriiin als
') Es ist daraus aber nur zu arhtiesaen, dass die Sitgeu iirspränglicb üi
Ephraim entstanden, nicht dass sie dort auch in ihrer uns TorliegendMi
Gestalt niedergescliriel'en sind.
Die Erzählung des Ilexateuchs. 329
uralte Heiligtümer galten, und inauguriren den Opferdienst da-
selbst. Die Bedeutung dieser Erzählungen hängt ganz und gar
von dem Lokal ab; Interesse haben sie nur für diejenigen, die
noch immer an dem selben Altare wie einst Abraham dem Jahve
opfern, unter der selben heiligen Eiche More oder Mamre. Ähn-
lich finden oder graben die Patriarchen die Grabhöhlen, die Quellen
oder Brunnen, pflanzen sie die Bäume, die ihre Nachkommen noch
nach Jahrtausenden heilig oder doch in Ehren halten. Es kommt
auch vor, dass auffallende oder bedeutungsvoll scheinende Forma-
tionen der Landschaft durch einen Vorgang aus der Patriarchen-
zeit legendarisch erklärt werden. Wäre die sonderbare Einsen-
kung nicht, in der das Tote Meer liegt, so wüi-den Sodom und
GomoiTha nicht untergegangen sein; wäre nicht die kleine flache
Landzunge, welche von Südosten her in den Sumpf sich vor-
streckt, so lÄ^-de Lot alsbald auf die Berge seiner Söhne Moab
und Ammon geflohen sein und nicht erst den Umweg über Soar
gemacht haben, welcher bloss den Zweck hat zu erklären, warum
dieser Zipfel vom „Einstürze" ausgenommen ist, zu dessen Gebiet
er doch eigentlich gehört. Die Salzsäule, zu der Lots Weib ver-
steinert worden war, wurde noch zur Zeit des Josephus gezeigt;
\delleicht hat auch der Ofenrauch, den Abraham am Morgen nach
der Katastrophe vom judäischen Ufer aus aufsteigen sah, eine Be-
ziehung zu einer dort gelegenen gleichnamigen Stadt'). Die Ent-
stehung des Gebii'ges Gilead wird durch seine historische Bedeu-
tung erklärt; es ist ein ungeheurer Wall, der einst von Laban
und Jakob aufgetürmt wurde, um als Grenze zwischen Aram und
Israel zu dienen. Manchmal haben die Namen der Orte Anlass
zur Entstehung einer Legende gegeben, die nicht immer den
wahren Grund der Benennung trifit. Letzteres ist zum Beispiel
der Fall bei der Quelle von Lahai Roi, durch deren Entdeckung
Hagar und Ismael vor dem Verschmachten gerettet werden. „Hagar
nannte den Namen Jahves, der mit ihr redete, El Roi (Gott des
Schauens), denn sie sprach: habe ich die Gottheit geschaut und
bin am Leben erhalten nach meinem Schauen! Darum nennt
man den Brunnen Beer Lahai Roi (lebendig ist wer mich schaut),
er liegt zwischen Kades und Berdan." Nach Jud. 15, 9 — 19.
]l2*^in Jos. 15, 62 heisst wol riclitiger (IC^^rrii da. der Name wegen
des vorgesetzten Artikels eine klare Bedeutung erkennen lassen muss.
330 beschichte der Traditi'ou, Kup. 8.
2. Silin. 23, II wini Lahai Roi richtiger zn erklären seiu: Kiiiu-
liirle iler Bergziege (oder eines anderen derartigeu Tieres) — so
heiBst nach dem Aussehen eine Reihe uebeii einander steJieader
Felszähne ').
Der hiermit aufgezeigte renlc Kern der Sage erscheint aber
weiter im Jehüvisten überall und immer überkleidet von dem
bunteu Gewebe der Phantasie. Die volkstümliche Phantasie gpielt
nun wol wie sie will; doch macht sie nicht solche Sprünge,
dass man ihr nicht nachgehn könnte. Wunder, Engel, Gotte»-
erecheinungen, Träume fehlen nie auf der Palette. Ganz gewöhn-
licher Aberglaube liegt zu gründe, wenn Rahel durch den Genuss
der ihr von Lea abgetreteneu Alraunen, die Rubeu gefunden bat,
fruchtbar und mit Joseph schwanger wirtL Echt Mythisches findet
sich vereinzelt in dem Rijigen Jakobs mit der Gottheit an der
Jabbokfurt. Sehr beliebt sind Etymologie und Spruch .ils Aus-
gangspunkte von oft sehr lebendigen bunten Erzählungen. Auch
hinter dem, was man für individuelles Kunstprodukt halten möchte,
stecken dennoch oft alte volkstümliche Motive. Ganz und gar ans
solchen zusammengesetzt ist zum Beispiel die Geschichte Jakobs
und Labans. Die Brautwerbung am Brunnen wiederholt sich
ganz ahnlich noch zwei mal; dass der Schwiegervater die iüt«ste
Tochter zuerst los werden will und sie dem Eidam nach dem
Hochzeitsgelage untersclüebt, ist ebenfalls schwerlich Erfindung
eines einzelnen; die Hirtenkunststücke, wodurch Jakob die Schilfe
beliebig larbt, zeigen g;inz die Art des Volksschwiinkes. Eine sehr
beträchtliche Stelle nimmt gehaltene oder verletzte Gastfreundscliaft
in der jehovistischen Genesis ein; dass unerkannt die Gottheit
selber von Lot bewirtet, von den Sodomiten freventlich augetaätet
wird, ist ein bekannter überall wieder auftauchender Zug, Psycho-
logische Ausschmückung, eigentliche Mache ist sehr weniges; das
meiste beruht auf der in einander greifenden unwillküilichen Arbeit
Uuaähliger. Wie bildsam und lebendig der Stolf noch im iidaateu
oder achten Jahrhundert gewesen sein muss, zeigen tue vielfac
Varianten und Dubletten, die gleichwol den (Tnuidcharakl«
Themas kaum verändern.
') \gl. Onu^oiuthos nad die Kamelsbitmlade , Jokiit IV. 353, Sa.
dVi Gen. IC, 13 ist Cüh» in lesen (vgl, 1, Sam. 8, 13) imd vor '
etwa 'nj(l einzuschieben.
Die Erzählung des Ilexateuchs. 331
Noch einen Zug zur Charakteristik des Jehovisten muss ich
hinzufügen. Seine Erzählungen sind jede für sich und einzeln zu
verstehn; die Genealogie dient nur dazu sie aufzureihen, ihr
Interesse und ihre Bedeutung bekommen sie aber keineswegs erst
aus dem Zusammenhang. Die lokale Färbung so vieler unter
ihnen beweist lokalen Ursprung, und wie manche stosseu sich im
gründe genommen und stehn nur gezwungen bei einander! In
dem ganzen literarischen Charakter, in der lockeren Fügung der
jehovistischen Patriarchengeschichte zeigt sich wie allmählich die
Elemente zusammengebracht, wie wenig sie schon mit einander
verwachsen sind. In diesem Punkt steht die Patriarchengeschichte
der Uraage des Jehovisten, bei der das selbe zu konstatiren ist,
ganz gleich.
2. Die jehovistische Gestalt der Erzväterlegenden beherrscht
durchaus den Eindruck, den wir überhaupt davon haben. So
lernen sie die Kinder in der Schule und so können sie sie be-
halten. Um die Parallele des Priesterkodex damit zu vergleichen,
ist es unumgänglich dieselbe zunächst herzusetzen; denn wenige
kennen den Eindruck, den sie macht.
„Und Abram war 5 Jahr und 70 Jahr als er aus Haran aus-
zog. Und Abram nahm Sarai sein Weib und Lot seines Bruders
Sohn und all ihren Erwerb, den sie ei'worben, und die Seelen,
die sie erzielt hatten, und sie zogen aus zu gehn ins Land
Kanaan und kamen in das Land Kanaan (12, 4**. 5). Und das
Land ertrug sie nicht beisammen zu wohnen, denn ihr Besitz war
gross, und sie konnten nicht beisammen wohnen. Und sie trennten
sich von einander, Abram wohnte im Lande Kanaan und Lot
wohnte in den Städten des Kikkar^). Und da Gott die Städte
des Kikkar verderbte, gedachte Gott an Abram und Hess Lot
heraus aus dem Umsturz, als er die Städte umstürzte, in denen
Lot wohnte (13,6. IP. 12--^- 19,29). Und Sarai war un-
fruchtbar, hatte kein Kind. Da nahm Sarai, Abrams Weib, die
Agj'pterin Hagar, ihre Magd, nach 10 Jahren des Aufenthalts
Abrams im Lande Kanaan, und gab sie Abram, ihrem Manne,
ihm zum Weibe, und Hagar gebar dem Abram einen Sohn, und
Abram nannte den Namen des Sohnes, den Ilagar geboren hatte,
Ismael; und Abram war 80 Jahr und (> Jahr, da Hagar den
^) wo später das Tote Meer war.
Ismael dem Aliram gebar (11, 30. Hi. 3. li'i. !()).'■ Voigt .lie
Bundi^liiiessnug Gottes mit Äbram, dessen Namen er jetzt in
Abraham verwandelt, uud die Anordnuni; der Beschneidang als
Zeichen der Bundeäzugehörigkeit; ferner die AnVüudignng d«r Ge-
burt Isaaks von der 90jahrigen .Sarai, die hinfort Sar» heisseii
soll, und dessen Einsetzanja: zum Erben des Bnndca an Isma«is
Stelle (Kap. 17). ^l ""l '"^i"'« cebnr dem Abraham einen Sohu lu
der Frist, die ihm Gott gesagt hatte. Und Abraham nannte den
Kamen seines Sohnes, der ihm geboren war, den ihm Sara ge-
boren hatte, Isaak. Ind Abraham beschnitt seinen Sohn Isauk
nach licht Tagen, wie ihm Gutt geboten hatte. Tml Abrahain
war lOl) Jahre alt, als ihm sein Hohn Tsauk geboren worde
(21 , 2 — ^5). Und es war das Leben der Sara lü() Jahr und
20 Jahr und 7 Jahr, die Lebensjahre der Sara. Und Sara starb
in Kiriath Arba. das ist. Hebron im Laude Kanaan." Daraa
schliesst sich .idie juristisch genau aufgenommene VerhandJuni;
Abrahams mit dem Hethiter Ephron, von dem er die Hölile von
Makphela gegenüber Manire zum Erbbegräbnis erwirbt (Kap. 23).
„Und dies sind die Tage des Lebens Abrahams, die er lebte,
KK) Jahr und 70 Jahr und 50 Jahr, Und Abraham verschied
und starb in gutem Greisenalter, hochbetagt und lebeussatt, und
ging ein zu seiner Verwandtschaft. Und IsaaV und Ismael, seine
Söhne, begruben ihn in der Höhle Makphela auf dem Felde Ephron.'i
ben Sohar des Hethitei's gegenüber Mamre: das Feld, das Abraham
von den Kindern Heth gekauft hatte, da ward Abraham begraben
und sein Weib Sara. Und nacltdem Abraham tot war, segnete
Gott seinen Sohn Isaak (2h, 7— II')." Folgen die Tholedolh
(generationes) Ismaels, gemäss der regelmässigen Sitte, zuerst di"
Nebenlinien zu erledigen (25, 12 — 17). „Dies sind die Tholedoth
Isaaks des Sohnes Abrahams. Abraham zeugte Isaak .... und
Isaak war 40 Jahr alt, da er die Rebekka, die Tochter Bethuols
des Aramäers ans Phaddan Aram, die Schwester Labans des Ara-
mäera sich zum Weibe nahm .... und Isaak war 60 Jahr alt, da
sie geboren wurden (25, 19. 20. 26''). Und Esau war 4li Jahr all,
da nahm er ein Weib, Judith, die Tochter Beeris des Hethitere.
nnd Bosmath die Tochter Elons des Hethiters, und sie waren ein
Herzensknmmer für Isaak nnd Itebekka. Und Rebekka sagte xu
Isaak: mich verdi'iesst zu leiten wegen der Töchter Heths; wenn
Jakob auch solche Weiber von den Töchtern Heths, von den
Die Erzählung des Hexateuchs. 333
Töchtern des Landes, nimmt, was soll mir das Leben! Da rief
Isaak den Jakob und segnete ihn und befahl ihm und sprach zu
ihm: du sollst dir kein Weib nehmen von den Töchtern Kanaans;
auf geh nach Phaddan Aram zum Hause Bethuels, des Vaters
deiner Mutter, und hol dir von dort ein Weib von den Töchtern
Labans, des Bruders deiner Mutter, mid El Schaddai wird dich
segnen, dich mehren und ausbreiten, und er wird dir den Segen
Abrahams geben, dir und deinem Samen mit dir, dass du das
Land, wo du fremd bist, erbest, das Gott dem Abraham gegeben.
Und Isaak entsandte Jakob, und er ging nach Phaddan Aram zu
Laban ben Bethuel dem Aramäer, dem Bruder der Rebekka, der
Mutter Jakobs und Esaus. Und Esau sah, dass Isaak den Jakob
segnete und ihn nach Phaddan Aram sandte, um sich von dort ein
Weib zu nehmen, indem er ihn segnete und ihm befahl: du sollst
kein Weib von den Töchtern Kanaans nehmen. Jakob nun hörte
auf seinen Vater und ging nach Phaddan Aram. Esau aber sah,
dass die Töchter Kanaans seinem Vater Isaak misfielen, und Esau
ging hin zu Ismael und nahm die Mahalath, die Schwester Neba-
joths, zu seinen Weibern hinzu sich zum Weibe (26, 34s. 27, 46.
28, 1 — 9) . . . und Laban gab ihr seine Magd Zilpha, seiner Tochter
Lea zur Magd .... Und er gab ihm seine Tochter Rahel ihm
zum Weibe, und Laban gab seiner Tochter R<ahel seine Magd
Bilha ihr zur Magd (29, 24. 28^ 29). Und die Söhne Jakobs
waren zwölf. Die Söhne Leas: der Erstgeborene Jakobs Kuben,
Simeon, Levi, Juda, Issachar, Zebuion. Die Söhne Raheis: Jo-
seph und Benjamin. Die Söhne Bilhas Raheis Magd: Dan und
IKaphthali. Die Söhne Zilphas Leas Magd: Gad und Äser. Das
sind die Söhne Jakobs, die ihm geboren wurden in Phaddan Aram
(35, 23 — 26) . . . [Und Jakob nahm] all seinen Erwerb, den er
erworben, die Habe seines Besitzes, den er in Phaddan Aram er-
worben, heimzugehn zu seinem Vater Isaak ins Land Kanaan
(31, 18). Und Gott erschien dem Jakob als er heimkam aus
Phaddan Aram, und segnete ihn, und Gott sprach zu ihm: dein
Name ist Jakob, dein Name soll nicht mehr Jakob heissen, son-
dern Israel soll dein Name sein. Und Gott sprach zu ihm: ich
bin El Schaddai, wachse und breite dich aus, ein Volk und ein
Haufe von Völkern soll caus dir kommen und Könige sollen aus
deinen Lenden hervorgehn; und das Land, das ich Abraham und
Isaak gegeben habe, dir will ich es geben, und deinem Samen
334 Geschichte der Tradätton, Kap. S. '
nach dir will ich das Land geben. Und Gott fuhr anf vim ihm
von dem Orte wo er mit ihm geredet hatte. Und Jakob nannte
den Namen des Ortes, wo Gott reit ihm geredet hatte, Bethd
(35, 9—13. 15). Und Jaknb knm zu seinem Viiter Isaak nach
Mamro bei Kiriath Arba d. i. Hebron, wo Abraham und Is»ak als
Fremde wohnten. Und es waren ilie Tage Isaaks 100 Jahr nni)
80 Jahr, l'nd Isuak vei'schied und starb und ging ein zd seiner
Verwandtschaft, hochbetagt und lebenssatt, und seine Söhne Eeati
und Jakob begraben ihn (35, 27. 28)." Folgen die ThoieJoth
Esaiis in Kap. 36, weiches Kapitel jedoch nur teilweise dem
Priesterkodex an>rehiirt. «Und Ksau nahm seine Weib«r ttod
seine 8öhne und seine Töchter und alle Seelen seine Hanses imd
seine Habe und all sein Vieh und all seinen Besitz, den er «r-
worben im Lande Kanaan, und gbig ins Land Seir wegen aiiatt
Bruders Jakob. Denn ihr Besitz war zu gross um beisunraeu n
wohnen, und das Land ihres Aufenthalts vennochte nicht ne n
ertrjigen wegen ihres Besitzes. Und Esau wolmt« auf dem Ge-
birge Seir, Esau das ist Edom. Und Jakob wohnte im Lande d«
Aufenthalts [-eines Vaters, im Lande Kanaan (36, 6 — 8, 37, 1),
Dies sind die Tholedoth Jakobs , . , . (37, 2). Und sie oahniHU
ilir Vieh und ihren Ei-werb, den sie erworben im Laude Kansau
und kamen nach Ägypten, Jukob und all .sein Same mit ihm;
seine Söhne und seiner Söhne Söhne und all seinen Samen bradite
er mit sich nach Ägypten (45, ö. 7). Folgt die Anfz&hloag dtr
70 Seelen, welche damals seineu Samen ausmachten. „Und Jak'ib
nnd seine Söhne kamen nach Ägypten zu Joseph, und Pharao,
der König von Ägypten, hörte es. Und Pharao sagte zu Jnseph:
dein Vater und deine Brüder sind zu dir gekommen, siehe das
Land Ägypten steht dir offen, im besten Teile des Landes las
deinen Vater und deine Bruder wohnen, l'nd Joseph brachte
seinen ^'ate^ Jakob und stellte ihn vor Pharao, und Jukob seffuete
Pharao. Und Pharao sprach zu Jakob: wie viel sind die Tage
deiner Lebensjahre? und Jakob sprach zu Pliarao: die Tage dar
Jahre meines Aufenthalts in der Fremde sind 130 Jahre, wenia
und böse sind die Tage meines Lebens gewesen und haben iiichl
erreicht die Tage der Jahre meiner Väter zur Zeit ihres Anl'eni-
halts. Und JaVob segnete den Pharao und ging fort von Pharao-
Und Joseph Hess seinen Vater und seine Brüder wohnen und gah
ihnen Grundbesitz im Lande Ägypten, im besten Teile des l^andes,
Die Erzählung des Kexateuchs. 335
im Lande Rameses, wie ihm Pharao geboten hatte (47, 5*". (5.
Sept.; 47, 7 — 11). Und sie siedelten sich dort an und wuchsen
und mehrten sich sehr. Und Jakob lebte im Lande Ägypten
17 Jahr, und es waren die Tage Jakobs, seine Lebensjahre, 7 Jahr
und 140 Jahr (47, 27''. 28) . . . Und Jakob sprach zu Joseph: El
Schaddai erschien mii* zu Luz im Lande Kanaan und segnete mich
und sprach zu mir: siehe ich breite dich aus und mehre dich und
mache dich zu einem Haufen von Völkern und gebe dieses Land
deinem Samen nach dir zu ewigem Besitz. Und nun, deine beiden
Söhne, die dir im Lande Ägypten geboren sind, ehe ich zu dir
kam nach Ägypten, sind mein ; Ephraim und Manasse sollen mein
sein wie Rüben und Simeon. l.'nd die Kinder, die du nach ihnen
gezeugt hast, sollen dein sein; nach dein Namen ihrer Brüder
sollen sie heissen in deren Erbe. Und als ich von Phaddan kam,
st^irb mir Rahel im Lande Kanaan unterwegs als es noch eine
kurze Strecke bis nach Ephrath war, und ich begrub sie am Wege
nach Ephrat, das ist Bethlehem (48, 3 — 7, zu v. 7 vgl. 49, 31)
.... [und auch die übrigen Söhne] segnete er und befahl ihnen und
sprach zu ihnen: ich gehe ein zu meiner Verwandtschaft, begrabt
mich bei meinen Vätern in der Höhle des Feldes Makphela gegen-
über Mamre im Laude Kanaan, welches Feld Abraham von Ephron
dem Hethiter zum Erbbegräbnis gekauft hat — dort haben sie
Abraham begraben und Sara sein Weib, dort haben sie Isaak be-
graben und Rebekka sein Weib und dort habe ich Lea begraben
— den Besitz des Feldes und der Höhle darauf von den Kindern
Heth. Und Jakob liörte auf seinen Söhnen zu befehlen und zog
seine Füsse zusammen auf dem Lager und verschied und ging
ein zu seiner Verwandtschaft (49, 2S»^ — 33). Und seine Söhne
brachten ihn ins Land Kanaan und begi'uben ihn dort in der
Höhle des Feldes Makphela, welches Feld Abraham gekauft hatte
zum Erbbegräbnis, von Ephron dem Hethiter, gegenüber Mamre
(50, 12. 13). Und dies sind die Namen der Kinder Israel, die
nach Ägypten kamen, mit Jakob kamen sie, jeder mit seinem
Hause: Rüben Simeon Levi Juda Issachar Zel)ulon Benjamin
Dan Naphthali Gad Äser. Und die Summe der Seelen, die aus
Jakobs Lenden hervorgegangen waren, war 70 Seelen, und Joseph
war m Ägypten. Und die Kinder Israel wuchsen und wucherten
gar sehr, und das Land ward voll von ihnen, und die Ägypter
knechteten die Kinder Israel mit Härte, zu aller Arbeit, welche
33fi
Geschichte der Tradition, Kap, S.
sie diucli sie arbeiteteu mit Harte, nnd verbitterten iliuen Jm
lieben mit schwerer Arbeit (Exod. 1, 7. 13. 14). l'nd die Kinder
Israel stöhnten wegen der Ari>eit und schrien, und ihre Klage
wegen der Arbeit drang zu Gott, und Gott hörte ihr Geschrei
lind Gott gedachte au seinen Buud mit Abraham Isajik uml
Jakob und Gott hatte ein Einsehen (2, 23 — 25). Und Gott reiJete
zu Moses und sprach zu ihm: Ich bin Jahve. Dem Aljrahaia
Isaak und Jakob bin ich erschienen als El Schaddai, mit meinem
Xameu Jahve habe ich mich ihnen nicht kundgegeben, und ich
habe einen Bund mit ihnen gemacht, ihnen das Land Kanaan
KU geben, das Lnnd ihres Aufenthalts, wo sie Fremdlinge waren.
Tnd ich habe auch das Gesclirei der Kinder Israel gehört, dass die
Ägj-pter sie knechten, nnd habe meinesBundesgedadit u.3.w,(fi, 253.)."
Das ist das Ganze. Im allgemeinen beschränkt sich die Dar-
stellung darauf, bloss die Gliederung und Verkettung das Stoffe»
wiederzugebeu. Es ist als ob P der rote Faden sei, an dem die
Perlen von JE aufgereiht werden. Statt des noch ziemlich lockeren
Gefüges des Jehovisten zeigt die Erzählung des Prieslcrkodex eine
fest geschlossene literarische Kerm; ein sehr merkwürdiges Zeichen
davon sind die regelmässigen Überschriften nn der 8pitze der
e!n2elnen Abschnitte, die stehend mit den Worten nn^lp H^
(hae suut generationes), beginnen, von denen die Genesis den
Namen hat') — in der übrigen historischen Literatur des Alten
Testamentes findet sich dergleichen noch nicht. Dabei ist cha-
rakteristisch, dass jedesmal nach einer solchen Überschrift, die
einen neuen Abschnitt erölTnet, zuerst ganz kui-z iler Inhalt des
vorigen rekapitulirt wird, um das Glied der Kette einzureihen.
Auf <len Inhalt der einzelnen Erzählungen gelit der I'riester-
kodex so wenig wie möglich ein. Die Prädikate werden so weit
es geht abgestreift und damiich die Subjekte ordentlich in ein Re-
gister, mit verbindendem Texte, zusummengestellt. Fast schrumpit
die Darstellung auf diese Weise zusammen zu einer Art räsonni-
render Genealogie; die Genealogie bildet jedenfalls den haupt-
sächlichen Inhalt der Geschichte und tritt hier so breif und syste-
matisch auf wie nirgend sonst. Man hat nun wol eben hietiu
einen Beweis gefunden, dass V einem älteren Entwicklungsstadium
der hebräischen Geschichtsschreibung angehöre als JE; deiui dass
I für den PricaUi^
Die Erzählung des llexateuchs. 337
sich die älteste hebräische und überhaupt morgeuländische Ge-
schichtsschreibung aus den den Stammes- und Geschlechtsverzeich-
nissen eingefügten historischen Notizen und Überlieferungen her-
ausgestaltet habe, könne doch keinem Zweifel unterliegen'). In-
dessen A^issen wir genau, dass in den Büchern der Richter
Samuelis und der Könige von genealogischer Statistik nichts vor-
kommt, während die Chronik samt Zubehör voll davon ist; wir
wissen ferner, dass Lieder wie Jos. 10, 12. 13. Jud. 5. 2. Sam. 1, 19s8.
3, 33 SS. die ältesten historischen Denkmäler sind, und dass sich
davon in JE eine Anzahl findet, in P kein einziges. Die Herdersche
Theorie von der Entwicklung der Geschichte aus der Genealogie
hält nicht stich*); ausserdem aber haben wir es hier überhaupt
nicht mit eigentlicher Geschichte zu tun, sondern mit Volkssage.
Wol liegt die Genealogie auch im Jehovisten als Skelett zu
gründe. Sie ist das naturgemässe Band, um die Sagen aufzu-
reihen. Auch in der Zeit, wo diese letzteren nur erst einzeln
und mündlich umliefen, ist sie dem Volke nicht unbekannt ge-
wesen. Aber sie hat nur als stillschweigende Voraussetzung zu
gründe gelegen. Wenn von Isaak und Ismael und Lot und Esau
erzählt wurde, so A^nisste man ohne weiteres, was man sich unter
diesen Personen vorzustellen hatte, in welcher Beziehung sie zu
Israel und zu einander standen. Das war nur das selbstverständ-
liche Substrat, aber keineswegs das eigentliche Interesse der ur-
sprünglichen Erzählungen. Dieses hängt vielmehr eben an den
Zügen, die im Priesterkodex fortgefallen sind. Die Charakteristik
der Völker nach ihrem wirklichen historischen Verhältnisse zu
einander, nicht nach dem leeren genealogischen, nach ihrer Ge-
sinnung gegen einander, nicht nach ihrer Verwandtschaft, ist das
eigentlich Fesselnde dieser Art von Sagen; auf ihrer unbewussten
Transparenz, auf dem Durchscheinen der geschichtlichen Stimmung
ihrer Entstehungszeit beruht ihr Reiz und ihr Leben. Je mehr
wir dabei von Liebe und Ilass, von Furcht und Hoffnung, von
Eifersucht und Schadenfreude spüren, desto näher stehn wir den
treibenden Kräften der Überlieferung über die Vorzeit. Im
Priesterkodex fehlen alle jene Geschichten, an denen man etwa
^) Riehm, die s. g. Gnmdschrift des Pentateuchs, in den Studien und
Kritiken 1872 p. 296.
^ auch bei den Arabern nicht, wie besonders Sprenger gegen Caussin de
Perceval (Essai, preface p. IX) ausgeführt hat.
W«llbaas«n, Prolegomena. 5. Aufl. 22
338 Geschichte der Tradition, Kap. 8.
einen moralischen Anstoss nehmen könnte, z. B. von der durch
die Feigheit der Erzväter bewirkten Gefährdung der Ehre ihrer
Weiber, von der grausamen Eifersucht der Sara auf die Hagar,
von dem hässlichen Wettkampfe Leas und Rahels um Mann und
Kinder, von der Blutschande der Töchter Lots, von der Schändung
Dinas. Aller Hass und Streit und Betrug in der Erzväterfamilie
fällt fort: Lot und Abraham, Isaak und Ismael, Jakob und Esau
gehn friedlich schiedlich auseinander; von dem bösen Spiele Labans
und Jakobs gegen einander, von der Treulosigkeit Simeons und
Levis gegen Sichem, von der Feindschaft der Brüder gegen Joseph
ist nichts im Priesterkodex zu lesen. Hiemit bleiben nun aber
nicht bloss „psychologische Ausschmückungen", wie man es ge-
nannt hat, weg, sondern es wird den Sachen das Herz ausge-
schnitten. Dass Moab und Ammon und Ismael und Edom he-
bräische Völkerschaften sind, sämtlich näher oder entfernter den
Israeliten verwandt, dass auch die Aramäer zu den Hebräern in
naher Beziehung stehn und mit ihnen vielfach verschwägert sind,
dass die einen in diesem, die anderen in jenem Nachbarlande
Palästinas wohnen — das durch eine trockene ethno- und geo-
graphische Statistik in genealogischer Form darzustellen, worin
von nichts als von Heiraten und Geburten und Scheidungen der
Ahnherren in die verschiedenen Wohnsitze ihrer Völker die Rede
ist, hat die Volkssage unmöglich im Sinne gehabt zu einer Zeit,
wo alle diese Verhältnisse noch lebendig und jedem Kinde ver-
traut und geläufig waren.
Ebenso wie die historische ist auch die lokale Färbung der
Erzvätersage im Priesterkodex abgestreift: sie werden von all den
Orten ferngehalten, deren Heiligkeit sie im Jeho^'isten begründen ').
Zum Verständnisse der Erzählung des Priesterkodex in der Genesis
hat man keine historische Geographie nötig; das bedeutet aber,
'' Einen wunderliohiMi Ausdruck hat Hupfold dieser Beobachtung gegeben,
indem er sajrt, Abraham Isaak und Jakob siedelen im Priesterkodex
ueit fester. Ks ist ja doch diese Schrift, welche geflissentlich so oft
die Pilirerscliaft. die Nichtansässigkeit der Patriarchen herrorhebt: sie
redet immer nur davon, dass Abraham im Laude Kanaan geweih
habe, und nennt selbst für die (lutteserscheimuig Kap. 17 keinen be-
stimmten Ort: erst als es sich darum handelt Sara und Abraham zu be-
i:raben, wird, aus diesem zwins:enden (ininde, das Feld Makphela bei
Hel'ron ,wul «jeniäss dem verloren geiranijeuen Berichte von JE) zum
(irundbesitz der Krzväterfamilie erworben, wo sie nun weiterhin sich
dauernd niederlässt. Das Wohnentdeiben Isaaks und Jakobs am Grabe
Die Erzählung des Hexateuchs. 339
dass dieselbe dem Boden, woraus die mündliche Tradition er-
wächst, ganz fern steht. Imgleichen ist das Absehen von der
Etymologie, vom Spruche und vom Liede, das Fehlen der Theo-
phanien, der Wunder und Träume und weiter des ganzen bunten
Zaubers der Poesie, mit dem die jehovistischen Erzählungen ge-
schmückt sind, nicht etwa ursprüngliche Simplicität, sondern Ver-
zichtleistung auf die Quelladern und auf die wesentlichen Züge
der Sage*). Was übrig bleibt, ist mit nichten die historische
Objektivität, sondern das Schema.
Was von der Ursage gilt, gilt auch von der Patriarchensage:
die Individualität der einzelnen Erzählung ist das Wesentliche
und das Ursprüngliche, der Zusammenhang ist Nebensache und
Abrahams hat mehr negative als positive Bedeutung; und umgekehrt
sollen die Kreuz- und Querzüge der Patriarchen in JE sie nicht als
schweifende Nomaden darstellen, sondern sie mit all den heiligen Orten
in Berührung bringen, zu denen sie eine besondere Beziehung hatten.
Übrigens ist darin, dass die Erzväter ihre Wohnsitze vermischen (am
wenigsten geschieht das in J), schon eine Kontamination der Sagen er-
sichtlich, die notwendig eintreten musste, sobald sich die literarische
Komposition des zerstreuten Stoffes bemächtigte. Es scheint, dass ur-
sprünglich Abraham in Hebron, Isaak in Beerseba, und Jakob in Sichern
wohnte.
^) Uiehm (a. 0. p. 302 s.) hält es freilich für ausgemacht, dass die religiöse
Cberlieferung des höheren Altertums sich durch ihre ^nüchterne Einfach-
heit" und ihre „dem erhabenen Gegenstande angemessene Haltung" aus-
zeichne, dass sie erst im Laufe der Zeit von der Phantasie des Volkes,
die aber nicht so leicht in die ernste Literatur (!) Eingang finde, mit
allerlei Wunderbarem und Geheimnisvollem ausgeschmückt werde. Er
benift sich darauf, dass die Engelvorstellung, obgleich gewiss beim N'olke
längst ausgebildet, bei den älteren Propheten doch nur vereinzelt vor-
komme, häufiger dagegen l)ei den jüngeren, wie Ezechiel Zacharia
Daniel. Es ist schwer Wahrheit und Irrtum aus diesem Gemisch zu
scheiden. Im Priesterkodex finden sich allerdings keine Engel, dagegen
aber Azazel und Seirim (2. Chron. 11, 15. Isa. 13, 21. 34, 14 vgl. oben
p. 53) ; denn wo die Götter nicht sind , da walten (lespenster. In der
einen jehovistischen Hauptquelle (J) kommt vorzugsweise der MaKak
Jahve (die Botschaft Jahves) vor, das ist Jahve selber, sofern er erscheint
und sich offenbart, sei es in einem Naturvorgange, sei es in Menschen-
gestalt; es scheint übrigens, dass der Mal'ak wenigstens zum teil auf
jüdischer Korrektur (für Jahve) beruht; vgl. DMZ. 1878 p. 742 u. 1. Etwas
anderes sind die Bne Elohim, Wesen von göttlicher Substanz, an welche
man vielleicht bei der 1. Pluralis im Munde Jahves (Gen. 3, 22. 11, 7)
zu denken hat. Beides ist ohne Zweifel sehr alt. In der anderen
Hauptquelle (E) scheint eine Vermischung eingetreten zu sein; die himm-
lischen Scharen sind nicht bloss die Kinder und Begleiter der Gottheit
(32, 2. 3), sondern auch deren Boten, Vermittler des Verkehrs zwischen
Himmel und Erde (28, 12): hier haben wir die MaPakim neben Gott und
im Plural. Dass auch dies nicht gerade jung ist, erhellt aus der \ isiou
Michas (1. Reg. 22, 19 ss.). Was versteht Riehm unter höherem Altertum?
eine Periode, aus der uns gar keine Denkmäler erhalten sind? Warum
22*
340 Gesehicbte der Tnu^itiou, Kap. 6.
orst liurdi die Samniiunj! und schriftliche ÄiifzeiL-hiiuiig lüneiu-
j^ebracht. Die ludividnAÜtät dor eiiizeluen Erzähltuig ist nun
aber im PriesWrkodex durch die einseitige Hervorhebung des Za-
äummenhangs i^eradezu vernichtet. Was hat es für eiueu 811111,
■luss Jakob plötzlich Israel d. j. Käntpfegott heissen soll (3ö, 10),
wenn sein Ringkampf mit El, der Grand der Umnennnng, ver^
schwiegen wird? Kommt die Geschichte von Joseph im Priester-
kodex auch nur im entferntesten zu ihrem Rechter* Kann das
ursprüiiiiliclie Kürze sein, wenn die Zerstörung Sodoms und Gu-
morrhas in einem Nebensatze abgemacht wird, wie es 19, 29 ge-
schieht? Man hat das bemerkenswerte Zugeständnis gemacht, es
sei <ler summarischen Berichterstattaug des Priesterkodex nuzu*
merken, dass der Verfasser viel ausfülirlicher hätte erzählen
können, wenn dies im Plane seines Werkes gelegen hätte, und
dies setze allerdings eine ausföhrlichere Kunde voraus. Indessen
die vorausgesetzte ausführlichere Kunde sei keineswegs notwendig
eine schriftlich verzeichnete und am wenigsten die nns vürliegendu
jeho V ist i sehe; vielmehr erkläre sich iler Sachverhalt ;im befriedi-
gendsten durch die Annahme, dass der Verfasser eine ausführliche
Erzählung nicht für erforderlich gehalten habe, weil die im Volke
lebendige mündliche Iberlieferung die (irundliiueu seiner clironik-
artigen Notizen nnch überall zu lebensvollen farbenreichen Bildern
auszumalen im stände gewesen sei. Dies ist indessen lediglich
ein Versuch, der bestimmten Vergleichung zwischen Prieaterkodei
und Jehovisten, die doch unvermeidlich ist, aus dem Wege zo
gehn. Die Frage ist, welche der beiden Schriften dem Änsgangs-
pimkte am nächsten steht. Ist es diejen^, welche zur Haupte
Bache macht, was dem Wesen der mundlichen Überlieferung eigcut-
ziehl er gerade die prüphelischti Literatur ia betriichti* Da er trüniiuol.
dass die Engelvorstellung „in der Phantasie des Volkes* früh vorhanden
gewesen sei, soljle er sich doch aach »u dem weiteren Ziigcslnndnls
eiitscbliessen, dass die Aufzeichuer der Volkssage sich etwas ander«
luiD Volksglaiilien verhallen haben als die pruphetischen Biis»|ir«iiger.
Nieht einmal die historischen Bücher können in dioüem Punkte, mit
dem gleichen Maasse gemessen werden wie die vorgeschielitliche C'tier-
liefening. Was ist nbrigens urspräoglieher, dass die Eugel sich eiuer
Leiter bedienen, wie in der Genesis, oder da:jS sie Flügel halim «ic
hei Jesaias? BetrefTtnd endlich die \'erweisung auf Kieehiel (?) Zacharia
und Daniel, so scheiut mir der l'nterschied xwisclieu der sjstenintüjchea
überall init Zahlen luid Namen operirenden Angelolugie uud dem kind-
lichen Eogelglauben ziemlich klar m sein. Jene rückt Gott in i"
Feme, dieser bringt ihn nahe. Vgl. Ewald tur Apokal. IlSjSJ 3^J '
Die Erzählung des Ilexateuchs. 341
lieh fremd ist, was erst durch literarische Komposition hinein-
kommt? Es wäre doch seltsam, wenn der Anfang zur Aufzeichnung
der Sage damit gemacht wäre, das aufzuzeichnen, was die Sage
nicht enthielt. Was uns im Priesterkodex geboten wird, ist die
Quintessenz nicht der mündlichen, sondern der bereits schriftlich
gewordenen Überlieferung. Und zwar ist die schriftliche Fixirung
der Vorgeschichte, welche benutzt wird, das jehovistische Erzäh-
lungsbuch. Die Anordnung, welche die volkstümlichen Legenden
dort gefunden haben, ist hier zum Kern der Erzählung gemacht;
der dort noch hinter der Ausführung versteckte Plan tritt hier
scharf und markirt, fi'eilich durchweg übereinstimmend, als die
Hauptsache des Ganzen hervor.
3. Dem Geiste der Sage, in dem der Jehovist noch lebt, ist
der Priesterkodex entfremdet; er tut ihr Zwang an, indem er sie
von seinem Standpunkte aus behandelt, der ein ganz anderer ge-
worden ist als der ihrige. Die sittliche und geistige Bildung ist
fortgeschritten. Daher die Beseitigung von wii'klichen oder an-
scheinenden Verstössen gegen die Moral, von allzu kindlichen,
abergläubischen oder gar mythischen religiösen Vorstellungen.
Wenn die Gottheit auftritt, so darf sie doch nicht in die Sinne
fallen, wenigstens nicht in irgend einer Form gesehen werden.
Jahve redet mit Jakob, aber nicht im Traume von der Himmels-
leiter, er offenbart sich dem Moses, aber nicht im feurigen Busch;
der Begriff der Offenbarung wird festgehalten, aber die Ergänzungen,
die hinzukommen müssen um aus dem Abstraktum ein Kon-
kretum zu machen, werden abgestreift. Unter welchen Formen,
durch welche Medien ein Mensch Offenbarung empfängt, ist gleich-
giltig, wenn nur die Tatsache feststeht; mit anderen Worten ist
die Offenbarung nicht mehr lebendige Realität in der Gegenwart,
sondern totes Dogma für die Vergangenheit. Vor allem anderen
zeigt sich der Foi*tschritt der Bildung beim Priesterkodex in der
gelehrt historischen Behandlung, die er der Sage angedeihen lässt.
Da ist zunächst die Chronologie, der wir schon bei der Ursage
begegnet sind und die natürlich bei der Patriarchensage fortgeht.
Gerade bei der Patriarchensage zeigt sich recht deutlich, wie
fremd die gelehrte Rechnung dem poetischen Stoffe ist; in einigen
Beispielen, in denen die Sachen zu einer ganz anderen Vorstellung
führen als die Zahlen. Folgt man den Zahlen des Priesterkodex,
so kann man mit den Rabbinen Sem und Eber als die greisen
342 Geschichte der Tradition, Kap. 8.
Häupter der Judenschule ansehen, bei denen der kleine Jakob die
Buchstaben und die Thora lernte. Jakobs Aufenthalt in Mesopo-
tamien dauert dann etwa 80 Jahr; während dieser Zeit liegt Isaak
beständig auf dem Sterbebett; nachdem er für uns längst tot ist,
taucht er unversehens noch einmal auf, freilich nur um zu sterben.
Mit der Chronologie Hand in Hand geht die allgemeine Vorliebe
des Priesterkodex für Zahlen und Namen, die sich schon in der
Genesis, freilich noch weit stärker in den späteren Büchern des
Pentat euchs äussert. Die mündliche Volkssage kann wol runde
Zahlen enthalten, wie die 12 Söhne und die 70 Seelen der Familie
Jakobs, die 12 Brunnen und die 70 Palmen zu Elim, die 70 Älte-
sten und die 12 Kundschafter; aber ein chronologisches System,
ganze Listen genauer und grosser Zahlen, nackte Verzeichnisse
völlig bedeutungsloser Personennamen, Datirungen und Messungen
wie sie der Sündflutsbericht des Priesterkodex gibt, setzen schon
zu ihrer Entstehung, geschweige zu ihrer Überlieferung, die Schrift
voraus. Diese Kunstprodukte der Pedanterie treten an Stelle des
lebendigen poetischen Details der jehovistischen Einzahlung; denn
das episodische Element muss dem Ernste der trockenen Historie
weichen. Historische Gelehrsamkeit ist es auch, wenn die Ver-
mischung der Patriarchenzeit mit einer späteren Periode als
anachronistisch vermieden wird. Der Jehovist lässt überall die
Gegenwart durchschauen und verhehlt in keiner Weise sein eige-
nes Zeitalter; wir erfahren, dass Babylon die grosse Weltstadt ist,
dass das assyrische Reich besteht, mit den Städten Nineve und
Kelah und Resen, dass die Kanaaniter einst in Palästina wohnten,
jetzt aber längst unter den Israeliten aufgegangen sind: vor alle
dem hütet sich der Verfasser des Priesterkodex sorgfältig*). Er
putzt die Sage nach den Regeln der Kunst zur Historie auf, tötet
sie dadurch als Sage und beraubt sie auch des wirklichen Wertes,
den sie zwar nicht für die Urzeit, wol aber für die Königszeit
besitzt.
Die Geschichte der Urmenschen und der Erzväter verläuft
nach dem Priesterkodex in drei Perioden, deren jede durch einen
Bund eröffnet wird. Der Bund mit Adam (Gen. 1, 28 — 2, 4) ist
der eiufiichste; er wird noch nicht Bund genannt, doch ist er die
Grundlage des zw^eiten Bundes mit Xoah (9, 2 — 17), der Um in
Daher auch die Archaismen wie Kiriath-Arba, Luz, Ephrath. Vgl. die
antiquarische Gelehrsamkeit in Deut 1—4 und in Gen. 14.
Die Erzählung des Hexateuchs. 343
wichtigen Punkten modificirt und dem gegenwärtigen Weltalter
näher bringt. Der Bund mit Abraham (Gen. 17), welcher den
folgenden Erzvätern lediglich bestätigt wird, gilt nicht mehr für
die ganze Menschheit, sondern nm* für die Abrahamiden und spe-
ciell für Israel. Das erste Bundeszeichen ist der Sabbath (Gen. 2, 3
vgl. Exod. 31, 12. Ezech. 20, 12. 20), das zweite der Regenbogen
(Gen. 9, 12), das dritte die Beschneidung (17, 10). Der Un-ater
der Menschheit wird lediglich auf Pflanzennahrung angewiesen,
der Vater der nachsündflutlichen Menschheit erhält Erlaubnis auch
Tiere zu schlachten, wobei ihm jedoch eingeschärft wird, kein
Blut zu essen und kein Menschenblut zu vergiessen. Was dem
Noah gesagt ist, bleibt noch für Abraham in Kraft; diesem aber
verspricht Gott für seine Nachkommen von Sara den Besitz des
Landes Kanaan, der weiterhin verbürgt wird durch den in aller
Form Rechtens, unter den w^eitläufigsten Verhandlungen, abge-
schlossenen Kauf der Höhle Makphela zum Erbbegräbnis; ausser-
dem gibt er sich ihm näher zu erkennen als El Schaddai. Unter
diesem Namen offenbart er sich auch dem Isaak (28, 3) und Jakob
(35, 11) und wiederholt ihnen die Verheissung des Landbesitzes.
Es wird Nachdruck darauf gelegt, dass Gott mit seinem israeliti-
schen Namen der vormosaischen Zeit unbekannt gewesen sei, dass
er sich den Erzvätern nur als El Schaddai kund getan habe, als
Jahve aber erst dem Moses (Exod. 6, 2. 3). Ebenso wird mit
deutlicher Absicht die Patriarchenzeit auch von den übrigen mo-
saischen Formen des Gottesdienstes noch frei gehalten, daher hier
noch keine Opfer und Altäre, kein Unterschied reiner und un-
reiner Tiere und dergleichen. Bis vor kurzem ist man nun sehr
geneigt gewesen, — gegenwärtig will es allerdings keiner mehr
gewesen sein — die Keuschheit und Treue des Priesterkodex zu
bewundern, die sich in dieser Innehaltung des Unterschiedes der
Religionsstufen kund gebe. In Wahrheit kann man an diesen
Vorzügen nur Geschmack finden, wenn man glaubt, die Religion
sei anfangs rationalistisch gewesen, dann sprung>\'eise ein Stück
positiver, und endlich im Jahre 1500 vor Christus ganz positiv
geworden. W^ie ist es möglich darin historische Treue zu er-
blicken, dass die Erzväter zwar wol haben schlachten, aber nicht
haben opfern dürfen, dass erst der Sabbath, dami der Regenbogen,
dann die Beschneidung und zuletzt unter Moses der Opferdienst
eingeführt sei! Natürlich ist es, dass Jakob zu Bethel den Zehnten
344 Geschichte derTraflitioii, Kap. S.
gibt von allfiii was er erwirbt, unnatarlicli dass der Heros Epo-
njinns gera<ie im Gottesdienst den Seinen nicht mit gutem Bai-
Bpiel voran^ehn diirf. Was ist es anders als Theorie, duss der
Name Jahve erst dpm Moses und durch ihn den Israeliten oßim-
bart wird und vorher ganz unbekannt bleibt? eine Theorie, dt*
ohne Zweifel nicht stich hält — denn Moses hätte nichts wid^s
sinnigeres tno können als für flen Gott der Väter auf deu er sün
Volk verwies eiTien neuen Namen einführen — , die aber weges
der Korrelation znischen Jahve dem Gotte Israels und Israel den
Volke Jahves sehr nahe liegt and nach dem Verfasser des Priestw-
kodex nicht ganz eigeiitiimli(:h ist'). Er hat eine Vorlage gehabt,
deren andeutende Linien er mit systematischer Schärfe nachzieht;
darin so weit gehend, dass er sogar da wo er selber erzälilt
den Namen Jahve in der vormosaischen Zeit vermeidet, dass er
auch in seiner eigenen Rede bis auf Exod. i) nur Elohim sagt,
nicht Jahve.
Die drei Perioden und die entsprechenden drei Bünde der
Vorzeit sind Vorstufen zur vierten Periode und zum vierten Bnode.
Auf das mosaische Gesetz ist fiberaU das Absehen des Erzähler»
gerichtet, nach dieser Rücksicht entwirft er den bei ihm so stark
hervortretenden Plan seiner Darstellung der Ui'sprünge. Die
llohenpuukte derselben bilden die Haupt- und Staatsaktionen
Elohims mit den Erzvätern. In diesen Haupt- und Staatsaktionen
wird nichts erzöldt, sondern nur geredet und verhandelt; es wer-
den darin die präliminarischen Gesetz gegeben, welche stufen-
weise fortschreitend das Hauptgesetz vorbereiten, nämlich ilas
mosaische. Das Knltusgesetz ist an die Stelle der Knltussnsfe
getreten. In der Kultussage entstehn die heiligen Sitteu und
Bräuche so zu sagen unwillkürlich, bei irgend einer motivirendeu
Gelegenheit die in die heilige Vorzeit verlegt wird. Jahve stellt
") E.tod. fi, 2. 3 (P) = 3, 13. 14 {JE). Dass dif Prioritsf der Theuphani.^
auf Seiten des Jehovistea ist, ergibt sieb action aus dem feurißen Biiscli,
während ihr ita Pries l«rkod«s eigentlich der ganie Charakter der Theo-
phftnie abgestreift ist; uauieatlicli aber ergibt es sicti aas der Vergleirhung
von Exod. 7,1 (?) mit 4, le <.IB). l)er Ausdruck 7, 1: „siehe ich mache
dich zum Gott für Pharao und deiu Bruder Aharon soll dein Pruphet
seiu" ist eine Verschlechterung des eutuprechendeu 4,16: .Ahiron soll
dir als Mund dienen und du sollst ihm für Üott sein'. Denn wenn
AharoQ der Prophet öder der Mund Moses ist, so ist nach der nrsprn^-
lichcn neil allein sachgemKeseu Konception, Moses der Qott ^ben ßir
Äharon und nicht der Gott ffir Pharao.
Die Erzählung des Hexateuchs. 345
nicht statutarisch fest, dass die Hüftsehne nicht gegessen werden
darf, sondern er ringt mit Israel und verletzt ihm dabei die Ilüft-
sehne, und aus diesem Grunde pflegen die Kinder Israel die Hüft-
sehne nicht zu essen. Wie es gekommen ist, dass die jungen
Knaben von den Israeliten beschnitten werden, wird folgender-
maassen erzählt (Exod. 4, 25 s.): als Moses auf seiner Rückkehr
von Midian nach Gosen unterwegs übernachtete, überfiel ihn Jahve
in der Absicht ihn zu töten ; sein Weib Sipphora aber nahm einen
Feuerstein und schnitt die Vorhaut ihres Sohnes ab und berührte
damit die Scham Moses und sprach: du bist mir ein Blutbräuti-
gam; da Hess Jahve von ihm ab. Sipphora beschneidet also ihren
Sohn statt ihres Mannes, macht den letzteren dadurch symbo-
lisch zum Blutbräutigam und löst ihn von dem Zorne Jahves,
dem er verfallen ist, weil er eigentlich kein Blutbräutigam ist,
d. h. weil er nicht die Beschneidung vor der Hochzeit an sich
hat vollziehen lassen. Mit anderen Worten wird die Beschneidung
der Knäblein hier geschichtlich erklärt als ein gemildertes Äqui-
valent für die ursprüngliche Beschneidung der jungen Männer vor
der Hochzeit'). Damit vergleiche man die Avt und Weise, wie
der Priesterkodex in Gen. 17 die Beschneidung der männlichen
Kinder am achten Tage nach der Geburt statutarisch verordnet
und durch die Verordnung die Erzählung, die ihr zum Anlass ge-
dient hat, vollkommen in den Schatten stellt und verdirbt, näm-
lich die Erzählung von der Verheissung der Geburt Isaaks zum
Lohn für die Gastfreundschaft, welche Abraham dem Jahve zu
Hebron erwiesen hat. Es besteht aber nicht bloss ein formeller
Untei*schied, sondern auch ein materieller Gegensatz zwischen der
jehovistischen Kultussage und dem priesterlichen Kultusgesetz. Die
Kultussage wird durch das Kultusgesetz purificirt, das heLsst in
allen ihren Grundzügen und Trieben negirt. Wie wir bereits im
ersten Kapitel gesehen haben, ist es bewnisste Polemik, dass
Abraham Isaak und Jakob im Priesterkodex keine Altäre er-
richten und keine gottesdienstliche Gebräuche ausüben, dass sie
') Dass dies in der Tat die ursprüngliche Sitte ist, geht aus dem Worte
chatan hervor, welches sowol die lieschneidung als den Bräutigam
(resp. arabisch den Schwiegersolm) bedeutet, worauf in Exod. 4, 25 der
Sinn von chatan damin (Blutbräutigam) beruht. Noch gegenwärtig
soll die ursprüngliche Sitte bei einigen arabischen Stämmen herrschen,
ebenso wie auch Sichem in Gen. 34 sich vor der Heirat beschneiden
muss.
346 Geschichte der Tradition, Kap. 8.
gelöst werden von den heiligen Ort^n mit denen sie in JE un-
zertrennlich verbunden sind. Das Volksreligionsbuch, welches uns
in der jehovistischen Genesis noch so ziemlich, wenngleich auch
nicht ganz unkorrigirt, erhalten ist, erzählt, wie die Ahnen und
Repräsentanten Israels die alte volkstümliche Praxis des Kultus,
an den Hauptorten wo derselbe gefeiert wurde, begründet haben.
Das Gesetz des legitimen Kultus von Jerusalem, wie es uns im
Priesterkodex vorliegt, reformirt und zerstört den alten volkstüm-
lichen Gottesdienst auf grund mosaischer d. i. prophetischer Ideen.
Die Stiftshütte verträgt sich nicht mit den Heiligtümern von He-
bron Beerseba Sichem Kades Mahanaim Lahai-Roi Bethel; die
Patriarchen wohnen in Hebron nm* um sich dort begraben zu
lassen, nicht um die Gottheit unter der Eiche Mamre zu bewirten
und dort den Altar zu bauen. Die ketzerischen Malsteine Bäume
und Brunnen verschwinden und mit ihnen die anstössigen Bräuche:
dass Gott den Abraham sollte aufgefordert haben ihm seinen ein-
zigen Sohn zu opfern, wäre im Priesterkodex ein unmöglicher
Gedanke. Der ganze Stoff der Sage ist legislativen Zwecken
untergeordnet, überall tritt der umändernde Einfluss des Gesetzes
auf die Erzählung hervor.
Im ganzen stellt sich der Judaismus negativ zu der alten
Sage, einiges Positive aber hat er doch neu hineingebracht. Wäh-
rend die Patriarchen nicht opfern, sondern nur schlachten dürfen,
haben sie dagegen den Sabbath') und die Beschneidung. Sie
gleichen darin den Juden in Babylonien, denen die fehlende
Kultusfeier durch diese beiden vom jei-usalemischen Tempel un-
abhängigen Verbindungs- und Erkennungszeichen der Religion er-
setzt wurde. Im Exil, nach dem Aufhören des Altardienstes,
haben der Sabbath und die Beschneidung die Bedeutung erlangt,
die ihnen als Symbolen — in der eigentlichen alten Bedeutung
des griechischen Wortes — und zwar als praktischen Symbolen
des Judentums bis auf die Gegenwart geblieben ist. Merkwürdig
ist es, mit welchem Nachdruck stets im Priesterkodex hervor-
gehoben wii'd, dass die Patriarchen ein Leben in der Fremde
geführt haben, dass sie Ger im gewesen seien. Nimmt man
^) Der Sabbath ist nach dem Priesterkodex keine mosaische Verordnung,
er besteht nach Gen. 2, 3 seit Anfang der Welt. Bei den alten Israeliten
trat der Sabbath an gottesdienstlicher Bedeutung völlig zurück hinter
den Festen, im Judentum war es umgekehrt.
Die Erzählung des Hexateuchs. 347
hinzu, dass Abraham von Ur, aus Chaldäa, nach Palästina ein-
gewandert sein soll, so ist in der Tat der Gedanke nicht ab-
zuweisen, dass auf die priesterliche Gestaltung der Ei-zvätersage
die Verhältnisse des babylonischen Exils eingewii'kt haben. Trotz
allem historischen Bestreben und allem archaistischen Schein
wurde dann dennoch die Gegenwart des Erzählers auch positiv in
der Schilderung der Patriarchenzeit zum Ausdrucke gelangen.
m.
1. In dem jehovistischen Geschichtsbuche ist die Genesis eine
grosse Hauptsache und nimmt mindestens die Hälfte vom Ganzen
ein, im Priesterkodex verschwindet sie völlig gegen die späteren
Bücher. Er kommt erst mit der mosaischen Gesetzgebung in sein
eigentliches Fahrwasser und erdrückt alsbald die Erzählung durch
die Last des legislativen Stoffes. In seinem dünnen historischen
Faden läuft er zwar auch hier dem Jehovisten parallel, aber wir
verlieren denselben bei ihm stets aus den Augen w egen der immer
wiederkehrenden Unterbrechungen durch umfangreiche Ritualge-
setze und statistische Aufnahmen.
„Durch eine höchst traurige, unbegreifliche Redaktion werden
diese vier letzten Bücher Moses ganz ungeniessbar. Den Gang
der Geschichte sehen wir überall gehemmt durch eingeschaltete
zahllose Gesetze, von deren grösstem Teile man nicht einsehen
kann, warum sie hier angeführt und eingeschaltet werden." Diese
Sprengung der Glieder der Erzählung durch die ungeheuren Aus-
wüchse gesetzlichen Inhalts, die indessen nicht wie Goethe meint
erst Schuld der Redaktion, sondern schon des unredigirten Priester-
kodex selber ist, ist in der Tat unerträglich; sie kann auch, rein
fonnell und literarisch betrachtet, nichts ursprüngliches sein. Es
lässt sich noch verfolgen, wie der gesetzliche Stoff in die Erzäh-
lung eindringt und sich dort allmählich immer breiter macht. Im
Jehovisten scheint noch eine Form der Überlieferung durch, in
welcher die Israeliten sofort nach dem Durchgange durchs Schilfs-
meer auf Kades zogen und nicht erst den Abstecher zum Sinai
machten. Während wir erst in Exod. 19 zum Sinai gelangen,
befinden wir uns schon in Exod. 17 zu Massa und Meriba, d. h.
auf dem Boden von Kades. Dort spielt der Vorgang, wie Moses
mit seinem Stabe Wasser aus dem Felsen schlägt; dort der Kampf
mit den Amalekitern, die eben hier und nicht am Sinai wohnten;
34« Geacliichte der Tradition, Kap. 3.
dort Jethros Hesuch, der eine von seiner Heimat (am Sinai) ziem-
lich entfernte Örtlichkeit voraussetzt, wo nicht bloss ein voröber-
gehendes Wanderlager , sondeiii die dauernde (lerichtastätte *} des
Volkes sich befand. Darum kehren auch lüe Encähinngen, die
vor der Ankunft am Sinai berichtet werden, nach dem Aufbruch
von dort noch einmal wieder, weil das Lokal vorher nnd nachher
das gleiche ist, nämlich die Wüst« von Kades, der wahre Scban-
platz der mosaischen Geschichte. Mit der Einsetzung von Uichtem
und Ältesten wird vor dem grossen Sinaiabschnitte abgeschlossen
und nachher wieder angefangen (Exod. 18. Nn. 11); die Erzählnua
von dem durch Moses hervorgelockten Felseuquell zu Massn und
Meriba begegnet nicht bloss Exod. 17, sondern auch Nam. 'K).
Das besagt mit anderen Worten, dass die Israeliten nicht erst
nach iler Digression zum Sinai, sondern sofort nach dem Auszüge,
in Kades, dem ursprünglichen Ziel ihrer Wanderung, anlangen
und dort die rierzig Jahre ihres Aufenthaltes in der Wüste ver-
bleihen. Kades ist dann auch der ursprüngliche Ort der Gesetz-
l^ebung. „Dort setzte er ilinen Recht und Gericht, und dort ver-
suchte er sie'*, heisst es vor der Sinaiperikope in einem poeti-
schen Fraginente (Exod. 15, 3ö), welches jetzt in die Erzählung
von der Heilung des Urunnens zu Mara eingesetzt ist, doil aber
ganz verloren und ohne Beziehung steht: die eigentämliche Verbin-
dung von Gericht und Versuchung weist mit Entschiedenheit auf
Massa und Meriba (d. i, Gerichts- und Versuchungsstätte), also
auf Kades als den eigentlich gemeinten Ort. Die Gesetzgebung
an der Gerichtsstätte von Kades wird jedoch nicht vorgestellt als
ein einmaliger Akt, wodurch Moses den Israeliten ein für alle mal
ein allgemeines umfassendes Gesetz verkündet, sondern sie dauert
vierzig Jahre und besteht in der Rechtsprechung am Heiligtum,
die er beginnt und die nach seinem vorbildlichen Anfange die
Priester und Richter nach ihm fortsetzen. So ist die Vorstelltmg
in der überaus lehrreichen Erzählung Esod. 18, welche zu Kade.s
spielt. Und in dieser Weise gehört die Thora hinein in die Ge-
schichtsdarstellung, nicht nach ihrem Stoff als Inhalt irgend eines
Kodex, sondern nach ihrer Form als das berufsmässige Tun Moses,
nicht nach ihrem Ei^ebnis als Summe der in Israel gilttgea^
') Kades heisst auch Meriba, die Ge rieb Li stalte, oder Jleriliat Kadeti
Gerich Isstattn am heiligen Quell. *
Die Erzählung des Hexateuchs. 349
setze und Bräuche, sondern nach ihrer Entstehung als begründender
Anfang der noch immer in Israel fortwirkenden und lebendigen
Institution der Thora.
Die wahre und alte Bedeutung des Sinai ist ganz unabhängig
von der Gesetzgebung. Er war der Sitz der Gottheit, der heilige
Berg, ohne Zweifel nicht bloss für die Israeliten, sondern allge-
mein für alle hebräischen und kainitischen Stämme der Umgegend.
Von dem dortigen Priestertum wurde das Priestertum Moses und
seiner Nachfolger abgeleitet; dort war Jahve ihm im brennenden
Dornbusch erachienen, als er die Schafe des Priesters von Midian
hütete; von dort hatte er ihn nach Ägypten entsandt. Dort blieb
Jahve auch für die Israeliten noch wohnen, lange nachdem sie
selber sich in Palästina niedergelassen hatten; im Liede der De-
bora muss er vom Sinai herkommen, um seinem bedrängten Volke
zu helfen und sich an die Spitze seiner Krieger zu stellen. Nach
der Meinung des Dichters von Deut. 33 haben sich nicht die
Israeliten zu Jahve nach dem Sinai begeben, sondern umgekehrt
ist dieser vom Sinai zu ihnen nach Kades gekommen: „Jahve
kam vom Sinai und er glänzte von Seil*, blitzte auf vom Berge
Pharans und kam nach Meribath Kades" *). Es erklärt sich aber
leicht genug, dass es für passender gehalten wurde, sich die Israe-
liten zu Jahve bemühen zu lassen. Das geschah zunächst nur in
der Form, dass sie dort vor Jahves Antlitz erscheinen um ihm zu
huldigen und zu opfern (Exod. 3, 12), und dass sie beim Ab-
schiede die Lade erhalten zum Ersätze für Jahve selber, der auf
dem Sinai wohnen bleibt (Exod. 33): denn die Lade ist die Re-
präsentation Jahves, darin besteht ihre Bedeutung und nicht in
den Gesetztafeln, die ursprünglich gar nicht darin liegen. Erst
ein weiterer Schritt führte dazu, den Sinai zum Schauplatz der
feierlichen Eröffnung des geschichtlichen Verhältnisses zwischen
Jahve und Israel zu machen. Es waltete das poetische Bedürfnis,
die Konstituirung des Volkes Jahves zu einem dramatischen Akte
auf erhabener Bühne zuzuspitzen. Was nach der älteren Über-
lieferung auf stille und langsame Weise vor sich ging, den Inhalt
^) Wo der Sinai geleg:en hat, wissen wir nicht und die Bibel ist sich
schwerlich einig darüber; das Streiten über die Frage ist bezeichnend
für die Dilettanten. Den besten Anhalt gibt Midian Kxod. 2, denn das
ist doch wahrscheinlich Madian an der arabischen Küste des Roten Meeres.
Nach unserer Stelle scheint der Sinai südöstlich von Edom zu liegen;
der Weg vom Sinai nach Kades geht über Seir und Pharan.
350 Geschichte der Tradition, Kap. 8.
der gesamten Periode Moses ausmachte, und ebenso begann wie ^
sich später noch immer fortsetzte, das wurde nun der Feierlichkeit
und Anschaulichkeit wegen in einen eklatanten Anfang zusammen-
gedrängt. Dann aber musste der Bund zwischen Jahve und Israel
auch ii-gend wie positiv charakterisirt werden, das heisst, Jahve
musste die Grundlagen und Bedingungen desselben dem Volke an-
kündigen. So entstand die Notwendigkeit, die Grundgesetze ihrem
Inhalte nach hier mitzuteilen, so fand der legislative Stoff Ein-
gang in die geschichtliche Darstellung.
Wie der Jehovist ursprünglich ein reines Geschichtsbuch, so
war das Deuteronomium, als es zuerst aufgefunden wurde, ein
reines Gesetzbuch*). Diese beiden Schriften, die geschichtliche
und die gesetzliche, waren anfangs ganz unabhängig von ein-
ander; erst hinterdrein wurden sie verbunden, weil das neue
Gesetz die Popularität des alten Volksbuches teilen und das-
selbe zugleich mit seinem Geiste durchdringen sollte. Eine be-
queme Handhabe dazu bot der Umstand, dass, wie wir eben
gesehen haben, schon ein gesetzliches Stück in das jehovistische
Geschichtsbuch aufgenommen war. Dem Dekaloge, am Anfang
der vierzigjährigen Periode, A^-urde nun das Deuteronomium, am
Schluss derselben, hinzugefügt. Die Situation — von der das
Gesetz selber nichts weiss — ist sehr gut gewählt, nicht bloss
weil Moses in seinem Testamente das Recht hat weissagend vor-
zugreifen und ein Gesetz für die Zukunft zu geben, sondern auch
weil dadurch, dass das Gesetz an den Schluss seines Lebens zu
stehn kommt, der Erzählungsfaden nicht weiter unterbrochen,
sondern nur ein Einschnitt zwischen dem Pentateuch und dem
Buche Josua gemacht wird. Durch diese Zusammenarbeitung
des Deuteronomiums mit dem Jehovisten ist nun zuerst die Ver-
bindung von Erzählung und Gesetz entstanden; und nur weil dem
Priesterkodex dieses Muster vorgelegen hat, erklärt es sich, dass
er, obwol seine Absicht lediglich auf die Thora geht, doch gleich
von vornherein darauf angelegt ist auch die Geschichte von der
Weltschöpfung an zu umfassen, als wenn die auch zur Thora ge-
hörte. In der Natur der Sache liegt diese Art der Darstellung der
Thora in Form eines Geschichtsbuches ganz und gar nicht, sie bringt
im Gegenteil die grössten Unzuträglichkeiten mit sich. Sie lässt
1) Kap. 1-2—26. Die beideu historischen Einleituni^en Kap. 1—4. Kap. 5—11
sind erst spater hiiizugekommrn, ebeuso die Anhänge Kap. 27 ss.
Die Erzählung des Hexateuchs. 351
sich nur auf die oben angegebene Weise begreifen, durch die Ver-
mittlung eines vorausgegangenen literargeschichtlichen Processes*).
Wie vom literarischen Gesichtspunkt aus, so erscheint auch
vom historischen der Moses des Jehovisten ursprünglicher als der
des Priesterkodex. Dies zu beweisen ist nun allerdings eigent-
lich die Aufgabe des ganzen vorliegenden Buches: doch wird es
deshalb nicht als ungehörig gelten können, wenn wir an dieser
besonders geeigneten Stelle den Gegensatz der historischen An-
schauung über Moses und sein Werk in den beiden Hauptquellen
des Pentateuchs kurz darlegen und l)eurt^ilen. Nach dem Priester-
kodex ist Moses Religionsstifter und Gesetzgeber, so wie wir ihn
uns gewöhnlich vorstellen. Er empfängt und veröffentlicht die
Thora, vielleicht nicht als Buch — obgleich man sich die Sache
schliesslich doch kaum anders vorstellen kann — , wol aber fix
und fertig als weitläufiges, fein ausgebildetes System, welches die
heilige Konstitution der Gemeinde für alle Zeiten enthält. In
dem Botendienste, den Moses als Mittler des Gesetzes leistet, be-
steht seine ganze Bedeutung; was er sonst noch tut, tritt zurück.
Dass das Gesetz ein für alle mal gegeben wird, das ist das
grosse Ereigniss der Zeit, nicht, dass das Volk Israel anfängt auf
die Weltbühne zu treten; das Volk ist des Gesetzes wegen da
und nicht das Gesetz um des Volkes willen. Nach dem Jeho-
visten dagegen besteht Moses Werk darin, dass er sein Volk rettet
vor den Äg}'ptern und in der Wüste in jeder Weise für es Sorge
trägt; in dem Präludium aus seiner Jugend, wo er den Ägypter
erschlägt und den Streit seiner Brüder zu schlichten sucht (Exod.
2, 11 SS.), ist seine Geschichte vorgezeichnet. Zu seiner Für-
sorge für die Israeliten gehört es ebenso wol, dass er ihnen
Unterhalt verschafft als dass er Friede und Ordnung unter ihnen
stiftet und erhält (Num. 11). Die Thora ist nur ein Teil seiner
Tätigkeit und fliesst aus dem allgemeineren Beinif, dass er der
Wärter des jungen Volkes ist und dasselbe gewissermaassen auf
die Beine setzen muss (Num. 11, 12). Sie ist nach Exod. IS
nichts anderes als ein Ilatschaffen, ein Expediren aus den tat-
sächlich eingetretenen Verwicklungen und Verlegenheiten; indem
') Dass dem Priesterkodex die Sinaigesetzgebun«? des Jehovisten und das
Deuterouoiniuin bereits vereint vorlagen, zei^ sich aueh darin, dass er
sowol eine Gesetz j^'ebunjr am Berge Sinai, als auch eine (lesetzgebuni;
in den Arl>oth Moab hat und dazwischen noch eine in der Wüste des
Sinai.
352 Gtsi-hicLte ävT Trailitiun, Kap, 8. ^^^H
er den Leuten in den bestimmten Fällen die sie vor ihu liringW"
Uedil spricht oder Bescheid erteilt, lehrt er Bte den Weg den
sie gehn sollen. So wird er der Aufänger der nacJi ihm iu
Priestern und Propheten fortlebenden Interweisung Jahves. Hier
ist alles lebendig und im Hnss; wie Jahve selber, so arbeitet
auch der Mann Gottes im lebendigen StolT, praktisch, in keiner
Weise theoretisch; geschichtlich, nicht literarisch. Es lässt sdch
wol von seinem Tun and Wirken erzählen, aber der Inhalt
desselben ist mehr als ein System und lässt sich niclil iu ein
Kompendium bringen: es ist niclit abgeschlossen, sondern nur
lier Anfang einer Reihe unendlicher Wirkungen. Im Priesier-
küdex hat man das Werk Moses reinlich und abgegrenzt vor
sich liegen; wer tausend J;ihre später lebt, kennt es so gut als
wer dabei gewesen ist. Es hat sich losgelöst von seinem Vr-
heber und seiner Zeit; selber unlebendig hat es das Leben
auch aus Moses und aus dem Volke, ja aus der Gottheit selber
ausgetrieben; das Residuum iler Geschichte, indem es als Ge-
setz an den Anfang der Geschichte tritt, erdrückt tmd tötet die
Geschiclite selber. Welche von den beiden Anschauungsweisen
die liistorischere ist, ist darnach nicht schwer zu entscheiden,
Es kommt hinzu, dass in der älteren hebräischen Literatur immer
die Volksgi-ünilung und nicht die Gesetzgebung als die theokra-
tische Schöpfertat Jahves angesehen wird. Es fehlt überhaupt der
üegriff des Gesetzes; man kennt nur Verträge, wodurch die Ver-
treter des Volkes sich gegenseitig die feierliche Verpflichtung auf-
erlegen, dies und jenes allgemein zu tun oder zu lassen.
Noch ein Unterschied miiss hier hervorgehoben werden, der
freilich uns schon öfters beschäftigt hat. Was im Prlesterkodes
der Inliiilt der Thora Moses ist, nämlich die Einrichtung des
Kultus, das geht nach dem Jehomten zurück auf die Praxis der
Patriarchen — eine weitere Konsequenz des Gegensatzes zwischen
Kultusgeseta und Kultnssage. Jäicht bloss der Zukunft greift der
Moses des Priesterkodex vor, sondern auch der Vergangenheit; er
kollidirt mit der Geschichte nach allen Seiten. Offenbar ist die
Vorstellung die einzig natürliche, wonach der Kultus nichts sped-
fisch Israetitsches, nichts zufolge plötzlichen Befehles der Gottheit
von Moses Eingeführtes, sondern uraltes tierkommen ist. Zur Zeit
der Abfassung des Priesterkodex machte der Kultus allerdings das
wahre Wesen der Israeliten ans. An liie Stelle des Volkes I
Die Enählung des Hexuteiiehe.
353
f.bei ihm schon in der mosaischen Zeit die Kirche, die einheitliche
I Kuhasgemeinde — der Geschichte zum trotz, aber bezeichnend för
[.seinen Standpunkt.
Autoritäten wie Bleek Uupfeld und Knebel haben sich nun
[ freilich durch den Schein des Historischen täuschen lassen, den
der Priesferkodex hier wie in der Fatriarchengescliichte mittels
I gelehrter Kunst zu erwecken sucht, sie haben die vielen Zaiileu
I und Namen, die genauen technischen Beschreibunj;;en, dus strenge
f Einhalten der Scenerie des Lagerlebens als Zeichen urkondlichor
i Objektivität angesehen. I4öldeke hat dieser Kritik für immer
-ein Ende gemacht, eigentlich aber gebührt Colenso das Ver-
[ dienst, zuerst das Gespinnst zerrissen zu habeu. Die Dreistig-
[ keit der Zahlen und Namen, die Genauigkeit der Milteitungeu
t über gleicligiltige Äusserlichkeiteu bürgt nicht für ihre Zuver-
I lässigkeit; sie stammen nicht aus gleichzeitigen Aufnahmen, sou-
j dern lediglich aus der spiltjüdischen Phantasie, einer Phantasie,
l die bekanntlich nicht malt und bildet, sondern rechnet und
kenstruiil und weiter nichts als öde Schemata zu wege bringt.
Wenn man die Beschreibung der Stiftshütte (Exod. 25ss-) nicht
wörtlich wiederholen will, so ist es schwer von ihrer Umständ-
lichkeit einen Begriff zu geben; man muss sich an der Quelle
I überzeugen, was dieser „Erzähler" dariu leistet. Man sollte
^ denken, er liefere Kalkulatoreu das Material zu einem Kostenan-
schläge oder schreibe für Weber und Zimmerleute; aber die
würden sich auch nicht daraus vernehmen, denn die unglaubliche
Nüchternheit ist dennoch Phantasie, wie in Kap. 1 gezeigt ist.
IJie Beschreibung der Stiftshütte wird im Buche Numeri durch
die des Lagers ergänzt; ist jene das Centrum, so ist dieses der
Kreis dazu, der in einen äusseren Ring, die zwölf weltlichen
Stämme, in einen mittleren, die Leviten, und in einen inner-
Bten, die Aharoniden, zerrällt: eine mathematische Darstellung
■ Theokratie in der Wüste. Die beiden ersten Kapitel ent-
1 halten die Zählung der zwölf Stämme und ihre Gliederung in
[ vier Quartiere, lauter Namen und Zahlen. Zu dieser ersten
Zählung kommt in Kap. 34 noch eine andere am Schluss der
■H) Jahre hinzu mit ganz verschiedenen Einzelposten aber nahezu
der gleichen Gesamtsumme. Diese Gesamtsumme, (WOÜlXl Krieger,
stammt aus der älteren Überlieferung; ihre Wertlosigkeit erhellt
i daraus, dass in einem wirklich authentischen Dokument der
■ ""•' "
1
I
354 » Geschichte der Tradition, Kap. 8.
israelitische Heerbann zur Zeit Deboras auf die Stärke von
40000 Mann geschätzt wird. Dem Priesterkodex bleibt das Ver-
dienst, die Gesamtsumme ein bischen weniger rund gemacht und
sie in künstliche Einzelposten zerlegt zu haben. An die Muste-
rung des Volkes schliesst sich in Num. 3. 4 die Weihung des
Stammes Levi an das Heiligtum, zum Ersatz für die bis dahin
nicht geopferten und auch nicht gelösten männlichen Erstge-
borenen der Israeliten, Es sind 22273 männliche Erstgeborene
und 22000 männliche Leviten über einen Monat alt vorhanden;
die überschiessenden 273 Erstgeborenen werden mit fünf Sekel
für den Kopf noch besonders gelöst. Wie genau! Aber was
soll man dazu sagen, dass auf ein Volk von mindestens zwei
Millionen nur 22273 männliche, also vielleicht 50000 männliche
und weibliche Erstgeburten gekommen sein sollen? Dann ent-
fallen ja durchschnittlich vierzig Kinder auf jedes Weib, denn
Erstgeburt im Sinne des Gesetzes ist, was zum ersten die Mutter
bricht: dazu hat schon Bleek den Kopf geschüttelt (Einl. * p. 117).
Die Fortsetzung zu Num. 3. 4 liefert Kap. 8. Da die Leviten
eine Abgabe an das Heiligtum von Seiten des Volkes sind, welche
jedoch nicht geopfert sondern den Priestern abgetreten werden soll,
so wird auch der charakteristische Ritus dieser Art Abgaben mit
ihnen vorgenommen, nämlich das scheinbare Werfen in die Altar-
flamme (Aristeas 31,5) — man denke sich Aharon und Moses die
22 000 Menschen schwingen! Ein nicht minder starkes Beispiel
dieser eigentümlichen Poesie ist die Geschichte Num. 31. Zwölf-
tausend Israeliten, je tausend aus einem Stamme, ziehen gegen die
Midianiter zu Felde, tilgen ohne Kampf — wenigstens ist von
dieser Hauptsache nirgend die Kede — das ganze Volk aus, indem
sie alle Männer und einen Teil der Weiber en^^ürgen und die un-
verheirateten Mädchen gefangen führen, und erleiden dabei selber
keinen Verlust. Das letztere wird nicht bloss im allgemeinen be-
hauptet. „Die Hauptleute über tausend und über hundert traten
zu Moses und sprachen zu ihm: deine Knechte haben die Summe
der Kriegsleute, die uns untergeben gewesen sind, aufgenommen,
und es fehlt nicht einer.'' Von der unermesslichen Beute an
Menschen und Vieh bestimmt Ja hve die eine Hälft« denen, die ins
Feld gezogen sind und die Schlacht geliefert haben, die andere
Hälfte der Gemeinde; jene sollen den aOOsten Teil an die Priester,
diese soll den 50 sten Teil an die Leviten abgeben. Die Aus-
Die Erzähhmg des Hexateuchs. 355
führuiig dieser Verordnung wird in folgender speciellen Weise l)e-
richtet. ^Es war die vorhandene Beute, die das Kriegsvolk geraubt
hatte, 675000 Schafe, 72000 Rinder, 61000 Esel, und 32000 Weiber,
die nicht beim Manne gelegen hatten. Und die Hälfte, welche
den ins Feld Gezogenen zufiel, w ar 337 500 Schafe, davon Steuer
an Jahve 675; 36000 Rinder, davon Steuer an Jahve 72; 30500
Esel, davon Steuer an Jahve 61; 16 000 Menschenseelen, davon
Steuer an Jahve 32; und Moses gab die Abgabe an Jahve dem
Priester Eleazar. Aber die andere Hälfte, die Moses den Kindern
Israel zuteilte, die der Gemeinde zuständige Hälfte, war 337 500
Schafe, 36 000 Rinder, 30 500 Esel, 16 000 Menschenseelen; und
Moses nahm von dieser Hälfte der Kinder Israel je ein Stück
von fünfzig und gab es den Leviten." Mit der Berechnung der
Abgabe an Jahve hat es Kloses insofern bequem, als der 5(X)ste Teil
von der Hälfte ebenso viel ist wie der 1000 ste vom Ganzen; er
braucht also von den Hauptsummen bloss die Tausende weg zu
lassen. Zum Schlüsse bringen noch die Hauptleute dem Jahve
Geschenke von goldenen Geräten, Ketten, Geschmeiden, Ringen und
Spangen, zusammen 16750 Sekel im Gewicht, zur Sühne ihrer
Seelen. „Das war aber nur, was die Hauptleute an Gold erbeutet
hatten, denn die Kriegsmänner hatten geraubet ein jeglicher für
sich." Man darf sich vielleicht die Frage erlauben, in w^elchem
Verhältnis diese 16750 Sekel, welche hier allein die Hauptleute
von dem Goldschmucke der Midianiter an die Stiftshütte
spenden, zu den 1700 Sekeln stehn, welche in Jud. 8 das ganze
Volk von dem Goldschmuck der Midianiter zur Errichtung
eines Gottesbildes in Ophra weiht?
Weniger leicht als Verhältnisse und Zahlen scheinen sich
die zahlreichen, oft registerweise zusammengestellten Namen aus
blosser Fiktion zu erklären. Darüber wird allerdings kein Zweifel
walten können, dass die vierzig Orte, welche in der Liste der
Stationen der Wüstenwanderung (Num, 33) aufgeführt werden,
wirklich in der Gegend, durch welche die Israeliten ihren Weg
genommen haben sollen, vorhanden gewesen sind. Wer sich das
zum Beweise, dass wir hier ein uraltes historisches Dokument vor
uns haben, genügen lässt, dem wird keine Kritik die Freude
stören. War es aber so schwer, für die vierzig Jahre des Wüsten-
zuges vierzig bestimmte Stationen in der Wüste auszusuchen?
Wenn die Elemente nicht fingirt sind, so folgt daraus noch lange
23*
3r>6 Geschichte der Tradition, Knp. 8.
nicht, diisti auch die KompositioD lUL-lit fiiigirt sei. Bei den \'er-
zeichnisseD der Personeimamen sind übrigens auch die Elemente
vielfach von überaos zweifelhafter BeschafTeuheit, imd man tut
hier am besten, sich an den Grundsatz Vatkes (a. 0. p. (575) la
halten, nämlich Subjekten ohne Prädikaten kein Vertrauen m
schenken nnd nicht an die Wirklichkeit von Personen zu glanben,
die gar nichts zu wirken haben. Die Dutzendnamen in Nam. 1.
H. 14 sind fast alle nach der selben Schablone gemacht niid haben
gar keine Ähnlichkeit mit den echten alten Eigennamen. Dass
der Name Jahve nicht in ilirer Komposition vorkommt^ beweist
nur, dass der Komponist seiner religionsgeschicbtlichen Theorie
wol eiugetlenk war.
Durch diese Vorliebe für unfruchtbare Namen und Zahlen
niiil technische Beschreibungen kommt der Priesterkodes auf eine
Linie zu stehn mit der Chronik und der übrigen Literatur des
Judentums, welche mit der künstlichen Wiederbelebung der allen
Tradition sich abgiebt (p. 179 s. 215, 227 s.). Nah verwandt
mit dieser Vorliebe ist eine unbeschreibliche Pedanterie, die das
innerste AVeseu des Verfassers des Priesterkodes bildet. Für das
Klassificiren imd Schematisiren hat er eine wahre LeidenschaA;
wenn er einmal ein Genns in verschiedene Species zerlegt hat, so
müssen wir uns jedesmal alle Species einzeln wieder vorführen
lassen, so oft vom Genus die Kede ist; der subsumirende Gebrauch
der Präpositionen Lamed und Beth ist für ihn bezeichnend. Wo
er kann, bevorzugt er den weitläufigen Ausdruck, das Selbst-
verständliche zum hundertsten male ausführlich zu wiederholen
wird er nicht müde (Num. S), er hasst die Pronomina und alle ab-
kürzenden Substitnte. Das Interessante wird übergangen, das
Gleichgiltige genau beschrieben, vor lauter erschöpfender Deutlichkeit
weiss man oft bei einer ohnehin deutlichen Sache mit den vielen
Bestimmungen nicht ans noch ein. Dies ist es, was man ira
weiland historisch-kritischen Sprachgebrauche als epische Breite zq
bezeichnen pflegt« ').
2. Nachdem wir so den allgemeinen Gegensatz des Priester^
kodex und des Jehovisten füi' die mosaische Periode darzustellen
') Etiehm 0,0.293: „Die Duretellimg ist ruhig, einfach, frei Ton allem
reilnemchen imd dichtcriachen Schmuck, und die Ausdrucks« eis« b«i
gleich srti^eu Objekteu von epischer nieiclifürmigkeil. So eindruckSTuU
mauL-he Stöcke gerade in ihrer sclilichten Einfachtieit nnd objekäM'
Die Erzählung des Hexateuehs. 357
versucht haben, bleibt uns- jetzt noch übrig, die einzelnen Er-
zählungen zu vergleichen. Als Anfang der israelitischen Geschichte
wird überall der Auszug aus Ägypten betrachtet. Im Priester-
kodex ist derselbe zur Epoche einer Ära gemacht (Exod. 12, 2),
nach welcher künftighin datirt wird, und zwar nicht bloss in
Jahren, sondern in Monaten und Tagen. Dass diese genaue Da-
tirungsweise erst sehr spät unter den Hebräern aufgekommen ist,
steht fest. In den historischen Büchern haben wir aus vor-
exilischer Zeit nur eine einzige Monatsangabe (1. Reg. 6, 38), aber
ohne Hinzufügung des Tages. Eine gewisse Wichtigkeit hatte die
Zeitbestimmung für die prophetischen Schriftsteller, und da lässt
sich die Entwicklung der Sitte einigermaassen verfolgen. Amos
ist aufgetreten „zwei Jahre vor dem Erdbeben". Bei Jesaias ist
die bestimmteste Angabe „das Todesjahr des Königs Uzzia".
Jahreszahlen finden sich zuerst bei Jeremias, „das 13. Jahr des
Königs Josia" und wenige andere. Plötzlich aber tritt ein Um-
schwung ein; die im babylonischen Exil aufgewachsenen Propheten
Haggai und Zacharia datiren fortwährend und geben dabei nicht
bloss das Jahr und nicht bloss den Monat, sondern auch den
Monatstag an. Im Priesterkodex wird diese Genauigkeit, welche
die Juden offenbar von den Chaldäern gelernt haben, seit der Zeit
Moses angewandt.
Im Jehovisten ist der ostensible Anlass des Auszuges ein Fest,
welches die Kinder Israel ihrem Gotte in der Wüste feiern wollen.
Im Priesterkodex föUt dieser Anlass weg, weil es keine vormosaischen
Feste geben darf. Damit fällt aber zugleich der Grund weg, weshalb
Jahve die Erstgeburten der Ägypter tötet: er tut es deshalb,
weil ihm der Ägypterkönig die Erstgeburten der Israeliten
vorenthält, welche ihm zum Feste dargebracht werden sollen;
denn das Fest ist das Opferfest der Erstlinge des Viehs im
Frühling. In der älteren Überlieferung ist das Fest das Prius, die
Erklärung für die Umstände und die Jahreszeit des Auszugs; in
der jüngeren hat sich das Verhältnis umgekehrt: die Tötung der
Erstgeburten der Ägypter ist der Anlass der Opferung der israelitischen
Erstgeburten, der Auszug im Frühlinge hat das Fest im Frühliuge
Haltung sind, so bemerkt man doch nirgends ein Streben, durch die
Mittel schriftstellerischer Kunst Effekt zu machen und das Interesse
des Lesers zu spannen." Vgl. dagegen Lichtenberg, Werke II 162 s.
(Göttingen 1844).
358 Geschichte der Tradition, Kap. 8.
zur Folge. Auf gruud dieser jüngeren Überlieferung entfernt sich
der Priesterkodex am allerweitesten vom Ursprünglichen dadurch,
dass nach ihm das Pascha, dessen Zusammenhang mit dem Erst-
geburtsopfer er ganz verwischt, nicht zum Danke dafür, dass Jahve
die Erstgeburt Ägyptens geschlagen hat, gefeiert, sondern im
Momente des Auszuges gestiftet wird, damit er die Erstgeburt
Israels verschone. Wie dies alles zu verstehen und zu beurteilen
sei, ist im Kapitel über die Feste (p. 86 s. 99 ss.) ausführlicher
dargelegt worden.
Über die Darstellung des Durchgangs durchs Schilfmeer in
den beiden Quellen lässt sich nur das sagen, dass dieselbe im
Jehovisten (J) komplicirter ist. Nach ihm kommen auch die
Ägypter zunächst durch das von einem starken Winde trocken
gelegte Meer hindurch und stossen dann nachts am östlichen Ufer
mit den Hebräern zusammen. „Aber gegen die Morgemvache
kehrte sich Jahve, in der Feuer- und Wolkensäule, gegen des Ägj pters
Heer und bestürzte des Ägypters Heer und hemmte das Rad seiner
Wagen und Hess ihn ins Unwegsame geraten. Da sprach der
Ägypter: ich will fliehen vor Israel, denn Jahve streitet für sie
gegen Ägypten. Aber das Meer kehrte zurück gegen Morgen zu seinem
gewöhnlichen Stande, und die Ägypter flohen ihm entgegen, und
Jahve schüttelte sie mitten ins Meer" (Exod. 14, 24. 25. 27). Xach
dem Priesterkodex ^) stürzen die Wellen über den Verfolgern zu-
sammen, ehe sie noch ans jenseitige Ufer gelangen: die Vor-
stellung ist viel einfacher, aber ärmer an zufälligen Zügen.
Das Wunder des Manna (Exod. 16) wird im Priesterkodex als
ein sehr zweckmässiges Mittel benutzt, die strenge Sabbathsheiligung
dem Volke einzuschärfen: am siebenten Wochentage fällt keins,
aber das am sechsten gesammelte hält sich zw^ei Tage, während es
sonst nur ganz frisch gegessen werden kann. Dass dies gesetzliche
Interesse die Erzählung verdirbt und ihren eigentlichen Sinn zurück-
drängt, liegt auf der Hand. Ebensowenig ursprünglich ist es, viel-
mehr ein Zeichen von Greisenhaftigkeit, w^enn Im Priesterkodex
das Manna nicht roh, sondern gekocht und gebacken genossen wird.
Auf dem Berge Sinai erhielt Moses nach dem Priesterkodex
') und überhaupt nach der jüiim'eren Überlieferung; auch nach dem Liede
Exod. 15, welches abgesehen von dem alten Anfange ein Psalm in der
Weise des Psalmen ist und keine Ähnlichkeit hat mit den historischen
Liedern Jud. 5. 2. Sam. 1. Num. 21.
Die Erzählung des Hexateuchs. 359
die Offenbaning — des Modells der Stiftshiitte, nach dessen ihm
vorschwebenden Muster er dann unten die wirkliche Stiftshütte
bauen lässt. Alle inhaltliche Offenbarung erfolgt schon zur Zeit
Moses soweit als möglich in der Stiftshütte, Exod. 25, 22. Denn
auch der Sinai darf dem einzig legitimen Gottessitze nicht länger,
als es unumgänglich nötig ist, zur Seite treten. Die Gesetzestafeln
werden, wie es scheint, stillschweigend vorausgesetzt, ohne vorher
eingeführt zu sein; natürlich auf grund der Annahme, dass die
Sache den Lesern, nach der älteren Überlieferung, bekannt sein
werde. Dafür wird dann aber das Äussere der Lade aufs ver-
schwenderischste ausgestattet, mit einer Pracht, an welche die an-
derweitigen Nachrichten über den Akazienholzkasten nicht denken
lassen, wie denn auch sonst die Lade im Priesterkodex anders
aussieht, als sie nach 1. Reg. 7,23 ss. ausgesehen hat. An die
Haggada erinnert die Decke, welche Moses über sein vom Wider-
schein der Herrlichkeit Jahves strahlendes Antlitz legen muss, um
die Leute nicht zu blenden (Exod. 34, 29 — 35), und die Ver-
fertigung des ehernen Handfasses aus den Spiegeln der Tempel-
weiber (38, 8 vergl. Num. 17,lss.); diese Züge gehören zwar nicht
zum ursprünglichen Bestände des Priesterkodex, fallen aber dennoch
In seine Sphäre.
Vom Sinai gelangen wir nach der alten Überlieferung über
diese mid jene namentlich aufgeführten Stationen alsbald nach
Kades, um hier die längste Zeit des vierzigjährigen Wüstenaufent-
halts zu verbleiben: hier spielen, wie bereits gesagt, eigentlich
alle Geschichten, die überhaupt von Moses erzählt werden. Im
Priesterkodex kommen wir auch hier, gerade wie in der Pa-
triarchensage, nicht an bestimmte Orte, sondern treiben in der
Wüste des Sinai, in der Wüste Pharan, in der Wüste Sin um.
Mit offenbarer Absicht wird namentlich Kades möglichst in den
Hintergrund gedrängt, jedenfalls wegen der grossen Heiligkeit,
welche dieser Ort als langjähriges Standlager der Israeliten unter
Moses ursprünglich gehabt hat.
Von Kades gehn nach dem Jehovisten die Kundschafter aus,
nach dem Priesterkodex von der Wüste Pharan. Nach jenem
gelangen sie bis nach Hebron, bringen von dort die schönen
Trauben mit, finden aber das Land, wo sie wachsen, uneinnehm-
bar; nach diesem gelangen sie ohne weiteres gleich durch ganz
Palästina hindurch bis zum Libanon, haben aber nichts mitzu-
960
Geschichte der TruditJoD, Kap. 8.
bringen und raten deshali) vom Angriff auf das Land ab, weil
sie es nicht besunders begehrenswert finden: gerade als ob nnr
dem Glauben die Vorzüge desselben zugänglich, für ungläubige
Augen aber nicht zu entdecken seien, wie es aur Zeit Hagisais
nnd Zacharias und zur Zeit Ezras und Nehemias wirklich der
Fall war, während dem alten echten Israeliten die Herrlichkeit
seiner geliebten Heimat kein blosser Glaubenssatz war, an dem
er hätte auch zweifeln können. Dort wird (nach Dt. 1,23) nur
die Zahl der Kundschafter angegeben sein, hier werden sie alle
zwölf mit Namen benannt. Dort macht alleine Knleb die jinte
Ausnahme, hier Kaleb und Josna. ursprünglich gehörten wol beide
nicht in diese Erzählung, aber Kaleb als Ausnahme zu nennen lag
nahe, weil er in der Tat gerade die Gegend von Kades bis Hebron
eroberte, welche die Kundschafter als uneinnehmbar geschildert
und die durch sie eingeschüchterten Israeliten nicht anzugreifen
gewagt hatten. Josna dagegen ist hinzugefügt worden von der
Erwägung aus, dass nach dem Num. 14, 23. 24 ausgesprochenen
Grundsätze auch er das Verdienst Kalebs geteilt haben müsse, da
er gleichen ausoahmsweisen Lohnes teilhaft geworden sei.
Anftra^eber der Kundschafter, zu dem sie ihre Meldung zu-
rückbringen, ist nach dem Jehovisten Moses allein, nach dem
Priesterkodex Moses nnd Ahaion. In der ältesten Quelle des
Jehovisten (J) kommt Aharon überhaupt noch nicht vor, im
Priesterkodex darf Moses Öffentlich nichts ohne ihn tun'). Moses
ist zwar auch hier ilie Seele, aber Aharon der Repräsentant der
Theokratie; und es wird streng darauf gehalten, dass derselbe
nii^end fehle, wo es auf diese Repräsentation, der Gemeinde
gegenüber, ankommt. Die auffallendsten Fi-üchte hat der Trieb,
den Vertreter der Hierokratie uud damit überhaupt die Hiero-
kratie in die mosaische Geschichte einzuführen, getragen in der
sogenannten Erzählung vom Anfmhr der Rotte Korah. Nach der
jehovistischen Überlieferung sind es die Rnbeniten Dathan und
Abiram, vornehme Männer des erstgeborenen Stammes in Israel,
von denen der Aufruhr ausgeht, und derselbe richtet sich gegen
Moses als Führer und Richter des Volkes. Nach der Ver-
sion der Grnndschrift des Priesterkodex ist ein Judäischer Summ-
fürst mit Namen Korah der Rädelsführer, und er empört sich nicht
Die Erzählung des Hexateuchs. 361
gegen Moses allein, sondern gegen Mos^s und Aharon als
Vertreter des Priestertums. In einem späteren Nachtrage,
welcher seiner Ai*t nach ebenfalls zum Priesterkodex, aber nicht
zu dessen ursprünglichem Bestände gehört, erscheint der Levit
Korah an der Spitze eines Aufstandes der Leviten gegen Aharon
als Oberpriester und verlangt die Gleichstellung des niederen
Klenis mit dem höheren. Nehmen wir die jehovistische Version,
als deren geschichtliche Grundlage das Herabsinken Rubens von
seiner alten Stellung an der Spitze der Bruderstämme durch-
schimmert, zum Ausgangspunkte, so lässt sich mit Händen greifen,
wie die zweite daraus entstanden ist. Nachdem das Volk der
Gemeinde, d. h. der Kirche, Platz gemacht hat, treten statt des
volkstümlichen Führers Moses die geistlichen Spitzen Moses und
Aharon ein, und die Eifersucht der weltlichen Grossen richtet sich
nun gegen den Stand der Erbpriester, statt gegen den ausser-
ordentlichen Einfluss eines gottgesandten Heroen auf das Gemein-
wesen: alle diese Veränderungen ergeben sich naturgemäss aus
der Übertragung der Hierokratie in die mosaische Zeit. Vom
Boden der zweiten Version lässt sich nun ferner die Entstehung
der dritten begreifen. Nachdem zunächst dort die ursprünglich
rubenitischen Stammfürsten zeitgemäss einem judäischen gewichen
sind, ist hier, gemäss dem weiteren Fortschritte der Zeit, an die
Stelle des judäischen Stammfürsten Korah der gleichnamige Epo-
nymus einer nachexilischen Levitenfamilie getreten, und der Streit
zwischen Klerus und Adel hat sich in einen häuslichen Streit zwi-
schen höherem und niederem Klerus verwandelt, der ohne Zweifel
in der Gegenwart des Erzählers brennender war. So entwickeln
sich die drei Versionen, deren Zusammenschweissung unter jedem
anderen Gesichtspunkte als ein reines Rätsel erscheint, in gerad-
liniger Descendenz auseinander; unter dem Einfluss uns vollkommen
bekannter, grosser historischer Wendungen haben sich die Meta-
morphosen vollzogen und im Lichte der judäischen Geschichte seit
Josia sind sie uns durchaus nicht unverständlich').
Es folgt der Aufbruch der Israeliten ins Ostjordanland. Nach
dem Jehovisten legen ihnen die Nachbarvölker dabei Schwierig-
keiten in den Weg, und das Land, wo sie sich ansiedeln wollen,
müssen sie sich mit dem Schwerte erobern. Der Priesterkodex
') Composition des Hexateuchs (1899) p. 102 ss. 340 ss.; Leideuer Theol.
Tijdschrift 1878 p. 139 ss.
362 Geschichte der Tradition, Kap. 8.
berichtet davon so wenig wie fiüher vom Amalekiterkriege; nach
ihm sieht es so aus, als ob die Israeliten geradeswegs auf ihr
Ziel losgesteuert wären und es sich dort bequem gemacht hätten;
der Besitz des herrenlosen Landes wird (Num. 32) von Moses und
Eleazar den beiden Stämmen Rüben und Gad zugestanden. Damit
es aber nicht gänzlich an einem Kriege unter Moses fehle, wird
hinterher der Krieg mit den Midianitern, über den wir bereits
referirt haben, erzählt (Num. 31); erzählt wird freilich dabei nicht
viel, sondern nur gezählt und verordnet; in dem Verse 31, 27
scheint 1. Sam. 30, 24 als Grundlage des Ganzen durchzuschimmern.
Für die Anschauung vom Kriegswesen, wie sie die ganz kriegsent-
wöhnten Juden der späteren Zeit hatten, ist der Bericht äusserst be-
zeichnend. Sehr merkwürdig ist auch der Anlass des Krieges: nicht
etwa um Land zu erwerben oder aus irgend welcher anderen prak-
tischen Ursache wird er begonnen, sondern bloss zur Rache dafür,
dass die Midianiter einzelne Israeliten zum Huren verfuhrt haben.
Die Ältesten von Midian sind nämlich hingegangen zum
Wahrsager Bileam, um sich bei ihm Rats zu erholen, was gegen
die israelitischen Eindringlinge zu machen sei. Er hat ein Mittel
angegeben, der Gefahr die Spitze abzubrechen: die Midianiter
sollen den Israeliten ihre Töchter zu Weibern geben und so das
heilige Volk seiner Stärke berauben, deren Geheinmis seine Ab-
sonderung ist. Die Midianiter sind Bileams Rate gefolgt, es ist
ihnen gelungen, manche Israeliten durch die Reize ihrer Weiber
zu bestricken, eine schwere Plage ist in folge dessen von Jahve
über das untreue Volk verhängt. Bis so weit lässt sich die Er-
zählung des Priesterkodex nur aus Num. 31, 8. 16. Jos. 13, 22
und aus den Prämissen der Fortsetzung erraten; erst an diesem
Punkte setzt das uns erhaltene Stück (Num. 25, 6ss,) ein und
zwar mit dem Bericht, auf welche Weise der Plage endlich Ein-
halt getan worden sei. Ein Mann bringt ganz dreist eine Midia-
nitin ins Lager, vor den Augen Moses und der weinenden Kinder
Israel; da nimmt der jugendliche Erl)priester Phinehas einen Speer,
durchsticht das gottlose Paar, und wendet durch diesen seinen
Eifer den Zorn Jahves ab. Diese Erzählung gründet sich «auf die
uns gleichfalls nur fragmentarisch erhaltene jehovistische (Num. :J5,
1 — 5), ül)er den Abfall der Israeliten im Lager zu Sittim zum
Dienste des Baal Pheor, wozu sie sich verführen lassen dui'ch die
Töchter Moabs: der Götzendienst ist im Priesterkodex, bis auf
Die Erzählung des Hexateuchs. 363
einige unwillkürliche Reminisceuzen, ganz fortgefallen und statt
dessen die Hurerei, die ursprünglich nur den Anlass zu der eigent-
lichen Hauptschuld bildet, ausschliesslich hervorgehoben, offenbar
in dem Gedanken, dass das Heiraten fremder Frauen schon an
sich ein Abfall von Jahve, ein Bundesbruch sei. Diese Abwand-
lung war für das exilische und nachexilische Judentum höchst
zeitgemäss, denn damals lag die Gefahr groben Götzendienstes nicht
nahe, wol aber kostete es grosse Mühe, dem drohenden Ein-
dringen des Heidentums in die Gemeinde unter der freundlichen
Form der Mischehen entgegenzutreten. Zu der jehovistischen Er-
zählung von Baal Pheor ist nun aber in der Version des Priester-
kodex noch die Figur des Bileam hinzugekommen, die gleichfalls
dem Jehovisten entlehnt, aber freilich ganz umgestaltet ist. So
wie er in der alten Geschichte erscheint, veretösst er gegen alle
Begriffe des Priesterkodex. Ein aramäischer Seher, der für Geld
gedungen wird und allerhand heidnische Vorbereitungen trifl't um
zu weissagen, aber dabei doch kein Betrüger ist, sondern ein
wahrer Prophet so gut wie irgend ein israelitischer, der mit
Jahve in den vertrautesten Beziehungen steht trotzdem er eigent-
lich die Absicht hat Jahves Volk zu verfluchen — das ist dem
exklusiven Judentum zu stark. Die Korrektur wird einfach da-
durch bewirkt, dass Bileam mit der folgenden Perikope in Verbin-
dung gebracht und zum intellektuellen Urheber der Teufelei der
midianitischen Weiber gemacht wird; in dieser Neuschöpfung des
Priesterkodex lebt er dann in der Haggada fort. Unklar bleibt es,
warum die Moabiter in Midianiter umgesetzt werden; es steht je-
doch fest, dass die Midianiter nie in jener Gegend gewohnt haben.
Mehr und mehr nehmen im Buche Numeri auch die erzählen-
den Partieen, welche im übrigen die Art und Farbe des Priester-
kodex an sich tragen, den Charakter blosser Ergänzungen und
redaktioneller Nachträge zu einem bereits vorhandenen anderweiti-
gen Zusammenhange an; die selbständige Grundschrift des Priester-
kodex tritt immer stärker gegen die jüngeren Zusätze zurück und
hört wie es scheint mit dem Tode Moses ganz auf. Wenigstens
lässt sie sich in der ei^sten Hälfte des Buches Josua nirgend ver-
spüren, und dann kann man auch die ausführlichen dem Prieister-
kodex angehörigen Stücke der zweiten Hälfte, die von der Vertei-
lung des Landes handeln, nicht zu ihr rechnen, da dieselben ohne
vorhergehende Erzählung über die Eroberung des Landes in der
3H4
Oescliklile der Trmliliou, Kap. 8.
Luft schweben und keineu eigenen Zusammenhang mehr darstdf
sondern daa jehovistiach-deuterimomistisehe Werk voraussetzen.
Eine A'ergleiehung der Versionen über die Weise, wie dio
israelitischen Stämme von dem eroberten Lande Besitz ei^tfan
haben, möge den Reigen beschliessen. Der Priesterkodes lisst, in
Einklang mit der deuteronomistischen Bearbeitung, ganz Kanaan
zur tabuta rasa machen und es dann herrenlos und menschenleer
der Verlosung unterbreiten. Zuerst Tällt dem Stamme Jiida sein
Los zn, sodann Manasse und Ephraim, darauf den beiden Stämmen,
die sich an Ephraim und Juda anschmiegten, Benjamin und Simeon,
endlich den fünf nordlichen Stämmen Zebulou Issachar Äser Naph-
thali Dan. „Das sind die Stammländer, welche Eleazar der Priester
und Josua ben Nun und die Stanunhäupter der Rinder Israel zu-
teilten nach deni Lose zu Silo vor Jahve vor der Stiftshütte. "
Nach dem Jehovisten scheinen Juda und Joseph ihr fiebiet
schon zu Oilgal (14, ti), und zwar nicht durch das I>os, zugeteilt
erhalten und es von dort aus in Besitz genommen zu haben.
Geraume Zeit später wird das übrige Land unter die säumigen
sieben kleinen Stämme verlost, von 8i!o oder vielleicht ursprüng-
lich von Sichern aas (18, 2^10); Josua alleine wirft das Los
und weist an, Eleazar der Priester nicht mit ihm. Schon hier
mid die unterschiedslose Allgemeinheit der Anschauungsweise des
Priesterkodes etwas eingeschränkt, viel stärker aber widerspricht
derselben das wichtige Kapitel Jud. 1.
Dasselbe ist in Wahrheit keine Fortsetzung des Buches Josua,
sondern eine Parallele dazu, die wo! die Eroberung des ostjorda-
nischen, aber nicht die des westjordanischen Landes voraussetzt,
diese vielmehr erst selber erzählt und zwar erheblich abweichend.
Von Gilgat, wo der Mal'ak Jahve zuerst sein Lager aufgeschlagen
hat, ziehen die Stämme einzeln aus um sich ihr „Los" am ei"-
kämpfen, zuerst Jnda, dann Joseph. Bloss von diesen wird
eigentlich erzählt, indessen von Joseph auch nur der erste An-
fang der Eroberung seines Laudes. Von Josua ist keine Rede;
als Befehlshaber Israels passt er auch nicht in die Oesammt-
anschanung; wähi-end es sich wol damit vertragen würde ihu
als Führer seines Stammes anzusehen. Rückhaltlos wird die Un-
vollatändigkeit der Eroberung zugestanden, dass die Kanaaniter
in den Städten der Ebene ruhig fortgewohnt haben und erst in
der Köuigszeit, als Israel stark 'geworden, unterworfen und zins-
Die Erzählung des Hexateuchs. 365
bar gemacht seien. Dass dies Kapitel, sowie überhaupt der Stock
des Richterbuchs, der jehovistischen Traditionsschicht entspricht,
zu der auch die gleichlautenden oder ähnlichen Stellen in Josua
(15, 13 — 19 u. a.) unbestritten gerechnet werden, lehil schon der
MaPak Jahve. Die Verachiedenheit von der jehovistischen Haupt-
version im Buche Josua erklärt sich grössten Teils daraus, dass
diese ephraimitischen Ursprungs ist und in folge dessen dem
Helden Ephraims oder Josephs die Eroberung des ganzen Landes
zuschreibt, während Jud. 1 den Stamm Juda mehr berücksichtigt.
Es findet sich übrigens im Buche Josua selber der Rest einer Ver-
sion (9, 4 — 7. 12 — 14), worin ebenso wie in Jud. 1 „der israeli-
tische Mann** handelt und „den Mund Jahves befragen'* muss,
während sonst Josua allein zu sagen hat und als Nachfolger Moses
die Entscheidung lediglich der Vollmacht seines eigenen Geistes
entnimmt. Endlich ist auf Exod. 23, 20ss. aufmerksam zu machen,
wo gleichfalls die Übereinstimmung mit Jud. 1 darin hervortritt,
dass nicht Josua, sondern der Mal'ak Jahves (Jud. 5, 23) Israels
Führer ist, und dass das gelobte Land nicht auf einmal, sondern
sehr allmählich im Laufe der Zeit erobert wird.
Die Anachronismen und Anekdoten in Jud. 1 hindern nicht
anzuerkennen, dass die zu gründe liegende Gesamtanschauung von
dem Hergange der Eroberung, nach dem was wir von der Folge-
zeit wissen, eine ungleich historischere ist als die im Buche Josua
herrschende, wonach alles mit systematischer Gründlichkeit zuge-
gangen, das ganze Land erst entvölkert, sodann unter die ein-
zelnen Stämme ausgelost sein soll. Sofern die letztere Vorstellung,
welche einerseits ermöglicht wii'd durch die wörtliche Deutung des
von den Familienäckern auf das Stammgebiet übertragenen Aus-
druckes Los (Jud. 18, 1), andererseits durch die übliche Zusammen-
drängung einer langen Entwicklung in den ersten Hauptakt, am
konsequentesten im Priesterkodex ausgebildet ist, so steht dieser
dem Ursprünge der Tradition am fernsten*). Das Gleiche zeigt
sich auch darin, dass der Stamm Joseph nie erwähnt wird, son-
dern statt seiner immer nur die beiden Stämme Ephraim und
Manasse, und dass diese beiden Stämme fast ganz gegen Juda
*) In der deuteronomistischen Bearbeitung (Jos. 21, 43 — 45) zeigt sich dooh
noch ein Schwanken, ein gewisses Unvermögen sich loszureissen vom
Alten (Deut. 7, 22. Jud. 3, 1. 2), ausserdem sind hier die Motive der
Neuerung weit deutlicher: die Kanaaniten werden ausgerottet um die
Ansteckung der neuen Ansiedler mit ihrem Götzendienst zu verhüten.
366 Geschichte der Tradition, Kap. 8.
verschwinden, obwol trotzdem der Führer Ephraims, Josua, als
Führer Gesamtisraels aus der alten ursprünglich ephraimitischen
Tradition beibehalten wird.
Es ist kein Widerspruch, bei der Vergleichung der Überliefe-
rungsschichten den geschichtlichen Maassstab für die Ursage und
die Patriarchenlegende abzulehnen und ihn für die epische Zeit
Moses und Josuas in gewissen Grenzen anzuwenden. Die epische
Überlieferung enthält doch Elemente, die sich nicht anders er-
klären lassen als dadurch dass geschichtliche Fakta zu gründe ge-
legen haben müssen; sie geht doch von der Zeit aus von der sie
handelt, während die Patriarchenlegende mit der Zeit der Patriar-
chen in durchaus keiner Verbindung steht *). Darin liegt das Recht
der verschiedenen Behandlung. Das letzte Ergebnis ist das gleiche:
sow^ol mit dem ^laasse der Poesie als mit dem Maasse der Historie
gemessen steht der Priesterkodex nach Wert und nach Zeit be-
trächtlich unter dem Jehovisten.
3. Ich habe in groben Zügen den Gegensatz zwischen den
Endpunkten der Überlieferung des Hexateuchs zur Anschauung zu
bringen gesucht. Es wäre nicht unmöglich, der inneren Ent-
wicklung der Überlieferung durch die Mittelglieder nachzngehn,
unter Benutzung der feineren Ergebnisse der Quellenscheidung und
mit Heranziehung der nicht gerade zahlreichen aber wichtigen
Anspielungen, die im Deuteronomium, in den historischen und in
den prophetischen Büchern, namentlich bei Hosea^ vorkommen.
Es würde sich herausstellen, dass die Sage ihrer Natur nach dazu
auffordert, sie zu variiren, dass sie sich objektiv gar nicht darstellen
lässt. Schon bei der ersten Aufzeichnung spielen die verfärbenden
Einflüsse ein, ohne dass darum doch dem einw^ohnenden Sinne des
Stoffes Gewalt geschähe. Nachweisbar ist zuerst die Einw^irkung
jenes specitischen Prophetismus, den wir von Amos ab verfolgen
können. Am wenigsten lässt er sich in der alten Hauptquelle des
') Bei vereinzelten Angaben lässt sich wol auch hier der historische Maass-
stab anlegen. Man kann es eine richtigere Vorstellung nennen, dass
Hebron zur Zeit Abrahams von den Kanaanitem und rherezitem, als
dass es von den Hethitern bewohnt gewesen sei, die letzteren wohnten
nach 2. Sam. 24, 6 (Sept.) in Coelesyrien und nach 2. Reg. 7, 6 in der
Nähe der Aramäer von Damaskus. Die Angabe, dass die Israeliten als
Hirten von Pharao das Weideland (iosen an der Nordostgrenze Ägyptens
erhalten und dort für sich gewohnt haben, verdient den Vorzug vor der,
dass sie unter den Ägyptern im besten Teile des Landes angesiedelt
seioii.
Die Erzählung des Hexateuchs. 367
Jehovisteii, in J, merken, doch ist es auffallend, dass die Äscheren
im Patriarchenkultus nirgend vorkommen. Weit stärker prophetisch
angehaucht ist die zweite jehovistische Quelle, E; sie lässt eine
fortgeschrittenere und grundsätzlichere Religiosität erkennen. Be-
deutsam in dieser Hinsicht ist die Einfülining Abrahams als Nabi,
das Vergraben der Theraphim durch Jakob, die Auffassung der
Masseba bei Sichem (Jos. 24, 27), vor allen Dingen die Geschichte
vom goldenen Kalbe. Die Gottheit wird weniger urwüchsig vor-
gestellt als in J, sie tritt nicht leibhaftig zum Menschen hin, sondern
ruft vom Himmel oder offenbart sich im Traume. Indem sich
das religiöse Element verfeinert hat, ist es zugleich energischer
geworden und hat auch das Heterogene durchdrungen, gelegentlich
so wunderliche Mischungen erzeugend wie in Gen. 31, 10 — 13.
Dann tritt das Gesetz ein und durchsäuert die jehovistische Er-
zählung; zuerst das deuteronomische, schon in der Genesis, dann
sehr stark im Exodus und im Josua. Zuletzt wird im Priester-
kodex, unter dem Einfluss der Gesetzgebung der nachexilischen
Restauration, eine völlige Umgestaltung der alten Tradition bewirkt.
Das Gesetz ist der Schlüssel zum Verständnis auch der Erzählung
des Priesterkodex. Mit der Einwirkung des Gesetzes hängen alle
untei-scheidenden Eigentümlichkeiten derselben zusammen; überall
macht sich die Theorie, die Regel, das Urteil geltend. Was oben
vom Kultus gesagt ist, lässt sich wörtlich von der Sage wieder-
holen: in der alten Zeit ist sie dem grünen Baume zu vergleichen,
der aus dem Boden wächst wie er will und kann, hinterher ist
sie dürres Holz, das mit Zirkel und Winkelmaass regelrecht zu-
behauen wird. Es ist ein wunderlicher Einwurf zu sagen, die
nachexilische Zeit habe zu Productionen, wie die Stiftshütte oder
die Chronologie es sind, nicht das Zeug gehabt. Originell war sie
freilich nicht, aber der Stoff war ja schriftlich gegeben und brauchte
nicht mehr erfunden zu werden. Was gehörte denn gross dazu,
um den Tempel in ein tragbares Zelt zu verwandeln? Was ist
das für eine Schöpferkraft, die lauter Zahlen und Namen hervor-
bringt! Von Jugendfrische wenigstens kann da nicht die Rede
sein. Mit ungleich grösserem Rechte wird sich behaupten lassen,
dass die theoretische Modelung und Aptirung der Sage, wie sie im
Priesterkodex geübt wird, erst hat eintreten können, nachdem
dieselbe aus dem Gedächtnis und dem Herzen des Volks heraus-
gerissen und in iliren ^V'urzeln abgestorben war.
368 Geschichte der Tradition, Kap. 8.
Die Geschichte der vorhistorischen und der epischen Tradition
hat also ganz die selben Phasen durchlaufen wie die der historischen;
und der Priesterkodex entspricht in dieser Parallele in all und
jeder Hinsicht der Chronik. Das Mittelglied aber zwischen Alt
und Neu, zwischen Israel und dem Judentum, ist überall das
Deuteronomium.
Der Antar-romkn sagt von sich selber, er habe ein Alter von
670 Jahren erreicht und davon 400 Jahre im Zeitalter der Un-
wissenheit (d. h. des altarabischen Heidentums), die übrigen 270
im Islam verlebt. Etwas ähnliches könnten die biblischen Ge-
schichtsbücher von sich aussagen, wenn sie, personificirt , ihr
Leben begönnen mit der Aufzeichnung des ältesten Kernes und es
abschlössen mit der letzten grossen Umarbeitung. Die Zeit der
Unwissenheit würde dauern bis zum Erscheinen „des Buchs",
welches allerdings im Alten Testament nicht so auf einmal wie
der Koran, sondern während einer längeren Periode und in
mehreren Phasen herniedergekommen ist.
III.
Israel und das Judentum.
Das Gesetz ist zwischenein getreten.
Well bansen, Prolegomenii. 5. Anfl.
24
Neuntes Kapitel.
Abschluss der Kritik des Gesetzes.
Gegen die allgemeine Art der Begründung der Grafschen
Hypothese ist Einspruch erhoben worden. Es soll eine unerlaubte
Argumentation ex silentio sein, wenn daraus, dass die priester-
liche Gesetzgebung noch bei Ezechiel latent ist wo sie wirksam,
unbekannt wo sie bekannt sein sollte, geschlossen wird, dass sie
damals noch nicht vorhanden gewesen sei. Was verlangt man
denn aber? Soll die Nichtexistenz des Nichtvorhandenen etwa
auch noch vorher bezeugt werden? Ist es verständiger, ex silentio
positiv den Beweis der Existenz zu erbringen? zu sagen: in der
Richter- und Königszeit gibt es keine Spuren der Hierokratie,
also stammt sie aus dem höchsten Altertum, von Moses her? Das
Problem bliebe dann das selbe, nämlich zu erklären, wie es kommt,
dass mit und nach dem Exil die Hierokratie des Priesterkodex
praktisch zu werden beginnt. Was die Gegner der Grafschen
Hypothese Argumentation ex silentio nennen, ist weiter nichts als
die allenthalben giltige Methode historischer Forschung.
Ein etwas anderes Aussehen gewinnt der Protest gegen die
Argumentation ex silentio, wenn darauf hingewiesen wird, dass
Gesetze manchmal Theorien sind und dass es kein Beweis gegen
die Existenz einer Theorie ist, wenn sie in der Praxis nicht durch-
dringt. Wer wird zum Beispiel daraus, dass das Deuteronomium
während der vorexilischen Zeit wesentlich Theorie blieb , schliessen
wollen, es sei nicht vorhanden gewesen? Wenn Gesetze nicht
gehalten werden, so sind sie darum doch da — vorausgesetzt
nämlich, dass man dafür anderweitige genügende Beweise hat.
Aber diese Beweise wollen sich eben für den Priesterkodex ganz
24*
372 Israel und das Judentum, Kap. 9.
und gar nicht finden lassen. Ausserdem ist selten alles bei einem
Gesetze Theorie; die Möglichkeit, dass etwas Theorie sein kann,
darf nicht allgemein, sondern immer nur im einzelnen Falle geltend
gemacht werden. Und nicht alles, was in der Tat Theorie ist,
entzieht sich darum der geschichtlichen Ansetzung. Auch die
gesetzliche Phantasie geht immer von irgend welchen gegebenen
Voraussetzungen aus; eben an diese Voraussetzungen, nicht an
die Gesetze selber, hat sich die geschichtliche Ki'itik zu halten^).
Gerade umgekehrt pocht man nun freilich auch darauf, dass
die (lesetze des Priesterkodex sich doch überall in der Praxis der
historischen Zeit bezeugen, dass es immer Opfer und Feste und
Priester und Reinigungsbräuche und was dergleichen mehr ist im
alten Israel gegeben habe. Dem liegt wo möglich die Meinung
zu gründe, dass nach der Grafschen Hypothese der ganze Kultus
erst durch den Priesterkodex erfunden und erst nach dem Exil
eingeführt worden wäre. Die Vertreter der Grafschen Hypothese
i^lauben wirklich nicht, dass der israelitische Kultus plötzlich in
die Welt getreten sei, so wenig durch Ezechiel oder durch Ezra
als durch Moses — wozu würden sie auch sonst des Darwinismus
bezichtigt? Sie finden nur, dass des Gesetzes Werke vor dem
(resetze geschehen sind, dass ein Unterschied besteht zwischen
hergebrachtem Brauche und formulirtem Gesetze, und dass dieser
Unterschied auch da, wo er bloss formell scheint, doch einen
materiellen Hintergrund hat, indem er zusammenhängt mit der
Ontralisirung des Gottesdienstes und der darauf gegründeten
Hierokratie. Es kommt auch hier nicht bloss auf den Stoff an,
sondern auf den Geist, der dahinter steckt und sich überall als
Zeitgeist charakterisirt').
Inzwischen leiden alle diese Einwüi'fe an dem Fehler, dass
sie ausser acht lassen, um was es sich eigentlich handelt. Es
handelt sich nicht darum zu erweisen, dass das mosaische Gesetz
in der vorexilischen Zeit nicht bestanden habe. Es gibt drei Ge-
setzes- und Traditionsschichten im Pentateuch, und die Aufgabe
ist, diese Schichten in historische Folge zu bringen. Beim Jehovisten
und beim Deuteronomium hat diese Aufgabe eine Lösung gefunden,
die als' allfrcmein anerkannt gelten kann; es handelt sich nun
') Vgl. p. 51. 147 s. 159 s. 256 s. Darum ist auch die Vergleichung der
Traditionsschichteu cIkmiso wichtig als die der Gesetzesschichten.
'') Vgl. p. 75 s.S. 101 SS.
Abschluss der Kritik des Gesetzes. 373
bloss darum, das Verfahren, wodurch die Reihenfolge und die
Zeit dieser beiden Schriften ennittelt worden ist, auch auf den
Priestorkodex anzuwenden, nämlich die innere Vergleichung der
Schichten unter einander und die historische Vergleichung der-
selben mit den sicher überlieferten Tatsachen der israelitischen
Geschichte'). Man sollte nicht denken, dass hiegegen Wider-
spruch erhoben werden könnte. Aber dies ist dennoch der Fall;
das selbe Verfahren, welches auf das Deuteronomium angewandt
historisch-kritische Methode heisst, heisst auf den Priesterkodex
übertragen Geschichtskonstruktion. Konstruiren muss man be-
kanntlich die Geschichte immer; die Reihe Priesterkodex Jehovist
Deuteronomium ist auch nichts durch die Überlieferung oder durch
die Natur der Dinge Gegebenes, sondern eine nur wenige Decennien
alte Hypothese, von der man jedoch die freilich etwas unfassbaren
Gründe vergessen hat und die dadurch in den Augen ihrer An-
hänger den Schein des Objektiven, d. h. den Charakter des Dogmas,
bekommt. Der Unterschied ist nur, ob man gut oder schlecht
konstruirt. Es ist mit Recht erinnert worden, dass die logische
Auseinanderfolge der Gesetze nicht die historische Aufeinanderfolge
derselben zu sein brauche. Um des logischen Fortschritts willen
geschieht es aber auch nicht, wenn wii* die von den Propheten
ausgehende Entwicklung schliesslich auf das Kultusgesetz auslaufen
lassen; von dem gesunden Menschenverstände ausgehend hat man
gewöhnlich der Geschichte, trotz des Wideretrebens ihrer auf uns
gelangten Spuren, den umgekehrten Gang aufgedrängt. Wenn wir
von der israelitischen Kultusgeschichte nach mühsam gesammelten
Daten der historischen und prophetischen Bücher einen Aufriss
machen, darnach den Pentateuch damit vergleichen, und auf solche
Weise bestimmte Beziehungen der einen Schicht des Pentateuchs
mit dieser historischen Phase, der anderen mit jener erkennen, so
heisst das nicht die Logik an stelle der historischen Untei^suchung
setzen. So weit darf doch gewiss die Lehre von der Unvernünftig-
keit des Wirklichen nicht getrieben werden, dass man die Korre-
spondenz zwischen Gesetzesschicht und betreffender Geschichtsphase
als Grund ansieht, beides möglichst weit auseinander zu reissen.
Wenigstens müsste man dann diesen Grundsatz auch auf den
^) Die Methode ist in der Einleitung (p. 1 ss.) angegeben; ich habe mich
besonders im ersten Kapitel, über den Ort des Gottesdienstes, bemüht,
sie deutlich hervortreten zu lassen.
;^74 l-ra^I uad das Judentuin, Kap. D. ^^H
.leho\'7sten und diis Deuteronomium »nwemlen, nicht bloss anf dflAI
Priesterkodex. Denn was dem einen recht ist, ist dem anderen
hillig.
Dass nicht alles, was ich in der Geschichte des Kaltns und
der Tradition vorgebracht habe. Beweis der Hypothese, rielinelir
gar manches nnr Erklärung auf grund der Hypothesß ist, die nicht
dnza dienen kann sie selber zu stützen, das versteht sich von
selbst. Im Gegensaijs zu Graf bin ich absichtlich so verfahren,
firaf hat seine Argumente ziemlich unverbunden vorgetragen und
nicht versucht, die historische (iesamtbetrachtung der Geschichte
Israels zu änilern. Eben darum hat er keinen Eindruck bei der
Mehrzahl seiner Fachgenossen gemacht; sie sahen nicht hinein in
die Wurael der Sache, konnten das System für unerschüttert halten
und darum die einzelnen Anstösse für unlergeoi-dnete Kleinigkeiten
ansehen. Mein Unterschied von Graf besteht zunächst darin, dass
ich immer auf die Central isirnng des Kultus zurückgehe und dar-
aus die einzelnen Differenzen ableite. Meine ganze Position ist im
ersten Kapitel enthalten; dort ist namentlich auch der historisch
sehr wichtige Anteil der prophetischen Paitei an der grossen Meta-
morphose des Kultnswesens klar gelegt, die sich keineswegs bloss
spontan vollzog. Weiter lege ich weit mehr Jvis Graf entscheidendes
Gewicht auf den Wechsel der herrschenden Ideen, der mit der
Änderung in den Einrichtnngen und Bräuchen des Kultus parallel
läuft, wie das besonders der zweite Teil des vorliegeudeii Bnches
aufweist. Fast wichtiger als die Erscheinungen selber sind mir
die dahinter liegenden Voraussetzungen.
AVenn nicht alles, was bisher zur Sprache gekommen ist. Be-
weis für die Grafsche Hypothese ist noch sein soll, so gibt es
andererseits auch Beweismaterial genug, welches noch nicht berück-
sichtigt ist'). Dasselbe ausführlich zu erörtern, würde abermals
ein Buch erfordern; es kann hier nur in Auswahl und in anden-
') Der Friesterkodex kenut nicht blu$ die Äitslten (VI]}), sondern uucli die
Ituräer. In der Ausschliessung za naher VerwandtBchafts grade von der
Ehe geht er sehr weit über das D enteren omium hinaus, wenn man, wie
l'illig, van Deut. 27 absieht; vgl. Compos. des Heiateiichs 1899 p. 363.
Von Sehern und Propheten redet er nirgend. Im tiegensatz zu dem
noch rein auf dem Blut beruhenden Qalial (politisch und saernl voll-
berechtigt« Bärger} des Deutern uomiums ist die Eda des Priesterkodex
schon eine beinah ganz religiöse Grösse; Judo ist, wer sich Kur Religion
des Gesetzes bekennt, die Gerim sind von den Sacra niolit / '~'
Abschluss der Kritik des Gesetzes. 375
tender Kürze vorgeführt werden, wenn die Grenzen nicht über-
schritten werden sollen, welche der wesentlich historische Charakter
dieser Prolegomena steckt. Grösstenteils wird sich dabei das Pro
an die Widerlegung des Contra anschliessen.
I.
1. Eberhard Schrader erwähnt zwar in seinem Lehrbuch der
Einleitung (1869, p. 266), dass Graf die Gesetzgebung der mittleren
Bücher des Pentateuchs der nachexilischen Zeit zuweise, gibt
jedoch nicht den mindesten BegrüBF von der Begründung dieser
Thesis, sondern weist sie kurzer Hand damit ab, dass dagegen
„schon die kritische Analyse ihr Veto'* einlege. Schon die kritische
Analyse! Wie fängt sie das an? Wie kann sie beweisen, dass
die nach allen Seiten ausgebildete Kultuseinheit, die Denaturalisi-
rung der Opfer und der Feste, der Unterschied von Priestern und
Leviten, die autonome Hierarchie älter seien als die deutero-
nomische Reform? Schrader meint vielleicht, dass die aus der
kultusgeschichtlichen Vergleichung der Quellen entnommenen Merk-
male, wonach Jehovist Deuteronomium Priesterkodex, in dieser
Ordnung, auf einander folgen, durch andere mehr formale und
literarische aufgewogen werden, wonach der Priesterkodex an die
Spitze oder doch nicht ans Ende der Reihe gehört. Dann stünde
gleich gegen gleich, und die Frage müsste in der Schwebe bleiben.
Dieser ungünstige Fall würde jedoch nur dann eintreten, wenn
die literarischen Gegeninstanzen den mehr realistischen Gründen
füi- die Grafsche Hypothese wirklich das Gleichgewicht hielten.
In der Untersuchung über die Komposition des Hexateuchs habe
ich nach dem Vorgange anderer gezeigt, wie wenig dies der Fall
ist: die Hauptpunkte will ich der Vollständigkeit halber wieder-
holen.
2. Man sagt, das Deuteronomium gründe seine historischen
Anschauungen nicht bloss auf die jehovistische, sondern auch auf
schlössen; der Menschheitsbegriff durchbricht die Blutrache in dem
Spnich: wer Menschenblut vergiesst, des Blut soll wieder vergossen
werden. Merkwürdig insonderheit ist die Vergeistlichung solcher Be-
griffe und Dinge wie NZ12f> *1D1t&% nynp; siehe meine Bemerkung zu
Arnos 3, 6. Auch das Jahr von 365 Tagen ist zu beachten , welches
der Priesterkodex mit Henoch und Noah in Verbindung bringt; ebenso
die Hohe des Geldes, welche er den Abraham für eine Grabhöhlo zahlen
lässt Über das Fehlen der Perser in Gen. 10 vgl. Compos. des Hexa-
teuchs p. 311.
376 Israel und das Judentum, Kap. 9.
die priesterliche Erzählung. Das eigentliche Deuteronomium
(Kap. 12 — 26) enthält zwar kaum historischen StoflF, aber bevor
Moses zur Sache kommt, schickt er zwei Einleitungen voraus
Kap. 5 — 11. Kap. 1 — 4, und klärt uns darin über die Situation
auf, worin er kurz vor seinem Tode „diese Thora" veröffentlicht.
Wir befinden uns in dem zuerst eroberten Amoriterreich östlich
vom Jordan, am Ende der vierzigjährigen Wanderung; der Über-
gang ins Land Kanaan, für welches diese Gesetzgebung berechnet
ist, steht nahe bevor. Bisher, heisst es nun in Kap. 5. 9. 10, ist
nur das unter allen Verhältnissen giltige und darum von Gott
selbst am Horeb verkündigte Grundgesetz der zehn Worte gegeben
worden. Damals verbat sich das Volk weitere direkte Offenbarung
von Jahve und beauftragte Moses mit der Vermittlung, der sich
demgemäss auf den heiligen Berg begab, dort vierzig Tage und
Nächte verweilte und die zwei Tafeln des Dekalogs empfing,
ausserdem aber die Satzungen und Rechte, welche er erst jetzt
nach vierzig Jahi-en zu publiciren im Begriff steht, da sie erst mit
der Ansiedelung praktisch werden. Nachdem inzwischen unten
das goldene Kalb gegossen worden, stieg Moses vom Berge herab,
zerschmetterte im Zorn die Tafeln und zerstörte das Idol. Darauf
begab er sich zum zweiten mal wiederum vierzig Tage und vierzig
Nächte auf den Berg, bat um Gnade für das Volk und für
Aharon, und nachdem er nach göttlichen Geheiss zwei neue
Tafeln und eine hölzerne Lade für sie gemacht hatte, schrieb
Jahve den Wortlaut der zerbrochenen noch einmal auf. Bei jener
Gelegenheit, wird 10, 8s. bemerkt, wurden auch die Leviten zu
Priestern bestellt.
Dass dies eine Reproduktion des jehovistischen Berichtes
Exod. 19. 20. 24. 32—34 ist, liegt auf der Hand. Hingegen wird
der Priesterkodex vollkommen ignorirt. Nur zwei Gesetze kennt
das Deuteronomium, den Dekalog, den das Volk, die Satzungen
und Rechte, die Moses am Horeb empfing; beide sind zu gleicher
Zeit unmittelbar lünter einander offenbart, aber nur der Dekalog
bisher publicirt. Wo bleibt die gesamte Wüstengesetzgebung von
der Stiftshütte aus? ist es doch geradezu eine Negation ihres Be-
griffs, wenn Moses die Thora erst verkündet beim Übergang in
das heilige Land, weil sie eben nur für das Land', nicht für die
Wüste passt und Geltung hat. Kann der Deuteronomiker, ganz
abgesehen davon, dass ilim nach Kap. 12 von einem mosaischen
Abschluss der Kritik des Gesetzes. 377
Centralheiligtum nichts bekannt gewesen ist, zwischen Exod. 24
und 32 das gefunden haben, was wir dort jetzt lesen? Er über-
schlägt ja alles, was aus dem Priesterkodex eingesetzt ist! Freilich
findet Nöldeke') eine Reminiscenz an denselben in der Lade aus
Akazienholz (Deut. 10, 3). Aber die Lade kommt hier in einem
Zusammenhange vor, der dem jehovistischen (Exod. 32. 33) genau
entspricht und dem priesterlichen (Exod. 25 ss.) widerspricht. Sie
wird erst nach der Aufrichtung des goldenen Kalbes gestiftet,
nicht gleich zu Anfang der göttlichen Offenbarung als der Grund-
stein der Theokratie. Es ist wahr, wir finden gegenwärtig in JE
Exod. 33 . die Lade nicht erwähnt, aber in dem nächsten
jehovistischen Stücke (Num. 10, 33) ist sie plötzlich da, und es
musste doch ursprünglich gesagt sein, woher? Wie die Herrichtung
des Zeltes, welches 33, 7 gleichfalls unvorbereitet vorhanden ist,
muss auch die der Lade einst zwischen 33, 6 und 7 eraählt und
dann vom Redaktor des gegenwärtigen Pantateuchs wegen der not-
wendigen Rücksicht auf P Exod. 25 ausgelassen worden sein: dafür
sprechen auch noch andere Gründe'). Dass der deuteronomische
Erzähler JE vor der Verarbeitung mit P noch vollständiger vor-
gefunden hat als diese Schrift uns nach der Verarbeitung vorliegt,
ist doch keine so schwierige Annahme, dass man um sie zu ver-
meiden lieber zu den allerunmöglichsten zu greifen hätte. Nach
Nöldeke nämlich hat der Verfasser von Deut. 5 — 11 entweder den
jetzigen Pentateuch vor sich gehabt und es dann rätselhaft gut
verstanden JE heraus zu schälen, oder er hat zwar JE als selb-
ständige Schrift benutzt, aber doch auch P gelesen, so aber dass
seine Gesamtanschauung nicht im mindesten von der priesterlichen
beeinflusst ist, sondern derselben total und doch unbewusst wider-
spricht, da sie für eine ausser dem Dekalog erfolgte Kultusgesetz-
gebung, d. h. für den ganzen wesentlichen Inhalt von P, keinen
Platz offen lässt. Zu diesem Dilemma sollte man sich deshall)
verstehn, weil ein oder der andere Zug der deuteronomischen Dar-
stellung in der gegenwärtigen Gestalt von JE nicht nachweisbar,
*) Jahrbb. für i>rot. Theologie 1875 ]>. 350.
') Ohne die Lade hat der in Exod. 33 so wichtige Gegensatz von Ke-
präsentation (Mal'ak) Jahves und Jahve selber keinen Sinn. Durcli das
Gusswerk, dass sie sich gemacht, haben die Israliten den Beweis ge-
geben, dass sie ohne eine sinnliche Vergegenwärtigung der Gottheit
nicht auskommen, darum gibt ihnen Jahve die Lade statt des Kalbes.
Composition des Hexateuchs (1899) p. 93 s.
37s Israel und das Judentum, Kh|>. 9. ^^^H
(lagegcu iu P erhülten ist? ist denn unter sotiLiiün Umstand«^
damit bewiesen, dass er dorther stamme? muss mau nicht büligep-
weise einige Rücksicht auf dns Ensemble nehmen?
Übrigens hat Vatke riclitig bemerkt, dass die hölzerne Lade
l.leut. 10, 1 gar nicht so sehr an die von Exod, 25 erinnere, die
nach Analogie des goldenen Tisches mid Altars viel eher eine
goldene zu nennen war. Noch mehr guter Wille gehört dazu, die
Angabe über Aharons Tod und Begräbnis in Moaera und über
Eleazars Einsetzung an seiner statt (Deat, 10, ö) für eine Re-
miniscenz an P (Nom. 20, 22 ssj anzusehen, wo Aharon auf dem
Berge Hör stiibt und und begraben wird. Aharou nud Eleazar
stehn auch in JE als Priester zur Seite Moses und Josuas; vgl.
Jos. 24, 33. AlleMings ist in JE jetzt der Tod und das Begräbnis
Aharons nicht erhalten; aber man kann doch vom Redaktor des
Pentateuchs nicht verlangen, diiss er eine Person zwei mal sterben
lasse, einmal nach P und einmal nach JE. Noch dazu ist Deut.
10, 6. 7 eine Interpolation, denn die folgenden Verse 10, 8 ss.,
in denen nicht bloss Aharon und Eleazar. sondern alle Le^-iten
das Priestertum besitzen, schliessen sich an 10, T) und beruhen
auf Exod. 32: wir befinden uns noch am Horeb, nicht schon in
Mosera.
Der historische Faden, der in Deut. 5. 'J. 10 angesponnen
wird, lässt sich in Kap. 1 — 4 weiter verfolgen. Von Horeb auf-
brechend kommen die Israeliten direkt nach Kades Barnwi and
schicken von hier^ bevor sie den befohlenen Einfall in dasjudäische
Bergland wagen, aus eigener Vorsicht, die aber von Moses gebilligt
wird, zwölf Kundschafter zur Rekognoscirung aus, unter ihnen
Kaleb, aber nicht Josua. Nachdem diese bis zum Bache Eakol
vorgedrungen sind, kehren sie zurück, und obwol sie die Güte des
Landes preisen, wird doch das Volk durch ihren Bericht so ent-
mutigt, d)iss es murrt und nicht angreifen mag. Zornig darüber
heisst Jahve sie wieder umkehren in die Wüste, da sollen sie sich
so lange umhertreiben, bis die alte Generation ansge-storlieu und
eine neue herangewachsen sei. Als sie nun doch aus falscher
Scham nachträglich vordiüngen, werden sie mit blutigen Köpfen
heimgeschickt. Nunmehr wenden sie sich zurück zur Wüste, wo
sie lange Jahre in der Gegend des Gebirges 8eir hin und her
sieben, bis sie endlich, achtunddreissig Jahre nach dem Aufbruch
von Kades, Befehl erhalten nach Norden vorzugehn, jedod:
Abschluss der Kritik des Gesetzes. 379
verwandten Völker Moab und Ammon zu schonen. Sie erobern
das Land der Amoriterkönige Sihon von Hesbon und Og von Basan,
Moses gibt es den Stämmen Rüben Gad und Halbmanasse, unter
der Bedingung, dass ihr Heerbann noch ferner am Kriege teil-
nehmen müsse. Mit der Designation Josuas zum künftigen Führer
des Volks wird der fortlaufende Bericht abgeschlossen.
Man kann denselben, wenn man die hie und da im Deutero-
nomium zerstreuten Einzelheiten hinzunimmt ^), geradezu als Leit-
faden zur Ermittlung von JE benutzen. Was dagegen der Priester-
kodex Eigentümliches hat, wird mit tiefem Stillschweigen über-
gangen und von Exod. 34 direkt auf Num. 10 übergesprungen.
Während nicht wenige Geschichten, auf die im Deuteronomium
zurückgekommen oder angespielt wird, sich bloss in JE und nicht
in P finden, kommt der umgekehrte Fall nicht vor. Und bei den
Erzählungen, welche sowol in JE als auch in P vorhanden sind,
befolgt das Deuteronomium in allen Fällen, wo man eine deutliche
Differenz erkennen kann, immer die Aversion von JE. Die Kund-
schafter gehn von Kades aus, nicht von der Wüste Pharan, sie
gelangen bis nach Hebron, nicht bis beinah nach Hamath, Kaleb
gehört zu ihnen, nicht aber Josua. Die Meuterer von Num. 16
sind die Rubeniten Dathan und Abiram, nicht Korah und die
Leviten. Nach der Niederlassung im Ostjordanlande hat das Volk
es mit Moab und Ammon zu thun, nicht mit Midian; mit jenen
und nicht mit diesem steht Bileam in Beziehung und ebenso auch
Baal Pheor, Deut. 4, 3 stimmt mit JE (Num. 25, 1 — 5), nicht
mit P (Num. 25, 6ss.). Da die Sachen so stehn, so kann man
nicht mit Nöldeke in der Zwölfzahl der Kundschafter (Deut. 1, 23)
eine sichere Spur des Einflusses von P (Num. 13, 2) sehen. Hätte
der A^erfasser die Erzählung so gelesen, wie sie uns jetzt Num. 13. 14
vorliegt, so w^äre es unverständlich, dass, wie wir eben gesehen
haben, nur die jehovistische Version auf ihn Eindruck gemacht
hat. Er müsste also P als besondere Schrift gekannt haben, aber
es ist doch überhaupt höchst bedenklich, aus einer solchen Einzelheil
auf die Benutzung einer Quelle zu schliessen, deren Einflusslosigkeit
^) Einsetzung von Richtern und Pflegern 1,9 — 18. Thabera, Massa,
Kibroth Thaava 9,22. Dathan und Abiram 11,6. Bileam 23,5. Baal
Pheor 4, 3. Bloss auf die jehovistische Erzählung Num. 12 scheint nirgend»
Bezug genommen zu sein. Deut. 1,9 — 18 spielt noch am Horeb, lässt
aber auch Bekanntschaft mit Num. 11 durchblicken und benutzt beide
Versionen zu einer neuen und etwas andersartigen.
380 Israel und das Judentum, Kap. 9
und Unbekanntheit übrigens eine vollständige ist, zumal die
Priorität dieser Quelle keineswegs an sich fest steht, sondern erst
aus dieser Benutzung erwiesen wird. Wäre eine Differenz zwischen
JE und P in diesem Punkte nachweisbar, könnte man sagen, nur
P lässt zwölf, JE dagegen drei Männer aussenden, so stünde es
schon andei*s; aber der Anfang des Berichts von JE ist Num. 13
durch den von P verdrängt und uns also unbekannt, man weiss
nicht, ob und wie die Zahl angegeben worden ist. In diesem
Falle ist es doch das einzig Rationelle, aus dem Deuteronomium,
welches sonst lediglich dem Jehovisten folgt, das A^erlorene in JE
zu ergänzen und zu schliessen,. dass auch hier der Kundschafter
zwölf gewesen. — Mit dem meisten Rechte lässt sich noch die
Bekanntschaft des Deuteronomiums mit der Erzählung des Priester-
kodex aus 10, 22 beweisen. Denn die siebzig Seelen, die den
Bestand Israels bei der Einwanderung in Ägypten ausmachen,
werden in JE nicht erwähnt, und eine Lücke in dieser Beziehung
macht sich in der jehovistischen Tradition nicht fühlbar. Aber sie
widei-sprechen ihr doch auch keineswegs, und wenn man Deut.
10, 22 nicht für einen Beweis halten will, dass sie ursprünglich
auch in dieser einen Platz hatten, so muss man mindestens zugeben,
dass jene Stelle entfernt nicht ausreicht die Evidenz zu entkräften,
dass die priesterliche Gesetzgebung von der deuteronomischen
ausgeht').
3. Gegen die Grafsche Hypothese wird ferner die deutero-
nomistische Redaktion des Hexateuchs eingewandt, die am klarsten
in den Teilen hervortritt, welche auf die deuteronomische
Thora folgen und zurücksehen. Man hat als selbstverständlich
angenommen, dass dieselbe sich ebenso wie über die jehovistischen
') Nüldeke verwertet solche Zahlen wie 12 und 70 manchmal so als kämen
sie ausschliesslich in P vor. Dem ist nicht so. Wie P im Anfang der
Genesis nach der Zehn, so gnippirt JE nach der Sieben; die Zwölf und
die Vierzig kommen in JE ebenso oft vor wie in P, die Siebzig nicht
minder. Es ist daniin wunderlich, die Erzählung von den 12 Wasser-
quellen und 70 Palmbäumen zu Elim bloss wegen 12 und 70 zu P zu
rechnen. Nicht einmal die Angaben über das Alter der Patriarchen —
soweit sie nicht dem chronologischen System dienen — sind ein sicheres
Merkmal von P; vgl. Gen. 31, 38. 37, 2. 41,26. 50,26. Deut. 34, 7.
Jos. 24, 29. — Nur die Namen der 70 Seelen und der 12 Kundschafter
sind unanfechtbares Eigentum des Priesterkodex; es hält aber auch nicht
schwer (namentlich bei Gen. 40, 8 — 27) nachzuweisen, dass sie weit
weniger ursprünglich sind als die Summen, die als runde eigentlich gar
nicht eine solche Herzählung der einzelnen Posten vertragen.
Abschluss der Kritik des Gesetzes. 381
auch über die priesterlichen Stucke erstrecke; seit man Ui'sach
hatte genauer zuzusehen, zeigte sich, dass dies nicht in der selben
Weise der Fall ist. Denn die Spuren, die Nöldeke a. 0. zusammen-
gebracht hat, sind geringfügig und bestehn zudem die Probe nicht.
Er sagt, der deuteronomistische Bericht über den Tod Moses
(Deut. 32, 48 SS. 34,lss.) sei nicht anders aufzufassen wie als eine
Erweiterung des fast noch im genauen Wortlaute erhaltenen Be-
richtes der Grundschrift (P): aber Deut. 34, l'' — 7 enthält nichts
von P, und 32,48 — 52 ist nicht deuteronomistisch überarbeitet.
Er verweist ferner auf Jos. 9,27: „Josua machte die Gibeoniten
damals zu Holzhauern und Wasserschöpfern für die Gemeinde, und
für den Altai* Jahves bis auf diesen Tag, an dem Orte den er er-
wählen würde.'' Die zweite Hälfte des Satzes sei hier ein deu-
teronomistischer Zusatz zu der ersten, welche der Grundschrift au-
gehöre. Aber, wie Nöldeke selber zugiebt, sind die deuteronomistisch
überarbeiteten Verse 9, 22 ss. nicht die Foi-tsetzung der priester-
lichen Version 15^ 17 — 21, sondern der jehovistischen Ib*-^. 16;
es fehlt zwischen v. 16 und 22 nur die Nachricht, auf die v. 26
sich bezieht. Den 27. A^ers von v. 22 — 26 zu trennen, dazu be-
rechtigt der Ausdruck Holzhauer und Wasserschöpfer an sich
nicht, da er nicht bloss in v. 21, sondern auch in JE v. 23 vor-
kommt. Dem Zusatz für die Gemeinde aber, der allerdings auj
den Priesterkodex zurückweist, hält der folgende für den Altar
Jahves, welcher der jehovistischen Anschauung folgt, das Gleich-
gewicht. Das Ursprüngliche ist nun jedenfalls, dass die Gibeoniter
dem Altare oder dem Hause Jahves zugewiesen werden. Aber
nach Ez. 44 sollten die Hierodulendienste im Tempel nicht mehr
durch Ausländer besorgt werden, sondern durch Leviten — aus
diesem Grunde sind im Priesterkodex aus den Knechten des Altares
Knechte der Gemeinde geworden. Es erhellt daraus, dass 1 mv^
in V. 27 gegen n3.10^ den kürzeren zieht und eine nachträgliche
Korrektur ist. Als solche aber beweist sie, dass die letzte Re-
daktion des Hexateuchs vom Priesterkodex und nicht vom Deu-
teronomium ausgeht. Über Jos. 18, 2 — 10, worin Nöldeke eben-
falls einen deuteronomischen Zusatz zum Berichte der Grundschrift
über die Landverteilung erblickt, habe ich meine Ansicht oben
p. 364s. angedeutet: es ist ein jehovistisches Stück, und wenn
die Meinung, dass Josua zuei*st Juda und Ephraim und dann nach
geraumer Zeit den übrigen sieben Stämmen ihr Gebiet zugewiesen
:-tS2 Israel und das Judiiuliiii], Kap. !). ^^^^|
hitbti, Überhaupt die Meinung des Priesterkodex wäre, so wäre 4^
dort ein Erbteil von JE, wo sie allein ihre Wurzeln bat'). Wenn
schliesslich Nöldeke ganz besonders Jos. 22 für seine Meinung ent-
^heidend Codet, so ist zu bemerken, dtiss in der Erzitlilang ilis
Priestetkodex 22, 9 — 34, zu der die Verse 1^-8 nicht gehören, von
<leuteronoinistischer Überarbeitung nichts zu tinden ist").
Eine ernstere ^Schwierigkeit entsteht bloss bei dem korz^n
Kapitel Jos. 20, welches dem Kerne nach zam Priesterkodex g(^
hört, Jedoch allerhand Zusätze enthält, welche stark an die deu-
ten) uomiatische Bearbeitung erinnern. Kayser hat diese nnbe-
qnemen Zusätze für ganz späte Glossen erklärt. Das scheint die
reine Tendeuzkritik zu sein, aber es fügt sich, dass ihre Elrgeb-
nisse durch die Septuaginta b^täti^ werden, welche die sämt-
lichen angeblich deuteronomistischen Ergänzungen an dieser Sl«lle
noch nicht vorgefunden hat*).
Gesetzt übrigens, es Hessen sich wirklich einige probable
.Spuren deuteronomistischer Bearbeitung im Priesterkode x auf-
weben, so mnsB doch erklärt werden, warum sie so unverbältnis-
mässig viel mehr in JE vorkommen — warum z. B. überhaupt
nicht in der Oesetzeamasse der mittleren Bücher des Hexateachs.
Diese sichere und durchgehende Erscheinung muss gegen einzelne
tiegeninetanzeu von vornlierein mistrauiscb machen, um so mehr,
da Jos. äO zeigt, dass die späteren Retouchen des kanonischen
Textos manchmal den Ton des Denteronomisten naciiahmen. Die
eigentliche deuteronomistische Redaktion, an der mehr als eine
Hand beteiligt gewesen ist, erstreckt sich nicht über den Priester-
kodex, aber „die frühe Hochstellnng des deuteronomischen Ge-
setzes hat eine Menge von Wendungen, Manieren, Gedanken in
den Sprachgebrauch eingeliihrt, so dass wir dieselben bis lu die
spätesten Erzeugnisse der hebräischen Literatur hinein immer
wieder finden und uns gar nicht wundem dürfen ihnen auch in
dem so viel verbesserten, ei'weiterten, überarbeiteten Priesterkodex
zu begegnen"').
') CoinpoBition des Heiateiu-hs (1899) ]). U'8s.
') Job. Hollenberg io deu Stud. uad Krit. 1874 p. 462«*.
*) AuK- Eujser, da« vorexillsche Buch der Irgeschichlc Israels (Straasb. 1874)
p. 147 s. — Joh. Holienberg, der Charakter der «lex. Oberaetiung def B.
JnsUB fProgramm des Gymn. lu Mürs 1876) p. 13.
*) Xd. jaUpUec in den G.>ll. gel. Am. 1S83 ]: 1458.
Abschluss der Kritik des Gesetzes. 383
II.
1. Ich habe vorhin in 1 myb Jos. 9, 27 den Zusatz einer
priesterlichen Endredaktion gesehen. Eine solche muss natürlich
angenommen werden, wenn der Priesterkodex jünger als das Deu-
teronomium ist. Aber nicht bloss auf Deduktion beruht die An-
nahme; Kuenen hat sie auf induktivem Wege begründet, noch
ehe er ein Anhänger der Grafschen Hypothese geworden war^).
Zur Demonstration eignen sich am besten die Kapitel Lev. 17 — 2lx
Sie sind gegenwärtig dem Priesterkodex einverleibt, durch eine
entsprechende Bearbeitung, die an manchen Stellen nur weniges,
an anderen bedeutendes zugefügt hat. Ursprünglich aber bilden
sie ein eigenes und abgeschlossenes Ganzes, durchzogen von einem
ziemlich manirirten religiös-paränetischen Tone, der nui- wenig
mit dem Priesterkodex stimmt. Der Verfasser hat vielfach nach
älteren Vorlagen gearbeitet, wodurch sich z. B. die Nebeneinander-
stellung von Kap. 18 und Kap. 20 erklärt. Für die Erkenntnis
der literarischen Verhältnisse ist Lev. 17 — 26 unvergleichlich lehr-
reich, ein wahres Kompendium der Literaturgeschichte des Penta-
teuchs').
Wie dem Deuteronomium, so merkt man es dieser Gesetz-
gebung noch deutlich an, dass sie zuletzt in der jehovistisclien
vom Sinai (Exod. 20 — 23) wurzelt. Sie soll gleichfalls auf dem
Berge Sinai gegeben sein 25, 1. 2ij^ 46. Sie ergeht an das Volk
und ist auch dem Inhalte nach volkstümlich, zum grossen Teile
bürgerlich und moralisch. Sie will nur für das Land und das
ansässige Leben, nicht auch füi* die Wüste gelten. Die Feste,
drei an der Zahl, haben ihren Charakter als Erntefeste noch nicht
ganz eingebüsst; unter den Opfern fehlen die Sund- und Schuld-
opfer. Der Kultus tritt zwar schon unverhältnismässig stark als
^) Historisch-kritisch Onderzoek I (Leiden 1861) p. 165; der Redaktor des
Pentateuchs muss in den selben Kreisen gesucht werden, wo das Buch
der Ursprünge entstand und allmählich erweitert und modificirt wurde,
d. h. unter den jerusalemischen Priestern; p. 194; nach der gewöhnlichen
Meinung ist der Deuteronomist Redaktor des ganzen B. Josua, aber
seine Iland zeigt sich nicht überall, z. B. nicht in den priesterlichen
Stücken; der letzte Redaktor ist vom Deuteronomisten zu unterscheiden.
') Vgl. die Composition des Ilexateuchs j). 149 — 172, namentlich über die
Ausscheidung der Redaktionszusätze, von denen ich in der folgenden
Erörterung zunächst absehen muss. Ich ziehe z. B. bei Kap. 23 nur
V. 9—22. 39—44 in betracht, bei Kap. 24 nur v. 15—22.
3S4 Israel und das Judentum, Kap. 9.
Gegenstand der Legislation hervor, aber die Verordnungen dar-
über gehn doch noch nicht in das eigentlich Technische ein und
richten sich noch durchaus an das Volk: selbst in den die Priester
betreffenden wird das Volk angeredet, während von jenen in dritter
Person gehandelt wird. Es fehlt auch nicht an greifbareren Be-
rührungen. Man kann Lev. 19, 2 — 8. 9 — 10 als Analogon zur
ersten und zweiten Tafel der Dekalogs betrachten. Der Spruch
^du sollst nicht Partei nehmen für den Armen und dich nicht
scheuen vor dem Grossen" 19, 15 ist eine Fortbildung der Regel
Exod. 23, 3, eine Reihe anderer Sprüche in Lev. 19 könnten ebenso
gut in Exod. 22, 17 SS. stehn. Die Verordnungen Lev. 22, 27 — 29
lehnen sich an Exod. 22, 29. 23, 18. 19. Ebenso fussen die von
Lev. 24, 15—22 nach Inhalt und Form auf Exod. 21, 12*); bei
24, 22 merkt man die polemische Beziehung auf Exod. 21, 20s.
26 s. In 25, 1 — 7 wiederholen sich die sämtlichen Ausdrücke von
Exod. 23, 10. 11. In 20, 24 findet sich die jehovistische Phrase
^ein Land fliessend von Milch und Honig".
Jedoch nimmt Lev. 17 — 2ü nur den Ausgang von der jeho-
vistischen Gesetzgebung, modificirt sie aber sehi* bedeutend und
zwar etwa in der Weise des Deuteronomiums. Sowol in den
Ideen als in den Ausdrücken lässt sich die Vei*wandtschaft dfö
Abschnittes mit dem Deuteronomium nachweisen. Beiden gemein-
sam ist die Sorge füi' die Armen und Rechtlosen, beiden ist die
Humanität ein Hauptzweck der Gesetzgebung. „Wenn ein Fremd-
ling in eurem Lande bei euch wohnt, sollt ihr ihn nicht be-
diücken; er soll euch sein wie ein Eingeborener von euch, und
du sollst ihn lieb haben wie dich selber, denn ihr selbst seid
Fremdlinge gewesen im Lande Ägypten" (19, 3. 4). Auf die ört-
liche Einheit des Opferdienstes w^ird auch in Lev. 17 ss. starkes
Gewicht gelegt. Sie wird noch gefordert, nicht vorausgesetzt
(17, Ss. 19, 30. 26, 2); ihr ^lotiv, die Abwehr heidnischer Ein-
flüsse und die Durchführung des bildlosen Monotheismus'), leuchtet
noch erkennbar durch: wichtige Punkte der Berührung mit dem
Deuteronomium. Dergleichen lassen sich ferner nachweisen in
dem Trauerverbot (19, 27 s.), in der Zählung der Pent^koste vom
Vw). 24. 15 s. mit Kxod. 2l\27 (21, 17): 24, 18 mit Exad. 21, 28 ss.
24, 19. 20 mit Kxod. 21, 33. 34: 24, 21 mit Exod. 21, 28ss.
-) 17. 7 (v«rl. 2. Chron. 11, 15) 18, 21. 19, 4. 19, 26. 29. 31. 20, 2 ss. 6. '2G,
1.30. Für die I>atirung i.st besonders wichtig das scharfe Verbot des-
^lolochdienstes. Cber hev. 17 \<i\. oben p. 51 ss.
Abschluss der Kritik des Gesetzes. 385
Anfange des Gerstenschnittes (23, 15), in der siebentägigen Dauer
des Laubhtittenfestes und in den fröhlichen Mahlopfern, womit
dasselbe begangen werden soll (23, 40 s.). Hinzukommt eine nicht
unbeträchtliche Ähnlichkeit in der Farbe der Rede, z. B. in 18,
1—5. 24—30. 19, 33—37. 20, 22 ss. 25, 35 ss. Von einzelnen
Wendungen sind hervorzuheben: „wenn ihr in das Land kommt,
das ich euch geben werde", „ihr sollt euch freuen vor Jahve",
„Jahve der ich euch aus Ägj^ptenland geführt habe", „ihr sollt
meine Gebote Satzungen und Rechte halten und tun".
Aber auch über die deuteronomische Stufe ist hier die Gesetz-
gebung hinaus. Schon überwiegt bei den Festen das Gesamtopfer
der Gemeinde (23,9 — 22), Priester sind nicht die Leviten, sondern
die Söhne oder Brüder Aharons, ihr Einkommen hat beträchtlich
zugenommen, ihre abgesonderte Heiligkeit sich gesteigert. Auch an
die leibliche Heiligkeit der Laien werden strengere Anforderungen
gestellt, namentlich hinsichtlich der Enthaltung von Fleischessünden
und von der Verwandtenheirat (Lev. 18. 20). Demgemäss wird
die Schwagerehe verboten (18, 14. 20, 20), die im Deuteronomium
noch zu Rechte besteht. In eine Zeit, wo man mit dem Exil gar
wol vertraut war, führt 18, 24 ss.: „gebt acht, meine Satzungen
und Rechte zu tun und solche Greuel zu vermeiden, demi die
Leute, welche vor euch im Lande wohnten, haben dergleichen getan
und das Land hat sie ausgespieen — hütet euch, dass das Land
nicht auch euch ausspeie, wie es das Volk vor euch ausgespieen
hat". Ahnlich 20, 23 s.; in der Gesetzgebung will so etwas mehr
besagen als in der Prophetie. In dem Grade nun, wie sich unser
Abschnitt vom Deuteronomium entfernt, nähert er sich dem Pro-
pheten Ezechiel. Diese Vei'wandtschaft ist die nächste, sie ist auch
am meisten aufgefallen. Sie zeigt sich in der eigentümlichen Durch-
dringung von Kultus und Moral, in der ziemlich materialistisch
gefassten Heiligkeit als Grundforderung der Religion, in der Be-
gründung dieser Forderung auf das Wohnen beim Heiligtum und
im heiligen Lande ^). Noch bemerklicher macht sie sich indessen
in der Sprache, viele seltsame Redeweisen, ja ganze Sätze aus
Ezechiel wiederholen sich in Lev. 17 ss.'). Am 10. des 7. Monats
') Zu Lev. 22,24. 25 vgl. Kuenen, Weltreligiou und Volksreligion (Berlin
1883) p. 326 SS.
2) Vgl. Oolenso, Pentateuch and Joshua VI p. 3—23; Kayser a. 0. p. 177
bis 179; Smend zu Ezechiel p. XXV.
Well hausen, Prolegomena. 5. Aufl. 25
Sä>
jji] il.is Jiideiituni, Ka]). 9.
ist Lev. 25, i) Neujahr wie bei Ezechiel (40, I), uiclit grofluB
Versöhnangatag wie im Priestertodex. Griif liat tlariim jenen
esilischen I'ropheteu sellier für deu Verfasser dieser GesetZBammlaitg
des Leviticus angesehen, Coleiiso und Kayser sind ihm darin gefolgt.
Daran ist indessen nicht zv denken; trotz der vielen sprachlichen
and sachlichen Berührungen ist doch die Übereinstimmung keine
vollständige. Ezechiel kennt keinen Samen Aharons nnd keinen
Wein l>eim Opfer (Lev- 23, 13), seine Festgesetzgebnng weicht er-
heblich ab und steht im Geiste dur dos Priesterkodex näher. Er
würde iinssordeni über die Stellung, die den Lehnten nnd dem
Fürsten im Kultus gebühre, etwas haben sagen müssen.
Von Ezechiel neigt sich unser Korpus, welchem Klostermann
den nicht unpassenden Namen des Ueiligkeitsgesetzes gegeben hat,
dem Priesterkodex zu-, bei Stücken wie Kap. 17. 21, 22 bedarf es
einiger Aufmerksamkeit um der (in der Tat freilich nicht au-
beträchtlichen) Differenzen von jenem inne zu werden. Es steht
zwischen beiden; allerdings dem Ezechiel etwas näher. Wie ist
diese Tatsache zn verstehn? Jehovist Deuteronomium Ezechiel sind
eine historische Reihenfolge; Ezechiel lleiligkeitsgesetz Prieslerkodex
müssen gleichfalls als historische Stufen b^rilTeu werden, and zwar
so dass dabei zi^leich die Abhängigkeit des Heiligkeitsgesetzes vom
Jehovisten und vom üenteronomium üiro Erklärung fmdet. Durch
die Annahme, dass Ezechiel eine l)esoudere Vorliebe gerade für
dieses Stück des ihm übrigens im selben Umfange wie uns be-
kannten Pentatoucbs gehabt und es sich für die Bildung seiner
Denk- und Schreibweise zum Muster genommen habe, kann man
sich der Forderung historischer Anordnung nicht entziehen und den
Ezechiel aus der anzuordnenden Reihe nicht herausbringen; ein
solcher Zufall muss überhaupt ausser Rechnung bleiben. Die
Antwort nun auf die Frage, ob das Heiligkeitsgesetz vom Priestar-
kodex auf Ezechiel überleite oder von Ezechiel auf den Priester-
kodex, wird sehr bündig dadurch gegeben, dass dasselbe einer
letzten Redaktion unterworfen ist, welche nicht von Ezechiel,
sondern vom Priesterkodes ausgeht und wodurch es in den Priester-
kodex aufgenommen wird. Nicht überall hat die Bearbeitung stark
eingegriffen, zum teil sind ihre Supplemente und Korrekturen
Iiöchst umfangreich z. B. 23, 1—8. 23—38. 24, 1—14. 33, zum
teil nur geringfügig z. B. die Eintragung des Ohel Moed (für das
Mikdasch oder das Misclikan) 17, 4. G. 9. 19, 21 s., des Schuld-
Aliscilliis
3H7 1
Opfers 19, 21s., di^s Kodesch KodaschimSl, 22. Dio Äussclieldang
der Zusätze gelingt nur m 25, 8 ss. nicht vollstäudig. Die Tatsuche
aber, dass die letzte Rei]akti(in des Ileiligkeitsgesetzcs vom Priester-
Itodex ausgebt, wird atlgemeio erkannt. Ihre literargeschichtllche
Ifedeutuug kann nicht hoch genug angeschlagen werden').
2. Eine besondeie Itejichtnng verfUeiit die Schlnssrede I.ev.
26, 3 — 16. Das Stück, dessen Zugehörigkeit zu Lev. 17, 1—26, 2
vorher Stillschweigens eingenommen worden ist, wird von manchen
Forschern, z. B. von Nöldeke, als eine fremdartige Interpolation
im Leviticus betrachtet. Judenfalls ist diese Hede mit specieller
Absicht auf das Nächstverhorgohende geschrieben. Fasst man sie
nicht als Schlussrede auf, wie Exod. 23, 20 — 33. Deut. 28, so ist
ihre Stellung, an einem beliebigen Orte dos Priesterkodex, ganz
unbegreiflich. Sic knüpft denn auch sichtlich au die Gesetze
Kap. 17 — 25 an. Das Land und der Ackerbau haben hier die
selbe Bedeutung für die Religion wie in Kap. 19. 23. 25, die
Drohnng des Ausspeiens (18, 25 ss. 20, 22) wird hier ausführlicher
wiederholt, das einzige namhaft gemachte Gebot ist die Brache des
siebenten Julires (26, 34. 25, 1 — 7). Mit der fdi' den Verfasser von
Kap. 17 38. 80 charakteristischen Wendung „wenn ihi' iu meiuen
Satzungen wandelt und meine Gebote haltet" beginnt das Stück,
etwas abgewandelt kehrt dieselbe in v. 15, 43 wieder. Der Schluss
(26, 46) lautet: „dies sind die SatKungen Rechte und Weisungen,
■welche Jahve zur Regelung des Verhältnisses zwischen sich und
Israel gab, auf dem Berge Sinai, durch Moses". Das ist angen-
scheinlich die Unterschrift zu einem vorhergegangeneu Korpus von
„Satznugen und llechteu", wie es in Kap. 17, 1 — 26, 2 vorliegt.
Der Berg Sinai wird auch 25, 1 als die Offeubarungsstätte genannt.
Wenn die Absicht von Lev. 26, zu Kap, 17 — 25 den .Schluss
zu bilden, unbestreitbai- ist, so liegt es am nächsten, den Verfasser
jener Sammlung auch für den Verfasser der Rede anzusehen. Nun
meint aber Nöldeke, die Sprache weiche au selu- von Kap. 17 — 25
') L Uoret hat in seiner Abhandluag fll>er Lev. 17—26 und Heaekiel
(Kolmar 1881) iwar schlagend erwieseu, dass die methanische Kritik, in
welcher Dillmann seinen VorgAiiger Knoliel noch überbietet, dem litera-
rianhen Problem, welctie» das Heil igkeits gesell stellt, in keiner Welse
gewacbden ist, aber mit dem Versuch, die olle Strassburger These, dass
EaechiPl di^r Verfnaser sei, durch eine Modificirung zu retten, scheitert ,
er an I.ev. 2G. wie Kiienen richtig bemerkt (Leidener Th. Tijdschr. 1882
p. W(i); v«l. i>, 3511 Anm. 1,
25'
388
ab. Jetiofh muss er selber mehrere uml zwar gewichtig^
Älmlichkoiten zageben, einige Differenzen, die er anführt (Bamoth,
(lillulim, Ilaminanim 26, 30), simi i;l eich falls in Wahrheit eher
Berührnngen. Seltene und originelle Worte lassen sich aach bei
den fmheren Kapiteln znsam mens teilen. In Kap. 36 mögen sie
verliältnismässig häufiger vorkommen; doch ist ea irrig, fjnrnach
die Sprache überhaupt für sehr originell zu halten, die sich vi«!-
melu* überall an Heminisceozen anlohnt. Was wirklich von
sprachlichen Unterecliieden bleibt, erklärt sich (genügend aus der
Verscliiedenheit des Stoffs: bisher Gesetze in sachgemäss trockener,
jetzt Propliet.ie in poetisch-pathetischer Rede. Dort tritt die
Subjektivität des Verfassers meistens hinter dem Objekt zurück,
das er öfters sogar geformt vorgefunden hat; hier kann sie sich
frei äussern. Es ist billig, das nicht zu übersehen.
Die Gegengründe, welche Nöldeke gegen die Wahi-scheinlichkeil,
dass Lov, 2ß nicht bloss an Kap. 17 — 25 angeleimt ist, sondern
dazu gehiii't, vorgebracht hat, verschwinden vollkommen bei uäherer
Vergleichung des beiderseitigen literarischen Charaktere. Aufs
stärkste werden wir zuuäclist durch Kap. 26 an ilie Denk- nnd
Redeweise Ezechiels erinnert. Die signiükanteste Stelle ist I^v.
26, 39. Nachdem vorher gedioht worden ist, dass Israel als Volk
werde vernichtet und der dem mörderischen Schwert der Feinde
entgangene Hest ins Exil geführt wei-den, um unter dem Druck
des vergangenen Unglücks und der gegenwärtigen Leiden za ver-
schmachten, wird in diesem Zusammenhange fortgefahren mit den
Worten: „und die übrigen von euch verfaulen in ihrer Sunden-
schuld in den Läudeni eurer Feinde und auch in der Sünden-
schnld ihrer Väter verfaulen sie — dann gestehn sie ihre und
ihrer Väter Sunde ein". Bei Ezechiel erfolgt dies F-ingeständnis
wirklich von selten seiner Mitverbannten; sie sprechen (33, 10):
„unsere Missetaten und Sünden lasten auf uns uud wir verfaulen
darin und könueu nicht aufleben". Ähnlich sagt der Prophet
(24, 23), er werde in seiner dumpfen Trauer über den Tod seines
Weibes das Vorbild des Volkes seiu: „ihr werdet nicht weinen
und klagen, ihr werdet verfaulen in eurer Sündenschuld".
Auch die begleitenden Erscheinungen, ilie wir neben der
ezechielischen Färbung bei den vorhergehenden Gesetsen konstatirt
haben, fehlen in unserer Rede nicht. Weuu sich von einem Ein-
fluss der jehovistischen Gesetzgebung (abgesehen davon, dass Exod.
Abschluss der Kritik des Gesetzes. 389
23, 20 SS. das Muster wie zu Deut. 28 so zu Lov. 26 gewesen ist)
natürlich hier nichts spüren lässt, so wird dies dadurch ausge-
glichen, dass der Einfluss der Propheten um so deutlicher ist,
auch der älteren, wie des Arnos (v. 31). So wenig wie das Buch
Ezechiels, ist unser Kapitel denkbar ohne die Grundlage der vor-
hergehenden prophetischen Literatur. ^
Was das Verhältniss zum Deuteronomium betrilTt, so ist die
Ähnlichkeit von Lev. 26 mit Deut. 28 sehr gross, nicht bloss im
Stoflf, sondern auch in der Anlage. Lexikalische Berührungen gibt
es zwar nicht viele, aber die wenigen sind gewichtig. Die Aus-
drücke 26, 16 kehren im Alten Testamente nur Deut. 28, 22. 65
wieder, ebenso auch C^Jlt^Nl v. 45 in dieser Bedeutung nur Deut.
19, 14 und in der späteren Literatur (Isa. 61, 4). Der Tropus
vom unbeschnittenen Herzen (v. 41) kommt im Gesetz gleichfalls
nur an einer Stelle des Deuteronomiums noch einmal vor, ausser-
dem in der gleichzeitigen oder etwas späteren prophetischen Lite-
ratur (Hierem. 4, 4. 9, 24. 25. Ezech. 44, 7. 9). iVnklänge an
Jeremias finden sich noch mehrere, meist jedoch unbestimmtere.
Hervorzuheben ist die Beziehung von Hier. 16, 18 einerseits zu
V. 30, andererseits zu v. 18 unseres Kapitels. Hier wird die
Sünde siebenfach, bei Jeremias wird sie doppelt bestraft. So
auch bei Isa. 40,2. 61, 7: mit diesem Propheten hat Lev. 26
ferner den auffallenden Gebrauch von nm (mit Sünde oder
Schuld als Objekt gemeinsam^). Stünde unser Kapitel nicht im
Leviticus, so würde man es ohne Zweifel für eine Reproduktion
zum geringsten Teil der älteren, zum grössten Teil der jeremianisch-
ezechielischen Weissagungen halten, wie denn Lev. 26, 34 wirklich
in 2. Chron. 36, 22 als ein Wort des Propheten Jeremias ange-
führt wird.
Mit dem Priesterkodex endlich berührt sich Lev. 26 in niS
null, n'»'^3. D'^pn, minn, "»^X (nie "»D^x), in der übertriebenen
Anwendung der Akkusativpartikel und Vermeidung der Verbal-
suffixe, in der Vorliebe für das farblose |n3 statt speciel lerer Verba.
Das Motiv, Lev. 26 von Kap. 17 — 25 zu trennen, ist nur der
Umstand, dass der exilische oder nachexilische L'rsprung dieser
Mahn- und Drohrede mit Händen zu greifen ist. Für uns ist
dieser Umstand nur ein Beweis der Zugehörigkeit zu Kap. 17 — 25
und eine wertvolle Bestätigung des Urteils, das uns ohnehin über
Vgl. S. Fraenkel m Stades Ztschr. 181)9 p. 181.
ayO Israel timl das Judenlimi, Kup, !l.
dio Entsteh iin^sneit dieser Gesetze feststeht. „Wenn ihr trot«
mir nicht gehorcht, sondern in Feindschaft gegen mich angeht, so
gehe idi In bitterer Feindschaft gegan euch an und züchtige euch
eiie^eIlfa<.^h für eure Sünden. Ihr sollt das Heisch eurer Sohne
und Töcht«r essen, und ich zerstöre eure Höhen und ßlle eare
Sonnensänien und werfe eure Rümpfe über die Rümpfe eurer
fiötzen, und meine Seele wird sich euer ekeln. Und ich mache
eure Städte zu Trümmerhaufen und verwüste eure Heiligtümer
und rieche nicht an euren Opferduft. 1 nd ich verwüste das
Land, dass eure Feinde die sich darin ansiedeln dnrob erstarren,
und euch streue ich unter die Völker und zücke das Schwert
hinter euch her, und euer Land soll Einöde und eure Städte
Süllen Trümmerhaufen werden. Dann wird das I^nd seine Sab-
liütho bezahlen alle Jahre der Verödung wo ihr im I^ndo
eurer Feinde seid, dann wird il.ts Land feiern und seine Sabbathc
bezahlen; alle Jahre der Verödung wird es die Sabbathe nach-
feiern die e^ nicht gefeiert hat so lange ihr darin wohntet. Die
aber von ench übrig bleiben, in deren Herz bringe ich Verzagen
in dem Lande ihrer Feinde, das Rauschen eines verwehenden
Blattes wird sie scheuchen, dass sie fliehen wie var dem Schwerte
und fallen ohne dnss sie jemand verfoltit; sie werden über ein-
ander straucheln wie in der Furcht vor dem Schwerte und ist
doch niemand der sie verfolgt nnd es wird euch kein Haltens
sein auf der Flucht vor euren Feinden. Und ihr werdet ench
verlieren unter den Völkern und das Land eurer Feinde wird
euch fressen. Und die von euch übrig bleiben, verfaulen in ihrer
Schuld in den Ländern eurer Feinde, und auch in der Schuld
ihrer \'äter verfaulen sie. Und sie werden ihre und ilirer Väter
Schuld eingestehn, in Botreff der Untreue die sie an mir be-
gangen, und dass, weil sie gegen mich angegangen sind, ich auch
gegen sie angehe nnd sie ins Land ihrer Feinde bringe. Dann
beugt sich ihr unbeschnittenes Herz nnd dann bezahlen sie ihre
Schuld, und ich gedenke an meinen Bund mit Jakob, und an
meinen Bund mit Isaak und an meinen Bund mit Abraham ge-
denke ich nnd des Landes gedenke ich. Und das J.aud, von ihnen
verlassen, bezahlt seine Sabbathe, indem es bewohuerlos nnd öde
daliegt, und sie selbst bezahlen ihre Schidd, sintemal und alldie-
weil sie meine Rechte vervi'orfen und meine Satzungen verschmäht
haben. Doch bei alledem, wenn sie auch im Lande ihrer Feinde
Abschluss der Kritik des Gesetzes. 391
sind, habe ich sie nicht verworfen und verschmäht, sie gänz-
lich zu vernichten und meinen Bund mit ihnen zu brechen, denn
ich bin Jahve ihr Gott. Und ich gedenke ihnen an den Bund mit
den Vorfahren, welche ich vor den Augen der Völker herausge-
führt habe aus dem Land Ägypten, um ihnen Gott zu sein, ich
Jahve". (26, 27—45.)
Dass so nicht vor dem babylonischen Exil geschrieben worden
ist, unterliegt keinem Zweifel. Man hofft freilich mit der assyri-
schen Gefangenschaft auszukommen, aber wo steckt die Verw^andt-
schaft unserer Rede mit dem alten echten Jesaias? Während zu
Ezechiels Zeit nachweislich solche Gedanken Gefühle und Aus-
drücke herrschten, wie sie hier vorliegen, wird es schwierig sein
zu zeigen, dass Samariens Fall diese Art von Depression in Jeru-
salem hervorgebracht habe — denn im Nordreich kann Lev. 26
nicht geschrieben sein, da die Einheit des Kultus vorausgesetzt
wird. Wie in Deut. 29. 30 werden auch hier die Judäer angeredet,
und sie hatten kein so lebhaftes Bewusstsein von ihrer Solidarität
mit den fortgeschleppten Israeliten, dass sie bei solchen Drohungen
an diese denken konnten. Mii* scheint es sogar gewiss, dass unser
Verfasser entweder gegen Ende des babylonischen Exils oder nach
demselben lebte, weil er nämlich zum Schluss die Restitution in
Aussicht nimmt. Bei Propheten wie Jeremias und Ezechiel hat
eine solche Ausschau in die fröhliche Zukunft Sinn, hier aber
widerspricht sie der historischen Einkleidung ebenso wie dem
Zwecke der Drohung und scheint am natüi'lichsten durch den Zu-
fall, d. h. durch die Wirklichkeit sich zu erklären. Dass im Ver-
gleich mit Jeremias und Ezechiel die Priorität nicht auf Seiten
von Lev. 26 ist, zeigt sich darin, dass das unbeschnittene Herz
seine Genesis bei Jeremias hat (4, 4. 9, 24 s.), hier aber als fertiger
und bekannter Terminus übernommen ist, und darin, dass die
Phrase verfaulen in der Sündenschuld von Ezechiel aus der
Leute Mund wiederholt, also bei ihm literarisch ursprünglich und
hier entlehnt ist^).
*) Horsts Versuch, die Rede Lev. 26 in den letzten Jahren des Königs
Sedekia unterzubringen (a. 0. p. 65. (j()) ist bloss die Konsequenz seiner
Annahme, das der jugendliche Ezechiel der Autor sei — einer Annahme,
die eben durch diese Konsequenz gerichtet wird. Dass ich aus Ezech.
33, 10 herauslese, was dasin steht, scheint Delitzsch für eine grosse
Dreistigkeit zu halten (Zeitschr. f. kirchl. Wiss. 1880 p. 619). Ober
Deut. 10, 16. 30, 6 und überhaupt über den color Hieremianus des Deutero-
nomiums vgl. Composition des Ilexateuchs p. 192.
392
Israel and dnK Judentum, K«p. S
L
Die Kritik von Lev, 17 ss. fuhrt zu dem Er(,'übnis, lia*« i
selbst erst im Exil entstandene Gesetzsammlung im Priest er kodex
rofipirt und verjoiigt worden ist. Vor Seliradcrs Drohung mit der
„kritischen Analyse" brautlit uns also nicht eu granen, die Gruf-
sche Hypothese fallt davon nicht nm.
3, Noch Kwei oder drei andere wichtige Spuren der prioster-
lichen Schlussbearboitung des lloxateuchs mögen hier Erwähnung
linden. In der Erzählaug von der Sundnat sind die Verse 7, (i — 9
eiij redaktioneller Einsatz, der sich mit der Beseitigung eines
Widerspruchs zwischen JE und V beschäftigt; derselbe teilt die
Vorstellungen und redet die Sprache dos l'riesterkodex. In der
Überschrift des Denteronomiums gehört der Vera „es geschah im
vierzigsten Jahre, im elften (TCJ!) Monat, am ersten des Monats,
redete Moses zu den Kindern Israel gemäss allem was ihm Jahve
an sie aufgetragen hatte" (Deut- 1, 3) nach den mizweideutigsten
^lerkmalen dem l'rieatorkodex au und hat den Zweck, das üea-
teronomium in denselben aufzmiehmen. Daes im Buche Josua
der Priesterkodex weiter nichts ist als Ergänzung der jeboviatisch-
deuteronomistischen Erzählung, ist bereits früher nachgewiesen.
Dass der Priesterkodex aus zweierlei Elementen bestehe, erstens
aus einem selbständigen Kern, dem Vierbundesbuche, zweitens aus
zahllosen Nachträgen und Ei^änzungen, die zwar vorzugsweise dem
Vierbuudesbuche, aber nicht diesem allein, sondern dem ganzen
llexateuche sich anschmiegen — diese Behauptung hat auffalleiider-
weise nicht den Widerspruch erfairen, der zu erwarten gewesen
wäre. Ryssel hat sogar in der zwieschlechtigen Natur des Priestt-r-
kudex das Mittel gefunden, das Vierbundesbuch vor der Exilirung
zu retten, indem er es nämlich von den Ei^änzungen, welche er
preisgibt, durch eijjen beliebig lange» Zeitraum trennt. Ule sehr
enge Verwandtschaft beider Teile mit einander hält er dadurch
für erklärt, duss sie aus dem selben Kreise stammen, aas dem
Kreise der Priesterschaft von Jerusalem. Wenn der Tempel Von
Jerusalem zm' Zeit Snlomos ebenso autonom und einzig legitim
gewesen wäre, wie zur Zeit der Fremdherrschaft, wenn die Priester
unter Abaz und Hizkia und Josia ebensoviel zu sagen gehabt
hätten, wie nach dem Exil, wenn e.s erlaubt wäre, sie sich au
denken, wie es einem gerade passt und nicht wie sie historisch be-
zeugt sind, kurz wenn es überhaupt keine israelitisclie liescliichte
gäbe, so könnte eine solche Erklärung hingehn. >Sie wäre freUigfi
Abschluss der Kritik des Gesetzes. 393
auch dann Willkür und weiter nichts als Willkür. Der sekundäre
Teil des Priesterkodex zieht mit Notwendigkeit den primären zu
sich herab. Die formelle und materielle Gleichartigkeit, die völlige
Übereinstimmung in Tendenzen und Voi-stellungen, in Manieren
und Ausdrücken zwingen dazu, das Ganze, wenngleich es keine
literarische Einheit ist, dennoch als eine geschichtliche Einheit zu
betrachten.
III.
1. Als unüberwindliches Rollwerk wird neuerdings den Um-
sturzversuchen der Tendenzkritik die Sprache des Priesterkodex
. entgegengesetzt. Leider wird das A'eto der Sprache von Riehm
Delitzsch und Dillmann so wenig näher begründet wie das Veto
der kritischen Analyse von Schrader, und einer nicht begründeten
Behauptung mit Gründen zu begegnen, ist nicht erforderlich. Aber
ich benutze den Anlass, um einige zerstreute Beobachtungen mit-
zuteilen, die sich mir zuerst, wie ich vielleicht bemerken darf, gar
nicht im Zusammenhange mit der Untersuchung des Pentateuchs,
sondern bei ganz anderer Gelegenlieit ergeben haben. An der
Stells 2. Sam. 10, 13 befremdete mich Düvb auf äusserste, nicht
^veniger N"^3. an den beiden Stellen Isa. 4, 5. Am. 4, 13; und in-
dem ich der sprachlichen Verbreitung dieser beiden Worte nach-
ging, kam ich auch analogen Erscheinungen auf die Spur.
Der Sprache der vorexilischen Geschichtsbücher ist im allge-
meinen die der jehovistischen Schrift nahe verwandt, dagegen die
des Priederkodex vollkommen fremdartig. Man kami dies, nach
bewährter Praxis, so deuten, dass letzterer einer früheren Periode
entstamme. Aber abgesehen davon, dass er dann gar keinen Ein-
fluss ausgeübt hätte, stimmt es dazu schlecht, dass w^enn man auf
die ältesten Dokumente, die uns aus der historischen Literatur der
Hebräer erhalten sind, zurückgeht, der Abstand eher grösser als
geringer wird. Mit Jud. 5 und 2. Sam. 1 können wol die poetischen
Stücke in JE verglichen werden, in P lindet sich nichts Ahnliches.
Umgekehrt aber lassen die sehr spät eingeschobenen Erzählungen
Jud. 19—21. 1. Sam. 7. 8. 10, 17 ss. 12. 1. lieg. 13 und die apo-
kryphen Zusätze in 1. Reg. 6 — 8 noch am ehesten eine sprachliche
Hinneigung zum Priesterkodex erkennen. CJerado so wie bei der
historischen, stellt sich das Verhältnis auch bei der prophetLschen
Literatui\ Die Redeweise von Arnos Jesaias Micha ist im ganzen
394
iRriicI unii ilaa .liirienliim, Kup. i>.
Hör fies Johovisten cutsprecliend, nicht der des pi'iosterlichon i.
stollera.
In oiiucelnen wichtigen Ausdräcken stimmeu zuerst da^ DoDte-
ronomtiim und das nach dem Propheten Jeremias benannte Buch
mit dorn Priesterkodex, in weit zahlreicboron sodann der Prophet
Ezerhiol, und zwar keineswegs bloss mit Lev. 17 — 2fi'}. Bei ilen
folgenden nafhcxilischen Propheten bis auf MaleaohJ beschränken
sich die Deruhrun^punkte auf Einzelheiten, hören aber nicht auf;
ebenso finden sie sich in den Pswilmen nnd im Prediger. Uorai-
niscenzcn an den Priesterkodex kommen einzig nud allein in
der Chronik und in einigeu Psalmen vor. Denn dass Am. 4. 11 ans
Oeu. 10, 21) entlehnt sei, ist gerade so klar, wie dass zu Am. 1, 2 .
das Original in Jo. 4, 10 gesucht werden müsse.
Seine sprachliche Absonderlichkeit behauptet der Priesterkodes
atich gegenüber der späteren Literatur. Dieselbe beruht teils auf
den vielen technischen Worten, teils auf der steten Wiederholung
der selben Formeln, auf der grossen Spracharraut. Rechnet nwn
über die staiT ausgeprägte Individualität des Schriftstellers ab, so
steht das fest, dass eine ganze Reihe sehr charakteristischer Aos-
dröcke, die er anwendet, sich vor dem Exil nicht finden, erst seit
dem Exil allmählich auftauchen nud gebräuchlich werden. Die
Tatsaclie wird auch nicht geleugnet, man geht nur um sie herum.
Damit sie mehr Eindruck mache, möge hier eine kurze Stxtistik
des sprachgeschichtlich interessaut«n Materials von Gen. 1 eineu
Platz finden.
Gen. 1, 1 n^li'XT heisst im älteren Hebräisch nicht der An-
fang eines zeitausfullendeu Geschehens, sondern der erste (und
gewöhnlich der beste) Teil einer Sache. In der Bedeutung
des zeitlichen Anfangs, als Gegensatz zu n'int* findet es sich
zuerst in einer Stelle des Deuteronomiums 11, 12 (vgl. dagegen
13,10), ferner in den Überschriften Hiurem. 26, 1. 27, 1. 28, 1.
49, 34 und in Isa. 46, 10, endlich in den Hagiograplien lob. 8, 7.
42, 12. Prov. 17, 14. Eccles. 7, 8. In Gen. 10, 10 ist tnrbDD nitP«"r
ganz etwas anderes wie in Hier. 27, I, nämlich dort der erste Teil
') Bemerkenswert ist nauii.']i
Prieaterkodex. In der Ui.
es Mut den wirkliclipn N^'.
■Süden geltraiidit (Xum. ;;i
lichm .Sinu vüllig vcrlorcu,
rN5 l'ei Ezechlel und bn
' nird Ne^eti, aelliot Wttm
'der BedetttuDß
Abschluss der Kritik des Gesetzes. 395
des Reichs, hier der [Beginn der Regierung. Fiü' im Anfang
sagt man in der frülieren Zeit absolut ni;^*?<l^ n'pnr^^., relativ
Über das wegen seiner specifisch theologischen Bedeutung so
merkwürdige Wort Nlü ist schon oben (p. 310) gehandelt worden.
Abgesehen von Am. 4, 13 und Isa. 4. o findet es sich ausserhalb
des Priesterkodex zuerst beim Deuteronomisten Exod. 34, 10.
^^lm. 16, 30 (?) Deut. 4, 32 und Hierem. 31, 22, ferner in Ezcch.
21, 35. 28, 13. 15. Mal. 2, 10, in Ps. 51, 12. 89, 13. 4H. 102, 19.
104, 30. 148, 5. Eccl. 12, 1 — am häufigsten aber, zwanzig mal,
in Isa. 40 — Gf), auffallenderweiso gar nicht im lob, wo man es er-
warten sollte. Mit Nia. (abholzen) und Nnn (= xnc feist) hat
es nichts zu tun.
Gen. 1, 2 mm inn kommt noch vor Hier. 4, 23. Isa. 34, 11;
inn allein findet sich häufiger, jedoch abgesehen von Isa. 29, 21
ebenfalls nur in der späteren Literatur Deut. 32, 10. 1. 8am. 12,
21. Isa. 24, 10. 40,17.23. 41,29. 44,9. 45,18 s. 49,4. 59,4.
lob. 6, 18. 12, 24. 2f>, 7. Ps. 107, 40. — Das Verbum ^r}-) (brüten),
welches im Aramäischen gewöhnlich ist, begegnet im Alten Testa-
ment nur an einer einzigen und zwar späten Stelle Deut. 32, 11;
indessen muss man die Möglichkeit einräumen, dass zu häufigerer
Anwendung desselben keine Gelegenheit gewesen sei.
Gen. 1,4 b^'^nn und ^"2.3 (scheiden und sich scheiden), im
Priesterkodex gewöhnlich, wird zuerst gebraucht vom Deutero-
nomiker und Deuteronomisten (Deut. 4, 41. 10, 8. 19, 7. 29, 20.
1. Reg. 8, 53), dann von Ezcchiel (22, 26. 39, 14. 42, 20) und dem
Verfasser von Isa. 40 ss. (56, 3. 59, 2), am meisten vom Chronisten
(1. Chr. 12, 8. 23, 13. 25, 1. 2. Chr. 25, 10. Esdr. 6, 21. 8, 24. 9, 1.
') Sehr auffallend ist die VokalisiruDg n^K'X"^!! für die man erwarten
würde Pl^t^N*!!!- Mau hat ihr zwar gerecht zu werden versucht durch
die Übersetzung: ^im Anfange als Gott Himmel und Erde schuf — die
Erde aber war wüst und leer und Finstenii.s lag auf der Tiefe und der
Geist Gottes brütete über dem Wasser — da sprach (lott: es werde
Licht!" Aber diese Konstruktion ist verzweifelt, und jedenfalls nicht
die von der Punktation befolgte, denn die jüdische Überlieferung (»Sep-
tuaginta A((uila Onkelos) übersetzt einstimmig: j,im Anfang schuf Gott
Himmel und Erde". Bekanntlich findet sich dagegen im Aramäischen
n^lTN^^ill^ nicht als Emphaticus, sondern als Absolutus in der Form des
Constructus, für: im Anfang.
10, H. 1 1. IG. Suh. y, 2. 10, 2'.). 13, n). — Ul>er irs DV ') (ien. ifl
vgl. JoBephus Antiq. 1,30: „das wäre nun der erste Tag, Mnsee
aber sagt ein Ta[{; die Ursaclie könnte ich wo) hier augebeii, da
ich abßi- (in der Einleitung) versprochen habe eine Gesamterklärung
in einem besonderen Buche zu geben, schiebe ich es bis daliio
fluf^. Auch die Rabbioeii in der Genesis Rabba nehmen Änst^ss
an dem Ansdnick, der übrigens seines gleichen hat an dem späterer
Redeweise angehörigen ll'in? ~nx- Im -Syrischen sagt, man regel-
miissig Nütt'n. "in- daher im Neuen Testamente (ifi {wßßdTuiv für den
ersten Tag der Woche.
Gen. 1, 6 Vp"! (Finnament) (iudeC sich ausserhalb des I'rieater-
kiidex nur bei Ezechiol (I, '32 — 26. 10,1) und bei noch späteren
Schriftstellern Ps. l'.l, 2. l.'iH, 1. Dan. 12, 3 vgl. lob 37, 18'). —
GfU- 1, 10 C'ü' fdas Meer sing., vgl. 1,22- Uv. 11, 9. 10) ist in
älterer Zeit selten nnd liochpootisch , gewöhnlich dagegen Iiei
Ezechicl (zehn mal) und in den Psalmen (sieben mal), ferner
lob 6, 3- Neh. 51, ß. Jon. 2, 4. Dan. 11, 45. — Gen. I, 11 pa (Art),
ein namentlich in der Form lerainehu sehr eigentumliches Wort,
findet sich abgesehen von Gen. 1. Lev, 14. Gen- G, 20- 7, 14 nur
noch Deut. 14 und Ezech. 47, 10.
Gen. 1, 2(1 mm (Ähnlichkeit 5,1-3) kommt in der älteren
[.iteratur nicht vor. Es erscheint zuerst 2. Reg. Ifi, 10, lu einer
nuchdeutenmo mischen Stelle, denn der Schi'iftsteller ist der von
Rap. 11 s. 21 SS. Sodann bei Ezechiel (lü mal), Isa. 13, 4. 40, IH.
2. Chr. 4, 3. Ps. 58, 5. Dan. 10, 16. Es ist ein aramäisches Lehn-
wort; auch das entsprechende Verbum wird erst in der Zeit, wo
ilas Aramäische einzudringen beginnt, gebräachlich.
^gl- Ass. 1- •- Jos- Styl. 4n, 10. II. 48, 12. Im
1 findi'f sidi liii'üi^ Cotistniction nur bei der Utttinin^
~ ::'.-l r.2ai l">i;ul, 15, 9.
' . iiiiaiiiipn wird, äas Diiimi^ctilaKiaKt
nach KÖaigajalii
*) &t heiHüt nicht,
Ausgereckte, li
stellt, »weitflDB k \v h.-[i. \]. i„\- liedeutiuif,' nur dem Plel
dw da»ön nbgüleifck öuL'&taüliv liiulct y|3"^,. 1)3» Kai, wnrait JI'jTI
xuHamnicii xu bringen ist, findet sich I«a.42, 5. 44, 34. IS. i:)6, f>. "
wird nememigiicli -<---•■- -•- — ... -i— - ......i-i.- t> — i— -.
I'aralM diiinlt sieht tÖ-> <i
tnuf^nta filiürträgt os au ■•iW
Ppimit OTipto))!« (firm:iiii
»i?l]r jiasseode Btdtutiui!.'
Vcrliiini V'pl gefjrSuciilicli
ilherHetzt ohne etwekho UerechtJipiDg,
it 131!. 6): ilU Sop-
vJt lind fciht ilkmach
i'iiL ülii-rli«tertB nnd
s f>jri»chp, «o 4mi.
Abscliluss der Kritik des Gesetzes. 397
Gen. 1, 27 "^DJ (männlich) heisst in der früheren Zeit "TIDJ;
denn wenn diese Vokalisation Exod. 23, 17. 34, 23. Deut. 16, Iß.
20, 13 im Rechte ist — und daran lässt sich nicht zweifeln — ,
so \^drd man sie auch Exod. 34, 11). Deut. If), 19. 1. Keg. 11, 15 s.
durchführen müssen. Im Priesterkodex findet sich irj ungemein
häufig, sonst aber nur in der späteren Literatur Deut. 4, Iß. Hier.
20, 15. 30, ß. Ezech. 1(), 17. Isa. ß(), 7. Mal. 1, 14. Jud. 21, 11. 12.
2. Chr. 31, Iß. Esdr. 8. Noch ungünstiger steht die Saclie für n2.pj
(weiblich), ausserhalb des Priesterkodex findet es sich nur im Buch
Hierem. (31, 22) und beim Deuteronomisten (4, Iß). Der Jehovist
sagt bekanntlich immer ni^*N1 l&*^Ni auch von Tieren; wohinp:egen
der Redaktor des Ilexateuchs dem Sprachgebrauch des Priester-
kodex folgt.
Gen. 1 , 28 nt^^onn iT'n fällt auf dadurch dass der Artikel
beim Substantivum ausgelassen und bloss dem folgenden Adjectiv
präfigirt ist, als wollte man im Griechischen sagen Gtvy;p 6 dt^aOo?
für 6 dvTjp 6 «Yaöo;. Ebenso 1, 31 ">l&'l5^n G^ und 2, 3 ''y^-rn DT»-
Das führt herunter in jene Periode, wo man nvn 2. "in und
n7n:in H^jD zu sagen pflegte. — l^*2.D und ni'^ sind Aramismen.
In mi&*2.D erscheint in Gen. 1 das einzige Verbalsuflix, übrigens
immer die Formen IHN DPIN ; ähnlich ist diis Verhältnis auch sonst
im Priesterkodex. In der jehovistischen Haupt schrift, in J, werden
diese Substitute mit nx nur zuweilen und aus besonderen Gründen
gesetzt; man kann allgemein behaupten, dass dieselben je später
je beliebter werden '). Dem geht parallel der Gebrauch von ^23^
in J, von ^^N im Priesterkodex; die letztere Form wird in der
späteren Zeit immer häufiger.
Diese Bemerkungen greifen schon über Gen. 1 hinaus; für den
Priesterkodex im allgemeinen kann ich jetzt auf F. (iiesebrecht«
Abhandlung zur Hexateuchkritik verweisen. Wörter wie )— *)p,
CHJ/i r\Dvb^ ^ntyy fallen jedes einzelne für sich schwer in die
Wage für die Annahme einer späten Abfassungszeit des Priester-
kodex. Man kann nicht glauben, dass so alltiigliche Wörter bis
aufs Exil in der übrigen Literatur nicht sollten zur Anwendung
gekommen sein, wenn sie vorhanden waren. Man kann sie auch
nicht zu den technischen Terminis rechnen; )Il'^p im Hebräischen
') In den Psalmen finden sich aber stets die Suffixe, ansgenommen 106, 4(>.
Denn in 27, 4. 67, 2 liegt die Saclie anders, und \mN HnnO 31, 6 ist
ein Zusatz, der nicht in den Zusammenhang passt.
398
Jus Judouliiin, Kii]i
für Opfer iiikI (i^itieEi gesagt, ist ulclil: anders uU \m\.-re im Deulät^^H
statt Gebet gesutzt. Im übrij^en ist bei der Ver^lcichimg des
I>exIkoiis iinmei' zii bedoaketi, dass erstens die nlteiitlial bon ein-
jrreifende Überurbeituiig; und Kedaktion der biblischen Bücher,
zvi'eiteDs die Willkür der Schreiber (bei scheinbaren Kbiuigkeiten
wie '33X und ^iN, besondere ttusserhnll) des Pen täte uchs) den ur-
sprünglichen Tiitliestiind so zerrüttet haheo, dass man sich im
allgemeinen nur an Proportionen halten kann und sich mit dem
Nachweise begnügen mugs, da^ ein Wort in der älteren Literatur
drei mal, in der jüngeren siebeuundzwanzig mal auf gleichem
Räume vorkommt.
Ee handelt sich hier zum teil um echt hebräisches Sprachgat;
um Wörter, die in der lobenden Sprache und dialektisch längst
dagewesen, aber in der älteren Literatur nicht gebräuchlich sind
und dann in deu Hagiographen , im t^irach und in der Aliscbma
literarischen Kurs bekommen; oder um Bildungen, die früher nnr
vereinzelt vorkommen (Juil. 9, 27) und dann plötzlich beliebt werden,
wie milluim, kippurim, piqqudim'). Zum teil aber auch qra
Araniaisnien. Zwar finden sich schon Irüh auffallende Ei-scheinangen
wie Tt; statt IIJ, "n (preisen), m'nx (Rätsel), b?D (E Gen. 21, 7),
]ra statt ]VS (E Gen. 4.'), 17 für SDU J 44, 13), und im üouteru-
nomium [32.J? neben b—U. Aber Aramaismen wie Jilp als ge-
wöhnliches Wort lür Opfer, nnc (für yra Num. 34, 11), V2.1
(für pT Lev. 19 und 20), y;^, lön (Schande), n'jJiD (Schale),
-]1Z.V (Ertrag los. ö), m für i'lT (I,ev. 26, 10) und in: (Lev. 11, 21}
^ ~\Wj mischnisch) im Priesterkodex sind doch sehr licherzigens-
wcrt. Auch nn:if PS. (Nuni. !.'>, 27), der Plnral des Compositums
niD.N TVZL^ die Form m^lN. die Schreibung ^Ep (statt 'jpp) sind
Aramaismen ').
2. Die sprachgeschichtliche Forschung steht im Hebräischen
noch sehr in den Anfangen. Auf lexikalischem Gebiete müsiKe
sie auch auf die Eigennamen aasgedehnt werden; es würde sich
woi herausstellen, dass nicht bloss Pharnak (Num. 34, 25), sondern
auch Kompositionen wie Pheda-sur Phcda-el Nathana-el Phag'i-el
Eli-asaph weniger auf die mosaische, als auf die persische Zeit
II
') mSt wird schon im Leviüciis für if'S im Sinne vi
») V({1. Lsgardu'8 Obersicht über die nildimg der N
der Oültioger Gesellschaft der Wiäsensc haften X:
n ^eli raucht
dun Abhh.
)) p. U6 SS.
Abschluss der Kritik des Gesetzes. 399
hinweisen und in der Chronik ihre Analoga haben. Andererseits
müssten auch die Zahlwörter und ihi'e Stellung, Präpositionen und
Partikeln in die Untersuchung gezogen werden. Uer Gebrauch
der Präpositionen Beth und Lamed im Priesterkodex ist sehr eigen-
tümlich. Das würde weiter hinüberführen auf die Syntax oder
besser die Rhetorik und Stilistik — ein sehr schwieriges und
wenig angebautes, aber ungemein wichtiges und für vergleichende
Behandlung sehr wol geeignetes Gebiet. Am allerweitesten ge-
langt man mit der Vergleichung solcher Parallelen, die in un-
zweifelhafter, direkter Beziehung zu einander stehn. Schlagender
kann die Abhängigkeit des Priesterkodex vom Jehovisten nicht er-
wiesen werden, als durch sein vmin. p^lH Gen. 6, 9 im Vergleich
zu n)n nnn pnjj Gen. 7, l (JE). Der Plural nin steht ganz mit
den D^i^D und den y^^n ^Dj; der Rabbiner und mit den (Jirspjxaia
von Gal. 3, 15 auf gleicher Linie; denn er bedeutet nicht die suc-
cessiven Geschlechter, sondern die Zeitgenossen, die gleichzeitigen
Individuen eines und des selben Geschlechtes.
Von den Worten wird man dadurch wieder auf die Sachen
gebracht werden, dass in manchen Fällen das Alter der Worte
abhängt von der Einführung der Sachen. Der Name "iniL im
Hohenliede z. B. setzt den Anbau des Malobathron in Syrien und
Palästina voraus. Der Priesterkodex fühi*t Farben, Gewebe, Gold-
arbeiten, Edelsteinarten auf, die in der älteren Literatur nirgend
vorkommen; er bildet zusammen mit Ezechiel die Hauptfundgrube
im Alten Testament für die Geschichte der technischen Kultur,
und das wird um so weniger Zufall sein, da die beiden auch in
ihrem geographischen Horizonte sich decken. Eine Berührung
findet ebenfalls, wenngleich in geringerem Maasse, in dieser Hin-
sicht statt zwischen dem Priesterkodex und Isa. 40 — 66; sie muss
also ohne Zweifel historisch, durch das babylonische Zeitalter, er-
klärt werden^).
') Zum IFoheliede vgl. Schürers Theol. LZ. 1879 p. 31; es ist durch seine
Ptianzennamen und Ähnliches ebenfalls eine wichtige Quelle der äusseren
Kulturgeschichte.
Wai-1 iiljJ d^L« .liidnj
Zclmtos Kapitel. ^^H
Die mündliche uad die schriniiche Thora. ^^
Webliß BedeutuDg bei den Juden die Sulirift,, das Bach des
üesetzüs hatte, "bissen wir alle aas dem Neaen Testamente. Vani
alten Israel ilagegen heisBl es im Eiii}:angsgedicht des Westöst-
licheii Divaii, dass das Wort so wichtig dort war, weil es ein ge-
sprochen IVm-t war. Der Gegensatz, den (Joethe offeuhar einiifan-
dcu liat, ist wirklich eharakteristisdi und einer eingehenderen
Würdigung wert.
I.
1. Wenngleirh d.-is Deutenmomium und der Priesterkodev
erst in sehr später Zeit aufgezeichnet worden sind, so bleibt doch
noch die jehovistische (Jesetzgebang (Exod. 2I.V— 23. Kap. S4), die
als schriftlicher Ausgangspunkt der israelitischen Keligionsgeschichte
lietrachtflt werden konnte. Dieselbe wird in der Tat so verwertet,
freilich gewiihnlith nicht im ganzen Umfange. Denn von dem
sinaitischeu Bundcwbuche (Exod. 20, 22—23, 1'.)) pllegt man ein-
zusehen, dass es einem sessbafteji und in den Ackerban voll-
konimen eiiigelebteii Volke gegeben ist, welches auch in der Gold-
wirtschnft schon ziemlicli weit über ilie ersten Anfange liinaas
war'). Als mosaiach im eigentlichen Sinne wird in der Kug«!
nur der Dekatog festgehalten. Und zwar hauptsächlich aus dem
Ctrunde, weil bezeugt wird, er sei auf den zwei Steintafeltt dftr
heiligen Lade verzeichnet gewesen. Indessen auch vom DeutOTo-
nominm wird bezeugt, einerseits os sei auf zwölf Steine eing«-
achrieben, andererseits es sei in die heilige Lade gelegt worden
(Deut. 31, 2ö). Unbedingter Verlass ist also nicht auf »Ich« An-
gaben, Die über den Dekalog scheint und freilich gestützt so
werden durch 1. Reg. S, 9, Aber das Gewicht dieser Aussage wird
iladurch abgeschwächt, dass sie in einem deuteronomistiseh bear-
beiteten und ausserdem noch intei-polirten Zusammenhange stebt
Um so grössere Bedeutung wird man demgegenüber dem Umstände
beizumessen haben, dass der Name „die Lade des Bundes" (d.h.
kl
') Kxod. 21, 35: Tgl. 21, 32 mit Jiid, 9, 4.
Die mündliche und die schriftliche Thora. 40l
der Kasten des Gesetzes)*) den späteren Schriftstellern eigen ist,
und wo er in älteren Erzählungen vorkommt, sich durch sein
sporadisches Auftreten sowie durch die Vergleichung der Septua-
ginta mit dem masorethischen Texte als Korrektur erweist. In
alter Zeit war die Lade kein blosser Behälter des Gesetzes, sondern
als „Lade Jahves" hatte sie ihre Bedeutung füi' sich, wde man aus
1. Sam. 4 — 6 klar genug erkennen kann. Gleichwie die zwölf
Masseboth, welche den Altar auf dem heiligen Berge von Sichem
umgaben, erst nachträglich zu Gesetzesmonumenten geworden sind,
so wird auch die Lade des Bundes erst durch Umdeutung aus dem
alten Idol entstanden sein. Wenn überhaupt Steine darin lagen,
so dienten sie schwerlich als Schreibmaterial, zumal sie ja dann
nicht als Mysterium im Dunkel des Heiligtums hätten verborgen,
sondern öffentlich ausgestellt werden müssen. Es kommt hinzu,
dass über den Inhalt der zehn Worte, die auf den zwei Tafeln
gestanden haben sollen, die Tradition mit sich selbst in Zwiespalt
ist, indem zwei ganz verschiedene Dekaloge, Exod. 20 und Exod. 34,
überliefert werden. Daraus folgt, dass es ein wirkliches und
festes Wissen darüber, was auf den Tafeln gestanden habe, nicht
gegeben hat, und weiter, dass wenn solche Steine — was wol
wahrscheinlich ist — überhaupt in der Lade gelegen haben, nichts
darauf geschrieben gewesen ist. Zu entscheiden, welcher der beiden
Versionen die Priorität zukomme, gehört nicht hierhier; für unseren
Zweck genügt das negative Resultat, das wir gewonnen haben.
2. Wol fehlte es auch im alten Israel nicht an gottgegebenen
Grundlagen für die Ordnung des menschlichen Lebens, nur waren
sie nicht schriftlich fixirt. Im weiten Umfang wurden Brauch und
Herkommen als Stiftung der Gottheit angesehen. So zum Beispiel
die Weise und Regel des Ackerbaus. Jahve hat den Landmann
unterwiesen und ihm das Rechte gelehrt. Er ist es namentlich,
dessen Autorität den ungeschriebenen Gesetzen der Sitte die ver-
pflichtende Kraft gil)t. „So pflegt man nicht zu tun in Israel",
„das ist eine Torheit in Israel" und dergleichen Äusserungen des
verletzten Volksgewissens kehren häufig wieder und bezeugen die
Vgl. 1. Reg. 8, 21 ^die Lade worin der Bund Jahves lag"; 8, 9 „es waren
in der Lade nur die beiden Steintafeln, die Moses am Horeb hineingelegt
hatte, die Tafeln des Hundes, den Jahve mit den Kindern Israel gemacht
hatte". Mit dem deuter. Ausdruck „Tafeln des Hundes" wechselt im
Priesterkodex der Ausdruck „Tafeln des Zeuj^nisses", d. h. ebenfalls des
Gesetzes. Für mVH '2. Reg. 11, 12 lies nnyKH nach 2. Sam. 1, 10.
WellbAttsen, Prolegomeoa. 5. Aafl. 26
402 Israel «od das Jiidentriin. Kap. 10.
Macht der Sitte; als das Motiv sich ihr zu rüi,'eii erscliuini
liüttesfurcht. „Gewiss ist keine Gottesfurcht lui tliisera Orte xmÜ
iiiiiii wild mich töten wegen meines Weibes", denk? Älirahiim in
Ger;ir. „Wie sollte ich so gi'osses Unrecht tun iind wider tiott
sandigen", sagt Joseph znr Ägypterin. „Die Leute von Öodnm
waren böse uud smidigten scliwer gegen Jahvo", lieisst es Gen. 13, 13.
DöBgltiichen Deut. 25, 18: „die Amalekiter griffen Israa) auf
dem Marach an und mordeten die Nachzüglei-, die nicht recht
weiter konnten, und fürchteten Gott niclit". Man sieht, Aass diese
Forderungen dor Gottheit nicht bloss den Israeliten, sondern aJlur
Welt bekannt sind oud gelten, also nicht auf besondere Ueliote
üurückgehu — wie denn auch schon lange vor Moses die Erzväter
ihnen nachkommen. „Ich kenne Abraham — sagt Jahve Gen. i>^, lU
— darin dasa er seinen Nachkommeu befelilen wird den Weg
Jahves einzuhalten, Recht und Gerechtigkeit zu üben".
Viel grösseres Gewicht wird aber auf die besondere Thora
JiUives gelegt, die nicht allgemein giltige Gesetze des HiuideliiB
aufstellt, sondern dem Menschen in bestimmten schwierigen Fülli«n,
wo er selbst sich nicht Rat weiss, den Weg zeigt. Sie gehfirt wir
ei gen tum liehen ßegabnog Israels (Deut. 33, 4) und zwai' ist sie
den Priestern nnverti'aut. deren EinÜuss sich, wahrem! der hebräi-
schen Königszeit, von der wir hier reden, viel mehr auf diesen
Besitz als auf das Üpferprivileg gründete. Das Yerbum, von dem
Thora hei^eleitet ist, bedeutet in der ältesten Anwendung Bescheid,
Entscheid geben. Das Parti<dpium heisst der Dnikelerteller in den
beiden Beispielen gibeath more und allon more, der leuiterc
Ausdruck wird durch einen damit wechselnden, erklärt, als „Eiche
der Weissager". Da wir nun wissen, dass die Priester in den
Tagen Sauls und Davids durch das Ephod und die damit ver-
bundenen Lose, die auf eine bestimmt gestellte Doppelfi'age so oder
so entschieden, Gottessprüche erteilten, so wird sich hieraas ifare
Thora entwickelt haben'). Die Urim und Thummira gelten uodi
Deut. 33, H als das wahre und allgemeine Insigiio des Priester-
staiides; das Ephod wird in den historischen Büchern zum letzten
mal 1. Reg. 2, 26 erwähnt "), scheint sich abei- noch bis auf Jesaias
Zeit in Gebraucli erhalten zu haben (Os. 3 4. Isa. 3Ü, 22). Mit
■) 1. SBin. 14. Ka|.. äS. Kap. 30.
^ liier ist "liesn XU Icaen stillt ijl« JilS, uLcuso 1, Sain. 14, 18; vgl.
Die mündliche und die schriftliche Thora. 403
der Zeit befreite sich, dem allgemeinen Zuge des Geistes folgend,
die Thora von solchen heidnischen Medien und Vehikeln (Amb. 2, 19).
Al)er sie blieb ein mündliches Entscheiden und Bescheiden.
Als Ganzes ist sie immer nur Potenz und zwar Gottes, beziehungs-
weise der Priester — von diesem Subjekt kann nicht abstrahirt
werden, die Lehre ist nur als Aktion des Lehrers gedacht. Es
gibt keine Thora, als fertiges, ohne den Urheber bestehendes, jedem
zugängliches System; aktuell wird sie bloss in den einzelnen
Sprüchen, die natürlich allmählich eine feste Tradition begründen.
„Sie bewahreti dein Wort und hüten dein Gesetz, sie lehren Jakob
deine Rechte und Israel deine Weisungen".
Die Thora der Priester scheint zuvörderst einen rechtlichen
C'harakter gehabt zu haben. In Fällen, wo es eine zuständige Ge-
walt nicht gab oder die für menschliche Entscheidung zu schwierig
waren, wurde die Sache in letzter Instanz vor Gott, d. h. vor das
Heiligtum oder vor die Priester gebracht (Exod. 18, 25 s.). Die
Priester bildeten also eine Art hödister Gerichtsbarkeit, die jedoch
rein auf freiwilliger Anerkennung ihrer moralischen Autorität be-
ruhte und nicht im stände war den Sprüchen durch Zwang Nach-
druck zu geben: „wenn ein Mensch gegen den andern fehlt, so ist
Gott Schiedsrichter'^, heisst es 1. Sam. 2, 25 sehr unbestimmt.
Auch gewisse besonders feierliche Kechtsgeschäfte wurden vor Gott
vollzogen (Exod. 21, C). Je mehr nun aber mit dem Königtum
die bürgerliche Justiz ei-starkte, desto mehr musste das Fas das
Jus aus seinem Schoose entlassen. Die Gotteskenntnis, welche
Hosea (Kap. 4) als den Inhalt der Thora betrachtet, hängt zwar
noch immer näher mit der Jurisprudenz als mit der Theologie zu-
sammen; aber da sie darauf hinausläuft, dass Gott von den
Menschen Gerechtigkeit und Treue und Wolwollen verlangt, so ist
sie doch im Grunde Moral, wenngleich die Moral zu jener Zeit
ihre Forderungen weniger an diis Gewissen als an die Gesellschaft
stellt. Natürlich hat sich auch eine rituale Tradition schon vor
dem Exil ausgebildet (2. Reg. 17, 27. 28). Aber nur diejenigen
Riten werden unter Thora mit einbegriffen, welche die Priester
andere zu lehren haben, nicht die, welche sie selber ausüben;
selbst im Leviticus lässt dieser Unterschied sich noch spüi'en, wo
vorzugsweise die Anweisungen über essbare und nicht essbare Tiere,
über reine und unreine Zustände, über den Aussatz und seine
Kennsieichen als Thoroth bezeichnet werden; vgl. Deut. 24, 8.
26*
404
Tsrael und (!a« JuJeuIiim, Eit|i. 10.
I
So war tt- in Israel, wnför bis dahin die Zeugnisse beige-
bracht woiden sind; so war es ituch in Juda. Das Sprichwort:
„die Thnra wird dem Priester nicht aiisj^ehu noch der Rat dem
Ältesten noch das Wort dem Propheten", welches zur Zeit Jero-
mias und Ezethiels gäiig und gäbe war, wird nicht erst damals
entstanden sein und jedenfalls tatsäuhlich auch anf die frühere
Zeit passen. Nicht sofern sie opfern, sondern sofern sie weisen,
erscheinen hier die Priester als Grundpfeiler der geistigen Ordnung
der Dinge; und zwar ist ihre Thora lebendige Kraft, die dem An-
lass entspricht und nicht versagt. Von Micha wird ilmeu vor-
geworfen, daäs sie für (ield bescheiden (H, 1 1), was gleichfalls bezeugt,
dass ihre Weisheit auf einer nur ihnen zugänglichen Tradition be-
ruhte; das selbe folgt aus einigen Äusserungen des Deut^ronomiums
(17,10 s. 24, H). Wie das Gegenstück zn dem oben angeführten
Spruche (Hier. IH, IH. Ezech. 7, 2f>) lautet die Klage (Lara. 2, VI):
„Jerusalem ist zerstört, König uud Fürsten unter den lieideu, die
Thora ist dahin, die Propheten erlangen kein Gesicht von Jahve';
nai'hdent das Heiligtum und die Priester zu gründe gegangen, gibt
es auch keine Thora mehr, und damit ist dem Volksleben die Axt
an die Wurael gelegt. Bei den uachexilischcn Propheten bekommt
die Thora, die noch im Deuteronomium (17, 11) wesentlich rech^
liehen Inhalts ist, einen stark rituulen Beigeschmack, den man
früher niclit verepürt; doch ist sie selbst hier noch ein mündliches
Lehren der Priester (A^. 2, 11).
Die Priestor leiteten ihre Thora von Moses ab, sie wollten
nur bewahren und behüten, was Muses hinterlassen hatte (I)eat,
m,-i. 9 s.). Er galt als ihr Ahnherr (33, 8. Jud. 18, 3U), sein
Schwäher ist der Priester von Midian am Sinai, sowie au<A
Jahve gewissermaassen von dem älteren Gott des Sinai abstimmt.
Aber zugleich galt Moses als der unvergleichliche Anfanger der
Prophetie (Num. 12, (iss. Deut. 84, 10. Ob. 12, 14), wie denn
sein Bruder Aliaron gleichfalls nicht bloss Levit (Ex. 4, 14), sou-
deiu auch Prophet ist (4, 15. Num. 12, 2). Es besteht also eine
nahe Beziehung zwischen Priestern und Propheten d. h. Sehern:
wie bei anderen Völkern (1, Sam, G, 2. 1. Reg. 18, 10 vgl. mit
2. Reg. 10, 19), so auch bei den Hebräern. Nicht die Technik
des Kultus kennen, die noch sotir einfach und unaiisgebildet ist,
sondern ein Manu Gottes sein, mit Gott auf vertrautem Fusso
stehn, (las ist ea, was In ältester Zeit den Priester macht, d. b.
Die mündliche und die schriftliche Thora. 405
den Mann, der für andere den Verkehr mit dem Himmel besorgt;
der Seher ist vor anderen dazu befähigt (2 Reg. 18, 30 ss.). Der
Unterschied ist in der frühesten Zeit fliessend, noch Samuel wird
1. Sam. 1 — 8 als angehender Priester, 1. Sam. 9. 10 als Seher an-
gesehen.
Auch als sich später die Priester und Propheten sonderten
und abschlössen, blieben sie doch in Zusammenhang, sowol im
Reiche Israel (Os. 4, 5), als auch namentlich im Reiche Juda
(2. Reg. 23, 2. Hier. 26, 7 s. 5, 31. Deut. 18, 1—8. 9—22. Zach 7, 3).
Was sie verband, war die Offenbarung Jahves, die durch sie beide
fortging und lebendig erhalten wurde. Jahve ist es, von dem die
Thora der Priester und das Wort der Propheten ausgeht; er ist
der eigentliche Weiser, wie ihn Jesaias in der Stelle 30,20 s.
nennt, wo er von der messianischen Zeit zum Volke sagt: „nicht
mehr verhüllt sich dann dein Weiser (^^'^lö), sondern deine Augen
sehen deinen Weiser und deine Ohren hören die Woiie eines der
hinter dir ruft: dies ist der Weg, hier geht! — wenn ihr links
oder rechts abweichen wollt". Thora und Wort sind verwandte
Regriffe, die sich vertauschen lassen (Deut. 33, 9. Jsa. 1, 10. 2, 3.
5, 24. 8, 1(). 20). Daher erklärt es sich auch, dass Priester und
Propheten gemeinsame Ansprüche erhoben auf Moses: als Begründer
des Kultus wurde derselbe dabei nicht angesehen.
Den unterschied kann man, in der Periode wo er sich voll-
kommen ausgebildet hatte, so bezeichnen, dass die Thora der
Priester einer stetig fortlaufenden, die der Propheten einer inter-
mittirenden Quelle gleicht, die aber wenn sie sich öffnet um so
gewaltiger sprudelt. Die Priester gehu den Propheten voran, wenn
sie zusammen genannt werden; sie haben sich offenbar früher und
fester konsolidirt. Ihnen ist der Stand und die innerhalb des
Standes sich fortpflanzende Tradition wesentlich; sie bewahren
und hüten die Thora (Deut. 33, 9). Eben deshalb, weil sie sich
so ganz auf die Tradition stützen und von ihr abhängen, ist ihr
Anspruch auf Moses als ihren Vnter, als den Anfänger und Gründer
ihrer Tradition, in sich berechtigter^), wie denn auch im gewöhnlichen
Sprachgebrauch unter Thora überall zunächst und hauptsächlich
^) Kr ist auch historisch bejurründeter; denn wenn Moses irgend etwas getan
liat, so hat er das Heiligtum zu Kades und die Thora daselbst begründet
welclic (iie Priester der JiOde nacli ihm fortsetzten — darin den Faden
der Geschichte Israels fortspinneud, der durch daa Königtum kräftig
4(t6 l^ro,.l .ind das .hi,li-Mti„„. K.ip. la ^H
■liti |)rit!sterliLiho Tlioia vorstaüdcri wird. Die l'ropheten haMl^
bükHimtlich keinen Vater (1. Öam. JO, 12), Ihre Bedentung l>eruhf<
anf den liidividnen; es ist liezeichoend, tlass ans nor von ihnen
Namen und l.ebeuBbilder erhalten sind. Dem Zuge der Zeit folgend
t^liedeiTi sie sich zwai- auch zu Korporationen, aber eigentlich heben
sie dadurch ihr Wesen auf: die Koryphäen stehen immer oinsteln,
anf sich selber. Der Überlieferung; eines Standes, welche dün An-
lässen des gewöhnlichen Iiebens genügt, tritt hier die Inspiration
einzelner Erweckter gogenfiber, angeregt durch ausserurdenlliclic
Anlässe. Nachdem der (Jeist der ältesten MäJinor Gottes, Jiuses
iLti der Spitze, in Institutionen gewissermaassen gebannt war, suchte
und fand er ein neues Ventil in den l'ropheton: das alte Feuer
brach vulkanisch hindurch durch die Schichten, die einst anch
Hüssig aus der Tiefe gestiegen, nnn aber erstarrt and abgulu(p;rt
waroii-
Das rioi>enselemont dor Propheten iat der Sturm der Wclt-
gestiliichte, der die Ordnungen der Menschen hinwegfegt, in dorn
der Schutt der Oeschtochtor mitsamt den Hänsern darauf ins
Wanken gerät und nur ein (Irund fest bleibt, der selbst keiner
Begründung bedarf. Wenn die Erde in Heben vergeht, dann
triuraphireri sie, das-s Jahve allein hoch bleibe. Hie predigen nicht
Übel' gegebene Texte, sie reden aus dem Geist, der alles richtet
nnd von niemand gerichtet winl. Wo atiitüen sie sich jemals »nf
eine andere Autorität als die moralische Evidenz, wo auf ein anderes
Fundament als ihre eigene Gowissheit? Das gehört zum Bogriffo
der prophetischen, der echten Offenbarung, dass Jahve, über iillo
nrdnungsrnässigö Vermittinng hinweg, sich dem ludividnum
mitteilt, dem Dcrafenen, in welchem der geheimnisvolle und un-
zergliedorbare Hupport energisch wird, worin die Gottheit mit dem
Menschen steht. Losgetrennt vom I'ropheten, in abstrat^to, gibt es
keine Offenbarung; sie lebt in seinem gottmenscblichen Ich. Eine
Synthese scheinbarer Widerspräche entsteht dadurch : das Subjektive
im höchsten Sinn, erhaben über alle Satzungen, ist das In Wahrheit
Objektive, das Oüttliclic. Es bewährt sich als soliiies durch die
Zustimmung des allgemeinen Gewissens, worauf die Propheten,
wieder aufgenommen wurde. Die PrO|iheten sind erat mr Zeit Ssoinelä
bei deo Ilebräern sufuekoiumen: die iyihvr aber waren älter als Hos«a
und standen schwerlicn seiner Tradition ao nahe wie die Priester an
Ilpiligttim der Lade .lahvcs.
Die mündliche und die schriftliche Thora. 407
s^erade wie Jesus im Evangelium Johannis, bei all ihrer Polemik
gegen den hergebrachten Gottesdienst rechnen: sie wollen nichts
neues, nur alte Wahrheit verkündigen. In der schöpferischsten
Aktion haben sie das Gefühl vollkommener Passivität; das homo
tantum et audacia, welches man mit vollem Recht auf Menschen
wie Elias Arnos Jesaias anwenden könnte, bedeutet bei ihnen das
selbe wie deus tantum et servitus. Aber ihr Credo steht in keinem
Huche. Es ist eine Barbarei, einer solchen Erscheinung mit dem
Gesetz die I*hysiognomie zu verderben.
3. Es ist ein leerer Wahn, dass die Propheten das Gesetz
erklärt und angewandt haben sollen. Maleachi (zh 450) sagt
allerdings 3, 22: „gedenket der Thora Moses meines Knechtes",
aber wo fände sich sonst ein Analogen dazu! Viel richtiger als
die Neueren urteilen die Männer, die am Ausgange der vor-
exilischen Geschichte zurückschauten auf ihre bewegenden Kräfte,
die göttlichen sowol als die ungöttlichen. Ihnen erscheinen die
Propheten nicht als die Ausleger, sondern als die ebenbürtigen
Fortsetzer Moses; das Gotteswort ist in ihrem Munde nicht geringer
als im Munde Moses; sie sind so gut wie er Organe des Geistes
Jahves, durch die er in Israel gegenwärtig ist. Die unmittelbare
Offenbarung an das Volk, heisst es Deut. 18, hat mit den zehn
Geboten aufgehört; fortab bedient sich Jahve der Propheten als
seines Mundes: „einen Propheten wie du bist", sagt er zu Moses,
„werde ich ihnen envecken aus ihren Brüdern und meine Worte
in seinen Mund legen, dass er zu ihnen rede was ich ihm auftrage,
und wer auf meine Worte, die er in meinem Namen redet, nicht
hört, an dem werde ich es ahnden". Ähnlich nimmt bei Jeremias
die stets rechtzeitig erschallende Stimme der Propheten die gleiche
Stelle ein, die nach der herrschenden Meinung dem Gesetz zu-
kommen müsste; nur dies lebendige Befehlen Jahves kennt er,
kein ein für alle mal gegebenes Testament. „Ich habe euern
Vätern, als ich sie aus Ägypten führte, nur das befohlen: hört auf
meine Stimme und wandelt in den AVegen, die ich euch immer
weisen werde. Von dem Tage an, wo eure Väter aus Ägypten
gezogen sind, habe ich alle meine Knechte, die Propheten, zu euch
gesandt, immer frühzeitig sie entbietend, aber ihr hörtet nicht."
Noch nach dem Exil bei Zacharia (r)20 v. Clir.) begegnen wir
dieser Anschauung über die Bedeutung der l*ropheten. „So sprach
Jahve Scbaoth (vor dem Exil zu den Vätern): sprecht wahrhaftiges
403 Isnirl und da* Jinlentiim, Ksp. 10.
Itechl Tiiifl üht. iiiilor einajider fiüt« und Barniherni^keit,
und Witwen uiiii frennUinge und Arme IWrückot nicht, und
siniiot im Herzen nichts arges gegen irgend wek-hon Bruder! Aber
sie wallten nicht acht geben und machten ihren Hais starr und
ihre Ohren tauh und ihre Herzen kioselhart, so dass sin nicht
hörten die Tliora und die Wort«, welche Juhve Scbnoth <lurch
seinen Geist durch die alten Propheten sagen Hess, und es kam
ein grosser Zorn von Jahve Sebaoth. Und wie er rief und sie
nicht hört«n, so sollen nun auch sie, sprach er, rufen nnd iih will
niulit hören, und ich will sie verwehen unter die Völker
Ho spricht Jahve Sehaoth (nach dem Exil zn der Gefjenwart): wie
ich beschlossen hatte euch erbarmungslos zu strafen, weil mich
eure Väter erzürnt hatten, so habe ich wieder in diesen Tagen
beschlossen dem Hause Juda wol zu tun, liirchtet euch nicht!
Dies ist es was ihr tun sollt: redet unter einander die Wahrheit,
Wahrheit und heilsames Recht sprecht auf euren Gerichtfistätten;
and sinnet nichts arges gegen einander und lasset die Lngeii-
schwüre; denn all so etwas hasse ich, spricht Jahve" (Zach. 7,
9—14. H, 14—17). Süwol der Inhalt der Thora, auf deren Be-
fnlgung hifir diu Theokratie gegründet wird, gibt zn denken, als
auch ihre Uerleitung von den , alten" d. h, vore^ilischen l'rophelen.
Selbst Ezra kann noch sagen (9, 10.11): „wir haben deine Gebete
vergessen, die du durch deine Knechte die Propheten liefohlen hast
und gesprochen: das Land wohin ihr kommt es einKunehmon ist
ein durch die Greuel der einheimischen Völker bedecktes Land, das
sie von Rand zu Rand mit ihrer Uureinigkeit angefüllt haben".
Er hat das Üeuterouomium, Ezechiel, Lev. 17— 26 im Auge.
Unter denen, die vom Ende aus über den Sinn der abgelanfenun
Entwicklang nachdenken, nimmt der Verfasser von isa. 40 65, die
erste Stelle eiu. Die Thora, die er auch das Mischpat (das
Recht d. h. die Wahrheit nennt), erscheint ihm als das Göttliche
und Unvergängliche in Israel. Sie ist ihm aber unzertroiuilicb vnn
ihrem Verkündiger, dem Knechte Jahves (42, 1 — 4. 49, 1 — ß.
.Ttl, 4 — 9. 52, 13 — ri3, 12). Der Name bezeichnet den Propheten,
hier wird darunter Israel verstanden, ein Prophet im grossen Stil.
Der Beruf Israels ist nicht der der Weltreiche, Aufsehen und
Lärm zu machen auf den Gassen (42, 1—4), sondern der stille,
die Thora zu verkündigen und zur Anerkeimung zn bringen. Und
zwar sowol iu Israel selbst als auch unter den Heiden. Prophet
Die mündliche und die schriftliche Thora. 409
ist ja Israel nicht nach seiner eigenen inneren Qualität, sondern
durch sein Verhältnis zu Jahve nach seinem Beruf als Träger
der göttlichen Wahrheit; darum ist es kein Widerepruch,
dass der Knecht bei Israel selbst die Arbeit anfängt. Bisher
hat er sich nur innerhalb des eigenen Volkes abgemüht, das
immer geneigt ist, von Jahve und von sich selber abzufallen:
der Schmach und der Leiden nicht achtend hat er unermüdlich
den Aufträgen seines Meisters sich unterzogen und dessen Wort,
verkündigt. Aber vergeblich. Er hat es nicht vermocht, den
Sieg des Heidentums in Israel abzuwenden, dem nun auch sein
Sieg über Israel gefolgt ist. Jetzt im Exil hat Jahve das Verhältnis
zu seinem Volke abgebrochen; die einzelnen Hebräer leben noch,
der Knecht, das Volk Jahves ist tot. Aber die Thora würde ja
mit Ihm sterben, die Wahrheit selber der Lüge, dem Heidentum
unterliegen. Das kann nicht sein, die Wahrheit muss zu Rechte,
muss an das Licht kommen. Wie dem Apostel Paulus der Geist
die Bürgschaft der Auferstehung des Wiedergeborenen ist, so un-
serem Autor die Thora das Unterpfand der Auferstehung Israels,
der Rechtfertigung des Knechtes Jahves. Der endliche Triumph
der Sache, die Gottes Sache ist, wird alle Ei-wartungen übertreffen.
Nicht bloss in Israel selbst wird die Thora, wird der Knecht
Jahves durchdringen und die Neugeburt des Volkes bewirken,
sondern die Wahrheit wdrd nun von Israel aus leuchten in alle
Welt und unter allen Heiden zum Siege kommen (49, (>). Dann
ergiebt sich, dass die Arbeit des Knechtes, so vergeblich sie bis
zum Exil geschienen hat, doch nicht umsonst gewesen ist.
Ich brauche wol nicht noch auseinanderzusetzen, wie unge-
mein lebendig, ich möchte sagen wie ungemein geschi<'htlich hier
der Begriff der Thora gefasst ist, wie gänzlich inkompatibel er
ist mit dem „der Thora Moses". Sie wäre am ersten zu ver-
gleichen mit dem Logos des johanneischen Prologs, wenn man
denselben nach Joh. 10, 35 und nicht nach Philo versteht. Wie
Jesus die Mensch gewordene, so ist der Knecht Jahves die Volk
gewordene Offenbarung Gottes. Die Ähnlichkeit ihres Wesens und
ihrer Bedeutung bringt die Ähnlichkeit ihres Wirkens und Lei-
dens mit sich, so dass in der Tat die messianische Deutung von
Isa. 52, 13 — 53, 12 nahe genug liegt.
Isrui'l kikI iIjh
1. Im Ift, .liihro dos
DeuttirniioiDiiim (jcruiKli'u iinil veriin'eiiliii^ht. Es
Fundhorichte 2. Uv>g. 1% 23 i
i-rl t
s Buch iIltTIioi
(Ihorichte 'l. \\«g. 22. 2fi immer das Buch iIlt Thorfi srlilerht-
liin ^eiiaunt: es war als» das ei'st« und .«eiiier Zeit dati cinzi;^.
Schon früher freilich hatte» nicht liloss die Propheten ihre lt«den,
sondorn wol auch die Priester manche von ihren Sprüi-hon aof-
fjüneichnct; es wäre möglich, wie Vatito vermutet, dass wir z.H.
in dem sinaitischen llumlesbuche ein Dcnkinal ihres Geistes bu-
sitzen. Das Deuterenomium aber, welches solche ältere Aufsütxe
voraussetzt und vielfjwh das .Material daraus putuimmt, iint«-
scheidet sich vou ihnen nicht bloss durch seinen weit grnsseron
Umfang, sondern auch durch seine weit höheren Ansprüche. Ks
Ist mit der dentlichen Absicht verfasst, nicht PrlyataufzoichnunR
zu bleiben, sondern als Ruch öllontliche fieUuni; zu orlaugen.
Der Versuch, eine bestimmt formiilirto schriftliclie Thora ziliii
Hetchsgesetz zu machen, gelang zunächst ülier allos Erwaricu.
Freilich trat dann wieder eine Reaktion ein, aber ilas hahylonische
Kxi! vollendete den Sieg des (Jesi^zes. Einer ungeheuren Auf-
regung war damals die tiefste Depression gefolgt (Am. 8, 1 1 ae,).
1(1 einer solchen Zeit klammerten sich die, welche an der Zukauft
nicht vorzagten, au den geistigen Ei'werii der Vei'gangenheit, Zur
rechten Zeit war derselbe, mit Rücksicht auf die praktische An-
wendung im bürgerlichen und religiösen Loben des Volke«, im
Deuteronomium gebucht worden. In dem allgemeinen Ruin ging
das Buch der Thora nicht unter, sondern blieb bestehn und wani
der Kompass für die, die auf ein neues Israel hiiisteuertou. Wie
sehr mun es als Norm zu benutzen entschlossen war, zeigt die im
Kxil unlernomniene Itearbeitang de» Hoxatcnchs und der histori-
schen Bücher.
Mit dem Erscheinen des fiesetzes hörte die alte Freiheit anf,
nicht bloss auf dem Gebiete des Kultus, der nun auf Jerusalem
beschränkt wurde, sondern auch auf dem Gebiete des reli^Öaon
Geistes. Es war jetzt eine höchste objective Autorität vorhanden:
das war der Tod der I'rophetie. Denn für diese war es not-
wendig, dass das Unkraut zwischen dem Weizen aufwachsen (Jurfte.
Mögen auch die Merkmale, welche da? Deuteronomium aufstellt
um den wahren Propheten vom falschen zu unterec beiden, recht
Die muudliche und die schriftliche Thora. 411
allgemein und recht unpraktisch sein, so spricht sich die Tendenz
der Kontrolirung und Unifoimirung doch klar darin aus, und sie
ist das epochemachende. Es war freilich nicht die Absicht des
Gesetzgebers, die mündliche Thora oder das freie Wort zu beein-
trächtigen. Aber diese Konsequenz, durch die äusseren Umstände
begünstigt, war nicht zu vermeiden; die Empfindung, dass es
mit den Propheten aus sei, hat nicht erst in den makkabäischen
Kriegen begonnen. Wir hören schon früher die Klage, dass die
Weisung der Priester und das Wort der Propheten verstumme (Lam.
2, 9); V'S wird gefragt, wo der geblieben sei der in der Vorzeit
seinen Geist in Israel hineingelegt habe (Isa. 63, 11); in der Zeit
Nehemiiis wird eine zweifelhafte Frage wenigstens theoretisch in
der Schwebe gelassen, bis „der Priester mit Urim un<l Thummim"
d. h. ein mit zuverlässiger Weissagung Betrauter erscheine (Neh. » «
7, ();')). Man darf Jeremias den letzten der P roj}hcten nennen^ ); 1 \
die nach ihm kamen, waren es ritTf dem Namen nach. Ezechiel
hatte ein l^uch verschlungen (3, 1 — 3) und gab es wieder von
sich. Wie Zacharia so nennt auch er schon die vorexilischen
Propheten, im Bewusstsein seines Epigonentums, die alten Pro-
pheten; er sinnt über ihre Worte nach wie Daniel und kommen-
tirt sie durch seine eigene Weissagung (3H, 17. 39, 8). Viel eher
verdient der Verfasser von Isa. 40 ss. ein Prophet zu heissen,
aber er will keiner sein, seine offenbar beabsichtigte Anonymität
lässt darüber nicht in Zweifel. Er ist in der Tat mehr Theologe,
er reflektirt vorzugsweise über die Resultate der vorhergegangenen
Entwicklung, deren Sauerteig die Proi)hetie war, wie über ge-
wonnene feste Güter, er heimst die Ernte ein. Was die nach-
exilischen Propheten betrifft, so haben wir schon gesehen, da^ss
Zacharia von den alten Propheten als von einer abgeschlossenen
Reihe redet, zu der er sich selbst und seinesgleichen nicht rechnet.
In der seinem Buche angehängten Schrift eines späteren Anonymus
findet sich folgende merkwürdige Äusserung: „in jener (erhoflten)
Zeit spricht Jahve, tilge ich die Namen der (lötzen aus dem Lande,
dass sie nicht mehr erwähnt werden, und auch die Propheten und
den unreinen Geist lasse ich aufhören; und wenn ein Mensch noch
') Jeremias, der in seinen jünj^^cren Jahren an seinem Teile heigetraj^'en
hatte zur Einfühnin«,' des (resetzcs, zei«(t sich spater über dessen AVir-
kun;; wenig erbaut: zur liilgc habe geschrieben der Lügengritfel der
Schreiber. Die Leute versclimrihten das prophetische Wort, da sie die
Thora schwarz auf weiss besassen (8, 7 — 9),
412
lim, K-ip. 10.
11 ZQ ihm
: du ht9
Kltoni
\^
wcissH>ien will, mt werden seine Filtern za ihm sagcu:
Todes weil du Läge redest im Namen Jahves, und
werden ihn durchbohren, wenn er weissagt".
2. Das IJenteroiiomiam indessen w:u' ein Programm für eine
Kofonnatiou, nicht für eine Restauration. Es setzte das Itesltihn
des Kultus voraus und korrigirto ihn nur in gewissen allgemcinoo
Punkten. Aber nun war der Tempel «erstürt und der Gottes-
dienst unterbrodien, die Praxis von ehemals omsste aufgezeichnet
werden wenn sie nicht untergehen soUtu. So kam es, da.ss im
Exil das Kultuaverfahren Gegenstand der Thora wunle," wolici
natürlich neben dem restaurirenden der reform a lorische Gesichts-
punkt fortwirkte. Wir haben gesehen (p. ftJs.), dass Ezechiel der
erste wai-, der diesen durch die Umstände indicirton Schritt tat.
In dem letzten Teile seiner Schrift hat er den Anfang gemacht
mit der Aufzeichnniig des im Tempel von Jerusalem üblich ge-
wcsenen Rituals, Andere Priester schlössen sich ihm an (I^v. 17
bis 26), und so entstand ans diesem Stande im Exil eine Art Schule
von Leuten, die was sie früher praktisch betrieben hatten, jetxt
anf Schrift und in ein System brachten. Nachdem der Tempel
wieder hergestellt war, liielt sich doch der theoretische Eifer und
bildete in Wechselwirkung mit der erneuerten Praxis das Ritual
noch weiter aus; die in Babylon verbliebenen Priester nahmen aus
der Ferne nicht weniger Anteil am heiligen Dienste als ihre mit
der Ausübung desseliien beschäl'tigten Brüder zu Jerusalem, die
unter widrigen Umstanden lebend es mit der peinlichen Refolgang
der festgestellten Observanzen nicht so genau gehalten zn haben
scheinen. Das letzte Resultat dieser langjährigen Arbeit ist dar
Priesterkodex. Man hat zwar gesi^t, die Schöpfung eines solchen
Werkes könne einer Zeit nicht «ngetraut werden, die nur bu
repristiniren suche. Zugegeben, dass das letztere Urteil richtig
wäre, — zum künstlichen Systematisiren vorhandenen Materials ist
gerade eine solche Zeit durchaus geeignet, und wesentlich darin
besteht die Originalität des Pi'iesterkodex ').
Der Priesterkodex, eingearbeitet in den Pentateuch als deseen
maassgebender legislativer Bestandteil, wurde das definitive n°">~
') Dillmami findet, ee aei die mttürlicbste Anmthme von dt^r Wdt tmd ans
ACn (!) iinch XU erweisen, dnss div PricNtiTBcliaft Ai-s ('eatrnlbciligtumc»
schon in attcr iCuit ihre Tlmr.i uiifsclirieli : Anns nma erst iiu Rxil null
in Uitlijlodiüii, no man gar Iteinea Ciulti'sdieust iLalt«, die |irit<stFrIkbeu
Die mündliche und die schriftliche Thora. 413
saische Gesetz". Als solches wurde er publicirt und eingeführt \
während der Statthalterschaft Nehemias, in der zweiten Hälfte der
Regierung des Königs Artaxerxes Longimanus, durch den baby-
lonischen Schriftgelehrten Ezra. Ein Bericht darüber, dessen An-
fang und damit auch die Jahresangabe leider abgeschnitten ist,
ist uns erhalten in Neh. 8 — 10. Am 1. Tage des 7. Monats ver-
sammelte sich alles Volk wie ein Mann auf dem Markt vor dem
Wassertore, und Ezra wurde aufgefordert das Buch des Gesetzes
Moses vorzubringen, das Jahve Israel geboten. Der Schriftgelehrte
bestieg eine hölzerne Kanzel, je sieben Priester traten ihm rechts
und links zur Seite. Wie er das Buch aufechlug, erhoben sich
die Anwesenden, Männer und Weiber; mit lautem Amen stimmten
sie in den Eingangssegen ein, erhoben die Hände und warfen sich
zu Boden. Darauf las er vor, vom fiiihen Morgen bis zum Mittag,
in kleinen Absätzen, welche von einer Anzahl unter der Menge
zerstreuter Leviten wiederholt und erklärt wurden. Die Wirkung
war, dass ein allgemeines Weinen sicli erhob, weil man sich be-
wusst war bis dahin die Gebote Gottes nicht befolgt zu haben;
Nehemia und Ezra und die Leviten mussten die Aufregung
dämpfen und sprachen: der heutige Tag ist Jahve eurem Gott ge-
weiht, trauert nicht und weint nicht, geht hin, esst was fett ist
und trinkt was süss ist, und gebt denen ab die nichts mitgebracht
haben! Da zerstreuten sich die Versammelten und veranstalteten
„eine grosse Freude", weil sie die Worte verstanden hatten, die
ihnen mitgeteilt waren. Am anderen Tage wurde die Verlesung
fortgesetzt, aber bloss vor den Familienhäuptera, und zwar kam
ein zeitgemässes Stück an die Reihe, nämlich die Verordnungen
über die Feste, insbesondere über das unter grünen Zweiglauben
zu feiernde Hüttenfest am In. Tage des 7. Monat, desjenigen, in
dessen Anfang man gerade stand. Mit grossem Eifer ging mau
daran, die seit den Tagen Josuas ben Nun nicht rite begangene
Feier nun nach der Vorschrift des Gesetzes Lev. 23 zu rüsten, und
mit allgemeiner freudiger Betheiligung beging man sie vom 15. bis
und gottesdienstlichen (Jesetzc aufgeschrieben oder sogar erst gemacht
hal»o, sei widersinnig. Widersinnig immerhin, wenn nur wahr. Kin
Fortschritt ist es niclit, gleichwo! ein Faktum, dass auf die Könige die
Hohenpriester folgten un<l auf die Propheten die Kabbinen. Ks soll
übrigens doch öfter vorkommen, dass die traditionelle IVaxis erst auf-
geschrieben wird, wenn sie auszusterben droht, und dass ein Buch so zu
sagen Revenant eines abgeschiedenen Lebens ist.
414 Israel uud dos Judentum, Kap. 10.
2'2. des Monats '). Am 24. aber ward in Hank und Asc
grosser ßusstag gehalten. Mit der Gesetzealektioii wurde am-h jcW '
liogonueii, ilaranf fulgte ein SüQdenfjekeniituis, das im Niinien des
Volkes von den Leviten ifesprodien wurde und mit der Bitte um
Gnade und Erbarmen scbloss. Das war die Vorliereiluug zu dem
Haupt- und Schliissakte, worin die weUlicIien und geistüdieii Bo-
amtcn und Ältestea der Gomeiude, fünfnudachtzig au der Zahl,
siüh schriftlich auf das durch Ezra veröffentliclite^esetzbnch ver-
pflichteten, alle übrigen aber sich mit Eid und Fluch verbindlich
machten zu wandeln in der Thora Gnttes, gegeben durch seineu
Diener Moses und zu halten alle Gebote Jahves und seine Satzungen
uud Rechte. Besonders zur Nachachtung hervorgehoben wurden
die Bestimmungen des l'entateuchs, welche direckte Bedeutung für
das Volk hatten — der grüsste Teil bezieht sich ja auf das Ritual
der Priester — und darunter namentlich diejenigen, welche die
Aiigaben der l.aieu an die Priester Ixitrufeu, auf denen die Existenz
dar Hierokratie ruhte').
Verwunderlicher Weise haben die Alttestamentlichen Kritiker
bis auf Kuenen dieser merkwürdigen Ei-zählung wenig Wiciitigkeit
beigelegt.: erst Kuenen hat sie nach ihrem vollen Wert gewürdigt.
Es liegt auf der Hand, dass wir in Neh. S — 10 eine genaue
Parallele zu 2. Reg. 22. 23 haben. Insbesondere zu 23, 1 — 3:
Josia liess alle Ältesten von Juda und Jerusalem zusammenkommeu
und zog mit den Männern Jud;i9 und den Bewohnern Jerusalems,
mit den Priestern und Propheten und allem Volke hoch nnd
niedrig, hinauf zum Hause Jahves; dort las er der Vei'sammliuig
alle Worte des Gesetzbuchs vor und vorpilichtete sich mit üllem
Volke vor Jahve, zu halten alle Worte dieses Buches, Gleichwie
bezeugt wird, dass das Deuteronomium im Jahr 621 bekannt ge-
worden, bis dahin unbekannt gewesen ist, geradeso wird bezitugt,
djL'W die anderweitige Thoru des Peutatenclis — denn d.-iss ilas
I) Acht Tage lang, nach Lev. S3, 39 gegen Deut 16, 13—15.
') Dio innere Glaub Würdigkeit des taktiäclien (lehalta der Eriäliliin); betongt
sich selber. I>ass der Chronist sie iiir.ljl sclher verfüsst, sondern aas
seiner U&uptquelle entlehnt hat, ans der auch die Fragmenle dvt UcmoiniD
Exros und Nehetnias mit^etcill sind, i<r|,'il>t sich daraus, dass ttr, ind«n
er ia Ksdr, ^ das Kap. Neh. 7 abschruilit, uiiwillkärlicli auch noch dMi
Anfunj,' vuu Neh. 8 ('= Ksdr. 3, 1) hiuiuoiinrnt Also fand er scUm
Null. 7 und 8 in der jetzigen Verbindung vor und srhrieb nlchi i'
die Kap. 8 ss. «elber.
Die. mundliche und die schriftliche Thora. 415
Gesetz Ezras der ganze Pentateuch gewesen ist, unterliegt nach
Neh. 9 und 10, 30 ss. keinem Zweifel — in der zweiten Hälfte des
fünften Jahrhunderts bekannt geworden, bis dahm unbekannt ge-
wesen ist. Es erhellt zunächst unwidersprechlich, dass das
Deuteronomium die erste, die priesterliche Thora die zweite Stufe
der Gesetzgebung ist. Weiter aber wii'd man den selben Schluss,
den man für die Abfassungszeit des Deuteronomiums aus der uo < '
Publicirung und Einführung durchJosia zu ziehen pflegt, für die
Abfassungszeit des Priesterkodex aus der Publicirung und Einführung / ,/. '
durch F^zra und Nftheii[^ ia zu ziehen ha ben. Es bedarf sehr ge-
wichtiger innerer Gründe, um die auf einer höchst positiven
Nachricht beruhenden Wahrscheinlichkeit zu entkräften, dass die
Kodificirung des Kituals eret in der nachexilischen Periode vor sich
gegangen ist. Wie es mit solchen inneren Gründen beschaffen ist,
haben wir gesehen.
3. Ezra und Nehemia, und die fünfundachtzig Männer der
Grossen Versammlung (Neh. 8 ss.), die als Unterzeichner des Bundes
genannt werden, gelten der späteren Tradition als die Begründer
des Kanons. Nicht mit Unrecht, nur müsste mit noch grösserem
Rechte der König Josia dafür angesehen werden. Die Einführung
des Gesetzes, zunächst des Deuteronomiums, sodann des ganzen
Pcntateuchs, war in der Tat der entscheidende Schritt, wodurch
die Schrift an Stelle der Rede trat und das Volk des Wortes ein
Volk des Buches wurde. Dem Buche haben sich die Bücher
mit der Zeit angeschlossen; jenes wurde in zwei auf einander
folgenden Akten, förmlich und feierlich eingeführt, diese gewannen
unter der Hand eine ähnliche öffentliche Geltung für die jüdische
Gemeinde. Der Begriff des Kanons geht durchaus von dem der
schriftlichen Thora aas; auch die Propheten und Hagiogra})hen
hcissen bei den Juden Thora, wenn auch nicht Thora Moses.
Über die Entstehung des Kanons, welche dank den beiden
Erzählungen 2. Heg. 22. 23. Neh. 8 — 10 vollständig im Licht der
Geschichte \\^'>^'i ist sich die herkömmliche Einleitungswissenschaft
höchst unklar. Josia, pflegt man sich etwa voranstellen, hat zwar
das Gesetz aber nicht den Kanon eingeführt, Ezra umgekehrt zwar
den Kanon aber nicht das Gesetz. Eine Analogie, die von dem
sekundären Teil des Kanons, von Propheten und llagiographen,
hergenommen ist, überträgt man ohne Besinnen auf den primären,
auf die Thora Moses. Wie die historischen und prophetischen
41ß
Israel tind das Judentmn, Kap. 10,
ItÜL-ber zum teil lunge existirt haben ehe sie kaiionisi'h wurden,
so, glanbt man, werde es auch mit dem Gesetze gegangeu sein.
Indessen beim Gesetze liegt die Sache wesentlich aiidci-s. Das
Gesetz will gesetzliche Geltnng haben, will Gemeindebuch sein: i
6in_^Jntgi:gchied_ aaisctien_Jjesetz und Kanon ist nicht vorhatidon. '
Es ist darum leicht zu begreifen, daws dieT£ora7"'on^Trf— Äß"
schrift«teIlerjBches Produkt jünger als die geschichtlichen and pru-
phetischeu Bücher, dennoch als Gesetz älter ist als jene Schriften,
die ja urspmnglich und ihiein Wesen nach gar keiuen gesctzlicheu
Charakter tragen, sondern denselben uccessorisch erlaugt haben,
im Änscbluss an ein vorliandones eigentliches Gesetz.
Erkennt man au, dass der Kanon das Judentum vom allen
Israel unterscheidet, so erkennt man auch an, dass die schriftliche
Thoru das Judentum vom alten Israi'l untei'scheidet. Das Wasser,
das in diT Vergangenheit gequollen war, fassten die EpigoneD in
eist erneu.
Elftes Kapitel.
Die Theorkratie als Idüc und als Anstalt
Mit den Ausdrücken Theokratie und theokratiscb s
Neuereu, ohne über ihren Sinn und die Berechtigung
Wendung sich Uocbenschaft zu geben. Mau weiss aber,
Josephns das Wort DEoxpam gebildet hat'), und es ist bekannt,
dass diesem Schriftjsteller, wenn er von der mosaischen Verfassung
redet, das heilige Gemeinwesen seiner Zeit vor Augen schwebt,
wie es bis zum Jahre 70 nach Chr. beschallen gewesen ist Im
alten Israel hat in der Tat eine Theokratie als Verfassungsforiu
nie bestanden. IJie Herrschaft Jahves ist hier eine ideale Vor-
änaaiv iyVp&r.oK haif^pal. 'A (liv yäp lUnap-^itK, nX ii taic äXifiuv Suva-
oxtlaii, jXXal ik nie i^.^^Bi^iv tnlipc^av Ti|v iioMalav tüv noXiveUftirDM.
'0 i' Witpe; vemBiTTis i't fi* toünov oüS' bxtmi dicilSiv, ätt S' äv tis
8i(f t)',v i(>-^)V rrti -.i tfdros dvahff (contra Apion, 2, 161).
Dil; 'l'lic!i>kr>iti<' Ms Idi'i.' und uU Atiat:ilt.
Jli
»
stellniig; erst seit dem Exil werden Versuclie gemacht, sie als
Herrschaft des Heiligen mit änsserlicheti Mitteln zu realisiren. Es
ist vielleicht das Haiiptverdienst von Vatkea Biblischer Theologie,
die Etität«hiU]g der Theokratie und die Metamorphose der Idee zu
einer Anstalt durch die Jahrliundert« verfolgt zu haben.
Dass Moses den Pentaieucli geschrieben liubo, wird von
den Vertretern der herrschenden Meinung geleugnet, desto bestimmter
aber Testgehalten, dass er die Gemeinde der Stiftshütte in der
Weise organisirt habe, ivie es im Priesterkodex beschrieben ist.
Es scheint dabei die Ansicht zu gründe zu liegen, dass er ja sonst
überhaupt keine Bedeutung gehabt habe: al^ ob es nicht auch
etwas wäre, einen Samen in den Acker der Zeit zu streuen, den
das daraus entspringende Spiel der Wirkungen und Gegenwirkungen
in einer Ewigkeit aur Reife bringt. In Wahrheit ist Moses etwa
in dem gleichen Sinne der Urheber der „mosaischen Verfassung",
wie Petrus der Stifter der Römisdien Hierarchie. Von der angeblich
nralt«n heiligen Oi^antsation ist in der Zeit der Richter und der
Könige nichts zu merken. Sie soll eine Art pädagogischer Zwangs-
jacke gewesen sein, um den ungebändigten Eigenwillen der Hebräer,
zu brechen und sie vor schlechten Einflüssen von aussen her zu
bewahren. Wollte man aber auch zugeben, ditss eine Verfassung
des Altertums so ausser allem Verhältnis zu dem eigenen inneren
Leben des Volks entgtanden sein könne, so tritt doch an der Ge-
schichte des alten Israels nichts mehr hervor als die ungemeine
Frische und Natürlichkeit ihrer Triebe. Die handelnden Persouen
treten durchweg mit so einem Muss ihrer Natur auf, die Männer
Gottes nicht minder wie die Mörder und Ehebrecher; es sind Ge-
stalten, die nur in freier Luft geraten. Das Judentum, welches
die mosaische Verfassung verwirklicht und konsequent fortgebildet
hatte, liess für die Individualität keinen Spielraum: im alten Israel
war das göttliche Recht nicht bei der Institution, sondern bei dem
Creator Spiritus, bei den Individuen. Sie redeten nicht bloss, wie
die Propheten, sondern sie handelten auch, wie die Richter und
Könige, aus freier Initiative, nicht nach einer äusseren Norm, uud
dennoch und gerade darum im Geiste Jahves. Höchst charakteristisch
zeigt sich der Unterschied der Zeiten in der Auffassung Sauls nach
den beiden, oben (p. 24yss.) gesonderten und verglicheneu Versionen.
418
Israel und da«
liiiji, Kap. 10.
I
I
2. Es igt eine ßiufuülie aber sehr wichtige ßemerknng Ym
Aass die im Pricsteikodex so weitläufig beschriebene heilige Ver-
fassnng der Gemeinde durdians QDvolIständig soi und dasjenige
voranssetze, was zu gründen zur Zeit Moses die Hauptsache ge-
wesen wäre, nämlich den Staat, ohne den doch auch die Kirche
nicht bestehn kann. Um einen reichen und kostspieligen Kultus
und einen ungeheuren Schwärm von Klerikern zn unterhalten,
waren erhebliche Steuern und Abgaben nötig; um selbige einzu-
treiben, um ferner daa Ansehen der heiligen Pei-sonen und Ein-
richtungen, um namentlich die strenge CentralisiJ'uug und l'ni-
formirung des legitimen Gottesdienstes bei einem immerhin ruhen
Volke aufrecht zu erhalten, daisu bedurfte es einer (.<?L;ekutiveQ
Macht, die das ganze Volk umspannte und in der Gewalt hatte.
Wo aber ist die einheitliche Gewalt in der Richterperiode? üie
Hauptbefugnisse wohnten dnm.ils den kleinsten Kreisen bei, den
Familien und Gesclilechtern; sie waren wenig heachränkt, wie os
scheint, durch die übergeordnete stacht des Stammes, und den
BegriiF des Staates oder Reiches gab es überhaupt noch nicht. Zu-
weilen vereinigten sich die verwandten Geschlechter, wol auch die
benachbarten Stämme, zu gemeinschaftlichen Unternehmungen;
aber nicht auf gruud irgend welcher verfassungsmässigen Ordnung,
sondern in der Not, vorausgesetzt dass ein hervon^agender Iitaim
sich fand, der an die Spitze trat und ein erfolgreiches Aufgebot
erliess. Diese voräbergehendon Verbindungen unter Herzögen waren
die Voratufe einer dauernden Vereinigung unter einem Ki>iuge{
schon zur Zeit des Midianiterkriegs scheint ein Ansatz dazu ge-
macht worden zu sein, der aber nicht recht einschlug. In dem
schwierigen und langwierigen Kampf gegen die Philister trat du
Bedürfnis nach einer festen Einigung der Stämme unabweislidi
liervor, und es fand sich auch der Mann für die Zeit. Sani, ein
vornehmer Benjaminit aus Gibea, ward vom Zorn überwältigt wegen
der höhnischen fierausforderong, welche sich damals sogar die
Ammouiter den Hebräern gegenüber erlaubten; nicht durch irgend
ein Amt, nur durch den eigenen Drang berechtigt rief er seine
Landslente zum Kampfe auf: sein Enthusiasmus wirkt« ansteckend,
Scheu erregend. Ganz wie einer der früheren Richter begann er
seine Laufbahn, aber als er zum Siege geführt hatte, da wurde er
nicht wieder los gelassen. Der Gesuchte, der König war g»*
funden.
L' und a\s Au^lall.
419
I
^m Aus 80 iiatüriiclieii Anlangen entstand damals der Staat., ohne
V}ede Anlehnung au die Form der „mosaischen Theokratie"; er
trägt alle Merkmale einer neuen äihöpFung an sich. 8aul und
David haben ans den hebräischen Stämmen erst ein wirkliches
Volk im politischen Sinne gemacht (Deut. 33, 5). David blieb
auch den Späteren unzertrennlich von der Idee Israels, er war
der König schlechthin; Saul wurde verdunkelt, aber beide zu-
sammen sind die Gründer des lieichs und haben insofern eine viel
allgemeinere Bedeutung als alle ihre Naclifolger. Sie sind es ge-
wesen, die dem öffentlichen Leben Mittelpunkt und Inhalt gegeben
haben, ihnen verdankt die Nation ihr geschichtliches Selbstbewosst-
sein. Auf dem Königtum gründet alle weitere Ordnung, auf diesem
Boden wachsen die übrigen Institutionen hervor. In der Richter-
zeit heisst ea, tat jeder was er wollte, nicht weil damals die
mosaische Verfassung nicht in Kraft, sondern weil kein König im
Lande war. Auch aul religiösem Gebiete sind die Folgen sehr
wichtig gewesen, sofern durch den politischen Aufschwung des
Volkes auch das historisch-nationale Wesen Johves wieder in den
Vordergrund trat, nachdem der alte Gott der Wüste, durch die
während der Hichferzeit erfolgende (übrigens völlig notwendige)
Übernahme des kanaanitischen Fcstkultus in seinen Dienst, eine
Zeit lang in Gefahr geschwebt hatte ein Gott des Ackerbaus und
der Viehzucht zu werden wie Baal-Dionysus. Der Festkaltus blieb
zwar noch lange die Quelle des Heidentums, wurde aber doch
immer mehr seines Niitnrcharakters entkleidet und musste schliess-
lich eine Beziehung zur Niition und ihrer Geschichte annehmen,
um sich überhaupt zu halten. Die Beziehung Jahves zu Volk und
Ueich stand felsenfest; auch dem schlimmsten Götzendiener war
er der Gott laraeis; im Knege fiel es keinem ein, von einem
anderen als Jahve Sieg und Heil au erwarten. Das war die Frucht
davon dass Israel ein Reich geworden war; das Königtum Jahves,
in der politischen Bestimmtheit wie es gedacht wird, ist der
religiöse Ausdruck der Staatsgründung durch Saul und David. Die
Theokratie war eben der Staat selber; den bürgerlichen Staat sahen
die alten Israeliten als ein Wunder oder, wie sie sich ausdrückten,
als eine Hilfe Gottes an. Die späteren Juden setzten bei ihrer
Anschauung von Theokratie den Staat immer schon als bestehend
voraus und konnten darum die Theokratie als ein besonderes geist-
liches Wesen darüber
•21'
420
Iära(-1 imii da^ Jiii
, Ku[.. U).
'i. Das Reich Sauls uiid iJaviils hielt Bioli uicJit laoge ÄuP"
seiner Höhe. Schun mit der Spaltung begann der Verfall; seit
die Äasyrer aus Tor klopften, brach er nnaufhalisam herein. Aber
am so lebhafter hielt man die Zeit der Blüte und Macht in Er-
inneruug, man hoffte auf ihre Wiederkehr. Durch deii Kontrakt
der trüben Gegenwart gegen die glänzende Vergangenheit entstand
das Bild des Staates wie er sein sollte; dem Znatnnde innerer
Anarchie nnd äusserer Zertrümmerung, worin er damals sich be-
fand, setzten die Propheten das Muster der Theokratie entgegen.
Die Theokratie, wie die Propheten sie sich vorstellen, ist nicht
artverechietien von dem politischen Gemeinwesen, etwa wie eine
geistliche von einer weltlichen Grösse; sie beruht \ielmehr auf den
selben Grundlagen wie jenes nnd ist eben nur die Idee desselben.
Ihre klassische Ausbildnng hat Jesaias dieser Idee gegeben,
in den Zukunftsbildern, die man messianische Weissagungen za
nennen sich gewöhnt hat. Es werden hier nämlich nicht zufällige
Dinge vorausverkündet, sondern Ziele aufgestellt, deren Verwirk-
lichung zwar erst von der Zukunft erwartet wird, die aber schon
in der Gegenwart Geltung haben oder haben sollten, zu denen das
Gemeinwesen seiner wahren Natur nach Mnstrebt.
Die Austreibung der Assyrer ist der Zug, mit dem die
messianischen Schilderungen beginnen; aber der Hau ptnachd ruck
wird gelegt auf die Herstellung der inneren Grundlagen des Staates,
deren Morschheit auch die äussere Krisis herbeigeführt und not-
wendig gemacht hat. Die Zerrüttung des Kegiments, das Dar-
niederliegen des Gerichtes, die Ausbeutung der Schwachen durch
die Mächtigen sind die Schäden, die roparirt werden müssen. „Wie
ist die ehrbare Stadt zur Hure geworden, sie war voller Gericht,
Gerechtigkeit wohnte in ihr — und nun Mörder! Deine Amtleute
sind Schurken und Diebesgesellen, alle lieben sie Geschenk und
jagen nach Bestechung, der Waise schaffen sie nicht Recht, um!
einer Witwe Sache kommt nicht vor sie. Darum spricht der
Herr: o ich will mich letzen an meinen Widersachern tmd au
meinen Feinden mich rächen! und will meine Hand gegen dich
kehren, Sion, und wie mit Lauge ausschmelzen deine Schlacken,
und will deine Richter machen wie zuerst und deine Ratdeate
wie zu Anfang; darnacJi wird man dich eine gerechte ehrb&n
Stadt nennen. Sion wird durch Gericht erlöst werden und ihre
Einwohner durch Gerechtigkeit" (1,21 — 27). Immer hat der
|iie TIrt'okrutiu hIs l<li'i:!
421
Prophet das vorhamletio natürlidio, nie eiii durch absonderlicho
Heiligkeit seiner Orgauisatioii ftusgezeiclinetes rtemeinwesen vor
Äugen. Das R«ich Jahves ist ihm voUkommeii identisch mit dem
Reiche Davids; die Aufwallen, die er an dasHeline stellt, sind
politischer Natur, etwa solche, wie man sie ^e^'enwärtig im das
Türkenreiih stellen müsste. Von Unterschied zwischen mensch-
lichem nnd göttlichem Recht ist ihm nichts hewusst; das Recht
an sich, das eigentliche juristische Recht, ist göttlich, die Autorität
des Heiligen Israel steht dahinter. „Jenes Tages wird Jahve Sebaoth
eine werte Krone und ein herrliches Diadem sein für den Rest
seines Volkes, und ein tteist des Rechtes dem der da sitzet zu
Gericht, und ein Geist der 8tiu'lie denen die den Krieg über die
Marken zurücktreiben" (28, 5. 6). Jahve ist ein wirklicher voller
König, darnm Gerechtigkeit seine Hanpteigenscliaft und seine
Hauptforderung. Und diese Gerei-htigkeit ist lediglich ein forenser
oder socialer Begriff; die Gerechtigkeit der Bei^predigt kann erst
ta die Reihe kommen, wenn die bürgerliche Reclitsordnung solbst-
, Terständlich ist — was damals durchaus nicht der Fall war.
Der Verweser Jahves ist der menschliche König. Dem himm-
lischen Herrscher steht der irdische so wenig im wege, dasn er
«ich für das herrliche Reich der Zukunft nicht entbehrt werden
kann, „Dann herrschet nach dem Recht der König und die Fürsten
regiereu nach Gerechtigkeit; jeder wild wie ein Obdach vor dem
Sturm, wie ein Schirm vor dem Wetter sein; gleich WasserbiU'hen
in der Dürre, wie Schatten eines wuchtigen Felsen im lechzenden
tiande" (32, 1. 2). Da der vorhandene König gemeiniglich nicht
genügt, so hofft Jesaias auf einen neuen, der dem Vorbilde des
alten David entspreche, den Messias. „Dann spriesst ein Reis aus
Isais Stumpfe und ein Keim erwächst aus seiner Wurzel, auf den
wii-d Jahves Geist sich sanken , ein Geist der Weisheit und
Einsicht, ein Geist des Rats und des Kri^mutes, ein Geist der
Furcht und der Kenntnis Gottes: sein Atem geschieht in Jahves
Furcht. Nicht nach dem Schein der Augen wird er richten und
nicht nach Hörensagen entscheiden; er wird mit Gerechtigkeit die
Geringen richten und mit Billigkeit bescheiden die Niederen im
Laude, aber den Frevler trifft er mit der Rute seines Mundes
und mit dem Hauch seiner Lippen tötet er den Schuldigen, so
dass Gerechtigkeit der Gurt seiner Lenden und Verlässigkeit der
Gurt seiner Hüften ist. Dann kehrt der Wolf beim Lamme ein
Israel und das Judentum, Kap. 10.
und ilor Purttel lagert beim Böfkleiii, Kalb nud Löwuiikalze fressen
zusamineti, ein kleiner Knabe hütet sie. Dauu weidet Kuh and
Bärin, bei einajider lagern ihre Jangeu, und der T^we frisst Stroh
wie das Rind; der Sängling streiuhelt der Natter Fühlhorn und
nach des Basilisken Leuchte streckt ein Entwöhnter die Hand: kein
ItovöI geschieht und kein Unrecht auf meinem ganzen heiligen
Berge" 11, 1 — Ü. Man glaubt gewöhnlich, es sei hier ein allge-
meines goldenes Zeitalter auf Erden geweissagt, aber Jesaias redet
bloss von dem heiligen Berge als Schnnptatz, worunter er die gan<«
Stadt Davids als Mittelpnnkt seines Reiches versieht. In folge des
gerechten nnd strengen Regiments des Davididen küssen sich G&-
rechtigkoit nnd Trene, kein Mächtiger wagt den Schwächeren zu
beleidigen. Die Scheu vor der Strenge des Hechts bewirkt allge-
meines Vertrauen, das T^amm fürchtet sich nicht vor dorn Wolfe.
Der Gegensatz zu diesem Ideal ist die innere Rechtlosigkeit und
Anarchie, nicht der äussere Krieg; die Hoffnung richtet sich nicht
auf internationiUeu Frieden, wie sowol aus v. 1 — 5 als auch aus
V. 1) erhellt. Einfache Regenteutugenden sind es, die den Messias
schmücken; das ist wiederum bezeichnend für die Natur des Reiches,
an dessen Spitze er steht, für den Begrilf der Theokratie.
Die anderen Propheten dieser Periode stimmen mit Jesaias
überein (Lament. 4, 20), nur Hosea bewährt anch hier seine Eigen-
tümlichkeit. Er scheint das Königtum als solches für ein Übel
anzusehen, in mehr als einer Äussemng setzt er es in Gegensatz
zur Herrschaft Jahves. Aber man beachte, dass er sein l^rtoil
durchaus auf geschichtliche Erfahrung gründet. Im Zehnatämme'
reich ward die oberste Gewalt immer wieder von l'snrpatoreü an-
gemaasst: statt der Bort der Ordnung und des Rechtes ku sein
wurde sie ein Spielball der Parteien, die Ursache einer ewigen
Aufregung. Eben dies nordisraelitische Königtum hat Ilosoa vor
Augen; und er bricht den Stab darüber aus keinem anderen Grunde
als weil es sich in den dreihundert Jahren seines Bestehns nicht
erprobt hat und auch in der gegenwärtigen Not sich nicht erprobt.
Von einer apriorischen Theorie geht er nicht aus, ein vor aller
geschichtlichen Entwicklung gegebenes Muster- der theokratisctien
Verfassung legt er nicht als Maass an. Oline Zweifel hat anch er
noch keine Ahnung davon, dass die got^ewollte Form des (iemeia-
wesens am Sinai olTenbart sei, nicht nach den Umständen sidi
richte.
Die Theokratio als Idee und als Anstalt. 423
4. Auch in der späterhin so sehr beliebt gewordenen Form
des Bundes hat die Theokratie nicht seit Moses existirt. Das
Verhältnis Jahves zu Israel war von Haus aus ein natürliches;
kein zum Nachdenken geeignetes Zwischen trennte ihn von seinem
Volke. Erst seitdem durch Syrer und Assyrer die Existenz Israels
bedroht wurde, hoben Propheten wie Elias und Amos die Gottheit
hoch über das Volk hinaus, zerschnitten das natüi-liche Rand
zwischen ihnen und setzten ein bedingtes und zwar sittlich bedingtes
Verhältnis an die Stelle. Zu oberst w\ar ihnen Jahve der Gott der
Gerechtigkeit, Gott Israels erst in zweiter Linie und nur insofern,
als Israel seinen Gerechtigkeitsansprüchen entsprach die er ihm
aus Gnade offenbart hatte : sie drehten die hergebrachte Anordnung
dieser beiden Fundamentalartikel des Glaubens um. „Wenn eure
Sünden wie Scharlach sind, sollen sie dann für weiss gelten
wie Schnee? wenn sie sich röten wie Purpur, sollen sie dann wie
Wolle sein? Wenn ihr folgt und gehorcht, so werdet ihr das Gute
des Landes geniessen ; wenn ihr euch aber weigert und widerstrebt,
so müsst ihr das Schwert fressen, denn der Mund Jahves hat es
gesagt." Dadurch nun trat die Natur und der Inhalt der Be-
dingungen, die Jahve an das Volk zu stellen hatte, in den Vorder-
grund der Betrachtung; die Thora Jahves, die ursprünglich wie
all sein Tun unter den Begi'iff des Helfens, nämlich des Recht-
schaffens, des Wegzeigens, der Lösung verwickelter Fragen, gefallen
war, wurde jetzt aufgefasst als der Inbegriff seiner Forderungen,
von deren Erfüllung seine Beziehung zu Israel alleine abhing.
Sachlich entstand auf diese Weise, aus nahe liegenden Voraus-
setzungen, aber doch völlig neu, der Begriff des Bundes, d. i. des
Vertrages. Der Name Berith aber findet sich bei den alten Pro-
piieten noch nicht, selbst nicht bei llosea, der im Übrigen der
Sache den schärfsten Ausdruck verleiht, durch sein Bild von der
Ehe (Isa. 1, 21). Seine Unbekanntschaft mit dem technischen
Sinne von Berith wird durch 2, 20 und 6, 7 so schlagend dargetan,
dass sich darnach auch das Urteil über die (vermutlich interpolirte)
Stelle 8, 1 wird richten müssen.
Der Name Berith hat wahrscheinlich einen ganz anderen
Ausgangspunkt. Die alten Hebräer hatten für Gesetz keine andere
Vorstellung und keine andere Bezeichnung als die des Vertrages.
Ein Gesetz wurde nur dadurch rechtskräftig, dass diejenigen denen
es galt, sich verpflichteten es zu halten. So geschieht es Exod. 24
424
\snt\ nn^ Ans Judentum, Kap. 10.
3_H, so '2. Heg. 23, 1—3, so noch Hier. 34, 8ss. — ^'^raHe so wio
boi duu alten Arabern. Daher auch die Bezeichuuoi^ SciphiT Ilerilh
sowol Tür das jehovistiache als auch für das deuteronomisclic
Gesetzbuch.
Dieser Spi'Hchgebrauch, Berith (d. i. Vertrag) für Gesetz, liess
sich unu sehr bequem der [nophetischen Gmndidee anpassen uud
nach derselbeu deuten, wonach das Verhältnis Jahves zu Israel
bedingt war durch die Forderungen seiner Gerechtigkeit, dereo
Inhalt durch sein Wort und seine Weisung explicirt wurde. Zu-
folge dessen wurden tinn Jahve und Israel die Kontrahenten des
Bundes, durch den ureprünglich die verschiedenen Vertreter des
Volkes unter einander sich vej|)flichtet halten zur Haltung z. B.
des deuterou »mischen Gesetzes'). Seit dem feierlichen und folgen-
schweren Akte, durch den Josia dies Gesetz einführte, scheint die
Idee der Bundschliessung zwischen Jahve und Israel in den Mittel-
jiunkt der religiöseu Reflexion geruckt zu sein; sie hefischt im
Deutoronomium, bei Jeremias, Ezechiel, in Isa. 40 — 66, Lev. 17 — ^26^
und am meisten im Viorbuud es buche. Ohne Zweifel hat das
babylonische Exil, ebenso wie einst das assyrische, auch seinai^eits
dazu beigetragen, dass man sich mit dem Gedanken der Bedingt-
heit und der möglichen Lösung des Vei'haltnisaes vertraut machte.
Es ist natürlich kein AViderspruch hiegcgen, dass, nachdem das
Keich Jahves zerstört uud sein Land verwüstet war, der Bund das
Band wurde, woran das Volk .sich hielt, nachdem der btahetigf
Grund unter seinen Rissen gewichen war.
II.
1. Die Hütte Davids verliel vollens, kein König wurde i
boren, der sie wieder aufrichtete. Für das Reich kam kerne J
sondern der Untergang. Das hiitte die Wirkung, dass reUfflSa i
lloifimngen, sofern sie festgehalten wurden, sich nicht mehr in
den Grenzen gegebener Grundlagen hielten, sondern nun einen
freieren Flug nahmen und zumeist ins Ungemessene schwärmten.
Früher war es stets ein bereits im Hintürgrunde drohender Feind,
eine wirklich heranrückende Gefahr gewesen, wodurch die Erwar-
') Diese Variation geschah um so leichter, als Berilh i. B. aucli vun der
Kapiluintinn steht, deren )!editi|^'iiQi.'eu der Stärkere niifcrief,'! ; ein«
OleJchberechtigung der konlmhirendcn Teile ]ng duirbans uicbt im B«r
i;riir der Beritli. Vgl. die schwoDketide VorstdlaDj; liier. 34, 13. 18.
e ah ld«u und nU Aij«1hI[.
425
tiiug eines grossen, durch reiL-hliclie Ansamralmif; von Zündstoff im
Inneren lüngst vorbeveileten Brandes erregt wurde — seit ilem
Esil wunio von einer allgemeinen Vereinigung Gott weiss welcher
Völker gegen das Neue Jerusalem pliantasirt, zu der in der Wirk-
lichkeit durchaus kein Anlass vorhanden war'). Sonst war der
nationale Staat, wie er unter David bestanden hatte, das Ziel aller
Wünsche; jetzt wurde eine universale Weltherrschaft in Gedanken
aufgerichtet, welche über den Trümmern der beidüischen Reiche
sich in Jerusalem erheben sollte. Die Prophetie verlor ihre ge-
schichtliche Gebundenheit «nd ihren geschichtlichen Halt,
Aber den excentriBchen Ilotfnnngen, die man auf Jahve setzte, 1
wurde auf der anderen Seite durch nüchterne und realisirbare Ziele, ]
die im Zusammenhange damit den Menschen ijestellt wurden, die
Wage gehalten. Denen die auf den Trost Israels warteten, stellte
damals die Situation praktische Aufgaben. Die alten Propheten
begnügten sich mit dem Aussprechen ihrer Ideen, mit der Kritik
der bestehenden Schäden; tatsächlich hatten sie nichts zu sagen,
die wirkliche Leitung des Volkes war in anderen Händen. Nach-
dem nun aber mit dem alten Gemeinwesen auch seine Häupter
gestürzt waren, konnten und mussten sich die Frommen an die
Spitze des neu zu Behauenden Israel stellen, das sie seit lange er-
strebten und woran sie auch jetzt noch den Glauben festhielten.
Ehedem war das Volk nicht so ernsthaft bedroht gewesen, dass
nicht sein Fortleben, trotz der durchzumachenden gefährlichen Krisis,
als eine natürliche und selbstverständliche Sache hätte betrachtet
werden können. Jetzt aber war das nicht mehr selbstverständlich,
die Gefahr lag sehr nalie, dass die judäischen Exulanten, ebenso
wie vor ihnen die samaiischen, verechlungen würden von den
Heiden unter denen sie lebten. Damit würden auch die messi-
anischen Hoffnungen ihren Ansatzpunkt verloren haben, denn
mochte ihre Verwirklichung noch so sehr Sache Jahves sein, so
mussten doch die Menschen da bleiben, an denen sie erfüllt
werden sollten. Es kam also alles darauf an, jetzt den heiligen
Rest hinülierzuretten, ihn so fest zu organisiren, dass er als Träger
der Verheissung die Stürme der Zwischenzeit überdauern konnte.
') Eiecb. 3S. 39. ha. 6«, 1S--24. Jo. 4. Zach. t3. U. In Isa. 5, 36 At^egm '
ist xtlbslvcrsländlicb ^U statt Q^13 lu lesea, iter Singular statt ä»9 J
I
42ii Isrncl utid "las Jiiilriilnin, Kiip. l'l.
Ähcr ilas alte Gemeinwesen, sowie es früber gewesen war,
stand bei denen, die bei der Restauration maasügebend wai-on, in
keinem guten Andenken, da sie ja dem vorwerfenden Urteile Jalives,
das er durch deu Muud seiner Knechte und durch die Geschichte
ausgesprochen hatte, Recht geben mussten. Man behenci<|te die
ÄnsBcrnngen der Propheten, daas Festungen und Rosse und Kriegs-
loute, dass Könige und Fürsten nicht hülfen, und machte praktische
Grundsätze daraus; man wollte Ernst machen mit der alleinigeu
lleri'fichaft Jahves. Dabei ward man von den fmständen be-
günstigt: und das war die Hauptsache, Denn nach Lage der Dinge
war damab an die Wiedereinrichtung eines wirklichen Staates
nicht zu denken; die Fremdherrschaft Hess eine solcJic nicht xu
(Rsdr. 4, ly SS.). Woran sollte man sich halten, woher die Mittel
nehmen zu dem Notbau ? Die prophetische!) Ideen langten nicht als
liunsteiiie, ihnen ging die praktische Verwendbarkeit ab. Da zeigte
Mich die Wichtigkeit der Insfitutlouen, der traditionellen Formen,
für die Konservirung auch dos geistigen Gehalts der Religion.
Der judäische Rolchstempel hatte früli die übrigen Heiligtümer
übertlügelt und ihnen im Lauf des siebenteu Jahrhunderts vollen»
die Luft geraubt. Unter dem Schatten des Kbnigtumea waren die
Priester von Jerusalem gross geworden und hattfu auletzt ihren
Stand esgeuossen gegenüber eine ausschliesslich berechtigte Stellnng
erlangt. Je schwächer der Staat wui'de, je tiefer er seit Josias
sank, desto hoher stieg das Ansehen des Tempels beim Volke, desto
liedout«nder und selbständiger wurde die Macht seiner zahlreictian
Priesterschaft: wie viel fühlbarer macht sie sich zu Jeremias als
zu Jesaias Zeiten! Dem entspricht ein unverkennbarer AufacKwnng,
den der Kultus im siebenteu Jahrhundert genommen hat, gefordert
eher als gehemmt durch die so übel belenmdote lange Regierong
Manasses. Derselbe zeigt sii'h nicht bloss in der Einfuhraag
luxuriöseren Materials, z. B. des Weihrauchs, sondern noch mehr
in der Bevorzugung schwerer und bedeutsamer l^istungen, z. B. dot
Kinder- und .Sühnopfer. Auch als die wüsten Gi'euel beseiUgt
wurden, blieb doch der blutige Ernst, mit licm man jetzt die Aus-
übung des Gottesdienstes nahm.
So eng war der Jerusalcmische Kultus mit dem Bewusstsein
dos jüdischen Volkes verwachsen, so fest hatte der Stand der i'rtceter
sich kousolidirt, dass nachdem da^ Reich zusammengebrochen wu^
hier die Elemente sich erhielten zur Nonbilduiig einer
Die Thcokratie als Idee und als Anstalt, 427
wie sie den Umständen und den Bedürfnissen entsprach. An dem
in Trümmern liegenden Heiligtum richtete sich die Gemeinde
wieder auf (1. Reg. 8. Agg. 1 s. Zach. 1 ss.). Die Bräuche und
Ordnungen wurden, wenn auch im einzelnen überall umgebildet,
so doch im ganzen nicht neu geschaffen; das Schöpferische lag
darin, dass sie zu einem System verbunden und als Mittel zur
Ileretellung einer Organisation ,,des Bestes" vei"wandt wurden.
Ezechiel hat zuerst den Weg eingeschlagen, auf den die Zeit
wies. Er ist das Mittelglied zwischen Prophetie und fiesetz. Er
will Prophet sein, er geht in der Tat von prophetischen Gedanken
aus: aber es sind nicht seine eigenen, sondern die seiner Vor-
gänger, die er dogmatisirt. Von Natur ist er ein Priester, und sein
eigenstos Verdienst ist, dass er die Seele der Prophetie einge-
schlossen hat in den Körper eines auf den Tempel und den Kultus
begründeten, unpolitischen Gemeinwesens. l)iej^ ;mitel^ 40 — 4 S sind
die wichtigsten seines Buches, welches von jTOrth in?htuHTricntig
als der Schlüssel des Alten Testaments bezeichnet worden ist.
Es entstand jenes künstliche Produkt, die heilige Verfassung
des Judentums. Ihr ausgeführtes Bild haben wir im Priesterkodex.
Der Unterschied, den man zwischen der mosaischen Theokratio
und der nachexilischen Ilierokratie zu machen sich anstrengt, ist zu
fein. Theokratie als Verfassung ist Hierokratie. Hat Moses eine
solche Verfassung gestiftet, so hat er es als Prophet getan, im
Hinblick auf Verhältnisse wie sie tausend Jahre nach ihm eintraten
(p. 102 8. 259 SS.). Das alte Israel war noch nicht zusammenge-
schrumpft auf eine religiöse Gemeinde; das öffentliche Leben ging
nicht auf im Dienste des Heiligen, der Hohepriester und die Woh-
nung Jahves war nicht das Centrum um das sich alles drehte
(p. 109 — 228). Das ist erst anders geworden durch die Vernichtung
der politischen Existenz zuei'st Samariens, dann Judas. Dadurch
wurde das Volk „ein Reich von Priestern und ein heiliges Volk"
(Exod. 19, G. Isa. Gl, G). Wenn früher die Gottesherrschaft ein
(ilaube war, an dem die natürlichen Ordnungen der menschlichen
Gesellschaft ihren Halt hatten, so wurde sie jetzt als Gottesstaat
sichtbarlich dargestellt, in einer ihr eigentümlichen künstlichen
Sphäre, die das gewöhnliche Volksleben übtM-stieg. Die Idee, die
früher den natürlichen Körper durchdrungen hntU\ sollte jetzt, um
recht eigentlich realisirt zu werden, ihren eigenen heiligen Körper
haben. Ein materieller, äusserlicher Gegensatz von Heilig und
428
. Israel und da» .ludi:
Profan entstand iiinl eiföllte die Geister; man war bestrebt fl^
Grenzen auf das i)i:hürfsto zu zieheu und das Natnrgebiet immer
weiter zurückzudrängen. Die Heiligkeit ist bei Ezecliiel, in l^v.
17 — 26, und im Prieslerkodex das herrsi'hende Ideal, Es ist ein
in sich ziemlicb leerer, haupttitichlich autithetisctier Begriff; ur-
sprÜDglicli gteii^hbedeutend mit göttlich wird er jetzt vorzugsweise
im Sinne von geistlich, priesterlich angpwandt, als sei das Göttliche
dem Weltlichen, Natürlichen durch äusserliche Merkmale entgegen-
gesetzt.
Die mosaische Theokratie, das Residuum eines nntergegaugenen
Staates, ist selbst kein .Staat, sondern ein nnter ungünstigen ßo-
dingungen durch eine ewig denkwürdige Energie geschatfenes, un-
politisches Kunstprodukt; sie hat die Fremdherrschaft zur not-
wendigen Ergänzung. Sie ist ihrem Wesen nach diT altkatholischen
Kirche nachstverwandt, deren Mutter sie in der Tat gewesen ist.
Ästhetisch anstössig mag es sein venu man von der jüdischen
Kirche redet, historisch unrichtig ist es nicht, und insofern wäre
CS am Ende vorzuziehen, als hinter dem Namen Theokratie sich
die Konfusion zu verbergen pflegt.
2. In der mosaischen Theokratie si^heint sich ein gewaltiger
Rückschritt vollzogen zn haben. Jahves Gesetz bedeutet die Eigen-
tümlichkeit seines Volkes gegenüber deu Heiden. Diese lag nun
in WaJu'heit nicht im Knltna; es wäre vergebliche Mühe, diese
und jene Nuance der hebräischen und der griecluschen Riten zu
einer principiellen Differenz aufzubauschen. Der Kultus ist das
heidnische Element in der israelitischen Religion — wobei heidnisch
durchaus niclit iu einem unedlen und schlechten Sinne gonommcn
werden soll. Wenn er nun im Priestorkodex zur Hauptsache ge-
macht wird, so scheint das einem systematischen Rückfatt in das
Heidentum gleichzukommen, welches die Prophet-en nnausgesolzt be-
kämpften und doch nicht entwarzeln konnten. Man wird zuge-
slehn können, dass bei der Konstitnimng des Neuen Jerusalem
die prophetischen Antriebe durch eine vorhandene natürliche Rich-
tung der Masse, auf die sie wirkten, umgebogen wurden. Aber
überall spürt man doch in dem gesetzlichen Gottesdienste auf das
entschiedenste ihren Einfluss. Wir haben gesehen, wie sehr der-
selbe überall die Einwirkung der Centralisation erkennen lasst.
Diese wird zwai- im Priesterkodex nicht in Verbindung gesetzt mit
der Bekämpfung ungehörigen oder fremden Gottesdienstes,
Die Theukrali« als Idee und a\n Anstalf.
4291
ist doch nur als pulenusche Maassregel zu bügreifen ; und wenn sie
als na turuut wendiges Axiom betrachtet wird, so bedeutet das den
vollkommensten Sieg prophetischer Forderungen auf eiuera Felde,
wo ihnen die schwersten Hindemisse entgegenstanden. Die exklusive
Monolat^ie ist auf keine Weise dem Kultus angeboren, sie lässt
sich nnr ableiten aus Rücksichten die seiner Nator fremd sind, sie
ist das Gegcnbilil des strengen Monotheismus. Auch die bildlose
Verehrung der Gottheit wird zwar nicht besonders eingeschärft ]
wie im Deuteronomium, ist aber von ganz selbstverständlicher ]
Oeltung und ihrer selbst so sicher, dass sie auch zweifelhafte und '
widerstrebende Elemente ohne Gefahr in eich aufnimmt und ,
assimilirt. Das goldene Ephod, gegen das Josaias eifert, ist zb '
einem bedeutungslosen Schmuck <les Hohenpriesters geworden; 1
Talismane, die noch Ezechiel verbietet, werden erlaubt (Num. 15,1
37^41), aber sie dienen dazu, „dass man sich erinnere aller Ga- |
böte Jahve.3 und sie tue und nicht nachschweife seinem Herzen
und seinen Augen, deren Gelüsten man ehedem nnchgehurt hat".
Der krasse Götzendienst, von dem sonst immer der Ausdruck rui j
gebraucht wird, steht schon ausser Frage; daa eigene Herz und j
sein ungebundenes Streben ist der fremde Gott dosaen Dienst ver-
boten wird.
Man kann weiter gehn und sagen, dass der Kultus durch die
Kultusgesetzgebnng seinem eigenen Wesen entfremdet, in sich
selber überwunden wurde. Bei den Festen zeigt sich das am sil^ht-
barlichsten. Sie haben ihre Beziehung zur Ernte und zur Vieh-
zucht verloren und sinil zu historischen Erinnerungsfeiern ge-
worden; sie verleugnen ihre Herkunft aus der Natur und feiero
die Stiftung der übernatürlichen Religion und der darauf beaü^ j
liehen Gnadeutaten Jahves. litis allgemein Menschliche, das Frei-
wüchsige geht davon, sie bekommen einen statutarischen Charakter J
und eine specifisch israelitische Bedeutung. Bei den Opfern steht 1
es nicht anders. Sie ziehen nicht mehr die Gottheit, bei allen '
wichtigen Anlässen, hinein in das irdische l.eben, dass sie teilnehme
an dessen Freuden und Nöten; es sind keine menschlichen Ver-
suche mit naiven Mitteln ihr etwas zu gut zu tun und sie geneigt
zu stimmen. Sic sind der natürlichen Sphäre entrückt und zii
göttlichen Gnadenmitteln gewurden, die Jahve in Israel, alsl
Sakramente der Theokratie, eingesetzt hat. Man glaubt ihm nicht t
mit dem Inhalt der Gabe eine Freude und einen Geuuss zu
-130
I»r.i
iiüJ ■i,,'^ Juilni
., lö.
reili'ii; wiis ihm wolydallt uml wiis WirVoog liiit, ist niir
strikte Auäfülirung des Ritus. Geii.-iD uach VorsL'hrift müssen die
Opfer (largebradit werden, am riolitigen Orte, znr rirlitigen Zeit.
Vüu den ricbtigen Personen, in der richtigen Weise. Sie gründen
sieb nicht auf den inneren Wert der Sytlie, «uf den Autrieb frischer
Anlässe, sondera auf den positiven, alle Einzelheiten ordnenden
Defebl eines «bGoluteu, nnniotivirten Willens. Das Bnud zwisi-lien
Kullua Qnd äiuulicbkeit ist zersdmitten; die Gefahr der Einmischung
unlauterer, unsittlicher Elemente, die im hebräischen Altertum st«ts
vorhanden war, kann gar nicht mehr aufkommen. Aus innerem
Trieb erwiu.-hst der Kultus nicht mehr, er ist eine Übung der
Gottseligkeit geworflen. Er hat keine niitürlichc, sondern ebe
transcendcnte, unvergleichliche uud unangebbare Bedeutung; »eine
llauptwirkung, die nuch immer sicher hervorgebracht *inl, ist die
.Sühne. Denn seit dem Exil wurde das .Sünden bewusstsein, welches
durch die Verwerfung des Volkes von Jubves Angesicht hervor-
gebracht wiir, gewissermaassen permanent; auch als der Frohn-
dieust erfüllt und der Zorn eigeutlicli verraucht war, wollte es
nicht woicheu.
Wenn nun das Wertvolle bei den heiligen Darbringungen uicht
in ihnen selber, sondern in dem Gehorsam gegen Gottes Vonjchriffeii
lag, so wurde der Schwerpunkt des Kultus aus ihm selber heraas
nnd in ein fremdes Gebiet, das der Moral, hinein verlegt. Die Folge
war, dass die Üpfer uud Gaben zurücktraten hinter ascetischen
Leistungen, die mit der Moral in noch engerer und einfacherer
Verbindung standen. Vorschriften, die ursprünglich grössteuteils
bahufa der Heiligung der Priester ku ihren gottesdienst-
lichen Funktionen gegeben waren, wurden anf die Laien aus-
gedehnt; die Beobachtung dieser Gebote der leiblichen Reinigkeit
war von weit durchgreifenderer \Vichtiglieit im Judentum als der
grosso öffentliche Kultus nnd führte auf dem geradesten Wege dem
theokratist'hen Ideal der Heiligkeit und des allgemeinen Priester-
tums zu. Das ganze Leben wurde in eine gewiesene Bahn ein-
geengt, indem man dadurch, dass es stets ein gottliches fiebot zn
erfüllen gab, abgehalten wurde setneu eigenen Hei-zensgedankea und
-gelüsten uachzuschweifou. Auf der anderen Seite wurde durch
diesen kleinen, immerdar in Anspruch nehmenden Privatkultos das
Sündengefühl des Einzelnen wach und rege gehalten.
Der grosse Patholog des Judentums hat giuiz Recht:
Dte Theokratie als Idee und als Anstalt.
431
mosaischen Theokratie ist der Kultus zu einem pädogischen Zucht-
mittel geworden. Dem Herzen ist er entfremdet; wäre er nicht
alte Sitte gewesen, so w^ürde er aus sich selber nie mehr empor-
geblüht sein. Er wurzelt nicht mehr in dem naiven Sinn; er ist
ein totes Werk, trotz aller Wichtigkeit, ja gerade wegen der Pein-
lichkeit und Gewissenhaftigkeit, womit er genommen wurde. Hei
der Restauration des Judentums sind die alten Bräuche zusammen-
geflickt zu einem neuen System, welches aber nur als Form diente
zur Aufbewahrung eines edleren Inhalts, der anders als in einer
so harten, alle fremden Einflüsse schrolT abhaltenden Schale nicht
hätte gerettet werden können. Das Heidentum in Israel, gegen
welches die Propheten vergebens protestirten, ist auf seinem eigenen
Gebiete vom Gesetz innerlich überwunden, und der Kultus, nach-
dem die Natur darin ertötet worden, zu einem Panzer des supra-
naturalen Monotheismus gemacht.
1>««